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Parker und die »Spinne« Roman von Günter Dönges Als man ihn erschießen wollte, war Josuah Parker verständlicherweise peinlich berührt. Er lustwandelte im Lincoln Park, hart an Ufern des Michigan-Sees, genoß die kühle Abendbrise und dachte über ein Gespräch nach, das er erst vor knapp einer Stunde mit einem gewissen Paul Treston geführt hatte. Er ließ sich die Worte dieses Mannes gründlich durch den Kopf gehen und achtete nicht weiter auf die beiden Männer, die ihm unauffällig folgten. Der Butler schritt auf eine einsame Parkbank zu, die von hohen Sträuchern umgeben war. Dort wollte er sich in aller Ruhe eine seiner berüchtigten schwarzen Torpedos anzünden. Dort konnte er sicher sein, daß er mit dem Duft dieser Zigarre keinen harmlosen Passanten belästigte. Er hatte die Parkbank noch nicht ganz erreicht, als er auf die Männer aufmerksam wurde. Ohne jeden Argwohn nahm er sie zur Kenntnis. Seine Augen registrierten nur die beiden Parkbesucher, die korrekt und unauffällig aussahen und nicht die Spur an berufsmäßige Schläger oder Mörder erinnerten. Diese beiden Männer trugen dunkle Anzüge, weiche Hüte und rauchten. Sie schienen sich in eine interessante Diskussion verbissen zu haben. Sie redeten angeregt aufeinander ein und übersahen den Butler, der inzwischen die Bank erreicht hatte. Parker nahm umständlich Platz und gestattete sich den Luxus, seine schwarze Melone abzunehmen. Den altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm lehnte er gegen die Bank, entspannte sich und griff nach seinem abgewetzten, ledernen Zigarrenetui. Die beiden Parkbesucher kamen langsam näher. Ihre Stimmen waren bereits zu vernehmen, dann sogar schon einzelne Wortfetzen. Sie unterhielten sich allem Anschein nach über die augenblickliche politische Lage und wurden sich nicht einig darüber, ob der zur Zeit herrschende Präsident nun gut sei oder nicht. Parker klappte währenddessen das Etui auseinander und wollte sich mit Kennerschaft eine der pechschwarzen Zigarren heraussuchen, als plötzlich die beiden Männer vor ihm standen. Parker sah fragend hoch. Er spürte sofort, daß etwas nicht stimmte. Er ließ sich durch die glatten Gesichter der beiden Män-
ner nicht täuschen. Er wußte, daß sie sich ganz sicher nicht nach der Tageszeit erkundigen wollten. »Mister Parker…?« fragte einer der beiden Männer gedehnt. »Ich verstehe nicht recht«, antwortete Josuah Parker und tat verwirrt. Seine Finger beschäftigten sich inzwischen mit dem Zigarrenetui. Sie griffen nicht mehr nach einem der schwarzen Torpedos, sondern fingerten an dem Stahlrahmen herum. »Sind Sie Parker oder nicht?« fragte der Mann ungeduldig. Sein Partner interessierte sich inzwischen für die nähere Umgebung und nahm den Kopf etwas zur Seite. Wahrscheinlich sollte er die kommenden Vorgänge absichern. »Ich bin in der Tat Butler Parker«, sagte Parker. »Ich möchte das auf keinen Fall abstreiten.« »Dann ist ja alles in Ordnung«, erwiderte der Mann und grinste kalt. »Mehr wollten wir gar nicht wissen.« Während er noch redete, zog er blitzschnell eine Automatik, auf deren Mündung ein überdimensional großer Schalldämpfer aufmontiert war. »Sind Sie sicher, daß Sie mich meinen?« erkundigte sich der Butler. »Vollkommen!« Der Mann hob die Schußwaffe und ließ den Butler in die Mündung schauen. »Wodurch, wenn ich fragen darf, habe ich mir Ihren Unmut zugezogen?« fragte Parker. »Spielt keine Rolle, Alter…!« Der Gangster grinste und wandte sich an seinen Partner, »alles in Ordnung, Butch…?« »Alles in Ordnung, Steve«, lautete die Antwort. »Sie haben den Augenzeugen dort oben am Fenster des Hochhauses übersehen«, warf Parker ein. Er tat das würdevoll und gemessen, wie es eben seine Art war. Dadurch wirkte er völlig überzeugend. So überzeugend, daß die beiden Gangster sich unwillkürlich etwas umwandten, um nach dem Hochhaus zu sehen. Dadurch räumten sie Parker die echte Chance ein, etwas gegen seine beabsichtigte Ermordung zu tun. Parkers rechter Zeigefinger befand sich bereits in Position. Parker zögerte nicht, aktiv zu werden. Sein Zeigefinger drückte auf eine kaum sichtbare Erhebung im Innern des Zigarrenetuis. Fast synchron damit gab es dann eine dumpfe Detonation. Aus einer der fest eingebauten und unrauch-
baren Zigarren schoß eine Ladung Feinstschrot hervor. Die beiden Gangster wurden völlig überrascht. Getroffen von einer Unzahl feinster Schrotkügelchen, hüpften die Kerle wie Springbälle hoch und brachen in lautes Brüllen aus. Die Schrotkügelchen sorgten für eine Vielzahl von Schmerzquellen und hinderten die beiden Gangster daran, sich sofort mit dem Butler zu beschäftigen. Parker hingegen verfügte über seine volle Einsatzfähigkeit. Er hielt bereits seinen Universal-Regenschirm in der Hand und benutzte ihn als eine Art Golfschläger. Und da der Butler sich auf diversen Golfplätzen ausgezeichnet auskannte, wußte er diesen improvisierten Schläger auch sicher zu handhaben. Innerhalb weniger Sekunden lagen die beiden Gangster entkräftet am Boden. Sie waren derart beeindruckt, daß sie an Gegenwehr überhaupt nicht dachten. Im Grunde waren sie sogar ohnmächtig. Parker beugte sich über die beiden Männer und scheute sich nicht, ihre Taschen zu durchsuchen. Er wollte schließlich wissen, mit wem er es zu tun hatte. Wenn es sein mußte, konnte er sehr neugierig sein. Seine Erwartungen wurden nicht getäuscht. Er fand buchstäblich nichts, was auf die Identität dieser beiden Gangster hätte schließen lassen. Ihre Taschen waren leer. Das zeichnete sie als harte Profis aus. Gangster dieser Sorte gingen jedem unnötigen Risiko aus dem Weg. Ihnen lag nie daran, schnell identifiziert zu werden. Parker fand und sammelte diverse Waffen ein. Mehr war im Moment nicht zu holen. Anschließend streifte er den beiden Männern die Schuhe aus und warf sie irgendwohin ins Gesträuch. Eine zusätzliche, flüchtige Untersuchung zeigte ihm, daß die beiden Gangster nicht ernstlich verletzt worden waren. Auf weitere Maßnahmen verzichtend, setzte Parker sich die schwarze Melone auf, griff nach seinem Regenschirm und verließ gemessen den Schauplatz dieses Zwischenfalls. Das heißt, er dachte nicht daran, den Park zu verlassen. Er schlug einen kleinen Bogen und baute sich dann hinter dem Gesträuch auf. Es dauerte nur noch wenige Sekunden, bis die beiden Gangster wieder zu sich kamen. Sie richteten sich ohne jeden Übergang auf und wußten anschließend nicht, wohin sie zuerst fassen sollten. Wie gesagt, sie waren von einer Vielzahl kleiner Schrotkügelchen getroffen worden. Und jedes dieser kleinen Kügelchen hinterließ
eine Schmerzquelle für sich. »Dieser… äh… verdammte… oh, Hund«, stöhnte der Gangster, der Parker angesprochen hatte. »Ich bring den Kerl um…!« reagierte der zweite Mann und befingerte seine getroffene Kehrseite. Er stöhnte und ächzte und wagte sich nicht zu bewegen. »Los, weg hier, bevor er die Bullen alarmiert«, sagte der erste Mann. Dann trat er vorsichtig den ersten Schritt, knickte ein und fing sich gerade noch ab. Humpelnd, vorsichtig, wie auf rohen Eiern gehend, hielt er dann auf die nahe Rasenfläche zu. Sein Partner folgte ihm mit ähnlicher Vorsicht. Er litt unter einigen Schrotkügelchen, die seine Kehrseite getroffen hatten. Auf Zehenspitzen gehend, schlich er seinem Partner nach. Parker folgte ihnen vorsichtig. Die beiden Männer dachten nicht im Traum daran, daß sie verfolgt wurden. In ihrer Vorstellung war einfach kein Raum dafür, daß eines ihrer Opfer die Nerven hatte, ihnen kaltblütig zu folgen. Deckungsmöglichkeiten boten sich Parker ausreichend an. Er brauchte sich noch nicht einmal anzustrengen, um unsichtbar zu bleiben. Der Lincoln Park war schließlich eine grüne Oase, ausreichend mit Baum- und Buschgruppen bepflanzt. Stöhnend und humpelnd erreichten die beiden Gangster einen nahen Parkplatz. Sie mühten sich ab, einen der dort abgestellten Wagen zu erreichen. Sie krochen förmlich in den Buick hinein und brauchten einige Zeit, bis sie sich einigermaßen niedergelassen hatten. Parker hatte ausreichend Gelegenheit, sich das Kennzeichen dieses Wagens zu merken. Um die beiden Gangster in Trab zu versetzen, leistete Parker sich einen kleinen Streich. Er griff in den Kies und hob eine Handvoll davon auf. Diese Ladung warf der Butler geschickt auf das Wagendach des Buick. Die kleinen Steinchen prasselten auf das Dach herunter und verursachten im Wageninnern ein rätselhaftes Dröhnen. Wie von einer Feststoffrakete angetrieben, schoß der Buick danach vom Parkplatz, kurvte auf kreischenden Pneus in die Hauptstraße ein und hätte beinahe noch einen dicken Begrenzungsstein mitgenommen. Parkers Pokergesicht verzog sich zu einem jungenhaften Lächeln. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie sehr er die beiden Männer erschreckt hatte.
Nachdem die beiden Rücklichter nicht mehr zu sehen waren, wandte der Butler sich ab und schritt würdevoll und gemessen zurück in den Park, um seinen kleinen Spaziergang fortzusetzen. Wie schon gesagt, er dachte über ein Gespräch nach, das er erst vor einer guten Stunde mit einem gewissen Paul Treston geführt hatte. Es gab da einige Dinge, die genau überlegt werden mußten. Und es ging ihm vor allen Dingen um den Weg, wie er seinen jungen Herrn für diesen Fall interessieren konnte. Für den Fall nämlich, daß hier tatsächlich ein Verbrechen vorlag…! * »Wem haben Sie in letzter Zeit besonders nachdrücklich auf die Füße getreten?« fragte Mike Rander, nachdem Josuah Parker seinen ausführlichen Bericht beendet hatte. Nach dem Zwischenfall im nahen Lincoln Park war der Butler zurück in die Dachgartenwohnung seines jungen Herrn gegangen und hatte dort von seinen Erlebnissen erzählt. »Ich wüßte nicht, Sir, wer besonders ungehalten sein könnte!« antwortete Parker. »Zudem gibt es im Augenblick keinen Fall, mit dem ich mich beschäftige.« »Sind Sie sicher, Parker?« Mike Rander saß in seinem Arbeitszimmer und studierte Akten. Josuah Parker hatte ihm einen Drink serviert und die Gelegenheit genutzt, vom Überfall zu berichten. Während Mike Rander seine Frage stellte, schaute er seinen Butler besonders mißtrauisch an. Schließlich wußte er nur zu gut, wie gern Parker sich mit Kriminalfällen befaßte. »Ich möchte einräumen, Sir, daß ich mich zur Zeit mit dem Gedanken trage, einem gewissen Mister Paul Treston etwas Hilfestellung zu leisten.« »Wer ist Paul Treston?« wollte der junge Anwalt wissen. »Der Chefbuchhalter der Wanting-Betriebe, Sir.« »Aha. Und wer sind die Wanting-Betriebe?« »Sie gehören einem gewissen Clive Wanting, in dessen Betrieben Rechen und Datenverarbeitungsmaschinen hergestellt werden.« »Bekannte Firma?« fragte Rander weiter. »In Fachkreisen bekannt, Sir«, erläuterte der Butler, der bereits wieder einmal ungewöhnlich gut und umfassend orientiert war, »die Wanting-Betriebe beliefern die NASA und stellen Kompakt-
Computer für die Raumfahrt her.« »Hört sich sehr gut an. Und warum braucht nun der Chefbuchhalter dieser Betriebe Ihre Hilfestellung? Warum wendet er sich nicht an seinen Chef, diesen Clive Wanting?« »Das ist leider ausgeschlossen, Sir, da Mister Wanting verschwunden ist. Schon seit zwei Tagen! Mister Treston, besagter Chefbuchhalter, weiß nun nicht, wie er sich verhalten soll.« »Hat Trestons Chef denn nicht hinterlassen, wo er zu finden ist?« »Er wollte wegen einer dringenden Verhandlung nach New York fliegen, Sir, meldete sich aber seit seinem Weggang nicht mehr. Mister Treston rief in New York an, dort wartete man vergeblich auf Mister Wanting.« »Wie kamen Sie an Paul Treston?« wollte Mike Rander wissen. »Wieso wandte er sich ausgerechnet an Sie?« »Eine flüchtige Bekanntschaft ohne jede tiefere Bindung«, erwiderte der Butler gemessen, »ich lernte Mister Treston vor vielen Monaten einmal in einem Fachgeschäft für Bastler und Hobbyfreunde kennen. Er erinnerte sich meiner und rief mich an diesem Abend an. Genau gesagt, wenn meine Uhr mich nicht trügt, vor anderthalb Stunden.« »Und vor einer halben Stunde wollte man Sie erschießen! Sehen Sie da einen Zusammenhang?« »Ich glaube nicht, Sir, möchte diese Möglichkeit allerdings auch nicht ausschließen.« »Welchen Rat haben Sie diesem Chefbuchhalter Treston gegeben, Parker?« »Ich riet ihm, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen, Sir.« »Ausgezeichnet, Parker. Genau das hätte ich jetzt auch vorgeschlagen. Wenn Sie mich fragen, so wird dieser Clive Wanting bald wieder auftauchen. Kein Fall für uns! Ganz zu schweigen davon, daß wir dazu auch gar keine Zeit hätten!« »Ich darf bemerken, Sir, daß die beiden Gangster, die mich zu erschießen trachteten, zu der Sorte der sogenannten Profis gehören.« »Den Eindruck habe ich auch, Parker, aber mit Treston und dem Verschwinden seines Chefs hat das überhaupt nichts zu tun.« »Ich habe mir erlaubt, mir das Kennzeichen des Buick zu merken, in dem die beiden Täter flüchteten«, sagte Parker weiter. »Schön, ich habe begriffen.« Mike Rander stand auf und nickte. »Sie wollen natürlich herausbekommen, warum man Sie erschie-
ßen wollte. Kann ich sehr gut verstehen. Setzen Sie sich also mit Lieutenant Madford in Verbindung. Er kann ja herausfinden lassen, wem der Buick gehört. Wahrscheinlich wurde er gestohlen, was Sie dann nicht weiterbringen wird.« »Ich möchte mir erlauben, Sir, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Auch Gangster pflegen hin und wieder Fehler zu machen.« »Schön, tun Sie, was Sie mal wieder nicht lassen können, Parker, aber lassen Sie mich in Ruhe…! Ich möchte damit nichts zu tun haben. Wir haben uns verstanden?« »Vollkommen, Sir. Ich werde mich bemühen, Sie nicht zu tangieren.« Parker verbeugte sich knapp und verließ würdevoll das Arbeitszimmer seines jungen Herrn. Er brannte darauf, aktiv zu werden. Seit der Lösung seines letzten Kriminalfalls war schon viel zuviel Zeit verstrichen. Parker wollte sich wieder betätigen und seine reichlich bemessene Freizeit sinnvoll ausfüllen. Parker wollte gerade hinüber in sein Apartment gehen, als das Telefon in der großen Wohndiele anschlug. Parker hob ab und meldete sich. Er zuckte mit keiner Wimper, als auf der Gegenseite sich ein gewisser Paul Treston meldete. »Was kann ich für Sie tun, Mister Treston?« erkundigte sich Parker höflich und würdevoll. »Ich… also… Hören Sie, Mister Parker!« Paul Trestons Stimme war schrill und verriet Panik, »hören Sie, Mister Parker… ich… Mein Chef ist erschossen worden…!« * In unmittelbarer Nähe des City Golf Course verließ Josuah Parker sein hochbeiniges Monstrum und schaltete die Lichter aus. Dann orientierte er sich eingehend. Durch die Frontscheibe seines Privatwagens studierte er die Front eines modernen Apartmenthauses, von wo aus Paul Treston angerufen hatte. Das Haus war noch ziemlich neu. Es gab einen roten Baldachin, der sich von der Tür quer über den Gehsteig bis hinüber zur Fahrbahn spannte. Auf einem Parkplatz standen teure Wagen. Sie allein deuteten daraufhin, daß die Mieten in diesem Apartmenthaus nicht gerade niedrig waren.
Parker stieg aus. Vorsichtig, wie er nun einmal war, rechnete er selbstverständlich mit einer Falle. Der Vorfall im Lincoln Park wirkte immerhin noch in ihm nach. Nichts ereignete sich, als er auf den Eingang des Apartmenthauses zuschritt. In der großen Halle herrschte vornehme Ruhe. Ein Hauswart war nicht zu sehen. Parker nahm den Lift und fuhr hinauf in die dritte Etage. Von dort aus hatte Paul Treston angerufen. Genauer gesagt, vom Apartment Nummer 57 aus. Als er den Lift verließ, kam ihm bereits Paul Treston entgegen. Er war schrecklich aufgeregt und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Paul Treston war ein kleiner, vertrocknet aussehender Mann von gut fünfundfünfzig Jahren, unauffällig und devot wirkend. Er trug einen schlecht sitzenden dunkelgrauen Anzug und ein zerknittertes Hemd mit einer viel zu bunten Krawatte. »Mister Parker!« sagte er hastig, »gut, daß Sie kommen. Ich bin völlig verzweifelt. Mister Wanting… Mister Wanting, verstehen Sie… Erschossen…! Dort in seinem Apartment.« »Ich denke, wir sehen erst einmal nach«, schlug der Butler gelassen vor. »Darf ich Ihnen übrigens empfehlen, eine gewisse Fassung zu zeigen?« Ohne sich weiter um Paul Treston zu kümmern, schritt Parker dann auf das Apartment Nummer siebenundfünfzig zu, dessen Tür weit geöffnet war. Licht fiel in den dämmrigen Korridorgang. »Dort drüben… im Salon«, stotterte Treston und wischte sich erneut den Schweiß von der Stirn, »erschossen!« »Sie sagten es bereits, wenn ich mich recht erinnere«, antwortete Parker fast abweisend, »ich schlage vor, Mister Treston, Sie bleiben hier in der Diele zurück. Ich hoffe, Sie haben im Tatzimmer nichts verändert, oder?« »Nichts, Mister Parker, nichts… rein gar nichts!« »Ausgezeichnet, in der Tat, sehr gut!« Parker nickte würdevoll und betrat den Salon. Mit einem schnellen, umfassenden Blick orientierte er sich. Der Salon war teuer, vielleicht etwas zu protzig eingerichtet. Es gab tiefe Ledersessel, ein Ecksofa, dicke Teppiche, ein Sideboard und einen mächtigen Arbeitstisch in der Nähe des tiefen, breiten Fensters. An der Wand hinter dem Schreibtisch erhob sich ein großer
Schränk, dessen offene Fächer mit Akten und Papieren aller Art bedeckt waren. Ein schlanker, mittelgroßer Mann mit schütterem blondem Haar lag seitlich neben dem Schreibtisch und rührte sich selbstverständlich nicht mehr. Er mochte etwa knapp vierzig Jahre alt gewesen sein. Parker informierte sich weiter. Der Mann neben dem Schreibtisch war von zwei Schüssen niedergestreckt und getötet worden. Diese beiden Schüsse mußten aus nächster Nähe abgegeben worden sein, wie die Schmauchspuren am Anzug bewiesen. »Ich schlage vor, Sie kommen nun herein«, sagte Parker zur Diele hin, »fühlen Sie sich imstande, einige Fragen zu beantworten?« Paul Treston trat zögernd näher und nickte. Scheu sah er zu seinem toten Chef hinüber und wischte sich schleunigst wieder den Schweiß von der mehr als hohen, haarlosen Stirn. »Wann fanden Sie Ihren Chef?« fragte Parker überraschend gezielt. »Ein paar Minuten vor dem Anruf«, antwortete Treston. »Wieso fanden Sie hierher zur Wohnung von Mister Clive Wanting?« »Eine komische Geschichte«, sagte Treston und schüttelte noch nachträglich den Kopf, »ich rief von meiner Wohnung aus noch einmal hier an. Es hätte ja sein können, daß Mister Wanting zurückgekommen war. Und da passierte es, verstehen Sie?« »Kein Wort, wie ich fürchte«, sagte der Butler. »Hier beim Chef wurde abgehoben«, redete Paul Treston hastig weiter, »ich hörte deutlich das Atmen… Und auch das Klicken, als abgehoben wurde. Ich fragte, wer da sei, aber keine Antwort. Da hab’ ich mich sofort in den Wagen gesetzt und bin hierhergefahren.« »Eine äußerst interessante Geschichte«, stellte der Butler fest, »als Sie hier her kamen, war die Wohnung natürlich leer, nicht wahr?« »Stimmt, Mister Parker, die Tür war nur angelehnt, aber die Wohnung war leer. Bis eben auf Mister Wanting! Als ich ihn sah, habe ich Sie sofort angerufen.« »Ein vernünftiger Entschluß«, lobte der Butler zurückhaltend. »Fiel Ihnen übrigens auf, daß die Tatwaffe nicht vorhanden ist?« »Danach habe ich überhaupt nicht gesehen, Mister Parker. Sagen
Sie, was machen wir jetzt…? Mister Wanting ist doch ermordet worden? Ich begreife das einfach nicht…!« »Wann und wo verabschiedete er sich von Ihnen?« »Draußen in der Firma, in Evanstone! Von dort aus wollte er sofort zum Flugplatz fahren. Ich selbst hatte ihm die Flugkarte reservieren lassen.« »Vor zwei Tagen also…!« »Vor genau zwei Tagen. Es war Abend, als er wegfuhr. Und später, als er sich von New York aus nicht meldete, habe ich mehrfach hier in seiner Wohnung angerufen, aber niemals eine Antwort bekommen. Bis eben…!« »Sehr rätselhaft«, bemerkte Parker. »Ich fürchte, Sie werden der Polizei viele Fragen beantworten müssen.« »Natürlich, Mister Parker! Wenn ich nur ahnte, von wem mein Chef umgebracht worden ist! Ich habe keine Ahnung.« »Die Firma Wanting stellt Kompakt-Computer her?« »Ja, ich habe Ihnen ja davon erzählt, Mister Parker.« »Gab es da irgendwelche Neuentwicklungen?« »Mister Wanting experimentierte immer herum, Mister Parker. Ich glaube, er hatte eine ganz neue Sache entwickelt, aber davon verstehe ich als Buchhalter nichts. Ich weiß nur, daß er einen größeren Kredit dafür brauchte. Deshalb wollte er ja in New York mit einer Bankengruppe verhandeln.« »Ich fürchte, ich muß Sie nun nach eventuellen Feinden Ihres Dienstherrn fragen«, meinte Parker. »Sie meinen, ob Mister Wanting Feinde gehabt hat?« »So kann man es natürlich ausdrücken«, räumte der Butler ein, »gab es solche Feinde?« »Wenn es welche gab, kenne ich sie nicht«, erwiderte Treston und schüttelte den Kopf. »Gut, Mister Wanting war nicht gerade ein bequemer Chef, aber man konnte mit, ihm auskommen.« »War er in irgendwelche Affären verwickelt?« »Nein, Mister Parker, ich glaube nicht.« »War er verheiratet?« »Nein… Das heißt, er war mal verheiratet, wurde aber schon vor Jahren geschieden. In letzter Zeit traf er sich häufig mit Miß Norma Calway.« »Wo könnte ich Miß Calway unter Umständen erreichen?« wollte der Butler wissen. Paul Treston nannte eine Adresse, die Parker sich einprägte. Und als er seine nächste Frage stellen wollte, kam
es zu einer jener Überraschungen, die Parker im Grunde seines Herzens liebte. Die Tür zum Apartment wurde jäh aufgedrückt. Vom Salon aus konnte man in die kleine Diele hineinschauen. Parker erkannte zwei Männer, die er vor ganz kurzer Zeit schon einmal gesehen hatte. Es handelte sich um jene beiden Profis, die ihn im Lincoln Park hatten umbringen wollen… Daß sie diesen Plan nach wie vor verfolgten, war eindeutig zu sehen. Beide Männer trugen Schußwaffen und machten einen sehr entschlossenen Eindruck! Leicht hinkend traten sie näher. Wie gut Parkers Schrotladung gewirkt hatte, ließ sich an den vielen Heftpflastern erkennen, die sie mit sich herumtrugen. Die Stimmung der beiden Profis war schlecht. Sie mußte sich tief unter dem normalen Pegel bewegen. Sie ließen dem Butler natürlich keine Chance. Schon deshalb nicht, weil Parker ja auf den Chefbuchhalter Rücksicht nehmen mußte. Parker konnte und durfte es nicht auf eine Schießerei ankommen lassen. Wenigstens jetzt noch nicht. »Ich muß einräumen und gestehen, daß Sie äußerst hartnäckig sind«, sagte Parker zu den eintretenden Mördern. »Leider entzieht es sich meiner Kenntnis, warum Sie mich unbedingt aus dem Weg räumen wollen, wie es im Volksmund so treffend heißt.« Steve, der etwas kleinere der beiden Männer, der auch schon im Lincoln Park die Unterhaltung gepflegt hatte, sah den Butler aus zusammengekniffenen Augen an. Diesmal sagte er nichts, weil ihn ein Heftpflaster im Mundwinkel daran hinderte. Butch, der stämmigere der beiden Mörder, grinste tückisch. »Noch einmal legst du uns nicht rein«, meinte er dann. Dann deutete er mit dem Schalldämpfer seiner Waffe auf Treston und fügte hinzu: »Wer ist das?« »Paul Treston…?« dienerte der Chefbuchhalter sofort. Er hatte längst begriffen, wer diese beiden Männer waren. Er fürchtete um sein Leben. Dementsprechend war auch die Schweißentwicklung auf seiner hohen Stirn. »Und weiter…?« fragte Butch ungeduldig. »Ich… ich bin Chefbuchhalter in den Wanting-Betrieben«, führte Treston näher aus. »Das dort… ist mein Chef…!« Steve und Butch sahen gleichgültig auf den am Boden liegenden
Toten. Parker hatte den Eindruck, daß sie dieses Bild bereits sehr gut kannten. Butch sah seinen Partner Steve fragend an. Parker gewann immer mehr den Eindruck, daß Steve der Mann mit der Initiative war. Ob das aber nun stimmte, spielte im. Augenblick keine Rolle. Hier handelte es sich um zwei Berufsmörder, die sich durch Blicke darüber verständigten, daß auch Paul Treston sicherheitshalber umgebracht werden mußte. Anders ließen sich diese schnellen Blicke nicht deuten. »Bevor Sie etwas tun, was Sie später vielleicht bereuen müssen, sollten Sie sich einen bestimmten Brief ansehen«, sagte Parker, die Aufmerksamkeit wieder auf sich lenkend. »Brief…?« fragte Steve mühsam, denn das Heftpflaster am Mundwinkel störte ihn wirklich. »Einen ganz bestimmten Brief, dessen Kopie ich bei mir trage«, führte der Butler weiter aus. »Das is’ doch wieder so ‘n schmutziger Trick«, meinte Butch mißtrauisch. »Ich kann Ihr Mißtrauen verstehen«, sagte Parker, »natürlich kann ich Sie nicht zwingen, sich diesen Brief anzusehen!« »Wo ist der Brief?« knautschte Steve hervor. »In meiner bescheidenen Brieftasche«, erklärte Parker. »Hol ihn raus, Butch«, sagte Steve zu seinem Partner, »aber paß auf!« »Darauf kannste Gift nehmen«, antwortete Butch. Er grinste Parker an und bedeutete ihm mit einer Bewegung seiner schallgedämpften Handfeuerwaffe, sich etwas zur Wand umzuwenden. Parker gehorchte. Äußerlich sich gelassen gebend, bereitete er sich innerlich auf eine Aktion der Verzweiflung vor. Wenn sein Bluff mißlang, mußte er damit rechnen, daß sofort geschossen wurde. Er fühlte die Mündung der Waffe, die gegen seine Rippen gepreßt wurde. Dann kroch die Hand des Gangsters vorsichtig zu den Revers seines Jacketts hoch und suchte nach der Brieftasche. Parker hielt für den Bruchteil einer Sekunde den Atem an. Jetzt mußte sich zeigen, ob die beiden Gangster überrumpelt werden konnten! Butch, der die Brieftasche aus der Innentasche von Parkers Zweireiher hervorgefingert hatte, trat vorsichtig etwas zurück und gab Parker die Möglichkeit, sich wieder umzuwenden.
Dann wog Butch die Brieftasche prüfend in der Hand. Gleichzeitig sah er verächtlich auf die Brieftasche, deren Deckleder angegriffen und unansehnlich aussah. »Mach sie auf«, sagte Steve, der neugierig geworden war. »Und wenn das wieder so ein übler Trick ist?« warnte Butch. »Dann ist er geliefert«, verkündete Steve drohend. »Nun mach das Ding schon auf…!« Parker sah desinteressiert und gleichgültig aus. Seinem Gesicht war nicht abzulesen, daß sich in der nächsten Sekunde etwas tun mußte. Butch zögerte noch einen kurzen Augenblick, dann klappte er die prallgefüllte Brieftasche auf, aus deren Rändern Briefschaften und Papiere hervorlugten. Und genau in dem Moment, als er diese Brieftasche aufklappte, genau in diesem Moment erlebte er eine äußerst peinliche Überraschung. Die Brieftasche schien in seinen Händen zu explodieren. Eine kleine Feuersäule schoß hervor, die gleichwertig eine grauweiße Nebelwand mit ins Zimmer riß. Funken sprühten, grelles Licht blendete die Augen. Butch sprang verständlicherweise entsetzt zurück. Er setzte sich derart unglücklich von der zu Boden fallenden Brieftasche ab, daß er seinen Partner anrempelte. Steve kam dadurch nicht zum Schuß. Er mußte erst einmal den leicht geblendeten Butch zur Seite stoßen, wenn er ihn nicht aus nächster Nähe treffen wollte. Diese geplante Verzögerung nutzte der Butler weidlich aus. Was ja auch durchaus verständlich war. Parker, der seinen Universal-Regenschirm nach wie vor in Händen hielt, genierte sich nicht, nachhaltig zuzulangen. Steve brüllte auf, als er seine Waffe verlor. Er warf sich auf Parker. Und zwar in dem Augenblick, als Butch gerade trotz hindernder Sicht seinen ersten Schuß löste. Das Resultat war überraschend. Steve wurde getroffen. Nicht besonders schwer, aber es handelte sich immerhin um einen Streifschuß, der ihm die Lust an einer weiteren Auseinandersetzung nahm. Paul Treston sperrte Mund und Nase auf, wie es so treffend umschrieben wird. Er wußte nicht, was sich dort vor seinen Augen in Wirklichkeit
abspielte. Er sah Rauch, Feuer, hörte einen Schuß, hörte ein entsetztes Brüllen und sah dann einen altväterlich gebundenen Regenschirm, der durch die Luft wirbelte. Und als er sich von seiner grenzenlosen Überraschung erholt hatte, stand Josuah Parker steif, gemessen und würdevoll vor zwei Männern, die auf dem Teppich Platz genommen hatten und sich mit ihren Blessuren beschäftigten. »Würden Sie nun die Freundlichkeit haben, mir zu sagen, warum Sie mich unbedingt ermorden wollen?« fragte Parker sich an die beiden Gangster wendend, »ich kann mir vorstellen, daß Sie dies nicht aus einer gewissen Langeweile tun.« Steve massierte sich seinen getroffenen Oberschenkel. Daß es sich um einen Streifschuß handelte, war deutlich zu sehen. Butch fuhr sich gedankenverloren über eine dicke Beule am Hinterkopf und schaute respektvoll auf Parkers Regenschirm. »Ich fürchte, ich werde Sie der zuständigen Polizei übergeben müssen«, redete der Butler weiter. »Wenn schon…!« maulte Butch und verbiß sich die Schmerzen am Hinterkopf. »Sie sind auch noch dran!« stöhnte Steve, der mit der Streifwunde beschäftigt war, die noch nicht einmal sonderlich stark blutete, »Sie bleiben auf der Liste, Parker…!« »Ich kann Ihre Erregung durchaus verstehen«, erwiderte Parker höflich, »verstehen kann ich allerdings nicht, warum Sie sich derart hartnäckig mit meiner bescheidenen Wenigkeit befassen.« »Ich… ich rufe die Polizei an«, erbot sich Paul Treston. »Verlangen Sie Detektivlieutenant Madford oder Sergeant McLean«, bat Parker. »Die Zusammenarbeit mit diesen beiden Herren war bisher immer das, was man recht ersprießlich nennt.« Während Paul Treston ans Telefon ging und die Polizei anrief, musterte enttäuschten und wütenden Eindruck machten. Nach wie vor blieb die Frage unbeantwortet, ob Butch und Steve etwas mit dem Verschwinden und der Ermordung von Clive Wanting zu tun hatten. Wer würde darauf eine Antwort geben können? Parker dachte an die Auskünfte, die Paul Treston ihm erteilt hatte. Der ermordete Clive Wanting wollte Geld für eine seiner Erfindungen auftreiben, für eine Erfindung auf dem Gebiet der Kompakt-Computer. Ging es um diese Erfindung? War Parker ohne sein Dazutun in eine harte Spionageaffäre hin-
eingeschliddert? Wenn das stimmte, konnte er sich auf weitere, mörderische Überraschungen gefaßt machen… * Lieutenant Madford, ein drahtiger, energischer Detektiv, musterte die beiden Gangster Steve und Butch. Dann wandte er sich an Sergeant McLean, der neben ihm stand. »Haben wir die beiden Figuren nicht schon mal gesehen?« fragte er dann. »Sie nennen sich Steve und Butch«, erläuterte der hinzutretende Parker und deutete dann auf den verletzten Steve. »Dies ist jener Mann, der Steve heißt.« »Mir geht ein Licht auf«, sagte McLean, ein großer, breitschultriger Mann von etwa fünfzig Jahren, der, was seine Ausmaße anbetraf, einem Grislybären glich. »Steve Hotchins und Butch Amsen. Erinnern Sie sich, Sir?« »Natürlich erinnere ich mich«, erwiderte Madford zurück. Etwas an ihm erinnerte stets an einen gemäßigten Choleriker. »Affäre Murdoch…! Hotchins und Amsen erhielten damals je drei Jahre!« Steve Hotchins und Butch Amsen schienen überhaupt nicht zuzuhören. Sie wußten, daß sie im Augenblick restlos verspielt hatten. McLean winkte zwei uniformierte Beamte in den Salon, die draußen in der Diele respektvoll gewartet hatten. »Handschellen und abführen«, sagte er, auf die beiden Gangster deutend, »und höllisch aufpassen! Nehmt zwei Streifenwagen, Jungens! Man kann nie wissen…!« Lieutenant Madford wollte etwas sagen, schluckte seine Worte aber hinunter. Er widmete sich Parker und dem Chefbuchhalter Treston. Madford wollte endlich wissen, was anlag. Dementsprechend fielen seine Fragen auch aus. Sie kamen scharf wie Pfeffer. »Ich schlage vor, Sir, Sie unterhalten sich erst einmal mit Mister Treston«, sagte Parker höflich und distanziert. »Er dürfte sich in der Vorgeschichte dieses Falles besser auskennen als meine bescheidene Wenigkeit.« Madford nickte und drängte den immer noch ängstlichen und fassungslosen Paul Treston in eine Ecke des Salons. Dann feuerte er eine Frage nach der anderen ab. Er war damit derart beschäftigt, daß er nicht weiter auf den Butler achtete.
Josuah Parker nutzte seine Chance. An einer ausführlichen Unterhaltung mit Madford war er nicht interessiert. Er brannte darauf, sich mit einer gewissen Norma Calway zu unterhalten, deren Adresse er ja von Treston erfahren hatte. »Ich werde mir die Freiheit nehmen, eine meiner Zigarren zu rauchen«, sagte er zu McLean, der draußen im Korridorgang stand und der Gruppe nachschaute, die gerade im Lift verschwand. Drei uniformierte Polizisten führten Steve und Butch ab. »Sie… Sie wollen rauchen?« sagte McLean und drehte sich entsetzt zu Parker um, »aber bitte nicht hier, Parker. Wir haben unsere Gasmasken nicht mitgebracht.« »Ich bin sicher, daß Sie einen Ihrer kleinen, manchmal geglückten Scherze machen wollen«, entgegnete der. Butler würdevoll. »Von Scherz kann überhaupt keine Rede sein«, wehrte McLean ab, »Sie tun uns allen einen Gefallen, wenn Sie drüben im Treppenhaus rauchen. Da ist die Längslüftung besser!« Parker verzichtete auf eine Antwort. Er konnte einfach nicht verstehen, warum die Spezialmischung seiner Zigarren stets auf eisige bis entsetzte Ablehnung stieß. Er hielt seine Spezialzigarren für unübertroffen. Er beeilte sich, McLean zu verlassen, der natürlich nicht ahnen konnte, daß Parker sich eigentlich nur absetzen wollte. Ohne Verzicht auf Würde, dennoch schnell, eilte Parker zum Lift hinüber, dessen Korb sich, wie die Leuchtanzeige auswies, nach unten senkte. Parker wollte nicht warten, bis der Lift wieder oben war. Daher nahm er die Treppe und stieg nach unten. Er hatte die untere Halle noch nicht ganz erreicht, als er plötzlich dumpfe Schüsse hörte. Sie fielen in schneller Reihenfolge. Bruchteile von Sekunden später peitschten Schüsse anderen Kalibers auf. Sie stammten mit größter Sicherheit aus den Dienstwaffen der Polizei. Parker zog seinen vorsintflutlich aussehenden Colt und beeilte sich, in die Halle zu gelangen. Er wollte die Treppe gerade verlassen, als ein Geschoß dicht an seinem Kopf vorbeizischte und sich in die Wand bohrte. Parker orientierte sich. Neben der geöffneten Lifttür lag ein uniformierter Beamter, der sich nicht mehr rührte. Hinter einer riesigen Blumenvase hatte ein weiterer Beamter De-
ckung genommen und feuerte in Richtung Eingang. Ein dritter Beamter lag hinter einem umgestürzten Sessel und schoß ebenfalls. Aber von Steve Hotchins und Butch Amsen war nichts zu sehen. Sie schienen sich bereits abgesetzt zu haben. Vor dem Haus röhrte ein Wagenmotor gequält auf. Dann kreischten Reifen, die beim schnellen Anfahren übertourten. Wagentüren wurden knallend zugeschlagen. Draußen vor dem ApartmentHaus weitere Schüsse. Die beiden Polizeibeamten erhoben sich. Sie achteten nicht weiter auf den Butler, sondern eilten auf ihren Kollegen zu, der vor der geöffneten Lifttür lag. Dieser Mann war offensichtlich böse getroffen worden. Durch den Eingang stürmten nun zwei Polizeibeamte. Sie sahen ziemlich verschmutzt und mitgenommen aus. Auch sie hielten Schußwaffen in ihren Händen. Wahrscheinlich hatten sie dem davonjagenden Wagen einige Schüsse nachgeschickt, nachdem sie von den Gangstern erst einmal eingedeckt worden waren. Parker zog sich vorsichtig zurück. Aus Erfahrung wußte er, was jetzt folgte, nämlich Verhöre, das cholerische Herumbrüllen Madfords und die allgemeine Hektik, die stets solch einer Schießerei folgte. Parker drückte sich elegant an der Treppe vorbei und verschwand hinter einer unauffälligen Tür hart neben der Treppe. Wahrscheinlich führte sie in die Arbeits- und Wirtschaftsräume dieses großen Hauses. Er wurde nicht enttäuscht. Hinter der Treppe befand sich ein langer Korridorgang, von dem einige Türen abzweigten. Parker wählte jene Tür, die ihm versprach, ihn auf dem schnellsten Weg in den Hinterhof zu bringen. Wenige Minuten später hatte der Butler es geschafft. Er stand im gesuchten Hinterhof und wollte hinüber zu einer schmalen Gasse gehen, die hinter einem geöffneten Hoftor zu erkennen war. Parker schritt würdevoll auf dieses Tor zu. Er überlegte gerade, wie er sich ungesehen in den Besitz seines parkenden Privatwagens setzen konnte, als er plötzlich eine weitere, peinliche Überraschung erlebte. Diese Überraschung bestand in einem Revolverlauf, der ihm nachdrücklich und unmißverständlich gegen den Rücken gepreßt wurde. Worauf Parker blitzschnell reagierte und sicherheitshalber
erst einmal die Arme hochnahm. Er war keineswegs erpicht darauf gleich hier an Ort und Stelle erschossen zu werden…! * »Parker…?« hörte er dann eine erstaunte Stimme hinter sich. »In der Tat, mein Name ist Parker, Josuah Parker«, antwortete der Butler und nahm die Arme langsam wieder herunter. Er wandte sich um, zumal der Druck des Revolverlaufs sofort verschwand. »Mann, da hätte ich ja beinahe Blödsinn angestellt«, sagte ein mittelgroßer Mann mit fleischigem Gesicht und kräftiger Nase, »ich hab’ die Knallerei drüben im Haus gehört und dachte mir gleich, daß sich hier was tun würde.« »Ich möchte annehmen, daß ich Sie kenne«, sagte Parker. Er studierte das Gesicht des Mannes, der seine Waffe gerade wegsteckte, »richtig, sind Sie nicht Mister Dave Lounters?« »Stimmt, Dave Lounters von der Detektei Custer…!« »Natürlich, wie konnte ich nur einen winzig kleinen Moment zweifeln«, entschuldigte Parker sich. »Sie sehen mich erstaunt, Mister Lounters. Darf ich höflichst fragen, was Sie hier tun?« »Sagen Sie mir mal erst, was da drüben im Haus los ist?« »Eine Schießerei… Sie fand wohl im Zusammenhang mit der Ermordung von Mister Clive Wanting statt!« »Wie bitte…? Wanting ist erschossen worden?« Lounters Gesicht war ein einziges Fragezeichen. »Sie kennen Mister Wanting?« »Persönlich nicht, aber wegen Wanting habe ich mich hier aufgebaut. Chefauftrag, verstehen Sie?« »Kein Wort, wenn ich der Wahrheit die Ehre geben soll.« »Wanting hat sich vor einer guten Woche an meinen Chef gewandt, verstehen Sie? Er fühlte sich bedroht. Um was es genau ging, weiß natürlich nur Custer. Schön, er schickte mich los! Seit drei Tagen bin ich hinter Wanting her und lasse ihn nicht aus den Augen.« »Sind Sie vollkommen sicher?« fragte Parker, dem diese lapidare Erklärung kaum reichte. Er dachte an den Toten oben im Apartment. Und erst jetzt fiel ihm tatsächlich ein, daß Wanting erst vor
ganz kurzer Zeit niedergeschossen worden sein mußte. Das hatte man an gewissen Merkmalen leicht ablesen können. »Natürlich bin ich sicher«, antwortete Lounters, »seit drei Tagen wird Wanting wechselnd unter Sichtkontrolle gehalten.« »Wann haben Sie ihn heute zuletzt gesehen?« »Na ja, ich würde sagen, so ungefähr vor zwei oder zweieinhalb Stunden. Er ließ seinen Schlitten drüben in einer Querstraße stehen und ging zu Fuß hier durch die Gasse rüber ins Haus. Kurz danach flammte Licht in seinem Apartment auf. Ich sah ihn auch deutlich am Fenster stehen. Übrigens war er nicht allein.« »Ihre Hinweise sind außerordentlich interessant«, stellte Parker fest, »wissen Sie zufällig, wer sich zusätzlich in seiner Wohnung befand?« »‘ne Frau… Ich glaube, es war diese Calway, seine Freundin, verstehen Sie?« »Ich bemühe mich jedenfalls«, sagte Parker, »Sie hörten im Verlauf dieser zweieinhalb Stunden keine Schüsse.« »Nichts! Das heißt, unter uns, Parker, ich“ war mal für ‘ne halbe Stunde drüben in ‘ner kleinen Bierbar und hab’ ein paar Hamburger gegessen…!« »Reißen Sie mich bloß nicht rein«, bat Lounters. »Sie wissen doch, wie Custer ist! Der schmeißt mich glatt raus. Gibt ohnehin Stunk, wenn er von diesem Mord hört!« »Mister Wanting kam also allein, als Sie ihn verfolgten?« »Er war allein, das ist sicher, Parker. Ich schätze, die Frau hat schon oben in seinem Apartment auf ihn gewartet, sagen Sie, ob sie’s getan hat…?« »Das entzieht sich meiner Kenntnis!« »Wie kommen Sie eigentlich hierher?« wollte Dave Lounters wissen und rieb sich den Rücken seiner kräftigen Nase. Parkers erster Eindruck verstärkte sich noch etwas. Lounters schien mindestens ein halbes Dutzend dieser flüssigen Alkohol-Hamburger zu sich genommen zu haben. Er stand nicht mehr vollkommen sicher auf den Beinen. »Mister Wantings Chefbuchhalter, ein gewisser Mister Treston, bemühte sich um meine Wenigkeit«, erläuterte Parker, »laut Mister Treston ist Mister Wanting schon seit zwei Tagen verschwunden, beziehungsweise nicht mehr in der Fabrik gewesen!« »Kann schon stimmen«, gab Lounters grinsend zurück, »ich weiß genau, daß er nicht in seinem Betrieb war… Er fuhr vor zwei Ta-
gen raus zum Flugplatz. Da war ich gerade mal wieder auf ihn angesetzt, aber er gab dort nur seine Flugkarte zurück und brauste wieder runter in die Stadt. Dann war er laufend unterwegs, Sie verstehen? Wenn Sie mich fragen, hatte er Angst! Mächtige Angst sogar. Drüben im Loop stieg er als Mister Brown in einem kleinen Hotel ab, dort wohnte er auch bis jetzt, ich meine, bis eben, als er sich auf die Socken machte und hierher zurück in seine Wohnung fuhr.« »Von wem fühlte Mister Wanting sich bedroht?« stellte der Butler seine nächste Frage. »Keine Ahnung, da müssen Sie den Chef fragen, verstehen Sie…? Custer läßt doch niemals die Katze aus dem Sack, dieser verdammte Geheimniskrämer… Ich weiß nur, daß Wanting Angst hatte, von irgendwelchen Burschen umgelegt zu werden.« »Eine durchaus begründete Angst, wie sich zeigte«, entgegnete der Butler. »Sie entschuldigen mich jetzt bitte, Mister Lounters. Ich habe noch zu tun!« »Ich werd’ auch abhauen und dem Chef Bescheid sagen«,’meinte Lounters und rülpste diskret. »Nochmals, Parker, reißen Sie mich bloß nicht rein…! Custer geht sonst an die Decke, verstehen Sie?« Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und verschwand in der schmalen dunklen Gasse. Er war durchaus zufrieden, daß er diesen Dave Lounters getroffen hatte. Gewisse Dinge und Möglichkeiten schälten sich nun heraus. Laut Lounters hatte Mister Wanting sich also bedroht gefühlt. Und deswegen hatte er sich an die Detektei Mike Custer gewandt, eine Detektei, mit der Parkers junger Herr, Mike Rander, schon einige Male zusammengearbeitet hatte. Vor knapp einem Jahr zum letzten Mal, wie Parker sich erinnerte. Der Butler erreichte eine Nebenstraße und kam von dort aus zurück auf die Hauptstraße, wo sein hochbeiniges Monstrum stand. Er verzichtete darauf, seinen geplanten Ausflug zu einer gewissen Norma Calway zu unternehmen, sondern schlenderte harmlos zurück zum Eingang des Apartment-Hauses, wo Sergeant McLean bereits ungeduldig auf ihn wartete. Parker hütete sich, auch nur ein einziges Wort über seine Unterhaltung mit Lounters zu sagen. Diskret wie er war, wollte er solche Dinge nicht an die unnötig große Glocke hängen…!
* »Und was sagte Madford zu dieser ganzen Geschichte?« fragte Mike Rander eine gute Stunde später, nachdem der Butler sich bei ihm zurückgemeldet hatte. »Ich fürchte, Sir, man mußte seine Äußerungen als unqualifiziertes Toben bezeichnen«, erwiderte der Butler, der seinem jungen Herrn natürlich einen genauen Bericht erstattet hatte. »Kann ich mir vorstellen.« Mike Rander schüttelte immer noch ungläubig den Kopf. »Drei Polizeibeamte bringen zwei Gangster nach unten zum Wagen und werden aus dem Hinterhalt heraus überfallen. Die beiden Gangster verschwinden spurlos und lassen nur diesen toten Clive Wanting zurück…!« »Auch ich war das, Sir, was man gemeinhin schockiert nennt«, gestand der Butler. »Diese Zwischenfälle haben mir allerdings eindeutig bewiesen, daß der Überfall im Lincoln Park auf meine bescheidene Wenigkeit in einem direkten Zusammenhang mit dem Verschwinden und der Ermordung von Mister Wanting steht.« »Das kann man wohl sagen«, pflichtete Mike Rander seinem Butler bei. »Eindeutiger geht’s nicht…! Aber warum hat man Wanting erschossen? Und warum ist man so hartnäckig hinter Ihnen her? Es ist doch wohl so, daß Sie gleich nach Ihrem Gespräch mit dem Chefbuchhalter Treston ebenfalls erschossen werden sollten.« »Diesem Eindruck kann ich mich in der Tat nicht verschließen, Sir.« »Demnach muß Treston doch also beschattet worden sein! Demnach muß Ihre Unterhaltung mit ihm genau mitverfolgt worden sein. Wo fand diese Unterhaltung mit Treston statt?« »In einer seriösen Bar, Sir, die dazu noch recht gut besucht war. Ich könnte Ihnen nicht sagen, ob mir während dieser Unterhaltung etwas aufgefallen ist.« »Treston bestimmt auch nicht…!« Rander drückte die gerade angerauchte Zigarette im Aschenbecher aus und blieb dann nachdenklich neben dem großen Fenster stehen, durch das man hinaus auf den nächtlichen See schauen konnte. »Sie rechnen also mit irgendeiner Spionagegeschichte?« »Ich möchte mich auf keinen Fall unnötig festlegen, Sir«, erwiderte Josuah Parker in seiner höflich-vorsichtigen Art, »es hat allerdings den Anschein, wie ich schnell hinzufügen möchte.«
»Na schön, zerbrechen wir uns jetzt nicht unnötig den Kopf, Parker! Ich werde morgen mit Mike Custer reden. Er muß mir sagen, warum Wanting sich hilfesuchend an ihn gewandt hat. Ich muß wissen, vor wem er sich fürchtete. Vielleicht bringt uns das weiter.« »Sie kennen Mister Custer gut, Sir?« »Nun ja, wir sind nicht gerade befreundet! Sie wissen doch, Custer hat früher mal hin und wieder für mich gearbeitet. Auf dem Umweg über das Anwaltbüro selbstverständlich.« »Darf ich fragen, Sir, warum Sie auf die weiteren Dienste von Mister Custer verzichteten?« »Wegen irgendwelcher Spesengeschichten…!« Als Mike Rander den fragenden Blick seines Butlers bemerkte, fügte er hinzu: »Custer ging darin sehr pauschal vor… Ich will nicht gerade sagen, daß er betrog, aber er legte verschiedene Abmachungen sehr weitherzig aus! Daraufhin trennten wir uns.« »Sie kennen Mister Custer gut Sir?« »Custer ist ein kleiner, dicker, gerissener Bursche. Sehr tüchtig in seinem Fach. Sehr clever! Er hat seine Privatdetektei sehr schön hochgebracht und beschäftigt jetzt gut ein Dutzend Leute. Er scheint sich in seiner Branche durchgesetzt zu haben.« Parker deutete das anschließende Gähnen seines jungen Herrn vollkommen richtig. Er erkundigte sich noch nach irgendwelchen Wünschen, um sich dann von Mike Rander für den Rest der Nacht zu verabschieden. Parker ging hinüber in sein Apartment und begab sich zu Bett. Lange noch lag er wach herum und dachte nach. Es gab da gewisse Dinge, die ihm bereits jetzt schon nicht mehr schmeckten. Er wollte gerade das Licht ausschalten, als das Telefon sich meldete. Da Parker die Hauptleitung auf seinen Privatanschluß umgestellt hatte, um Mike Rander eine ungestörte Nachtruhe zu bescheren, brauchte er nicht aufzustehen, sondern nur seinen rechten Arm zu bemühen. Er hob den Hörer des Nebenapparates ab und meldete sich. Parker, wurde nicht enttäuscht. Mit solch einem oder ähnlichen Anruf hatte er eigentlich die ganze Zeit über schon gerechnet. Er kannte doch die Praktiken gewisser Gauner und Gangster, die es einfach nicht lassen konnten, dumpfe Drohungen auszustoßen. »Hören Sie, Parker«, sagte eine verzerrt und undeutlich klingende Stimme, »Sie wissen, daß wir verdammt hartnäckig sein können.
Bisher haben Sie Glück gehabt. Aber morgen, irgendwann im Laufe des Tages, sind Sie reif… Es sei denn, Sie setzen sich sofort ab und nehmen sich für die kommenden Wochen ‘nen längeren Urlaub, klar?« »Ich verstehe, um der Wahrheit die Ehre zu geben, natürlich kein Wort«, antwortete der Butler, »könnten Sie sich unter Umständen etwas präziser ausdrücken?« »Sie stecken Ihre dreckige Nase in Dinge, die Sie nichts angehen! Bin ich jetzt deutlicher gewesen?« »Oh, ich vermute, Sie spielen auf den Fall Clive Wanting an, ja?« »Du lieber Himmel, kapieren Sie aber schnell«, kam die ironische Antwort. »Denken Sie an meine Warnung! Falls Sie morgen noch hier in der Stadt sind, hetze ich meine Leute auf Sie…! Den Abend werden Sie dann mit Sicherheit nicht mehr erleben…« »Sie scheinen mich gut zu kennen«, antwortete Parker, der plötzlich wußte, worüber er nachgedacht hatte. »Und ob ich Sie kenne…!« »Auf der anderen Seite kennen Sie mich nun wieder gar nicht«, redete der Butler dann weiter. »Sie müßten sonst wissen, daß ich mich niemals einschüchtern lasse. Es würde meinen ureigensten Prinzipien widersprechen, wie ich beiläufig feststellen möchte…!« Nachdem der Butler diese Feststellung getroffen hatte, legte er auf und löschte das Licht. Er gedachte einen erholsamen Schlaf zu tun. Daran vermochte auch dieser Anruf nichts zu ändern…! * Nach gut einer Stunde wurde Parker wach. Nicht sein stets wacher Instinkt hatte ihn geweckt, sondern ein dunkles Schnarren. Parker richtete sich auf, schaltete das Leselicht ein und stellte erst einmal den elektrischen Schnarrer ab, der sich neben seinem Bett an der Wand befand. Das bewußte Schnarren hatte ihm auf elektrischem Weg angezeigt, daß ungebetener Besuch draußen vor der Tür stand. Der noch unbekannte Besucher wußte natürlich nicht, daß er ungewollt Alarm geschlagen hatte. Er konnte ja nicht wissen, wie leidenschaftlich gern der Butler bastelte und wie gut und raffiniert er den Dachgarten samt dem Penthouse abgesichert hatte.
Parker kleidete sich schnell an, ging dabei aber nicht hastig vor. Gemessenheit und Würde zeichneten ihn auch in der jetzigen Situation aus. Nachdem er korrekt angekleidet war, schaltete er den Schnarrer wieder ein. Er meldete sich nach wie vor, ein sicheres Zeichen dafür, daß der unbekannte, nächtliche Besucher immer noch an der Tür herumbastelte, die ihm den Zutritt zum Dachgarten versperrte. In der Wohndiele des Penthouse öffnete der Butler einen kleinen Wandschrank und schaltete das darin befindliche Fernsehgerät ein. Auf dem kleinen Bildschirm war wenig später eine mittelgroße Gestalt zu erkennen, die tatsächlich vor der Tür zum Dachgarten stand und sich angestrengt abmühte, das komplizierte Schloß zu knacken. Parker hatte genug gesehen. Er griff nach der schwarzen Melone und nach seinem Universal Regenschirm. Dann legte er einen kleinen Hebel um, der sich ebenfalls im Wandschrank befand und betrat eine kleine Garderobenkammer, die völlig unverfänglich aussah. Diese begehrte Garderobe, in der selbstverständlich Hüte und Mäntel untergebracht waren, hatte so etwas wie einen doppelten Boden. Auf einen Knopfdruck hin schwenkte die Rückfront dieser Garderobe zur Seite und gab eine steile Wendeltreppe frei. Ohne zu Zögern stieg der Butler nach unten. Auf diesem direkten Weg kam Parker hinunter in die darunter befindliche Etage, die ebenfalls zu Mike Randers Räumen gehörte und in der sich eine Scheinfirma befand, in der nie gearbeitet wurde. Die Wendeltreppe endete hier in einem großen Rollschrank, aus dem der Butler wenig später hervortrat. Auf diesem Weg war es ihm gelungen, den Dachgarten zu verlassen, ohne gesehen zu werden. Ein Fluchtweg oder ein Geheimzugang zum Penthouse, der sich schon oft ausgezahlt hatte! Wenn es sein mußte, konnten Josuah Parker oder sein junger Herr sogar noch eine weitere Etage darunter erreichen. Ebenfalls auf dem Weg über eine getarnt angebrachte Wendeltreppe. Da Mike Rander der Besitzer dieses riesigen Bürohochhauses war, hatte er sich diesen räumlichen Luxus leisten können. Parker dachte nicht daran, den Türknacker zu überraschen. Ihm kam es darauf an, diesen nächtlichen Besucher später diskret zu verfolgen. Er wollte herausfinden, mit wem er es zu tun hatte und
wo dieser Besucher wohnte. Nachdem der Butler die Räume der Scheinfirma verlassen hatte, benutzte er die Feuertreppe nach unten. Es handelte sich, wie bei allen Neubauten, natürlich um eine feuersichere Innentreppe, die bis hinunter ins Erdgeschoß führte. Dort angekommen, suchte Parker die Tiefgarage auf und setzte sich an das Steuer seines hochbeinigen Monstrums. Er fuhr hinaus zur Straße und hielt dort an. Dann schaute er auf seine Uhr. Er hatte genau gestoppt, wann er den kleinen Hebel im Wandschrank der Diele umgelegt hatte. Seiner Schätzung nach blieben dem nächtlichen Besucher vor der Tür nur noch zehn Sekunden. Es konnte demnach nicht mehr lange dauern, bis dieser Mann ebenfalls unten auf der Straße auftauchte…! * Der mittelgroße Mann vor der Tür mühte sich verzweifelt ab, das Schloß zu knacken. Sein ohnehin schon fleischiges, gedunsenes Gesicht hatte sich vor Anstrengung vollkommen verzerrt. Der Mann zweifelte schon seit Minuten an seinem Können. Verständlich, wenn man bedenkt, daß er bisher fast jedes gängige Türschloß hatte bewältigen können. Der Mann beugte sich gerade wieder zum Türschloß hinunter und leuchtete es mit einer kleinen, aber leistungsstarken Taschenlampe an, als er auf der ganzen Linie überrascht wurde. Seine Hand, die den komplizierten Nachschlüssel führte, schien urplötzlich von einem starken, unerklärlichem Tremor befallen zu sein. Die Finger samt Hand zitterten wie Espenlaub. Nur bedeutend stärker und nachhaltiger…! Und dieses Zittern griff prompt auf den ganzen Körper des Mannes über. Ein böser Schüttelfrost schien ihn zu packen. Ein Schüttelfrost, der sich fast bis zur Raserei steigerte. Der entsetzte Mann wollte seine Hand zurückziehen, doch das gelang nicht sofort. Der starke Stromstoß, auf keinen Fall natürlich lebensgefährlich, hielt ihn fest und schüttelte ihn weiter durch. Bis der Zeitkontakt ablief. Der Mann, endlich befreit vom Strom, sackte kraftlos in sich zusammen und starrte mit entsetzten Augen auf die Tür, die sich
auf geheimnisvolle Art und Weise so nachdrücklich gewehrt hatte. Doch damit nicht genug. Parker hatte seinerzeit beim Bau dieser Abwehranlage daran gedacht, daß erschöpfte und schweißüberströmte Eindringlinge einer kräftigen Erfrischung bedurften. Der kraftlos in sich zusammengesackte Mann wurde ohne jede Vorwarnung aus einigen versteckt angebrachten Druckdüsen mit eiskaltem Wasser übergossen. Der Eindringling sprang hoch, als sei er von einer Peitschenschnur getroffen worden. Während ihm das Druckwasser um die Ohren knallte, flüchtete er sich hinüber zum Lift, dem einzigen Zugang zu dieser kleinen viereckigen Diele. Doch die Tür zum Lift ließ sich erstaunlicherweise nicht öffnen. Erstaunlicherweise für den Eindringling. Auf keinen Fall aber für den Butler, denn er hatte schließlich all jene Überraschungen entworfen und eingebaut. Innerhalb weniger Sekunden wirkte der Eindringling wie ein begossener Pudel. Von den Druckstrahlen immer wieder durchgebeutelt und herumgeworfen, zerrte der Mann verzweifelt am Griff der Lifttür, die sich nach wie vor nicht öffnen ließ. Bis auch hier der Zeitkontakt abgelaufen war. Und die Tür sich endlich öffnen ließ. Zitternd am ganzen Leib, raste der Eindringling mit dem Lift hinunter in die große Empfangshalle im Erdgeschoß. Er kroch auf zitternden Knien aus dem Lift und schleppte sich entkräftet durch die leere und dunkle Halle hinüber zur großen Glastür. Dann endlich hatte er es geschafft und konnte zu seinem Wagen laufen, der hart am Straßenrand parkte. Bevor er einstieg, sah er noch einmal an der hohen dunklen Hauswand hinauf. Nichts war zu sehen. Nichts war zu hören. Und dennoch hatte er das sichere Gefühl, spöttisch ausgelacht zu werden. Der Mann mit dem fleischigen Gesicht setzte sich ans Steuer und fuhr los. Sein Bedarf war restlos gedeckt, wie der Volksmund es wohl treffend ausgedrückt hätte. Er wollte so schnell wie möglich zurück in vertraute Gefilde, wo mit bösen Überraschungen nicht zu rechnen war. Und er nahm sich vor, sich auf solche Abenteuer nicht mehr einzulassen, mochte das versprochene Honorar auch noch so hoch sein. Es gab eben Dinge, die mit Geld nicht zu be-
zahlen waren. Der Mann mit dem gedunsenen Gesicht war derart mit sich beschäftigt, daß er überhaupt nicht auf den nächtlichen Straßenverkehr achtete. Immer wieder mußte er an die überraschenden Dinge denken, die ihm passiert waren. Im nahen Loop angekommen, ließ er den Wagen in einer Seitenstraße der Randolph Street stehen und rannte förmlich durch einen dunklen Torbogen in einen Innenhof hinein, wo er in einem Anbau verschwand. Parker, der ihm selbstverständlich wie geplant gefolgt war, nahm dieses Detail ungerührt zur Kenntnis. Seine Neugier hatte sich damit allerdings noch längst nicht erschöpft…! * Im Erdgeschoß des Anbaues gab es eine Reihe von Fenstern, deren Scheiben aus dickem Milchglas bestanden. Neben dem Eingang zum Erdgeschoß war eine Art Firmenschild angebracht. Daraus ging hervor, daß in diesem dreistöckigen Anbau eine Sauna samt Bodybuilding-Institut untergebracht waren. Parker drückte die unverschlossene Tür vorsichtig auf. In dem dahinterliegenden Treppenhaus brannte eine Art Notlicht. Rechts an der Wand führte eine relativ steile Treppe hinauf in die erste Etage. Links von der Treppe ging es hinüber zu den Räumen der Sauna. Parker war nicht auf Vermutungen angewiesen. Richtungspfeile erklärten eindeutig, wo was zu finden war. Im Gegensatz zu dem schäbigen Äußeren des Anbaus war im Innern nicht an Farbe gespart worden. Alles machte zumindest einen sauberen Eindruck. Wohin mochte der Mann mit dem gedunsenen Gesicht gegangen sein? Parker entschied sich für das Erdgeschoß. Er hielt auf die Pendeltür aus Glas zu, die links von der Treppe weit im Hintergrund zu sehen war. Unterhalb der Treppe gab es dort auch eine Art Kassenschalter. Ein Beweis dafür, daß es sich hier keineswegs um eine private Anlage handelte, sondern um ein Unternehmen, das auf Einkünfte angewiesen war. Parker drückte die Pendeltür aus dickem Milchglas auf und stand in einem querlaufenden, schmalen Korridor, von dem einige Türen abzweigten.
Er hörte eine aufgeregte Stimme, die gequetscht klang. Sie paßte zu dem Mann, den Parker so diskret verfolgt hatte. Dieser Mann schien von einem Zimmer aus zu telefonieren. Josuah Parker genierte sich nicht, genauer hinzuhören. Er wollte ja schließlich wissen, mit wem er es zu tun hatte. Er pirschte sich näher an eine der Türen heran und warf einen Blick in das dahinter liegende Zimmer. Es handelte sich eindeutig um einen Büroraum, der mit hellen, modernen und sehr zweckmäßigen Möbeln eingerichtet war. Neben einem der beiden Schreibtische stand der Mittelgroße. Er wandte Parker den Rücken zu. Er tropfte noch aus allen Nähten und redete aufgeregt in den Telefonhörer hinein. »… keine Ahnung, Boß, aber reinkommen is’ nicht! Nein, wirklich nicht! Dieser verdammte Bursche muß die Tür unter Strom gesetzt haben… Ich hab’ vielleicht einen gewischt bekommen…! Und dann setzte man mich noch unter Wasser! Wie, ob ich zuviel getrunken habe, Boß? Keinen Tropfen! Nein, ich phantasiere auch nicht, ich weiß nur, daß wir so an den Dachgarten niemals rankommen… Sitzt nicht drin! Nein, wirklich nicht!« Parker lobte insgeheim diesen Mann. Wie nüchtern und richtig sah er doch die Möglichkeiten! Ein Hereinkommen auf den Dachgarten war tatsächlich ausgeschlossen. Niemand wußte es besser als Parker. Der Mann am Telefon redete weiter. »Schön«, antwortete er gerade, nachdem er einige Sekunden lang geschwiegen hatte, »versuchen wir’s morgen… Gut, irgendwo auf der Straße. Ist dieser Parker wirklich so gefährlich…?« Die Antwort auf der Gegenseite fiel etwas länger aus. Parker faßte sich in Geduld und wartete weiter ab. Bis der Mittelgroße mit dem gedunsenen Gesicht wieder an der Reihe war. »Wie geht’s Steve und Butch?« fragte er. »Gut…? Prächtig! Da haben wir den Greifern von der Polente ja ganz schön eingeheizt, wie? Klar, Boß, jederzeit! Ich mach’ jetzt Schluß!« Der Mittelgroße legte auf und wischte sich durch das nasse Haar. Dann zündete er sich eine Zigarre an und wandte sich dabei langsam um. Er sah den Butler, doch dieser optische Eindruck brauchte einige Zeit, bis er von seinem Geist erfaßt wurde. Das brennende Streichholz hielt er so lange mit den beiden Fingern fest, bis die Flamme seinen Zeigefinger versengte und er wütend zusammen-
zuckte. »P… P… Parker!« stotterte der Mann dann fassungslos. »Sie scheinen mich zu kennen«, stellte der Butler fest, »ich hatte leider noch nicht das Vergnügen, Ihnen vorgestellt zu werden!« »Wie… wie kommen Sie… Sie denn hierher?« stotterte der Mittelgroße weiter. »Ich erlaubte mir, Ihnen zu folgen«, antwortete der Butler, »mich beeindruckte Ihre Hartnäckigkeit, wenn ich es so ausdrücken darf! Sie verschwendeten viel Kraft daran, meine bescheidene Wenigkeit im Penthouse meines Herrn zu besuchen.« »I…i…ich…?« fragte der Gedunsene gedehnt zurück. »Versuchten Sie nicht, die Tür zum Dachgarten zu öffnen?« erkundigte sich der Butler gemessen. »Ich kann mich doch unmöglich getäuscht haben. Darf ich jetzt und hier erfahren, was Sie von meiner bescheidenen Wenigkeit wünschen? Vielleicht kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein.« »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, stritt der Gedunsene alles ab. »Verschwinden Sie! Hier ist jetzt geschlossen.« »ich werde gehen«, gab der Butler zurück, »vorher möchte ich aber noch erfahren, in wessen Auftrag Sie sich so abmühten. Mit anderen Worten, wer ist jener Boß, mit dem Sie sich eben am Telefon unterhielten?« »Boß…? Ach so! Das ist der Inhaber der Sauna hier. Überhaupt nicht geheimnisvoll!« »Und wie lautet der Name dieses Inhabers, wenn ich diese Frage stellen darf?« »Joe Allinson… Steht ja draußen am Firmenschild!« »Und Sie fungieren, wenn ich richtig unterstelle, als Manager dieses Unternehmens?« »Stimmt haargenau. Und daher sage ich Ihnen noch einmal, daß Sie verschwinden sollen. Oder wollen Sie wegen Hausfriedensbruch angezeigt werden?« »Ich habe leider Ihren Namen vergessen«, entschuldigte sich Parker. »Dan Forster. Ist ja schließlich kein Geheimnis…!« »Darf ich weiterhin fragen, warum ich mir den Unwillen verschiedener Herren zugezogen habe?« »Ich verstehe kein Wort…!« Dan Forster tat nach wie vor ahnungslos. Seine anfängliche Nervosität legte sich von Sekunde zu Sekunde. Er wurde immer selbstsicherer.
»Nun, die beiden Gangster Steve Hotchins und Butch Amsen versuchten immerhin, mich in zwei Fällen zu erschießen. Diese beiden Berufsmörder dürften Ihnen doch nicht unbekannt sein.« »Sie sollten mal zu ‘nem Arzt gehen«, gab Dan Forster frech zurück, »was faseln Sie sich da eigentlich zusammen? Wer sind Steve Hotchins und Butch Amsen? Nie von gehört…!« »Der Name Clive Wanting ist Ihnen natürlich ebenfalls unbekannt, nicht wahr?« »Nie von gehört«, behauptete Dan Forster. Er grinste ironisch. »Wissen Sie was, Parker? Sie sollten für ein paar Monate verreisen und sich irgendwo auf dem Land erholen. Ist für Sie vielleicht sehr gesund!« »Diesen freundlichen Vorschlag machte man mir bereits vor knapp einer Stunde«, antwortete Parker. »Ich denke, ich werde mir dieses Anerbieten einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen.« Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und wandte sich ab. Er ging zurück zur Pendeltür aus dickem Milchglas und… wurde Sekunden später peinlich berührt. Aus dem kleinen Kassenschalter, um den er sich nicht weiter gekümmert hatte, ragte eine Hand hervor. Es war natürlich nicht die Hand allein, die Parker schockierte. In dieser Hand befand sich immerhin ein solide aussehender 45er, dessen Mündung genau auf ihn gerichtet war, eine Geste, die man tunlichst nicht übersehen durfte. Parker blieb stehen und hob höflich die Arme. Er wollte damit kundtun, daß er im Moment überspielt worden war. Er konnte auch nichts dagegen unternehmen, daß hinter ihm schnelle Schritte zu hören waren. Noch weniger Einwände konnte er dagegen erheben, daß ihm ein sandsackartiger Gegenstand auf die schwarze Melone gelegt wurde. Und zwar so nachdrücklich, daß Parker taumelnd in die Knie ging, um sich anschließend würdevoll auf dem Fußboden niederzulegen. Als Parker wieder zu sich kam, fühlte er sich nicht besonders gut. Der Sandsack, den man ihm auf die Melone gelegt hatte, verursachte immer noch einigen Kopfschmerz. Zudem war die Melone tief in seine Stirn getrieben worden. Parker hatte einige Mühe, sie wieder in einen korrekten Sitz zu bringen. Er sah sich interessiert um.
Ohne viel Phantasie war zu erkennen, wo er sich befand. Man hatte ihn in einen kleinen Saunaraum hineingesteckt, der nicht größer als eine Kammer war. Parker lehnte mit dem Rücken gegen die drei steil ansteigenden Liegepritschen. Vor seinen Augen befand sich der Heißdampfentwickler, der erfreulicherweise nicht in Tätigkeit war. Dieser kleine Saunaraum hatte natürlich keine Fenster. Es gab nur oben an der Wand eine Absaugvorrichtung für die heiße, feuchte Luft. Die Tür zur Sauna machte einen ungemein soliden Eindruck. Mit normalen Mitteln war sie gewiß nicht zu öffnen. Parker richtete sich auf. Er war dankbar für das schwache Licht unter der Decke. Die Glühlampen der feuchtigkeitssicheren Kapsel wurde zusätzlich durch ein starkes Drahtgitter geschützt. Parker nahm eine Art Bestandsaufnahme vor. Er wollte herausfinden, was man ihm abgenommen hatte. Nun, er durfte zufrieden sein. Gewiß, Zigarrenetui und Brieftasche waren aus seinen Taschen zwar verschwunden, auch sein vorsintflutlicher Colt fehlte, doch sonst hatte man ihm alles gelassen, selbst den UniversalRegenschirm. Parker setzte sich auf die untere Pritsche und wunderte sich ausgiebig darüber, warum man ihn noch nicht umgebracht hatte. Bisher hatte man dies doch wesentlich energischer betrieben. Waren für die Gangster neue Gesichtspunkte aufgetaucht? Ein feines Zischen erregte seine Aufmerksamkeit. Er sah prompt hinüber zum Heißdampfentwickler, aus dessen Gitter weiße Wölkchen hervorquollen. Diese Wölkchen wurden innerhalb weniger Sekunden zu dicken, kompakten Wolken, die in den engen Raum hineinwallten. Nun war dem Butler alles klar. Feuchte Heißluft sollte ihn ganz sicher nicht in den Genuß einer Saunabehandlung bringen. Man wollte ihn ersticken. Eine sicherere Art gab es nicht. Sie war für die Gangster risikolos. Parker begann höchst ordinär zu schwitzen, wie man sich vorstellen kann. Die feuchte Heißluft öffnete weit seine Poren. Es zeigte sich, daß der Butler für diese Art der Behandlung falsch gekleidet war. Hier ließ sich mit dem würdevoll-korrekten Sitz seiner pechschwarzen Berufskleidung nichts anfangen. Parker berechnete seine Chancen.
Er gab sich, wie schon so oft, wieder einmal keinen Illusionen hin. Es war leicht abzuschätzen, wann ihm die Luft knapp wurde. Alles hing davon ab, wie heiß die Luft war, die man in die Sauna hineinwirbelte, und welche Mengen man ihm vorsetzte. Parker gestattete sich den Luxus, sein schwarzes zweireihiges Jackett auszuziehen. Dann folgten das schneeweiße Hemd, der Stehkragen und die schwarze Krawatte. Anschließend kamen die Schuhe und die Socken an die Reihe. Parker hatte keinerlei Hemmungen. Ihm ging es nur darum, sich etwas Erleichterung zu verschaffen. Das Zischen des Dampfentwicklers wurde giftiger und drohender. Der kleine Saunaraum wurde bereits von heißen Nebeldämpfen gefüllt. Schweiß rann über Parkers Gesicht. Das Licht oben an der Decke war nur noch ein ganz schwaches, schüchternes Glühen. Parker studierte das Innenthermometer. Nachdem er wußte, wie heiß es inzwischen geworden war, schwitzte er womöglich noch mehr. Er ließ sich auf eine der Pritschen nieder und überlegte innerlich kühl, was zu tun war. Um die Tür brauchte er sich erst gar nicht zu kümmern. Er konnte sich sehr gut vorstellen, daß sie so gut gesichert worden war, daß sie sich von innen nicht öffnen ließ. Blieb die Absaugvorrichtung oben an der Decke. Ließ sich dort etwas machen? Parker versuchte auch das erst gar nicht. Sein Verstand sagte ihm, daß die Gangster dafür gesorgt hatten, daß dort oben keine frische Luft zu bekommen war. War der Heißluftentwickler zu zerstören? Gewiß nicht…! Auch in dieser Hinsicht ließen die Gangster sich bestimmt auf kein Risiko ein. Blieb also nur noch die Selbsthilfe. Es ging darum, frische, atembare Luft zu erhalten, wenn auch in vielleicht kleinen Dosen. Diese Selbsthilfe mußte aber in einer Art und Weise ausgeführt werden, daß die Gangster keinen Verdacht schöpften. Daß sie draußen vor der Sauna warteten, konnte sich der Butler leicht ausrechnen. Er überlegte, was er an Hilfsmitteln noch bei sich hatte. Er griff nach seinem schwarzen Zweireiher und suchte unter den Kugelschreibern, die sich an der Innentasche befanden. Er wählte einen Kugelschreiber, der einen soliden Eindruck machte. Nach außen hin handelte es sich dabei um einen Schreiber, der vier
Farben enthielt. Daher sein solides, rundes Aussehen. Parker schraubte diesen Vierfarbenschreiber geschickt auseinander. Statt der vier Minen kam ein Stahlbohrer ans Tageslicht, der sich mit den übrigen Zutaten des Kugelschreibers zu einem kleinen, handlichen, aber ungemein wirkungsvollen Spiralbohrer zusammenfügen ließ. Dann machte sich der Butler an die Arbeit. Schweißüberströmt, bereits hin und wieder nach Luft schnappend, ließ der Butler sich am Fuß der Tür nieder und brachte sein erstes Bohrloch an. Es zeigte sich wieder einmal, wie gut Parkers Werkzeuge waren. Der Bohrer, aus einem hochwertigen Spezialstahl, der sich selbst durch Stahlbeton gefressen hätte, drang leicht und gängig in das Holz ein. Parker schraubte ihn tief und tiefer und scherte sich nicht daran, daß der Schweiß bereits in Bächen an seinem Körper herunterrann. Ihm ging es um frische Luft. Sie allein war in dieser Lage lebensverlängernd. Vorsichtig zog er den Bohrer zurück, als die Spitze ins Leere stieß. Er beugte sich noch tiefer hinab… und nickte zufrieden. Deutlich spürbar war die frische, kühle Luft, die durch das Bohrloch in die überhitzte Sauna drang. Nun wußte der Butler, daß er auf dem richtigen Weg war. Nun ging es darum, noch einige weitere Bohrlöcher anzubringen. Dann konnte ihm kaum noch etwas passieren. Er legte keine Pause ein. Es zeigte sich, wie hartnäckig der Butler war. Er steckte niemals auf. Es zeigte sich aber auch, über welch eine hervorragende Kondition Josuah Parker verfügte. Ein normaler Durchschnittsbürger hätte vor Erschöpfung und Atemnot eine längere Pause einlegen müssen. Parker arbeitete hingegen konzentriert und kraftvoll weiter. Er hörte kaum noch auf das wütende Zischen des Heißdampfes, der in die Sauna hineingetrieben wurde. Er achtete nicht darauf, daß ihm der Schweiß wie Gießwasser aus allen Poren drang. Parker bohrte sein nächstes Loch, dann das nächste. Dann legte er sich flach auf den Boden und brachte Mund und Nase in die unmittelbare Nähe der Bohrlöcher. Tief und konzentriert sog er die frische Luft an. Er wußte, daß er zumindest nicht mehr ersticken konnte. Nun hing alles davon ab, ob er nicht ver-
brüht wurde. Der Heißdampf wurde von Sekunde zu Sekunde immer quälender. Die Hitze auf seinem fast nackten Körper steigerte sich bis zur Unerträglichkeit. Parker kam sich wie ein Krebs vor, der in Kürze serviert werden sollte. Nach einer Ewigkeit – Parker hatte jedes Zeitgefühl verloren und auch nicht die Zeit gehabt, nach seiner unförmigen Zwiebeluhr zu schauen – vermißte der Butler plötzlich etwas. Er nahm den schweißüberströmten Kopf etwas hoch. Und dann erst ging ihm auf, daß das hartnäckige, böse Zischen nicht mehr zu hören war. Man schien die Dampfzufuhr abgestellt zu haben. Genau in diesem Augenblick fühlte Parker sich wie neubelebt. Sein stoßweises Hecheln, sein Luftschnappen an den Bohrlöchern wich einem wesentlich ruhigeren Atmen. Parker spürte instinktiv, daß der Höhepunkt dieser Heißdampfbehandlung überschritten war. Würden die Gangster ihn nun sofort herausholen, oder erst den Heißdampf absaugen? Nun, so schnell, wie Parker es sich gewünscht hätte, ging es nicht. Die Gangster draußen vor dem Saunaraum ließen sich sehr viel Zeit. Parker hatte so unbewußt Zeit und Gelegenheit, sich wieder zu erholen. Nach wie vor brühte ihn der heiße Dampf ab, doch die Hitze steigerte sich nicht mehr. Der Wärmehaushalt seines Körpers konnte sich nun besser auf die in der Sauna herrschende Hitze einstellen. Erst jetzt nahm Parker sich die Zeit, seine Zwiebeluhr zu befragen. Er war überrascht, daß seit seiner Einschließung bereits anderthalb Stunden vergangen waren. Ihm war die Zeit wesentlich kürzer vorgekommen. Da er es haßte, unkorrekt gekleidet zu sein, zwang er sich in seinen Zweireiher. Er gestattete sich nur den Luxus, auf seinen schwarzen Binder zu verzichten. Dann schraubte er den Spezialbohrer wieder zu einem normal aussehenden Kugelschreiber zusammen und wartete auf das Erscheinen der Gangster. Plötzlich richtete der Butler sich auf. Siedendheiß wurde ihm bewußt, daß die drei Bohrlöcher den heißen Dampf ja auch hinausgelassen hatten! Waren die Gangster darauf aufmerksam geworden? Hatten sie Verdacht geschöpft? Hatten sie die ganze Zeit über draußen vor der Saunatür gewartet?
Falls nicht, mußte Parker schleunigst dafür sorgen, daß die Bohrlöcher verschlossen wurden. Er machte sich sofort an die Arbeit. Er zerriß sein Taschentuch, fertigte ein paar Pfropfen an und preßte sie in die drei Löcher hinein. Dann griff er nach seinem Universal Regenschirm und wartete ab. Nach geraumer Zeit – in der Sauna war es etwas erträglicher geworden sah er, daß der Verschlußhebel sich senkte – die Tür wurde vorsichtig aufgezogen. Parker legte sich äußerst malerisch auf der unteren Pritsche zurecht und schloß halb die Augen. »Mann, was ‘ne fürchterliche Hitze«, hörte er eine Stimme, die seiner Schätzung nach Dan Forster gehören mußte, »is’ ja zum Ersticken…! Das hat er bestimmt nicht überlebt, Boß…!« »War ja auch der Zweck der Übung«, erwiderte eine zweite Stimme, die kalt und schneidend klang. »Los, Forster, holen Sie ihn raus!« Durch die halbgeschlossenen Augen beobachtete Parker die Umrisse einer mittelgroßen Gestalt, die sich durch den wallenden Hitzenebel kämpfte. Dann beugte Dan Forster sich über den Butler und… zuckte kaum zusammen, als Parker den bleigefütterten Griff seines Universal Regenschirms gegen Forsters Stirn legte. Dan Forster, der Mann mit dem gedunsenen Gesicht, stöhnte fast wohlig auf. Dann nahm er neben dem Butler Platz und rührte sich vorerst nicht mehr. »Was ist denn, Forster…?« schnitt die Stimme des Bosses durch den weißen Dampfnebel. »Ich… ich schaff es nicht«, ächzte Parker gekonnt und neutral zurück. Schritte näherten sich. Eine weitere Gestalt tastete sich durch den Nebel und passierte den Butler, der bereits hart neben der Tür Stellung bezogen hatte. Der Boß der Sauna merkte nichts. Er stolperte nur über den am Boden liegenden Forster, rutschte auf dem nassen Boden aus und schlug der Länge nach auf die untere Pritsche. Bevor er sich wieder aufgerichtet hatte, verließ Parker würdevoll den engen Saunaraum und schloß korrekterweise die Tür hinter sich. Er vergaß nicht, den schweren Sicherungshebel wieder vorzulegen. Womit die Tür dann bombensicher ver-
schlossen war. Nun taumelte der Butler doch. Der schnelle Übergang vom brühheißen Dampf zur Kühle des Vorraums brachte sein Gleichgewicht etwas in Unordnung. Parkers Blutgefäße mußten sich erst auf die neue Temperatur einstellen. Sein Kreislauf mußte sich einregulieren. Parker nahm auf einer Bank Platz und sog langsam und vorsichtig die vergleichsweise kalte Luft ein, die hier im Vorraum herrschte. Es dauerte schon einige Sekunden, bis er wieder einigermaßen fit war. Er gestand sich nachträglich ein, daß die Gangster ihn wohl früher oder später geschafft hätten, falls es ihm nicht gelungen wäre, die drei kleinen Bohrlöcher anzulegen. Parker brachte seinen schwarzen Binder in die richtige Lage. Dann stand er auf, rückte sich die schwarze Melone zurecht und interessierte sich anschließend für die Armaturentafel links an der Wand. Da er technisch interessiert und versiert war, kam er schnell hinter die Bedeutung der einzelnen Knöpfe und Schalthebel. Es gab vor allen Dingen ein großes, geriffeltes Handrad, mit dem man den heißen Dampf in die Sauna einströmen lassen konnte. Es gab ferner einen Drehschalter, mit dem sich die gewünschten Hitzegrade einrichten ließen. Parker brauchte nur zuzulangen, um die beiden eingeschlossenen Gangster in Siedehitze zu bringen. Ein verlockender Gedanke. Parker hatte alle Möglichkeiten, sich umgehend zu revanchieren. Doch er verzichtete auf diese Revanche. Sie war seiner bescheidenen Ansicht nach zu gefährlich. Er wußte ja nicht, wie es um den Kreislauf der beiden Gangster stand. Konnten sie diese Hitzegrade vertragen? Parkers Hand zog sich vorsichtig von der Schalttafel zurück. Es genügte wohl, wenn die beiden eingeschlossenen Gangster in der abklingenden Hitze des Saunaraums bieten. Für sie war es sicher noch heiß genug! * Parker nahm sich die Freiheit, die Räumlichkeiten der Saunaanlage zu besichtigen. Im Erdgeschoß, so fand er bald heraus, gab es neben der Klein-
sauna noch eine Art irisch-römisches Bad, Duschanlagen, Massageräume und einen großen Raum mit einzeln installierten Schwitzkästen. Anschließend besuchte Parker die erste Etage. Hier waren die diversen Büroräume untergebracht. Sie ließen darauf schließen, daß der Kundenbesuch der Allinson-Sauna recht gut sein mußte. Neben den eigentlichen Büroräumen gab es noch eine Art Verkaufsraum. Hier konnten die Kunden Spezialitäten an Duftwässern und Seifen erstehen, um später zu Hause ihre Gesundheitskuren fortsetzen zu können. Womit Parkers Interesse aber immer noch nicht erloschen war. Er wußte ja, daß das Haus noch eine dritte Etage besaß. Den Zugang dazu fand er hinter einer Tapetentür im Korridor der zweiten Etage. Eine steile Treppe führte hinauf in eine Wohndiele. Von hier zweigten die Privaträume des Saunabesitzers ab. Parker sah sich einen Raum nach dem anderen an. Er merkte sehr schnell, daß Mr. Allinson sehr gut verdiente. Die Einrichtung war sehr komfortabel. Allinson hatte zusammengetragen, was gut und teuer war. Nichts aber deutete darauf hin, daß dieser Joe Allinson, der zusammen mit seinem Manager Dan Forster in der Kleinsauna briet, ein Gangster war. Nun, Parker hätte sich darüber auch nur gewundert, denn die Erfahrung hatte ihn längst gelehrt, daß besonders einflußreiche Gangsterbosse sich immer erfolgreich zu tarnen verstanden. Parker wollte den Arbeitsraum Mr. Allinsons gerade wieder verlassen, als das Telefon klingelte. Parker ging ohne zu zögern an den Schreibtisch und hob den Hörer ab. »Ja…?« fragte er undeutlich und gedehnt. »Wie steht’s?« wollte eine verzerrt klingende Stimme wissen, die der Butler schon einmal gehört hatte. Es handelte sich genau um jene Stimme, die ihn zu Hause in Mike Randers Dachgartenwohnung angerufen hatte. »Alles in Ordnung…!« gab Parker ebenso undeutlich zurück. »Kaum zu glauben«, sagte die verzerrt klingende Stimme. »Schafft ihn weg! Irgendwohin…! Ich lasse euch die Papiere morgen rüberbringen.« »Okay«, sagte Parker, der durchaus den Jargon beherrschte. »Was is’ mit diesem Anwalt…?« »Der kommt jetzt auch… Moment mal, wer spricht denn da?«
»Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, gab der Butler sich in diesem Augenblick zu erkennen, »hoffentlich sind Sie nicht zu sehr enttäuscht. Ich fürchte, Sie rechneten mit meinem Hinscheiden, nicht wahr?« »Parker…?« fragte die undeutliche Stimme gedehnt zurück. »In der Tat! Bemühen Sie sich, Ihrer verständlichen Enttäuschung Herr zu werden. Ihre beiden Mitarbeiter Allinson und Forster sind im Moment leider verhindert.« Auf der Gegenseite blieb alles still, doch der Mann mit der undeutlich verzerrten Stimme hatte noch nicht aufgelegt, wie sich an seinem heftigen Atmen erkennen ließ. »Hören Sie, Parker«, sagte die Stimme schließlich, »einigen wir uns, ja? Vergessen Sie, daß es einen Mister Wanting gab… Dafür zahle ich Ihnen eine anständige Summe. Ich verlange nur, daß Sie sich nicht in die Arbeit der Polizei einmischen.« »Sie scheinen von der Arbeit der zuständigen Polizei keine besonders hohe Meinung zu haben!« »Wenn wir uns einigen, lasse ich Sie in Ruhe… Wenn Sie weiter mitmischen, finde ich Leute, die Sie früher oder später erschießen! Sie wissen, daß gegen einen plötzlichen Schuß kein Kraut gewachsen ist.« »Darf ich höflichst fragen, warum Sie mich so fürchten?« »Ich weiß eben, wie gut Sie sind, Parker. Deswegen will ich Sie ausschalten.« »Glauben Sie ernsthaft, daß ich auf Ihr Angebot eingehen werde?« »Nein, eigentlich nicht…!« war die Antwort auf der Gegenseite, »gut, lassen wir es also darauf ankommen! Kampf bis aufs Messer, Parker! Wir werden ja sehen, wer überleben wird! Noch etwas, Sie bekommen niemals heraus, wer ich bin und warum Wanting sterben mußte. Sie haben nicht die Spur einer Chance…!« »Sie sind das, was man überheblich nennt«, erwiderte Parker höflich und zurückhaltend. »Ich kenne mich in den üblichen Tricks eben aus«, lautete die Gegenantwort. »Drehen Sie Allinson und Forster erst gar nicht durch die Mangel. Die wissen nichts… Die sind von mir nur bezahlt worden.« »Wie die beiden Berufsgangster Steve und Butch. nicht wahr?« »Das sind Dinge, um die Allinson sich gekümmert hat…! Begreifen
Sie, ich bleibe wie die Spinne im Hintergrund, aber bei mir laufen alle Fäden zusammen.« »Ich möchte auf keinen Fall unhöflich erscheinen«, schickte der Butler in seiner Antwort voraus, »aber wenn Sie Wert darauf legen, nenne ich Ihnen gern die Adresse eines erstklassigen Psychiaters. Sie müßten von Ihrem Spinnenkomplex so schnell wie möglich befreit werden!« Die Gegenseite schien beleidigt zu sein, denn sie schmetterte den Hörer wütend in die Gabel, während Parker fast vorsichtig auflegte. Er blieb noch einen Moment neben dem Schreibtisch stehen und dachte darüber nach, ob sich in der Vergangenheit schon einmal irgendein Gangster als eine Spinne bezeichnet hatte. Als Parker nichts einfiel, wandte er sich ab, verließ das Zimmer und später dann den Anbau, in dem die Allinson-Sauna-Betriebe untergebracht waren. Parker hatte bewußt darauf verzichtet, sich mit Allinson oder Forster zu unterhalten. Ihm lag daran, daß sie seine engsten Feinde blieben, denn sie kannte er ja schließlich. Um sie aber nicht zu lange der Hitze auszusetzen, rief er von der nächsten Telefonzelle aus die nächste Polizeistation an und informierte sie über zwei eingeschlossene Saunagäste. Es war wirklich reiner Zufall, daß Parker vergaß, seinen Namen zu nennen…! »Hoffentlich geht Ihre Rechnung auf«, sagte Mike Rander Stunden später, nachdem Josuah Parker ihm Bericht erstattet hatte. Der Butler servierte seinem jungen Herrn das Frühstück, und nichts deutete darauf hin, daß er einige harte, fast lebensgefährliche Abenteuer hinter sich gebracht hatte. Genau das Gegenteil war der Fall. Parker sah taufrisch und ungewöhnlich elastisch aus. Das Sauna-Dampfbad schien ihm bestens bekommen zu sein. »Meiner bescheidenen Ansicht nach, Sir, ist ein Teil dieser Rechnung bereits aufgegangen«, antwortete Josuah Parker, während er Mike Rander heißen Kaffee nachservierte. »Mister Allinson dürfte inzwischen längst befreit sein. Er hat der Polizei gegenüber aber mit Sicherheit nicht gesagt, wer ihn eingeschlossen hat. Sonst hätten sich hier bereits einige Polizeibeamte eingefunden.« »Sie betrachten es also als angenehm, wenn Sie weiterhin mit Allinson und Forster zu tun haben?« »Gewiß, Sir, man kennt sich jetzt immerhin und weiß, was man voneinander zu halten hat.«
»Hoffentlich denkt auch die Spinne so…!« »Hoffentlich, Sir…! Da dieser Mann im Hintergrund aber ungewöhnlich selbstherrlich ist und sich äußerst sicher fühlt, dürfte er die Mannschaft seiner Handlanger kaum auswechseln.« »Warten wir’s ab! Haben Sie eine bestimmte Vorstellung darüber, wie alles nun weitergehen soll?« »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich einige bescheidene Vorschläge entwickeln.« »Dann mal los, Parker!« Mike Rander lehnte sich zurück und ließ sich von seinem stets dienstbereiten Butler die Frühstückszigarette anzünden, was der Butler mit Würde und Umsicht erledigte. »Es gilt, Sir, zwei Personen einen Besuch abzustatten«, begann Parker dann und nahm dienstbereit am Kopfende des Tisches Aufstellung, »einmal müßte man sich mit Mister Wantings Freundin Norma Calway unterhalten. Zum anderen sollte man bei Mister Custer gewisse Erkundigungen einholen. Er müßte ja wissen, warum Mister Wanting sich bedroht fühlte.« »Dann werde ich Miß Calway übernehmen«, entschied Mike Rander und lächelte. »Ich hoffe, das entspricht Ihren Erwartungen, Parker.« »Ganz sicherlich, Sir! Glauben Sie, daß Mister Custer mir Rede und Antwort stehen wird?« »Sie meinen, wegen der damaligen Vorfälle? Ich denke schon! Er ist im Grunde ein umgänglicher Bursche, nur eben etwas leichtsinnig und zu geldgierig. Sie werden schon den richtigen Ton treffen.« »Sir, es ist damit zu rechnen, daß Lieutenant Madford sich einfinden wird!« »Es geht also wieder einmal darum, wieviel und was wir ihm sagen sollen, oder?« »Das ist meine Frage, Sir!« »Sollte er uns stellen, werden wir ihm die ganze Wahrheit sagen«, entschied Mike Rander, »es kann gar nicht schaden, wenn er ein wachsames Auge auf diese Allinson-Sauna hält…! Nur Madford weiß schließlich, was mit diesem Allinson los ist. Vielleicht handelt es sich bei ihm um ein vollbeschriebenes Blatt!« Das Klingeln des Telefons unterbrach die Unterhaltung. »Darf ich Sie bitten, Sir, ausnahmsweise einmal selbst den Hörer abzunehmen?« sagte Parker. »Falls Lieutenant Madford am Apparat ist, möchte ich bereits unterwegs sein!«
Mike Rander meldete sich und nickte dem Butler dann sofort verstohlen zu. Er hörte einen Moment zu und erklärte sich dann bereit, auf Lieutenant Madford zu warten. Nachdem er aufgelegt hatte, zwinkerte Mike Rander seinem Butler zu. »Sie hatten wieder mal die richtige Nase«, sagte er dann, »Madford will uns sprechen. Ich denke, Sie setzen sich jetzt ab, Parker, und sehen sich mal bei Custer um. Vielleicht ist er eingeweihter, als wir denken!« »Nee, Parker, von ‘ner Spinne weiß ich nichts«, sagte Mike Custer, ein untersetzter, dicklicher, ewig schwitzender Mann von zirka fünfundfünfzig Jahren. Die kleinen, listigen Augen beherrschten das fleischige Gesicht. Er kaute auf einer dicken Zigarre herum und erinnerte an einen Buddha. Mike Custer, der Inhaber der Privatdetektei hatte sich Parkers Geschichte angehört, eine Geschichte, die Parker in vieler Hinsicht gefärbt und abgeändert hatte. Schließlich hatte er ja Dave Lounters versprochen, von gewissen Vorfällen nicht zu sprechen. Dave Lounters, der neben dem Schreibtisch an der Wand stand, sah den Butler dankbar an. Er wußte noch sehr gut, welch einen großen Fehler er bei der Überwachung des ermordeten Clive Wanting begangen hatte. »Sind Sie vollkommen sicher, Mister Custer?« erkundigte sich Parker sicherheitshalber noch einmal. »Haben Sie schon mal von ‘ner Spinne gehört?« fragte Custer, sich an seinen Mitarbeiter Lounters wendend. »Nee, muß irgendeine neue Größe in der Unterwelt sein«, antwortete Lounters, »aber ich werde mal meine Antennen ausfahren, Chef.« »Nur dann, wenn hier ein offizieller Auftrag vorliegt«, entschied Custer, »sieht ja so aus, als wollte Mister Rander wieder mit mir zusammenarbeiten, oder?« Während er redete, sah er den Butler mit einem schnellen, schlauen Blick an. Er schätzte seine Möglichkeit ab, mit Mike Rander endlich wieder ins Geschäft zu kommen. »Diese Möglichkeit besteht durchaus«, räumte der Butler höflich ein, »wenngleich das letzte Wort selbstverständlich Mister Rander sprechen muß, wie Sie verstehen werden, Mister Custer.« »Dann soll er sich aber möglichst schnell äußern«, gab Custer zurück, »ich habe eine Menge Kunden, die draußen vor der Tür stehen und nur darauf warten, von mir bedient zu werden.«
»Oh, wenn das so ist, Mister Custer, möchte ich Ihre kostbare Zeit auf keinen Fall weiter in Anspruch nehmen«, erklärte Josuah Parker und stand sofort auf. »Was ist denn los?« fragte Custer, der noch nicht ganz begriffen hatte. »Mister Parker will sich absetzen und zur Konkurrenz gehen«, fiel Dave Lounters schnell ein. Man sah es ihm an, daß diese Entwicklung ihm überhaupt nicht paßte. »Aber Sie haben mich doch völlig mißverstanden«, schränkte Mike Custer schnell ein, »natürlich will ich für Mister Rander arbeiten. Überhaupt schade, daß wir uns damals getrennt haben. Wäre überhaupt nicht notwendig gewesen.« »Ich schlage vor, die Vergangenheit auszuklammern«, sagte Josuah Parker würdevoll. »Kommen wir, wenn’s erlaubt ist, auf den Kern der Sache zurück. Eine sogenannte Spinne ist Ihnen also unbekannt?« »Sagte ich doch schon, nie von gehört.« Mike Custer hob bedauernd die Schultern, »wahrscheinlich hat man sich mit Ihnen nur einen schlechten Scherz erlaubt.« »Nach einen Scherz sahen die diversen Mordanschläge allerdings nicht aus«, erwiderte der Butler. »Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß gewisse Männer sich alle Mühe gaben, mich ins Jenseits zu befördern, Anstrengungen, die ich nicht sonderlich schätze, wie Sie verstehen werden.« »Und das alles im Zusammenhang mit dem Mord an Clive Wanting«, faßte Mike Custer zusammen. Er sackte förmlich in sich zusammen und schloß nachdenklich die Augen. Er schien einen kleinen Schlaf einlegen zu wollen, doch in Wirklichkeit dachte er sicher angestrengt nach. »Gut, ich werde mit der Sprache rausrücken«, sagte er dann plötzlich und öffnete weit die Augen. »Sie wollen wissen, weshalb Wanting sich an mich gewandt hatte. Aber ich hoffe, Parker, Ihr Chef weiß später zu schätzen, daß ich hier ausgepackt habe!« »Ich bin dessen sicher«, behauptete der Butler. »Wanting erschien vor genau vier Tagen hier bei mir im Büro«, berichtete Custer nun und wirkte sehr konzertiert, »er war in heller Aufregung. Er bat um diskreten Schutz. Ich fühlte ihm auf den Zahn und bekam heraus, daß er ermordet werden sollte…!« »Von wem, wenn diese bescheidene Frage gestattet ist?« »Das wußte er natürlich auch nicht«, gab Custer zurück, »sein
Mörder hatte sich ihm noch nicht vorgestellt. Diese Mordandrohung hing mit irgendeiner Erfindung zusammen, die er gemacht hatte. Um was es da gegangen ist, hat Custer mir nicht erzählt. Es muß sich aber um irgendeine tolle, elektronische Sache gehandelt haben.« »Ich vermisse, um offen zu sein, den logischen Zusammenhang«, warf der Butler gemessen und höflich ein. »Hören Sie genau zu«, redete Mike Custer weiter, »Wanting sollte die Unterlagen seiner Erfindung an seinen Mörder verkaufen. Geboten wurden ihm runde fünfzigtausend Dollar. Wanting ging darauf natürlich nicht ein. Dieses Angebot hätte ja glatt von einem Verrückten stammen können. Als der Zeitpunkt der Übergabe dieser Erfindung verstrichen war, wurde auf Wanting geschossen. Das hat er wenigstens behauptet. Und später rief ihn der Unbekannte an und drohte ihn innerhalb der nächsten Tage umzulegen, wie er sich ausdrückte.« »Eine äußerst verworrene Geschichte«, fand Josuah Parker, »hatte Mister Wanting irgendeinen bestimmten Verdacht?« Nachdem Parker geendet hatte, sahen Mike Custer und sein Mitarbeiter Dave Lounters sich schnell an, als büßten sie mehr. »Er hatte demnach also einen Verdacht?« bohrte der Butler weiter nach. Er tat so, als habe er von diesem schnellen Blick des gegenseitigen Einverständnisses nichts gesehen. »Er glaubte, sein Chefbuchhalter Treston sei der Mann am Telefon gewesen«, sagte Mike Custer dann. »Mister Paul Treston?« wunderte sich Parker laut. »Genau, jener Treston, der sich hilfesuchend an Sie gewandt hat«, bestätigte Custer und nickte. »Hatte Mister Wanting dafür irgendwelche Beweise?« wollte der Butler wissen. »Er will die Stimme des Mannes am Telefon wiedererkannt haben. Moment mal, Parker, Sie wissen nicht, daß Treston vor knapp vier oder fünf Tagen von Wanting entlassen wurde?« »Allerdings, das ist mir gänzlich unbekannt«, gestand Josuah Parker, »ich muß ehrlich einräumen, daß ich das bin, was man gemeinhin überrascht nennt.« »Kann ich mir vorstellen! Sie wollen natürlich auch wissen, warum dieser Treston entlassen wurde, oder?« »Ich brenne darauf, diese Gründe zu erfahren.« »Treston stand die ganze Zeit über mit Wantings geschiedener
Frau in engster Verbindung. Er belieferte sie seit der Scheidung mit internen Geschäftsberichten. Als Wanting schließlich dahinterkam, feuerte er Treston. Hätte ich übrigens auch getan!« »Demnach darf man also unterstellen, daß es zwischen Treston und seinem Chef Mister Wanting zu einem handfesten Krach kam, ja?« »Und ob Sie das unterstellen dürfen, Parker! Der Krach war fast in jedem Büro der Wanting-Betriebe zu hören. Das hat Lounters leicht herausgefunden. Und jetzt kommt der Knalleffekt, auf den Sie ja wohl gewartet haben! Treston drohte seinem Chef Wanting, er würde ihn umbringen. Das hat er mehrfach laut herausgeschrien, bevor Wanting ihm einen Kinnhaken verpaßte und ihn dann an die frische Luft setzen ließ. Was sagen Sie jetzt? Glauben Sie nicht auch, daß man mit diesem Treston bereits einen verdammt guten Mörder hat?« »Ich möchte mich im Moment jeder Stellungnahme enthalten«, entgegnete der Butler höflich, »wenn Sie erlauben, möchte ich diese Dinge erst noch einmal in aller Ruhe durchdenken!« »Ich rate Ihnen, diesem Treston mal auf den Zahn zu fühlen«, sagte Custer. »Wenn Sie mich fragen, Parker, dann ist Treston ein raffinierter Bursche, der sich nur deshalb an Sie gewandt hat, um sich so etwas wie ein Alibi aus erster Hand zu verschaffen!« Parker war sichtlich beeindruckt, als er das Detektivbüro Custer verließ. Die Dinge, die Mike Custer ihm verraten hatte, ließen den so scheinbar komplizierten Fall plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen. Handelte es sich hier nur um einen privaten Racheakt? Falls ja, dann blieb allerdings immer noch sehr unverständlich, warum sich ein Mann wie Paul Treston mit handfesten und abgebrühten Gangstern abgegeben hatte. War Treston überhaupt der Mann, solche Kontakte zu schaffen? Hatte er die erforderlichen Nerven, sich mit Gangstern abzugeben? Nun, Parker gestattete sich den Luxus, dies sehr zu bezweifeln. Er war schon immer ein sehr guter Menschenkenner gewesen. Treston war in seinen Augen niemals der Mann, der routinierte Gangster engagierte, damit sie irgendwelche Rachepläne durchführten. Hinzu kam noch ein wichtiges Detail. Wenn Treston der Mann war, der sich als die Spinne ausgab, warum hatte er sich dann gleichzeitig darum bemüht, Parker angeblich um Hilfe zu bitten,
ihn aber synchron dazu umbringen zu lassen. Nein, Parker erlaubte sich, die Dinge nach wie vor etwas anders zu sehen. Es gab noch sehr viele Fragen zu klären. Es durfte nichts überstürzt werden. Und es war schließlich noch eine Frage, ob Mike Custer wirklich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt hatte. Einem Mike Custer war sicher nicht unbedingt zu glauben. Parker verließ das graue unscheinbare Bürogebäude im Loop, in dem Mike Custers Büros untergebracht waren und wollte hinüber zur anderen Straßenseite gehen, wo sein hochbeiniges Monstrum stand. Er hatte die belebte Straße noch nicht ganz hinter sich gebracht, als plötzlich ein Buick auftauchte, der förmlich aus einer Straßenlücke hervorschoß und Kurs auf ihn nahm. Parker wußte sofort, daß dies kein Zufall sein konnte. Er blieb im Rahmen seiner erlaubten Schrecksekunde erst einmal wie angewurzelt stehen, dann aber, der Wagen schoß unverkennbar weiter auf ihn zu, verwandelte der Butler sich in einen mehr als eleganten Torero. Er wartete praktisch bis zur letzten Zehntelsekunde. Dann aber, elegant und geschmeidig, wich er mit einem geschickten Sidestep zur Seite aus. Der Mann am Steuer des Buick war nicht in der Lage, diesen Schwenker nachzuziehen. Dazu hätte er seinen Wagen praktisch auf der Stelle herumreißen müssen. Parker befand sich bereits so gut wie in Sicherheit, als der Autofahrer scharf abbremste. Er wollte Parker wenigstens noch mit dem herumgleitenden Heck des Buick erwischen. Doch zu spät…! Parker befand sich bereits in Sicherheit. Er wartete nicht ab, bis etwa Schüsse auf ihn abgefeuert wurden. Er verschwand eiligst, aber ohne Verzicht von Würde und Gemessenheit, zwischen den übrigen parkenden Wagen und sah dem davonjagenden Buick interessiert nach. Nur wenige Passanten hatten diesen Zwischenfall bemerkt. Sie umringten Parker und bestürmten ihn mit Fragen. Parker entschuldigte sich mit dem Hinweis auf einen alten, hinfälligen Mann, der besser hätte aufpassen sollen und sorgte dafür, daß er der allgemeinen Fürsorge entkam. Ihm war nicht danach, etwa die Polizei zu informieren. Fragen hätte er gerade jetzt nur höchst ungern beantwortet.
Dieser fast peinliche Zwischenfall erinnerte ihn daran, daß er nach wie vor auf einer gewissen Mordliste stand. Es gab die Spinne, die ihn unbedingt umbringen lassen wollte! Parker beschloß, den Dingen sofort auf den Grund zu gehen. Er setzte sich in sein hochbeiniges Monstrum und fuhr los, nicht ohne noch einmal an der Front des Hauses hochzusehen, das er vor wenigen Minuten erst verlassen hatte. In einem weitgeöffneten Fenster erkannte er Mike Custer und seinen Mitarbeiter Dave Lounters. Beide mußten auf den Vorfall aufmerksam geworden sein. Sie winkten zu Parker herunter und bedeuten ihm, schleunigst noch einmal zurückzukehren. Parker tat so, als habe er nicht verstanden. Er gab Gas und fuhr los. Sein Ziel waren die Räumlichkeiten einer gewissen Sauna. Dort wollte er sich unter anderem nach dem werten Befinden zweier Männer erkundigen! Dan Forster sah ungewöhnlich mitgenommen aus. Die Schwitzkur in der Sauna schien an seiner Substanz gezehrt zu haben. Er wirkte irgendwie zerknittert. Als Parker plötzlich vor ihn stand, bekam Dan Forster einen ungewöhnlich starken Blutandrang zum Kopf und schnappte hörbar nach Luft. Sein an sich schon gedunsenes Gesicht kündete einen nahen Schlaganfall an. »Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl?« fragte Josuah Parker und lüftete gleichzeitig höflich seine schwarze Melone. »Die Sorge trieb mich her. Ich wollte mich nach Ihrem augenblicklichen Befinden erkundigen.« Dan Forster zwang sich zur Ruhe. »Wie bitte?« fragte er und tat ahnungslos. »Um genauer zu sein, Mr. Forster, wie ist Ihnen die Sauna bekommen?« »Welche Sauna?« erwiderte Forster und wußte natürlich sehr genau, wovon Parker sprach. »Sie müssen mich verwechseln…!« »Lassen wir es bei dieser angeblichen Verwechslung«, schlug Josuah Parker vor, »ich möchte, wenn es sich einrichten läßt, den Inhaber der Sauna, Mr. Joe Allinson sprechen.« »Ihr Name bitte?« fragte Forster geschäftsmäßig. »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich überflüssigerweise noch einmal vor. »Ich habe die Ehre, für Mr. Mike Rander zu arbeiten.« »Moment, ich werde sehen, ob Mr. Allinson zu Hause ist«, ant-
wortete Forster. »Ich bedanke mich im voraus für Ihre Liebenswürdigkeit«, gab der Butler gemessen. Dann ließ er sich auf einen der Sessel nieder und wartete. * Dan Forster konnte nicht schnell genug aus dem Vorraum der Sauna hinauskommen. Er brannte wohl darauf, seinen Chef zu informieren. Schon nach knapp einer Minute kam er zurück und zwang sich ein Lächeln ab. »Der Chef wartet oben im Büro«, sagte er. »Sehr schön!« Parker erhob sich und fand mit traumwandlerischer Sicherheit seinen Weg, zumal er ja noch in der vergangenen Nacht sich in diesem Haus umgesehen hatte. Sah Dan Forster schon zerknittert und mitgenommen aus, so erst sein Chef Allinson! Der Mann mit der kalten Stimme trug nur einen Bademantel und sah noch jetzt rot aus wie ein gekochter Krebs. Haß stand in seinen Augen, als er den Butler musterte. »Hoffentlich nehme ich Ihre kostbare Zeit nicht zu sehr in Anspruch«, meinte der Butler, »ich komme gerade von einem gewissen Mister Mike Custer, seines Zeichens Inhaber einer Privatdetektei!« »Kenn’ ich!« schnaufte Allinson kurzatmig. »Und… Was weiter?« »Ich holte einige bescheidene Auskünfte ein«, redete der Butler weiter. »Ich erfuhr zu meiner grenzenlosen Überraschung, daß es in Kreisen der Unterwelt eine >Spinne< geben soll, deren Identität aber leider noch nicht bekannt ist.« »Hören Sie, Parker«, meinte Allinson und richtete sich auf. »Wir sind unter uns. Reden wir also offen miteinander. Mit Ihrer raffinierten Tour erreichen Sie bei mir überhaupt nichts. Ich weiß genau, daß Ihre Naivität nur Raffinesse ist. Sie wollen mich aufs Glatteis führen, aber bei mir haben Sie da Pech gehabt.« »Warum begeben Sie sich wegen eines Unbekannten in Gefahr?« fragte der Butler zurück. »Sie haben von einer gewissen Spinne, wie sie sich nennt, einen wahrscheinlich hochdotierten Auftrag übernommen. Aber ich möchte Ihnen gleich sagen, daß Sie die-
sen Auftrag nicht ausführen können. Ich habe nämlich etwas dagegen, wenn man mich umbringen will. Und Ihre Mitarbeiter Dan Forster, Butch Amsen und Steve Hotchins bringen Sie ebenfalls nur unnötig in Gefahr. Warum das alles? Warum lassen Sie sich vor den Karren eines Mannes spannen, der sich schlicht und einfach die >Spinne< nennt?« »Ich weiß genau, was ich tue«, gab Allinson zurück, »und was Sie angeht, Parker, so werden wir Sie schon schaffen… Ich verspreche Ihnen sogar, daß wir Sie verdammt schnell schaffen werden. Ich kann nämlich gewisse Dinge nicht vergessen!« »Sollen Sie meinen kleinen Scherz mit der Sauna mißverstanden haben?« fragte Parker besorgt. »Sie haben mich reingelegt, gebe ich offen zu, aber bei dieser einen Panne wird es bleiben, das schwöre ich Ihnen, Parker!« »Hoffentlich werden Sie von Mister Treston nicht zu sehr enttäuscht werden«, warf Parker beiläufig ein, brachte aber den Namen des Chefbuchhalters in die Unterhaltung. Er war auf die Reaktion des Gangsterbosses gespannt. Doch der Name Treston schien Allinson nichts zu sagen. Er reagierte überhaupt nicht. Ja, er schien diesen Namen überhaupt nicht mitbekommen zu haben. »Wie, wenn ich fragen darf, konnten Sie die Sauna verlassen?« fragte der Butler, das Thema wechselnd, »wer war nun schneller? Die von mir informierte Polizei? Oder vielleicht irgendwelche Helfershelfer von Ihnen?« »Die Polente war hier«, antwortete Allinson, »die Kerle stellten dumme Fragen. Na schön, dafür habe ich ihnen dumme Antworten gegeben. Hatten Sie geglaubt, mich reinlegen zu können?« »Dann hätte ich die Polizei ja wohl nicht informiert und gebeten, Sie und Mister Forster aus der Sauna herauszulassen«, antwortete Parker. »Ich möchte noch einmal betonen, daß ich aus reiner Menschlichkeit heraus anrief.« »Dafür werden Sie die Quittung schon noch bekommen«, drohte Allinson. »Womit die Feindseligkeiten nach wie vor bestehen bleiben, nicht wahr?« »Und ob, Parker…! Und wenn ich’s kostenlos tun müßte, Sie bleiben auf der Strecke! Dafür verwette ich meine Haut!« »Welch eine verderbliche Rachgier, die aus Ihnen spricht«, wunderte sich der Butler und schüttelte verweisend den Kopf. »Ich
denke, ich empfehle mich, bevor es zu weiteren Akten der Unfreundlichkeit kommt.« »Richtig! Hauen Sie ab, bevor ich platze!« »Ich bin ohnehin in Eile, werde also gehen«, entgegnete der Butler, »Sie wissen ja, Mister Allinson, ich suche einen Mann, der sich die >Spinne< nennt. Er muß übrigens sehr viel Geld und Einfluß haben.« »Wieso?« wollte Allison wissen. Er beugte sich nun doch etwas interessiert vor. »Nun ja, Sie sollen ja bekanntlich nicht sehr billig sein«, meinte der Butler, »hinzu kommt, daß ein Arbeiten mit Ihnen sehr gefährlich ist. Sie sind genau der Typ, der sich ohne weiteres gegen seinen Auftraggeber stellt, falls diese Aktion Geld verspricht. Oder sollte ich Sie falsch eingeschätzt haben?« Allinson stand mühsam auf. Sein Bademantel verschob sich etwas. Die krebsrote Haut war zu sehen, die auf einen längeren Saunaaufentnalt hindeutete. »Wie Sie mich sehen, ist mir egal«, sagte er gereizt, »Hauptsache, die Polizei kann mir nichts am Zeug flicken. Und das kann sie nicht, was Sie auch erzählen, Parker!« »Ich bemühe mich ehrlich, die Polizei aus dem Spiel zu halten«, antwortete der Butler, »kleine Auseinandersetzungen mit Gangstern pflege ich ohne Hilfe der Polizei zu erledigen. Ich darf mich jetzt wohl empfehlen, ja?« Parker stand auf, lüftete seine Melone und verließ die Wohnetage des Mister Allinson. Er wußte übrigens, daß er noch längst nicht draußen auf der Straße war. Ein Mann wie Allinson war schließlich heimtückisch…! * Parker war ehrlich überrascht, daß man ihn ungeschoren die Sauna passieren ließ. Er hatte mit einem grundsoliden Überfall gerechnet, doch nichts ereignete sich. Er kam ungehindert in den Innenhof, ging hinüber zur Hauptstraße und setzte sich ans Steuer seines hochbeinigen Monstrums. Nach seinen Gesprächen mit Mike Custer und Allinson drängte es ihn natürlich, nun noch einmal mit Paul Treston ins Gespräch zu kommen, jenem Mann also, der all diese Dinge schließlich ins Rollen gebracht hatte.
Als Parker den Motor anließ, kam die erwartete Überraschung. Eine Stimme meldete sich vom Rücksitz her. »Nicht nervös werden, Parker«, sagte diese Stimme, »immer hübsch weiterfahren, dann passiert auch nichts!« »Mister Butch Amsen, wenn ich nicht irre?« erkundigte Parker sich, dem diese Stimme nur zu vertraut war. »Stimmt haargenau, Parker«, sagte Butch Amsen, der nun in Parkers Rückspiegel zu erkennen war. »Wetten, daß ich ‘ne entsicherte Kanone in der Hand habe?« »Ich fürchte, diese Wette würden Sie in jedem Fall gewinnen«, gab Parker zurück. »Stimmt«, antwortete Butch Amsen. »Wohin sollte denn die Reise gehen, Parker?« »Ich wollte Mister Treston einen – Höflichkeitsbesuch abstatten«, erwiderte der Butler, »ich fürchte allerdings, daß ich das ursprüngliche Fahrtziel nun ändern muß, ja?« »Stimmt wieder mal haargenau«, meinte Butch. »Ein guter Bekannter wartet auf uns.« »Ihr Partner Steve Hotchins?« »Mann, sind Sie ein kluger Junge«, freute Butch Amsen sich mit einem ironischen Unterton. »Der kann’s kaum erwarten, bis wir bei ihm sind.« »Welchen Kurs müßte ich einschlagen?« wollte Parker wissen. Er wirkte nach außen hin völlig gelassen. Und innerlich war er es auch wirklich. Er schalt sich nicht, daß er vergessen hatte, seinen Wagen zu sichern, was er normalerweise immer tat. Vielleicht war es sogar gut, daß die Gangster wieder aktiv wurden: So blieb der innige Kontakt in jedem Fall erhalten. »Wir fahren rüber zum Hafen«, schlug Amsen vor. Dem Ton seiner Stimme war zu entnehmen, daß er sich erstklassig fühlte. Was wollte er auch mehr. Er hatte den verhaßten Gegner vor der Mündung seiner gewiß nicht kleinkalibrigen Waffe und er hielt sich für unangreifbar. »Im Hafen sag ich dann näher Bescheid…!« Stocksteif, als habe er den bewußten Ladestock verschluckt, saß der Butler am Steuer seines Wagens und steuerte das hochbeinige Monstrum durch den Verkehr. Er verzichtete bewußt auf jede weitere Unterhaltung. Er ahnte, daß Amsen, aus einer verständlichen, inneren Spannung heraus, bald beginnen würde, sich mit ihm zu unterhalten. Parker brauchte tatsächlich nicht lange zu warten.
»Das mit der Sauna war erstklassige Arbeit«, meinte Butch Amsen wohlwollend, »der Chef hat vielleicht getobt!« »Hauptsache, es gefiel Ihnen«, meinte Parker freundlich. »Hat dem Boß mal gar nicht geschadet, daß er selbst durch die Mangel gedreht worden ist!« plapperte Butch Amsen weiter. »Von Allinson mal ganz zu schweigen, der tut ja immer so, als hätt er die Weisheit mit Löffeln gefressen.« »Sie sind bei Mister Allinson angestellt?« forschte Parker. »Kurzfristig nur, für Spezialaufgaben«, erwiderte Amsen. »Sonst arbeiten Steve und ich immer auf eigene Rechnung.« »Auf Rechnung der >Spinne< doch, wenn mich nicht alles täuscht.« »Wer ist denn das, die >Spinne« »Der Mann, für den Sie in Wirklichkeit arbeiten!« »Noch nie von gehört…! Oder doch, warten Sie mal, Parker… Na klar, davon hat Steve mal gesprochen.« »Sie wollen die Spinne wirklich nicht kennen?« wunderte sich Parker laut. »Nein, wenn überhaupt, dann ist die erst seit knapp ‘nem Jahr aktiv. Aber das weiß Steve besser, Sie werden ihn ja bald sehen…« Butch Amsen kicherte wie ein großer Junge, der sich auf eine besonders schöne Bescherung freut. Er schien sich von der kommenden Unterhaltung zwischen Parker und seinem Partner viel zu versprechen. »Der Hafen wäre inzwischen erreicht«, meldete Parker vom Steuer her. »Welchen Weg bevorzugen Sie ab sofort, Mister Amsen?« »Rüber zur Zoom Street«, entschied Butch und beugte sich etwas vor, »fahren Sie auf das Gelände der Fielding-Corporation, bis vor den ersten Lagerschuppen. Dann ist der Film schon angelaufen…!« »Wartet Mister Steve Hotchins dort auf meine bescheidene Wenigkeit?« »Und ob!« Parker wußte Bescheid. Mehr brauchte er im Augenblick nicht zu wissen. Ohne daß Butch etwas ahnte, bewegte der Butler einige kleine, unauffällige Hebelchen, die sich auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett befanden. Als erstes kam aus den steifen Rücksitzen der Fahrerbank blitzschnell eine kugelsichere Panzerscheibe vor, die den Wagen bis
zum Dach hin in zwei Teile trennte. Als nächstes wurde eine Preßluftflasche in Betrieb gesetzt, die allerdings keine Preßluft, sondern ein besonders bekömmliches Betäubungsgas enthielt. Als drittes wurden die beiden hinteren Wagentüren verriegelt. Ebenfalls die Fensterscheiben. Mit einem Satz: der Fahrgast auf den rückwärtigen Polstern befand sich in einem ausbruchsicheren Gefängnis, dessen Feinheiten er überhaupt nicht begreifen konnte, da er innerhalb weniger Sekunden prompt eingeschläfert wurde. Parker beobachtete das alles durch den breiten Rückspiegel seines Wagens. Es zeigte sich wieder einmal, daß seine Erfindungsgabe sich bestens bewährte. Er hatte einen gefährlichen und schußbereiten Gangster durch das Umkippen kleiner Metallhebel außer Gefecht gesetzt. Mehr konnte man wirklich nicht erwarten. Parker drehte nun nicht etwa ab, was er ja ohne weiteres hätte tun können. Nein, er steuerte nach wie vor das angegebene Ziel an. Mit Butch Amsen wollte er sich nicht zufriedengeben. Ihm war noch nach Steve Hotchins, den er sogar noch für viel gefährlicher hielt. Die Lagerschuppen der Fielding-Corporation kamen in Sicht. Parker steuerte den ersten dieser Lagerschuppen an und hielt Ausschau nach Steve Hotchins, der sich ja irgendwie zeigen mußte. Kaum gedacht, ließ dieser Gangster sich auch schon blicken. Er stand neben dem Wiegehaus einer schweren Autowaage und winkte das hochbeinige Monstrum lässig ab. Er konnte ja nicht wissen, was sich im Innern des Wagens abgespielt hatte. Parker beschrieb einen eleganten Bogen und hielt an. Dann entriegelte er die linke Wagentür und ließ den ahnungslosen Steve Hotchins schnell einsteigen. Hotchins hatte wegen seiner Beinverletzung zwar einigen Ärger, doch er schaffte es ohne besondere Schwierigkeiten. Er warf die Tür schwungsvoll hinter sich zu und… schnappte im gleichen Moment auch schon verzweifelt nach Luft. Er sah den schlafenden Butch Amsen in der Wagenecke sitzen, riß seine Schußwaffe aus dem Schulterhalfter und… wollte unbedingt eine der Scheiben zerschießen. Er erlebte eine äußerst bittere Enttäuschung. Die mißhandelte Scheibe blieb heil, sie dachte nicht im Traum daran, auseinanderzubrechen oder zu zersplittern. Inzwischen
war Steve Hotchins bereits die Luft knapp geworden. Bevor er sich zu einem zweiten Schuß entschließen konnte, mußte er erst einmal ausgiebig gähnen, was ihn allerhand Zeit kostete. Dann hob er noch einmal den Arm mit der Waffe und visierte den Butler vorn auf dem Fahrersitz an. Aber die Kraft zum Lösen eines zweiten Schusses reichte schon nicht mehr. Nach einem herzhaften, tiefen Gähner kuschelte Steve Hotchins sich im Polster zurecht und schloß die Augen wie ein müdes Kind. Die Waffe entfiel seiner Hand und landete auf dem Teppich des Wagenbodens. Steve Hotchins steckte auf. Er war froh, sich wieder einmal richtig ausschlafen zu können… * Parker fuhr auf dem schnellsten Weg zurück zur Sauna des Mister Allinson. Dort wollte er die beiden Gangster Steve und Butch abliefern. Nicht nur aus reiner Menschenfreundlichkeit, wie man verstehen kann. Er wollte Allinson mit diesem Schachzug zeigen, daß es sinnlos war, sich weiter mit ihm anzulegen. Er wollte Allinson damit auf Umwegen beweisen, daß er auf das falsche Pferd gesetzt hatte, als er sich mit der >Spinne< verband. Es war hoher Mittag, als das hochbeinige Monstrum durch den Torbogen kurvte und vor dem Anbau stoppte. Parker stieg aus und betrat die unteren Räume der Sauna. Er hatte die Absicht, sich mit Dan Forster und Joe Allinson sofort in Verbindung zu setzen. Es wunderte ihn kaum, keinen Menschen anzutreffen. Um diese Zeit pflegte man sich nicht in einer Sauna zu erholen. Es war Tischzeit. Das Stoßgeschäft dieser Anlage kam sicher erst gegen Nachmittag oder Abend. Parker durchschritt die unteren Räume, immer noch auf der Suche nach Dan Forster oder Joe Allinson. Er erreichte den Raum. Hier schienen einige Schwitzkästen erst vor ganz kurzer Zeit noch in Betrieb gewesen zu sein. Parker wollte diesen Raum gerade wieder verlassen, als er stutzte und stehenblieb. Er glaubte ein Stöhnen oder so etwas wie ein Röcheln gehört zu haben. Hatte er sich getäuscht? Handelte es sich nur um das Ge-
räusch des heißen Dampfes, der durch die dicken Rohrleitungen gepreßt wurde? Er wollte schon weitergehen, als er dann doch noch einmal stehenblieb. Zu sehen war wegen der milchigen Schwaden kaum etwas. Sicherheitshalber ging er durch die Schwaden und kontrollierte die Schwitzkästen. Und dann sah er Dan Forster, dessen ja ohnehin schon gedunsenes Gesicht aufgetrieben war wie ein mittelgroßer Luftballon. Nur der Kopf des Mannes war zu sehen. Sein Körper stak in einem der klobig wirkenden, eckigen Schwitzkästen. Im ersten Moment ein amüsantes Bild. Die Ledermanschette, die den Hals umschloß und dafür sorgte, daß keine Heißluft dem Kasten entweichen konnte, wirkte wie der Kragen einer Guillotine. Der Kopf Dan Forsters schien bereits vom Körper abgetrennt zu sein. Dan Forster hingegen empfand seine Situation keineswegs als amüsant. Er rang sichtlich nach Luft. Ja, es ging ihm sogar schlecht. Die dunkelviolette Gesichtsfarbe zeigte deutlich an, daß er fast erstickte. Parker trat vor den Schwitzkasten und suchte auf den kleinen Schaltbrett rechts vom Kasten nach den Schaltknöpfen, die den heißen Dampf abstellten. Als er ihn nicht sofort fand, wollte Parker den Schwitzkasten schleunigst öffnen. Doch das ging keineswegs so leicht, wie er es sich vorgestellt hatte. Die beiden Schalenhälften des Kastens waren absichtlich blockiert worden. Man hatte sie mit zwei dünnen Ketten untrennbar miteinander verbunden. Und diese beiden Ketten waren zusätzlich durch ein schweres Vorhängeschloß gesichert worden. Dan Forsters Augen waren zwar weit geöffnet. Sie quollen fast aus den Höhlen, doch er schien Parkers Anwesenheit überhaupt nicht zu bemerken. Forster röchelte und stöhnte. In seinen. Mundwinkeln standen Schaumblasen. Sein Atem ging hastig und viel zu schnell. Parker bemühte seinen vorsintflutlichen, alten Colt. Er zerschoß mit einem Schuß das Vorhängeschloß und hakte anschließend die beiden Ketten aus den Ösen. Dann klappte er die beiden Schalenhälften des Schwitzkastens auseinander und zog den schlaffen Körper Dan Forsters ins Freie. Dan Forster war vollständig angekleidet. Sein Anzug war brühheiß. Dampf wallte Parker aus dem Schwitzkasten entgegen. Die-
ser Dampf war derart heiß, daß Parker selbst beim kurzen Zupacken das Gefühl hatte, sich die Finger zu verbrühen. Er schleifte den leblosen Körper Forsters auf eine nahe Pritsche und ließ ihn vorsichtig darauf nieder. Dann holte er aus der nahen Duschecke frisches, kühles Wasser. Gießeimer standen genug herum. Mit dem frischen Wasser benetzte er das Gesicht des ohnmächtigen Mannes. Anschließend versuchte er, ihm etwas Wasser auf die Lippen zu träufeln. Zuerst reagierte Forster nicht. Dann, als die ersten kühlen Wassertropfen durch seine ausgedörrte Kehle rannen, hob er mühsam seinen Kopf. Die Augen öffneten sich. Er starrte den Butler verständnislos an. »Ich fürchte, Sie haben etwas über trieben«, sagte Parker und nickte Forster beruhigend zu. »Wer hat Ihnen diesen bösen Streich gespielt, Mister Forster?« »Die… die >SpinneSpinne« fragte Parker rund heraus, auf alle Höflichkeiten und sonstigen Umschreibungen verzichtend. »Die… die >Spinne<…!« stöhnte Forster wieder und mußte eine Art wilden Schüttelfrost über sich ergehen lassen. »Wer ist die >Spinne« wiederholte der Butler seine Frage noch einmal. Um Forster eine zusätzliche Erfrischung zu verabreichen, hob er den noch wohlgefüllten Wassereimer, um Forsters Kopf etwas zu kühlen. »Hier ist die >Spinne<…!« hörte Parker in diesem Augenblick. Die Stimme klang verzerrt, irgendwie unmenschlich und unheimlich. Parker nahm sofort den Kopf herum. Doch wegen der Dampfschwaden war nichts zu sehen. Die >Spinne< schien diese Sichtbehinderung bewußt einkalkuliert zu haben. Parker reagierte instinktiv. Er verlor keine Zeit damit, etwa nach seiner Waffe zu greifen. Er hatte ja den wohlgefüllten Wassereimer in der Hand. Aus dem Stand heraus schwenkte er diesen Wassereimer hoch und schüttete den gesamten Inhalt in die Richtung, aus der die Stimme der >Spinne< gekommen war. Er traf sein Ziel. Parker konnte das zwar nicht sehen, dafür aber deutlich hören, denn ein verzerrt klingender Fluch schnitt durch die Nebelschwa-
den. Gleichzeitig dazu peitschte ein Schuß los, der sein Ziel allerdings verfehlte. Das Geschoß zischte an Parker vorbei und landete irgendwo in der Wand. Parker war nach dem Ausschütten des Wassereimers längst zur Seite ausgewichen und beeilte sich unter Verzicht auf jede Würde, so schnell wie möglich an die >Spinne< heranzukommen. Er fand die Wand, wußte, wo ungefähr die Tür war und hörte in dieser Sekunde das harte Zuschlagen der Tür. Dann wurde ein Schlüssel im Schloß herumgedreht. Damit, das wußte der Butler, war die >Spinne< wieder einmal entkommen. Aber sie wußte jetzt aus erster Hand, daß mit einem Mann namens Josuah Parker auf keinen Fall zu spaßen war! * Der Butler mußte seinen Colt noch einmal sprechen lassen. Danach war das Schloß in der Tür nicht mehr funktionsfähig, damit war die Tür dann wieder leicht zu öffnen. Auf dem Boden waren nasse Trittspuren zu erkennen, ein sicheres Zeichen dafür, daß die >Spinne< auch voll getroffen worden war. Parker verfolgte diese Spuren bis hinaus in den Hinterhof. Dort verliefen sie sich auf dem Pflaster. Die >Spinne< hatte es also vorgezogen, sich nach Parkers Kaltwasserbehandlung schleunigst abzusetzen. Der Butler ging zurück zu Forster. Er mußte diesem Mann helfen, mochte er auch ein Gangster sein. Forster war jetzt nur noch ein schwermißhandelter Mann, der wahrscheinlich um sein Leben kämpfte. Als Parker wieder im Saal der Schwitzkästen angelangt war, hatte der neblige Dunst sich bereits etwas verzogen. Dan Forster lag noch immer regungslos auf der Holzpritsche. Sein Atem ging allerdings schon tiefer und wirkte kräftiger. Mittels weiterer Wasserdosierungen schaffte Parker es dann, Forster wieder etwas hochzubringen. Als er ihn aufrichten wollte, brüllte der Gangster laut auf. Parker konnte diese Reaktion sehr gut verstehen, denn Forster mußte am ganzen Körper verbrüht sein. »Der Boß…!« stammelte Forster unkontrolliert, »der Boß…!« »Ich werde mir erlauben, gleich nach ihm zu sehen«, antwortete
Parker beruhigend. »Zuerst muß ich Sie aber schleunigst in ein Hospital schaffen lassen!« Ohne eine Antwort abzuwarten, die er wohl ohnehin nicht bekommen hätte, verließ Parker den Raum und suchte nach einem Telefon. Er wußte, daß im Kassenschalter vorn an der Treppe ein Apparat war. Von dort rief er Lieutenant Madford an. Er hatte Glück, den Polizeidetektiv sofort sprechen zu können. Als Madford Parkers Stimme erkannte, wurde er sarkastisch. »Wie ungemein freundlich, daß Sie sich noch mal hören lassen«, meinte er, »ich weiß genau, daß Sie mir um jeden Preis aus dem Weg gehen.« »Sir, ich bin gern bereit, mir zu einem anderen Zeitpunkt Ihre Vorwürfe anzuhören«, erwiderte Parker, »im Augenblick aber habe ich große Sorgen, ob ein gewisser Dan Forster mit dem Leben davonkommen wird! Er ist gegen seinen Willen einer Heißdampfbehandlung unterzogen worden, die das schlimmste befürchten läßt…!« »Moment mal, Forster von der Allinson-Sauna?« »Eben der, Sir, ich höre, daß Mister Rander Sie bereits informiert hat.« »Wir kommen!« sagte Madford nur. »Vergessen Sie nicht, Sir, auch einen Krankenwagen mitzubringen«, bat der Butler in seiner korrekten Art, »es empfiehlt sich zusätzlich, auch einen Arzt zu dieser Fahrt einzuladen.« »Warten Sie dort!« rief Lieutenant Madford noch in den Hörer, »und keine Extratouren, Parker, bis wir da sind!« »Sie können sich auf mich wie immer fest verlassen, Sir«, meinte der Butler höflich und legte auf. Dann ging er zurück zu Dan Forster, dessen Zustand sich natürlich noch nicht verändert hatte. Wegen der Verbrühungen wagte Parker es nicht, den hilflosen Mann zu entkleiden. Er hätte dabei möglicherweise ganze Hautstücke mit abziehen können… Um die Zeit bis zu Madfords Eintreffen zu nutzen, suchte der Butler nach dem Boß, Mister Joe Allinson, zumal Forster ja eindeutig darauf hingewiesen hatte. Parker begab sich ohne Umschweife sofort nach oben in die dritte Etage. Sein Vorteil war es, daß er die Räumlichkeiten ja bereits kannte. Er öffnete die bewußte Tapetentür und schritt durch die teuer eingerichteten Räume des Saunainhabers.
Im Schlafzimmer fand er den Boß… Joe Allinson lebte nicht mehr! Nur bekleidet mit seinem Bademantel, der sich verschoben und geöffnet hatte, lag Allinson auf dem Bett. Er war aus nächster Nähe erschossen worden. Von einem Mörder also, den er wahrscheinlich gut gekannt haben mußte, denn sonst hätte er ihn wohl nicht in sein Schlafzimmer hineingelassen. Ob die >Spinne< für diesen Mord verantwortlich war? Parker wußte es natürlich nicht. Er war nur auf Vermutungen angewiesen. Und diese Vermutungen sprachen selbstverständlich eindeutig für die »Spinne«. Parker konnte sich ungefähr vorstellen, warum die geheimnisvolle >Spinne< so gehandelt hatte. Hier war es darum gegangen, mögliche Brücken abzubrechen. Die >Spinne< war aus Gründen der Vorsicht dabei, alle Spuren zu verwischen. Sie hatte Joe Allinson wohl nicht mehr getraut und Verrat gefürchtet. Wer mochte diese >Spinne< nun sein? Paul Treston, wie der ebenfalls ermordete Clive Wanting vor seinem Tod behauptet hatte? Oder irgendeine Person, die Parker noch gar nicht kannte? Kam als Mörderin vielleicht Clive Wantings Freundin Norma Calway in Betracht? Oder irgendwelche Agenten, die bisher unsichtbar geblieben waren? * Es war Abend geworden. Josuah Parker servierte das Dinner. Mike Rander war nicht allein. Seine Gäste am Eßtisch waren Lieutenant Madford und Sergeant McLean. Und wieder einmal deutete nichts darauf hin, daß Parker erneut einige Abenteuer überstanden hatte. In korrekter gestreifter Weste stand er in der Nähe des Tisches und legte die ausgesuchten Speisen vor, die er in der erstklassig eingerichteten Pantry der Dachgartenwohnung hergerichtet hatte. Er hatte derart gut gekocht, daß Madford und McLean im wahrsten Sinne des Wortes das taten, was man im Volksmund »reinhauen« nennen würde. Und das, obwohl die beiden Polizeidetektive irgendwie verstimmt waren, was den Butler anbetraf. Erst beim Mokka, den Parker im Arbeitsraum seines jungen Herrn
reichte, kamen Madford und McLean zur Sache. Diesmal hinderte sie auch nicht der Mokka daran, Parker unter Beschuß zu nehmen. »Eine äußerst verfahrene Geschichte«, stellte Madford fest und ließ sich von Parker Feuer für seine Zigarette geben. »Allinson, der Mann also, der uns etwas über die >Spinne< hätte sagen können, ist ermordet worden. Warum, zum Teufel, haben Sie uns nicht früher diesen Tip gegeben, Parker?« »Das war mir leider unmöglich, Sir«, antwortete der Butler zurückhaltend und steif, »die Ereignisse überschlugen sich, wie ich nachträglich noch einmal feststellen möchte. Zudem möchte ich herausstellen, daß ich von der Sauna aus die Polizei informierte. Wie Mister Allinson mir noch vor seiner Ermordung mitteilte, wurden er und sein Mitarbeiter Forster von der Polizei aus der Sauna befreit…!« »Gut, die Polizei haben Sie verständigt, Parker, aber doch nicht mich! Und das allein hätte gezählt! Erst von Ihrem Chef habe ich erfahren, was mit Allinson und Forster los gewesen ist.« »Und mit Amsen und Hotchins«, fügte Sergeant McLean hinzu. »Steve und Butch sind längst wieder auf freiem Fuß«, redete Lieutenant Madford weiter. »Sie haben diese beiden üblen Burschen nicht eingesperrt?« wunderte sich Mike Rander und beugte sich interessiert vor. »Natürlich mußte ich sie laufenlassen«, erklärte Madford grimmig, »unter welcher Beschuldigung hätte ich sie denn festsetzen sollen? Was haben sie effektiv angestellt? Sie sind von Parker, wie sie eiskalt behaupteten, gekidnappt worden. So sieht die Sache doch aus…! Ich würde mich nicht wundern, wenn sie gegen Parker eine Anklage starten würden!« »Ich glaube nicht daran, Sir«, sagte Parker würdevoll. »Ich glaube nur, daß Steve Hotchins und Butch Amsen noch ungemein interessant werden.« »Wieso denn das«, wunderte sich Madford und sah den Butler gereizt an, »ich bin gespannt, mit welchen Argumenten Sie mir jetzt kommen werden.« »Nun, Sir«, begann Parker, »nach dem Ausfall von Allinson und Dan Forster braucht die >Spinne< nach wie vor handfeste Männer, die sich nicht scheuen, einen Mord zu begehen.« »Sie meinen Amsen und Hotchins, ja?« »In der Tat, Sir! Da nur diese beiden Männer bekannt sind und
ich in aller Bescheidenheit in etwa vorausberechnen kann, wie sie reagieren, sind sie in meinen Augen keine ernsthaften Gegner mehr…!« »Falls die >Spinne< sich neue Männer aussucht«, warf McLean ein. »Ich denke nicht, Sir«, antwortete der Butler: »Und ich möchte es auch nicht hoffen. Mich interessiert zu erfahren, wer die Herren Allinson und Forster sind, beziehungsweise waren.« »McLean, jetzt sind Sie an der Reihe!« Madford wandte sich an seinen Mitarbeiter und ließ sich bequem im Sessel zurücksinken. »Allinson ist uns schon seit langer Zeit bekannt«, begann McLean. »Früher, das ist jetzt fast zehn Jahre her, war er die rechte Hand eines New Yorker Gangsterbosses. Allinson war ein Gauner, hart, gerissen und brutal…!« »Wurde er nie erwischt?« warf Mike Rander ein. »Nie«, gab Madford zurück. »Er konnte sich aus allen Verfahren immer wieder herauswinden. Nach einem internen Gangsterkrieg setzte er sich hierher nach Chikago ab und machte die Sauna auf. In diesem Zusammenhang muß ich noch erwähnen, daß er aus dieser Branche stammte. Er war früher mal Masseur in einer Sauna, kannte sich also bestens aus.« »Übernahm er hier in Chikago irgendwelche Aufträge?« fragte Mike Rander weiter. »Wahrscheinlich ja, wie ja im Falle der >Spinne<; aber er war immer sehr vorsichtig. Nachweisen konnten wir ihm nie etwas.« »Wie wäre man, sagen wir, als Privatmann, an Allinson herangekommen?« stellte Mike Rander seine nächste Frage. »Gar nicht«, erklärte McLean energisch. »Wie darf ich dieses >gar nicht< auslegen?« erkundigte sich der Butler, der einen sehr interessierten Eindruck machte. »Nun ja, ich sage Ihnen doch nichts Neues, Parker! Einen Killer oder den Boß einer Gang engagiert man nicht so einfach. Dazu braucht es schon erstklassige Verbindungen. Und ein Mann wie Allinson hätte sich gehütet, irgendeinen Privatauftrag zu übernehmen.« »Ich beuge mich Ihrer Beweisführung«, sagte Parker. »Mit anderen Worten, wenn ich recht verstanden habe, man braucht schon sehr intime Kontakte zur Unterwelt, wenn man einen Mann wie Allinson für einen Auftrag interessieren will, ja?« »Sage ich doch die ganze Zeit«, erwiderte McLean. »Und damit
sind wir bereits bei diesem Chefbuchhalter Paul Treston…!« »Ein Mann wie Treston wäre also niemals an Allinson herangekommen?« präzisierte Mike Rander. »Das will ich damit sagen«, erklärte McLean. »Schön, nach Parkers Erklärung hat Wanting vor seiner Ermordung behauptet, Treston sei hinter ihm her. Mike Custer wenigstens hat das ja bestätigt! Aber das will mir eben nicht in den Kopf.« »Was halten Sie überhaupt von diesem Mike Custer?« erkundigte sich der Anwalt. »Mike Custer hat Geld gemacht«, schaltete Madford sich ein, »seine Privatdetektei floriert, kann man nicht anders sagen. Er hat erstklassige Leute und pickt sich lohnende Fälle heraus. Ärger hatten wir noch nie mit ihm.« »Das deckt sich mit meinen Erfahrungen«, sagte Mike Rander, »Custer ist clever und gerissen, aber er weiß genau wann irgendeine Sache brenzlig wird. Sagen Sie, Madford, wann ist Dan Forster vernehmungsfähig?« »Er hat sehr schwere Verbrühungen davongetragen«, erwiderte Madford. »Die Ärzte fürchteten um sein Leben! Wenn Parker ihn nicht rechtzeitig aus dem Schwitzkasten herausgeholt hätte, wäre er tatsächlich verbrüht! Es steht einwandfrei fest, daß er umgebracht werden sollte, wie sein Chef Allinson!« »Mit einer Vernehmung ist also vorerst nicht zu rechnen?« »Ausgeschlossen, das sitzt nicht drin«, antwortete Madford und schüttelte den Kopf. »Wir werden vorerst ohne Forster weiterarbeiten müssen. Wenn man nur wüßte, wo eine brauchbare Spur ist.« Nachdem Madford geendet hatte, sah er Mike Rander und Josuah Parker forschend an. Er hoffte wohl, etwas erfahren zu können, doch Herr und Butler verhielten sich äußerst reserviert. Es sah fast so aus, als wollten sie um keinen Preis der Welt mit der Sprache herausrücken. »Sie haben die >Spinne< wirklich nicht erkannt?« fragte Madford da nachdrücklich, »Sie müssen doch zumindest einen vagen Verdacht haben, oder?« »Ich fürchte, Sir, Sie enttäuschen zu müssen«, gab der Butler gemessen zurück, »denken Sie an die Dampfschwaden. Sie selbst und Sergeant McLean sind ja nach meinem Alarmruf noch in den Genuß dieser Atmosphäre gekommen. Zu sehen war nichts. Zu
ahnen noch weniger! Ich fürchte sehr, daß die >Spinne< nicht leicht zu finden sein wird…!« * Etwa eine halbe Stunde nach dem Gespräch saß Parker bereits wieder am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und war unterwegs. Daß er seit dem Verlassen der Tiefgarage verfolgt wurde, machte ihm nichts aus. Es beruhigte ihn geradezu, daß die beiden Verfolger gute, alte Bekannte waren. Steve Hotchins und Butch Amsen mühten sich ab, seinem Wagen zu folgen. Parker tat nichts, um seine Verfolger abzuschütteln. Er gab allerdings auch nicht zu erkennen, daß er von seinen Verfolgern wußte. Er wollte Hotchins und Amsen erst einmal in Sicherheit wiegen und herausfinden, was sie vorhatten. Er konnte sich übrigens gut vorstellen, daß sie nach dem Ausfall von Allinson und Forster direkt von der >Spinne< eingesetzt worden waren. Aus reiner Langeweile beschäftigten sie sich bestimmt nicht mit ihm. Parker fuhr übrigens hinaus nach Evanston, um Paul Treston einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Treston bewohnte in der Nähe der Wanting-Betriebe ein kleines Apartment. Und er war noch auf, als Parker sich bei ihm einfand. »Sie, Mister Parker?« wunderte sich Treston, »aber kommen Sie doch herein! Ist irgend etwas passiert?« »Ich kann mich auf keinen Fall beklagen«, sagte Parker und sah sich in dem Apartment um. Viel Wert auf Einrichtung schien Treston nie gelegt zu haben. Ja, im Grunde sah es sogar ärmlich aus. »Darf ich Ihnen was anbieten?« fragte Treston, der einen aufgeregten und nervösen Eindruck machte. »Danke, ich möchte meine beiden Verfolger nicht zu lange warten lassen«, antwortete Parker höflich, »es gilt, einige Informationen aus erster Hand von Ihnen zu bekommen.« »Von mir…?« »Stimmt es, daß Mister Wanting Sie entlassen hatte?« »A… a…llerdings«, stotterte Treston, »von wem wissen Sie das?« »Das ließ sich leicht feststellen«, erklärte der Butler, »stimmt es ferner, daß Sie mit Mister Wanting das hatten, was man eine er-
regte Auseinandersetzung nennen würde?« »Nun ja«, sagte Treston und sah plötzlich zerknittert und vertrocknet aus, »wir waren nicht gerade höflich zueinander.« »Warum zerstritten Sie sich mit Ihrem Chef, Mister Treston?« »Er war dahintergekommen, daß ich seine Frau mit Nachrichten über den Geschäftsgang informierte.« Treston wurde nun von Sekunde zu Sekunde ruhiger. »Die Unterhaltszahlungen an die geschiedene Mrs. Wanting errechneten sich aus dem monatlichen Umsatz. So wurde damals vom Gericht entschieden. Es hat mich geärgert, daß Mister Wanting mich dazu zwang, falsche Monatsberichte vorzulegen. Und da wandte ich mich dann an seine Frau und gab ihr verschiedene Tips. Denken Sie nur nicht, ich sei mit Mrs. Wanting irgendwie liiert gewesen…! Es war mein Gerechtigkeitsgefühl, verstehen Sie…?« »Sie mochten, um es einmal rundheraus zu sagen, Mister Wanting nicht sonderlich leiden, ja?« »Stimmt«, antwortete Treston und richtete sich auf, »ehrlich, ich haßte ihn. Jahrelang war ich sein erster Mann. Ich schuftete Tag und Nacht für ihn! Und dann stellte er einen jungen Burschen nach dem anderen ein! Und alle wurden besser bezahlt als ich. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er mich gefeuert hätte… Auch wenn er die Geschichte mit seiner geschiedenen Frau nicht herausgefunden hätte!« »Dann kann ich nicht verstehen, warum Sie sich hilfesuchend an mich wandten«, sagte Parker. »Aus Angst«, erklärte Treston. »Alle im Büro hatten doch mit angehört, daß ich ihn umbringen wollte… Ja, sehen Sie mich nicht so an! Das habe ich in meiner Wut gesagt, obwohl ich zu Wutanfällen bestimmt nicht neige! Ja, und plötzlich war Mister Wanting verschwunden. Wen hätte die Polizei denn beschuldigt? Doch nur mich! Also mußte ich selbst dafür sorgen, daß Mister Wantings Verschwinden geklärt wurde!« »Sie waren Mister Wantings Chefbuchhalter?« »Aber das wissen Sie doch, Mister Parker. Sie können nachfragen, es stimmt…!« »Konnte Mister Wanting Geld aus dem Geschäft ziehen, ohne daß Sie es gemerkt hätten?« »Nee, ich meine nein… niemals… Ich wußte über jeden Cent Bescheid!« »Dann möchte ich Sie eindringlich bitten sich zu erinnern, ob Mis-
ter Wanting ungewöhnlich hohe Geldbeträge laufend dem Geschäft entzog.« »Wanting führte ein sehr aufwendiges Leben«, entgegnete Treston. »Denken Sie an regelmäßige Beträge?« »Das ist es, wonach ich im Grunde frage!« »Na ja, er zahlte seit gut einem Jahr regelmäßig pro Monat einen Betrag von eintausend Dollar.« »Sehr schön. Und an wen…?« »Das weiß ich nicht, Mister Parker!« »Sie erlauben, daß ich nicht recht verstehe und begreife!« »Dieser Betrag fiel mir immer wieder auf«, antwortete Treston, »gerade deshalb, weil es sich immer regelmäßig um eintausend Dollar handelte. Er überwies sie auf ein Sonderkonto bei seiner Bank. Was dann mit dem Geld geschah, weiß ich eben nicht.« »Hatten Sie jemals den Eindruck Mister Wanting könnte erpreßt worden sein?« »Natürlich ist mir dieser Verdacht schon mal gekommen«, gab Treston zurück, »aber vielleicht ging das Geld auch nur an seine Freundin Norma Calway… Das heißt, die bekam ihr Geld extra, ohne dieses Sonderkonto. Mister Wanting machte nie einen Hehl daraus, wenn ich für Miß Calway einen Scheck ausstellen mußte. Die eintausend Dollar müssen also doch wohl für einen anderen Zweck gedacht gewesen sein.« »Sie haben nicht das, was man den leisesten Verdacht nennt?« »Nicht die Spur, Mister Parker, mein Ehrenwort! Sagen Sie, soll ich mich jetzt nicht doch an die Polizei wenden? Ich meine wegen meiner Entlassung?« »Das ist dort bereits bekannt«, sagte es Parker, »Mister Custer von der Privatdetektei Custer informierte uns bereits…!« »Dann stehe ich jetzt also unter Verdacht, meinen Chef ermordet zu haben?« Paul Treston wurde wieder erregt und nervös. »In der Tat, so lange wenigstens, bis die >Spinne< gefunden worden ist.« »Wer…?« fragte Treston gedehnt und schüttelte sich unwillkürlich, als Parker von einer Spinne sprach. »Ich meinte den Mörder Mister Wantings«, sagte Parker und griff nach seiner Melone. An der Tür blieb er noch einmal kurz stehen und schaute Treston an. Dann fügte er beiläufig hinzu: »Sagen Sie, Mister Treston, sagt Ihnen der Name Allinson etwas?«
»Allinson…? Die Allinson-Sauna?« gab Treston zurück und nickte gleichzeitig, »doch, natürlich, Mister Parker! Dort ging Mister Wanting zweimal die Woche hin. Dort lernte er ja auch Miss Calway kennen. Die arbeitete dort als Sekretärin.« »Kennen Sie zufällig auch einen gewissen Dan Forster?« »Natürlich, Mister Forster war doch der Chef von Miß Calway. Er managte die Sauna…!« »Noch etwas«, sagte Parker, seine nächste Frage stellend, »traf Mister Wanting dort etwa Freunde? Ich meine Geschäftsfreunde…?« »Ja, natürlich… Die Allinson-Sauna ist ziemlich exklusiv, da kommt nicht jeder rein…! Da verkehren nur geldschwere Geschäftsleute! Nicht so einfache Angestellte wie ich einer war.« »Ich möchte mir erlauben, mich für die erteilten Auskünfte höflichst zu bedanken«, sagte Parker. »Sie werden wieder von mir hören, Mister Treston, seien Sie dessen sicher…!« Gegenüber dem Hauseingang stand der Wagen, in dem die beiden Gangster Steve Hotchins und Butch Amsen saßen. Parker sah sie, als er die Treppe hinunterging und einen Augenblick lang an einem der Flurfenster stehenblieb. Das Licht vieler bunter Reklamen strahlte bis in den parkenden Wagen hinein. Eine Verwechslung war ausgeschlossen. Die Frage war, ob Steve und Butch tätig wurden. Hatten sie von der >Spinne< den Auftrag erhalten, ihn so schnell wie möglich niederzuschießen? Parker wollte es darauf ankommen lassen. Um Auswege niemals verlegen, wählte er einen passablen Umweg. Vom unteren Flur aus ging er hinüber in den Hinterhof. Dort suchte und fand er dann den Zugang zu einem anderen Haus. Auch hier gab es einen Flur, der hinaus auf die Straße führte. Parker blieb, nachdem er vorsichtig die Straße betreten hatte, hinter einem parkenden Lastwagen und pirschte sich dann vorsichtig an den Wagen der Gangster heran. Steve und Butch ahnten von nichts. Sie rauchten Zigaretten und hatten die hintere Wagenscheibe, heruntergekurbelt. Parker empfand dies als eine freundliche Einladung. Er griff in eine der vielen Taschen seines schwarzen Zweireihers und förderte einige Gegenstände zutage, die an Bonbons erinnerten. Er zupfte die bunte Verpackung ruckartig ab und warf dann die
Bonbons leise auf den Rücksitz. Dann zog er sich diskret zurück und blieb neben dem parkenden Lastwagen stehen. Nach knapp zweieinhalb Sekunden brach eine kleine Hölle im Wagen der Gangster los. Die Bonbons – es handelte sich um Knallbonbons eigener Herstellung – detonierten und versprühten Rauch und Feuer. Dazu hüpften sie noch unkontrolliert durch das Wageninnere und scheuchten die beiden gelangweilten Gangster ruckartig hoch. Parker genoß die Szene, die sich dann abspielte. Die beiden Gangster, verständlicherweise erschreckt, drückten die Wagentüren auf und ließen sich geistesgegenwärtig aufs Pflaster fallen. Sie rollten sich zur Seite ab und gingen erst einmal in Deckung. Inzwischen zischten und hüpften die Knallfrösche im Wageninnern munter umher. Rauch quoll aus den offenen Türen. Der dazugehörige Krach erinnerte an eine mittelschwere Gefechtstätigkeit. So jäh, wie das Feuerwerk begann, so jäh endete es. Plötzlich herrschte Stille. Die beiden Gangster richteten sich vorsichtig auf. Mißtrauisch näherten sie sich dem rauchenden Wagen. Parker drückte sich noch enger an den parkenden Lastwagen. Er legte keinen Wert darauf, gerade jetzt gesehen zu werden. Er konnte sich gut vorstellen, daß die beiden hartgesottenen Gangster unmutig waren. Butch bemühte sich, die schwelenden Polster abzulöschen. Er benutzte dazu seine Jacke. Steve hantierte am Steuer herum, rief seinem Partner dann etwas zu und ließ den Motor anspringen. Butch stieg ein. Er war wohl genauso wie sein Partner Steve der Ansicht, daß man diese ungastliche Stätte so schnell wie möglich verlassen sollte. Parker sorgte dafür, daß die beiden Gangster sich zusätzlich beeilten. Er wollte sie endlich unblutig los werden. Sie brauchten nicht zu wissen, welches Ziel er nun ansteuern wollte. Mit ein paar geübten Handbewegungen setzte der Butler seine zusammenlegbare Gabelschleuder in Betrieb. In die Lederschlaufe, die beide Gummistränge zusammenhielt, legte er die beiden letzten Knallbonbons, die ihm noch zur Verfügung standen und wartete, bis der Wagen der Gangster aus der Parklücke hinauskurvte. Die Breitseite des Wagens bot sich seinen Blicken. Und auch die heruntergekurbelte, hintere Wagenscheibe.
In diesem Augenblick strammte Parker die beiden Gummistränge und… schoß die beiden Knallbonbons nach der Schnellzündung zusätzlich und nachträglich noch in den Wagen hinein. Der Wagen schien Bruchteile von Sekunden später von einer Tarantel gebissen worden zu sein, sofern dieser Vergleich bei einem Wagen überhaupt angebracht ist. Im Explodieren der beiden Knallbonbons, im Herumziehen und Knattern tat der Wagen einen verzweifelten Satz nach vorn, schlingerte, kam für einen kurzen Moment aus der Fahrtrichtung und raste dann auf zwei Rädern in die nächste Kurve hinein, einen Kometenschweif von Rauch und Funken hinter sich lassend. Womit der Butler sein Ziel erreicht hatte. Zufrieden schritt er würdevoll hinüber zu seinem parkenden Wagen und setzte sich ans Steuer. Er brannte darauf, sich in den Räumen der Allinson-Sauna noch einmal umzusehen. Es galt, gewisse Ermittlungen anzustellen…! Mit den beiden Gangstern Hotchins und Amsen war seiner Ansicht nach jetzt nicht mehr zu rechnen. Parker ließ seinen Wagen draußen auf der Straße stehen und ging zu Fuß durch den dunklen Torbogen hinüber in den Innenhof. Hier blieb er einen Moment lang stehen und beobachtete die Fensterfront des Saunaanbaus. Die Fenster waren dunkel. Nur in den Scheiben der zweiten und dritten Etage spiegelte sich das Licht der Reklamen, das die Nacht diffus erhellte. Irgendwelche Besonderheiten konnte der Butler nicht entdecken. Er ging also hinüber zum Eingang der Sauna und… war etwas überrascht, das Polizeisiegel an der Tür erbrochen zu sehen. Wer mochte sich Zutritt zur Sauna verschafft haben, nachdem Allinson hier ermordet worden war? Befand sich der Besucher noch im Anbau? Oder war er inzwischen längst wieder gegangen? Parker drückte die Tür auf und trat ein. Auf leisen Sohlen, die selbst eine Katze überrascht hätten, stieg er über die Treppe sofort hinauf in die zweite Etage. Um die eigentliche Sauna kümmerte er sich nicht weiter. Dort gab es für ihn seiner Ansicht nach nichts zu holen. Parker wurde angenehm überrascht. Als er die zweite Etage erreicht hatte hörte er deutlich einige Geräusche, die auf einen Besucher schließen ließen. Parker mußte sich sogar beeilen, um von der Bildfläche zu ver-
schwinden. Schritte näherten sich nämlich. Schnelle und vorsichtige Schritte. War der nächtliche Besucher aufmerksam und mißtrauisch geworden? Butler Parker verschwand erst einmal hinter einer der vielen Bürotüren, ließ die Tür aber nur angelehnt. Sekunden später schnitt der Lichtstrahl einer gut abgeblendeten Taschenlampe durch die Dunkelheit des Korridors. Die Schritte kamen näher…! Parker sah durch den geöffneten Türspalt nur einen Schatten, der auf einen Menschen hindeutete. Er wartete, bis dieser menschliche Schatten seine Tür passiert hatte. Dann trat er hinaus auf den Korridor und bat seinen Universal-Regenschirm um Hilfe. Der Regenschirm tat seine Pflicht, genauer gesagt, handelte es sich um den bleigefütterten Bambusgriff des Schirmes, der sich gehorsam auf den Hinterkopf des Schattens legte. Ein ersticktes Stöhnen war die ganze akustische Reaktion. Hilfsbereit und schnell stand Parker bereits hinter dem Schatten und fing ihn auf. Bei dieser Gelegenheit merkte er zu seiner Überraschung, daß es sich bei diesem Schatten offensichtlich um eine Frau handeln mußte. Parker war peinlich berührt. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Er bedauerte es nachträglich, eine Frau zum Bleiben veranlaßt zu haben. Besorgt und mitfühlend trug er die Frau in das Büro, das er gerade verlassen hatte. Bei dieser Gelegenheit merkte er, daß seine Schuhe über raschelnde Papiere hinwegschritten. Nachdem Parker die Frau in einen Sessel gedrückt hatte, ging er noch einmal zurück in den Korridor und barg das raschelnde Papier. Er stellte fest, daß es sich um einen Schnellhefter handelte. Er trug ihn zurück zur Frau und legte ihn erst einmal auf einem Aktenbock ab, um die Hände freizuhaben. Anschließend genierte er sich nicht, Licht einzuschalten. Nachdenklich blieb er vor der Frau stehen. Sie wirkte recht attraktiv, selbst in dem gelackten Regenmantel und dem Kopftuch, das sie sich umgebunden hatte. Wer diese Frau war, wußte er nicht. Er hatte sie noch nie gesehen. In ihm keimte jedoch ein bestimmter Verdacht auf. Ob es sich hier um jene Norma Calway handelte, die seinerzeit einmal als Sekretärin in der Sauna gearbeitet hatte, bevor sie die Freundin von Clive Wanting geworden war?
Da sie noch schlief, sah Parker sich den Inhalt des Schnellhefters aus nächster Nähe an. Besonders interessant waren diese Papiere allerdings nicht, wie er enttäuscht feststellte. Es handelte sich um eine Art von Kartei blättern, die auf jeweils verschiedene Namen ausgestellt waren. Auf diesen Karteiblättern waren geleistete Zahlungen vermerkt. Weiter enthielten sie Angaben über die Art der Saunabehandlung der jeweiligen Personen. Alles wirkte vollkommen unverdächtig. Es paßte durchaus in den Rahmen eines gut geführten Unternehmens. Auffallend war nur, daß diese Personal- und Kontenbogen in höchster Eile zusammengerafft worden sein mußten. Sie lagen sehr unordentlich im Schnellhefter, waren zerknittert und teilweise sogar an den unmöglichsten Stellen gefaltet. Die junge Dame, die diese Kontenbogen zusammengerafft hatte, mußte sich sehr beeilt haben. Wahrscheinlich hatte sie irgendeine Entdeckung oder Überraschung befürchtet. Parker warf einen Blick auf die diversen Namen der Kontenbogen. Die Namen waren nicht alphabetisch geordnet. Sie schienen dennoch unter einem bestimmten Gesichtspunkt in den Schnellhefter geworfen worden zu sein. Parker traf erst einmal Vorsorge, wie es seine Art war. Er ließ die gefundenen Kontenbogen irgendwo in einem der vielen Regale verschwinden. Dann füllte er den Schnellhefter, den er dann neben den Sessel warf, in dem die junge Frau saß. Sie kam übrigens wieder zu sich. Sie stöhnte schwach und verhalten, griff sich mit einer fahrigen Bewegung an den Kopf und öffnete dann ohne jeden Übergang die Augen. Es handelte sich übrigens um wunderschöne, dunkle Augen, wie Parker sofort objektiv registrierte. »Was… ist…?« fragte die junge Frau und richtete sich mühsam auf. »Sie müssen gestolpert sein«, sagte Parker, höflich seine schwarze Melone lüftend, »bei dieser Gelegenheit schlugen Sie wohl mit dem Hinterkopf gegen die Wand.« »Wie… wie kommen Sie denn hierher?« wollte die junge Frau wissen. Sie nahm das Kopftuch ab und gab die langen dunkelbraunen Haare frei, die bis auf die Schultern hinunterfielen. »Ich denke, ich stelle mich erst einmal vor«, sagte der Butler. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker… Und Sie sind, wenn mich
nicht alles täuscht, Miß Norma Calway, nicht wahr?« Sie nickte nur. Sie rieb sich den immer noch schmerzenden Kopf und sah sich vorsichtig im Büro um. »Kann ich etwas Wasser haben?« fragte sie dann mit schwacher Stimme. »Das läßt sich einrichten«, gab der Butler höflich zurück, »fühlen Sie sich schon wieder etwas besser?« »Der Kopf…!« meinte sie und sah den Butler unglücklich an. »Ich weiß überhaupt nicht, wieso ich gestolpert sein soll…!« Während sie sprach, entdeckte sie den Schnellhefter neben dem Sessel. Sie wollte danach greifen, doch der Butler war schneller. Geschult und hilfsbereit hob er ihn auf und legte ihn auf den Aktenbock. Norma Calway verfolgte jede seiner Bewegungen, bestand aber nicht darauf, den Schnellhefter in die Hand zu bekommen. »Etwas Wasser…!« wiederholte sie ihre Bitte mit schwacher Stimme und griff mit einer tragisch anmutenden Geste an den Hinterkopf. »Wird sofort serviert«, versprach der Butler, »wenn Sie sich einen kleinen Moment gedulden wollen, Miß Calway, ich bin sofort wieder zurück.« Parker verließ das Büro und tat alles; sie in dem Glauben zu lassen, er besorge auf dem schnellsten Weg das erbetene Wasser. In Wirklichkeit aber blieb er hinter der angelehnten Tür zum Waschraum stehen und beobachtete das erleuchtete Büro. Norma Calway fand überraschend schnell zu ihren Kräften zurück. Sie erschien bereits in der Tür, sah sich vorsichtig um und verschwand dann mit schnellen Schritten in Richtung Treppe. Sie vergaß selbstverständlich nicht, den bewußten Schnellhefter mitzunehmen. Sie wußte nur noch nicht, daß Parker den Inhalt dieses Schnellhefters gegen wertlose Makulatur ausgetauscht hatte! Parker wartete, bis Norma Calway seiner Schätzung nach den Anbau verlassen hatte. Dann ging er zurück ins Büro und rief sofort seinen jungen Herrn an. Das heißt, er wählte eine Spezialnummer, die nur Mr. Rander und ihm bekannt war. Diese Telefonnummer war mit einem Bandaufnahmegerät gekoppelt. Wenn Parker jetzt sprach, dann wurde alles, was er sagte, auf Tonband mitgeschnitten. Es han-
delte sich um eine Schaltung, die sich schon oft als sehr erfolgreich herausgestellt hatte. Parker sprach einen überraschend knappen Vorbericht in den Hörer, in dem er von seiner Begegnung mit Norma Calway berichtete. Er wies auf den Schnellhefter hin, den Norma Calway bei sich gehabt hatte, und erzählte von dem Austausch der Papiere. Danach beeilte er sich, die Namen auf den Kontenbogen per Telefon aufs Tonband zu sprechen. Erst jetzt kam er dazu, sich die Namen der betreffenden Konteninhaber genau anzusehen. Es wunderte ihn kaum noch, daß sich darunter auch der Name von Mr. Clive Wanting befand. Mit den übrigen Namen wußte er verständlicherweise nichts anzufangen. Doch das ließ sich zu einem späteren Zeitpunkt ja leicht nachholen. Nach diesem einseitigen Telefonanruf klappte der Butler den Schnellhefter wieder zu und deponierte ihn auf dem Aktenbock. Er fand es an der Zeit, sich im Büro umzusehen, aus dem Norma Calway die Kontenbogen geholt hatte. Genau in diesem Moment, als er würdevoll losgehen wollte, erlosch das Licht. Dunkelheit umgab ihn. Parker wußte, daß gewisse Gegner im Anmarsch waren. Sie mußten unten in den Räumen des Erdgeschosses die Hauptsicherung ausgeschaltet haben. Man wollte ihn also in aller Heimlichkeit stellen und aus dem Weg räumen. Norma Calway schien nicht allein gewesen zu sein. An irgendeiner Schießerei war der Butler überhaupt nicht interessiert. Wie leicht konnte es dabei zu einem unnötigen Blutvergießen kommen. Es gab doch andre Mittel, um sich Gegner vom Leib zu halten. Man mußte sich nur etwas Treffendes einfallen lassen. Und Parker fiel etwas ein. Wie hätte es auch anders sein können! Er erinnerte sich des Wandkastens, in dem sich ein aufgerollter Wasserschlauch befand. Es handelte sich um eine jener Sicherungen, die die Feuerlöschpolizei grundsätzlich für öffentliche Büros verlangte. Dieser Wandkasten mußte sich, wenn seine Erinnerung ihn nicht ganz täuschte, gleich rechts von der Bürotür draußen auf dem Korridor befinden. Parker hatte die Nerven, trotz der unheimlichen Dunkelheit das Büro zu verlassen. Seinen Berechnungen nach befanden die herannahenden Gegner sich erst auf der Treppe. Er kannte doch Gangster, wußte, wie vorsichtig sie waren.
Er hatte sich nicht getäuscht. Seine tastende Hand fühlte die perforierte Eisenplatte, die den Wandschrank verschloß. Er öffnete die kleine Tür und spulte ungeniert und durchaus laut den dicken, soliden Wasserschlauch ab. »He… Parker!« tönte es in diesem Augenblick von der Treppe her, »Parker… stecken Sie auf…! Sie kommen nicht mehr aus…! Wir haben die Telefonleitung zerschnitten… Anrufen ist sinnlos…!« »Warum nur dieser Aufwand?« gab der Butler mit normaler, ruhiger Stimme zurück. Er hatte die Stimme von Steve Hotchins erkannt. Und wo Steve war, konnte Butch nicht weit sein. Die beiden Gangster waren aus irgendeinem Grund hierher zurück in die Sauna gefahren. »Der Boß will Sie sprechen, Parker«, rief Steve weiter, »kommen Sie runter in die Sauna… Die >Spinne< wartet auf Sie…!« »Sie machen mich neugierig«, sagte Parker in die hohle Hand hinein, um die Klangrichtung seiner Stimme entscheidend zu verändern. Er wußte, daß Butch sich wahrscheinlich immer näher heranpirschte, während sein Partner Steve redete. Parker wollte nicht warten, bis Butch ihn unter Feuer nehmen konnte. Seine Hand begab sich hoch zum Ventilrad des Hydranten. Dann, ein paar entschlossene Drehungen, und schon schoß ein fast armdicker Wasserstrahl aus dem Mundstück des Schlauches. Der Wasserdruck war derart stark daß Parker fast den Schlauch verloren hätte. Er mußte sich gehörig anstrengen, um ihn unter Kontrolle halten zu können. Mit diesem mächtigen, druckvollen Wasserstrahl kehrte Parker den Boden des Korridors ab. Mit Erfolg…! Plötzlich, seit dem Andrehen des Wassers waren höchstens einige Sekunden vergangen, hörte er einen wütenden Aufschrei, dem ein dumpfer Sturz folgte. Wahrscheinlich war Butch vom Druck des Wasserstrahls von den Beinen gerissen und zu Boden geworfen worden. Parker nickte zufrieden und spritzte weiter. Der Schrei hatte ihm die ungefähre Richtung angegeben, in die er den Wasserstrahl leiten mußte. Dem ersten, wütenden Aufschrei folgte ein ersticktes Röcheln und Gurgeln. Dann schrie eine rauhe, wasserspuckende Männerstimme um Hilfe. Parker wußte, daß die allgemeine Richtung stimmte.
Er brauchte sich jetzt nur noch auf das Wasser zu verlassen. Er rückte also weiter vor und blinzelte überrascht, als das Licht im Büro plötzlich wieder anging. Gleichzeitig flammten auch die Deckenlampen im Korridor und im Treppenhaus auf. Strahlendes Licht erhellte die Szenerie. Nun bekam Parker auch optisch mit, wie erfolgreich er war. Er sah Butch, der auf dem nassen Boden des Korridors lag und krampfhaft versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Der starke Druckstrahl hatte ihn bereits gefährlich nahe an die ersten Treppenstufen geschwemmt. Butch versuchte, dennoch auf Parker zu schießen. Wogegen der Butler einiges hatte. Er richtete den Druckstrahl auf die Hand des Gangsters. Die Waffe wirbelte wie durch Zauberei hoch und rutschte aus der Hand des Gangsters. Dann senkte Parker wieder den Strahl und verpaßte Butch einen letzten Stoß, der ihn über die Treppenstufen nach unten rutschen ließ. Josuah Parker rückte mit dem mächtigen Wasserschlauch nach. Butch versuchte sich an den Stufen festzukrallen. Parker hatte jedoch kein Erbarmen. Mittels des starken Wasserstrahls schwemmte er den hilflosen Butch von Stufe zu Stufe immer weiter nach unten. Der Gangster verwandelte sich in eine hilflose Gliederpuppe, die keiner Eigenbewegung mehr fähig war. Sich überschlagend, die Hände hochreißend, purzelte der Gangster hinunter ins Erdgeschoß. »Viele Grüße an die >Spinne<«, rief Parker nach getaner Arbeit. »So unbekannt, wie sie sich dünkt, ist sie mir nicht mehr. Richten Sie das bitte an entsprechender Stelle aus! Jeder Gangster macht mal Fehler. Auch jener Gangster, der sich die Spinne nennt!« Zum Abschluß seiner Löscharbeiten richtete Parker den Wasserstrahl noch einmal direkt nach unten. Butch, der gerade hoffnungsfroh aufstehen wollte, wurde voll erwischt und erneut von den Beinen gewirbelt. Hustend, spuckend, nach Luft schnappend, naß wie die sprichwörtliche Katze, rettete er sich nach draußen. Sein Bedarf schien überreichlich gedeckt zu sein! *
Nach diesen freundlichen Wasserspielen verließ Parker die Sauna. Natürlich nicht auf dem üblichen Weg. Das wäre lebensgefährlich gewesen. Zumindest erbitterte Gangster warteten ja nur darauf, sich blutig an ihm zu rächen. Sie hatten sich bestimmt irgendwo auf der Straße aufgebaut, um ihn aus dem Hinterhalt gefahrlos niederschießen zu können. Parker unternahm also eine kleine Dachwanderung. Von den Privaträumen des ermordeten Joe Allinsons aus stieg er auf ein benachbartes Flachdach hinunter, öffnete das Flurfenster eines ebenfalls benachbarten Hauses und erreichte auf einigen Umwegen die Straße. Diesmal kümmerte er sich nicht weiter um Butch und Steve. Mochten sie halt warten, bis es hell wurde. Parker fand in einer der Nebenstraßen ein Taxi und ließ sich zurück zur Lincoln Park Avenue bringen, wo sein junger Herr bereits ungeduldig und auch ein wenig besorgt auf ihn wartete. »lch habe mir das Tonband bereits angehört«, sagte Mike Rander, nachdem Parker sich würdevoll und gemessen zurückgemeldet hatte, »was war denn eigentlich los?« Parker erstattete Bericht und kam dann noch einmal auf das besprochene Tonband zurück. »Miß Calway dürfte nicht umsonst die betreffenden Kontenbogen aus Allinsons Büro geholt haben«, sagte er. »Ich muß gestehen, Sir, daß ein bestimmter Verdacht in mir aufkeimt.« »Dann lassen Sie mich mal mitkeimen«, gab Mike Rander lächelnd zurück. »Wenn man von der Voraussetzung ausgeht, Sir, daß Mister Wanting bis zu seiner Ermordung erpreßt wurde, woraus sich einiges ableiten läßt, dann könnte es sich bei den Namen der übrigen Konteninhaber auch um Erpreßte handeln.« »Daran habe ich auch schon gedacht«, erwiderte Mike Rander, »haben Sie die Kontenbogen mitgebracht?« »Selbstverständlich, Sir…! Es ließ sich ohne weiteres einrichten. Ich habe mir erlaubt, sie bereits im Taxi zu studieren.« »Und zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?« »Die auf den Bogen verzeichneten Beträge bewegen sich in einem durchaus üblichen und normalen Rahmen«, gab der Butler zurück und deutete auf die Bogen, die er sichergestellt hatte und die jetzt auf Mike Randers Arbeitstisch lagen. »Die Summen übersteigen in keinem Fall die Beträge, die man für eine laufende
Saunabehandlung aufbringen müßte.« »Das ändert kaum etwas an unserem Verdacht«, gab Mike Rander zu überlegen, »nehmen wir mal an, die Leute dort auf den Bogen wurden erpreßt. Sie kamen in die Sauna, ließen sich völlig normal behandeln und zahlten anschließend aber nicht nur die Saunakosten, sondern auch die Beträge, die sie dem Erpresser zu leisten hatten. Also Mister Allinson!« »In der Tat, Sir«, gab der Butler zurück, »das wäre der unauffälligste Weg gewesen, sich mit dem Erpresser in Verbindung zu setzen. Im Falle Mister Wantings kam es zu einem Mord, weil Mister Wanting vielleicht nicht mehr gewillt war, die monatlichen Beträge zu leisten. Möglicherweise wollte er sich auch an die Polizei wenden.« »Das alles würde genau ins Bild passen«, pflichtete Mike Rander seinem Butler bei. »Fragt sich nur, weshalb und von wem Allinson erschossen wurde!« »Von der >Spinne<, Sir!« »Ein Begriff, mehr ist das doch nicht.« »Die >Spinne< existiert, Sir, ich fühle es. Sie ist der wahre Drahtzieher, nach dem gesucht werden muß. Mister Allinson war nur das Aushängeschild. Er wurde von der >Spinne< erschossen, als die Gefahr bestand, daß er und seine Machenschaften entdeckt werden könnten.« »Gut, unterstellen wir also, daß es diese >Spinne< gibt«, meinte Anwalt Rander, »womit erpreßte diese >Spinne< ihre Opfer? Das ist doch die Kardinalfrage, Parker! Womit erpreßt man Männer wie Wanting? Männer also, die erfolgreiche Geschäftsleute sind.« »Ich wüßte es im Moment wirklich nicht anzudeuten, Sir, da es zu viele Möglichkeiten gibt…!« »Die >Spinne< wird irgendwelche dunkle Punkte in der Vergangenheit ihrer Opfer ausgegraben haben«, überlegte Mike Rander laut. Er war aufgestanden und wanderte vor seinem großen Arbeitstisch auf und ab. »Zyniker würden behaupten, daß jeder Mensch seinen ganz privaten, dunklen Punkt hat, den er vor der Öffentlichkeit unbedingt verbergen muß. Um erpreßt zu werden, bedarf es aber schon sehr, sehr vieler dunkler Punkte!« »Könnte man sich nicht mit den Herren in Verbindung setzen, deren Namen auf den Kontenbogen zu finden sind, Sir?« »Genau das werden wir tun«, entschied Mike Rander. »Fragt sich nur, ob man uns die Wahrheit sagen wird, Parker. Ich glaube es
nicht! Wenn man sich schon erpressen läßt, riskiert man es nicht, sich irgendeinem wildfremden Menschen anzuvertrauen.« »Man müßte es vielleicht mit einer Überrumpelung versuchen, Sir.« »Wie stellen Sie sich das vor, Parker?« »Man müßte, um einen bescheidenen Vorschlag zu machen, die Spinne anrufen. An der Reaktion auf der Gegenseite wird man dann heraushören, ob der Verdacht zutrifft.« »So könnte es gehen«, sagte Rander, der sehr nachdenklich geworden war, »aber da ist immer noch ein Punkt, der nicht geklärt ist, Parker.« »Ich höre, Sir!« »Wieso war man und ist man so wild hinter Ihnen her? Warum sollten Sie gleich nach Ihrer Unterhaltung mit Paul Treston erschossen werden? Das erscheint mir unlogisch! Warum hat die >Spinne< gleich nach dieser Unterhaltung zwei Berufskiller auf Sie angesetzt, bevor Sie überhaupt den ersten Schritt tun konnten? Wissen Sie, es gibt nur eine Erklärung.« »Ich lasse mich gern belehren, Sir.« Parker sah seinen jungen Herrn aufmerksam an. »Sie waren und sind der >Spinne< sehr gut bekannt«, meinte Anwalt Rander. »Die >Spinne< ließ Treston überwachen. Bleiben wir mal dabei und klammern wir aus, aus welchem Grund…! Treston redete mit Ihnen. Und in diesem Augenblick muß es bei der >Spinne< Großalarm gegeben haben. Die >Spinne< weiß, wie gefährlich Sie sind…!« »Jetzt schmeicheln Sie einem alten, müden und verbrauchten Mann«, sagte Parker und wirkte leicht verschämt. »Da kommt mir eine Idee«, lenkte Rander ab. »Sagten Sie nicht, daß Mike Custer den Chefbuchhalter Treston überwachen ließ?« »Gewiß, Sir, Mister Custer hat es mir selbst gesagt. Mister Wanting hielt seinen Chefbuchhalter Treston ja für den Mann, der ihn ermorden wollte.« »Bestens«, redete Mike Rander weiter, »vielleicht hat einer von Custers Leuten mitverfolgt, wie Sie sich mit Treston unterhielten. Vielleicht ist ihm dabei etwas aufgefallen, was für uns besonders wertvoll und wichtig wäre!« »Ich werde mir erlauben, mich mit Mister Dave Lounters noch einmal zu unterhalten«, erwiderte der Butler und nickte andeutungsweise zustimmend; »Mister Lounters ist mir, so denke ich,
verpflichtet, da ich ihn seinem Chef gegenüber gedeckt habe! Ich hoffe, Mister Lounters wird mit einigen Hinweisen oder Spuren dienen können!« * Parker wollte sich gerade zu Bett begeben, es war weit nach Mitternacht, als das Telefon sich meldete. »Parker…?« meldete er sich. »Hier spricht Norma Calway!« war die sympathische Stimme jener Frau zu hören, die der Butler im Gebäude der Allinson-Sauna auf so ungewöhnliche Art und Weise kennengelernt hatte. »Miß Calway? Ich hoffe, Sie haben den bedauerlichen Sturz bereits in etwa überwunden«, sagte Butler Parker, »äußerst schade, daß Sie sich so formlos verabschiedeten. Ich hätte mich gern noch mit Ihnen unterhalten!« »Mister Parker… Man will… mich umbringen«, kam die keuchende Antwort. »Ich weiß, daß man mich umbringen will… Bitte, helfen Sie mir! Stellen Sie keine Fragen… Helfen Sie mir. Draußen vor dem Haus stehen zwei Männer. Ich weiß, daß sie hinter mir her sind…!« »Darf ich höflichst fragen, warum Sie sich nicht an die Polizei wenden?« erkundigte sich Parker in seiner barocken, umständlichen Art, die manchmal zur nackten Verzweiflung treiben konnte. »Ich darf die Polizei nicht anrufen«, war die schnelle Antwort, »ich bin in eine dumme Geschichte verwickelt. Ich erkläre Ihnen alles später, aber bitte, helfen Sie mir jetzt!« »Wo kann und darf ich Sie erreichen?« fragte Parker höflich. Parker bekam eine Adresse genannt, die seines Wissens nach in der Nähe des City Golf Course zu finden sein mußte, in jener Nähe also, wo der ermordete Clive Wanting gewohnt hatte. »Gut, ich werde kommen«, sagte Parker. »Aber bitte ohne Polizei. Hören Sie sich erst meine Geschichte an, dann können Sie entscheiden, ob die Polizei informiert werden muß!« »Ich darf doch wohl hoffen, daß mich nicht eine Falle erwartet, oder?« »Kommen Sie, schnell… Mister Parker, ehrlich, man will mich umbringen. Ich weiß zuviel…!«
»Von der >Spinne« »Von der >Spinne<«, kam die Bestätigung. »Ich erzähle Ihnen alles, was ich weiß, nur helfen Sie jetzt…!« »Ich bin bereits unterwegs«, versprach Parker. Dann legte er auf und fragte sich, ob es richtig sein würde, seinen jungen Herrn zu verständigen. An sich liebte er es nicht, seinen jungen Herrn zu wecken und der Nachtruhe zu berauben. Parker war der Ansicht, daß die Jugend dringend des Schlafes bedurfte. In diesem Zusammenhang spielte es für den Butler überhaupt keine Rolle, daß sein junger Herr bereits vierzig Jahre alt und er, Josuah Parker, in Mike Randers Augen nur ganz unwesentlich älter war. In diesem besonderen Fall aber beschloß Parker, Mike Rander zu wecken. Er kleidete sich wieder an und achtete darauf, daß sein schwarzer Zweireiher vollkommen korrekt saß. Erst dann erschien er vor der Schlafzimmertür seines jungen Herrn und hüstelte diskret nach dem Anklopfen. Mike Rander schlief noch nicht. Er saß im Bett und las in einer Akte. Er sah erstaunt hoch, als Josuah Parker nähertrat. Als er jedoch erfuhr, wer angerufen hatte, war er mit einem einzigen Satz aus dem Bett. »Beeilung, Parker«, sagte er, »fahren Sie schon runter und heizen Sie den Wagen ein, wir fahren sofort los!« »Es empfiehlt sich, Sir, einige Waffen und Gerätschaften mitzunehmen«, sagte Parker, »ich habe mir erlaubt, bereits eine gewisse Vorauswahl zu treffen.« Während er das sagte, schob er einen kleinen. Rolltisch in die Nähe seines jungen Herrn. Auf diesem Tisch lagen Handfeuerwaffen aller Kaliber, sonstige Verteidigungswaffen und einige Überraschungen, über die nur Parker und Mike Rander verfügten. Lächelnd beugte Rander sich über diesen reichgefüllten Gabentisch. »In Ordnung«, sagte er dann, »ich werde mich bedienen! Wie steht’s mit Lieutenant Madford? Sollen wir ihn informieren?« »Ich erlaube mir, davon abzuraten«, gab der Butler zurück, »Mister Madford dürfte einen langen und anstrengenden Dienst hinter sich haben. Man sollte ihn schlafen lassen!« Nach diesen wohlgemeinten Worten verbeugte sich Parker und begab sich über den großen Dachgarten hinüber zum Lift. Bevor er aber die Tür des Dachgartens öffnete, warf er einen Blick in den viereckigen Lichthof, in dem der Lift endete.
Erst als er sich vergewissert hatte, daß dieser Raum leer war und keine Überraschungen bot, öffnete er die schwere Panzertür. Er bestieg den Lift und fuhr hinunter in die Tiefgarage. Wo ihn eine Überraschung erwartete, die Parker später nur als äußerst peinlich bezeichnen konnte. Als er nämlich den Lift verließ und hinüber zur Box gehen wollte, in der sein hochbeiniges Monstrum stand, wurde Parker nachdrücklich an der Ausführung seiner Absichten gehindert. Zwei wohlvertraute Männer standen ihm plötzlich gegenüber. Und diese wohlvertrauten Männer hielten schwere 45er in Händen, deren Mündungen auf den Butler gerichtet waren. Steve Hotchins und Butch Amsen grinsten wie vergnügte Honigkuchenpferde, wie der Volksmund es vielleicht umschrieben hätte. Steve und Butch wußten, daß sie diesmal am Drücker waren. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. »Ich räume ein, daß Sie mich überlistet haben«, gestand der Butler, während er die Arme hochnahm, »ein wenig mehr Vorsicht wäre in der Tat am Platz gewesen. Ich denke, das kommt davon, wenn man seine Gegner in irgendeiner Form unterschätzt…!« Während Parker umständlich und wortreich redete, dachte er an seinen jungen Herrn, der jeden Moment nachkommen mußte. Ihn wollte er vor jeder Überraschung bewahren. Sein Blick glitt hinüber zum Lift. Gerade in diesem Augenblick bewegte sich der Lift nach oben. Mike Rander hatte oben am Lichthof aus auf den Rückholknopf gedrückt. In wenigen Minuten mußte auch er hier unten in der Tiefgarage sein. Konnte er noch etwas für ihn tun? Die beiden Gangster ließen ihn nicht aus den Augen. Sie nagelten ihn mit ihren drohend erhobenen Waffen auf der Stelle fest. Und sie hätten bestimmt geschossen, wenn Parker es mit einem Überraschungsangriff versucht hätte. Parker verfolgte das Aufleuchten der Signalknöpfe am Schalter des Lifts. Daraus ging hervor, daß Mike Rander bereits eingestiegen war und schon nach unten fuhr. »Hoffentlich sind Sie sich klar darüber, daß Sie die Tiefgarage auch wieder verlassen müssen«, sagte er zu Steve und Butch. »Wir kommen hier raus, darauf kannste Gift nehmen«, erwiderte Butch rüde und plumpvertraulich. »Mit faulen Tricks ist bei uns nichts mehr zu machen!«
Parker wurde nervös, wie offensichtlich zu erkennen war. Er nestelte ungeniert an seinem Eckkragen herum, der ihm wohl zu eng geworden war. Die beiden Gangster genossen seine Verzweiflung und grinsten höhnisch. Bis das starke Blitzlicht aufflammte, das in Parkers Zierperle der Krawattennadel eingebaut war. Ein Blitzlicht war gegen die freiwerdende Lichtfülle nur das harmlose Aufglühen einer Taschenlampe. Butch und Steve waren völlig geblendet. Sie sahen nur noch weiß-rot. Schmerz wühlte in ihren Augen. Und dennoch schossen sie fast gleichzeitig. Doch sie trafen nicht. Dort, wo Parker eben noch stand, hielt er sich nicht mehr auf. Er hatte die Schrecksekunde der beiden Gangster genutzt und war zur Seite getreten. Dann betätigt er sich als Golfspieler und ließ den bleigefütterten Griff seines Universal-Regenschirms durch die Luft wirbeln. Mit dem Effekt, daß Butch und Steve es schleunigst vorzogen, sich zu Boden zu begeben. Sie bekamen schon nicht mehr mit, daß Mike Rander inzwischen unten in der Tiefgarage ankam und aus dem Lift stieg. »Was… geht denn hier vor?« fragte er erstaunt und deutete auf die beiden am Boden liegenden Gangster. »Ich hoffe, Sir, in Ihrem Sinn gehandelt zu haben«, entschuldigte Parker sich gemessen, »diese beiden Gangster hatten die feste Absicht, Sie und meine bescheidene Wenigkeit zu entführen, ein Plan, den ich auf keinen Fall billigen konnte…!« Trotz Parkers Fahrkünste dauerte es fast zwanzig Minuten, bis der City Golf Course erreicht war, in dessen Nähe Norma Calway wohnte. Parker fuhr an dem Bungalow vorüber, der inmitten eines kleinen Gartens lag. Er parkte den Wagen auf der Zufahrt zu einem anderen Grundstück und sah den neben ihm sitzenden Mike Rander dann einladend an. »Schön, sehen wir mal nach, ob Norma Calway uns einen Bären aufgebunden hat«, meinte Rander, »würde mich nicht wundern, wenn hier eine zweite Falle auf uns wartet…!« Während er noch sprach, zog er die schwere Automatik aus dem Schulterhalfter und entsicherte sie. Parker setzte sich seine schwarze Melone zurecht und legte sich den Griff seines Regenschirms über den linken Unterarm. Gemeinsam gingen sie auf den Bungalow zu, in dem es völlig dunkel war.
Unter Wahrung aller Vorsicht näherten sie sich der Tür, die verschlossen war. Parker verzichtete darauf, seinen Finger auf den Klingelknopf zu legen. Schon zu oft hatte er erlebt, daß solche Anlagen mit einer hinter der Tür angebrachten Sprengladung gekoppelt waren. Er klopfte mit dem bleigefütterten Griff seines Regenschirms laut und deutlich an. Mike Rander blieb seitlich unten am Haus stehen, um den Garten zu sichern. Plötzlich hörte Parker einen unterdrückten Aufschrei. Er wandte sich sofort um. Im Dunkel, das hier herrschte, glaubte er zwei kämpfende Schatten zu erkennen. Er beschleunigte seine Schritte. Nachdem er die beiden miteinander kämpfenden Schatten erreicht hatte, blieb er gemessen stehen und wartete, bis sein junger Herr den Gegner mit einem wohlgezielten Uppercut zu Boden geschickt hatte. »Sehen Sie nach, wer das ist«, sagte Mike Rander und ordnete sich seine Krawatte, »dieser Bursche wollte sich klammheimlich verdrücken. Ich erwischte ihn gerade noch, als er in einem Gebüsch verschwinden wollte.« Parker kümmerte sich um den ohnmächtig am Boden liegenden Mann. Er schaltete das Licht seiner Kugelschreiber-Taschenlampe an und leuchtete damit in das Gesicht des Ohnmächtigen, der sich bereits wieder bewegte. »Mister Dave Lounters, Sir!« meldete er dann. In seiner Stimme schwang eine Spur von Überraschung mit. »Lounters von der Detektei Custer?« vergewisserte sich Mike Rander. »Eben jener, Sir…!« erwiderte Parker, »ich muß gestehen, daß ich einigermaßen überrascht bin!« »Wie wird Lounters erst überrascht sein«, sagte Mike Rander. »Mister Lounters kommt schon wieder zu sich«, sagte Parker, der den Privatdetektiv inzwischen erfolgreich nach Waffen durchsucht hatte. Er fand einen 38er und eine Stahlrute. Lounters fuhr sich durch das Gesicht, tastete über seinen getroffenen Magen und setzte sich langsam hoch. Verständnislos sah er sich um. »Ich erlaube mir, Sie zu begrüßen«, sagte Josuah Parker. »Ich schlage vor, Mister Lounters, wir gehen noch einmal in den Bun-
galow zurück, den Sie doch offensichtlich in höchster Eile verlassen hatten.« »Parker… Sie…?« Die Stimme von Dave Lounters klang verblüfft. »Meine bescheidene Wenigkeit und Mister Rander«, gab der Butler zurück, »dürfen wir fragen, was Sie im Bungalow der Miß Norma Calway zu suchen hatten…?« »Sie… Sie werden Augen machen«, sagte Lounters und stand vorsichtig auf. Er fühlte sich nach dem Niederschlag noch etwas schwach auf den Beinen. »Warum werden Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit Augen machen?« wollte der Butler höflich, aber sehr bestimmt wissen, »ich schlage vor, Sie drücken sich präziser und allgemeinverständlicher aus.« »Die Calway ist erschossen worden!« lautete die knappe Antwort von Dave Lounters… Nun, Miß Calway war nicht gerade erschossen worden, doch diese Absicht hatte man immerhin gehabt. Sie lebte noch, doch ihre Schußverletzung im Rücken war schwer. Norma Calway mußte auf dem schnellsten Weg in eine Klinik gebracht werden. Josuah Parker tätigte den erforderlichen Anruf und vergaß nicht, auch Lieutenant Madford zu alarmieren. Nach diesen beiden Gesprächen wandte er sich Lounters und Mike Rander zu, die sich gemeinsam bemühten, der verwundeten Frau einen Notverband anzulegen. »Erzählen Sie in Stichworten, was Sie hier erlebt haben«, sagte Parker, sich an Lounters wendend. »Also, ich habe auf keinen Fall auf Norma Calway geschossen«, sagte Lounters. »Sie haben zumindest nicht aus Ihrem 38er geschossen«, stellte der Butler richtig, »wie kamen Sie hierher zu Miß Calway?« »Eine komische Geschichte! Sie rief mich an. Vor etwa einer halben Stunde. Sie sagte, daß sie mit Wanting befreundet gewesen sei und daß sie mir was Wichtiges zu sagen hätte!« »Worauf Sie sich sofort in den Wagen warfen und hierher brausten?« fragte Rander skeptisch. »Lassen Sie sich eine bessere Geschichte einfallen, Lounters. Die nimmt ihnen kein Mensch ab!« »Doch, Mister Rander, genau so ist es gewesen. Na schön, sie sagte noch, sie wüßte, wer die >Spinne< ist, die Wanting erschossen hat.«
»Ach nee…!« Rander wirkte ungemein verblüfft. »Aber am Telefon hat sie nicht davon gesprochen, oder?« »Nein. Ich habe ja auch sofort nach dem Namen gefragt, aber sie sagte, sie würde mir den Namen erst hier sagen. Sie würde von zwei Leuten beschattet und sollte umgebracht werden. Sie war fürchterlich aufgeregt.« »Und dann kamen Sie hierher…«, stellte Parker fest. Lounters nickte. »Als ich hier war, hab’ ich zuerst an ‘nen schlechten Scherz geglaubt. Alles war unbeleuchtet. Da bin ich durch den Garten rüber zur Hinterseite. Die Terrassentür war auf. Ich bin reingegangen und hab sie dann gefunden. Als ich mich um sie kümmern wollte, hörte ich draußen einen Wagen vorbeifahren. Und wenig später wurde dann gegen die Tür geklopft. Da wollte ich mich auf dem schnellsten Weg wegmachen. Mit Mord will ich nichts zu tun haben!« »Hört sich fast plausibel an«, meinte Anwalt Rander und sah seinen Butler fragend an. »Darf ich Ihnen noch einige zusätzliche Fragen stellen?« bat der Butler, sich an Lounters wendend. »Sie glauben mir doch hoffentlich?« fragte Lounters, der sehr nervös wirkte. »Ich möchte Ihnen noch ein paar Fragen stellen«, wiederholte der Butler. »Ja, natürlich, Mister Parker…« »Meine Fragen betreffen einen gewissen Paul Treston, der seinerzeit Chefbuchhalter in den Wanting-Betrieben war«, schickte der Butler voraus, »haben Sie ihn je im Auftrag Mister Custers beschattet?« »Doch, ja! Wanting war ja der Meinung, daß Treston seinen ehemaligen Chef umbringen wollte. Sie wissen doch, Wanting hatte Treston gefeuert.« »Haben Sie meine bescheidene Wenigkeit in diesem Zusammenhang einmal gesehen?« Lounters grinste unwillkürlich. Dann nickte er. »Doch«, sagte er dann, »als Sie sich mal mit Treston in einer Bar unterhielten. Treston war damals verdammt aufgeregt.« »In welchen zeitlichen Abständen erstatteten Sie Ihrem Büro Zwischenberichte?« wollte Parker weiter wissen. Mike Rander verzichtete auf alle Fragen. Er wußte, daß sein Butler gerade auf
dem Gebiet des Verhörs ein Meister war. »Sie meinen damals, als Sie mit Treston sprachen?« fragte Lounters zurück. »Richtig«, entgegnete der Butler nur. Auf diesen Punkt kam es ihm an. »Na ja, der Chef verlangte stündliche Zwischenberichte«, sagte Lounters, »nach Ihrem Gespräch mit Treston war so ein Bericht gerade wieder fällig. Ich hab’ natürlich durchgegeben, daß Treston sich mit Ihnen unterhalten hatte.« »Was tat Treston nach der Unterhaltung mit mir?« »Er fuhr rüber zur Allinson-Sauna. Aber er blieb dort nicht lange. Er kam aus dem Anbau raus und fuhr dann zurück in seine Wohnung.« »Ich bedanke mich«, sagte Parker. Dann wandte er sich an seinen jungen Herrn und fügte hinzu: »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich mich jetzt für kurze Zeit zurückziehen.« »Moment mal, was haben Sie vor?« erkundigte sich Mike Rander. »Madford wird gleich hier sein!« »Aus diesem Grund möchte ich es vorziehen, mich zu empfehlen«, antwortete Parker, »ich würde mich bemühen, so schnell wie möglich wieder zurück zu sein.« »Na schön, von mir aus können Sie losfahren«, sagte Mike Rander, »aber keine Extratouren, wenn ich bitten darf!« »Ich werde mich wie immer bemühen, Sir«, erwiderte der Butler höflich, lüftete grüßend seine schwarze Melone und machte sich auf den Weg, der >Spinne< eines ihrer vielen Beine zu stellen…! * »Hallo, Sie…?« Mike Custer, der am Schreibtisch saß, blickte erstaunt auf, als Josuah Parker eintrat. Der kleine, dickliche Mann mit den verschmitzten, listigen Augen sah den Butler irritiert an. Mit diesem Besuch, vor allen Dingen um diese Zeit, hatte er gewiß nicht gerechnet. »Sie arbeiten noch?« fragte Parker höflich und lüftete seine schwarze Melone. »Unsereiner hat niemals Feierabend«, sagte Custer. Er rollte den
Drehsessel etwas zur Seite. »Was führt Sie zu mir, Parker…?« »Ich habe die Absicht, mich mit Ihnen über die >Spinne< zu unterhalten«, entgegnete der Butler höflich. »Pech für Sie, Parker, in der Hinsicht haben meine Jungens noch nichts ermitteln können«, antwortete Custer. »Wir sagten Ihnen ja schon, daß es sich entweder um einen verdammt vorsichtigen Mann handeln muß, oder sogar um irgendeine neue Größe in der Branche.« »Bleiben wir bei dem Ausdruck vorsichtig«, schlug der Butler vor. »Ich möchte mir erlauben, Ihnen mein Kompliment auszudrücken, Mister Custer. Als >Spinne< haben Sie nicht nur ein feines Netz gewoben, um bei diesem Bild zu bleiben, sondern Sie haben auch äußerst vorsichtig agiert, wenn ich mich so ausdrücken darf!« »Das müssen Sie noch mal wiederholen«, entgegnete Mike Custer und sah den Butler verblüfft an, »wollen Sie damit sagen, daß ich die >Spinne< sein soll…?« »In der Tat, Mister Custer!« »Sie sind verrückt…! Diesmal sitzen Sie aber auf dem falschen Dampfer, Parker! Wie sind Sie denn nur auf diese Idee gekommen?« »Durch Rückschlüsse, die zu treffen ich mir erlaubte.« »Unsinn…! Sie irren sich! Wieso soll ausgerechnet ich die >Spinne< sein?« »Sie erlauben, daß ich der Reihe nach vorgehe?« »Aber klar. Für einen guten Spaß war ich schon immer zu haben! Und das hier verspricht einen guten Spaß abzugeben!« »Bleiben wir bei Ihrer Vergangenheit«, begann Parker. »Bis vor gut anderthalb Jahren ging es Ihnen als Privatdetektiv nicht besonders gut. Sie arbeiteten allein und konnten sich keineswegs das leisten, was man große Sprünge nennt.« »Nur weiter… Sie machen mich immer neugieriger.« »Eines Tages kamen Sie auf den Gedanken, Ihre unbestrittenen Fähigkeiten anders als gewöhnlich zu nutzen. Sie gruben in der Vergangenheit gewisser Geschäftsleute und Firmeninhaber herum und suchten nach dem, was man im Volksmund den gewissen dunklen Punkt nennt. Dank Ihrer Fähigkeiten fanden Sie solche Punkte und baten die betreffenden Herren zur Kasse.« »Eine Phantasie haben Sie…! Einfach märchenhaft, Parker!« Mike Custer schmunzelte amüsiert und ließ sich keineswegs aus der
Ruhe bringen. »Wenn Sie gestatten, setze ich meine Ausführungen fort«, schickte der Butler voraus, »Sie leckten nach Ihrem ersten Erfolg Blut, wie es so eindeutig heißt. Sie kamen zu Geld und waren in der Lage, sich die ersten Mitarbeiter zu engagieren. Diese Mitarbeiter setzten Sie auf von Ihnen erfundene Aufträge an. Ihre Mitarbeiter waren und blieben ahnungslos. Sie ermittelten gegen Personen, die Sie, Mister Custer, für besonders geldträchtig hielten. Ich nehme an, Sie erlebten auch Ihre Enttäuschungen, doch das störte nicht. Irgendein neuer Kunde blieb immer wieder in Ihren Netzen hängen. So auch unter anderem ein gewisser Clive Wanting.« »Sie werden langsam beleidigend«, stellte Mike Custer ruhig fest. »Verzeihen Sie einem alten Mann«, entschuldigte sich Parker höflich, »aber wenn Sie erlauben, möchte ich fortfahren. Mister Wanting wurde also einer Ihrer stets zahlenden Kunden. Da Sie es grundsätzlich vermieden, die Gelder direkt in Empfang zu nehmen, kamen Sie auf die Idee, Allinson vorzuschieben. In Mister Allinsons Sauna fanden sich Ihre Kunden regelmäßig ein. Ein höchst beachtenswerter Trick, wie ich beiläufig bemerken möchte. Der Besuch einer Sauna ist ja auch sehr unverdächtig. Dort also fanden Ihre Kunden sich ein und lieferten die monatlichen Erpressungssummen ab. Mister Allinson leitete die Barzahlungen an Sie weiter. Das Geschäft blühte, wie es so zutreffend heißt.« »Und woher wollen Sie das alles wissen?« fragte Mike Custer, der nun gar nicht mehr so amüsiert wirkte. »Durch Rückschlüsse«, wiederholte der Butler noch einmal, »um aber auf Mister Wanting zurückzukommen… Mister Wanting wollte eines Tages nicht mehr mitmachen. Er drohte zur Polizei zu gehen. Sie erfuhren aus erster Hand davon, denn Miß Norma Calway, eine Angestellte der Allinson-Sauna, war zufälligerweise inzwischen die Freundin von Mister Wanting geworden. Sie informierte Allinson, der wiederum benachrichtigte Sie… Kurz, Sie beschlossen, Mister Wanting schleunigst aus dem Weg räumen zu lassen. Was Sie, beziehungsweise Ihre Handlanger dann ja auch schafften.« »Reiner Unsinn«, knurrte Custer ärgerlich, »aber erzählen Sie mal weiter!« »Nun denn, Mister Custer, alles hätte wunderbar geklappt, wie man so sagt, wenn da nicht ein gewisser Paul Treston gewesen
wäre, der wegen irgendeiner unerheblichen Privatsache von seinem Chef Wanting entlassen worden wäre. Mister Treston, der finstere Drohungen gegen seinen Chef ausgestoßen hatte, bekam es mit der Angst zu tun. Er fürchtete, falls seinem Chef etwas passiert, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Besagter Mister Treston wandte sich also an meine bescheidene Wenigkeit und bat mich um Hilfe. Lounters, einer Ihrer ahnungslosen Angestellten, informierte Sie nichtsahnend darüber, daß Paul Treston sich mit mir unterhalten hatte. In diesem Augenblick begingen Sie den großen Fehler. Sie warteten gar nicht erst ab, wie gefährlich ich werden könnte, nein, Sie beschlossen, mich kurzerhand aus dem Weg schaffen zu lassen! Sie können sich wohl vorstellen, wie stutzig ich wurde, als man mich nach einem harmlosen Gespräch mit Mister Treston kaltschnäuzig im Lincoln Park niederschießen wollte. Damals schon kam mir der Gedanke, der Mann, der die beiden Berufsmörder Steve Hotchins und Butch Amsen auf mich angesetzt hatte, müßte mich sehr gut kennen. Lounters bestätigte mir übrigens dieses Detail, was meine beobachtete Unterhaltung zwischen Treston und mir anbetraf. Es gelang mir verhältnismäßig leicht, bis zu Allinson und Dan Forster vorzudringen. Zuerst, das will ich durchaus einräumen, hielt ich Allinson für die >Spinne<. Doch nach seiner Ermordung und dem Mordanschlag auf Forster kamen mir doch zusätzliche Bedenken, und ich begann mich wieder für Sie zu interessieren.« »Ich sollte Sie endlich rausschmeißen«, ließ Mike Custer sich vernehmen. »Ich habe es doch nicht nötig, mich hier beleidigen zu lassen.« »Meine Geschichte ist gleich beendet«, beugte Parker höflich und würdevoll vor, »Sie haben natürlich recht, mir fehlten bisher die Beweise, doch die kann ich nun antreten. Sie wissen nämlich nicht, daß Miß Norma Caiway keineswegs ermordet wurde. Sie wurde von Amsen und Hotchins nur verletzt. Hinzu kommt die Aussage von Forster, die er vor einer guten Stunde gemacht hat. Forster wußte nämlich, daß Allinson mit Ihnen in Verbindung stand. Und er konnte sich sehr gut erinnern, wer ihn in den Schwitzkasten eingesperrt hatte…!« »Reden Sie doch keinen Quatsch«, fauchte Custer, »Forster ist seit wenigstens vier Stunden tot… Ich selbst rief im Hospital an. Er kann Ihnen gar nichts gesagt haben.«
»Warum, so darf ich doch fragen, erkundigten Sie sich nach Dan Forsters Zustand?« erkundigte sich Parker höflich lächelnd. »Weil… weil…«, Custer stotterte herum und fand keine vernünftige Erklärung. »Da wäre noch etwas«, redete Parker weiter, »vergessen wir doch Norma Calway nicht… Sie stahl in Ihrem Auftrag die Unterlagen über jene Männer, die an Allinson zahlten. Ich erlaubte mir, diese Unterlagen in meinen Besitz zu bringen. Bei der Gelegenheit sah ich mich in Allinsons Privaträumen etwas näher um.« »Na und…?« »Mister Allinson hatte eine Botschaft hinterlassen«, bluffte Parker, »aus dieser Botschaft geht sehr wohl hervor, daß er die eingesammelten Gelder an Sie weiterleitete. Wenn nun dazu noch die Aussage von Norma Caiway kommt, dürften Sie beweiskräftig überführt werden können.« »Wenn Sie sich nur nicht täuschen«, zischte Custer und hatte blitzschnell einen Revolver in der Hand. Er hatte ihn aus dem Schulterhalfter gezogen und richtete die Mündung auf den Butler, »wenn Sie sich nur nicht täuschen! Gut, stimmt alles, was Sie da erzählt haben… Und es stimmt auch, daß es mein Fehler war, daß ich Sie sofort aus dem Weg räumen lassen wollte. Es schmeckte mir einfach nicht, daß ausgerechnet Sie verdammter Schnüffler sich einschalteten. Ich wußte doch von früher her, wie gerissen Sie sind…! Schön, aber dieser Fehler läßt sich ausbügeln. Und zwar jetzt…!« »Was hätten Sie davon?« fragte Parker erstaunt, »unsere Unterhaltung ist doch aufgezeichnet worden.« »Aufgezeichnet…!? Sie wollen doch nur bluffen!« »Ich hatte mir erlaubt, einen Sender mitzunehmen, der sich in meiner Taschenuhr befindet«, sagte Parker höflich, aber auch sehr bestimmt, »in meinem Wagen befindet sich der Empfänger, der das Gespräch auf ein Tonband umleitet. Sie wissen vielleicht nicht, wie sehr ich mich für technische Dinge begeistern kann.« »Zeigen Sie das verdammte Ding her?« verlangte Custer ahnungslos, »ich will den Sender sehen…!« »Wenn ich so frei sein darf!« Parker griff mit spitzen Fingern nach seiner unförmig aussehenden Zwiebeluhr und ließ den Sprungdeckel aufspringen. Dann reichte er die Uhr an Custer weiter, der sie äußerst vorsichtig in Empfang nahm.
Doch all seine Vorsicht nutzte nichts. Durch das Hochspringenlassen des Deckels hatte Parker einen feinen Mechanismus in Gang gesetzt, der jetzt seine Arbeit tat. Urplötzlich und völlig überraschend für Custer schien die Zwiebeluhr zu explodieren. Rauch und kleine Feuersäulen sprangen aus feinen Öffnungen hervor. Custer wurde derart überrascht und erschreckt, daß er jäh aufsprang und darüber vergaß, seinen Revolver auf Parker abzufeuern. Als er sich wieder daran erinnerte, war es natürlich schon zu spät. Parker hatte sich erlaubt, Custer die Waffe aus der Hand zu schlagen. Was man ihm keineswegs verdenken konnte…! * »Damit hat die >Spinne< sich im eigenen Netz gefangen«, sagte Lieutenant Madford am anderen Mittag. Er und Sergeant McLean waren wieder einmal zu Gast in Mike Randers Dachgartenwohnung. »Custer hat bereits ein erstes Geständnis abgelegt. Er war völlig demoralisiert. Sie müssen ihm ganz schön zugesetzt haben, Parker!« »Ich trieb das, Sir, was man psychologische Kriegsführung nennt«, antwortete der Butler. »Norma Calway hat ebenfalls gegen Custer ausgesagt«, mischte McLean sich in die Unterhaltung ein, »sie war tatsächlich von Custer angestiftet worden, die Unterlagen aus Allinsons Büro zu holen. Mit den Morden hat sie aber nichts zu tun.« »Wie Lounters und dessen übrige Kollegen aus dem Custer Detektivbüro«, fügte Madford hinzu. »Wir haben uns die Unterlagen bereits angesehen und sie mit den Angestellten von Custer durchgesprochen. Und wir haben uns mit den Erpreßten, die auf der Liste standen, in Verbindung gesetzt. Es stimmte, sie alle wurden erpreßt. Und in allen Fällen hatte Custer seine ahnungslosen Angestellten auf sie angesetzt. Der große Unschuldige ist Paul Treston…!« »Dem wir es in gewisser Hinsicht zu verdanken haben, daß die >Spinne< aus ihrem Netz gelöst werden konnte«, sagte Josuah Parker, »ohne die Angst dieses Mannes hätte Custer niemals die
Nerven verloren.« »Sind Sie tatsächlich durch diese Schlußfolgerung auf Custer gekommen?« wollte McLean wissen und sah den Butler fragend an. »Das war in der Tat der erste Anstoß«, antwortete Josuah Parker. »Hinzu kam die Überlegung, wer wohl in der Lage war, quasi unauffällig gegen beliebige Mitmenschen ermitteln zu lassen. In meinen Augen kam dafür nur eine Privatdetektei in Betracht, eben Mister Custer, der ja laut Lounters Wanting beschatten ließ.« »Nicht, weil Wanting sich bedroht fühlte, wie er es behauptet hatte«, erklärte Mike Rander, »Custer konnte uns viel erzählen…! Nein, weil er Wanting nicht mehr traute und befürchtete, Wanting könnte zur Polizei gehen.« »Ich bin sehr froh, die Akten schließen zu können«, sagte Madford. »Ohne Sie, Parker, hätte die >Spinne< noch jahrelang ihr Handwerk weitertreiben können.« »Ohne Paul Treston!« stellte der Butler richtig, »er allein löste die Untersuchung aus. Ihm sollte man dankbar sein.« »Blieben nur noch die beiden Mörder Hotchins und Amsen«, ließ McLean sich vernehmen, »aber die werden wir ja auch bald haben!« »Oh…!« sagte Parker in diesem Augenblick nur und wirkte etwas überrascht. »Was ist?« wollte McLean wissen. »Sie brauchen sich nicht mehr anzustrengen. Ich glaube, ich kann Ihnen mit diesen beiden Herren dienen.« »Sie wissen, wo sie stecken?« »Ich fürchte, im Kofferraum meines Wagens«, sagte Parker betroffen, »dort befinden sie sich gut fünf Stunden. Ich muß sie total vergessen haben…!« »Das ist doch sagenhaft«, rief Madford auf und schnellte hoch, »hoffentlich sind die beiden Kerle überhaupt noch vernehmungsfähig!« »Dafür möchte ich garantieren«, sagte der Butler steif und würdevoll, »der Kofferraum ist für solche Zwecke extra hergerichtet worden. Er birgt nicht zum ersten Male Gangster. Er enthält allen Komfort, den man zum Leben braucht. Er ist allerdings so sicher wie ein Tresor, was die Herren Hotchins und Amsen zu ihrem Leidwesen wohl schon bemerkt haben dürften…!« -ENDE-