PARKER und die Mädchenkiller Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Butler Parker sah die...
44 downloads
750 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
PARKER und die Mädchenkiller Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Butler Parker sah die Katastrophe kommen und sah sich den noch nicht in der erfreulichen Lage, dagegen etwas zu unterneh men, was er liebend gern getan hätte. Der Mann mit den angedeuteten Hamsterbacken, der am Steuer eines neuen Buick saß, befand sich bereits auf der Auffahrt zu den Zapfsäulen der Tankstelle und wurde total geblendet, obwohl es an diesem Tag regnerisch war und von Sonne keine Rede sein konnte. Der Mann am Steuer war wie hypnotisiert. Er sah aus zusam mengekniffenen Augen auf die ausgeprägten Rundungen, die sich im rückwärtigen Teil eines äußerst knapp sitzenden Overalls be fanden. Überflüssig zu sagen, daß diese ausgeprägten Rundungen einem weiblichen Wesen gehörten, das vielleicht knapp über zwanzig Jahre alt sein mochte. Dieses weibliche Wesen, dessen übrige Linien sich ebenfalls sehen lassen konnten, hatte weizen blondes Haar, das bis auf die Schultern fiel. Es wurde keineswegs von der kess sitzenden Schirmmütze gebändigt, die die übrige Haarflut zusammenhielt. Dieses weibliche Wesen mit Namen Maud Sterling versah an diesem Nachmittag den Tankstellendienst und hatte keine Ah nung, welche Strahlung von ihr ausging. Sie hatte Parkers hoch beinigen Wagen gerade mit neuem Treibstoff versorgt und erkun digte sich nach seinen Wünschen. Dabei beugte sie sich unwill kürlich zu den Hinterreifen hinunter und sorgte für die Fassungs losigkeit des Buickfahrers, der verständlicherweise vielleicht nur noch die rückwärtige Füllung des Overalls sah, nicht hingegen aber die Auffahrtsbegrenzung in Form eines schmalen Beton pfahls. Parker schloß sicherheitshalber die Augen, als es krachte und knirschte. Als er die Augen probeweise wieder öffnete, hatte der Buick den schmalen Pfahl weggesäbelt, sich den rechten Kotflügel in Dau erwellen gelegt und schließlich noch eine Stellage umgestoßen, in
der sich Neureifen zum Verkauf anboten. »Du lieber Himmel«, sagte Maud, die zusammengezuckt war und sich jetzt umwandte, »das ist in dieser Woche bereits der sechste Betonpfahl!« »Eine äußerst bemerkenswerte Ausbeute«, sagte Parker aner kennend. »Ich kann das nicht verstehen«, gab Maud Sterling verwirrt zu rück. »Ich hingegen durchaus«, erwiderte Parker höflich, »vielleicht sollten Sie Ihren Overall gegen einen Rock austauschen, Miß Ster ling. Ich bin sicher, daß die Unfallquote sich dann senken lassen wird.« »Einen Rock hatte ich schon in der vorigen Woche an«, sagte Maud Sterling mit einem unschuldigen Blick, »da kam es zu sie ben Karambolagen. Deshalb bin ich ja in den Overall gestiegen.« »Dann möchte ich mich weiterer Ratschläge enthalten«, äußerte Josuah Parker, »auf den Betonpfahl möchten Sie ja wohl nicht verzichte», wenn ich nicht sehr irre?« »Daddy möchte, daß er immer wieder ersetzt wird.« »Auf Kosten der Kunden, wie ich unterstellen darf?« »Selbstverständlich«, gab Maud lächelnd zurück, »die Auffahrt ist ja breit genug, finden Sie nicht auch?« »Normalerweise durchaus«, räumte der Butler ein, »für den Fall nämlich, daß Ihr Vater den Tankstellendienst versieht. Mir scheint übrigens, daß der Fahrer des Buick sich mit Ihnen unterhalten möchte.« Das stimmte. Der Mann stand leicht betreten neben seinem frisch ondulierten Wagenblech und verstand die Welt nicht mehr so richtig. Er konn te oder wollte es sich nicht erklären, wieso es zu diesem Ram ming gekommen war. Maud tänzelte unschuldig zu ihm hinüber und wies traurig auf den umgelegten Begrenzungspfahl. Der Buickfahrer schien sich wortreich zu entschuldigen, aber sonst aus dem Blechschaden nicht viel zu machen. Parker gestattete sich ein freundliches aber nur andeutungswei se Lächeln, um dann hastig in seinen hochbeinigen Wagen zu steigen. Der Tankstelle näherte sich von der anderen Seite ein weiterer Wagen. Und auf dieser Auffahrt gab es ebenfalls Begren zungspfähle und Reifenständer.
Parker gab Vollgas, als Maud sich gerade bückte, um den Scha den am Kotflügel des Buick zu begutachten. Dabei füllten sich die an sich bereits vollbesetzten Overallhälften noch zusätzlich mit Sinneslust. Parker hatte die Straße noch nicht ganz erreicht, als er hinter sich wieder ein Krachen und Splittern von Glas vernahm. Ein schneller Blick in den Rückspiegel seines Wagens sagte ihm, daß jetzt ein Chrysler einigen Kummer hatte. Dieser brandneue Wa gen hatte es sich auf einem Schnellwechsler für Motorenöl be quem gemacht und entspannte sich mit zerknautschtem Blech. * Es war Abend geworden, und Parker hatte den amüsanten Zwi schenfall längst vergessen. Er hatte gerade abserviert und wollte sich in seine Bastelstube zurückziehen, als sich die Türglocke des Penthouse meldete. Die ses Penthouse auf weiträumigem Dach gehörte samt Hochhaus seinem jungen Herrn, einem gewissen Anwalt Mike Rander, der sich nur auf besonders interessante juristische Fälle spezialisiert hatte. Rander und seine Privatsekretärin Sue Weston befanden sich im Studio und arbeiteten an einem Schriftstück, das für einen kommenden Prozeß wichtig war. Sie hatten das Läuten überhaupt nicht registriert. Parker öffnete in der großen Wohn- und Empfangshalle des Penthouse einen Wandschrank und schaltete zugleich die Sprech und Fernsehanlage ein. Sekunden später erschien auf dem Bildschirm das pikante Ge sicht von Maud Sterling. Sie stand vor der Tür zum Privat-Expreßlift unten auf der Stra ße, hatte keine Ahnung, daß sie von einer Fernsehkamera erfaßt wurde, und wartete ungeduldig und offensichtlich nervös darauf, daß man sich meldete. »Bitte?« erkundigte sich Parker, der selbstverständlich nicht zu erkennen gab, daß er seinen Gast bereits im Bild hatte. »Maud Sterling, Mister Parker«, sagte die junge Dame, die jetzt über einem relativ kurzen Rock einen sportlichen Blazer trug. »Mister Parker, bitte, ich muß Sie unbedingt sprechen.« »Ich werde Ihnen die Tür öffnen. Sie brauchen nur den Lift zu
betreten und sich befördern zu lassen«, erwiderte Parker, »ich freue mich auf Ihren Besuch!« Maud Sterling trat etwas zögernd durch die sich öffnende Tür in den Expreßlift und wurde dann hinauf auf den Dachgarten kata pultiert. Das heißt, 1 sie landete in einem quadratischen Korridor, stieg aus und erreichte nach Überwindung einer schmalen Treppe eine sehr solide aussehende Tür, die sich jetzt ebenfalls elektrisch öffnete. Maud Sterling glaubte sich auf das flache Land versetzt, als sie durch den großen Dachgarten sich dem eigentlichen Pent house näherte, an dessen Tür Parker sie erwartete. »Muß ich unterstellen, daß Sie Sorgen haben, Miß Sterling?« »Sorgen!? Wenn es nur das wäre«, erwiderte Maud Sterling und atmete tief durch, »man will mich umbringen. Ermorden!« * »Diese Absicht ist keineswegs das, was ich als erfreulich be zeichnen würde«, erwiderte Parker, »aber bitte, Miß Sterling, tre ten Sie doch erst mal ein. Wenn Sie erlauben, verständige ich Mister Rander.« »Ich weiß nicht, was ich machen soll«, gab sie zurück und wischte sich eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn, »ich traue mich nicht nach Hause. Ich bin einfach weggelaufen und dann auf Umwegen hierher zu Ihnen gekommen.« »Äußerst lobenswert«, bekannte Parker erfreut, »und warum, glauben Sie, will man Sie ermorden? Sollte diese Absicht vielleicht mit den Betonpfählen zusammenhängen?« »Ja und nein«, erwiderte sie zu Parkers Überraschung. »Könnten Sie sich vielleicht etwas präziser ausdrücken?« »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, Mister Parker. Bitte, Sie müssen mir helfen. Ich weiß genau, daß man mich ermorden will!« »Dies müßte logischerweise zumindest einen Grund haben.« »Ich habe Pete Manzoni gesehen.« »Sind Sie sicher, sich nicht geirrt zu haben?« »Vollkommen sicher! Ich kenne sein Gesicht aus den Zeitungen und vom Fernsehen her. Ich habe ihn ganz deutlich erkannt. Und er hat gemerkt, daß ich ihn erkannt habe! Er nahm schnell seinen Kopf zurück und ließ die Scheibengardine fallen.«
»Beachtenswert.« »Sie glauben mir nicht?« Sie sah ihn empört an. »Ich wäre an näheren Details interessiert«, räumte der Butler mit neutraler Stimme ein, »könnten Sie es ermöglichen, Miß Ster ling?« Sie konnte es, aber sie wartete damit, bis Josuah Parker seinen jungen Herrn und Sue Weston verständigt hatte. Mike Rander, der große, sympathische Junge, der immer wieder von seinen Gegnern unterschätzt wurde, kannte Maud Sterling. Auch er tankte an der Zapfsäule ihres Vaters, der wegen eines gebrochenen Fußes, über den ihm ein Zwillingsreifen eines Las ters gerollt war, sich von seiner Tochter vertreten ließ. Sue Weston, die attraktive Privatsekretärin Randers, ein völlig anderer Typ als Maud Sterling, taxierte das Mädchen in Rock und Blazer mit einem schnellen und prüfenden Blick ab. Dann kam Sue Weston zu dem Schluß, daß Maud Sterling für sie keine Ge fahr darstellte. Maud Sterling hatte diesen schnellen Blick Sue Westons mit ei nem noch etwas schnelleren Blick beantwortet. Und sie gestand sich ein, daß sie trotz aller Kurven und Linien gegen diese Frau nicht ankam. Was sie im Moment auch gar nicht wollte. Sie hatte schließlich andere Probleme. »Wer will Sie ermorden?« fragte Ran, der nach ihrer Einleitung, die wieder gehetzt und ängstlich klang. »Ich – ich weiß es nicht«, sagte Maud Sterling, »halten Sie mich nur nicht für hysterisch, Mister Rander, aber ich bin sicher, daß man mich umbringen will!« »Schön, wie und wer?« Rander war geduldig. »Vielleicht beginnt Miß Sterling noch mal mit dem Hinweis auf Pete Manzoni«, warf Parker ein, »Sie sind sich also sicher, ihn gesehen zu haben?« »Hinter dem Fenster eines Wohnwagens«, war ihre verblüffende Antwort. »Pete Manzoni in einem Wohnwagen!?« Rander sah seinen But ler verblüfft an und mußte unwillkürlich lächeln. »Ich sage die Wahrheit«, erregte sich Maud Sterling, »ich habe ihn ganz deutlich erkannt. Am Fenster eines Wohnwagens, der hinter einem Ford hing.« »Wann und wo?« Rander beugte sich neugierig und auch ein
wenig ungläubig vor. »Vor etwa einer Stunde«, berichtete Maud Sterling, »ein VWKäfer hatte gerade den Fahnenmast neben den Zapfsäulen ge rammt.« »Wieso gerammt?« Rander kannte natürlich nicht die Vorge schichte, die Parker bereits vertraut war. »Der Fahrer hatte nicht aufgepaßt. Er mußte seine Augen wo anders gehabt haben.« »Wo denn?« Rander wollte es genau wissen. »Dies, Sir, ist eine Geschichte, die ich zu einer anderen Zeit nä her erläutern werde, falls Sie einverstanden sind«, schaltete der Butler sich sofort ein. Er konnte ein andeutungsweise Schmunzeln selbst jetzt nicht ganz unter drücken. »Ich rannte also hinüber zum Wagen«, berichtete Maud Sterling unschuldig weiter. »Und genau in diesem Moment erschien auf der Auffahrt der Ford mit dem Wohnwagen. Er mußte scharf bremsen. Und bei der Gelegenheit sah ich Pete Manzoni. Ein Irr tum ist vollkommen ausgeschlossen.« »Sie wissen, wer Pete Manzoni ist?« fragte Rander. »Natürlich«, erwiderte sie, »ich lese doch Zeitungen, und ich kenne ihn vom Fernsehen her.« »Und was wissen Sie noch über ihn?« »Ich weiß nur, daß Manzoni vor knapp einem Jahr zum Staats feind Nr. 1 erklärt worden ist, nachdem er diese Schießerei in Duluth hatte, bei der drei Polizisten erschossen wurden. Manzoni soll damals nach Südamerika geflüchtet sein.« »Und hat dieser Mann, den Sie für Manzoni halten, gemerkt, daß Sie ihn erkannt haben, Maud?« »Mit Sicherheit«, redete Maud Sterling weiter, »sonst hätte man ja knapp eine halbe Stunde später nicht versucht, mich zu über fahren!« »Wie bitte?« »Ich ging zu den beiden Waschhallen und wollte einen Wagen herausfahren. In diesem Moment erschien ein Caravan und wollte mich überfahren. Ich konnte mich gerade noch durch einen Sprung retten!« »Weiter, weiter«, drängte Rander, der ihr jetzt jedes Wort ab nahm. »Nach weiteren zehn Minuten wurde auf mich geschossen«, re dete Maud Sterling in überzeugender Art und Weise weiter, »ge
hört habe ich zwar nichts. Ich nehme an, sie benutzten einen Schalldämpfer. Aber die Scheibe von meinem Aquarium platzte auseinander.« »Aquarium!?« »Das Kassenhäuschen aus Glas«, erläuterte sie und lächelte endlich, »ich wollte gerade ein paar Rechnungen schreiben, als das passierte.« »Was sagen denn Sie dazu, Parker?« Rander wandte sich an seinen Butler. »Nach Lage der Dinge dürfte man tatsächlich den Versuch ge macht haben, eine wichtige Zeugin zu beseitigen«, antwortete der Butler, »hier bietet sich ein Fall an, der von größtem Interes se sein dürfte.« »Richtig«, erwiderte Rander und nickte nachdrücklich, »von größtem Interesse für die Polizei. Die wird Kopf stehen, wenn sie erfährt, daß Manzoni wieder im Land ist. Als Tourist ist er be stimmt nicht gekommen.« * »Sie is’ eben reingegangen«, sagte Lucky, ein schmaler Bursche von schätzungsweise 25 Jahren, der wie ein Frettchen aussah. »Aber nicht allein, Hank…« »Mit ’nem Bullen?« wollte Hank wissen, der an eine stets leicht gereizte Bulldogge erinnerte, die beträchtlich verfettet war. »Nee, nach ’nem Bullen sah der Gevatter nicht aus«, gab Lucky fachmännisch zurück, »der hat schon Moos angesetzt. Alter Jüng ling von vielleicht 50 Jahren. So einer mit Bombe und Regen schirm.« »Bombe?« Hank riß es zusammen. Alles, was mit Schußwaffen oder Sprengstoff zu tun hatte, e lektrisierte ihn beträchtlich. »Melone, du Flasche?« stellte Lucky richtig. »Ach so, ’ne Bombe!« »Hab ich doch gerade gesagt! Die ist also mit so ’nem Bomben träger im Haus verschwunden. Was hältst du jetzt von ’nem klei nen Besuch mit anschließendem Ping-Pong-Spiel?« »Ich bin direkt scharf darauf«, gestand Hank und wischte sich den Mund, »sonst keiner im Bau?«
»Nee, die Räume über den Waschhallen sind unbewohnt«, be richtete Lucky, der sich genau vergewissert hatte, »nur die bei den Figuren fürs Scheibenschießen.« Sie nickten sich zu, das Frettchen und die verfettete Bulldogge. Dann marschierten sie zur Haustür, die sich neben den beiden Schaufenstern befand, wo Autozubehörteile ausgestellt waren. Überraschungen brauchten sie nicht zu befürchten, denn die Tankstelle hatte geschlossen und in nächster, unmittelbarer Nähe existierten nur einige Bürohäuser, die ebenfalls geschlossen hat ten. Das Frettchen und die verfettete Bulldogge waren mit der Lage der Tankstelle mehr als zufrieden. Sie wollte» wieder mal sauber und gekonnt ihren Auftrag erledigen, den sie übrigens von ihrem Boß Manzoni erhalten hatten. Einträchtig marschierten sie auf die bereits erwähnte Haustür zu und nahmen dabei automatisch die Fensterreihe über den beiden Schaufenstern unter Kontrolle. Sie waren Profis, die sich nicht überraschen ließen, und gehörten zur Elite der Nation, was deren Unterwelt anbetraf. Und sie waren stolz darauf, in den Fahn dungsblättern der Polizei erwähnt zu werden. »Misttür«, sagte Lucky, der Schwierigkeiten mit dem Türschloß hatte. Es ließ sich zu seiner Überraschung nicht so spielend öff nen, wie er es gewöhnt war. »Mach bloß keine abendfüllende Beschäftigung draus«, meinte Hank milde tadelnd, »so was schafft meine Tante im Handumdre hen, und die ist immerhin schon 65 Jahre, wie sie behauptet.« * Parker stand am Fenster und sah vorsichtig nach unten. Er stand, um genau zu sein, an dem Fenster, das sich über der Tür befand. Er schob den unteren Rahmen sehr leise hoch. Was sich leicht machen ließ, denn er hatte die Führungsschienen vor her ausgiebig mit einem ausgezeichneten Motorenöl behandelt. Sie bewegten sich wie in Schmierseife. Parker hielt eine eigenartige Waffe in der Hand, die er aus dem Handgelenk heraus improvisiert hatte. Sie bestand aus einer Pa piertüte, die er mit Leitungswasser prall gefüllt hatte. Lange konnte und durfte er diese Bombe nicht in der Hand halten, denn
das leicht angefettete Papier vermochte der Flüssigkeit nicht stundenlang zu widerstehen. Hank trat einen halben Schritt von der Tür zurück, was oben von Parkers Standort leicht zu erkennen war. Er nahm seinen nicht gerade billigen Hut ab und fuhr sich durch das kurze und stoppelige Haar. Genau in diesem Moment ließ Parker die Wasserbombe senk recht nach unten fallen. Sie gehorchte verständlicherweise den Gesetzen der Schwer kraft und rauschte hinab. Übrigens fast geräuschlos. Dabei faltete sie sich bereits auseinander und verschaffte dem Wasser etwas Ausdehnung. Bruchteile von Sekunden später schlug sie ein. Wie eben eine Bombe, die ihr Ziel erreichte. Sie platzte auf dem Stoppelhaar Hanks klatschend auseinander und wässerte ihn. Der Aufprall des Wassers war derart kraftvoll, daß Hank unwillkürlich erst mal in die Knie ging. Er sah sich von Wasser umgeben, das seine Augen füllte, und erinnerte sich, daß er nicht schwimmen konnte. In aufsteigender Panik rief er um Hilfe. Dabei gerieten etwa 40 Kubikzentimeter Wasser in seinen Mund, an denen er sich zusätzlich verschluckte. Hank gurgelte wie ein Fanatiker der Gesundheit, dem Mundpfle ge über alles geht, ruderte entsetzt und hilflos zugleich mit seinen Armen in der Luft herum und glaubte zu ersticken. Lucky wandte sich um, denn er war leicht stutzig geworden. Die Geräusche hinter seinem Rücken kamen ihm immerhin irregulär vor. Er sah Hank vor sich, der einem Ertrinkenden glich und hatte nun wirklich das große Pech, von einem der herumruderhängen den Arme getroffen zu werden. Und zwar an der linken Kinnlade. Da Hank nicht gerade ein Leichtgewicht war, saß hinter dieser unwillkürlichen Ruderbewegung viel Saft und Kraft. Lucky ver drehte die Augen wie ein Boxer im Ring nach dem ersten Nieder schlag und saß auch schon auf seinen vier Buchstaben. Dabei wurde ihm flau im Magen. Doch Parker hatte ein Einsehen. Immer daran interessiert, seinen Mitmenschen zu helfen, hatte er eine zweite Wasserbombe nach unten geschickt. Die Papiertüte landete genau auf dem Gesicht des Frettchens,
das von der Wucht des Einschlages zurückgeworfen wurde. Lucky gurgelte nun ebenfalls, allerdings in einer erheblich anderen Ton lage. Parker erinnerte diese Melodienfolge unwillkürlich an ein Pot pourri aus Boheme, wobei er sich allerdings nicht unbedingt fest legen wollte und konnte. Es gab auch eine entfernte Ähnlichkeit zu Lehars Lustige Witwe, wie er sich später eingestand. In diesen Dingen war er sonst sehr genau. Lucky und Hank beendeten schlagartig ihr Duett und versuchten aufzustehen. Als pflichtbewußte Gangster wußten sie schließlich sehr genau, was man von ihnen erwartete. Parker tat ein übriges, um zu ihrer Unterhaltung beizutragen. Aus einer aufgerissenen Dose Motorenöl für den Viskositätsbe reich von 10-50 SAE goß er eine gehörige Portion nach unten. Dieses hochkarätige Öl vermischte sich intensiv mit dem Was ser, das in großen Lachen auf dem Asphalt vor der Haustür lager te. Das Öl emulgierte leicht mit dem Wasser – oder auch umge kehrt – und wurde zu einer intensiven Schmierseife, auf der die beiden Gangster, die aufstehen wollten, einen Pas de deux absol vierten, der Anhänger des klassischen Balletts zu Beifallsstürmen hingerissen hätte. Lucky und Hank ergriffen zuerst ihre Hände und brachten sich in eine tänzerische Grundstimmung. Sie drehten sich umeinander und spielten dann so etwas wie den ,Sterbenden Schwan’. Dabei gerieten sie in einen äußerst innigen Kontakt mit dem Asphalt, der unter dem Aufprall ihrer Körper sanft erbebte. Womit dieses klassische Ballett einen vorzeitigen Abschluß fand. Weder Lucky noch Hank waren in der Lage, den höflichen Ap plaus entgegenzunehmen, den Parker ihrer Tanzeinlage spendier te. * Als Lucky und Hank wieder zu sich kamen, verstanden sie die Welt nicht mehr. Man hatte sie ihrer Bewegungsfreiheit nachdrücklich beraubt. Sie saßen mit gefesselten Händen auf dem Boden einer Wasch halle und lehnten mit ihren Rücken gegen die kühle Kachelwand. Sie befanden sich allein auf weiter Flur und ahnten noch nicht
mal, daß sich in der Waschhalle ein kleiner Sender befand, den der Butler zurückgelassen hatte. Dieser Miniatursender, von Parker konstruiert, klebte dank eines Haftmagneten direkt über ihnen am Oberlicht und übertrug jedes Wort, das sie miteinander wechselten. »Anfänger«, sagte Lucky zu Hank. »Flasche«, gab Hank gereizt zurück. »Wir sind erledigt, wenn der Boß das erfährt«, meinte Lucky. »Von uns nimmt kein Hund auch nur ein Stück Brot«, stellte Hank melancholisch fest. »Nicht mal ’ne Ratte«, sagte Lucky, »wie konnte das passie ren?« »Weil dein Moosjüngling uns reingelegt hat«, stellte Hank sach lich fest, »ich möchte bloß wissen, wo du deine Pupillen hast.« »Spiel dich bloß nicht auf, Hank«, sagte Lucky wütend, »und wo waren deine Pupillen?« »Wir müssen hier ’raus«, stellte Hank fest, ohne auf die Frage seines Partners einzugehen, »wir müssen ab durch die Mitte und den Boß verständigen.« »Der weiß doch längst, daß wir irgendwie auf die Nase gefallen sind«, gab Lucky zurück, »wir hätten schon wieder auf dem Cam pingplatz sein müssen!« »Ob der ohne uns abhaut?« »Ausgeschlossen! Und wer fährt den Wagen? Nee, der muß schön warten. Ohne uns ist er aufgeschmissen. Los, versuch mal auf Houdini zu machen.« Hank machte sich an die Arbeit, dem größten Entfesselungs künstler aller Zeiten noch nachträglich Konkurrenz zu machen. Doch es war schnell zu sehen, daß er dem sagenhaften Houdini nicht das Wasser zu reichen vermochte. Die Versuche waren als ausgesprochen dilettantisch zu bezeichnen. Die beiden Herzchen brauchten etwa zweiundzwanzig Minuten, bis sie endlich ihre Hände befreit hatten. Danach mußten sie eine Verschnaufpause von etwa siebeneinhalb Minuten einlegen, bis sie endlich wieder aktionsfähig waren. »So, und jetzt ist die Retourkutsche fällig«, meinte Lucky und griff automatisch nach seiner Schußwaffe, die sich nach Lage der Dinge in seiner Schulterhalfter befinden mußte. Sie war aber nicht vorhanden. Wie die Waffe, mit der sein Partner Hank gerechnet hatte. Sie
kamen zu dem logischen Schluß, daß die beides Waffen von dem bemoosten Großvater in Verwahrung genommen worden waren. Worüber sie sich überhaupt nicht freuten. »Ob der noch im Haus ist?« fragte Lucky. »Selbst wenn. Wir brausen ab, mein Junge. Wir machen ’ne Fliege. Den Bombenträger schnappen wir uns später mal, sobald der Boß sein Hauptquartier bezogen hat.« »Glaubst du, daß er in der Stadt bleibt?« »Klar, Junge. Hier hat er doch jahrelang gelebt. Hier findet er genau das, was er braucht. Los, jetzt!« Sie marschierten auf das Tor der Waschhalle zu und sahen vor sichtig nach draußen. Sie trauten dem Braten nicht und konnten es sich einfach nicht vorstellen, daß man sie so gehen ließ. Sie hätten selbstverständlich erheblich anders gehandelt. Und davon gingen sie aus. Aber es geschah nichts. Der bemooste Opa schien sich zusammen mit Maud Sterling ab gesetzt zu haben. Was ihr Herz besonders erwärmte und erfreute, war die Tatsa che, daß ihr Wagen noch genau dort stand, wo sie ihn zurückge lassen hatten. Wie zwei Füchse mit schlechtem Gewissen stahlen sie sich an diesen Wagen heran, um dann wie zwei geölte Blitze in das Auto zu springen, wobei Lucky das Steuer übernahm. Innerhalb von Zehntelsekunden rauschte der Wagen los und stürzte sich förm lich hinunter auf die nahe Straße. * Josuah Parker hatte es sich im Kofferraum dieses Wagens so bequem wie nur möglich gemacht. Er wußte nicht, wie lange die Fahrt dauern würde. Seine Rechnung war bis zu diesem Zeitpunkt voll aufgegangen. Die beiden Gangster hatten sich erst gar nicht die Zeit genom men, sicherheitshalber in den bewußten Kofferraum hineinzuse hen. Sie waren nur daran interessiert, so schnell wie möglich zu rück zu ihrem Herrn und Meister zu fahren. Schließlich hatten sie ihm ja einiges zu bestellen. Butler Parker brauchte erfreulicherweise nicht zu lange in dem
engen Kofferraum auszuharren. Nach einer Fahrt von etwa 30 Minuten hielt der Wagen an. Das Offnen und Zuschlagen von Türen war zu hören, dann schnelle Schritte und schließlich ganz in der Nähe eine Männer stimme, die alt und brüchig war. Diese Altmännerstimme sang etwas von einem Altar, vor den man ihn schleppen müsse, falls es zu einer Heirat kommen sollte. Parker kam die Melodie irgendwie bekannt vor. Dann hatte er seine sehr individuelle Erleuchtung. Sie stammte aus einem be kannten Musical. Übertönt wurde diese Melodienfolge von einem lauten Fluch, ei nem Gelächter, das von weither an Parkers Ohren drang und dann von dem Aufrauschen eines Motors. Um sich zu informieren, drückte der Butler den Deckel des Kof ferraumes etwas an und spähte hinaus ins Freie. Viel war zwar in der Dunkelheit nicht zu sehen, doch es stand für ihn einwandfrei fest, daß der Wagen keineswegs auf einem Campingplatz stand. Er befand sich in einer engen Straße irgendwo in einer Slumgegend, und zwar in der Nähe einer Bier schwemme. * Parker war gut erzogen und dachte nur an ein ganz bestimmtes Schimpfwort, ohne es jedoch auszusprechen. Er wußte, was pas siert war. Die beiden Gangster hatten einen gestohlenen Wagen benutzt und ihn hier abgestellt. Dann waren sie aller Wahrscheinlichkeit nach in einen anderen – vielleicht ihren eigenen Wagen umge stiegen und hatten die Fahrt fortgesetzt. Das mochten sie ganz routinemäßig gemacht haben, um alle möglichen Spuren zu ver wischen. Der alte Mann, der auf keinen Fall vor den bewußten Altar woll te, um der Hochzeit aus dem Weg zu gehen, jener alte Mann kam jetzt aus einem Hausflur und schwenkte schaukelnd auf den But ler zu. Als er Parker genau im Visier hatte, klappte ihm der Unterkiefer herunter und er vergaß seinen Kummer hinsichtlich des Altars. Er baute sich schwankend vor dem Butler auf und musterte ihn
mit der Intensität, die nur ein Angetrunkener aufzubringen ver mag. »Sind sie echt?« fragte er dann sicherheitshalber. »In der Tat«, gab der Butler zurück, der seinen Ärger über die ergebnislose Ausfahrt schon längst heruntergeschluckt hatte. »So sehen Sie aber gar nicht aus«, behauptete der Betrunkene. »Ich hoffe, Sie sind nicht zu enttäuscht«, meinte Parker, »darf ich mich mit einer speziellen Frage an Sie wenden?« »Nee, so was, der kann sogar sprechen!« wunderte sich der Angetrunkene und kicherte erfreut. »Haben Sie die beiden Herren gesehen, die diesen Wagen ver ließen?« erkundigte sich Parker. »Klar. Aber das kostet ein paar kleine Lappen, wenn ich mehr sagen soll!« »Sie seien Ihnen gewährt«, versprach der Butler, »in welchen Wagen stiegen sie um?« »Die Lappen!« erinnerte der Angetrunkene. Parker nickte und bedachte den Mann mit einigen Banknoten kleineren Kalibers, die der Angetrunkene sofort in seiner Hosen tasche verschwinden ließ. »Also, die beiden Typen«, sagte der Mann, »die sin’ in ’nen Ford umgestiegen.« »Dessen Nummer Sie verständlicherweise nicht kennen, nicht wahr?« »Das kostet wieder ein paar kleine Lappen«, sagte der Ange trunkene, der trotz seines Alkoholspiegels ein guter Geschäfts mann war. »Sie haben sich das Wagenkennzeichen gemerkt?« Parker wun derte sich ehrlich. »Klar. Wenn zwei Typen aus ’nem Wagen kommen und in ’nen anderen umsteigen, Mann. Dann geht mir doch ’n Licht auf! Oder auch zwei. Dann schaltet der alte Charly doch so schnell wie EWerk.« Parker trennte sich leichten Herzens von weiteren Banknoten, die der Mann diesmal wesentlich gelassener in seiner Hosenta sche verschwinden ließ. Dann nannte er dem Butler eine Auto nummer, die allem Anschein nach stimmte. Daraus ging hervor, daß der Wagen in New York zugelassen war. »Kannten Sie zufälligerweise einen der beiden Herren?« stellte der Butler seine nächste Frage.
Der Angetrunkene schüttelte den Kopf. »Immer sauber bleiben«, sagte er dann mit schwerer Zunge, »immer sauber bleiben, ist mein Wahlspruch, verstehen Sie!? Ich könnt Ihnen ja jetzt ein Ding vom Pferd erzählen, und Sie müßten es mir abnehmen. Aber der alte Charly bleibt sauber, solange das mit Wasser nichts zu tun hat. Kenn keinen von den beiden Ty pen!« Parker war fast gerührt ob dieser Ehrlichkeit und trennte sich von weiteren Banknoten. Daraufhin nahm der Angetrunkene seine Ballade vom Altar und der bevorstehenden Hochzeit wieder auf und steuerte äußerst zielbewußt auf die Bierschwemme zu. Sue Weston befand sich zu dieser Zeit in der kleinen Küche der Sterling-Wohnung. Nicht Maud Sterling, sondern sie war zusammen mit Parker zur Tankstelle gefahren. Die Tankwartin war nach wie vor Gast im Penthouse von Mike Rander. Sue, die die Abfahrt Parkers im Wagen vom Fenster mitverfolgt hatte, hatte sich eine Flasche Milch aus dem Kühlschrank geholt und füllte sich ein Glas. Als sie es langsam und genußvoll trank, hörte sie plötzlich irgendwo im Haus ein Geräusch, das in ihren Ohren irregulär klang. Sie setzte das Glas Milch ab und horchte nach unten. Unter der Sterling-Wohnung befanden sich die Waschhallen und Lagerräu me. Hatte der Wind vielleicht die noch offene Tür zur Waschhalle zugeschlagen? Oder war das Geräusch aus dem schmalen und steilen Treppenhaus gekommen? Das Glas Milch in der Hand haltend, verließ Sue Weston die kleine Küche und betrat den viereckigen, nicht sonderlich großen Korridor. Sie baute sich an der Etagentür auf und horchte ins Treppenhaus hinunter. Sie hatte nicht gerade Angst, aber irgendwie bedauerte sie es, daß sie allein war. »Falsche Richtung, Mädchen!« hörte sie dann plötzlich eine Stimme knapp hinter sich. Sue wußte nicht, wer sie da angesprochen hatte. Aber sie merk te sehr genau, daß es sich um keinen Freundschaftsbesuch han delte. Sie reagierte blitzschnell, und vielleicht auch etwas riskant. Sie wirbelte herum und goß die gut gekühlte Milch, die sich noch im Glas befand, in das Gesicht eines Mannes, das sie nicht erkennen konnte. Die Milch breitete sich wie eine flüssige Maske
auf diesem Gesicht aus. Sue duckte sich und wollte an dem Mann vorbei hinüber in den Wohnraum laufen. Leider kam sie nicht sonderlich weit. Zwar noch immer von der Milch gezeichnet, han delte auch der Mann instinktiv und richtig. Seine Hände verkrallten sich in den Kragen ihres Kleides. Es gab einen knirschenden, häßlichen Laut, als der Stoff sich auftrennte und zu einem großen Teil in seinen Händen zurückblieb. Sue Weston stand, wie es im Volksmund so plastisch und tref fend heißt, im Freien. Im knappen Slip und einem ebenso knappen BH lief sie aber weiter. Kleidungssorgen hatte sie im Augenblick nicht. Sie wollte nichts als Raum gewinnen und diesem Mann entkommen, der sich gerade die Milchmaske aus dem Gesicht wischte. Dabei entwickelte Sue Weston leider Pech. In der Hast ihrer Absetzbewegung stolperte sie über einen Schaukelstuhl, der genau im Weg stand. Sie verfing sich in den geschwungenen Kufen und absolvierte fast einen Salto. Sue sah den Boden mit bestürzender Schnelligkeit auf sich zukommen. Sie hörte sich aufschreien und anschließend nichts mehr. Was nicht weiter verwunderlich war, denn sie war mit dem Hinterkopf auf geschlagen und ohnmächtig geworden. * »Das ist die Quittung«, sagte Mike Rander eine knappe Stunde später. Er sah seinen Butler anklagend an. »Das ist die Quittung, Parker! Wir hätten uns sofort mit der Polizei in Verbindung setzen sollen.« »Miß Weston scheint sowohl Milch getrunken als auch vergossen zu haben«, stellte Parker fest. Er hatte sich in der SterlingWohnung bereits umgesehen und Spuren gesichert?« Rander war ehrlich besorgt. Von Parker alarmiert, der zurück zur Tankstelle gefahren war und Sue Weston vermißt hatte, war Rander sofort herausgekom men, während Maud Sterling sich nach wie vor im Penthouse auf hielt. »Miß Weston dürfte überrascht worden sein«, redete der Butler weiter, »nach meiner Fahrt zusammen mit den beiden Gangstern muß ein dritter Gangster in der Nähe gewesen sein.«
»Manzoni, wer denn sonst!?« »Ich fürchte in der Tat, Sir, daß dies den Tatsachen entspricht«, sagte Parker, »darauf deutet das zweite Glas hin, das auf dem Kühlschrank steht.« »Wieso? Können Sie sich nicht etwas deutlicher ausdrücken?« Rander bezwang sich, seine Nervosität nicht noch kräftiger durchkommen zu lassen. »Aus diesem zweiten Glas scheint Mister Manzoni sein übliches Glas Milch getrunken zu haben, Sir.« »Donnerwetter!« Rander nickte. Er erinnerte sich verschiedener Details über Manzoni. Dieser Gangsterboß, das war seinerzeit in den Zeitungen berichtet worden, war ein Gegner jeglicher Alkoho lika und hielt sich an Milch. Ein im Grund völlig artfremdes Ge tränk für einen Gangster, aber vielleicht hat Manzoni wenigstens auf diesem Kleinstsektor Geschmack entwickelt. »Fingerabdrücke auf dem Glas?« fragte Rander. »Ich muß leider verneinen, Sir, Mister Manzoni scheint Hand schuhe angehabt zu haben.« »Selbst wenn. Das wird uns auch nicht weiter bringen. Wir müs sen sofort Captain Madford verständigen, Parker. Wir wissen, daß Manzoni auf irgendeinem Campingplatz in oder um Chikago steht. Solch ein Platz muß sich ja schließlich finden lassen.« »Durchaus, Sir. Aber ich darf darauf verweisen, daß nach Lage der Dinge Miß Weston sich in der Gewalt dieses Mister Manzoni befindet.« »Natürlich!« Randers Stimme klang resigniert, »er wird sie als Geisel festhalten. Klarer Fall… Er wird…« »Entschuldigung, Sir, das Telefon.« Parker deutete auf den Ap parat im Wohnraum, der sich laut und deutlich meldete. Parker hob den Hörer ab und meldete sich. Er hört nun sehr kurz zu und legte dann auf. »Na!?« Rander schien bereits zu ahnen, wer da angerufen hat te. »Mister Manzoni«, antwortete der Butler, »er teilte Ihnen und meiner bescheidenen Wenigkeit mit, daß er Miß Sterling als sei nen Gast betrachtet. Ferner warnt Mister Manzoni davor, sich an die Polizei zu wenden oder seinen Namen zu erwähnen. Er sieht sich sonst nach seinen Worten gezwungen, Miß Weston…… Also…« »Sie brauchen gar nicht weiterzureden«, schnitt Rander ihm das Wort ab, »er wird sie sonst umbringen, nicht wahr?«
»So ungefähr, Sir, drückte Mister Manzoni sich aus, wenngleich die Wahl seiner Worte noch erheblich eindeutiger war.« »Damit sitzen wir in der Tinte.« Rander holte tief Luft. »Nur in etwa, Sir«, erwiderte Josuah Parker, »Mister Manzoni, und das scheint mir wichtig zu sein, Mister Manzoni hält Miß Wes ton für Miß Maud Sterling. Also für jene junge Dame, die ihn im Wohnwagen gesehen hat.« »Macht das überhaupt einen Unterschied?« »Durchaus, Sir. Miß Weston ist im Gegensatz zu Miß Sterling ei ne junge Dame, die sich in der mehr oder weniger edlen Kunst der Selbstverteidigung recht gut auskennt!« * Von einer Selbstverteidigung konnte zu diesem Zeitpunkt über haupt keine Rede sein. Sie hätte sich gerade jetzt wie ein makab rer Witz angehört. Sue Weston war an Händen und Füßen gefesselt. Und zwar nach Art des Hauses, wie Manzoni sich ausgedrückt hatte. Das bedeutete, daß er statt der handelsüblichen Stricke Leukoplast verwendet hatte. Dieses Klebeband ausgiebig um die diversen Gelenke gewickelt, machte eine Selbstbefreiung so gut wie un möglich. Sue Weston gab sich da nicht eine Sekunde lang ir gendwelchen Illusionen hin. Ansonsten konnte sie sich im Augenblick nicht sonderlich bekla gen, da sie zumindest recht bequem lag. Manzoni hatte sie auf einem Bett seines Wohnwagens mit breiten Lederriemen festge schnallt, damit sie in Kurven nicht hinunter auf den Boden fiel. Und er hatte diskreterweise die Vorhänge des Wohnwagens ge schlossen, um keine Verkehrsstauung zu provozieren. Schließlich lag die sehr gut gebaute Sue mit einem Minimum an Kleidung im Wohnwagen. Manzoni hatte nichts getan, um sie kleidungsmäßig wieder aufzurüsten. Was sie anhatte, bestand nach wie vor aus dem kleinen Slip und dem knappen Büstenhalter. Manzoni saß im Ford, an den der Wohnwagen gekoppelt war. Er hatte Sue aus der Sterling-Wohnung hinausgeschafft und sie in seinen Wohnwagenanhänger verfrachtet, den er nach der Über rumplung vor die Tankstelle geschafft hatte. Bis auf eine kurze Unterbrechung der Fahrt, wahrscheinlich hatte er von irgendeiner
Telefonzelle aus angerufen, waren sie jetzt unterwegs. Wohin die Fahrt ging, konnte Sue nicht; erraten. Sie hoffte, daß dieser Aus flug auf irgendeinem Campingplatz enden würde. Dort sah sie eine echte Chance, vielleicht doch noch frei zu kommen. Nach etwa dreißig Minuten merkte sie, daß sie die Stadt verlas sen haben mußten. Die Geräusche des Stadtverkehrs ebbten von Minute zu Minute immer mehr ab. Zudem nahm der Wagen schnellere Fahrt auf. Wahrscheinlich befanden sie sich auf einem Highway, auf dem Manzoni schneller fahren durfte. Selbstverständlich machte Sue Weston sich ihre Gedanken. Sie ahnte, daß der Gangsterboß sie als Geisel mitgenommen hatte. Und sie konnte sich lebhaft ausmalen, daß dieser Mann in ihr noch mehr sah. Vielleicht eine erfreuliche Abwechslung von den Sorgen des Alltags? Sue erinnerte sich sehr gut an die Lebensbe schreibung Manzonis. Dieser Gangsterboß hatte sich gerade Frauen gegenüber niemals erfreulich benommen. Sue schrak aus ihren Gedanken hoch, als der Wohnwagen plötz lich herumgeschleudert wurde. Er schien in eine scharfe Kurve gelegt worden zu sein. Nur dank der Riemen blieb sie auf dem schmalen Bett des Wohnwagens liegen. Wenig später rumpelte der Wohnwagen durch Schlaglöcher, um dann scharf abgebremst zu werden. Sue spürte, daß ihr Blutdruck sich steigerte, als sie das Öffnen und Zuschlagen einer Tür hörte. Dann knirschende Schritte in weichem Sand. Dann das Auf schließen und Aufklinken der Wohnwagentür. Sekunden später stand Manzoni vor Sue und musterte sie lä chelnd. Doch dieses Lächeln war leider kalt. So lächelte vielleicht eine Klapperschlange im Vorgenuß ihrer Beute. * »Kleinigkeit für uns«, meinte Captain Madford vom Sonderde zernat um diese Zeit. Zusammen mit Sergeant McLean befand er sich im Studio Mike Randers und studierte die Stadtkarte, die Parker auf den Arbeits tisch gelegt hatte. »Unterschätzen Sie bloß nicht die Sache«, warnte Mike Rander,
»nach Parkers Durchzählung haben wir über vierzig Campingplät ze im näheren Stadtbereich.« »Dafür haben wir aber das Autokennzeichen«, sagte Madford, der kleine, drahtige und überenergische Mann mit dem schmalen Bärtchen auf der Oberlippe, »meine Jungens werden ausschwär men und in ein paar Stunden den Ford samt Wohnwagen aufge spürt haben. Sagte ich nicht schon, daß das ’ne Kleinigkeit für uns ist?« »Ihr Wort in Gottes Ohr.« Rander richtete sich seufzend auf, »sollte sich der Wagen finden lassen, Madford, dann bitte keine wilden Attacken. Denken Sie an Miß Weston!« »Wir sind doch keine Anfänger«, meinte Madford, »wir werden Ihnen mal zeigen, wie Profis arbeiten.« Während er redete, sah er Parker eindeutig an. »Geben Sie schon zu, Parker, daß Sie mit Ihrem Latein am Ende sind!« »Wenn Sie darauf bestehen, Sir, pflichte ich Ihnen selbstver ständlich bei.« »In ein paar Stunden haben Sie Miß Weston wohlbehalten wie der zurück«, steigerte Captain Madford seine Behauptungen, »ohne einen Kratzer.« Rander war froh, als Madford und McLean endlich gegangen wa ren. Er hatte darauf bestanden, die Polizei zu informieren. Und Parker hatte diese Notwendigkeit durchaus eingesehen. Er und Mike Rander allein brauchten zuviel Zeit, alle Campingplätze nach dem bewußten Ford samt Wohnwagen abzusuchen. »Wie beurteilen Sie Madfords Chancen?« fragte Rander nervös. »Falls der bewußte Wohnwagen sich auf einem Campingplatz befindet, Sir, dürfte er mit Sicherheit gefunden werden.« »Moment mal, Parker. Sie glauben, daß Manzoni längst nicht mehr auf einem Campingplatz steht?« »In der Tat, Sir! Er kann sich vorstellen, daß Miß Sterling diesen Wohnwagen erwähnt hat. Daraus ergibt sich für Mister Manzoni, daß man auf den Campingplätzen nach ihm suchen wird. Daraus wieder dürfte resultieren, daß er die Campingplätze längst außer Betracht gezogen hat. Er dürfte sich an ganz anderer Stelle auf halten.« »Herrliche Aussichten! Und wo, zum Beispiel? Lassen Sie mal Ihre Intuition spielen, Parker!« »Meiner bescheidenen Ansicht nach, Sir, wird Mister Manzoni
sich dort sicher fühlen, wo er zu Hause ist. Nämlich im sprich wörtlichen Dschungel der Großstadt.« * Sue Weston, durchaus nicht prüde, spürte die Gänsehaut, die über ihren Rücken glitt. Manzonis Augen zogen sie aus bis auf die nackte Haut. Er kam langsam näher und stellte sich vor dem schmalen Bett in Position, auf dem sie lag. »Alles in Ordnung, Süße?« fragte er. »Ich spüre meine Hände nicht mehr«, sagte Sue in einem Ton, in den sich Erschöpfung und flehende Bitte mischten, »können Sie sie etwas lockern?« »Können schon, Süße, aber daraus wird nichts«, sagte Manzoni. »Ich laß mich nicht gern aufs Kreuz legen. Wenn schon, mach ich das lieber bei anderen. Falls Sie etwas nett zu mir sind!« »Wie nett?« fragte Sue und bemühte sich um Koketterie. »Mach Vorschläge, Süße«, sagte Manzoni und beugte sich etwas tiefer über die liegende Sue, die sich zwingen mußte, nicht den Kopf zur Seite zu wenden. Manzoni war mittelgroß, korpulent und hatte erstaunlich schma le Lippen, die ein fast viereckiges, brutales Kinn zierten. Er hätte in jedem Krimifilm als Prototyp eines Gangsters einen Riesener folg gehabt. Er entsprach genau den Vorstellungen, die man sich von einem Gangster machte. »Angst?« fragte er, als sein Gesicht sich dem Sues immer mehr näherte. »Sie werden mich ja nicht gerade auffressen.« Sue rang sich ein schmales Lächeln ab. Und dann, bevor sie es verhindern konnte, preßte er seine schmalen und harten Lippen auf ihren Mund. Gleichzeitig schloß seine rechte Hand sich über einer ihrer Brüste und drückte brutal zu. Sue glaubte ersticken zu müssen. Zudem steigerte sich der Schmerz in ihrer Brust. Sie spürte seine zweite Hand auf ihrem fast nackten Körper. Eine Hand übrigens, die auf Entdeckungsrei sen ging, die Sue ihr nicht gestatten wollte. Sie bäumte sich unwillkürlich wütend auf, zog blitzschnell die
Knie an und schob sie ihm geschickt unter den Körper. Weston hätte jetzt damit wie mit Katapult arbeiten können, doch sie bezwang sich. Sie durfte ihm nicht zu deutlich zeigen, wie widerlich er ihr war und mußte bei allen jetzigen und Aktio nen daran denken, daß der Gangsterboß in Sicherheit gewiegt wurde. Nur so hatte sie eine winzige Chance, noch mal mit dem Leben davonzukommen. Sie schaffte es. Und sie war später fast stolz auf sich, daß sie sich nicht einzig und allein von ihrem Gefühl hatte leiten lassen. »Bitte!« stöhnte sie und bäumte sich abgesprochen sinnlich auf. Sie wollte ihm die Illusion verschaffen, daß sie auf seine Hände reagierte, wie er es gern sah. »Bitte!« Sie drückte ihn fast behutsam von sich. Sie spürte noch einen kurzen Moment lang seine feuchten Hände an ihren Oberschen keln und seine Finger unter dem Gummizug ihres Slips. »Okay, okay, Süße!« sagte er keuchet und ließ sich tatsächlich abdrängen. Er wischte sich fahrig über die schwitzende Stirn und sah dann versonnen auf Sue hinunter. »Meine Hände«, erinnerte Sue. »Schon gut, schon gut, Süße«, erwiderte Manzoni, »aus uns kann noch was werden. Ich habe es gern, wenn meine Girls hochgehen wie ’ne Rakete. Los, steig jetzt hoch! Wir müssen weiter.« Sie verstand nicht sofort, was er wollte. Doch als er auf den Eingang des Wohnwagens deutete, begriff sie. Bewußt langsam erhob sie sich. Sie machte daraus eigentlich so etwas wie einen Striptease. Sie war sich ihres verrutschten Slips ebenso bewußt wie ihres Büs tenhalters, der wirklich nicht mehr korrekt saß und das umschloß, was er normalerweise zu bergen hatte. Sue scherte sich nicht darum. Sie wußte nur zu gut, daß sie mit einem Mörder zusammen war, der keine Rücksicht kannte, und daß sie diesem scheußlichen Mann etwas bieten mußte. Und Sue bot! Er hüstelte beeindruckt, als sie endlich auf ihren langen und schlanken Beinen stand. *
Josuah Parker war unterwegs, um Informationen zu sammeln. Er ging unorthodox vor und suchte Leute auf, die man als Spit zel bezeichnen konnte. Diese Leute verkauften Nachrichten an jeden, der dafür zahlte. Und sie selbst zahlten dabei manchmal mit ihrem Leben, falls sie eine richtige Nachricht an den falschen Mann verkauft hatten. Parker wußte, an wen er sich zu halten hatte. Doc Private sah ihn aus sehr verglasten Augen an, als Parker bei ihm erschien. Er war ein etwa 60jähriger Mann, klein, mager, ein Knochengestell, um sehr genau zu sein. Doc Private saß in seiner Praxis, die keine war. Er selbst hatte nie Medizin studiert und war in früheren Jahren Pfleger in einem Hospital gewesen, bis ihn das Heroin restlos fer tiggemacht hatte. Nach seinem Rausschmiß hatte er sich selbständig gemacht und arbeitete jetzt als Arzt für die Unterwelt. Er verpflasterte Wunden aller Art, nähte Messerstiche, grub nach Geschossen, die sich in diversen Weichteilen befanden und erfuhr und verkaufte Nach richten an alle, die gut zahlten. »Manzoni soll in der Stadt sein?« fragte er ungläubig, »sind Sie sicher, Mister Parker, daß Sie sich nicht geirrt haben?« »Ein Irrtum ist völlig ausgeschlossen«, gab der Butler zurück, »ich war der festen Überzeugung, Mister Private, daß sich diese Tatsache bereits bis zu Ihnen herumgesprochen hätte.« »Mein Name ist Hase«, meinte Doc Private, »ich dachte, Manzo ni hätte sich nach Südamerika abgesetzt.« »Was wohl auch den Tatsachen entsprach«, erwiderte der But ler, »inzwischen scheint ihn das, was man gemeinhin das Heim weh nennt, zurück in die Staaten und speziell nach Chikago ge trieben zu haben.« »Mann, dann habe ich hier bald Großbetrieb und kann Über stunden machen«, freute sich Doc Private, der an sein Geschäft dachte. »Ist Manzoni in der Stadt sehr beliebt gewesen?« »Wo war dieser Knilch je beliebt?« fragte Doc Private zurück, »der trat doch jedem auf die Füße.« »Wo könnte er Ihrer Ansicht nach sein Quartier beziehen?« forschte der Butler geduldig weiter. »Na ja, offiziell wird er sich bei seinen früheren Freunden nie mals blicken lassen«, meinte Private nachdenklich, »denen ging
er schon damals auf die Nerven. Und jetzt als Staatsfeind Nr. 1 werden sie alle ’nen weiten Bogen um ihn machen.« »Womit ich ungefähr weiß, wo er nicht zu finden sein wird.« »Lassen Sie mich nachdenken, Mister Parker! Wo könnte Man zoni vor Anker gehen? Warum kommt er überhaupt hierher nach Chikago? Nee, Fehlanzeige auf der ganzen Linie. Ich muß erst mal meine Fühler ausstrecken.« »Aber seien Sie vorsichtig«, warnte Parker eindringlich. »Man zoni weiß, daß es um seinen Kopf geht…« »Um seinen Kopf! Hoffentlich sitzt der nicht mehr lange auf sei nen Schultern«, gab Private in bemerkenswerter Offenheit zu rück, »der Mann bringt ja die ganze Stadt durcheinander. Ich ruf Sie an, sobald ich was höre.« Als Parker ging, ließ er diskret eine Banknote auf dem Tisch zu rück, die Private sehr ungeniert einsteckte. Parker nickte dem Mann noch mal zu und kehrte zurück auf die Straße. Er wußte, daß gerade Doc Private diese Neuigkeit verbreiten würde. Und zwar in Orkangeschwindigkeit. Er wußte, daß Doc Private aus die ser Nachricht noch manche Banknote herausschlagen würde. * Als Sue Weston den Wohnwagen verließ, sah sie sich neugierig um. Doch leider war nicht sonderlich viel zu sehen. Der Ford samt Wohnwagen stand auf einem Feldweg, und zwar unmittelbar ne ben einem kleinen Wäldchen. Weit und breit war kein Licht zu sehen. Manzoni schien sich eine äußerst einsame und unbewohn te Gegend ausgesucht zu haben. Sue fröstelte. Sie hob unwillkürlich die nackten Schultern und sah dann auf Manzoni, der in die Dunkelheit hineinhorchte. Dann verabreichte er ihr einen derben Klaps auf den Po und deutete auf das kleine Waldstück. »Komm, Süße«, sagte er, »Stellungswechsel.« »Bleiben wir nicht im Wohnwagen?« erkundigte sich Sue. »Mit dem Ding fallen wir doch bei der nächsten Verkehrskontrol le auf«, sagte Manzoni lächelnd, »wetten, daß du diese Wohnwa gengeschichte längst erzählt hast?« »Doch, das stimmt«, räumte Sue sofort ein, »ich habe Mister
Rander und Mister Parker davon erzählt.« »Was sind das für Knilche?« wollte Manzoni wissen. »Kunden von unserer Tankstelle«, antwortete Sue ausweichend. Sie blieb in der Rolle, die sie übernommen hatte, Manzoni durfte nicht erfahren, daß sie keineswegs identisch mit dem Mädchen rar, das ihn vor der Tankstelle hinter dem Fenster des Wohnwa gens gesehen hatte. »Hoffentlich sind die nicht so blöd, die Polente zu alarmieren.« »Und wenn doch?« Sue sah Manzoni nervös an. »Spielt jetzt keine Rolle mehr. Wir steigen ja um, Süße.« »Bleiben wir in Chikago?« »Sag mal, Kleine, neugierig biste wohl überhaupt nicht, oder?« Manzoni grinste. »Ich stecke nicht gerade in einem Winterpelz«, sagte Sue, »ha ben Sie nicht wenigstens einen Bademantel für mich?« »Später, Süße, später. Ich glaube, du hast genug Feuer unter der Haut!« »Mich friert«, erwiderte Sue. »Soll ich die Flamme mal anblasen?« ragte Manzoni und grinste. »Später, Manzoni, später«, imitierte Sue schnell und geschickt seine Diktion und lachte ebenfalls. Sie handelte sich war einen weiteren, derben Klaps ein, aber dafür wurde sie von seinen Hän den verschont. Manzoni schien jetzt andere Sorgen zu haben. »Schnauze!« sagte er plötzlich und hob den Arm. Sue hörte den Motor eines Autos, dessen Geräusch schnell lau ter wurde. Bald darauf waren auch die Scheinwerfer dieses Wa gens zu sehen. »Na endlich«, sagte Manzoni sichtlich erleichtert, »wer sagt’s denn, Süße. Jetzt gehen wir in volle Deckung.« * Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum noch nicht ganz er reicht, als plötzlich links und rechts von ihm zwei handfest ausse hende Männer erschienen, die erstaunlicherweise ihre rechten Hände in den Hosentaschen hatten. »Was dagegen, uns mitzunehmen?« fragte der Mann links ne ben Parker. »Sie scheinen großen Wert darauf zu legen«, gab Parker ge
messen zurück, »also steigen Sie bitte ein…« »Die linke Tour reißt bei uns nicht«, sagte der Mann rechts von Parker, »das nur am Rande.« »Darf man erfahren, wer mich zu sehen wünscht?« erkundigte sich Parker. Er wußte, daß diese beiden Männer nicht mit Manzoni zusammenarbeiten konnten. Hier schien jemand sehr schnell Wind bekommen zu haben, daß Parker etwas über Manzoni wuß te. »Warte es doch ab, Alterchen«, sagte der Mann links von Par ker, »vielleicht springt für dich sogar’n Drink raus.« Sie wußten offensichtlich nicht, wer er war, und dies beruhigte den Butler, in der Vergangenheit hatte sich leider schon zu oft als nachteilig erwiesen, daß Vertreter der Unterwelt genau wußten, wer er war und mit welchen Tricks er arbeitete. Das war oft hin derlich gewesen. Nein, sie kannten ihn gewiß nicht, denn mit seinem Wagen wuß ten sie ebenfalls nichts anzufangen. Parker setzte sich ans Steuer, einer der beiden Männer nahm auf dem Beifahrersitz Platz, und der zweite Mann machte es sich im Wagenfond bequem. »Welche Himmelsrichtung bevorzugen Sie, meine Herren?« er kundigte sich Parker. Der Mann neben ihm sagte es, und Parker ließ sein hochbeini ges Monstrum anrollen. Er verließ den Loop, fuhr in Richtung der riesigen Schlachthöfe und mußte dann nach dem Durchfahren eines Torwegs auf einem Innenhof halten. Wenig später schaute der Butler sich interessiert in einem gro ßen, sehr hell und modern eingerichteten Saal um, in dem Sport geräte aller Art standen. Es gab Sprossenwände, Rudertrockengeräte, einen Boxring mit den dazu gehörenden Trainingseinrichtungen wie Sandsack und Punchingball, und es gab fest montierte Trainingsfahrräder und Reitsättel, die mittels Elektromotore in Trab und Galopp gebracht werden konnten. Parker befand sich, wie er messerscharf schloß, in einem Institut für Bodybuilding. Die beiden Männer, die schmal, durchtrainiert und drahtig aus sahen, lehnten gegen die Sprossenwand und schienen Parkers Anwesenheit total vergessen zu haben. Sie langweilten sich si cherlich, redeten nicht miteinander und wurden erst dann wach und aktiv, als irgendwo hinter einer Tür das Zuschlagen einer
anderen Tür zu hören war. Dann sah Parker sich seinem Gastgeber gegenüber. Parker kannte viele Mitglieder der Unterwelt und auch viele Stehkragen-Gangster. Diesen massigen Mann mit dem bulligen Gesicht aber hatte er bisher noch nie gesehen. Er trug einen sa lopp sitzenden Anzug, der mit Sicherheit viel Geld gekostet hatte, und kaute auf einer Zigarre herum. Sein linker Unterarm hing in einer Tuchschlinge, womit dem Butler sofort alles klar war. Dieser Mann mußte sich bei Doc Private aufgehalten haben, als er seine Fragen gestellt hatte. Und dieser Mann war nicht allein gewesen. Er mußte von den beiden drahtigen Männern begleitet worden sein, und die hatte er auf ihn, Parker, angesetzt, als das Stichwort Manzoni gefallen war. »Genauso hab ich Sie mir vorgestellt«, sagte er und zeigte ein flüchtiges Lächeln. »Hoffentlich enttäusche ich Sie nicht.« »Nur nicht keß werden, Opa!« sagte der Massige und lächelte schon nicht mehr, »gegen so was haben wir erstklassige Mittel chen.« »Die sie doch hoffentlich nie an einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann wie meine Wenigkeit verschwenden werden«, erwiderte der Butler. Jetzt kam es darauf an. Hatte Doc Private geplaudert? Hatte er diesem massigen Mann berichtet, wer Parker war? Nein, Doc Private hatte den Mund gehalten. »Nun brech nicht gleich zusammen«, sagte der Massige spöt tisch, »ich habe da aufgeschnappt, daß Manzoni in der Gegend sein soll?« »In der Tat, Mister?« »Herb Landry«, stellte der Massige sich lässig vor, »den Namen kennst du nicht, Alterchen – Ich bin frisch gelandet hier in Chika go.« »Interessant, Mr. Landry, Ihre Bekanntschaft machen zu dür fen.« »Red nicht! Was ist mit Manzoni? Woher weißt du so genau, daß er hier in der Stadt ist?« »Er ist gesehen worden – Und er rief umgehend an und droh te…« »Die ganze Geschichte, Gevatter. Die ganze Geschichte!«
Parker zierte sich nicht lange und erzählte ihm seine sehr per sönliche Version der Geschichte. Dabei sparte er selbstverständ lich viele und wichtige Details aus. »Hört sich gut an, Gevatter«, sagte Landry, als Parker geendet hatte, »aber die Story kann natürlich auch ein mieser Bluff sein!« »Ich fürchte, Mr. Landry, daß ich Ihnen keine weiteren und bes seren Beweise bieten kann.« »Wenn die Sachen stimmen, die ich gerade gehört habe, brau che ich keine weiteren Informationen. Aber ich muß wissen, daß sie auch wirklich klargehen!« »Legen Sie möglicherweise Wert darauf, daß ich einen Eid leis te?« »Ne, Gevatter – Aber ich werd dich mal spezialbehandeln las sen. Und wenn du danach die gleiche Geschichte ausspuckst, dann muß sie ja wohl in Ordnung sein!« »Darf ich höflich fragen, wie Sie sich diese Spezialbehandlung vorstellen, Mister Landry?« »Laß dich überraschen, Gevatter!« Landry lächelte knapp und nickte seinen beiden Leibwächtern zu, »gleich wirst du Bauklötze staunen, und nur noch die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen!« Parker seufzte innerlich. Jetzt trat das ein, womit er die ganze Zeit über gerechnet hatte. Man wollte die Qualität seiner Geschichte mit handfesten Mitteln nachprüfen. Und das, obwohl er doch wirklich und immer gegen jede Art von Brutalität war. Die Umwelt und die Mitmenschen machten es ihm häufig sehr schwer, bei dieser Maxime zu blei ben. * Lucky und Hank blieben knapp vor Sue stehen und stießen fast gleichzeitig einen anerkennenden Pfiff aus. »Alles klar?« fragte Manzoni. »Wir können. Chef«, erwiderte Lucky, »der Bau braucht nur noch besetzt zu werden.« »Und was war mit Oswego? Hat er sofort gespurt?« »Auf Anhieb«, schaltete sich jetzt Hank ein, »der hatte Frack sausen, als er deinen Namen hörte!«
»Dann ab durch die Mitte«, entschied Manzoni, »schnappt euch die Kleine und verstaut sie!« Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als Hank und Lucky sich förmlich auf Sue stürzten. Sie waren in diesem Augenblick wie zwei Wölfe, die sich um die Beute streiten. Sue wich unwill kürlich zurück, und da ihre Füße durch Leukoplast miteinander verbunden waren, fiel sie zu Boden. Sie fiel dicht an Manzoni vorbei, der aber keine Hand rührte, um sie aufzufangen. Er grinste nur, als sie auf dem erfreulicherweise weichen Boden landete. Lucky schob seine Arme unter Sues Schultern, und er griff nachdrücklich frech zu. Seine Hände verirrten sich über die Brust. Auch dies nachdrücklich. Sue schrie unwillkürlich auf. – Hank befaßte sich mit Sues Bei nen. Auch er wollte sich diese erfreuliche Gelegenheit nicht ent gehen lassen. Er faßte nach ihren Oberschenkeln und hob sie an. Dann wurde Sue hinüber zu dem Wagen getragen, mit dem die beiden Schläger Lucky und Hank gekommen waren. Sue verhielt sich still und ergeben. Es hatte ohnehin keinen Sinn, gegen diese Behandlung zu protestieren. Sie hätte die bei den Gangster höchstens noch ermuntert, sich weitere Frechheiten herauszunehmen. Im Gegenlicht der auf Abblendlicht eingeschalteten Scheinwer fer identifizierte sie den Wagen. Es handelte sich zu ihrer Überra schung um einen Krankenwagen, dessen hintere Tür bereits von Manzoni geöffnet wurde. Lucky und Hank drückten Sue auf die Bahre im Wagen und schnallten sie darauf fest, wobei sie diesmal sehr ungeniert ihre Hände auf ihrer nackten Haut spazieren führten. Manzoni genoß diese Frechheiten und griff erstaunlicherweise nicht ein. Nachdem man Sue festgeschnallt hatte, rissen Lucky und Hank ihr die Leukoplaststreifen von den Arm- und Fußgelenken. Als sie etwas zurückgingen, stand Manzoni vor Sue. Sie sah nur die kleine Rekordspritze in seiner rechten Hand und stieß unwillkürlich einen Schrei aus. »Gute Reise…!« sagte Manzoni. Dann glitten seine Hände über ihren rechten Oberschenkel und jagten anschließend die Kanüle in das Fleisch. Sue wehrte sich verzweifelt, obwohl es keinen Sinn hatte. Sie spürte auch schon nach wenigen Sekunden eine wohltuende Mat
tigkeit in ihren Gliedern, die in eine bleierne Müdigkeit überging. Sue Weston schloß die Augen und entspannte sich. Seit Stunden fühlte sie sich zum ersten Mal sicher und vollkommen ruhig… * »Ich glaube, wir spielen mal Punchingball mit ihm«, sagte Jeff, einer der beiden Drahtigen. Clay, wie der andere Mann hieß, war mit diesem Vorschlag ein verstanden. Sie gingen auf den Butler zu, der sich ängstlich und vorsichtig zugleich zurückzog. Aber es handelte sich, wie sich bald zeigen sollte, um einen tak tisch sehr richtigen Schritt. Parker blieb genau hinter dem Pun chingball stehen, der an Boden und Decke befestigt war. »Wir meinen dich, Gevatter«, sagte Jeff in toller Verkennung der Lage. »Genau… Und nicht den richtigen Punchingball«, pflichtete Clay seinem Partner bei, während Paul Oswego sich gegen die Ringsei le lehnte und die angekaute Zigarre umständlich in Brand setzte. Parker meinte natürlich den richtigen Punchingball, nach dem er blitzschnell griff und ihn an sich zog. Bevor Clay, der vorausmarschierte, überhaupt andeutungsweise ahnte, was da auf ihn zukam, war der Punchingball bereits in Fahrt, da Parker ihn verständlicherweise losgelassen hatte. Dieser bewußte Punchingball, wie schon gesagt, an Boden und Decke mit je einem starken Gummistrang plus Federspirale be festigt, setzte erstaunliche Energien frei, als er aus Parkers Hand nach vorn schnellte. Der Punchingball überschritt den Ruhepunkt, den er eben noch eingenommen hatte und… kam mit dem Gesicht von Clay in inni ge Berührung. Worauf sich einiges ereignete. Die ausgeprägte Nase Clays verformte sich sichtlich, weitete sich nach beiden Seiten aus und entschied sich dann, auf der rechten Gesichtshälfte umgeklappt liegen zu bleiben. Doch damit nicht genug. Der obere Teil des Punchingballs erwischte die flache, fliehende Stirn des Drahtigen. Sie floh nicht schnell genug.
Wie unter einem unsichtbaren Axthieb brach Clay in sich zu sammen. Ihm riß es einfach die Beine unter dem Leib weg. Er legte sich waagerecht in die Luft, strampelte ein wenig mit den Beinen herum und absolvierte dann eine Landung, die totalen Bruch verhieß. Was übrigens stimmte. Nachdem sein Rücken sich mit dem Boden innigst vermählt hat te, blieb Clay regungslos liegen und spielte ab sofort nicht mehr mit. Dies alles ereignete sich innerhalb einer knappen Sekunde. Möglicherweise waren es auch zwei Sekunden, aber darauf achte te der Butler in diesem Augenblick nicht. Er hatte es ja noch mit zwei weiteren Gegnern zu tun, die wirklich nicht zu unterschätzen waren. Jeff hatte das Debakel seines Partners Clay mitbekommen und war vorsichtig geworden. Erfreulicherweise dachte er aber nicht daran, etwa seine Schußwaffe zu ziehen. Er wollte die Sache auf seine spezielle Art und Weise bereinigen. Den Trick mit dem Punchingball konnte Josuah Parker natürlich nicht noch mal wiederholen. Vielleicht hätten die beiden Gangster ihm das als Einfallslosigkeit angekreidet. Er bemühte sich also im vorhinein, ihnen eine Alternative anzubieten. Doch vorerst wich Parker zur Seite aus und brachte eines der Treträder zwischen sich und Jeff. Distanz war alles, wenigstens im Moment. Jeff beging den Fehler, dies geschehen zu lassen. Das Stand fahrrad war in seinen Augen kein ernstes Hindernis. Bis dieses Fahrrad umstürzte, da Parker es mit der Spitze seines Universal-Regenschirms in die Horizontale gebracht hatte. Worauf Jeff betroffen aufschrie, denn der Fahrradlenker schlug mit dem stumpfen, linken Ende genau gegen sein Knie. Es war gerade kein klassisches Ballett, was Jeff aufführte, aber auf der anderen Seite doch beeindruckend, zu welchen Verren kungen der menschliche Körper fähig war. Auf einem Bein hüpfend, durchmaß Jeff den Trainingssaal und übersah dabei dummerweise das Trockenrudergerät. Sein noch standfestes Bein verfing sich in einem der beiden Ru der, worauf auch er schnellen und innigen Kontakt mit dem nahen Boden suchte. Der Boden zitterte diskret, als Jeff sich auf ihm niederließ. Und
dazu noch ausgerechnet mit dem Gesicht zuerst. »Nicht schlecht«, sagte Landry in die eingetretene Stille hinein, »für einen alten, müden und verbrauchten Mann war das gar nicht übel!« »Ich hoffe, Sie waren und sind mit meiner bescheidenen Wenig keit zufrieden«, gab der Butler höflich zurück. »Wir wollen nicht übertreiben«, sagte Landry und zog seine Schußwaffe. Sehr routiniert und schnell übrigens. Daß er die Mündung dieser Waffe auf den Butler richtete, braucht wohl nicht besonders betont zu werden. »Flossen hoch!« sagte Landry dann gelassen, »wenn Sie Mätz chen machen, ist Ihr linkes Knie reif wie eine faule Pflaume!« Parker gehorchte. Zusammen mit seinem rechten Arm hob sich allerdings auch die Spitze seines Universal-Regenschirms, wobei Landry sich nichts dachte. Wie schon angedeutet, er war fremd und neu in der Stadt. Er kannte nicht das, was Parker diskret seine NeuigkeitenKiste nannte. Bruchteile von Sekunden später ging ihm ein Licht auf. Und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als ein kleiner bunt gefiederter Pfeil in seinem linken Handgelenk stak. Landry starrte sichtlich verwirrt auf diesen kleinen Pfeil. Er ahn te nicht, woher er gekommen war, nämlich aus Parkers Regen schirm. Er hatte das feine Zischen der Preßluft überhört, die den Pfeil befördert hatte. Und er sah weit und breit keinen Indianer auf dem Kriegspfad. »Ihre Hand…!« stieß Parker zudem gekonnt überrascht hervor, »ein Pfeil, wenn mich nicht alles täuscht.« Landry schien den Butler völlig vergessen zu haben. Er hatte die Hand gehoben und starrte auf den Pfeil, wobei er allerdings be reits schielte. Die Sehachsen seiner Augen kreuzten sich bereits abenteuerlich. »Indianer!?« flüsterte Parker mit schicksalsschwangerer Stim me. »Indianer!« echote Landry, der bereits zu schwach war, seine Schußwaffe zu halten. Er knickte in den Knien ein, ließ das Weiße in seinen Augen sehen und – fiel dann mit dem Hinterkopf gegen die Sprossenwand. Er rutschte an ihr herunter, wobei sein Hinterkopf von Sprosse zu Sprosse rutschte. Dabei glaubte Parker eine zarte Melodie zu
hören, die auf einem Xylophon gespielt wurde. Es war natürlich nur der Hinterkopf, der die Sprossen zum Schwingen reizte, aber der Eindruck war fast vollkommen. Parker schritt gemessen auf Landry zu und barg erst mal die Schußwaffe. Dann widmete er sich den beiden Streitern Clay und Jeff, die ihm auf keinen Fall in den Rücken fallen sollten. Parker hatte nämlich vor, noch etwas zu bleiben. * Wie durch dichte Watte hörte Sue Weston leise Stimmen, ohne aber einzelne Worte oder Sätze unterscheiden zu können. Sie versuchte die Augen zu öffnen und ihr Bewußtsein zu mobilisie ren, doch noch schaffte sie es nicht. Dafür aber spürte sie Hände, die sie hochnahmen und durch die Luft schweben ließen. Sie hörte ein Kichern, in das sich der Wahnsinn eingenistet zu haben schien, dann wieder Stimmen und Schritte. Und diese Schritte klangen bereits ungedämpfter und lauter. Die dichte Watte vor ihrem Bewußtsein wurde weggezupft, Lage für Lage. Sie sah hinter ihren Augenlidern stechende Helligkeit, die bereits in den Augen brannte. Dann schrak sie zusammen. Man schien sie unter eine voll aufgedrehte Dusche gestellt zu ha ben. Was den Tatsachen entsprach, wie sie Sekunden später fest stellte, als sie verzweifelt hustete, um das Wasser aus der Luft röhre herauszukriegen. Plötzlich vermochte sie sogar die Augen zu öffnen. Sie sah vor sich einen großen, völlig kahlen Mann, der wenigs tens 1.85 maß. Dieser Mann trug einen weißen, vorn geschlosse nen Arzt- oder Pflegekittel. Er hatte das Gesicht eines Kindes und Augen, die vom Wahnsinn getrübt waren. »Schön Wischi-Waschi machen«, sagte er und griff mit großen, schwarz behaarten Händen nach ihr. Er drückte Sue, die über haupt nicht an Gegenwehr dachte, zurück unter den Duschstrahl, der eiskalt war. Noch spürte Sue den Schmerz des kalten Was sers nicht. »Schön Ohren waschen!« sagte der Riese mit dem kahlen Kopf und dem Gesicht eines zurückgebliebenen Kindes, »Fatty sonst
böse werden…« Dann, ohne Übergang schaltete er das heiße Wasser dazu. Sue zuckte zusammen und wollte verständlicherweise nicht verbrüht werden. Sie wollte die Duschkabine so schnell wie möglich verlas sen. Doch der liebe Fatty war dagegen. Er drückte sie zurück und kicherte. »Böse… böse… Wasserscheu…« kicherte er dazu, »Po hauen, wenn nicht brav sein.« Sue wollte nicht brav sein, wenn das Wasser in seiner jetzigen Mischung auch einigermaßen zu ertragen war. Sie wollte nicht brav sein, weil der liebe Fatty sie wohl mit einem Kleinkind ver wechselte, das er mal so richtig waschen wollte. Bevor Sue sich versah, hatte er ihre Hände auf den Rücken ge dreht. Seine linke Pranke reichte aus, sie wehrlos werden zu las sen. Sie hatte das Gefühl, die Handgelenke seien in einen Schraubstock geklemmt. Mit der rechten Hand begann Fatty seine große Puppe einzusei fen. Dabei ging Sue erst auf, daß sie inzwischen vollkommen nackt war. Fatty schien auf Ordnung zu halten. Sue wehrte sich wütend. Sie trat mit nackten Fersen nach sei nen Beinen und Knien, aber sie schien nur eine Wand zu bearbei ten. Fatty ließ sich überhaupt nicht beeindrucken, ihn hatte das Reinlichkeitsfieber gepackt. Mit der rechten Hand seifte er Sues nackten Körper gehörig ein. Er besorgte das mit einer Unbefangenheit und Gründlichkeit, die schon nicht mehr schamlos war. Er ging völlig in seiner Arbeit auf. Sue hingegen hatte gegen diese Behandlung viel einzuwenden. Sie kam sich in gewissem Sinne wie vergewaltigt vor. Sie mußte sich gefallen lassen, was Fatty für richtig hielt. Und Fatty hielt alles für richtig, was er mit ihr tat. Er begann mit den Ohren. Dies schien für ihn besonders wichtig zu sein. Dann befaßte er sich mit dem Hals und dem Oberkörper, vom Rücken mal ganz zu schweigen. »Loslassen!« keuchte Sue, deren Mund sich mit Seifenschaum gefüllt hätte. Sie konnte sich gut vorstellen, welche Körperpartien in den nächsten Minuten an der Reihe waren. Und dagegen hatte sie erneute Einwände vorzubringen. Doch Fatty ließ sich nicht beeindrucken.
Er behandelte inzwischen ihre Hüften und ging dann über auf das Gesäß. In diesem Moment schaffte Sue es, ihm ihren rechten Ellbogen gekonnt in den Magen zu rammen. Fatty stutzte. Mit dieser Aktion hatte er nicht gerechnet. Er schnaufte beein druckt und legte Sue dann tatsächlich wie eine Puppe über sein linkes Knie. Sue schrie auf, denn sie ahnte, was kommen würde. Nun, ihre Ahnungen wurden von den Tatsachen noch weit über troffen. Der liebe Fatty verabreichte ihr eine Tracht Prügel, die sich gewaschen hatte. Gleichmäßig und hart legte er seine Hand in rhythmischer Folge auf ihre Kehrseite. »Fatty nicht böse machen… schön brav sein!« sagte er schließ lich und stellte Sue wieder auf die Beine. Sue Weston hatte das Gefühl, auf einer heißen Herdplatte zu sitzen, so intensiv war sie von Fatty behandelt worden, der sich ungerührt daran machte, die Säuberungsaktion fortzusetzen. Da ergab Sue sich in ihr Schicksal. Es hatte keinen Sinn, sich gegen diesen Koloß aufzulehnen und ihn unnötig zu reizen. Fatty hatte sich etwas in den Kopf gesetzt und ließ sich davon nicht mehr abbringen. Sue schloß die Augen, machte sich mit nicht gerade großem Er folg vor, ein Baby zu sein, das gewaschen wird und ließ Fattys Aktion über sich ergehen. Nach knapp zehn Minuten war sie au ßer Atem, rosa gefärbt vor Sauberkeit und duftete nach einer Kernseife, die etwas nach Zitrone roch. »Baby schön brav gewesen«, sagte Fatty zufrieden. Er begut achtete seine Arbeit und griff nach ihr. Er ließ Sue auf seinen starken Armen durch die Luft schweben und verfrachtete sie äu ßerst sanft auf ein Massagebett, über das er ein großes Badela ken gebreitet hatte. Nun trocknete Fatty sein Baby ab. Wieder gewissenhaft und un nachgiebig. Dabei zeigte es sich zu Sues Erstaunen, daß seine Hände unge wöhnlich weich, fast zärtlich waren. »Püppi jetzt Happi-Happi machen«, sagte Fatty nach dieser Pro zedur und nahm sie hoch auf seine Arme. Sue schloß ergeben die Augen. Sie fürchtete, jetzt auch noch gefüttert zu werden. Und dabei hatte sie nicht den geringsten
Appetit! * Als Herb Landry zu sich kam, wunderte er sich, was übrigens durchaus zu verstehen war. Er saß schließlich auf dem Sattel des mechanischen Reitgeräts und hatte bereits herausgefunden, daß Parker ihm die Beine fest geschnallt hatte. Ein Absteigen von diesem mechanischen Pferd war ihm somit unmöglich. Er mußte, ob er wollte oder nicht, im Sattel bleiben. Seine beiden Mitarbeiter Jeff und Clay waren nicht weniger hilf los. Jeff war von Parker auf dem Rudergerät festgeschnallt worden, einem Mechanismus, dessen Gangart sich ebenfalls elektrisch regulieren ließ. Seine Hände lagen fest und entschlossen auf den Rudergriffen, zumal sie mit Lederriemen daran festgebunden wa ren. Clay hingegen hatte das Standfahrrad besetzt. Seine Füße sta ken in den Metallkörben und waren festgebunden worden. Parker hatte sich wirklich große Mühe gegeben, wie sie leicht feststellen konnten. »Es liegt mir selbstverständlich mehr als fern, aufdringlich sein zu wollen«, sagte Parker erst mal zu Herb Landry, der ihn gereizt vom Sattel aus ansah, »ich möchte nur in Erfahrung bringen, in welchen Beziehungen Sie zu Mister Manzoni stehen… Es steht Ihnen völlig frei, eine Aussage zu machen… Zwingen werde ich Sie dazu auf keinen Fall!« Während Parker noch redete, schaltete er das mechanische Pferd ein. Erste Stufe. Der Sattel nahm einen leichten englischen Trab auf, den Landry gerade noch auszureiten vermochte. Um den massigen Mann nicht unnötig zu genieren, befaßte Par ker sich mit Jeff, der auf dem Rudergerät saß. »Etwas Bewegung wird Ihnen gut tun.« Parker schaltete auch hier die erste Stufe ein. Worauf Jeff sich in die Riemen legte. Das heißt, die Riemen be sorgten das im Grund für ihn, aber er war gezwungen, die Ruder
bewegungen mitzumachen. Nicht anders erging es Clay, der seine Tour de France begann, nachdem Parker das Gerät ebenfalls in Betrieb gesetzt hatte. Nach diesem allgemeinen Start schaute Parker den drei Leis tungssportlern interessiert zu. Herb Landry trabte, wobei sein Gesicht sich bereits leicht ver zerrte. Vielleicht machte er sich überhaupt nichts aus diesem Sport, doch er sagte nichts. Wahrscheinlich hegte er die ernsthaf te Sorge, daß seine Zunge zwischen die Zähne geriet. Jeff hatte den Kampf mit einem imaginären Gegner bereits auf genommen und auch seinen Rhythmus gefunden. Gleichmäßig und stark peitschten seine Ruder das Wasser, das nicht vorhan den war. Auf seiner Stirn bildeten sich bereits die ersten dicken Schweißtropfen. Clay schien den Anschluß an das Hauptfeld der Rennfahrer ge funden zu haben. Er strampelte gleichmäßig und stark. Es sah so aus, als steckte noch mehr in ihm. Parker ging der Reihe nach an den drei Geräten vorbei und sorgte für Höchstleistungen. Er tat es sicher nicht aus Schaden freude, es ging ihm nur darum, diesen drei Gangstern etwas an Energie zu entziehen. Sie brauchten seiner bescheidenen Ansicht nach einen gehörigen Dämpfer. Herb Landry wechselte vom leichten englischen Trab ohne jeden Übergang in den stärksten Galopp. Seine Massen gerieten dabei in schwabbelnde Bewegung. Der Sattel unter ihm schien zu einem Wildpferd zu gehören. Und die ses Wildpferd raste und jagte mit donnernden Hufen über die Prä rie. Jeff hatte den Kampf um den ersten Platz in seiner sehr speziel len Ruderregatta aufgenommen. Er kam kaum noch mit. Die Ruder peitschten ihn hin und her. Der schmale Rollsitz, auf dem er notgedrungen saß, schien immer schneller zu werden. Jeff entwickelte eine olympiareife Kondition. Clay schien inzwischen einen gewissen Eddy Merxy überrundet zu haben. Clay strampelte sich die Seele aus dem Leib und war einfach nicht mehr zu bremsen. »Aufhören!« schrie Herb Landry vom Sattel her. »Ich… kann… nicht mehr!« stöhnte Jeff, aber dennoch bediente er wie verrückt die beiden Ruderriemen. »Ich… werd… verrückt!« behauptete Clay, dessen Beine einen
wahren Wirbel veranstalteten. Parker nahm diese drei Bekundungen zur Kenntnis, ohne sofort etwas zu unternehmen. Erfahrungsgemäß wurden Männer wie Landry, Jeff und Clay zu schnell weich. Es konnte nicht schaden, sie noch etwas trainieren zu lassen. Aber Parker war kein Unmensch. Nach einer letzten Leistungsspitze schaltete er nacheinander die diversen Geräte ab und begab sich hinüber zu Landry, den er los schnallte. Wie ein nasser Sack rutschte der Mann aus dem Sattel und brei tete sich auf dem Boden aus. »Ich möchte nach wie vor nicht aufdringlich erscheinen«, sagte Parker, »aber ich würde es gern sehen und hören, wenn Sie mir nähere Einzelheiten über Mister Manzoni verraten würden. Ich bin Ihnen, wie ich versichern darf, für jedes Detail äußerst dank bar…« * Sue Weston sah sich als Hauptperson in einem wüsten und wir ren Alptraum. Nackt, gewaschen und rosig wie ein Baby saß sie auf den Knien von Fatty und mußte sich tatsächlich füttern lassen. Sie hatte versucht, ihm das auszureden. Und sie hatte sich dafür einige Schläge auf ihre Kehrseite eingehandelt. Um Fatty nicht weiter zu reizen, ließ sie sich also gehorsam Löf fel für Löffel in den Mund schieben. »Schön Breichen essen…« ermunterte Fatty sie, »groß und stark werden wie der liebe Fatty!« Es gab gekochte Möhren, vermischt mit zerdrückten Aprikosen. Sue kannte wesentlich bessere Gerichte, ja, sie sehnte sich in diesen Minuten sogar nach einem Steak, aber brav, wie Fatty es von ihr wollte, schluckte sie ihr Breichen. Sie war schon froh ge nug, daß er ihr wenigstens nicht die Flaschen gab. Oder ihr Spinat vermittelte. Fatty war mit Sicherheit ein Mensch, dessen geistige Entwick lung hinter der seines mächtigen Körpers nachhinkte. Er hatte wohl das Gemüt eines Kindes oder das eines Fleischerhundes. Sue wagte nicht, an diese zweite Möglichkeit zu denken.
»Ich… kann nicht… mehr…« stöhnte Sue, die auf den nächsten gefüllten Löffel schielte. »Brav sein! Breichen essen«, ermunterte Fatty sie und drückte ihr gleichzeitig den Löffel zwischen die Lippen. Dabei gluckste Fatty. Er schien mit seiner lebensgroßen Puppe vollkommen zu frieden zu sein. Als Fatty aber mit dem nächsten Löffel kam, wandte Sue den Kopf und wehrte ab. Sie strampelte mit den Beinen und wollte hinunter von seinen Knien. Überraschenderweise war Fatty diesmal umzustimmen. Er streichelte seine Puppe zärtlich, fuhr ihr durch das Haar und kippte Sue dann zurück in seinen linken Arm. Wenn er jetzt noch ein Wiegenlied singt, werde ich wahnsinnig, dachte Sue entsetzt, dann halte ich es nicht mehr aus… »Bäuerchen machen!« sagte Fatty aber nur, und Sue rang un willkürlich mit einem aufsteigenden Lachkrampf. Das alles war derart irreal und grenzte an Wahnsinn, daß sie inzwischen an ih rem gesunden Menschenverstand zu zweifeln begann. Dann kam ihr die Erleuchtung. Bisher hatte sie sich – versteckt oder offen – gegen seine Be handlungsmethoden gestemmt. Warum eigentlich? So fragte sie sich. War es nicht viel besser, auf dieses verrückte Spiel einzuge hen und sich tatsächlich wie eine Puppe oder wie ein Baby zu be nehmen? Damit schläferte sie doch sicher die Wachsamkeit dieses Puppenvaters ein. »Baby müde…« sagte Sue und rang sich dabei einen kindhaften Ton ab, »Baby ins Bettchen.« Sie hatte genau den richtigen Ton getroffen, und Fatty war ent zückt. Jetzt hatte er nicht nur ein Baby, das er waschen, wickeln und füttern konnte, sondern ein Baby, das zudem auch noch mit ihm redete! Er schwamm sichtlich in einem Meer von Seligkeit und Glück. Sue ahnte, was kam. Und sie sollte sich nicht getäuscht haben. Fatty stand auf, nahm sie auf seine Arme und trug sie hinüber ins Nebenzimmer. Sue erkannte sofort, daß es sich um ein Krankenzimmer handel te. Um ein spezielles Krankenzimmer allerdings, denn die Fenster waren vergittert und die Scheiben bestanden aus Milchglas.
Fatty trug die nackte Sue hinüber zum Bett und stopfte sie un ter die Decke. Dann ließ er sich vor dem Bett auf dem Boden nie der, kreuzte die Beine im Schneidersitz und machte sich daran, ihren Schlaf zu bewachen. Dabei wiegte er seinen mächtigen O berkörper hin und her und summte eine Melodie. Sue biß die Zähne zusammen. Am liebsten hätte sie jetzt laut geschrien oder auch nur gelacht. Sie spürte, daß auch sie langsam aber sicher dem ersten Stadium des Wahnsinns näherkam. * »Sie sind am Drücker«, sagte Herb Landry keuchend und schnappte nach Luft. Sein wilder Ritt auf dem mechanischen Sat tel hatte die letzten Energien verbraucht. »Das Thema lautete: Mister Manzoni«, erinnerte Parker höflich. Dabei sah er vorsichtig zu den beiden Sportlern Jeff und Clay hin über. Doch auch diese sicher austrainierten Männer litten noch unter den Nachwirkungen ihres Leistungssports. Mit ihnen war vorerst nicht zu rechnen. »Manzoni will hier in der Stadt neu starten«, sagte Landry, »das geht schon seit Wochen ’rum…« »Und wie stehen Ihre örtlichen Freunde dazu?« »Die sind natürlich sauer. Landry schafft doch nur Unruhe.« »In welcher Branche will Mister Landry sich denn möglicherwei se betätigen?« stellte der Butler seine nächste Frage. »Leichte Mädchen«, erwiderte Landry, »darin kennt er sich doch aus. Und wie hart er ist, wissen wir alle.« »Wie beurteilen Ihre Kollegen denn diese Absichten, Mister Landry? Ich könnte mir vorstellen, daß der sprichwörtliche Ku chen doch längst aufgeteilt ist.« »Ein Bursche wie Manzoni schneidet einfach nach und nimmt sich das beste Stück.« »Und er braucht keine Repressalien zu befürchten?« »Im Moment nicht. Man will erst mal abwarten, wie sich alles entwickelt.« »Kommen wir zum Kernthema«, sagte der Butler höflich, »wo wird Mister Manzoni sein Hauptquartier aufschlagen? Ich könnte mir vorstellen, daß auch darüber bereits gesprochen wurde. Er muß doch spezielle Freunde haben, die ihn in seinen Absichten
bestärken und unterstützen.« »Aus Angst vor einer Schrotladung wird mancher umkippen und ihm die Schuhe lecken«, konstatierte Herb Landry. »An wen denkt man da speziell?« Parker ließ nicht locker. Es ging darum, herauszufinden, wo Sue Weston möglicherweise festgehalten wurde. »Was haben Sie gegen Manzoni?« fragte Landry, »und wer, zum Teufel, sind Sie eigentlich? Sie gehören doch nicht zur Polizei! Und ein Privatdetektiv sind Sie doch auch nicht!« »Hat Doc Private Ihnen keine Hinweise geliefert?« »Er kennt Sie angeblich nur flüchtig. Sie sollen Butler bei einem Anwalt und als Amateur hinter interessanten Kriminalfällen her sein.« »Was durchaus den Tatsachen entspricht, Mister Landry, aber irren wir nicht vom Thema ab. Welche Leute würden Mister Manzoni wahrscheinlich eine goldene Brücke bauen?« »Man spricht von Wheeling, Oswego und Paterson… Kennen Sie diese Leute?« »In der Tat«, antwortete Parker, »legen Sie Wert darauf, bei diesen drei Personen als mein Informant genannt zu werden?« »Sind Sie wahnsinnig?« Landry schluckte nervös, »ich bin doch kein Selbstmörder.« »Dann erlaube ich mir, Ihnen einen akzeptablen Vorschlag zu unterbreiten«, entgegnete der Butler, »Sie und meine bescheidene Wenigkeit sollten dieses Intermezzo vergessen und aus dem Gedächtnis streichen.« »Einverstanden!« Herb Landry nickte sehr schnell. »Zumal ich mich ja nur bemühte, etwas für Ihre Gesundheit zu tun«, schloß Parker, »ein gesunder Geist in einem gesunden Kör per sollte unser aller Ziel sein und bleiben!« »Möglich«, stöhnte Landry und griff vorsichtig nach seiner durchgerittenen Kehrseite, um dann sofort zu stöhnen. Er wußte, was er hinter sich gebracht hatte. Und sein Bedarf an Reiterei war restlos erschöpft. Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und verließ den Trainingssaal. Er hatte das Gefühl, drei wichtige Tips erhalten zu haben, denn die Namen Wheeling, Oswego und Paterson sagten ihm tatsächlich etwas. Nun galt es, diese Adressen aufzusuchen. In aller Diskretion selbstverständlich. Andererseits waren die Din ge in Schwung zu bringen, um Sue Weston aus einer sicher pein lichen Situation zu befreien.
Parker war natürlich nicht so dumm zu glauben, daß Herb Landry den Zwischenfall in den Räumen seines Institutes verges sen würde. Ein Mann wie Landry sann mit Sicherheit auf Rache. Parker fand sein hochbeiniges Monstrum dort, wo er es zurück gelassen hatte, nämlich auf dem Innenhof. Nach dem Durchfah ren des Torweges erreichte er die Straße und machte sich daran, Doc Private einen weiteren Besuch abzustatten. Nicht etwa, um. Private Vorhaltungen zu machen, sondern um sich bei ihm neue Informationen zu besorgen. Ein Mann wie Doc Private wußte si cher, wer dieser Paterson war. Das nämlich war ein Name, mit dem der Butler nichts anzufangen wußte, obgleich er Herb Landry gegenüber anders getan hatte. * Pete Paterson glich einem Mittelgewichtsboxer, der in seiner E cke sich auf eine neue Runde vorbereitet hat und nun auf den Gongschlag wartete. Pete Paterson war mittelgroß, schlank und wirkte durchtrainiert. Er trug einen elegant sitzenden Smoking und stand seitlich neben dem Bartresen seines Nachtlokals. Aus hellwachen Augen beo bachtete er seine Angestellten, die sich aus jungen, hübschen Mädchen zusammensetzen. Sie trugen Bikinis und über den knappen Büstenhaltern Kettengirlanden aus frischen Blüten. Sie mixten die Drinks, versorgten die meist männlichen Kunden und hatten nichts dagegen, wenn man sie betätschelte. Sie be wegten sich auf superhohen und hochhackigen Schuhen, die ihre schlanken Beine vorzüglich zur Geltung brachten. Sie wateten durch die dicken Teppiche, mit denen der Boden des Nachtklubs ausgelegt war. Josuah Parker hatte den Portier am Eingang bereits hinter sich gelassen. Dieser Mann, der seltsam und skurrile Gäste gewohnt war, litt zur Zeit noch unter dem, was der Volksmund die Maul sperre nennt. Einem Gast wie Josuah Parker hatte er bisher noch nie die Tür zum Nachtklub geöffnet. Als der Butler gemessen und würdevoll den Raum betrat, schien die kleine Band auf dem Podest sich leicht zu verschlucken. Der Schlagzeuger kam aus dem Rhythmus, der Trompeter kickste und blies plötzlich falsch, und der Mann am Schlagbaß griff ins Leere.
Er fand seine Saiten nicht mehr. Pete Paterson, ein abgebrühter Mann, der aus der Gosse ge kommen war, richtete sich sofort steil auf, als er Parker sah. Die Mädchen in ihren knappen Bikinis erklärten später übereinstim mend, ein gewisses Frösteln verspürt zu haben. »Kann ich etwas für Sie tun?« fragte Paterson, der sich an den Butler herangepirscht hatte. »Ein Glas Milch, wenn ich höflich darum bitten darf!« Pete Paterson schluckte und sah den Butler aus schmalen, zu sammengekniffenen Augen abschätzend an. Er fühlte sich auf den Arm genommen. »Und eine Auskunft«, erklärte der Butler weiter und nahm in ei ner Nische in der Nähe des Tresens Platz, »eine Auskunft, die sich auf einen gewissen Mister Manzoni bezieht.« Pete Paterson nagte für ein paar Zehntelsekunden intensiv an seiner Unterlippe. »Kommen Sie mit ’rüber in mein Büro«, sagte er dann, »da können Sie auch Ihre Milch haben.« Parker passierte eine schmale Gasse, die aus neugierigen Biki nimädchen gebildet wurde. Er nickte ihnen diskret, zurückhal tend, aber auch durchaus freundlich zu. Pete Patersons Büro war überraschend nüchtern eingerichtet. Der Mann war vorausgegangen, hielt die Tür auf und ließ den Butler näher, treten. Um dann aber, ohne jede Vorwarnung und irgendwie heimtückisch, einen aus der Schulter heraus geschla genen Magenhaken zu landen. Parker nahm diesen Haken entgegen, ohne jede Wirkung zu zeigen. Gewiß, er wurde von der Gewalt des Schlages ein paar Zentimeter zurückgedrückt, doch mehr passierte wirklich nicht. Ganz im Gegensatz zu Pete Paterson. Er stöhnte und ließ die rechte Hand fallen, die zu einer Faust geschlossen war. Er ließ sie fallen und hob sie langsam wieder an. Dann bemühte er sich darum, unter Stöhnen die Finger auseinan der zu bekommen. Was ihm nur unter sichtlichen Schmerzen ge lang. Er schien sich die Hand- und Fingerknöchel nachdrücklich geprellt und verstaucht zu haben. »Ich würde es bedauern, falls Sie einen leichten Dauerschaden davontragen würden«, sagte der Butler und griff unter seine Wes te. Lässig zog er eine leicht gewölbte, quadratische Blechplatte hervor, die er behutsam auf den Schreibtisch legte.
»Sie werden meine Vorsichtsmaßnahme verzeihen«, sagte Par ker dazu, »aber Sie waren mir als ein unberechenbarer Faust kämpfer geschildert worden. Ich wollte meine empfindlichen Kör perpartien ein wenig schützen!« Pete Paterson ließ nicht erkennen, ob er den Butler überhaupt verstanden hatte. Er starrte auf seine rechte Hand, deren Finger er endlich gestreckt hatte. »Dafür hau’ ich Sie in den Fleischwolf«, sagte er stöhnend und blickte den Butler irritiert an. »Später vielleicht«, riet Parker sachlich, »im Augenblick sollte man sich besser über Mister Manzoni unterhalten, Mister Pater son. Ich habe mir sagen lassen, daß Sie bereits einen engen und ersten Kontakt zu ihm aufgenommen laben.« Parker hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als Pete Paterson nach ihm trat. Er benutzte dazu seinen linken Fuß. Den wollte er unbedingt in dem schritt von Josuah Parker unterbringen. Ein gemein gedachter Fußtritt, was der Butler überhaupt nicht schätzte. Er zog sich auf seine Art und Weise aus der Affäre. Er trat höflich etwas zur Seite und benutzte den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms dazu, seinen Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er hakte mit dem Griff unter die Ferse Patersons, worauf das Mittelgewicht sich anschickte, ohne Count down zu starten. Der Boden vibrierte diskret, als diese Luftreise jäh endete. »Sie scheinen meiner Frage ausweichen zu wollen«, sagte Par ker in einem etwas tadelnden Ton, »warum wollen Sie mir nichts über jenen Mister Manzoni sagen, nachdem ich Sie gerade gefragt habe?« Statt einer Antwort wurde die Tür aufgerissen. Ein Mann aus der Schwergewichtsklasse, versehen mit Blumen kohlohren und platter Nase, stürmte wie ein gereiztes Nashorn ins Büro, um Parker in seine Einzelteile zu zerlegen. * Erst als sie plötzlich hochschreckte, merkte Sue Weston, daß sie tatsächlich eingeschlafen war. Das Wiegenlied Fattys schien tat sächlich seine Wirkung gehabt zu haben.
Es war dunkel im Zimmer. Sue richtete sich vorsichtig auf und versuchte ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Wo war Fatty, der riesige Mann mit dem Denkvermögen eines unterentwickelten Kindes? Lag er vor ihrem Bett? Saß er irgendwo an Zimmer in einem Sessel? Sue hielt den Atem an, um besser hören zu können. – Nichts! Sie atmete erleichtert auf und wagte nicht daran zu denken, daß sie vielleicht doch allein war. Sie schob ihre nackten Beine über die Bettkante und stellte sich dann auf die Füße. Randers Sekretärin suchte erst gar nicht nach dem Lichtschalter, denn Licht hätte sie verraten. Sie erinnerte sich aber des Fensters. Sie wußte zwar nicht, daß es vergittert war, aber sie wurde von diesem Fenster magnetisch angezogen. Auf Zehenspitzen tastete Sue Weston sich durch das dunkle Zimmer, blieb stehen, horchte, spürte, wie wieder die Angst in ihr hochstieg und ging schließlich langsam weiter. Sie stand unter dem Trauma starker und behaarter Arme und Hände. Sie rechne te jeden Moment damit, daß zwei solcher Greifwerkzeuge aus der Dunkelheit hervorschossen und nach ihren nackten Schultern suchten. Da war das Fenster! Sie preßte ihr Gesicht gegen die dicken Milchglasscheiben und wollte draußen etwas erkennen. Sie suchte nach dem Fenster griff, aber der war einfach nicht vorhanden. Man mußte ihn abge schraubt haben. Das Badezimmer! Sue Weston wechselte die Richtung und fand sehr schnell die Tür. Sie wollte sie gerade öffnen, als sie vom Korridor her leise Stimmen hörte. Wie der Blitz lief sie zurück zum Bett und schlüpfte unter die Decke. Sie lag kaum, als die Tür zu ihrem Zimmer vorsichtig aufge schlossen wurde. Ein Lichtstrahl reizte ihre Augen. Sue stellte sich schlafend, aber sie fühlte es irgendwie, daß sie es nicht mit Fatty zu tun hatte. Der Lichtstrahl blieb auf ihrem Gesicht haften. Sie hörte ein schnelles Atmen, dann roch sie sehr intensiv warmen Zigaretten rauch und den Geruch von Alkohol. Schritte näherten sich ihrem Bett.
Sie wagte es nicht, die Augen zu öffnen. Aber sie brachte es einfach nicht fertig, liegenzubleiben. Wie im Schlaf seufzte sie leise und drehte dem nächtlichen Besucher ihren Rücken zu. So fühlte sie sich einfach sicherer. Eine Hand griff nach der leichten Bettdecke und lüftete sie an. Sue empfing einen kühlen Lufthauch auf ihrem nackten Rücken. Dann spürte sie eine fordernde Hand, die über ihr Rückgrat und sich nach unten bewegte. Sue schauderte zusammen. Am liebsten hätte sie jetzt laut auf geschrien, doch damit hätte sie alles verraten. Sie duldete die Hand auf ihrem Rücken und dann wenig später auch auf ihrem Gesäß. Sie hoffte, daß sie nicht weiter belästigt würde. »Komm schon, Puppe!« sagte dann eine heisere Stimme hinter ihr. Die Hände griffen hart, fast schmerzhaft zu und drehten Sue Weston auf den Rücken. Sie glaubte, Manzonis Stimme gehört zu haben, aber darauf kam es jetzt nicht mehr an. Sie wußte nur, daß Manzoni zur Sa che kommen wollte. Wahrscheinlich war er angetrunken und ohne jede Selbstkontrolle. Sue hörte sich schreien, doch Bruchteile von Sekunden später legte sich eine Hand auf ihren Mund, die jede Reaktion erstickte. Sie spürte eine zweite Hand auf ihrer Brust und dann das Eintau chen der Matratze unter einem fremden, zusätzlichen Gewicht. Sue Weston schnellte hoch. Sie war nicht bereit, sich diesem nächtlichen Besucher zu erge ben. Doch der Mann nahm ihren Widerstand überhaupt nicht zur Kenntnis. Er versuchte, sein Knie zwischen ihre Beine zu zwän gen. * Das erwähnte Nashorn mit den ausgeprägten Blumenkohlohren stürmte also herein in Mister Pete Patersons Büro und wollte den Butler auf das Horn nehmen. Sprichwörtlich gemeint, natürlich. Parker tat etwas, was dieses Nashorn völlig verunsicherte. Er streckte seinen schwarz behandschuhten Zeigefinger aus und wies bedeutungsvoll hinauf zur Zimmerdecke.
Womit er bereits die Neugier des Ungetüms erregte. Das Nashorn bremste sich und seinen Schwung ab und schielte nach oben zur Zimmerdecke, wo es nun aber auch nichts zu se hen gab. Das Nashorn kam überhaupt nicht auf den Gedanken, daß es von diesem so korrekt und schwarz gekleideten Mann ge nasführt würde. Während das Nashorn hinauf zur Zimmerdecke schaute und irri tiert war, nutzte Parker die von ihm so überzeugend provozierte Gelegenheit und griff nach der kleinen Spraydose in einer seiner vielen Westentaschen. Diese Spraydose war nicht größer als eine jener kleinen Ta schenpackungen, wie man sie für Parfüms in jedem leistungsfähi gen Geschäft kaufen kann. Der Inhalt dieser kleinen Spraydose stand selbstverständlich unter einem zusätzlich hohen Druck. Da für hatte Josuah Parker hinreichend gesorgt. Als er auf den Freigabeknopf der Spraydose drückte, zischte das Treibgas hervor und riß die wichtigen Partikelchen des Inhalts mit nach draußen. Auf das Gesicht des Nashorns mit den Blumenkohlohren legte sich ein feiner, feuchter Film, was den Mann verständlicherweise irritierte. Er vergaß die Zimmerdecke und wollte sich wieder dem Butler widmen. Doch dazu war es bereits zu spät. Die feuchten Partikel chen auf seiner Haut erwiesen sich als zumindest hinderlich. Sie veränderten bereits ihren Zustand und wurden zu einem klebri gen Film. Fast schien es, als habe Parker irgendeine Leimsubstanz versprüht. Was aber nur zum Teil stimmte, denn während die Flüssigkeit zäh und haftend wurde, wirkten bereits die Zusatzsubstanzen. Und die waren es die den bulligen Mann, der einem Nashorn glich, zu einem verwunderlichen Tun reizten. Das Nashorn, das gerade, noch nach Parker hatte schlagen wol len, erlitt plötzlich einen Juckreiz, der fürchterlich! sein mußte. Der Mann rieb sich die Wangen und massierte sich die Stirn. Schließlich widmete er sich vor allen Dingen seinem Hals. Hier schien der Juckreiz am größten und stärksten zu sein. Das Nashorn riß das Vorhemd auf und kratzte sich intensiv und ausdauernd. Der bullige Mann scheuerte die Haut. Und es hörte sich so an, als benutzte er dabei Schmirgelpapier. Um sich diese Arbeit zu erleichtern, setzte das Nashorn sich in die Zimmermitte,
schabte und kratzte sich. Dabei wurden Töne ausgestoßen, die an die eines Wildschweines erinnerten, das seine Schwarte gegen den schartigen Stamm einer Eiche scheuert. »Sie dürfen versichert sein, daß dieser Juckreiz in spätestens einer Stunde vorüber sein wird«, tröstete Parker das Nashorn, »zudem darf ich Ihnen sagen, daß mit gesundheitlichen Schäden auf keinen Fall zu rechnen ist!« Das Nashorn hörte überhaupt nicht zu. Es gab sich desinteres siert. Es widmete sich ausschließlich den gereizten Hautpartien und schnaufte wohlig. Parker wußte aus Erfahrung, daß dieser Mann keine Gefahr mehr darstellte. Man hätte ihn mit Schuß- und Stichwaffen aller Art überhäufen können, er hätte sie mit Sicherheit verächtlich aus dem Weg geräumt, oder aber die diversen Waffenläufe dazu ver wendet, sie als Kratzhändchen einzusetzen. Inzwischen war Pete Paterson wieder zu sich gekommen. Er richtete sich auf, tastete sicherheitshalber und vorsichtig nach den schmerzenden Körperstellen und riß dann weit die Au gen auf. Erst jetzt sah er seinen sehr persönlichen Leibwächter, der sich wohlig die Schwarte an der Kante seines Schreibtisches scheuerte. »Wir waren bei Mister Manzoni stehengeblieben«, erinnerte der Butler höflich und diskret, »darf ich damit rechnen, daß Sie viel leicht jetzt mit einigen Angaben dienen können? Es würde unse ren gegenseitigen Beziehungen mehr als förderlich sein.« * Sue Weston spürte bereits den schwer lastenden Körper über sich. Sie hatte keine Chance, gegen diesen Betrunkenen anzu kommen, den sie nach wie vor für Manzoni hielt. Sie wehrte sich mit der Kraft der Verzweiflung und stöhnte unter den gemeinen und schmerzhaften Griffen dieses Mannes. Er zwang ihre Beine noch weiter auseinander und keuchte ihr seinen Fuselatem ins Gesicht. Bruchteile von Sekunden später war alles vorüber. Der Mann über ihr existierte plötzlich nicht mehr. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Doch kaum gedacht, da krachte dieser Mann, der sich scheinbar
in Luft aufgelöst hatte, gegen die Wand. Sekunden später wurde das vergitterte Deckenlicht ihres Schlafzimmers eingeschaltet. Sue richtete sich auf. Sie starrte ungläubig zur Wand hinüber. Es war Manzoni, der gerade an der erwähnten Wand herunter rutschte, langsam, schlaff, leblos wie eine Gliederpuppe. Vor ihrem Bett aber stand Fatty, der einen sehr bösen Eindruck machte. Er streichelte Sues Haar, ihre Schultern und drückte sie dann zurück auf das Lager. Dann schlug er die leichte Decke über sie und wandte sich zu Manzoni um. »Meine Puppe!« sagte Fatty ärgerlich, »nur meine Puppe! Du nicht anfassen, sonst Fatty böse werden!« Er drehte sich wieder zu Sue um und streichelte ihr Haar. Er hatte ein ausgeprägtes Eigentumsgefühl. Sue ahnte instinktiv, daß dieser Fatty, vor dem ihr eben noch gegraut hatte, im Grunde ihre einzige Waffe gegen Manzoni war. Sie überwand sich und drückte ihren Kopf schmeichelnd und fest in seine Hand. Was Fatty zu schätzen schien. Er sah auf sie hinunter und grins te sie vertrauenerweckend an. Was er besser nicht getan hätte! Manzoni, gereizt bis aufs Blut und glücklicher Besitzer einiger gebrochener Rippen, hatte seine Schußwaffe gezogen und feuerte bedenkenlos auf Fatty. Sue stieß einen entsetzten Schrei aus. Fatty, wie von einer riesigen, unsichtbaren Faust getroffen, ging in die Knie. Sein Gesicht nahm dabei einen überraschten Aus druck an. * Wieder am Steuer seines Wagens, überlegte Josuah Parker, ob er seinen jungen Herrn verständigen sollte. Mike Rander hielt sich nach wie vor im Penthouse auf, wie man es vereinbart hatte. Dort sicherte er nicht nur die Existenz einer gewissen Maud Sterling, sondern wartete auch auf weitere Anrufe Manzonis. Rander und Parker waren von der Voraussetzung aus gegangen, daß dieser Staatsfeind Nr. 1 sich früher oder später wieder melden würde. Parker entschloß sich zu einem Kompromiß.
Er rief Mike Rander von einer öffentlichen Sprechzelle an. Als auf der Gegenseite abgenommen wurde, hörte er sofort, daß sein junger Herr unter irgendeinem seelischen Druck stehen mußte. »Endlich, Parker!« stieß Rander erleichtert hervor, »wo haben Sie die ganze Zeit über gesteckt?« »Einzelheiten meines nächtlichen Ausfluges, Sir, zu einer späte ren Zeit, wenn Sie damit einverstanden sind. Über Doc Private gelang es mir, die Bekanntschaft eines gewissen Mister Herb Landry zu machen, der mich seinerseits an die Herren Oswego, Wheeling und Paterson verwies.« »Was sind denn das für Leute?« »Mitglieder der Unterwelt, Sir, die möglicherweise den Kontakt zu Mister Manzoni aufgenommen haben, oder dies noch tun wer den. Wobei ich bemerken möchte, daß ich Mister Paterson gerade einen Höflichkeitsbesuch abstattete.« »Und?« »Er war so freundlich, mir eine Adresse zu nennen. Darf ich fra gen, Sir, ob es bei Ihnen Neuigkeiten gibt?« »Ich werde hier langsam verrückt. Das Telefon schweigt sich beharrlich aus. Hören Sie, Parker, treffen wir uns doch irgendwo. Ich muß einfach etwas unternehmen, sonst fällt mir das Dach über dem Kopf zusammen.« »Vielleicht könnten Sie, Sir, jenem Mister Oswego einen Besuch abstatten, der ein Rehabilisationssanatorium betreibt.« »Okay. Ich fahre sofort los. Und Sie werden diesen Wheeling übernehmen?« »Sobald ich die Adresse nachgeprüft habe, die Mister Paterson mir nannte, Sir.« »Um welche Adresse handelt es sich da?« »Mister Paterson gibt sich der Hoffnung hin, daß Mister Manzoni sich wahrscheinlich in die Räume einer bestimmten Firma zurück gezogen hat, die sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Schokoladennüssen befaßt.« * Mike Rander saß in seinem Sportwagen und beobachtete das Grundstück, auf dem sich das Sanatorium des Mister Oswego be fand. Zur Straße hin gab es eine Steinmauer, die fast zwei Meter
hoch war. Das starke Tor zum Grundstück war mit Matten be hängt, um jede Durchsicht zu verhindern. Dennoch konnte Rander gewisse Einzelheiten erkennen. Eine der Matten war schad haft und gestattete einen schmalen Durchblick. Es gab, wie Rander inzwischen herausgefunden hatte, ein Haupthaus und seitlich dahinter, in der Form von Pavillons, einige Gartenhäuser, die an etwa zu groß geratene Bungalows erinner ten. Alle Gebäude waren unbeleuchtet. Die Insassen schienen sich dem Schlaf hinzugeben. Rander stieg aus dem Wagen, fand einen handlichen Stein auf der kiesbestreuten Auffahrt und warf ihn in hohem Bogen hinüber auf das Grundstück. Falls sich Hunde dort herumtrieben, mußten sie jetzt aufmerk sam werden und anschlagen. Es rührte sich aber nichts. Rander schob sich näher an das Tor heran und spähte durch die schadhafte Strohmatte auf das Grundstück. Das heißt, er wollte es tun, doch dann zuckte er sehr überrascht zurück. Dicht vor seiner Nase, die sich gefährlich der Strohmatte genä hert hatte, befand sich die schwarze und spitze Schnauze eines Dobermanns. Dieses attraktive Tierchen, das von gewissen Leuten immer wieder und zu unrecht mit einer Riesenratte verglichen wird, sah stumm und freudig abwartend auf Rander. Wahrscheinlich in der stillen Hoffnung, bald so richtig zuschnappen zu können. »Hallo, Susy!« sagte Rander leise. Susy, der Dobermann oder die Dobermännin, Einzelheiten lie ßen sich nicht ausmachen, Susy gab keinen Laut von sich. Nur die Augen leuchteten grün. Dann, plötzlich und ohne jede Vorankündigung, versuchte Susy nach Randers Nase zu schnappen. Der Anwalt warf sich zurück und prustete erschreckt auf. Mit solch einem überraschenden Angriff hatte er nicht gerechnet. Susy gab durch keinen Laut zu erkennen, ob sie enttäuscht war oder nicht. Als Rander nach ihr Ausschau hielt, war sie vom Tor ver schwunden. Rander fragte sich mißtrauisch, ob sie vielleicht durch den un hörbaren Pfiff einer Hundepfeife zurück zum Haus geholt worden
war. * Fatty rutschte auf die Knie und stöhnte leise. Manzoni, noch am Fuß der Wand hockend, hielt seine Schuß waffe in der Hand. Er schien zu überlegen, ob er noch einen zwei ten Schuß auf das Riefenbaby abfeuern sollte. Sein Gesichtsaus druck verriet deutlich, daß er sich schon fast entschlossen hatte. »Bitte, nicht!« rief Sue Weston zu Manzoni hinüber, »tun Sie es nicht, Mister Manzoni!« Vielleicht war das der große Fehler gewesen! Manzoni hätte gehen können. Der Weg zur Tür war frei. Er hätte wirklich nicht noch mal zu schießen brausen. Doch Sues Bitte, vielleicht ihre Stimme, vielleicht aber auch ihr nackter Oberkörper mit den festen Brüsten, vielleicht war es das, was ihn reizte, Fatty endgültig aus dem Weg zu räumen. Ein zweiter Schuß! Fatty zuckte erneut zusammen, aber erstaunlicherweise stand er auf und wandte sich zu Manzoni um, der sich jetzt an der Wand hochschob. Dabei ächzte er und griff mit der freien Hand nach seinen linken kurzen Rippen. Fatty schien sich in einen Roboter verwandelt zu haben, der die Schüsse bereits vollkommen verdaut hatte. Fatty stampfte auf seinen schweren, säulenartigen Beinen auf Manzoni zu, der ihn völlig entgeistert anstarrte. Mit dieser Zähig keit hatte er sicher nicht gerechnet. Er konnte es sich einfach nicht vorstellen, daß ein Mensch zwei gezielte und angekommene Schüsse so sichtlich leicht verdaute. Fattys Arme schoben sich vor. Es war klar, daß er Manzoni nicht als Puppe auf die Unterarme nehmen wollte. Manzoni mußte damit rechnen, daß sie ihm das Genick brachen. Er hob die Waffe, visierte Fatty an und zuckte zusammen, als das Riesenbaby unter einen Beistelltisch trat. Dieser Tisch segelte wie ein leichtes Brett durch die Luft, nahm den Schuß, den Manzoni abfeuerte und lenkte ihn von Fatty ab. Das Beistelltischchen segelte weiter und knallte mit der Kante vor die Brust des Gangsterbosses.
Manzoni stöhnte auf und wußte wieder an der Wand herunter zu Boden. Fatty stand inzwischen bereits dicht vor Manzoni. Ein zweiter Fußtritt, und das Beistelltischchen flog zur Seite. Manzoni, der die Schußwaffe noch in der Hand hielt, konnte den Arm nicht mehr anheben. Fatty trat ihm die Waffe aus der Hand und langte dann nach Manzoni, der entsetzt auf brüllte. Wahr scheinlich stellte er ich bereits lebhaft vor, was ihm jetzt blühte. Sue, die bisher fasziniert zugesehen hatte, erkannte ihre Chan ce. Während Manzoni und Fatty miteinander redeten, um das einmal so auszudrücken, konnte sie endlich das bisher versperrte Zimmer verlassen. Und zwar auf dem schnellsten Wege. Sie schlüpfte aus dem Bett, stellte sich auf ihre nackten Füße und – rannte zur Tür. Es kümmerte sie überhaupt nicht, daß ihr wichtige Grundbestandteile einer korrekten Garderobe fehlten. Dieser Mangel ließ sich ihrer Ansicht nach zu einem späteren Zeitpunkt beheben. * Der Betrieb zur Herstellung von Schokoladennüssen befand sich in einem kleinen Fabrikgelände im Osten der Stadt. Dieses Gebäude war über einen Hof zu erreichen, wo drei Kas tenlieferwagen standen. Die Nüsse selbst wurden in drei Etagen hergerichtet, wie Parker herausfand. Hier also sollte sich Manzoni befinden? Das Versteck wäre nicht schlecht ausgesucht gewesen, wie der Butler einräumen mußte. Links und rechts von der Fabrik befan den sich Lagerhäuser, andere Fabrikationsbetriebe und Mietska sernen. Sollte ein Mann wie Manzoni aufgespürt werden, konnte er schnell und leicht irgendeinen der vielen sich bietenden Fluchtwege benutzen. Es stand nicht zu befürchten, daß Mister Paterson oder das Nashorn Alarm geschlagen hatten. Dazu waren sie überhaupt nicht in der Lage. Sie befanden sich in einem erquickenden Tief schlaf, den der Butler ihnen verschafft hatte. Dieser Tiefschlaf würde, nach Parkers Berechnungen und nach den ihm vorliegen den Erfahrungswerten, etwa zwei Stunden betragen. Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum bereits verlassen und
näherte sich den Räumen der Firma, die einem gewissen Mister Wheeling gehörte. Dies war der dritte Name, den er von Landry hatte in Erfahrung bringen können. Und da Paterson den Namen ebenfalls erwähnt hatte, mußte etwas an diesen Aussagen sein und stimmen. Par ker hoffte inständig, endlich etwas für Sue Weston tun zu können. Die Vorstellung, daß sie sich in den Händen von Manzoni befand, behagte ihm nicht. Dieser Mann war schließlich, um mit der Stimme des Volkes zu sprechen, ein ausgemachtes Schwein. Vor allen Dingen Frauen gegenüber. Parker nahm zur Kenntnis, daß in der Schokoladennußfabrik zumindest keine Nachtschicht gefahren wurde. Die Räume in allen drei Etagen waren dunkel. Oder sollte er sich etwa getäuscht haben? Parkers Augen richteten sich auf die zweite Etage. Er war sicher, dort gerade einen kurzen Lichtschein entdeckt zu haben. Manzoni? Parker korrigierte den Sitz seiner schwarzen Melone, legte sich seinen Universal-Regenschirm korrekt über den linken Unterarm und schritt gemessen auf die kleine Fabrik zu. Dabei erinnerte er sich, daß er in Jugendjahren gerade diese Schokoladennüsse lie bend gern zu sich genommen hatte. * Sie erreichte ungehindert den langen Korridorgang mit den vie len weißgestrichenen Türen, die alle ohne Knauf waren. Sie schaute sich nervös nach jeder Tür um, die sie gerade hinter sich gelassen hatte. Im Zimmer war es gefährlich still. Entweder war Fatty bereits zur Sache gekommen und hatte Manzoni das Genick gebrochen, oder aber Fatty hatte es doch nicht mehr geschafft und lag jetzt tot am Boden. Sue Weston fröstelte. Sie wurde sich bewußt. daß sie tatsächlich ohne auch nur ein Minimum an Kleidung auf dem langen Korridor stand. Sie hastete weiter und lief auf die Tür zu. die sich am Ende des Korridors befand. Sie hoffte inständig, daß diese Tür nicht ver schlossen war. Aber eigentlich mußte sie ja zu öffnen sein, denn
Manzoni war ja ebenfalls hier in diesen Korridor gekommen. Sue hatte die Tür schon erreicht, als die schwungvoll aufge drückt wurde. Die junge Dame warf sich gegen die Wand, machte sich noch schlanker, als de es ohnehin war, und sah dann eine Frau in Schwesterntracht, die dicht an ihr vorbeiging. Sie blieb nicht lange auf ihren Beinen. Sue langte schnell und nachdrücklich zu. Die Schwester seufzte wohlig auf und machte es sich auf dem frischgebohnerten Boden bequem. Von einem weiteren Nacht dienst schien sie nicht mehr viel zu halten. Sue überlegte, was zu tun war. Sollte sie sich die Schwesterntracht aneignen? Wenigstens den Kittel? Das Schamgefühl stand dabei überhaupt nicht zur Debatte. In der Schwesterntracht hatte sie größere Chancen, durch das Haus zu kommen. Gedacht – getan! Sue verwandelte sich innerhalb wenigen Sekunden in eine äu ßerst attraktive Krankenpflegerin. Sie schlüpfte in der reißen Kit tel und drückte sich das Häubchen ins Haar. Dann huschte sie durch die Tür und setzte ihre Flucht fort. Die noch genau dreieinhalb Schritte lang dauerte, wie ehrli cherweise gesagt werden muß. Diese dreieinhalb Schritte waren genau die Distanz, die zwi schen Sue und den beiden Gorillas Lucky und Hank lag, die lang sam auf Randers Sekretärin zukamen. * Mike Rander war sich sicher, drüben auf dem Gelände einen Schuß gehört zu laben. Dieser Schuß war nach seinen Berechnungen in einem der Ne benhäuser abgefeuert worden. Auf wen, das vermochte er selbst verständlich nicht zu sagen. Doch es handelte sich um einen Schuß, der in einem Sanatori um gefallen war, in dem möglicherweise Sue Weston von Manzoni festgehalten wurde. Das genügte, um in Rander Großalarm aus zulösen. Er tat das Richtige.
Rander verzichtete auf eine Alleintour. Er setzte sich zurück in seinen Wagen und fuhr blitzschnell hin über zur nächsten Querstraße, wo er eine Telefonzelle gesehen hatte. Er klemmte sich an den Hörer und rief Captain Madford an, der um diese Nachtzeit natürlich längst zu Hause war. Doch ein drahtiger und energischer Mann wie Madford reagierte entsprechend seinem Temperament. »Bleiben Sie draußen, Rander«, sagte er, nachdem der Anwalt ihn kurz informiert hatte, »in spätestens zehn Minuten bin ich bei Ihnen. Passen Sie auf, damit uns niemand durch die Lappen geht!« Rander beeilte sich, zurück zum Tor zu kommen. Er hatte es noch nicht ganz erreicht, als das Tor geöffnet wurde. Ein Krankenwagen erschien langsam auf der Straße, bog nach links ab und nahm dann schnell seine Fahrt auf. Rander bremste scharf ab und schaltete die Wagenlichter auf Standlicht um. Er überlegte, was er machen sollte. Das Erschei nen dieses Krankenwagens nach dem Schuß mußte in einem ganz bestimmten Zusammenhang stehen. Wollte man das Opfer weg schaffen? Er dachte an Madford, der ihm aufgetragen hatte, scharf aufzu passen. Also startete Rander seinen kleinen Sportwagen und nahm die Verfolgung des Krankenwagens auf, der bereits in eine Seitenstraße einbog. Als Rander das Tor passierte, wurde es gerade wieder geschlos sen. Wegen der Matten war nicht zu sehen, ob dies elektrisch oder per Hand geschah. * Parker hatte die Mauern der Schokonußfabrik erreicht. Er horchte und hoffte, irgendein Geräusch zu hören, wurde aber enttäuscht. In dem Betrieb war und blieb alles ruhig. Er suchte gerade nach einem passenden Eingang, als ganz in seiner Nähe eine Tür knirschte. Parker verschmolz förmlich mit der Mauer und war dank seiner schwarzen Butlerkleidung nun überhaupt nicht mehr zu erkennen. Dafür erkannte er seinerseits einen Mann, der etwa zehn Meter von ihm entfernt aus der Fabrik kam.
Dieser Mann trug eine Stechuhr um den Hals und sah aus wie ein Nachtwächter, der seine Runden macht. Er benahm sich völlig unauffällig. Man hörte ihn gähnen, dann erfolgte ein Räuspern, das von dem Klicken eines Feuerzeugs abgelöst wurde. Der schwache Wind trug den Rauch einer Zigarette an Parkers Riechorgan vorbei. War der Mann echt? Oder wurde hier eine Show für den abge zogen, der sich vielleicht beobachtend in der Nähe befand? Der Mann gähnte noch mal und schritt dann von der Verlade rampe hinunter auf den Innenhof. Er ging an den drei Kastenlie ferwagen vorbei und dann hinüber zur Straße. Er drehte sich nicht um und schien seinen Weg genau zu kennen. Wenig später war der Mann in der Dunkelheit völlig verschwun den. Es schien sich wirklich nur um einen Nachtwächter gehandelt zu haben. Dennoch gab der Butler nicht auf. Er war es gewöhnt, den Dingen auf den Grund zu gehen. Bevor er diese Fabrik verließ, wollte er sie auch von innen angesehen haben. Parker wollte sich später keine Vorwürfe machen. Er fand die Tür, durch die der Nachtwächter gekommen war. Das Schloß, so ergab Parkers kurze Untersuchung, war harmlos und ließ sich nur zu leicht dazu überreden, sich selbst aufzusper ren. Parker steckte sein Spezialbesteck zurück in seine Tasche und betrat die Schokonußfirma. Hinter dieser Tür befand sich ein breiter Korridor, an dessen Wand Sackkarren herumstanden und sich langweilten. Von die sem Flur aus zweigten nach rechts zwei große Schiebtore ab, die wohl in die eigentlichen Fabrikationsräume führten. Eine dieser Türen war nur bis zu einem Drittel zugeschoben worden. Einladend öffnete sich der Zweidrittelrest. Parker brauch te nur einzutreten. Er blieb stehen und schnupperte. Es roch erfreulich nach gerösteten Nüssen, nach Schokolade und anderen Süßigkeiten. Auf einer der Sackkarren stand ein Doppelzentnersack, der mit Haselnüssen gefüllt war. Parker griff hinein ins volle Menschenleben, sprich Nüsse, und warf diese Knabberkerne kurz und kraftvoll aus dem Handgelenk heraus in den Fabrikationsraum.
Er war ehrlich gespannt, ob sich daraufhin etwas tun würde. * Captain Madford hielt sich nicht lange mit Formalitäten auf. Als er seinen schweren Wagen zurückstieß, um zu wenden, wie er später erklärte, drückte er mit dem Wagenheck kraftvoll und geschickt das Mattentor auf. Reiner Zufall und dummes Pech, wie er später ebenfalls in sei nem Bericht schrieb. Nachdem das Tor nun mal auf war und er die Einfahrt räumte, konnte der Wagen eines speziellen Mitarbeiters McLean anstands los auf das Grundstück fahren. Was der Sergeant blitzschnell tat, so wie er es mit Madford vor her abgesprochen hatte. Schließlich galt es ja, einen gesuchten Gangster zu verfolgen, von dem man annahm, daß er auf dem Gelände des Sanatoriums wild um sich geschossen hatte. Madford und McLean, ein eingespieltes Team, preschten ein paar Minuten nach dem Rammen des Tores auf das Hauptgebäu de des Sanatoriums zu, in dem jetzt schnell hintereinander Licht flammte. Als McLean ausstieg, hatte er plötzlich das Gefühl, gebissen zu werden. Was, wie sich herausstellte, den Tatschen entsprach. Zwei rabenschwarze Dobermänner waren versessen darauf, ihm einige Kubikzentimeter seiner Haut aus der Kehrseite herauszu schnipseln. McLean, ein Hüne von einem Mann, an einen Grizzlybären erin nernd, nahm diese Annäherungsversuche äußerst übel. Es zeigte sich, wie schnell und hart dieser Mann sein konnte, aber auch wie zartfühlend. Die Hunde wußten es ja nicht besser, also ließ er ihnen ihre Chance. Er griff zu und hatte sie auch vorn an ihren Halsbändern. Sie wehrten sich wütend und verzweifelt. Sie wollten ihm jetzt unbe dingt ein paar Fingerglieder mit ihren Zähnen amputieren. Der Grizzlybär war jedoch geschickter. Er hob die Tiere an ihren Halsbändern hoch und ließ ihnen die Luft knapp werden, bis sie leise winselten. Dann brachte er ihre
Köpfe in gegenseitige und wechselseitige Berührung, um sie dann aus den Händen zurück auf den Boden fallen zu lassen. Die beiden Dobermänner respektierten sofort sein Können und seine Kraft. Sie sahen ihn aus ihren intelligenten Augen abschätzend und ir gendwie beeindruckt an. Dann legten sie sich auf ihren Bauch und drehten sich auf den Rücken. Durch diese Geste der Ergebenheit wollten sie McLean zu verstehen geben, daß sie ihn als Rudelfüh rer sofort anerkannten. »Haut ab, Jungens!« sagte McLean gutmütig zu ihnen. Sie schienen zu nicken und stürzten sich dann mit Wonne auf Captain Madford, der bereits an der Haustür zum Hauptgebäude stand. Madford hatte sich gerade umgedreht, als er die beiden glatten und großen Tiere sah, die auf ihn zuschossen. Madford schluckte und griff nach seinem Dienstrevolver. Er hat te keine Lust, sich von beiden Hunden in Stücke reißen zu lassen. Doch da ertönte plötzlich ein schriller Pfiff, und die beiden Do bermänner traten auf ihre imaginären Öldruckbremsen. Sie schrammten mit ausgestreckten Pfoten durch den Kies, brachten sich zum Stehen und rannten dann, glucksend und heulend vor Freude, zurück zu Herrchen, zu einem gewissen Sergeant McLe an. Sie bauten sich vor ihm auf, setzten sich auf ihre Hinterläufe und waren ganz versessen darauf, McLean Pfötchen zu geben. »Was soll der Unsinn!?« fauchte Captain Madford von der Tür her, »Ihre Zeit möchte ich mal haben, McLean! Und Ihr Phlegma! Dressiert Hunde, wo es hier um Menschen geht!« * Die bewußten Haselnußkerne kollerten über den Boden, aber sie lösten zu Parkers Enttäuschung nichts aus. Keine Schüsse, keine Schritte, nicht das Erscheinen von mißtrauischen Mitmenschen, die sich beobachtet fühlten. Parker kam zu dem Schluß, daß die untere Etage, zumindest knapp hinter dem Tor, leer sein mußte, was Menschen anbetraf. Oder diese Mitmenschen hatten ihrerseits erstklassige Nerven und warteten darauf, sich etwas abreagieren zu können. Parker huschte also durch das Tor und nahm zur Kenntnis, daß
nichts passierte. Nur undeutlich nahm er Mischtrommeln und andere mechani sche Geräte zur Kenntnis, die in dem Arbeitssaal herumstanden. Der Geruch nach Kakao, Schokolade und nach Nüssen war hier fast penetrant stark. Parker entdeckte auf der hinteren Stirnseite eine breite Beton treppe, die um einen Lastenfahrstuhl herum hinauf in die zweite und dritte Etage führte. Josuah Parker inspizierte die beiden Etagen, konnte nur eine allgemeine Fehlanzeige für sich registrieren und ging hinunter ins Erdgeschoß. Von dem breiten Korridor aus erreichte er über die Endtür die diversen Büroräume. Auch hier gab es nichts, was seinen Ver dacht hätte erregen können. Die Schokonußfabrik wirkte echt bis auf den letzten Haselnußkern. Sie hatte nichts zu verbergen. Enttäuscht marschierte der Butler zurück auf den Innenhof und warf von dort aus noch einen letzten Blick auf die Fenster der Fabrik. Nichts war zu sehen. Der Betrieb samt seinen Haselnüssen und der Schokomasse schien fest zu schlafen. Und dennoch, Parker wurde das Gefühl nicht los, daß man ihn irgendwie an der Nase herumgeführt hatte. Auf eine Art und Wei se, die ihn zu einem sanften und alten Trottel stempelte. Und darüber ärgerte er sich verständlicherweise. * Wie ein ausgemachter Trottel kam sich auch Mike Rander vor. Er hatte längst den Anschluß an den Krankenwagen gefunden und sich dann für etwa fünf Minuten an ihn gehängt. Jetzt stand dieser Wagen vor einem dreistöckigen Privathaus, aus dem die beiden Krankenfahrer mit einer Trage herauskamen. Auf dieser lag ein junger Mann, der vielleicht 25 Jahre alt sein mochte. Er zuckte und strampelte wie wahnsinnig, aber er konnte die Trage dank der breiten Lederriemen nicht verlassen, die ihn fest einschnürten. Begleitet wurde dieser junge Mann von seinen Eltern, die be sorgt-geschockt zusahen, wie die Trage in den Krankenwagen
geschoben wurde. Rander sah auf den ersten Blick, daß hier keine Show abgezo gen wurde. Wenigstens hatte er diesen Eindruck. Der junge Mann schien entweder unter Alkohol zu stehen, oder hatte sich mit ir gendeiner Droge vollgepumpt. Er wurde nun abgeholt, um auf dem schnellsten Weg ins Sanatorium gebracht zu werden. Rander wendete den Wagen und ließ den Krankenwagen allein zurück. Auf dem schnellsten Weg fuhr er durch die erfreulicher weise unverstopften Straßen zurück zum Sanatorium, um sich mit Captain Madford in Verbindung zu setzen. Der ihn aggressiv anschaute. »Ich will ja nicht gerade anzüglich sein«, meinte Madford, den er vor dem Tor traf, »ich will kein Wort sagen, das ich später be dauern müßte, Rander, aber sind Sie sicher, einen Schuß gehört zu haben?« »Vollkommen«, sagte Rander und sah McLean an, der sich ge rade von den beiden Dobermännern verabschiedete, die sich dar auf versteift hatten, ihm das Gesicht zu lecken. »Ist das im Sana torium abgestritten worden?« »Ganz und gar«, sagte Madford. »Und sonst?« »Nichts. Absolut nichts!« erwiderte Madford, »ich konnte natür lich nicht alle Räume durchsuchen. Vergessen Sie nicht, daß ich keinen Durchsuchungsbefehl hatte. Wir sind ohnehin da reinge kommen wie die Gangster!« »Hoffentlich werden Sie darüber wegkommen«, spöttelte Rander. »Wir werden es überleben«, sagte Madford, »aber wie gesagt, von einem Schuß keine Rede. Wie behauptet wurde. Kommen Sie, ich möchte nicht abgehört werden!« Er sah auf das Mattentor, das gerade geschlossen wurde. Die beiden Dobermänner jaulten traurig, als McLean ihren treuen Hundeblick entzogen wurde. Rander und Madford gingen zum Dienstwagen des Captain hinüber und setzten sich auf die Vor dersitze, während McLean sich noch etwas auf der Straße umsah. »Sie haben dennoch Verdacht geschöpft?« erkundigte sich Rander. »In etwa«, gab Madford zurück, »die Leute drüben in dem La den waren ziemlich durcheinander. Unser plötzlichen Auftauchen muß sie vom Schlitten gehauen haben.«
»Wer ist dieser Oswego?« »Ein glatter Bursche, obwohl er dick und fett ist.« »Arzt?« »Er leitet den geschäftlichen Teil des Sanatoriums und bezahlt Ärzte und Fachkräfte.« »Eine Frage im Vertrauen, Madford. Ist dieser Oswego polizei bekannt?« »Na ja, ich rede mal so, als wenn Sie nicht hier neben mir im Wagen säßen. Oswego ist so was wie ein Stehkragengangster. Der typische Boß im Hintergrund, für den gewisse Kreaturen die Dreckarbeit erledigen.« »Vorbestraft?« »Komischerweise nein. Er hat ein paar Anklagen wegen Steuer hinterziehung und Pleiten über sich ergehen lassen müssen, kam aber immer wieder durch mit seinen Ausreden. Für ihn wanderten dann andere Leute ins Gefängnis, die sich überhaupt nicht dage gen sträubten, wahrscheinlich wohl, weil sie dafür fürstlich abge funden wurden. Wie gesagt, das sind Vermutungen. Beweisbares lag und liegt nicht gegen ihn vor.« »Könnte er mit Manzoni Kontakt gehabt haben?« »Keine Ahnung, Rander. Darüber muß ich erst noch Auskünfte einziehen.« »Werden Sie das Sanatorium überwachen lassen?« »Darauf können Sie sich verlassen, Rander. Diese Bude steht ab sofort unter Kontrolle!« »Und was machen die Campingplätze?« »Die werden abgeklappert. Was glauben Sie, wie viele Leute ich unterwegs habe. Aber offen gesagt, Rander. Viel Hoffnung habe ich nicht. Manzoni hat sicher die Stadt längst verlassen. Dieser Bursche stellt mit seiner Gerissenheit doch glatt einen Fuchs in den Schatten!« * Sue Weston war längst wieder zu sich gekommen. Dunkelheit umgab sie; Randers Sekretärin hörte nicht einen Laut um sich herum. Sie lag auf einem schmalen Feldbett, auf das man sie wieder mal geschnallt hatte.
Sie fühlte, daß man ihr wenigstens die entliehene Schwestern tracht gelassen hatte. Seit wann sie hier lag und wann man sie in diesen fensterlosen Raum gebracht hat, das alles wußte sie nicht. Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Sie erinnerte sich aber noch sehr genau der Vorgänge im Korridor, als sie sich den beiden Manzoni-Gorillas Lucky und Hank gegenübersah. Lucky und Hank hatten sie zuerst nicht erkannt und ihr sogar freundlich zugenickt. Dann hatte es bei Lucky eingeschlagen. »Ach nee«, sagte er und grinste, »wen haben wir denn da? Macht die Süße ’nen kleinen Ausflug?« Die Süße hatte daraufhin nicht geantwortet, sie hatte nur die Flucht ergriffen. Lucky und Hank wurden völlig überrascht, als Sue Weston sie unterlief. Sie hechtete sich an ihnen vorbei, vollbrachte eine ge konnte Vorwärtsrolle auf dem glänzenden Boden und rannte dann den langen Korridor hinunter. Lucky und Hank folgten erstaunlich langsam, fast desinteres siert. Warum, das stellte sich wenig später für Sue heraus. Die Tür nämlich, auf die sie alles gesetzt hatte, diese Tür hatte sich leider als knauflos und verschlossen erwiesen. Mit dem Rücken zur Tür hatte Sue dann den Angriff der beiden Gorillas erwartet. Der fast genußvoll erfolgte, gemein und so er folgreich. Nach wenigen Minuten hatten sie Sue in die Zange genommen. Und dann hatte es wieder diese Frechheiten gegeben, die Sue so sehr verabscheute. Diese beiden Männer waren aus dem gleichen Holz geschnitzt wie ihr Herr und Meister. Für sie war eine Frau nur ein Lustobjekt, an dem sie sich abreagieren konnten. Sue atmete tief durch, als sie an diese Augenblicke dachte, als die fordernden der beiden Männer sie abgegriffen hatten. Sie hat te sich dagegen aufgebäumt und gewehrt, doch ohne Erfolg. Sie hatte zuletzt nur noch geschluchzt und war sich wie geschändet vorgekommen. Im Grund war Sue jetzt froh, daß sie allein in diesem dunklen Raum lag. Hauptsache, Lucky und Hank ließen sich nicht blicken und nutzten nicht weiter ihre Möglichkeiten aus, einer wehrlosen Frau zu nahezutreten. Sue dachte an Manzoni, an jenen Gangster, um den alles ging.
Sie dachte vor allen Dingen aber an Fatty, auf den Manzoni zweimal geschossen hatte. Ob Fatty noch lebte? Ob es ihm noch gelungen war, Manzoni zwischen seine Hände zu bekommen? Sie hätte es Manzoni von ganzem Herzen ge gönnt! Plötzlich hörte Sue ein Geräusch. Ein Frösteln überlief ihre Haut. Sie dachte selbstverständlich an die beiden Gorillas Lucky und Hank. Kamen sie zurück? Wollten sie eine günstige Gelegenheit nutzen und das wahrmachen, was sie ihr grinsend versprochen hatten? Sie nämlich endlich hochzu nehmen, wie sie sich ausgedrückt hatten? Nein, Schritte waren das nicht. Es klang nach einem verwehten Seufzen, nach dem Greinen eines kleinen Kindes, das vor Angst schluchzt und wim mert. Sue konzentrierte sich auf diese feinen Geräusche. Schließlich vermochte sie sie sogar zu lokalisieren. Sie mußten aus einem Nachbarraum kommen. Verzweifelt stemmte die Sekretärin ihren Körper gegen die Le derriemen, die sie auf dem Feldbett festhielten. Irgendwie muß ten sie doch zu lockern sein. Dann kam ihr die Erleuchtung und sie glaubte zu wissen, wer diese wimmernden und jammernden Laute ausstieß. Fatty! Es mußte sich um ihn handeln. War er nicht wie ein kleines Kind, wenn man mal von seinen Kräften absah? Falls er sich wie sie in einem dunklen Keller befand, mußte er sterben vor Angst. »Fatty!?« rief Sue leise. »Fatty! Hier ist deine Puppe!« Sue mußte sich überwinden, in dieser naiven Tonart zu spre chen. Aber es mußte sein. Nur so konnte sie das Bewußtsein die ses kindhaften Riesen ansprechen. »Meine Puppe!« klang es von irgendwoher, »meine Puppe!« Ihre Worte schienen ein Volltreffer zu sein. Er hatte sie verstanden. Sue schrak zusammen, als sie wenig später ein Brechen und Splittern von Holz hörte. Ganz in ihrer Nähe. Sie glaubte zu wis sen, daß Fatty eine Tür eindrückte, um zu seiner kleinen gelieb ten Puppe zu gelangen. Und dann fürchtete sich Sue. Wußte sie, wie Fatty reagieren würde? Hatte sie nicht schlafende Hunde geweckt, wie ein gewis
ser Butler Parker sich vielleicht ausgedrückt hätte? * Es dauerte nur wenige Minuten, bis Fatty sie erreicht hatte. Er schien in der Dunkelheit sehen zu können. Zielsicher steuerte er sie an und tastete ihren Körper ab, aber in einer anderen Art und Weise, wie es die beiden Gorillas Lucky und Hank nicht getan hatten. Er wollte sich nur vergewissern, daß er auch wirklich sei ne Puppe gefunden hatte. Mit einer schier unmenschlichen Kraft hatte Fatty die Verbin dungstür zwischen Sues und seinem Keller durchgewuchtet. Trotz der beiden Schußverletzungen schien Fatty über unversiegbare Kräfte zu verfügen. Dann schnallte er sie los, während er unverständliche Worte murmelte. Er setzte sich auf den Boden und schälte Sue erst mal aus der entliehenen Schwesterntracht. Der weiße Kittel schien ihn sichtlich zu stören. Aber auch das hatte mit Sex nichts zu tun. Es wirkte ver gleichsweise steril auf Sue. Dieser Koloß von einem Mann sah in ihr wirklich nur ein kleines Baby, seine heißgeliebte Puppe. Sue verhielt sich passiv und ließ mit sich geschehen, was Fatty vorschwebte. Aber es entging ihr nicht, daß seine Bewegungen langsam waren, daß sein Atem schwer und keuchend ging. Fatty schien unter den beiden Schußverletzungen zu leiden. Vielleicht hatte er seine letzten Kräfte aktiviert, als er ihre Stimme hörte und die Tür zu ihrem Keller aufwuchtete. Wie recht sie hatte, sollte sie bald merken. Plötzlich ließ Fatty sie von seinen Knien herunterrutschen. Er griff zwar nach ihr, doch seine mächtigen Pranken glitten an ih rem Körper ab. Sue blieb auf dem kalten Zementboden liegen und wartete. Ihr tat Fatty plötzlich leid. Dieser mächtige Mann mit dem Geist eines Kleinkindes hatte ihr nichts getan. Genau das Gegenteil war sogar der Fall gewesen. Fatty hatte sie beschützt und wahr scheinlich auch von seiner Sicht aus geliebt. Nun schien es mit diesem Mann zu Ende zu gehen. Sein Atem wurde immer schwerer. Dann, Sue richtete sich gerade vorsichtig auf, um Fatty nicht zu
erschrecken, fiel Fatty nach vorn. Er brachte nicht mehr die Kraft auf, die Arme schützend vorzustrecken. Schwer fiel sein Kopf auf den harten Boden. Jetzt war sie es, die ihm helfen wollte. Obwohl sie nach wie vor nichts sehen konnte, tasteten ihre schlanken Hände seinen mächtigen Körper ab. Sie fanden sehr schnell die beiden unversorgten Wunden. Man hatte Fatty noch nicht mal eine Art Notverband angelegt, man hatte die Wunden einfach ausbluten lassen, bis sie sich von allein schlossen. Sue war ehrlich empört. Mochte Fatty auch ein gestörter Mensch sein, er war und blieb ein Lebewesen, dem man helfen mußte. Hier schien man aber die Absicht verfolgt zu haben, ihn einfach verenden zu lassen wie angeschossenes Wild. Sue richtete sich hastig auf, als sie Stimmen hörte, die sich der Dunkelheit näherten. Sekunden später schimmerte Licht unter dem unteren Spalt ei ner Tür hervor, unter einer Tür, die sie bisher überhaupt nicht gesehen hatte. Kamen Manzoni, Lucky und Hank? Sie tastete sich an der Wand entlang und erreichte die zersplit terte Tür, die auf das Konto von Fatty kam. Sie schlüpfte durch die Reste dieser Tür und geriet von einer Dunkelheit in die ande re. Auch hier tastete sie sich an der Wand entlang, bis sie eine weitere Tür gefunden hatte, die sich zu ihrer Überraschung ohne weiteres öffnen ließ. Was sie sofort tat. Sue blinzelte in das schwache Licht, das vor ihren Augen wie ei ne unüberwindbare Wand stand. Dann trat sie zögernd in den Kellergang und versuchte sich zu orientieren. Es handelte sich um einen ehemaligen Weinkeller mit gewölbter Decke. Es war kalt hier, kälter als in den dunklen Kellerräumen. Verstaubte Regale standen senkrecht zur Längswand und schufen so kleine Querkeller, die aber leer waren. Sue hatte sich gerade entschlossen, diesen Weinkeller als Fluchtweg zu benutzen, als sie plötzlich ein fast tierisches Gebrüll hörte, dem unmittelbar darauf Schüsse folgten… *
»Drei Adressen! Drei Pleiten!« Rander war ratlos, und seine Stimme ließ das deutlich erken nen. Er befand sich zusammen mit seinem Butler in einer stillen Bierbar, die in der Nähe des Sanatoriums lag. Sie hatten sich Kaf fee bestellt und waren noch mal alle Möglichkeiten durchgegan gen. »Oswego, Wheeling und Patterson«, zählte Parker auf. »Genau. Drei ausgemachte Pleiten!« Rander nickte schwer, »wir sind eigentlich noch nie zu solch einer Passivität verurteilt gewe sen, Parker. Ist Ihnen das klar?« »In der Tat, Sir…« »Wo bleiben Ihre Einfälle?« fragte Rander resignierend. »Ich bedaure außerordentlich, Sir, nur Fehlanzeigen vermelden zu müssen.« »Ich frage mich, ob Sue überhaupt noch lebt.« »Dessen bin ich allerdings sicher, Sir. Miß Weston ist in der Hand Mister Manzonis eine wertvolle Gei sel.« »Die vielleicht schon längst abscheulich zugerichtet worden ist.« »Dazu, Sir, möchte ich lieber keine Stellung nehmen.« »Madford ist bei Oswego total abgeblitzt«, redete der junge An walt weiter, »warum, zum Teufel, sehen wir uns nicht noch mal in seinen Räumen um, Parker?« »Sofort, Sir, wenn Sie einverstanden sind.« »Worauf warten wir dann noch?« »Man sollte vielleicht noch mal im Penthouse anrufen, Sir, viel leicht hat Mister Manzoni sich inzwischen gemeldet.« Rander verschwand in der Telefonzelle. Nach wenigen Minuten kam er zurück an den Tisch, wo der Butler ihn bereits ungeduldig erwartete und fragend ansah. »Nichts«, sagte Rander und breitete in einer fast hilflosen Geste die Arme aus, »nichts! Ich habe mit Maud Sterling gesprochen. Dort hat sich nichts gerührt. Manzoni scheint uns überhaupt nicht mehr zu brauchen.« »Man wird sehen, Sir, ob diese Grundhaltung andauern wird«, sagte Parker. »Wenn Sie einverstanden sind, sollte man zurück zum Wagen gehen und einige Vorbereitungen treffen.«
*
Sue Weston blieb wie erstarrt stehen, als sie die Schüsse und das fast tierische Gebrüll hörte. In dieses Gebrüll mischten sich Flüche, laute Aufschreie, Keu chen und dumpfe Laute, die sie nicht zu identifizieren vermochte. Sie konnte sich aber stellen, daß Fatty sich mit Leuten herum schlug, die sie aus dem Keller holen wollten. Sie sah keine Möglichkeit, Fatty zu helfen. Auf nackten Zehenspitzen huschte sie der Tür vorüber, hinter der das wilde Gebrüll zu hören war. Randers Sekretärin hatte die se Tür, die nur angelehnt war, gerade passiert, als sie aufflog. Blitzschnell wich Sue zur Seite aus und verbarg sich hinter einer Vorratstellage. Durch die Luft segelte Lucky, der Gangster, der wie ein Frett chen aussah. Er knallte gegen die Stellage, die daraufhin bedenk liche Anzeichen von Brüchigkeit zeigte. Lucky blieb einen Moment auf dem Boden liegen, raffte sich dann wieder auf und stürzte sich zurück in den Keller. Weshalb Sue dann ihre Flucht fortsetzen konnte. Sie erreichte eine Steintreppe, die nach oben führte, und hörte in diesem Moment wieder einen Schuß. Sie blieb stehen und sah zurück. Und wußte genau in diesem Augenblick, daß es um Fatty geschehen war. Erst künden später merkte sie, daß das fast tieri sche Gebrüll nicht mehr zu hören war. Sue lief die Treppe nach oben und öffnete mit zitternden Hän den eine Tür. Hinter dieser Tür befand sich ein Keller. Als sie sich umwandte, entdeckte sie ihrer Überraschung, daß sie aus einem Schrank gekommen war, der den Eingang zum Tiefkeller geschickt tarnte. Sie registrierte diesen Schrank, um dann ihre Flucht fortzuset zen, denn inzwischen mußten Lucky und Hank festgestellt haben, daß sie geflüchtet war. Als ihre Gedanken diesen Punkt erreicht hatten, lief sie noch mal zurück zum Schrank. Sie mußte diesen beiden Gangstern den Weg abschneiden und den Aus- und Zugang zum Tiefkeller blo ckieren. Was verhältnismäßig leicht zu bewerkstelligen war.
Sie drückte die aufgeklappte Rückwand des Schrankes zurück in eine Art Rahmen. Worauf ein deutliches und lautes Zuschnappen zu hören war. Sie zog den Türknauf aus dem Schloß und warf ihn weg. Dann schloß sie zusätzlich die reguläre Schranktür und durf te in etwa sicher sein, daß sie wenigstens nicht mehr von Lucky oder Hank belästigt wurde. Sue setzte ihre Absetzbewegung fort. Ihre Hoffnung stieg, vielleicht doch noch entwischen zu können. Bisher war alles gut gelungen. Wenn sie erst mal diesen regulä ren Keller hinter sieh hatte, bestand vielleicht sogar die Möglich keit, das Freie zu erreichen. Sie schlüpfte vorsichtig in den nächsten regulären Keller, der sich als eine Art riesengroße Waschküche entpuppte, die teilgeka chelt war. Sue entdeckte eine weitere Treppe, die hinauf ins Haus führte. Sie lief auf diese Treppe zu und hatte sie schon fast erreicht, als plötzlich hinter einer großen Waschmaschine Manzoni hervortrat. Er grinste und hielt einen schallgedämpften Revolver in der Hand, dessen Lauf auf ihren Magen gerichtet war. »Na, wer sagt es denn?« meinte Manzoni und lächelte dünn, »so was habe ich mir fast gedacht. Immer auf der Flucht, wie? Ein weiblicher Kimbel, was?« Sue blieb wie angewurzelt stehen und starrte wie hypnotisiert auf die Waffe in Manzonis Hand. Daß sie vollkommen nackt war, hatte sie vergessen. Sie hatte nur Angst davor, Manzoni könne abdrücken. Langsam und unsicher hob sie die Arme. »Sehr schön…« stellte Manzoni fest, »ein Bild für die Götter! Oder für Pete Manzoni, was noch besser paßt. Umdrehen!« Sue gehorchte. Ihre Angst steigerte sich. Sie spürte, daß sie zitterte. Ihre Ner ven und Muskeln gerieten außer Kontrolle. Würde Manzoni jetzt schießen? »Hinlegen!« kommandierte Manzoni, dessen Stimme gepreßt und irgendwie gierig klang. Sue gehorchte. Sie lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Sie kam sich schrecklich hilflos und ausgeliefert vor. »Arme und Beine spreizen!« lautete das nächste Kommando. Sue gehorchte erneut.
Sie hatte keine Chance, sich gegen diese Kommandos zu weh ren, oder gar Widerstand zu leisten. Sie wußte, daß Manzoni schießen würde, sobald sie nicht gehorchte. Wie gekreuzigt lag Sue auf dem Boden und schluchzte plötzlich. Sie gab jeden Widerstand auf, sie hoffte nur, daß bald alles vor über sein würde. * Die beiden Dobermänner spazierten durch den großen, weit räumigen Park des Sanatoriums und träumten von McLean, der es ihnen angetan hatte. Die Hunde legten eine kleine Lauf- und Verschnaufpause ein, um dann fast gleichzeitig ihren Kopf zu he ben. Sie hatten nicht nur irreguläre Geräusche gehört, sondern sie nahmen auch eine seltsame Witterung auf. Es handelte sich um etwas, das ihre Nasennerven ungemein reizte. Dieser Geruch erinnerte sie deutlich an frische Knochen, an frisches Fleisch und somit an ein üppiges Mahl. Sie erhoben sich und marschierten in die Richtung, aus der die ser penetrante Geruch kam. Sie wurden von Sekunde zu Sekunde immer schneller. Sie wollten sich diese Appetithappen auf keinen Fall entgehen lassen. Ziemlich außer Atem erreichten sie die Geruchsquelle. Und sie stellten fest, daß sie sich nicht getäuscht hatten. Vor einem kleinen Strauch lagen auf einem Stück Papier frische Knochen und frisches Fleisch. Die beiden Dobermänner sahen sich ermunternd an und stürz ten sich förmlich auf die Happen. Dabei brachen bereits ihre Urin stinkte durch. Sie vergaßen ihre sorgfältige Erziehung auf dem Hundecollege, die sie vor Jahren genossen hatten. Sie gönnten einander nicht die Happen. Knurrend und sich anfletschend vergaßen sie ihre Gemeinsam keiten und schlangen die Happen herunter. Das geschah inner halb weniger Augenaufschläge. Doch kaum befanden sich die Happen in ihrem Magen, als sie so etwas wie einen Schluckauf bekamen. Zudem wurden sie von einer lähmenden Müdigkeit befallen, von einer Müdigkeit, die sie schielen ließ. Sie gähnten sich an, ver
drehten die Augen und rollten sich schließlich zu einem kleinen Verdauungsschläfchen auf dem sattgrünen, aber taufeuchten Ra sen zusammen. Nach knapp einer Minute kündeten tiefe Schnarchtöne davon, daß zwei pflichtvergessene Dobermänner von einem Herrn na mens Sandmann besucht worden waren. Darauf hatte ein anderer Mann namens Parker nur gewartet. Er hatte sich bisher hinter einem Baumstamm aufgehalten und dem Liebesmahl der beiden Dobermänner zugesehen. Er war richtiggehend stolz darauf, daß die beiden Tiere den Happen der art bedenkenlos zugesprochen hatten, denn schließlich hatte er sie eingekauft und mit einem seiner vielen Spezialmittel behan delt. Dieses Spezialmittel war ein Schlafpräparat gewesen, das tiefen und traumlosen Schlaf garantierte. Die beiden Dobermänner konnten zu einem späteren Zeitpunkt davon gewiß ein vierstro phiges Lied singen. Parker wartete, bis auch sein junger Herr in der Nähe war. Dann marschierten sie beide auf das Hauptgebäude des Sanatoriums zu, fest entschlossen, endlich etwas für Sue zu tun, die um diese Zeit aber leider schon nicht mehr im Haus war. Aber das konnten weder Mike Rander noch Josuah Parker wis sen. Sonst hätten sie sich bestimmt einige unnötige Aufregungen erspart. Sie hatten das Haupthaus nämlich noch nicht ganz erreicht, als plötzlich überall Lichter aufflammten, die die Außenfront strahlend hell erleuchteten. Rander und Parker blieben stehen und sahen sich verdutzt an. Hatte man sie trotz aller Vorsichtsmaßnahmen dennoch entdeckt? Galt das Licht ihnen? Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als dann das Aufheulen einer Sirene zu hören war. Bevor Rander und Parker einen geordneten Rückzug anzutreten vermochten, waren sie umgeben von weißgekleideten Pflegern, die alle durch die Bank einen grundsoliden Eindruck machten, was ihre Körpermaße anbetraf. »Ich fürchte, Sir«, ließ Parker sich in diesem Augenblick ver nehmen, »daß wir mit dem rechnen müssen, was man im Volks mund gemeinhin Ärger nennt.«
* Sue fand ihre Lage keineswegs lustig. Man hatte sie fest zusammengepreßt und in einen Wäschekorb gesteckt. Sie hatte das Gefühl, um ein Drittel an Körpergröße kleiner gemacht worden zu sein. Sie hatte die Knie hochgezogen, hochziehen müssen, um genau zu sein. Sie berührten fast ihr Kinn. Und über die Knie hatte sie die Hände bis hinunter zu den Fußknöcheln schieben müssen. Dort waren sie dann mittels eini ger Wäscheleinen an den Knöcheln der Fußgelenke festgezurrt worden. Eine wenig beneidenswerte Lage, wie Sue sich eingestand. Jetzt merkte sie, wie sehr der Blutkreislauf behindert wurde. Sie hatte bereits das Gefühl, als stürben Arme und Beine langsam ab. Noch peinlicher war die Tatsache, daß dieser Wäschekorb sich auf der Ladefläche eines Kleinlasters befand, der seinerseits be reits in Fahrt war. Sue hörte durch die Wäschestücke, mit denen man sie ausgie big bedeckt hatte, das Geheul einer Sirene. Was diese Sirene zu bedeuten hatte, wußte sie natürlich nicht. Sie nahm nur zur Kenntnis, daß dieses Geräusch schnell schwächer wurde und schließlich erstarb. Was daran lag, daß der Kleinlaster bereits weit weg vom Sanatorium war. Sie wurde also wieder mal umquartiert. Manzoni schien das Sanatorium zu gefährlich geworden zu sein. Er nahm einen Stellungswechsel vor, wollte dabei aber auf keinen Fall auf seine charmante Begleiterin verzichten. Und wenn sie in einem Wäschekorb mitreisen mußte… Diese Umquartierung endete nach etwa zwanzig Minuten, wie Sue sich ausrechnete. Der Kleinlaster schien in eine Art Tiefgara ge zu fahren, denn der Motor klang plötzlich hohl und dumpf, um dann sofort abgestellt zu werden. Schritte auf Zement, dann das Öffnen der Ladefläche. Sue wurde samt Korb über den Boden des Lasters gezogen und ziemlich roh hinunter auf den Garagenboden geworfen. Dabei fiel der Korb um und kollerte wie ein Faß über den Boden. Was Sue gar nicht sonderlich schätzte.
*
Die weiß gekleideten Pfleger hatten erst eine Art Halbkreis um Rander und Parker gebildet. Dann schlossen sie diesen Halbkreis zu einem Ganzkreis und rückten näher heran. Sie alle machten einen durchaus entschlossenen Eindruck. Was ausgezeichnet zu ihren Körpern paßte. Sie waren stämmig, wirkten durchtrainiert und handfest. »Wenn Sie es wünschen, könnte ich mit einigen Erklärungen dienen«, sagte Parker, der den kommenden Ärger im letzten Mo ment verhindern wollte. Sie waren an Erklärungen nicht interessiert. Man sah es ihnen deutlich an. Sie wollten sich nur sportlich betätigen. Und sie rück ten schweigend und drohend noch näher heran, während das Ge heul der Haussirene bereits leiser wurde und schließlich erstarb. »Wenn Sie erlauben, Sir, würde ich gern eines meiner ABCKampfmittel anwenden«, sagte Parker, »es empfiehlt sich daher, in den kommenden Sekunden und Minuten ein wenig die Luft an zuhalten und flach zu atmen, falls dies erforderlich werden soll te.« Parker wartete die Zustimmung seines jungen Herrn erst gar nicht ab. Die Zeit drängte. Die Pfleger suchten bereits die ersten körperlichen Kontakte. Worauf Parker zur Sache kam. Er hatte längst eine seiner pechschwarzen Spezialzigarren in der Hand. Er brach diese Zigarre roh in der Mitte durch und warf die beiden Hälften taktisch geschickt so auf den Boden, daß die sofort austretenden weißen Dämpfe sich gerecht auf alle Pfleger verteil ten. Die Zigarre war selbstverständlich nur die Tarnung für einen Glaszylinder gewesen, der die chemische Grundsubstanz enthielt, die jetzt bereits Wirkte. Mit erstaunlichen Teilerfolgen, wie Rander überraschend fest stellte. Die ersten Pfleger, die die weiß gefärbten Wölkchen eingeatmet hatten, kicherten urplötzlich wie alberne Schulkinder und freuten sich ungemein. Sie faßten sich an den Händen und führten eine Art Ringelreihen auf. Dabei stießen sie herzerfrischend alberne Worte aus und ei nigten sich schließlich auf ein Kinderlied, das sie aus voller Kehle,
wenn auch falsch, trällerten und sangen. Zwei andere Pfleger, ebenfalls schon unter Wirkung, hatten sich in das taufrische Gras gesetzt und warfen sich jetzt auf den Rü cken. Sie nahmen ihre Beine hoch und strampelten damit wie dicke Riesenbabys vergnügt in der Luft herum. Ein weiterer Pfleger schien plötzlich liegen zu können. Er schien sich mit einem Flugzeug zu verwechseln. Er breitete die Arme wie Tragflächen aus, produzierte mit seinen Lippen das Röhren eines Sternmotors, rannte los, legte sich in steile Kurven, summte und dröhnte mit den Lippen und wollte schließlich abhe ben. Was verständlicherweise mißlang, da die Gesetze der Schwer kraft nach wie vor wirkten. Nach einem Kurzflug von etwa eineinhalb Sekunden landete er auf dem Gesicht, wobei seine ausgeprägte Nase eine mitteltiefe Furche durch das Gras zog. Er zerschellte vor einem Baumstamm, der sich als ausgesprochen hinderlich erwies. Die beiden restlichen Pfleger erfreuten sich der Lösung ihrer aufgestauten Aggressionen. Sie standen sich gegenüber und ohrfeigten sich mit Liebe, Sachverstand und Ausdauer. Die linke Backe, die rechte Backe. Und dann wieder umgekehrt. Sie wichen keinen Zentimeter voneinander zurück und arbeiteten wie zwei verbissene Akkordarbeiter. Parker reichte seinem jungen Herrn inzwischen eine weitere Zi garre. Sie enthielt eine Art Gasmaskenfilter, der in der Lage war, die chemischen Reizmittel zu absorbieren. Doch vielleicht etwas zu spät. Rander schien trotz der Warnung seines Butlers ein wenig zu tief eingeatmet zu haben. Der Anwalt trat seinem Butler kräftig gegen das Schienbein und wollte sich, anschließend ausschütten vor Lachen. Er glich plötz lich einem großen Lausbuben. Parker sah etwas mißbilligend auf seinen jungen Herrn hinunter, der sich jetzt ins Gras warf und gleichzeitig nach Parkers Beinen griff. Es war deutlich zu erkennen, daß Mike Rander Streit suchte. Und zwar ausgerechnet mit seinem Butler. Parker wich ein wenig indigniert zurück und lenkte die Aufmerk samkeit seines jungen Herrn auf die beiden Männer, die sich nach
wie vor mit Liebe und Ausdauer ohrfeigten. Worauf Rander sich schnell erhob und Maß nahm. Er hatte schließlich vier attraktive Schienbeine vor sich. Die wollte er sich offensichtlich nicht entge hen lassen. Der Mann, der sich mit einem Flugzeug identifizierte, schien seine Bruchlandung inzwischen vergessen zu haben. Er setzte zu einem neuen Start an und brachte seinen Lippen motor gerade wieder auf Höchsttouren. Die Herren, die sich dem Ringelreihen verschrieben hatten, wa ren ein wenig außer Atem geraten, aber sie hielten durch. Doch Parker hatte den Eindruck, daß sie das Tempo zu sehr gesteigert hatten. Sie bewegten sich bereits wie Steilwandfahrer umeinan der. Die Pfleger, die mit den Beinen in der Luft strampelten, ent deckten neue Freuden für sich. Sie spielten Häschen-in-der-Grube und bogen sich dabei vor La chen. Parker sog an seiner Filterzigarre und sorgte dafür, daß er nicht in diesen Sinnestaumel einbezogen wurde. Er brauchte einen kla ren Kopf, wie er sich. sagte. »Ein neues Psychomittel?« hörte er dann plötzlich eine Stimme seitlich hinter sich. Langsam wandte der Butler sich um und sah sich einem mittel großen Mann von etwa 45 Jahren gegenüber, der bereits über einen ausgeprägten Bauch verfügte. Auch er trug einen weißen Kittel, der aber vornehmer im Schnitt war. »Doktor Grabble«, stellte der Mann sich vor, »ich bin der leiten de Arzt des Sanatoriums…« »Parker mein Name… Josuah Parker«, gab der Butler zurück, »wenn Sie einverstanden sind, sollte man hier nicht länger stö ren. Die Herren dürften vorerst hinreichend miteinander zu tun haben.« »Gehen wir ins Haus«, pflichtete Grabble dem Butler bei, »ich muß sagen, daß ich kein Mittel kenne, das so schnell wirkt wie Ihr Reizgas, Mister Parker!« »Eine Neuentwicklung, die im Berufshandel noch nicht zu erhal ten ist«, gab der Butler in seiner ihm eigenen, bescheidenen Art zurück, »werde ich das Vergnügen haben, Mister Oswego zu se hen?« »Mister Oswego ist seit einer Viertelstunde außer Haus«, lautete
die für Parker überraschende Antwort, »ich glaube, er will ein paar Tage Urlaub machen.« »Was ich durchaus verstehen kann«, sagte Parker, »einen Mis ter Manzoni als Gast zu haben, stelle auch ich mir als enervierend vor.« Doc Grabble sah den Butler stumm und intensiv an. Er schien darüber nachzudenken, welche Stellung er einnehmen sollte. Doc Grabble sah nicht wie ein Mann aus, der eine Stellung hält, auch wenn sie schon als verloren erscheint. * Sue holte dankbar Luft, als die Wäschestücke über ihr entfernt wurden. Sie schaute hoch und blinzelte in das Licht, das ihre Augen traf. »Nun mach schon, Süße«, sagte Manzoni. Er griff nach ihren Handgelenken und zog und zerrte Sue aus dem Wäschekorb. Ihre Glieder waren derart steif, daß sie sofort wieder in sich zusam mensank, als er sie losließ. »Verdammt schade, daß wir uns bald trennen müssen«, meinte Manzoni und sah auf sie hinunter. Sue nahm vorsichtig den Kopf hoch. Die Nackenmuskeln schmerzten höllisch. »Je schneller, je lieber«, sagte sie dann. »Ich weiß, daß du mich nicht ausstehen kannst«, gab Manzoni grinsend zurück. »Hoffentlich beruht das auf Gegenseitigkeit.« »Ganz schön kess, Süße!« Er trat hinter sie und griff unter ihren Armen durch. Dann zerrte er sie erneut auf die Beine und schlang um ihre Handgelenke Stricke, die von der Decke herunterhingen. Bevor Sue überhaupt begriff, was passierte, war sie bereits anund festgebunden. Sie sah sich neugierig in dem Raum um und erkannte, daß sie sich in einer Art Waschhalle befand. »Sobald es hell geworden ist, werde ich mich absetzen«, sagte Manzoni. »Lassen Sie sich bloß nicht aufhalten«, erwiderte Sue gereizt. Es paßte ihr überhaupt nicht, daß er sie wieder mit seinen unver schämten Augen musterte, als sei sie ein Stück Vieh, das er ein kaufen wollte. »Was wollen Sie?« fragte sie und verkrampfte sich, als er näher auf sie zutrat. Er hatte sich nach einem Overall gebückt, den er
jetzt in der Hand hielt. »Soll ich, oder soll ich nicht?« fragte er und zeigte ihr den O verall. »Was?« »Kleiner, umgekehrter Striptease«, meinte Manzoni, »ich werde sonst zu sehr abgelenkt.« Gegen solch einen Vorschlag hatte Sue nichts einzuwenden. Sie half ihm sogar dabei, in den Overall zu schlüpfen. Sie konnte es kaum erwarten, bis ihre Beine und ihr Unterkörper in diesem Kleidungsstück staken. Er knöpfte ihn mehr als lässig zu, so daß ihr Rücken nackt blieb. Und andere Körperpartien dazu. »Warum sind Sie eigentlich zurück in die Staaten gekommen?« fragte sie mit der Sicherheit, die sich langsam bei ihr einstellte. »Tja, warum wohl?« Manzoni hatte sich eine Zigarette angezün det und sah nachdenklich zu Boden, »vielleicht, um wieder mal so richtig mitzumischen. Draußen verkümmert man ja.« »Und jetzt wollen Sie wieder zurück ins Ausland?« »Scheint für mich gesünder zu sein. Dieser Butler, dann die Po lizei, alles zu laut und zu hart am Ball…« »Was ist aus Fatty geworden?« »Den haben meine Jungens restlos zusammengeschossen«, meinte Manzoni. Er ließ sich auf einer kleinen Tonne nieder. Er schien es zu schätzen, sich endlich mal normal unterhalten zu können. »Der arme Kerl«, sagte Sue leise. »Ich weiß nicht, Süße… Er hat Lucky und Hank wie Streichholz schachteln zerdrückt.« »Sie sind tot?« »Nicht ganz. Aber Sie werden Dauergäste in ’nem Krankenhaus werden«, entgegnete der Gangsterboß, »das hat dieser Fatty noch geschafft, bevor er umkippte…« »Und wie soll es jetzt weitergehen?« »Wir werden ’rüber nach Kanada fahren«, sagte Manzoni, »und dort trennen sich dann unsere Wege. Dein Pech, Süße, daß du mich im Wohnwagen gesehen hast.« »Ihr Pech!« gab Sue Weston nachdrücklich zurück, »glauben Sie wirklich. daß Sie durchkommen werden?« »Mit dir immer«, lautete seine einfache, aber logische Antwort, »wer wird auf mich schießen, wenn ich dich im Arm habe, he? Man wird sich hüten. Süße. So was wie dich setzt man doch nicht
aufs Spiel!« Er stand plötzlich auf und trat an sie heran. Sue bäumte sich auf, als er nach ihr griff. * »Ich will mit dieser verdammten Geschichte nichts zu tun ha ben«, sagte Doc Grabble etwa um diese Zeit. Er befand sich zu sammen mit Parker im Hauptgebäude des Sanatoriums. »Würden Sie, falls es sich einrichten läßt, mit einigen Details aufwarten?« bat der Butler, der nach wie vor sehr wachsam blieb. Er traute diesem Arzt nicht über den Weg. »Manzoni… Oswego… Dann der Mord an Fatty und die Sache mit der jungen Frau!« Parker zwang sich zur Ruhe. Diese Stichworte deuteten an, daß Doc Grabble Bescheid wußte. Und Doc Grabble ließ es sich nicht nehmen, restlos auszupacken. Wobei er sich selbstverständlich als völlig unschuldig bezeichnete. Was im Augenblick aber auch gar nicht wichtig war, wie Parker fand Wichtig war, daß hier endlich eine Spur von Sue Weston zu erkennen war. »Wo befindet sich die junge Dame augenblicklich?« erkundigte sich Parker, der sich mühte, seine Ungeduld nicht zu deutlich zu zeigen. »Manzoni hat sie mit sich genommen.« »Wohin?« Parker konnte sehr kurze und knappe Fragen stellen, wenn es wirklich mal notwendig war. »Das kann ich natürlich nicht sagen. Aber Oswego wird das wis sen.« »Den ich wo finden kann?« »Er hat eine Freundin hier in der Stadt. Bei der wird er unterge krochen sein.« »Die Adresse, wenn ich höflichst bitten darf.« Parker prägte sich die Adresse ein, die Doc Grabble ihm nannte. Sehr bereitwillig und entgegenkommend, wie zu hören war. Grabble schien die Gelegenheit nutzen zu wollen, Oswego etwas am Zeug zu flicken. Wahrscheinlich versprach er sich davon per sönliche Vorteile. »Ich hoffe, Sie haben meine bescheidene Wenigkeit richtig in
formiert«, schloß Parker die Unterhaltung, denn die Zeit drängte. »Sie sind also sicher, daß Manzoni zusammen mit der jungen Dame das Sanatorium verlassen hat?« »Vollkommen sicher. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer, Mis ter Parker.« »Und warum stellen Sie sich plötzlich gegen Ihren Arbeitgeber Oswego?« »Aus rein persönlichen Gründen«, erwiderte Grabble und lächel te dünn, »ich möchte nicht wegen irgendwelcher krimineller Sa chen, die er betreibt, hinter Schloß und Riegel kommen.« »Worüber wir noch reden werden«, schaltete sich in diesem Moment die Stimme von Captain Madford ein. Er hatte hinter Grabbles Rücken den Raum betreten. »Ich erlaube mir, Ihnen einen guten, wenn auch frühen Morgen zu wünschen«, sagte Parker zu Madford und lüftete höflich seine schwarze Melone, »wenn Sie gestatten, Sir, werde ich mich jetzt um eine junge Dame kümmern.« »Nicht ohne uns!« Madford wollte sich nicht an die Wand spielen lassen. »Ich werde Sie informieren, sobald ich mehr weiß«, sagte Par ker, »hier sollten Sie sich um drei Männer kümmern, die offen sichtlich Schwierigkeiten miteinander hatten… Doktor Grabble wird die Freude haben, Sie zu führen, Sir…« »Um was geht es denn eigentlich?« Madford wirkte ein wenig ir ritiert. »Einzelheiten von Doc Grabble.« Parker lüftete seine schwarze Melone. »Darf ich fragen, Sir, ob Sie Mister Rander draußen im Garten gesehen haben?« »Und ob!« Madford grinste plötzlich, »er hat McLean gegen das Schienbein getreten und will ihm zur Zeit in die Wade beißen.« »Ich könnte mir vorstellen, Sir, daß Sergeant McLean dagegen einiges einzuwenden hat.« »Fragen Sie ihn doch selbst«, sagte Madford und schüttelte sich vor Lachen, um dann blitzschnell seine Gesichtszüge umzuleiten und auf ein ernstes, grimmiges Gleis zu bringen. Er wandte sich an Grabble. »Kommen Sie, Doc! Hoffentlich bleibt Ihre Weste weiß, sonst werde ich Sie in die Waden beißen!« Als Parker draußen im Park war, der sich langsam erhellte, zu mal die Sonne bereits schüchtern zu sehen war, entdeckte er sei nen jungen Herrn, der sich mit McLean befaßte.
Der Grizzlybär von einem Mann flüchtete gerade durch Hecken und Büsche, um den scharfen Zähnen Randers zu entwischen. Dabei stieß McLean Quieklaute aus, die an ein rosiges Schwein chen erinnerten. * Josuah Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Wagens und preschte durch die Stadt, die sich langsam den Schlaf aus den Augen rieb. Noch war der Verkehr nicht stark. Daher aber fielen er und sein Monstrum besonders auf. Parker ignorierte aus verständlichen Gründen die Geschwindig keitsbeschränkungen und beeilte sich, jene Adresse zu erreichen, die Doc Grabble ihm genannt hatte. Über Oswego wollte er an Manzonis Versteck, und damit auch an Sue Weston heran. Es schien jetzt um jede Minute zu gehen. Ein Streifenbeamter der Verkehrspolizei, der sich gerade leicht schlaftrunken auf seinen Posten begab, hatte plötzlich Schwierig keiten mit seinem Unterkiefer, der herunterklappte. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er auf das hochbeinige Vehikel, das sich in schneller Fahrt näherte und um eine Ver kehrsinsel herumkurvte. Dabei schien dieses schwarze Monstrum sich nur noch auf zwei Reifen zu befinden. Bevor der Streifenpolizist nach Luft schnappen konnte, schlän gelte sich das Vehikel an einem Milchwagen vorbei und rauschte mit donnernden Auspuffgeräuschen in eine Seitenstraße. Der Streifenpolizist rieb sich die Augen, glaubte noch zu träu men und kam zu dem Schluß, daß nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Dann aber griff er sicherheitshalber nach seiner Dienstpfeife und trillerte hinter einem Wagen her, der schon längst nicht mehr zu sehen war. Dabei blies er die Backen auf wie ein Posaunenengel. Der Milchwagenfahrer stand ebenfalls noch unter dem Eindruck dieses schwarzen Geisterfahrzeuges und verwechselte dummer weise den Rückwärtsgang mit dem Vorwärtsgang. Was gerade für die Milchflaschen auf seinem Wagen besonders schlecht war, wie sich schnell herausstellte. Die hintere Ladefläche rammte einen Wasserhydranten, der
stärker als das Glas der Flaschen war. Worauf sich etwa achtzig Liter Milch selbständig machten und die Gosse optimistisch weiß färbten. * Die von Doc Grabble genannte Adresse entpuppte sich als ein modernes Apartmenthaus, das sechs Etagen aufwies. Parker hat te seinen hochbeinigen Wagen, der als Markenzeichen leider schon recht bekannt war, auf einem Parkplatz zurückgelassen und näherte sich dem Haus zu Fuß. Auf der Klingeltafel entdeckte er sehr schnell den Namen jener Frau, die die Freundin von Oswego sein sollte. Parker fragte sich, ob er zu ihr hinauffahren sollte. Oder war es besser, erst mal zu warten? Vielleicht erschienen Oswego und seine Freundin früher oder später unten im Eingang, um andere Gefilde aufzusuchen. Doch diesmal – es ging ja schließlich um Sue Weston – brachte er diese Geduld nicht auf. Er wollte wissen, woran er war. Viel leicht bestand sogar die Möglichkeit, daß Manzoni und auch Sue Weston sich in diesem Apartment aufhielten. Der Hausportier war bereits auf seinem Posten. »Zu Mister Bendersen«, sagte Parker, ohne sich auf eine Dis kussion einzulassen. Den Namen Bendersen hatte er auf der Klin geltafel entdeckt und zweckentfremdete ihn nun. Der Hausportier riskierte es überhaupt nicht, Parker eine nähere Frage zu stellen. Zu imposant war Parkers Erscheinung, die, wenn er es wollte, alle Fragen im Keim zu ersticken vermochte. Gravitätisch und gemessen betrat Parker den Lift und fuhr hin auf in die 4. Etage, wo sowohl Mister Bendersen als auch die Freundin Oswegos wohnten. Wenig später stand er vor der Tür einer gewissen Rita Dave und öffnete die Tür auf seine sehr persönliche Art und Weise. Er wollte sich auf keinen Fall ankündigen und so Oswego irritieren, der dann vielleicht nach seiner Schußwaffe gegriffen hätte. Unhörbar schwang die Wohnungstür auf, unhörbar trat der But ler ein. Daß die Wohnung nicht leer war, hörte er an der leisen Radio musik und der Sängerin, die gerade behauptete, daß der Morgen
einfach wunderbar sei. Parker hoffte, daß sie recht behielt. * Sie stand unter der Dusche und übersah den Butler, der sich vorsichtig und abwartend in das Badezimmer geschoben hatte. Parker wollte sich gerade diskret bemerkbar machen, um sich dann schnell wieder zurückzuziehen, als das Telefon anschlug. Sie hörte nichts. Er nahm den läutenden Apparat in die Hand und trug ihn so na he an die halb geöffnete Badezimmertür, daß sie das Läuten un bedingt hören mußte. Er stellte den Telefonapparat auf einen kleinen Wandtisch und zog sich zurück. Seine Höflichkeit zahlte sich sehr schnell aus. »Ja doch… Ich komme ja schon…« rief sie unter der Dusche. Wenig später waren ihre nackten Füße zu hören. Dann hob sie ab. Noch hatte sie nicht gemerkt, daß der Apparat nicht an seinem Platz stand. »Ja?« fragte sie und hörte zu. »In Ordnung… Vor der Schoko fabrik… In einer halben Stunde… Natürlich werde ich pünktlich sein.« Sie legte auf und ging zurück ins Badezimmer. Parker, der hinter einem Schrank stand, konnte sie genau beo bachten. Sie trug nichts als ihre Haut und sah recht erfreulich aus. Sie ging also zurück ins Badezimmer, stutzte und kam dann schnell wieder zurück zum Apparat. Versonnen starrte sie auf das Gerät. Und sie konnte sich wahr scheinlich nicht erklären, wie der Apparat auf den kleinen Wand tisch geraten war. Sie zuckte die Achseln, schüttelte leicht den Kopf und begab sich zurück unter die Dusche. Worauf Parker sich höflich, aber sehr still empfahl. Er wollte nicht länger stören. Er hatte genug gehört und glaubte zu wissen, was jetzt zu tun war. Oswego erwartete seine Freundin in einer Schokofabrik, wie die junge Dame sich ausgedrückt hatte. Diese Schokofabrik konnte nur mit der identisch sein, die einem gewissen Wheeling gehörte und die er vor Stunden schon mal besucht hatte.
Es ging auf 5 Uhr zu, als er wieder draußen auf der Straße stand. Der Morgen versprach wunderbar zu werden. * Sie war vollkommen erschöpft, nachdem er gegangen war. Sue hing schlaff in ihren Fesseln und schluchzte leise vor Scham und Wut. Manzoni war seinem Ruf treu geblieben und hatte sie behandelt wie eine Dirne von der Straße. Es schien ihm Spaß ge macht zu haben, sie zu quälen und zu demütigen. Sie war allein in der Waschhalle und dachte unwillkürlich an Maud Sterling, deren Rolle sie eingenommen und für die sie alles erduldet hatte. Dieser Fall hatte mit einer Tankstelle begonnen und mit einer Waschhalle, in die Parker die beiden Gorillas Lucky und Hank abgelegt hatte. Nun befand auch sie sich in solch einer Waschhalle und wußte nicht, ob sie überhaupt noch eine Chance haben würde. Manzonis Plan war einfach, aber wirkungsvoll ausgedacht. Mit ihr als Geisel konnte ihn nichts daran hindern, hinüber nach Kanada zu gehen. Was dort passieren würde, brauchte sie sich allerdings nicht mehr sonderlich auszumalen. Für Manzoni waren Frauen Gegenstände, die man benutzte und wie Papiertaschentücher wegwarf, wenn sie ihren Zweck erfüllt hatten. Sie zuckte zusammen, als ein kühler Lufthauch ihre nackten Schultern traf. Kam dieser Widerling etwa zurück? Sollte dieses Spiel, das er mit ihr getrieben hatte, sich noch mal wiederholen? »Ich bitte sehr um Vergebung, Madam, daß ich erst jetzt er scheine«, hörte sie dann zu ihrer grenzenlosen Erleichterung die Stimme eines gewissen Butler Parker. Sue drehte sich mühsam um und… erkannte durch einen Schlei er von Tränen Parker, der sich ihr würdevoll und auch besorgt näherte. »Oh, Mister Parker!« schluchzte Sue und wurde dann ohnmäch tig, was den Butler sichtlich irritierte. *
Sie kamen aus den Kellerräumen, Wheeling, Oswego und Man zoni, drei hartgesottene Gangster, die sich aus früheren und bes seren Tagen sehr gut kannten. Wheeling, der Besitzer der Schokonußfabrik, führte das große Wort. Er war groß, schwammig aufgedunsen und hatte ein grobes Gesicht. »Sinnlos für dich, Manzoni, noch eine Stunde länger zu bleiben. Sie werden dich aufspüren. Und was dann fällig ist, kannst du dir doch wohl vorstellen.« »Und ich habe bereits ’rumgehorcht, Manzoni«, erklärte Oswe go, »hier in der Stadt räumt dir kein Freund auch nur eine Kleinstchance ein. Du hast schon zuviel Wirbel veranstaltet. Ich bin froh, wenn ich selbst mit heiler Haut aus diesem Schlamassel herauskomme. Hau ab, und zwar so schnell wie möglich!« »Ist alles schon geplant«, sagte Manzoni, »werde ich halt noch ein paar Jahre warten, bis ich den zweiten Versuch riskiere… Aber irgendwann werde ich mal wieder auftrumpfen!« »Sicher«, sagte Wheeling ohne jede Überzeugungskraft. »Bestimmt«, pflichtete Oswego ihm bei und verzog sein Ge sicht. Die von Manzoni geäußerte Überzeugungskraft schien er nicht zu teilen. »Ich leih dir einen Kleinlaster. Damit mußt du es schaffen«, sagte Wheeling, »du hast ja die kleine Süße bei dir.« »Was nicht mehr den Tatsachen entspricht!« ließ Parkers Stim me sich in diesem Moment vernehmen. Die drei Topgangster blieben wie erstarrt stehen. Sie schienen sich in Salzsäulen verwandelt zu haben. Sie starrten Parker wie eine fremde Erscheinung an, einen Parker, der knapp hinter ei nem der geöffneten Korridortore stand und jetzt höflich seine schwarze Melone lüftete. Wheeling und Oswego rissen ihre Schußwaffen aus ihren diver sen Halftern. Aber sie waren nicht so schnell wie Manzoni, der bereits schoß. Er traf einen Schokoladenkessel und bohrte ihn an. Worauf duftende, braune Schokoladencouvertur nach draußen quoll und sich auf dem Kachelfußboden sammelte. Was die drei Topgangster allerdings nicht sahen. Sie sahen auch nicht mehr den Butler, der sich in Luft aufgelöst zu haben schien.
»Los… Wir müssen ihn haben!« Manzoni preschte los wie ein Wildpferd. Er wurde nur von dem einen Gedanken beherrscht, Butler Parker zu töten. Er rannte und übersah die Schokoladenmasse auf dem Boden. Als er sie bemerkte, war es ohnehin schon zu spät. Er rutschte auf ihr so gründlich aus, daß er steil in die Luft stieg. Und dann passierte etwas, was irgendwie ausgesprochen lä cherlich wirkte. Nach dem er den Gipfelpunkt seiner Flugbahn erreicht hatte, ging es mit ihm ausgesprochen bergab. Und zwar mit dem Kopf voran. Es gab ein leises, saugendes Geräusch, als er mit einem Hecht sprung in dem Schokoladenkessel landete. Er strampelte noch ein wenig mit den Beinen und wurde dann plötzlich sehr ruhig. Wheeling und Oswego griffen herzhaft zu. Sie zogen und zerrten an Manzonis Beinen und wollten ihn vor dem Erstickungstod bewahren. Was ihnen fast gelang, bis Parker hinter ihnen auftauchte und kurz und nachdrücklich seinen Uni versal-Regenschirm einsetzte. Zuerst kippte Wheeling in die Schokomasse. Oswego wollte sich zurückwerfen, doch dazu reichte es nicht mehr. Der bleigefütterte Bambusgriff Parkers war schneller. Also badete auch Oswego sich. Um Manzoni brauchte der Butler inzwischen nicht mehr zu fürchten, denn er war aufgetaucht, mit dem Kopf zuerst. Wie Oswego und Wheeling. Die drei Spitzengangster schienen sich in der zähflüssigen Schokolade nicht sonderlich wohl zu fühlen. Zumal Parker einen Schalter entdeckt hatte, den er beherzt umlegte. Daraufhin passierte, etwas Kurioses. Der große Behälter geriet in kreisende Bewegung. Parker konn te im letzten Moment noch die große Rührschaufel hochkippen, die normalerweise dazu gedacht war, die Masse intensiv zu mi schen. Nun gab es nur noch auf dem Grund des Rührkessels eine kleine Schaufel, die nicht viel Unheil anrichten konnte. Parker sah dem süßen Spiel genußvoll zu und registrierte, daß die Topgangster sich sehr schnell in hilflose Schokoladenmänn chen verwandelten. Parker ließ sie etwa dreieinhalb Minuten verrühren. Dann schal tete er ab und bat die drei völlig fertigen Herren, ihr Spiel zu be
enden. Nacheinander kletterten sie erschöpft aus dem Rührkessel und sackten auf dem Kachelboden in sich zusammen. Wobei die Überzugmasse langsam, aber auch sehr nachhaltig erstarrte. Von Oswego, Manzoni und Wheeling war nichts mehr zu erkennen. Drei Gartenzwerge aus Schokolade, in denen nur die Augen lebten, hockten auf dem Boden und warteten ungeduldig auf ihren Abtransport. * Sie befanden sich im Studio des Penthouse und waren alle Ein zelheiten noch mal durchgegangen. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte Maud Sterling, die den Fall aus der Entfernung überstanden hatte, »oh ne Sie wäre ich bestimmt umgebracht worden!« »Bedanken Sie sich bei Miß Weston«, sagte Rander und deutete auf Sue. »Von Doppelrollen habe ich vorläufig die Nase voll«, sagte Sue und winkte ab, »ich möchte an diese Rolle nicht mal erinnert werden!« »Leider haben Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit nicht sonderlich viel für Sie tun können«, entschuldigte sich Rander bei Sue, »ich fürchte. Sie waren sehr auf sich allein gestellt.« »Wie gesagt, mein Bedarf ist gedeckt. Aber Hauptsache, daß diese widerlichen Gangster fest hinter Schloß und Riegel sitzen.« »Wahrscheinlich werden Sie nie wieder im Leben Schokolade sehen können«, sagte Rander lächelnd. »Das gilt für McLean, der Ihnen in Zukunft aus dem Weg gehen wird«, schaltete sich Captain Madford ein. »Oh, daran darf ich gar nicht denken«, sagte Rander und lächel te verlegen, »hoffentlich verzeiht er mir noch mal!« »Fragen Sie ihn, sobald er wieder dienstfähig ist«, gab Captain Madford grinsend zurück. »Nicht dienstfähig?« Rander wunderte sich noch doch etwas. »Na hören Sie«, sagte Madford und grinste noch breiter, »nicht genug damit, daß Sie McLeans Waden angeknabbert haben. Das hätte er vielleicht noch hingenommen. Aber Sie brauchten ihm ja
nicht gerade in die rechte Hinterbacke zu beißen. Das scheint er übelgenommen zu haben!« ENDE Butler Parker Die nächsten Butler-Parker-Krimis von Günter Dönges erschei nen als Nr. 129 PARKER legt die »Katze« trocken (Erstdruck) und als Nr. 98 PARKER trickst den »Tiger« aus (Neuauflage)