PARKER und die >Giga-Ratten< Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Sind sie nicht...
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PARKER und die >Giga-Ratten< Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Sind sie nicht einmalig, wunderbar und hinreißend?« fragte Professor Madley mit fast zärtlicher Stimme und hätschelte das Monster auf seinem angewinkelten linken Unterarm. »Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich mich Ihrer Betrachtungsweise nur bedingt anschließen«, erwiderte Josuah Parker und musterte zurückhaltend die Riesenratte, die Madley noch inniger an sich drückte. Das angeblich hinreißend aussehende Tier war erheblich größer als ein Kaninchen und schien an der Basedowschen Krankheit zu leiden. Die schwarzen Knopfaugen traten weit hervor. Sie musterten den Butler in einer Mischung aus Aggression und Vorsicht. Auf der Schulter des Professors hatte sich eine zweite, allerdings kleinere Ratte häuslich niedergelassen. Sie nagte am Kragenaufschlag des Wissenschaftlers, war aber nicht ganz bei der Sache. Auch diese noch immer erstaunlich große Ratte schien von Josuah Parker ein wenig irritiert zu sein. Professor Madley glich einem Wissenschaftler, wie man ihn in einschlägigen Horrorfilmen nur zu oft vorgesetzt bekommt: Er war klein, hatte einen leichten Buckel und erinnerte an einen boshaften
Gnom, wozu die Brille mit den überdicken Gläsern noch beitrug. Er befand sich mit seinen beiden einmaligen Lieblingen in seinem Labor, oder genauer gesagt, in jenem Raum dahinter, in dem die Versuchstiere untergebracht waren. Außer den Ratten gab es in sauberen Käfigen noch Meerschweinchen, Mäuse und normal große Ratten. In Terrarien waren Ameisen, Regenwürmer und Asseln zu sehen. Sie alle hatten ihre eigenen Lebensräume und konnten sich gegenseitig nicht ins Gehege kommen. »Möchten Sie Theodora mal halten?« fragte Madley und wollte Parker die Riesenratte in die Hände drücken. »Vielleicht und möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt, Sir«, antwortete der Butler und stellte sich absichtlich ungeschickt an. Sein altväterlich gebundener UniversalRegenschirm öffnete sich und drückte im übertragenen Sinn Parkers Abwehr aus. »Sie brauchen keine Angst vor ihr zu haben, Mr. Parker. Sie ist friedlich und anschmiegsam.« »Hoffentlich weiß sie es auch, Sir.« Parker trat hinter den langen Labortisch und fixierte die Riesenratte, die daraufhin ihre
Blickrichtung wechselte und nervös wurde. Sie wollte unbedingt unter dem Jackett ihres Herrn verschwinden. »Ich arbeite mit den Tieren schon seit fast einem Jahr«, redete der Wissenschaftler weiter. »Sie sind verständlicherweise ein wenig introvertiert.« »Sie verfolgen mit diesen Züchtungen einen speziellen Zweck?« erkundigte sich Parker und beugte sich über eines der Terrarien, das den Ameisen vorbehalten war. Sie waren etwa so groß wie Maikäfer, die man leider kaum noch zu sehen bekommt. Selbst mit bloßem Auge war die außerordentliche Größe der Kieferzangen zu bemerken. »Ja! Ich verfolge etwas Bestimmtes!« Madley nickte. »Wobei ich von vornherein betonen möchte, daß es sich kaum um gezielte Züchtungen handelt.« »Sie erlauben, Sir, daß ich kein Wort verstehe?« »Ich kreuze noch sogenannte genetische Ausreißer«, redete der Wissenschaftler weiter. »Dazu sollte ich etwas weiter ausholen. Ich denke, wir setzen uns in meinen Arbeitsraum.« »Ich möchte betonen, Sir, daß ich Ihnen mit außerordentlichem Vergnügen folgen werde«, gab Josuah Parker würdevoll zurück. Er schaffte es einfach nicht, sich mit den beiden Riesenratten anzufreunden. Parker sollte eine Enttäuschung erleben. Der Professor nahm die beiden Nager selbstverständlich mit in seinen Arbeitsraum, der aus vier mit
Büchern vollgestopften Schrankwänden bestand, in die zwei schmale Türen eingelassen waren. Der riesige Schreibtisch verschwand fast unter Magazinen, Büchern, Akten und Fotostapeln. Theodora und ihr Begleiter hatten den Professor verlassen und marschierten ein wenig träge durch den Raum, um dann hinter einem Bücherturm zu verschwinden. »Mir geht es darum - um es auf eine einfache Formel zu bringen, Mr. Parker -unsere Politiker eindringlich zu warnen. Sie spielen mit Kräften, die sich jeder menschlichen Kontrolle entziehen.« »Eine bemerkenswerte Feststellung, Sir, deren Wahrheitsgehalt in vielen Fällen zutrifft.« »Ich meine speziell die Kernenergie, Mr. Parker. Die Atomkraftwerke schießen doch nur aus dem Boden. Ich denke ferner an die notwendigen Entsorgungsanlagen und unterirdischen Depots für hochstrahlendes Material.« »Ich erlaube mir ebenfalls, Sir, an diese Dinge zu denken«, antwortete Parker gemessen. »Ein aktuelles Problem, das unbedingt einer Lösung bedarf.« »Dafür gibt es keine Lösung!« Professor Madley schüttelte den Kopf und wußte es ganz genau. »Wissen Sie, was eine Halbwertzeit ist?« »Man liest darüber häufig in den Zeitungen«, schickte Parker voraus. »Gehe ich recht in der Annahme, daß damit jene Zeit bezeichnet wird, in der strahlendes Material nur noch
um die Hälfte dessen an Energie abgibt, was ...« »Als Laie ist das schon ganz richtig gesehen«, lobte der kleine Professor, der Parker hastig unterbrach. »Bei Plutonium beträgt dieser Halbzeitwert Tausende von Jahren. Wissen Sie, was innerhalb eines solchen Zeitraums alles passieren kann?« »Nicht unmittelbar und direkt, Sir«, räumte Parker ein. »Ich darf wohl in aller Bescheidenheit davon ausgehen, daß ich solch eine Lebenserwartung kaum haben dürfte.« »Das dort kommt dabei heraus!« Madley deutete auf Theodora, die hinter dem Bücherstapel hervorkam und sich anschließend für Parkers linken Schuh interessierte. Woraufhin Butler Parker ein wenig indigniert war. * »Eine Ratte?« fragte Mike Rander und sah Butler Parker kopfschüttelnd an. »Eine sogenannte Giga-Ratte, Sir, wie Professor Madley es ausdrückte. Eine Superratte von erstaunlicher Größe und mit Zähnen ausgestattet, deren Härte und Schärfe ich als bemerkenswert bezeichnen möchte.« Josuah Parker präsentierte diskret seine linke Schuhspitze. Sie war mit einer Eiseneinlage versehen, was sich in der Vergangenheit schon häufig als vorteilhaft erwiesen hatte. Diese Eisenkappe aus bestem Material war nachdrücklich angeknabbert worden.
»Sie wollen mir einen Bären aufbinden, Parker, wie?« Mike Rander lächelte ungläubig. »Keineswegs und mitnichten, Sir! Die Giga-Ratte existiert tatsächlich und ist das Ergebnis einer privaten Forschungsarbeit Professor Madleys.« »Er züchtet solche Bestien?« Der Anwalt war noch immer nicht vollends überzeugt. Rander nickte, als der Butler ihm einen Drink servierte und setzte sich in seinem Ledersessel zurecht. Parker befand sich im Haus des Anwalts in der Curzon Street. Seit Randers Rückkehr aus den Staaten fühlte sich Parker wieder voll für ihn verantwortlich und pendelte zwischen dem Stadthaus der Lady Simpson und diesem Haus hin und her. Im Augenblick brauchte er sich allerdings nur auf Mike Rander zu konzentrieren, denn die ältere Dame war mitsamt ihrer Gesellschafterin Kathy Porter in Monaco, wo so etwas wie eine kleine Fürstenhochzeit stattfand. Mike Rander, um die vierzig Jahre alt, war schlank, etwas über mittelgroß und kleidete sich stets mit ausgesuchter Eleganz. Nach den lässigen Jahren in den USA war er zur britischen Korrektheit zurückgekehrt. Auf den ersten Blick erinnerte er vielleicht an einen etwas blasierten Snob, doch dieser Eindruck täuschte. Mike Rander konnte sehr handfest werden, etwas, was er drüben in den Staaten gelernt hatte. »Professor Madley züchtet diese Ratten keineswegs, Sir«, antwortete
Parker höflich. »Er betreibt keine Zucht im normalen Sinn, um genau zu sein. Er setzt normale Ratten und andere Versuchstiere nur jenen Strahlen aus, die in den AtommüllDeponien mit letzter Sicherheit anfallen werden.« »Scheußliche Geschichte.« Rander nahm einen Schluck. »Und warum tut er das?« »Um die Öffentlichkeit zu warnen, Sir. Er möchte damit den verantwortlichen Politikern beweisen, daß sie mit Kräften spielen, die unkontrollierbar sind und sein werden.« »Und solche Riesenratten kommen dabei heraus?« »Unter anderem, Sir. Professor Madley hatte die Güte, mir weitere genetische Fehlentwicklungen vorzuführen, die durch hohe Strahlungsdosen entstehen können.« »Und was war das, Parker? Sie machen mich langsam nervös.« »Ameisen, Sir, deren Größe mit der von Maikäfern konkurrieren kann, zudem Regenwürmer, die an Blindschleichen erinnern und schließlich Kellerasseln, die fast an junge Gürteltiere herankommen, was ihre Dimensionen betrifft. Weitere Exemplare wollte Professor Madley meiner bescheidenen Wenigkeit nicht zeigen. Er fürchtete, wie er sich ausdrückte, seelische Zusammenbrüche meiner Person.« »So langsam glaube ich Ihnen, Parker. Die Fahrt zu Madley hat sich also gelohnt?« Anwalt Mike Rander betrieb in London nicht nur eine Anwaltspraxis, er war auch der Vermögensverwalter der Lady
Agatha Simpson. In diesem Zusammenhang betreute er einen speziellen Fond, aus dem besondere Forschungsprojekte finanziert wurden. Professor Madley hatte sich an die Verwaltung des Fonds gewandt und um finanzielle Hilfe gebeten. Daraufhin war Josuah Parker in Mike Randers Auftrag nach Maidenhead im Themsetal gefahren, wo der Wissenschaftler wohnte. »Diese Fahrt, Sir, glich einer Reise in eine wahnwitzige Zukunft«, präzisierte Parker. »Professor Madley ist der festen Überzeugung, daß es zu den gezeigten und auch anderen Mutationen kommen wird. Er geht davon aus, daß in erster Linie Ratten, Asseln und auch Ameisen irgendwann Zugang zu noch so sicheren Mülldepots finden werden. Schon allein der Aufenthalt in der Nähe solcher Anlagen könnte laut Professor Madley genetische Änderungen auslösen.« »Herrliche Aussichten, Parker.« Rander trank schleunigst sein Glas leer. »Diese kleinen Bestien würde ich mir gern mal ansehen und ...« »Das Telefon, Sir«, entschuldigte sich Parker und deutete zum Schreibtisch des Anwalts. Er hob ab und meldete sich. Schon nach wenigen Sekunden drückte er die Taste für den Verstärker. Mike Rander konnte jetzt genau mithören, wer am Apparat war und was man wollte. »... unbedingt kommen, Mr. Parker«, sagte eine aufgeregte Stimme. »So schnell wie möglich! Hier in meinem Labor ist etwas Schreckliches passiert!«
»Wären Sie möglicherweise in der Lage, Professor Madley, einen ersten Hinweis zu geben?« fragte Parker. »Bei mir ist eingebrochen worden, und Theodora hat zugeschnappt. Mehr... Mehr kann ich nicht sagen. Kommen Sie sofort, aber keine Polizei, nur ja keine Polizei!« * Und wie sie zugeschnappt hatte! Mike Rander sah auf den stöhnenden Mann, der normalerweise kein Schwächling war. Der Einbrecher lag auf einer Couch in Professor Madleys Wohnraum und trug keine Hosen. Seine Beine waren hinauf bis zum Slip bandagiert und verpflastert. »Ich habe ihm bereits sicherheitshalber eine Tetanusspritze gegeben«, sagte der kleine, gnomenhaft aussehende Professor besorgt. »Man kann ja nie wissen, obwohl Theodora mit Sicherheit so gut wie steril ist.« Der stöhnende Mann stand noch eindeutig unter einem Schock. Er stöhnte, schrie, wimmerte und fuchtelte abwehrend mit seinen Händen in der Luft herum. »Kann man davon ausgehen, daß der Mann wiederholt gebissen wurde?« erkundigte sich Josuah Parker bei dem Professor. »Doch, das schon. Theodora ist reizbar, wenn sie einen Menschen nicht mag oder gar erschreckt wird. Sie ist sehr sensibel. Hoffentlich hat sie alles gut überstanden.« »Erzählen Sie, was passiert ist.« Mike Rander zündete sich eine Zigarette an und nahm auf der Kante
eines anderen Sessels Platz. Parker hatte die beiden Männer natürlich längst miteinander bekannt gemacht. »Ich war schon zu Bett gegangen«, berichtete der Professor und deutete zur Zimmerdecke, über der sich das Dachgeschoß seines Hauses befand. »Ich hatte noch einige Fachmagazine durchgeblättert, übrigens recht banales Zeug, als ich das Klirren einer Scheibe hörte. Zuerst dachte ich, Theodora habe etwas umgeworfen, sie ist manchmal ungeschickt, müssen Sie wissen. Ja, und dann hörte ich Schreie und wußte, daß da jemand im Haus war, der dazu keine Berechtigung hatte. Ich wußte auch, daß Theodora diesen Besucher gestellt hatte.« »Ihnen ist also bekannt, wie reizbar Ihre Theodora ist?« warf der Anwalt ein, während der Butler den wimmernden und herumfuchtelnden Mann genauer untersuchte» was sein Jackett betraf, das er noch trug. »Wenn man sie angreift oder gar zu treten versucht, ist sie wilder als ein Terrier«, bekannte Professor Madley. »Ich rannte also hinunter und wurde von diesem Mann hier fast überrannt. Theodora hatte sich festgebissen. Dort -im Gesäß.« »Und wie brachten Sie Theodora wieder zur Ruhe?« »Mit einer kleinen Leckerei«, erklärte der Professor und lächelte fast liebevoll. »Sie mag so schrecklich gern Nougatschnitten, müssen Sie wissen.« »Eine bemerkenswerte Ratte«, murmelte Rander. »Und was machte der Mann? Warum rannte er nicht weg? Warum flüchtete er nicht durchs Fenster? «
»Ich höre und weiß, daß Sie Theodora nicht kennen.« Der Wissenschaftler sah Rander ein wenig vorwurfsvoll an. »So einfach ist das nicht, wenn Theodora zuschnappt.« »Ist irgendwann schon mal versucht worden, bei Ihnen einzubrechen?« fragte der Anwalt weiter. »Neiiin«, lautete die deutlich zögernde Antwort, »aber mir ist aufgefallen, daß seit einigen Tagen hier Männer herumschleichen, die nicht vertrauenerweckend aussehen.« »Was könnte man bei Ihnen an Beute vermuten, Professor?« »Das ist mir unerfindlich, Mr. Rander. Mit Reichtümern bin ich wahrlich nicht gesegnet, sonst hätte ich mich ja auch nicht an den Fond gewandt, den Sie verwalten.« »Eine andere Frage, Professor: Wer weiß von Ihren Experimenten? Wer hat Theodora schon mal gesehen?« »Mein Labordiener, Mr. Rander, aber ihm kündigte ich bereits vor vier Wochen. Er vernachlässigte seine Arbeit und hatte nicht die richtige Einstellung zu meinen Tieren.« »Wie heißt dieser Mann, und wo könnte man ihn finden?« »Sein Name ist Steve Trevanty, und er wohnt nicht weit von hier in Marlow. Straße und Hausnummer müßte ich noch heraussuchen.« »Wenn Sie das machen würden, Professor?« Rander wartete, bis der Wissenschaftler den Raum verlassen hatte, dann ging er zu Parker hinüber, der dem Anwalt
kommentarlos einen Revolver zeigte, den er aus der Schulterhalfter des Einbrechers gezogen hatte. »Kein normaler Einbrecher, wie?« fragte Rander. »Diese Frage, Sir, ist durchaus angebracht«, erwiderte Parker. »Wenn mein bescheidenes Erinnerungsvermögen mich nicht trügt, so ist dieser Mann ein Mitarbeiter eines gewissen Mr. Paul Minster.« »Aha. Und wer ist das nun wieder?« »Er betreibt eine Art Wach- und Schließgesellschaft, Sir, deren Praktiken man selbst mit größtem Wohlwollen nur als unseriös bezeichnen muß.« Während Josuah Parker noch die letzten Worte sagte, nahm er seine schwarze Melone in die rechte, schwarz behandschuhte Hand und ... schleuderte sie aus dem Handgelenk auf die Deckenbeleuchtung, die daraufhin klirrend barst und ab sofort kein Licht mehr lieferte. Mike Rander hatte verstanden, wechselte blitzschnell seinen Standort und preßte sich gegen die Außenwand des Zimmers. Draußen vor dem Fenster war ein halblauter Fluch zu hören, dann folgten Schritte, die sich schnell entfernten. »Man scheint den Burschen auf der Couch vermißt zu haben, Parker, wie?« fragte Mike Rander. »Ich bitte um Entschuldigung, Sir, daß ich ohne Vorwarnung zum Handeln gezwungen wurde.« »Ich werde mir den Fall überlegen«, spöttelte Rander. »Für wen interessiert man sich nun,
Parker? Für den Professor oder für seine Versuchstiere?« »Sie dürften eine Einheit bilden, Sir«, lautete Parkers Antwort. »Möglicherweise kann der Einbrecher mit einigen Angaben dienen.« »Okay, lassen wir uns also überraschen, Parker.« Mike Rander war zum Fenster gegangen und sah vorsichtig nach draußen. »Inzwischen könnte man sich ja mal diese kleinen Bestien ansehen. Auf die gute Theodora bin ich direkt gespannt!« * Sie saß in ihrem geräumigen Käfig und erholte sich von ihrer Tätigkeit als Wachhund, den breiten und leicht verfetteten Rücken genüßlich gegen eine Seitenwand gestemmt. Mit den Vorderfüßen, die sie geschickt wie Hände benutzte, schob sie sich gerade einen Riegel Nougat ins Maul. Dabei wurden ihre überraschend großen Vorderzähne sichtbar. »Ist sie nicht zauberhaft?« fragte Professor Madley und klopfte behutsam gegen die Scheibe. Theodora schielte den Professor an, zeigte sonst aber keine Reaktion. »Sie akzeptiert sie«, sagte Madley und drehte sich zu Mike Rander um. »Ich fühle mich geschmeichelt«, antwortete der Anwalt. »Eine Frage, Professor, wieso knabbert Theodora die Scheibe nicht an? Ich habe irgendwo gesehen oder gelesen, daß Ratten damit spielend fertig werden.«
»Es ist spezielles Panzerglas, Mr. Rander«, gab der Wissenschaftler Auskunft. »Theodora hat inzwischen eingesehen, daß solche Versuche sinnlos sind. Sie dürfen nicht vergessen, daß sie intelligent ist. Ratten an sich sind schon sehr intelligent, aber mit der Körpergröße hat auch ihr Hirnvolumen zugenommen.« »Offen gestanden, Professor, Ihre Theodora ist mir unheimlich.« »Tatsächlich?« Madley schüttelte erstaunt den Kopf. »Sie ist ja handzahm, wie die Zoologen sich ausdrücken, aber denken Sie an die Millionen Giga-Ratten, die eines Tages die Erde bevölkern werden.« »Lieber nicht, eine schreckliche Vorstellung!« »Die aber völlig realistisch ist, Mr. Rander. Diese Giga-Ratten können sich nämlich fortpflanzen. Sie sind prädestiniert, die Herrschaft über den Erdball anzutreten. Wir Menschen werden dann nur noch das eine Problem haben, wie wir mit diesen Geschöpfen leben können und ob dies überhaupt möglich ist.« »Und wie sieht es mit Ihren Ameisen und Asseln aus?« »Auch sie vermehren sich, Mr. Rander. Nach den Gesetzen der Auslese werden all diese Mutationen sich immer weiter anpassen und auch wachsen. Ahnen Sie jetzt, warum ich unter Laborverhältnissen das vorwegnehme, was mit Sicherheit eines Tages auf die Menschheit zukommt? Schon heute müssen wir umdenken und Strahlungsschäden unmöglich machen.«
»Die aus den Atommüll-Deponien, Professor? Diese Anlagen dürften kaum von Ratten, Ameisen und Asseln angeknabbert werden können.« »Wissen Sie es genau, Mr. Rander? Was ist, wenn ein Atomkraftwerk außer Kontrolle gerät? Was ist, wenn strahlendes Material freigesetzt wird? Wissen Sie, daß allein die niederen Lebensformen in der Lage sind, solche Strahlenschäden zu überleben?« »Scheint ziemlich schlecht um unsere menschliche Rasse bestellt zu sein, wie?« »Wir haben unsere Zukunft bereits verspielt und sie an andere Arten weitergegeben, wir wissen es nur noch nicht!« »Darf ich höflichst fragen, Sir, ob Sie die verblüffenden Ergebnisse Ihrer Forschungen bereits in der Fachliteratur bekannt gemacht haben?« erkundigte sich der Butler. Er interessierte sich im Augenblick für die Kellerasseln, die tatsächlich die Größe kleiner Schildkröten besaßen. »Natürlich nicht, Mr. Parker. Noch kann ich nicht schlüssig beweisen, daß diese Mutationen fortpflanzungsfähig sind. Es hat Nachwuchs gegeben, ganz sicher, ich besitze davon auch entsprechende Fotos, doch die Nachkommen sind eingegangen. Im Grund warte ich darauf, daß die letzte und entscheidende Genänderung in dieser Beziehung sich noch durchsetzt. Ist das erreicht, dann werde ich die Weltöffentlichkeit alarmieren.«
Mike Rander zuckte zurück, als Theodora aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen plötzlich gegen die Scheibe aus Panzerglas sprang. Sie schaute den Anwalt aus ihren Basedowaugen fast boshaft an. »Ich scheine ihr auf die Nerven zu gehen«, meinte Rander. »Sie möchte Nougatstangen haben.« Professor Madley lächelte verzeihend. »Sie ist ein richtiges Leckermaul.« »Professor, Sie bestrahlen Ihre Versuchstiere also mit harten Strahlen«, fragte Rander weiter. »Woher haben Sie die? Vergessen Sie nicht, daß ich Laie bin.« »Es handelt sich um winzige Proben aus dem Bereich der Medizin«, antwortete Madley. »Sie werden in der Strahlentherapie verwendet. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Ich gebe zu, daß ich an diese Präparate nicht gerade legal gekommen bin.« »Könnte man hinter diesen Präparaten her sein?« »Ausgeschlossen, Mr. Rander! Wer will damit schon etwas anfangen?« »Nun, ein Mörder, nur um ein Beispiel zu nennen.« Rander lehnte sich sicherheitshalber nicht mehr gegen die Unterkunft der Giga-Ratte, die inzwischen wieder auf ihren Hinterläufen saß und ihren breiten, fetten Rücken in eine Ecke drückte. »Ein Mörder? Mit solch einer geringen Dosis braucht er Monate, bis er sein Opfer umgebracht hat.« »Manche Mörder nehmen sich Zeit, Professor.« »Diese Präparate befinden sich in einem absolut sicheren Tresor, den
ich innen und außen mit Blei isoliert habe, Mr. Rander. Nein, nein, an solch einen Diebstahl denke ich nicht. Der Einbruch ist mir rätselhaft.« »Schön, fragen wir mal den Einbrecher.« Mike Rander nickte dem Butler zu. Josuah Parker deutete eine knappe Verbeugung an und begab sich in den Wohnraum, in dem sie den Einbrecher zurückgelassen hatten. Nach wenigen Sekunden kam der Butler wieder zurück. »Ich bedaure außerordentlich, Sir, mitteilen zu müssen, daß der Einbrecher das sprichwörtliche Weite gesucht hat«, meldete er höflich. »Eine Entwicklung, die meine Wenigkeit vielleicht hätte einkalkulieren sollen, wie ich bekennen muß.« * »Sind Sie sicher, Mr. Parker, daß er den Minisender nicht bemerken wird?« fragte Anwalt Rander, als er neben dem Butler Platz genommen hatte. Er saß damit in einem äußerst bemerkenswerten Wagen, der von Freunden und Gegnern eine Trickkiste auf Rädern genannt wurde. Es handelte sich dabei um ein ehemaliges, altes Londoner Taxi, das nach den speziellen Wünschen des Butlers umgestaltet worden war, was die gesamte Technik anbetraf. »Der Minisender, Sir, wurde von mir unter dem Kragen des Jacketts plaziert«, antwortete Parker, »eine Stelle, die man normalerweise zu übersehen pflegt.«
»Dann haben wir also Zeit, uns diesen ehemaligen Laborgehilfen anzusehen?« »In der Tat, Sir! Mr. Steve Trevanty kann möglicherweise mit wichtigen Hinweisen dienen.« »Zum Teufel, was halten Sie von diesen Giga-Bestien, Parker? Vieles von dem, was Professor Madley sagte, klingt plausibel.« »Eine irritierende Vorstellung, Sir, daß Theodora ausbrechen könnte.« »Malen Sie nur ja nicht den Teufel an die Wand, Parker!« »Noch beklemmender ist die Vorstellung, Sir, daß diese Mutationen in den Besitz von Gangstern gelangen könnten.« »Hören Sie auf, Parker! Ich habe genug Phantasie, um mir die Folgen vorzustellen. Der Einbrecher gehört also eindeutig zur Mannschaft dieses Paul Minster?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir. In seinem Jackett fand ich einen Dienstausweis der erwähnten Wachund Schließgesellschaft.« »Paul Minster ist doch mehr als nur unseriös, oder?« »Er ist ein Gangster, Sir, wie man ohne jeden Vorbehalt sagen muß. Seine Wach- und Schließgesellschaft bildet nur den äußeren Rahmen für die dunklen Geschäfte.« »Und worauf hat dieser Paul Minster sich spezialisiert?« »Erpressung, Sir, Diebstahl, Versicherungsschwindel und Mord. Er ist, falls dieser Ausdruck erlaubt ist, eine Art Dienstleistungsbetrieb für die Unterwelt.« »Gut, daß Lady Simpson weit vom Schuß ist, Parker.« Rander lächelte.
»Sie würde sonst wahrscheinlich zu diesem Minster fahren und ihm ihren Pompadour um die Ohren schlagen.« »Dies mit letzter Sicherheit, Sir.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos wie das eines Pokerspielers. Josuah Parker gestattete es sich nicht, innere Gemütsbewegung zu zeigen. Er war der perfekte Butler, wie man ihn nur noch in Filmen sieht. »Hoffentlich bleibt sie noch recht lange in Monaco, Parker.« »Darauf sollte man nicht unbedingt setzen, Sir. Mylady ist in solchen Dingen stets ein wenig schwer auszurechnen. Zudem besitzt Mylady einen besonders ausgeprägten Sinn für sich anbahnende Fälle.« Sie hatten inzwischen dank der scharfen Fahrweise den kleinen Ort Marlow erreicht und brauchten nicht lange nach dem Haus zu suchen, in dem der ehemalige Labordiener wohnte. Es war ein kleines Steinhaus inmitten eines Gartens, der von einer hohen Mauer umgeben war. Im Haus brannte Licht. Steve Trevanty war anwesend, doch er konnte nicht öffnen. Parker, der um das Haus herumgegangen war und durch ein Fenster in den Wohnraum schaute, entdeckte einen etwa vierzigjährigen Mann, der auf einem dünnen, abgeschabten Teppich lag und sich nicht mehr zu rühren vermochte. Der Butler entdeckte aber noch mehr... Da krabbelten einige Insekten von der Größe besonders gut geratener Maikäfer über den Mann und schienen ihn zu zwicken, was Parker völlig mißbilligte. Er ging zu Mike
Rander zurück, der an der Haustür geblieben war. »Haben Sie was entdeckt?« fragte Rander. »In der Tat, Sir«, antwortete der Butler gelassen und ruhig wie stets. »Professor Madleys Riesenameisen scheinen einen Ausflug in dieses Haus unternommen zu haben. Dabei muß es zwischen dem Hausbesitzer und den Rieseninsekten zu Auseinandersetzungen gekommen sein, die von den erwähnten Ameisen überlebt wurden.« * In Anbetracht dieser ungewöhnlichen Situation hatte Parker keine Bedenken, sein kleines Spezialbesteck zu bemühen. Er brauchte wieder mal nur wenige Sekunden, bis er damit das Türschloß überredet hatte, sich fast freiwillig zu öffnen. »Was meinen Sie, Parker, werden die Ameisen uns angreifen?« fragte Mike Rander, nachdem er die Tür wieder zugedrückt hatte. Er und Parker standen in einem kleinen, fast viereckigen Raum, von dem aus einige Türen abzweigten. »Als lammfromm, Sir, möchte ich diese Insekten auf keinen Fall apostrophieren«, erwiderte Parker. »Eine gewisse Vorsicht dürfte am Platz sein.« »Sehen Sie doch!« Mike Rander deutete auf einen Käfig, der an ein Vogelbauer erinnerte. Er stand vor einer Tür und wies sogar so etwas wie ein Badehaus auf, das allerdings mit Erde und Wolle gefüllt war. »Möglicherweise der Transportbehälter für die
Riesenameisen, Sir.« Parker benutzte den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms und hob das Vogelbauer hoch. Er roch an dem Badehäuschen und nickte dann. »Ameisensäure, Sir, unverkennbar. Wenn Sie gestatten, möchte ich diesen Transportbehälter sicherheitshalber mitnehmen.« »Wie viele kleine Bestien rannten denn da herum?« Anwalt Rander deutete auf die geschlossene Tür. »Nach oberflächlicher Schätzung dürfte es sich um ein gutes Dutzend Riesenameisen handeln.« »Mit denen müßten wir doch eigentlich fertig werden, wie?« Rander fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, das war ihm deutlich anzusehen. »Über das Verhalten der Ameisen, Sir, möchte ich keine Prognosen anstellen«, antwortete Parker. »Es ist allerdings zu erwarten, daß sie sich wenig artgemäß benehmen werden. Sie dürften sich durch eine gewisse Aggression auszeichnen.« Josuah Parker öffnete vorsichtig die Tür und betrat den hell erleuchteten Raum. Er sah zu dem am Boden hegenden Mann hinüber, der immer noch regungslos den abgeschabten Teppich drückte. Von den Riesenameisen war nichts mehr zu sehen. »Achtung, Parker!« Mike Randers Stimme klang etwas schärfer als sonst. Gleichzeitig kickte er mit der Schuhspitze eines der Rieseninsekten zurück in den Raum. Die Ameise legte einen flachen Bogen von etwa anderthalb Meter zurück und landete vor einem Sessel. Sie war sichtlich benommen, konnte
aber noch zirpende Töne von sich geben. Parker stellte den Käfig auf den Boden und vergewisserte sich, daß die kleine Tür weit geöffnet war. Dann suchte er den Boden ab und wurde fündig. Auf das Zirpen hin erschienen in erstaunlich schneller Folge einige Riesenameisen. Sie kamen unter der Couch, einem Schrank und einigen Sesseln hervor. Sie konzentrierten sich auf den Butler und nahmen ihn aufs Korn. Parker geriet keineswegs in Panik. Er benutzte seinen Regenschirm als improvisierten Golfschläger und den Bambusgriff als Schlägerkopf. Mit fast schon artistischer Geschicklichkeit »puttete« er die einzelnen Riesenameisen in den Käfig. Ein passionierter Golfspieler hätte seinen Ball nicht perfekter einlochen können. Die Riesenameisen verschwanden nacheinander in dem Vogelbauer und hatten es sehr eilig, in das Nest zu krabbeln, in das das kleine Badehaus verwandelt worden war. Sie wühlten sich dort tief in die Wolle und lockere Erde ein. Sie hatten eindeutig kein Interesse, sich mit dem Butler anzulegen. Wahrscheinlich waren sie auf solch eine Art und Weise noch nie behandelt worden. Mike Rander kümmerte sich inzwischen um den Mann am Boden. Schon nach wenigen Augenblicken richtete sich der Anwalt wieder auf. »Er lebt«, rief er zu Parker hinüber, »ist aber ganz schön gebissen worden.«
»Vielleicht würde ein alkoholisches Getränk ein kleines Wunder bewirken«, schlug Parker vor. »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich auch die übrigen Insekten noch zurück in ihren Transportbehälter bringen.« Josuah Parker betätigte sich weiter als Golfspieler und lochte auch die restlichen vier Riesenameisen ein, die inzwischen auf dem Teppich erschienen waren. Dann schloß er die Tür des kleinen Käfigs und kümmerte sich ebenfalls um den Mann, dem Mike Rander die ersten Schlucke Whisky einflößte. Parkers Rat erwies sich als gut. Als der Mann wieder zu sich kam, stutzte er, um dann allerdings gellend zu schreien. Er schlug wie rasend um sich und stand eindeutig unter einem ähnlichen Schock wie jener Mann, der versucht hatte, Professor Madley zu bestehlen. Parker wußte auch jetzt wieder Rat. Er ohrfeigte den Mann nachdrücklich, worauf das Schreien augenblicklich verstummte. »Ich bitte um Vergebung«, entschuldigte sich Parker dann höflich bei dem Mann, der ihn aus weit aufgerissenen Augen anstarrte. »Ihre momentane Gefühlslage ließ es geraten erscheinen, mit einem Gegenschock zu arbeiten!« * Der Mann hatte sich schnell gefangen. Zuerst nickte er, dann schaute er mißtrauisch-ängstlich nach allen Seiten und . . . griff dann erstaunlich
schnell und geschmeidig nach seiner Schulterhalfter. »Ich möchte mich erneut entschuldigen«, sagte Parker und zeigte dem Mann den Revolver, den er aus dessen Halfter gezogen hatte. »Mit Feuerwaffen sollte man stets umsichtig und ungemein vorsichtig umgehen. Ich darf Ihnen auch im Namen Mr. Randers versichern, daß Ihnen im Moment keine akute Gefahr droht.« »Wer sind Sie?« fragte Rander bewußt barsch und knapp. »Hale Colwyn«, kam prompt die Antwort. »Sie arbeiten natürlich auch für die Wach- und Schließgesellschaft des Mr. Paul Minster, nicht wahr?« fügte Parker hinzu. »Ja, das heißt... Äh ...« Der Mann merkte, daß er bereits zuviel gesagt hatte. »Ihrem Partner geht es den Umständen entsprechend recht gut«, redete der Butler weiter. »Ich sollte Ihnen allerdings sagen, daß sein Besuch bei Professor Madley nicht gerade ein Erfolg war.« »Was ist mit Bandiff?« fragte der Mann und merkte nicht, daß er gegen seinen Willen eine weitere Information geliefert hatte. »Im Gegensatz zu Ihnen wurde er von einer Ratte inkommodiert«, erwiderte Parker in seiner unnachahmlichen Ausdrucksweise, die stets ein wenig barock klang. »Sie haben mit den Ameisen hier mehr Glück gehabt«, schaltete sich Anwalt Rander ein und deutete auf den vogelbauerähnlichen Käfig. Zwei der Riesenameisen waren aus
dem Nest gekommen und zirpten unternehmungslustig. Sie schauten den auf dem Teppich sitzenden Mann aus ihren Facettenaugen geradezu lüstern an. Hale Colwyn fuhr wie unter einem elektrischen Stromstoß zusammen, als er sich beobachtet fühlte. Er zog unwillkürlich die Beine an den Körper. »Können die Biester auch wirklich nicht mehr raus?« fragte er dann. »Die allgemeine Erfahrung lehrt, daß man möglichst niemals nie sagen sollte« bemerkte Parker. »Sie wurden hier von dem Inhaber des Hauses, Mr. Steve Trevanty, überrascht?« »Überrascht, nee, die Tür stand ja weit auf.« Der Mann log, aber darauf kam es im Moment wohl nicht an. »Erzählen Sie schon weiter«, forderte Mike Rander ihn auf. »Sie gingen also durch die Tür hier ins Wohnzimmer. Und was suchten Sie hier, Colwyn?« »Trevanty«, lautete die Antwort. »Ich hab nach ihm gerufen, aber er antwortete nicht. Da hab ich eben gewartet, aber da waren dann plötzlich diese verrückten Monster.« »Könnten Sie dieses Thema im Detail behandeln?« bat Butler Parker. »Wie meinen Sie das?« Colwyn warf erneut einen scheuen und ängstlichen Blick auf die beiden Ameisen, die sich ihre Fühler putzten. »Was ist genau passiert? Sie warteten also auf Steve Trevanty.« Rander nickte dem Mitglied der Wach- und Schließgesellschaft ein wenig ungeduldig zu.
»Man könnte die Situation natürlich auch rekonstruieren, Sir«, sagte Josuah Parker höflich. »Wenn Sie darauf bestehen, Sir, werde ich die Tür des Transportbehälters öffnen.« »Sind Sie wahnsinnig?« Colwyn drückte sich mit den Beinen ab und schob sich samt Teppich weiter weg von dem Vogelbauer. »Ich rede ja schon. Das ... Das war so: Ich war also hier im Zimmer und hörte plötzlich so 'n komisches Zirpen und Scharren. Dann hab ich das Licht eingeschaltet und sah die Biester. Sie waren schon dicht bei mir und krabbelten in meine Hosenbeine. Ich dachte, ich wär' verrückt geworden. Die haben richtig zugebissen und dann auch rumgespritzt.« »Herumgespritzt?« fragte Rander. »Irgendeine Säure oder so was, Sir. Ich bekam das Mistzeug in die Augen und konnte nicht mehr sehen. Dann bin ich ausgerutscht und hingefallen. Und überall waren die verdammten Biester! Ich muß ziemlich komisch aussehen, wie?« »Ihre Augen sind geschwollen wie nach einem einseitig geführten Boxkampf«, umschrieb Butler Parker gemessen. »Hinzu kommen in der Tat kleine Wunden, als seien sie in einen Stacheldraht geraten.« »Das sin' die Riesenameisen gewesen.« »Nach denen Sie hier gesucht haben?« schaltete sich der Anwalt ein. »Wie kommen Sie denn darauf?« Colwyn schüttelte viel zu nachdrücklich den Kopf. »Nee, ich hab auf Trevanty gewartet.« »Und was wollten Sie von ihm?«
»Er wollte was vom Chef, ich meine... Also... ich hab mich da etwas unklar ausgedrückt. Ich bin einfach nach hier geschickt worden, verstehen Sie? Ich nehm' an, Trevanty hat in der Firma angerufen und braucht Schutz. Ja, so kann ich mir das nur erklären.« »Hände hoch!« sagte in diesem Moment eine harte Stimme. »Ganz schnell, sonst knallt's!« * »Mr. Steve Trevanty, wenn ich nicht sehr irre?« erkundigte sich Butler Parker und deutete eine knappe Verbeugung an. Sie galt einem schmalen, mittelgroßen Mann, der etwa fünfunddreißig Jahre zählen mochte. Der Mann zeigte eine Glatze, auf der feiner, rötlicher Flaum zu sehen war, und hielt eine Schrotflinte beachtlichen Kalibers in den Händen. Die Richtung des Laufs ließ keine Zweifel daran aufkommen, wer die Hände hochnehmen sollte. »Ich bin Trevanty«, sagte der schmale Mann. »Und wer sind Sie? Ich könnte Sie wie tolle Hunde niederknallen ...« »Trefflich bemerkt«, redete Parker weiter, als existiere das Schrotgewehr überhaupt nicht. »Entspricht es den Tatsachen, Mr. Trevanty, daß Sie sich an die Wachund Schließgesellschaft der Firma Minster in London gewandt haben?« »Was soll die Frage? Ich kenne die Firma überhaupt nicht. Und jetzt schleunigst die Hände hoch, verdammt noch mal!«
»Später, Mr. Trevanty.« Parker deutete auf Colwyn. »Dieser Mann behauptet, er sei aufgrund eines Anrufs in seiner Firma zu Ihnen geschickt worden.« »Unsinn! Hören Sie, wenn Sie nicht augenblicklich die Hände...« »Sie scheinen eine leicht reizbare Natur zu besitzen«, stellte Josuah Parker fest, während Mike Rander den Mann nicht aus den Augen ließ. Er hatte in den Staaten gelernt, wie man mit solchen Situationen fertig wurde, doch noch wollte er nicht eingreifen. Parker schien genau den richtigen Ton getroffen zu haben, um den Labordiener zu verunsichern. »Wer sind Sie?« fragte Trevanty und nahm den Lauf ein wenig höher. Diese Geste war schon bedeutend weniger gefährlich. Parkers Ton hatte den Labordiener irritiert. »Mein bescheidener Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte sich der Butler vor. »Dies ist Mr. Rander, seines Zeichens Anwalt in London. Ich möchte hinzufügen, daß Mr. Rander und meine Wenigkeit direkt von Professor Madley kommen.« »Aha, der hat Sie also hierher geschickt, wie?« »Mehr gegen seinen Willen, Mr. Trevanty. Wissen Sie, daß sich in Ihrem Haus Ameisen befinden, die nicht der regulären Größe entsprechen?« »Ameisen!?« Trevanty stutzte. »Beachtlich große und stattliche Exemplare, die sich durch Aggressivität auszeichnen«, redete Parker weiter. »Der Herr dort wird Ihnen auf Wunsch sicher mit Details dienen können.«
»Riesenameisen?« Trevanty schien erst jetzt den Transportkäfig entdeckt zu haben und verzog sein Gesicht. »Wie kommen diese scheußlichen Kreaturen in meine Wohnung?« »Damit haben Sie bereits meine Frage vorweggenommen, Mr. Trevanty.« »Es sind richtige Mörderameisen«, sagte Steve Trevanty. »Jetzt will ich endlich wissen, was hier gespielt wird! Wer will mir hier was in die Schuhe schieben? Wieso taucht hier ein Anwalt auf? Ich habe nicht ein einziges Tier des Professors gestohlen. Wenn er das behauptet, lügt er! Ich bin ja gerade abgehauen, weil ich die Monster nicht mehr sehen konnte.« »Eine Reaktion, die zu verstehen ich mir erlauben möchte«, erwiderte der Butler und löste mit diesem Satz einiges Nachdenken bei dem Mann aus, der sich als Trevanty vorgestellt hatte. Er legte sein Schrotgewehr über die Schulter und sah Parker nachdenklich an. Auf solch eine günstige Gelegenheit schien Colwyn nur gewartet zu haben. Er stieß Mike Rander hastig zur Seite und hechtete auf eine Tür zu. Mike Rander, normalerweise auf solch eine Art nie zu überraschen, ließ das ohne Reaktion mit sich geschehen und fiel in einen Sessel. Als Trevanty sein Gewehr von der Schulter riß, um es in Hüftanschlag zu nehmen, setzte Parker seinen Universal-Regenschirm ein und schlug mit ihm den Gewehrlauf fast beiläufig zur Seite.
»Man sollte doch tunlichst ein Blutbad vermeiden«, sagte er dazu in seiner höflichen Art. »Wenn Sie erlauben, werde ich Sie ein wenig ruhig stellen.« Während Parker dies sagte, legte er den bleigefütterten Bambusgriff seines Regenschirms auf die Stirn des Mannes, der daraufhin seufzte und dann auf dem Teppich Platz nahm. Er kam damit dem Vorschlag des Butlers nach und verzichtete erst mal auf weitere Aktionen. * »Es ist in der Tat Mr. Steve Trevanty«, stellte Josuah Parker wenig später fest. Er hatte die Taschen des Ruhenden durchsucht und danach dessen Brieftasche oberflächlich kontrolliert. »Hätten wir diesen Colwyn noch gebraucht, Parker?« erkundigte sich Mike Rander. »Keineswegs, Sir. Er hätte im Augenblick nur eine unnötige Belastung dargestellt. Man weiß ja, wo man ihn finden kann.« »Eben, das dachte ich mir auch.« Rander lächelte. »Sie können sich übrigens hier im Haus umsehen, Parker, ich werde Wache halten.« Der Butler war mit dieser Arbeitseinteilung mehr als einverstanden. Er legte den Griff seines Universal-Regenschirms korrekt über den angewinkelten linken Unterarm und ging das kleine Haus ab. Die Wohnräume machten einen völlig normalen Eindruck, doch die Tür zum Keller war nicht nur fest verschlossen, sondern wurde zusätzlich noch durch einen Riegel
samt schwerem Vorhängeschloß gesichert. Zu Schlössern hatte Parker ein besonderes Verhältnis. Sie schienen bereitwillig darauf zu warten, von ihm behandelt und geöffnet zu werden. Auch in diesem Fall brauchte Parker nur wenige Sekunden, um das Vorhängeschloß aufspringen zu lassen. Er benutzte dazu wieder mal sein kleines Spezialbesteck, das sich in einem schwarzen Lederetui befand und eigentlich sehr harmlos aussah. Es schien sich um einige Reserveschlüssel und Miniaturwerkzeuge zu handeln, denen man eigentlich kaum etwas zutraute. Parker schaltete das Licht ein und stieg über die Steintreppe vorsichtig nach unten. Seine innere Alarmanlage hatte sich bereits automatisch eingeschaltet und warnte ihn. Mit Überraschungen war demnach fest zu rechnen. Als er die Treppe fast hinter sich gebracht hatte, bemerkte er einen säuerlich-dumpfen Stallgeruch. Parker blieb in dem schmalen Korridorgang stehen und sah auf zwei solide Holztüren, die noch sehr neu wirkten. Sie bestanden aus dicken Bretterbohlen und waren genau in den ebenfalls neuen Rahmen eingepaßt worden. Normale Vorräte, wie man sie in Häusern findet, konnten sich hinter solchen Türen gewiß nicht befinden! Warum hatte sich Trevanty die Mühe gemacht, diese nicht billigen Türen einzubauen? Was mochte sich an Überraschungen hinter ihnen verbergen? Weitere Riesenameisen?
Oder gar andere Insekten oder Nager, die man aus Sicherheitsgründen fest unter Verschluß halten mußte? Parker entschied sich für die linke Tür. Er holte einen seiner Patentkugelschreiber hervor und schaltete das scharf gebündelte Licht dieser Taschenlampe ein. Der Kugelschreiber, äußerlich von einem normalen nicht zu unterscheiden, lieferte ein schon fast schmerzhaft stechendes, grelles Lichtbündel. Parker öffnete spaltbreit die Tür und hütete sich, schwungvoll den Kellerraum zu betreten. Seine innere Alarmanlage schrillte. Es bestand akute Lebensgefahr! Blitzschnell leuchtete er mit der Miniaturtaschenlampe den Türspalt von unten bis oben ab, um die Tür dann noch schneller wieder zuzuschlagen. Parker hatte oben am Türrahmen eine Bewegung wahrgenommen, die er jedoch nicht genau identifizieren konnte. Er wußte aber mit letzter Sicherheit, daß ihm von dieser Bewegung Lebensgefahr drohte. War es eine Schlange gewesen? Vielleicht eine Giftspinne?« Einen Moment spielte der Butler mit dem Gedanken, Steve Trevanty herunterzubitten und ihn den Keller öffnen zu lassen. Da der ehemalige Labordiener des Professors schließlich wußte, was hinter der Tür lauerte, würde er sich natürlich weigern, diesen Raum zu betreten. Anschließend daran würde er sich weiterhin bequemen, einige Hinweise auf diese Gefahr zu geben. Aber Butler Parker kannte noch eine andere Möglichkeit.
Er griff in die Innentasche seines Zweireihers und holte ein Zigarrenetui hervor, das mit schwarzem Leder bespannt war, wählte eine der Zigarren und zündete sie an. Es handelte sich um eine ungewöhnliche Zigarre, was das Aroma betraf. Parker konnte dieses Kraut nur dann rauchen, wenn weit und breit kein menschliches Wesen in der Nähe war. Der Tabak zeichnete sich durch Schwärze und Rauchentwicklung aus, die geeignet war, Fliegen von den Wänden fallen zu lassen, wie Mike Rander es auszudrücken pflegte. Nachdem Parker die Zigarre angezündet hatte, öffnete er noch mal spaltbreit die Tür und warf die Köstlichkeit in den dunklen Keller. Dann schloß er die Tür und wartete. Schon nach wenigen Augenblicken registrierte er, daß seine innere Alarmanlage sich abschaltete. * »Haben Sie was gefunden?« erkundigte sich Mike Rander, als der Butler in den Wohnraum zurückkehrte. Der Anwalt hatte dem Labordiener sicherheitshalber ein Paar Handschellen angelegt, die aus Parkers Privatbesitz stammten. Steve Trevanty umarmte einen Träger, der zusammen mit einigen anderen die Deckenbalken stützte. Der Labordiener war also nicht in der Lage, sich zu entfernen. Er war inzwischen wieder zu sich gekommen, jedoch noch benommen. Er sah Rander und Parker aus leicht verglasten Augen an.
»Sie sollten sich vielleicht einen Kellerraum ansehen, Sir«, empfahl Josuah Parker höflich. »Es sind dort einige zoologische Abnormitäten zu besichtigen, die in eine Schreckenskammer gehören.« »Giga-Ratten, Parker?« »Damit vermag ich nicht zu dienen, Sir. Es handelt sich auch nicht um Riesenasseln oder ameisen.« »Schön, ich werde mich also überraschen lassen.« Rander lächelte und folgte dem Butler in den Keller. »Sind Sie sicher, daß diese zoologischen Abnormitäten auch ungefährlich sind?« »Im Augenblick durchaus, Sir. Ich war so frei, eine meiner Zigarren anzuzünden.« »Du meine Güte, hoffentlich sind die armen Viecher nicht eingegangen«, sorgte sich Anwalt Rander. Er kannte das Spezialkraut, das Parker zu rauchen pflegte. Sie hatten inzwischen den Korridor erreicht, und Parker blieb vor der bewußten Bohlentür stehen. Er öffnete sie und trat dabei sicherheitshalber zurück. Da er inzwischen in dem Raum das Licht eingeschaltet hatte, konnte er mit schnellem Blick überprüfen, ob die Insassen des Kellers auch tatsächlich noch bewußtlos waren. Sie waren es! »Was ... Was ist denn das?« fragte Mike Rander und sah betroffen auf ein schlangenähnliches Gebilde, das etwa 35 bis 40 Zentimeter lang war. »Ein Tausendfüßler, Sir, genauer gesagt, ein Hundertfüßler«, erläuterte Josuah Parker fachmännisch. »Er gehört zu den
Scolopendern, wie ich inzwischen festgestellt habe.« »Aha! Und was sind das für Gebilde, Mr. Parker?« Mike Rander hatte inzwischen etwa ein Dutzend dieser Scolopender gezählt. Sie lagen lang ausgestreckt auf dem Betonboden und rührten sich nicht. Dann hüstelte der Anwalt, denn der Qualm der Zigarre reizte seine Nasenschleimhäute. »Es sind die Räuber unter den Tausendfüßlern, Sir«, erklärte Parker und ließ die Gebilde, wie Mike Rander es ausgedrückt hatte, nicht aus den Augen. »Sie verfügen über gut entwickelte Freßwerkzeuge, die aus klauenbewehrten Kieferfüßen bestehen. Durch diese Klauen fließt ein Gift, das die Beutetiere zu lähmen vermag. Die tropischen Vertreter dieser Scolopender können selbst dem Menschen gefährlich werden. Sie werden bis zu 25 Zentimeter lang.« »Die dort sind ja fast doppelt so lang, Mr. Parker.« »Und wahrscheinlich auch doppelt so gefährlich, Sir. Bei diesen Exemplaren dürfte es sich um Mutationen handeln, die unter dem Einfluß von energiereichen Strahlen zustande gekommen sein müssen.« »Hat Trevanty sie nun selbst herangebildet? Hat er sie dem Professor gestohlen?« Mike Rander deutete auf einen kleinen Hügel in einer Ecke. Er bestand aus Laub, Heu und Kiefernadeln. »Man müßte wahrscheinlich diesen Hügel genau durchsuchen, Sir«, erwiderte Parker. »Wahrscheinlich wird man in ihm eine Probe harten Strahlungsmaterials finden.«
»Lassen Sie sich nur nicht aufhalten, Parker.« Mike Rander schüttelte den Kopf. »M ich bekommen Sie da nicht hin. Weiß der Teufel, was sonst noch alles in diesem Haufen steckt.« Seine Bedenken erwiesen sich als begründet. Butler Parker, der sich gerade anschickte, auf diesen künstlichen Laubhügel zuzugehen, blieb plötzlich stehen und hatte schnell seinen Universal-Regenschirm in der rechten, schwarz behandschuhten Hand. Mit der Spitze des Schirms wehrte er den Angriff von zwei Scolopendern ab, die aus dem Laubhügel krochen. Sie waren ungemein schnell und angriffslustig. Sie ahnten jedoch nicht, daß sie es mit Butler Parker zu tun hatten, der sie mit der Spitze des Regenschirms erfaßte und zurück gegen die Wand schleuderte. Dann beeilte sich allerdings auch Parker, dem Anwalt zu folgen, der es eilig hatte, den Raum zu verlassen. * »Ich hab' sie in Sicherheit gebracht«, sagte der ehemalige Labordiener. Trevanty hatte sich endgültig wieder erholt und schien froh zu sein, sich gewisse Dinge von der Seele reden zu können. »Ich nehme an, Sie sind bei dem verrückten Professor gewesen. Der Mann ist doch wahnsinnig! Der hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank! Wie kann man nur solche Bestien züchten?«
»Sie haben ihm eine Zeitlang dabei geholfen?« fragte Mike Rander. »Stimmt«, fuhr Trevanty fort. »Zuerst dachte ich, diese Versuche hätten 'nen Sinn. Professor Madley hat immer gesagt, mit diesen Bestien müßte man die Atomverrückten warnen, aber dann bin ich dahinter gekommen, daß er was anderes beabsichtigte.« »Nämlich, Mr. Trevanty?« Rander hatte sich eine Zigarette angezündet und hörte skeptisch zu. Parker stand unbeweglich wie eine Statue in der Nähe des Fensters. »Der drehte durch, Sir.« Trevanty nickte nachdrücklich. »Der konnte plötzlich nicht genug von diesen Monstern bekommen. Immer neue wollte er züchten.« »Ist Ihnen bekannt, Mr. Trevanty, woher Professor Madley seine Strahlenpräparate bekommt?« schaltete sich Josuah Parker ein. »Nee, hab ich nie rausbekommen. Er fuhr weg und brachte sie dann mit. Die waren immer in so 'ner Art Thermosbehälter, aber aus Blei und Stahl, mächtig schwer, das können Sie mir glauben.« »Sie merkten also eines Tags, daß Professor Madley nur an Neuzüchtungen interessiert war«, nahm Mike Rander den Faden wieder auf. »Daraufhin kündigten Sie?« »Wir bekamen immer häufiger Streit, bis er mich rausgeschmissen hat. Das war vor rund vier Wochen.« »Und Sie nahmen sich einige dieser kleinen Biester mit?« »Nur die Tausendfüßler und ein paar Ameisen, Sir. Als ... Als Beweismittel, verstehen Sie?«
»Aha.« Rander lächelte. »Sie hatten nicht die Absicht, weitere Monster zu züchten?« »Wozu hätt' ich das tun sollen?« Trevanty tat arglos und sah den Anwalt wie aus Kinderaugen an. »Vielleicht wollten Sie den Professor erpressen, Trevanty? Vielleicht wollten Sie diese kleinen Teufel auch verschicken? Was weiß ich!?« »Woher stammen denn die Präparate, die ich in dem Laubhaufen fand?« fragte Butler Parker. »Sie haben die gefunden?« Trevanty schluckte. »Nicht direkt«, gab Parker höflich zurück. »Sie haben mir die Suche dankenswerterweise erspart.« »Die hab ich dem Professor weggenommen. Verstehen Sie, ich weiß doch nicht, ob die Bestien da unten im Keller das brauchen, ich meine, diese Atomstrahlen, oder was das ist.« »Sie haben die Riesenameisen bewußt auf den Einbrecher losgelassen, nicht wahr?« fragte nun Mike Rander. »Nee, die muß er unten aus dem Keller geholt haben. Ich war ja überhaupt nicht im Haus, als der gekommen ist. Wahrscheinlich hat er die Tür vom Transportbehälter aufgemacht, weil er die Biester nicht gesehen hat. Die waren wohl in ihrem Nest.« »Wie denken Sie darüber, Mr. Parker, sollte man nicht die Polizei verständigen?« Der Anwalt sah zu dem Butler hinüber, doch der hatte inzwischen völlig geräuschlos den Wohnraum verlassen. Mike Rander
sah nur noch die schwarz behandschuhte Hand, die um den Türrahmen langte und dann das Licht ausschaltete. Genau in diesem Moment fielen zwei schallgedämpfte Schüsse. Das harmlos klingende »Plopp-Plopp« löste einen erstickten Aufschrei des ehemaligen Labordieners aus, das dann in ein Röcheln umschlug. Mike Rander wußte sofort, daß Trevanty tödlich getroffen war. Er hatte sich nicht getäuscht! * Inspektor Sheyne war ein Eiszapfen in Menschengestalt. Er gab sich völlig unterkühlt, tat überlegen und schien es mit der Ironie zu halten. Er hatte sich die Geschichte angehört, die Mike Rander gerade erzählt hatte. Jetzt maß er den Butler mit eisigem Blick. »Können Sie das alles bestätigen?« erkundigte er sich. »Silbe für Silbe, Sir«, antwortete Josuah Parker. »Darf ich Ihnen übrigens empfehlen, bei der Besichtigung der Kellerräume größte Vorsicht walten zu lassen?« »Wegen dieser kleinen Monster, wie?« Inspektor Sheyne verzog den Linken Mundwinkel. »Wie war das noch?« »Wenn Sie erlauben, Sir, helfe ich Ihrem Gedächtnis gern nach«, sagte Parker in seiner reserviert-höflichen Art. »Im erwähnten Keller befinden sich Hundertfüßler, in diesem Fall überentwickelte Scolopendra gigantea, oder auch Riesenscolopender.«
»Macy, gehen Sie 'runter in den Keller und werfen Sie einen Blick auf diese ... Hundertfüßler«, forderte der Inspektor seinen Sergeant auf, der ebenfalls Zivil trug. Die beiden anderen Mitarbeiter der Mordkommission schienen kaum zuzuhören, so eifrig waren sie damit beschäftigt, Spuren zu sichern. »Mr. Parker hat Sie gerade gewarnt, Inspektor«, schaltete sich Mike Rander ein. »Halten Sie es für fair, einen Untergebenen in den Keller zu schicken?« »Mischen Sie sich möglichst nicht in meine Angelegenheiten«, gab Sheyne scharf zurück. »Ich wiederhole noch mal, Inspektor, warum gehen nicht Sie in den Keller? Sie glauben ja nicht, daß es diese Scolopender dort gibt.« »Ich verbitte mir...« Der Polizeigewaltige sah das amüsierte Lächeln des Anwalts und taute auf, was seinen Kopf betraf. Das Gesicht färbte sich rot. Dann aber hatte er sich schon wieder unter Kontrolle und nickte überlegen. »Also gut, Rander, ich werde 'runtergehen und Ihnen beweisen, daß Sie pure Märchen erzählen. Aber danach unterhalten wir uns dann weiter.« »Sir, bitte, lassen Sie Vorsicht walten«, warf Josuah Parker ein. »Darf ich mir erlauben, mich Ihnen anzuschließen?« »Wahrscheinlich wegen der Riesenameisen im zweiten Keller, wie? Halten Sie mich für einen Narren?« »Darauf eine schlüssige Antwort zu geben, Sir, erscheint mir momentan nicht möglich«, erwiderte Josuah Parker höflich. »Würden Sie
die Frage zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht noch mal wiederholen?« Inspektor Sheyne preßte die Lippen aufeinander und verließ den Wohnraum. Man hörte seine schnellen, energischen Schritte auf dem Steinboden des Korridors, als er zur Kellertreppe wechselte. »Ist es da unten wirklich gefährlich, Sir?« fragte Sergeant Macy jetzt. »So gefährlich, daß wir ihm nachgehen sollten, nicht wahr, Parker?« »Unbedingt, Sir, man sollte keine Zeit verschwenden.« Sergeant Macy schloß sich Parker und Anwalt Rander an, die den Wohnraum verließen. Sie hatten die Kellertür noch nicht ganz erreicht, als sie von unten her einen geradezu wilden Aufschrei hörten. Dann wurde eine Tür zugeschlagen, mehr als hastige Schritte und dazu noch unterdrückte Hilfeschreie waren zu hören. »Man könnte den Inspektor vielleicht hier erwarten, Sir«, schlug Parker vor. »Mit Mr. Sheynes Auftauchen ist ohnehin umgehend zu rechnen.« Josuah Parker besaß ein gutes Zeitgefühl. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Inspektor Sheyne die Treppe hinter sich gebracht hatte. Er gestikulierte und schlug wild um sich. Er kümmerte sich vor allen Dingen um sein linkes Hosenbein. Nicht ohne Grund! Einer der Scolopender hatte sich im Stoff verbissen und war geradezu versessen darauf, endlich die
fleischige Wade anzunagen. Parker schritt helfend ein und beförderte den Hundertfüßler mit seinem Universal-Regenschirm auf den Steinboden. Sergeant Macy kickte den Scolopender anschließend mit seiner rechten Schuhspitze über die Treppe zurück in den Keller. Inspektor Sheyne war kreidebleich, als er Mike Rander aus großen, entsetzten Augen anstarrte. »Nehmen Sie sich Zeit, Sie müssen nicht sofort etwas sagen«, riet Mike Rander ihm, um dann auf das Hosenbein zu deuten. »Die Hose können Sie abschreiben, fürchte ich, mit der ist kein Staat mehr zu machen.« Sie war zerfranst, als habe man sie vom Knie ab mit Säure behandelt. Er wollte etwas sagen, schaffte es aber nicht. Sergeant Macy führte seinen Vorgesetzten überraschend behutsam zu einem Stuhl und drückte ihn auf die Sitzfläche. »Sir, gibt's das, was ich da gesehen habe!« fragte er dann Mike Rander und schüttelte sich, »'nen Tausendfüßler, groß und dick wie 'ne kleine Boa?« »Sie haben völlig richtig gesehen, Sergeant«, antwortete der Anwalt. »Ich glaube, das Biest werde ich nie vergessen«, redete der Sergeant weiter. »Woher stammt es?« »Darüber später mehr.« Rander sah zu Parker hinüber, der langsam zur Kellertür ging, die er eben erst geschlossen hatte. »Parker, was ist? Greifen die Scolopender etwa an?« »Meiner bescheidenen Ansicht nach riecht es nach Brand und Feuer, Sir«, antwortete der Butler. »Aufgrund des Geruchs möchte ich
behaupten, daß man wahrscheinlich einen sogenannten MolotowCocktail in den Keller geworfen hat.« * Inspektor Sheyne war sehr menschlich geworden und leicht angetrunken. Butler Parker hatte ihm im Rahmen einer ersten Hilfe ein wenig Whisky angeboten, den er im Wohnraum des Hauses gefunden hatte. Der Detective-Inspektor hatte damit seinen Schock bekämpft, auch dann noch, als der Butler ihn allein gelassen hatte. Zusammen mit dem Anwalt stand Sheyne jetzt neben einem Wagen der örtlichen Feuerwehr und sah den Löscharbeiten zu. Aus sämtlichen Kellerfenstern quoll dicker Rauch und schlugen Flammen. Josuah Parker hatte den Geruch richtig identifiziert. Irgend jemand hatte eine Mischung aus Öl und Benzin durch ein Fenster in den Keller des Steinhauses geworfen und dann gezündet. »Verdammt ärgerlich«, meinte Sheyne. »Wie soll ich jetzt beweisen, daß die Bestien tatsächlich existierten?« »Sie haben Professor Madley in Maidenhead vergessen«, erwiderte Mike Rander lächelnd. »Dort können Sie zusätzlich noch Giga-Ratten und entsprechend große Kellerasseln besichtigen. An Beweismitteln wird es nicht fehlen.« »Das alles gehört doch in einen Horrorfilm«, erklärte Sheyne und
rülpste diskret. »Ich denke, das ganze Haus wird abbrennen.« »Hauptsache, wir haben Trevanty noch rechtzeitig hinausschaffen können, Inspektor. Sie haben immerhin eine Leiche, so makaber das auch klingen mag.« »Haben Sie eine Ahnung, wer ihn niedergeschossen haben könnte?« »Nein, Inspektor.« »Ob es dieser Bursche gewesen ist, der dort ins Haus eingestiegen ist?« »Möglich, aber eben nicht sicher, Sheyne.« Weder Mike Rander noch Josuah Parker hatten dem Inspektor natürlich etwas davon gesagt, daß sie durchaus wußten, wessen Angestellter dieser Mann war. Dazu war später immer noch Zeit. »Ein vertrackter Fall«, meinte Sheyne und schluckte. »So was hatten wir hier in Marlow noch nie. Und das in unserer wunderschönen Gegend. Die Presse wird sich überschlagen.« »Ich will mich nicht in Ihre Dinge einmischen, Sheyne, aber der Presse würde ich von diesen Riesenexemplaren nichts erzählen.« »Wahrscheinlich wohl nicht.« Sheyne ließ inzwischen wirklich mit sich reden. »Ich muß darüber ohnehin mit meinem Chief-Inspektor reden, der soll entscheiden.« Funken stoben hoch. Die Balkendecke des Erdgeschosses war wohl gerade in den Keller gestürzt. Die Flammen fraßen sich nun zum Dachgeschoß hoch. Die Feuerwehrleute taten zwar ihr Bestes, doch das Haus war nicht mehr zu retten. »Mögen diese verdammten Monster alle verbrennen!« sagte
Sheyne zufrieden. »Und diesem verrückten Professor werde ich umgehend das Handwerk legen. So ein Typ gehört doch in eine geschlossene Anstalt!« »Legen Sie sich nicht vorzeitig fest«, warnte Mike Rander. »Es ist schon verdammt gut, wenn es da ein paar Wissenschaftler gibt, die aufzeigen, was radioaktive Strahlen alles anrichten können, eben auch solche unheimlichen Veränderungen. Wir wiegen uns sonst zu sehr in Sicherheit und überlassen alles diesen betriebsblinden Fachidioten, die immer lautstark hinausposaunen, sie hätten das Kernproblem fest im Griff.« »Da is' was dran«, meinte Inspektor Sheyne und rülpste erneut, diesmal jedoch weniger diskret. »Ich würde jetzt gern zu diesem Professor fahren.« »Darf ich mir erlauben, eine Mitteilung zu machen?« meldete sich Parker in diesem Moment zu Wort. Er war zu Mike Rander und dem Kriminalisten zurückgekommen. »Scheint weitere Überraschungen gegeben zu haben, wie?« fragte Mike Rander. »In der Tat, Sir«, berichtete Parker mit völlig neutraler Stimme. »Haus und Labor des Professors brennen lichterloh, wie ich gerade per Telefon erfuhr. Noch steht nicht fest, ob Madley in den erwähnten Flammen umgekommen ist.« * Chief-Superintendent McWarden war von einer selten erlebten
Gelöstheit. Der untersetzte Mann mit den stämmigen Schultern, der stets an eine leicht gereizte Bulldogge erinnerte, gab sich heiter. Das war mehr als ungewöhnlich. Er leitete ein Sonderdezernat des Yard und war dem Innenminister direkt unterstellt. Doch das machte seine Reizbarkeit mit Sicherheit nicht aus. Es war eine gewisse Lady Agatha Simpson, die ihn stets herausforderte und seinen Blutdruck in die Höhe trieb. Die passionierte Detektivin verstand es ausgezeichnet, McWarden mit vielen kleinen Spitzen und Sticheleien in innere Raserei zu bringen. Da sie nun erwiesenermaßen in Monaco war, genoß der Chief-Superintendent den momentanen Seelenfrieden. »Ich bin bereits von Inspektor Sheyne informiert worden«, sagte er lebhaft. »Aber ich hatte den Eindruck, daß der Mann leicht angetrunken war.« »Dann hat er sich aber am Telefon erstaunlich zusammengerissen«, erwiderte Anwalt Rander lächelnd. »Als Parker und ich ihn verließen, war er betrunken.« »Wegen dieser Tausendfüßler, Mr. Rander?« McWarden lächelte belustigt. » Eindeutig, ChiefSuperintendent«, sagte der Anwalt. »Sie hätten sich wahrscheinlich ebenfalls an einer Flasche Whisky festgehalten.« »Nun mal im Ernst«, meinte McWarden und zwinkerte. »Hat es diese Monster tatsächlich gegeben?« »Mit letzter Sicherheit, Sir«, schaltete sich Josuah Parker ein. »Zu diesen riesigen Scolopendern sollten
Sie noch maikäfergroße Ameisen und Asseln in der Größe von kleinen Schildkröten hinzuaddieren.« »Dann gab es da noch riesige Meerschweinchen, die tatsächlich an kleine Ferkel erinnerten«, zählte der Anwalt weiter auf. »Alles hat Professor Madley uns bestimmt nicht gezeigt, wahrscheinlich ist aber, daß er noch weitere kleine Bestien gezüchtet hat.« »Übrigens, eine Leiche wurde im niedergebrannten Haus des Professors noch nicht gefunden«, warf McWarden ein. »Aber das besagt nichts, die Experten durchsuchen noch den Brandschutt.« Man hatte sich gegen Morgen im Haus des Anwalts in der Curzon Street getroffen. Butler Parker servierte ein Frühstück und hatte natürlich auch für McWarden ein Gedeck aufgelegt. »Okay, unterstellen wir mal, daß diese zoologischen Abnormitäten tatsächlich existierten«, schickte McWarden ein wenig gönnerhaft voraus«, nach den Bränden in beiden, Häusern dürfte davon aber nichts übrig geblieben sein, oder?« »Davon sollte man ausgehen«, pflichtete der Anwalt ihm bei, während Josuah Parker Spiegeleier, gebratenen Speck, ein wenig Roastbeef und kerniges Brot servierte. Auf allgemeinen Wunsch hin hatte der Butler einen Kaffee gekocht, der sich mit der Qualität eines Wiener Kaffees durchaus messen konnte. »Ich bin froh, daß diese Bestien verbrannt sind«, meinte der ChiefSuperintendent.
»Sind sie es, Sir?« Parker stellte die Frage mit gewohnter Zurückhaltung. »Na, hören Sie, Mr. Parker«, protestierte McWarden. »Beide Häuser sind bis auf die Grundmauern niedergebrannt. In diesen Flammenhöllen ist alles Leben umgekommen, daran zweifle ich keinen Moment.« »Man sollte sicherheitshalber mit der Möglichkeit rechnen, Sir, daß die zoologischen Mutationen noch vor dem Brand aus dem Haus des Professors geschafft wurden.« »Und wer sollte das getan haben? Denken Sie etwa an Professor Madley?« »Unter anderem, Sir, wenn Sie erlauben.« »Es muß ja nicht der Professor gewesen sein, McWarden«, fügte der Anwalt hinzu. »Denken Sie an die beiden Einbrecher, von denen wir Ihnen erzählt haben.« »Sie haben nicht herausgefunden, wer sie sind?« McWarden sah zuerst den Anwalt, dann den Butler scharf und wachsam an. »Sie sollten freundlicherweise in Betracht ziehen, daß die Ereignisse sich förmlich überschlugen«, erläuterte Parker gemessen. »Zu einer eingehenden Befragung fand sich leider keine Zeit.« »Sie können sich ja überhaupt nicht vorstellen, was das für ein verrückter Wirbel war«, meinte Rander und seufzte. »Zuerst das Theater im Haus des Professors, anschließend die Vorstellung im Haus des ehemaligen Labordieners Trevanty.«
»Sie sind sicher, daß Sie keine Hinweise auf die beiden Einbrecher geben können?« McWarden blieb mißtrauisch. »Im Augenblick schon«, entgegnete Mike Rander. »Was halten Sie davon, wenn wir das Thema erst mal ausklammern, McWarden?« Der Chief-Superintendent verstand. Dieser Vorschlag wurde ihm immer dann gemacht, wenn seine Gegenspieler nicht mit der Sprache herausrücken wollten. Aus Erfahrung wußte McWarden, daß solch ein Ausklammern sich immer positiv für ihn auswirkte, wenn später unter dem Strich zusammengezählt wurde. Als Amateurdetektive hatten Butler Parker und Mike Rander mehr Möglichkeiten als er. Für den ChiefSuperintendent gab es feste Regeln, an die er sich als Polizeiangehöriger strikt halten mußte. »Und wann klammern wir das Thema wieder ein?« fragte er. »So schnell wie möglich.« Rander lächelte. »Sie haben natürlich bereits Erkundigungen über Professor Madley eingezogen?« »Der Mann hat einen Namen«, erwiderte McWarden. »Er hat früher mal für die pharmazeutische Industrie gearbeitet, sich dann aber zurückgezogen. Vor einem Jahr noch hat er Zeitungen mit Leserbriefen und Artikeln bombardiert und darin auf die Gefahren der Atomenergie hingewiesen. Er geriet immer mehr ins Abseits, und sein Geschreibsel wurde kaum noch gedruckt.«
»Seine Warnungen scheinen nicht unberechtigt zu sein.« Mike Rander nickte, als Parker ihm erneut Kaffee eingoß. »Sie hätten diese Monster sehen sollen, McWarden!« »Der Verdacht hegt nahe, daß die Züchtungen in falsche Hände geraten sind, nicht wahr?« »Nicht auszudenken!« Mike Rander nickte. Er dachte jedoch nicht daran, dieses Thema weiter auszuspinnen und sich aufs Glatteis locken zu lassen. »Noch schlimmer wäre es wohl, wenn man den Professor entführt hätte, nicht wahr, Mr. Parker?« McWarden tippte bei dem Butler an, obwohl er doch eigentlich hätte wissen müssen, daß dies sinnlos war. »In der Tat«, antwortete Parker höflich. »Ich möchte mir gestatten, Ihnen beizupflichten, Sir.« »Von wem mag der ehemalige Labordiener erschossen worden sein?« McWarden versuchte es noch mal. »Es gibt der Möglichkeiten mehrere, Sir«, wich Parker gemessen aus. »Man sollte sich vielleicht auch mal mit dem Vorleben des Toten befassen, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf. Vielleicht hatte er aus bestimmten Gründen Feinde. « »Gar nicht so schlecht«, fand McWarden und wurde nachdenklich. »Sobald ich etwas herausgefunden habe, werde ich Sie natürlich informieren.« »Natürlich«, erwiderte Mike Rander ironisch. »Fragt sich nur, wann das der Fall sein wird. Sicherheitshalber werden wir von
Zeit zu Zeit einverstanden? «
danach
fragen,
* Die Firma war beileibe kein Waschküchenbetrieb. Die Wach- und Schließgesellschaft des Paul Minster war in einem ansehnlichen Haus in der Nähe von King's Cross untergebracht, genauer gesagt in der Calshot Street. Die Büros im Erdgeschoß waren auf sehr seriös getrimmt, wie Parker und Mike Rander bald darauf feststellen konnten. Nachdem sie sich bei Paul Minster angemeldet hatten, bat man sie in einen Warteraum, der mit Spannteppichen ausgelegt war. Es dauerte nur wenige Minuten, bis ein junger Mann von etwa dreißig Jahren eintrat und die beiden Besucher anstrahlte. »Ich bin Gerald Bloom«, stellte er sich vor, »der Sekretär Mr. Minsters. Was können wir für Sie tun?« »Rander«, stellte sich der Anwalt vor. »Ich bin der Vermögensverwalter und Treuhänder der Lady Simpson. Dies hier ist Mr. Parker.« »Lady Simpson? Ein bekannter Name, Sir ...« Gerald Bloom strahlte noch intensiver. »Ich möchte mit Mr. Minster über ein paar Sicherheitsmaßnahmen reden«, sagte Mike Rander. »Ich hoffe, er hat Zeit, sonst würden wir noch mal zu einem anderen Zeitpunkt vorsprechen, Mr. Bloom.« »Aber nein, nein, Mr. Minster erwartet Sie selbstverständlich. Er hat mich nur geschickt, Sie zu ihm zu bringen. Mr. Minster behält sich
vor, alle Neukunden persönlich zu beraten.« »Geschäftsprinzip«, sagte eine sonore Stimme von der Tür her. Ein großer, stattlicher Mann lächelte vertrauenerweckend. »Paul Minster, zu Ihren Diensten!« »Was machen Ihre beiden Angestellten Bandiff und Colwyn?« fragte Mike Rander ohne jede Vorwarnung. »Haben sie sich inzwischen wieder von ihrem Schock erholt?« »Schock?« Paul Minster schüttelte ratlos den Kopf. »Sie haben Ihnen nichts von den Riesenameisen und den Giga-Ratten erzählt?« Rander lächelte mokant. »Sehr zurückhaltend, Ihre Leute, Mr. Minster.« »Bandiff und Colwyn?« Paul Minster wandte sich an seinen Sekretär. »Vor ein paar Wochen wegen Unzuverlässigkeit entlassen«, antwortete der Sekretär geschmeidig. »Sie haben sich noch nicht mal ihre Wochenabrechnungen abgeholt. Das Geld liegt noch in der Kassenabteilung, Sir.« »Bei der Größe meines Betriebs kann ich nicht jeden Mitarbeiter persönlich kennen«, entschuldigte sich Paul Minster. »Hatten Sie etwa Ärger mit diesen beiden Leuten? Wie hießen sie noch?« »Bandiff und Colwyn«, warf Josuah Parker ein. »Ein wenig unzuverlässig mögen sie schon sein, Mr. Minster, auf der anderen Seite konnten sie natürlich nicht damit rechnen, auf die von Mr. Rander
erwähnten Riesenexemplare zu stoßen.« »Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Bloom, um was handelt es sich eigentlich?« »Ich weiß nicht, Mr. Minster. Die beiden Herren sprachen von Riesenameisen und Giga-Ratten.« »Dazu kommen noch die Ermordung eines gewissen Steve Trevanty und das geheimnisvolle Verschwinden Professor Madleys«, fügte der Butler höflich hinzu. »Aber auch das sagt Ihnen selbstverständlich nichts, wie ich vermuten darf.« »Wenn Bandiff und Colwyn was ausgefressen haben sollten, dann hat das mit Mr. Minsters Betrieb nichts zu tun«, schaltete sich der Sekretär ein. »Ich sagte ja schon, sie wurden vor ein paar Wochen entlassen.« »War das alles?« erkundigte sich Minster lächelnd. »Ich habe leider nur wenig Zeit.« »Würden Sie Professor Madley freundlicherweise ausrichten, daß Mr. Rander und meine bescheidene Wenigkeit jenem Hinweis nachgehen werden, der gewisse Zusammenhänge aufhellen wird«, sagte Parker. »Das heißt, selbst wenn Sie ihm auch gar nichts sagen sollten, so wird er hoffen, denke ich.« »Sind Sie übrigens sicher, daß er nicht eines seiner radioaktiven Präparate bei sich hatte?« fragte Mike Rander ironisch. »Sie wissen doch, Minster: Man sieht nichts, man schmeckt nichts, man hört nichts, falls man nicht einen Geigerzähler benutzt. An Ihrer Stelle wäre ich verdammt vorsichtig! Scheußliche
Vorstellung, daß man ununterbrochen von harten Strahlen beschossen und durchbohrt wird, wie?« Mike Rander nickte verabschiedend, Butler Parker lüftete grüßend seine schwarze Melone. Dann verließen sie den Gästeraum und schritten zum Ausgang. Sie durften sicher sein, zwei sehr nachdenkliche Männer zurückgelassen zu haben... * Es dauerte etwa zehn Minuten, bis Gerald Bloom aus dem Bürohaus kam. Er hatte es eilig und lief fast auf seinen Ford zu, der am Straßenrand parkte, setzte sich ans Steuer und schoß los, als säße ihm der Satan persönlich im Genick. Als er die erste Querstraße passierte, löste sich dort ein altes Taxi vom Straßenrand, das von einem schnauzbärtigen Mann gesteuert wurde. Im Fond dieses Wagens saß ein Mann, der eine dicke Hornbrille trug und in einer Zeitung blätterte. »Den haben Sie aber ganz schön auf Trab gebracht, Parker«, sagte der Brillenträger amüsiert. »Der bescheidene Hinweis auf harte Strahlung, Sir, muß alarmierend gewesen sein«, erwiderte der Schnauzbart am Steuer, der eine abgewetzte Lederkappe trug. Josuah Parker war ein Meister der blitzschnellen Verwandlung ein wahrer Magier der Maske. Hinzu kam natürlich in diesem Fall noch, daß sein Privatwagen das offizielle Taxizeichen vorn auf dem Dach zeigte. Es
ließ sich per Knopfdruck automatisch hochklappen. Im Stadtbild der Millionenstadt London hätte man kein unauffälligeres Gefährt finden können als eben eines der vielen Taxis., Gerald Bloom, Paul Minsters Sekretär, hatte es wirklich eilig. Er nahm die Farringdon Road und bog kurz vor der Clerkenwell Road nach links in eine Seitenstraße. Nach einigen Minuten visierte er eine Toreinfahrt an und verschwand auf einem Grundstück, das wegen hoher Mauern nicht einzusehen war. Parker hielt sein Privattaxi an und stieg aus. Selbst als er zu Fuß hinüber zur Toreinfahrt ging, war er nicht wieder zu erkennen. Von würdevoller Gemessenheit konnte keine Spur mehr sein. Er war ein offensichtlich rheumageplagter, älterer Mann, der Ärger mit seinem linken Knie hatte. Von der Toreinfahrt aus beobachtete Parker den Sekretär. Gerald Bloom eilte gerade auf ein zweistöckiges Lagerhaus zu, dessen Fenster weiß gekalkt und vergittert waren. Er stand auf einer Rampe und öffnete eine schmale Tür, hinter der er dann verschwand. Josuah Parker nickte seinem Fahrgast zu, wartete aber nicht, bis Mike Rander ihn erreicht hatte. Er ging bereits hinüber zur Rampe, öffnete vorsichtig die Tür und hörte Schritte, die in der leeren Lagerhalle ein intensives Echo lieferten. Gerald Bloom befand sich auf einer Treppe, die in die Kellerräume führte. Sein Oberkörper war noch zu sehen, als er bereits nach einem gewissen Rich rief, erhielt von
diesem jedoch keine Antwort. Parker hatte inzwischen die Treppe erreicht und sah nach unten. In einem breiten Korridor brannte trübes Licht, Paul Minsters Sekretär war aber noch recht gut zu erkennen. Bloom rief erneut nach einem Rich, erhielt wieder keine Antwort, galoppierte aus dem Stand heraus los und verließ leider das Blickfeld des Butlers. »Was liegt an, Parker?« erkundigte sich Mike Rander. Er war neben dem Butler aufgetaucht. »Mr. Bloom dürfte gerade eine überraschende Entdeckung gemacht haben«, erwiderte Parker. »Warum gehen wir nicht...?« Mike Rander verzichtete aus guten Gründen darauf, den Satz zu beenden. Gerald Bloom kam wieder ins Blickfeld und hielt auf die Treppe zu. Er hatte es noch eiliger, blieb auf den ersten Stufen unten stehen und sah sich noch mal um wie gehetztes Wild. Anschließend jagte er über die Treppe hinauf und blieb wie angewurzelt stehen, als er sich den beiden Männern gegenübersah. Er wurzelte nicht lange ... Gerald Bloom mochte ein Privatsekretär sein, er war mit Sicherheit aber auch ein junger Mann, der blitzschnell nach einer Waffe greifen konnte. Seine rechte Hand fuhr zur Schulterhalfter, aber sie schaffte es nicht, die Waffe auch zu ziehen. Mike Randers Handkante war wesentlich schneller und ungemein effektiv. Bloom stöhnte, als durch einen Schlag auf seinen Oberarm auch die Hand paralysiert wurde. Er blieb hilflos stehen und schnappte nach Luft.
»Darf ich anregen, zurück nach unten zu gehen?« schlug Josuah Parker vor. »Nein, nein.« Bloom schüttelte den Kopf. »Nicht nach unten, nein ...« »Gibt es dort etwas, was Ihnen nicht behagt?« fragte Parker weiter. »Richie ... Er ist... Nein, ich geh' nicht mehr 'runter, ich geh' nicht!« »Sie scheinen unter einem Schock zu stehen«, stellte Parker höflich fest und holte die Schußwaffe aus der Schulterhalfter des Sekretärs, der das offensichtlich nicht mitbekam. Dann stieg Josuah Parker gemessen nach unten, nicht ohne seine Kugelschreiber-Taschenlampe eingeschaltet zu haben. Er wollte deutlich sehen, was dort unten auf ihn lauerte. * »Machen Sie's doch nicht so spannend«, stöhnte Chief-Superintendent McWarden. »Was haben Sie unten im Keller entdeckt?« »Erwähnten Richie, Sir«, erwiderte der Butler. »Er wurde nach meinen bescheidenen Erkenntnissen von jenen zoologischen Abnormitäten umgebracht, die Professor Madley nach radioaktiver Bestrahlung züchtete.« »Ich werde gleich hinüber ins Lagerhaus fahren«, meinte McWarden. Er vibrierte vor Energie. Selbst durch die Telefonleitung war das deutlich zu spüren. »Und Sie, Mr. Parker, werden mir einige Fragen beantworten müssen ...« »Mr. Rander und meine bescheidene Wenigkeit stehen zu Ihrer Verfügung, Sir«, antwortete der
Butler. »Ich darf mich jetzt empfehlen und zurück zu Mr. Rander gehen, nicht wahr?« »Moment noch, Mr. Parker. Wann, ich frage, wann haben Sie diesen Toten entdeckt?« »Genau vor vierzehneinhalb Minuten, Sir.« »Na schön, ich muß Ihnen das abnehmen, ich kann Ihnen nicht das Gegenteil beweisen. Bleiben Sie am Tatort!« Parker legte auf und lustwandelte zurück zu dem Lagerhaus, in dem Anwalt Mike Rander zurückgeblieben war. Parker hatte es nicht weit. Die Telefonzelle, von der aus er angerufen hatte, stand an der nächsten Straßenecke. Gerald Bloom, Paul Minsters Sekretär, hatte sich inzwischen ein wenig erholt. Er rauchte eine Zigarette, doch seine Hände zitterten immer noch. Er sah in kurzen Abständen immer wieder zu der Steintreppe hinüber, die in den Keller führte. »Der Chief-Superintendent wird gleich kommen, Sir«, meldete Parker. »Er ist begierig, Fragen zu stehen.« »Sie sitzen ganz schön in der Tinte, Bloom«, meinte Rander und sah Gerald Bloom an. »Noch mal, haben Sie nun im Auftrag von Minster gehandelt oder nicht? An Ihrer Stelle würde ich mir eine Antwort darauf einfallen lassen.« »Mr. Minster hat Sie beauftragt, Professor Madley einige Fragen zu stellen«, schickte der Butler voraus. »Der Hinweis auf radioaktive Strahlen muß Mr. Minster in eine Art Panikstimmung versetzt haben.
Nein, Sie sollten noch nicht antworten, Mr. Bloom. Ich möchte Ihnen erst mal sagen, wie alles gewesen ist.« »Ich... streite alles ab«, sagte Bloom. »Das ist Ihr verbrieftes und gutes Recht«, pflichtete der Butler dem Mann bei. »Professor Madley muß demnach logischerweise Gast im Haus Mr. Minsters gewesen sein, wenigstens für kurze Zeit. Danach wurde er, sagen wir, umquartiert und zog mit seinen Mutationen hier in dieses Lagerhaus, wobei ihm der Tote namens Richie behilflich gewesen sein muß. Wahrscheinlich hatte besagter Richie auch die Aufgabe, Professor Madley zu überwachen.« »Wieso soll dieser Professor, von dem Sie reden, in Minsters Haus gewesen sein?« fuhr Gerald Bloom dazwischen. »Weil Sie ihn nach radioaktivem Strahlungsmaterial fragen sollten, Mr. Bloom. Logischer kann eine Erklärung nicht sein, wie ich betonen möchte. Da Mr. Minster aber das Zurücklassen solch einer Strahlenprobe befürchtete, ergibt sich weiter, daß er nicht gerade freiwillig im Privathaus des Mr. Minster wohnte. Mit anderen Worten, er muß entführt worden sein, um es mal pauschal auszudrücken. Man hat ihn zusammen mit seinen sogenannten Neuschöpfungen hierher nach London gebracht, bevor das Haus Professor Madleys angezündet wurde. Da sich aber die beiden Mitarbeiter der Wachund Schießgesellschaft, nämlich die
Herren Bandiff und Colwyn, draußen in Maidenhead befanden, muß diese Entführung oder sehr nachdrückliche Übersiedlung auf einen Wunsch Mr. Minsters zurückgehen.« »Bandiff und Colwyn sind vor ein paar Wochen entlassen worden, das habe ich doch bereits gesagt.« »Und dennoch wußten Sie, Mr. Bloom, wo Sie Professor Madley finden konnten? Sie standen demnach mit den Herren Bandiff und Colwyn in engem Kontakt. Das läßt den Schluß zu, daß Sie hinter Mr. Minsters Rücken dies alles inszenierten. Hoffentlich ist Mr. Minster nicht zu nachtragend. Wie meiner bescheidenen Wenigkeit bekannt ist, zeichnet er sich auf keinen Fall durch Energielosigkeit oder Weichheit aus.« »Selbst wenn, aber ich kann immer nur sagen, daß Minster von der ganzen Sache keine Ahnung hat! Darauf leiste ich jeden ...« »...Meineid, wie?« schaltete sich Rander sarkastisch ein. »Okay, Sie haben also eine Riesenangst vor Minster und nehmen alles auf sich. Ich finde, das ist Ihr Bier, Bloom.« »Ob Vasallentreue in Gangsterkreisen sich auszahlt, bleibt dahingestellt«, ergänzte Butler Parker gemessen. »Müssen Sie nicht befürchten, daß Mr, Minster Sie als unbequemen und etwaigen Belastungszeugen aus dem Weg schaffen läßt? Vielleicht mit jenen abstrusen Mutationen, die ja mitsamt Professor Madley erneut verschwunden sind!?« Gerald Bloom schloß die Augen und schüttelte sich. Er dachte an das,
was er dort unten im Keller gesehen hatte. * »Ich hoffe, Mr. Parker, Sie haben einen Kreislaufbeschleuniger bei sich«, sagte Chief-Superintendent McWarden, als er aus dem Keller zurückkehrte. »Ich kann jetzt verstehen, warum mein Kollege Sheyne getrunken hat.« Josuah Parker war ein perfekter Butler. Er hatte bereits die Taschenflasche aus seinem Zweireiher hervorgeholt und den Verschluß, der als Becher diente, mit altem Kognak gefüllt. Er konnte also augenblicklich reagieren und reichte McWarden die Erfrischung. McWardens Gesicht belebte sich ein wenig, als er getrunken hatte. Er hielt dem Butler den kleinen Becher noch mal kommentarlos hin, und Josuah Parker versorgte den Mann vom Yard erneut mit einem Kreislaufstabilisator, wie Lady Simpson diesen köstlichen Trank gern nannte. »Wie, glauben Sie, ist dieser Mann dort unten im Keller umgekommen?« fragte er dann den Butler. »Ohne mich festlegen zu wollen, Sir, würde ich auf Theodora und David tippen«, erwiderte der Butler. »Wer ist denn das?« »Eine Riesenratte, Sir, was Theodora betrifft. David ist ein wenig kleiner, daher wohl auch der Name, den Professor diesem ... Geschöpf gab.«
»Bluthunde hätten nicht bissiger sein können.« McWarden schüttelte sich. »Jetzt sind Sie wohl endlich davon überzeugt, wie gefährlich Professor Madley ist«, warf Mike Rander ein. »Solange er mit seinen Bestien frei herumläuft, kann jeden Augenblick in der Stadt wieder ein Todesfall vorkommen.« »Glauben Sie, daß er weggeschafft worden ist?« »Inzwischen dürfte Professor Madley wieder Herr seiner Entschlüsse sein«, entgegnete Josuah Parker. »Er wurde eindeutig dort im Keller festgehalten, wohl zusammen mit einigen seiner sogenannten Neuschöpfungen, wie ich sie höflich bezeichnen möchte.« »Und dann hetzte er die beiden Giga-Ratten auf seinen Bewacher«, führte Mike Rander weiter aus. »Bleibt die Frage, ob Minster wirklich keine Ahnung hatte.« »Gerald Bloom bleibt bei dieser Behauptung«, sagte der ChiefSuperintendent. »Ich fürchte, vorerst ist diese Behauptung auch nicht zu knacken. Bloom will nicht das Risiko eingehen, irgendwie erledigt zu werden.« »Schöne Bescherung«, ärgerte sich der Anwalt. »Wie kommen wir an ein Geständnis? Wie bringen wir Minster dazu, seine Karten auf den Tisch zu legen? Woher wußte er von Professor Madleys Versuchen? Wozu will er die kleinen Bestien verwenden?« »Er träumt wahrscheinlich vom großen Geld«, sagte McWarden. »Stellen Sie sich doch mal vor, Rander, er schickt nur eine dieser
Riesenameisen an einen Mann mit Geld und kündigt weitere Sendungen dieser Art an, falls nicht eine bestimmte Summe gezahlt wird!? Wetten, daß man ihm jede gewünschte Summe förmlich nachwerfen wird?« »Ich würde das Geld sogar in Geschenkpapier einschlagen«, gestand Mike Rander. »Und wahrscheinlich würde ich noch ein rosa Band verwenden und ein paar Blumen dazugeben.« »Steckt Professor Madley vielleicht mit diesem Minster unter einer Decke?« mutmaßte McWarden halblaut. »Daß er dort im Keller festgehalten wurde, hat nichts zu besagen. Aus einer geplanten Partnerschaft zwischen Madley und Minster kann ja eine einseitige Sache geworden sein. Minster ist nicht gerade dafür bekannt, daß er von seinem Kuchen freiwillig was abgibt.« »Ich möchte mir die Freiheit nehmen, Sir, Ihre Worte zu bestätigen, was den erwähnten sprichwörtlichen Kuchen betrifft.« »Wie bringen wir Minster dazu, mit uns zusammenzuarbeiten?« fragte McWarden. »Wir müssen ihm klarmachen, daß er sich in Lebensgefahr befindet. Professor Madley dürfte inzwischen ziemlich sauer auf ihn sein. Haben Sie nicht zufällig eine passende Idee, Mr. Parker?« »Wenn Sie gestatten, Sir, werde ich mich mit diesem Problem beschäftigen«, erwiderte Josuah Parker höflich. »Aber noch dringender dürfte sein, Professor Madley zu finden.«
»Sie glauben, er könnte durchdrehen, Mr. Parker?« fragte McWarden bestürzt. »Ein Mann wie Professor Madley könnte dazu übergehen, Sir, die Verantwortlichen für die Planung von Atomkraftwerken nachdrücklich auf die Folgen der Kernenergie hinzuweisen.« »Indem er diese Monster an sie verschickt?« McWarden hatte das dringende Verlangen nach einem weiteren Kreislaufbeschleuniger. »In der Tat, Sir«, gab Parker gemessen zurück. »Professor Madley dürfte ein Eiferer sein, der nur allein seinen Standpunkt gelten läßt.« »Ich hätte dieses verdammte Sonderdezernat nie übernehmen sollen«, seufzte McWarden. »Warum sitze ich nicht friedlich irgendwo in der Provinz und züchte nebenbei Rosen?« »Sie können sich doch nicht beschweren, McWarden«, stichelte der Anwalt. »Weit und breit keine Lady Simpson zu sehen. So etwas haben Sie sich doch immer gewünscht...« »Ich will Ihnen ein Geständnis machen, Rander.« McWarden lächelte etwas verschämt. »Lady Agatha wüßte bereits, was mit Minster los ist, darauf gehe ich jede Wette ein.« »Das klingt ja fast nach einer Liebeserklärung.« »Ich denke an ihre, na ja, sagen wir, formlose Art«, redete der ChiefSuperintendent weiter. »Ich denke an die Ohrfeigen, die sie sehr großzügig verteilt und auch an ihren Pompadour.« »Ich könnte Lady Simpson sofort verständigen und ihr sagen, daß sie hier dringend gebraucht wird.«
»Nur nicht gleich übertreiben«, wehrte McWarden hastig ab. »Nein, nein, ich flehe Sie an, Rander, sagen Sie ihr kein Wort! Mir reicht es vollkommen, daß ich es mit diesen Mutationen zu tun habe. Eine Naturgewalt wie Lady Agatha würde mich restlos zur Strecke bringen...« * »Gütiger Himmel, Mike, wo stecken Sie denn die ganze Zeit?« fragte Agatha Simpson gereizt. »Ich rufe seit Stunden ununterbrochen an.« »Hallo, Mylady«, erwiderte der Anwalt überrascht und bemühte sich um Heiterkeit. »Mr. Parker und ich waren unterwegs.« »Ein neuer Fall, mein Junge?« fragte sie sehr mütterlich, was überhaupt nicht zu ihr paßte. »Aber nein, Lady Agatha«, gab Rander zurück. »Wir haben im Rahmen der Fondverwaltung einige Projekte überprüft.« »Wirklich kein neuer Fall?« Sie war eine mißtrauische Dame. »Dann hätte ich Sie umgehend verständigt, Mylady. Wie geht es Ihnen?« »Schlecht, ich langweile mich. Diese Hochzeit ist scheußlich, ich würde mich am liebsten in die nächste Maschine setzen und zurück nach London fliegen.« »Um sich hier zu langweilen, Mylady?« fragte Rander. »In London langweile ich mich nie«, lautete ihre strenge Antwort. »Die Unterwelt verhält sich also ruhig?«
»Sie scheint es zu genießen, daß Sie in Monaco sind, Mylady«, scherzte Mike Rander. »Das wäre schnell zu ändern, Mike. Ich hoffe immer noch, daß irgendwelche Subjekte versuchen werden, an den Schmuck der Hochzeitsgäste zu kommen. Das wäre endlich eine hübsche Abwechslung.« »Man soll die Hoffnung nie aufgeben, Mylady. Wie geht es Miß Porter?« »Sie langweilt sich ebenfalls«, entgegnete Agatha Simpson. »Und dann diese penetrante Sonne an der Mittelmeerküste. Man könnte direkt trübsinnig werden.« »Das Wetter hier ist ebenfalls überraschend gut«, schützte Mike Rander vor. »Auch hier scheint die Sonne, wenigstens stundenweise. Sehr ungewöhnlich.« »Nun, dann werden Kathy und ich wohl noch bleiben«, antwortete die resolute Dame am anderen Ende der Strippe. »Vielleicht komme ich hier noch auf meine Kosten.« »Ich wünsche Ihnen dazu viel Glück, Mylady.« »Soll ich Kathy Porter von Ihnen grüßen, mein Junge?« fragte Agatha Simpson sehr direkt. Sie träumte davon, daß ihre Sekretärin und Gesellschafterin eines Tages eine engere Verbindung mit Mike Rander eingehen würde. »Doch, durchaus, Mylady«, gab Mike Rander gespielt gleichgültig zurück. Diese recht enge Verbindung bestand bereits, aber davon wußte die ältere Dame noch nichts. Kathy Porter und Mike Rander hatten ihr sehr gutes Verhältnis zueinander
geschickt getarnt, um von Agatha Simpson nicht vor den Traualtar getrieben zu werden. »Im Vertrauen, Mike, sie wird hier sehr umschwärmt«, antwortete Lady Agatha. »Sie sieht ja auch wirklich wundervoll aus.« »Natürlich, Mylady.« Mehr sagte Rander nicht. Er wirkte noch desinteressierter. »Da sind vor allen Dingen zwei Männer, die sich um sie bemühen«, zählte die Detektivin warnend auf. »Ein Franzose, sehr charmant, dann noch ein italienischer Graf, sehr reich, sehr gut aussehend.« »Wie schön für Miß Porter«, meinte Rander und feixte unverhohlen, da Parkers Herrin ihn nicht sehen konnte. »Nicht, daß sie Ihnen, äh, ich meine, mir noch vor der Nase weggeschnappt wird«, sorgte sich Lady Agatha. »Sie werden schon aufpassen, Mylady.« »Soll ich auf das gute Kind etwa aufpassen, Mike?« schnappte sie sofort zu. »Sie kennen Miß Porter länger als ich, Mylady, wahrscheinlich werden Sie nie wieder solch eine vertrauenswürdige und tüchtige Gesellschafterin bekommen.« »Ach so.« Agatha Simpsons Stimme klang enttäuscht. »Nun, das war's dann, Mr. Rander.« Sie wurde noch sehr förmlich, bevor sie schloß. Rander lächelte, als er den Hörer in die Gabel legte und wandte sich Josuah Parker zu, der gerade das Büro betreten hatte. »Gute Nachrichten, Sir?« erkundigte sich der Butler.
»Mylady langweilt sich in Monaco und spielt mit dem Gedanken, nach London zurückzukehren. Ich habe ihr das gerade noch ausreden können.« »Dennoch, Sir, sollte man mit Überraschungen rechnen«, gab Parker zurück. »Darf ich Ihre Aufmerksamkeit übrigens auf diese kleine Plastikschachtel lenken, Sir?« Parker stellte die Schachtel auf den Schreibtisch und hob den Deckel ab. Mike Rander beugte sich über den flachen Behälter und ... zuckte automatisch zurück. »Ameisen?« fragte er dann verblüfft. »Gewöhnliche Waldund Feldameisen, Sir«, antwortete Josuah Parker. »Sie stammen aus dem nahen Hyde Park. Ich war so frei, einige Exemplare einzusammeln.« »Und wozu, Mr. Parker?« »Falls Sie einverstanden sind, Sir, sollte man sie zu gleichen Teilen an Mr. Minster und Gerald Bloom senden. Ich möchte davon ausgehen, daß die beiden Herren solch eine kleine Geschenksendung zu würdigen wissen!« * Josuah Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und näherte sich dem Stadtteil Waltham Forest, wo Paul Minster privat wohnte. In der Nähe von Lloyd Park stand das alte Haus in einem großen, von einer Mauer umgebenen Garten. Paul Minster schien das Grundstück in eine kleine Festung verwandelt zu haben, denn auf der Mauerkrone war Stacheldraht befestigt worden.
Zudem hatte Parker den Eindruck, daß es da auch noch elektronische Überwachungsanlagen geben mußte. Was in seinen Augen natürlich kein Wunder war, denn ein Mann wie Minster hatte auch innerhalb der Unterwelt Neider und Feinde. Es war gerade dunkel geworden. Durch einen Anruf in der Wachund Schließgesellschaft hatte Josuah Parker erfahren, daß Paul Minster die Firma bereits verlassen hatte. Es konnte also nicht mehr lange dauern, bis er hier eintraf. Parker steuerte das ehemalige Londoner Taxi in eine stille Seitenstraße und verließ den Wagen. Er war allein hierher nach Waltham Forest gefahren, um zusammen mit Anwalt Rander eine Arbeitsteilung vorzunehmen. Der Anwalt kümmerte sich jetzt wohl bereits intensiv um Gerald Bloom, der in der Gegend von Soho seine Privatwohnung hatte. Mike Rander wollte dort zur Stelle sein, wenn der Sekretär des Mr. Minster seine kleine Geschenksendung auspackte. Josuah Parker hatte auf jede Maske verzichtet. Er trug seinen schwarzen Zweireiher und darüber einen schwarzen Covercoat. Auf seinem Kopf saß die schwarze Melone, am angewinkelten linken Unterarm hing sein Universal-Regenschirm. Parker überquerte die Straße und baute sich am Gartentor auf, das aus soliden Eisenstäben bestand. Nach etwa fünfzehn Minuten näherte sich ein Rover in schneller Fahrt und bog von der Straße ab. Neben dem Fahrer saß ein zweiter Mann, der einen jungen und drahtigen Eindruck machte, im
Fond hingegen Paul Minster, der den Butler natürlich sofort entdeckte. Parker lüftete höflich seine schwarze Melone. Die beiden Männer vorn im Rover fielen förmlich von ihren Sitzen nach draußen und näherten sich dem Butler. Sie machten einen sehr wachsamen und fast schon schießfreudigen Eindruck. Ihre rechten Hände lagen mit Sicherheit bereits auf den Griffkolben ihrer Schußwaffen. »Ruhe«, rief Minster, als er ausstieg. Er meinte natürlich seine beiden Leibwächter. Dann kam er mit schnellen Schritten auf den Butler zu. »Mr. Parker? Was tun Sie hier?« »Mich trieb das, was man gemeinhin die Neugier zu nennen pflegt«, erwiderte Josuah Parker und deutete auf Minsters Haus, das hinter Sträuchern und Büschen nur andeutungsweise zu erkennen war. »Ich frage mich, ob Professor Madley es nun geschafft hat, Ihnen einige ungebetene Gäste ins Haus zu praktizieren oder nicht.« »Ungebetene Gäste?« Paul Minster wußte sofort, worauf der Butler anspielte. Er schluckte dementsprechend und wurde nervös. »Sie kennen ja Professor Madleys Vorliebe für neue zoologische Schöpfungen«, redete Parker weiter. »Und Sie wissen inzwischen wohl auch, daß er Ihnen kaum noch freundschaftlich verbunden sein kann. Sie haben immerhin versucht, seine Bewegungsfreiheit einzuschränken.« »Wovon reden Sie eigentlich? Ich weiß von nichts!«
»Sie müßten aber doch längst wissen, daß einer Ihrer Angestellten namens Richie das Opfer dieser Kreaturen geworden ist«, ergänzte der Butler. »Ha . .. Haben Sie mir diese Ameisen ins Büro geschickt?« Minsters Stimme wurde heiser. »Riesenameisen?« fragte Parker zurück, ohne auf die gestellte Frage einzugehen. »Ist ja auch egal.« Paul Minster dachte einen Moment nach. »Sind Sie allein hier?« »Würden Sie mir glauben, falls ich diese Frage bejahe?« »Nein«, entgegnete Minster. »Aber ich lade Sie ein, mit mir ins Haus zu kommen. Sie müssen nicht, kein Mensch zwingt Sie dazu.« »Solch einer Einladung vermag meine bescheidene Wenigkeit nicht zu widerstehen«, erklärte Josuah Parker. »Wie gesagt, ich bin gespannt, wie unwirsch Professor Madley inzwischen geworden ist. Ein Mann seiner Intelligenz dürfte auch diverse elektronische Sperren und Sicherungen überwinden.« Paul Minster sah unwillkürlich zur Mauerkrone und bestätigte damit sehr direkt, daß Josuah Parkers Vermutung richtig gewesen war. Haus und Grundstück Paul Minsters waren in eine kleine Festung verwandelt worden. * Gerald Bloom verdiente nicht schlecht bei Paul Minster und hatte sich daher ein aufwendig eingerichtetes Apartment leisten können. Es lag über einem
Garagentrakt, der um die Jahrhundertwende mal eine Remise für Pferdefuhrwerke gewesen war. Nun war das alles längst umgestaltet worden. Zu jedem Apartment gehörte die entsprechende Garage. Die schmale Straße war eine Sackgasse und kannte daher keinen lauten Durchgangsverkehr. Obwohl er hier in Soho wohnte, war vom üblichen Lärm der Millionenstadt kaum etwas zu hören. Bloom stellte seinen Wagen in der Garage ab, hatte aber noch keine Lust, hinauf in seine Wohnung zu gehen. Seit Stunden wälzte er gewisse Gedanken, die sich um Paul Minster und Professor Madley drehten. Er dachte vor allen Dingen an die Warnungen eines gewissen Butler Parker, der Paul Minster eigentlich alles zutraute. Bloom ging zur Straßenecke und betrat einen recht exklusiven Pub, in dem eigentlich nur die Anwohner dieser Straße verkehrten, die alle nicht gerade minderbemittelt waren. Er bestellte sich einen Whisky ohne Eis und Wasser, setzte sich in eine Nische und dachte über seine nähere Zukunft nach. Würde Paul Minster ihn abservieren? War er tatsächlich zu einer Gefahr für seinen Chef geworden? Kam Minster auf die Idee, daß Bloom eines Tages doch reden würde, was den Professor betraf? Und wie würde Professor Madley reagieren? Besonders rücksichtsvoll hatte er diesen Mann nun gerade nicht behandelt, ja er hatte ihm sogar einige unnötige Fausthiebe verpaßt.
Gerald Bloom dachte an das Päckchen, das Paul Minster geschickt worden war. Ameisen! Es waren zwar völlig normale Insekten gewesen, doch die Anspielung auf größere war natürlich nicht zu übersehen gewesen. Professor Madley schien sich für das revanchieren zu wollen, was man ihm angetan hatte. Bloom dachte an die Panik, von der sein Chef erfaßt worden war. Er lächelte unwillkürlich. Paul Minster war wie ein Verrückter durch sein Privatbüro gesprungen und hatte seine Leibwächter solange angeschrien, bis auch die letzte kleine Ameise vernichtet worden war. Bloom holte sich einen zweiten Whisky an der Theke. Sollte er sich mit diesem ChiefSuperintendent McWarden in Verbindung setzen? Oder gar vielleicht mit dem skurrilen Butler und dem versnobten Anwalt? War es nicht sicherer, möglichst schnell einen Schlußstrich zu ziehen und mit Minster zu brechen? Nun, Bloom dachte an das Geld, das er bei diesem Mann verdiente. Solch eine Stellung würde er so schnell nicht finden. Er trank seinen Whisky aus und verließ den Pub. Er ging zurück in die Sackgasse und ... blieb wie angewurzelt stehen. Auf der Türschwelle lag ein flaches Päckchen. Es glich dem aufs Haar, das Paul Minster erhalten hatte. Ameisen? Eine Warnung des Professors? Gerald Bloom sah sich verstohlen nach allen Seiten um. Befand sich
der Professor irgendwo in der Nähe? Das Päckchen konnte erst vor wenigen Minuten abgelegt worden sein, eben war es noch nicht zu sehen gewesen. Er schüttelte es vorsichtig und horchte daran, doch zu hören war nichts. Natürlich mußten sich in diesem Päckchen Ameisen befinden! Man wollte also auch ihn nervös machen. Professor Madley wußte genau, auf welche Art und Weise man Nervosität hervorrufen konnte. Bloom sperrte die Tür auf und freute sich nachträglich darüber, daß er zur Absicherung dieser Eingangstür, die neben der Garage lag, gutes Geld angelegt hatte. Zwei komplizierte Türschlösser mit zwei verschiedenen Yale-Schlüsseln machten es einem durchschnittlichen Einbrecher unmöglich, ins Apartment zu kommen. Und im Treppenhaus, das ins Apartment führte, gab es noch eine zusätzliche Sicherung. Sie war für raffinierte Einbrecher gedacht, die mit den Türschlössern fertig geworden sein sollten ... Bloom warf die Tür hinter sich ins Schloß und sah die Treppe hinauf. Auch dort war alles in Ordnung. Auf dem Teppichbelag einer der Stufen lag noch völlig unversehrt der kleine Aschenkegel einer Zigarette. Bevor er sein Apartment verließ, klopfte er immer solch einen Aschekegel auf eine Stufe. Wer hinauf wollte, mußte ihn mit letzter Sicherheit breit treten, ohne etwas davon zu bemerken. Gerald Bloom war völlig beruhigt. Noch brauchte er keine bösen Überraschungen zu befürchten. Er konnte sich in aller Ruhe überlegen,
wie er sich verhalten sollte, öffnete die obere Tür zu seinem Apartment und warf sie hinter sich ins Schloß. Er trug das flache Päckchen in die kleine Küche, legte es in das Abwaschbecken, überlegte sich dann aber die Sache und beförderte es hinüber ins Bad. Er warf das Päckchen in die Badewanne, schnürte es auf und nahm vorsichtig den Deckel ab. Er lächelte fast verächtlich, als ein paar Dutzend völlig normaler Ameisen hervorkrabbelten und dann ziellos durch die Badewanne liefen. Mit solch albernen Mätzchen konnte man doch einen Gerald Bloom nicht in Angst und Schrecken jagen! Er überhörte feine, scharrende Geräusche, die aus dem großen Wohnraum kamen und eine Art schrilles Trillern. Er hatte nämlich inzwischen das Wasser angedreht und spülte die Insekten durch den Abfluß ins Kanalsystem. Dann aber richtete er sich jäh auf. Das Zirpen und Trillern war nun so laut geworden, daß er es trotz des Wasserrauschens deutlich hören konnte. Bloom wandte sich um und ... starrte auf die halb geöffnete Tür seines Badezimmers. Er hätte hebend gern geschrien, doch seine Stimmbänder waren nicht in der Lage, auch nur einen halbwegs erkennbaren Ton zu produzieren. * »Worauf wartet ihr noch?« fragte Paul Minster gereizt und sah seine beiden Leibwächter wütend an. »Nun sperrt schon auf, oder habt ihr etwa Angst?«
Die beiden jungen, drahtigen Männer tauschten einen schnellen Blick, der das ausdrückte, was sie über ihren Chef dachten: Paul Minster war entnervt, ihm saß die Angst im Genick! Einer der beiden Männer öffnete die Tür, nachdem er das komplizierte Schloß geöffnet hatte. Paul Minster trat unwillkürlich einen halben Schritt zurück. Er schien mit Sicherheit nicht nur normal große Ameisen zu kennen. Zumindest hatte man ihm von wesentlich größeren Exemplaren dieser Art berichtet. Die beiden jungen Männer hatten sich ganz auf das Haus konzentriert und zogen ihre Schußwaffen. In diesem Moment kam Paul Minster eine Idee. »Wie wär's denn, Mr. Parker, wenn Sie vorgehen würden?« fragte er den Butler und grinste in einer Mischung aus Nervosität und Schadenfreude. »Wollten Sie nicht herausbekommen, ob mir ein verrückter Professor was ins Haus geschmuggelt hat?« Die beiden Leibwächter waren mit diesem Vorschlag mehr als einverstanden, wie man ihnen deutlich ansah. Sie hatten keine Lust vorzugehen und sich eventuell überraschen zu lassen. Sie nickten zustimmend und richteten die Läufe ihrer Waffen auf Parker. »Ihrem Wunsch, Mr. Minster, komme ich gern nach«, antwortete Josuah Parker. Sein Gesicht blieb ausdruckslos. »Im Gegensatz zu Ihnen kenne ich ja bereits einige Exemplare der neu gezüchteten Riesengattung. Wenn Sie also erlauben?«
Er betrat die Vorhalle des Hauses und schaltete das Licht ein. Einen Moment spielte der Butler mit dem Gedanken, die Tür blitzschnell hinter sich ins Schloß zu werfen. Er hätte dann die drei Gangster ausgesperrt, doch er hoffte auf einen Überraschungseffekt. Paul Minster sollte durchaus seinen Schock bekommen. Parker warf einen schnellen, prüfenden Blick auf den Teppichboden der Vorhalle, auf das Mobiliar und die Treppe, die hinauf ins Dachgeschoß führte. Verdächtige Bewegungen konnte er nicht feststehen. Sollte er sich getäuscht haben? Hatte Professor Madley darauf verzichtet, den Gangsterboß Minster in Angst und Schrecken zu versetzen? »Ich hab's ja gleich gewußt«, sagte Minster, der hinter dem Butler stand. »Ahes in bester Ordnung. In dieses Haus kommt keiner rein, den ich nicht sehen will!« »Man sollte tunlichst nie vorschnell urteilen«, antwortete Josuah Parker gemessen. »Sind Sie sicher, Mr. Minster, daß das Haus während Ihrer Abwesenheit nicht besucht worden ist?« »Das hätten meine Leute an den Türsicherungen gemerkt«, gab Paul Minster sehr sicher zurück, ohne sich näher über die Art dieser Sicherung auszulassen. »Nein, nein, Parker, Sie haben ...« In diesem Moment war weit hinten in der Halle ein flüchtiger Schatten zu sehen. Parker hatte ihn wahrgenommen, jedoch nicht die drei Gangster, die sich bereits sichtlich entspannt hatten. Sie hatten
sich bereits Entwarnung gegeben und fühlten sich wieder als Herren der Situation. »Wie war das eigentlich mit diesem Professor?« fragte Minster jetzt noch einmal. »Woher soll ich ihn kennen? Was ist los mit dem Mann? Wieso sollte ich ihn irgendwo festgehalten haben?« »Bestehen Sie tatsächlich darauf, Mr. Minster, alle Einzelheiten noch mal aufzurollen?« fragte Parker und nahm erneut einen flüchtigen Schatten im Hintergrund wahr. »Ihre beiden Mitarbeiter Bandiff und Colwyn besuchten Professor Madley und dessen ehemaligen Laborgehilfen Trevanty. Sie haben das sicher nicht aus einer gewissen Langeweile getan. Die beiden erwähnten Mitarbeiter bekamen Kontakt mit riesigen. Insekten und wurden von diesen Mutationen angefallen, um es neutral auszudrücken. Hinzu kommt noch Ihr Mitarbeiter Richie, der das segnete, was man gemeinhin das Zeitliche nennt. Auch er wurde von Rieseninsekten angefallen, wie Sie ja längst wissen. Die Frage ist nun, hat Professor Madley sich freiwillig an Ihre Wach- und Schließgesellschaft gewandt - oder wurde er von Ihren Leuten im Fremdauftrag besucht?« »Unsinn! Was faseln Sie da von Rieseninsekten, Mr. Parker? So was gibt's doch gar nicht, so was sieht man nur in Horrorfilmen. Was soll das ganze Theater?« »Diese Insekten gibt es allerdings, Mr. Minster«, erwiderte Parker und deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf den Kamin in der Vorhalle. »Sie werden
innerhalb weniger Sekunden den Vorzug haben, sie mit eigenen Augen sehen zu können.« Parker hatte seinen Satz noch nicht ganz beendet, als die beiden Leibwächter sich veranlaßt sahen, mit einer Art Dauerfeuer zu beginnen. * Sie waren sicher gute Schützen, doch ihre Zielobjekte waren keine Menschen, sondern schnelle und angriffslüsterne Insekten. Die beiden Leibwächter perforierten also den teuren Teppichboden und auch die Läufer, die darauf lagen. Aber sie trafen nur einige der etwa zwei Dutzend Riesenameisen, die Kurs auf die Schützen, Minster und Butler Parker genommen hatten. Paul Minster hatte sich von seiner ersten Überraschung erholt und wollte möglichst schnell die Vorhalle verlassen. Er hatte die Absicht, ins Freie zu flüchten, doch Parker war aus verständlichen Gründen dagegen. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines UniversalRegenschirms fuhr er um den Hals des Gangsterchefs und hielt den Mann dann fest. »Wir wollen die Ameisen doch nicht ins Freie gelangen lassen«, meinte er dazu. »Vielleicht nehmen Sie inzwischen auf einem Tisch Platz, Mr. Minster.« Minster reagierte umgehend. Er japste, schnappte nach Luft und war froh, als der Bambusgriff ihn frei ließ. Dann hüpfte er äußerst
leichtfüßig auf einen kleinen Wandtisch und nahm die Beine hoch. Die beiden Leibwächter hatten den Angriff der maikäfergroßen Ameisen nicht zu stoppen vermocht. Sie schossen inzwischen nicht mehr, denn sie waren damit beschäftigt, die Rieseninsekten von ihren Hosenbeinen abzupflücken. Die Raubameisen zerschnitten mit ihren Kieferzangen den Stoff der Hosen und suchten Zugang zu den fleischigen Waden. Teilweise war ihnen das schon gelungen, denn die beiden jungen Männer schrien bereits und hüpften herum. Josuah Parker benutzte seinen Regenschirm als Golfschläger. Im »Putten« von Riesenameisen verfügte er bereits über einschlägige Erfahrungen. Immer dann, wenn ein vorwitziges Insekt zu aufdringlich wurde, schlug Parker es mit wohlgezieltem Schlag zurück in die Tiefe der Wohnhalle. Und da er nicht gerade zimperlich war, blieben die getroffenen Riesenameisen benommen oder gar völlig betäubt auf dem Teppich hegen. Josuah Parker war wieder mal souverän. Er hatte eine Riesenvase auf dem Kaminsims entdeckt, sie heruntergeholt und flach auf den Teppich gelegt. Während die beiden Leibwächter sich im Nahkampf mit den aufdringlichen und beißwütigen Insekten befanden, beförderte Parker seine Gegner mit wohlgezielten Schlägen in die Tiefe der Vase. Anschließend besorgte er das dann noch mit den betäubten oder benommenen Angreifern.
Dies geschah mit einer Würde, die die Schnelligkeit seiner Bewegungen glatt vergessen ließ. Paul Minster auf seinem Tisch starrte den Butler in einer Mischung aus Bewunderung und Respekt an. Ihm war wohl aufgegangen, wer dieser Mann war! Er überlegte wahrscheinlich, ob es einen Sinn hatte, sich mit dem Butler weiterhin anzulegen ... Nach etwa fünf Minuten war die Schlacht geschlagen. Die Riesenameisen befanden sich, sofern sie noch lebten, in der Vase, die Parker provisorisch und auch sicherheitshalber mit einem schweren, großen Porzellanaschenbecher abdeckte. Da die Vase bauchig war, stand nicht zu erwarten, daß die Insekten am glatten Porzellan hochstiegen. »Ich möchte vorschlagen, Mr. Minster, daß Sie wieder auf den sprichwörtlichen Boden der Tatsachen hinuntersteigen«, sagte Parker und warf einen kurzen Blick auf die beiden Leibwächter, die ihre Bißwunden unter den zerfetzten Hosen begutachteten und dabei stöhnten. »Sind Sie immer noch sicher, daß Sie Professor Madley nach Belieben verwenden können?« »Sind alle weg!?« Minster war im Augenblick nur an Ameisen interessiert. »Vielleicht treiben sich noch einige Nachzügler herum, Mr. Minster«, antwortete Parker gemessen, »aber sie dürften kein Problem mehr darstellen. Ihr Problem, um bei diesem Begriff zu bleiben, sieht wesentlich anders aus.« »Wie... Wieso denn, Mr. Parker?« Minster blieb auf dem Tisch und
suchte den Teppich nach Nachzüglern ab. »Es erhebt sich die Frage, Mr. Minster, welche Abnormitäten Professor Madley Ihnen zusätzlich noch zusenden wird? Seine Auswahl ist nicht gerade klein, wie Sie ja wissen.« »Ich. . . Ich weiß überhaupt nichts!« Diese Behauptung klang wesentlich kleinlauter als sonst. »Für wen schickten Sie Ihre beiden Mitarbeiter Bandiff und Colwyn zu Professor Madley und dessen Labordiener Trevanty, Mr. Minster?« »Was wollen Sie mir da in die Schuhe schieben?« Minster wurde wütend, blieb aber auf dem Tisch. »Bandiff und Colwyn haben auf eigene Faust gehandelt.« »Wie Ihr Sekretär Gerald Bloom, Mr. Minster? Dann hat er also hinter Ihrem Rücken den Professor und dessen Neuzüchtungen in dem Ihnen bekannten Lagerschuppen untergebracht? Dann hat Mr. Bloom also einen Mann namens Richie zur Überwachung des Professors abgestellt?« »Ich weiß von nichts, von gar nichts!« Minster flüsterte nur noch und beobachtete eine Riesenameise, die unter einem Sessel hervorkam und noch benommen war. Sie torkelte wie betrunken auf ihren Beinen herum, doch ihre Fühler nahmen bereits Kontakt mit der Umwelt auf. Parker, der das Rieseninsekt bereits wahrgenommen hatte, zeigte sich unbeeindruckt.
Die beiden Leibwächter reagierten erheblich anders. Auch sie hatten die maikäfergroße Ameise entdeckt und sahen eine Chance, diesmal als Sieger aus dem Kampf hervorzugehen. Sie sprangen hoch, vergaßen für einen Moment die schmerzenden Bißwunden und hatten die Absicht, die Riesenameise mit ihren Schuhabsätzen zu zertreten. Das erwies sich als recht mühsam ... Das Insekt war ungemein schnell, witterte die Gefahr und wich geschickt und schnell immer wieder aus, um dann unter dem Wandsofa zu verschwinden. Die beiden Leibwächter bewaffneten sich mit Schürhaken vom Kamin und stocherten damit unter dem Sofa herum. »Sie sollten daran denken, daß Ameisen eine spezifische Säure zu verspritzen pflegen«, warnte der Butler, doch es war bereits zu spät. Das nervöse Insekt hatte schon reagiert, und die beiden Leibwächter brüllten betroffen auf. Sie rieben sich das Gesicht, in dem es wie Salzsäure brannte. Dann sprangen sie auf und rannten wie Sprinter hinüber ins Badezimmer. »Ich werde und kann Sie nicht zwingen, sich meiner bescheidenen Wenigkeit anzuvertrauen«, sagte Josuah Parker inzwischen zu Paul Minster. »Ich hoffe, Sie werden nicht von diversen Giga-Ratten oder von Riesen-Hundertfüßlern belästigt werden, Mr. Minster. Auch gewisse Kellerasseln sind äußerst unangenehm, wie ich Ihnen versichern darf. Ich darf mir
erlauben, Ihnen ein noch relativ langes Leben zu wünschen!« Parker lüftete seine schwarze Melone und schritt hinüber zur Tür. Dabei passierte ihm ein kleines Mißgeschick. Die Vase wurde von seinem Universal-Regenschirm aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie fiel um, verlor den schweren Aschenbecher, der die Öffnung verschlossen hielt, und gestattete es den Riesenameisen, ihr Porzellangefängnis zu verlassen. »Neiiin!« Minsters Stimme überschlug sich. »Bleiben Sie, Parker, bleiben Sie!« Josuah Parker schien plötzlich schwerhörig geworden zu sein. Er ging weiter, als habe er nichts gehört oder bemerkt, was die Vase betraf. * Es waren höchstens drei oder vier Ameisen, die in das Badezimmer einmarschierten. Aber sie waren immerhin groß wie fette Maikäfer, und das Zirpen sägte an Blooms Nerven. Er hatte sich inzwischen aus seiner Erstarrung gelöst und stieg geistesgegenwärtig in die Badewanne, drehte das Wasser ab und übersah dabei, daß einige Normalameisen noch durchaus Mitbenutzer der Wanne waren. Sie hatten sich dem Wasserstrahl entzogen und waren nun erpicht darauf, es diesem Zweibeiner mal gründlich zu zeigen. Ohne daß Bloom es merkte, konzentrierten sie sich auf seinen rechten Schuh, krabbelten über das Leder und stiegen dann an der Innenseite des Hosenbeins in Richtung Knie.
Bloom hatte nur Augen für die Riesenameisen, die ratlos schienen und offensichtlich überlegten, wie sie an ihr Opfer herankommen konnten. Dann wichen die Rieseninsekten respektvoll zur Seite, als eine Art Blindschleiche das Badezimmer betrat. Es war ein Tausendfüßler, ein Scolopender. Er sah einfach scheußlich und furchteinflößend aus, hatte längst Witterung aufgenommen und freute sich auf eine frische Mahlzeit. Wie eine stoßbereite Kobraschlange richtete er sich auf, und Bloom wich zurück. Das Untier schaffte es fast, bis an den Rand der Wanne zu kommen. Es fehlten höchstens zehn Zentimeter. Bloom spürte ein Kribbeln an seiner rechten Wade, dann ein feines Zwicken und Brennen. Natürlich dachte er sofort an die Riesenameisen, schaute an sich hinunter, konnte aber nichts entdecken, kratzte sich, hüpfte in der schlüpfrigen Wanne herum und glitt aus. Er wollte sich im letzten Moment noch festhalten, schaffte es jedoch nicht mehr, krachte mit seinem Hinterkopf gegen den hinteren Wannenrand und verlor das Bewußtsein. Irgendwann spürte er dann den angenehmen Geschmack von Whisky auf seinen Lippen. Er schluckte und genoß die Wärme, die durch die Speiseröhre floß und dann die kleine Explosion in seinem Magen. Bloom öffnete die Augen und sah sich einem Mann gegenüber, der ihm nicht unbekannt war. »Mr. Rander?« fragte er heiser und stöhnte erst mal ausgiebig. Dann
aber dachte er an die Riesenameisen und an die Blindschleiche, die nichts anderes war als ein riesiger Hundertfüßler. Er setzte sich ruckartig hoch und sah sich mißtrauisch um. »Keine Sorge, ich habe die kleinen Teufel eingefangen«, sagte Anwalt Rander beruhigend. Er deutete auf einen normalen Kochtopf, über den er einen passenden Deckel geschoben hatte. »Mann, Bloom, Sie können von Glück sagen, daß ich gerade noch rechtzeitig gekommen bin! Der Scolopender wollte gerade zu Ihnen in die Wanne steigen...« »Der Deckel, der Deckel!« Bloom deutete auf den Kochtopf. Der Deckel bewegte sich tatsächlich nicht unerheblich. Der Scolopender strengte sich deutlich erkennbar an, den Deckel zu liften und dann beiseite zu schieben. »Professor Madley scheint ziemlich sauer auf Sie zu sein, Bloom«, stellte Mike Rander fest. »Aber das ist Ihre Sache. Ich habe meine Pflicht getan.« »Sie ... Sie wollen weggehen? Sehen Sie doch! Der Deckel!« »Wer hat sich mit Madley angelegt? Sie oder ich, Bloom!? Sie werden erst dann Ruhe vor ihm haben, wenn wir ihn aus dem Verkehr gezogen haben. Aber Sie wissen ja angeblich nicht, wo er steckt.« »Weiß ich ja auch nicht! Ich weiß es wirklich nicht!« »Aber Sie wissen doch, wer Ihren Chef damit beauftragt hat, sich mit Madley zu befassen, oder?« »Minster bringt mich um!« Bloom starrte wie gebannt auf den Deckel,
der hin- und herklapperte. Der Scolopender entwickelte eine erstaunliche Energie. »Gegen Minster haben Sie eine Chance, aber nicht gegen den Professor oder denjenigen, der die kleinen Bestien des Professors haben wollte, Bloom. Mann, schätzen Sie Ihre Chancen doch selbst ab. Ich gebe Ihnen genau eine Minute.« Gerald Bloom nahm diese volle Minute nicht in Anspruch. Der Deckel rutschte nämlich vom Kochtopf und landete scheppernd auf den Fliesen des Badezimmers. Dann stieg der Hundertfüßler geschmeidig aus dem Topf und fixierte den Sekretär Paul Minsters. »Charles Breecan«, stöhnte Bloom. »Breecan hat uns den Auftrag gegeben, dieses Schwein hat uns die ganze Suppe eingebrockt. Ich hatte Minster gleich gesagt, daß die Sache faul ist, aber er wollte ja wieder mal nicht auf mich hören.« * »Dieser Name wurde meiner bescheidenen Person ebenfalls genannt«, sagte Josuah Parker eine Stunde später. »Und wer ist Charles Breecan, Parker? Ich bin nicht auf dem laufenden, was die Gangster hier in London betrifft.« Mike Rander zuckte die Achseln. »Bloom muß ihn für ein verdammt großes Tier halten.« »Mr. Charles Breecan, Sir, ist im wahrsten Sinn des Worts ein sogenannter Drahtzieher«, erläuterte Parker. »Er unterhält keine eigene
Organisation, sondern engagiert sich von Fall zu Fall seine Mitarbeiter.« »Aber eine Leibgarde wird er doch haben, oder?« Mike Rander nippte an dem Whisky. »Drei ausgezeichnete Männer, Sir, die in seinem Unternehmensberaterbüro arbeiten.« »Und wo befindet sich das Büro?« »In Belgravia, Sir. Sie werden sicher fragen wollen, wie Mr. Breecan eine Verbindung zu Professor Madley herstellte.« »Genau danach wollte ich tatsächlich fragen.« Mike Rander lächelte. »Möglicherweise hat Professor Madley seinerseits Kontakt geknüpft, ohne natürlich zu wissen, wer Mr. Breecan tatsächlich ist.« »Das wäre eine plausible Erklärung, Parker. Tja, was machen wir nun? Sollten wir nicht McWarden informieren?« »In jedem Fall, Sir, wobei man sich allerdings noch über den richtigen Zeitpunkt unterhalten sollte, wenn mir dieser Hinweis erlaubt ist.« »Mit anderen Worten, wir sollen uns mit Breecan anlegen?« Mike Rander schüttelte abwägend den Kopf. »Parker, das kann verdammt ins Auge gehen.« »Eine Auseinandersetzung mit Mr. Breecan birgt in der Tat gewisse Risiken in sich, Sir.« »Er kann doch eine kleine Armee aus dem Boden stampfen, nicht wahr?« »Selbst eine größere, Sir.« »Und dennoch wollen Sie ...« Rander sah den Butler nachdenklich an.
»Es geht um Professor Madley, Sir«, antwortete Parker. »Sobald ein Mann wie Mr. Breecan merkt, daß das Sonderdezernat des Yard gegen ihn antritt, wird er Professor Madley wahrscheinlich aus Gründen der Sicherheit aus dem Weg schaffen lassen.« »Sie glauben also nicht, daß Madley und Breecan unter einer Decke stecken, Parker? Ich werde den Verdacht einfach nicht los, daß wir uns in Madley gründlich getäuscht haben. Er dürfte uns was vorgemacht haben.« »Wenn ich mich erkühnen darf, Sir, möchte ich höflichst widersprechen«, wandte der Butler ein. »Professor Madley dürfte gegen seinen Willen zu einem Spielball der Herren Minster und Breecan geworden sein. Ihn interessieren ausschließlich seine Neuzüchtungen. Hätte er sich mit Mr. Breecan arrangiert, wäre es niemals zu diesem Brief gekommen, den der Professor an den Lady Simpson-Fond geschickt hat.« »Okay, der Punkt geht an Sie, Parker.« Mike Rander hatte sich überzeugen lassen. »Wie wird sich jetzt dieser Wachund Schließgesellschaftler Minster verhalten?« »Nach Lage der Dinge wird er in den kommenden Tagen sein Haus in Waltham Forest nicht verlassen und sich dort sogar einigeln.« »Und was ist mit Bloom, Parker? Ich hatte so meine Bedenken, ihn in seinem Apartment zurückzulassen. Am liebsten hätte ich ihn mitgebracht.«
»Auch Mr. Bloom, Sir, wird sehr häuslich werden«, versprach Butler Parker. »Die beiden Herren dürften zudem von Chief-Superintendent McWardens Beamten intensiv beschattet werden. Ich war so frei, dem Yard einen entsprechenden Hinweis zu geben.« »Sie haben McWarden angerufen, Parker?« Mike Rander wunderte sich. »Ihre Erlaubnis selbstverständlich voraussetzend, Sir«, meinte Josuah Parker höflich. »Mr. McWarden geht jetzt wohl von der Tatsache aus, daß er über Paul Minsters Wach- und Schließgesellschaft an Professor Madley herankommen kann. Dies erlaubte ich mir deutlich herauszukehren.« »Sehr schön.« Mike Rander stand auf. »Dann können wir uns also auf diesen Unternehmensberater Breecan konzentrieren. Hoffentlich hat er nicht 'ne ähnliche Idee, Parker.« »Dies, Sir, wird die kommende Nacht erweisen«, gab Parker zurück. »Wenn Sie gestatten, möchte ich einige Vorsichtsmaßnahmen einleiten. Es steht in der Tat zu erwarten, daß sich nächtlicher Besuch einsteht.« * Das Haus, in dem Mike Rander seit seiner Rückkehr aus den Staaten in der Curzon Street wohnte, war ein alter Backsteinbau mit einem von Säulen getragenen, überdachten Vorbau. Es gehörte Lady Simpson, die es zusätzlich sogar noch reichhaltig möbliert hatte. Josuah Parker hingegen hatte in weiser
Voraussicht einige Tage dazu verwendet, dieses ansehnliche und traditionsreiche Haus nach seinen Vorstehungen abzusichern. Im Erdgeschoß befanden sich die Räume der Anwaltskanzlei und einige Büros der Vermögensverwaltung. Hier herrschte, was die ganze Atmosphäre betraf, beste englische Tradition. Die Möbel waren alt, abgewohnt, aber von einzigartiger Qualität. Jedes Stück hätte auf einer Kunstauktion Spitzenpreise erzielt. Die Räume waren von einer kleinen Haue aus zu erreichen. Von dieser Halle führte ebenfalls eine Treppe in die beiden Obergeschosse, die für Mike Randers Privatleben gedacht waren. Auch hier herrschten Leder und Mahagoni vor. Mike Rander liebte diese Art des Wohnens, sie kam seinem persönlichen Stil sehr nahe. An diesem Abend blieb der Butler sicherheitshalber in Mike Randers Haus. Er hatte gerade seinen Kontrollrundgang beendet und sich vergewissert, daß ungebetene Gäste mit einigen neckischen Überraschungen zu rechnen hatten. Er betrat den Wohnraum des Anwalts und sah Mike Rander fragend an. »Haben Sie noch irgendwelche Wünsche, Sir?« erkundigte sich Parker. »Ja, durchaus.« Der Anwalt lächelte. »Hoffentlich bläst dieser Breecan noch in der Nacht zur Attacke, Parker.« »Dies ist in der Tat nicht auszuschließen, Sir.« »Sind wir vorbereitet?«
»Ich habe mir erlaubt, etwaigen Besuchern das Eindringen zu erleichtern.« »Aha, wie früher, wie?« Rander schmunzelte. »Sie wollen natürlich wieder mal das Terrain bestimmen, auf dem gekämpft wird, oder?« »Eine bewährte Taktik, Sir. Mögliche Besucher werden die Schwachstelle des Hauses bald herausgefunden haben.« »Und im Keller landen?« »Mit einiger Sicherheit, Sir.« Parker nickte andeutungsweise. »Und wie sieht's mit dem Dach aus, Parker?« »Ich war so frei, Sir, eines der Gästezimmer im Dachgeschoß zu beziehen.« »Dann kann's also losgehen ...« Rander stand auf. »Ob man versuchen wird, uns einige dieser kleinen Monster ins Haus zu schicken?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir. Entsprechende Zeitungsberichte könnten die Stimmungslage späterer Empfänger von zoologischen Abnormitäten entscheidend vorprogrammieren. « »Erstaunlich, daß Breecan mit dem Verschicken dieser Mutationen noch nicht begonnen hat, wie?« »Dazu fehlte es ihm bisher wohl an der Zeit, Sir«, antwortete der Butler. »Man sollte wohl davon ausgehen, daß Mr. Minsters Absichten dem im Weg standen, was sich ja nun inzwischen grundlegend geändert haben dürfte.« »Wecken Sie mich rechtzeitig, Parker, bevor ich von Giga-Ratten oder Scolopendern angefressen
werde«, bat der Anwalt ironisch. »Ob Sie's glauben oder nicht, ich werde nicht besonders tief und fest schlafen, das weiß ich bereits jetzt. Irgendwie ist es ein scheußlicher Gedanke, daß man diese kleinen Monster auf uns ansetzen könnte.« »Ich erlaube mir, dennoch eine erholsame Nacht zu wünschen«, lautete Parkers Antwort. Er ging auf die Feststellung des Anwalts nicht ein. »Es wird übrigens, wenn der Augenschein nicht trügt, eine recht dunkle und verhangene Nacht werden, Sir. Bessere Voraussetzungen könnte man sich gar nicht wünschen.« * Josuah Parker hatte es sich auf dem Flachdach des Hauses bequem gemacht. Er saß auf einem Hocker neben einem Kamin und war so gut wie gar nicht zu erkennen. Die Nacht war tatsächlich ungewöhnlichdunkel und verhangen, sogar ein leichter Regen war aufgekommen. Dies alles störte Parker überhaupt nicht. Er trug über dem schwarzen Covercoat eine weiche, schmiegsame Regenhaut und hatte mit einer Folie die schwarze Melone gegen Nässe geschützt. Seinen Universal-Regenschirm hatte er nicht aufgespannt. Dieses Allzweckgerät war einfach zu kostbar, um einen ordinären Regen abzuwehren. Um die Kellerräume des Hauses brauchte er sich nicht weiter zu kümmern. Sie waren entsprechend präpariert und gestatteten es keinem noch
so cleveren Eindringling, ins eigentliche Haus zu kommen. Die einzige echte Schwachstelle war das Flachdach mit dem viereckigen Ausstieg, dessen Stahlblechabdeckung geschlossen war. Dennoch saß Parker hier auf dem Dach, denn wieder mal hatte er sich in die Gedankenwelt seiner Gegner versetzt. Ihnen würde es wahrscheinlich darauf ankommen, einige Exemplare aus Professor Madleys Sammlung ins Haus zu bringen. Was bot sich da näher an als die Kamine? Man brauchte die Rieseninsekten ja nur in eine der Kamin-Essen zu schütten. Sie würden dann unten im Haus schon ihren Weg suchen und auch finden. Die Giga-Insekten schienen ja über eine erstaunliche Freßgier zu verfügen, was in Anbetracht ihrer Größe allerdings kaum ein Wunder war. Die Geduld des Butlers war beachtlich. Selbst nach anderthalb Stunden ließ seine Aufmerksamkeit noch immer nicht nach. Sein Gefühl sagte ihm nämlich immer deutlicher, daß sich bald Besuch einstehen würde. Mitternacht war vorüber, und viele Reklamebeleuchtungen in der näheren Umgebung waren abgeschaltet worden. Der Verkehr in der Curzon Street war ein wenig eingeschlafen, jedoch noch immer so rege, daß Fahrzeuge auf keinen Fall auffielen. Endlich hörte Parker ein Geräusch, das ihn interessierte. Er filterte es aus anderen Geräuschen heraus, die von den Straßen auf die Dächer drangen. Da war ein feines Scharren und Kratzen, das einfach zu betont
leise ausfiel. Irgend jemand bemühte sich, um jeden Preis leise zu sein, dieses Geräusch klang daher in Parkers Ohren besonders eindringlich. Parker blieb selbstverständlich sitzen und verschmolz mit dem Kamin, neben dem er Platz genommen hatte. Er hatte sich natürlich eine Esse ausgesucht, die mit dem Heizkessel in Verbindung stand und Rauch absonderte. Selbstverständlich würden etwaige Besucher solch einen Kamin meiden. Sie konnten nicht daran interessiert sein, ihre Gastgeschenke in Form riesiger Insekten in die Feuerung zu schicken. Das Scharren war ein wenig lauter geworden. Parker beugte sich vor und entdeckte zwei Schatten, die noch auf dem Nachbarhaus standen und dabei waren, eine ausziehbare Metalleiter von ihrem Dach auf dieses hier zu schieben. Sie bauten einen Steg, um auf bequeme und sichere Art ihr Ziel zu erreichen. Sie waren geschickt und schnell. Charles Breecan hatte Männer angeheuert, die sich in solchen Dingen bestens auskannten. Sie kamen nacheinander über diesen Steg, und der letzte der beiden trug einen Kanister in seiner linken Hand, einen Kanister oder einen Behälter. Genau war das wegen der eingeschränkten Sichtverhältnisse nicht auszumachen. Die beiden Gestalten trugen schwarze Overalls oder Trikots, hatten sich gut getarnt und waren natürlich echte Profis. Sie wußten genau, was sie zu tun hatten und
hielten auf einen jener Kamine zu, die mit einer offenen Feuerstelle unten im Haus verbunden waren. Mit dem Problem der Luftdrosselklappe wurden sie spielend fertig. Einer von ihnen steckte dünne Metallstäbe zusammen und führte sie wie ein gelernter Kaminfeger ein. Die Absicht war unverkennbar. Er wollte mit dem immer länger werdenden Stab die Drosselklappe aufdrücken oder hochhaken, damit die Mitbringsel auch die Möglichkeit hatten, ungestört und schnell ins eigentliche Haus zu kommen. Butler Parker verließ seinen Hocker und kümmerte sich erst mal um die Metalleiter. Mit erstaunlicher Kraft hob er sie an und zog sie geräuschlos zu sich herüber aufs Dach. Dann ließ er sie am Bambusgriff seines UniversalRegenschirms an der Hauswand hinunter und wartete den richtigen Zeitpunkt ab, um sie auszuhaken. Er brauchte erfreulicherweise nicht lange zu warten. Durch die Curzon Street rumpelte ein Lastwagen. Parker gab die Leiter frei, die nun senkrecht nach unten fiel und sich in das Erdreich des kleinen Gartens bohrte, der die beiden Häuser voneinander trennte. Ein Stück der Leiter verschwand im Erdreich und fand hier guten Halt. Parker hatte derart geschickt gearbeitet, daß er sogar auf das Geräusch des verspäteten Lastwagens hätte verzichten können. Die beiden nächtlichen Dachbesucher hatten überhaupt nichts gemerkt. Sie hatten sich auf einen Kamin geeinigt und ließen an einem dünnen Nylonseil einige prall
gefüllte Beutel nach unten. In diesen Beuteln, die sie nacheinander aus dem Blechgefäß holten, befanden sich nach Parkers Berechnung jene Neuzüchtungen, die Professor Madley in durchaus guter Absicht entwickelt hatte. Die beiden Gangster »impften« das Haus ihrer Gegner mit Rieseninsekten, die nur darauf warteten, sich endlich wieder mal sattfressen zu können. * Josuah Parker war daran gelegen, jeden Lärm zu vermeiden. Er hatte inzwischen seine Gabelschleuder in den schwarz behandschuhten Händen und legte sein erstes Geschoß in die Lederschlaufe. Es handelte sich um eine Tonmurmel, die nicht scharf gebrannt war. Nach dem Aufschlag würde sie sich in viele kleine Krümel auflösen und kaum Spuren hinterlassen, die man später hätte deuten können. Er spannte die beiden Gummistränge, visierte den Mann an, der ihm einladend den Hinterkopf bot und schickte die erste Tonmurmel auf die Reise. Außer einem scharfen Zischen war nichts zu hören. Dafür aber war dann Bruchteile von Sekunden später allerhand zu sehen: Der am Hinterkopf getroffene Mann zuckte wie unter einem leichten Elektroschock zusammen, blieb dann äußerst steif stehen, nickte bedeutungsschwer und setzte sich ohne jeden Übergang auf seinen Hosenboden. Sein Begleiter hatte natürlich keine Ahnung, was passiert war. Er hatte
wohl mitbekommen, daß sein Partner sich gesetzt hatte, mißdeutete das allerdings wohl als Arbeitsunlust. Er sagte etwas in scharfem Ton zu ihm, doch der Getroffene reagierte überhaupt nicht. Daraufhin beugte sich der Mann über seinen Begleiter, um ihn zu untersuchen. In diesem Moment verschoß der Butler eine weitere Tonmurmel. Der zweite Mann wurde am Genick getroffen und sackte über seinen Partner. Er zappelte noch mit den Beinen, schaffte es jedoch nicht mehr, sich aufzurichten. Butler Parker trat hinter der schützenden Esse hervor und sah sich die beiden Männer aus der Nähe an. Sie waren betäubt und merkten überhaupt nicht, was um sie herum vorging. Parker öffnete die Stahlblechhaube des Ausstiegs und trug seine Opfer dort hinüber. Das heißt, so völlig stilvoll tat er es nicht. Er schleifte die jungen Männer an ihren Rockkragen und ließ sie dann auf den Dachboden hinunter. Er stieg nach, verschloß alles wieder sorgfältig und entwaffnete die beiden Besucher. In ihren Schulterhalftern fand er schwere Automatiks, die man ganz sicher nicht als Zierrat oder Ballast mitgenommen hatte. Parker koppelte die nächtlichen Besucher mittels einer privaten Handschelle aneinander und ging dann zur Tür des Dachbodens. Als er das erste Obergeschoß erreicht hatte, kam ihm Mike Rander bereits entgegen. »Alles klar, nicht wahr?« fragte der Anwalt lächelnd.
»Ich darf mit zwei jungen Männern dienen, Sir«, erwiderte Parker höflich. »Schwierigkeiten gab es nicht.« »Ich bin ebenfalls ganz schön fündig geworden. Das müssen Sie sich ansehen, Parker.« Sie gingen gemeinsam ins Erdgeschoß, und Mike Rander deutete, in seinem Büro auf einen offenen Kamin, in dem eine große Plastikwanne stand, die mit einer Flüssigkeit gefüllt war. Sie roch penetrant nach Alkohol. »Ich möchte keineswegs verhehlen, Sir, daß ich außerordentlich beeindruckt bin«, gestand Josuah Parker, schaute in die große Plastikwanne und zählte die maikäfergroßen Riesenameisen, die kraftlos in der Flüssigkeit trieben. »Ein Dutzend«, sagte der Anwalt. »Aber sehen Sie sich doch diesen Hundertfüßler an, Parker? Groß wie eine Blindschleiche! Ein scheußliches Gewürm ...« »Furchterregend, Sir«, räumte der Butler ein, »doch die Kellerasseln dort müßten ebenfalls das Interesse und die schrankenlose Bewunderung der Zoologen hervorrufen.« »Gut, daß wir überall Wannen auf gestellt haben, Parker.« Mike Rander schüttelte sich. »Ich hätte jetzt nichts gegen einen Whisky einzuwenden. Stellen Sie sich mal vor, die kleinen Teufel wären auf Beute ausgegangen!?« »Wenn Sie erlauben, Sir, würde ich die Mutationen einsammeln.« »Glauben Sie, sie würden noch leben? Ihr Gemisch dort in den Wannen muß doch jedes Leben erstickt haben.«
Mike Rander erlebte Sekunden später eine Überraschung. Der Scolopender, den er eben erst angesprochen hatte, hatte seine Benommenheit abgeschüttelt und wurde sehr aktiv. Er peitschte die Flüssigkeit, in der sich reichlich Karbol und Alkohol befanden, schlürfte das Gebräu genußvoll und schickte sich an, über den Wannenrand ins Zimmer zu klettern. Josuah Parker sah sich gezwungen, mahnend einzuschreiten. Mit der Spitze seines UniversalRegenschirms beförderte er den Hundertfüßler zurück in die Flüssigkeit, worauf der Scolopender sich mit einer Riesenameise befaßte und sie anknabberte. »Ich brauche jetzt sofort einen doppelten Whisky«, murmelte der Anwalt und wandte sich ab. Er spürte, daß seine Nerven vibrierten. * Sie waren kreideweiß im Gesicht geworden, starrten auf die Plastikwanne und atmeten schnell und flach. Sie beobachteten den Scolopender, der immer wieder versuchte, aus der Flüssigkeit herauszukommen. Nachdem der Hundertfüßler eine Riesenameise gefressen hatte, waren die übrigen Giga-Ameisen wieder zu sich gekommen und versuchten nun ihrerseits, an Frischfleisch zu gelangen. Sie konzentrierten sich auf den Scolopender und zwickten ihn nachdrücklich. Die Kellerasseln verhielten sich im Moment noch ein wenig passiv, doch sie paddelten bereits durch die Flüssigkeit, die
jedes andere Insekt mit letzter Sicherheit getötet hätte. »Können ... Können Sie das nicht zudecken?« fragte der erste junge Mann mit deutlich belegter Stimme. Er sah den Butler fast beschwörend an. »Sind Ihnen diese Neuschöpfungen etwa unbekannt?« erkundigte sich der Butler höflich. »Man hat uns nur gesagt, daß wir die Beutel sehr vorsichtig behandeln sollten«, erwiderte der zweite Mann hastig. »Wir haben eigentlich mehr an 'nen Ulk gedacht.« »Wer hat Sie aufs Dach geschickt?« wollte Mike Rander wissen. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie antworten möglichst genau und schnell, sonst könnte ich nämlich die Lust an weiterer Unterhaltung verlieren.« »Und dann?« wollte der erste Mann wissen. »Werden Mr. Parker und ich gehen.« Mike Rander deutete auf die Tür des Badezimmers. »Das .. . wär' . . . doch glatter Mord!« Der zweite Mann zog die Beine an seinen Körper heran. »Den haben doch auch Sie geplant«, entgegnete Mike Rander kühl. »Kommen Sie mir bloß nicht mit weiteren faulen Ausreden. Entscheiden Sie sich möglichst schnell, reden Sie!« »Andy Grimsby hat uns losgeschickt«, sagte der erste Mann hastig. »Er hat uns aber nicht gesagt, was in den Beuteln war.« »Wer, bitte, meine Herren, ist Andy Grimsby?« erkundigte sich Josuah Parker höflich.
»Unser Bürochef«, lautete die überraschende Antwort. »Und wem ist Mr. Andy Grimsby untersteht?« Parker benutzte die Spitze seines Regenschirms, um den Scolopender wieder zurück in die Konservierungsflüssigkeit zu schicken. »Charles Breecan«, flüsterte der zweite Besucher andächtig. »Verdammt, ich hab keine Lust, mich anfressen zu lassen. Es ist Charles Breecan!« »Was ist für diese Nacht sonst noch geplant?« schaltete sich Mike Rander ein. »Nichts«, erwiderten die beiden Männer zusammen. »Nichts!« »Also, was?« Rander lächelte sarkastisch. »Sie tragen doch nicht umsonst hohe Schnürstiefel. Sie sollten nach 'ner Weile ins Haus einsteigen, nach unseren Überresten sehen und dann die Haustür öffnen, wie?« »Die Tür öffnen«, sagte der erste Mann und senkte den Kopf. »Das Biest, schnell«, rief der zweite Mann und keuchte vor Angst. Josuah Parker beobachtete den Scolopender, der ein Drittel seines Körpers bereits über den Wannenrand gebracht hatte. Doch noch schaltete sich Parker bewußt nicht ein. »Kommen wir zur wichtigsten Frage«, schickte Mike Rander voraus. »Wo wird Professor Madley festgehalten? Wo befinden sich die anderen Monster?« »Das Biest kriecht doch raus!« rief jetzt der ersten Mann entsetzt. »Wo wird Professor Madley festgehalten?« wiederholte Mike
Rander seine Frage. Er übersah den Hundertfüßler. »Er... Er ist abgehauen«, sagte der zweite Mann in einem Ton, der keinen Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage aufkommen ließ. »Er is' wirklich abgehauen, aber er hat seine Biester zurückgelassen.« »Achtung, Vorsicht!« Der erste Mann stöhnte auf. »Das Biest kommt doch direkt auf mich zu! Hilfe, Hilfe!« »Stehen wir die Frage anders. Wo wurde der Professor festgehalten?« wollte der Anwalt jetzt wissen. Er brauchte seine ganze Nervenkraft, um den sich nähernden Scolopender zu übersehen. Am liebsten wäre der Anwalt davongelaufen. »In Breecans Landhaus«, röchelte der erste Mann entsetzt. »Ehrenwort, in Breecans Landsitz!« »Der sich wo befindet, meine Herren?« erkundigte sich Josuah Parker in seiner höflichen Art. »Nach dieser Antwort werde ich mich um den Hundertfüßler kümmern, wie ich Ihnen versichern darf.« Er erhielt die gewünschte Antwort! * »Es wäre verdammt unhöflich, Parker, McWardens Nachtruhe zu stören«, sagte Anwalt Rander. »Morgen ist auch noch ein Tag, finden Sie nicht auch?« »Eine wissenschaftlich exakte Feststellung, Sir.« »Da wir auch noch auf den Beinen sind, könnten wir uns eigentlich mit diesem Breecan befassen.« »Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich mich Ihrem Vorschlag
anschließen«, sagte der Butler. »Zudem ist die Fahrt nach Wimbledon nicht gerade als weit und lang zu bezeichnen.« »Worauf war ten wir dann noch? Sind die beiden Dachfreunde gut untergebracht?« »Sie befinden sich in einem relativ kleinen, dafür aber niedrigen Kellerraum, Sir.« Parker zuckte mit keiner Wimper. »Sie können ja ironisch sein, Parker.« Der Anwalt lächelte anerkennend. »Wird die Kellertür halten? Wir haben es mit zwei ausgekochten Burschen zu tun.« »Die davon ausgehen müssen, daß im Raum davor die Neuschöpfungen Professor Madleys untergebracht sind, Sir. Ich möchte annehmen, daß die beiden Herren keinen Versuch machen werden, die trennende Tür zu öffnen.« »Auf dann!« Mike Rander langte nach seinem Trenchcoat und legte sich ihn über die Schulter. »Ist die Luft draußen rein?« »Mitnichten, Sir! Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht ein Wagen, dessen vier Insassen man der Unterwelt zurechnen sollte.« »Und wie werden wir die los?« »Ihr Einverständnis vorausgesetzt, Sir, könnte man sie ein wenig in Morpheus Arme drängen.« »Und wie? Sobald wir das Haus verlassen, wird man uns natürlich bemerken.« »Die Entfernung zur anderen Straßenseite, Sir, läßt sich leicht überbrücken.« Parker deutete auf seinen Universal-Regenschirm. »Ich möchte davon ausgehen, daß dieses
kleine Problem in wenigen Minuten gelöst sein wird.« Der Butler verdrehte den bleigefütterten Bambusgriff seines Regenschirms gegen den Schirmstock und machte ihn damit bereits feuerbereit. Er öffnete eines der kleinen Fenster neben der Haustür und visierte den hinteren Reifen des Wagens an. Die Kohlensäurepatrone trieb den nadelspitzen, bunt gefiederten Pf eh durch die Nacht. Nach sanfter Flugbahn bohrte sich der Pfeil in die Flanke des Reifens. Es dauerte noch einige Augenblicke, bis die Säure an der Spitze des Pfeils die Flanke anfraß. Dann zischte es laut, und der Reifen gab seinen Geist auf. Für die Insassen war das ein Zeichen, sich den Schaden anzusehen. Die beiden vorderen Türen wurden aufgedrückt, zwei Männer stiegen aus und marschierten um den Wagen. Die beiden Vordertüren hatten sie nicht geschlossen. Genau das hatte Josuah Parker provoziert. Mittels der Gabelschleuder verschoß er nun eine kleine, perforierte Metallkapsel, in der sich eine hauchdünne Glasampulle befand. Sie zersprang in winzig kleine Glassplitter, als die Kapsel vorn im Wagen landete und unter einen Sitz rollte. Inzwischen waren die beiden Männer in den Wagen zurückgekehrt und zogen die Türen hinter sich ins Schloß. Wahrscheinlich wollten die vier Unterweltler erst mal die allgemeine Lage diskutieren. Sie hatten ja immerhin einen recht seltsam anmutenden, bunt
gefiederten Glasrohrpfeil gefunden, einen Gegenstand, der so gar nicht in eine Millionenstadt paßte. Inzwischen verdampfte die Flüssigkeit, die die Glasampulle freigesetzt hatte. Sie verband sich innig mit der Luft im Wagen und bildete einen feinen, wirkungsvollen Nebel. Bevor die vier Männer recht begriffen, wie und was ihnen geschah, wurden sie bereits von einer lähmenden Müdigkeit erfaßt, gähnten und räkelten sich in ihren Sitzen. Sie nahmen ab sofort nicht mehr am weiteren Geschehen teil. »Sehr schön«, sagte Mike Rander. »Habe ich Ihnen schon mal gesagt, Parker, daß ich nicht Ihr Gegner sein möchte?« »Vielen Dank, Sir!« Parker deutete eine leichte Verbeugung an. »Wenn es erlaubt ist, sollte man jetzt vielleicht noch das Sonderdezernat Mr. McWardens informieren.« »Richtig, die vier Burschen da drüben im Wagen dürften mit Sicherheit Schußwaffen mit sich führen, wie?« »In der Tat, Sir!« Parker nickte andeutungsweise. »Diese Tatsache allein wird für einen Aufenthalt in einer Polizeizehe sorgen, wie ich als sicher unterstehen möchte.« * Das Haus von Charles Breecan lag in einer stillen Seitenstraße, in der es nur große Grundstücke und komfortable Landhäuser gab. Ein Gangster wie er konnte sich solch einen Luxus durchaus leisten. Als Berater der Unterwelt verdiente Breecan das ganz große Geld.
»Licht«, stellte Mike Rander fest, als sie an dem Grundstück erst mal vorbeifuhren. »Er scheint auf die Rückkehr seiner Helden zu warten.« »Eine verblüffend niedere und ungesicherte Mauer, Sir«, sagte der Butler. »Entweder befinden sich im Garten gewisse Überraschungen für ungebetene Besucher, oder aber das Haus selbst ist raffiniert abgesichert.« »Ob Professor Madley tatsächlich verschwunden ist, Parker?« »Dieser Wissenschaftler scheint nicht weltfremd zu sein, Sir.« »Moment, er weiß mit seinen kleinen Monstern doch einiges anzufangen, Parker? Wollen Sie das damit sagen?« »Er scheint, um es so auszudrücken, mit der Gefahr gewachsen zu sein, Sir. Ich möchte mir die Freiheit nehmen, ihn nach wie vor für unschuldig zu halten. Er dürfte die Mutationen nicht zu dem Zweck provoziert haben, um damit auf dem Umweg über Angst oder Erpressung sich in den Besitz von Geld zu bringen.« »Warten wir's ab, Parker. Ich bin inzwischen verdammt skeptisch geworden. Wie kommen wir jetzt an Breecan heran? Haben Sie schon einen Plan?« »Wenn Sie erlauben, Sir, würde ich gern einige Fensterscheiben zerstören.« »Einverstanden, Parker, aber ich möchte auch mal mit Ihrer sagenhaften Gabelschleuder schießen.« »Wie Sie wünschen, Sir.« Parker war zurückgefahren und hielt vor dem bewußten Grundstück. Er
reichte dem Anwalt die Zwille und eine hart gebrannte Tonmurmel. Mike Rander, der sich in die Tage seiner Jugend zurückversetzt fühlte, hantierte geschickt mit der Gabelschleuder, doch als er die beiden Gummistränge samt Lederschlaufe nach hinten zog, um so für die nötige Spannung und Energie zu sorgen, erlebte er eine kleine Überraschung. »Was ist denn das?« fragte er verblüfft. »Die Stränge rühren sich ja kaum.« »Vielleicht sollten und müßten Sie ein wenig mehr Kraft einsetzen, Sir«, schlug der Butler vor, ohne die Miene zu verziehen. »Das ... tu' ich doch!« Mike Rander spannte seine Muskeln, doch die Lederschlaufe ließ sich nur knapp um anderthalb Zentimeter nach hinten bewegen. »Was sind denn das für Wundergummis?« fragte er dann und holte tief Luft. »Es liegt an der Wicklung der einzelnen Gummistränge, Sir«, erläuterte Parker höflich. »Vielleicht habe ich ein wenig zu sehr die Spannung betont. Wenn Sie erlauben?« Mike Rander reichte ihm die Gabelschleuder, und Josuah Parker spannte das Sportgerät ohne jede erkennbare Schwierigkeit um wenigstens dreißig Zentimeter. Anwalt Rander war mehr als erstaunt. Er selbst hätte das nie zustande gebracht, das wußte er jetzt. Butler Parker hatte inzwischen die hart gebrannte Tonmurmel aus der Lederschlaufe entlassen und in Richtung Fensterscheibe geschickt.
Wenig später barst diese Scheibe unter dem harten Aufprall und löste sich in Scherben auf, die klirrend teils im Haus, teils draußen auf dem Boden landeten. Im Haus aber rührte sich nichts. Keine Reaktion war festzustehen. Dies änderte sich auch dann nicht, als Josuah Parker sicherheitshalber noch zwei weitere Scheiben zu Bruch gehen ließ. »Da stimmt doch was nicht«, sagte der Anwalt. »Man sollte sich vielleicht mit dem Gedanken vertraut machen, Sir, daß Mr. Breecan entweder sein Domizil gewechselt hat, oder aber daß er nicht mehr unter den Lebenden weht«, gab der Butler in seiner gemessenen Art zurück. »Die Polizei wird das wohl innerhalb der nächsten zehn oder fünfzehn Minuten feststehen.« »Wieso die Polizei?« Rander war irritiert. Er stand zudem noch unter dem Eindruck der Kraft, die Parker beim Spannen der Gabelschleuder spielerisch leicht gezeigt hatte. »Das Klirren und Bersten der Scheiben, Sir, dürfte einige Nachbarn alarmiert haben«, erklärte Parker. »Entsprechende Anrufe bei der Polizei werden sicher bereits geführt.« * »Eine verrückte Nacht«, sagte Chief-Superintendent McWarden. »Ich habe kein Auge zugetan.« »Darf ich Kaffee oder Tee servieren, Sir?« erkundigte der Butler sich.
»Beides«, seufzte McWarden. »Sie waren in der vergangenen Nacht nicht zufällig unterwegs, Mr. Parker? Diese Frage gilt auch für Sie, Rander.« McWarden befand sich im Haus des Anwalts. Mike Rander saß taufrisch am Frühstückstisch, aber auch Josuah Parker machte durchaus keinen übernächtigten Eindruck. McWarden hingegen hatte schwere Tränensäcke unter seinen an sich schon leicht hervorquellenden Augen. Er gähnte sehr ungeniert. »Warum sollten Mr. Parker und ich unterwegs gewesen sein?« fragte Mike Rander. »Hören Sie, McWarden, wollen Sie nicht einen kleinen Happen mitessen?« »Nur zu gern.« McWarden nickte in Richtung Parker, dann konzentrierte er sich wieder auf die Frage des Anwalts. Als er antwortete, sah er Rander nachdenklich an. »Vor Ihrem Haus fanden meine Leute einen Wagen mit vier tief schlafenden Insassen«, zählte McWarden auf. »Sie alle trugen Waffen und besitzen selbstverständlich keine entsprechenden Lizenzen dafür. Aber es kommt noch verrückter. Draußen in Wimbledon wurde ein Anschlag auf das Landhaus eines gewissen Charles Breecan ausgeübt. Einige große Fensterscheiben gingen dabei zu Bruch.« »Wer Breecan auch immer sein mag. McWarden, wahrscheinlich ist er gut versichert, oder?« »Breecan, der Besitzer des Landhauses, ist wie vom Erdboden
verschwunden, Rander. Er scheint das Haus in größter Ehe verlassen zu haben. Aber es kommt noch besser.« »Wollen Sie nicht erst das Rührei essen?« »Zwischendurch.« Der ChiefSuperintendent nickte und machte sich über das Frühstück her, das der Butler gerade serviert hatte. »Wir haben natürlich die Kellerräume des Landhauses durchsucht. Jetzt raten Sie mal, was wir gefunden haben?« »Sie überfordern mich, McWarden«, spottete der Anwalt. »Ein paar riesige Kellerasseln! Was sagen Sie jetzt?« »Was verstehen Sie unter riesig?« »Groß wie kleine Schildkröten, Rander. Genau die Biester, die Professor Madley heranzüchtet. Und in einem dieser Kellerräume ist er eindeutig festgehalten worden. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Jetzt aber ist er weg, wie Charles Breecan.« »Sie wissen natürlich, wer dieser Breecan ist, McWarden?« »Ein Supergangster, Rander. Ein Mann, den wir bisher nicht fassen konnten, dessen Stunden aber gezählt sein dürften.« »Sie hegen begründete Hoffnung, Sir, Mr. Breecan baldigst zu finden?« schaltete sich der Butler gemessen ein und goß dem ChiefSuperintendent Kaffee nach. »Ja, diese Hoffnung habe ich, Mr. Parker.« McWarden nickte. »Ich habe nämlich noch eine Überraschung parat.« »Sie verwöhnen uns ja förmlich, McWarden«, stichelte der Anwalt. »Paul Minster und sein Vertrauter Bloom haben sich der Polizei
freiwillig gesteht und um Schutz nachgesucht. Dabei haben sie gewisse Aussagen gemacht, die Breecan stark belasten.« »Darf man mehr darüber hören?« fragte Mike Rander. »Sie behaupten, von Breecan erpreßt zu werden. Für mich reichte das, gegen Breecan einen Haftbefehl zu erwirken.« »Auf welche Weise wurden die beiden Männer denn erpreßt?« bohrte Mike Rander amüsiert nach. Ihm waren andere Tatsachen bekannt, die die beiden Gauner aber verständlicherweise McWarden gegenüber unterschlagen hatten: »Breecan drohte, ihnen Rieseninsekten auf den Hals zu schicken, falls sie nicht Gelder locker machen würden. Reine Erpressung! Ich habe bereits eine Großfahndung nach Breecan in Gang gesetzt. Irgendwann wird er im Netz der Fahndung hängen bleiben. Wetten?« * »Ich hoffe, Sie hatten eine erträgliche Nacht«, sagte Josuah Parker, als er den beiden Dachliebhabern das Frühstück brachte. »Ihr Mr. Breecan hat übrigens seinen Landsitz Hals-überKopf verlassen, wie der Volksmund es so treffend auszudrücken behebt.« »Er ist... abgehauen?« fragte der erste Junggangster überrascht. »Auch so kann man es natürlich ausdrücken.« Parker nickte leicht. »Und was wird jetzt aus uns?« fragte der zweite Gangster. Er machte einen betroffenen Eindruck.
»Wahrscheinlich können Sie sich eine Belohnung verdienen«, schickte Parker voraus, »es kommt natürlich darauf an, wie falsch oder richtig Sie Ihre Lage beurteilen. Ich möchte hinzufügen, daß die Polizei eine Großfahndung nach Mr. Breecan eingeleitet hat. Sein Stern dürfte sich im sinkenden Zustand befinden.« »Wieso ... Äh ... Wieso sucht man denn nach dem Boß?« fragte der erste Gangster recht ungeniert. »Es steht inzwischen fest, daß er Professor Madley entführt hat. Zudem scheint er neuerdings Erpressungen in großem Stil durchzuführen. Er braucht keine Mitarbeiter mehr, Mr. Breecan bedient sich jetzt gewisser Rieseninsekten, die Sie ja kennen dürften.« Die beiden Gangster sagten erst mal gar nichts. Sie tauschten natürlich Blicke aus, doch sie wollten sich wohl in Parkers Gegenwart nicht beraten. »Ich werde Sie jetzt in Ruhe frühstücken lassen«, sagte Josuah Parker. »Wenn Sie erlauben, finde ich mich in etwa dreißig Minuten wieder ein. Dann sollte man sich auch über Ihr weiteres Schicksal unterhalten.« »Schicksal? Wieso Schicksal?« fragte der zweite Gangster nervös. »Sie müssen sich wahrscheinlich entscheiden«, schloß Parker. »Sie haben einmal die Möglichkeit, sich der Polizei freiwillig zu stellen, dann, Anschluß an Mr. Breecan zu suchen, oder aber Sie treten eine kleine Auslandsreise an, die Sie ja schon immer mal machen wollten, wenn ich Sie recht verstanden habe.«
»Wie war das gerade mit der Auslandsreise?« fragte der erste Gangster und zeigte reges Interesse. »Wollten Sie nicht schon immer in die Staaten reisen? Oder vielleicht nach Frankreich? Ich kenne natürlich nicht Ihre Ambitionen, aber Mr. Breecan dürfte inzwischen ein wenig ärgerlich auf Sie sein, fürchte ich.« »Warum sollte er wütend auf uns sein?« wunderte sich der zweite Gangster. »Nun, muß er nicht unterstehen, daß Sie versagt und gewisse Hinweise auf seine Person gegeben haben? Mr. Breecan ist meiner bescheidenen Ansicht nach ein Mensch, der das Wort Vergebung nicht kennt.« Parker nickte den beiden Männern noch mal zu und verließ dann den Kellerraum. Er ging hinauf zu Mike Rander, der gerade telefonierte und den Verstärker einschaltete, damit Parker jedes Wort der Gegenseite mitbekam. Nach einer Sekunde wußte Parker, mit wem der Anwalt sich unterhielt. »... noch einige Tage bleiben«, sagte eine sonore Damenstimme. »Hier in Monaco hat sich einiges getan, Mike.« »Ein Fall, so ganz nebenbei, Mylady?« erkundigte sich Mike Rander und zwinkerte dem Butler zu. »Eine ordinäre Diebstahlsgeschichte, Mike, aber wenigstens eine Abwechslung. Kathy und ich haben uns da eingeschaltet und als Vermittler angeboten. Die Diebe sind darauf eingegangen und wollen sich noch heute mit mir treffen.«
»Mr. Parker und ich könnten die nächste Maschine nehmen, Mylady«, bot der Anwalt sofort gemeinsame Hilfe an, obwohl er genau wußte, daß Agatha Simpson das entschieden ablehnen würde. »Bleiben Sie nur ja in London«, lautete die prompte Antwort. »Seit wann brauche ich fremde Hilfe, mein Junge? Mit diesem Gesindel hier werde ich allein fertig werden, das wäre doch gelacht! Gewisse Subjekte können sich schon jetzt auf einige nette Überraschungen gefaßt machen.« »Sie sind ehrlich zu beneiden, Mylady«, behauptete der Anwalt und zwinkerte dem Butler verschwörerisch zu. »Mr. Parker und ich checken hier einige Geldwünsche durch, die an den Fond gerichtet worden sind, das ist aber auch schon alles.« »Sind Sie sicher, Mike?« Plötzlich war in der Stimme der älteren Dame so etwas wie Mißtrauen. »Leider, Mylady«, versicherte Rander. »Ich nehme an, Sie lesen englische Zeitungen. Sind Sie da auf interessante Überschriften gestoßen? Mit Sicherheit nicht! Hier tut sich nichts, die Unterwelt scheint immer noch eine kleine Verschnaufpause eingelegt zu haben.« »Und was ist mit dem guten, alten McWarden?« »Auch er scheint die Ruhe zu genießen, Mylady.« »Nun ja, rufen Sie mich umgehend an, falls sich da etwas Interessantes anbahnen sollte«, verlangte die Lady nachdrücklich. »Sie wissen, ich suche immer noch nach einem geeigneten Stoff für meinen
geplanten Bestseller. Diese Diebstahlsgeschichte hier wird nichts einbringen.« Nachdem Mike Rander aufgelegt hatte, fuhr er sich durch das Haar und blies die Wangen auf. »Sie wird mir den Kopf abreißen, Parker«, sagte er dann. »Und auch Sie werden nicht ungeschoren davonkommen.« »Das Leben an sich, Sir, ist permanent gefährlich«, gab Josuah Parker gemessen zurück. »Zudem ist dieser Fall ja bereits in sein Endstadium getreten.« »Ich werde Sie bei Gelegenheit daran erinnern«, erwiderte Rander. »Im Moment sieht's doch so aus, als hätten Breecan und der Professor volle Deckung genommen.« * »Der Wirbel beginnt«, sagte der Chief-Superintendent, der einen aufgeregten Eindruck machte. »Breecan oder der Professor, vielleicht auch beide gemeinsam, haben die erste schwere Erpressung in die Wege geleitet.« McWarden war in das Haus des Anwalts zurückgekehrt und hatte nichts dagegen, daß Parker ihm einen Sherry servierte. »Ich wette, Sie werden uns gleich ein paar nähere Einzelheiten erzählen«, meinte der Anwalt spöttisch. »In Mayfair, Rander, noch nicht mal weit von hier, ist ein Privatbankier von einer Ratte angegriffen worden.« »Scheußliche Vorstellung.« Mike Rander verzog unwillkürlich das Ge-
sicht. »Und wie ist die Geschichte ausgegangen?« »Der Mann hat ein paar böse Bißwunden davongetragen, dann konnte er sich ins Badezimmer flüchten. Er hat wenigstens eine Stunde darin verbracht und sich nicht rausgetraut. Erst als man ihm einen Stein durch das Oberlicht warf, riskierte er es.« »Wahrscheinlich war dieser Stein mit einem Stück Papier umwickelt gewesen, oder?« »Auf dem die Warnung und auch die Forderung standen!« McWarden nickte bestätigend. »Der Bankier soll hunderttausend Pfund zahlen, wenn er von dieser Ratte nicht noch mal angegriffen werden möchte.« »Von einer Riesenratte, nehme ich an.« »Sie muß so groß gewesen sein wie ein Terrier«, redete der ChiefSuperintendent weiter. »Der Mann erlitt einen Weinkrampf. Er sagte aus, solch etwas Bösartiges und Aggressives habe er noch nie in seinem Leben gesehen.« »Natürlich wird er zahlen, oder?« »Er hat sich jede Einmischung durch die Polizei strikt verbeten. Wahrscheinlich hat er das Geld bereits abgeliefert.« »Wahrscheinlich hätte ich es ebenfalls getan.« Mike Rander sah den Butler an. »Breecan oder Madley das ist die Frage.« »Dies ist die Handschrift eines Profi-Gangsters, Sir«, schaltete sich Josuah Parker ein. »Es ist damit zu rechnen, Sir, daß Mr. Breecan in einer Gewaltaktion in möglichst kurzer Zeit sehr viel Geld einzutreiben gedenkt. Ich möchte
ferner annehmen, daß er sich im Besitz der zoologischen Abnormitäten des Professors befindet.« »Und wo finden wir diesen Burschen?« McWarden seufzte. »Die Großfahndung hat bisher nichts ergeben. Mich wundert das kaum. Ein Kerl wie Breecan hat beizeiten für raffinierte Schlupfwinkel gesorgt, das ist mir längst klar.« »Ehrenwort, McWarden, auch wir können mit keinem Tip dienen«, sagte Mike Rander. »Wir können nur hoffen, daß er sich mit uns anlegt, sagen wir mal, aus Rache. Dann besteht die Chance, an ihn heranzukommen.« »Ich nehme an, Sie werden mich dann umgehend benachrichtigen, wie?« »So schnell wie möglich«, gab der Anwalt zurück. »Sollte ich's vergessen, dann erinnern Sie mich daran, Mr. Parker.« »Umgehend, Sir«, antwortete der Butler steif und würdevoll. »Darf ich Mr. McWarden eine Frage stehen?« »Natürlich, Parker.« Rander lächelte. »Konnten die Herren Minster und Bloom keine Hinweise liefern?« fragte Parker und wandte sich an den Chief-Superintendent. »Sie sollten doch daran interessiert sein, daß man Breecan möglichst schnell das Handwerk legt. Ob man nicht in dieser Richtung ermitteln sollte?« »Ich werde mein Glück noch mal versuchen.« McWarden nickte. »Ich möchte am liebsten...« Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn das Telefon läutete. Parker hob ab, hörte einen Moment
zu und reichte den Hörer dann an den Chief-Superintendent weiter. McWarden bellte seinen Namen in die Sprechmuschel, bekam Sekunden später einen burgunderroten Kopf, schnappte nach Luft und sagte dann, er käme sofort. »Der nächste Fall«, sagte er und warf den Hörer in die Gabel. »Ein Pelzhändler hat sich gerade mit so 'nein Tausendfüßler rumgeschlagen.« »Hundertfüßler, Sir«, korrigierte der Butler höflich. »Zum Teufel, wieviel Beine das Scheusal hat, ist unwichtig«, tobte McWarden. »Der Pelzhändler soll fünfzigtausend Pfund zahlen. Noch heute! Sonst will man ihm einen weiteren Tausendfüßler - äh, Hundertfüßler ins Haus schicken. Breecan bleibt hart am Ball, das muß man ihm lassen!« * »Sind Sie zu einem Resultat gekommen, meine Herren?« erkundigte sich der Butler höflich bei den beiden Dachsteigern. »Übrigens, waren Sie mit dem Frühstück zufrieden?« »Sie lassen uns sausen?« fragte der erste Gangster. »Falls wir 'nen Tip liefern?« fügte der zweite hoffnungsfroh hinzu. »Lassen Sie es mich so ausdrücken, meine Herren: Sie werden meinen Leichtsinn nutzen und das ergreifen, was man im Volksmund die Flucht nennt.« »Okay, wir haben einen Tip.« Der erste Gangster schielte sicherheitshalber zur Tür. Ihm saß
immer noch die Angst im Genick. Sein Bedarf an Rieseninsekten war für alle Zeiten gedeckt. »Grimsby, unser sogenannter Bürochef, hat 'n kleines Haus in Epping Forest«, sagte der zweite Gangster. »Ich bin eigentlich damals nur per Zufall drauf gekommen.« »Dort könnte Breecan sich versteckt halten«, meinte der erste Gangster. »Ich hoffe es in Ihrem Interesse, meine Herren.« »Können wir jetzt endlich Leine ziehen?« »Sie hatten mein Wort, meine Herren. Sie werden innerhalb der nächsten Minuten meine Unachtsamkeit nutzen und sich empfehlen können. Ich erlaube mir, Ihnen für Ihre weitere Zukunft alles Gute zu wünschen. Anempfehlen möchte ich Ihnen noch einen Hinweis: Verbrechen sollen sich laut einem Sprichwort nicht auszahlen...« Er verließ den Raum, nachdem er den beiden Männern den Schlüssel für die Handschelle auf den Boden geworfen hatte. Parker verschwand aus dem Keller und sorgte dafür, daß die wichtigen Türen, die ins Freie führten, offen blieben. Es dauerte nur wenige Minuten, bis die beiden Dachbesteiger bereits im Garten hinter dem Haus standen. Sie schauten sich mißtrauisch nach allen Seiten um, liefen dann zur Mauer und waren innerhalb der nächsten Sekunden verschwunden. »Sie rechnen damit, daß sie sich umgehend mit Breecan in Verbindung setzen werden?« fragte Rander skeptisch.
»Mit letzter Sicherheit, Sir. Und Mr. Breecan wird seinerseits dafür sorgen, daß dies dann ab sofort nicht mehr geschieht. Für ihn sind die beiden jungen Männer ein echtes Sicherheitsrisiko.« Während Josuah Parker noch redete, schaltete er den kleinen Empfänger ein. Die Peilzeichen kamen laut und deutlich durch. Die Minisender, die die beiden Gangster trugen, arbeiteten präzise und einwandfrei. Selbstverständlich hatten die beiden jungen Männer keine Ahnung, daß der Butler sie als Lockvögel zu verwenden gedachte. Von den Minisendern ahnten sie ebenfalls nichts. Sie befanden sich in den Ziertuchtaschen ihrer Sakkos. Die Sender waren in der Tat winzig klein und flach. Sie verschwanden in den Tiefen dieser Taschen und konnten eigentlich nur durch einen dummen Zufall dort entdeckt werden. Butler Parker und Mike Rander machten sich an die Verfolgung der beiden Lockvögel. Sie stiegen in das hochbeinige Monstrum des Butlers, der seinen Privatwagen durch einen Knopfdruck zurück in ein echtes Taxi verwandelte. Mike Rander hielt den Peilempfänger in Händen. Vom Potentiometer maß er die Stärke der einfallenden Peilzeichen und konnte Parker auf diese Weise immer näher an die beiden Männer heranbringen, die ganz eindeutig Richtung Soho nahmen, wo sie wohl erst mal untertauchen wollten. Nach einer halben Stunde waren die Weichen gestellt.
Die beiden jungen Männer waren in einer kleinen Pension verschwunden, von wo aus sie sich mit ihrem Bandenchef in Verbindung setzen wollten. »Wieviel Zeit geben Sie ihnen?« Rander deutete auf die Pension, die in einem schmalbrüstigen Haus untergebracht war. »Insgesamt noch eine Stunde, Sir, ohne Prophet sein zu wollen.« »Und mit wem rechnen Sie, Parker?« »Mit jenem Herrn, den man Grimsby nannte, Sir. Als Bürochef, wie er bezeichnet wird, wird er es sich nicht nehmen lassen, die beiden Männer selbst zu entlassen.« * Nach fünfundvierzig Minuten erschien vor der Privatpension ein untersetzter, etwa vierzig Jahre alter Mann. Er trug einen kleinen Kunstlederkoffer in der linken Hand und machte einen durchschnittlichen Eindruck. Nur sein Tuchmantel war kein Durchschnitt, wie Josuah Parker mit schnellem Blick feststellte. Der Mantel, erstklassig geschnitten, war mit Sicherheit eine Maßanfertigung und paßte überhaupt nicht zu diesem billigen Koffer. »Mr. Grimsby, Sir«, sagte Parker und deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf den Vierzigjährigen, der bereits in der Pension verschwunden war. »Sind Sie sicher, Parker?« Mike Rander hatte nichts bemerkt, was seinen Verdacht hätte wecken können.
»Solch einen Mantel liefert nur ein Maßschneider, Sir. Zudem ist er zu neu, als daß er aus einem SecondHand-Shop stammen könnte.« »Dann aber nichts wie los, Parker!« Mike Rander setzte sich sofort in Bewegung und ging auf die Pension zu. Butler Parker folgte gemessen wie stets. Für ihn gab es keine Eile oder Hast. »Zu wem wollte der Herr?« fragte Rander und legte dem Portier eine Banknote auf das Zahlbrett der kleinen Loge. »Wenn Sie ganz schnell und richtig antworten, verdopple ich.« Mike Rander erhielt seine gewünschte schnelle Antwort und erhöhte seinen Einsatz. »Falls Sie beabsichtigen, die Herren per Haustelefon zu warnen, verlieren Sie nicht nur das Geld, sondern wahrscheinlich auch Ihre Freiheit für den Zeitraum von einigen Monaten«, warnte Parker den Portier. »Ich hoffe, ich habe es mit einem klugen und einsichtsvollen Menschen zu tun.« Sie gingen in die erste Etage und blieben vor der Tür Nr. 12 stehen. Mike Rander und Parker hörten Stimmen, doch zu verstehen war leider nichts. Josuah Parker holte eine flache Schachtel aus der Innentasche seines Zweireihers und entfernte sorgfältig die beiden starken Gummi, die den Deckel fest auf der eigentlichen Schachtel fixierten. Mit der Spitze eines seiner Patentkugelschreiber bugsierte er dann einige halbbetäubte Riesenameisen unter den Türspalt in das Fremdenzimmer.
Dann richtete er sich auf und wartete ab. Es dauerte etwa zwei Minuten, bis ein erstickter Aufschrei zu vernehmen war. Man hörte ein Stampfen auf dem Boden, als bewege sich eine Herde Büffel durch den Raum, dann fiel eine Tür klatschend ins Schloß. »Sie müssen sich erstaunlich schnell erholt haben«, stellte Josuah Parker anerkennend fest. »Ich hatte mir erlaubt, sie mit ein wenig Chloroform zu desaktivieren.« »Sie sind sehr munter«, bemerkte Rander. »Hören Sie doch, Parker! Da scheint einer Step zu tanzen ...« Dieser Vergleich stimmte durchaus. Im Zimmer hüpfte eine Person herum, die dazu noch offensichtlich mit den Armen am Körper herumschlug, daß es nur so klatschte. »Nicht unähnlich den Bräuchen eines Volksstamms in Süddeutschland«, deutete Parker diese Geräusche. »Man nennt diese Form des Tanzes einen >Schuhplattler<, Sir.« Mike Rander war nicht mehr in der Lage, näher auf diese Volkstanz-Diskussion einzugehen, denn die Tür wurde aufgerissen, und der Mann im eleganten Mantel stürmte heraus. Er lief mit seiner Stirn gegen den bleigefütterten Bambusgriff von Parkers Universal-Regenschirm, litt augenblicklich unter akuter Müdigkeit und fiel gegen die Wand des Korridors. Während Mike Rander sich um ihn kümmerte, sammelte Josuah Parker noch drei Riesenameisen ein, die den Abwehrkampf des Mannes heil
überstanden hatten. Er ließ sie zusammen mit den erledigten Exemplaren im Zimmer wieder in der flachen Schachtel verschwinden. Butler Parker ging anschließend zur Badezimmertür und klopfte diskret an. »Die Gefahr ist das, was man gebannt nennen könnte«, rief er den beiden Männern zu. Als er keine Antwort erhielt, versuchte er die Tür zu öffnen, doch sie war von innen zugesperrt worden. Der Butler holte ein kleines Taschenmesser aus einer der vielen Westentaschen und ließ mit der besonders flachen Klinge die Zuhaltung aufspringen. Er öffnete die Tür und sah sich einem leeren Badezimmer gegenüber. Das kleine, aber geöffnete Fenster neben dem altertümlichen Badeofen sprach Bände. Die beiden jungen Gangster hatten es vorgezogen, sich schleunigst abzusetzen. Parker war durchaus damit einverstanden. Sie hatten ihre Pflicht als Lockvögel erfüllt. Und auf die beiden Minisender konnte er gut verzichten. Weitere Exemplare standen ihm jederzeit ausreichend zur Verfügung. Parker ging zurück zu Mike Rander und berichtete ihm vom Verschwinden der Gangster. »Wären sie für uns noch wichtig gewesen?« fragte der Anwalt. »Diese Frage läßt sich klar und deutlich verneinen, Sir. Zudem hatte ich so etwas wie ein Versprechen abgegeben, daß sie sich früher oder später entfernen dürften. Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen, daß die beiden Männer eines Tages doch noch im Schleppnetz der Polizei landen werden. Ins
bürgerliche Leben werden sie wohl kaum zurückfinden.« Der Mann im eleganten Mantel kam zu sich, stöhnte, zuckte dann zusammen, schrie auf und schlug wild um sich. Er hatte sich wohl der Riesenameisen erinnert. »Sie brauchen nichts mehr zu befürchten, Mr. Grimsby«, sagte Parker. »Wir haben die scheußlichen kleinen Dinger eingefangen. Sehr unfair von Ihrem Breecan, Sie in solch eine tödliche Falle zu schicken, nicht wahr? Sie sind ihm wohl lästig geworden, möchte ich annehmen.« * »Dieser hinterlistige Hund«, ärgerte sich Andy Grimsby erneut und trank sein Glas leer. »Das sieht Breecan ähnlich, das ist genau sein Stil!« »Sie sollten noch etwas für Ihre Nerven tun«, schlug Josuah Parker vor und füllte das Glas mit Whisky auf. Man hatte sich im Pensionszimmer zusammengesetzt und eine Flasche Whisky bringen lassen. »Ich hab nichts gegen 'nen regulären Schuß oder gegen 'nen Dolch«, redete Grimsby inzwischen weiter. »Aber ich hab was gegen diese kleinen Bestien. Sehen Sie sich meinen Mantel und meine Hosenbeine an ...« »Das Glück stand auf Ihrer Seite, wenn ich es so ausdrücken darf«, tröstete Parker Breecans Vertrauten. »Ihr Schutzengel hat Überstunden gemacht«, fügte der Anwalt hinzu. »Er hat mich eiskalt zu den beiden Versagern geschickt.«
»Und wollte Sie und die beiden anderen Männer durch die Rieseninsekten umbringen lassen«, tastete sich Mike Rander weiter vor. »Aber wen hat er damit nur losgeschickt?« Grimsby runzelte die Stirn und trank ausgiebig. »Vielleicht war er es selbst.« »Ausgeschlossen!« Grimsby schüttelte den Kopf. »Breecan macht sich nie die Finger schmutzig. Nein, der sitzt wie'n Fürst in seinem Bau und zieht die Register. Das is' genau sein Stil.« »Mr. Breecan scheint ein ziemlich eigenwilliger Herr zu sein«, stellte Josuah Parker fest. »Herr? Ein Schwein!« Grimsbys Stimme wurde lauter. »Klar, daß er ganz allein absahnen will. Jetzt, wo er die Biester hat, braucht er keine Mitarbeiter mehr. Aber der wird sich noch wundern, dem werden noch die Augen aufgehen.« Grimsby war angetrunken, doch er wußte noch durchaus, was er sagte. »Er dürfte inzwischen innerhalb weniger Stunden dreihunderttausend Pfund eingestrichen haben«, übertrieb Mike Rander. »Einen besseren und schnelleren Reingewinn kann man auch mit der größten Organisation nicht erzielen, das müssen Sie zugeben, Grimsby.« »Sie... Sie wollen mir die Würmer aus der Nase ziehen, wie?« Grimsby grinste ein wenig töricht. »Wir versuchen es noch nicht mal, Grimsby, Sie werden freiwillig und ohne Zwang reden!« Der Anwalt lächelte. »Sie wissen genau, daß Sie von dieser Beute keinen müden Penny sehen werden. Aber Sie können ja zurück zu Breecan fahren
und auf den Tisch schlagen. Fragt sich nur, womit er antworten wird!« »Vielleicht mit der Giga-Ratte Theodora?« tippte der Butler höflich an. »Vielleicht möchte er auch einen Hundertfüßler für Sie interessieren? Da wären noch diese riesigen Kellerasseln und weitere Riesenameisen. Mr. Breecan braucht nur zu wählen!« »Hö ... Hören Sie bloß auf, mir wird schlecht.« Andy Grimsby griff hastig nach dem Glas und nahm einen ergiebigen Schluck. »Wie, zum Teufel, sind Sie eigentlich genau zur rechten Zeit hierher gekommen?« »Wir verfolgten die beiden jungen Männer, die Sie im Auftrag von Breecan umbringen sollten.« »Quatsch, das können Sie überhaupt nicht beweisen. Habe ich sie umgebracht?« »Dank der Riesenameisen nicht, Grimsby.« Rander lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarette an. »Bleiben wir bei dem Mann, der die Insekten ins Zimmer geschmuggelt hat. Wer könnte das gewesen sein?« »Wenn es nicht Mr. Breecan war, Sir, dann käme nur noch Professor Madley als Täter in Betracht«, ließ sich der Butler vernehmen. »Man sollte davon ausgehen, daß die beiden Herren inzwischen ein Herz und eine Seele sind, wie es so treffend in der Alltagssprache heißt.« »Nee, das können Sie sich abschminken«, widersprach Grimsby spontan. »Breecan hält den Professor unter Verschluß. Der muß weitere Bestien produzieren.«
»In Ihrem Haus in Epping Forest?« wollte Rander wissen. Er fragte wie selbstverständlich. »Epping Forest? Landhaus? Wer soll da sein?« »Mr. Breecan«, erwiderte der Butler höflich. »So drückten sich jedenfalls die beiden Herren aus, die das Weite suchten.« »Dann haben die Sie aber schön auf den Arm genommen.« Grimsby grinste. »Nee, Breecan hat sich in. . . Warum soll ich eigentlich reden, he? Was bekomme ich dafür? Umsonst ist der Tod.« »Sie brauchen nicht zu antworten«, sagte Mike Rander und hob abwehrend die Hände. »Sie können gehen und zurück zu Breecan fahren. Wahrscheinlich wartet dort bereits ein Scolopender auf Sie! Sie können sich aber auch sonst auf eine Art absetzen. Breecan werden wir auch ohne Ihre Hilfe finden; er Sie, Grimsby, allerdings ebenfalls.« »Sie sollten meine Befürchtung teilen, Mr. Grimsby, daß Mr. Breecan Sie keineswegs aufsuchen wird, um Ihnen einen Anteil an den dreihunderttausend Pfund zu überreichen.« Parker sagte das kühl und trocken wie immer. Grimsby brauchte eine gewisse Zeit, bis er diesen leicht verschachtelten Satz begriffen hatte. »Okay«, sagte er, als er ihn verstanden hatte. »Nehmen Sie ihn hoch, er gehört Ihnen.« »Und wo, bitte, könnte man Mr. Breecan finden?« erkundigte sich der Butler. »Bei den Surrey Docks«, lautete die entscheidende Antwort. »In der Lower Road hat er 'ne völlig legale
Firma, natürlich von 'nem Strohmann geführt. Crayford heißt der alte Trottel, der überhaupt keine Ahnung hat, welche Laus er sich da in seinen Pelz gesetzt hat.« »Und womit handelt diese Firma?« fragte Mike Rander ebenfalls in einem gespielt beiläufigen Ton, um den Redefluß des Gangsters nicht zu stoppen. »Industrielacke und so was, was weiß ich.« Grimsby zuckte die Achseln. »Darf man davon ausgehen, daß Professor Madley dort festgehalten wird?« »Na klar, der sitzt da im Keller und baut sich'n neues Labor«, antwortete Grimsby. »Wissen Sie was, ich werd' Sie hinbringen, ich will dabei sein, wenn Sie Breecan hochnehmen.« »Ein Vorschlag, den man als diskutabel bezeichnen könnte«, erwiderte Josuah Parker, um dann in Richtung Mike Rander diskret verneinend den Kopf zu schütteln. * Die Firma Crayford in der Lower Road unterhalb der Surrey Docks war nicht zu übersehen. Sie strahlte Tradition und Seriosität aus. Sie bestand zur Straße hin aus einem dreistöckigen Bürohaus. Daran schloß sich eine flache Fabrikhalle an. Alles sah gepflegt und ordentlich aus. Mike Rander und Butler Parker waren natürlich allein. Sie hatten Grimsby »gebeten«, sich im Haus des Anwalts einzuquartieren. Grimsby schlief genau in dem Keller, in dem die beiden Jung-
gangster vom Dach bereits Quartier genommen hatten. Grimsby war inzwischen total betrunken und übersah die Kargheit dieses Gästezimmers. »Es gibt zwei Möglichkeiten, Parker«, sagte der Anwalt. »Informieren wir McWarden, oder handeln wir wieder mal auf eigene Faust?« »Falls die Polizei das Haus stürmt, Sir, könnte Mr. Breecan auf den naheliegenden Gedanken kommen, Professor Madley als Geisel zu erklären, was dann einiges Ungemach hervorrufen wird.« »Schon überredet, Parker.« Der Anwalt lächelte. »Das schätze ich so an Ihnen, Parker: Sie lassen einem keine Wahl!« »Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit außerordentlich bestürzt, Sir«, antwortete Parker, ohne dies allerdings optisch erkennen zu lassen. »Ich möchte keineswegs den Anschein erwecken, als...« »Geschenkt, Parker, geschenkt! Wir verzichten also auf die Polizei. Und wie überrumpeln wir nun Breecan? Er wird doch nie ohne ein paar Leibwächter sein.« »Man sollte den offenen Schlagabtausch suchen, Sir, wie es in der Fachsprache der Boxer heißt.« »Mit anderen Worten, einfach reingehen!?« »In der Tat, Sir!« »Doch, einverstanden!« Mike Rander nickte und lächelte. »Ein kleines Training kann eigentlich nie schaden. Worauf warten wir noch?« Sie stiegen aus dem hochbeinigen Monstrum und gingen zum Eingang der Firma. Die solide Tür war
verschlossen, ein von innen aufgehängtes Schild sagte aus, man habe Betriebsferien ... Josuah Parker bemühte sein kleines Spezialbesteck. Nach knapp dreißig Sekunden hatte er das Schloß zur Aufgabe gebracht. Er stieß die Tür auf und trat einladend zur Seite. Mike Rander verbeugte sich höflich und betrat die Halle. Parker kam nach, schloß die Tür und folgte dem Anwalt, der nach dem Kellerabgang suchte und ihn auch bald fand. Sie hatten ihn gerade erreicht, als unten am Fuß der Treppe schnelle Schritte zu hören waren. Butler Parker und Mike Rander traten in eine kleine Nische und warteten auf die Emporkömmlinge. Es waren zwei Männer, die ihre schallgedämpften Revolver schußbereit in Händen hielten. Sie mußten auf irgendeine Art alarmiert worden sein. Wahrscheinlich war die Tür zusätzlich gesichert worden. Mike Rander bereinigte dieses kleine Problem mit den Handkanten. Die beiden Männer wurden völlig überrascht und sackten haltlos in sich zusammen. Butler Parker gelang es mit artistischer Gewandtheit, die beiden Waffen noch vor dem Fall zu Boden in der Luft zu ergreifen. Er wollte unnötigen Lärm vermeiden. »Wie lange, Sir, werden die Herren schweigen?« erkundigte er sich dann. »Schätzungsweise zehn Minuten«, gab der Anwalt zurück. »Vielleicht auch etwas länger. Wird das reichen?« »Davon, Sir, sollte man ausgehen.« Parker reichte dem Anwalt einen der
Revolver. Mike Rander ging ohne Zögern die Treppe hinunter und erreichte einen breiten Gang, der sich im Dunkeln des Kellers verlor. Der Anwalt wollte sich gerade orientieren, als ein spitzer Aufschrei zu vernehmen war, ein Aufschrei, in dem alle Angst und Panik dieser Welt lag. Mike Rander und Josuah Parker traten höflich zur Seite, als ihnen ein untersetzter Mann entgegenrannte und wie wild um sich schlug. Er wurde verfolgt von zwei schnellen Schatten, die an wilde Terrier erinnerten. Theodora und David! Die beiden Giga-Ratten schnappten nach dem Flüchtenden, bissen nach seinen Waden, von denen die Hosenbeine in langen Streifen und Fetzen herunterhingen, und bremsten ihren Schwung dann urplötzlich ab. Sie hatten Mike Rander und den Butler entdeckt und schwankten verständlicherweise. Wem sollten sie sich widmen? Butler Parker gab eine kleine Entscheidungshilfe. Mit der nicht gerade stumpfen Spitze seines UniversalRegenschirms piekte er Theodora ins Hinterteil, was die Riesenratte veranlaßte, ihn erst mal beleidigt anzusehen, um dann die Verfolgung des Untersetzten wieder aufzunehmen. David folgte blindlings und schickte sich an, Theodora zu überholen. Dann war aus dem Dunkeln heraus plötzlich ein triumphierendes Lachen zu vernehmen, das durchaus
geeignet war, eine Gänsehaut zu erzeugen ... * »Haben wir uns nicht schon mal gesehen?« fragte Professor Madley, als Mike Rander und Butler Parker vor ihm standen. Der Professor hielt eine Plastikschachtel in seinen Händen und schien bereit zu sein, den Deckel abzuheben und den Inhalt der Schachtel auf seine beiden Gegenüber zu werfen. »Ich vertrete den Simpson-Fond«, stellte Mike Rander sich noch mal vor. »Sie empfingen uns bereits schon mal in Maidenhead, Professor.« »Richtig, ich erinnere mich.« Madley nickte und hielt den Deckel fest. »Wie sind Sie hierher gekommen?« »Einfach war das nicht, Professor. Man scheint Sie ziemlich herumgeschleppt zu haben.« »Ich bin tatsächlich sogar zweimal entführt worden«, antwortete Professor Madley. »Ich möchte mich nicht beklagen, man hat mich eigentlich recht ordentlich behandelt, aber eine Entführung bleibt eine Entführung!« »Sehr wahr gesprochen.« Mike Rander nickte. »Zuerst interessierte sich ein gewisser Paul Minster für Sie, nicht wahr?« »Dann ein Mann namens Breecan. Sie haben ihn ja eben gesehen. Er entführte mich von diesem Minster. Und beide Gangster wollten um jeden Preis meine Schützlinge zu verbrecherischen Zwecken benutzen.
So etwas muß man sich mal vorstehen.« »Und was sollten Sie hier tun, Professor?« Mike Rander deutete auf den großen Kellerraum, der fast schon an einen Saal erinnerte. »Eine Art Zuchtstation aufbauen«, lautete die Antwort des Wissenschaftlers. »Ich glaube, mit meinen Schützlingen wollte man unschuldige Menschen erpressen. Sehe ich das richtig?« »Durchaus, Professor. Aber das dürfte ja jetzt überstanden sein, denke ich.« »Wo ist eigentlich Ihr Butler?« erkundigte sich der Professor. »Er kümmert sich um die drei Sportler, die durch die Firmenräume sprinten«, gab der Anwalt spöttisch zurück. »Glauben Sie, daß die drei Gangster gegen Theodora und David eine Chance haben?« »Natürlich nicht.« Professor Madley schüttelte den Kopf. »Gegen uns hat... keiner eine Chance.« Er sah den Anwalt plötzlich sehr abschätzend an und lächelte dann wie abwesend. Mike Rander ging innerlich sofort in Abwehrstellung, zumal Professor Madley offensichtlich Anstalten traf, den Deckel von der Plastikdose zu ziehen. War mit Madley alles in Ordnung? Sah er sich nur noch von Gegnern umgeben? War er vielleicht verrückt geworden? Oder... war er der eigentliche Drahtzieher, der Minster und Breecan wie Marionetten nach seinen Wünschen und Vorstellungen geführt hatte? »Ist was, Professor?« erkundigte sich Rander leise. Seine Muskeln
spannten sich unmerklich. Der Anwalt, der drüben in den Staaten viel in Sachen Selbstverteidigung gelernt hatte, wollte sich nicht von fleischhungrigen Rieseninsekten anfallen lassen. »Wer sagt mir, daß Sie es ehrlich mit mir und meinen Schützlingen meinen?« fragte der Wissenschaftler langsam. »Sie verstehen, daß ich sehr mißtrauisch geworden bin.« »Wie sind Sie denn mit Breecan zusammengekommen?« erkundigte sich Rander, um den Professor erst mal abzulenken. »Durch eine simple Anzeige«, antwortete Madley. »Er hat sich doch als Unternehmensberater und Kreditvermittler ausgegeben. Nach einem ersten Gespräch habe ich dann nichts mehr von ihm gehört, bis man mich entführte.« »Er schaltete Paul Minster ein«, erklärte Mike Rander, immer noch sehr wachsam. »Er hatte ein Riesengeschäft gewittert und wollte selbst kein Risiko eingehen. Wissen Sie, Professor, welche Rolle Ihr Labordiener Trevanty gespielt hat? Ist das inzwischen geklärt?« »Ein sinnloser Mord!« Der Professor schüttelte traurig den Kopf. »Trevanty war unzuverlässig, aber er hat mich nicht verraten oder verkauft. Ich weiß, von wem er ermordet wurde.« »Von zwei Gangstern namens Bandiff und Colwyn, nicht wahr? Sie haben für Minster gearbeitet.« »Bandiff und Colwyn.« Der Professor nickte zustimmend. »Das erfuhr ich von diesem Mr. Minster. Aber wieso haben sie für ihn gearbeitet? Leben sie nicht mehr?
Hat ein gerechtes Schicksal sie erreicht?« »Paul Minster und sein Sekretär Bloom haben sich unter Polizeischutz gestellt. Die MinsterBande sitzt inzwischen komplett hinter Schloß und Riegel. Sagen Sie, Professor, wollen Sie den Deckel der Plastikdose nicht schließen? Ich habe den Eindruck, daß da ein Scolopender rauskrabbeln möchte...« »Ach, das ist nur Klothilde«, antwortete der Professor und stopfte den Scolopender mit dem nackten Zeigefinger zurück in das enge Gefäß. »Sie ist sehr neugierig.« Mike Rander wußte inzwischen, daß keine Gefahr für ihn bestand. Er entspannte sich und gierte nach einer Zigarette. Seine Unterhaltung mit Professor Madley hatte zwar alle noch unklaren Fragen beantwortet, doch dabei hatte sein Nervenkostüm sichtlich Schaden gelitten. * Josuah Parker stand in der Halle des Bürohauses und beobachtete die einzelnen Durchgänge der drei Gangster. Gehetzt und gejagt von Theodora und David preschten die Männer durch das Treppenhaus, durch die Korridore und wieder durch das Treppenhaus. Ihre Form hatte bereits sichtlich nachgelassen, während die der beiden Giga-Ratten noch beachtlich war. Theodora und David ersetzten echte Hetzhunde und hielten die Gangster in Bewegung. Nach insgesamt sechs Runden brach Breecan in sich zusammen, schrammte haltlos über die
Bodenkacheln und bildete für die beiden nachfolgenden Sportler ein echtes Hindernis. Die Männer stolperten über ihren Chef und schlugen ebenfalls der Länge nach hin. Als Theodora und David ihre Chance sahen und nutzen wollten, schaltete sich der Butler mahnend ein. Er scheuchte Theodora von Breecans linker Wade und überzeugte David durch einen Piekser davon, daß er größten Wert auf gutes Benehmen legte. Theodora und David, die inzwischen mit dem sicheren Instinkt der Ratte wußten, daß mit diesem seltsamen Zweibeiner nicht zu spaßen war, nahmen neben den drei keuchenden Gangstern auf ihren Hinterläufen Platz und schauten den Butler erwartungsvoll an. »Erstaunlich, erstaunlich«, sagte in diesem Moment Professor Madley, der zusammen mit Anwalt Rander die Halle betrat. Der Wissenschaftler sah beeindruckt auf seine beiden Giga-Ratten, die wie gehorsame und wohldressierte Hündchen auf den Kacheln saßen. »Haben Sie ihnen schon ein paar Kunststücke beigebracht?« fragte Mike Rander spöttelnd. »Zutrauen würde ich Ihnen das.« »Sie können sofort bei mir anfangen«, rief Professor Madley und sah Parker bewundernd an. »Das haben sie bei mir nie getan!« »Ich möchte mich sehr für Ihr hochherziges Angebot bedanken«, erwiderte Butler Parker. »Gewisse Verpflichtungen hindern meine bescheidene Wenigkeit, solch eine Gelegenheit zu nutzen.«
»Mr. Parker hat es hin und wieder mit Drachen zu tun«, meinte der Anwalt anzüglich und dachte an eine gewisse Lady Simpson. »Wenn Sie erlauben, werde ich Sie später noch mal besuchen, Sir«, sagte Parker zu Professor Madley, während die beiden Giga-Ratten nach wie vor sitzen blieben und ihren neuen Herrn und Meister nicht aus den Augen ließen. »Darf ich übrigens in Erfahrung bringen, Sir, warum man Ihren Labordiener erschoß?« »Warum wohl?« brüllte Breecan in diesem Moment und richtete sich ein wenig auf. »Fragen Sie doch Madley! Fragen Sie ihn! Er hatte Angst, Trevanty hätte ihn verraten können. Und wer ihn erschossen hat? Er! Der Professor! Er ist doch freiwillig mit zu Minster gegangen. Und erst als der alles allein aufziehen wollte, hat er sich abgesetzt und ist zu mir gekommen!« Madley stieß einen zischenden Laut in Richtung der beiden GigaRatten aus. Er wollte sie eindeutig auf Breecan hetzen. Gleichzeitig riß er den Deckel von der Plastikdose und schleuderte einen übergroßen Scolopender auf den Anwalt. Butler Parker parierte mit seinem Universal-Regenschirm. Der Hundertfüßler landete klatschend an der Wand und fiel ziemlich derangiert zu Boden. Er war fußlahm geworden und nicht mehr in der Lage, bösartig zu werden. Die beiden Riesenratten Theodora und David kündigten dem Professor den Gehorsam. Sie sahen unverwandt den Butler an und
schienen sich fast in ihn verliebt zu haben. Professor Madley trat nach ihnen, doch das hätte er besser nicht getan. Theodora und David schnappten nach seinem Fuß und bissen zu. Als Parker die Spitze des Regenschirms senkte, ließen die beiden GigaRatten sofort von Madley ab und setzten sich wieder. »Damit ist der Fall wohl geklärt«, stellte Mike Rander fest, während Madley stöhnte und sich dann auf den Boden setzen mußte. »Professor, Sie hätten wahrscheinlich mit dem Teufel persönlich paktiert, nur um mehr Geld für Ihre Forschungen zu bekommen, wie? Ich frage mich nur, warum Sie sich noch an den Simpson-Fond gewandt haben? Innerlich waren Sie doch schon längst fest entschlossen, Ihre Mutationen zum Erpressen von Geldern zu verwenden!« »Das war als Täuschungsmanöver gedacht«, ließ sich Breecan hastig vernehmen. »Und ich sage jetzt und hier, daß Madley mich bedroht und erpreßt hat. Ich mußte mitmachen, sonst hätte er mich von seinen Bestien auffressen lassen...« »Schon gut, erzählen Sie das später dem Gericht«, schlug Mike Rander vor. Er drehte sich zu Butler Parker um und lächelte. »Das war's, Parker, aber das Schlimmste steht Ihnen noch bevor.« »Ich erlaube mir, Sir, nicht ganz zu verstehen.« »Sie werden Lady Simpson erklären müssen, warum Sie sie nicht rechtzeitig informiert haben. Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken.
Schutz mitzunehmen, wird wohl nie zu klären sein, denn Parker äußerte sich nie in dieser Richtung, auch dann nicht, als Mike Rander ihn später mal danach fragte.
An Ihrer Stehe würde ich mir etwas einfallen lassen.« Josuah Parker sah genau in diesem Moment automatisch zu Theodora und David hinüber. Ob er mit dem Gedanken spielte, sie zu seinem ENDE
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Günter Dönges schrieb für Sie wieder einen neuen
Nr. 194
Parker zeigt der Mafia die Nase Vertreter der New Yorker Mafia warteten freudig auf die Ankunft Butler Parkers und der Lady Simpson, die an einem Kongreß für Kriminalschriftsteller teilnehmen wollten. Die Mafia hatte eine alte Rechnung zu begleichen und wollte den Fall bereits abhaken, als Parker den eiskalten Profis nach und nach zeigte, wie er mit Gangstern umzugehen pflegt. Er lockte diese Burschen auf unbekanntes Terrain und konfrontierte sie mit einigen seiner Spezialwaffen, denen sie nicht gewachsen waren. Er verfrachtete die frustrierten Mafia-Gangster gleich dutzendweise in diverse Zellen und trieb sie zur Verzweiflung. Er spielte mit ihnen Katz' und Maus, bis die Mafia resignierte und erst mal untertauchte ... Günter Dönges bietet einen neuen Parker-Krimi an, in dem selbstverständlich wieder gelacht und geschmunzelt werden darf, in dem er aber auch für eine Gänsehaut sorgt. Parker-Freunde werden sich diesen neuen Krimi nicht entgehen lassen.
In der Neuauflage erscheint Butler Parker Nr. 162
Mylady fliegt den Todes-Looping von Günter Dönges.