Günter Dönges
PARKER und die Rocker von Blackpool Sie trug einen Bikini und lag im weißen Sand des langen Küstenstreif...
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Günter Dönges
PARKER und die Rocker von Blackpool Sie trug einen Bikini und lag im weißen Sand des langen Küstenstreifens. Die junge Frau war fünfundzwanzig Jahre alt, schlank und langbeinig. Sie hatte kupferrotes Haar und genoß die warme Sonne über der Irischen See. Nicht weit von ihr entfernt spielten einige junge Männer Fußball. Sie trugen Badeshorts oder Jeans und benahmen sich geradezu rüde. Sie kickten hemmungslos und johlten vor Vergnügen, wenn, der Ball auf den anderen Badegästen landete. Doch die Leute muckten kaum auf. Es handelte sich um kinderreiche Familien, die im Seebad Lytham St. Annes Erholung suchten. Die Väter spürten wohl instinktiv, daß die jungen Männer nur Streit suchten, ängstliche Mütter drängten bereits zum Aufbruch und sammelten ihre Kinder. Die Sonne über der See und dem Strand wurde von der Angst verdrängt.
Die Hauptpersonen: Mr. Angels, ein Butler, der ermordet wird. Dan Hodner, Gangster, der nicht nur Rocker schafft. Butch, der Neandertaler, bricht ein. Lester Balton, Waffenhändler, der ins Netz geht. Charles Meadows, Rentner mit Schlangenaugen. Ray, ein Rocker, der Kettchen trägt. Kathy Porter, Myladys Sekretärin, geizt nicht mit ihren Reizen. Lady Agatha Simpson macht kurzen Prozeß mit ihren Gegnern und ist nicht immer Dame. Josuah Parker, der Butler, der gern blufft.
Der Fußball landete inzwischen auf dem Bauch eines Mannes mit ausgeprägter Korpulenz. Er lag auf einem Frotteelaken und trug eine, Sonnenbrille. Der Mann richtete sich auf und war ärgerlich. Er warf den Ball gereizt zum Wasser und legte sich wieder nieder. Dann griff er nach der Zeitung, die an ihrem Platz lag, und merkte einige Sekunden später, daß er wohl als Opfer auserkoren war. Fünf junge Männer hatten sich um ihn herum aufgebaut und schaufelten mit nackten Füßen kleine Sandladungen auf seinen Bauch. Dabei johlten sie nicht mehr vor Vergnügen, ihre Gesichter waren ernst. »Was soll denn der Unsinn?« Der korpulente Mann richtete sich auf und fegte den Sand von seinem Körper. »Hol den Ball zurück, Dicker«, sagte einer der jungen Männer, die durch die Bank etwa zwanzig Jahre alt sein mochten. »Das soll doch wohl 'n Witz sein, wie?« Der Mann, vielleicht fünfzig Jahre alt, sah die Meute verächtlichbelustigt an. »Hol den Ball, Dicker«, sagte der Wortführer der fünf jungen Männer. Er trat mit der linken Ferse flach gegen den Sand, der hochspritzte und im Gesicht des Badegastes landete. Der Getroffene wischte sich ohne Hast den Sand aus dem Gesicht. »Verschwindet, Boys«, sagte er ohne jede Erregung. »Laßt Dampf ab und benehmt euch anständig!« »Er begreift nicht«, kommentierte der Wortführer, bückte sich, griff mit beiden Händen tief in den Sand Und wollte ihn ins Gesicht des massigen Mannes werfen. Doch er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, wie sich Sekunden später zeigte! Der Dicke entwickelte plötzlich eine Schnelligkeit, die man ihm niemals zugetraut hätte. Er trat mit dem rechten Fuß zu, traf die Kniescheibe des Rüpels und fällte ihn. Der Getroffene brüllte, landete auf dem Rücken und hielt sich das Knie. Für die übrigen vier Burschen war damit das Zeichen des Angriffs gegeben. Sie stürzten sich auf den dicken Mann, doch sie erlebten eine fast schon brutale Abfuhr. Der Badegast war erstaunlich beweglich, stand bereits auf seinen kurzen Beinen und wehrte sich. Er verteidigte sich mit Schlägen, die die jungen Männer nicht kannten und die sie fast wehrlos einstecken mußten. Die Handkante des Fünfzigjährigen war eine harte Waffe, die Oberarme, Kinnwinkel und Halsadern traf. Innerhalb weniger Sekunden lagen die restlichen vier jungen Männer ebenfalls im Sand und verstanden die Welt nicht mehr. Familien und Kinder umstanden den Kampfplatz und gönnten den Rüpeln diese eindeutige Niederlage. Der massige Mann nahm sein Badetuch, wischte sich den Sand aus dem Haargestrüpp seiner Brust und ging, als sei überhaupt nichts passiert. Er kümmerte
sich nicht weiter um die fünf jungen Männer, die mit ihrem Schicksal haderten und nicht wußten, was sie tun sollten. Humpelnd räumten sie das Feld, verfolgt von verständlicherweise schadenfrohen Blicken und Kommentaren. Ihren Wortführer mußten sie dabei fast tragen, denn das Knie des jungen Mannes ließ sich nicht bewegen. Die junge, rothaarige Frau hatte diese Szene beobachtet, ohne sich dabei aufzurichten. Der dicke Mann mit den kurzen Beinen kam dicht an ihr vorbei und blieb unwillkürlich einen Moment stehen, als er die weibliche Attraktion im Bikini vor sich sah. Die junge Frau sah in ein breitflächiges Gesicht mit einer kurzen, plattgedrückten Nase. Die Augen in diesem Gesicht waren kalt und ausdruckslos. Sie musterten die junge Frau schnell und intensiv und schätzten ihren Körper ab wie eine Ware, ohne dabei aufdringlich oder gar zweideutig zu wirken. Dann wandte der Mann sich ab und ging weiter. Er verließ den Strand und steuerte zu den Umkleidekabinen, wo er von zwei Männern erwartet wurde, die ihn die ganze Zeit über wohl im Auge behielten. Sie traten zur Seite, als der dicke Mann in einer Kabine verschwand, zündeten sich Zigaretten an und langweilten sich in gespannter Lässigkeit. Die junge Frau im Bikini hatte die beiden jungen Männer sofort richtig eingestuft. Es mußte sich um Profis aus einer Branche handeln, die in der Unterwelt beheimatet war. *** Josuah Parker verließ den Wohnwagen, rückte die schwarze Melone zurecht und legte den Bambusgriff seines altväterlich gebundenen Regenschirms korrekt über den linken Unterarm. Er sah sich ein wenig konsterniert um und begriff nicht, wie man sich hier wohl fühlen konnte. Er war in einer kleinen Stadt, die praktisch nur aus Wohnwagen aller Größen bestand. Sie parkten wohlgeordnet an mit weiß gekalkten Steinen abgegrenzten Straßen und verbreiteten eine Monotonie, die den Butler fast körperlich schmerzte. Die Zwischenräume, die die Wagen voneinander trennten, betrugen stets nur wenige Meter. Hier lebte man hautnah nebeneinander. Es handelte sich um eine jener typischen Wohnwagenstädte, wie man sie an der Westküste der Insel immer wieder antraf. Diese Wohnwagensiedlung lag am Ribble, der in der Nähe von Blackpool in die Irische See mündet. Der Butler hatte hier einen Höflichkeitsbesuch absolviert. Ein ihm bekannter Kollege, der sich aus Gesundheitsgründen für ein Jahr aus dem Beruf zurückgezogen hatte, um sich zu erholen, hatte ihn gebeten, sich für ihn zu verwenden und ihm eine neue Anstellung zu besorgen. Parker war von Liverpool aus angereist und hatte seinem Kollegen tatsächlich helfen können. Sein
Bekannter konnte in den nächsten Wochen eine Stelle in Edinburgh antreten. Dank Parkers Verbindungen innerhalb des englischen Hochadels war das für eine Kleinigkeit gewesen. Der Butler beeilte sich, um zum vereinbarten Treffpunkt zu kommen. Er wollte diese für seine Begriffe scheußliche Ansammlung von Wohnwagen so schnell wie möglich verlassen. Es galt, Kathy Porter vom Strand abzuholen und dann zurück ins Hotel zu fahren, wo Lady Agatha Simpson Zwischenstation machte. Gegen Abend sollte die Heimfahrt nach London angetreten werden. Parker hatte an diesem frühen Nachmittag einiges Pech. Und das hing mit fünf jungen Männern zusammen, die verzweifelt nach einem geeigneten Opfer Ausschau hielten. Nach der Blamage am Strand brauchten sie ein Erfolgserlebnis, um ihr angeschlagenes Selbstvertrauen wiederzugewinnen. Sie kamen aus einer der vielen schmalen Wohnwagenstraßen, entdeckten den Butler und wußten, daß sie sich an diesem Mann abreagieren konnten. Der Bursche mit der verkorksten Kniescheibe blieb zurück und lehnte sich gegen einen Wohnwagen. Die vier Partner aber marschierten schnurstracks auf den Butler zu, der wirklich nicht ahnte, was da auf ihn zukam. Die Männer benahmen sich nämlich zuerst völlig normal, um dann allerdings, als sie Parkers Höhe erreicht hatten, über ihn herzufallen. Der Butler ärgerte sich später ausgiebig darüber, daß sein inneres Alarmsystem sich nicht gemeldet hatte. Er wurde völlig überrascht und mußte Federn lassen, um es vornehm zu umschreiben. Die vier Kerle droschen auf ihn ein und benutzten dazu Kabelenden und Totschläger. Sie konzentrierten ihre ganze Wut auf den unschuldigen Josuah Parker. Wohnwagentouristen in der Nähe setzten sich schleunigst ab und wollten mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. Parker mußte einige bösartige Schläge einstecken, bis er endlich zum Gegenangriff übergehen konnte. Dabei leistete ihm der altväterlich gebundene Regenschirm wertvolle Dienste. Der Bambusgriff war mit Blei ausgegossen und wurde dadurch zu einer Keule und zu einem Schlaginstrument wie in der Steinzeit. Parker langte mit dieser Waffe herzhaft zu und wehrte sich seiner Haut. Dabei sorgte er ungewollt dafür, daß mindestens zwei Zahnärzte neue Kunden bekamen. Nach ihrem ersten Überraschungserfolg merkten die vier jungen Männer schnell, daß für sie kaum etwas zu holen war. Sie hatten im übertragenen Sinn auf Granit gebissen und setzten sich schleunigst ab, wobei sich zeigte, daß sie einige kräftige Blessuren davongetragen hatten. Zwei Burschen hielten sich den Kopf, schwankten leicht und glichen Barbesuchern, die einen über den Durst getrunken hatten. Der dritte junge Mann hinkte und hatte Schwierigkeiten mit seiner Hüfte, der vierte hielt sich den Mund und fingerte nach seinen Schneidezähnen. Sie schnappten sich den fünften jungen Mann mit der lädierten Kniescheibe, lupften ihn an und verschwanden dann alle zwischen den Wohnwagen. Josuah Parker fühlte sich nach dieser Diskussion ein wenig derangiert und sah an sich hinunter. Sein linkes Hosenbein war leider leicht eingerissen, zwei Knöpfe
seines schwarzen Zweireihers waren nicht mehr vorhanden. Der weiße Eckkragen hatte sich zusätzliche Ecken eingehandelt, und die schwarze Melone wies einige kräftige Dellen auf. Während dieser Inspektion entdeckte Parker zu seinen Füßen ein Armkettchen, wie es junge Männer hin und, wieder zu tragen pflegen. Dieses Amulett bestand aus massivem Silber und war förmlich übersät mit Anhängern und kleinen Glücksbringern. »Oh, Mister Parker, ich hätte Sie warnen müssen«, hörte er hinter sich die Stimme seines Berufsfreundes. »Sie kennen diese jungen Männer?« Parker sah den Kollegen fragend an. »Nicht direkt«, erwiderte der Mann, der dem Butler entfernt glich, was die Kleidung anbetraf. Parkers Kollege trug einen dunklen Anzug und einen steifen, runden Bowler. »Muß ich annehmen, daß man mich mit Ihnen verwechselt hat?« fragte Parker. »Sieht so aus, Mister Parker. Diese Rüpel sind seit Tagen hinter mir her und hänseln mich, sind aber noch nie tätlich geworden.« »Wie schön für Sie, Mister Angels«, erwiderte Parker sarkastisch, »und was hat man gegen Sie einzuwenden?« »Ich weiß es wirklich nicht«, erwiderte Angels. »Es ist vielleicht meine Kleidung, die sie reizt.« »Wenn ich mir einen Rat erlauben darf, Mister Angels, würde ich meine Zelte an Ihrer Stelle schleunigst abbrechen beziehungsweise den Wohnwagen an die Autodeichsel spannen. Ich fürchte, daß die jungen Männer nachtragend sein werden.« Parker hatte das Silberkettchen in der Tasche verschwinden lassen. »In einer Stunde fahre ich los«, sagte Parkers Berufskollege hastig, »und tun Sie's auch, Mister Parker! Der Badeort ist nicht mehr das, was er mal war. In den letzten vierzehn Tagen gab es hier zwei Tote. Ich möchte nicht, daß Sie meinetwegen der dritte sind.« *** Kathy Porter drückte die Tür ihrer Badekabine auf und prallte zurück. Dicht vor ihr stand einer der beiden Männer, die sie vor der Kabine des Mannes mit der flachen Nase beobachtet hatte. Er bemühte sich um ein Lächeln, was ihm offiziell schwerfiel. Dann kaute er auf einem Zahnstocher herum und maß sie mit einem taxierenden Blick. Was er sah, konnte sich auch in der Verpackung sehen lassen. Kathy Porter, die junge Frau mit dem kupferroten Haar und den schlanken Beinen, trug ein einfaches Sommerkleid, das ihre Körperlinien dezent unterstrich. »Dan Hodner möcht' Sie sehen«, sagte er endlich, ohne den Zahnstocher aus dem Mund zu nehmen.
»Und wer ist das?« Kathy Porter, oft schüchtern und scheu wirkend, ließ sich innerlich nicht aus der Ruhe bringen, wenngleich sie instinktiv etwas ängstlich tat. »Wird er Ihnen dann schon rechtzeitig sagen, Miß. Kommen Sie, er Wartet nicht gern!« Kathy Porter, Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Agatha Simpson, wußte eigentlich genau, wer dieser Dan Hodner war. Es mußte sich um den dicken Mann handeln, der die fünf Rüpel am Strand zusammengeschlagen hatte. Normalerweise hätte Kathy Porter sich solch eine Frechheit niemals bieten lassen und ihre scheinbare Scheu abgelegt. Sie sah aber noch sehr deutlich die kalten Augen des Mannes, spürte seinen abschätzenden Blick und war neugierig. Sie bemerkte, daß der Mann vor ihr eine Schulterhalfter umgeschnallt hatte, die mit einer Waffe gefüllt sein mußte. Er schien eine Art Leibwächter dieses Dan Hodner zu sein. »Ich glaube nicht, daß ich viel Zeit habe«, sagte Kathy Porter, um nicht zu willig zu erscheinen. »Nehmen Sie sich, was Sie kriegen können, Miß, kommen Sie mit!« Er war sich seiner Sache vollkommen sicher und ging einfach voraus. Der Mann, er mochte etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein, hatte keine Ahnung, mit wem er sich da gerade herablassend unterhalten hatte. Er hätte sich sonst wohl sehr gehütet, der jungen Frau den Rücken zuzuwenden. Wenn es sein mußte, verwandelte Kathy Porter sich in eine kalt und präzise reagierende Kampfmaschine, die sich in vielen Arten der Verteidigung auskannte. Sie folgte ihm also und war auf die Begegnung gespannt. Dan Hodner erwartete sie oben an der Promenade. In seinem etwas zu hellen Anzug sah er noch dicker und massiver aus. Er trug ein teures Produkt, das auf keinen Fall von der Stange stammte. »Nett, daß Sie gekommen sind«, sagte er ohne jeden Gruß. »Nehmen wir doch einen Drink drüben in der Bar, ja?« »Ich kenne Sie ja gar nicht«, widersprach Kathy Porter. »Dan Hodner«, sagte er in einem Ton, als würde sein Name jeden Abend im Fernsehen genannt. »Und wer sind Sie, Kleines?« »Kathy Porter.« »Und Kathy Porter liegt ganz allein am Strand herum?« wunderte sich Hodner gespielt und bemühte sich, ein wenig neckisch zu wirken, was ihm aber völlig mißlang. Sie überschritten die Fahrbahn hinter der Promenade und gingen auf eine Hotelbar zu. Rechts vom Eingang stand der zweite Mann, der Kathy ausdruckslos musterte. »Waren Sie es nicht, der unten am Strand die fünf Rowdies niedergeschlagen hat? « fragte Kathy, als sie die Bar betraten. Es handelte sich nicht um ein Allerweltslokal, der Luxus sprang den Eintretenden förmlich in die Augen. Das geschulte Personal buckelte servil, als Dan Hodner hereinstampfte und auf eine Fensternische zuhielt. Er schien in diesen Räumen bekannt zu sein.
»Ich hab' Sie die ganze Zeit über beobachtet«, bekannte Hodner, nachdem er sich gesetzt hatte. Seine Bewegungen waren trotz seiner Fülle schnell und geschmeidig. »Davon habe ich aber überhaupt nichts gemerkt«, erwiderte Kathy Porter und hielt genau das Gleichgewicht zwischen Überraschung, einer gewissen Schüchternheit und engagierter Selbstverständlichkeit. Früher oder später mußte sie ja schließlich sagen, welchen Beruf sie ausübte. Daher durfte sie sich auf keinen Fall zu naiv geben. »Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen«, begann Hodner, nachdem er die Drinks bestellt hatte. »Und spielen Sie nicht gleich beleidigt, wenn ich offen mit Ihnen rede.« »Ich muß mir oft eine Menge anhören«, behauptete Kathy Porter. »Welchen Beruf haben Sie?« »Ich bin Sekretärin bei Lady Simpson«, bekannte sie freimütig, da dies leicht nachzuprüfen war. »Sekretärin.« Seine Stimme klang nicht gerade verächtlich, aber doch etwas abwertend. »Bei mir können Sie sich eine goldene Nase verdienen.« Sie schaltete auf Abwehr und tat so, als habe sie ihn völlig mißverstanden. »Ich will Sie nicht für mein Bett«, sagte Hodner daraufhin rundheraus und lächelte flüchtig. »Ich engagiere Sie als Tänzerin. Ich besitze eine paar Music Halls und Diskotheken hier an der Küste und drüben auf der Isle of Man.« »Ich bin Sekretärin und keine Tänzerin.« »Aber Sie haben das gewisse Etwas, Kleines«, redete Hodner gelassen weiter in einem Ton, der bei aller Höflichkeit keinen Widerspruch duldete. »Ich hab' gesehen, mit welchem Schwung Sie aus der Hüfte heraus gehen. Was Sie nicht können, werden wir Ihnen schon beibringen. So, hier ist meine Karte. Rufen Sie mich noch heute an! Wir machen dann einen Vertrag.« Er erhob sich leicht, um anzudeuten, daß das Gespräch beendet sei. Kathy Porter reagierte verwirrt, stand hastig auf und ging. Draußen vor der Bar kam sie an den beiden Männern vorbei. Genau in diesem Moment fiel in der Bar ein Schuß, der normalerweise gar nicht zu hören war. Er war nämlich schallgedämpft abgefeuert werden, alarmierte aber Kathys Ohren, die sich in solchen Dingen nur zu gut auskannte. Die beiden jungen Männer waren bereits in der Hotelbar verschwunden. *** »Herr im Himmel, wie sehen Sie denn aus?« Agatha Simpson, walkürenhaft gebaut, um die sechzig Jahre alt, vollschlank und auf großem Fuß lebend, sah ihren Butler überrascht an. Ihre Stimme hatte den Unterton eines relativ friedlichen Feldwebels der Armee Ihrer Majestät. Sie war eine äußerst stattliche Dame, die man nicht übersehen konnte. Ihre Manieren hatten eine erstaunliche Bandbreite. Sie konnte sich geben und dabei fluchen wie ein
ordinäres Marktweib, sie konnte sich aber auch in eine Herzogin verwandeln, für die kein Parkett zu glatt ist. Mylady war eine ungewöhnliche Frau, die sich dank ihres Vermögens Extravaganzen leisten konnte. Sie war mit dem Hoch- und Finanzadel der Insel verschwägert. Lady Agatha lebte ein freies Leben und ritt ein ungewöhnliches Steckenpferd. Sie beschäftigte sich als Amateurdetektivin und hatte in ihrem Butler einen Partner gefunden, wie sie ihn nur in ihren kühnsten Träumen erwarten konnte. Lady Agatha befand sich in ihrem Hotelzimmer und musterte ihren Butler. Sie hatte auf den ersten Blick bemerkt, daß sich interessante Dinge ereignet haben mußten. Ihre dunklen, schnellen Augen nahmen einen erfreuten Glanz an. »Mylady mögen das Aussehen meiner Wenigkeit entschuldigen«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Nach Lage der Dinge scheint man mich mit meinem Kollegen, dem ich einen Besuch abstattete, verwechselt zu haben.« »Wie schön«, freute sich Lady Agatha ohne jedes Mitgefühl. »Ein neuer Fall für uns?« »Keineswegs, Mylady, selbst bei weitester Auslegung. Es handelte sich nur um einige Rowdies, die ihr Temperament abreagieren wollten.« »Weiter, lassen Sie sich nicht jedes Wort aus dem Mund ziehen, Parker!« »Die jungen Herren ergriffen die Flucht, als ich ein wenig nachdrücklich wurde.« »Eine Bande, die man auffliegen lassen könnte?« Lady Agatha gab ihre Hoffnung auf einen neuen Fall nicht so schnell auf. »Sicher nicht, Mylady.« »Sehr schade«, grollte Parkers Herrin enttäuscht, »aber vergessen Sie nicht, Parker, daß wir da einen Fall hatten, der ebenfalls mit Rowdies begann und sich dann recht erfreulich entwickelte.« »Gewiß, Mylady.« »Man hat Sie verwechselt, Mister Parker. Mit Ihrem Kollegen, wie Sie gerade sagten. Wollen Sie diesen Kollegen schutzlos lassen? Und warum sollte er von diesen Schlägern überfallen werden? Das sind doch Fragen, die geklärt werden müssen.« »Mein Kollege, Mylady, wird um diese Zeit bereits den Campingplatz verlassen haben.« »Sie enttäuschen mich sehr, Mister Parker.« Lady Simpson hatte eingesehen, daß wirklich nichts zu machen war. »Für die Zukunft, Mylady, werde ich mir erlauben, mich mehr zu bemühen«, versprach Parker, der innerlich erleichtert war, daß Mylady sich zufriedengab. Er kannte ihre Hartnäckigkeit, mußte allerdings auch eingestehen, daß sie sich oft gelohnt hatte. Lady Simpson witterte gerade dort Zusammenhänge, wo Fachleute weit und breit keine sahen. Sie besaß einen siebten Sinn für das Verbrechen. Als das Telefon läutete, ging Parker an den Apparat und meldete sich als Butler Lady Simpsons. Er antwortete nur mit Ja und Nein und sagte dann abschließend, er würde sich sofort hinausbemühen.
»Was ist denn?« fragte Agatha Simpson, die das steinerne Gesicht ihres Butlers sah. »Die Polizei«, antwortete Parker. »Mein Kollege Angels ist erschossen in seinem Wohnwagen aufgefunden worden. In seiner Tasche fand man meine Visitenkarte und möchte mir nun einige Fragen stellen.« »Ich werde selbstverständlich mitkommen«, entschied Lady Simpson, wobei ihr Gesicht einen grimmigen Ausdruck annahm. »Und ich sage Ihnen schon jetzt, daß wir den oder die Mörder finden werden.« »Wie Mylady befehlen«, gab Parker zurück und schloß für einen Moment ergeben die Augen. Er ahnte, was ab sofort auf ihn zukam. *** Inspektor Griffins war ein gemütlich wirkender Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren, mittelgroß und leicht korpulent. Er hatte den erschossenen Angels von Parker identifizieren lassen und erkundigte sich, wie die neu und unversehrt aussehende Visitenkarte im Rock des Toten landete. Parker konnte das schnell erklären.. »Hat Mister Angels Ihnen gegenüber irgendwelche Andeutungen gemacht?« erkundigte sich Griffins. »Hatte er Angst?« »Auf keinen Fall«, erwiderte Parker, der zusammen mit Griffins vor dem Wohnwagen stand. »Mister Angels bat mich, ihm bei der Stellungssuche behilflich zu sein. Das war vor einigen Tagen. Er rief mich in London bei meiner Herrschaft an. Erfreulicherweise konnte ich dem Kollegen Angels helfen und besuchte ihn hier, als Lady Simpson geschäftlich in der Nähe zu tun hatte .« »Er hat über ein Jahr lang nicht mehr als Butler gearbeitet?« »Mister Angels wollte hier an der Küste ein Leiden auskurieren. Er sprach von einer Beinthrombose.« »Damit läßt sich herzlich wenig anfangen«, stellte Griffins mißmutig fest und duckte sich unwillkürlich ein wenig, ab, als Agatha Simpson sich in sein Blickfeld schob. Sie hatte sehr genau mitbekommen, daß ihr Butler, ob nun absichtlich oder nicht; eine Kleinigkeit unterschlagen hatte. »Lady Agatha Simpson«, erläuterte Parker, nachdem Griffins respektvoll seinen Namen genannt hatte. »Sprach Angels nicht von zwei Toten innerhalb der vergangenen vierzehn Tage?« erinnerte sie den Butler. »In der Tat, Mylady«, räumte Parker ein. »Um welchen Toten handelte es sich?« Agatha Simpsons Stimme hatte es in sich und duldete kein Ausweichen. »Zwei Tote schon, aber keine Mordfälle«, stellte Griffins richtig. »In einem Fall wurde ein Camper hier vom Platz überfahren, im zweiten Fall ertrank ein Schwimmer draußen im Meer.« »Nur so?« Agatha Simpsons Augen funkelten animiert.
»Er wurde von einem Motorboot überfahren«, präzisierte der Inspektor. »Und in beiden Fällen wurde doch hoffentlich Fahrerflucht begangen, nicht wahr?« Lady Agatha fühlte sich in ihrem Element. »Das stimmt wirklich«, erwiderte Griffins. »Ich werde Ihnen kaum ins Handwerk pfuschen«, redete die streitbare Dame weiter, »aber ich möchte wetten, daß die beiden Toten mit Mister Angels bekannt waren.« »Das müßte ich erst nachprüfen lassen«, sagte der Inspektor verblüfft. »Sie werden sehen, daß das stimmt.« Lady Agatha nickte nachdrücklich, als unterstreiche sie bereits eine Tatsache. »Ich muß noch mal auf die Rowdies zurückkommen«, wechselte Griffins hastig das Thema. »Sie würden sie wiedererkennen ? « »Mit letzter Sicherheit«, gab der Butler zurück. »Zudem möchte ich sagen, daß gewisse Spuren darauf verweisen, daß sie sich in jüngster Zeit geprügelt haben.« »Glauben Sie, damit bereits die Mörder zu haben?« Agatha Simpson sah den irritierten Beamten kopfschüttelnd und fast ein wenig mitleidig an. »Junger Mann, Sie machen sich die Sache etwas zu einfach, aber bitte, Sie vertreten das Gesetz.« Parker besann sich plötzlich auf das Silberkettchen in der Tasche seines Zweireihers, doch aus Sorge, Myladys Mißfallen zu erregen, verschwieg er erst mal diesen Fund. Lady Agatha hätte ihn sonst wahrscheinlich später in der Luft zerrissen. Inspektor Griffins bedankte sich bei Parker für die Aussage und nickte Mylady höflich zu. »Sobald Sie Ihre Adresse in London hinterlegt haben, können Sie natürlich fahren«, sagte er. »Wo denken Sie hin, junger Mann?« Mylady schüttelte energisch den Kopf. »Wir werden bleiben. Sie erreichen uns jederzeit im Majestic. Ich bin sicher, daß Sie unsere Hilfe noch brauchen.« Inspektor Griffins hütete sich, mokant zu lächeln. Diese Frau beeindruckte ihn, ja machte ihn sogar unsicher. Die Spurensicherung hatte den Wohnwagen inzwischen freigegeben. Der Butler ging noch mal in den Wagen, in dem er erst vor kurzer Zeit bewirtet worden war, und sah auf Angels hinunter, den man aus nächster Nähe niedergeschossen hatte. Was, so fragte er sich, mochte Angels ihm verschwiegen haben? Hatte er sich auf ungesetzliche Dinge eingelassen und dafür jetzt die Quittung erhalten? Parker konnte sich das kaum vorstellen. Er kannte Angels nicht besonders gut, hatte ihn aber immer als einen hilfsbereiten und ehrlichen Mann geschätzt. Daher hatte er ihm ja auch spontan seine Hilfe zugesagt und Angels eine neue Stelle verschafft. Handelte es sich hier etwa um den sinnlosen Mord einiger Rowdies, die sich für eine Niederlage rächen wollten? Dann mußte er, Josuah Parker, sich mitschuldig fühlen, denn er war es ja gewesen, der die Rowdies nachdrücklich in die Flucht geschlagen hatte.
Oder steckte mehr hinter diesem Mord? *** Kathy Porter hatte sich blitzschnell entschieden, nicht zurück in die Hotelbar zu laufen. Das hätte zu ihr als Sekretärin nicht gepaßt. Woher, so hätte man sich später fragen können, wußte sie so genau, wie ein schallgedämpfter Schuß sich anhört? Sie gingen aber schnell weiter um die Ecke der Bar herum und prallte dort mit einem Mann zusammen, der es eilig hatte. Er trug den Servierfrack eines Kellners, schob Kathy aus dem Weg und hatte dabei das Pech, über ihr linkes Bein zu stolpern, was seinem Gleichgewicht nicht bekam. Der Mann ging zu Boden und griff hastig nach einer Waffe, auf deren Mündung ein moderner Schalldämpfer saß. Kathy tat instinktiv so, als habe sie nichts gesehen. »Entschuldigung«, sagte sie bestürzt und half ihm hoch. Er hatte sich das rechte Knie verletzt, das Loch in der Hose war nicht zu übersehen. »Schon gut«, murmelte er und lief weiter, wobei er deutlich hinkte. Sein Ziel war ein kleiner Austin, der an der Straßenecke stand. Der Mann stieg ein, hatte Schwierigkeiten mit dem Anlasser und redete auf den Insassen ein, der links von ihm saß. Endlich rauschte der Motor auf, der Austin machte einen Blitzstart, als ginge es um einen Rennsieg, und wischte dann mit ausbrechendem Heck endgültig um die Ecke. Kathy hatte sich das Gesicht des Frackträgers eingeprägt. In solchen Dingen war sie geschult und wurde von einem gewissen Josuah Parker immer wieder trainiert. Den Beifahrer im Austin hingegen hatte sie nicht so genau beobachten können, dazu war die Zeit zu kurz. Gewisse Merkmale dieses Gesichts hatte sie aber ebenfalls registriert. Sie hörte hinter sich schnelle Schritte, drehte sich schnell um und behinderte die beiden jungen Männer, die zu Dan Hodner gehörten. Die hatten es ebenfalls eilig und waren offensichtlich hinter dem Frackträger her. In dem Bestreben, ihnen den Weg frei zu machen, wich Kathy nach links aus und stieß mit dem jüngeren der beiden Männer zusammen. Er wich nach rechts aus, rempelte seinen Begleiter an und warf ihn ungewollt gegen die Hauswand. Es dauerte wertvolle Sekunden, bis sie wieder sicher auf den Beinen waren. »Was ist denn los?« fragte Kathy Porter und rieb sich den geprellten Arm. »Ist hier gerade ein Mann vorbeigekommen?« fragte der ältere. »Vorbeigerannt«, korrigierte Kathy empört, »und er hätte mich fast umgestoßen.«
»Einer, der 'nen Frack trug?« fragte der andere Mann, der normalerweise einen Zahnstocher kaute. »Ja, natürlich, gerade ...« Sie nickten sich zu, rannten quer über die Straße und erreichten die Ecke. Natürlich konnten sie den Austin nicht mehr sehen. Der kleine Wagen war wohl längst in eine der vielen Querstraßen abgebogen. Es dauerte knapp eine Viertelstunde, bis die beiden Männer herauskamen und den dicken Mann abschirmten. Dan Hodner, der ihr eine glänzende Karriere versprochen hatte, schien unverletzt zu sein. Die drei Männer stiegen in einen Volvo und fuhren sofort los. Am Steuer des Volvo, der vorgefahren war, saß ein kleiner, schmaler Mann mit hoher Stirnglatze. Natürlich prägte Kathy Porter sich die Nummer dieses Wagens ein, der laut Kennzeichen in Liverpool registriert war. Die junge Dame ließ den servierten Tee stehen und beeilte sich, zurück ins Majestic zu kommen. Sie konnte sich vorstellen, daß Mylady bereits ungeduldig geworden war. Die Chefin wollte ja gegen Abend wieder zurück in London sein. Als sie die Straße hinunterschritt, merkte sie nicht, daß sie von einem gemütlich aussehenden Mann verfolgt wurde. Dieser rundliche Typ sah aus wie ein Rentner und hatte die Augen einer Giftschlange. *** »Ein wunderschöner Badeort«, schwärmte Agatha Simpson. Sie stand auf dem Balkon ihres, Hotelzimmers und ergötzte sich am Anblick der See, doch sowohl Butler Parker als auch Kathy Porter wußten genau, daß die streitbare Dame nicht an die Schönheit der Natur und des Wassers dachte. Sie war wieder mal sehr angeregt und freute sich auf einen Kriminalfall, der noch einige böse Überraschungen zu bieten schien. Kathy Porter hatte von ihren Erlebnissen mit Dan Hodner berichtet. Weder Parker noch Mylady wußten mit diesem Namen etwas anzufangen, doch der Butler hatte bereits seine Verbindungen zu gewissen hohen Polizeioffizieren spielen lassen. Er hoffte, auf diesen Umwegen etwas über den dicken Mann zu erfahren. Während Lady Simpson sich ins Hotelzimmer zurückbegab, studierte Parker noch immer das silberne Kettchen. Die Glücksbringer gaben wenig her, es handelte schlicht gesagt um Kitsch, wie man ihn an allen Andenkenbuden unter anderem erstehen kann. Da waren zwei superkleine Fausthandschuhe aus Plastik, ein Eispickel für Hochgebirgstouren in Kleinstausgabe. Glücksschweinchen und Kleeblätter. Der Träger des Kettchens schien von den Realitäten des Lebens nicht viel zu halten und bemühte sein Glück. Die eigentlichen Anhänger hingegen gaben mehr her. Sie waren bunt emailliert und belegten, welche Städte der Besitzer des Kettchens wohl schon mit seinem Besuch beehrt hatte. Blackpool war darin und
erstaunlicherweise auch Orte und Städte in Nordirland. Da waren Dublin, Drogheda, Balbriggan und schließlich Bray. »Sie lassen sich sehr viel Zeit, Mister Parker«, beschwerte sich Agatha Simpson grollend. »Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was das Kettchen uns mitzuteilen hat?« »Der Besitzer besagten Kettchens, Mylady, muß einen regen Fahrverkehr mit der Isle of Man und Nordirland unterhalten«, kommentierte Parker seine Entdeckung. »Ist das alles?« Agatha Simpson war nicht sehr zufrieden. »Zudem lautet sein Vorname Ray«, teilte der Butler weiter mit und tippte auf das flache Namensschild. »Er erhielt dieses Kettchen offensichtlich von einer gewissen Helen.« »Warum unternehmen wir dann nichts?« »Denken Mylady an bestimmte Unternehmen?« fragte Parker vorsichtig. »Spüren Sie diesen Ray und diese Helen auf«, ordnete Agatha Simpson an, »besonders schwer kann das doch wohl nicht sein. Ich möchte wetten, daß die fünf jungen Lümmel auf dem Campingplatz beheimatet sind.« »Ich werde mich umgehend darum kümmern, Mylady.« »Wir werden uns darum kümmern«, entschied die Dame mit der detektivischen Ader. »Glauben Sie wirklich, ich bliebe hier im Hotel? Ich würde mich ja zu Tode langweilen.« Parker hatte keine Gelegenheit mehr, mit Lady Simpson über diesen Punkt zu diskutieren, denn der Empfang des Hotels rief an und meldete die Anwesenheit eines gewissen Inspektor Griffins. »Was will denn dieser Schafskopf von uns?« Agatha Simpson konnte sich mitunter sehr deutlich ausdrücken. Es war Parker klar, daß sie den Inspektor nicht mochte. Sie hielt ihn für einen Schematiker, doch Parker sah die Sache erheblich anders. Seiner Ansicht nach war Griffins ein qualifizierter Praktiker. Die Begrüßung durch Inspektor Griffins fiel erstaunlich respektvoll aus. Warum, sollte sich bald zeigen. Er war von London aus informiert worden, mit welch einem Trio er es zu tun hatte, mit einem Trio, dessen Dienste schon häufig höchste Regierungsstellen gerne in Anspruch nahmen. »Ich bin vom Yard angerufen worden«, berichtete Griffins. »Ich glaube, Sie brauchen eine Auskunft über einen gewissen Dan Hodner, nicht wahr?« »Warum fragen Sie, wenn Sie's bereits wissen?« knurrte Lady Simpson den Inspektor an. »Nun, im Yard weiß man so gut wie nichts.« Inspektor Griffins ließ sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen. »Hodner ist in jungen Jahren in zwei Fällen wegen leichten Diebstahls vorbestraft worden. Jugendsünden, unerhebliche Fälle.« »Das kann ich einfach nicht glauben. Mehr weiß man im Yard nicht?« Agatha Simpson ärgerte sich deutlich. Sie hatte mehr erwartet. »Ich könnte Ihnen mit mehr dienen.« Griffins schmunzelte und nahm Platz, ohne dazu aufgefordert worden zu sein.
»Muß ich jetzt einen Kniefall vor Ihnen tun?« fauchte Mylady den amtlichen Besucher an. »Geschenkt, Mylady!« Griffins schmunzelte behäbig. »Ich möchte eine ältere Dame nicht unnötig strapazieren.« Lady Agatha stutzte, musterte den Inspektor mit scharfem Blick und lachte plötzlich schallend. »Gewonnen«, sagte sie dann. »Sie haben den Biß, den ich schätze.« »Dagegen weiß ich nicht, wie Sie an Hodner geraten sind.« »Ist das hier an der Küste ein bekannter oder berüchtigter Name?« Lady Simpson wollte nicht mit der Sprache heraus. »Sie haben ihn hier in Lytham St. Annes kennengelernt?« Griffins ließ sich nicht ablenken. »Miß Porter, meine Sekretärin, kann sich jederzeit von ihm anstellen lassen. Er bietet ihr einen Vertrag als Tänzerin.« »Dann können Sie Karriere machen«, antwortete der Inspektor. »Verbindungen und Möglichkeiten dazu besitzt Hodner.« »Er sprach mich am Strand an«, präzisierte Kathy und nahm den warnenden Blick Parkers wahr. Sie wußte, was sie nicht erzählen sollte. »Ich bin natürlich nicht darauf eingegangen.« »Aber Sie sind zusammen mit ihm in eine Hotelbar gegangen, nicht wahr?« Griffins wußte erstaunlich viel. »Er lud mich ein.« »Von dem Schuß auf Hodner haben Sie nichts mitbekommen, wie?« »Schuß?« Kathy tat ahnungslos. »Auf Hodner ist geschossen worden?« Mylady wunderte sich ungemein. »Ein als Kellner verkleideter Mann stahl sich ins Hotel und schoß auf Hodner«, sagte Griffins. »Er traf nicht und konnte unerkannt entkommen.« »Darf ich daran erinnern, Sir, daß Sie sich über die Person besagten Mister Hodners auslassen wollten?« schaltete sich Parker ein. »Wie Sie andeuteten, ist er Ihnen nicht ganz unbekannt.« »Dan Hodner ist eine undurchsichtige und schillernde Figur«, antwortete der Inspektor. »Er betreibt einige Music Halls und Diskotheken hier an der Küste und drüben auf der Isle of Man. Er verdient damit viel Geld und bezahlt pünktlich seine Steuern. Er ist an einigen Campingplätzen beteiligt, vermietet Wohnwagen und Trailer und betreibt einen gutgehenden Bootsverleih.« »Sie mögen ihn nicht?« Mylady hatte natürlich ebenfalls gehört, daß Griffins' Tönfall nicht gerade begeistert klang. »Ihn nicht und auch nicht seine beiden Leibwächter«, gab Griffins ehrlich zu. »Was hat er zu befürchten, daß er sich zwei Leibgardisten hält?« Lady Simpson war gespannte Erwartung. »Er gibt an, es nicht zu wissen«, erwiderte Griffins, »aber es steht fest, daß in jüngster Vergangenheit einige Mordanschläge auf ihn verübt worden sind. Das ist aktenkundig und durch unbeteiligte Augenzeugen bewiesen.«
»Wo residiert denn dieser Hodner?« »In einer großen Strandvilla, in der Nähe seines Bootsverleihs«, gab Griffins zurück. »Ist nicht zu verfehlen, Mylady.« »Ich werde mich mit diesem Mann unterhalten«, ließ die Detektivin sich energisch vernehmen. »Ich werde ihm meinen Standpunkt klarmachen. Ich lasse mir meine Mitarbeiter nicht abwerben.« »Viel Glück«, wünschte Griffins, bevor er ging. *** Die Adresse auf der Visitenkarte, die Dan Hodner Kathy Porter in die Hand gedrückt hatte, stimmte. Das große, dreistöckige Haus war tatsächlich eine Villa, erbaut wahrscheinlich zur Zeit der Jahrhundertwende. Sie zeichnete sich durch eine große Zahl von Erkern, Türmchen und Glasveranden aus. Das Gebäude lag hart am Ufer des Ribble und war umgeben von einer hohen Steinmauer. Selbst zur Wasserseite hin war es durch einen Maschendraht abgesichert. Das Haus war schneeweiß und in bestem Zustand. Das Tor zur Auffahrt war selbstverständlich geschlossen und machte einen abweisenden Eindruck. Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, eines ehemaligen Londoner Taxis,, das nach seinen Plänen und Vorstellungen technisch umgestaltet worden war. Nur der eckige Aufbau war belassen worden und tarnte im Grund die vielen Überraschungen, die dieser Wagen enthielt. Im Fond saßen Agatha Simpson und Kathy Porter. Mylady hatte davon Abstand genommen, sich bei Dan Hodner zu beschweren. Kathy Porter wollte zum Schein auf das Angebot dieses Mannes eingehen und so in Erfahrung bringen, was er eigentlich wollte. Wogegen nicht nur Lady Simpson, sondern auch Butler Parker war. Die Sache konnte unter Umständen gefährlich werden. Hodner war sicher kein angenehmer Zeitgenosse. Nicht weit von der Strandvilla Hodners entfernt befand sich der Bootsverleih, von dem Inspektor Griffins gesprochen hatte. Es zeigte sich, daß er dabei sehr untertrieben hatte. Dieser Bootsverleih hatte sich auf seetüchtige Motor- und Segeljachten bis zu beachtlicher Größe spezialisiert. Ruder- oder Tretboote waren weit und breit nicht zu sehen. Wer hier mietete, mußte Geld mitbringen. Daß dieser Verleih sich rentierte, war deutlich an den parkenden Wagen auf dem Vorplatz zu sehen: Luxuswagen aller Marken und Klassen gaben sich hier ein Stelldichein. »Warten Sie einen Moment, Mister Parker«, bat Kathy, die vorn am Bootssteg einen Volvo entdeckt hatte. Sie beugte sich etwas vor, um das Kennzeichen besser zu erkennen. Die Nummer, die sie sich merkte, stimmte mit der in ihrem Gedächtnis überein. Und dann sah Kathy darüber hinaus auch noch den kleinen
Mann mit der hohen Stirnglatze, der den Volvo gefahren hatte. Er trug ölverschmierte Jeans und darüber einen Pullover mit Rollkragen. Er gehörte eindeutig zum Bootsverleih, denn er hatte einen Handwerkskasten in der Hand, den er in den Kofferraum des Volvo stellte. »Vielleicht erfährt man mal bei Gelegenheit, was Sie entdeckt haben, Kindchen?« raunzte Lady Simpson ihre Gesellschafterin an, die sie übrigens wie ihre Tochter hielt. »Das ist der Fahrer des Volvo, von dem ich erzählt habe«, sagte Kathy Porter. »Wennschon, das bringt uns nicht weiter. Daß er zu Hodners Leuten gehört, dürfte ja wohl klar sein.« Agatha Simpson war leicht enttäuscht. »Haben Sie nicht mehr anzubieten?« Nun, der Detektivin wurde noch ein Angebot gemacht, wenn auch nicht von ihrer Gesellschafterin. Unten im Jachthafen des Verleihs schoß plötzlich eine schlanke und grellrote Feuersäule senkrecht in die Luft, Bruchteile von Sekunden später war eine mächtige Detonation zu hören. Die Druckwelle ließ selbst Parkers hochbeiniges Monstrum auf der Straße noch sanft in den Federn schaukeln. Parker sah inzwischen interessiert zu, wie sich eine Motorjacht aus dem Wasser hob, zerlegte, zu Kleinholz wurde und dann als Bruchstücke wieder zurück ins Wasser klatschte. Ein wahrer Regen von vielen kleinen Geschossen, die aus dem Boot stammten, flog über den Parkplatz und lädierte den Lack und die Scheiben einiger Luxusautos. Dicht vor dem Kühler von Parkers Wagen landete eine total verbogene Positionslampe aus Messing. »Diesem Hodner scheint man tatsächlich etwas zu wollen«, stellte Agatha Simpson zufrieden fest. »Ich werde sofort nachsehen, ob Menschenleben in Gefahr sind«, sagte Parker und wartete die Genehmigung seiner Herrin erst gar nicht ab. Er öffnete die Tür und schritt schnell, aber durchaus noch würdevoll zum nahen Parkplatz und Bootsverleih. »Sie werden im Wagen bleiben, Kindchen«, ordnete die Lady an und folgte ihrem Butler. Weder Parker, Agatha Simpson noch Kathy Porter hatten die ganze Zeit über auf den rundlichen Mann geachtet, der wie ein Pensionär aussah und kalte Schlangenaugen hatte. Als auch die Detektivin auf dem Parkplatz verschwunden war, pirschte dieser seltsame Rentner sich an Parkers Wagen heran. Die Rauchwolke über dem Gelände hatte sich immer noch nicht verflüchtigt. *** Es wimmelte von aufgeregten Menschen, aber niemand kümmerte sich um den rundlichen Rentner, der Kathy Porter in die Mündung einer faustgroßen Schußwaffe blicken ließ.
Streifenwagen der Polizei kamen heran, Befehle wurden gebrüllt, uniformierte Beamte schwärmten aus, in der Ferne war das Signal eines Krankenwagens zu hören, doch den Mann störte das überhaupt nicht. »Steig aus, Mädchen«, sagte er ruhig, »mach keine Zicken und geh da rüber zu dem VW!« »Sie müssen mich verwechseln.« Kathy stotterte gekonnt ängstlich. »Geh schon endlich, Mädchen! Ich schieß' nicht gern auf Frauen ...« »Was wollen Sie denn von mir?« Kathy hatte in die Schlangenaugen gesehen und verzichtete auf eine Antwort. Sie stieg gehorsam aus und ging zu dem grauen VW, der drüben auf der anderen Straßenseite stand. Sie hörte hinter sich das Schnaufen des rundlichen Mannes, der dichtauf folgte. Kathy war mit dieser Einladung überhaupt nicht einverstanden und hätte sich dagegen nur zu gern verwahrt, doch sie riskierte es nicht. Sie hatte die Augen des Mannes gesehen und wußte, daß er nicht spaßte oder bluffte. »Setz dich ans Steuer und hau einfach ab«, sagte der Rentner. »Warte, bis ich auf der anderen Seite bin.« Nein, sie hatte keine Chance. Kathy Porter fühlte instinktiv, daß dieser Mann rücksichtslos schießen würde. Er konnte damit rechnen, daß der Schuß in dem allgemeinen Trubel und Lärm noch nicht mal registriert wurde. Gehorsam wie ein paar Minuten vorher wartete sie, bis ihr Entführer auf der anderen Seite war. Als er ihr zunickte, setzte sie sich ans Steuer, der Mann neben sie. »Mach schon«, sagte er ohne Ungeduld, »'nem vernünftigen Mädchen passiert selten was. Mußt du dir mal für die Zukunft merken.« »Gibt's die für mich?« fragte Kathy, als sie anfuhr. »Immer.« Der Rundliche mit dem Rentnergesicht nickte. »Erzähl mir was von dir, Mädchen! Ich möchte dich kennenlernen.« »Wer sind Sie? Warum haben Sie mich gekidnappt? Ich bin für Sie doch völlig uninteressant.« »Denkste!« Der Rentner lächelte für einen Moment. »Erinnere dich mal an die Geschichte vor der Hotelbar.« »Lieber nicht«, gab Kathy Porter zurück, »das war eine tolle Rempelei. Haben Sie die mitbekommen?« »Ich hab' alles genau gesehen.« »Was soll ich Ihnen dann noch erzählen?« Während sie sprachen, steuerte Kathy den VW durch die kleine Seestadt und erhielt von ihrem Entführer den Hinweis, in Richtung Blackpool zu fahren, eine Straße, die sehr belebt war und ihre Aufmerksamkeit beanspruchte. »Wer waren die beiden Typen, die aus dem Lieferanteneingang kamen?« »Sie müssen zu einem Mister Hodner gehören«, antwortete Kathy. »Dieser Hodner, den ich überhaupt nicht kenne, hatte mich zu einem Drink eingeladen.« »Und da gehen Sie so einfach mit?« Skepsis lag in seiner Frage.
»Ich war eben neugierig«, verteidigte sich Kathy. »Und es hat sich gelohnt! Er will mich als Tänzerin engagieren.« »Dieses Miststück!« »Sie kennen Hodner?« »Man kennt doch solche faulen Tricks« erwiderte er ausweichend. »Der Kerl sucht sich wahrscheinlich was fürs Bett. Aber mal 'ne andere Frage, was war denn mit dem Burschen, der den Frack trug?« »Umgestoßen hätte er mich beinahe.« »Es sah so aus, als hätten Sie ihm ein Bein gestellt.« »Warum hätte ich das tun sollen?« Kathy merkte, daß der Frackträger das Hauptthema war. Alle Fragen vorher dienten nur dazu, dieses Thema abzudecken. »Der Junge schrammte ganz schön hin«, redete der Rentner weiter. »Ich glaube, die beiden anderen Männer waren hinter ihm her«, sagte die junge attraktive Sekretärin. »Würdest du den Frackmann wiedererkennen?« Er stellte die Frage etwas zu beiläufig, in Wirklichkeit aber ging es ihm wohl nur darum. »Wie sollte ich?« meinte Kathy und tat sehr nachdenklich, um dann den Kopf zu schütteln. »Dazu ging doch alles viel zu schnell.« »Hatte der Frackbursche nicht etwas aus der Hand verloren? Es kam mir wenigstens so vor.« »Ich habe nichts gesehen.« »Du bist 'n cleveres Mädchen«, stellte der Rentner fest und sah sie mit seinem Schlangenblick an. »Ich wette, du hast's faustdick hinter den Ohren.« »Kann ich jetzt endlich erfahren, warum Sie mich gekidnappt haben?« fragte Kathy erneut. »Um was geht es denn eigentlich? Bei mir ist nichts zu verdienen.« »Laß dich überraschen, Mädchen«, gab der Rentner zurück und streichelte seine Schußwaffe mit der freien Hand. *** Josuah Parker machte eine interessante Entdeckung. Die schwarze Rauchwolke hatte sich verzogen und gab den Blick frei auf das Wrack im Wasser. Feuerwehrleute löschten die Trümmer, Polizisten drängten neugierige Zuschauer zurück. Angestellte des Bootsverleihs waren damit beschäftigt, die teilweise beschädigten übrigen Boote an sicherer Stelle neu zu vertäuen. Auf dem Wasser des Jachthafens trieben brennende Ölflecken, die mit Schaum unter Kontrolle gehalten wurden. »Ich bin guter Hoffnung, Mylady, Ihnen eine erfreuliche Mitteilung machen zu können«, sagte Parker, nachdem er sich die Angestellten des Jachthafens etwas genauer angesehen hatte. »Wenigstens etwas«, knurrte sie zurück. »Zwei der jungen Männer dort am Kai gehören eindeutig zu jenen Rowdies, die meine bescheidene Wenigkeit in der Campingstadt überfielen.«
»Genauer, wenn ich bitten darf. Welche jungen Männer?« »Darf ich Myladys Aufmerksamkeit auf jenes schlanke Subjekt lenken, das ein blaues Auge und eine Rißwunde auf der Stirn hat?« »Ein unsympathisch aussehender Flegel!« Mylady nahm den Angestellten zur Kenntnis. »Der zweite junge Mann dort gehörte ebenfalls zu den Rowdies.« »Der Lümmel mit dem Bürstenhaar?« . . »Und der verarzteten Nase, Mylady, sehr wohl.« »Sie dürften ihm das Nasenbein gebrochen haben«, stellte Agatha Simpson zufrieden fest. »Falls ja, Mylady, so war dies gewiß nicht meine erklärte Absicht.« »Dann dürften die drei anderen Flegel ebenfalls zum Bootsverleih gehören, oder?« »Dieser Schluß, Mylady, bietet sich an.« »Stellen Sie das doch bitte fest, Mister Parker. Sie wissen ja jetzt, wo Sie ansetzen müssen. Zudem haben Sie noch das Armkettchen.« »Im Augenblick dürfte dort unten im Jachthafen eine geringe - Gesprächsbereitschaft bestehen, Mylady.« Sie sah es ein und war bereit, zurück zum Wagen zu gehen. »Halten wir also fest«, meinte sie sichtlich animiert, »es gibt da gewisse Zusammenhänge. Die fünf Rowdies arbeiten wahrscheinlich für Dan Hodner, der seinerseits nicht ganz sauber ist.« »Davon könnte man ausgehen, Mylady.« »Unterbrechen Sie mich nicht immer«, raunzte sie ihn mit ihrer baritonal gefärbten Feldwebelstimme an. »Natürlich kann man davon ausgehen, Ihr Kollege Angels nun fühlte sich von diesen Rowdies bedroht, also wahrscheinlich auch indirekt von Hodner.« Parker schwieg. »Warum sagen Sie nichts?« grollte sie ihren Butler sofort wieder an. »Wollen Sie in einen Redestreik treten?« »Dies, Mylady, würde ich mir nie erlauben.« »Wir brauchen also nur noch ein Motiv, warum Ihr Kollege Angels erschossen wurde und weshalb die beiden anderen Männer tödlich verunglückten.« »Falls es da einen Zusammenhang gibt, Mylady.« »Er ist doch offenkundig«, schnarrte sie und schenkte Parker einen flammenden Blick. »Spüren Sie das denn nicht?« »Ich werde mich bemühen«, versprach Parker gemessen. »Zurück zu diesem Hodner. Inspektor Griffins, der übrigens recht erfreulich zu sein scheint, Mister Parker, laut Griffins also fanden auf Hodner in jüngster Vergangenheit einige Mordanschläge statt. Wie vor ein paar Stunden in der Hotelbar. Hodner ist der Schlüssel zu diesem Fall«, stellte Agatha Simpson fest. »Wir werden uns ab sofort intensiv mit ihm beschäftigen.«
»Mylady können sich völlig auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, versprach der Butler, dessen Stimme immer gedehnter wurde. Er entdeckte nämlich inzwischen, daß Kathy Porter den Wagen verlassen hatte. Ein ungutes Gefühl stieg in ihm auf. Er horchte in sich hinein und hörte das schrille Klingeln seiner inneren Alarmanlage. »Sie wird sich etwas umsehen«, sagte Lady Simpson, als Parker auf Kathys Fehlen aufmerksam gemacht hatte. Parker wußte es bereits besser. Ihm war klar, daß mit der jungen Dame etwas passiert war, was für sie nicht besonders angenehm sein konnte. Er ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie recht er hatte. *** »Steig aus«, kommandierte der Mann mit dem Rentnergesicht und verzichtete diesmal darauf, ihr seine Schußwaffe zu zeigen. Er brauchte nicht zu befürchten, daß seine Fahrerin Dummheiten machte. Sie befanden sich auf dem flachen Land, östlich von Blackpool, auf dem Hof einer Farm, deren Haupt- und Seitengebäude fast ein Quadrat bildeten. Kathy gehorchte und schaute sich um. Die Farm befand sich in einem ziemlich schlechten Zustand und schien wohl kaum bewirtschaftet zu werden. Das Wohnhaus machte einen verkommenen Eindruck. Die Fenster waren ungeputzt, die wenigen Vorhänge im Erdgeschoß glichen dreckigen Lappen. Unter dem Dach einer offenen Remise entdeckte sie einige Autos, die durchweg in Liverpool registriert waren. »Geh ins Haus, Mädchen«, sagte der Rentner und versetzte ihr einen leichten Stoß. Kathy ging und wußte nicht, was sie von dieser Entführung halten sollte. Während der Fahrt hatte sie sich selbstverständlich schon Gedanken gemacht. Hing dieses Unternehmen mit Dan Hodner zusammen? Das konnte sie sich kaum vorstellen. Oder handelte es sich wirklich nur um den Mann im Frack, nach dem der Dicke mit dem Rentnergesicht sich so nachdrücklich erkundigt hatte? Sie hatten das zweistöckige Farmhaus noch nicht ganz erreicht, als die Tür geöffnet wurde. Kathy erkannte den Mann sofort wieder. Es handelte sich um den Beifahrer aus dem Austin, mit dem der Frackträger seine Flucht aus der Hotelbar fortgesetzt hatte. Das ovale Gesicht und das spitze Kinn waren unverkennbar. Der Mann sah sie aus seinen etwas müden Augen aufmerksam an. Kathy tat natürlich so, als sei ihr dieses Gesicht völlig unbekannt. Sie hatte gelernt, ihre Miene zu kontrollieren. Sie befanden sich in einer großen Wohnküche, die deutlich zeigte, daß hier nur Männer lebten.
Der Abwasch im Doppelbecken aus Stein türmte sich, man schien seit Wochen den Boden nicht mehr gekehrt zu haben. Er war mit ausgetretenen Zigarettenstummeln übersät. Es roch nach schalem Bier, nach kaltem Rauch und nach verschüttetem Schnaps. Auf dem langen Küchentisch aus Holz standen sechs leere Teller und Blechtassen, woraus sich unter Umständen gewissen Schlüsse ziehen ließen. Kathy sah die beiden Männer abwartend an. Es mußte sich bald zeigen, was sie von ihr wollten. »Wir gehen rauf«, kommandierte der Rentner. »Wenn alles klappt, bist du in 'ner Stunde wieder bei deiner Lady.« Kathy glaubte ihm kein Wort. Der Mann mit dem ovalen Gesicht und dem spitzen Kinn kümmerte sich nicht weiter um sie, sondern verschwand hinter der Tür eines angrenzenden Raumes, in dem Kathy für Sekunden doppelstöckige Betten entdeckte, wie sie in Militärlagern üblich sind. Die Holztreppe, die ins Obergeschoß führte, knarrte und machte keinen sonderlich soliden Eindruck. Der Mann war dicht hinter ihr, sie hörte wieder sein angestrengtes Schnaufen. Oben auf der Galerie überholte er sie und öffnete eine Tür aus einfachen Holzbrettern. Das Schnaufen wurde lauter, als der Mann in den Raum zeigte. »In drei Minuten bin ich wieder zurück«, sagte er. »Zieh dich aus und reich mir dann die Klamotten durch die Tür!« »Ausziehen?« Kathy schluckte. »Ausziehen«, wiederholte er. »Keine Sorge, hier will kein Mensch was von dir. Is' nur wegen 'nem Fluchtversuch. Wenn man nackt ist, fühlt man sich nicht so sicher.« Sie betrat den Raum, der nicht größer war als eine Zelle. Das Fenster war vergittert, auf dem Boden lag eine alte Matratze. Sonst war nichts vorhanden. Kathy trat ans Fenster und sah auf die weiten Felder hinaus. Kein Mensch und kein Haus waren zu sehen. Sie befanden sich tatsächlich, in einer Einöde. Weit hinter einer früheren Koppel befand sich wahrscheinlich ein kleiner Bach oder Flußlauf. Kathy sah eine Reihe von Weiden, deren Zweige tief bis zum Boden hingen. Sie wandte sich wieder der Tür zu, hörte das Schnaufen und wußte, daß der Mann mit dem Rentnergesicht sie beobachtete. So empfindungslos, wie er sich gab, war er also nicht. Er wollte als heimlicher Zuschauer auf seine Kosten kommen! Nun, von ihr aus konnte er das haben. Kathy war nicht prüde und sich der Schönheit ihres Körpers bewußt. Oft genug schon hatte sie ihn indirekt als Waffe benutzt, wenn es galt, sich aus | schier ausweglosen Situationen wieder herauszuwinden. Sie wußte, worauf eine gewisse Sorte von Männern ansprach.
Sie zog sich also aus und brauchte nicht viel Zeit dazu, zuerst das Kleid vom Körper, dann die Schuhe. Danach ging sie zur Tür und klopfte leise, fast schüchtern an. »Reich's raus«, sagte der Mann mit dem Rentnergesicht. »Ausziehen hatte ich aber gesagt, Mädchen, du hast was vergessen!« Er hatte sie also tatsächlich durch einen Spalt in der Brettertür beobachtet. Schnell zog sie wieder die Tür zu und ärgerte ihn. Sie blieb seitlich neben der Tür an der Wand stehen und schlüpfte jetzt noch aus dem Slip und dem BH. Mochte der Mann sich auch noch so sehr anstrengen, aus der Perspektive gab es für ihn nichts mehr zu sehen. Wie wütend er war, merkte sie daran, daß er ihr die beiden Kleidungsstücke förmlich aus der Hand riß. Kathy hörte seine sich entfernenden Schritte zuerst auf der Galerie, dann auf der Treppe. Sie faßte nach ihrer Perlenkette, die man ihr gelassen hatte. Damit besaß sie immerhin noch eine Waffe, mit der sich eine ganze Menge anfangen ließ, wenn man damit umzugehen verstand. Als sie zurück zum Fenster ging, hörte sie über sich ein schwaches knackendes Geräusch. Kathy sah hoch. Erst jetzt entdeckte sie, wie brüchig die Zimmerdecke war. Der Verputz fiel in großen Fladen ab und war schon gar nicht mehr vorhanden. Stellenweise waren halb verfaulte Strohmatten zu sehen, die den Verputz gehalten hatten. In einer Öffnung entdeckte Kathy ein Gesicht. Sie wußte sofort, um wen es sich handelte. Das war der Mann, der den Frack getragen hatte und über ihr Bein gestolpert war. Er trug eine Nickelbrille, die er abnahm, damit sie ihn deutlich wiedererkannte. »Hallo«, rief er leise nach unten. »Hallo«, antwortete sie nach oben und hütete sich, ein Wiedererkennen zu zeigen. »Erkennen Sie mich wieder?« fragte er und schob sein Gesicht noch tiefer an die Öffnung in der Zimmerdecke. Kathy blieb bei ihrer ersten Entscheidung., Sie durfte nichts zugeben, denn sie fühlte, daß es gerade jetzt um Leben oder Tod ging. »Woher?« fragte sie und tat verschämt. Sie riß die Matratze hoch und nahm hinter ihr Deckung. »Sie müssen mich doch wiedererkennen«, sagte er fast verzweifelt, »erinnern Sie sich!« »An was?« Kathy ließ sich nicht beirren, obwohl die Stimme des Mannes schier verzweifelt klang. »Wer sind Sie? Hält man Sie hier auch fest?« Das Gesicht verschwand plötzlich, und dann waren vorsichtig tastende Schritte auf der schwachen Decke über ihr zu hören, die sich aber entfernten. Kathy lauschte angestrengt. War der Mann wirklich gegangen? Oder wurde sie nach wie vor von ihm belauert? Ihre Entführer hatten sich das alles raffiniert ausgedacht. Sie hatten auf eine Gegenüberstellung verzichtet und sie hereinlegen wollen. Der Mann, um dessen
Gesicht es ging, hatte sich ihr plötzlich als Leidensgenosse präsentiert und darauf gesetzt, daß Kathy die Wahrheit sagte. Er hatte sie einfach überrumpeln wollen. Wer war dieser Mann? Doch offensichtlich eine wichtige Person, deren Identität geheim bleiben sollte. Ging es hier um einen Bandenkrieg unter Gangstern oder gar um mehr? Kathy vermochte auf diese Frage noch keine Antwort zu finden. *** Sie dachte nicht daran, untätig herumzusitzen und zu warten. Dazu war die Lage viel zu gefährlich. Sie mußte diese Farm so schnell wie möglich verlassen. Wahrscheinlich wußte sie inzwischen ungewollt bereits zuviel. Die Eisengitter vor dem Fenster hielten mehr, als sie versprachen, und die Decke war zu hoch, um sie über die senkrecht gestellte Matratze zu erreichen. Kathy besann sich auf ihre Perlenkette. Ein gewisser Josuah Parker hatte sie hergestellt. Der Faden, der die einzelnen Perlen zusammenhielt, bestand aus einem zähen, reißstarken Stahldraht, die Perlen enthielten kleine Eisenkerne. Dieses Schmuckstück stammte aus der Bastelstube des Butlers, der immer neue Verteidigungswaffen konstruierte. Kathy huschte zur Tür und entdeckte einen langen Riß in den dünnen Brettern. Sie konnte die obere Galerie gut überblicken und auch einen Teil der Holztreppe. Stimmen im Wohnraum waren nicht zu hören. Sollten ihre Peiniger das Haus verlassen haben? Vertraute man darauf, daß sie es nicht riskierte, nackt, wie sie war, zu verschwinden? Dann sollten die Burschen sich in ihr gründlich getäuscht haben! Kathy pochte gegen die Tür, zuerst schüchtern und leise, dann immer lauter und wütender. Im Haus blieb alles still. Sie ging zurück, nahm einen Anlauf und warf sich gegen die Bretter. Ihre Schulter schmerzte, doch die Tür rührte sich nicht. Kathy wurde klüger, lehnte die Matratze gegen die Tür, um weitere Prellungen zu vermeiden, nahm einen Anlauf und warf sich dann mit aller Kraft gegen die Matratze. Sie wagte kaum zu hoffen, als die Tür sich jetzt deutlich im Rahmen bewegte. Kathy Porter versuchte es erneut und immer wieder, bis die Tür aus den Angeln brach und den Weg freigab. Kathy atmete erleichtert auf, huschte hinaus auf die Galerie und sah hinunter in die Wohnküche. Kein Mensch war zu sehen. Die Stufen ächzten, als die junge Dame im Evaskostüm hinunterstieg, vorsichtig, zögernd und mißtrauisch. Sie huschte mit nackten Füßen über die Steinplatten der großen Wohnküche, öffnete leise die unverschlossene Haustür und sah hinaus auf den Hof der Farm. Von der Tür aus bemerkte sie, daß der VW verschwunden war. Sollten die drei Männer tatsächlich weggefahren sein, ohne eine Wache zurückzulassen? Waren sie
an ihr überhaupt nicht mehr interessiert? Hatten sie ihr abgenommen, daß sie den Mann im Kellnerfrack nicht erkannt hatte? Kathy schlüpfte durch die Tür. Ihr Ziel waren die beiden anderen Autos, die noch in der Remise standen. Es handelte sich um einen Armee-Jeep uralter Bauart und um einen Morris. Von Josuah Parker hatte sie gelernt, wie man einen Wagen kurzschließt, falls der Zündschlüssel mal nicht gerade greifbar war. Sie wußte sich also durchaus auch technisch zu helfen und hielt sich nicht unnötig damit auf, nach ihrer Kleidung zu suchen. Das spielte im Moment überhaupt keine Rolle. Hauptsache, sie kam erst mal weg von hier und konnte sich zu Menschen flüchten, die ihr dann weiterhalfen. Kathy hatte die Remise erreicht und versuchte den Morris zu öffnen. Die Türen waren verschlossen. Dann mußte eben der Jeep her. Als die Nackte sich unter das Steuerrad beugte, um nach den Zündkabeln zu suchen, spürte sie plötzlich eine kalten Gegenstand, der gegen ihre Hüfte gedrückt wurde, nicht fest, mehr spielerisch. Kathy erstarrte in der Bewegung und war im ersten Moment ihrer Überraschung nicht fähig, ein Glied zu bewegen. *** »Dieser Sittenstrolch muß Kathy entführt haben«, entschied Agatha Simpson grimmig und beobachtete das schneeweiße Haus Dan Hodners. »Dazu, Mylady, dürfte kaum ein Grund vorgelegen haben«, versuchte Parker die Streitlust seiner Herrin zu dämpfen. »Lehren Sie mich die Männer kennen«, grollte sie. »Sie können es nicht früh genug erwarten, zu ihren Vergnügungen zu kommen. Kathy muß sich dort in der Strandvilla befinden.« »Mylady!« Parkers Stimme hatte bei aller Würde und Vornehmheit einen leicht verzweifelten Unterton angenommen, denn die resolute Dame marschierte bereits auf stämmigen Beinen dem Tor zu, hinter dem die Villa lag. Parker mußte notgedrungen folgen und ahnte im voraus, daß es wieder mal schreckliche Verwicklungen geben würde. Er kannte das Temperament der Lady, die, wenn sie mal in Fahrt geraten war, einen modernen Jagdpanzer glatt ersetzte. Mylady hatte ihr Ziel noch nicht ganz erreicht, als von der Strandvilla ein Wagen losfuhr und sich näherte. Dieser Wagen - es handelte sich um einen USStraßenkreuzer - hielt vor dem Tor, der Beifahrer stieg aus und öffnete. Auf diesen Augenblick hatte Agatha Simpson nur gewartet. Sie kaufte sich den jungen Mann, der zu Dan Hodners Leibwache gehörte, auf ihre Art. Schnaubend vor Zorn baute sie sich vor ihm auf, während er einen der beiden Torflügel aufdrückte. »Wo erreiche ich Mister Hodner?« fragte sie. Sie entdeckte im Fond des Wagens den gesuchten Mann, der ihr von Kathy ja genau beschrieben worden war.
»Hallo, Tante, nicht so hastig«, sagte der junge Mann, als Agatha Simpson sich an ihm vorbeischob und zum Straßenkreuzer hinüberwollte. Er beging den Riesenfehler, sie am linken Ärmel ihres Kostüms festhalten zu wollen. Hätte er es besser nicht getan! Die forsche Detektivin war jetzt nicht mehr zu bremsen. Sie sorgte sich um Kathy und war nicht bereit, sich auf nutzlose Diskussionen einzulassen. Darum setzte sie ihren Pompadour ein, der äußerlich mehr als harmlos aussah, zumal er aus einer anderen Zeit stammte. Das perlenbestickte Handbeutelchen, in dem Damen gemeinhin ihr Taschentuch und ein paar Kosmetika unterbringen, war in Agatha Simpsons Hand eine fast schon bösartig zu nennende Waffe. Der Pompadour enthielt nämlich Myladys Glücksbringer, ein echtes Hufeisen, das aus dem Stall eines Pferdezüchters stammte. Der Mann empfing diesen getarnten Glücksbringer auf seiner Brust und glaubte, von einem auskeilenden Gaul getreten zu werden. Er verfärbte sich, schnappte nach Luft und ging in die Knie. Dann - Mylady hatte bereits die Tür des Straßenkreuzers erreicht - besann er sich auf seine Pflichten, glaubte wohl an ein besonders gut getarntes Attentat auf seinen Herrn und Meister und wollte seine Schußwaffe aus der Halfter ziehen. »Ich möchte keineswegs verhehlen, daß ich dagegen einige Einwände habe«, ließ sich hinter ihm eine höfliche und gemessene Stimme vernehmen. Sie gehörte zu Butler Parker, der knapp hinter dem jungen Mann stand und ihm seinen schwarz behandschuhten Zeigefinger gegen die hinteren Rippen drückte. Der Profi blieb unbeweglich stehen. Er glaubte, der Zeigefinger sei eine Waffenmündung. Widerspruchslos ließ er sich von dem Butler die Waffe abnehmen. Dies geschah mit der Schnelligkeit, die an die eines perfekten Taschendiebes erinnerte. Selbst ein aufmerksamer Beobachter hätte kaum etwas mitbekommen von dieser Szene. »Mister Hodner?« erkundigte sich Lady Simpson inzwischen. Sie hatte die hintere Wagentür des Straßenkreuzers aufgerissen und funkelte den dicken Mann an. Sein breitflächiges Gesicht hatte einen leicht fassungslosen Ausdruck angenommen. So etwas war ihm in seiner ganzen Praxis noch nicht passiert. Er drückte sich instinktiv in die äußerste Ecke des Wagens und rief dabei nach seinem Fahrer. Der junge Mann am Steuer war der zweite Profi, von dem Kathy erzählt hatte. Er hatte die Szene am Tor gerade noch mitbekommen und hielt bereits seine Waffe schußbereit in der Hand. »Wagen Sie es nicht, Sie Lümmel, eine alte Frau zu bedrohen«, herrschte Lady Simpson ihn an, ohne sich von der Waffe auch nur eine Spur beeindrucken zu lassen. »Nehmen Sie sofort dieses Dingsda herunter, oder ich verabreiche Ihnen eine Ohrfeige, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht!« Der junge Mann war fassungslos.
Er machte eine völlig neue Erfahrung, wurde unsicher und spürte Sekunden später auch schon einen Schmerz in seiner Hand. Der Pompadour hatte erneut zugeschlagen. Die Waffe polterte auf den Wagenboden. »Sie Lümmel«, warf Lady Simpson ihm an den Kopf, ohne sich noch weiter um ihn zu kümmern. Sie konzentrierte sich auf Hodner und fragte ihn nach dem momentanen Aufenthaltsort einer gewissen Kathy Porter. Sie fragte in einem Ton, der glatt den allgemeinen Weltuntergang hätte ankündigen können. *** Kathy Porter drehte sich langsam um. Sie wußte, daß eine falsche Bewegung den Tod bedeutete. Unversehens blickte sie einem grobschlächtigen Mann in die Augen, der an eine Frühform des Neandertalers erinnerte: mächtiger Körperbau, lange und behaarte Arme, eine niedrige Stirn und kleine, bösartig glitzernde Augen. Der Mann trug eine grobe Manchesterhose und ein buntkariertes Baumwollhemd. Leider auch einen Doppelläufer, dessen Mündung auf ihren Körper gerichtet war. Der Mann gluckste, was Kathy als schadenfrohes Auflachen deutete. »Abhauen, wie?« fragte er. »Sie müssen mir helfen«, beschwor Kathy den Mann, ihren Abscheu unterdrückend. »Rein ins Haus«, sagte der Neandertaler, »oder ich mach' Hackfleisch aus dir!« Kathy entschied - in Anbetracht der Lage - erst mal ohnmächtig zu werden. Was ihr täuschend gut gelang! Sie rutschte haltlos in sich zusammen, produzierte einen seufzenden Unterton der Schwäche und der Angst und wartete darauf, daß dieser Bursche seine Waffe aus der Hand legte und Kathy auffing. Doch der dachte nicht im Traum daran, blieb mißtrauisch und stocksteif stehen. Also mußte Kathy sich bequemen, restlos zu Boden zu gehen. Sie blieb regungslos und mit geschlossenen Augen auf dem Boden liegen und wartete ihrerseits ab. Kathy, auf den ersten Blick oft an ein scheues Reh erinnernd, war in Wirklichkeit ein cleveres junges Mädchen, das von Parker bestens geschult wurde. Sie baute auf ihre Nacktheit, auf ihr gutes Aussehen und auf die Schwäche der Männer vor hilflosen und mit hübschen Konturen ausgestatteten Frauen. Sie baute in diesem Fall auf Sand, denn der Klotz von einem Kerl rührte sich nicht. Er hielt seine Schrotflinte wachsam in den groben Händen und starrte auf sein Opfer hinunter. Was er sah, war geeignet, jeden Mann weich zu machen. Kathy Porter hatte sich eine dekorative Haltung ausgesucht, die nicht alles zeigte. Sie lag halb auf der Seite, die Beine leicht verschränkt. Der Mann mußte reagieren. Kathy wartete. In ihr kam eine Art Empörung hoch. Was war mit diesem Kerl nur los? Warum rührte er sich nicht? Sie beherrschte sich gerade noch, als er sie vorsichtig mit dem
Lauf der Flinte berührte und dann ziemlich roh auf den Rücken drehte. Am liebsten hätte Kathy jetzt ihre Hände hochgenommen, um ihre Blößen zu bedecken, die Augen geöffnet und .den Mann angesehen. Was spielte sich in seinem Gesicht ab, was wollte er? Sie hörte, daß er die Waffe wegstellte. Metall klirrte gegen Metall. Er hatte die Schrotflinte wohl gegen den Jeep gelehnt. Dann packten Hände zu, die wie Eisenklammern waren und keinen Widerstand duldeten. Kathy wurde aufgehoben, als sei sie eine leichte Feder, der Mann nahm sie auf seine Arme und drückte sie vorsichtig an sich. Geschult in Judo und Karate, hatte Kathy im Augenblick keine Möglichkeit, den Mann loszuwerden. Sie war ihm erst mal auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Er trug sie ins Haus zurück und vergaß darüber seine Doppelflinte. Im Gegensatz zu seinem vierschrötigen Körper bewegte er sich mit überraschender Leichtigkeit. Kathy landete also wieder im Farmhaus, wurde jedoch nicht hinauf in ihr Zimmer getragen. Er fegte mit einer Armbewegung den Tisch frei. Das dreckige Geschirr landete klirrend auf dem Steinboden. Dann legte der Mann Kathy auf den Tisch und beugte sich über sie. Die Nackte schluckte nervös, als er sein Ohr auf ihre Brust legte. Er forschte eindeutig nach ihrem Herzschlag. Dann bekam Kathy eine Gänsehaut. Ein Finger fuhr leicht über ihren Körper, glitt am Nabel vorbei und bewegte sich hinunter zu ihren Schenkeln. Kathy hätte in dieser Sekunde am liebsten laut geschrien. *** »Wer, verdammt, sind Sie?« brüllte Dan Hodner, der sich von seinem Schrecken erholt hatte. »Lady Simpson«, raunzte die streitbare Dame zurück. »Einen anderen Ton, wenn ich bitten darf! Sie haben es mit einer Lady zu tun. Ich wiederhole, noch mal: Wo haben Sie meine Sekretärin versteckt?« »Sie sind verrückt!« Dan Hodner hätte diese Feststellung besser nicht getroffen. Er handelte sich dafür eine gewaltige Ohrfeige ein, die ihn zurück in die Ecke des Wagens schleuderte. Er stöhnte auf, hielt sich die Wange und starrte Mylady wie eine Erscheinung an. »Jetzt wissen Sie hoffentlich, wie man sich einer Lady gegenüber benimmt«, sagte Agatha Simpson grimmig. »Sie kennen die Frage, Mister Hodner, ich warte auf die Antwort!« Der junge Profi am Steuer hatte inzwischen seine Schußwaffe gesucht und auf dem Wagenboden gefunden. Er drehte sich vorsichtig um und wollte Lady Simpson den Knauf der Waffe auf den Hinterkopf setzen. Doch Mylady war dagegen.
Sie schien so etwas geahnt zu haben und reagierte scharf. Sie hatte längst ihre Hutnadel in der rechten Hand und stach damit energisch zu. Die Spitze verschwand bis zu anderthalb Zentimeter im Unterarm des Waffenträgers. Der junge Profi heulte auf wie ein getretener Hund und öffnete seine Hand. Die Waffe landete auf dem Sitz, doch er sah sich nicht mehr in der Lage, nach ihr zu greifen. Eine seltsame, wohltuende Schwäche erfaßte ihn, ein heiteres, entspanntes Lächeln umspielte seine normalerweise schmalen Lippen. Er verdrehte die Augen, schielte und rutschte anschließend in sich zusammen. Myladys Hutnadel war natürlich präpariert. Diese Spezialbehandlung war in Parkers Bastelstube erfolgt. Er hielt es für richtig, seine beiden Damen mit ungewöhnlichen Verteidigungswaffen auszustatten. Er wußte ja schließlich, wie gefährlich das Leben sein konnte. »Wird's bald?« fauchte Agatha Simpson inzwischen den dicken Hodner an, der nicht begriff, warum sein Leibwächter sich ausgerechnet jetzt zu einem Schläfchen niederlegte. »Wovon reden Sie eigentlich?« Seine Stimme klang beunruhigt und rauh. »Kathy Porter, meine Gesellschafterin und Sekretärin! Sie wollten sie als Tänzerin für einen Ihrer Clubs engagieren.« »Ach so, die!« »Hoffentlich war das nicht abfällig gemeint?« grollte die Detektivin. »Nein, nein, natürlich nicht«, beschwor Hodner sein Gegenüber, »aber ich habe keine Ahnung, wo sie- steckt. Was ist denn überhaupt passiert?« »Sie ist verschwunden! Und nur Sie können sie entführt haben!« »Sie sind ... Ich meine, Sie irren, Mylady«, erwiderte er hastig, seinen ersten begonnenen Satz nicht beendend. »Ich habe andere Sorgen, als Mädchen zu entführen.« »Sorgen, die im Zusammenhang mit drei Morden stehen, nicht wahr?« Lady Simpson nahm nie ein Blatt vor den Mund. Sie hielt auch nicht viel von Taktik und sagte ungeniert stets das, was sie gerade dachte. Daher war sie in gewissen Kreisen auch so ungemein beliebt. Daß sie diesmal allerdings ins Schwarze getroffen hatte, war überraschend deutlich zu sehen. »Drei Morde?« Hodner starrte sie sehr wachsam und aus kalten Augen an. »Behaupten Sie nichts, was Sie nicht beweisen können! Und jetzt können Sie verschwinden!« »Sie haben einen Fehler gemacht, als Sie den armen Angels umbringen ließen«, antwortete Agatha Simpson. »Angels?« »Vor seiner Ermordung hatte er noch Zeit, meinem Butler einige Informationen zu geben«, redete Mylady weiter, »und darüber werden Sie sich den Hals brechen, Sie Monstrum! Man weiß, was Sie treiben!«
Es war reiner Bluff, was die Lady so sagte. Bluff und Ärger. Sie wollte diesen unsympathischen Mann nur in die Enge treiben, ihn verunsichern und auch ein wenig reizen. Sie wartete darauf, ihm den Glücksbringer auf die Nase zu setzen. Leider ging er auf ihre Absichten überhaupt nicht ein. »Lassen Sie mich in Ruhe«, brüllte er. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden! Und ich weiß auch nicht, wo Ihre Sekretärin steckt. Sie gehören ja in eine Anstalt!« Nun hatte er es gegen seinen ursprünglichen Willen doch noch geschafft. Lady Simpson langte zu ... Da sie mit ihrem Pompadour wegen der Enge im Wagen nicht richtig arbeiten konnte, trat sie ihm mit der Spitze ihres derben Schuhs gegen das Schienbein. Der Tritt fiel derart energisch aus, daß Hodner brüllte und von seinem Sitz hochfuhr. Er knallte mit dem Kopf gegen die Bespannung des Wagendachs, plumpste zurück und war aschfahl im Gesicht. »Ihnen werde ich noch die richtigen Flötentöne beibringen«, prophezeite Agatha Simpson ihm. »Sie scheinen immer noch nicht begriffen zu haben, wer Lady Agatha Simpson ist'.« *** »Wasser«, murmelte Kathy, bevor der Finger sich auf weitere Entdeckungsreisen begeben konnte. Sie öffnete die Augen, ließ die Wimpern flattern und stellte fest, daß der Mann zusammenschreckte. Er fühlte sich wie ein ertappter Dieb. »Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte der Neandertaler. »Sie nich' Ärger machen.« Er nickte ihr zu, versuchte ein Lächeln und eilte zum Waschbecken. Irgendwie tat er Kathy leid. Dieser Mann war von der Natur sicher stiefmütterlich behandelt worden. Sie sah ihm nach und rief sich zur Ordnung. Mitleid war jetzt nicht angebracht. Er war abgestellt worden, sie zu bewachen und festzuhalten. Und Kathy hatte keine Lust, auf die Rückkehr der drei dubiosen Männer zu warten. Er hatte ihr den breiten Rücken zugewendet. Kathy sprang blitzschnell vom Tisch herunter und lief zur Tür, die nur angelehnt war. Wie gefährlich dieser Mann war, bekam sie umgehend zu spüren. Dicht neben ihrem Kopf zerschellte ein Teller am Türrahmen. Er hatte ihre Flucht bemerkt und wollte sie auf seine Weise stoppen. Kathy duckte sich, schlüpfte durch die Tür und schmetterte sie hinter sich ins Schloß. Beim Betreten des Hauses hatte sie gesehen, daß die Tür eine Außenfalle besaß. Kathy war so mutig und geistesgegenwärtig, nicht sofort weiterzulaufen, sondern diese Falle erst zu schließen. Sie brauchte einen Vorsprung, wenngleich sie schon jetzt wußte, daß sie den Jeep nie in Gang brachte. Wie richtig sie gehandelt hatte, zeigte sich unmittelbar danach.
Der Mann war schnell, rüttelte bereits an der Tür und brüllte wütend, als er sie nicht öffnen konnte. Kathy rannte zurück zur Remise. Es ging ihr um die Doppelflinte, die Gefangene brauchte eine Waffe, um sich ihrer Haut zu wehren. Der Mann im Haus warf sich gegen die Tür, bekam sie nicht auf Anhieb auf und erschien am Fenster. Er riß es mit wenigen Hieben seines Ellbogens auf. Kathy hatte bereits die Doppelläufige in der Hand und feuerte den ersten Schuß auf das benachbarte Fenster. Sie wollte den Mann auf keinen Fall töten, sondern nur zurückschrecken. Der Massige, der sich gerade durch das Fenster zwängen wollte, bekam einige Schrotkörner ab und brüllte wie ein waidwundes Tier. Nicht vor Schmerz, sondern wohl mehr aus Wut und Zorn. Er ließ sich zurück ins Haus fallen und ging in Deckung. Kathy nahm die Doppelläufige in die rechte Hand und rannte weiter. Sie wußte, wo der leider sehr lange Zufahrtsweg endete. Hatte sie erst mal die Straße erreicht, konnte ihr nichts mehr passieren. Körperlich durchtrainiert, wie sie war, machte ihr der Lauf überhaupt nichts aus. Zwischendurch blieb sie immer wieder mal kurz stehen und hielt Ausschau nach dem Neandertaler. Es beunruhigte sie, daß er nicht zu sehen war. Hatte er sich wirklich so leicht abschrecken lassen? Dann entdeckte sie ihn. Es war Zufall, daß es dazu kam. Kathy Porter hatte sich umgedreht, wollte weiter in Richtung Straße laufen und sah ihn auf dem weiten Feld. Er warf sich gerade in das hohe Unkraut und wollte nicht gesehen werden. Er war schlau und gerissen. Der Mann wollte ihr den Weg abschneiden und hätte es wahrscheinlich auch geschafft. Kathy blieb sofort stehen und wurde nervös. Nur im zweiten Lauf der Flinte war noch eine Schrotpatrone. Sie hatte sich vergewissert, daß dem so war. Konnte sie sich damit den Weg freischießen? Hatte der Mann sich inzwischen nicht wieder bewaffnet? Kathy änderte sofort ihre Fluchtrichtung und lief hinüber zu den Weiden, die wohl einen kleinen Flußlauf säumten. Damit trickste sie den Verfolger erst mal aus, oder war es seine Absicht, sie in diese Richtung zu treiben? Er war bewaffnet. Nicht weit von ihr entfernt zischte ein Geschoß vorbei und verlor sich in der Weite der leeren Felder. Erst Bruchteile von Sekunden danach war der eigentliche Abschuß zu hören. Und sie rannte zurück zur Farm, wo sie sich bessere Chancen ausrechnete als hier auf den Feldern. Sie ärgerte sich, daß sie daran nicht vorher gedacht hatte. *** »Ich verbitte mir Ihren vorwurfsvollen Blick, Mister Parker«, grollte Agatha Simpson ihren Butler an.
»Mylady waren vielleicht ein wenig zu direkt, wenn ich dies bemerken darf.« »Diesen Monstren gegenüber kann man nicht direkt genug sein.» »Ein vorsichtiges Verfolgen des Mister Hodner wäre möglicherweise effektiver gewesen, Mylady.« »Schmieren Sie mir das nicht unnötig aufs Sandwich«, raunzte sie verärgert. Sie gab ihrem Butler recht und wußte, daß die Lage verfahren war. Hodner hatte sich mitsamt seinen beiden Profis in seine Strandvilla zurückgezogen und war damit in voller Deckung. »Darf ich mir erlauben, Mylady zurück zum Wagen zu geleiten?« Parker deutete auf sein hochbeiniges Monstrum. »Und dann? Was versprechen Sie sich davon?« »Darauf, Mylady, vermag ich leider nicht zu antworten.« Parker sagte die Wahrheit. Er war ratlos. Wo und wie sollte man nach Kathy Porter forschen? Die Chance, daß vielleicht Dan Hodner sich ungewollt als Pfadfinder betätigte, war vertan. »Lassen Sie sich gefälligst etwas einfallen«, forderte Lady Simpson, als sie im Fond von Parkers Wagen saß. Ihre Stimme klang erstaunlich sanft, fast bittend. »Ich werde mich bemühen, Mylady«, versprach Parker höflicherweise. »Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, sollte man vielleicht ins Hotel zurückkehren. Möglicherweise hat Miß Porter sich dort bereits telefonisch gemeldet.« »Natürlich wird sie inzwischen angerufen haben«, meinte die besorgte Dame und sah ihren Butler dabei vorwurfsvoll an. »Darauf hätten Sie auch früher kommen können, Mister Parker. Sie brauchen meinen Blutdruck nicht unnötig auf die Spitze zu treiben.« Parker gab zu, daß es sich leider um eine schwache Hoffnung handelte. Er beeilte sich dennoch, so schnell wie möglich ins Majestic zu kommen, und erkundigte sich sofort in der Hotelrezeption nach einem entsprechenden Anruf. »Kommen Sie mir ja nicht mit seelischen Beruhigungspillen«, grollte Lady Simpson, als Parker zu ihr in die Hotellounge kam. »Ich sehe es Ihnen an der Nasenspitze an, daß Kathy sich nicht gemeldet hat.« »Ich muß leider bedauern, Mylady.« »Dieses Mädchen zerrt an meinen Nerven«, erregte sich die Sechzigjährige. »Besorgen Sie mir einen Kreislaufbeschleuniger, Mister Parker!« »Er wird bereits serviert, Mylady. Ich war so frei, ihn gleich an der Rezeption zu bestellen.« Parker brauchte nur noch zur Seite zu treten. Ein Kellner servierte der Dame einen doppelten Kognak. »Kathy wird in letzter Zeit zu selbständig«, beschwerte sich Lady Simpson nach dieser herzhaften Erfrischung. »Man wird ihr ins Gewissen reden müssen!« »Sehr wohl, Mylady.« »Sie jagt mich von einer Unruhe in die andere.« »Augenscheinlich, Mylady.«
»Nehmen Sie sie ins Gebet, Mister Parker, sobald sie wieder zurück ist! Wer, glauben Sie, könnte sie entführt haben? Sie wissen doch inzwischen auch, daß sie gekidnappt worden ist, oder?« »Dies, Mylady, steht in der Tat zu befürchten.« »Wer könnte Kathy also entführt haben?« »Ich darf mir erlauben, Mylady, auf zwei Möglichkeiten zu verweisen«, antwortete der Butler, der respektvoll neben seiner Herrin stand, korrekt und untadelig. »Stehen Sie nicht herum, setzen Sie sich endlich«, fauchte sie ihn prompt an. »Wenn ich zu Ihnen hochsehe, bekomme ich Genickstarre.« »Mylady, ich möchte keineswegs widersprechen, aber meine Stellung als Butler läßt es nicht zu .. .« Weiter kam er nicht. Sie schaute hoch und funkelte ihn an. »Ich ziehe Ihnen eins mit dem Pompadour über«, sagte sie dann grimmig. »Setzen Sie sich endlich, verdammt noch mal!« Parker kam dem Wunsch der Lady nach und nahm auf der Kante eines Sessels Platz. Er wollte sein Gegenüber nicht unnötig reizen. »Zwei Möglichkeiten«, erinnerte Lady Simpson und nickte nachdrücklich. »Ich darf an die von Miß Porter geschilderte Szene vor und neben der Hotelbar erinnern«, begann Parker. »Miß Porter hatte das Unglück, wenn man so will, den flüchtenden Schützen im Frack zu behindern. Dadurch wurde dessen Flucht beinahe vereitelt.« »Sie glauben, daß dieser Kerl Kathy gekidnappt hat?« »Sie sah schließlich das Gesicht dieses Mannes, Mylady.« »Klingt einleuchtend. Und die andere Möglichkeit?« »Sie heißt Dan Hodner, Mylady. Miß Porter hatte das Pech, nach dem ersten Zwischenfall die Verfolgung durch die beiden Profis zu behindern.« »Und an welche Möglichkeit glauben Sie, Mister Parker?« »An die erste, Mylady, wenn ich offen sein darf.« »Was wissen wir von diesem Individuum?« »So gut wie nichts, Mylady. Miß Porter konnte in der ersten Überraschung sich leider nicht das Kennzeichen des Wagens merken. Es handelte sich übrigens um einen Austin, wie ich noch hinzufügen möchte.« »Dann sitzt das arme Kind zwischen zwei Stühlen«, stellte Agatha Simpson fest. »Mörder wie Verfolger nehmen unter Umständen an, Kathy habe jeweils für die andere Seite gearbeitet und stehe mit ihr in Verbindung.« »Besser, Mylady, hätte auch ich die augenblickliche Situation nicht umschreiben können.« »Lassen Sie mir noch einen Kognak bringen«, verlangte die Detektivin, »ich glaube, ich fühle mich nicht sehr wohl.« »Ich war so frei, Mylady, ihn bereits zu bestellen.«
*** Er trug ein automatisches Gewehr und pirschte sich in den Innenhof der Farm. Der grobschlächtige Mann, der an einen Urahn des Neandertalers erinnerte, war vorsichtig und mißtrauisch. Er wußte schließlich, daß Kathy ebenfalls eine Schußwaffe besaß. Und sie hatte ihm ja bereits gezeigt, daß sie damit umzugehen verstand. Kathy sah ihren Gegner deutlich vor sich. Sie war in die Scheune gelaufen, befand sich auf dem zweiten Heuboden und konnte durch die schadhaften Ziegel hinunter in den Hof sehen. Sie hätte natürlich schießen können, aber dazu konnte sie sich nicht entschließen. Es wäre ihr wie glatter Mord vorgekommen. Als der Mann aus ihrem augenblicklichen Sichtwinkel verschwand, schob sie sich etwas vor, um ihn wieder unter Kontrolle zu bekommen. Dabei passierte ihr ein Mißgeschick. Sie trat mit dem nackten, linken Fuß durch ein morsches Brett. Kathy wußte sofort, daß ihr Gegner dieses Geräusch gehört hatte. Es dauerte auch nicht lange, bis sie seine Schritte unten in der alten Scheune hörte. Sehen konnte er sie allerdings nicht, dazu lag auf den Zwischenböden zuviel Heu. »Komm runter«, rief er in die Scheune hinein, »runterkommen, sonst schieß' ich!« Er machte seine Drohung sofort wahr und gab ihr keine Chance. Drei Schüsse peitschten auf. Die Geschosse, wahllos nach oben gerichtet, pfiffen, durchs Heu, zerschmetterten Dachziegel und klatschten ins Holz. Kathy rührte sich nicht. »Dann komm' ich rauf«, rief er wütend, »das wird nicht gut für dich.« Er benutzte die Leiter, über die Kathy geklettert war. Er machte das bedächtig, nahm sich viel Zeit und paßte wahrscheinlich auch sehr gut auf. Er lauerte nur darauf, einen weiteren Schuß anzubringen. Er wollte Kathy jetzt um jeden Preis haben. Dann sah sie ihn bereits auf dem Zwischenboden unter sich. Durch die morschen und brüchigen Bretter, die nur spärlich verteilt auf Querbalken lagen und das wenige, alte Heu hielten, erkannte sie seine breiten Schultern. Er blieb gleich neben der Leiter stehen und schaute hoch. Kathy wagte kaum zu atmen. »Ich dich kriegen«, schrie er aufgebracht. Er war kein Ausländer, aber wahrscheinlich sein Geist beschränkt, daher wirkte die Ausdrucksweise primitiv und drohend. Kathy hielt den Doppelläufer schußbereit in Händen. Wenn sie jetzt schoß, kam das bereits einer echten Notwehr gleich. Er würde sie mit seinen groben Händen packen, wenn er sie erwischte.
Sie brachte es nicht übers Herz, den Verfolger niederzustrecken. Er wurde doch von den drei Männern eindeutig mißbraucht und war nichts anderes als ein seelenloser, gehorsamer Roboter. Oder vielleicht hatte er auch nur Angst, wegen seiner Nachlässigkeit bestraft zu werden. »Komm doch!« Jawohl, er hatte Angst. Die Stimme drückte es jetzt eindeutig aus. Er wollte keinen Ärger haben und nur seinen Fehler wiedergutmachen. Der Mann war schlau. Wahrscheinlich konnte er sich gut in den Zustand eines verfolgten Wildes hineindenken. Er ahnte instinktiv, daß sein Opfer sich auf dem zweiten Heuboden versteckt hielt, ging zur nächsten Leiter und stieg bedächtig nach oben, ohne dabei schwerfällig zu wirken. Für Kathy spitzte sich die Lage zu. Dann sah er sie. Sein Gesicht nahm einen triumphierenden Ausdruck an. Jetzt konnte es ihm nicht schnell genug gehen! Er schien den Doppelläufer in ihrer Hand vergessen zu haben und sah die Schrotflinte überhaupt nicht. Vielleicht wollte er einem Schuß auch durch Schnelligkeit zuvorkommen. Der Verfolger stemmte sich mit der rechten Hand auf den Seitenbalken neben der Leiter und drückte sich kraftvoll hoch. In diesem Augenblick, bevor Kathy schießen konnte, passierte es. Der morsche Balken war der plötzlichen Belastung nicht gewachsen und brach. Der Mann schrie wütend auf, schlug um sich und versuchte sich irgendwo festzuklammern, doch sein Körpergewicht war nicht mehr zu halten. Kathy schloß unwillkürlich die Augen, als der klobige Mann wie ein Felsklotz nach unten sauste, den ersten Zwischenboden durchschlug und dann mit einem schrecklich dumpfen Laut unten auf der Tenne landete. *** Er blutete aus Mund und Nase. Kathy hatte ihm ein Bündel altes Heu unter den Kopf geschoben und kam sich hilflos vor. Sie sah, daß der Mann starb. Er mußte innere Verletzungen davongetragen haben. Sein Gesicht sah friedlich aus und hatte alle Wildheit verloren. Er wirkte fast wie ein kleines Kind, wenn dieser große und grobe Körper nicht gewesen wäre. »Hab' aufgepaßt«, murmelte er mit schwacher Stimme. »Natürlich«, erwiderte Kathy beruhigend. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. »Butch immer prima, ja?« »Immer gut«, sagte Kathy. Er war schon kaum mehr zu verstehen. »Wo ist der Chef?« Warum sie gerade jetzt den Ausdruck >Chef< benutzte, hätte sie nicht sagen können, vielleicht ging sie von der Annahme aus, daß für einen Menschen wie Butch jeder ein Chef war, der ihm Befehle erteilte.
»Balton?« fragte er leise. »Balton«, wiederholte sie. »Kommt wieder«, flüsterte Butch und wollte sich aufrichten. »Balton sagen, daß ich prima bin.« »Balton und den anderen«, versprach sie. »Meadows«, nannte er einen Namen. Bevor Kathy herausfinden konnte, wen er damit meinte, war der Mann schon tot. Kathy war kein kleines Kind mehr und hatte schon eine Menge erlebt. Der Tod dieses einfältigen Menschen aber ging ihr an die Nieren. Sie konnte ihm einfach keinen Vorwurf machen, daß er auf sie geschossen hatte. Er hatte immer nur das begriffen, was man ihm befohlen hatte. Schuld an diesem sinnlosen Tod trug dieser Balton, für Kathy vorerst ein Name, mit dem sie nichts anfangen konnte. Kathy richtete sich auf und griff nach Butchs automatischem Gewehr und prüfte dessen Funktionstüchtigkeit. Die Waffe war vollkommen in Ordnung. Kathy verließ die Scheune und eilte zur Remise hinüber. Es wurde ihrer Schätzung nach höchste Zeit, die Farm zu verlassen. Die drei Männer konnten schließlich jeden Moment zurückkehren. Diesmal kümmerte sie sich nicht weiter um den Jeep. Mit dem Gewehrkolben schlug sie die Scheibe auf der Fahrerseite ein, griff durch die Öffnung und entriegelte die Tür des Morris. Rasch hatte sie die Zündung kurzgeschlossen und prüfte, ob sich im Tank noch ausreichend Benzin befand. Wenige Minuten später fuhr sie aus dem Gelände und nahm Kurs auf die Landstraße, die von der Farm aus nicht zu sehen war. Kathy hatte das automatische Gewehr dabei. Sicher war sicher. Sie hatte den Zufahrtsweg halb hinter sich, als der VW aus einer Bodensenke der schmalen Straße auftauchte und genau auf sie zuhielt. Die drei Männer! Kathy ließ sich auf kein Risiko ein. Sie bremst hart, stieg aus dem Wagen und ging hinter ihm in Deckung. Ob man sie bereits gesehen und identifiziert hatte, wußte sie nicht. Der VW kam näher und wurde schneller. Kathy hatte keine Bedenken mehr, die Schußwaffe zu benutzen. Sie feuerte einen Schuß nach dem anderen aus dem Magazin. Es kam ihr darauf an, die Männer im VW zu verunsichern. Was ihr auch bestens gelang! Der VW wirbelte herum wie auf Glatteis. Dann preschte er zurück in Richtung Landstraße, ohne daß aus ihm geschossen worden wäre. Kathy setzte sich wieder ans Steuer und fuhr los. Sie war eine ausgezeichnete Fahrerin und holte alles aus dem Motor heraus, was an Tempo zu bekommen war, und hielt den Wagen dennoch unter Kontrolle. Sie rechnete die ganze Zeit über damit, daß der VW von irgendwoher wieder auftauchte, doch das war nicht der Fall. Das massiv auf den Wagen gerichtete Feuer mußte die Insassen völlig aus dem Gleichgewicht gebracht haben.
Dann kam auch bereits die Landstraße in Sicht, auf der normaler Verkehr floß. Kathy bog erleichtert ab, fädelte sich ein und vergaß in ihrer Aufregung völlig, daß sie keinen Fetzen am Leib trug. Sie saß >oben ohne< am Steuer des Morris und eilte so schnell wie möglich zurück zu Lady Simpson und Butler Parker. *** »Da sind Sie ja endlich.« Agatha Simpson bemühte sich um Fassung. Sie schaffte es sogar, ein wenig empört auszusehen, als sie Kathy Porter musterte. »Und wie Sie aussehen! Waren Sie auf einem Maskenball?« »Ich möchte mir erlauben, meiner Freude Ausdruck zu verleihen«, ließ Josuah Parker sich vernehmen und nickte dem jungen Mädchen zu. Kathy Porter war nicht allein ins Hotel gekommen. In ihrer Begleitung befand sich Inspektor Griffins. Aus ganz bestimmten Gründen hatte man den Hintereingang des Hotels benutzt und den Wirtschaftsaufzug als Transportmittel in die Etage verwendet. Kathy sah tatsächlich recht unkonventionell aus. Sie trug eine Uniformjacke der Polizei, die gerade bis zur Hälfte ihrer Oberschenkel reichte. Sonst nichts. Selbst ein kritischer Betrachter hätte ohne Abstrich zugeben müssen, daß sie hinreißend aussah. Ihre langen, schlanken Beine kamen unwahrscheinlich gut zur Geltung. Von Angst oder Erschöpfung war ihr nichts anzusehen. »Tut mir leid, falls Sie sich gesorgt haben, Mylady«, entschuldigte sich Kathy und lächelte. »Aber ich wurde entführt.« »Eine verrückte Geschichte«, mischte sich Griffins ein. »Wo haben Sie Miß Porter gefunden?« wollte Lady Simpson wissen. »Offen gesagt, Inspektor, ich hätte Ihnen nie zugetraut, Miß Porter so schnell zu finden.« »Das geht leider nicht auf das Konto der Polizei«, räumte Griffins ein. »Sondern?« Agatha Simpson wandte sich wieder an ihre Sekretärin. »Wollen Sie sich vorher zurechtmachen, Kindchen? Brauchen Sie etwas Erholung?« »Was ich erlebt habe, ist schnell erzählt«, antwortete Kathy. Mit wenigen Sätzen schilderte sie, was passiert war. Sie hielt sich streng an die Tatsachen und dramatisierte nichts. »Eine unserer Polizeistreifen wurde auf Miß Porter aufmerksam«, übernahm Griffins anschließend den weiteren Bericht. »Miß Porters Wagen, in dem sie saß, befand sich im Mittelpunkt einer Massenkarambolage.« »Ich verstehe kein Wort.« Agatha Simpson sah Griffins streng an. »Können Sie sich gefälligst etwas deutlicher ausdrücken?« »Miß Porters Kleidung war gleich Null.« Griffins schmunzelte. »Das muß nun ein gutes Dutzend Autofahrer erheblich von der Fahrbahn abgelenkt haben.« »Ich hatte vergessen, nach meiner Kleidung zu suchen«, warf Kathy leicht verschämt ein.
»Warum auch? Sie haben ja schließlich nichts zu verbergen«, nahm Mylady für ihre Gesellschafterin Partei. »Die Ansicht müssen die Fahrer der anderen Wagen geteilt haben«, meinte Griffins. »Der entstandene Blechschaden ist erheblich, es passierte aber erfreulicherweise sonst nichts. Miß Porter ließ mich von der Funkstreife verständigen, und ich konnte sie aus diesem Tohuwabohu befreien.« »Und was ist mit der Farm, in der sie festgehalten wurde?« »Steht unter Beobachtung und wird durchsucht.« »Rechnen Sie mit einer Rückkehr der drei Männer?« schaltete Parker sich ein. »Sicher nicht«, sagte Griffins. »Lester Balton ist ein gerissener Fuchs.« »Das ist der Name des Mannes, den der sterbende Butch nannte, nicht wahr?« Lady Simpson hatte aufmerksam zugehört. »Ein Gangster«, präzisierte Griffins, »ein Mann, der am Waffenhandel für die Extremistengruppe drüben in Nordirland verdient. Ein gefährlicher Bursche, hinter dem wir schon seit vielen Monaten her sind.« »Sagt Ihnen auch der Name Meadows etwas?« Parker erinnerte an die zweite Äußerung des sterbenden Mannes in der Scheune. »Charles Meadows.« Griffins nickte bestätigend. »Er dürfte noch gefährlicher als Balton sein.« »Können Sie auch mit dem dritten Mann etwas anfangen? Miß Porter hat ihn ja ausreichend beschrieben.« »Dabei kann es sich nur um Pete Tenby handeln«, entgegnete Griffins, »die Beschreibung stimmt, vor allen Dingen, was sein spitzes Kinn angeht. Alle Burschen stammen aus der Unterwelt und haben sich auf den geldträchtigen Waffenhandel für die Extremisten geworfen. Dabei ist es ihnen völlig egal, welche Gruppe sie beliefern, Hauptsache, das Geschäft blüht.« »Das sind Nachrichten, mit denen sich etwas anfangen läßt«, freute sich Agatha Simpson sichtlich und wirkte äußerst angeregt. »Ich hasse Waffenhandel jeder Art, ob offiziell oder nicht.« »Nehmen Sie Balton, Meadows und Tenby nur nicht auf die leichte Schulter«, warnte Inspektor Griffins. »Wer ihre Arbeit stört, den bringen sie um.« »Also auch einen gewissen Dan Hodner, nicht wahr?« Die Detektivin hatte sich entschlossen, jetzt alle Karten, die sie bisher noch versteckt in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch zu legen. Griffins bekam nun auch die Informationen, die man ihm bisher vorenthalten hatte. Lady Simpson entschuldigte dieses Versäumnis mit ihrer Aufregung, ihrem schlechten Gesundheitszustand und einer dadurch bedingten Vergeßlichkeit. Griffins war so klug, das zu verstehen. Er hatte inzwischen längst erkannt, daß man Mylady nicht unnötig reizen durfte, sonst setzte man sich einem mittelschweren Orkan an Temperament aus. Er nahm die Dinge, die er noch nicht wußte, höflich zur Kenntnis. »Es erhebt sich also die Frage, warum Lester Balton Dan Hodner erschießen wollte«, sagte Parker, um zusätzlich abzulenken.
»Konkurrenzneid«, entgegnete Lady Simpson. »Auch Hodner ist in meinen Augen ein Gangster.« »Ich widerspreche auf keinen Fall.« Griffins nickte. »Könnte Hodner auch im Waffengeschäft tätig sein?« fragte sie energisch weiter. »Durchaus«, bestätigte Griffins. »Nur konnte man bisher nichts beweisen.« »Dann wird's aber höchste Zeit.« Mylady sah ihren Butler streng an. »Die Zeit der Tändelei, Mr. Parker, ist hiermit endgültig vorbei.« »Mylady, Sie scheinen die Praktiken dieser Waffenhändler nicht zu kennen«, warnte Griffins und hob unwillkürlich abwehrend die Hände. »Diese Burschen gehen über Leichen,.« »Wie im Fall des Mr. Angels, nicht wahr? Und wie im Fall der beiden anderen Toten, die angeblich nur durch Pech ums Leben kamen.« »Ob da ein Zusammenhang besteht, muß sich erst noch zeigen, Mylady!« »Diese Beweise werden wir herbeischaffen, Griffins. Verlassen Sie sich darauf!« Mylady reckte sich zu ihrer ganzen majestätischen Größe auf. »Man war Miß Porter gegenüber sehr unhöflich, dafür wird es eine derbe Quittung geben.« »Mylady«, beschwor Griffins die streitbare Dame, »Sie haben es nicht mit kleinen Ganoven zu tun, sondern mit harten Gangstern, die dazu noch im Waffenhandel tätig sind. Die scheuen vor keinem Mord zurück!« »Papperlapapp«, entschied Lady Simpson. »Dafür kennen diese Individuen mich nicht, Inspektor! Ich bin bereit, mit ihnen zu pokern.« *** »Ich hoffe, Myladys Zufriedenheit erreicht zu haben;« Parker öffnete die hintere Tür seines hochbeinigen Monstrums und wies auf den großen Wohntrailer, den er auf ihren Wunsch hin vor einigen Stunden gemietet hatte. Dieses moderne Gefährt stand in der Wohnwagenstadt, in der Parker von den fünf Rowdies überfallen worden war. Genauer gesagt, der Trailer parkte genau dort, wo der Wohnwagen seines ermordeten Kollegen Angels abgestellt war; »Der Wagen enthält ein Wohn- und Schlafabteil, Mylady, eine kleine Küche, Bad und Toilette. Er dürfte dem neuesten Stand der augenblicklichen Wohnwagentechnik entsprechen.« »Ich bin ja Gott sei Dank nicht verwöhnt«, behauptete Lady Simpson und betrat den langen Trailer, der sich wirklich sehen lassen konnte. Er war geradezu luxuriös eingerichtet und stand hart am Ufer des Ribble, der hier in die Irische See mündete. Die Ankunft des Trios hatte in der Wohnwagenstadt beträchtliches Aufsehen erregt. Mehr oder weniger ungeniert hatten die neugierigen Bewohner dieser kleinen Stadt sich verhalten und genossen die Erscheinung einer echten Lady, eines Butlers und einer Gesellschafterin. Man war sich einig darin, daß die Frau ihren Spleen austoben wollte.
Mylady hatte nicht die Absicht, hier allein zu wohnen. Auf ihren Wunsch hin waren noch zwei weitere Wohnwagen von Parker gemietet worden, einer für Kathy Porter, der zweite für Parker selbst. Diese wesentlich kleineren Wagen waren so zusammengeschoben worden, daß sie ein zur See hin offenes Viereck bildeten, eine Art Wagenburg, die einen gewissen Schutz versprach. Lady Simpson hatte sich umgekleidet und ihrer Umgebung angepaßt. Sie trug nicht das übliche faltenreiche Chanel-Kostüm, sondern einen wallenden Umhang aus leichter Baumwolle. Sie saß unter dem Sonnenschirm und trank ihren Tee, zu dem sie sich einen kleinen Kreislaufbeschleuniger hatte servieren lassen. Das heißt, sie hielt sich mehr an den Kognak als an den Tee und war mit sich und ihrem Einfall mehr als zufrieden. Es war keine reine Laune, warum man sich hier auf dem großen Platz einrichtete. Der Mord an Parkers Kollegen Angels war mit ein Grund. Angels hatte fast ein Jahr in der Wohnwagenstadt verbracht und war aus nächster Nähe erschossen worden. Er mußte also etwas gewußt haben, was mit der Wohnwagenstadt, vielleicht sogar mit dem Standort seines Wohnwagens zusammenhing. Hinzu kam ein zweiter Punkt, den das Trio bereits registriert hatte. Auch die beiden anderen Opfer, von denen Angels knapp vor seinem Tod Parker gegenüber sprach, hatten in dieser Wohnwagenstadt gelebt. Griffins hatte diese Angaben geliefert, die für Parker sehr wertvoll waren. Ob die fünf Rowdies in dieser Wohnwagenstadt lebten, mußte allerdings erst noch festgestellt werden. Einiges sprach immerhin dafür. Angels hatte ja eindeutig zu verstehen gegeben, daß man ihn mit Parker verwechselt haben müsse. Er mußte diese fünf Schläger also kennen, und zwar aus nächster Nähe. »Mister Parker«, ließ Agatha Simpson sich vernehmen. »Schauen Sie mal durchs Glas und sehen sich die Gegend an! Ich wette, Ihnen wird etwas auffallen.« Sie hatte die Mündung des Ribble und die See ausgiebig betrachtet und reichte nun ihrem Butler den Feldstecher. Parker nahm ihn entgegen, verzichtete aber darauf, einen Blick durch die Optik zu werfen. »Ich war bereits so frei, Mylady, gewisse Entdeckungen zu machen.« »Und zwar?« »Eine knappe Meile östlich unseres Standorts, Mylady, befindet sich der Jachthafen, der vor einigen Stunden von einem Anschlag auf ein Motorfahrzeug betroffen wurde.« »Richtig!« Sie nickte bestätigend, »Von hier aus kann man jedes ein- und ausfahrende Boot genau kontrollieren.« »Darf ich mir darüber hinaus erlauben, Myladys Aufmerksamkeit auf die kleine Werft zu lenken, die sich südlich der Ribble-Mündung befindet?« Agatha Simpson war mit diesem Vorschlag sofort einverstanden und nahm die bezeichnete Werft aufs Korn. Es handelte sich um ein kleines Unternehmen mit einer Helling, die schräg hinunter zum Wasser führte. Neben einem Bürohaus gab es einige Werkstätten und
Magazine. Die Anlage war sauber gepflegt und von Bäumen und Hecken umgeben. »Nun sagen Sie schon endlich, worauf Sie hinauswollen«, grollte sie, als sie das Glas absetzte. »Im Grunde auf nichts, Mylady, ich würde nur sagen, daß es sich um einen erfreulich stillen Platz handelt, dessen Besitzer ein gewisser Dan Hodner ist, wie ich in Erfahrung bringen konnte.« »Von wem haben Sie das?« »Von dem Verwalter dieser Wohnwagenstadt, die ebenfalls Mr. Hodner gehört, das heißt, er besitzt Anteile an diesem Fleckchen Erde.« »Haben Sie sonst noch etwas herausgefunden, das ich wissen müßte?« »Miß Porter scheint bereits die Spur einer gewissen Helen gefunden zu haben, die ihrerseits einem gewissen Ray ein silbernes Handkettchen schenkte.« »Kathy ist allein unterwegs?« Agatha Simpson wurde leicht unruhig. »Sie befindet sich nicht weit von hier im Einkaufszentrum der Wohnwagenstadt, Mylady.« »Das paßt mir aber gar nicht. Ich werde sie in Zukunft begleiten.« »Dann, Mylady, wären gewisse Nachforschungen wohl kaum möglich.« »Na, hören Sie mal!?« Sie sah ihn flammend an. »Und warum nicht?« »Myladys Auftreten könnte einfache Gemüter schockieren«, sagte der Butler rundheraus. »Zudem wird Miß Porter unauffällig von zwei Leuten beschattet, die Inspektor Griffins ganz in der Nähe als Touristen untergebracht hat. Er hält es für unerläßlich, für unsere Sicherheit zu sorgen.« »Ein frommer Wunsch«, sagte sie verächtlich auflachend. »Aber bitte, wenn es ihn beruhigt, ich habe nichts dagegen, sofern diese beiden Leute mein Privatleben nicht stören.« *** Kathy Porter hatte sich für ihre Nachforschungen besonders zurechtgemacht. Sie trug hautenge Jeans mit weit ausgestellten Hosenbeinen und eine einfache Bluse, die sie unter der Brust geknotet hatte. An den Füßen hatte sie Sandalen. Sie sah wieder mal sehr attraktiv aus. Die blutrot lackierten Zehen- und Fingernägel gaben ihrem Anstrich den letzten Pfiff. Von einem scheuen Reh war an ihr nichts zu sehen. Sie wirkte unternehmungslustig, leichtsinnig und vielleicht auch sogar ein wenig billig. Sie lehnte am Tresen eines Getränkestands und unterhielt sich mit einer fülligen Blondine, die nur ordinär aussah, aber eine Sinnlichkeit vermittelte, die man körperlich spürte. Sie hielt das Kettchen, in der Hand und nickte. »Das is' es«, sagte sie, »das hab' ich mal Ray geschenkt, diesem Miststück.« »Und ich hab's gefunden, irgendwo zwischen den Wohnwagen.« »Und woher weißt du, daß ich Helen bin?« Helen hatte im Moment nicht viel zu tun und war froh, sich unterhalten zu können.
»Der Typ da drüben vom Supermarkt hat auf dich gezeigt, als ich nach 'ner Helen gefragt habe.« »Das ist 'n toller Junge«, freute sich Kathys Gesprächspartnerin und sah zu dem Verkäufer des Supermarktes hinüber, der gerade Kisten aus einem kleinen Transporter in den Laden trug. »Spendabel, sag' ich dir! Dem kommt's nicht drauf an. Aber das sag' ich dir gleich, der is' reserviert! Klar?« »Ich bin schon versorgt«, meinte Kathy und lächelte. »Aber was ist mit dir? Macht Ray dir keine Schwierigkeiten?« »Den hab' ich absausen lassen, als er zu keß wurde.« Man hörte deutlich, daß sie log. Wahrscheinlich war sie von Ray abgehalftert worden, wollte es aber nicht zugeben. »Ärger? Er soll sich mit 'ner Gruppe rumtreiben, die in Hodners Jachthafen arbeitet.« »Alles miese Typen.« Sie nickte. »Seitdem Hodner sie angestellt hat, spielen sie die Großkopfeten.« »Sie wohnen aber noch hier?« »Drüben in den beiden Trailers, links vom Supermarkt. Ich will dir 'n Rat geben, Süße, laß die Finger von den Knilchen, das bringt sonst nur Ärger!« Kathy zahlte ihr Getränk und beendete die Unterhaltung. Sie wollte nicht zu neugierig erscheinen und Helen mißtrauisch machen. Hauptsache, sie wußte jetzt, für wen die jungen Leute arbeiteten und wo sie wohnten. Sie schlenderte weiter durch die Wohnwagenstadt und sah sich alles aufmerksam an. Neben einem der Wagen saß ein junger Mann in Shorts und blätterte in einer Zeitung. Sein rechtes Knie war dick bandagiert, sein Gesicht kam Kathy bekannt vor. Er gehörte eindeutig zu den Rüpeln vom Strand, die sich mit Hodner angelegt hatten. Die beiden anderen jungen Männer ebenfalls. Auf Ober- und Unterlippe des einen saßen große Pflaster. Das mußte der Schläger sein, der durch Parker Ärger mit seinen Schneidezähnen erlebte. Der andere junge Mann hatte an der linken Hand zwei großzügig eingegipste Finger. Sie hatten wahrscheinlich Bekanntschaft mit Parkers Regenschirm gemacht und waren im doppelten Sinn daran zerbrochen. Das waren gesamt also drei der fünf jungen Männer. Die restlichen zwei dieser Kleinbande waren bestimmt noch im Jachthafen und hatten dort mit Aufräumungsarbeiten zu tun. Das erwies sich als falsch ,.. Sie erschienen nämlich ebenfalls auf der Bildfläche und schleppten einen Karton mit Cola-Büchsen heran. Einer der beiden hatte den von Parker geschilderten Bürstenhaarschnitt und war selbstverständlich draußen am Strand dabeigewesen. Das eingedellte Nasenbein war unverkennbar. Der andere Kartonträger hatte die Rißwunde an der Stirn.
Das waren also die fünf jungen Rüpel, von denen einer durchaus Angel's Mörder sein konnte. Das waren fünf Angestellte von Dan Hodner, die ihren eigenen Chef angegriffen hatten und von ihm verprügelt worden waren. Sie hatten sich niedergesetzt und ließen die geöffneten Coladosen kreisen. Und eine Flasche Whisky. Sie benahmen sich laut und herausfordernd, als hätten sie diesen ganzen Landstrich für sich gepachtet. Das mitgebrachte Transistorradio plärrte auf vollen Touren. Kathy wandte sich ab und schlenderte weiter. Sie hörte hinter sich bewundernde Pfiffe, die eindeutig ihrem wiegenden Hüftgang galten, blieb stehen und tat unschlüssig. Sie war tatsächlich kein scheues Reh. Sie spielte eine Rolle, und zwar sehr überzeugend. Sie schien jetzt nur noch ein leichtes Mädchen zu sein, sehr attraktiv und sinnlich, das einem Abenteuer nicht abgeneigt war. *** »Sie haben ja einen Schwips, Kindchen!« Mylady sah ihre Gesellschafterin streng und erstaunt zugleich an. Sie hatte vollkommen richtig gesehen, Kathy hatte zuviel Alkohol und lächelte heiter. »Miß Porter wird sich für die Aufklärung des Falles ein wenig geopfert haben«, warf Parker ein. »Richtig, Mr. Parker«, sagte Kathy lächelnd. »Was tut man nicht alles für die Gerechtigkeit!« »Besorgen Sie dem Kind ein Kopfschmerzmittel«, befahl Agatha Simpson ihrem Butler,. »Was, um alles in der Welt, haben Sie denn getrunken?« »Whisky«, antwortete Kathy und setzte sich in einen Campingsessel neben Mylady. »Irischen Whisky, unverzollten.« Parker, der bereits in Myladys Wohnwagen gehen wollte, blieb stehen und kam zurück. »Unverzollten Whisky?« fragte er. »Ich habe es genau gesehen«, berichtete Kathy, die trotz des kleinen Schwipses, der ihr sehr gut stand, sachlich berichtete. »Sie werden sicher mehr erfahren haben, Miß Porter?« Parker verschob die Besorgung des Kopfschmerzmittels, denn er wollte sich kein Wort entgehen lassen. »Ich habe die fünf Rüpel vom Strand gefunden«, erzählte Kathy Porter und ließ sich von Mylady eine Tasse Tee aufnötigen. »Sie haben sie ganz schön zugerichtet, Mr. Parker.« »Ich wäre untröstlich«, behauptete Parker ohne Nachdruck. Kathy Porter zählte daraufhin auf. Obwohl die fünf Rowdies sie mächtig unter Alkohol gesetzt hatten, hatte sie den Überblick und die Details nicht vergessen. »Ray heißt der Junge mit der lädierten Kniescheibe«, sagte sie. »Er spielt den Anführer der Rowdies und scheint gefürchtet zu sein. Sein Adjutant, wenn ich's so
sagen darf, ist Bobby, dem Sie, Mr. Parker, die Schneidezähne ein wenig durcheinandergebracht haben.« »Schrecklich«, sagte Parker gemessen. »Die übrigen drei Leute heißen Matt, Harry und Lern«, zählte Kathy weiter auf. »Matt hat ein blaues Auge und eine Rißwunde an der Stirn, Harry laboriert an einem gebrochenen Nasenbein herum, und Lern hat es mit zwei Fingern der linken Hand.« »Mr. Parker, Sie müssen sich ja geradezu wie ein Barbar benommen haben«, freute sich Mylady sichtlich und nickte ihrem würdevoll dastehenden Butler zu. »Es geschah in Notwehr «, entschuldigte sich Parker. »Miß Porter, alle fünf Rowdies arbeiten für Hodner, ist das richtig?« »Arbeiteten. Dieser Job ist seit einigen Stunden Vergangenheit für sie. Sie waren zuerst deprimiert, wurden dann aber unter Alkoholeinfluß wieder keß. Entschuldigen Sie den Ausdruck, Mylady!« »Teufel auch, reden Sie, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist«, raunzte Mylady. »Hodner hat sie also gefeuert. Oder?« »Es muß mit der Explosion auf der Jacht zusammenhängen. Sie alle sind entlassen worden.« »Und haben nun verständlicherweise einen gewissen Groll auf Mr. Hodner?« hoffte der Butler. »Je mehr sie tranken, desto stärker wurden sie«, bestätigte Kathy Porter, »und ich muß zugeben, daß ich das Feuer noch ein wenig geschürt habe.« »Sehr gut, Kindchen, sehr begabt!« Mylady nickte ihr noch freundlicher zu. »Und was kam dabei heraus?« »Sie wollen sich das nicht gefallen lassen, Mylady. Sie. machten dunkle Andeutungen und wollen es Hodner irgendwie heimzahlen.« »Dabei dürfen wir auf keinen Fall fehlen«, erinnerte Mylady, die sehr aufgekratzt wirkte. »Konnten Sie auf den Vorfall am Strand anspielen, Miß Porter?« warf Parker ein, der Myladys Hinweise geflissentlich überhörte. »Warum legten sie sich mit ihrem Arbeitgeber Hodner an, der es um diese Zeit doch noch offensichtlich war?« »An dieses Thema habe ich mich nur sehr vorsichtig herangetastet«, antwortete Myladys Sekretärin. »Ich habe natürlich gesagt, daß ich diese Szene beobachtete, denn sie konnten sich genau an mich erinnern, wie zumindest Ray erkennen ließ.« »Der Lümmel mit der lädierten Kniescheibe?« fragte Lady Simpson. »Richtig, Mylady. Er erinnerte sich genau. Als ich auf diese Prügelei zu sprechen kam, wurden sie sehr zurückhaltend. Sie sind überhaupt ziemlich mißtrauisch. Und wie ich hörte, wollen sie den Campingplatz hier verlassen. Ich glaube, bereits in der kommenden Nacht.« »Sind Sie ganz sicher, Kindchen?« Mylady wirkte enttäuscht. »Ich wollte mich mit ihnen für den Abend verabreden, aber sie sagten, sie würden wahrscheinlich losfahren. Ich soll aber in jedem Fall noch mal vorbeischauen.«
»Das werden Sie hübsch bleibenlassen«, entschied die streitlustige Dame. »Wenn einer vorbeischaut, dann ich! Sie, Kindchen, werden sich jetzt erst mal gründlich erholen.« »Ich glaube auch, daß mir schlecht wird«, entschuldigte sich Kathy. »Vielleicht habe ich doch zuviel getrunken.« Sie stand unvermittelt auf und lief zu ihrem Wohnwagen hinüber. »Diese Jugend«, klagte Agatha Simpson, »sie kann nichts mehr vertragen, Mr. Parker. Mir können Sie durchaus noch einen Kognak servieren, ich muß nachdenken.« Da wußte Parker genau, daß noch einiges auf ihn zukam ... . *** Es war Nacht geworden. Die Lichter in der Wohnwagenstadt am Ribble waren samt und sonders erloschen. Der Tanzbetrieb in der Music Hall war längst vorüber, die kleine Stadt auf Rädern schlief. Doch Josuah Parker war auf dem Posten. Der aufkommende Nebel paßte ihm wunderbar ins Konzept. Er wollte selbst zwar nicht gesehen werden, dafür aber eine Menge beobachten. Einmal ging es ihm darum, die beiden Damen vor Ungemach zu bewahren. Zum anderen aber beschäftigte er sich mit der möglichen Abfahrt der fünf jungen Männer. Er hatte nichts dagegen, daß sie die Wohnwagenstadt verließen, aber er wollte wissen, welches Ziel sie ansteuerten. Natürlich hatte Josuah Parker sich mit Inspektor Griffins in Verbindung gesetzt und ihm die notwendigen Hinweise und Stichworte gegeben. Falls die Rowdies über Land fuhren, würden sie von Polizeistreifen diskret beschattet. Das war zwischen Griffins und ihm eine ausgemachte Sache. Doch Parkers Sinn für die mehr oder weniger wirren Gedanken seiner jeweiligen Gegner ließ ihn auch noch an eine andere Möglichkeit denken. Laut Kathy Porter waren die fünf Burschen von ihrem Auftraggeber Hodner gefeuert worden. Konnte es da nicht sein, daß sie sich für diesen Hinausschmiß rächen wollten? Parker hielt sie für leichtsinnig und dumm genug, so etwas zu versuchen. Dann wollte er zur Stelle sein, um Hodners Reaktion aus nächster Nähe zu beobachten. Aus diesem Grund hatte der Butler sich bereits während der Dunkelheit einen fahrbaren Untersatz besorgt, der für das Wasser gedacht war. Nicht weit von Myladys Wagenburg entfernt lag ein kleines Schlauchboot auf dem Strand, das mit einem kleinen Außenborder betrieben wurde. Josuah Parker hielt ein lichtstarkes Nachtglas in Händen und beobachtete den Sandstreifen der Badeküste. Er war menschenleer. Selbst die hier obligaten nächtlichen Liebespärchen fehlten. Es war für die Liebe einfach zu kühl. Parker hatte gut und gern anderthalb Stunden geduldig wie ein Jäger gewartet, als sich etwas ereignete.
Zwischen den Strandkörben glaubte er Bewegungen zu entdecken. Handelte es sich um ein einsames Paar, das weder Nebel noch Nachtkühle scheute? Parker wechselte sein Fernglas gegen ein modernes Nachtsichtgerät aus, das auf der Basis der Restlichtaufhellung arbeitete. Mit einer Ausbeute, die das vorhandene Restlicht über elektronische Umsetzung auf das 60000 fache verstärkte, ließ sich erfreulicherweise mehr erkennen. Der Butler erkannte recht deutlich vier junge Männer, die ein Schlauchboot trugen und es zu Wasser brachten. Der fünfte Rowdy, dessen Kniescheibe nicht mehr so recht funktionsfähig war, blieb verständlicherweise im Wohnwagen zurück. Er hätte das geplante Unternehmen nur unnötig belastet und erschwert. Was wollten die fünf jungen Männer? Man mußte sie als eine Einheit betrachten, denn von den vier jungen Rüpeln blieb einer am Strand zurück. Wahrscheinlich handelte es sich um den von Kathy erwähnten Lern, der mit zwei eingegipsten Fingern zu tun hatte. Parker suchte die an sich ruhige See ab und hätte um ein Haar einen schwachen Lichtpunkt weit draußen vor Land übersehen. Es handelte sich um die Positionslampen eines Kutters, wenn ihn nicht alles täuschte. Parker schritt würdevoll und gelassen hinunter zu seinem eigenen Schlauchboot und machte es startklar. Er war gewillt, der See die Stirn zu zeigen. *** Der Außenborder des. kleinen Fahrzeuges arbeitete gleichmäßig und ruhig. Parker brauchte sich wegen des Motorenlärms keine Sorgen zu machen, denn die drei Seefahrer vor ihm bedienten sich ebenfalls eines Außenborders. Beide Geräuschquellen überlagerten sich. Zudem tuckerte ein Kutterdiesel im Nebel herum und sorgte - bewußt oder nicht - für zusätzlichen Lärm. Das Nachtsichtgerät bewährte sich wieder mal erstaunlich. Obwohl nur von Batterien gespeist, lieferte es erstklassige Ausblicke. Die drei jungen Männer im Schlauchboot fühlten sich völlig unbeobachtet und hielten auf einen kleinen Krabbenkutter zu, der im Nebel vor der Küste kreuzte. Parker ahnte inzwischen, um was es hier ging. Man wollte Hodner ganz sicher keinen Ärger machen, sondern sich mit unverzolltem Whisky aus Irland versorgen. Kathy Porter hatte da einen sehr wertvollen Hinweis geliefert. Daß die Leute dies auf keinen Fall in Hodners Auftrag taten, lag für ihn auf der Hand. Dank der ruhigen See dauerte es nur knapp eine Dreiviertelstunde, bis das Schlauchboot mit den jungen Männern den Kutter erreicht hatte. Signale mit abgedunkelten Taschenlampen wurden ausgetauscht. Das Schlauchboot drehte längsseits und sollte wohl am Kutter festgemacht werden. Der Butler hatte seinen kleinen Außenborder sicherheitshalber bereits abgestellt und hielt respektvolle Distanz zum Kutter.
Durch das Nachtsichtgerät sah er viel früher als die drei Insassen, daß hinter dem Heck des Kutters plötzlich ein großes Motorboot kurvte, das bereits hohe Fahrt aufgenommen hatte. Die jungen Männer im Schlauchboot wurden vollkommen überrascht, wollten sich schleunigst absetzen und gingen ebenfalls auf volle Fahrt. Sie erkannten wohl, daß man ihnen eine Falle gestellt hatte. Sie hielten dummerweise auf den Strand zu und räumten dem starkpferdigen Motorboot alle Chancen ein, noch aktiver zu werden. Es war schrecklich, was Parker zu sehen bekam, ohne eingreifen zu können. Der Bug des Motorbootes hielt genau auf das Schlauchboot zu und zerschnitt es praktisch in zwei Teile. Gischt schäumte auf und nahm die Sicht. Das Motorboot lag bereits in einer Kurve und raste zurück zur Unglücksstelle. Parker dachte unwillkürlich an den tödlich verunglückten Mann, der draußen in der See von einer Motorjacht zusammengefahren worden war. Sollte das Spiel sich hier wiederholen? Warum griff man vom Kutter aus nicht ein? Parker schwenkte das Nachtsichtgerät herum. Der Kutter hatte abgedreht und lief hinaus in die See. Er hatte seine Aufgabe als Tarnung für das Motorboot und als Falle für die jungen Leute beendet und setzte sich ab. Das Motorboot befand sich bereits wieder an der Unglücksstelle, die in Wirklichkeit ein Tatort war! Das Motorboot kreuzte fast wütend durch die im Wasser zappelnden jungen Männer und versuchte sie mit seiner Schraube zu überlaufen. Hier sollte absichtlich getötet werden! Parker pfiff in dieser Situation auf seine eigene Sicherheit. Für den Fall des Falles hatte er sich eine Leuchtpistole mit ausreichender Munition besorgt. Parker feuerte den ersten Schuß ab, aber keineswegs hoch zum Himmel, sondern waagerecht in Richtung Mordstelle. Das Geschoß orgelte aus dem Lauf, zischte über die Wasseroberfläche und zerplatzte dicht vor dem Motorboot. Das Motorboot reagierte augenblicklich, kurvte herum und raste auf Parker zu, der sich etwas verloren, vorkam. Er ließ sich jedoch keineswegs aus seiner gewohnten Ruhe bringen. Als er die leere Patronenhülse aus dem dicken Lauf ziehen wollte, zeigte sich, daß sie sich stark verklemmt hatte. Für einen zweiten Schuß stand die Leuchtpistole leider nicht mehr zur Verfügung. Und das Motorboot raste heran! Es galt, Augenzeugen für immer auszuschalten. ***
»Diesen Mann darf man aber auch keinen Moment allein lassen«, grollte Lady Simpson wütend. Zusammen mit Kathy Porter stand sie vor ihrem Wohnwagen und sah auf die See hinaus. Natürlich hatte sie das laute Motorengeräusch gehört und wenig später dann auch die Leuchtpatrone gesehen. Wer sie abgefeuert hatte, war ihr klar. Mylady hatte sich einen weit wallenden Frisiermantel übergeworfen, Kathy neben ihr trug ein kurzes Shorty. Der Alkoholschwips war verflogen, sie war ganz bei der Sache. »Stehen Sie nicht herum und ziehen Sie sich was über«, raunzte sie Sechzigjährige. »Sie holen sich sonst noch den Tod.« Kathy Porter gehorchte und lief schnell zurück zu ihrem Wohnwagen, um sich den Bademantel zu holen. Sie griff durch die geöffnete Tür und wollte nach dem Kleidungsstück greifen. In diesem Augenblick fühlte sie eine starke Hand, die ihr Handgelenk umspannte. Bevor sie einen Warnschrei ausstoßen konnte, wurde sie bereits nachdrücklich in den Wohnwagen gezerrt. Kathy hätte schreien können, doch sie hütete sich, das zu tun. Sie sah in die Mündung einer Schußwaffe, die ihr so groß vorkam wie ein Ofenrohr. Der Mann mit der Waffe war für sie kein Unbekannter. Er kaute auf einem Zahnstocher und sah sie aus kühlen Augen an. »Gehen wir«, sagte er dann lakonisch. »Hinter dir steht mein Partner.« Kathy fiel auf den Trick herein und wandte sich halb um. In diesem Moment schlug der Mann mit dem Lauf der Waffe zu. Kathy verspürte einen stechenden Schmerz seitlich am Kopf und wurde dann ohnmächtig. Der Mann hob sie auf und verschwand mit ihr zwischen den Wohnwagen. Er trug sie auf einen dreirädrigen Milchwagen zu, an dessen Steuer sein Partner saß. »Ab geht die Post«, sagte der Mann und verstaute Kathy im Laderaum. »Was sind das doch alles für blutige Laien, man schämt sich ja direkt.« Er ging nach vorn und wollte einsteigen, aber er schien eine gewisse Agatha Simpson bereits völlig vergessen zu haben. Und das sollte sich für ihn als noch besonders peinlich erweisen. Nun gut, er konnte nicht wissen, daß Mylady in jungen Jahren äußerst sportlich gewesen war. Ihm war unbekannt, daß sie sich nach wie vor in Form hielt und zum Beispiel auf Golfplätzen eine gefürchtete Gegnerin war. Mylady hatte sich in jungen Jahren in zwei Fällen an den Britischen Leichtathletikmeisterschaften beteiligt, und es war vor allen Dingen der Diskuswurf, den sie noch- gut beherrschte. Vom Bogenschießen ganz zu schweigen, dessen Sport sie erst in den letzten zehn Jahren intensiv pflegte. Welches Format sie als Diskuswerferin aufwies, sollte der Profi am eigenen Leib verspüren, denn plötzlich klebte an seinem Hinterkopf der solide Boden einer Thermoskanne. Da dieses Küchengerät mit viel Schwung in Bewegung gesetzt worden war, kippte der Profi sofort um und ging benommen zu Boden. Der Mann am Steuer des Dreirads hatte die Thermoskanne natürlich nicht gesehen. Er wunderte sich nur über den Schwächeanfall seines Partners und war
einen Moment lang ratlos. Er verzichtete darauf, aufs Gaspedal zu treten und die Flucht zu ergreifen. Nun riß er erst mal seine schallgedämpfte Waffe aus der Schulterhalfter und stieg aus. Er wollte sich um seinen Partner kümmern. In diesem Augenblick befand sich bereits ein Campingsessel auf der Flugbahn. Als der junge Profi das zischende Geräusch dieses seltsamen Flugapparates hörte, war es für ihn bereits zu spät. Das Sitzmöbel knallte ihm in den Nacken und warf ihn gegen den hinteren Aufbau des Dreirads. Die Lehne des Sessels streichelte dabei sein linkes Ohr und legte es in krause Falten. Der Profi ahnte, aus welcher Richtung das Geschoß kam. Trotz des ausdrücklichen Verbots seines Herrn und Meisters feuerte er zwei Geschosse ab, hielt sie aber bewußt hoch, um kein Unheil anzurichten. Dann riß er seinen immer noch benommenen Partner hoch und warf ihn hinten auf die Ladefläche zu Kathy, rannte nach vorn und setzte sich ans Steuer. Als der Mann rasend startete, knallte eine Teekanne gegen die kleine Windschutzscheibe und zertrümmerte sie. Der Profi hielt sich nicht damit auf, die Größe dieses Schadens festzustellen, sondern fuhr weiter, als säße ihm der Teufel im Nacken. Agatha Simpson erschien zwischen den Wohnwagen und sah dem davonjagenden Fahrzeug grimmig nach. Sie hatte das Gefühl, nicht nachdrücklich genug gewesen zu sein, worüber sie sich schrecklich ärgerte. *** Parker, der stets auf korrekte Kleidung in allen Lebenslagen hielt, trug selbst im Schlauchboot seinen üblichen Anzug. Zur gestreiften dunklen Hose gehörten einfach diese Weste und der schwarze Zweireiher. Diese Korrektheit zahlte sich jetzt aus, da sich in den zahlreichen Westentaschen Kugelschreiber aller Art befanden, die zwar regulär aussahen, es aber in Wirklichkeit keineswegs waren. Da er mit der Leuchtpistole nichts mehr anfangen konnte, ließ er sie über Bord gehen und griff nach einem Kugelschreiber. Er wußte natürlich genau, wo der geeignete zu finden war. Parker verdrehte die beiden Kugelschreiberhälften gegeneinander und richtete die Spitze auf den Bug des heranrasenden Bootes, das von Sekunde zu Sekunde immer größer und drohender wurde. Er behielt die Nerven und wartete den richtigen Moment genau ab. Dann drückte der Butler auf den Haltclip, der nichts anderes war als der Abzug einer von ihm konstruierten Waffe. Aus der relativ großen Spitze dieser Kugelschreiberwaffe jagte ein kleines Explosivgeschoß hervor, das auf der Wind- und Spritzscheibe des Bootes landete. ; Die Wirkung war verblüffend und verheerend zugleich. Die Windschutzscheibe flog auseinander und verunsicherte zumindest den Mann am Steuer. Das Motorboot geriet sofort aus dem geplanten Kurs und legte sich in
eine geradezu haarsträubende Spitzkurve. Der Rudergänger mußte das Steuerrad jäh herumgerissen haben. Parker bemühte inzwischen einen weiteren Kugelschreiber und half den Nebelschleiern zu unverhoffter Dichte. Nachdem er auch dieses Geschoß aus dem Schreiber abgefeuert hatte, wurden die leichten Schleier zu einer schier undurchdringlichen Nebelwand. Irgendwo in diesem Nebel kurvte das mordende Motorboot herum und versuchte sich zu orientieren. Parker hatte den Außenborder seines Schlauchbootes voll aufgedreht und steuerte in den dichten Nebel hinein. Mit etwas Glück gelang es ihm vielleicht, dem geplanten Rammen zu entgehen. Leider hatte Parkers persönlicher Schutzengel in dieser Nacht Ausgang. Der Butler preschte genau auf den Bug des Motorbootes zu und sah sich gezwungen, das Schlauchboot zu verlassen, was er nicht ohne Würde tat. Mit der Bambuskrücke seines Universal-Regenschirms hielt er sich die schwarze Melone auf dem Kopf fest und stieg ins Wasser. Sein Schlauchboot wurde förmlich auf die Hörner genommen und in der Luft zerfetzt. Parker ging auf Tauchstation, um der Schraube des Bootes zu entkommen, und war ganz zufrieden damit, daß seine Kleidung, die schwer und kompakt war, ihm dabei half. Sie zog ihn steil nach unten. Dicht über seiner Melone hörte er das Geräusch der wütend drehenden Schraube. Es entfernte sich, kam aber sofort wieder zurück. Man wollte ihn nicht entkommen lassen. Er sollte eindeutig ermordet werden! Parker war damit nicht einverstanden und freute sich, entsprechende Vorsorge getroffen zu haben. Für die nächtliche Wasserfahrt hatte er sich ein Rettungsgerät der Marine verschafft, eine kleine Patrone, wie sie von U-Boot-Fahrern benutzt wird, falls sie gezwungen sind, ihr Boot unter Wasser zu verlassen. Parker, der Panik so gut wie überhaupt nicht kannte, bediente sich dieser nützlichen Einrichtung. Er legte sich die Klammer an, die seine Nasenlöcher hermetisch dicht abschloß. Dann spuckte er übernommenes Wasser aus und schloß seine Lippen um den zigarrenlangen Blechzylinder, der wenigstens für drei bis vier Minuten Sauerstoff enthielt. Er hütete sich, zurück zur Wasseroberfläche zu stoßen, blieb auf Tauchstation und sorgte für den richtigen Auftrieb, um nicht zu tief nach unten zu sinken. Die Schraube des Motorbootes blubberte noch mal über ihn hinweg und entfernte sich dann. Oben im Motorboot mußte man inzwischen sicher sein, daß er ertrunken war. Ohne Hilfsmittel konnte selbst ein sehr geübter Schwimmer nicht so lange unter Wasser bleiben. Parker machte mit den Beinen einige energische Schwimmstöße und tauchte auf. Seine Ruhe und Beherrschung während dieses ganzen Vorgangs waren frappierend. Er schien nur eine Testaufgabe in einem großen Wassertank absolviert
zu haben. Die wirklich einsame Spitzenklasse dieses Mannes hatte sich erneut bewiesen. Das Motorboot war nicht mehr zu sehen, das Motorengeräusch verlor sich jenseits der dichten Nebelbank in der Nacht. Die unmittelbare Gefahr war vorüber. Dafür hörte der Butler erstickte Schreie und Hilferufe. Sie stammten wohl von den drei jungen Männern, die er hier auf See diskret beschattet hatte. Parker machte sich daran, Erste Hilfe zu leisten. *** Kathy Porter war fast angenehm überrascht, als sie sich in ihrem Gefängnis umsah. Das fensterlose Behältnis war freundlich tapeziert, mit Teppichen ausgelegt und wies ein Bett auf, das an eine große Spielwiese erinnerte. Es war mehr als angenehm warm. Selbst in dem kurzen Nachtshorty, das sie trug, kam der Raum ihr überhitzt vor. Sie ging auf eine schmale, nur angelehnte Tür zu, die in einen Baderaum führte, der mit allen Raffinessen ausgestattet war. Nachdem sie einen kurzen Blick hineingeworfen hatte, interessierte sie sich für den Beistelltisch am Fußende des breiten Bettes. Dort standen einige Flaschen, Gläser und eine Thermosbox mit Eiswürfeln. Kathy Porter nagte nachdenklich an ihrer Unterlippe. Sie hatte Durst und Kopfschmerzen, die von dem Schlag mit dem Schußwaffenlauf herrührten, und ein sehr schlechtes Gefühl in der Magengegend. Erstaunlicherweise wäre ihr ein niedriger, feuchter und dunkler Keller erheblich lieber gewesen. Dieser Raum hier drückte eine Eindeutigkeit aus, die nicht zu übersehen war. Wollte man sie als Gespielin für anregende Stunden festhalten? Neben einer Flasche entdeckte sie ein Röhrchen mit Kopfschmerztabletten. Ihr Gastgeber hatte wirklich an alles gedacht. Ihrer Ansicht nach konnte dieser ominöse Mann nur Dan Hodner sein. Warum er sie hatte entführen lassen, vermochte sie nur zu ahnen. Hatte er sie im Verdacht, die Verfolgung des Schützen in der Hotelbar bewußt vereitelt zu haben? Ihre Kopfschmerzen verlangten gebieterisch nach Abhilfe. Sie schraubte den Verschluß des Röhrchens auf, schüttete sich eine Tablette in die Hand und spülte sie mit einem Schluck Eiswasser hinunter -und hatte plötzlich Bedenken, richtig gehandelt zu haben. Irgendwie kam ihr der Verdacht, daß man sie unter Drogenwirkung setzen wollte. Sie kannte gewisse Tricks gewisser Herren. Kathy wanderte unruhig im Zimmer herum und suchte unauffällig nach versteckt angebrachten Kameras oder Gucklöchern. Möglicherweise waren auch Mikrofone angebracht. Dann spürte sie die Müdigkeit, die in ihr hochkroch. Sie gähnte, fuhr sich über die inzwischen schwer gewordenen Augenlider und steuerte auf das einladende Bett zu. Natürlich war die Tablette eine Droge
gewesen, jetzt wußte sie es mit letzter Sicherheit. Der Kopfschmerz war verschwunden, dafür aber fühlte sie sich wie auf weichen Wolken. Sie kam gegen die Müdigkeit nicht an, legte sich nieder und zog die Seidendecke über sich. Wohlige Gleichgültigkeit erfaßte sie. Was sollte ihr schon groß passieren? Sie hörte plötzlich leise, fast schleichende Schritte. Kathy Porter hatte Mühe, die Augen noch mal zu öffnen. Wie durch einen milchigen Schleier sah sie am Fußende des Bettes Dan Hodner, der sie kühl und schweigend anstarrte, dann nach der Seidendecke griff und sie fast genußvoll von Kathys Körper zog. Er nahm sich dabei viel Zeit und schien diesen Vorgang sichtlich zu genießen. *** Parker hatte sein nächtliches Abenteuer gut überstanden. Er war von einem Polizeiboot aufgefischt worden und hatte trockene Kleidung angelegt. Er sah korrekt aus wie immer. Parker hatte nur noch einen der drei jungen Männer retten können, die beiden anderen waren ertrunken. Der Gerettete hieß Bobby und war der Schläger, dessen Schneidezähne seit seiner Begegnung mit Parker nicht ganz in Ordnung waren. Griffins hatte auch die beiden anderen Rowdies geschnappt. Ray, der junge Mann mit dem lädierten Knie, und Lern, der Mann mit den zwei eingegipsten Fingern, saßen zusammen mit Bobby in einer Polizeizelle. Der Vorwand für eine vorläufige Festnahme war von Griffins schnell und legal gefunden worden. In den beiden Wohnwagen der Schläger hatten sich einige Kartons geschmuggelten Whiskys gefunden. »Die drei Burschen sind völlig geschockt«, berichtete Inspektor Griffins. »Mit dem Tod ihrer Freunde hatten sie sicher nicht gerechnet.« »Haben sie schon Aussagen zur Sache gemacht?« wollte Parker wissen. »Sie haben den Whisky Schmuggel zugegeben«, erwiderte Griffins, »aber von einer Zusammenarbeit mit Dan Hodner wollen sie nichts wissen. Sie streiten ab, für ihn geschmuggelt zu haben.« »Weil diese Lümmel Angst haben, ebenfalls noch ermordet zu werden«, stellte Agatha Simpson fest. »Bestimmt, Mylady«, pflichtete Griffins ihr bei. »Mit dieser brutalen Reaktion haben sie bestimmt nicht gerechnet. « »Konnte der Kutter ermittelt werden, Sir? « wandte Parker sich an Griffins. »Natürlich, aber dort will man von nichts wissen. Weder von Whiskyschmuggel noch von Hodner.« »Und das Motorboot?« verlangte die Detektivin zu wissen. »Das haben sie natürlich beobachtet, aber sie ahnten nicht, daß es verrückt spielen würde. Nun, den Eigner und die Besatzung des Kutters werden wir uns
noch genauer ansehen. Der Kutter ist in Outhport beheimatet und kann uns nicht entwischen.« »Vergessen Sie die drei jungen Leute nicht zu fragen, warum sie sich am Strand mit Hodner angelegt haben«, erinnerte Parker. »Dieser Punkt be-, darf noch einer Klärung.« »Keine Sorge, Mister Parker.« Inspektor Griffins nickte gemütlich. »Die drei Kerle werden uns alles sagen, was sie wissen. Das ist nur 'ne Frage der Zeit.« »Sie haben das Gemüt eines Fleischerhundes«, grollte Lady Simpson gereizt los. »Sie lassen sich Zeit, aber wir wissen nicht, wo Kathy festgehalten wird. Lassen Sie mich mal mit diesen Bürschchen reden, Inspektor, dann bekommen wir die Hinweise, die wir brauchen.« »Ein Vorschlag, Inspektor, den man nicht übergehen sollte«, meinte der Butler. »Mylady kann sehr nachdrücklich sein.« »Warum eigentlich nicht?« Griffins maß die grimmige Dame mit einem umfassenden Blick. »Ein heilsamer Schock könnte nicht schaden.« *** Dan Hodner vertiefte sich in die Betrachtung der Schönheiten, die sich seinen Augen boten. Unwillig drehte er sich um, als angeklopft wurde. »Was ist denn?« fragte er gereizt. Seine beiden Leibwächter traten ein und zeigten deutlich, daß Myladys Fähigkeiten als Sportlerin noch nicht gelitten hatten. Der erste Profi trug ein handtellergroßes Pflaster auf dem Hinterkopf und verdeckte damit die Spuren einer gewissen Thermoskanne. Der zweite hatte sein linkes, angerissenes Ohr ebenfalls mit viel Heftpflaster wieder in eine einigermaßen normale Form gebracht.. »Kriegt keine Stielaugen!« sagte Hodner, als sie zu Kathy Porter hinübersahen, die sehr viel zu zeigen hatte, ohne allerdings jetzt davon zu wissen. »Was gibt's?« »Pech auf der ganzen Linie, Chef«, sagte der erste Profi. »Die Sache draußen auf See hat nicht ganz geklappt«, fügte der zweite junge Mann deutlicher hinzu. »Wie wir gerade hörten, lebt Parker. Und die Bullen haben Ray, Bobby und Lern festgenommen.« »Was ist mit Matt und Harry?« Hodner vergaß die Anwesenheit von Kathy Porter und kämpfte um seine Selbstbeherrschung.. »Die sind bei den Fischen, das steht fest!« Der erste Profi nickte nachdrücklich. »Ray, Bobby und Lern werden vorerst den Mund halten.« Dan Hodner kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Wie lange sie das allerdings durchhalten werden, weiß ich nicht.« »Wir wissen, wo sie im Moment untergebracht sind, Chef«, sagte Bert, der erste der beiden Profis.
»Mit 'ner kleinen Sprengladung an der Außenwand des Baues läßt sich das Problem leicht lösen«, fügte der zweite Profi hinzu, der Paul hieß. »Nicht schlecht.« Hodner nickte langsam. »Die drei Burschen sind ein zu großes Sicherheitsrisiko.« »Wie die Kleine da, Chef?« erkundigte sich Bert. »Unsinn, die macht keinen Ärger.« »Man wird nach ihr suchen, Chef«, wandte nun auch noch Paul ein. »Wennschon! Man wird sie eben nicht finden.« »Sie sind der Chef«, meinte Bert. »Wie steht's mit der Sprengladung? Sollen wir losziehen?« »In Ordnung, regelt das, Boys! Und danach ein anonymer Anruf bei der Polizei. Gebt euch als irgendeine irische Untergrundbewegung aus, die sich für schlechte Waffenlieferungen gerächt hat. Dann kriegt Balton gleich was mit ab.« Bert und Paul verschwanden aus dem Schlafzimmer und ließen ihren Chef zurück, von dem sie nur zu gut wußten, daß er nicht gestört sein wollte, wenn es um junge hübsche Mädchen ging. Hodner fühlte sich in seinem Versteck sicher. Er wartete, bis die Schritte seiner Leibwächter verhallt waren, dann griff er nach dem modernen Fotoapparat mit dem aufgesetzten Blitzlichtgerät. Hodner hatte die Absicht, ein paar nette Erinnerungsfotos von Kathy Porter zu schießen, mit denen er sie später vielleicht unter Druck setzen konnte. *** Aus Gründen einer schnellen Nachrichtenübermittlung hatten Mylady und ihr Butler im Wagen von Inspektor Griffins Platz genommen. Er saß vorn auf dem Beifahrersitz und telefonierte gerade mit seiner Funkleitzentrale. »Hodners Haus ist völlig dunkel«, sagte er, »der Bau ist umstellt. Auf dem Grundstück rührt sich nichts,« »Ich bin dafür, dieses Rattennest zu stürmen«, entschied Agatha Simpson energisch. »Sie haben einfach zuviel Skrupel, Griffins.« »Das vielleicht weniger,, Mylady«, entschuldigte sich der Inspektor, »aber ich habe meine eindeutigen Vorschriften.« »Hat die Durchsuchung der Farm etwas ergeben?« wechselte Parker geschickt und schnell das Thema. »Ein Waffenlager«, antwortete Griffins. »Es befand sich in einem raffiniert getarnten Versteck unterhalb der Scheune. Gewehre, Maschinenwaffen, Handgranaten und plastische Sprengstoffe. Ich sagte ja schon, daß Balton Waffenhändler ist. Die Farm scheint sein Stützpunkt gewesen zu sein.« »Den Sie dank Miß Porter gefunden haben«, schaltete sich nun die ältere Dame ein. »Und was unternimmt man für sie? Nichts, rein gar nichts!«
»Ich möchte Mylady versichern, daß Miß Porter sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht in Mister Hodners Strandvilla befindet«, erklärte Parker. »Sie scheuen nur das Risiko, Mister Parker. Pfui!« »Wenn Mylady darauf bestehen, werde ich der Strandvilla umgehend meine Aufwartung machen.« »Ich habe nichts gehört«, erinnerte Griffins hastig. »Aber Sie werden Mister Parker doch wenigstens vor der Villa absetzen können, oder?« »Der Wagen wird halten, wo Mister Parker es wünscht.« Griffins war durchaus bereit, das Spiel mitzuspielen. Er gab dem Fahrer eine Anweisung, worauf der Wagen die Sirene abstellte und dann Richtung auf Dan Hodners Strandvilla nahm. Sie hatten sie noch nicht ganz erreicht, als das Funktelefon sich meldete. Inspektor Griffins langte hastig zu, sagte aber kein Wort, als er nach kurzer Zeit wieder auflegte. »Nun?« Mehr, sagte Lady Simpson nicht. Griffins zuckte zusammen und räusperte sich. »Ein Sprengstoffanschlag auf das Polizeibüro«, sagte er. »Zwei Beamte wurden leicht verletzt.« »Und die drei Alkoholschmuggler, Sir?« wollte Parker wissen. »Diesen Ray hat es böse erwischt. Er befindet sich bereits auf dem Weg ins Spital, Bobby und Lern dürften mit einem Schock davongekommen sein.« »Hodner«, tippte Agatha Simpson an, während der Polizeiwagen wieder die Sirene einschaltete und den Kurs änderte. Es war klar, daß die Strandvilla unter diesen Umständen warten mußte. »Kurz nach dem Sprengstoffanschlag erfolgte ein anonymer Anruf. Eine irische Untergrundbewegung übernimmt die Verantwortung für das Attentat.« »Mit welcher Begründung, Sir?« erkundigte sich Parker. »Man sagte am Telefon, man lasse sich von Waffenhändlern nicht betrügen.« »Also, dann eben dieser Balton«, stellte Lady Simpson energisch fest. »Das liegt doch auf der Hand, Inspektor, seien Sie doch nicht so schrecklich begriffsstutzig!« »Oder Mister Hodner«, schloß Josuah Parker in seiner gemessenen und höflichen Art. »Könnte es nicht sein, daß auch er mit Waffen handelt? Der Handel damit dürfte meiner bescheidenen Ansicht nach einen größeren Gewinn abwerfen als der mit geschmuggeltem Whisky.« *** Die grellen Lichtblitze ließen Kathy Porter wach werden. Geschult blieb sie regungslos liegen, wartete erst mal, bis ihre Gedanken und Empfindungen sich gesetzt hatten und sie zu deuten vermochte, daß man sie fotografierte.
Sie hörte ein wohlbekanntes Klicken, das zu einem Kameraverschluß gehörte. Der Fotograf befand sich dicht über ihr. Kathy erinnerte sich an diesen Mann, der kurz vor dem Einschlafen ihr komfortables Gefängnis betreten hatte. Was er sich von den Aufnahmen versprach, konnte Kathy nur ahnen. Sie zuckte zusammen, als sie seine Hände auf ihrem nackten Körper fühlte. Dann stöhnte sie leise und drehte sich herum, zog das linke Bein dekorativ an und kuschelte sich im Kissen zurecht. Kathy hoffte, daß Hodner nicht mißtrauisch wurde und merkte, daß sie bereits hellwach war. Er blieb auch ahnungslos, war aber mit ihrer jetzigen Lage nicht ganz einverstanden, berührte Kathy erneut mit klebrigen Fingern, bewegte ihre Glieder und schob die junge Dame in eine Pose, die seinem Geschmack entsprach. Die grellen Lichtexplosionen wurden etwas schwächer. Hodner war offensichtlich um das breite Bett herumgegangen und interessierte sich jetzt für ihre Rückenpartie. Nun riskierte Kathy vorsichtig das Öffnen der Augen. Sie hatte sich nicht getäuscht. Im Wandspiegel sah sie Dan Hodner. Er hatte sich das Jackett ausgezogen und die Krawatte gelockert, fotografierte wie besessen und schien es darauf angelegt zu haben, jeden Quadratzentimeter ihrer Haut auf den Film zu bannen. Wahrscheinlich sammelte er Erinnerungen dieser Art. Der Spiegel sagte aber noch weit mehr aus. Hodner war allein, er hatte auf die Anwesenheit seiner beiden jungen Leibwächter verzichtet. Damit befand er sich in großer Gefahr, denn Kathy war ganz sicher nicht ein harmloses Mädchen. Sie seufzte, dehnte und reckte sich, rieb sich die Augen und setzte sich unvermittelt auf. Hodner war seitlich zurückgetreten und beobachtete sie gespannt. Kathy übersah ihn zuerst, tat erschreckt, als sie an sich hinunterschaute, zog hastig die Seidendecke über ihren nackten Körper, schaute sich um und - starrte Hodner an. »Nur nicht nervös werden«, sagte der Mann und trat vor. Der Dicke mit dem breitflächigen Gesicht und den kalten Augen bemühte sich um Freundlichkeit. »Alles in Ordnung, Kathy.« »Wie komme ich hierher?« Sie zog die Beine an und rutschte dann mitsamt der schützenden Seidendecke zum Kopfende des Bettes. »Wissen Sie denn nicht, daß man Sie entführt hat?« »Entführt?« Sie strich sich über die Stirn. »Einer meiner Leute hat da Blödsinn gemacht«, log Hodner. »Er schleppte Sie plötzlich ran. Was sollte ich tun? Sie waren ziemlich groggy, Kleines. Ich mußte mich um Sie kümmern.« »Seit wann bin ich hier?« »Anderthalb Stunden, aber keine Angst, Ihnen passiert überhaupt nichts. Sobald Sie wieder auf den Beinen sind, können Sie gehen.«
»Dann gehe ich sofort!« Kathy stand auf, ließ die Seidendecke gekonnt ein wenig über ihre nackten Schultern rutschen, fing sie hastig wieder auf und wickelte sich dann ein. »Nur nichts überhasten«, sagte Hodner. »Mylady wartet bestimmt auf mich, Mister Hodner.« »Wollen Sie tatsächlich zu ihr zurück? Sie wissen, ich habe Ihnen einen besseren Job zu bieten.« »Sie wissen doch überhaupt nicht, ob ich begabt bin.« »Ich weiß nur, daß Sie verdammt sexy sind.« Er hob die Kamera an, die er bisher auf dem Rücken versteckt hielt, worauf Kathy entsetzt reagierte. »Sie haben mich fotografiert?« »In allen Lagen«, meinte er und lächelte zweideutig. »Prächtige Aufnahmen, Kathy, um die sich gewisse Magazine reißen werden!« »Ich soll für Sie als Modell arbeiten?« Sie legte Empörung in ihre Stimme. »Sie sind's schon, Kathy. Und jetzt möchte ich rausbekommen, was wirklich mit Ihnen los ist.« »Wie meinen Sie das?« Ihre gespielte Angst steigerte sich. Sie sah ihn aus großen, verschreckten Kinderaugen an, als er auf das breite Bett zukam. Genußvoll griff er nach der leichten Decke und riß sie ruckartig aus ihren Händen. Dann krabbelte er wie ein großes, tolpatschiges Baby auf das Bett und wollte sich mit Kathy beschäftigen. Das sah derart komisch aus, daß die junge Dame sich zusammenreißen mußte, um nicht in lautes und amüsiertes Lachen auszubrechen. Dann allerdings langte sie zu und benutzte die Kante ihrer linken Hand, worauf Hodner leicht aufgrunzte, die Augen verdrehte und sich ausstreckte, um die Weichheit des Bettes nun selbst zu testen. Kathy Porter sprang auf und suchte nach einer Waffe. Sie fand sie im Jackett des Gangsters. Es handelte sich um einen kurzläufigen 38er, mit dem sie umzugehen verstand. Sie huschte zur Tür und war erleichtert, sie unverschlossen zu finden. Zögernd trat Kathy in einen langen Kellergang, der spärlich beleuchtet war. Hier war es empfindlich kühl und feucht. Das Klima entsprach schon mehr dem, was sie in ähnlichen Situationen erlebt hatte. Immerhin war sie nackt und wollte sich nicht die Zeit nehmen, lange nach geeigneten Kleidungsstücken zu suchen. Vielleicht hätte sie damit nur wertvolle Zeit verloren. Sie hatte den Gang halb hinter sich gebracht, als sie Schritte und Stimmen hörte. Kamen die beiden Profis zurück? Kathy sah sich verzweifelt nach einem geeigneten Versteck um und entschied sich für eine Tür, die sie gerade passiert hatte. Sie huschte schleunigst zurück, drückte die Klinke hinunter und öffnete vorsichtig. Dunkelheit schlug ihr förmlich entgegen. Kathy streckte die Arme aus, tastete sich vor und - stieß mit dem rechten Knie gegen eine leere Blechdose.
Das Blech schepperte wie eine heisere Schiffsglocke. Lauter hätte Kathy sich überhaupt nicht bemerkbar machen können. Sie hörte hinter sich ein lautes Auflachen, wirbelte herum und schloß geblendet die Augen. Grelles Licht machte sie für Sekunden völlig blind. Zum Zeichen der Aufgabe hob sie beide Arme. Kathy wußte, daß sie das Spiel verloren hatte. *** Die Polizeistation sah mitgenommen aus. Das Tor hing in abenteuerlich aussehenden Fetzen windschief in den Angeln. Die Fenster der umliegenden Häuser waren samt und sonders vom Luftdruck der Detonation zerschmettert worden. In der Wand des Zellenanbaus gähnte ein großes, brandig aussehendes Loch. Hier mußte der Sprengstoff besonders gewirkt haben. Man konnte in einige Zellen hineinsehen. »Ein Wunder, daß nicht mehr passiert ist«, sagte Inspektor Griffins. Er ging mit Lady Simpson und Josuah Parker durch die Absperrung der uniformierten Beamten und deutete auf die angeknackte Zelle neben dem brandigen Loch in der Wand. Die Trennwand zwischen diesen beiden Zellen war eingerissen. »Dort saß Ray.« »Was ist ihm passiert?« fragte Agatha Simpson ohne jedes Mitgefühl. »Ein paar Knochenbrüche, Gehirnerschütterung und dann einen Schock hat er weg«, sagte Griffins. »Und wo befanden sich Bobby und Lern?« wollte der Butler wissen. »Oben im ersten Stock. Die Fußböden rutschten ab und landeten hier unten zwischen den Trümmern. Die Kerle haben so gut wie nichts abbekommen.« »Schade!« Lady Simpson konnte unversöhnlich sein. »Sie sind jetzt vorn in einer Ausnüchterungszelle«, redete Griffins weiter. »Sie können sich mit ihnen unterhalten. Aber bitte, Mylady, vielleicht in gedämpfter Tonart.« »Wollen Sie damit etwa sagen, junger Mann, ich würde normalerweise zu laut reden?« grollte sie mit feldwebelhaftem Unterton. »Aber nein, Mylady, bestimmt nicht.« Griffins duckte sich und nahm hinter Josuah Parker Deckung. »Das wollte ich mir aber auch ausgebeten haben«, sagte Agatha Simpson. »Fragen Sie Mister Parker, wie friedlich ich bin!« Sie maß den Inspektor mit grimmigem Blick und schickte sich an, die beiden Rocker ins Privatverhör zu nehmen. Die Detektivin wirkte sehr kriegerisch, als sie auf ihren stämmigen Beinen losmarschierte. ***
»So etwas habe ich noch nie erlebt«, gestand Griffins eine halbe Stunde später. Er war mit Butler Parker in seinem Büro, während Mylady sich etwas erfrischte. »Diese Lady Simpson ist ungewöhnlich.« »Dem kann ich nur beipflichten«, erwiderte Parker gemessen. »Die beiden Rocker rutschten förmlich in sich zusammen, als sie loslegte.« »Mylady hat eine vielleicht etwas ungestüme und direkte Art der Befragung.« Parker drückte sich vorsichtig aus. »Ein Orkan ist ein sanfter Wind dagegen.« Griffins schmunzelte unwillkürlich. »So schnell habe ich noch nie ein Geständnis erreicht.« »Fassen wir also zusammen«, ließ Agatha Simpson sich von der Tür her vernehmen. Sie war zurückgekehrt und zu neuen Taten bereit. »Diese fünf Rowdies oder Rocker, wie es heute heißt, arbeiteten für Dan Hodner und schmuggelten Waffen nach Nordirland ...« »... und begingen den Fehler, auf eigene Rechnung arbeiten zu wollen«, fuhr Griffins fort. »Sie schmuggelten Whisky, um noch schneller an noch mehr Geld zu kommen.« »Dabei wurden Sie von Mister Parkers Kollege beobachtet«, setzte Mylady hinzu, »von Mister Angels und den beiden anderen Männern, die ermordet wurden. Sie stellten fest, daß der Whisky per Schlauchboot von gewissen Kuttern an Land geschafft wurde.« »Mister Hodner kam hinter dieses Privatgeschäft und machte sofort das, was man in Gangsterkreisen wohl reinen Tisch machen nennt. Er ließ die drei Männer nacheinander umbringen, meinen Kollegen Angels 'in dem Moment, als er den Campingplatz verlassen wollte.« »Sie sind wirklich der Ansicht, daß diese fünf Rocker mit den Morden nichts zu tun haben?« Mylady blieb skeptisch und sah Griffins an. »Vollkommen, Mylady!« Griffins nickte. »Das waren eiskalt durchgeführte Morde, die auf Profis hindeuten. Denken Sie an die beiden Männer, von denen Ihre Sekretärin erzählt hat! Ich meine Hodners Leibwächter.« »Womit wir bei Kathy sind.« Lady Simpsons Gesicht nahm sofort wieder den grimmigen Ausdruck an. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß diese Lümmel nicht wissen wollen, wo sie festgehalten werden könnte.« »Das paßt aber ins Schema, Mylady«, schaltete Griffins sich ein. »Hodner wird die fünf Rocker kaum in seine privaten Geheimnisse eingeweiht haben, dazu ist er zu vorsichtig.« »Ich fürchte, Mylady, daß Inspektor Griffins die Sache realistisch beurteilt«, meinte der Butler. »Damit wäre dann nur ein kleiner Teil dieses Falles geklärt«, bedauerte Agatha Simpson. »Um die fünf Rocker brauchen wir uns nicht mehr zu kümmern. Zwei von ihnen sind getötet worden. Mister Parker hat das ja draußen auf See aus nächster Nähe beobachtet, die drei anderen Individuen sind aus dem Spiel. Bleiben also Hodner und vielleicht auch dieser Balton, Hodners Konkurrent.«
»Vollkommen richtig, Mylady.« Griffins wirkte nicht sehr erfreut. Er wußte wie Lady Simpson und Butler Parker, daß sie damit nur die Spitze des eigentlichen Eisbergs entdeckt hatten. Die wirklichen Gangster befanden sich leider noch in Freiheit. »Sie sind in der Lage, beide Männer beurteilen zu können«, wandte Parker sich an den Inspektor. »Wen würden Sie für gefährlicher halten?« »Lester Balton ist ein Mann, bei dem alles mit Gewalt gehen muß«, differenzierte Griffins. »Hodner dagegen ist raffinierter und geschmeidiger, doch im Endeffekt sind sie beide Mörder, direkt und indirekt.« »Sie sollten an Hodners Gemeinheit denken, wie er die fünf jungen Rowdies bestrafte, als er hinter ihren Alkoholschmuggel kam«, warf Agatha Simpson ein. »Das grenzte doch schon an Sadismus.« Hodner hatte, das wußte man inzwischen, die fünf Burschen an den öffentlichen Familienbadestrand beordert und sich hier von ihnen angeblich belästigen lassen. Er hatte dann den energischen Bürger gespielt und seine eigenen Mitarbeiter nach allen Regeln der Kunst verprügelt. Sie hatten sich dabei natürlich nur zum Schein wehren dürfen. Im Hintergrund waren die beiden Leibwächter, und sie hätten gnadenlos eingegriffen, wenn ihrem Herrn und Meister etwas passiert wäre. Hodner war es bei dieser Bestrafung gar nicht darauf angekommen, die Kniescheibe von Ray nachhaltig zu lädieren, da Ray der junge Mann war, der die Idee mit dem Alkoholschmuggel hatte. Nach außen hin hatte Dan Hodner sich so als unerschrockener Bürger gezeigt und deutlich gemacht, daß er mit fünf jungen Rockern nichts zu tun hatte. Cleverer konnte man so etwas wirklich nicht aufziehen. »Sie kennen Dan Hodner.« Parker ergriff erneut das Wort und wandte sich an Griffins. »Glauben Sie, daß er das Land verlassen hat?« »Niemals! Hodner gibt freiwillig keine Position auf. Falls die noch lebenden drei jungen Männer gegen ihn aussagen, wird er natürlich. alles abstreiten. Und einem Lester Balton überläßt er nicht freiwillig das Waffengeschäft. Daran werden Millionen verdient. Die Extremisten drüben in Nordirland brauchen jede Menge Nachschub, wie man leider weiß. Nein, ein Hodner wird mit Zähnen und Klauen seine Geschäfte verteidigen!« *** »Macht sie fertig«, sagte Hodner und blickte haßerfüllt auf Kathy Porter, die von den beiden Leibwächtern gehalten wurde. »Ich will sie schreien hören! Auf den Knien soll sie vor mir rutschen und um Gnade betteln!« Der Gangster hatte sich von seinem Niederschlag erholt, ihn innerlich aber noch längst nicht verarbeitet. Er kochte vor Wut. Eine Frau hatte es gewagt, ihn körperlich anzugreifen. Dafür sollte sie büßen!
Bert und Paul, die beiden Profis, schienen sich in ihrer Rolle nicht wohl zu fühlen. Sie wußten auch nicht, was ihr Herr und Meister meinte. Sie hatten Kathy in die Mitte genommen und ihr die Arme auf den Rücken gedreht. »Worauf wartet ihr Idioten noch?« schrie Hodner. Sein breitflächiges Gesicht war schweißbedeckt, seine kalten Augen waren keine menschlichen Augen mehr. Er hatte an Kathy jedes Interesse verloren. Er sah nichts mehr von der Schönheit ihres noch unversehrten Körpers. Er wollte nur Rache und sehen, wie diese Frau vor Angst zitterte und winselte. »Und wo sollen wir das tun?« fragte Bert vorsichtig. »Wär' doch schade um das Zimmer hier«, schaltete sich nun auch Paul schnell ein. »Bringt sie rauf in den Schuppen! Ich geb' euch 'ne halbe Stunde Zeit.« Kathy hatte eingesehen, daß Worte sinnlos waren. Mit diesem Mann war nicht mehr zu reden, aber eine gewisse Hoffnung keimte in ihr. Sie sollte nach oben in einen Schuppen gebracht werden. Vielleicht gab es dort eine Möglichkeit, die Flucht zu ergreifen. Zudem spürte sie, daß die beiden Profis mit ihrer Aufgabe nicht so recht einverstanden waren. Sie beeilten sich, zusammen mit ihrem Opfer aus dem Raum zu kommen. Wahrscheinlich kannten sie Hodner nur zu gut und wollten weitere Steigerungen der Rache vermeiden. Sie ließen Kathy natürlich nicht aus dem Griff und führten sie zurück in den langen Kellergang. Kathy wartete, bis sie die Hälfte hinter sich gebracht hatten, um ein wenig schwach in den Beinen und dann ohnmächtig zu werden. Die beiden Profis fielen auf -ihren Trick prompt herein und blieben stehen. »Auch das noch«, sagte Bert. »Is' das 'n Wunder?« gab Paul zurück. »Das hält der stärkste Gaul nicht aus.« »Komm, ich schnapp' sie mir.« Bert lud sich Kathy auf die Schulter und trug sie weiter. Dabei unterhielt er sich leise mit seinem Partner Paul. »Was stellt der Chef sich eigentlich vor?« wollte er wissen. »Keine Ahnung.« Paul war überfordert, »'n Mordauftrag wäre mir lieber.« »Die muß den aber ganz schön reingelegt haben«, freute sich Bert und lachte leise. »So wütend habe ich Hodner noch nie gesehen.« »Ob wir sie zusammendreschen sollen? So mit Kabelenden?« Paul machte sich ehrliche Gedanken. Er wollte es dem Chef natürlich recht machen. »Wär' gar nicht so schlecht«, pflichtete Bert ihm bei. »An so was hab' ich auch gedacht.« Kathy in ihrer gespielten Ohnmacht bekam natürlich jedes Wort mit und wußte nicht, was sie davon halten sollte Zwei Männer, ganz eindeutig Killer, zerbrachen sich den Kopf darüber, wie sie eine Frau foltern sollten. Der Dialog zwischen Bert und Paul hatte schon fast etwas Skurriles an sich. Sie hatten inzwischen den Gang hinter sich gebracht und standen vor einer als Mauerstück getarnten Tür, die von Paul geöffnet wurde. Kalte Luft, die nach Tang und Salz schmeckte, wehte Kathy ins Gesicht. Sie riskierte ein Auge und sah vor
sich eine Steintreppe, die in einem kleinen Lagerschuppen endete, der wohl zu einer Werft gehörte. Stapel angerosteter Bleche und Eisenrohre lagen auf dem öligen Boden. Durch eine Tür sah sie hinaus ins Freie auf einen kleinen Uferkai. Doch es ging schon wieder weiter. Bert und Paul brachten sie von hier aus in einen kleinen Raum, der mit Tauwerk aller Art vollgestopft war. Kathy wurde erstaunlich vorsichtig zu Boden gelassen und nahm auf dem Tauwerk eine gewollt dekorative Haltung ein. »'ne Schweinerei! So was soll man zu Kleinholz machen«, beschwerte sich Bert und baute sich vor Kathy auf. »Bringen wir's hinter uns«, sagte Paul seufzend. »Die Kleine hätt' mehr davon, wenn wir sie auf der Flucht erschießen würden.« Sie wandten sich ab und suchten nach geeignetem Material, um ihren Auftrag auszuführen. Kathy aber, die sie beobachtet hatte, nutzte ihre kleine Chance. *** Sie hatte sich hochgesetzt und drückte sich mit der Sprungkraft einer Pantherkatze von dem Tauwerk ab. Mit der rechten Schulter warf sie sich gegen die Kniekehlen von Bert und brachte ihn zu Fall. Der Profi rutschte wie ein Taschenmesser in sich zusammen, glitt dabei aber aus und fiel mit der rechten Kopfseite gegen den eisernen Fensterrahmen. Bert war sofort besinnungslos. Paul, der eben noch gewisse Sympathien für sein Opfer gehabt hatte, verwandelte sich in eine Kampfmaschine. Bei ihm waren Reize ausgelöst worden, die jetzt außerhalb seiner Kontrolle standen. Er sah nicht mehr die Frau vor sich, sondern den Gegner, der ausgeschaltet und umgebracht werden mußte. Er wollte seine Schußwaffe aus der Halfter ziehen, doch Kathy war schneller. Sie sprang ihn mit beiden Füßen an, befand sich für Bruchteile einer Sekunde waagerecht in der Luft und erwischte ihn genau auf der Brust. Paul wurde wie von einer Riesenfaust zurückgeschleudert. Einen Verteidigungstrick dieser Art hatte er wohl noch nicht erlebt. Er landete zwischen dem Tauwerk, blieb aber stur dabei, seine Waffe ziehen zu wollen. Und damit war Kathy nun wieder nicht einverstanden. Sie hatte längt einen rostigen Eimer in der Hand, der noch zu einem Viertel mit Farbe gefüllt war. Sie schwang ihn und warf ihn in Richtung Paul. Er wollte diesem Geschoß entweichen, schaffte es beinahe, doch wurde er durch die Wand daran gehindert, den Wurf endgültig auszupendeln. Die rostige Eimerkante schrammte an seiner linken Gesichtshälfte vorbei und riß die Hand auf. Gleichzeitig schwappte der Inhalt des Eimers über und ergoß sich ins Gesicht des Killers. Es handelte sich um blutrote Rostschutzfarbe, die den Mann malerisch einfärbte. Kathy hatte bereits Berts Schußwaffe in der Hand und lief zur Tür. Falls
Hodner jetzt erschien, war sie bereit, sich den Weg freizuschießen. Mit Schußwaffen wußte sie gut umzugehen. Sie war nicht bereit, sich noch mal einfangen zu lassen. Sie rannte an den Blechstapeln vorbei, schlüpfte hinaus in Freie und rannte zum Kai hinunter, der tatsächlich zu einer kleinen Werft gehörte. Dann blieb sie überrascht stehen. Das konnte doch nicht wahr sein! Vertäut an einem Eisenring schwabbelte ein offenes Motorboot im Wasser. Kathy sprang hinein, holte tief Luft und betätigte den Starter. Der Außenborder schnarrte sofort los. Kathy zerschoß die haltende Leine und kurvte vom Kai ab. Sie hatte etwa hundert Meter geschafft, als der erste Schuß fiel. Das Geschoß klatschte dicht neben dem Boot ins Wasser. Kathy wandte sich hastig um. Auf dem Kai standen drei Männer, einer davon erinnerte an eine Rothaut. Der dicke Hodner schoß gerade. Doch er schoß vor Wut und Aufregung schlecht, das Geschoß landete irgendwo im Wasser, weit vom Motorboot entfernt. Dann schoß allerdings Paul, hielt nach Art der Profis die Waffe mit beiden Händen und visierte genau. Kathy riß das kleine Motorboot instinktiv in eine scharfe Rechtskurve. Das Geschoß zischte dicht neben ihr in die Kunststoffschale des Bootes. Ohne ihre Reaktion hätte der Killer sie mit tödlicher Gewißheit getroffen. Was spielte es da schon für eine Rolle, daß ein daumendicker Wasserstrahl sich ins Boot ergoß. Kathy war erst mal in Sicherheit. *** »Sie scheinen sich zu einer Exhibitionistin entwickelt zu haben, Kindchen«, sagte Agatha Simpson ohne jeden Vorwurf in der Stimme und drückte Kathy herzhaft an sich, worauf Butler Parker und Inspektor Griffins sich diskret ein wenig abwandten, denn das Polizeijackett, das Kathy trug, verschob sich über ihren Po. Ein Anblick übrigens, der weder der Pikanterie noch der Schönheit entbehrte, wie Josuah Parker sich innerlich eingestand. »Darf ich mir die Freiheit nehmen, Sie zur unversehrten Rückkehr zu beglückwünschen«, ließ er sich dann laut vernehmen, nachdem Kathy errötend ihre provisorische Kleidung wieder in Ordnung gebracht hatte. »Ich wußte ja gleich, daß Ihnen nichts passieren würde«, behauptete Lady Simpson und war derart froh, daß sie Kathy erneut an ihren üppigen Busen ziehen wollte. Parker räusperte sich. »Vielleicht sollten Mylady mit weiteren Freudenkundgebungen ein wenig warten«, empfahl er dann in seiner gewohnt korrekten Art. »Miß Porters Kleidung bietet Einblicke, deren Ausblicke nicht zu übersehen sind.«
»Haben Sie sich nicht so!« Sie sah ihn lächelnd an, was bei Agatha Simpson recht selten war. »Ab sofort werden Sie an die Leine genommen, Kathy! Sie leben mir zu gefährlich!« »Ich möchte nicht versäumen, Myladys Hinweis zu unterstreichen«, fügte Parker hinzu. »Und ich habe eine Kronzeugin gegen ihn«, freute sich Griffins. »Jetzt können wir ihm das Handwerk legen.« »Sie Optimist!« Lady Simpson schaute den Inspektor fast verächtlich an. »Sie glauben doch nicht, daß Hodner sich noch in seinem Luxusversteck aufhält, wie?« »Das nicht.« Griffins schüttelte den Kopf. »Aber wir haben eine Handhabe, um die Großfahndung nach ihm auszuschreiben. Das konnten wir bisher nicht.« Er wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Parker öffnete und sah sich einem Uniformierten gegenüber, der salutierte, dann allerdings sehr verunsichert wirkte. Was eindeutig mit Kathy Porter zusammenhing. »Haben Sie Sprachstörungen?« erkundigte sich Griffins mit mildem Spott. Er hatte Verständnis für seinen Beamten. »Nein, Sir.« Der Mann riß sich von dem einmalig schönen Anblick los und konzentrierte sich auf Griffins. »Meldung von der Durchsuchung der Werft.« »Lassen Sie hören! « »Kein Waffenlager gefunden, Sir. Das Geheimversteck ist in Brand gesetzt worden und wird zur Zeit gelöscht. Von Hodner und den beiden Leibwächtern keine Spur.« »Wie ich's vermutet habe.« Agatha Simpson nickte grimmig. »Dieser saubere Herr hat sich abgesetzt. Hoffentlich flüchtet er nicht nach Irland.« »Wir kontrollieren sämtliche Fluchtwege, die nur möglich sind«, beruhigte Griffins die energische Dame. »Aber ich glaube nicht, daß er so einfach aufstecken wird. Er wird zumindest versuchen, sein Kapital in Sicherheit zu bringen.« »Kapital?« »Sein Waffenlager. Er muß hier an der Küste eins haben, wie hätten die fünf Rocker sonst schmuggeln können. Meiner Ansicht befindet es sich zwischen Blackpool und Lytham.« Er nickte seinem Beamten verabschiedend zu, doch der junge Mann konnte sich entweder von Kathy Porters Anblick nicht losreißen, oder er hatte noch etwas zu sagen. »Ist noch was?« erkundigte sich Griffins. »Wir haben eine erste Übersicht, Sir, über die Unfälle in der Ribble-Mündung«, meldete der Beamte. »Unfälle?« Lady Simpson wurde aufmerksam. »Im Zusammenhang mit Miß Porters Flucht kam es zu einigen Kollisionen auf dem Wasser«, erläuterte der Inspektor. »Sie dürfen nicht vergessen, Mylady, daß Miß Porter eine reizvolle Motorbootfahrerin gewesen ist.« »Sie waren wie die Fliegen hinter mir her«, erinnerte sich Kathy und lächelte.
»Wer, Kindchen?« »Wassersportler«, sagte Kathy Porter. »Von der Werft fuhr ich quer über die Ribble-Mündung direkt hierher nach Lytham.« »Du lieber Himmel, mir schwant einiges.« Agatha Simpson verdrehte die Augen und wandte sich an Griffins. »Hören wir uns an, was alles passiert ist.« »Also?« Griffins nickte seinem Untergebenen auffordernd zu. Der junge Mann räusperte sich und bemühte dann seine Mundwinkel um den erforderlichen dienstlichen Ernst. »Drei Motorjachten rammten sich gegenseitig«, meldete er. »Es entstand nur reiner Sachschaden, wenngleich zu sagen ist, daß die Boote untergingen. In zwei Fällen kollidierten Segelboote, deren Insassen sich anschließend verprügelten. Eine kleine Fähre lief auf Grund, und etwa zwanzig Tretboote in Ufernähe bildeten ein Knäuel, das jetzt noch entwirrt wird. Menschenleben kamen nicht zu Schaden, Sir, allerdings befinden sich etwa zehn Schwimmer in ärztlicher Behandlung.« »Wieso das?« Griffins lachte unverhohlen, Lady Simpson schmunzelte grimmig, Kathy schaute betreten zu Boden, und Parker sah ernst auf seine Schuhspitzen, um nicht vor Lachen herausplatzen zu müssen. »Die Männer versuchten, das Motorboot der Lady einzuholen und zu entern«, erläuterte der Beamte. »Dabei müssen sie sich körperlich etwas übernommen haben.« »Eine ganz nette Strecke, die sie da geschafft haben, Kindchen.« Agatha Simpson nickte wohlwollend in Richtung Kathy Porter. »Dann liegen noch zwei Anzeigen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses vor«, schloß der pflichteifrige Mann. »Das wäre im Moment alles.« »Ich möchte Ihnen für die Zukunft einen Vorschlag machen, Miß Porter«, sagte Griffins lächelnd. »Könnten Sie nicht einen Bikini als eine Art Notausrüstung mitnehmen?« »Miß Porter wird das nicht mehr brauchen«, entschied Lady Simpson kategorisch. »Ich werde sie nicht mehr aus den Augen lassen, sie bringt mir ja sonst noch das ganze Commonwealth durcheinander.« *** »Von dieser Lockfahrt habe ich mir aber erheblich mehr versprochen«, räsonierte Lady Simpson. Sie saß zusammen mit Kathy Porter im Fond von Parkers hochbeinigem Wagen und bedauerte es kaum, daß man Blackpool wieder den Rücken kehrte. Mylady hatte für die vielen Sehenswürdigkeiten dieses großen Badeortes an der Irischen See kaum ein Auge gehabt und sich auch die besondere Attraktion nicht angesehen, nämlich den berühmten Tower mit seiner Höhe von 158 Metern, der in etwa dem Eiffelturm nachgebildet ist. Nur mit Mühe hatte sie sich zu einem Spaziergang über die fast 11 Kilometer lange Seepromenade verführen lassen, diesen Ausflug aber schon nach knapp einem Kilometer wieder abgebrochen. Vom
Stanley Park mit seinen weit über 30 000 Rosen hatte sie überhaupt nichts gehalten. Blackpool lag also bereits hinter ihnen, und plötzlich hatte Lady Simpsons Gesicht einen interessierten und fast frohen Ausdruck. Eine Gruppe von Rockern preschte auf schweren Motorrädern heran. »Das sind sie«, sagte sie angeregt. »Hodner meldet sich.« »Wie Mylady meinen.« Parker schaute in den Rückspiegel und beobachtete nun auch die heranrasenden Fahrer, die dicht aufschlossen und am Heck seines hochbeinigen Wagens zu kleben schienen. Doch zu Myladys Leidwesen sahen diese Rocker nur Kathy Porter und riefen ihr Worte zu, die man wegen des Motorenlärms nicht verstand. Dann verloren sie jedes Interesse an den Insassen des hochbeinigen Wagens, überholten und jagten auf die nächste Kurve zu. »Ich hoffe, Sie bereiten sich auf eine harte Auseinandersetzung vor, Mister Parker«, ließ Agatha Simpson sich über die Sprechanlage des Wagens vernehmen. »Hinter der Kurve wird der Tanz beginnen.« Parker kam dem Wunsch seiner Herrin nach und warf einen kontrollierenden Blick auf die vielen Knöpfe und Hebel des seitlich angebrachten, zusätzlichen Armaturenbretts. Alles war in bester Ordnung. Sein Wagen konnte sich innerhalb weniger Sekunden in eine Art Panzer verwandeln, der mit vielen unangenehmen Überraschungen aufwartete. Vorsichtig näherte Parker sich der Kurve. Lady Simpson rutschte in gespannter Erwartung nach vorn auf die Kante des Sitzes und freute sich auf den kommenden Ärger. Sie erlebte eine äußerst herbe Enttäuschung, die nicht geeignet war, ihre Laune zu bessern. Von diesen Rockern war weit und breit nichts zu sehen! Die Straße hinter der Kurve war frei. Mochten es auch wirklich echte Rocker gewesen sein, von Hodner waren sie gewiß nicht auf die Straße geschickt worden. Dennoch mußte Butler Parker wenig später hart in die Bremse seines Wagens steigen. Aus einem Seitenweg, der von hohen Windhecken gesäumt wurde, schoß förmlich ein Lastwagen hervor, dessen Fahrer seinerseits bremste, die Gewalt über das Steuer verlor und mit seinem Gefährt im gegenüberliegenden Straßengraben landete. Es war deutlich zu erkennen, daß der Fahrer mit dem Oberkörper regungslos über dem Steuer hing. »So ein Trottel«, regte sich Lady Simpson auf, die auf den Wagenboden gerutscht war und sich jetzt wieder hochstemmte. »Wenn Mylady erlauben, werde ich mich sofort um den Fahrer kümmern«, sagte Parker und stieg aus. Er wußte, daß er an diesem Unglück nicht schuld war, wollte aber um jeden Preis helfen. Er lief über die Straße, riß die Tür des Lastwagens auf und sah dann zu seiner ehrlichen Überraschung in die Mündung einer Pistole, auf deren Lauf man einen Schalldämpfer geschraubt hatte.
»Mein Kompliment«, sagte Parker, ohne die Ruhe zu verlieren. »Sie dürfen sich darauf etwas einbilden, einen Josuah Parker getäuscht zu haben, mein Herr.« Der rundliche Fahrer sah aus wie ein Rentner, hatte aber die Augen einer Giftschlange. *** »Wir sind hier vollkommen unter uns.« Lester Balton deutete durch das vergitterte Fenster hinaus auf das freie Land. Er lächelte seine Gäste verbindlich an und wirkte selbst in einfacher Kleidung wie ein Mann, der unsichtbar einen Frack trug. »Sie scheinen ein Faible für Farmen zu haben«, sagte Agatha Simpson. Sie saß stämmig auf einem einfachen Küchenstuhl in dem einzigen, großen Raum des kleinen Farmhauses. Sie nahm übrigens übel, daß man ihre Hände und Füße gefesselt hatte. Parker war es nicht besser ergangen. Ebenfalls entsprechend gefesselt, hatte man ihn in eine Ecke neben dem offenen Kamin gedrückt. Kathy Porter saß in einem knarrenden, alten Schaukelstuhl vor dem Kamin und wurde durch Fußbewegungen Lester Baltons in Schwung gehalten. Der Überfall auf das Trio war perfekt gelungen. Nachdem Parker überrascht worden war, hatten auch die beiden Frauen aufgeben müssen. Aus der Hecke des Seitenwegs waren dann Baltons Partner hervorgekommen, Pete Tenby, der Mann mit dem spitzen Kinn, und schließlich Charles Meadows, der rundliche Rentner mit dem Schlangenblick. Die Fahrt, hierher zur Farm im weiten Hügelland war ohne Zwischenfälle verlaufen. Parker hatte nicht den Versuch gemacht, die Überraschungen seines Wagens gegen die drei Gangster und Waffenhändler auszuspielen. Balton hatte ihn davor eindringlich gewarnt, nachdem er sich das reichhaltig ausgestattete Armaturenbrett angesehen hatte. Er hatte gedroht, rücksichtslos auf die beiden Damen zu schießen, falls er Verdacht schöpfe. Und nun befand man sich also auf der kleinen Farm und mußte sich Baltons Ausführungen anhören. Der Frackträger, wie Kathy Porter ihn nach ihrem ersten Kontakt genannt hatte, gab sich überlegen und siegessicher. »Kommen wir gleich zur Sache«, meinte er lässig und setzte sich auf die Tischkante. Er sah vor allen Dingen Kathy an, die er ja bereits recht gut kannte. »Ich weiß, daß ihr mit Hodner unter einer Decke steckt, daß ihr zumindest aber wißt, wo dieser Dreckskerl sein Waffenlager hat. Und mehr will ich nicht wissen. Mein Lager ist aufgeflogen, und zwar durch die junge Dame dort. Dafür will ich entschädigt werden. »Über Geld läßt sich reden«, erwiderte Agatha Simpson hoffnungsvoll. »Vielleicht später mal, Mylady«, gab Balton spöttelnd zurück. »Im Augenblick interessieren mich Waffen. Ich habe nämlich Lieferverträge einzuhalten, wenn ich
nicht unglaubwürdig werden will. Meine Käufer, die Vorkasse geleistet haben, könnten das sonst mißverstehen.« »Ich darf Ihnen versichern, Mister Balton, daß Mylady und Miß Porter mit Hodner keineswegs unter der von Ihnen zitierten Decke stecken«, warf Parker würdevoll ein. »Von meiner bescheidenen Wenigkeit mal ganz zu schweigen.« »Aber Sie wissen oder ahnen, wo er sein Waffenlager unterhält«, antwortete Balton. »Die engeren Zusammenhänge will ich gar nicht erfahren. Sagen Sie mir, wo Hodners Waffen sind, und schon sind Sie frei!« »Wir wissen überhaupt nichts«, grollte Lady Simpson. »Durch diese junge Dame habe ich großen materiellen Schaden erlitten«, beklagte sich Balton erneut. »Wäre sie etwas vernünftiger gewesen, hätten Sie mit mir nie Ärger bekommen.« »Vernünftiger? Der Mann, den Sie auf der Farm zurückließen, wollte mich ermorden«, begehrte Kathy auf. »Der gute, alte Butch«, grämte sich Balton ironisch. »Sie müssen ihn ganz schön herumgehetzt haben, Miß Porter.« »Ich habe Todesängste ausgestanden«, antwortete Kathy, »er hat mich herumgehetzt!« »Todesängste werden Sie bald wieder ausstehen dürfen«, meinte Balton und lächelte kalt. »Sie haben mir Schaden zugefügt, Sie werden ihn wieder reparieren! Wenn auch auf Umwegen!« »Wie darf man das verstehen, Mister Balton?« erkundigte sich Parker gemessen. »Haben Sie denn keine Phantasie?« Balton sah den Butler fast enttäuscht an und deutete dann auf Kathy. »Ahnen Sie denn nicht, was man mit einer Frau alles anfangen kann? Sehen Sie, Mister Meadows zum Beispiel würde sich zu gern mal mit einer jungen Dame befassen. Soll ich ihm dieses Vergnügen nehmen?« »Okay, Sie haben das Spiel gewonnen.« Parker neigte anerkennend den Kopf. Agatha Simpson warf ihrem Butler einen erstaunten Blick zu. »Sie sind also bereit, mit den gewünschten Angaben zu dienen?« Balton beugte sich vor. »Sie finden Mister Hodners Waffenlager unter dem Supermarkt in der Wohnwagenstadt von Lytham«, behauptete Parker mit einer Überzeugungskraft, der sogar Lady Simpson voll und ganz erlag. »Ja, das klingt nicht schlecht«, erwiderte Balton, dessen Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck annahm. »Der Supermarkt gehört ihm. Das weiß ich. Hoffentlich haben Sie nicht gelogen, Mister Parker, sonst müßte Miß Porter sehr darunter leiden.« »Dessen bin ich mir völlig bewußt«, sagte Parker,, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Natürlich hatte er gelogen, daß sich die Balken des kleinen Farmhauses eigentlich weit durchbiegen mußten, aber er sah im Augenblick keine andere Möglichkeit, zu aller Sicherheit etwas Zeit herauszuschinden. ***
Charles Meadows, der Mann, der wie ein Rentner aussah, wanderte im Wohnraum der Farm nervös auf und ab. Er wartete auf die Rückkehr von Lester Balton und Pete Tenby, die das Waffenlager Hodners aufspüren wollten, das, wie Parker sehr genau wußte, überhaupt nicht existierte. Zumindest nicht unter dem Supermarkt, wie er Balton gegenüber behauptet hatte. Der Mann mit dem Blick einer Schlange hatte seine drei Gefangenen kaum aus den Augen gelassen. Parker war es bisher nicht gelungen, etwas für ihre Freiheit zu tun. Er kam zu seinem Leidwesen nicht an die Absätze seiner derben Schuhe heran, deren Schutzeisen sich abklappen ließen und dann zu messerscharfen Feilen wurden. Meadows schien mit allen Tricks gerechnet zu haben und hatte Parkers gebundene Hände an einem derben Wandhaken befestigt. Agatha Simpson sah sich ebenfalls außerstande, Meadows zu überlisten. Festgeschnürt auf ihrem Stuhl, mußte sich die sonst so energische Dame damit begnügen, Meadows mit grollenden Blicken zu mustern. Zu mehr reichte es nicht. Kathy Porter war aus dem Schaukelstuhl nicht entlassen worden, an den man sie festgebunden hatte. Meadows blieb häufig vor ihr stehen und musterte sie wie eine Beute, über die er bald frei verfügen konnte. Kathy hatte es längst aufgegeben, den Mann schon jetzt für sich zu interessieren. Er war auf ihr kokettes Augenspiel überhaupt nicht eingegangen. Die Lage des Trios war nicht gerade erfreulich. Nach geraumer Zeit war dann ein Wagen zu hören, der sich der einsamen Farm näherte. Parker fühlte, wie sein Mund schlagartig trocken wurde. Meadows lief zum Fenster und schaute hinaus. Dann eilte er zur Tür und öffnete sie spaltbreit. Er machte einen sehr gespannten und erwartungsvollen Eindruck. Gleich würde er wissen, ob er seine Beute erhielt oder nicht.. Wagentüren wurden geöffnet, dann wieder zugeschlagen. Meadows wandte sich plötzlich ab und wollte die Tür zudrücken, doch dazu reichte es nicht mehr. Die Tür wurde von außen mit viel Schwung aufgeworfen. Meadows taumelte zurück und geriet in die Nähe des Schaukelstuhls und dessen Gleitkufen. Kathy, die ahnte, daß irgend etwas nicht stimmte, warf sich kraftvoll nach hinten. Sie schaffte es, die vorderen Kufenenden so hochschnellen zu lassen, daß Meadows getroffen wurde. Die linke Kufe des Schaukelstuhls bohrte sich in seinen Unterleib, worauf Meadows verständlicherweise brüllte, aus dem Gleichgewicht geriet und nach vorn stürzte. Er kam dadurch in Parkers Nähe. Der Butler, normalerweise ein äußerst friedfertiger Mensch, nutzte seine Chance und trat mit den aneinandergefesselten Beinen sehr nachdrücklich zu. Dadurch kam Meadows in Schwung, purzelte über den rauhen Steinboden, überschlug sich und landete krachend an der gegenüberliegenden Wand. Womit sein Pech noch nicht ganz beendet war, denn nun war Agatha Simpson an der Reihe.
Meadows, der sich aufrichten wollte, wurde von ihr förmlich erstickt. Die resolute Sechzigerin warf sich nämlich samt Stuhl gegen den noch immer leicht benommenen Mann und erreichte es, daß sein Kopf gegen die Wand schlug. Meadows schloß daraufhin die Augen und gab sich einem Schläfchen hin. Darüber vergaß er, seine Schußwaffe zu ziehen. Dann starrten Lady Simpson, Butler Parker und Kathy Porter auf die sich füllende Tür, in der eine Gestalt erschien, langsam, vorsichtig, zögernd ... Hinter einem Mann, der Balton entfernt glich, erschien Inspektor Griffins. Er nahm die Seufzer der Erleichterung zur Kenntnis, die ihm entgegenschlugen, und baute sich am Tisch auf. Fast genießerisch betrachtete er das Trio. »So sehe ich Sie am liebsten«, meinte er dann zufrieden. »Jetzt können Sie wenigstens keine Verwirrung anrichten. « *** »Natürlich habe ich auch Hodners Supermarkt beobachten lassen«, berichtete Griffins eine Viertelstunde später, als Lady Simpson, Parker und Kathy Porter befreit waren. »Daß die Sache sich lohnte, merkten wir sehr schnell.« »Dieses Subjekt von einem Balton erschien auf der Bildfläche?« erkundigte sich die Detektivin. »Balton und Tenby«, bestätigte der Inspektor. »Zu der Zeit waren Hodner und seine beiden Profis bereits dabei, das geheime Waffenlager unter dem Supermarkt auszuräumen. Sie verstauten die Waffen mit Hilfe zweier weiterer Männer auf einen Lastwagen.« »Gehörte dazu vielleicht auch ein Mann mit hoher Stirnglatze?« wollte Kathy wissen. Sie erinnerte sich des Volvofahrers. »Der Leiter des Supermarkts«, gab Griffins zurück. »Hodner und seine Männer wurden von Balton und Tenby überrascht. Und es kam zu einer ganz netten Schießerei.« »Ich will nicht hoffen, daß sie ohne Folgen blieb«, sagte Lady Simpson. »Ein paar harmlose Fleischwunden«, berichtete Griffins weiter. »Zu Ihrer Beruhigung, Mylady, Balton und auch Hodner haben sich gegenseitig angekratzt.« »Mehr wäre besser gewesen«, sagte die streitbare Dame grimmig. »Wir konnten also beide Waffenschieberbanden festnehmen«, beendete der Inspektor seinen Kurzbericht. »Unter dem Eindruck der Ereignisse haben Hodners Killer auch gleich zugegeben, daß sie Mister Parkers Berufskollegen Angels erschossen haben.« »Und auf wessen Konto gehen die beiden anderen Campingbewohner?« erkundigte sich der Butler. »Auf den Mann mit der Stirnglatze und dessen Partner. Die Namen spielen hierbei keine Rolle, wahrscheinlich sind sie falsch und müssen erst noch geklärt werden. Wir wissen aber, daß der Überfall auf diese Rockertypen draußen auf See ebenfalls auf das Konto der beiden Supermarktmänner geht. Ihr Kollege, Mister
Parker, hatte wirklich Pech. Als er nämlich zufällig den Alkoholschmuggel beobachtete, gingen er und die beiden anderen Campingbewohner ausgerechnet zu diesem Supermarktleiter und berichteten ihm davon. Was sie damit auslösten, dürfte ja inzwischen bekannt sein.« »Eins ist mir unklar«, ließ Agatha Simpson sich vernehmen und wandte sich an ihren Butler. »Woher und seit wann wußten Sie, Mister Parker, daß Hodners geheimes Waffenlager sich unter dem Supermarkt der Wohnwagenstadt befand? Sie haben darüber nie auch nur eine Andeutung gemacht.« ,Eine Frage der Logik, Mylady«, behauptete Parker unverfroren, ohne eine Miene zu verziehen. »Es konnte nicht anders sein. Mister Hodners Waffenlager mußte sich in der Nähe der Küste befinden, also in der Wohnwagenstadt, die unverdächtig war. Zudem mußte dieses Lager sich in der Nähe der fünf jungen Schläger befinden, also, wie ich zu schlußfolgern mir erlaubte, unter dem Supermarkt.« »Erstaunlich«, sagte Griffins anerkennend. »Aber warum haben Sie das nicht früher gesagt?« »Jeder Denkprozeß, Sir, bedarf der Zeit«, redete der Butler sich heraus und übersah das ironische Zwinkern Kathy Porters, die seinen Schwindel wohl durchschaut hatte. »Ich traue Ihnen nicht über den Weg«, grollte Lady Simpson zweifelnd. »Ich möchte wetten, daß Sie geblufft haben, aber ich kann es Ihnen nicht beweisen!«: »In der Tat, Mylady«, antwortete Parker. »Was nun? Haben Sie geblufft, oder kann ich es Ihnen nicht beweisen?« »Den Beweis werden Mylady schuldig bleiben müssen«, erwiderte der Butler höflich und gemessen. »Hauptsache, die beiden Waffenhändlerbanden sind ausgeschaltet«, sagte Griffins, ungewollt dieses heikle Thema wechselnd. »Dank Parker hat Balton sich aus seinem Versteck hervorgewagt und ist zu Hodner gefahren. Mehr interessiert mich nicht. Jetzt werden wir hier an der Küste endlich wieder etwas Ruhe haben, oder werden Sie noch bleiben, Mylady?« Diese Anspielung war mehr als deutlich. »Natürlich werden wir noch bleiben«, sagte Agatha Simpson. »Vergessen Sie nicht, daß Mister Parker drei Wohnwagen gemietet hat! Ich werde mich jetzt dem Campingleben für ein paar Tage hemmungslos in die Arme werfen.« »Bitte, Mylady«, beschwor Griffins die streitbare Dame, »bitte, nicht hemmungslos!« *** Sie waren typische Rocker wie aus dem Bilderbuch. Sie hatten sich vor dem Campingtisch aufgebaut, hinter dem Lady Simpson ihren Nachmittagstee trank. Neugierig kamen sie näher und wollten sich dieses alte Fossil, wie sie dummerweise laut geäußert hatten, mal aus der Nähe ansehen.
Die Kerle hatten Kabelenden in den Händen, Totschläger und sogar eine schallgedämpfte Schußwaffe. Sie wollten beeindrucken und Angst erzeugen. Was ihnen jedoch nicht so recht gelang. Lady Simpson zeigte sich wenig beeindruckt. Josuah Parker, der neben ihr war, servierte gerade einen Kreislaufbeschleuniger, das heißt, er wollte es tun, als die beiden Rocker erschienen. »Kann man etwas für Sie tun?« erkundigte sich Parker in gewohnt höflicher und korrekter Weise. »Ihr stört uns«, sagte einer der beiden Rocker lässig wie der negative Held eines Gangsterfilms. »Das beruht durchaus auf Gegenseitigkeit«, erwiderte Parker gemessen. »Der alte Knabe wird frech«, meinte der zweite Rocker. »Bringen wir ihm doch mal Manieren bei«, ließ der erste Rocker sich vernehmen und spielte mit seinem Kabelende. »Manieren! Das ist das Stichwort!« Lady Simpson erhob sich grollend zu ihrer ganzen majestätischen Größe. Dann warf sie dem ersten Rocker die Zuckerdose und dem zweiten Rocker das Milchkännchen an den Kopf. Die Getroffenen zeigten sofort Wirkung, denn Agatha Simpson war noch bemerkenswert sportlich. »Räumen Sie diese Lümmel weg«, forderte sie dann ihren Butler auf. »Ich möchte mir die Aussicht auf die See nicht versperren lassen.« »Wie Mylady befehlen«, erwiderte der Butler. »Ich werde sofort abservieren.« Dann machte er sich an die Arbeit um die beiden knieweichen Rock diskret zu entfernen. Myladys Wunsch war ihm stets Befehl. ENDE
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Nächste Woche erscheint Butler Parker AUSLESE Band 138 Günter Dönges
Blei und Schrot für Lady Simpson
Butler Parker Auslese erscheint wöchentlich im Zauberkreis Verlag, Abteilung der Erich Pabel Verlag GmbH, 7550 Rastatt, Telefon (07222) 13-1. Redaktion, Druck und Vertrieb: Erich Pabel Verlag GmbH. Anzeigenleitung: Verlagsgruppe Pabel-Moewig, Pabelhaus, 7550 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rolf Meibeicker. Zur Zeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 11. Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300, A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Genehmigung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. Dezember 1986 Einzelheft-Nachbestellungen sind zu richten an: PV Buchversand, Postfach 510331, 7500 Karlsruhe 51. Lieferung erfolgt bei Vorauskasse zzgl. DM 3,50 Porto- und Verpackungskostenanteil auf Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 85234-751 oder per Nachnahme zum Verkaufspreis zzgl. Porto- und Verpackungskostenanteil. Ab DM 40,- Bestellwert erfolgt Lieferung porto- und verpackungskostenfrei. Abonnement-Bestellungen sind zu richten an: Pabel Verlag GmbH, Postfach 1780, 7550 Rastatt. Lieferung erfolgt zum Verkaufspreis plus ortsüblicher Zustellgebühr.