Ramona Lenz Mobilitäten in Europa
VS RESEARCH
Ramona Lenz
Mobilitäten in Europa Migration und Tourismus auf Kreta ...
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Ramona Lenz Mobilitäten in Europa
VS RESEARCH
Ramona Lenz
Mobilitäten in Europa Migration und Tourismus auf Kreta und Zypern im Kontext des europäischen Grenzregimes
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Gisela Welz
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Frankfurt am Main, 2009 D 30 Diese Arbeit wurde mit dem Förderpreis der Fritz und Helga Exner-Stiftung sowie dem ITB-Wissenschaftspreis der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (DGT) ausgezeichnet und mit einem Druckkostenzuschuss der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften gefördert.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Verena Metzger | Dr. Tatjana Rollnik-Manke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16967-5
Geleitwort
Die beiden Mittelmeerinseln Kreta und Zypern, die die Forschungsfelder der vorbildlichen Studie von Ramona Lenz sind, gelten seit Jahrzehnten als wichtige Destinationen des internationalen Massentourismus. Sie dienen der Autorin als exemplarischer Gegenstand, um die sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts verändernde Beziehung zwischen Tourismus und Migration in Südeuropa aus kulturanthropologischer Perspektive zu analysieren. Denn Griechenland und die Republik Zypern ziehen nicht nur TouristInnen an, sondern in beiden Ländern hat sich der Tourismussektor zu einem bedeutenden Arbeitsmarkt für MigrantInnen aus Osteuropa sowie aus außereuropäischen Ländern entwickelt. Den Wechselwirkungen dieser beiden Formen der Mobilität – der Arbeitsmigration und des Tourismus –, die – wie die Autorin eindrücklich zeigen kann – sich heute immer stärker verflechten und deren Unterscheidung zunehmen porös wird, gilt das Forschungsinteresse der Untersuchung. Weil die sozial- und kulturwissenschaftliche Tourismus- und Migrationsforschung bisher in weitgehend separaten „Diskursuniversen“ angesiedelt sind, ist die vorliegende Arbeit besonders innovativ und adressiert eine wichtige Forschungslücke. Die Studie basiert auf eingehender ethnografischer Feldforschung in zwei Untersuchungsregionen, einer Stadt auf Kreta und einer Kleinregion im Westen Zyperns. Ramona Lenz ist es vorzüglich gelungen, ein dichtes Bild der jeweils lokalen Ausformung des Ineinandergreifens von Arbeitsmigration und Tourismusökonomie zu zeichnen. Interessant ist der Vergleich der Fallstudien auch deswegen, weil – während Griechenland schon auf eine lange Phase der EUMitgliedschaft zurückblicken kann – die Republik Zypern erst 2004 der Europäischen Union beitrat. Die sorgfältigen Interpretationen zeigen, dass trotz der Vereinheitlichung des europäischen Grenzregimes durch die EU in den letzten Jahren die Voraussetzungen, unter denen MigrantInnen in den tourismusökonomischen Arbeitsmarkt „integriert“ werden, eklatante Unterschiede aufweisen. Diese aus historisch generierten, unterschiedlichen Formen des Umgangs mit Migration zu erklären, ist eine der besonderen Leistungen der vorliegenden Studie. Für die Auswahl der InterviewpartnerInnen in beiden Fallstudien legte die Autorin eine Einteilung in die Akteurskategorien „DienstleisterInnen“, also in der Tourismusökonomie lohnabhängig Beschäftigte, „UnternehmerInnen/Arbeit-
6
Geleitwort
geberInnen“ sowie „TouristInnen“ zugrunde. Sie unterscheidet nicht nach Nationalitäten, sondern nach dem rechtlichen Aufenthaltsstatus der Befragten, die InländerInnen, EU-AusländerInnen oder Drittstaatenangehörige sein können. Diese Kategorien sind forschungsstrategisch hervorragend gewählt, denn so gelingt es nachzuweisen, wie die Handlungsmöglichkeiten und Positionen der Akteurinnen und Akteure durch die europäische Mobilitätsordnung „ko-produziert“ werden. Zugleich wird das Instrumentarium aber so eingesetzt, dass es der Forscherin nicht den Blick darauf verstellt, dass viele der in der Untersuchung angetroffenen AkteurInnen nicht eindeutig als „mobil“ oder „ansässig“, als Noch-Migrantin oder Schon-Einheimische zu bezeichnen sind. Genau dieses Verschwimmen der Kategoriengrenzen bedeutet auch, dass die entstehenden Zonen der Unbestimmtheit von den Menschen aktiv genutzt werden können. Im Ergebnis zeigt sich, dass die sozialen AkteurInnen eigene „transnationale Mobilitätsprojekte“ verfolgen, die sich nicht eindeutig als migrantisch oder touristisch klassifizieren lassen. Oft wechseln sie – in Abhängigkeit von Gelegenheitsstrukturen und rechtlichen Regelungen – taktisch zwischen beiden hin und her. Die Studie von Ramona Lenz zeigt, warum gerade Kultur- und SozialanthropologInnen besonders kompetent sind, die Auswirkungen der neu entstehenden europäischen Mobilitätsordnung zu untersuchen. Zugleich sind Studien wie die vorliegende in hervorragender Weise geeignet, Impulse für die Forschungsentwicklung von Kultur- und Sozialanthropologie, aber auch von angrenzenden Disziplinen, zu geben. Prof. Dr. Gisela Welz
Vorwort
Viele haben dazu beigetragen, dass dieses Buch entstehen konnte – während meiner Feldforschungsaufenthalte in Griechenland und Zypern, aber auch davor und danach. Für Inspiration, Unterstützung und Begleitung in verschiedenen Phasen meiner Promotion danke ich herzlich Filippo Amato, Julia Bernstein, Christiane Chimarrides, Tassos Costeas, Frank Estelmann, Petra Ilyes, Banu Karaca, Anke Köhler, Rainer Lenz, Stefanie Lenz, Athanasios Marvakis, Raluca Nagy, Dimitris Papadopoulos, Thomas Pauly, Monika Rak, Regina Römhild, Martin Saar, Kirsten Salein, Britta Schneider, Martin Schöb, Mone Spindler, Claudius Terkowsky, Andreas Trepte, Nicos Trimikliniotis, Michael Zinganel sowie der Forschungsgruppe Transit Migration. Mein Dank gilt außerdem den Gutachterinnen Prof. Dr. Kira Kosnick und Prof. Dr. Gisela Welz sowie all meinen Gesprächs- und InterviewpartnerInnen in Griechenland und Zypern. Bei der Südosteuropa-Gesellschaft und der Bundeskulturstiftung (Projekt Migration) bedanke ich mich für die finanzielle Unterstützung meiner Feldforschungsaufenthalte. Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei der Fritz und Helga Exner-Stiftung für die Verleihung des Förderpreises für herausragende Leistungen im Bereich der Südosteuropaforschung, bei der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (DGT) für die Verleihung des ITB-Wissenschaftspreises 2010 in der Kategorie „beste wissenschaftlich-theoretische Arbeit“ und bei der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften für die Förderung der Arbeit mit einem Druckkostenzuschuss. Meinen Eltern, Gerda und Heinrich Lenz, kann ich nicht genug danken. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Ramona Lenz
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort .....................................................
5
Vorwort .......................................................
7
..........................................
13
.....................................................
15
.................................................
23
Zum Begriff des Paradigmenwechsels ...................... Zum Begriff des turn .................................... Denken in Metaphern ................................... Zur „Metaphysik der Sesshaftigkeit“ ....................... Zur „Metaphysik der Mobilität“ ........................... Metaphern der Mobilität – Leitfiguren der (Post-)Moderne? .... Flüsse, Netzwerke, Landschaften: 47 / Wege, Transportmittel, Transiträume: 56 / Menschen in Bewegung: 65 Zweifel und Kritik am mobility turn........................ Fazit .................................................
24 31 34 36 41 45
Abbildungsverzeichnis Einleitung
1 Mobilitäten 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
1.7 1.8
70 74
2 Migration und Tourismus..................................... 79 2.1 2.2 2.3
2.4
Künstlerische Projekte zu Migration und Tourismus .......... Sozial- und kulturwissenschaftliche Studien zu Migration und Tourismus ............................................. Konzepte der Migrations- und Tourismusforschung ........... Transnationalisierung: 96 / Raum: 98 / Authentizität:100 / Gastfreundschaft: 104 / Der „touristische Blick“ und die Differenz: 109 Fazit .................................................
81 88 96
116
10
Inhaltsverzeichnis
3 Europa ..................................................... 119 3.1 Kapitelüberblick ......................................... 3.2 Historische Situierung statt selektiver Rückgriffe auf die Menschheitsgeschichte .................................... 3.2.1 Räumliche Eingrenzung: Wo hört Europa auf? ........... 3.2.2 Zeitliche Eingrenzung: Wann beginnt Europa? ........... Griechenland als „Wiege der europäischen Zivilisation“: 125 / Die „Geburt Europas“ im Römischen Reich: 126 / Der „Vater Europas“, das mobile Christentum und der Aufstieg der Städte im Mittelalter: 127 3.3 Zur Herausbildung des europäischen Mobilitätsregimes seit dem Ende des Mittelalters unter besonderer Berücksichtigung Südeuropas .............................................. 3.3.1 Von der frühen Neuzeit bis zum Zweiten Weltkrieg....... Südeuropa und der Mittelmeerraum am Beginn der frühen Neuzeit: 131 / Die Herausbildung von Nationalstaaten und die Formierung der Disziplinargesellschaft: 133 / Das Zeitalter der Nation und des Massenverkehrs: 136 / Die Herausbildung einer transnationalen Migrationsdynamik zwischen Südost- und Westeuropa und nach Übersee: 138 / Der Erste Weltkrieg und das „Jahrhundert der Flüchtlinge“: 139 / Der Zweite Weltkrieg und die Produktion von „BürgerInnen zweiter Klasse“: 141 3.3.2 Nach 1945 ........................................ Die Nachkriegsjahre: 143 / Die westeuropäischen Migrationsregimes, Arbeitsmigration aus Südeuropa und der Ausbau des Massentourismus im Mittelmeerraum nach 1950: 144 / Das Ende der Anwerbung und die Bemühungen um Rückkehr: 146 / Die „neue“ Migration: 147 3.4 Migration und Tourismus als Regulationsobjekte des EUMobilitätsregimes ........................................ 3.4.1 Der EU-Erweiterungsprozess und die Regulation von Migration ......................................... Die europäische Mobilitätsordnung der konzentrischen Kreise: 149 / Die neue „Kunst des Regierens“ im erweiterten Europa: 151 / Die „prinzipielle Variabilität der Grenzen“ und die „europäische Apartheid“: 152 / Die Ausdifferenzierung der Grenzverläufe und -funktionen: 153 / Die machtvolle Klassifizierung mobiler Personengruppen: 156
121 122 124 125
131 131
143
149 149
Inhaltsverzeichnis
11
3.4.2 Der EU-Erweiterungsprozess und die Konstruktion einer europäischen Identität in Programmen zu Mobilität, Kultur und Tourismus ............................... 160 TouristInnen als Regulationsobjekte des europäischen Grenzregimes: 160 / EU-Kulturpolitik und die Konstruktion einer europäischen Identität: 161 / Tourismus als Gegenstand von Kultur- und Identitätspolitiken der EU und des Europarats: 163 / Kritik der Implementierungskritik: 166 / Migration im Museum: 168 / Die EU im Mittelmeerraum: 170 3.5 Fazit ................................................... 172 ......................................................
175
Zur Feldforschung ........................................ Tourismus in Griechenland ................................. Migration in Griechenland ................................. Tourismus und Migration auf Kreta .......................... Touristische Blicke auf Kreta: Von authentischen Dörfern und echten GriechInnen ....................................... Griechische ArbeitgeberInnen und DienstleisterInnen, der touristische Blick und das migrantische Personal ............... Dauertouristische bzw. arbeitsmigrantische Blicke von WesteuropäerInnen auf GriechInnen und AlbanerInnen ......... Migrantische DienstleisterInnen und ihre Erfahrungen im Umgang mit dem europäischen Mobilitätsregime, dem alltäglichen Rassismus in Griechenland und den touristischen Blicken ................................................. Erfahrungen mit Behörden: 222 / Erfahrungen mit ArbeitgeberInnen: 225 / Erfahrungen mit griechischen Gästen: 226 / Erfahrungen mit ausländischen TouristInnen: 227 / Strategien: 228 / Zukunftspläne: 229 Fazit ...................................................
175 179 182 191
4 Kreta 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8
4.9
198 207 211
216
232
5 Zypern ..................................................... 237 5.1 Zur Feldforschung ........................................ 237 5.2 Die Mobilitätsgeschichte Zyperns seit dem Ende britischen Kolonialzeit bis zum EU-Beitritt ............................ 239 5.3 Der EU-Beitritt, die ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit und die Direktive 2003/109/EC ............................. 245
12
Inhaltsverzeichnis 5.4 „Drittstaatenangehörige“ im Hotel-, Restaurant- und Catering-Sektor .......................................... 5.5 Die Konstruktion von MigrantInnen als Bedrohung der „typisch zypriotischen Gastfreundschaft“ ............................. 5.6 Migration und Tourismus in Plagia .......................... Illegalität und Schwarzarbeit: 261 / EU-BürgerInnen zuerst: Ausbeutung trotz Arbeitsvertrag: 263 / Illegale Jobvermittlungen und Europäerinnen ohne Arbeitsvertrag: 266 / Zukunftspläne: 268 5.7 Fazit ...................................................
250 257 259
272
6 Zur Multifunktionalität touristischer Infrastruktur im Mittelmeerraum ............................................. 277 6.1 „Hotel Royal“ – Ferienquartier und Abschiebelager............. 277 6.2 Zur Plausibilität der in den Texten zum mobility turn angelegten Dichotomien am Beispiel von „Hotel Royal“ .................. 278 Mobilität versus Immobilität: 279 / Freiwillige versus erzwungene Mobilität: 281 / Tourismus versus Migration: 282 6.3 Ausblick ................................................ 284 Schluss ........................................................ 287 Literaturverzeichnis ............................................ 291 Presse .................................................. 318 Bildnachweise ........................................... 319
Abbildungsverzeichnis
........
81
.......................................
82
Abbildung 1:
Lisl Ponger, „Passagen“ (1996), 35 mm, 12 min.
Abbildung 2:
Yto Barrada, „Bay of Tangier“ (2002), c-print, 80 x 80 cm
Abbildung 3:
andcompany&Co., „europe an alien“, Theater Gasthuis, Amsterdam, 4.11.2005 ..............................
Abbildung 4:
„Polish Plumber“ (2005), Werbeplakat der polnischen Tourismuszentrale
Abbildung 5:
.................................
86
Julia Bernstein, „Auf den Spuren der Ausreisenden“ (2006), Collage 100 x 70 cm .........................
Abbildung 6:
85
87
Ausschnitt aus der „Saisonstadt“. In: Michael Zinganel, Hans Albers, Michael Hieslmair und Maruša Sagadin (2006, 47)
Abbildung 7:
........................................
93
„Hotel Royal“ auf Kreta im September 2004 ............ 285
Einleitung
Kreta und Zypern, die beiden flächenmäßig größten Inseln im östlichen Mittelmeer, stehen im Zentrum dieser Arbeit. Bei der Entscheidung, die Feldforschung für die vorliegende Studie über Mobilitäten in Europa auf zwei Mittelmeerinseln anzusiedeln, ging es mir weder darum, über einen systematischen Vergleich, Aussagen zum Mittelmeerraum als einheitlichem Kulturraum zu machen, wie es in der Geschichte der Mittelmeerethnologie häufig versucht wurde (vgl. hierzu Pina-Cabral 1989), noch wollte ich länderspezifische kulturelle Unterschiede zwischen verschiedenen EU-Ländern herausarbeiten, wie es in aktuellen politikwissenschaftlichen Studien geschieht, in denen Kultur als gesonderter Bereich begriffen und beispielsweise in Wertorientierungen gesucht wird (vgl. hierzu Gerhards/Hölscher 2006). Auch war es nicht meine Absicht, mit meinem Fokus auf Tourismus und Migration lokalspezifische Effekte äußerer Einflüsse oder zwei bereits im Vorfeld konkret definierte mobile Personengruppen systematisch miteinander zu vergleichen. Davon ausgehend, dass die Stärke ethnografischer Forschung darin besteht, nicht ein vorab entworfenes Analyseraster auf von Anfang an klar umrissene Untersuchungsfelder zu stülpen und so Vergleichbarkeit zu konstruieren, habe ich sowohl für meine Forschung auf Kreta als auch für die auf Zypern dem Prinzip der Offenheit folgend erst im Verlauf des Forschungsprozesses relevante Kategorien erarbeitet. Die Auswahl der beiden Forschungsgebiete auf Kreta und Zypern hängt zunächst unter anderem mit meiner Wahrnehmung der Art und Weise zusammen, wie die beiden Inseln „im Westen“ – beispielsweise in Reiseführern oder in ethnografischen Texten – dargestellt werden, bzw. mit meiner Rezeption der anthropologischen Literatur zur Repräsentation des Mittelmeerraums „im Westen“ (insbes. Argyrou 1996 und Herzfeld 2004). Im Sinne der von George E. Marcus und Michael M. J. Fischer (1986) geforderten „kulturvergleichenden“ Gegenüberstellung von Repräsentationen lässt sich feststellen, dass in Griechenland, und hier insbesondere auf Kreta, aber auch auf Zypern häufig Ursprünge „westlicher Zivilisation“ oder die „Wiege Europas“ verortet werden, während den beiden Ländern gleichzeitig Rückständigkeit und defizitäre Modernisierung im Vergleich zu westeuropäischen Industrienationen nachgesagt wird. Eine Bewegung im selben Raum und in derselben Zeit wird den heutigen BewohnerInnen damit abgesprochen. Die „glorreiche Vergangenheit“ werde so
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Einleitung
ebenso zu einer Bürde wie zu einem Distinktionsmerkmal, das „machtvolleren Ländern“ dazu diene, die GriechInnen einerseits für ihr großartiges Erbe zu rühmen und ihnen andererseits zu unterstellen, sie seien nie den Kinderschuhen der Zivilisation entwachsen, die sie angeblich gegründet haben, meint Michael Herzfeld (2004, 31): „The Greeks’ marginal status in the ‘Western civilization’ of which they are supposed founders, and yet in important respects also the victims, rudely batters their everyday lives at every turn: internationally embarrassed by successive government scandals and acutely aware of their dependency on the European Union, of which Greece is a member state enjoying nominally fully equality with the others, they find themselves derided for an obsession with whether or not they are ‘really European’ that is itself the product of a ‘crypto-colonial’ set of aesthetic and ethical norms.“ (Ebd., 6)
In ähnlicher Weise beschreibt Vassos Argyrou (1996) das Verhältnis der griechischen ZypriotInnen zu „Europa“. In ihrem Versuch, „europäisch“ zu werden, reproduzierten sie die Hegemonie „des Westens“: „Cypriot modernity is denied either as an imitation of the original, or as a loss of local character, or both. Ironically, resistance to Western hegemony by the dominated has the same subjugating results. And even though the mechanism is different, it is equally effective. By embracing the local ‘authentic’ tradition, the dominated embrace their inferior position in the world. By rejecting modernity, they willingly relinquish any claims to the advantages it confers.“ (Ebd., 13)
Unabhängig davon, ob „Verwestlichung“ als Zivilisierungsprozess begrüßt oder als Homogenisierungsprozess gefürchtet werde, werde eine hierarchische Differenz zwischen zwei scheinbar grundverschiedenen Kulturräumen konstruiert, meint Argyrou (ebd., 153ff.). Der Prozess der Essentialisierung der „Anderen“, sei es in Form von „orientalism“ (Said 1979) oder in Form von „mediterraneanism“ (Herzfeld 1987), werde damit vervollständigt, denn mit der Idee der „Verwestlichung“ werde auch „der Westen“ als kulturelle Einheit konstruiert und von „anderen Kulturräumen“ abgrenzbar gemacht. An dieser Konstellation seien westliche EthnologInnen mit ihren Studien über einen als homogen und rückständig imaginierten mediterranen Kulturraum maßgeblich beteiligt.1 Folgt man Herzfeld und Argyrou scheint es für GriechInnen und ZypriotInnen unmöglich, sich aus der unterlegenen Position gegenüber „dem Westen“ zu 1
Auch andere Disziplinen wie z.B. Geografie und Geschichtswissenschaft sind in dieser Beziehung nicht „unschuldig“. Zur Kritik an der Konstruktion der Geschichtsregion „Süden Europas“ vgl. Schenk/Winkler (2007).
Einleitung
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befreien.2 Beide Autoren begreifen „den Westen“ und „Europa“ als machtvolle Konstrukte, mit denen die kulturelle Gleichwertigkeit mediterraner Länder bestritten wird und zu denen sich GriechInnen wie ZypriotInnen verhalten müssen. Dabei beschränken sich ihre Forschungen allerdings weitgehend auf die kretische bzw. zypriotische Lokalbevölkerung, während „der Westen“ nicht differenzierter untersucht wird. Häufig stehen TouristInnen stellvertretend für den „Westen“ oder „Europa“ (vgl. z.B. Herzfeld 1991, 25, oder 2004, 28). MigrantInnen spielen fast keine Rolle. In meiner Arbeit soll Tourismus weder auf äußere Einflüsse reduziert noch stellvertretend für „Verwestlichung“ oder „Europäisierung“ eingesetzt oder als Verkörperung hegemonialer Mächte dargestellt werden. Sowohl Tourismus als auch Migration werden vielmehr als konstitutiv für die untersuchten Orte verstanden. „Europa“ wird dabei nicht nur als machtvolle Konstruktion in den Blick genommen, über die diskursiv Ein- und Ausschlüsse stattfinden, sondern vor allem auch in Form von konkreten Zugangsmöglichkeiten und -beschränkungen zur Europäischen Union, der sowohl Griechenland als auch Zypern angehören. Aufgrund ihrer Lage an der südöstlichen EU-Außengrenze sind Griechenland und Zypern für das europäische Grenzregime von großer Bedeutung. Beide Länder verfügen über lange Küstenabschnitte, die sich zum Strandurlaub wie zur illegalen Einreise in die EU eignen. In Griechenland gibt es zudem einige abgelegene Grenzregionen in den Bergen, über die Menschen aus Nachbarländern legal oder illegal ein- und ausreisen. In Zypern ist es neben Flug- und Schiffsrouten die sogenannte Green Line3, die für Einreisen in die EU genutzt wird. Zudem sind beide Länder seit einigen Jahrzehnten stark vom Tourismus geprägt, der in verschiedener Hinsicht mit Migration korreliert, wie ich zeigen möchte. Während Griechenland bereits seit 1981 Mitglied der Europäischen Union ist, trat Zypern erst im Jahr 2004 bei, so dass in Zypern die Umsetzung der europäischen Mobilitätsordnung und ihre Konsequenzen für dort lebende AusländerInnen zum Zeitpunkt meiner Forschung sehr aktuell war. Sowohl Herzfeld als auch Argyrou haben sich für ihre jeweiligen Forschungen auf Kreta und Zypern Gegenden ausgesucht, die – wie sie selbst schreiben – 2 In Abgrenzung dazu und auf der Basis ihrer eigenen Forschung auf Kreta schreibt Regina Römhild (2002, 183f.) hingegen: „Within the discourse of power relations, the imposition of imaginations cannot be simply rejected since all reactions have to refer to and, thus, reconstruct that same imaginary cosmos […]. In that dialogue, however, the former division between the ‘north/west’ as the productive subject and the ‘south/east’ as the reluctant object of that imagination, becomes blurred. Replies from the addressees include counter- and, moreover, co-imagination, thus either being made to fit or actively adopting and transforming imposed ideas according to their own interests.“ 3 Die sogenannte Green Line teilt die Insel seit der Invasion der Türkei 1974 in einen griechischzypriotischen und einen türkisch-zypriotischen Teil. Seit dem EU-Beitritt der Republik Zypern im Jahr 2004 ist der Status dieser Grenze umstritten.
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Einleitung
innerhalb der jeweiligen Inseln nochmals marginalisiert sind: Herzfeld forschte in Rethymno auf Kreta und Argyrou in Paphos auf Zypern. Diese beiden Gegenden habe auch ich für meine Forschung ausgewählt, allerdings weniger aufgrund der Marginalität, die Herzfelds und Argyrous Forschungsinteresse weckte, sondern eher weil sie zu Zentren touristischer und migrantischer Mobilitäten geworden sind. Es handelt sich in beiden Fällen um Gegenden, die reich an „kulturellem Erbe“ und stark touristisch geprägt sind, wobei die Tourismusindustrie hier wie dort zu einem großen Teil auf legal oder auch illegal beschäftigtem ausländischem Personal beruht. Während meine Feldforschung in Paphos vorwiegend in einer massentouristisch weniger erschlossenen Gegend außerhalb der Bezirkshauptstadt stattfand, habe ich mich in Rethymno meist in der Altstadt oder in der unmittelbaren Umgebung bewegt, die stark touristisch geprägt sind. In Tourismus- oder Migrationsforschungen zu Kreta und Zypern spielt meist nur die eine oder andere Mobilitätsform eine Rolle. Es wird kaum nach den Beziehungsgeflechten zwischen verschiedenen Personengruppen und den durch sie entstehenden transnationalen Räumen gefragt als vielmehr nach den Auswirkungen äußerer Einflüsse auf die Lokalbevölkerung. Dementsprechend zieht Vasiliki Galani-Moutafi (2004, 174) in ihrem Überblick über den Forschungsstand zu Tourismus in Griechenland folgende Bilanz: „Most of the published works on tourism in Greece concentrate on its planning and economic dimensions. Despite the general postulate that the industry affects processes of social change, very few studies examine the conceptualizations of various types of social relations that fall under the category of ‘tourism interactions’. When scholars orient their interest to the issue of sociocultural change, they tend to restrict their focus to the host society. Often, they define the category of ‘tourist’ on the basis of an etic approach and subsume under it different identities; they overlook the local presence of additional categories of ‘foreigner’ or Other – such as entrepreneurs, economic migrants, refugees, and permanent or semi-permanent foreign residents – which unquestionably comprise an important parameter of the local context. These ‘foreigners’ constitute an Otherness in relation to which both tourists and local residents identify themselves and define Others. In this case, an emic approach focusing on the negotiation of self-Other relationships can shed light on the construction of stereotypes […] and on the ideologies that justify different ways of encountering and treating Others. Such an approach can also facilitate the conceptualization of the destination place not simply as a space where recreational activity takes place, but also as a place of work for immigrants, foreign entrepreneurs, and employees, as well as for those former vacationers who have chosen to establish their home in it. The presence of all these Others emphasizes the special qualities of the ‘local’ under conditions of globalization.“
Einleitung
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Das Fokussieren diverser mehr oder weniger mobiler Personengruppen und ihre vielfältigen Beziehungen zueinander, das Galani-Moutafi hier einfordert und das auch diese Arbeit anstrebt, ist eine Herausforderung. Wenngleich nationalstaatliche Migrations- und Tourismuspolitiken eine wesentliche Rolle spielen und auch regionale Besonderheiten herausgearbeitet werden müssen, werden territoriale Vergleichseinheiten angesichts der vielfältigen Verbindungslinien gesprengt, die über die jeweiligen Untersuchungsorte hinausweisen. Im ersten Kapitel der Arbeit möchte ich meine Forschung daher kritisch in den Kontext des mobility turn stellen, von dem seit einigen Jahren vor allem in der Soziologie die Rede ist. Wie ich in diesem Kapitel herausarbeiten werde, kann als Ausdruck des mobility turn begriffen werden, dass – in Abkehr von der Norm der Sesshaftigkeit, die dem Vergleich territorial gebundener Kulturräume zugrunde liegt – zunehmend verschiedene Formen der Mobilität zueinander in Beziehung gesetzt werden. Da es in dieser Arbeit um das Verhältnis von Migration und Tourismus geht, kann sie in den theoretischen Kontext dieses „neuen Mobilitätsparadigmas“ gestellt werden. Mein Beitrag ist vor allem darin zu sehen, Mobilitätsmetaphern und Vergleiche zwischen verschiedenen Mobilitätsformen, die häufig vereinfacht auf einer abstrakten Ebene bleiben, aufzuarbeiten und empirisch auszudifferenzieren. Im zweiten Kapitel stelle ich dann zunächst einige künstlerische und wissenschaftliche Arbeiten vor, die Beziehungen zwischen Migration und Tourismus zum Gegenstand haben, bevor ich verschiedene zentrale Konzepte aus der Migrations- und Tourismusforschung zusammenfasse und aufeinander beziehe. Wie in diesem Kapitel besonders hervorgehoben wird, geht es mir in der vorliegenden Arbeit nicht darum, analog zu einem quantitativ oder auch qualitativ angelegten, mit einem bestimmten Raster arbeitenden Vergleich territorial begrenzter Kulturräume, ein allgemein gültiges, kontextfreies Raster zum Vergleich verschiedener Mobilitätsformen zu entwickeln und auf einer abstrakten Ebene eindeutige Unterschiede zwischen Tourismus und Migration herauszuarbeiten. Wenngleich ich die Begriffe Migration und Tourismus durchgehend verwende, nehme ich die Vielfalt von Praktiken zur Kenntnis, die darunter jeweils subsumiert werden, sowie die zahlreichen Überschneidungen, die eine klare Abgrenzung zwischen diesen beiden Mobilitätsformen unmöglich machen. Vor diesem Hintergrund geht es mir auch darum zu verdeutlichen, dass eine Zuschreibung zu bestimmten Mobilitätskategorien oftmals interessegeleitet vorgenommen wird. Nachdem ich dargestellt habe, inwiefern Zusammenhänge zwischen Migration und Tourismus in den letzten Jahren zum Gegenstand künstlerischer und wissenschaftlicher Arbeiten geworden sind, und Konzepte aus der Migrationsforschung einerseits und der Tourismusforschung andererseits aufeinander bezogen habe, zeige ich im dritten Kapitel, inwiefern die beiden Mobilitätsformen als
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Einleitung
machtvolle Kategorien des europäischen Grenzregimes betrachtet werden müssen. Der Begriff Regime wird seit den 1990er Jahren häufig verwendet, weil er der veränderten Bedeutung nationalstaatlicher Souveränitäten Rechnung trägt, die in den Sozial- und Kulturwissenschaften seither konstatiert wird. Für die vorliegende Arbeit ist er hilfreich, weil er „die Einbeziehung einer Vielzahl von Akteuren [ermöglicht], deren Praktiken zwar aufeinander bezogen, nicht aber in Gestalt einer zentralen (systemischen) Logik geordnet, sondern vielfach überdeterminiert sind“ (Karakayal 2008, 47). Mit diesem Begriff wird zum einen der Vorstellung entgegengewirkt, der Staat sei der „erste Beweger“, zum anderen ist damit aber auch eine Abkehr von Ansätzen verbunden, „die individuelle Taktiken oder die ‚Kunst des Handelns’ (de Certeau 1988) auf der subjektiven Ebene lokalisieren und dies dann machtvollen Apparaten der Regierung gegenüberstellen“ (ebd., 48). Bezogen auf das europäische Migrationsregime schreibt Serhat Karakayal (ebd.): „Ohne Zweifel sind dabei jene Akteure, die Grenzpolizei, Schengener Informationssystem und Ausländergesetze durchsetzen, in Begriffen einer Macht-Ökonometrie überlegen. Diese Asymmetrie zu konstatieren, reicht jedoch nicht aus. Entscheidend ist das Produkt dieser Asymmetrie, die keineswegs die von den mächtigen Akteuren proklamierte Immobilität ist. Die Produktivität des Grenzregimes besteht in der Regulation der grenzüberschreitenden Arbeitsmobilität, in der Verwaltung und Bearbeitung des Überschusses, der sich in den Reibungen, Konflikten und Kämpfen ergibt.“
Neben der Regulation verschiedener Formen der Migration wird im Folgenden auch die Regulation anderer Mobilitäten wie binneneuropäischer Arbeitsmobilität und Tourismus als Teil des europäischen Grenzregimes begriffen. Daher verwende ich neben Grenzregime auch häufig den Begriff Mobilitätsregime. Im dritten Kapitel zeige ich, wie durch selektive Rückgriffe auf die Geschichte bestimmte Formen der Mobilität als konstitutiv für die europäische Identitätsbildung konstruiert und andere ausgeblendet oder abgewertet werden. Insofern in Identitätsdiskursen Zugehörigkeiten und Ausschlüsse verhandelt werden, betrachte ich auch sie als Bestandteil des europäischen Grenzregimes. In welcher Weise unterschiedliche Mobilitäten in ihrem Verhältnis zueinander die europäische Geschichte bis zur Herausbildung des gegenwärtigen EU-europäischen Grenzregimes kennzeichnen, wird im weiteren Verlauf des Kapitels gezeigt. Dabei geht es mir darum, Europa und die Europäische Union mit ihren umstrittenen materiellen und diskursiven Grenzen, über die verschiedene Mobilitäten in ein hierarchisches Verhältnis zueinander gesetzt werden, als gewordene und umstrittene Formationen kenntlich zu machen. Schließlich zeige ich in diesem Kapitel anhand von migrations- und tourismuspolitischen Maßnahmen beispiel-
Einleitung
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haft, inwiefern sowohl Migration als auch Tourismus Regulationsobjekte des EU-Mobilitätsregimes sind und sich arbeitsmarkt- und kulturpolitisch ergänzen. Konkret wird die „Produktivität des Grenzregimes“ schließlich in den Kapiteln 4 und 5 in Bezug auf ArbeitsmigrantInnen und andere AkteurInnen im Tourismussektor auf Kreta und Zypern untersucht. Wie bereits erwähnt, geht es mir nicht darum, den Einfluss von Tourismus und Migration auf die beiden Inseln herauszuarbeiten und systematisch zu vergleichen. Vielmehr möchte ich untersuchen, in welcher Weise sich das europäische Grenzregime an konkreten Orten manifestiert. Dazu konzentriere ich mich auf Begegnungen zwischen verschiedenen zeitweilig oder dauerhaft Anwesenden sowie auf EntscheidungsträgerInnen in den jeweiligen Hauptstädten Athen und Nicosia. Die konkreten AkteurInnen und Konfliktkonstellationen, mit denen ich mich in dieser Arbeit befasse, kristallisierten sich erst im Laufe der jeweiligen Feldforschungsaufenthalte heraus. Auch für die mobilen Personengruppen wurden nicht vorab Kategorien festgelegt, die einen systematischen Vergleich – beispielsweise zwischen eindeutig zugeordneten TouristInnen und MigrantInnen – erlauben würden. Aufgrund spezifischer Bedingungen an den jeweiligen Orten stehen unterschiedliche Akteursgruppen und verschiedene Problemkonstellationen im Zentrum. In Rethymno stellte sich die Situation von AlbanerInnen, die vorwiegend in den 1990er Jahren einwanderten und inzwischen die mit Abstand größte MigrantInnengruppe in Griechenland darstellen, als zentral heraus, während es in Paphos eher um den veränderten Status von verschiedenen ausländischen Arbeitskräften nach dem EU-Beitritt Zyperns in 2004 und insbesondere um die Rolle von „Drittstaatenangehörigen“4 im Verhältnis zu neuen und alten EU-BürgerInnen ging. Die Tourismusindustrie als Arbeitsmarkt für MigrantInnen und EU-BürgerInnen sowie die Mobilitätsbedingungen innerhalb der Europäischen Union und über ihre Grenzen hinweg bilden den gemeinsamen Rahmen. An beiden Orten begegneten sich AkteurInnen, deren Mobilitätsoptionen und -beschränkungen durch verschiedene Faktoren, vor allem durch das EU-Grenzregime mit seinen abgestuften Mobilitätskategorien, bestimmt wurden, und die darüber in einem hierarchischen Verhältnis zueinander standen. Jenseits der von Herzfeld und Argyrou fokussierten hierarchischen Differenz zwischen „dem Westen“ und der südlichen Peripherie Europas kamen dabei eine Reihe weiterer machtvoller Differenzen zwischen verschiedenen mehr oder weniger mobilen Personengruppen zum Tragen. Herkömmliche Konzepte der Migrations- und 4 Als „DrittstaatenangehörigeR“ gilt, wer weder EU- oder EWR-BürgerIn noch freizügigkeitsberechtigteR AngehörigeR freizügigkeitsberechtigter EU-/EWR-BürgerInnen oder SchweizerIn ist. Meist wird die Bezeichnung euphemistisch für Menschen aus der sogenannten „Dritten Welt“ verwendet, was sich unter anderem darin zeigt, dass US-BürgerInnen in der Regel nicht angesprochen sind.
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Einleitung
Tourismusforschung wie „Authentizität“ oder „Gastfreundschaft“, die meist auf einer dichotomen Gegenüberstellung von „Sesshaften“ und „Mobilen“ beruhen und entweder touristische oder migrantische Mobilität fokussieren, gilt es im Hinblick auf den migrantisch-touristischen Ereignisraum am Mittelmeer kritisch zu überdenken. Um die Reflexion von Dichotomien, die nicht nur in der klassischen Migrations- und Tourismusforschung, sondern auch in den aktuellen Debatten zum mobility turn angelegt sind, geht es schließlich noch einmal in Kapitel 6. Am Beispiel eines zum Flüchtlingslager umfunktionierten Hotels auf Kreta, das wie viele andere Lager des europäischen Grenzregimes der Entschleunigung von Mobilität zur Regulierung des Arbeitsmarktes zu dienen scheint, wird die Plausibilität der Gegenüberstellung von Mobilität und Immobilität, von freiwilliger und erzwungener Mobilität sowie von Tourismus und Migration diskutiert. Hier wie in der gesamten Arbeit geht es darum, das teils widersprüchliche Verhältnis zwischen erstens Konzepten und Metaphern der Mobilität, zweitens wissenschaftlichen und künstlerischen Repräsentationen von Tourismus und Migration, drittens behördlichen Mobilitätskategorien und viertens empirisch beobachtbaren mobilen Praktiken kenntlich zu machen.
1 Mobilitäten
In dem Maße wie Globalisierungsprozesse in den 1990er Jahren zu einem prominenten Forschungsthema in der Kultur- und Sozialanthropologie wurden, wuchs auch das Interesse für Mobilität und die verschiedenen sozialen Gruppen, die sie produziert: Flüchtlinge, TouristInnen, MigrantInnen (vgl. Welz 2004, 410). Der Anthropologe Arjun Appadurai (1996) betont, dass mit den Menschen immer auch Artefakte und Konzepte unterwegs waren, mit der Globalisierung habe die Mobilität von Technologien, Geld, Bildern und Ideen aber eine neue Qualität erhalten. Neben den von verschiedenen mobilen Personengruppen aufgespannten ethnoscapes benennt Appadurai mediascapes, technoscapes, financescapes und ideoscapes als Landschaften, um die bewegte Welt der Gegenwart zu kartografieren. Diese neue Aufmerksamkeit für Mobilität geht allerdings über den historischen Moment und die Disziplin der Anthropologie hinaus, wenn Menschen nun als „prinzipiell geografisch mobil“ (Düvell 2006, 94) gefasst und sämtliche Äußerungen des Lebens als Ausdruck von Mobilität interpretiert werden, wie es beispielsweise der Geograf Tim Cresswell (2006, 1) tut, wenn er schreibt: „From the first kicks of a newborn baby to the travels of international business people, mobility is everywhere.“1 Auch in den Geschichtswissenschaften lässt sich inzwischen ein verstärktes Interesse für Mobilität feststellen, und die jahrzehntealte Forderung, Geschichte als Geschichte der Mobilität zu schreiben, wird in den letzten Jahren vermehrt aufgegriffen.2 Angesichts solcher Entwicklungen sprechen VertreterInnen verschiedener Disziplinen – vor allem im Umfeld des Soziologen John Urry – seit kurzem von einem „mobility turn“ (Hannam/Sheller/Urry 2006, Urry 2007, Urry 2008).3 Im 1
Zur aktuellen Mobilitätsdebatte in der Geografie vgl. auch Peter Adey (2010). Vgl. hierzu Klaus Bade (2000, 13) und (2002, 35) sowie ausführlicher Kapitel 3. Zu Bemühungen in der Anthropologie, Weltgeschichte als Geschichte kultureller Interaktionen und damit von Mobilitäten zu beschreiben vgl. z.B. Eric R. Wolf (1997) sowie dessen Verweise auf frühere Ansätze (ebd., 395). 3 Tim Cresswell (2006, ixf.) datiert die Entstehung einer transdisziplinären Forschungsagenda, die als mobility turn oder new mobilities paradigm bezeichnet wird, auf das Jahr 1996 zurück. Derartige konkrete Datierungen sind jedoch problematisch. So sprechen beispielsweise Mirjana Morokvasic und Hedwig Rudolph bereits 1994 (22ff.) unter Berufung auf Alain Tarrius, der den Begriff des Zirkulationsterritoriums prägte, von einem Mobilitäts-Paradigma. Wenn sie auch nicht unbedingt eine transdisziplinäre Forschungsagenda entwickeln, werfen Morokvasic und Rudolph bereits einige 2
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1 Mobilitäten
Editorial zu ihrer 2006 erstmalig erschienen Zeitschrift mit dem programmatischen Titel „Mobilities“ betonen Kevin Hannam, Mimi Sheller und John Urry (2006, 5), dass ein Großteil sozialwissenschaftlicher Forschung bis vor kurzem relativ a-mobilen Leitsätzen gehorchte, und konstatieren für das 21. Jahrhundert ein „neues Mobilitätsparadigma“. Ebenso wie Appadurai und andere beziehen sie sich dabei nicht nur auf die Mobilität von Menschen, sondern auch auf die Bewegung von Objekten, Kapital und Information; ihr Konzept von Mobilität umfasst gleichermaßen weltumspannende Bewegungen wie eher lokale Prozesse des täglichen Transports, der Bewegung durch den öffentlichen Raum und der Reise von materiellen Dingen im Alltag. Anknüpfend an dieses Konzept kritisieren Weert Canzler, Vincent Kaufmann und Sven Kesselring (2008, 2f.) Mobilitätsvorstellungen, die nur „reale“ oder „virtuelle“ geografische Bewegungen von Menschen, Artefakten und Ideen erfassen. Im Unterschied zur Fokussierung rein geografischer Bewegung (movement), plädieren sie für ein Mobilitätsparadigma, das auch soziale Mobilität einbezieht. Zudem soll nicht erst tatsächliche („reale“ oder „virtuelle“) Mobilität, sondern auch bereits das Potenzial zu sozialer und räumlicher Mobilität (motility)4 berücksichtigt werden. Gegenstand des Mobilitätsparadigmas sind dabei immer sowohl bewegliche als auch statische Momente. Immobilität wird als konstitutiv für Mobilität gefasst. In diesem Kapitel möchte ich nun der Frage nachgehen, inwiefern es sich bei der verstärkten Aufmerksamkeit für Mobilität um ein „neues Mobilitätsparadigma“ bzw. einen „mobility turn“ handelt und welcher analytische Nutzen sich für meine eigene Forschung aus diesen Überlegungen ziehen lässt. Dazu werde ich mich insbesondere mit der Metaphorisierung analytischer Begriffe beschäftigen, die als Indizien für eine begriffliche Wende verstanden werden können. Vorab sollen jedoch die Begriffe „Paradigmenwechsel“ und „turn“ im Hinblick auf die wissenschaftliche Beschäftigung mit Mobilität näher betrachtet werden.
1.1 Zum Begriff des Paradigmenwechsels Um die These einer begrifflichen Wende von Territorialität oder Sesshaftigkeit hin zu Mobilität zu prüfen, soll hier zunächst auf Thomas S. Kuhns Überlegungen zu wissenschaftlichen Paradigmen zurückgegriffen werden. In Abgrenzung zu Kuhns Thesen lassen sich einige Merkmale begrifflicher Neuorientierungen im kultur- und sozialwissenschaftlichen Zusammenhang im Allgemeinen und im Hinblick auf „das neue Mobilitätsparadigma“ im Besonderen herausarbeiten. Zu zentrale Forschungsfragen auf, die Urry und andere später ähnlich formulierten. (Vgl. hierzu auch Tsing 1993) 4 Zum Verständnis von motility als sozialem Kapital vgl. auch Vincent Kaufmann (2002).
1.1 Zum Begriff des Paradigmenwechsels
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den folgenden drei Aspekten möchte ich Argumente Kuhns und Einsprüche anderer AutorInnen kurz anreißen: (1) Transformation versus Revolution, (2) Reichweite begrifflicher Umorientierungen, (3) Wettstreit unterschiedlicher Theorien versus Paradigmenwechsel. (1) Nach Kuhn geschehen Paradigmenwechsel dann, wenn die „normale Wissenschaft“ Krisen und Anomalien bei der Anwendung ihres herkömmlichen Begriffsnetzes erkennt. „Und diese werden nicht durch Überlegung und Interpretation, sondern durch ein relativ plötzliches und ungegliedertes Ereignis gleich einem Gestaltwandel beendet. Die Wissenschaftler sprechen dann oft von den ‚Schuppen, die ihnen von den Augen fallen’ oder dem ‚Blitzstrahl’, der ein vorher dunkles Rätsel ‚erhellt’, wodurch seine Bestandteile in einem neuen Licht gesehen werden können, das zum ersten Mal seine Lösung gestattet. Bei anderen Gelegenheiten kommt die betreffende Erleuchtung im Schlaf.“ (Kuhn 1976, 134f.)
Kuhn entwickelte seine Theorie wissenschaftlicher Revolutionen für die Naturwissenschaften und hatte beispielsweise wissenschaftliche Entwicklungen aus der Geschichte der Physik vor Augen, die mit Namen wie Kopernikus, Newton oder Einstein verbunden sind. Seine Überlegungen sind nicht ohne Weiteres auf die Kultur- und Sozialwissenschaften übertragbar, da das Entstehen von neuen wissenschaftlichen Konzepten hier nicht ursächlich mit plötzlichen Eingebungen erklärt werden kann, die alle vorherigen Konzepte komplett ablösen.5 Kuhns Konzept von Paradigma und Paradigmenwechsel kann mit Pierre Bourdieus Begriff der doxa verglichen werden. Bourdieu zufolge besteht der soziale Raum aus verschiedenen, sich aber durchaus überkreuzenden Feldern. Er unterscheidet beispielsweise das Feld der Religion, das Feld der Kunst oder das Feld der Wissenschaft. Jedes Feld hat eigene Spielregeln, die doxa. Sie sind die „Grundvoraussetzungen des Felds“, denen „unbestrittene, unreflektierte, naive, eingeborene Anerkennung“ gezollt wird, weswegen die doxa als „Urglauben“ definiert werden können (Bourdieu 1993a, 125). Die doxa sind allerdings nicht unumstößlich, wobei diejenigen, die im Feld über Macht und Autorität verfügen, eher Erhaltungsstrategien verfolgen, während andere – häufig die Neuen und Jüngeren – eher zu Umsturzstrategien neigen. Doch selbst wenn Einzelne darauf aus sind, die Kräfteverhältnisse in einem Feld zu verändern, ist doch allen das 5
Auch für die Naturwissenschaften ist Kuhns Konzept von Paradigmen und plötzlichen Paradigmenwechseln fraglich, vgl. hierzu z.B. Knorr Cetina (1991). Michel Foucault (1974, 12) hingegen betont übereinstimmend mit Kuhn „die Plötzlichkeit und die Gründlichkeit, mit der bestimmte Wissenschaften manchmal reorganisiert wurden“, was ihm zufolge über die Wissenschaft hinaus dazu führen kann, „daß die Dinge plötzlich nicht mehr auf die gleiche Weise perzipiert, beschrieben, genannt, charakterisiert, klassifiziert und gelernt werden“ (ebd., 269).
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Grundinteresse am Erhalt des Feldes gemein: „Wer sich am Kampf beteiligt, trägt zur Reproduktion des Spiels bei“ (Bourdieu 1993b, 109). Ständig stattfindende „Teilrevolutionen“ seien „die Grundlage des Spiels selbst“ (ebd., 109f.; vgl. hierzu auch Bourdieu 1998, 142). Vor diesem Hintergrund ist es plausibel, dass Andreas Reckwitz (2006) in seiner Studie zum Wandel des theoretischen Feldes der Kulturtheorien im 20. Jahrhundert nicht von „Revolutionen“ spricht, mit denen ein veraltetes Begriffsnetz komplett durch ein neues ersetzt wird, sondern von „Transformationen“, die in Auseinandersetzung mit anderen Theorien zu „konzeptuellen Verschiebungen“ oder „Konvergenzbewegungen“ führen. Und Doris Bachmann-Medick (2006, 27) vertritt die These, dass es „die theoriebildenden Mikroereignisse [sind], die eine Wendung überhaupt erst vorbereiten und die dann aktiv verstärkt oder auch ausgeblendet werden“. Dies gilt auch für das Mobilitätsparadigma, das nicht von heute auf morgen über einen Wissenschaftler und seine Disziplin kam, sondern eher das Ergebnis diverser Entwicklungen darstellt, wie weiter unten am Beispiel der verbreiteten Verwendung von Mobilitätsmetaphern gezeigt werden soll. Die – nicht unerhebliche – Leistung Einzelner besteht allenfalls darin, diese Entwicklungen unter eine gemeinsame Überschrift – „mobilities“ – gestellt und sie systematisiert zu haben. (2) Wenngleich Kuhn einerseits die Bedeutung plötzlicher Eingebungen, die Einzelnen einen neuen Blick auf die Welt ermöglichen, für den Austausch von Begriffsnetzen hervorhebt, so wird andererseits auch deutlich, dass diese „Erleuchtungen“ nur dann zu Paradigmenwechseln werden können, wenn die wissenschaftliche Gemeinschaft dafür bereit ist. In dieser Beziehung werden Kuhns Thesen für die Kultur- und Sozialwissenschaften eingeschränkt wieder anschlussfähig. Eine weit reichende begriffliche Neuausrichtung ist hier eben nicht auf einen einsamen Geistesblitz zurückzuführen, sondern wird durch verschiedene Ansätze in verschiedenen Forschungszusammenhängen vorbereitet, was es überhaupt erst ermöglicht, den Wandel eines Begriffsnetzes zu beobachten. Allerdings stellt Kuhn sich wissenschaftliche Gemeinschaften als disziplinär begrenzt vor.6 Es lässt sich jedoch beobachten, „daß zur gleichen Zeit ähnliche Veränderungen in offensichtlich sehr verschiedenen Disziplinen auftraten“ (Foucault 1994, 12). Wie Kuhn ging es auch John Urry zunächst nur um den begrifflichen Wandel innerhalb einer Disziplin. In seinem 2000 erschienenen Buch „Sociology beyond Societies“ versucht er, relevante Kategorien für eine Soziologie des 21. Jahrhunderts zu entwickeln. Seiner Ansicht nach muss die Soziologie in Zukunft verstärkt der Tatsache Rechnung tragen, dass globale Netzwerke und Flüsse das 6
Zur Definition einer wissenschaftlichen Gemeinschaft vgl. Kuhn (1977, 390ff.).
1.1 Zum Begriff des Paradigmenwechsels
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Soziale in seiner nationalgesellschaftlichen Form untergraben. Seinen Beitrag versteht er daher als Manifest für eine Soziologie, die verschiedene, teilweise miteinander verschränkte Mobilitäten von „Menschen, Objekten, Images, Informationen und Abfällen“ (ebd., 1) untersucht und ihre Konsequenzen für das Soziale analysiert. Urry begreift die Disziplin der Soziologie als prädestiniert für die Erforschung von Mobilitäten, da Mobilität – wenn auch in Form von vertikaler, also sozialer, beispielsweise auf Möglichkeiten der Überschreitung von Bildungs- oder Einkommensgrenzen bezogener Mobilität – schon immer zu den Kernaufgaben der Soziologie gehört habe. Eine gleichzeitige Erforschung von geografischer wie sozialer, von vertikaler wie horizontaler Mobilität stellt in seinen Augen eine logische und sinnvolle Erweiterung des soziologischen Forschungsprogramms dar. Im Gegensatz zu den meisten anderen Sozialwissenschaften sei die Soziologie zudem weniger Prozessen diskursiver Normalisierung und Kontrolle unterworfen und auch deshalb besser für die Erforschung von Mobilität geeignet. (Vgl. ebd., 2f.) Urrys Fokus auf die Soziologie bleibt plausibel, so lange er sich mit den verschiedenen Begriffen von „Gesellschaft“ innerhalb der Soziologie befasst und ihre Herausforderungen durch Globalisierungsprozesse diskutiert. Mit seiner generellen Privilegierung der Soziologie als Leitdisziplin in der Erforschung von Mobilität vernachlässigt er allerdings Beiträge aus anderen Disziplinen, die seit geraumer Zeit einen Perspektivwechsel auf Mobilität befördern, wie beispielsweise die Kultur- und Sozialanthropologie, die ihre Konzepte von „Ethnos“ (vgl. Welz 1994) und „Kultur“ (vgl. Welz 2004) unter dem Eindruck von quantitativ und qualitativ neuen Mobilitätsphänomenen ebenso überarbeitet hat wie die Geografie ihre Raumbegriffe (vgl. z.B. Harvey 1989, Soja 1989, Massey 1994).7 Erst eine Berücksichtigung der Reise von Konzepten der Mobilität durch eine Vielzahl von Disziplinen und Denkrichtungen kann dem Ausmaß der begrifflichen Neuorientierung daher gerecht werden. In späteren, von Urry mitverfassten Texten zu Mobilität ist dann auch von einem disziplinenübergreifenden „Paradigmenwechsel“ oder „turn“ die Rede. So wird in dem gemeinsam mit Mimi Sheller (2006) verfassten Zeitschriftenartikel „The new mobilities paradigm“ etwa betont, dass dem neuen Paradigma Arbeiten aus Anthropologie, Cultural Studies, Geografie, Migrationsforschung, Science and Technology Studies, Tourismus- und Transportforschung sowie Soziologie zugrunde liegen. Und im Editorial zur ersten Ausgabe ihrer Zeitschrift „Mo7 Stephen Greenblatt (2010, 3) weist darauf hin, dass bei aller Anerkennung von Mobilität in den letzten Jahren, die Vorstellung der „rootedness“ von Kultur innerhalb und außerhalb der Wissenschaft nach wie vor weit verbreitet ist und zum Teil durch die neue Aufmerksamkeit für Globalisierungsprozesse sogar noch bestärkt wurde. Er fordert, diese „sensation of rootedness“ (ebd., 252) zum zentralen Gegenstand der mobility studies zu machen.
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1 Mobilitäten
bilities“8 sprechen Kevin Hannam, Mimi Sheller und John Urry von den Sozialwissenschaften und von der Überschreitung disziplinärer Grenzen: „[A] ‘mobility turn’ is spreading into and transforming the social sciences, not only placing new issues on the table, but also transcending disciplinary boundaries and putting into question the fundamental ‘territorial’ and ‘sedentary’ precepts of twentieth-century social science“ (Hannam, Sheller, Urry 2006, 1f.).
In seinem 2007 erschienen Buch „Mobilities“ räumt Urry darüber hinaus Verbindungen und Überschneidungen sowohl mit der Physik als auch mit den Literatur- und Geschichtswissenschaften eine besondere Bedeutung für die Mobilitätsforschung ein. Angesichts des disziplinenübergreifenden oder post-disziplinären (Urry 2007, 18) Charakters des mobility turn komme es darauf an, die „paradigmatischen Fragmente“ aus den „Festungen“ von Einzeldisziplinen zu befreien.9 Bildreich formuliert Urry (ebd.): „I use the term mobilities to refer to the broader project of establishing a movementdriven social science. And in making the subterranean visible it redraws many ways in which social science has been practised, especially as organized within distinct ‘regions’ or ‘fortresses’ of policed, bounded and antagonistic ‘disciplines’. I use the term subterranean to indicate how this paradigm is not being generated de novo. There are various paradigmatic fragments found in multiple archives that rest unea-
8 Kuhn (1976, 34) führt in seiner Theorie wissenschaftlicher Revolutionen aus, dass unter anderem die Entwicklung von Fachzeitschriften der Durchsetzung eines Paradigmas zuträglich ist, während Bücher „gewöhnlich Lehrbücher oder rückblickende Betrachtungen über diesen oder jenen Aspekt des wissenschaftlichen Lebens“ seien. Vergleicht man Urrys rückblickende Auseinandersetzung mit dem Begriff der „Gesellschaft“ in der Soziologie, mit der er sich in „Sociology beyond Societies“ in die Fachgeschichte einschreibt, mit dem Editorial von „Mobilities“, so fällt auf, dass letzteres sich nicht lange mit Begriffsgeschichte aufhält, sondern direkt eine begriffliche Neuausrichtung auf Mobilität hin behauptet. Das unterschiedliche Publikationsformat und die entsprechend unterschiedlichen Argumentationsweisen können daher als Indiz für einen von Urry strategisch mit beförderten oder zumindest diagnostizierten Paradigmenwechsel gesehen werden, der zugleich den Charakter einer „selbsterfüllenden Prophezeiung“ hat. 9 Urry widmet sich in „Mobilities“ der Befreiung entsprechender Fragmente bei Georg Simmel. Simmel sei der erste Sozialwissenschaftler gewesen, der versucht habe, ein Mobilitätsparadigma zu entwickeln, behauptet Urry (2007, 20ff.). In der Tat spricht Simmel (1992, 761) bereits von „fließenden Vergesellschaftungen“ und formuliert soziologische Fragestellungen wie: „welche Formen der Vergesellschaftung stellen sich bei einer wandernden Gruppe im Unterschied gegen eine räumlich fixierte ein? und: welche Formen ergeben sich, wenn zwar nicht eine Gruppe als ganze, aber gewisse Elemente ihrer wandern, für die Gruppe selbst und für die wandernden Personen?“ (ebd., 748) In den folgenden hundert Jahren seien diese Einsichten jedoch kaum weiterverfolgt wurden, meint Urry. Er möchte nun wieder an Simmel anknüpfen, vor allem an dessen Entwürfe einer „system-ness of mobility“ (Urry 2007, 23) zur Konzeptualisierung des komplexen Zusammenspiels verschiedener Mobilitäten und Immobilitäten.
1.1 Zum Begriff des Paradigmenwechsels
29
sily within their current disciplinary fortresses […]. The new paradigm will seek to release these fragments from their cage and enable them to fly.“
Die disziplinär begrenzte wissenschaftliche Gemeinschaft, die Kuhn vor Augen hatte und an die auch Urry sich zunächst richtete, wird Theorie-Transformationen in kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschungszusammenhängen also nicht gerecht. In Bezug auf das „Mobilitätsparadigma“ umfasst die betreffende Gemeinschaft, innerhalb derer begriffliche Verschiebungen stattfinden, weit mehr als die Disziplin der Soziologie. Sie kann nicht einmal auf die Kultur- und Sozialwissenschaften beschränkt werden, sondern beinhaltet ebenso naturwissenschaftliche Forschungen10. Da auch nicht-wissenschaftliche Diskurse und Praktiken Eingang in wissenschaftliche Konzepte finden und die Paradigmen der Wissenschaft nicht auf Diskussionen in dezidiert wissenschaftlichen Zirkeln beschränkt bleiben, umfasst aber selbst eine disziplinenübergreifende wissenschaftliche Gemeinschaft noch nicht alle an einer begrifflichen Neuorientierung Beteiligten. In Anbetracht von Wissensgesellschaften, in denen ExpertInnenwissen alle Bereiche des sozialen Lebens durchdringt, spricht Karin Knorr-Cetina (2002) daher von „Wissenskulturen“ in Abgrenzung zu „Disziplinen“ oder „Spezialgebieten“, und Sabine Maasen (1995, 26ff.) betont, dass Konzepte zwischen allen Diskurstypen – wissenschaftlichen wie nicht-wissenschaftlichen – zirkulieren. Beide beziehen sich dabei auf Michel Foucault, dem es mit seinem Begriff der episteme ganz grundlegend um die Bedingungen der Möglichkeit des Denkens zu bestimmten Zeiten geht und damit um „das Unbewußte in der Wissenschaft“ (Foucault 1974, 11).11 (3) Marylin Strathern kritisiert, dass Kuhns wissenschaftliche Gemeinschaften „geschlossenen Systemen“ entsprächen und konzeptuelle Richtungswechsel als Ablösung veralteter Paradigmen innerhalb dieser Gemeinschaften begriffen würden, wobei Wettstreit zwischen verschiedenen Ansätzen auf ein Übergangsphänomen reduziert werde:
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So stand beispielsweise der Deutsche Ingenieurtag 2007 in Mannheim unter dem Motto „Welt in Bewegung – Mobilität verbindet“. Versammelt waren hier sowohl ExpertInnen aus dem Verkehrswesen, dem Bauwesen, der Energietechnik und der Logistik als auch aus den Bereichen Nanotechnik, Brennstoffzellen, Kommunikationstechnick, Bionik, Umwelttechnik, Medizintechnik und Volkswirtschaft. (Vgl. Verein Deutscher Ingenieure 2007) Von Seiten der ingenieurwissenschaftlich-technisch dominierten Planungswissenschaft ist im Hinblick auf die Erforschung von Mobilität zunehmend eine Öffnung für sozialwissenschaftliche Fragestellungen erkennbar (vgl. hierzu z.B. FreudendalPetersen 2009). Auch in der Psychologie wurde „Mobilität“ kürzlich als interdisziplinär anschlussfähiges Forschungsthema entdeckt (vgl. hierzu Dick 2009). 11 Zu einer kritischen Diskussion von Foucaults Konzept der episteme im Vergleich zu Kuhns Paradigmata vgl. Piaget (1973, 123ff.).
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1 Mobilitäten „Eine Revolution dient nur dazu, das System erneut zu schließen: aufeinanderfolgende Paradigmen verdrängen einander oder substituieren sich. Offener Wettstreit unter Paradigmen ist kurzlebig, weil die BefürworterInnen des neuen Paradigmas behaupten, die Probleme, die die BefürworterInnen des alten Paradigmas in Schwierigkeiten brachten, gelöst zu haben.“ (Strathern 1993, 183)
In den Kultur- und Sozialwissenschaften gehe es jedoch nicht um „Problemlösen“, und unterschiedliche theoretische Positionen, verbunden mit unterschiedlichen sozialen Interessen, könnten nicht in einer „Homogenisierung oder Versöhnung aller Standpunkte“ (ebd., 185) zusammengeführt werden, sondern seien in ihrer Heterogenität und Widersprüchlichkeit konstitutiv für die wissenschaftliche Praxis in diesen Disziplinen.12 Sie kommt daher zu dem Schluss, dass Kuhns Konzept des Paradigmas hierfür nicht anwendbar ist, „erstens weil die verschiedenen theoretischen Positionen, die in den Sozialwissenschaften eingenommen werden, nicht analog zu den Paradigmen der Kuhnschen Wissenschaft sind. Sie beruhen auf offenem Konflikt zwischen wettstreitenden Theorien, die nicht auf eine einzelne Position reduziert werden können. Und zweitens, weil theoretische Positionen, zumindest in der Anthropologie, tatsächlich sehr leicht umgeworfen und ersetzt werden können“ (ebd., 186).13
In ähnlicher Weise betont auch Marshall Sahlins, dass man Paradigmen und Paradigmenwechsel in den Sozialwissenschaften häufig kaum von Modeerscheinungen unterscheiden könne. Während Strathern auf die konstitutive Bedeutung konfligierender Theorien verweist, problematisiert Sahlins (2002, 73) allerdings die Gefahren von zu weitreichenden Erklärungsansätzen: „In the social sciences, paradigms are not outmoded because they explain less and less, but rather because they explain more and more – until, all too soon, they are explaining just about everything. There is an inflation effect in social paradigms, which quickly cheapens them.“14 12
Auch wenn Strathern nicht explizit darauf verweist, deutet sie hier eine Grundkonstellation des sogenannten Positivismusstreits an, der im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht weiter ausgeführt werden kann, vgl. hierzu z.B. Dahms (1994). 13 Strathern (1993, 192) lehnt den Begriff des Paradigmas zwar ab, betont jedoch, dass es ein „’Set’ von Ansichten“ gebe, das in der Anthropologie – aber nicht nur dort – als so grundlegend erachtet werde, dass man ohne es nicht weiterkommen könne. 14 Als Beispiel führt Sahlins das „theoretische Regime“ an, das die Analyse der Effekte von Machtbeziehungen überbetone. Konkret auf Foucaults Theorie der Macht bezogen, veranschaulicht Edward Said (1997, 287ff.), wie der Theorie-Transport aus Frankreich in die Vereinigten Staaten zu starken Verallgemeinerungen und Vereinfachungen führte, und stellt fest, „wie blaß dieser Machtbegriff werden kann, wenn er zu weit wandert“ (ebd., 289). Eine ähnlich kritische Perspektive wirft GudrunAxeli Knapp (2005a+b) auf die die transatlantische Reise der viel zitierten Triade von race, class und gender, die seit Ende der 1970er Jahre zu einer paradigmatischen Neuorientierung der Geschlechter-
1.2 Zum Begriff des turn
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Ob sich „das neue Mobilitätsparadigma“ abnutzt, bleibt abzuwarten und kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden. Es zeichnet sich jedoch ab, dass das konfligierende „Paradigma der Sesshaftigkeit“ oder „Immobilität“ nicht vollkommen an Bedeutung verloren hat, sondern vielmehr konstitutiv für den Diskurs um Mobilität bleibt. Die fehlende Berücksichtigung konfligierender Ansätze ebenso wie die These von der revolutionären Umwälzung innerhalb klar definierbarer wissenschaftlicher Disziplinen machen Kuhns Konzept des Paradigmenwechsels für begriffliche Neuorientierungen in den Kultur- und Sozialwissenschaften und speziell im Hinblick auf ein „neues Mobilitätsparadigma“ in jedem Fall problematisch. Der Bedeutungszuwachs von Mobilität und verwandter Konzepte als Analysegrundlage soll daher im Folgenden eher im Sinne eines turn15 verstanden werden. 1.2 Zum Begriff des turn Doris Bachmann-Medick (2006, 17f.) definiert einen turn in Abgrenzung zu einem Paradigmenwechsel folgendermaßen: „Auch wenn diese Richtungswechsel keineswegs vage in ihrer Genese, doch noch viel entschiedener in ihrer Wirkung sind, zeigen die ‚Wenden’ in der gegenwärtigen Forschungslandschaft der Kulturwissenschaften jedenfalls keine Unumkehrbarkeit. Niemals handelt es sich um vollständige und umfassende Kehrtwenden eines ganzen Faches, sondern eher um die Ausbildung und Profilierung einzelner Wendungen und Neufokussierungen, mit denen sich ein Fach oder ein Forschungsansatz interdisziplinär anschlussfähig machen kann. Es kommt zum Methodenpluralismus, zu Grenzüberschreitungen, eklektizistischen Methodenübernahmen – nicht jedoch zur Herausbildung eines Paradigmas, das ein anderes, vorhergehendes vollständig ersetzt. So redet man etwa von der anthropologischen Wende in der Literaturwissenschaft, nicht aber der Literaturwissenschaft.“
Ungefähr seit Ende der 1970er Jahre haben sich anknüpfend an den linguistic turn (vgl. hierzu Rorty 1967) eine Reihe von begrifflichen Neuorientierungen herausgebildet, die als turns bezeichnet werden, einige davon – wie der interpretative turn, der performative turn und der reflexive turn – wurden BachmannMedick (2006, 7f.) zufolge im Feld der Kulturanthropologie angestoßen. Bei anderen von Bachmann-Medick untersuchten turns wie dem postcolonial turn, forschung führte. Inzwischen ersetzt das „schnellreisende ‚Mantra’“ raceclassgenderetc. häufig komplexe intersektionelle Analysen. 15 Zur Begründung der Wahl des englischen Begriffs turn anstelle des deutschen „Wende“ und zu den Grenzen der Übertragbarkeit auf anderssprachige Kontexte vgl. Bachmann-Medick (2006, 32f.).
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1 Mobilitäten
dem spatial turn, dem iconic turn und dem translational turn hätten andere Fächer die Rolle der Leitdisziplin übernommen. Angestoßen worden seien alle diese turns durch eine grundsätzliche Umorientierung auf Kultur (cultural turn) in den Kultur- und Sozialwissenschaften, die „eine Neubewertung von Symbolisierung, Sprache und Repräsentation auf den Weg gebracht“ (ebd., 13) hätten, wobei der cultural turn aufgrund seiner Ausdifferenzierung in vielen verschiedenen turns nicht als neue „Meistererzählung“ zu verstehen sei. Auch „das Wiederaufleben der materiell-ökonomischen und sozialen ‚Kehrseite’ mitten im kulturwissenschaftlichen Diskurs“ und die „facettenreichen kulturwissenschaftlichen Neuorientierungen“ (ebd., 14) sprächen gegen die „große Erzählung“ vom cultural turn. Insofern mit turns nicht ein komplettes Begriffsnetz durch ein anderes ausgetauscht wird, folgen turns auch nicht chronologisch aufeinander, sondern existieren neben- und ineinander.16 Sie können sich sowohl zeitlich parallel entwickeln als auch starke inhaltliche Parallelen aufweisen. (Vgl. ebd., 45) Der mobility turn ist beispielsweise eng mit dem spatial turn verbunden, der auf einer zunehmenden Bedeutung des Raumbegriffs in den Kultur- und Sozialwissenschaften seit Mitte der 1980er Jahre beruht. Sein Bedeutungszuwachs wurde begünstigt durch die politischen Umbrüche der späten 1980er Jahre. Nach dem Ende der Blockkonfrontation wurden Grenzen, die vorher undurchdringlich schienen, für Kapital, Güter und Menschen geöffnet. Gleichzeitig entstanden neue Grenzziehungen und Raumansprüche. Die Welt musste neu kartiert werden. (Vgl. ebd., 286f.) Kennzeichnend für den spatial turn ist die Beschäftigung mit dem „Spannungsverhältnis zwischen Auflösung und Wiederkehr des Raumes“ (ebd., 288), das sich im mobility turn in der Reflexion des Verhältnisses von Mobilität und Immobilität wieder finden lässt. Da in beiden turns Fragen nach Machtverhältnissen eine zentrale Rolle spielen – Wer kann wirkmächtige Grenzen ziehen? Unter welchen Bedingungen können Grenzen von wem überwunden werden und von wem nicht? –, wie sie insbesondere durch den postcolonial turn angestoßen wurden, gibt es auch zu letzterem bedeutsame Parallelen. Ebenso wie sich der Raumbegriff vom konkreten historischen Rahmen seiner Wiederentdeckung sowie seiner begrenzten Funktion zur Beschreibung physisch-territorialer Gegebenheiten gelöst hat und Raum nun als „gesellschaftlicher Produktionsprozess“ (ebd., 292) verstanden wird, wandelte sich der Terminus „postkolonial“ von einem historischen Epochenbegriff zu einem politisch-pro16
Zur Abgrenzung der turns von „kohärenten Konzepten“ wie Kulturrelativismus, Funktionalismus, Strukturalismus oder Poststrukturalismus vgl. Bachmann-Medick (2006, 18). Zur Einordnung des cultural turn in „philosophische Innovationen“ des 20. Jahrhunderts wie Phänomenologie und Hermeneutik, Strukturalismus, Semiotik und Neo- oder Poststrukturalismus, die Handlungs- und Sprachphilosophie Wittgensteins und den amerikanischen Pragmatismus vgl. Reckwitz (2006).
1.2 Zum Begriff des turn
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grammatischen und systematischen Begriff, der sich von der unmittelbaren Verknüpfung mit der Kolonialgeschichte gelöst hat und nun in enger Verbindung mit kritischen Analysen entlang von Ethnizität, Klasse und Geschlecht verwendet wird (vgl. ebd., 185). Zudem sind beide von ihren Leitdisziplinen ausgehend – der spatial turn von der (Kultur-)Geografie (ebd., 285) und der postcolonial turn von der Literaturwissenschaft (ebd., 191) – disziplinenübergreifend weiterentwickelt worden. Den qualitativen Sprung zum turn erreicht das postkoloniale Projekt durch „Umschwenken zu einer grundsätzlichen Kritik an der modernen Wissensordnung und am universalisierenden Rationalismus“ (ebd., 185), während der Raumbegriff den Durchbruch zu einem turn schafft, „wenn das Denken selbst raumbezogen wird und in ein methodisches Verfahren der Spatialisierung“ (ebd., 303) übergeht. Die hier auf der Grundlage von Bachmann-Medick beispielhaft angerissenen Überschneidungen zwischen verschiedenen turns verweisen darauf, dass eine analytische Trennung unscharf ist. Beliebig ist sie jedoch nicht. Ein turn darf nicht mit einer bloßen Erweiterung des Themenspektrums verwechselt werden. Erst wenn das Erschließen von neuen Gegenstandsbereichen sich in einem transdisziplinären Wandel von Analysekategorien niederschlägt, handelt es sich um einen turn. (Vgl. ebd., 30) „Von einem turn kann man erst sprechen, wenn der neue Forschungsfokus von der Gegenstandsebene neuartiger Untersuchungsfelder auf die Ebene von Analysekategorien und Konzepten ‚umschlägt’, wenn er also nicht mehr nur neue Erkenntnisobjekte ausweist, sondern selbst zum Erkenntnismittel und -medium wird. […] Ein solcher konzeptueller Sprung durch turns ist deshalb so wirkungsmächtig, weil er zumeist mit der Transformation von zunächst beschreibenden Begriffen in operative Begriffe, eben in wirklichkeitsverändernde Konzepte, einhergeht.“ (Ebd., 26)
Ob der „konzeptuelle Sprung“ zum mobility turn gelingt, lässt sich im Rahmen dieser Arbeit nicht abschließend klären, sondern kann hier nur angedacht werden. Bachmann-Medick (2006, 26f.) zufolge gehört es zur Dynamik von turns, „dass die Analysekategorien im Zuge ihrer Herausbildung und Verbreitung noch dazu metaphorisiert werden“. Und Sabine Maasen (2009, 72) meint: „Die Produktion, die Zirkulation, die Modifikation von Wissen, das Kommen und Gehen von klar umschriebenen Einheiten des Wissens lassen sich mit dem Konzept der Metapher und ihrer Eigenschaften nachzeichnen.“17 Vor diesem Hintergrund möchte ich im Folgenden den Aspekt der Metaphorisierung im Hinblick auf den mobility turn näher beleuchten. Zunächst wer17 Zum Zusammenhang zwischen Metaphernbildung und wissenschaftlicher Innovation vgl. auch Karin Knorr-Cetina (1991, 92ff.) und Sabine Maasen (1995, 12f.+22ff.).
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1 Mobilitäten
de ich dazu der Frage nachgehen, inwiefern das menschliche Denken im Allgemeinen und das wissenschaftliche Denken im Besonderen auf Metaphern beruhen. An Beispielen aus der Geografie, der Soziologie und der Anthropologie zeige ich dann, wie ProtagonistInnen des mobility turn zunächst Metaphern der Sesshaftigkeit, die zu Selbstverständlichkeiten in ihren jeweiligen Disziplinen geworden sind, dekonstruiert haben. Inwiefern jedoch auch Metaphern der Mobilität schon lange in den verschiedenen Disziplinen präsent sind und Wirkmacht entfaltet haben, werde ich im nächsten Schritt verdeutlichen. Anschließend werde ich einige der zahlreichen Metaphern der Mobilität aufgreifen, die quer durch verschiedene Disziplinen in den letzten Jahren entwickelt wurden und die es plausibel machen, von der Herausbildung eines mobility turn zu sprechen. Abschließend werde ich dann einige Kritikpunkte an einzelnen Metaphern und dem mobility turn herausarbeiten und die vorliegende Arbeit kritisch in diesen Kontext stellen.
1.3 Denken in Metaphern Es gibt verschiedene Definitionen von Metaphern und eine Vielzahl an Theorien aus unterschiedlichen Disziplinen, die sich mit Metaphern beschäftigen. Für die folgenden Überlegungen ist es nicht von nötig, diesen Literaturbestand aufzuarbeiten und eine saubere terminologische Abgrenzung zwischen verschiedenen Begriffen wie Metapher, Bild, Analogie, Modell oder Denkfigur vorzunehmen. Um es mit Sabine Maasen, Everett Mendelsohn und Peter Weingart (1995, 1) zu sagen: „Whatever their significance may be for the linguist or the philosopher of science, in the context that is interesting to us here they are, by and large, the same phenomenon: the transfer of ideas and concepts, thus ‘pieces of meaning’ from one delineable discourse to another. Thus, the term ‘metaphor’ is used to represent all the other variants as well.“
Klassischerweise wird die Metapher häufig substitutionstheoretisch verstanden, das heißt, unter der Voraussetzung, dass es eine „stabile Zuordnung von Worten und Dingen“ (Schöffel 1987, 16) gibt, gilt die Metapher als „uneigentliche Rede […], bei der ‚dem Inhalte, um den es zu tun ist, noch eine davon verschiedene Hülle hinzugefügt’18 wird, die jedoch jederzeit wieder durch die diesem Inhalt prinzipiell adäquatere Form eigentlicher Rede des Begriffs ersetzt werden kann“
18
Zitat von Georg Wilhelm Friedrich Hegel.
1.3 Denken in Metaphern
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(Zimmer 2003, 7). In diesem Sinne ist die Metapher „prinzipiell überflüssig und revidierbar“ (Schöffel 1987, 15). Umberto Eco (1985, 134) zufolge liegt jedem Diskurs über die Metapher eines von zwei radikal verschiedenen Konzepten der Sprache zugrunde. Entweder werde die Metapher als „Zusammenbruch“ oder „Funktionsstörung“ im „regelgeleiteten Mechanismus“ Sprache begriffen oder die Sprache werde – so auch von Eco – als „von Natur aus und ursprünglich metaphorisch“ verstanden. Eco möchte Metaphern dabei allerdings nicht auf den Bereich der verbalen Sprache beschränken. Seiner Ansicht nach sind Metaphern vielmehr „kognitive Werkzeuge“, die nicht als ersatzweises, sondern zusätzliches Instrument des Wissens zu verstehen seien. (Vgl. ebd., 135) Man ist sich in der neueren Metaphernforschung19 offenbar darin einig, dass Metaphern keine nur substituierende Funktion haben, sondern eine eigenständige, nicht vollständig rückübersetzbare Erkenntnis- und Aussagekraft besitzen. Ihre Bedeutung wird zunehmend als integraler Bestandteil menschlichen Denkens aufgefasst. Vorbereitet von Aristoteles, Kant und Nietzsche20 habe die Philosophie des 20. Jahrhunderts „die konstitutive Bedeutung metaphorischen Sprechens für das Denken“ erkannt und die „Metaphorik als genuine Denkform“ begriffen, schreibt Jörg Zimmer (2003, 19). Das heißt, es wurde erkannt, „dass es philosophische Sachverhalte gibt, die überhaupt nur durch eine Metapher ausgedrückt werden können, die einen Begriff also nicht ersetzen, sondern allererst setzen und dergestalt einen Sachverhalt denkbar machen“ (ebd.). George Lakoff und Mark Johnson (1998) stellen allerdings fest, dass sich trotz der Bedeutung der Metapher als Mittel der Erkenntnis, die bereits Aristoteles erkannt habe, das moderne philosophische Denken bis weit ins 20. Jahrhundert hinein gegen eine bildhafte Sprache gesträubt habe. Metaphern seien als Hindernisse bei der Suche nach absoluter Wahrheit begriffen worden. Dem „Mythos Objektivismus“ halten sie entgegen: „Wir sehen die Metapher als ein für das menschliche Verstehen wesentliches Element und als ein Instrument, mit dem wir neue Bedeutung und neue Realitäten in unserem Leben schaffen. Dadurch stellen wir uns in Opposition zur vorherrschenden Denkrichtung in der abendländischen Philosophie, in der die Metapher schlechthin den Subjektivismus repräsentiert und deshalb der Suche nach absoluter Wahrheit nur abträglich sein kann.“ (Ebd., 225)
Die beiden Autoren zeigen an verschiedenen Beispielen, wie Metaphern auch in eine objektivistische Wissenschaftssprache eingelassen sind und durch Kon19 20
Vgl. hierzu z.B. Czernin/Eder (2007). Vgl. hierzu z.B. Zimmer (2003, 7ff.).
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1 Mobilitäten
ventionalisierung unsichtbar gemacht werden. (Vgl. ebd., 242ff.) Dies gilt insbesondere für räumliche Metaphern, die sowohl die Alltags- als auch die Wissenschaftssprache durchziehen. Tim Cresswell (2006, 22) spricht von einem „tiefen geografischen Wissen“ über Unbeweglichkeit und Sesshaftigkeit bzw. Prozesshaftigkeit und Mobilität, das häufig metaphorisch ausgedrückt werde, aber nur in konkreten historischen Zusammenhängen untersuchbar sei. Zudem möchte Cresswell (1997, 333f.) die politischen Implikationen des Gebrauchs von sesshaftigkeits- wie mobilitätsbezogenen Metaphern berücksichtigt wissen. Und John Urry (2000, 22) meint: „‘[R]evealing’ the metaphorical basis of diverse forms of thought is a major task and goal of social science.“21
1.4 Zur „Metaphysik der Sesshaftigkeit“ Eine Naturalisierung und Verunsichtbarung von Metaphern ist sowohl in der Alltags- als auch in der Wissenschaftssprache festzustellen und betrifft insbesondere Metaphern der Sesshaftigkeit. So schreibt Liisa Malkki (1997, 54): „Such commonsense ideas of soils, roots, and territory are built into everyday language and often also into scholarly work, but their very obviousness makes them elusive as objects of study.“ Territorialisierende Konzepte von Nation und Kultur, die Malkki aus verschiedenen theoretischen Ansätzen herausarbeitet, deuten ihr zufolge auf eine machtvolle „Metaphysik der Sesshaftigkeit“ hin.22 Häufig seien es Metaphern aus der Botanik, mit denen die Verbundenheit von Menschen und Orten naturalisiert werde, insbesondere die Metapher des „Baums“ werde dafür häufig herangezogen. Am sichtbarsten werde die „Metaphysik der Sesshaftigkeit“ allerdings in ihrer Konzeptualisierung von „Displacement“, das beispielsweise als „Entwurzelung“ dämonisiert und pathologi-
21 Urry skizziert in der Folge Debatten um das metaphorische Denken in der Soziologie, wobei er zeigen kann, dass sowohl die Kritik an bestimmten (biologischen) Metaphern als auch die grundlegende Ablehnung metaphorischen Denkens als unwissenschaftlich in ihrer Argumentation häufig wiederum auf Metaphern beruht und dass für Konzepte von Gesellschaft oftmals figurative Ideen aus anderen Wissenschaften entliehen werden. Zum Transfer von Metaphern zwischen verschiedenen Disziplinen sowie zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Diskursen mit besonderem Fokus auf dem Gebrauch biologischer Metaphern vgl. auch Maasen/Mendelsohn/Weingart (1995). Die Bedeutung von Metaphern wird in den erwähnten Arbeiten – so auch in der vorliegenden – nur auf der Basis publizierter Texte herausgearbeitet. Zur Analyse der Metaphernverwendung im wissenschaftlichen Entstehungskontext des Labors vgl. z.B. die ethnografische Untersuchung von Karin Knorr-Cetina (1991, 92ff.) zur Fabrikation von Erkenntnis in den Naturwissenschaften. 22 Man kann in diesem Zusammenhang auch von einer „Metaphysik der Präsenz“ reden, also von der Annahme, dass die Ko-Präsenz von Menschen am selben Ort die unbedingte Basis des Sozialen ist. (Vgl. hierzu Urry 2007, 47)
1.4 Zur „Metaphysik der Sesshaftigkeit“
37
siert werde, was schwerwiegende Probleme für konkrete Menschen mit sich bringen könne.23 Tim Cresswell (2006, 26ff.) verdeutlicht am Beispiel einer Auswahl von Forschungen, wie sich die „Metaphysik der Sesshaftigkeit“ durch Geografie24, Kulturwissenschaft – sowohl in einer konservativeren Tradition als auch in den Anfängen dessen, was heute als Cultural Studies bezeichnet wird – und Soziologie zieht und überhaupt das moderne Denken durchdringe. Er kommt zu dem Schluss: „In much of humanistic geography, then, mobility once again appears as a dysfunction. […] What is evident in both spatial science and humanistic geography is a very strong moral geography that marginalizes mobility ontologically, epistemologically, and normatively.“ (Ebd., 32)
Auch bei verschiedenen britischen Kulturwissenschaftlern (T. S. Eliot, Richard Hoggard und Raymond Williams) stellt er fest, dass Metaphern der Mobilität, sei es bezogen auf klassenübergreifende Ausbildungsmöglichkeiten, auf Massenunterhaltung oder auch auf das Industriekapital, dazu dienten, die Bedrohung zu veranschaulichen, die die behaglichen Regionen, Städte und Nachbarschaften gefährde, in denen Kultur in allen ihren Erscheinungsweisen verortet wurde. (Vgl. ebd., 32ff.) Eine ähnliche Haltung zu Mobilität und Sesshaftigkeit stellt Cresswell auch für die Soziologie am Beginn des 20. Jahrhunderts fest, die ihrer neuen Aufmerksamkeit für Mobilität und Entfremdung in der Stadt das ruhige und fest verwurzelte Landleben entgegensetzte. Über einige Vertreter der Chicago School schreibt Cresswell (ebd., 37): „It is the disorder produced by mobility (among other things) that was at the heart of their view of society. It is certainly not all bad. Mobility is, after all, what separates the city from the country. Mobility is connected to civilization, progress, and freedom as well as deviance and destitution. But the mobility is still framed within a moral geography of place and locus that is constantly threatened.“
John Urry (2000, 26f.) wie auch Mike Featherstone (1995, 130ff.) haben es sich zur Aufgabe gemacht, Metaphern der Gesellschaft in der Soziologie herauszuarbeiten, die Sesshaftigkeit zugrunde legen. Beide beziehen sich in diesem Zu23 Im Nazi-Deutschland wurde „das Deutsche“ als „verwurzelte“ Kultur gesehen, während Juden und Jüdinnen, ZigeunerInnen und Homosexuelle als „wurzellos“ galten und mit der Stadt oder der Wüste assoziiert wurden, wie Cresswell (2006, 42) darlegt. Eine Ideologie der Sesshaftigkeit war Grundlage ihrer Verfolgung und Ermordung. Inwiefern sich ein Großteil dieses Sesshaftigkeitsdenkens in der Philosophie Martin Heideggers wiederfindet, kann unter anderem bei Urry (2000, 131ff. + 2007, 31f.) nachgelesen werden. 24 Vgl. hiezu auch Adey (2010, 40ff.)
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1 Mobilitäten
sammenhang insbesondere auf von Émile Durkheim beeinflusste Gesellschaftstheorien. (Vgl. hierzu auch Wolf 1997, 11ff.) Featherstone (1995, 132) schreibt zusammenfassend: „[T]he model of society developed by sociologists which drew largely upon West European experience ignored mobility in its depiction of society as over-integrated and settled, an image which drew upon a nostalgic construction of community-based preindustrial society depicted as the polar opposite of modernity, with the latter perceived as entailing relentless change and social disorder.“
Die Referenzgröße für den Gesellschaftsbegriff sei in der Regel die Gemeinschaft gewesen.25 „Communitas, not societas with its more impersonal connotations, is the real etymological source of the sociologist’s use of the word ‘social’“ (ebd., 130).26 Insbesondere Durkheim habe sich die Gesellschaft in Anlehnung an Auguste Comte als eine klar begrenzbare Einheit vorgestellt und sich vor allem auf binnengesellschaftliche Verhältnisse konzentriert. Sowohl für Durkheim als auch für Ferdinand Tönnies sei soziale Integration ein Imperativ gewesen: „Society, then, should occupy a single bounded space with an integrated social structure and culture“ (Featherstone 1995, 130). Desintegrationsprozesse, Machtkämpfe, Gewalt und Krieg seien als Störungen begriffen und nicht weiter analysiert worden. Auch Mobilität habe kaum Beachtung gefunden (ebd., 131), ebenso wenig wie inter- und transgesellschaftliche Prozesse (ebd., 134). Alles sei dem Ideal einer „organischen und ästhetischen Einheit“ (ebd., 135) untergeordnet worden. Diese nostalgische Verklärung des harmonischen Lebens in traditionalen Gemeinschaften habe starken Einfluss auf den Gesellschaftsbegriff gehabt und beispielsweise die Forschungen von Norbert Elias und Raymond Williams über vorindustrielles Zusammenleben beeinflusst.27 Auch die Kultur- und Sozialanthropologie ist stark von Klassikern der westlichen Soziologie wie Durkheim beeinflusst, die versuchten, die Unterschiede zwischen traditionalen und modernen Gesellschaften herauszuarbeiten (vgl. Kuper 1992, 5). Mit der Beobachtung von Globalisierungsprozessen spätestens seit Beginn der 1990er Jahre wurde das Gesellschaftskonzept Durkheims allerdings auch hier hinterfragt. So grenzt sich Ulf Hannerz von der traditionellen 25
Urry (2000, 32) erwähnt auch die Metapher der „Region“ mit ihren klaren, bewachten Grenzen, auf der viele soziologische Gesellschaftskonzepte basierten. Interessanterweise argumentiert Fredrik Barth (1992, 29) umgekehrt, dass das anthropologische Konstrukt der lokalen Gemeinschaft auf der herkömmlichen anthropologischen Fiktion von Gesellschaft beruhe, wodurch oftmals das Verstehen und die Repräsentation der Realitäten in kleinen Gemeinschaften pervertiert worden sei. 27 Siehe auch die Kommunitarismus-Debatte in der politischen Philosophie (vgl. hierzu z.B. Honneth 1993). 26
1.4 Zur „Metaphysik der Sesshaftigkeit“
39
Gesellschaftsvision Durkheims – „one society, one culture for each person“ (ebd., 6) – ab, die seiner Ansicht nach in der modernen Welt obsolet geworden ist, in der Bedeutungsflüsse nicht mehr nur über direkte Kontakte zwischen einander bekannten Menschen verliefen, sondern auch zwischen Fremden und vermittelt über die Kulturtechnik der Medien (Hannerz 1992b, 41). Und Fredrik Barth argumentiert, dass das Gesellschaftsmodell Durkheims immer schon eine Illusion gewesen sei, ein Produkt der europäischen Fantasie, dass die Menschheit in Einheiten klar begrenzbarer Nationalstaaten mit einheitlicher Kultur und Sprache unterteilt sei (vgl. Kuper 1992, 6f.), wobei Durkheims Konzept der Nation zudem auf problematischen Metaphern des Organismus und des (weiblichen) Körpers beruht, wie Liisa Malkki (1997, 73, Fußnote 10) betont. Ähnlich wie die Metapher einer „organischen Einheit“ eine Gesellschaftsund Nationenvorstellung nahe legen, die auf Sesshaftigkeit und Abgrenzbarkeit beruht, ist auch der Kulturbegriff mit Metaphern der Immobilität angereichert worden. Eine zentrale Metapher (nicht nur) in der Kulturanthropologie ist „das Feld“. „Das Feld“ ist sowohl methodologisches Ideal als auch konkreter Gegenstand anthropologischer Forschung. Im Anschluss an Bronislaw Malinowski wurde „Feldforschung“ lange Zeit als eine langfristig angelegte räumliche Praxis von Wohnen und Forschen – idealer Weise in einem weit von der akademischen Heimat der Forscherin entfernt liegenden Dorf – begriffen. Um den Ort des forschenden Wohnens herum wurde „das Feld“ als Forschungsgegenstand konstruiert. Die Welt konnte dementsprechend mit der Metapher des „kulturellen Mosaiks“ (Hannerz 1992a, 218) und entlang klar definierbarer Grenzen zwischen 28 den einzelnen Kulturen beschrieben werden. Auch Feldforschung im Mittelmeerraum fand lange Zeit vornehmlich in klar begrenzbaren dörflichen Zusammenhängen statt und basierte auf der Annahme eines einheitlichen, statischen mediterranen Kulturraums. Die Aufgabe der Ethnologie wurde in der Bewahrung überlieferter Traditionen gesehen, die als Gegenbild zum eigenen fortschrittlichen Leben in den westlichen Industrienationen herhalten mussten.29 Eine Reihe von AutorInnen haben in den 1990er Jahren aufgezeigt, inwiefern „das Feld“ als Distinktionsmittel der Anthropologie gegenüber verwandten Disziplinen wie Soziologie, Politologie und insbesondere Cultural Studies fungierte. Sie arbeiteten heraus, dass „das Feld“ als Produkt spezifischer, räumlich und zeitlich begrenzter disziplinärer Praktiken mit „der Kultur“ durcheinander gebracht und eine Übereinstimmung von Raum und Kultur angenommen wur-
28 Johannes Fabian spricht von „culture gardens separated by boundary-maintaining values“ (zit. nach Malkki 1997, 58). 29 Vgl. hierzu kritisch Herzfeld (1987), Giordano (1990), Goddard/Llobera/Shore (1994), Argyrou (1996), Welz (2000), Avdela (2007).
40
1 Mobilitäten
de.30 Innere Differenzen, Grenzregionen, Transportwege, koloniale Einflüsse, sozialer Wandel, städtische Lebensformen und Mobilität wurden dabei vernachlässigt oder als Bedrohung gefasst. Die „Metaphysik der Sesshaftigkeit“ mit ihren positiv konnotierten Metaphern von Immobilität und ihren negativ aufgeladenen Mobilitätsmetaphern, die sich durch verschiedene Disziplinen zieht, ist über den wissenschaftlichen Diskurs hinaus wirkmächtig, denn Metaphern sind weder als sprachliche Figuren noch als Illustration von Theorien hinreichend erfasst, auch nicht als Mittel der Erkenntnis. Sie sind darüber hinaus grundlegend für das Handeln in der Welt und können eine materiell wirksame Macht entfalten, indem über sie definiert wird, was wahr ist und was nicht. Cresswell (1997, 333f.) meint: „The creation and maintenance of metaphorical understanding is an inherently political process and one that is more likely to be produced by people in power than by people who are relatively powerless. Power, at least in part, involves the ability to impose metaphors on others. The power over metaphor is thus not merely an academic device for encouraging new theoretical insights; it is in fact a material power which is constantly and unavoidably mobilized in everyday life to define what is thought to be true (and, thus, as untrue). […] The ability to create and sustain metaphors is profoundly ideological.“
Cresswell (ebd., 335f.) kann am Beispiel der von Vertretern der Chicago School zur Beschreibung städtischen Lebens herangezogenen Metapher der Stadt als Ökosystem zeigen, wie naturalisierte Metaphern von Sesshaftigkeit, die Mobilität als Bedrohung erscheinen lassen, in Stadtplanung31 und Rechtsprechung einflossen: „Borrowing metaphors straight from the Chicago School’s theorization of invation, succession, infiltration and encroachment, judges literally decided where black people could and could not live“ (ebd., 336). Angesichts der machtvollen Implikationen von Mobilitätsmetaphern und der Kritikwürdigkeit von bislang dominanten Metaphern der Sesshaftigkeit betrachtet es John Urry (2007, 9) als zentrale Aufgabe seiner Disziplin, „to develop through appropriate metaphors a sociology which focuses upon movement, mobility and contingent ordering, rather than upon stasis, structure and social order“. Damit legt er die Vermutung nahe, dass verfälschende, voreingenommene 30 Vgl. hierzu Clifford (1997), Gupta/Ferguson (1992 und 1997), Marcus (1995), Welz (1998a), Wolf (1997). 31 Auch die Metapher der Zirkulation, die sich auf die Entdeckung des englischen Arztes William Harvey (1578-1657) zurückführen lässt, der erkannte, dass das menschliche Blut entgegen gängiger Vorstellungen in zirkulären Bahnen fließt, wurde zu einem wichtigen Konzept für die Stadtplanung (vgl. hierzu Sennett 1995, 319ff., Cresswell 2006, 7f.) Zu weiteren Verwendungen der Zirkulationsmetapher als Bild für die Gewinnung und Verbreitung von Wissen vgl. Schmidt/Sandl (2002).
1.5 Zur „Metaphysik der Mobilität“
41
und machtvoll strukturierende Metaphorisierungen zu vermeiden sind, wenn man nur die richtigen Metaphern heranzieht, also Metaphern der Mobilität. Bevor ich weiter unten näher auf einzelne Metaphern der Mobilität eingehe, die in den letzten Jahren entwickelt wurden und die Urry und andere veranlasst haben, von einem mobility turn zu sprechen, möchte ich vorab einige Beispiele für eine „Metaphysik der Mobilität“ anbringen, die sich schon länger durch Konzepte westlicher WissenschaftlerInnen zieht und bisweilen ebenso problematische materielle Konsequenzen zeitigt wie die „Metaphysik der Sesshaftigkeit“ mit ihren apokalyptischen Visionen von einer Welt in Bewegung und der Pathologisierung des Mobilen.
1.5 Zur „Metaphysik der Mobilität“ Ein Blick in die europäische Philosophiegeschichte verrät, dass Vorstellungen von Erkenntnisgewinn eng verbunden sind mit bestimmten Metaphern des Reisens und damit in Zusammenhang gebrachten Annahmen über Selbst- und Fremderfahrungen. Christiane Schildknecht (2007) beginnt ihre Ausführungen zur Metaphorik des Reisens in der Philosophie bezeichnenderweise mit Petrarca und Arthur Schopenhauer, die das Bergsteigen zur „Erweiterung von Begriffen“ 32 über die „Erweiterung des Horizonts“ vom Berggipfel aus praktizierten. Wenngleich nicht von einem Berggipfel aus, so habe auch Ludwig Wittgenstein versucht, von „der Vogelflug-Perspektive“ aus zu einer „übersichtlichen Darstellung“ oder einer „synoptischen Schau, der sich die Dinge der Anschauung auf einmal, in perspektivischer Einheit erschließen“, zu gelangen. Nicht aus der Distanz heraus, sondern im unmittelbaren Kontakt mit den Phänomenen und unter Einbeziehung des Erkennenden selbst habe hingegen Johann Gottfried Herder seine Überlegungen zum analogischen Denken herausgearbeitet und dazu die Metapher der Seereise ins Zentrum gestellt. Und Michel de Montaigne habe die mit dem Reisen verbundenen „Konfrontation mit dem Anderen, Fremden“ als „Bedingung der Möglichkeit reflektierter Selbsterkenntnis“ betont. Diese Erkenntnisweise durchzieht vor allem auch die Geschichte der Ethnologie.33 Wie weiter oben erläutert, wurde das „Feld“ und damit die beforschten „Anderen“ zwar häufig als immobil vorgestellt. Die Forscherin selbst war jedoch durchaus mobil. Reisen war somit ein nicht weiter thematisiertes Monopol der Forscherin,
32 33
Über die Bedeutung des Wanderns in der Geschichte der Philosophie vgl. auch Solnit (2000). Zum Einfluss Montaignes auf die Ethnologie vgl. Kohl (1981) und Fink-Eitel (1994).
42
1 Mobilitäten
die sich in ein „Feld“ begab und wieder daraus zurückzog, wobei sie möglichst große Entfernungen zurücklegte.34 Sowohl die durch die Bergbesteigung veranschaulichte distanzierte Form der Weltbetrachtung als auch der Erkenntnisgewinn über den direkten Kontakt mit „dem Fremden“ stellen idealisierte Formen des erkennenden Reisens dar, denen westliche Subjektvorstellungen zugrunde liegen. Dieses Subjekt ist durch seinen Beobacherstatus und den Vergleich mit anderen konstituiert, wie Caren Kaplan (2002, 36) schreibt: „[F]oundational to Western culture is the idea that travel produces the self, makes the subject through spectatorship and comparison with others.“ Es ist fraglich, inwieweit sich diese westlich geprägten Vorstellungen des Reisens und damit auch des Erkenntnisgewinns auf andere Kontexte übertragen lassen. So bemerkt bell hooks kritisch: „Travel is not a word that can be easily evoked to talk about the Middle Passage, the Trail of Tears, the landing of Chinese immigrants, the forced relocation of Japanese-Americans, or the plight of the homeless“ (1990, 173). 35 Wenn andere Formen der Mobilität – wie beispielsweise die von bell hooks benannten – nicht komplett ausgeblendet werden, beruhen westlich geprägte Metaphorisierungen des Reisens nicht selten auf einer positiven Bewertung der einen Mobilitätsform bei gleichzeitiger Abwertung einer anderen. Sven Trakulhun (2002) arbeitet beispielsweise heraus, wie der auf der Vorstellung des menschlichen Blutkreislaufs basierende Zirkulationsbegriff im Reisediskurs des 18. Jahrhunderts verwendet wurde. Von EuropäerInnen, deren Reisen eng mit kolonialistischen Eroberungen verbunden waren, wurde der Begriff vorwiegend zur Beschreibung und Beurteilung überseeischer Wirtschaftsräume benutzt, wobei die am Beispiel des heimischen Handels entwickelten wirtschaftstheoreti-
34 Anna Lowenhaupt Tsing (1993, 123f.) betont, dass AnthropologInnen ihre Forschungsobjekte bzw. „Kulturen“ häufig als essentiell immobil konstruierten, während sie sich selbst und die Prozesse der Theoriebildung, in die sie involviert seien, als mobil begriffen. Tsing meint hingegen, dass Praktiken der Wissensproduktion jenseits solcher Dichotomien untersucht und reflektiert werden sollten, und fordert ein Durchbrechen der kategorialen Unterteilung in „mobile Theorien“ und „immobile Fälle“. 35 James Clifford ist der Ansicht, dass der Terminus des Reisens gerade aufgrund seiner Geschichte analytisch brauchbar ist: „I hang on to ‘travel’ as a term of cultural comparison precisely because of its historical taintedness, its association with gendered, racial bodies, class privilege, specific means of conveyance, beaten paths, agents, frontiers, documents, and the like. I prefer it to more apparently neutral, and ‘theoretical’, terms, such as ‘displacement’, which can make the drawing of equivalences across different historical experiences too easy.“ (Clifford 1997, 39) Janet Wolff (1993) spricht sich hingegen für eine gendersensible Neuaneignung von Reisemetaphern aus, die sie aufgrund ihrer androzentrischen Konnotationen kritisiert. Sie stellt fest: „[J]ust as women accede to theory, (male) theorists take on the road. […] The already-gendered language of mobility marginalizes women who want to participate in cultural criticism.“ (Ebd., 234)
1.5 Zur „Metaphysik der Mobilität“
43
schen Grundannahmen als Matrix dienten.36 (Vgl. ebd., 191f.) Die kulturellen „Nebenfolgen“ (ebd., 199) von Wirtschaftsbeziehungen seien dabei schon früh erkannt und keinesfalls begrüßt worden. Prozesse des Kulturtransfers – die man im Nachhinein ebenfalls mit dem Begriff der Zirkulation beschreiben könne – seien von den damaligen Reisenden vielmehr mit Besorgnis zur Kenntnis genommen worden.37 Man habe befürchtet, „dass kulturelle Grenzüberschreitungen die Grundlagen der Ausgangs- wie der Zielkulturen in unzulässiger Weise gefährden konnten“ (ebd., 203).38 Anhand der eigenen Gesellschaft entwickelt und im Hinblick auf den eigenen Profit, wurde die Metapher der Zirkulation also befürwortet. Sie bekam jedoch in dem Moment eine negative Konnotation, als sich nicht kontrollierbare Grenzüberschreitungen jenseits des rein Ökonomischen abzeichneten. Wie stark Mobilität in der wertenden Gegenüberstellung mit Immobilität positiv aufgeladen sein kann, verdeutlicht eine Studie von Emily Martin, auf die sich Tim Cresswell (2006, 6) bezieht. Martin zeigt, dass mit der Vorstellung von aktivem Sperma und passivem Ovulum entsprechende Vorstellungen von männlicher Mobilität und weiblicher Immobilität verbunden sind, wobei erstere zumeist positiv und letztere zumeist negativ konnotiert ist. Dass derart vergeschlechtlichte Vorstellungen von Mobilität und Immobilität weltpolitische Auswirkungen haben können, veranschaulicht Cresswell am Beispiel eines Konflikts zwischen der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA und ihrem sowjetischen Pendant. Bei einem historischen Versuch, eine Verbindung zwischen dem US-amerikanischen Raumschiff Apollo und dem sowjetischen Raumschiff Sojus herzustellen, weigerten sich beide Seiten, den immobilen Part zu übernehmen und dem Gegenüber den Part der Penetration zu überlassen. Des39 halb habe man ein „androgynes Andocksystem“ entwickeln müssen. Die vorgenannten Beispiele zeigen, dass auch positiv aufgeladene Metaphern der Mobilität problematisch sein können. So lassen die verwendeten Bilder 36 Zur gegenwärtigen Verwendung des Zirkulationsbegriffs zur Erklärung des globalen Marktes meint Tsing (2002, 462ff.) kritisch: „[C]irculation calls forth images of the healthy flow of blood in the body and the stimulating, evenhanded exchange of the marketplace. […] A focus on circulation shows us the movement of people, things, ideas, or institutions, but it does not show us how this movement depends on defining tracks and grounds or scales and units of agency.“ 37 Stephen J. Greenblatt (1994, 183f.) verwendet den Begriff der „mimetischen Zirkulation“ um den machtvollen Austausch und die Umdeutung von Zeichen im Zuge der Begegnungen zwischen Neuer und Alter Welt zu analysieren, wobei er betont, dass es beim Austausch von Repräsentationen zwischen EuropäerInnen und den Völkern der Neuen Welt fast nie zu einer „echten Reziprozität“, einem „wirklichen Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen“ (ebd., 185), gekommen sei. 38 Zur Problematik der hier zugrunde liegenden Annahme einer Übereinstimmung von Gruppe, Kultur und Identität vgl. z.B. Welz (1994). 39 Ausführlicher zur gender-Dimension von Mobilitäten vgl. z.B. Cresswell/Priya Uteng (2008) oder Benhabib/Resnik (2009).
44
1 Mobilitäten
von Bergbesteigung, Vogelflug, Seereise, Zirkulation oder auch Penetration euro- und androzentrische Befangenheiten erkennen. In Abgrenzung zu einem unbeschränkt reisenden und reisend erkennenden Subjekt, das als Beobachter in einer Welt von Objekten unterwegs ist, die angeschaut und begutachtet werden können – wie es die Beispiele aus der westlichen Philosophiegeschichte nahe legen – müssen die Koordinaten zur Bestimmung des Standorts explizit gemacht machen werden, von dem der Blick auf die Welt ausgeht.40 In Anlehnung an Donna Haraways Konzept des „situierten Wissens“ plädiert Kaplan (2002, 41) für die Überwindung der Trennung von Betrachter und Objekt und für eine angemessene Berücksichtigung der (vergeschlechtlichten) Körperlichkeit im Prozess der Wissensgenerierung: „If theory travels, if knowledge remains linked to displacement, what will come to the fore when embodiment enters the circuit? The materiality of theory in an era of globalization may mean that subjects will travel to know in any number of ways.“ Wenngleich Metaphern der Mobilität auch früher schon mit positiven Konnotationen versehen und zur Theoriebildung herangezogen werden, scheint die Mobilitätsmetaphorisierung der letzten Jahre doch gezielter abzulaufen und expliziter auf die Entwicklung analytischer Kategorien zu zielen. So wurden nicht nur herkömmlich immobile Konzepte des Sozialen in der Soziologie, des Raumes in der Geografie oder der Kultur in der Kulturanthropologie in Frage gestellt, sondern über Disziplinengrenzen hinweg gezielt mobilitätsbezogene Metaphern entwickelt, um die mobile Wirklichkeit zu beforschen und zu beschreiben, was für die Annahme eines mobility turn spricht. Im Unterschied zu Reckwitz (2006) macht Bachmann-Medick (2006) „konzeptuelle Verschiebungen“ nicht in erster Linie an AutorInnen, HauptvertreterInnen oder wissenschaftlichen Schulen fest. Sie geht vielmehr „von transdisziplinären Übersetzungsprozessen zwischen Theorien, methodischen Einstellungen und Forschungsansätzen“ (ebd., 20) aus, durch die sich die turns ausdifferenzieren, und spricht daher auch lieber von Theorieübersetzung anstatt von Theorietransformation, wobei Übersetzung mehr ist als nur die Übertragung eines Originalbegriffs aus einem Ausgangskontext in einen Zielkontext. Es müsse ein komplexer zeit- und fachgeschichtlicher Bedeutungshorizont mittransportiert werden. Damit knüpft Bachmann-Medick an Überlegungen zu traveling theories an, wie sie beispielsweise von Edward Said oder Mieke Bal formuliert wurden. Ich werde weiter unten darauf zurückkommen. Insofern das 40
Daher arbeitet Caren Kaplan (2002) bei James Clifford und Edward Said Momente heraus, an denen – zumindest unspezifische – Verortungen in der Reisemetapher zu erkennen sind. So spricht Said beispielsweise von einem „point of origin“, von dem aus eine Idee geboren werde oder in den Diskurs eintrete, und auch Clifford schreibt davon, dass die Reise einer Theorie wie jede Reise „somewhere“ einen Anfang und ein Ende habe.
1.6 Metaphern der Mobilität – Leitfiguren der (Post-)Moderne?
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Denken selbst bzw. die Reise von Ideen und Konzepten über verschiedene geografische und disziplinäre Grenzen hinweg sowie die konzeptuelle Verschiebung von einem vorherrschenden theoretischen Paradigma zu einem anderen mit Metaphern der Mobilität erklärt werden, können Bachmann-Medicks Thesen zu begrifflichen Neuorientierungen selbst als Ausdruck eines mobility turn angesehen werden. Mike Featherstone (1995, 126) schreibt in diesem Sinne: „Nomadism and migrancy are seen not only as characteristics of the contemporary global condition, but as central to language.“ Aufgrund der Annahme, dass Metaphern durch verschiedene Disziplinen reisen, dabei zu analytischen Kategorien werden und so letztlich eine begriffliche Wende herbeiführen, möchte ich nun verschiedenen gegenwärtig virulenten Metaphern der Mobilität nachspüren. Dabei folge ich gewissermaßen auch der von George E. Marcus (1995) im Kontext seiner „multi-sited ethnography“ entwickelten Methode „follow the metaphor“. Eng damit verwandt ist die Methode „follow the plot, story or allegory“. Hierbei geht es darum, Diskurse, Denkweisen, Zeichen, Symbole, Geschichten und Metaphern durch verschiedene Bereiche zu verfolgen und den damit verbundenen Assoziationen und auch materiellen Konsequenzen nachzuspüren. Die Räume, die dabei gedanklich durchschritten werden, können mit den „ideoscapes“ von Appadurai (1996, 35ff.) beschrieben werden, die dieser als Bewegungsräume begreift, durch die Bilder und Ideen transportiert werden – unter anderem auch Bilder und Ideen der Mobilität.41
1.6 Metaphern der Mobilität – Leitfiguren der (Post-)Moderne? Eine ganze Reihe von Metaphern sind in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht worden, um die bewegte Welt zu veranschaulichen und zu erklären. Jede dieser Metaphern ist dabei ebenso Erklärungsansatz wie Produkt ihrer Zeit und ihres disziplinären und gesellschaftlichen Kontextes und transportiert explizite wie implizite Aussagen über jeweils gegenwärtige Lebensverhältnisse. Grob lassen 41 Neben der „multi-sited ethnography“ von Marcus (1995) und den „scapes“ von Appadurai (1996) wurden in der Kultur- und Sozialanthropologie seit den 1990er Jahren eine Reihe von Metaphern und Konzepten entwickelt, die eine Abgrenzung zum klassischen Feldbegriff darstellen und der bewegten Welt theoretisch wie methodologisch Rechnung tragen sollen; zum Beispiel „Kreolisierung“ (Hannerz 1992a), „travelling cultures“ (Clifford 1997), „location work“ (Gupta/Ferguson 1997) oder „moving targets“ (Breckenridge/Appadurai 1989, i; Welz 1998a). Es fällt auf, dass diese Überlegungen in den zumeist soziologischen Texten zum mobility turn zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht erwähnt werden, und dass ohne Berücksichtigung dieser oder ähnlicher methodologischer Ansätze aus der Anthropologie der 1990er Jahre nun die Entwicklung neuer methodischer Instrumente zur Erforschung von Mobilitäten gefordert wird, als betrete man damit vollkommenes Neuland (vgl. z.B. Ohnmacht/Maksim/Bergman 2009, 15).
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1 Mobilitäten
sich die Metaphorisierungen von Mobilität in zwei verschiedene Gruppen einteilen, zum einen in solche, die die bewegte Welt verdichtet darstellen sollen, und zum anderen in solche, die beispielhaft für epochale gesellschaftliche Veränderungen stehen (z.B. die Eisenbahn, die für die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts steht, das Auto, das die fordistische Lebens- und Arbeitsweise des 20. Jahrhunderts repräsentiert, oder der Tourist, der die Postmoderne verkörpert). Der folgende Abschnitt ist – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – entlang der Größen (1) Flüsse, Netzwerke, Landschaften, (2) Wege, Transportmittel, Transiträume und (3) Menschen in Bewegung strukturiert. Das Verhältnis dieser drei Kategorien zueinander ist dabei keinesfalls immer dergestalt, dass verschiedene Menschengruppen sich mit verschiedenen Transportmitteln durch verschiedene Landschaften bewegen. Menschen können – je nach Metaphorisierung oder empirischer Grundlage – vielmehr auch selbst zu Transportmitteln (Beispiel: Krankheitserreger) werden und von Strömen (Beispiel: Blutkreislauf) durchzogen sein. Zudem sind „post-humane“ Hybride aus Mensch und Maschine zu berücksichtigen, die weder eindeutig das eine oder andere sind, sondern eine spezifische Mischung aus beidem darstellen wie beispielsweise „driver-car“, 42 „train-passenger“ oder „cycle-rider“ (vgl. Urry 2007, 35). Mit der Unterteilung in die folgenden drei Abschnitte können gleichzeitig drei unterschiedliche Kritikpunkte an der Mobilitätsmetaphorisierung transportiert werden. In Bezug auf die zunehmende Bedeutung von Metaphern des Fließens wird beispielsweise angemahnt, Momente des Statischen nicht aus dem Blick zu verlieren bzw. eine Hierarchisierung von globaler Bewegung und lokaler Stagnation zu vermeiden. Am Beispiel der im nächsten Abschnitt diskutierten Metaphern um Fortbewegungsmittel und die zugrunde liegende Infrastruktur kann dann der häufig europäische oder westliche bias von Mobilitätsmetaphern aufgezeigt werden. Insbesondere in diesem Abschnitt wird deutlich, dass Mobilität noch immer oft als Kennzeichen der westlichen Moderne in Abgrenzung zu „Anderen“ reklamiert wird, wie wir es von der Konstruktion der „rückständigen Anderen“ im statischen Konzept des Mittelmeerraums kennen, das in der Ethnologie lange Zeit dominierte. Bereits in diesem zweiten, aber noch mehr im dritten Abschnitt wird deutlich, wie mobilitätsbezogene Metaphern entwickelt bzw. positiv umgedeutet wurden, um sowohl machtvollen Sesshaftigkeitsmetaphern als auch eurozentrischen Mobilitätsmetaphern etwas entgegen zu setzen. 42
Urry (2007, 50) klassifiziert die assemblages aus Menschen und Objekten so: „Objects themselves travel across distance; there are objects that enable people to travel forming complex hybrids; there are objects that move other objects; there are objects that move that may mean that people do not move; there are objects and people that move together; there are objects that can be reminders of past movements; and there are objects that possess value that people travel often great distances to see for themselves.“
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Im Zentrum des letzten Abschnitts steht die Metapher des „Nomadischen“, an der sich unter anderem der mangelnde Empiriebezug und die fehlende Situierung von poststrukturalistischen Mobilitätsmetaphern problematisieren lassen. Flüsse, Netzwerke, Landschaften Quer durch die Disziplinen und nicht erst in jüngster Zeit wird immer wieder auf die Metapher des Fließens bzw. auf Metaphern aus dem Wortfeld des Fließens zurückgegriffen. Der Satz „alles fließt“ wurde bereits Heraklit (6. Jahrhundert vor Christus) in den Mund gelegt. Wenngleich sich Heraklits Urheberschaft nie nachweisen ließ, wurde in der Geschichte der Philosophie immer wieder auf ihn Bezug genommen. „[S]o forderte er immer neu all diejenigen heraus, die die Philosophie in irgendeiner Weise zum Stehen zu bringen versuchten, und hielt so die Philosophie Jahrtausende lang im Fluß“ (Stegmaier 2007, 102). Fließen wurde in der Geschichte der Philosophie dabei häufig als Metapher für das Denken benutzt, wie Stegmaier weiter ausführt und von der Antike bis zu Deleuze, Guattari und Foucault verfolgt.43 Letztere haben das Denken vieler Sozial- und KulturwissenschaftlerInnen der Gegenwart maßgeblich beeinflusst, die „Ströme“ und „Flüsse“ als Metaphern zur Beschreibung spätkapitalistischer Verhältnisse und damit verbundener Auflösungen und Neuformationen des Sozialen benutzen. Zygmunt Bauman (2003, 8) zufolge „bieten sich ‚Flüchtigkeit’ und ‚Flüssigkeit’ als passende Metaphern an, wenn man das Spezifische unserer Gegenwart, jener in vieler Hinsicht neuartigen Phase in der Geschichte der Moderne, erfassen will“. Zwar sei die Moderne von Anfang an ein Prozess der Verflüchtigung gewesen, doch das Ziel sei immer gewesen, nach der Beseitigung überkommener Strukturen eine neue soziale Ordnung zu etablieren. Heute jedoch würden „sämtliche Verbindlichkeiten, die Individuen in kollektiven Projekten zusammenschweißen“, aufgelöst; „neue Gesellschaftsentwürfe“ stünden nicht hoch im Kurs (ebd., 12). Das zentrale Merkmal der Moderne ist Bauman (und vielen anderen) zufolge die durch neue Möglichkeiten der Beschleunigung veränderte Beziehung zwischen Raum und Zeit, wobei Bauman betont, dass „die Verfügbarkeit ständig verbesserter Transportmittel […] in der Moderne“ zum „Macht- und Herrschaftsmittel schlechthin“ (ebd., 12f.) geworden sei. Dies veranschaulicht er anhand von Benthams Panoptikum, das Michel Foucault als Schlüsselmetapher moderner Macht diente:
43
Zum Gebrauch der verwandten Metapher des Meeres in der Philosophiegeschichte vgl. Makropoulos (2007) sowie Deleuze und Guattari (1992, 663ff.). Auch Paul Gilroys (1993) Metapher des black atlantic soll in diesem Zusammenhang erwähnt werden.
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1 Mobilitäten „Die Insassen des Panoptikums waren fixiert, hinter dicken, bewachten Mauern, in Betten, Zellen oder an Arbeitstischen, bewegungslos gebunden in ihrer Position. […] Sie mußten auf Dauer an ihrem vorgeschriebenen Ort bleiben, weil sie weder wußten noch wissen konnten, wo sich ihre Bewacher – die sich frei bewegen konnten – gerade aufhielten. Die Bewegungsfreiheit des Wachpersonals war die Bedingung seiner Herrschaft.“ (Ebd., 17)
Auch die Bewacher hätten jedoch keine volle Bewegungsfreiheit gehabt, da sie die Insassen nicht alleine lassen konnten. Ihre Aufgabe war daher mit Anwesenheit am Ort verbunden. Heute sei die Macht nicht mehr an den Ort gebunden. Mit der Einführung von Mobiltelefonen gebe es zur Übermittlung von Befehlen und zur Überwachung ihrer Ausführung keine territorialen Beschränkungen mehr. (Vgl. ebd., 18) „Bodenhaftung verliert an Bedeutung, wenn man zu jeder Zeit an jedem Ort sein und von dort auch wieder verschwinden kann. Festhalten, das Eingebundensein in gegenseitige Verpflichtungen kann sich sogar definitiv als schädlich erweisen, wenn sich neue Möglichkeiten an anderen Orten auftun.“ (Ebd., 21)
Der „Zerfall des sozialen Zusammenhalts“, „die Schwäche kollektiver Akteure“, die „Beseitigung dichter sozialer Netzwerke“ und die Entstehung „neuer, hochmobiler Machttechniken“ verdichten sich für Bauman zur „negativen Utopie einer flüchtigen44 Moderne“ (vgl. ebd., 22f.), in der die Macht der globalen Eliten auf ihrer Fähigkeit basiert, sich lokalen Verpflichtungen zu entziehen (ebd., 220). Während die Metapher der Verflüssigung oder Verflüchtigung bei Bauman jenseits pessimistischer Prognosen zum Zerfall des Sozialen keine Anhaltspunkte für eine Konzeptionalisierung dessen enthält, was durch die Auflösung und Neuformation bestehender Strukturen entsteht, haben andere mit Begriffen wie „Rhizom“, „Netzwerk“, „scapes“ oder „frameworks“ verschiedene Metaphern zur Kartierung von „flows“ entwickelt, die im Folgenden beispielhaft erläutert werden sollen. Gilles Deleuze und Félix Guattari (1992) sprechen in ihren einflussreichen Überlegungen zu „Kapitalismus und Schizophrenie“ mehrfach von „Strom“ oder „Strömungen“, welche auch im Zusammenhang mit ihrer zentralen Metapher des 45 „Rhizoms“ eine Rolle spielen. Die Autoren übertragen den Begriff, der sowohl ein Wurzelgeflecht als auch eine Rattenmeute beschreiben kann, auf menschliche Gruppierungen, beispielsweise politische Bewegungen. Im Unterschied zum 44
Von engl. „liquid“, was sich sowohl als „flüchtig“ als auch als „flüssig“ übersetzen lässt. Zu einer Kritik der von Deleuze und Guattari entwickelten „ethic of flow“ vgl. Miller (1998, 202ff.). 45
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Baum ist das Rhizom nicht hierarchisch angeordnet und wächst nicht in eine bestimmte Richtung, es hat keinen Ursprung und keine Tiefe, sondern verbindet beliebige Punkte miteinander. „Es hat weder Anfang noch Ende, aber immer eine Mitte, von der aus es wächst und sich ausbreitet“ (ebd., 36). Diese „Mitte“ ist allerdings kein Ort, sondern eine Bewegung, die die Autoren mit der Metapher des „Stroms“ zu fassen suchen: „Zwischen den Dingen bezeichnet keine lokalisierbare Beziehung, die von einem zum anderen geht und umgekehrt, sondern eine Pendelbewegung, die in die eine und die andere Richtung geht, ein Strom ohne Anfang und Ende, der seine beiden Ufer unterspült und in der Mitte immer schneller fließt“ (ebd., 42).
Was die Überlegungen von Deleuze und Guattari so einflussreich gemacht hat, ist vor allem ihre grundsätzliche Kritik an fixierten Kategorien und Identitäten. Häufig ist das Rhizom als positive Umdeutung herkömmlich negativ konnotierter, bedrohlicher Ortlosigkeit verstanden worden. So schreibt Tim Cresswell (1997, 342): „Rather than seeing the weed as something threatening to be removed, they [Deleuze and Guattari] write of the rhizome as a liberating, dynamic entity which provides lines of escape from the confines of territorial power.“ Und Mike Featherstone (1995, 127) erklärt: „Deleuze and Guattari’s celebration of a return to pre-cognitive forms of experience and their concept of ‚flows’ have been especially influential on a younger generation of theorists in cultural studies.“ Es wurde allerdings beispielsweise kritisiert, dass Deleuze und Guattari nur „Tendenzen kontinuierlicher Bewegung und allgegenwärtigen Fließens positiv fassen“, die „schöpferischen Momente und die radikale Ontologie der Produktion des Sozialen“ bliebe jedoch bei ihnen „ohne Substanz und Kraft“ (Hardt/Negri 2002, 43). Bauman wie Deleuze und Guattari nutzen Metaphern aus dem Wortfeld des „Fließens“, um die Überwindung fest gefügter Strukturen und die Zunahme unterschiedlicher Mobilitäten mit ihren Konsequenzen für herkömmliche Gesellschaftsstrukturen zu thematisieren, jedoch mit ganz unterschiedlicher Stoßrichtung. Während die Überlegungen von Deleuze und Guattari zum Zerfall von Strukturen und zur Freisetzung unkontrollierbarer Kräfte häufig positiv gedeutet werden, sind Baumans Prognosen dezidiert negativ. Diese beiden Extreme lassen sich grob mit den Worten Scott Lashs und John Urrys (1994, 10) auf den Punkt bringen: „Either on the one hand, there is an optimistic post-industrial and decentralized informational society full of ‘new sociations’ detached from the ‘traditions’ of organized capitalist societies; or on the other, a bleak dystopia of increasingly wild zones deserted by the mobile informational and communicational structures and by the
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1 Mobilitäten mobile tourists who hurry past to progressively well-defenced symbol rich tame zones.“46
Angesichts der zunehmenden Bedeutung von „Strömen“ oder „Flüssen“ für soziale Gefüge versuchen Lash und Urry (1994) in ihrem Buch „Economies of Signs and Space“ herkömmlichen Konzepten von Gesellschaft eine sociology of flows entgegenzustellen. Anknüpfend an Karl Marx’ Konzept der Zirkulation von Kapital sprechen sie von der Flexibilisierung und Fragmentierung der Produktion am Ende des 20. Jahrhunderts sowie von einer beschleunigten Zirkulation von Objekten und Subjekten im desorganisierten Kapitalismus (vgl. hierzu auch Lash/Urry 1988), wodurch immer mehr kulturelle Artefakte und Zeichen ohne Bedeutung produziert würden, die von den Menschen nicht mehr verarbeitet werden könnten. Entgegen der pessimistischen Annahme von zunehmender Bedeutungslosigkeit, Homogenisierung, Abstraktion, Anomie und Zerstörung des Subjektes soll eine sociology of flows die Aufmerksamkeit nun auf die Struktur und die strukturierenden Effekte der Mobilitäten von Subjekten und Objekten richten. Lash und Urry (1994, 4) halten fest: „Contemporary global order, or disorder, is in this sense a structure of flows, a de-centred set of economies of signs and space.“ Um diese Weltordnung zu untersuchen, richten sie ihre Aufmerksamkeit auf die (desorganisierten) Zentren, auf die Hauptmächte der neuen Weltordnung, auf die neuen „global cities“ und die Migrationen. Ihr empirisches Material beziehen sie dabei vorwiegend aus Japan, Deutschland, Großbritannien und den USA. In „Sociology beyond Societies“ differenziert Urry (2000, 30ff.) die sociology of flows weiter aus. Zur Ablösung der „Region“-Metapher als Beschreibung von Gesellschaft schlägt er die Metaphern „networks“ und „fluids“ vor, um „das Globale“ zu beschreiben. Unter „global networks“ fasst er transnationale Konzerne wie American Express, McDonald’s und Coca-Cola, die ihm zufolge nicht nur materielle Güter produzieren, sondern auch kalkulierbare und kontrollierbare Simulationen von Erfahrungen, wobei „scapes“ entstünden, in denen das Verhältnis von Raum und Zeit rekonfiguriert werde. Aber auch oppositionelle Organisationen wie Greenpeace, die so großen Wert auf Wiedererkennbarkeit und Markenidentität legten, dass sie weltweit zum Symbol ökologischer Tugend geworden seien, betrachtet er als „global networks“. Im Gegensatz dazu beschreibt er „global fluids“ als ungleichmäßige und fragmentierte Flüsse („flows“) von Menschen, Information, Objekten, Geld, Images und Risiken, die sich immer schneller bewegten und unvorhersehbare Formen annähmen. Während die 46
Zur unterschiedlichen Bewertung gegenwärtiger Mobilitätsphänomene in Bezug auf soziale Ungleichheit, die sich in den von Bauman (ab 1988) und Urry (ab 2000) verwendeten Metaphern abzeichnet, vgl. Larsen/Jacobsen (2009).
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frühe Globalisierungsliteratur sich vorwiegend auf „global networks“ konzentriert habe, müsse sich eine „sociology of fluids“ schwerpunktmäßig mit heterogenen, ungleichmäßigen und unvorhersehbaren Mobilitäten beschäftigen.47 In „Mobilities“ entwickelt Urry (2007, 211ff.) hingegen einen Netzwerkbegriff, der sich mit der Qualität von Beziehungen zwischen verschiedenen Personen in einem sozialen Netzwerk befasst. Zu Pierre Bourdieus Kapitalbegriffen fügt er den Begriff des „network capital“ hinzu (ebd., 194ff.), worunter er das Potenzial versteht, soziale Beziehungen über große Distanzen hinweg aufrechtzuerhalten. Den Netzwerkbegriff entleiht er bei Manuel Castells (2003).48 Manuel Castells’ (2003) verwendet in seinem Werk über den „Aufstieg der Netzwerkgesellschaft“ sowohl die Metaphern Strom bzw. Ströme als auch die Netzwerk-Metapher. Auf der Grundlage statistischer Daten aus den G7-Ländern entwickelt Castells seine Theorie des Informationszeitalters. Mit der Metapher der Ströme beschreibt er den gegenwärtigen historischen Wandlungsprozess, in dem Raum und Zeit „unter Einwirkungen des informationstechnologischen Paradigmas“ transformiert werden (ebd., 431). Der neue industrielle Raum ist ihm zufolge ein „Raum der Ströme“ („space of flows“). Unter Strömen versteht er „zweckgerichtete, repetitive, programmierbare Sequenzen des Austauschs und der Interaktion zwischen physisch unverbundenen Positionen, die soziale Akteure innerhalb der wirtschaftlichen, politischen und symbolischen Strukturen der Gesellschaft einnehmen“. Konkret benennt er „Ströme von Kapital, Ströme von Informationen, Ströme von Technologie, Ströme von organisatorischer Interaktion, Ströme von Bildern, Tönen und Symbolen“. Diese Ströme seien „für die Konstruktion unserer Gesellschaft“ von zentraler Bedeutung. (Vgl. ebd., 467) Die Orte, die durch das Netzwerk verbunden werden, nennt Castells „Knoten und Zentren“ (ebd., 468) im „Raum der Ströme“. Der „vernetzte, a-historische Raum der Ströme“ zwinge den „verstreuten segmentierten Orten“, in denen noch immer die überwältigende Mehrheit der Menschen lebe, seine Logik auf (ebd. 484). Auch in der Anthropologie ist die Metapher der flows – und mit ihr auch die network-Metapher – in den letzten Jahren verstärkt aufgegriffen worden. 1988 wurde die interdisziplinär ausgerichtete, aber stark anthropologisch geprägte Zeitschrift „Public Culture“ ins Leben gerufen, die solchen ForscherInnen ein Forum bieten wollte, die sich mit „global cultural flows“ befassen. Einer ihrer beiden Begründer, der bereits erwähnte Kulturanthropologe Arjun Appadurai (1990), entwickelte in einer der ersten Ausgaben der Zeitschrift sein Konzept der scapes, um die verschiedenen Dimensionen globaler kultureller Flüsse zu erfas47
Zur Unterscheidung von „global networks“ und „global fluids“ siehe auch Urry (2005). Zu Parallelen zwischen Urrys (2007) Konzept des network capital und Kaufmanns (2002) motilityBegriff vgl. Manderscheid (2009, 33ff.). 48
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sen. Die Form von Appadurais (1996) Landschaften ist fließend und ungleichmäßig. Sie werden nicht von feststehenden Grenzen geformt, sondern von Bewegungen. Wie eingangs bereits erwähnt, benennt er neben den von verschiedenen mobilen Personengruppen aufgespannten ethnoscapes auch mediascapes, technoscapes, financescapes und ideoscapes als Landschaften der Gegenwart, durch die sich Bilder-, Technologie-, Geld- und Ideenflüsse ziehen. Anknüpfend an Benedict Andersons Begriff der „imagined communities“ geht Appadurai davon aus, dass Imagination und Phantasie heute die Antriebskräfte von Globalisierungs- und Deterritorialisierungsprozessen sind. (Vgl. Appadurai 1991, 197ff.) Auch Ulf Hannerz (1989) veröffentlichte einen Artikel in einer der ersten Ausgaben von „Public Culture“, wo er anknüpfend an den Diffusionisten Alfred Kroeber sein Konzept der global ecumene entwickelt. In Abgrenzung zu Vorstellungen von der Welt als Mosaik klar voneinander getrennter Kulturen und im Unterschied zur Weltsystemtheorie ermögliche der Begriff der global ecumene, die Welt als „interwoven set of happenings and products“ zu verstehen bzw. als „offenen Kulturpool, aus dem Individuen oder Kollektivitäten ihr je spezifisches Kulturrepertoire zusammensetzen“ (zit. nach Kreff 2003, 117). Hannerz (1995, 67) grenzt sich von der klassischen Vorstellung ab, Kultur umfasse ein homogenes, territorial gebundenes menschliches Kollektiv und trete gewissermaßen als Paket auf, das klar von anderen entsprechenden Paketen unterschieden werden kann. Im Mittelpunkt seines Kulturbegriffs, den er in seinem Buch „Cultural Complexity“ formuliert, stehen Bedeutungen, die in unterschiedlichen Ausdrucksformen öffentlich zugänglich gemacht werden. „Culture is, above all a matter of meaning“, schreibt Hannerz (1992a, 3). Dabei unterscheidet er zwei Lokalisierungen von Kultur, „in human minds, and in public forms“. Kultur umfasst also einerseits Ideen und Denkweisen, die für bestimmte soziale Einheiten charakteristisch sind. Andererseits kommt sie in Formen der Externalisierung – also in verschiedenen Weisen, diese Ideen und Denkweisen öffentlich zugäng49 lich zu machen – zum Ausdruck. Um zu verdeutlichen, dass sich Kultur dabei in einem unaufhörlichen Prozess befindet, benutzt Hannerz (ebd., 4) die flowMetapher: „The cultural flow thus consists of the externalizations of meaning which individuals produce through arrangements of overt forms, and the interpretations which individuals make of such displays – those of others as well as their own.“ Die flow-Metapher zieht Hannerz aber auch deshalb heran, weil sie in seinen Augen auf eine der global ecumene angemessene Makroanthropologie 49 Vgl. hierzu die sozialkonstruktivistischen Thesen von Peter L. Berger und Thomas Luckmann (1966, z.B. 70f.) über die Objektivierung von Wissen durch Externalisierung und Internalisierung.
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hindeutet. So schreibt er: „’Flow’ […] points toward a macroanthropology, a reasonably comprehensive view of the (relative) coherence and the dynamics of larger social and territorial entities than those which the discipline have conventionally dealt with“ (Hannerz 1997, 4). Ebenso wie mit dem Begriff der global ecumene greift Hannerz auch bei der flow-Metapher auf bereits früher in der Anthropologie entwickelte Konzepte zurück und leitet beide aus der Geschichte der Disziplin her. In seinem Text „Flows, boundaries and hybrids“ gibt Hannerz (1997, 4ff.) einen kurzen Überblick über den Gebrauch der Metapher der flows in der Geschichte der Anthropologie.50 So habe Alfred Kroeber, ein Schüler von Boas, 1952 bereits von einem „interflow of cultural material between civilizations“ gesprochen und gefordert, dass Zivilisationen nicht als statische Objekte untersucht würden, sondern als „limited processes of flow in time“. Die beiden kurzen Zitate von Kroeber verweisen darauf, dass „flows“ sowohl eine räumliche als auch eine zeitliche Dimension haben. Hannerz zufolge kann die flow-Metapher als eine Schlüsselmetapher für die Organisation von Kultur herangezogen werden, einerseits in Bezug auf ihre zeitliche Dimension, mit der entgegen statischer Konzepte die Prozesshaftigkeit von Kultur erfasst werde, und andererseits in Bezug auf ihre räumliche Dimension, mit der die Ausdehnung von Kultur im Raum versinnbildlicht werde. Er verfolgt die Metapher weiter, indem er betont, dass zu den zentralen Charakteristika von flows der Umstand gehöre, dass sie einen Ursprung und eine Richtung haben. Während die britischen Diffusionisten das alte Ägypten als den Ursprung der Weltkultur angesehen hätten, werde in gegenwärtigen Szenarien von globalen flows einer Kombination aus New York, Hollywood und Weltbank eine vergleichsweise dominante Position im Zentrum zugeschrieben, deren globaler Einfluss schließlich zu kultureller Uniformität führe. Hannerz (1992a, 232ff.) kann zeigen, dass solche Vorstellungen von Zentrum-Peripherie-Verhältnissen fragwürdig sind und dass verschiedene „frameworks“ wie Staat, Markt oder 50 Ähnlich wie Hannerz verfolgt auch Stefan Beck (2006) die Aufmerksamkeit für flows in die Geschichte der Anthropologie zurück. Er betont, dass die Orientierung an einem lokal eng umschriebenen „Feld“ als Beobachtungsobjekt des Anthropologen, wie ich sie im Abschnitt „Denken in Metaphern der Sesshaftigkeit“ weiter oben beschrieben habe, in der internationalen Fachgeschichte nicht unumstritten war. Auch wenn größere Kontexte und Austauschbeziehungen häufig nicht im Zentrum gestanden hätten, seien sie in der internationalen ethnografischen Wissensproduktion doch durchaus thematisiert worden. So habe bereits der Ethnologe Franz Boas gegen die zu seiner Zeit dominierenden Annahmen des Evolutionismus Grundlinien des kulturellen Diffusionismus entworfen, der nicht von der Entwicklung aller Kulturen von einem Ursprung zu komplexeren Formen ausging, sondern wechselseitige Einflüsse in den Blick nahm. „Die Annahme ‚kultureller Grenzen’ hatte also eher den Sinn, die über die Grenzen hinwegreichenden flows zu registrieren.“ (Ebd., 16; vgl. hierzu auch Wolf 1997, 13ff.)
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Lebensform kulturelle Flüsse unterschiedlich beeinflussen und damit Homogenisierung verhindern. Ihm geht es daher um „the multicentricity of flows“, „crisscrossing flows“ und „counterflows“, ohne dass dabei Asymmetrien ausgeblendet werden dürften. (Vgl. Hannerz 1997, 6) Ebenso wie die flow-Metapher hält Hannerz auch die network-Metapher für geeignet, eine der global ecumene angemessene Markroanthropolgie zu entwickeln, die über lokale Beziehungen hinaus auf globale Zusammenhänge verweist. In seinem Text „The global ecumene as a network of networks“ verfolgt Hannerz (1992b) auch den Netzwerkbegriff durch die Geschichte der Disziplin zurück bis in die 1940er Jahre.51 Nach einer Welle von Netzwerk-Konzepten in anthropologischen Texten der 1950er und insbesondere der 1960er und 1970er Jahre sei der Begriff in der Anthropologie allerdings zunächst wieder aus der Mode gekommen, da er auf nahräumliche Beziehungen beschränkt angewendet worden und zu einer Spezialität computerbasierter Sozialforschung geworden war. Hannerz griff ihn Anfang der 1990er Jahre wieder auf, anders jedoch als die Netzwerkforschungen der 1960er und 1970er Jahre begrenzte er ihn nicht auf persönliche face-to-face-Kontakte, sondern dehnte ihn aus auf alle, insbesondere auch auf weit reichende, Beziehungen, in denen Bedeutungen produziert und interpretiert werden. Genauso wie den Begriff der flows hält Hannerz (1992b, 51) auch den Begriff des networks für eine Schlüsselmetapher, um die weitreichenden Beziehungen zu erfassen, die Kultur in der heutigen Welt kennzeichnen: „Particularly important for a perspective towards the cultural organization of the global ecumene, too, networks allow us, as we follow them, to escape the constraints of place characteristic of most ethnographic formats. When culture as a collective phenomenon is understood to belong primarily to social relationships and their networks and only derivatively and without logical necessity to particular territories, then we can see how it is nowadays organized in the varied connections between the local and the long distance.“ (Ebd., 40)
Wenngleich Hannerz selbst explizit auf Metaphern rekurriert, um seine Theorie zu entwickeln, weiß er doch auch um die Begrenztheit ihrer Erklärungsmöglichkeiten. So warnt er davor, sich zu weit von der flow-Metapher davontragen 51
Einen Überblick über den Gebrauch der Netz-Metapher in der Geschichte von Philosophie wie Sozial- und Kulturwissenschaften bis heute gibt Christian J. Emden (2007). Der Medienanthropologe Manfred Faßler (2001, 88ff.) verfolgt die „Karriere des Wortes Netz in den letzten zweihundert Jahren“ und stellt fest, dass Verwendung und Interpretation des Wortes wie auch verwandter Metaphern wie „Faden“ und „Knoten“ sehr breit gefächert sind. Seit einigen Jahren stehe der Terminus „’das Netz’ in unübersehbarer Konkurrenz zu Gesellschaft, Institutionen, Territorien, zu gedrucktem Wort, zum Buch als Speicher und Imaginationsmaschine, zum Nationalen Fernsehsender oder zu nationaler Kultur“ (ebd., 9).
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zu lassen: Kultur lasse sich keinesfalls „in Flaschen abfüllen“. Außerdem bestehe die Gefahr, mit flows eine Metapher zu bemühen, die kulturelle Prozesse zu stark vereinfache. Hannerz (1997, 6) schreibt: „What the flow metaphor presents us with is the task of problematizing culture in processual terms, not the licence to deproblematize it, by abstracting away the complications.“ Auch Anna Tsing (2002, 453) denkt die flow-Metapher weiter und entwickelt daraus eine Kritik an den auf die Makroebene ausgerichteten Theorien anthropologischer Globalisierungsforscher wie Hannerz und Appadurai: „Imagine the internet system, linking up computer users. Or a rush of immigrants across national borders. Or capital investments shuttled to varied offshore locations. These world-making ‘flows’, too, are not just interconnections but also the recarving of channels and the remapping of the possibilities of geography.“52
Tsing möchte nicht nur die flows berücksichtigt wissen, sondern auch die Kanäle, durch die sie fließen. In einer Anthropologie der Globalisierung, die die Neuheit der globalen Epoche über Begriffe wie „circulation“ und „increased flows“ definiere, sieht sie einen „neuen Orientalismus“ angelegt: „Because authors and readers focus on the excitement of this newness, there has been almost no discussion about the implied dichotomies here: circulation versus stagnation, new versus old. […] If analysts must ‘move out of local situation’ to find circulation, there must be some local folks who are still stuck inside them, being stagnant. These imagined stagnant locals are excluded from the new circulating globality, which leaves them outside, just as progress and modernity were imagined as leaving so many behind.“ (Ebd., 471)
In den so beförderten Dichotomien sieht Tsing die Gefahr der Wiederbelebung der in den vergangenen Jahrzehnten viel kritisierten Erforschung territorial gebundener und klar voneinander abgrenzbarer Kulturen, die dann allerdings für das Marginale und die Vergangenheit zuständig sei, während im Zentrum eine anthropology of movement stehe.53 Ihr Text „The Global Situation“ kann insgesamt gelesen werden als ein Plädoyer für eine ethnografische Konkretisierung von Globalisierungsforschungen und für eine Verabschiedung von Forschungen, 52
In ähnlicher Weise fragt Aihwa Ong (1999, 11) in ihrer empirischen Studie über chinesische Subjekte und die Effekte des transnationalen asiatischen Kapitalismus nach Machtverhältnissen und Ungleichheiten, die im Zusammenspiel von Verflüssigung und Lokalisierung produziert werden: „What are the mechanisms of power that enable the mobility, as well as the localization and disciplining, of diverse populations within these transnationalized systems? How are cultural flows and human imagination conditioned and shaped within these new relations of global inequalities?“ 53 Vgl. auch Löfgren (2000, 30) zu den moralischen Gehalten des Mobilitätsdiskurses in der Moderne.
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die globale Reichweiten einfach voraussetzen. Die Suche nach einer umfassenden anthropologischen Globalisierungstheorie habe Visionen des Globalen naturalisiert, anstatt sie zum Gegenstand der Forschung zu machen. Sie selbst untersucht die allgemein formulierten Globalisierungstheorien von Appadurai, Kearney und Hannerz und kommt zu dem Schluss, dass sie je nach ethnografischen Erfahrungen ganz unterschiedliche Visionen des Globalen entwickelt haben. Das mache sie nicht falsch, erfordere jedoch, ihre Theorien im Verhältnis zu ihrem jeweiligen Wissen über bestimmte Menschen und Ereignisse zu sehen. Die Suche nach einer einzigen globalen Zukunft müsse aufgegeben werden.54 Angesichts ethnografischer Defizite von Globalisierungstheorien und zunehmend populärer Geschichten über eine neue Ära globaler Mobilität macht Tsing in ihrer 2005 erschienen Monografie die Metapher der „Friktion“ stark. Darunter versteht sie „the awkward, unequal, unstable, and creative qualities of interconnections across difference“ (Tsing 2005, 4), an denen ethnografische Globalisierungsforschungen ansetzen sollten. Friktionen sind dabei nicht einfach als Momente des Widerstands gegen machtvolle globale Prozesse zu begreifen, sondern können auch gegenteilige Effekte haben: „Friction is not just about slowing things down. Friction is required to keep global power in motion. […] Friction is not a synonym for resistance. […] Friction refuses the lie that global power operates as a well-oiled machine.“ (Ebd., 6) Wege, Transportmittel, Transiträume Die Geschichte des Abendlandes wird zunehmend als Geschichte der Mobilität erzählt (vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 3), in der verschiedene verkehrs- und kommunikationstechnische Innovationen wichtige historische Zäsuren darstellen. Oftmals bekommen diese Innovationen dabei einen metaphorischen Charakter; sie werden zu Sinnbildern bestimmter Lebensweisen und Ideologien. Bevor auf die drei verkehrstechnischen Innovationen der Eisenbahn, des Automobils und des Flugzeugs und ihre Metaphorisierungen im Einzelnen näher eingegangen wird, soll anhand der Chronologisierungen von Paul Virilio und John Urry verdeutlicht werden, welche epochale Bedeutung verkehrs- und kommunikationstechnischen Innovationen beigemessen wird und wie sie zu einer Geschichte der Mobilität verdichtet werden. Sowohl Virilio als auch Urry geht es dabei auch um Konsequenzen für den menschlichen Körper. Beide betonen mit der Zunahme von Mobilität einhergehende Formen der Immobilität. Paul Virilio beschreibt die Menschheitsgeschichte bzw. die Geschichte des Abendlandes als Beschleunigungsprozess. Zunehmende Geschwindigkeit und 54 Zur Kritik an Globalisierungstheoretikern wie Appadurai, Hannerz oder auch Clifford, die Empirie allenfalls anekdotisch einsetzen, vgl. auch Welz (1998a, 180).
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die entsprechende Infrastruktur hätten zum „spektakulären Auftauchen der Linearität“ geführt: „So wie der Kondensstreifen des Flugzeugs eine Luftstraße anzeigt, die tatsächlich nur die FLUGBAHN DES JETS ist, so sind auch die Straße oder die Schiene Flugbahnen, ist eine Infrastruktur der Straßen oder Eisenbahnen ein FAHR-ZEUG, ‚statisches’ Fahrzeug, auf das das ‚dynamische’ Fahrzeug angewiesen ist.“ (Virilio 1978, 23 – Hervorhebungen im Original)
In einem späteren Text setzt Virilio (1999, 75f.) die Entwicklung der Transportund Verkehrsmittel ins Verhältnis zum Status des Körpers „des Passanten bzw. Passagiers“: Dienten „Maultiere, Ochsen, Pferde, Elefanten, Strauße“ als Transportmittel, war ihre Aufzucht und Domestizierung unabdingbar. Die Fortbewegung fand entweder im Wagen mit Gespann oder auf dem Rücken der Tiere statt. Ebenso wie die Reise auf dem Segelschiff erfolgte sie größtenteils unter freiem Himmel. Die Eisenbahn, das Auto und das Flugzeug boten dann die Möglichkeit des Fahrens im Inneren. Dieser Fortbewegungsart hätten sich die Telekommunikationsmittel wie Handy, Walkman, tragbarer Fernseher, Notebook etc. angepasst. Durch die Revolution der Transplantationstechniken würde nun der menschliche Körper selbst technologisch ausgestattet. Die zunehmende Mobilität sieht Virilio daher paradoxerweise schließlich im Stillstand kulminieren: „Wenn das ausgehende 19. und das beginnende 20. Jahrhundert das Aufkommen des automobilen Vehikels erlebt haben, des dynamischen Schienen-, Straßen- und Luftfahrzeugs, dann scheint es tatsächlich so zu sein, als würde das Ende dieses Jahrhunderts mit der kurz bevorstehenden Durchsetzung des audiovisuellen Vehikels55, des statischen Vehikels, einen Ersatz für unsere physischen Fortbewegungen und Verlängerung der häuslichen Bewegungslosigkeit, eine letzte Veränderung ankündigen, die schließlich den Triumph der Seßhaftigkeit erleben wird, einer endgültigen Seßhaftigkeit diesmal.“ (Virilio 1997, 38f.)
Während Virilio die Mobilitätsgeschichte als Beschleunigungsprozess beschreibt, der unausweichlich auf Stillstand hinausläuft, ist die Geschichte der Mobilität für Urry eher ein Prozess der zunehmenden Komplexität, wobei Mobilität und Immobilität immer miteinander einhergehen. Er beschreibt die Geschichte der Mobilität als eine Geschichte von Mobilitätssystemen, die sich chronologisch ordnen lassen, ohne einander jedoch vollständig abzulösen. Sie überschneiden sich vielmehr und bedingen sich gegenseitig. Urry (2007) beginnt 55
Das audiovisuelle Vehikel habe sich seit den 1930er Jahren mit dem Radio, dem Fernsehen, dem Radar, dem Sonar und der entstehenden elektronischen Optik durchgesetzt. Damit würden Bilder und Töne transportiert, die ankommen könnten, ohne dass noch eine Abfahrt nötig wäre. (Vgl. Virilio 1997, 42f.)
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seine Darstellung der Mobilitätssysteme mit dem System des Gehens und der Wege, stellt dann das System des öffentlichen Transports infolge der Einführung des Schienenverkehrs im 19. Jahrhundert dar, schildert anschließend die einschneidenden Veränderungen, die mit dem Automobilsystem im 20. Jahrhundert einhergingen, und beschreibt schließlich die Entwicklung des Luftverkehrssystems als Ausdruck einer neuen Weltordnung. In einem weiteren Schritt verbindet er die Analyse der Transportsysteme mit der Untersuchung der Kommunikation und zeigt, dass es sich hierbei nicht um klar voneinander abtrennbare Systeme handelt, sondern dass Transport und Kommunikation sich im Gegenteil stark wechselseitig beeinflussen. Wenn man das sich verändernde Verhältnis von Mobilität und Immobilität sowie zunehmende Komplexität als roten Faden durch Urrys Mobilitätssysteme begreift, so ist am System des Gehens und der Wege hervorzuheben, dass Urry (2007, 63) im Anschluss an Simmel davon ausgeht, dass das Gehen sich auf der Erdoberfläche abzeichnet und im Laufe der Zeit in der festen Struktur von We56 gen eingefroren wird. Die Einführung der Eisenbahn im 19. Jahrhundert stellt Urry und vielen anderen zufolge eine radikale Innovation dar, die Raum und Zeit revolutionierte, aber bei aller Mobilität doch auf einem immobilen Schienennetzwerk beruhte. Die Eisenbahn steht exemplarisch für die in der Frühphase der Industrialisierung beginnenden Veränderungen, die den Alltag der Menschen nachhaltig beeinflussten. Wolfgang Schivelbusch (1977, 35), auf den sich Urry (ebenso wie beispielsweise Cresswell 2006, 5f.) bezieht, schreibt dazu: „Vernichtung von Raum und Zeit, so lautet der Topos, mit dem das frühe 19. Jahrhundert die Wirkung der Eisenbahn beschreibt. Diese Vorstellung basiert auf der Geschwindigkeit, die das neue Verkehrsmittel erreicht. Eine gegebene räumliche Entfernung, für deren Überwindung traditionell ein bestimmtes Maß an Reise- oder Transportzeit aufzuwenden war, ist mit einemmal in einem Bruchteil dieser Zeit zu bewältigen, oder anders ausgedrückt, in derselben Zeit kann nun ein Mehrfaches der alten räumlichen Entfernung zurückgelegt werden.“
Wenngleich es schon vorher öffentliche Transportmittel gab, könne man das 19. Jahrhundert aufgrund der Einführung der Eisenbahn als „the century of ‚public mobilization’“ bezeichnen, meint Urry (2007, 91). Insbesondere von Thomas Cook, dem Pionier der Pauschalreise, sei die Eisenbahnreise als demokratische und progressive Kraft erkannt worden (vgl. ebd., 104). Zudem sei der Bahnhof ein neuer öffentlicher Ort geworden (vgl. ebd., 108), der zur Transformation der 56 Zu Wegen und Straßen als Metaphern der Forschung und Theoriebildung vgl. Westerkamp (2007) über die Entwicklung vom Weg zu paths und links in der Philosophie und Clifford (1997) über die Abkehr von roots hin zu routes in der Anthropologie. Zum Aufgreifen der Metaphernkombination from roots to routes in einem postkolonialen Kunstkontext vgl. Kravagna (2006).
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noch vom Mittelalter geprägten europäischen Stadt im 19. Jahrhundert beitrug (vgl. Schivelbusch 1977, 152ff.). Mit dem Automobilsystem des 20. Jahrhunderts sei schließlich der öffentliche Fahrplan des Eisenbahnverkehrs und der öffentliche Raum des Bahnhofs durch den individuellen Zeitplan des Autofahrers bzw. der Autofahrerin und den abgeschotteten Raum des Autos ersetzt worden (vgl. Urry 2007, 112). Dabei habe sich ein komplexes weltumspannendes System herausgebildet: „Automobility can be conceptualized as a self-organizing autopoietic, non-linear system that spreads world-wide, and includes cars, car-drivers, roads, petroleum supplies and many novel objects, technologies and signs.“ (Urry 2004, 27) Zunehmend wurden neben den Vorzügen des Autos jedoch auch seine Nachteile deutlich. So hatte das Auto verheerende Auswirkungen auf öffentliche Straßen und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel (vgl. Urry 2007, 112) und außerdem fatale ökologische Nebenwirkungen. Die psychologischen Effekte des Autofahrens beschreibt Katharina Steffen (1990, 17) so: „Mobilität verwandelt sich in totale Immobilität, das ‚fahrbare Haus’ wird zur Falle, die Erholung gerät zur psychischen Zerreißprobe, der stolze Besitz wird zu einem Haufen zusammengepreßten Blechs, der auto-mobile Konkurrenzkampf ist ebenso lebensgefährlich wie der nachgeholte Trancezustand, jeder behindert den anderen, Autonomie wird zur Abhängigkeit und das Auto zum Tyrann.“
In Begriffen wie Fordismus und Postfordismus wird zudem deutlich, wie sehr das Auto als industriell gefertigtes Markenprodukt für den Kapitalismus des 20. Jahrhunderts steht (vgl. Urry 2004, 25f. und 2007, 115), der alle Lebensbereiche durchdringt. Wiederum ist zusätzlich zum mobilen Fahrzeug eine immobile Infrastruktur, vor allem in Form von Straßen, vonnöten (vgl. Schivelbusch 1977, 26). Neben Straßen oder Tankstellen können aber auch Motels zur immobilen Infrastruktur der auto-mobilen Gesellschaft gezählt werden. „Metaphern wie das Motel [spielen] eine immer größere Rolle in den Diskussionen über Kulturveränderungen“, schreibt Orvar Löfgren (1995, 350), und James Clifford (1997, 32) ist der Ansicht, dass das Motel eher als das Hotel57 geeignet ist, die Postmoderne zu versinnbildlichen: „The motel has no real lobby, and it’s tied into a highway network – a relay or node rather than a site of encounter between coherent cultural subjects.“ Meaghan Morris (1988, 41) sieht die besondere metaphorische Bedeutung des Motel dementsprechend in seinem Interimscharakter begründet:
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Während das Motel für eine postmoderne Lebensweise steht, versinnbildlicht das Hotel nach James Clifford (1997, 33) einen männlich und bürgerlich konnotierten modernen Lebensstil, der die urbanen Zentren der Alten Welt prägte.
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1 Mobilitäten „It is neither the car nor the highway nor the house nor the voyage nor the home, but a space of movements between all of them. It punctuates travelling with resting and being-there with action. It represents neither ‘arrival’ nor ‘departure’, but operates passages from one to the other in the metaphorai of the pause.“
Genau diese Eigenschaften machen das Motel attraktiv für Theoretiker wie Jean Baudrillard (2004, 14), der sich für die Geschichtslosigkeit und Oberflächlichkeit „Amerikas“ begeistert, die er in der Wüste und im Motel zu finden glaubt: „Ich habe das siderische Amerika gesucht, das der leeren und absoluten Freiheit der freeways, nie das des Sozialen und das der Kultur – immer nur das der Wüstengeschwindigkeiten, der Motels und mineralischen Oberflächen, nie das tiefe Amerika der Lebensformen und Mentalitäten.“58
Noch stärker als das Motel ist der Flughafen zu einem Sinnbild der Postmoderne geworden. Wie das Auto ohne die Straße und die Eisenbahn ohne die Schiene nicht denkbar sind, ist das Flugzeug auf Start- und Landebahnen angewiesen. Während in den ersten beiden Fällen allerdings das Fahrzeug, also die Eisenbahn oder das Auto, im Zentrum der Metaphorisierung steht, ist im letztgenannten Fall weniger das Flugzeug als der Flughafen zu einer bedeutenden Metapher für die Vielfalt postmoderner, nomadischer Lebensweisen am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts geworden. Tim Cresswell (2006, 220) schreibt: „The airport has become something of an iconic space for discussions of modernity and postmodernity, and its central role in literature on mobility makes it an ideal place to consider the ways in which geographies of human mobility have developed.“
Im Zusammenhang mit der Betrachtung des Flughafens als Metapher der Postmoderne wird häufig auf Marc Augés (1994) Konzept der „Nicht-Orte“ zurückgegriffen. „Nicht-Orte“ bieten Augé zufolge keinen Raum für Geschichte, „die Herrschaft gehört der Aktualität und den Erfordernissen der Gegenwart“ (ebd., 121f.). Sie zeichnen sich darüber hinaus durch minimale Möglichkeiten für soziale Interaktion aus. Individuen scheinen hier nur mit Texten (z.B. Vorschriften, Verkehrszeichen, Wegweisern) zu interagieren, meint Augé (ebd., 113), „deren Urheber ausschließlich ‚juristische’ Personen oder Institutionen sind (Flughäfen, 58
Zu einer Kritik an Baudrillards „Amerika“ als stereotypisierend, essentialistisch, xenophob, maskulinistisch und – entgegen der gängigen Lesart – als durch und durch der eurozentrischen Moderne verhaftet vgl. Kaplan (1996, 67ff.). Im Unterschied zu der androzentrischen Sicht Baudrillards auf das Motel sieht Meaghan Morris (1988, 2) auch das Potenzial zu einer Umdeutung des Motels als Flucht- und Transitraum für Frauen, als „home-away-from home“. Sie meint: „[M]otels have had liberating effects in the history of women’s mobility.“
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Fluggesellschaften, Verkehrsministerien, Handelsgesellschaften, Verkehrspolizei, Stadtverwaltung)“. Der „Nicht-Ort […] beherbergt keinerlei organische Gesellschaft“ (ebd., 131). Den Unterschied zum Ort fasst Augé (ebd., 92) so zusammen: „So wie ein Ort durch Identität, Relation und Geschichte gekennzeichnet ist, so definiert ein Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen läßt, einen Nicht-Ort.“ „Der Raum des Reisenden“ ist für Augé (ebd., 103) „der Archetypus des Nicht-Ortes“. Konkret benennt er „die Hotelketten und Durchgangswohnheime, die Feriendörfer, die Flüchtlingslager, die Slums, die zum Abbruch oder zum Verfall bestimmt sind“ (ebd., 92). Zudem sieht er „Nicht-Orte“ oder „wirkliche Orte der Übermoderne“ (ebd., 112) in „den Flugstrecken, den Bahnlinien und den Autobahnen, den mobilen Behausungen, die man als ‚Verkehrsmittel’ bezeichnet (Flugzeuge, Eisenbahnen, Automobile), den Flughäfen, Bahnhöfen und Raumstationen, […], Freizeitparks, den Einkaufszentren und schließlich dem komplizierten Gewirr der verkabelten oder drahtlosen Netze, die den extraterrestrischen Raum für eine seltsame Art der Kommunikation einsetzen, welche das Individuum vielfach nur mit einem anderen Bild seiner selbst in Kontakt bringen“ (ebd., 93).
Identität werde nur bei Betreten und Verlassen der „Nicht-Orte“ relevant, beispielsweise bei der Grenzkontrolle oder an der Zahlstelle. An den „Nicht-Orten“ selbst stellt Augé hingegen Homogenisierungstendenzen fest. „Der Raum des Nicht-Ortes schafft keine besondere Identität und keine besondere Relation, sondern Einsamkeit und Ähnlichkeit.“ (Augé 1994, 121)59 Augés Überlegungen dienten häufig als Ausgangspunkt für die genauere Betrachtung von „Nicht-Orten“ und wurden auf dieser Grundlage vielfach kritisiert. John Urry (2007, 146ff.) benennt zwei Punkte, die die Anwendbarkeit des Konzepts der „Nicht-Orte“ auf Flughäfen problematisch machen. Zum einen seien Flughäfen Orte materialer Organisation, die eine beachtliche soziale Komplexität aufweisen und daher keineswegs als „Nicht-Orte“ in Augés Sinne begriffen werden könnten. Zum anderen liege der Konzeptionalisierung von Flughäfen als „Nicht-Orten“ die zweifelhafte Vorstellung zugrunde, das Soziale sei nur an fixierten, unveränderlichen Orten zu finden.60 Für Urry (2007, 149) sind Flüge, 59 Ähnlichkeit und Einsamkeit sind auch wesentliche Charakteristika, die Augé (1988) in seinen ethnologischen Beobachtungen in der Pariser Metro hervorhebt. So schreibt er beispielsweise: „Vor dem Hintergrund der Metro scheinen unsere individuellen Verrenkungen auf höchst beruhigende Weise am Schicksal aller teilzuhaben, am Gesetz der menschlichen Gattung.“ (ebd., 43) 60 Auch Tim Cresswell hat sich mit dem Flughafen beschäftigt. In Abgrenzung zu einem Verständnis des Flughafens als „Nicht-Ort“ und „space par-excellence of postmodern, postnational flow“ (Cresswell 2006, 220) zeichnet Cresswell (ebd., 224ff.) die konkrete Geschichte des Flughafens Schiphol in
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Flugzeuge, Flughäfen und „airport cities“ konstitutiv für die gegenwärtige Weltordnung: „There are many ways in which flights, aeroplanes, airports and airport cities are central to an emergent global order. Without the rapid development of the complex extended systems of mass air travel, what is now termed ‘globalization’ would be utterly different, possibly non-existent.“
Die Metaphorisierung aller hier genannten großen verkehrstechnischen Innovationen – Eisenbahn, Automobil, Flugzeug – und ihrer immobilen Infrastruktur wurde vielfach aufgrund problematischer Implikationen kritisiert. So ist die Eisenbahn mit ihrem Schienennetz nicht für alle Betroffenen in gleicher Weise mit Fortschritt und industrieller Revolution verbunden. Was hierbei oft von einem scheinbar neutralen Standpunkt aus zur Beschreibung epochaler Veränderungen formuliert wird, muss als durchaus voreingenommen gesehen werden, beispielsweise wenn Schivelbusch (1977, 84) schreibt: „Die Geschichte der Eisenbahn in den USA unterscheidet sich von der europäischen darin, daß die Bahn hier nicht der industrielle Nachfolger eines voll entwickelten vorindustriellen Verkehrssystems wurde, sondern daß durch sie eine bis dahin unbesiedelte Wildnis überhaupt erst erschlossen wurde.“
Christiane Reichart-Burikukiye (2005, 27) konstatiert zu Recht, dass Schivelbusch sich offensichtlich „allein auf das Bewusstsein und die Wahrnehmung der Einwanderergesellschaft europäischer Herkunft“ bezieht und „die Erfahrungen der nordamerikanischen Ureinwohner mit der Eisenbahn“ völlig ausblendet. Am Beispiel Ostafrika zeigt Reichart-Burikukiye, wie der voreingenommene Blick europäischer Reisender, der von einer europäischen Moderne im Gegensatz zum unmodernen Afrika ausging, durch die Eisenbahn und ihre symbolische Aufladung bestätigt wurde. Die Eisenbahn versinnbildlichte nicht nur den Triumph über die zuvor feindselige Natur.
Amsterdam nach bis zu den vielfältigen räumlichen Umstrukturierungen, die das Schengener Abkommen mit seiner Neuorganisation der europäischen Innen- und Außengrenzen erforderlich machte. Jenseits der neuen Mobilitätshierarchie, die das europäische Grenzregime produzierte, interessiert sich Cresswell (ebd., 247ff.) in Schiphol aber für andere Formen der Mobilität und Immobilität. In Beobachtungen und Befragungen näherte er sich Obdachlosen und TaxifahrerInnen, die den Flughafen Schiphol regelmäßig frequentierten, ohne zu fliegen. Entgegen der These, dass der Flughafen nur privilegierten NomadInnen zur Verfügung stehe, stellte er fest, dass Schiphol von einer Reihe Obdachloser bewohnt wird, was vom Flughafenmanagement im Sinne der Etablierung öffentlichen städtischen Lebens am Flughafen geduldet werde. Unter den TaxifahrerInnen stieß er auf eine Reihe von Leuten mit migrantischem Mobilitätshintergrund.
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„Sie bestärkte zugleich den bürgerlichen, europäischen Menschen – als Schöpfer dieser Symbole – in seinem Selbstverständnis auf einer höheren Stufe gesellschaftsevolutionistischer Entwicklung stehend und damit berechtigt, andere Kulturen und Gesellschaften zu bevormunden und zu beherrschen“ (ebd., 25).
Gegenüber der naturalisierenden Wirkmacht dieser eurozentrischen Symbole möchte Reichart-Burikukiye (ebd., 19) zeigen, „wie Afrikaner und Afrikanerinnen in ihrem Umgang mit der Eisenbahn das Produkt neu schufen und damit Formen einer afrikanischen Moderne entwarfen“. Denn es sei keinesfalls so gewesen, dass mit der Eisenbahn eine unbelebte Wildnis erschlossen worden wäre. Die Eisenbahn habe vielmehr an frühere Reiseformen anknüpfen können, insofern die Bahnschienen teilweise entlang alter Karawanenwege verlegt wurden (ebd., 13+30). AfrikanerInnen hätten ihre gewohnten Lebensstrategien an veränderte Bedingungen angepasst und zugleich neue entwickelt (ebd., 14). In seinem Buch „The Black Atlantic“ entwirft Paul Gilroy (1993) eine Gegenmetapher zu eurozentrischen Mobilitätsmetaphern wie der Eisenbahn. Im Zentrum steht bei ihm die Geschichte der schwarzen AmerikanerInnen sowie der Schwarzen in Europa, die von Anfang an eine Geschichte der Mobilität ist und sowohl versklavte AfrikanerInnen als auch abgeschlachtete „IndianerInnen“, AsiatInnen in Schuldknechtschaft und europäische SiedlerInnen umfasst (ebd., 2). Europa, Amerika, Afrika und die Karibik sind Gilroy zufolge seit dem 16. Jahrhundert unwiderruflich miteinander verbunden. Entgegen der gängigen Geschichtsschreibung und abweichend von den eurozentrischen Metaphern der Mobilität schlägt Gilroy daher das Schiff, das sich zwischen den Kontinenten bewegt und einen transatlantischen Raum aufspannt, als Chronotop vor. Ebenso wie im Falle der Eisenbahn kann auch die symbolische Aufladung des Automobils rassistische Implikationen haben und bedrohliche Konsequenzen zeitigen. So beschreibt Cresswell (2006, 259ff., vgl. hierzu auch Adey 2010, 86f.), wie bei den Evakuierungsmaßnahmen infolge von Hurrikan Katrina in New Orleans Automobilität als zentrales Element der amerikanischen Kultur vorausgesetzt wurde. Die Evakuierungspläne gingen von einem Modell von Mobilität aus, das auf privatisierter Automobilität beruhte und diejenigen unberücksichtigt ließ, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen waren. Mobilitätsmöglichkeiten und Hautfarbe gingen dabei Hand in Hand. So waren es größtenteils Schwarze, die New Orleans in Ermangelung eines eigenen Autos nicht verlassen konnten. Paul Gilroy (2001, 84) kommt in einem anderen Zusammenhang zu dem Schluss: „The automobile appears, then, at the very core of America’s complex negotiations with its own absurd racial codings.“ Außerdem kann ein Zusammenhang zwischen Geschlechterrollen und den geschlechtsspezifischen Konnotationen der Automobilnutzung gesehen werden (vgl. z.B. Manderscheid 2009, 32).
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Ebenso wenig wie die Einführung von Eisenbahn und Auto mit ihrer entsprechenden Infrastruktur für alle gleichermaßen als Motor und Metapher epochaler Mobilität gesehen werden können, steht der Flughafen für alle in gleicher Weise als Sinnbild für Globalisierung und Beschleunigung in der Gegenwart. Mit seinen gewissermaßen deterritorialisierten Wartezonen, zu denen sowohl die Airport Lounge für privilegierte Reisende als auch das Internierungslager für Flüchtlinge im Flughafenverfahren gezählt werden können, ist der Flughafen auch Ausdruck dessen, was Giorgo Agamben (2002) als biopolitisches Paradigma der Moderne begreift: das Lager. In der gegenwärtigen Krise des Nationalstaats, in der der Nexus „Staat, Nation (Geburt) und Territorium“ (ebd., 185) auseinander bricht, gewinnt das Lager an Bedeutung. Im Lager findet die stabile räumliche Einrichtung des Ausnahmezustands statt, der ursprünglich als nur zeitweilige Aufhebung der Rechtsordnung galt. Das vergangene Jahrhundert ist daher keinesfalls ausschließlich mit Metaphern des Fortschritts und der Beschleunigung zu erfassen, sondern ist zugleich auch ein „Jahrhundert der Lager“. Zygmunt Bauman (1995a, 267) schreibt in seinem Text „A Century of Camps?“: „What we learned in this century is that modernity is not only about producing more and travelling faster, getting richer and moving around more freely. It is also about – it has been about – fast and efficient killing, scientifically designed and administered genocide.“ (Hervorhebungen im Original)
Die Geschichte der Lager ist jedoch noch nicht zu Ende. Agamben (2002, 183) versteht darunter sämtliche Räume außerhalb der normalen Rechtsordnung: „Ein Lager ist dann sowohl das Stadion von Bari, in dem 1991 die italienische Polizei vorübergehend die illegalen Einwanderer aus Albanien zusammentrieb, bevor sie sie zurückgeschafft hat, als auch das Velodrome d’Hiver, in dem die Vichy-Behörden die Juden vor der Übergabe an die Deutschen gesammelt haben, sowohl das ‚Konzentrationslager für Ausländer’ in Cottbus-Sielow, in das die Weimarer Regierung die ostjüdischen Flüchtlinge gesteckt hat, als auch die zones d’attente in den internationalen Flughäfen Frankreichs, wo die Ausländer, welche die Anerkennung des Flüchtlingsstatus verlangen, zurückgehalten werden.“
Auch ein scheinbar harmloser Ort wie das Hotel kann eine entsprechende Funktion erfüllen, wie Agamben ausdrücklich betont. Die verschiedenen erwähnten Lager sollen hier keineswegs gleichgesetzt werden. In Bezug auf Flüchtlingslager des EU-Grenzregimes kann festgehalten werden, dass das Lager nicht unbedingt ein Ort der totalen Immobilisierung inmitten einer mobilen Welt sein muss. Es kann vielmehr auch als „der verräumlichte Versuch [gelten], Bewegungen
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temporär zu beherrschen, d.h. Verkehrswege, Routen zu verwalten“ (Panagiotidis/Tsianos 2007, 79).61 In Kapitel 6 werde ich darauf zurückkommen. Menschen in Bewegung Wenn man von einem mobility turn sprechen möchte, sticht die Figur des Nomaden hervor, die sich in den 1990er Jahren zu einer zentralen Metapher postmodernen Denkens entwickelte und auf die ich mich daher in diesem Abschnitt konzentrieren möchte. Bevor ich näher auf das Konzept des Nomadischen eingehe, möchte ich jedoch einige theoretische Verwandte des postmodernen Nomaden erwähnen. Dazu gehören beispielsweise Figuren wie der Pilger (Bauman 1994; 1997, 136f.), der Flâneur oder Spaziergänger (Benjamin 1983; Bauman 1994; 1997, 150ff. u. 213ff.), der Wanderer (vgl. z.B. Simmel 1992, 750ff., über die Technik des Wanderns; Solnit 2000 über den Zusammenhang von Wandern und Philosophieren oder Greverus 2002, 43ff., über das Wandern bei Wilhelm Heinrich Riehl), der Vagabund (Bauman 1994; 1997, 153ff.), der Marginal Man (Park 1928), der Fremde (Schütz 1944, Simmel 1992, 764ff., Bauman 1995b; 1997, Kapitel 5; Böröcz 1996, 5ff.), der Taktiker (de Certeau 1988), der Exilant (Kaplan 1996, Said 1997), der Flüchtling (Arendt 1943, Agamben 2002, 135ff.) oder auch der Tourist (Bauman 1994, 1997, 156ff.; MacCannell 1976; Böröcz 1996, 5ff., Spode 1999) und der Migrant (Flusser 1994, Karakayal/Tsianos 2005, Larsen/Jacobsen 2009, 92). Janet Wolff (1993) hat einige dieser Figuren aufgrund ihres androzentrischen Charakters kritisiert, so auch Eeva Jokinen und Soile Veijola (1997). Gegen die in vielen dieser Figuren angelegte Romantisierung männlicher Ungebundenheit schlagen sie eine Erweiterung des Katalogs vor um Paparazzi, obdachlose Alkoholiker, Sex-Touristen und Womanizer. Zudem möchten sie weibliche Figuren der Mobilität etablieren, wie die Prostituierte oder die Au Pair. Die Figur des Nomaden kommt ohne explizite Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, einer Klasse oder einer Ethnie daher. Ihr unspezifischer Charakter macht sie einerseits vielfach anschlussfähig, legt andererseits jedoch nahe, der sozialen Position des theoretischen Nomaden kritisch nachzuspüren. Der Begriff des „Nomadischen“ kann etymologisch auf das griechische Wort „nomos“ zurückgeführt werden, das sowohl „Weideplatz“, „Wohnsitz“ oder „Verwaltungsbezirk“ bedeuten kann als auch „Sitte“ oder „Brauch“. Ab dem 5. Jahrhundert vor Christus wurde es im juridischen Zusammenhang im Sinne von „Gesetz“ verwendet. Vilém Flusser (1990, 20) folgert aus der Etymologie des Wortes, dass die GriechInnen unter „Nomade“ einen Menschen ver61 Zum Zusammenhang zwischen der Errichtung von Lagern und der Metaphysik der Sesshaftigkeit vgl. Cresswell (2006, 42ff.) und Malkki (1997).
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standen haben müssen „auf der Suche nach den ihm zugewiesenen Grenzen, nach einem Gebiet, worin er im Recht ist“. Dabei sei zu berücksichtigen, dass diese Definition der Sicht der Sesshaften entspringe. Für gegenwärtige Auseinandersetzungen schlägt er daher folgende Beschreibung vor: „’Nomade’ meint einen weder in Raum noch Zeit definierbaren Menschen, und dies im Gegensatz zum räumlich und zeitlich definierten seßhaften Dasein. ‚Definieren’ bedeutet selbstredend ‚Grenzen ziehen’, zum Beispiel Mauern.“ (Ebd., 21) Inzwischen hat der Begriff „nomadisch“ zahlreiche neue Bedeutungen bekommen und wird mit verschiedensten Formen der Mobilität in Verbindung gebracht. Zu dieser Erfolgsgeschichte des Begriffs haben insbesondere Gilles Deleuze und Félix Guattari mit ihrer Nomadologie beigetragen. Sie stellen fest: „Geschichte ist immer nur aus der Sicht der Seßhaften und im Namen eines einheitlichen, zumindest eines möglichen Staatsapparates geschrieben worden, selbst wenn von Nomaden die Rede ist. Es fehlt eine Nomadologie, das Gegenteil von Geschichtsschreibung.“ (Deleuze/Guattari 1992, 39)
Das Leben der Nomaden ist ihnen zufolge ein Intermezzo. Es kennt Punkte (z.B. Wasserstellen), diese werden jedoch den Wegen untergeordnet. Es geht nicht um das Erreichen der Punkte, sondern um das Dazwischen. Im Unterschied zu den Sesshaften teilen die Nomaden nicht ein begrenztes Territorium untereinander auf, sondern verteilen sich in einem offenen Raum.62 Während der Raum der Sesshaftigkeit durch Mauern und Wege eingekerbt ist, ist der nomadische Raum glatt. Das deterritorialisierende und zugleich territorialisierende Prinzip des Nomaden besteht darin, diesen glatten Raum – versinnbildlicht in Wüste, Steppe, Eis und Meer – zu besetzen. Insofern bleibt der Nomade eigentlich unbeweglich. (Vgl. Deleuze/Guattari 1992, 522ff.) Für Deleuze und Guattari stellt das Nomadentum eine Kriegsmaschine gegen den Staatsapparat dar. Damit kritisieren sie auch eine mit dem Staatsapparat konforme Wissensproduktion und fordern ein Denken ohne Methode und Reproduktion, das aus Schaltstellen, Zwischenspielen und Neuanfängen besteht. (Vgl. ebd., 515ff.) Die Figur des „Nomaden“ – oder verwandte Metaphern der Mobilität – war bereits lange vor Deleuze und Guattari Bestandteil von Kultur- und Gesellschaftstheorien, nicht nur im abwertenden (vgl. hierzu Cresswell 1997, 360), sondern durchaus auch im positiven Sinne. Wie Tim Cresswell (2006, 43) herausarbeitet, hat auch die positive Wertung von Mobilität im Sinne von Fort62 Christopher L. Miller (1998, 6) zeigt die widersprüchlichen Konsequenzen dieser Gegenüberstellung auf, wenn er schreibt: „[T]he world is divided between, on the one hand, those who divide the world and, on the other hand, those who don’t. Nationalists and nomads. The two sides are incommensurable, since one side does not allow for sides at all.“
1.6 Metaphern der Mobilität – Leitfiguren der (Post-)Moderne?
67
schritt, Freiheit und Wandel eine lange Tradition. Wenngleich Deleuze und Guattari nicht nur die herkömmlich negativen Konnotation des Nomadischen ablehnen, sondern auch eine im Sinne der Moderne positive Aufladung, lassen sich auch bei ihnen modernistische Momente feststellen. Nach Ansicht von Caren Kaplan (1996, 85ff.) liegt der Privilegierung des Nomadischen die Gegenüberstellung eines zentralen Ortes der Subjektivität einerseits und Zonen der Marginalität andererseits zugrunde, wobei die eigene Subjektposition im angestrebten Prozess der Marginalisierung nicht kenntlich gemacht werde. Marginal zu werden, habe nur für die mächtigen AkteurInnen im Zentrum Sinn, werde jedoch als Imperativ für alle formuliert. Die „Dritte Welt“ fungiere dabei lediglich als metaphorischer Rand für europäische Dichotomisierungen und nicht als Ort eigener Theorieproduktion. Die Forderung von Deleuze und Guattari, marginal zu werden, ihr Zelebrieren von Deterritorialisierung und ihre Ablehnung jeglicher Chronologie ist für Kaplan daher eher der modernen Geopolitik von Zentrum und Peripherie verhaftet und weniger als Ausdruck der komplexen, transnationalen Zirkulation von Kapital und Macht in der Postmoderne zu interpretieren. Wie bei Baudrillard spielt auch bei Deleuze und Guattari die Wüste eine 63 wichtige Rolle. Als Grenze oder Rand evoziere sie Vorstellungen von „Unterentwicklung“ und „Dritter Welt“, und der Nomade sei an die Figur des „Einwanderers“ oder „Zigeuners“ angelehnt, meint Kaplan. Wenngleich der unhistorische und undifferenzierte Zugriff auf diese Figuren bewusst gewählt sei, um dominante Identitätspolitiken zu hinterfragen, sieht sie darin jedoch auch die Gefahr der erneuten Aberkennung von Subjektpositionen – wie im kolonialen Diskurs. Dementsprechend steht auch James Clifford (1997, 39+259) dem Begriff des Nomadischen kritisch gegenüber, da damit häufig unzulässige Generalisierungen vorgenommen würden und die Gefahr eines „postmodernen Primitivismus“ darin angelegt sei. Auch Tim Cresswell (1997, 377) kritisiert den abstrakten, unhistorischen und undifferenzierten Gebrauch der Nomaden-Metapher, die „den Nomaden“ bemerkenswert unsozial und ohne Spuren von Klasse, Gender, Ethnizität, Sexualität und Geografie erscheinen lasse. Gerade diese (nicht vorhandenen) Eigenschaften scheinen die Metapher des Nomadischen jedoch in vielerlei Hinsicht anschlussfähig zu machen. So wurde die Figur des Nomaden seit den 1990er Jahren auf verschiedene Weise angeeignet. In der feministischen Theoriebildung wurde das Nomadische zu einer widerständigen Taktik für die an die Stätten der Reproduktion gebundenen Frauen erhoben: Mit dem Begriff des „nomadischen Subjektes“ versucht beispielsweise 63 Zu einer Kritik der Konzeptionalisierung der Wüste als leerer Raum, ohne Bedeutungen und Werte, vgl. z.B. Boer (2002) und Greverus (2002, 2).
68
1 Mobilitäten
Rosi Braidotti (1994), der kontinuierlichen Identitätsbildung und -zuschreibung ein endlos fragmentiertes Subjekt entgegen zu stellen. Nomadentum wird hier als Metapher für ein Denken und Leben benutzt, das sich dominanten Festschreibungen männlicher und weiblicher Identitäten entzieht.64 Anknüpfend an die These von Deleuze und Guattari (1992, 506), dass es immer eine der wesentlichen Angelegenheiten des Staates gewesen sei, das Vagabundieren und Nomadisieren abzuschaffen, betonen Michael Hardt und Antonio Negri (2002, 225), es lasse sich durch die gesamte Geschichte der Moderne hindurch feststellen, dass die Mobilität und die Migration der Arbeitskräfte die Disziplinierungen, denen sie unterworfen waren, gesprengt haben. Sie halten es daher für notwendig, „eine allgemeine Geschichte der Produktionsweisen aus der Sicht des Mobilitätsstrebens der Arbeiter zu schreiben“ (ebd., 224). In der gegenwärtig weltweit zu beobachtenden Mobilität von Arbeitskräften und sonstigen Migrationsbewegungen sehen sie „eine machtvolle Form des Klassenkampfs in der imperialen Postmoderne und zugleich gegen sie“. Diese gewaltige politische Bewegung sei von den „Mächten der alten Welt“ nicht aufzuhalten: „Eine neue Horde von Nomaden, eine neue Rasse von Barbaren wird kommen und ins Empire einfallen oder es evakuieren“, wobei das Barbarische positiv umgedeutet wird als möglicherweise gewaltsamer Übergang, der jedoch auch 65 gleichzeitig die Chance für einen Neuanfang bietet. Zudem hat die Nomadologie von Deleuze und Guattari das Selbstverständnis einer ganzen Generation von KünstlerInnen geprägt. Arnold Reinthaler (2006) stellt in seiner quantitativen Untersuchung der Verwendung von Begriffen aus dem Wortfeld des „Nomadischen“ fest, dass 1997 ein Höhepunkt der programmatischen Begriffszirkulation im postmodernen Kunstkontext erreicht wurde. Beim steirischen herbst, einem jährlich in der Steiermark stattfindenden internationalen Festival für zeitgenössische Kunst, war Anfang der 1990er Jahre eine „Nomadologie der Neunziger“ postuliert worden. Unter dem Eindruck von Debatten um Flüchtlingsströme aus „dem Osten“ und „der Dritten Welt“, die im demokratischen Westen „rechtsfaschistische Ideologien“ beflügelten (Macho 1990, 123f.), nahmen die Macher des steirischen herbstes eine gezielte Aufwertung des Nomadischen vor. Der ausländerfeindlichen Vorstellung bedrohlicher Barbarenhorden wurde die Normalität des Nomadischen („Menschen sind bewegliche Lebewesen“, ebd., 127) und die Pathologie der Sesshaftigkeit („Sesshaftigkeit ist eine Erbkrankheit“, ebd., 130) entgegengestellt. Aufgeregt wurde der Beginn einer neuen Ära ausgerufen: „Die Epoche der Seßhaftigkeit ist unwiderruflich vorbei. Aber wir überschreiten eben erst die Schwelle zu einem neuen 64
Vgl. hierzu auch Meaghan Morris (1988, 2) über die Metapher des Motels. Zur Anwendung des Konzepts der Nomadologie auf die Bewegung der Migration vgl. auch Papadopoulos/Tsianos (2007). 65
1.6 Metaphern der Mobilität – Leitfiguren der (Post-)Moderne?
69
Zeitalter“, schreibt Thomas H. Macho (ebd., 136) und erklärt die Flüchtlinge zu LehrerInnen einer neuen Nomadizität. In ähnlicher Weise sieht auch Peter Strasser (1990, 168) eine „Kultur der Mobilität“ heraufziehen, die für ihn einen dritten Weg neben Fortschrittsglauben und Kulturpessimismus darstellt.66 Trotz vielfältiger Kritik ist die Nomadologie also zu einer weit verbreiteten Denkfigur geworden. Man könnte auch sagen, „[t]he ideas of deterritorialization and nomadology have, so to speak, taken root and become almost a dogma“ (Miller 1998, 5). Dass die Figur des Nomadischen trotz aller Kritik einen Siegeszug durch die Theoriebildung antreten konnte, erklärt Kaplan (1996, 90) aus einer Kombination von empiriefreier Metaphorisierung und modernistischer Mythologisierung: „The nomad as a metaphor may be susceptible to intensive theoretical appropriation because of a close fit between the mythologized elements of migration (independence, alternative organization to nation-states, lack of opportunity to accumulate much surplus, etc.) and Euro-American modernist privileging of solitude and the celebration of the specific locations associated with nomads: deserts and open spaces far from industrialization and metropolitan cultural influences.“
Vor dem Hintergrund der abstrakten Verwendung der Nomaden-Metapher fragt beispielsweise Christopher L. Miller (1998, 177): „What, if anything, does this project of nomadology have to do with real and ’actual’ nomads?“67 Einerseits sei die abstrakte theoretische Nomadologie ausschließlich auf Deleuze und Guattari selbst sowie auf ihre intellektuellen Mitreisenden anwendbar und habe keinerlei Bezug zu den NomadInnen, mit denen sich vornehmlich anthropologische Arbeiten befassten:
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Zur Attraktivität von Mobilität als Gegenstand und Praxis im Kunstbetrieb vgl. kritisch Zinganel/Lenz (2008). Arbeiten, die sich empirisch mit NomadInnen oder auch sogenannten „neuen NomadInnen“ auseinandersetzen, warnen häufig vor einer positiven Überbewertung des Nomadischen, wie beispielsweise Johanna Keller (2005). Sie arbeitet in ihrer Forschung Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen ganz verschiedenen mobilen Personen im gegenwärtigen Berlin heraus – darunter ein Asylbewerber aus Togo, ein Universitätsprofessor aus Schweden und eine Haushaltshilfe aus Polen. Sie alle werden bisweilen als „neue Nomaden“ gefasst. Keller kommt zu dem Schluss: „Letztendlich müssen die Anrufungen des ‚Nomadischen’ zwiespältig bewertet werden. Einerseits transportiert ein kritischer Teildiskurs, der ein Bewusstsein der Hybridität und Uneindeutigkeit befördert, jene wichtigen Irritationen und Infragestellungen nationalistischer und ethnozentrischer Ordnungsgefüge sowie statischer Kulturkonzepte und eröffnet eine neue Perspektive auf Migration. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr einer ästhetischen und kulturalistischen Weltbetrachtung, die die sozioökonomischen Gründe und Ursachen für Migration und Mobilität im globalen kapitalistischen System sowie dessen Grenzziehungen vernachlässigt.“ (Keller 2005, 88) 67
70
1 Mobilitäten „It is an intellectual nomadism and a nomadism for intellectuals. We might call this case the ‘free’ mode of nomadology, and it is a powerful current in A Thousand Plateaus. Free nomadology is antithetical to the representational disciplines that have dealt with nomads until now, most notably, anthropology.“ (Ebd.)
Andererseits kann Miller nachweisen, dass Deleuze und Guattari sich durchaus auf zahlreiche ethnografische Studien über NomadInnen beziehen, die sie in ihrem Sinne auslegen. Die anthropologische Dimension werde allerdings nur herangezogen, um der eigenen Theorie Authentizität und Glaubwürdigkeit zu verleihen. (Vgl. ebd., 178ff.) Die Vermeidung einer empirischen Ausdifferenzierung führe dazu, dass die Metapher des Nomaden in erster Linie westlichen Projektionen des mobilen Lebens in Afrika entspreche. „When compared to a truly radical, transformed ethnography, A Thousand Plateaus appears to be quite oldfashioned“ (Miller 1998, 181).68 Ein Problem der Metaphorisierung muss vor diesem Hintergrund auch in der häufig unzureichenden empirischen Erdung gesehen werden. So schreibt Urry (2000, 22) ganz richtig: „However, empirical data, derived from various ‘situated contexts’, does constitute part of the process by which the appropriateness and fit of different metaphors are to be evaluated and implemented.“ Und Jonas Larsen und Michael Hviid Jacobsen (2009, 93) betonen die Notwendigkeit, Metaphern der Mobilität mit ethnografischen Forschungen zu verbinden. 1.7 Zweifel und Kritik am mobility turn Im vorangegangenen Unterkapitel konnte gezeigt werden, dass Metaphern der Mobilität sich seit einigen Jahren durch verschiedene Disziplinen und Denkrichtungen ziehen. Es zeichnet sich dabei auch ab, dass Mobilitätsmetaphern zu 69 analytischen Kategorien werden. Sie sind also selbst mobil und bestätigen die Annahme einer begrifflichen Wende hin zu Mobilität. Legt man die Kriterien für 68 Bei diesem Vorwurf muss allerdings in Rechnung gestellt werden, dass „Tausend Plateaus“ bereits 1980 erschienen ist, also noch bevor die postkoloniale Repräsentationsdebatte (vgl. hierzu insbesondere Clifford/Marcus 1986) in der Anthropologie breitere Kreise zog und die Arbeitsweise vieler AnthropologInnen nachhaltig beeinflusste. 69 Es würde zu weit führen, hier ausführlicher auf die Transformation von Mobilitätsmetaphern zu analytischen Kategorien einzugehen, die einen turn Bachmann-Medick zufolge letztlich erst vervollständigt. Hier sei nur beispielhaft auf die zahlreichen Studien zu transnationaler Migration verwiesen, die seit Anfang der 1990er Jahre durchgeführt wurden und deren Anliegen es zumeist ist, nicht Sesshaftigkeit als Norm vorauszusetzen, sondern Praktiken der Mobilität über nationale Grenzen hinweg als sozial und kulturell produktiv zu begreifen (vgl. hierzu auch meine Ausführungen zum Transnationalisierungsansatz in Kapitel 2). Eine kritische Reflexion der Umorientierung auf Mobilität als Analyserahmen von Ethnografien bietet Tsing (1993, insbes. 123ff.).
1.7 Zweifel und Kritik am mobility turn
71
eine begriffliche Wende von Bachmann-Medick an, scheint die Diagnose eines mobility turn durchaus plausibel. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich sämtliche Einschätzungen teile, die ProtagonistInnen des mobility turn wie John Urry formulieren. Aber auch einige der am mobility turn formulierten Kritikpunkte halte ich für wenig überzeugend. Nachdem vorab schon Kritik an einzelnen Mobilitätsmetaphern formuliert wurde, die allerdings die These vom mobility turn nicht grundsätzlich in Frage stellen, möchte ich nun in Form einiger Schlussfolgerungen auf Kritikpunkte eingehen, die die Plausibilität des mobility turn an sich betreffen. 1.
Mobilität ist nichts Neues.
Dass Mobilität empirisch nicht neu ist, widerlegt die These eines gegenwärtig zu beobachtenden mobility turn nicht. So kann man davon ausgehen, dass die erhöhte Aufmerksamkeit für Mobilität in den letzten Jahren dazu beigetragen hat, auch einen veränderten Blick auf die Geschichte zu werfen und hier Mobilität stärker hervorzuheben. Einige MobilitätstheoretikerInnen nehmen selbst eine Historisierung von Mobilität vor. (Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 3) Nun könnte man einwenden, auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit Mobilität sei nicht neu. Meiner Einschätzung nach taugt jedoch auch dieser Einwand nicht als Argument gegen die These von einem gegenwärtigen mobility turn. Dass Bronislaw Malinowski und Franz Boas selbst Migranten waren und sich auch wissenschaftlich mit Mobilität befassten (vgl. hierzu Beck 2006, Salazar 2008) bedeutet noch nicht, dass Mobilität im Zentrum größeren wissenschaftlichen Interesses stand. So widerlegen die Beispiele Malinowski und Boas den gegenwärtigen mobility turn nicht. Sie könnten sogar darunter subsumiert werden, indem man sie zu Vorläufern des gegenwärtigen transdisziplinären mobility turn erklärte, wie Urry (2007, 20ff.) es mit Georg Simmel macht, den er als einen der ersten Sozialwissenschaftler betrachtet, der ein Mobilitätsparadigma entwickelte. Schließlich ist ein turn im Unterschied zu einem Paradigma ohne VorbotInnen undenkbar. 2.
Mobilität wird zelebriert.
Es ist richtig, dass Mobilität beispielsweise in Texten zelebriert wird, die Eisenbahn mit Fortschritt in Verbindung bringen oder dass das Nomadische beispielsweise in bestimmten Kunstkontexten widerständig und positiv aufgeladen wurde. Das bedeutet jedoch nicht, dass Mobilität generell durch die ProtagonistInnen des mobility turn gefeiert wird. Der mobility turn zeichnet sich vielmehr gerade dadurch aus, dass damit auch die Schattenseiten der Mobilität berücksichtigt werden. Sowohl bei Urry als auch bei Bauman und anderen ist an
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1 Mobilitäten
verschiedenen Stellen zu lesen, dass Mobilität ein Faktor sozialer Ungleichheit und als solcher in den wissenschaftlichen Blick zu nehmen ist. (Vgl. hierzu insbesondere Ohnmacht/Maksim/Bergman 2009) Und Cresswell verdeutlicht beispielsweise nicht nur anhand von Metaphern der Sesshaftigkeit, sondern auch anhand von Metaphern der Mobilität, welch problematische machtvolle Implikationen theoretische Konzepte haben können, die auf geografischen Metaphern beruhen. Was auch dagegen spricht, dass Mobilität unkritisch zelebriert wird, ist die Tatsache, dass die meisten Texte, die einen mobility turn diagnostizieren, von der raceclassgender-Triade durchzogen sind. Sie können – wie so viele andere – allenfalls aufgrund der gebetsmühlenartigen Wiederholung dieser Triade kritisiert werden und es wäre kritisch zu prüfen, inwiefern die Ungleichheitsbehauptung empirisch-analytisch eingelöst wird. 3.
Die Bedeutung von Orten, Strukturen und Immobilität wird vernachlässigt.
Immer wieder wird in Texten zum mobility turn betont, dass Immobilität konstitutiv für Mobilität ist, und es sind beispielsweise in Bezug auf Fortbewegungsmittel bereits eine Reihe von mobilitätsorientierten Studien – häufig an der Schnittstelle zwischen Sozial- und Ingenieurwissenschaften – entstanden, die die zugrunde liegende immobile Infrastruktur nicht nur berücksichtigen, sondern fokussieren. Es kann also keine Rede davon sein, dass Orte, Strukturen und Immobilität im Zuge des mobility turn vernachlässigt werden. Plausibel ist jedoch der Einwand, dass Immobilität unter den Vorzeichen des mobility turn immer nur in Bezug auf Mobilität thematisiert wird. Zudem fehlen Konzepte zur Erklärung des Wechselverhältnisses zwischen Mobilität und Immobilität. Vor diesem Hintergrund lässt sich die weiter oben angeführte Kritik Anna Tsings (2002) am Gebrauch der flow-Metapher auf den mobility turn generell übertragen, und es ist zu fragen, inwiefern darin ein neuer „Orientalismus“ angelegt ist, der auf der Dichotomisierung von Mobilität und Immobilität basiert. 4.
Mit dem mobility turn geht ein zu umfassender Erklärungsanspruch einher.
In einem weiter oben angeführten Zitat warnt Marshall Sahlins (2002) davor, dass neue Paradigmen schnell an Gewicht verlieren, weil sie einen zu weit reichenden Erklärungsanspruch haben. Der mobility turn ist nun in vieler Hinsicht umfassend. Erstens werden der Mobilität räumlich weder ins Kleine noch ins Große Grenzen gesetzt. Die Beschäftigung mit Weltraumflügen kann ebenso als Anzeichen eines mobility turn gefasst werden wie die Untersuchung von Virusinfektionen, was auch die disziplinäre Bandbreite verdeutlicht, die offenbar vom mobility turn erfasst wurde. Zweitens ist nicht nur Mobilität, sondern bereits das
1.7 Zweifel und Kritik am mobility turn
73
Potenzial zu Mobilität (motility) Gegenstand mobilitätsforscherischen Interesses (vgl. hierzu insbesondere Kaufmann 2002). Und drittens soll nicht nur Mobilität, sondern auch das Gegenteil davon, Immobilität, erfasst werden, wobei von den vielen Abstufungen dazwischen wenig die Rede ist (vgl. hierzu kritisch Kapitel 6). Möglicherweise liegt das Problem des mobility turn also weniger im inflationären Gebrauch von Mobilitätsbegriffen als in dem starken Fokus auf Dichotomien und Extreme. Ein weiteres Problem besteht darin, einerseits angesichts von Globalisierungsprozessen einen umfassenden Erklärungsanspruch zu reklamieren und andererseits – häufig ohne hinlängliche explizite Verortung – in der westlichen Moderne zurück zu bleiben und von hier aus universale Behauptungen aufzustellen. 5.
Die Metaphern, auf denen der mobility turn basiert, sind voreingenommen; der mobility turn bleibt in der westlichen Moderne zurück.
Einige der weiter oben angeführten Mobilitätsmetaphern wurden aufgrund ihres euro- und/oder androzentrischen Charakters kritisiert. Häufig liegen den Metaphern Vorstellungen von sozial privilegierten weißen, männlichen Reisenden zugrunde bzw. westliche Industrienationen fungieren als Maßstab und der Rest der Welt als Projektionsfläche. Selten wird die Situiertheit der Metaphern thematisiert. In den meisten Metaphern ist ein umfassender Erklärungsanspruch angelegt. Statt lokale Koordinaten anzugeben, werden globale Reichweiten behauptet. In einigen Fällen nehmen MobilitätstheoretikerInnen durchaus eine explizite Verortung ihrer Überlegungen vor. Sowohl Cresswell (2006, 10f.) als auch Bauman (2003, 20f.) grenzen ihre Überlegungen zu Mobilität beispielsweise dezidiert auf die Geschichte der westlichen Moderne ein und leiten ihre gegenwartsbezogenen Mobilitätstheorien – wenn auch in widersprüchlicher Weise – aus dem europäischen Mittelalter her (vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 3). Auch Mike Featherstone (1995, 127f.) betont die Notwendigkeit, Metaphern der Reise und der Bewegung als Teil der „kulturellen Tradition“ der westlichen Moderne zu analysieren. Ebenso fassen Canzler, Kaufmann und Kesselring (2008, 3) anknüpfend an John Urry und Ulrich Beck Mobilität als allgemeines Prinzip der („Zweiten“) Moderne. Wie sie allerdings zu der Behauptung kommen: „Only in modern societies can one find a positive connotation of mobility and social change“, bleibt unklar. Als Beleg dafür verweisen sie auf Michel de Montaigne und Johann Wolfgang von Goethe. Weitere Anhaltspunkte bringen sie nicht. Eine historische Verortung der eigenen Überlegungen ist wichtig, und dass sie in Europa liegt, ist nicht das Problem. Problematisch wird es erst, wenn diese Verortung mit einer Vereinnahmung von Mobilität als exklusivem Charakteristikum „des Westens“ einhergeht, die Mobilitäten über die Grenzen Europas
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1 Mobilitäten
hinweg und in anderen Teilen der Welt ignoriert bzw. sie – wie im Falle der Nomaden-Metapher – zur Projektion westlicher Mobilitätsvorstellungen heranzieht. Dieser westlichen Vereinnahmung von Mobilität halten die HerausgeberInnen des Bandes „Mobile Africa“ Mirjam de Bruijn, Rijk van Dijk und Dick Foeken (2001, 10) entgegen (vgl. hierzu auch Reichart-Burikukiye 2005), dass Mobilität für viele AfrikanerInnen zum Alltag gehört und das nicht erst seit der Kolonialzeit: „[F]or millions of Africans, being mobile is part of their daily experience. Some of these modern mobility patterns may be linked to recent developments in the wider world, i.e. the opening up of the international world, but also to such negative processes as the deterioration of the ecological environment. These present-day patterns can be compared to similar processes in Africa’s past, such as the slave trade, wars and ecological disasters.“ (De Bruijn/van Dijk/Foeken 2001, 4)
1.8 Fazit Bei allen Problemen, die die Diagnose eines mobility turn mit sich bringt, und bei aller Kritik an den zugrunde liegenden Metaphern, möchte ich mich hier nicht grundsätzlich davon distanzieren, sondern meine Arbeit vielmehr kritisch in diesen Kontext stellen. Für den mobility turn spricht meines Erachtens vor allem, dass es im Zuge eines verstärkten wissenschaftlichen Interesses für Mobilität in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten möglich wurde, Mobilitäten im Plural zu thematisieren und verschiedene Mobilitäten zueinander in Beziehung zu setzen. „Mobilities need to be understood in relation to each other“, meint Tim Cresswell (2006, 8), und auch Peter Adey (2010, 17) plädiert dafür, Mobilitäten relational zu verstehen. John Urry (2007, 48) stellt fest: „Social research typically focuses upon one of these separate mobilities and its underlying infrastructures and then generalizes from its particular characteristics. This new paradigm by contrast emphasizes the complex assemblage between these different mobilities that may make and contingently maintain social connections across varied and multiple distances.“
Der mobility turn birgt damit Möglichkeiten, an die nicht nur in der Kulturanthropologie angewendete, aber vor allem hier in den letzten Jahrzehnten vielfach kritisierte Methode des „Kulturvergleichs“ anzuknüpfen, indem nicht territoriale Einheiten verglichen, sondern Beziehungen zwischen verschiedenen Mobilitätsformen hergestellt werden. Auf der Repräsentationsebene wurden schon häufiger Bezüge zwischen verschiedenen Mobilitätsformen hergestellt. Insbesondere Konzepte zum Verständ-
1.8 Fazit
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nis von Wissenstransfer und Theoriebildung werden gerne mit Mobilitätsmetaphern angereichert (vgl. hierzu auch die Beispiele aus der europäischen Philosophiegeschichte weiter oben), wobei nicht nur Mobilität und Immobilität kontrastiert, sondern bisweilen auch verschiedene Mobilitätsformen gegeneinander abgewogen werden. Dieses „konzeptionelle Erbe“ gilt es zu reflektieren: „But an understanding of the history of concepts and metaphors of displacement in modernity brings these diverse mobilities into relation with one another. They cannot be reduced to the same thing, but they can be linked through representational legacies and political pasts and futures.“ (Kaplan 2002, 35)
Caren Kaplan verfolgt die Repräsentation diverser Mobilitäten in ihrem Verhältnis zueinander durch verschiedene Konzepte, mit denen die Reise von Theorien und Wissen veranschaulicht werden soll, was insbesondere auch vor dem Hintergrund der eingangs formulierten Definition von turns bedeutsam ist. In ähnlicher Weise wie Bachmann-Medick (2006) es im Hinblick auf die Erklärung von turns tut, haben sich diverse WissenschaftlerInnen mit der Reise von Konzepten beschäftigt und die so ablaufende Theoriebildung wiederum mit Mobilitätsmetaphern erklärt. Edward W. Said (1997, 263) zufolge reisen Ideen und Vorstellungen „von Mensch zu Mensch, von Situation zu Situation, von einer Epoche zur anderen“. Solche Übergänge geschähen nie reibungslos. Es sei daher zu klären, „ob eine Idee oder Theorie durch ihre Wanderung von einem Ort zum anderen, von einer Zeit zur anderen an Kraft gewinnt oder verliert und ob sie vielleicht in der einen geschichtlichen Phase und nationalen Kultur zu etwas ganz anderem wird als in einer anderen Phase oder Situation“.
Dabei betont er, dass Theorien immer unvollständig seien und aus dem Ort und der Zeit heraus verstanden werden müssten, in denen sie entstanden sind und auf die sie gewirkt und reagiert haben (vgl. ebd., 284). Ganz ähnlich formuliert es Mieke Bal (2002a, 11): „Begriffe sind […] nichts ein für allemal Feststehendes. Sie wandern: zwischen den Fächern, zwischen einzelnen Wissenschaftlern sowie zwischen historischen Perioden und geografisch verstreuten Gemeinschaften.“ Daher begreift Bal Begriffe als „Werkzeuge der Intersubjektivität“ (ebd., 10), die einen produktiven Austausch mit anderen ermöglichen und „in enger Interaktion mit den Objekten, um die es […] geht“ (ebd., 18), herausgebildet werden müssen. Damit dieser Austausch tatsächlich produktiv sein kann, müssen allerdings die Bedingungen berücksichtigt werden, unter denen Theorien wandern. So betont James Clifford (1989, 179):
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1 Mobilitäten „Theory is no longer naturally ‘at home’ in the West – a powerful place of Knowledge, History, or Science, a place to collect, sift, translate, and generalize. Or, more cautiously, this privileged place is now increasingly contested, cut across, by other locations, claims, trajectories of knowledge articulating racial, gender, and cultural differences. But how is theory appropriated and resisted, located and displaced? How do theories travel among the unequal spaces of postcolonial confusion and contestation? What are their predicaments? How does theory travel and how do theorists travel?“
Trotz dieser Reflexion über den Ort der Theorieproduktion sind bei Clifford genauso wie bei Said und Bal binäre, homogenisierende und empirisch nicht haltbare Gegenüberstellungen von verschiedenen Formen des Reisens festzustellen, die ihren Überlegungen zu Theorien und TheoretikerInnen auf Wanderschaft zugrunde liegen. So kritisiert Kaplan (1996) bei Clifford und Said die binäre Konstruktion von Exil/Diaspora versus Migration/Flucht. Die Exilerfahrung werde bei Said als einsame, bürgerliche Erfahrung von Distanz und Entfremdung an der Schnittstelle zwischen westlichen und nicht-westlichen kulturellen Elementen dargestellt, die dazu privilegiere, Großes zu denken. Demgegenüber würden Flüchtlinge zu einem gesichtslosen, politischen Massenphänomen jenseits der Welt von Literatur und Ästhetik gemacht. Ihrer Fähigkeit zu kultureller Produktion beraubt, würden sie zu passiven Opfern degradiert. (Vgl. ebd., 119ff.) Wenngleich Clifford in seiner Auseinandersetzung mit dem Terminus „Diaspora“ die Gegenüberstellung von Immigration und Exil/Diaspora in Frage stelle, sei auch bei ihm die Festschreibung eines entsprechend binären Modells festzustellen, das sich beispielsweise in der Gegenüberstellung von Globalisierung versus Nationalismus zeige. Während Clifford positiv hervorhebe, dass die diasporischen Subjekte, die im Zentrum seiner Ausführung stehen, territoriale und essentialistische Nationalismen ablehnten und transnationale Subjektivitäten und Vergemeinschaftungen bevorzugten, würden ImmigrantInnen im Gegensatz dazu so konstruiert, als ersetzten sie bloß eine nationale Identifikation durch eine andere. In ähnlicher Weise grenzen auch Gilles Deleuze und Félix Guattari (1992, 523ff.) Nomaden von Migranten ab. „Der Nomade ist durchaus kein Migrant, denn ein Migrant geht prinzipiell von einem Punkt zum anderen.“ (ebd., 523) Für 70 Nomaden hingegen sei das Dazwischen entscheidend. So soll sich Deleuze und Guattari (ebd., 519) zufolge auch das Denken nicht mehr – im Sinne der staatskonformen Wissensproduktion – von einem methodisch vorgegebenen Punkt
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Zu einer Kritik an dieser Gegenüberstellung vgl. auch Papadopoulos/Tsianos (2007, 224).
1.8 Fazit
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zum nächsten bewegen, sondern an irgendeinem Punkt aufgenommen und in beliebiger Richtung weitergesponnen werden. Auch Bal unterscheidet zwischen verschiedenen Mobilitätsformen zur Veranschaulichung des Wissenserwerbs. Sie grenzt ihre Vorstellung vom Reisen wertend und verallgemeinernd vom gemeinen Tourismus ab, wenn sie betont: „As a nostalgic leftover from colonialism, a destroyer of human and natural environments, and the privilege of the wealthier part of the world, tourism is no more than a superficial form of gaining knowledge-as-possession […]. Obviously, I would not wish to see an interdisciplinary travel with concepts mistaken for this kind of tourism.“ (Bal 2002b, 327)
Diese vereinfachte Gegenüberstellung von reflektiertem, interdisziplinärem Reisen und zerstörerischem, oberflächlichem Tourismus zur Veranschaulichung des Denkens ist bürgerlichen Dichotomien verhaftet und entbehrt ebenso einer nuancierten historischen Ausdifferenzierung wie die mystifizierende Gegenüberstellung von Exil/Flucht bei Said, Diaspora/Immigration bei Clifford oder Nomade/ Migrant bei Deleuze und Guattari. Auch in den aktuellen konzeptionellen Texten zum mobility turn wird der Bezug zwischen verschiedenen Mobilitätsformen meist durch maximale Kontrastierung hergestellt. Mobilität und Immobilität, arme Flüchtlinge und reiche Geschäftsreisende sowie Tourismus und Migration erscheinen so als Ausdruck diametral entgegengesetzter Mobilitäten.71 Es bedarf also nicht nur im Hinblick auf einzelne Mobilitätsmetaphern, sondern auch in Bezug auf die Art und Weise, wie sie zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, der empirischen Ausdifferenzierung. In dieser Arbeit sollen daher Mobilitäten empirisch in den Blick genommen und weniger polarisierend als vor allem hinsichtlich ihrer Verschränkungen, Bedingtheiten und Überschneidungen im Kontext des europäischen Mobilitätsregimes untersucht werden.
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Vgl. hierzu insbesondere Bauman (z.B. 1996, 662) sowie kritisch dazu Larsen/Jacobsen (2009, 92). Zu Mobilität als Faktor der Neustratifizierung der Welt vgl. außerdem Welz (1998a, 192), Brenssell (1999, 86) oder Ong (2005, 21).
2 Migration und Tourismus
Migrations- und Tourismusforschung – zwei Forschungsstränge, die sich explizit mit Mobilität auseinandersetzen – sind ungeachtet ihrer mobilen Forschungsobjekte lange Zeit weitgehend dem Ideal der Sesshaftigkeit verhaftet geblieben. So wurde Tourismus meist als temporäre Auszeit aus dem sesshaften Alltagsleben gefasst, und die TouristInnen wurden einer immobilen Lokalbevölkerung gegenübergestellt. Entsprechend galt Migration als vorübergehender Prozess der Wanderung von einem Ort der Sesshaftigkeit zu einem anderen, und Konflikte zwischen der „mitgebrachten Kultur“ der MigrantInnen und der „lokal verwurzelten Kultur“ der Aufnahmegesellschaft wurden bearbeitet. Forschungsleitend war in beiden Fällen ein Verständnis von Mobilität als Ausnahme, die wieder in die Normalität der Sesshaftigkeit übergeht: TouristInnen kehren schließlich nach Hause zurück, und MigrantInnen lassen sich idealer Weise dauerhaft in einer „neuen Heimat“ nieder. Aufbauend auf einer Vorstellung von Kultur als territorial gebunden wird Mobilität dabei zur Bedrohung: Tourismus gefährdet Authentizität und traditionelle Lebensweise in bereisten Kulturen, und MigrantInnen sind in Gefahr, kulturell entwurzelt einer Identitätskrise zu verfallen und so eine Bedrohung für die Kultur der Aufnahmegesellschaft darzustellen. (Vgl. Römhild 2002, 179ff.) Trotz vergleichbarer Gegenstände und Konzepte werden Migrations- und Tourismusforschung weitgehend getrennt voneinander betrieben. In den vergangenen Jahren wurden jedoch Ansätze entwickelt, die Migration und Tourismus als Bestandteile desselben Mobilitätskontinuums begreifen und von einer Verwischung der Grenzen zwischen verschiedenen Mobilitätsformen ausgehen (vgl. Hall/Williams 2002, 5). Dabei kann es passieren, dass ein und dieselbe Personengruppe in verschiedenen Studien mit unterschiedlichen Termini belegt und damit in verschiedene theoretische oder politische Kontexte eingeordnet wird, beispielsweise wenn der herkömmliche Begriff „tourists“ durch einen Begriff wie „leisure migrants“ (Böröcz 1996) ersetzt wird, oder wenn die einen mit „lifestyle migration“ meinen, was die anderen unter „residential tourism“ (O’Reilly 2007) verstehen bzw. wenn aus „temporary migrants“ „benefit tourists“ (Coles/Hall 2005) werden. Zusätzlich zu Forschungen, die eine bestimmte Form der Mobilität mit der ihr zugrunde liegenden Infrastruktur untersuchen, werden unter dem „neuen
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2 Migration und Tourismus
Mobilitätsparadigma“ vor allem auch solche Forschungen subsumiert, die die komplexe Assemblage verschiedener Mobilitäten in den Blick nehmen und die sozialen Beziehungen analysieren, die sie über verschiedene Distanzen produzieren und aufrechterhalten (vgl. Urry 2007, 48). Auch Ansätze, die die unterschiedliche Repräsentation verschiedener Mobilitätsformen fokussieren, können darunter gefasst werden (vgl. Kaplan 2002, 35; Kravagna 2004).1 Da die Beschäftigung mit mehreren verschiedenen Mobilitätsformen – und ihrer Repräsentation – vor allem auch in der Kunst seit einigen Jahren eine zunehmend wichtige Rolle spielt, sollen im Folgenden zunächst einige künstlerische Projekte zu Migration und Tourismus vorgestellt werden.2 Es gibt dabei eine Reihe von thematischen Überschneidungen zu den wissenschaftlichen Arbeiten, die ich anschließend vorstellen möchte. Hier wird auch meine eigene Forschung eingeordnet. Das Kapitel beschränkt sich jedoch nicht auf die Aufzählung empirischer Beispiele aus Kunst und Wissenschaft zu Migration und Tourismus, sondern berücksichtigt darüber hinaus im dritten Teil auch theoretische Konzepte aus der Migrations- und Tourismusforschung und fragt, wie diese für ein Verständnis des Wechselverhältnisses zwischen verschiedenen Mobilitätsformen angesichts der Infragestellung der lange Zeit territorial gedachten Großkonzepte Kultur und Gesellschaft nutzbar gemacht werden können. Die theoretischen Konzepte sind in Bezug auf ihre Bedeutung für meine eigene empirische Forschung ausgewählt, und es wird in späteren Kapiteln auf sie zurückgegriffen.
1 Für eine historische Perspektive auf die Verschränkung verschiedener Mobilitätsformen vgl. z.B. Estelmann (2007) oder Geoffrey/Sibley (2007, Part I). 2 Dass künstlerische Projekte hier gleichwertig neben wissenschaftlichen Arbeiten stehen, ist unter anderem der Krise der Repräsentation der 1980er Jahre zu verdanken, durch die der Wahrheitsanspruch ethnografischer Texte problematisiert wurde (vgl. hierzu insbes. Marcus/Fischer 1986). Dabei wurde nicht nur das Deutungsmonopol westlicher WissenschaftlerInnen in Frage gestellt, sondern auch herausgearbeitet, dass wissenschaftlichen Texten kein prinzipiell höherer Wahrheitsgehalt zugesprochen werden kann als anderen Repräsentationsformen, z.B. künstlerischen. Freilich verfügt auch die Kunst nicht über das „Monopol des repräsentativen Bildes“ (vgl. hierzu z.B. Peter Weibel unter http://hosting.zkm.de/icon/stories/storyReader$33, letzter Zugriff: 8/2009), und es wäre denkbar, weitere Repräsentationsformen zu berücksichtigen. Da jedoch das Wechselverhältnis von Migration und Tourismus in den letzten Jahren vor allem in künstlerischen sowie in sozial- und kulturwissenschaftlichen Arbeiten thematisiert wurde, wobei man insbesondere in der Kunst auch die Repräsentation unterschiedlicher Mobilitätsformen reflektierte, möchte ich mich auf diese beiden Felder beschränken. Ziel von Kapitel 2.1 und 2.2 ist es nicht, die genannten Arbeiten umfassend zu analysieren. Es geht lediglich darum, die Bandbreite der Themen aufzuzeigen, die unter der Überschrift „Migration und Tourismus“ verhandelt werden, um meine eigene Forschung einordnen zu können.
2.1 Künstlerische Projekte
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2.1 Künstlerische Projekte zu Migration und Tourismus 2.1 Künstlerische Projekte Sowohl die Arbeit „Passagen“ von Lisl Ponger (Abb. 1) als auch das Projekt „Saisonstadt“ von Michael Zinganel et al. (Abb. 6) waren 2005 in der Ausstellung „Projekt Migration“ des Kölnischen Kunstvereins zu sehen. „Saisonstadt“ thematisiert die Situation ausländischer Saisonarbeitskräfte in einem Tiroler Schigebiet3, und in „Passagen“ geht es um die Dominanz des „touristischen Blicks“, der andere Reiseerfahrungen in den Hintergrund drängt. Während auf der Bildebene Assoziationen an die touristische Reise geweckt werden, wird über eine nicht synchron laufende Tonspur eine andere, weniger sichtbare Reiseerfahrung – die der illegalen Grenzüberquerung – wiedergegeben. (Vgl. hierzu von Osten 2007, 169ff.)
Abbildung 1:
Lisl Ponger, „Passagen“ (1996), 35 mm, 12 min.
3 Mehr dazu unter 2.2. Ähnlich wie Zinganel et al. in der „Saisonstadt“ befasst sich auch Pia Schauenburg (2006) mit Saisonarbeit und Tourismus in Österreich. In einem Tourismusort in der Nähe Kitzbühls hielt sie sich als Kellnerin und als Schitouristin auf. In ihrer Ausstellung „Die Deutschen kommen! Ein Stück in zwei Akten“ im KunstRaum Goethestraße in Linz thematisierte sie in Videoinstallationen, einer Postkartenwand und Fotoserien mit tagebuchähnlichen Notizen die parallel verlaufenden Ströme von TouristInnen und SaisonarbeiterInnen aus Deutschland in die österreichischen Alpen. (Vgl. http://www.piaschauenburg.net/, letzter Zugriff: 8/2009) Mit einer Autobahnraststätte als Kreuzungspunkt unterschiedlicher transalpiner Mobilitätsprojekte beschäftigen sich Michael Hieslmair, Maruša Sagadin und Michael Zinganel in ihrem Projekt „EXIT St. Pankraz – KERBL Ges.m.b.H.s. Eine Gaststätte als Knotenpunkt transnationaler Migrationsrouten“, einer Installation zum Festival der Regionen in Oberösterreich in 2007. Mehr dazu unter http://hieslmair.wordpress.com/2007/07/27/abstract/ (letzter Zugriff: 8/2009).
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2 Migration und Tourismus
Die an der Straße von Gibraltar aufgenommenen Fotografien Yto Barradas (Abb. 2) spielen ebenfalls mit Assoziationen zu verschiedenen Mobilitätsformen, die von bestimmten Bildern hervorgerufen werden. Die Fotografien zeigen Räume, welche gleichermaßen mit touristischen wie migrantischen Bedeutungen aufgeladen sind. Sie waren unter anderem in der „All inclusive“-Ausstellung (2008) zum Thema Tourismus in der Kunsthalle Schirn in Frankfurt am Main zu sehen.
Abbildung 2:
Yto Barrada, „Bay of Tangier“ (2002), c-print, 80 x 80 cm.
Während bei der Kölner Migrationsausstellung und der Frankfurter Tourismusausstellung der Verweis auf Zusammenhänge zwischen Migration und Tourismus auf einige wenige Exponate beschränkt war, wurden bei den Ausstellungsprojekten „Routes – Imaging Travel and Migration“ und „Backstage*Tourismus“ dezidiert verschiedene Mobilitätsformen in ihrem Verhältnis zueinander in den Blick genommen. Die Ausstellung „Routes“, die Christian Kravagna 2002 für den Grazer Kunstverein kuratierte, befasste sich mit Bildern, die durch Reisen erzeugt werden und weitere Reisen auslösen. Kravagna fragte, inwieweit dieser Fundus der Imaginationen bis heute durch Jahrhunderte der Kolonialisie-
2.1 Künstlerische Projekte
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rung geprägt ist. Er ging davon aus, dass Reisen und Reisebilder nicht nur koloniale Machtverhältnisse stabilisieren, sondern auch eine zentrale Rolle in ihrer postkolonialen Dekonstruktion spielen. Wesentlich war dabei die Annahme, dass die fundamentalen Veränderungen im Zuge von Globalisierungsprozessen Ende des 20. Jahrhunderts lange Zeit privilegierte und normierende Reiseformen (vom westlichen Zentrum in die Peripherie und zurück) relativiert haben. Dementsprechend geht es in den meisten künstlerischen Arbeiten in „Routes“ darum, verschiedene Mobilitätsformen und die Art ihrer Repräsentation zu einander in Beziehung zu setzen. Dies trifft insbesondere auf die Arbeiten von Gülsün Karamustafa, Emily Jacir und Zeigam Azizov zu. In dem von Peter Spillmann und Michael Zinganel initiierten transdisziplinären Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Backstage*Tourismus“ standen schließlich die Zusammenhänge der beiden Mobilitätsformen Migration und Tourismus ganz explizit im Zentrum. Die Initiatoren griffen auf die Bühnenmetapher von Dean MacCannell (1973) zurück und riefen in einem call for entries zu einer Beschäftigung mit den Hinterbühnen des Tourismus auf. Im Rahmen dieses Projektes fand 2004 ein vom informationszentrum 3. welt (iz3w) organisierter Workshop zu „Tourismus*Rassismus*Migration“ in Freiburg sowie eine Ausstellung mit dem Titel „Wellness World I“ im Forum Stadtpark Graz statt. Zudem entstand eine Publikation (Backstage*Tours 2004), die die Reaktionen auf den call for entries versammelt. Die folgenden künstlerischen Projekte in dieser Publikation befassen sich mit Migration und Tourismus.4 In gleich zwei Projekten wurden Konzepte für alternative Städtereisen entworfen, in denen sich migrantische und touristische Routen durchkreuzen. Unter dem Titel „Culturareisen/v11“ (2004, 35) wurde in Wien lebenden MigrantInnen eine Stadtführung entlang der üblichen touristischen Stationen angeboten, so dass sie die ihnen zugewiesenen Zonen der Stadt verlassen und in eine Rolle schlüpfen konnten, die normalerweise nicht für sie vorgesehen ist. Joachim Hainzl (2004, 39) schlug mit „STIG/MA“ drei verschiedene Touren durch Graz vor, die die Kulturhauptstadt von einer Seite zeigen, die TouristInnen sonst nicht zu sehen bekommen. Tour 3 bestand darin, gemeinsam mit einem Österreicher afrikanischer Herkunft auf „Beisltour“ zu gehen und alltägliche Diskriminierungen am eigenen Leib zu erfahren. Mehrere KünstlerInnen konzentrierten sich auf die migrantischen Beschäftigten hinter den Kulissen des touristischen Bühnenspektakels. Mirela Seva (2004, 55) fotografierte für ihr Projekt „Wie wohn(t)en die DienstleisterInnen?“ 4 Neben künstlerischen Projekten sind in „Backstage*Tours“ auch eine Reihe wissenschaftlicher Texte zu Migration und Tourismus versammelt. Mit Zusammenhängen zwischen Migration, Tourismus und Rassismus beschäftigen sich beispielsweise Backes (2004a+b), Geller (2004), Lenz (2004) und Terkessidis (2004a).
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2 Migration und Tourismus
Zimmer in Hotels an der montenegrinischen Küste, in denen SaisonarbeiterInnen aus Serbien, Montenegro und dem serbischen Teil Bosniens untergebracht waren. Christoph Oertli (2004, 71) begab sich für seinen Dokumentarfilm „no sunday no monday“ unter die Wasserlinie eines Urlaubsschiffes und sprach mit einigen der 300 Angestellten aus 21 verschiedenen Ländern. Auch eine Forschungsgruppe am Institut für Gebäudelehre der TU Graz (2004, 30) plante eine Beschäftigung mit modernen Kreuzfahrtschiffen und ihrer sozialräumlichen Hierarchie, die von den großen Außenkabinen für wohlhabende TouristInnen bis zu kleinen Innenkabinen für SaisonarbeiterInnen aus Niedriglohnländern reicht. Und Peter Spillmann, Marion von Osten und Michael Zinganel (2004, 57) legten eine Synopsis für ein Filmprojekt vor, das um ein groß angelegtes touristisches Bauvorhaben kreist, welches durch einen Aufstand im Backstage-Bereich bedroht wird, wo sich die migrantischen SaisonarbeiterInnen zum Kampf für bessere Lohn-, Arbeits- und Aufenthaltsbedingungen verbünden. Ein weiterer Schwerpunkt der Projekte lag auf dem Zusammentreffen unterschiedlicher mobiler Gruppen in mediterranen Küstenregionen. Moni K. Huber (2004, 70) montierte Standbilder aus einem Videoessay über „Touristen und Vagabunden“ in Küstenregionen Spaniens und Marokkos ineinander und überarbeitete sie mit Aquarellfarben. Angelika Levi (2004, 73) arbeitete an einem filmischen Essay über die Überschneidungen der unterschiedlichen Reiseräume von EinwohnerInnen, TouristInnen und MigrantInnen an der Costa Brava und in Barcelona. Christoph Euler und Irene Lucas (2004, 72) wollten sich in ihrem Projekt „Supervision of Paradise“ mit den Ferien- und Altersdomizilen von NordeuropäerInnen beschäftigen, die von migrantischen Arbeitskräften an der Costa Blanca errichtet werden. Die Bauprojekte der Tourismusindustrie interessierten auch Tom Holert (2004, 73). In dem Projekt „Hotel, Container, Zelt“ thematisierte er die verschiedenen Architekturen und Infrastrukturen für mobile Personen, und Sabine Hess und Serhat Karakayal (2004, 54) arbeiteten gemeinsam mit Ebru Karaca an einem Film über ein Hotel an der türkischen Riviera, das nicht nur deutsche und russische TouristInnen beherbergte, sondern auch einige Zimmer an die Polizei vermietete, die dort Flüchtlinge und MigrantInnen festhielt, bis entschieden war, ob sie freigelassen oder abgeschoben wurden. Fast alle der geschilderten Projekte haben auf die eine oder andere Weise damit zu tun, dass die Unterzeichnerstaaten des Schengener Abkommens Binnenmigration erleichtert haben und gleichzeitig auf eine stärkere Abschottung der äußeren Grenzen der Europäischen Union hinwirken. Cord Pagenstecher (2004c, 42) hat sich vor diesem Hintergrund die Frage gestellt: „Schengen-Europa fürchtet den Ansturm aus aller Welt. Was ist sehenswert in Schengen, Europa?“ Um dies herauszufinden, fuhr Pagenstecher in das an der Mosel gelegene
2.1 Künstlerische Projekte
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luxemburgische Schengen, das dem Abkommen seinen Namen gab, und erkundete den Ort im Hinblick auf sein touristisches Potenzial. Auch über die genannten Ausstellungsprojekte hinaus, wurden Zusammenhänge von Migration und Tourismus im Kontext des Schengener Abkommens in künstlerischen Projekten bearbeitet. Die KünstlerInnengruppe andcompany&Co. verfolgte beispielsweise in ihrem Theaterstück „europe an alien“ (Abb. 3), wie Schengen-Europa mit seinen verschiedenen Mobilitätsmöglichkeiten und -beschränkungen sich in einem konkreten EU-europäischen Grenzgebiet – Thrakien – materialisiert, das von verschiedenen AkteurInnen in unterschiedlicher Weise genutzt wird. Die DarstellerInnen wechseln im Verlauf des Stückes mehrfach ihre Rollen – mal sind sie Öko-TouristInnen und bestaunen Vögel mit seltsamen Namen, mal sind sie illegale EinwanderInnen und verstecken sich hinter einem Baum vor den Scheinwerfern der Grenzkontrolle. Auch die BeobachterInnenposition der ZuschauerInnen verändert sich dabei – das Fernglas auf ihren Sitzen wird mal zum ornithologischen Hilfsmittel und mal zum Instrument der Grenzsicherung.
Abbildung 3:
andcompany&Co., „europe an alien“, Theater Gasthuis, 4.11.2005.
Eine andere Außengrenze der EU im Süden fokussiert der Film „Sudeuropa“ von Raphaël Cuomo und Maria Iorio von 2006.5 Der Film zeigt, wie sich nationale 5 Vgl. http://media.region-fn.de/triennale/web-content/11_Kuenstlerseiten/Cuomo_Ioro.html (letzter Zugriff 8/2009).
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2 Migration und Tourismus
und europäische Migrationspolitiken auf der italienischen Insel Lampedusa materialisieren, die gleichzeitig eine beliebte Tourismusdestination ist. Im Zentrum des Films steht die journalistische Bildproduktion, die einerseits zu einer Überrepräsentation der Flüchtlingsproblematik in europäischen Medien geführt hat und andererseits zu einer Verunsichtbarung der „Illegalen“ im Sinne lokaler wirtschaftlicher und politischer Interessen beiträgt, die den Tourismus nicht gefährden wollen. An dieser Stelle möchte ich auch auf eine Werbekampagne der polnischen Tourismuszentrale verweisen, die auf den Wegfall der Binnengrenzen im Schengenraum und seine Konsequenzen anspielt: In Reaktion auf die in Frankreich geschürte Angst vor Billiglohnkonkurrenz infolge der EU-Osterweiterung, die sich insbesondere gegen polnische Klempner richtete, entwarf die Behörde Plakate und T-Shirts mit dem Bild eines jungen, attraktiven als Klempner ausstaffierten Mannes. Das Bild war überschrieben mit dem Satz: „Je Reste en Pologne – Venez nombreux“ (Abb. 4). Zudem wurde das Bild einer jungen Frau verwendet, die eine polnische Krankenschwester darstellte. Überschrieben war dieses Plakat mit: „Pologne: Je t’attend“. (Vgl. Le Monde vom 4.8.2005)
Abbildung 4:
„Polish Plumber“ (2005), Plakat der polnischen Tourismuszentrale.
Inwiefern Migration und Tourismus auch auf der Ebene individueller Reiseerfahrungen aufeinander verweisen, zeigen einige Werke von Julia Bernstein. Bernstein forschte über jüdische MigrantInnen aus der ehemaligen Sowjetunion
2.1 Künstlerische Projekte
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in Israel und Deutschland (vgl. hierzu auch Bernstein 2006) und verarbeitete einige ihrer Erkenntnisse in Collagen, wobei sie Verpackungen von russischen Lebensmitteln und andere Materialien benutzte, die für viele MigrantInnen mit Erinnerungen oder Hoffnungen verbunden sind bzw. waren. Ihre Collage „Auf den Spuren der Ausreisenden“ (Abb. 5) thematisiert den Bedeutungswandel, den touristische Souvenirs erfahren, wenn sie in den Wohnungen von MigrantInnen zum Einsatz kommen.
Abbildung 5:
Julia Bernstein, „Auf den Spuren der Ausreisenden“ (2006), Collage.
Über das Bild schreibt Bernstein (2007) selbst: „’Auf den Spuren der Ausreisenden’, so heißt der Artikel aus der russischen Zeitung, den der auf der Collage dargestellte Mensch liest. Diese Collage macht die Zusammenhangslosigkeit des Interieurs in der Wohnung vieler Migranten zum Thema. Sie wird offensichtlich dadurch, dass die Menschen ihre Räume mit Objekten dekorieren, die in der früheren Sowjetunion als Souvenirs für ausländische Touristen bestimmt waren: Balalaikas, Matroschkas, Samoware, Holzlöffel oder -brettchen mit darauf gemalten folkloristischen Motiven. Solche Dinge spielten im normalen Alltag der hoch ausgebildeten, großstädtischen Gruppe, zu der die meisten der jüdischen Migranten gehören, so gut wie keine Rolle. Vor der Ausreise, die von manchen sorgfältig vorbereitet wurde, bei anderen hektisch und flüchtig war, stellte sich immer die zentrale Frage: ‚Was sollte ich/sollten wir ins Ausland mitnehmen?’ Häufig
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2 Migration und Tourismus wurden, zusammen mit den persönlich und objektiv wichtigen Dingen auch die Symbole, die ‚Mütterchen Russland’ in der Welt klischeehaft verkörpern, als mögliche Geschenke gekauft und nach Deutschland mitgebracht. Die Fotos, die auf der Collage die Tischdecke bilden, zeigen diese Objekte, die die Migranten nach ihrer Ankunft dann doch behielten. […] Die Gegenstände haben ihre ursprüngliche Bedeutung als ‚Souvenirs’ oder ‚Touristensymbole’ verloren, die Migranten selbst sind zu Ausländern, zu Beschenkten geworden. Die Objekte sind Relikte der Ausreise.“6
2.2 Sozial- und kulturwissenschaftliche Studien zu Migration und Tourismus 2.2 Sozial- und kulturwissenschaftliche Studien Überschneidungen von Tourismus und Migration wurden in den letzten Jahren auf verschiedenen Konferenzen und Workshops thematisiert7, und es sind einige Publikationen dazu entstanden. Die Geografen C. Michael Hall und Allan M. Williams gehören mit ihrem 2002 herausgegeben Sammelband „Tourism and Migration“ vermutlich zu den Ersten, die Überlegungen zur systematischen Verknüpfung von Tourismus- und Migrationsforschung angestellt und empirische Forschungen zum Thema zusammengetragen haben. Die Aufsätze werden folgenden drei Bereichen zugeordnet: Tourismus und Arbeitsmigration, Tourismus und Konsummigration, Visiting Friends and Relatives (VFR)-Tourismus. Ein Aufsatz beschäftigt sich beispielsweise mit der Ausdehnung des Tourismussektors in Ungarn nach 1989, der zu einer Binnenmigration von Arbeitskräften aus wirtschaftlich schwächeren Regionen beitrug. In einem weiteren Aufsatz geht es um das Jobben als wesentlichem Bestandteil der Reisen junger NeuseeländerInnen, das ihre Einordnung als TouristInnen problematisch macht. Des Weiteren wird die Bedeutung von koreanischen Unternehmen in Australien und Neuseeland für koreanische TouristInnen thematisiert. Zudem gibt es Untersuchungen zur zeitweiligen oder dauerhaften (Re-)Migration von Menschen aus Industrie6
Bildbeschreibung aus der Ausstellung des Aktiven Museums Spiegelgasse für deutsch-jüdische Geschichte in Wiesbaden e. V. im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst vom 27.9. bis 13.10.2007. 7 Siehe z.B. „Voyage, Tourisme et Migration“, Colloque Université Paris-Dauphine et Université Paris 13, 1.-2.6.2006; „Tourism and migration“, Panel auf der Jahrestagung der Association of Social Anthropologists of the UK and Commonwealth (ASA), London Metropolitan University, 10.13.4.2007; „Tourismus und Migration“, Panel auf der Konferenz „Topologien des Reisens“, Universität Trier, 1.-3.6.2007; „Movilidades en un mundo transcultural: inmigrantes, turistas y residentes europeos“, Symposium an der Universidad Miguel Hernández de Elche, 23.-25.4.2008; „Intercultural mobilities in tourism context“, Panel auf der Konferenz der European Association of Social Anthropologists (EASA), Ljubljana 2008, 26.-29.8.2008; „Migration and Tourism“, Panel auf der Konferenz „Tracing the new mobilities regimes“, Akademie der Bildenden Künste München, 16.17.10.2008.
2.2 Sozial- und kulturwissenschaftliche Studien
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nationen in klassische Reiseländer, und in mehreren Aufsätzen beschäftigen sich die AutorInnen mit Besuchsreisen von FreundInnen und Verwandten, die durch Migration und Tourismus ausgelöst werden. Die hier versammelten empirischen Untersuchungen verdeutlichen bereits, wie groß das Spektrum der Phänomene ist, die sowohl touristische als auch migrantische Aspekte beinhalten, und es wird ersichtlich, dass eine eindeutige Zuordnung zu Migration oder Tourismus oftmals kaum möglich ist. Hall und Williams lehnen daher herkömmliche Definitionen von Migration und Tourismus ab, möchten aber nicht auf eine Typologisierung verzichten. Darum weichen sie auf eine Unterteilung in produktions- und konsumgeleitete Formen der Mobilität aus, die allerdings nicht minder problematisch ist.8 Im Grunde reproduzieren sie mit ihrer Typologie die abstrakte Dichotomisierung von Migration und Tourismus auf anderer Ebene. Die Autoren gehen davon aus, dass MigrantInnen und TouristInnen aus verschiedenen Ländern kommen, was aber gar nicht unbedingt der Fall ist. So stoßen in Griechenland russische TouristInnen auf russische VerkäuferInnen, und in den österreichischen Alpen treffen deutsche TouristInnen auf deutsche KellnerInnen. Zudem ist diese Typologisierung nur durch verfälschende Verallgemeinerungen und Vereinfachungen möglich. So werden die Mobilitätsbeschränkungen für Asylsuchende und „ökonomische Flüchtlinge“ als Ausnahmen in einer ansonsten grenzenlos mobilen Welt gefasst (ebd., 17), und zentrale Mobilitätskriterien wie Staatsangehörigkeit werden aufgrund ihrer Komplexität explizit ausgeklammert (ebd., 26). Anstelle einer kontextfreien Aufzählung von Überschneidungen und einer abstrakten Katalogisierung verschiedener Mobilitätsformen sollen im Folgenden einige in den letzten Jahren entstandene empirische Arbeiten zu Migration und Tourismus vorgestellt werden, die verschiedene Länder diesseits und jenseits der EU-Außengrenze – insbesondere den Mittelmeerraum – als Zentren der Mobilität „entdeckt“ haben.9 8 Die Kategorisierung verschiedener Mobilitätsformen als entweder konsum- oder produktionsgeleitet ist problematisch, da sie die eindeutige Zuordnung von Mobilität als entweder Migration oder Tourismus mit anderen Begriffen wieder festschreibt. Krystyna Romaniszyn (2000) kann im Gegensatz dazu am Beispiel der Arbeitsmigration von Polen nach Griechenland, Spanien und Italien zeigen, dass gerade Konsumtheorien zum Verständnis von Arbeitsmigration beitragen können. Umgekehrt verdeutlichen Beiträge aus dem Sammelband von Hall und Williams, dass aus konsumgeleiteten TouristInnen unterwegs Arbeitssuchende werden können. Die Vereindeutigung von Mobilität als konsum- oder produktionsgeleitet wird der Komplexität der Mobilitätsformen also nicht gerecht, ebenso wenig wie die vereinfachte Unterscheidung von Migration und Tourismus als entweder Arbeits- oder Erholungssuche mit dem gemeinsamen „pull“-Faktor „Not“ und „Armut“ – im ersten Fall in wirtschaftlicher, im zweiten Fall in zwischenmenschlicher Hinsicht (Katsoulis 2002, 18f.). 9 Freilich ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit Migration und Tourismus nicht auf Europa beschränkt. Ein interessantes Beispiel der Überschneidung dieser beiden Mobilitätsformen außerhalb Europas ist insbesondere „ethnischer Tourismus“ in US-amerikanischen Großstädten. Catherine
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2 Migration und Tourismus
Der Aufsatz des Geografen Pere A. Salvà-Tomàs (2002) aus dem Sammelband von Hall und Williams reißt am Beispiel der Balearen eine Vielzahl von Zusammenhängen zwischen Tourismus und Migration in Südeuropa an. Mit der touristischen Erschließung der Balearen gingen Salvà-Tomàs zufolge von Anfang an Migrationsbewegungen einher. Während die Balearen bis in die 1950er Jahre hinein eine Region der Emigration gewesen seien, habe sich die Situation mit dem aufkommenden Tourismus Mitte der 1950er Jahre verändert. Es sei zunächst zu einer innerinsularen Migration von ländlichen in städtische und touristische Gegenden gekommen. Mit der zunehmenden Zahl von TouristInnen habe bald darauf eine interinsulare Migration von den anderen Balearen-Inseln nach Mallorca eingesetzt, wo sich der Tourismus zunächst vor allem konzentrierte. Die rapide Entwicklung des Massentourismus in den 1960er, -70er und -80er Jahren habe eine erhöhte Nachfrage nach Arbeitskräften mit sich gebracht, die durch Immigration aus verschiedenen Regionen des spanischen Festlands, insbesondere aus Andalusien, befriedigt worden sei.10 Mit Beginn der 1990er Jahre sei die Migrations- und Tourismusentwicklung komplexer geworden. Es hätten sich neue Formen der Migration entwickelt, die Salvà-Tomàs folgendermaßen systematisiert: Er unterscheidet konsumgeleitete Nord-Südmigration von EU-EuropäerInnen, die die Balearen als Altersruhesitz wählten, und produktionsgeleitete Arbeitsmigration in verschiedene Richtungen: Nord-Süd-Migration von als qualifiziert geltenden Arbeitskräften aus EU-Europa und Süd-Nord-Migration von als unqualifiziert geltenden, häufig illegalen Arbeitskräften aus Afrika, Lateinamerika und Asien. Nach einem kurzen Einbruch Anfang der 1990er Jahre hätte sich der Tourismussektor ab 1992 wieder erholt. Auch der Bausektor habe insbesondere aufgrund der zunehmenden Errichtung von Zweitwohnsitzen für EU-EuropäerInnen, die zu einer gesteigerten Nachfrage nach Arbeitskräften für arbeitsintensive Bautätigkeiten führte, neuen Schwung bekommen. Diese Entwicklung habe zu einer Intensivierung der Süd-NordCocks (2001) zeigt beispielsweise, wie sich einhergehend mit der Romantisierung ethnischer Minderheiten um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert unter wohlhabenden weißen AmerikanerInnen ein touristisches Interesse an vornehmlich von MigrantInnen bewohnten städtischen Slums entwickelte. Die Beiträge in dem Sammelband von Jan Rath (2007) konzentrieren sich hingegen auf die gegenwärtig zu beobachtende Kommodifizierung ethnischer Vielfalt im Kontext einer urbanen Tourismusindustrie durch migrantische UnternehmerInnen in Großstädten in den USA, Australien und Europa. Einen anderen geografischen und inhaltlichen Schwerpunkt in der Auseinandersetzung mit Migration und Tourismus legt die Forschung von Pál Nyíri (2010). Der Autor arbeitet heraus, inwiefern der chinesische Staat seit einigen Jahren sowohl in der transnationalen Migration als auch im Binnentourismus seiner BürgerInnen Potenzial zur Untermauerung seiner nationalistischen und rassistischen Ideologie erkannt hat. 10 Zur Binnenmigration von vorwiegend weiblichen SaisonarbeiterInnen aus ländlichen Regionen Spaniens an die Costa Brava und die Konsequenzen für gewerkschaftliche Organisation vgl. auch Lever (1987).
2.2 Sozial- und kulturwissenschaftliche Studien
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Migration von illegalen ImmigrantInnen vorwiegend aus Marokko und anderen afrikanischen Ländern geführt. Was Salvà-Tomàs für die Balearen beschreibt, kann in einigen Aspekten als exemplarisch für Tourismusdestinationen im europäischen Mittelmeerraum gelten, bedarf allerdings einiger weiterer Kontextualisierungen und Ausdifferenzierungen. Susan Buck-Morss arbeitet in ihrem 1987 erschienenen Aufsatz über die Transformation eines kleinen, landwirtschaftlich geprägten, kretischen Dorfes in eine Touristenhochburg den Zusammenhang zwischen Migration und Tourismus vor dem Hintergrund ökonomischer Ungleichheit zwischen den Industrieländern Nordeuropas und der südeuropäischen „Vergnügungsperipherie“ heraus. Sie hat damit lange vor der verdichteten Aufmerksamkeit der letzten Jahre ein Zusammendenken von Migration und Tourismus eingefordert und begonnen. Wie Buck-Morss beschäftigen sich beispielsweise auch die Studien von Gisela Welz (2000) über Zypern, Regina Römhild (2002) über Kreta, Raluca Nagy (2006) über Rumänien und Nataša Gregori Bon (2007) über Albanien mit RemigrantInnen oder „GastarbeiterInnen“ auf Familienbesuch, die als „Cultural Broker“ im Tourismus agieren und nicht selten selbst zu TourismusunternehmerInnen werden. Dabei profitieren sie von dem kulturellen Kapital, das sie als „GastarbeiterInnen“ in den nord- und westeuropäischen Herkunftsländern der TouristInnen erworben haben. Durch ihre Arbeitsaufenthalte dort können sie besser einschätzen, was TouristInnen von ihrem Urlaub erwarten und welche Art der Dienstleistung gefragt ist. Ähnliche Kompetenzen bringen auch ehemalige Touristinnen (meist Frauen) aus Nord- und Westeuropa mit, die an ihrem Urlaubsort eine Beziehung eingehen und dort sesshaft werden bzw. „Gastarbeiter“ zurück in ihre Herkunftsländer begleiten. Während diese Aufsätze größtenteils unter dem Eindruck der sogenannten „GastarbeiterInnenmigration“ der 1960er und -70er Jahre und der späteren -remigration geschrieben wurden, lässt sich in anderen Arbeiten ein weiterer Schwerpunkt der Thematisierung von Migration und Tourismus ausmachen, der sich mit Arbeitsmigration und Tourismus im Kontext des post-fordistischen Mobilitätsregimes im Schengenraum der 1990er Jahre und später beschäftigt.11 11 Arbeitsmigration ist freilich nicht nur in europäischen Tourismusregionen zu beobachten. So beschäftigt sich Martina Backes (2006) mit migrantischen Beschäftigten in verschiedenen nichteuropäischen Tourismusdestinationen und arbeitet Kontinuitäten zwischen dem kolonialen und dem touristischen Blick heraus. Patricia A. Adler und Peter Adler (2004) untersuchen die differenzierte Stratifizierung von Bediensteten nach race, class, gender und age in Luxushotels auf Hawaii, und Claudia Liebelt (2008) zeigt am Beispiel von Pilgerfahrten, die philippinische Pflegekräfte in Israel unternehmen, wie eine touristische Praxis von Arbeitsmigrantinnen als Statusaufwertung erlebt wird. Nupur Gogia (2006) stellt hingegen mit kanadischen Rucksackreisenden in Mexico City und mexikanischen LandarbeiterInnen in Toronto unterschiedliche Mobilitätsbedingungen und -motive von TouristInnen aus dem globalen Norden und ArbeitsmigrantInnen aus dem globalen Süden einander
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2 Migration und Tourismus
Bruno Riccio (2000) untersucht beispielsweise senegalesische Straßenhändler in touristisch geprägten italienischen Küstenregionen, die aufgrund der von Italien umgesetzten Abschottungspolitik der EU meist illegal einreisen und arbeiten müssen. Auch in meiner Forschung geht es um migrantische StraßenhändlerInnen und verschiedene andere nicht-griechische DienstleisterInnen, deren Mobilitäts- und Arbeitsmöglichkeiten in Griechenland durch das europäische Mobilitätsregime eingeschränkt werden (vgl. Kapitel 4 sowie Lenz 2004, 2007a). In Kapitel 5 werde ich am Beispiel von nicht-zypriotischen Arbeitskräften in touristischen Betrieben auf Zypern zeigen, dass der EU-Beitritt eines Landes nicht nur die Einreisebedingungen für die einen erleichtert und für die anderen erschwert, sondern auch unter bereits im Land lebenden ArbeitsmigrantInnen neue Hierarchien produziert (vgl. hierzu auch Lenz 2009). Einen ähnlichen Befund arbeiten auch Zinganel et al. (2006) in ihrem Buch „Saison Opening“ (Abb. 6) heraus. Infolge des österreichischen EU-Beitritts waren SaisonarbeiterInnen aus den ehemaligen Kronländern der Monarchie in Österreich nicht länger erwünscht und wurden sukzessive durch EU-BürgerInnen ersetzt. Auch Julie Scott (1995) thematisiert in ihrer Studie über rumänische Croupiers in der türkischzypriotischen Tourismusindustrie die Bedeutung migrantischer Arbeitskräfte im Tourismussektor. Dabei wird deutlich, dass Arbeitsplätze im Tourismussektor nicht nur rassistisch, sondern auch sexistisch segmentiert sein können, was meine Untersuchung bestätigt (vgl. hierzu insbes. Kapitel 5).12 Mit albanischen Arbeitskräften auf der griechischen Urlaubsinsel Santorini beschäftigt sich Antonia Noussia (2003). Sie kann mit ihrer Forschung zeigen, wie die AlbanerInnen in Griechenland entgegen der öffentlichen Meinung zur Bewahrung des kulturellen Erbes – einem wichtigen Attraktivitätsfaktor für TouristInnen – beitragen.
gegenüber. Neben sozialkritischen Arbeiten wie diesen, die eher den Blickwinkel der abhängig Beschäftigten einnehmen, gibt es auch einige Studien aus der Perspektive des „Human Resources Management“, die Kosten und Nutzen der Beschäftigung migrantischer Arbeitskräfte aus unternehmerischer bzw. volkswirtschaftlicher Sicht abwägen, wie beispielsweise der Aufsatz von Jeong-Gil Choi, Robert H. Woods und Suzanne K. Murrmann (2000) über internationale Arbeitsmärkte und migrantische Arbeitskräfte als Alternative zum Arbeitskräftemangel in der Tourismusindustrie oder die Studie von Greg Richards (2001) über Arbeitskräftemobilität im Tourismussektor in der EU. Carmen Aitken und C. Michael Hall (2000) diskutieren dies in ähnlicher Weise am Beispiel der Tourismusindustrie in Neuseeland, und Muhammad Asad Sadi und Joan C. Henderson (2005) wägen Vor- und Nachteile von „local versus foreign workers“ für die Tourismusindustrie Saudi Arabiens ab. 12 Zu Zusammenhängen zwischen Tourismus, Arbeitsmigration und Gender vgl. auch Enloe (1989).
2.2 Sozial- und kulturwissenschaftliche Studien
Abbildung 6:
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Ausschnitt aus der „Saisonstadt“. In: Zinganel et al. (2006, 47).
Einige der genannten Studien, die sich mit Arbeitskräften aus Ländern innerhalb und außerhalb der EU in Tourismusregionen beschäftigen, gehen auch der Frage nach, wie die verschiedenen Mobilitätskategorien in Debatten um kulturelle Zugehörigkeit zum Tragen kommen. Dies ist beispielsweise Gegenstand eines Aufsatzes von Eleftheria Deltsou (2000), die sich mit Identitätskonstruktionen in einem Dorf an der nordgriechischen Küste befasst. Sie kann zeigen, dass die Kategorisierung von AusländerInnen als TouristInnen oder ImmigrantInnen nicht nur verschiedene Formen der Mobilität staatlich reguliert, sondern auch wesentlich ist für die Konstruktion der nationalen Identität seitens der Lokalbevölkerung. Heath Cabot (2008) forschte auf der griechischen Insel Lesbos, die sowohl ein beliebtes Urlaubsziel ist als auch die erste Station der gefährlichen
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2 Migration und Tourismus
Einreise in die EU für Asylsuchende, was großen Einfluss auf Debatten darum hat, wer oder was vor Ort als europäisch gilt und wer oder was nicht. Weitere Aufsätze beschäftigen sich mit der individuellen Umnutzung behördlicher Mobilitätskategorien (vgl. dazu auch Kapitel 4 sowie Lenz 2007a, 150ff.). So beschreiben Claire Wallace, Oxana Chmouliar und Elena Sidorenko (1997) in ihrer Studie über Mobilität an der Ostgrenze der Europäischen Union, dass die Einreise mit einem TouristInnenvisum zum Zweck der Arbeitsaufnahme eine wesentliche Strategie von OsteuropäerInnen ist, um sich durch Handel oder andere ökonomische Aktivitäten über die Grenze hinweg ein Einkommen zu sichern. Gleichzeitig führe der Tourismus in beide Richtungen zur Entstehung einer Tourismusindustrie in der Pufferzone (als solche bezeichnen die Autorinnen die Länder Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei, die zum Zeitpunkt ihrer Forschung noch keine EU-Mitglieder waren), die eine Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen kreiere, was zu einer weiteren Steigerung der Mobilität beitrage, sowohl von TouristInnen als auch von MigrantInnen. Gerade die Tourismusindustrie sei gekennzeichnet durch eine Vielzahl von saisonabhängigen Gelegenheitsjobs, die häufig von MigrantInnen ausgeübt würden. Vor diesem Hintergrund halten sie auch den Begriff der Migration für problematisch. Der Zweck von Mobilität sei häufig zunächst unklar. Viele begäben sich aus Gründen auf die Reise, die sich sowohl der Migration als auch dem Tourismus zuordnen ließen, und seien daher nicht eindeutig als TouristInnen oder MigrantInnen klassifizierbar. Vor diesem Hintergrund ist der strategische Umgang mit staatlichen Mobilitätskategorien durch die Reisenden nicht einfach als illegal abzutun. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass Illegalität staatlicherseits durch entsprechende Kategorisierungen aktiv produziert wird, um unerwünschte MigrantInnen fern zu halten und von erwünschten unterscheiden zu können. So werden mit der Begründung der Terrorabwehr und dem Schutz der inneren Sicherheit zunehmend restriktive Einreisebestimmungen legitimiert, die auf einer strikten Unterscheidung von Migration und (Urlaubs-)Reise beruhen (vgl. Backes 2004b, 63). Neben Abwehrmaßnahmen gegen die Unerwünschten gibt es auch staatliche Maßnahmen, die den dauerhaften Aufenthalt bestimmter mobiler Personengruppen befördern sollen. So zeigt der Aufsatz von Shaul Krakover und Yuval Karplus (2002) im Sammelband von Hall und Williams am Beispiel des Aufenthaltsstatus’ „potentielleR ImmigrantIn“, welche Anstrengungen RegierungsvertreterInnen und GesetzgeberInnen in Israel unternommen haben, um den besonderen Status jüdischer TouristInnen zu definieren und sie zum Bleiben zu motivieren.13 13 Vgl. hierzu auch Oigenblick/Kirschenbaum (2002) über die Immigrationsentscheidung von jüdischen TouristInnen aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion in Israel.
2.2 Sozial- und kulturwissenschaftliche Studien
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Einen anderen Aspekt der uneindeutigen Zuordnung als MigrantInnen oder TouristInnen behandeln Forschungen, die mit Begriffen wie „Wohlstandsmigration“, „migration of choice“, „residential tourism“, „second home tourism“, „retirement migration“ oder „lifesyle migration“ arbeiten. Hierbei geht es häufig um ehemalige TouristInnen aus West- und Nordeuropa, die im Mittelmeerraum sesshaft werden. Oftmals handelt es sich dabei um RentnerInnen, die sich an der südlichen Peripherie Europas niederlassen oder sich dort einen Zweitwohnsitz einrichten. Meist waren sie vorher als TouristInnen in diesen Ländern und wurden dann gewissermaßen zu MigrantInnen bzw. profitieren von den Freizügigkeitsbestimmungen innerhalb des Schengenraumes. Viele Aspekte dieser Form von Tourismusmigration hat Karen O’Reilly (2000) in langjähriger Feldforschung unter BritInnen in Spanien untersucht. Mit zahlreichen weiteren Forschungen über „lifestyle migration“ innerhalb und außerhalb Europas hat dieses Thema in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erfahren.14 Viele dieser Forschungen verdeutlichen, dass ein und dieselbe Person in ihrem Leben verschiedene Formen der Mobilität praktizieren kann. Eine Feststellung, der Peter Mayer (2008) in seiner Forschung Rechnung trägt, indem er individuellen Mobilitätsgeschichten in biografischen Interviews nachspürt. „Lifestyle-MigrantInnen“, Asylsuchende und auch RemigrantInnen, deren Wege sich im Mittelmeerraum kreuzen, sind gleichermaßen Gegenstand des Buches „Fliehkraft“ von Tom Holert und Mark Terkessidis (2006). Die Autoren haben sich für ihre Recherchen in verschiedene Länder diesseits und jenseits der südlichen EU-Außengrenze begeben. Sie vergleichen die Massenunterkünfte für TouristInnen mit denen für Flüchtlinge und formulieren auf der Grundlage dieses Vergleichs eine Kritik am europäischen Mobilitätsregime. Holert und Terkessidis zufolge entsteht mit den provisorischen Unterkünften und Lagern für Flüchtlinge und den Bauprojekten der Tourismusindustrie „eine ganze Welt von seltsamen Übergangslösungen, eine Welt von saisonal oder vorübergehend bewohnten Orten, manchmal überfüllt, manchmal gespenstisch leer“. Mit den verschiedenen Nutzungsweisen, die diese Massenunterkünfte aufgrund ihres „hybriden, multifunktionalen Charakters“ (ebd., 251) haben, befassen sich auch die Projekte von Sabine Hess und Serhat Karakayal (2004), Efthimia Panagiotidis und Vassilis Tsianos (2007) sowie Andreas Mayer (2007). Ich werde diesen Aspekt in Bezug auf ein saisonabhängig als Hotel oder Abschiebelager genutztes Gebäude auf Kreta in Kapitel 6 nochmals aufgreifen (vgl. hierzu auch Lenz 2007b).
14
Karen O’Reilly gründete 2007 die Internetplattform „Lifestyle Migration Hub“. Hier sind eine Reihe von ForscherInnen versammelt, die in verschiedenen Ländern zu „lifestyle migration“ oder „tourism informed mobility“ arbeiten. Vgl. http://www.lboro.ac.uk/departments/ss/lmhub/lmhub_ home.html (letzter Zugriff: 8/2009).
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2 Migration und Tourismus
Es gibt also eine Vielzahl unterschiedlicher Phänomene und Herangehensweisen, die unter dem Oberthema „Migration und Tourismus“ zusammengefasst werden können, und die Bandbreite ist hiermit freilich nicht erschöpft.15 Viele der genannten Forschungen sind transdisziplinär angelegt oder zwischen Wissenschaft und Kunst angesiedelt. Sie verweisen darauf, dass klassische Tourismus- und Migrationsforschungen mit ihrer Sesshaftigkeitsnorm und ihrer Konzentration auf nur eine Form der Bewegung der mobilen Wirklichkeit häufig nicht gerecht werden. Im Folgenden werde ich einige Konzepte der Migrations- und Tourismusforschung aufgreifen und in Hinblick auf Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Mobilitätsformen ausdifferenzieren.
2.3 Konzepte der Migrations- und Tourismusforschung Da sie auch für die Interpretation meiner eigenen Forschungsergebnisse bedeutsam sein werden, konzentriere ich mich im Folgenden auf den Transnationalisierungsansatz sowie Konzepte von Raum, Authentizität und Gastfreundschaft, die sowohl für die Migrations- als auch für die Tourismusforschung relevant sind. Zuletzt werde ich noch die Bedeutung der Differenz im Konzept des „touristischen Blicks“ diskutieren und in Bezug auf den Mittelmeerraum konkretisieren. Transnationalisierung Um dem Phänomen Rechnung zu tragen, dass Migrationsbewegungen zu sozialen Strukturbildungen führen, die die Übereinstimmung von Nationalstaat und Gesellschaft in Frage stellen, wurde in der US-amerikanischen Migrationsforschung der Transnationalisierungsansatz entwickelt. VertreterInnen dieses Forschungsansatzes kritisieren die Ausrichtung der bisherigen Migrationsforschung am nationalen Bezugsrahmen als „methodologischen Nationalismus“ und richten den Fokus auf die Bildung von transnationalen Migrationsnetzwerken. (Vgl. z.B. Basch et al. 1994, Glick Schiller/Basch/Szanton Blanc 1997, Wimmer/Glick Schiller 2002)
15 Einen weiteren wichtigen, in diesem Rahmen aber nicht weiter ausführbaren Schwerpunkt stellen beispielsweise die zahlreichen Studien dar, die in Bezug auf Reisen in „Drittweltländer“ Zusammenhänge zwischen Tourismus und Migration herausarbeiten (vgl. hierzu insbesondere Martina Backes et al. (2002), aber auch Judith Schlehe (2001) über Indonesien, Stefan Gössling und Ute Schulz (2005) über Sansibar/Tansania oder Helga Neumayer (2006) über die Dominikanische Republik). Dieser Zusammenhang ist in den vergangenen Jahren auch zu einem Gegenstand für Nichtregierungsorganisationen geworden, die an die Verantwortung westlicher Reisender appellieren. (Vgl. iz3w 2004, amnesty journal 2007)
2.3 Konzepte der Migrations- und Tourismusforschung
97
Damit wird eine Abkehr von verschiedenen Vorannahmen markiert, die die klassische Migrationsforschung häufig kennzeichnet: Sesshaftigkeit ist der Normalfall und Mobilität eine vorübergehende Ausnahme; Migration ist ein einmaliger, eindirektionaler Prozess vom Herkunftsland ins Aufnahmeland; Kultur ist eine eindeutige, ethnisch-homogene Einheit, die MigrantInnen im Gepäck haben und die zu Konflikten mit der ebenso eindeutig definierbaren Kultur der Aufnahmegesellschaft führen kann. Mit dem Transnationalisierungsansatz rücken nun Migrationsphänomene in den Blick, die diese Vorannahmen problematisieren: Mobilität als normaler Dauerzustand, Pendelmigration zwischen zwei und mehr Ländern, Kultur als Produkt grenzüberschreitender Praxen in sozialen Räumen jenseits des nationalstaatlichen Rahmens. Im Zuge dessen wurden auch Vorstellungen von homogenen Gruppenidentitäten in Frage gestellt und durch Konzepte wie „Hybridität“ abgelöst, womit die Erfahrungen von MigrantInnen erfasst und aufgewertet werden sollen, die sich in verschiedenen kulturellen Kontexten verorten. Die Praktiken und Identitäten dieser TransmigrantInnen versteht Homi K. Bhabha (1990, 300) als „counter-narritives of the nation“, die die essentialistischen Identitäten der nationalen „imagined communities“ (Benedict Anderson) unterlaufen. Auch wenn mit der Transnationalisierungsperspektive der Mehrortigkeit migrantischer Lebensweisen Rechnung getragen wird, bleiben die Studien häufig auf „monoethnische migrantische Netzwerke“ beschränkt, so dass „Querverbindungen und hybride, nicht-ethnisierte kulturelle Praktiken von MigrantInnen“ ausgeblendet werden und die Vorstellung klar abgrenzbarer ethnisch kodierter Räume auf transnationaler Ebene reproduziert wird, wie Sabine Hess (2005, 141) kritisch anmerkt. Zudem greift eine Beschränkung von Transnationalisierungsforschungen auf die Praktiken und Netzwerke von MigrantInnen angesichts der zunehmenden Verlagerung der Migrationspolitik von nationalstaatlicher auf supranationale oder multilaterale Ebene zu kurz. Es ist erforderlich, „politischökonomische Systeme“ (Ong 2005, 26) stärker in die Transnationalisierungsforschung einzubeziehen und die Perspektive auf die Analyse von Migrationspolitiken auszudehnen (vgl. Rogers 2001; Hess/Tsianos 2007). Darüber hinaus sollte die Transnationalisierungsforschung auch nicht-migrantische Phänomene der Mobilität stärker berücksichtigen. Studien, die beispielsweise die Mobilität von Kompetenzen16 oder touristische Praktiken (vgl. z.B. Binder 2004) aus der Perspektive der Transnationalisierung betrachten, stel16 Vgl. hierzu beispielsweise Helena Wulff (1998) über Ballett-TänzerInnen oder das 2007 abgeschlossene Lehrforschungsprojekt „Offshore Living: Arbeits- und Alltagswelten transnationaler Professionals in Frankfurt-Rhein-Main“ unter der Leitung von Petra Ilyes, mehr dazu unter: https://bscw.server.uni-frankfurt.de/pub/bscw.cgi/d801346-3/*/*/*/index.html (letzter Zugriff: 8/ 2009).
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2 Migration und Tourismus
len bislang Ausnahmen dar. Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit sind diejenigen Forschungen besonders hervorzuheben, die den Transnationalisierungsansatz nutzbar gemacht haben, um Überschneidungen zwischen verschiedenen Mobilitätsformen zu thematisieren. So arbeitet Regina Römhild (2000; 2002) in ihrer Forschung über die Rolle der Imagination in einem zwischen Griechenland, Deutschland und darüber hinaus aufgespannten Netzwerk von TouristInnen, MigrantInnen und RemigrantInnen mit dem Begriff der Transnationalisierung und stellt dabei die herkömmliche Trennung zwischen Tourismus und Migration in Frage. Und Karen O’Reilly (2000; 2007) zieht den Transnationalisierungsansatz zur Analyse der unklaren Situation britischer LangzeittouristInnen in Spanien heran, die sich weder eindeutig als TouristInnen noch als MigrantInnen einordnen lassen, aber auch häufig nicht über das nötige Kapital verfügen, einen Lebensstil als „transnationale Elite“ aufrechtzuerhalten. In meiner eigenen Forschung werden sowohl die transnationalen Mobilitätsprojekte einzelner Menschen eine Rolle spielen, die sich nicht eindeutig als TouristInnen oder MigrantInnen klassifizieren lassen, als auch die auf diese transnationale Realität reagierende Politik. Die politischen Positionen lokaler Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnenverbände wird ebenso thematisiert wie die Grenzpolitik der Europäischen Union. Der gleichermaßen touristisch wie migrantisch geprägte Mittelmeerraum kann dabei als Schnittstelle verschiedener transnationaler sozialer Räume begriffen werden. Raum Die quantitativen und qualitativen Veränderungen von Migrationsprozessen Ende des 20. Jahrhunderts lassen es Ludger Pries (1997) zufolge gerechtfertigt erscheinen, von der Herausbildung transnationaler sozialer Räume zu sprechen. Die transnationalen sozialen Verflechtungen haben seiner Ansicht nach ein solches Ausmaß erreicht, dass sie neue soziale Räume konstituieren, die im Unterschied zum herkömmlichen Raumverständnis de-lokalisiert und geografischräumlich diffus seien. Diese Räume seien gleichwohl in einen politisch-legalen Rahmen einzuordnen und zeichneten sich ebenso durch eine materiale Infrastruktur von Kommunikations- und Transportmedien aus wie durch besondere soziale Strukturen und Institutionen sowie vielfältige, hybride Lebens- und Arbeitsorientierungen.17 Auch in der Tourismusforschung hat eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept des territorial begrenzbaren Raumes als Behälter von Kultur stattgefunden. In touristischen Attraktionen (insbesondere Themenparks) wird häufig ein „Prozess der postmodernen Raumentleerung“ (Wöhler 2000, 113) gesehen. 17
Zur Kritik an dem von Pries zugrunde gelegten Raumkonzept vgl. z.B. Bommes (2002).
2.3 Konzepte der Migrations- und Tourismusforschung
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Dementsprechend beklagt Karlheinz Wöhler (2000; 2005) den Verlust des „realen“, „empirischen“, „physischen“, „geographischen“, „konkreten“, „eigentlichen“, „morphologischen“, „belebten“, „fremden“ Raumes, der in touristischen Inszenierungen obsolet geworden sei. Der Tourismus habe sich von den „speziellen lokalen Wurzeln und Kontexten“ (Wöhler 2005, 123) gelöst und zitiere diese nur noch. Die nun stattfindende touristische Raumaneignung habe nichts mit „dem Raum innewohnenden Wesenseinheiten und von den Bewohnern gelebten Welten“ (ebd., 125) zu tun. Es gehe nur noch darum, ein austauschbares touristisches Erlebnis zu produzieren. (Vgl. hierzu auch Borghardt 1997) Wie wir bereits in Kapitel 1 gesehen haben, wird der Behauptung der Sinnentleerung „postmoderner“ Räume oder auch „Nicht-Orte“ häufig entgegengehalten, „dass für die Menschen ,Raum’ – auch der noch so ,postmoderne’, in seinem Aussehen standardisierte, globalisierte, kulturell kreolisierte Raum – stets gelebte Örtlichkeit ist“ (Bormann 2000, 228). Dementsprechend wird in der vorliegenden Arbeit nicht von einem vorgelagerten „gegebenen Sozial- und Naturraum“ (Wöhler 2000, 112) ausgegangen, sondern davon, dass Räume immer aktiv hergestellt werden, auch durch touristische Praktiken. Gerade am Beispiel des Mittelmeerraums und seiner Erforschung wird deutlich, dass Räume nicht einfach gegeben sind und zur Beforschung stillhalten, sondern häufig das Produkt machtvoller Imaginationen und Projektionen darstellen. Kevin Meethan (2001, 26) geht davon aus, dass Räume sich nicht (mehr) eindeutig in eine Sphäre der Freizeit und eine Sphäre der Arbeit trennen lassen, sondern durch fragmentiertere und weniger klare Muster der Differenzierung gekennzeichnet sind. In seinem Buch „Tourism in Global Society“ betont er anknüpfend an das Raumkonzept von Henri Lefebvre, dass Raum nur über Praktiken erfasst werden kann, und kritisiert die Tendenz, Raum auf einen Container, der mit sozialen Aktivitäten gefüllt wird, oder auf eine philosophische Abstraktion zu reduzieren (vgl. ebd., 36ff.). In diesem praxeologischen Sinne kann Raum als ökonomisches, politisches und kulturelles Produkt vielfältig vernetzter Mobilitäten von Kapital, Menschen, Objekten, Zeichen und Informationen verstanden werden (vgl. Bærenholdt et al. 2004, 145). Bærenholdt et al. (ebd.) schreiben: „So places are not fixed or given or simply bounded. It is more profitable to see them as ‘in play’ in relation to multiple mobilities and varied performances stretching in, through, over and under any apparently distinct locality.“ Ein touristischer Raum sei das Produkt verschiedener Mobilitäten und entstehe erst dadurch, dass eine Umgebung angeeignet und in körperlichen wie sozialen Praktiken zum Bestandteil von Erinnerungen, Erzählungen und Imaginationen gemacht werde. Räume seien also dynamisch und mobil, „like ships, moving around and not necessarily staying in one location“ (ebd., 146).
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2 Migration und Tourismus
In Abgrenzung zu Forschungen, die Raum als „abstrakte Kategorie“ oder „leeren Behälter“ konzeptionalisieren und eine klare Unterscheidung treffen zwischen TouristInnen (oder auch MigrantInnen) einerseits und Räumen andererseits, soll mit Bærenholdt et al. (ebd., 150) an das „neue Mobilitätsparadigma“ angeknüpft werden und die ontologische Trennung von Räumen und Menschen ebenso in Frage gestellt werden wie die exklusive Identifizierung von bestimmten Personengruppen mit bestimmten Territorialräumen. Anhand meiner Forschung kann ebenso wie anhand der empirischen Studien von Bærenholdt et al. vielmehr gezeigt werden, dass Menschen und Räume durch unterschiedliche, veränderliche Praktiken und Imaginationen miteinander verschränkt sind. Insbesondere im Mittelmeerraum entstehen so von unterschiedlichen mobilen Personengruppen geprägte transnationale soziale Räume, die häufig von kurzer Dauer sind. Gleichzeitig ist allerdings zu beobachten, dass die Suche nach dem Raum als Behälter einer authentischen, über Jahrhunderte gewachsenen und unveränderten Kultur nach wie vor touristische Reisen motiviert (vgl. hierzu z.B. Abram/Waldren 1997, 9 oder Greenblatt 2010, 5), und die Konfrontation mit dem bewegten Raum zu Irritationen führt. Entsprechende Kulturkonzepte durchziehen auch die EU-europäische Kultur- und Identitätspolitik, wie ich in Kapitel 3 zeigen möchte. Authentizität Die Suche der TouristInnen nach der „zivilisationsfernen Natur“, nach dem „Elementaren“, dem „Unberührten“, dem „Abenteuer“ (vgl. Enzensberger 1958, 709f.) – kurz nach der „Authentizität“ des Bereisten und Erlebten – ist ein zentraler Topos in der Tourismusforschung. Hans Magnus Enzensberger (1958) hat diese Suche Ende der 1950er Jahre als eine im Freiheitsgedanken der englischen und deutschen Romantik wurzelnde (vergebliche) Flucht aus der industriellen Welt interpretiert, wobei er gleichzeitig die Kritik an der massentouristischen Überformung des „Authentischen“ als elitäre Reaktion kritisierte. In ähnlicher Weise verstand auch Dean MacCannell (1973, 589f.) die Suche nach „Authentizität“ als eine Sehnsucht des modernen, entfremdeten Menschen nach Ganzheit; er kritisierte Daniel Boorstins (1961) moralisierende Gegenüberstellung von aktiven, intellektuellen Reisenden (travelers) einerseits und passiven, oberflächlichen TouristInnen (tourists) andererseits (vgl. MacCannell 1973, 599ff.).18 All diesen Vorstellungen liegt jedoch die problematische Dichotomie von nicht mo18 Vgl. hierzu auch das Kapitel „Touristenbeschimpfung“ in Hennig (1997, 13ff.). Die Distinktion zwischen elitären Formen des Reisens und dem Massentourismus zieht sich auch durch gegenwärtige Debatten um Nachhaltigkeit, in denen Zugangsbeschränkungen zu bestimmten touristischen Attraktionen über eine exklusive Preispolitik durchgesetzt werden, um ihren „authentischen Charakter“ zu bewahren (vgl. Cohen 2002).
2.3 Konzepte der Migrations- und Tourismusforschung
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dern und daher authentisch einerseits und modern und daher nicht authentisch andererseits zugrunde (vgl. hierzu Meethan 2001, 90). Dass „das Authentische“ nicht einfach gegeben ist und besichtigt werden kann, ist MacCannell allerdings durchaus bewusst. Er betont in Anlehnung an die Bühnenmetapher Erving Goffmans auf den Tourismus bezogen, dass Authentizität häufig inszeniert werde. MacCannell zufolge gibt es verschiedene Abstufungen des Inszenierten und des dahinter liegenden Echten, und es kommt auf die Fähigkeit der TouristInnen an, diese Arrangements zu durchschauen. Dass es „dahinter“ – also im Backstage-Bereich des Tourismus – tatsächlich „Authentizität“ gibt und dass TouristInnen am liebsten dorthin vordringen würden, bezweifelt MacCannell nicht.19 Im Unterschied dazu betont Eric Cohen (1988), dass es verschiedene Typen von TouristInnen mit unterschiedlichen Erwartungen gibt, die nicht alle auf der Suche nach „Authentizität“ in diesem Sinne sind. „Authentizität“ ist ihm zufolge sozial konstruiert und veränderbar. Etwas, das zu einem bestimmten Zeitpunkt als unauthentisch galt, kann ihm zufolge zu einem anderen Zeitpunkt durchaus als authentisch anerkannt werden.20 Dementsprechend zeigt Orvar Löfgren (1999), dass sich der Topos von der Überformung des „Ursprünglichen“ durch den Massentourismus durch die gesamte Geschichte des Mittelmeertourismus zieht, wobei das, was als „authentisch“ gilt, sich immer wieder verändert hat. Cohen und Löfgren geht es nicht um die Unterscheidbarkeit von echt und unecht, sondern um die soziale Aushandlung „des Authentischen“. In der postmodernen „Hyperrealität“ von Jean Baudrillard oder Umberto Eco wird die Unterscheidung zwischen Original und Kopie, echt und unecht, schließlich komplett hinfällig. „Nichts ist mehr authentisch, oder alles wird authentisch“ (Häußler 1997, 106). Ning Wang (1999) arbeitet heraus, dass sowohl modern-objektivistische Authentizitätskonzepte, die an der Unterscheidbarkeit von echt und unecht festhalten, als auch postmodern-konstruktivistische Konzepte, die die Existenz „des Authentischen“ in Frage stellen, in erster Linie objektbezogen sind. Zusätzlich sei Authentizität jedoch in existenzieller Hinsicht von Bedeutung. Existenzielle Authentizität ist Wang zufolge eine Seinsweise, die durch touristische Aktivitäten erreicht werden kann und die unabhängig von der Authentizität touristischer 19
Die Formulierung „Inszenierung von Authentizität“ kann als Paradoxon begriffen werden, insofern „das Authentische“ im Moment seiner Markierung immer seinen „unberührten“ und „unvermittelten“ Charakter verliert (vgl. Welz 1996, 291). Aus einer sozialkonstruktivistischen Sicht überzeugender ist jedoch der Einwand, dass nicht erst der Moment der (touristischen) Inszenierung das Unauthentische produziert, da Kultur immer inszeniert und daher immer „unauthentisch“ ist, insofern sie permanent neu erfunden, verändert und reorganisiert wird (vgl. Chhabra/Healy/Sills 2003, 705f.) 20 Vgl. hierzu beispielsweise die Studie von Frank A. Salamone (1997) über die San Angel Inns in Mexico City und ihre Kopie in Disney World, Florida, die von BesucherInnen beide in unterschiedlicher Weise als „authentisch“ empfunden wurden.
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2 Migration und Tourismus
Objekte ist. Sie kann sowohl „intra-personal“ – über ein verändertes Körpererleben oder besondere Herausforderungen im Urlaub – aktiviert werden, als auch „inter-personal“ – in der veränderten Begegnung von Familienmitgliedern oder im Kontakt mit anderen TouristInnen.21 Wenn existenzielle Authentizität im Tourismus vollkommen unabhängig von der Echtheit touristischer Objekte erreicht werden kann, kann sie als Ausdruck der erfolgreichen Ablösung des modernen durch den postmodernen Tourismus verstanden werden. Es ist jedoch eher davon auszugehen, dass viele TouristInnen an verschiedenen Formen des Tourismus partizipieren und dass objektbezogene Authentizität ebenso nach wie vor eine Rolle spielt wie erlebnisbezogene. In seiner Kritik an John Urrys (2002) Thesen zum „Post-Touristen“ warnt Hasso Spode (2005a, 154) davor, ein nachmodernes oder nachfordistisches Zeitalter im Tourismus auszurufen (vgl. hierzu auch Hennig 1997, 180f.): „[W]eder der Individualisierung und Stilisierung des Erlebten, noch dem Verschwinden des Einmalig-Echten bzw. des Kontexts, und damit auch nicht dem Spielerisch-Simulierten kommt die Qualität eines Strukturbruchs zu. Vielmehr sind dies per se Kennzeichen der touristischen Reise.“
Vor diesem Hintergrund sollte die Beschäftigung mit „Authentizität“ in der Tourismusforschung nicht aufgegeben werden. In der vorliegenden Arbeit geht es jedoch nicht – wie in zahlreichen anderen Studien zum Tourismus (vgl. z.B. Greenwood 1989, Dworschak 1998) – darum, „Authentizität“ objektivistisch vorauszusetzen und die Zerstörung „authentischer Kultur“ aufgrund von Tourismus zu beklagen. Diese Denkfigur der Tourismuskritik22 spielt aber insofern eine Rolle, als dass sie nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs nach wie vor präsent ist, sondern auch in Distinktionsbemühungen von TouristInnen selbst zum Ausdruck kommt. In Bezug auf den Mittelmeerraum ist dieses Konzept von „Authentizität“ – wie an verschiedenen Stellen der Arbeit deutlich wird – als Form postkolonialer Exotisierung und Archaisierung (vgl. hierzu auch Taylor 2001) und „myth of territory“ (Hughes 1995, 784) nach wie vor einflussreich. „Authentizität“ in diesem Sinne erweist sich aber nicht nur in den touristischen Imaginationen des Mittelmeerraums und anderer Tourismusdestinationen als wirkmächtig, sondern auch in den Multikulturalismus-Konzepten von Einwanderungsländern wie Deutschland, die sich auf „Authentizität“ berufen, um manche Mitglieder der Gesellschaft homogenisierend auf eine „fremde“ ethni21 Vgl. hierzu auch die Unterscheidung von kühler und heißer Authentizität bei Tom Selwyn (1996, 21ff.). Kevin Meethan (2001, 95) kritisiert am Ansatz von Wang, dass individuelle Erfahrungen zu sehr ins Zentrum gestellt und darüber die sozialen und materiellen Elemente, die sie bedingen, vernachlässigt würden. 22 Zur Kritik der Tourismuskritik vgl. auch Flitner/Langlo/Liebsch (1997) und Backes/Goethe (2003).
2.3 Konzepte der Migrations- und Tourismusforschung
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sche oder nationale Herkunft festzulegen. (Vgl. hierzu z.B. Radtke 1991, Welz 1996, 111ff.; Frei 2003, 103ff.) In ähnlicher Weise wie Wang auf den Tourismus bezogen inter- und intrapersonale Formen der Authentizität unterscheidet, differenziert Seyla Benhabib (1999, 42f.) zwischen einer individuellen und einer kollektiven Ebene von Authentizität, wobei sie die Verquickung dieser Ebenen in ihrer Abhandlung über Staatsbürgerschaft und Einbürgerungsrechte im Zeitalter der Globalisierung problematisiert: „Es ist theoretisch falsch und politisch gefährlich, das Streben eines Individuums nach Authentizität und nach Ausdruck der eigenen, einmaligen Identität mit den Formen der von Identität/Differenz bestimmten Politik zu verschmelzen. Der theoretische Irrtum liegt in der Homologie, die für individuelle und kollektive Ansprüche angenommen wird […]. Politisch gefährlich ist ein solcher Schluß, weil er die moralische Autonomie den Strategien kollektiver Identität unterordnet.“
Die Debatten um „Authentizität“ oder „Identität“ und „Anerkennung von Differenz“ in Einwanderungsländern ist eng verknüpft mit dem mythischen Zusammenhang zwischen Territorium und Authentizität, der im Tourismus oftmals hergestellt wird. Christopher Vogel (2002, 86) schreibt: „Wenn die fremde Kultur auf Distanz bleibt und ihre Eigenheiten bewahrt, bietet sie konsumierbare Exotik. Das zeigt sich in der multikulturellen Gesellschaft wie im Tourismus: Traditionelle Musik, exotische Tänze und typisches Essen sind für hier lebende MigrantInnen wie für die Bereisten in Tourismusgebieten gute Geschäfte, für die Mehrheitsgesellschaft und für TouristInnen ein Reiz von Exotik.“
Wie Stefan Beck und Gisela Welz (1997) für Zypern und Regina Römhild (2000) für Kreta zeigen, ist die Konsumption und Produktion „traditioneller“, „authentischer“ Kultur in bestimmten Regionen ein zentrales Merkmal des Tourismus. Sowohl auf Kreta als auch auf Zypern geht es dabei um die Produktion einer spezifisch kretischen bzw. zypriotischen Kultur bei gleichzeitiger Verortung in einem europäischen Kulturraum. Im Zentrum der beiden Studien steht nicht die Frage, wie sich „das Authentische“ bewahren und vom Plagiat unterscheiden lässt, sondern es geht darum, wie Authentifizierungsprozesse ablaufen. Es wird danach gefragt, was „als ‚authentische Tradition’ oder als ‚ursprüngliche Natur’ gelten darf“ und Authentizität wird „als konventionalisiertes Ergebnis sozialer Auseinandersetzungen um die kulturelle Hegemonie in Gesellschaften“ (Beck/Welz 1997, 432) untersucht. Oder wie Kevin Meethan (2001, 111) es formuliert: „The questions of importance then are to whom is the authentic of interest and to what uses it is put?“ Dementsprechend wird auch in der vorliegenden Arbeit gefragt, auf welche Weise unterschiedlich machtvolle AkteurInnen in die Produktion von „Authenti-
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zität“ eingebunden sind. Dieses sozialkonstruktivistische Verständnis von Authentizität ist gerade in Bezug auf die vielfältigen Überschneidungen von Migration und Tourismus hilfreich. So kann untersucht werden, wie MigrantInnen in Prozesse „reflexiver Traditionalisierung“ (Welz 2000) eingebunden sind. Es wird unter anderem der Frage nachgegangen, inwiefern MigrantInnen im Tourismus sichtbar bzw. erkennbar sind und welche Strategien sie im Umgang mit der touristischen Nachfrage nach „traditioneller Kultur“ und „Authentizität“ einsetzen (vgl. hierzu insbesondere Kapitel 4). Dabei wird deutlich, dass neben der auf das Objekt oder die Destination bezogenen „Authentizität“ diverse inter-personale Begegnungen nicht nur von Familienmitgliedern und TouristInnen untereinander, sondern auch zwischen TouristInnen, MigrantInnen, DienstleisterInnen und anderen bei der Herstellung eines „authentischen Urlaubserlebnisses“ eine Rolle spielen. George Hughes (1995, 795f.) betont, dass vor dem Hintergrund von Globalisierungsprozessen, insbesondere durch die weltweite Vernetzung von Medientechnologien, soziale Beziehungen zwischen Fremden an Bedeutung gewonnen haben und dass daher jegliche territoriale Fixierung von Authentizität im Tourismus unangemessen ist. Dadurch ist auch die herkömmliche Unterscheidung zwischen „GastgeberInnen“ und „Gästen“ fragwürdig geworden. Gastfreundschaft 1974 veranstaltete die American Association of Anthropologists erstmals eine Tagung zum Thema „Tourismus und kultureller Wandel“ und trug damit dazu bei, das Thema Tourismus in den USA wissenschaftsfähig zu machen. 1977 erschien ein Sammelband mit auf der Tagung präsentierten Fallstudien, der den Titel trug „Hosts and Guests: The Anthropology of Tourism“. Seither ist das „Host and Guest“-Paradigma auch über die USA hinaus zentral für die Tourismusforschung. Mit der dichotomischen Gegenüberstellung von Gästen einerseits und GastgeberInnen andererseits sind eine Reihe weiterer Oppositionspaare verknüpft, die es in der vorliegenden Arbeit zu problematisieren gilt. Wenngleich in der zweiten Auflage von 1989 und in einem späteren Text der Herausgeberin Valene L. Smith (1992) anerkannt wird, dass Tourismus nicht notwendigerweise zu einer Zerstörung der besuchten Kulturen führen muss, sondern durchaus auch gegenteilige Effekte haben kann, bleibt die Gegenüberstellung von mobilen TouristInnen und einer weitgehend sesshaften Lokalbevölkerung, deren Mitglieder als GastgeberInnen und TrägerInnen einer bestimmten Kultur fungieren, davon
2.3 Konzepte der Migrations- und Tourismusforschung
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unberührt.23 Verstärkt wird diese Gegenüberstellung – vor allem im Beitrag von Dennison Nash (1989) – durch die scheinbar eindeutige Definition von Metropolen (= Herkunftsländer von TouristInnen) und Peripherien (= Destinationen von TouristInnen).24 TouristInnen werden dabei als „temporarily leisured persons“ (Smith 1989, 1) verstanden, wobei durch die Betonung des Gegensatzes von Arbeit und Freizeit eine grundlegende Differenz zu den arbeitenden „GastgeberInnen“ betont wird.25 Smith (ebd., 11ff.) nimmt auf dieser Basis an, dass die Kluft zwischen „GastgeberInnen“ und „Gästen“ und die negativen Effekte des Tourismus mit der Zahl der TouristInnen wächst. Es gibt diverse Punkte, an denen eine Kritik an diesen Thesen ansetzen könnte. Julio Aramberri (2001) beispielsweise kritisiert die Vorstellung statischer, homogener Gemeinschaften, nach der viele der Beiträge in dem Sammelband von Smith die Bevölkerungen von Tourismusdestinationen konzeptionalisieren, und erklärt das host-guest-Paradigma für komplett untauglich zur Analyse des modernen Massentourismus. Das Paradigma basiere auf der Vorstellung, dass im Tourismus Mitglieder vorindustrieller Gemeinschaften mit BürgerInnen moderner Gesellschaften interagierten, was jedoch eine Ausnahme darstelle. Tourismus gründe größtenteils auf der Produktion und Konsumption von Waren, Dienstleistungen und Zeichen. Nicht Merkmale wie Reziprozität seien daher für das Verhältnis von TouristInnen und Bereisten ausschlaggebend, sondern die Logik des Marktes.26 Deswegen hält er es auch für angebrachter, von KundInnen und DienstleisterInnen zu reden anstatt von Gästen und GastgeberInnen. Nun ist jedoch zu beobachten, dass der Tourismussektor vielfach als „hospitality industry“ bezeichnet wird und Ausbildungsgänge zum Erwerb von Fertigkeiten der „Gastfreundschaft“ eingerichtet werden. In Tourismusmanagement und -marketing spielen Begriffe wie „Gastfreundschaft“ und „Gastlichkeit“ eine zentrale Rolle im Hinblick auf die Qualität von touristischen Dienstleistungen (vgl. z.B. Pechlaner/Raich 2007). Das Verhältnis GastgeberIn-Gast, wie kommerzialisiert auch immer, sollte also nach wie vor bei der Untersuchung touristischer Phänomene berücksichtigt werden, insbesondere in Hinblick auf die Dienstleistungsebene. In sozial- und kulturwissenschaftlichen Tourismusfor23 „The tourist trade does not have to be culturally damaging. Many tourists want to forsake the ‘tourist bubble’ and seek opportunities to meet and become acquainted with local people“ (Smith 1989, 9). 24 „[T]he touristic transaction is a two-way street involving interaction between metropolitan centers and tourist areas“ (Nash 1989, 47). 25 „In sum, tourists are separated from their hosts by the facts of strangerhood, the work-leisure distinction, and whatever cultural differences they obtain in a particular situation“ (Nash 1989, 46). 26 Adelheid Schrutka-Rechtenstamm (1997) bemerkt in ihrer Untersuchung über PrivatzimmerVermieterInnen hingegen, dass sich in der Beziehung zwischen TouristInnen und Bereisten Zeichen häufen, die über ein rein kommerzielles Verhältnis hinausweisen.
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2 Migration und Tourismus
schungen über GastgeberIn-Gast-Beziehungen wird der Aspekt der Dienstleistung allerdings häufig vernachlässigt – eine Beobachtung, die neben anderen auch Valene L. Smith (1992, 191) gemacht hat. Anders als sie meine ich jedoch nicht, dass „wir“ („SozialwissenschaftlerInnen und AnthropologInnen“) GastgeberIn-Gast-Verhältnisse der Marktlogik entsprechend auf die Güte des Services hin untersuchen sollten (vgl. ebd., 196). Ebenso wenig halte ich es für sinnvoll, Gastfreundschaft auf ein Dilemma von globalisierten „hospitality and tourism firms“ zu reduzieren, wie Peter M. Burns (1999, 129ff.) es tut, der das Spannungsfeld zwischen Standardisierungstendenzen in der Tourismuswirtschaft und der touristischen Nachfrage nach lokal einzigartigen „emotionalen Produkten“ wie Gastfreundschaft betont.27 Geht man davon aus, dass die DienstleisterInnen häufig MigrantInnen oder SaisonarbeiterInnen sind, scheint es mir vielmehr sinnvoll, die Ineinssetzung von GastgeberInnen und Einheimischen in Frage zu stellen und den sozialräumlichen Zusammenhang zu untersuchen, den Einheimische, DienstleisterInnen und TouristInnen in wechselnden Rollen und in verschiedene Richtungen über den Urlaubsort hinaus herstellen. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass Gastfreundschaft nicht nur im Zusammenhang mit Tourismus, sondern insbesondere auch im Hinblick auf Migration diskutiert und dabei meist als Teil staatlicher Souveränität gefasst wird. Vor diesem Hintergrund ergeben sich Fragen wie: Wer ist als Gast willkommen und wer nicht? Wer verfügt über genügende Ressourcen, als GastgeberIn aufzutreten, und wer nicht? Wer wechselt unter welchen Bedingungen zwischen der Rolle der Gastgeberin und der Rolle des Gastes? In seinen 1795 verfassten Überlegungen „Zum ewigen Frieden“ begreift Immanuel Kant Hospitalität zwischen Staaten bzw. zwischen Menschen, die unterschiedlichen Staaten angehören, als Bedingung für den Weltfrieden. Im dritten Definitivartikel schreibt er: „Das Weltbürgerrecht soll auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein“ (Kant 2008, 21). Hospitalität ist nach Kant keine nach Belieben aktivier- oder verweigerbare Geste der Menschlichkeit, sondern ein Recht, dass jedem und jeder Fremden auf dem Boden anderer zusteht, sofern ihm oder ihr ansonsten Gefahr für Leib und Leben droht. Es stellt eine Absicherung und Aufwertung mobiler Personen dar (vgl. Dikeç/Clark/Barnett 2009, 5 und Morgan 2009, 107), wobei Kant das temporäre Aufenthaltsrecht (Besuchsrecht) vom dauerhaften Aufenthaltsrecht (Gastrecht) unterscheidet – eine Unterscheidung, die auf die Trennung von Menschen- und BürgerInnenrechten verweist. Unter dem Eindruck der kolonialistischen Expansion des Westens und der Enteignung nicht-europäischer Völker betont Kant, 27
Zur Standardisierung der beruflichen Qualifikationen von Beschäftigten im Tourismussektor in der EU zwecks Steigerung der binneneuropäischen ArbeitnehmerInnenmobilität versus dem Wunsch der TouristInnen nach „authentischem“ Kontakt mit der „Lokalbevölkerung“ vgl. Richards (2001).
2.3 Konzepte der Migrations- und Tourismusforschung
107
dass bestehende Besitzverhältnisse respektiert werden müssen. Die Absonderung vieler voneinander unabhängiger benachbarter Staaten hält er für unumgänglich. Sofern legitime Selbstschutzerwägungen vorgebracht werden können, gilt ihm zufolge die moralische Verpflichtung, Fremden Zuflucht zu gewähren, nur eingeschränkt. Welche Selbstschutzerwägungen legitim sind, klärt er jedoch nicht. Das „Spannungsverhältnis zwischen dem universellen moralischen Gebot eines Besuchsrechts für jedermann und dem Vorrecht des republikanischen Souveräns, den ‚Besuchern’ die vollen Bürgerrechte vorzuenthalten“ (Benhabib 2009, 50f.), wirkt in heutigen Debatten um Asyl und Einbürgerung in Europa und andernorts fort. Dem an Bedingungen geknüpften Besuchs- und Gastrecht nach Kant wird häufig das Konzept der bedingungslosen Gastfreundschaft Jacques Derridas gegenübergestellt. Derrida (2001, 56) kritisiert Kant dafür, Gastfreundschaft lediglich unter juridischen Gesichtspunkten zu betrachten und sieht einen nicht auflösbaren Widerspruch zwischen den Gesetzen der Gastfreundschaft im Sinne stets bedingter und konditionaler Rechte und Pflichten und dem unbedingten Gesetz uneingeschränkter Gastfreundschaft (ebd., 60, 104f.). Letzteres beinhaltet eine bedingungslose Öffnung der Grenzen oder Türen für jeden und jede, ohne nach Namen oder Herkunft zu fragen und ohne Gegenleistungen zu erwarten, wobei größte Risiken in Kauf genommen werden (ebd., 27). Es muss auch einkalkuliert werden, dass der Gast zum Gastgeber wird (ebd., 90).28 Das heutige „internationale System der Völker und Staaten ist durch ein solches Maß an wechselseitiger Abhängigkeit und eine Vielzahl historischer Überschneidungen von Lebenswegen und Schicksalen geprägt“ (Benhabib 2009, 46), dass eine Trennung in „GastgeberInnen“ und „Gäste“, wie sie Kant den damaligen politischen Verhältnissen entsprechend zugrunde legt, immer weniger legitimiert werden kann. Derridas Konzept bedingungsloser Gastfreundschaft wird den postkolonialen Verhältnissen jedoch auch nicht gerecht. In ihrer Kritik an Konzepten der Gastfreundschaft hebt Mireille Rosello (2001, 12f.) hervor, dass dieser extremen Form altruistischer Gastfreundschaft immer die Unterstellung der Bedrohlichkeit oder zumindest Unberechenbarkeit der Anderen innewohne, wobei die Gefahr, die die GastgeberInnen umgekehrt für die Gäste darstellen können, nicht berücksichtigt werde. Im Hinblick auf die postkoloniale Situation in Europa lässt sich eine Verstetigung von GastgeberIn-Gast-Verhältnissen feststellen. Rosello (2001, 18) betont, dass die Unterscheidung von GastgeberIn und Gast hier weitere problematische Oppositionspaare wie Macht und Machtlosigkeit, Eigentum und Enteignung, Stabilität und Nomadentum beinhalte, und konstatiert: „[I]f the guest is 28 Zur Kritik an Derridas Konzept bedingungsloser Gastfreundschaft vgl. z.B. Friese (2003, 9f.) oder Dikeç/Clark/Barnett (2009).
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always the guest, if the host is always the host, something has probably gone very wrong: hospitality has somehow been replaced by parasitism or charity“ (ebd., 167). Über die „inklusive Exklusion“, die die Verstetigung dieses GastgeberIn-Gast-Verhältnisses impliziert, schreibt Karima Laachir (2007, 185): „Descendants of post-war immigrants believe themselves to ‘belong’ to Europe, but they are still widely perceived as outsiders whose cultural, religious and social values will never be reconciled with ‘European values’. This may be perceived as an attempt to turn postcolonial settlers into migrants long after immigration came to a halt.“
Solange koloniale und postkoloniale Migration nicht als Teil europäischer Geschichte begriffen werde und die eingewanderten Menschen nicht als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft, sondern allenfalls als „Gäste“ anerkannt würden, müsse „Gastfreundschaft“ als Ausdruck der Fortschreibung kolonialer Machtverhältnisse gesehen werden (vgl. ebd., 186). Unter globalisierten, postkolonialen Bedingungen ist es sowohl auf Tourismus als auch auf Migration bezogen unangemessen, mit einem Konzept von Gastfreundschaft zu arbeiten, dass die kollektive Identität und territoriale Zugehörigkeit von „GastgeberInnen“ gegenüber der Unstetigkeit und Bewegtheit von „Gästen“ bestärkt. Ein Konzept von Gastfreundschaft, das der mobilen Welt gerecht werden will, muss Jennie Germann Molz und Sarah Gibson (2007, 13) zufolge vielmehr das herkömmliche, territoriale Verständnis von „Zuhause“ in Frage stellen und die sich überschneidenden Flüsse und Zirkulationen von GastgeberInnen, Gästen und Objekten in einer mobilen Welt in den Blick nehmen: „We want to illuminate the paradox of hospitality – that it evokes both home and movement – in order to destabilize the way power relations are congealed within the paradigmatic discourses in tourism and migration studies. We hope to figuratively mobilize the concept of hospitality across disciplines and to de-couple associations of the host with home, territory, stability, and ownership on one side, and of the guest with mobility, estrangement and un-belonging on the other.“ (Germann Molz/Gibson 2007, 16)
In diesem Sinne soll in der vorliegenden Arbeit Gastfreundschaft als Produkt der Begegnung unterschiedlich mobiler AkteurInnen begriffen und ihre Relevanz insbesondere im Hinblick auf migrantische AkteurInnen im Tourismus herausgearbeitet werden. Dabei wird deutlich, dass das herkömmliche Verständnis von Gastfreundschaft als Wesensmerkmal einer ansässigen Bevölkerung nach wie vor im Tourismus eine wichtige Rolle spielt und bei der Beschäftigung migrantischer DienstleisterInnen zum Tragen kommt. Die Vorstellung, dass Gastfreundschaft nur von „Einheimischen“ gewährt werden kann, wird beispielsweise als
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Begründung dafür herangezogen, dass migrantisches Personal eher im Backstage-Bereich beschäftigt und so dem „touristischen Blick“ entzogen wird. Der „touristische Blick“ und die Differenz Das Konzept des „touristischen Blicks“ wurde 1990 von John Urry (hier: 2002) entwickelt. Es wird in der Tourismusforschung seither nahezu ebenso häufig zitiert wie kritisiert. Der Kritik, andere Sinne gegenüber dem Sehsinn zu vernachlässigen, hält Urry (ebd., 146) entgegen, dass der Blick eine herausragende Rolle im touristischen Erlebnis spiele und eng mit der Privilegierung des Auges in der Geschichte westlicher Gesellschaften verbunden sei.29 Dabei knüpft er insbesondere an Michel Foucault an. Angelehnt an dessen Konzept des „klinischen Blicks“ fasst Urry (ebd., 1) den „touristischen Blick“ als „socially organised and systematised“. Wenngleich er im Unterschied zum „klinischen Blick“ kein ExpertInnenwissen voraussetze, seien doch viele ExpertInnen daran beteiligt, „unseren“ Blick als TouristInnen zu formen.30 Der „touristische Blick“ variiere je nach Gesellschaft, sozialer Gruppe und historischer Epoche, basiere aber immer und überall auf Differenz. Wichtig sei vor allem der Kontrast zu sozialen Aktivitäten und Zeichen, die mit „Zuhause“ und bezahlter Arbeit verbunden sind. Authentizität sei (für „PosttouristInnen“) nur insofern relevant, als dass sie eben diesen Kontrast bieten könne (vgl. ebd., 12).31 Potenzielle Objekte des „touristischen Blickes“ müssen also auf die eine oder andere Weise „anders“ sein, weisen aber ansonsten eine große Bandbreite auf. Sie umfassen nicht nur Produkte der Hochkultur, sondern auch landschaftliche Eindrücke, körperliche Erholungserlebnisse und – mehr oder weniger „authentische“ – Kontakte mit „fremden Kulturen“. Als wesentliche Objekte des „touristischen Blickes“ fasst Urry (2002, 51) beispielhaft zusammen: „a landscape (the Lake District), a townscape (Chester), an ethnic group (Maoris in Rotorua, New Zealand), a lifestyle (the ‘wild west’), historical artefacts (Canterbury Cathedral or Wigan Pier), bases of recreation (golf courses at St Andrews), or simply sand, sun and sea (Majorca).“
29
Urry (2002, Kapitel 7) zufolge wurde der „touristischen Blick“ stark von der Fotografie beeinflusst. Sie entwickelte sich etwa zeitgleich mit der Eisenbahn und den ersten Pauschalreisen und erlangte gegen Ende des 19. Jahrhunderts große Popularität. (Vgl. hierzu auch Estelmann 2006, 265ff. oder Osterhammel 2009, 76ff.) 30 Zum Einfluss von Tourismuswerbung und Pauschalreiseangeboten auf die Normierung des Blicks vgl. z.B. Pagenstecher (2004a+b) und zur Rolle der Reiseliteratur bei der Lenkung touristischer Blicke Pichler (2006). 31 Zur Kritik am Konzept des „Post-Touristen“ siehe weiter oben und vgl. Spode (2005a).
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2 Migration und Tourismus
In seiner Kritik an Urrys Konzept des „touristischen Blick“ hebt Hasso Spode (2005a, 140ff.) als einen Kritikpunkt neben anderen gerade diese potenzielle Unbegrenztheit und Beliebigkeit hervor, die zeige, dass der „touristische Blick“ nicht mit dem „klinischen Blick“ Foucaults vergleichbar sei, insofern er nicht wie dieser „Ausdruck einer ‚fundamentalen Disposition des Wissens’“ (ebd., 145) sei. Unter dem Begriff „Blick“ werde im Gegenteil eine Vielzahl eigenständiger Praktiken zusammengeworfen, die durch eine Vielzahl eigenständiger Sehweisen strukturiert und an eine Vielzahl sozialer Gruppen gebunden sei (ebd., 143). Vor dem Hintergrund dieses Einwands soll der „touristische Blick“ hier eingegrenzt werden auf Wahrnehmungsmuster, die Differenz in Bezug auf „die bereiste Kultur“ betreffen und das Verhältnis verschiedener Personengruppen im Tourismus prägen, wobei meine Aufmerksamkeit insbesondere dem Mittelmeerraum und seiner Wahrnehmung durch WesteuropäerInnen gilt. An den Orten, die dem „touristischen Blick“ ausgesetzt sind, entstehen Urry zufolge komplexe Verhältnisse zwischen „TouristInnen und Einheimischen“, und es bilden sich besondere soziale Verhältnisse zwischen „GastgeberInnen und Gästen“ heraus (vgl. ebd., 50f.). Auf in diesem Verhältnis angelegte rassistische Differenzkonstruktionen geht er jedoch nicht weiter ein. Tina Goethe (2002, 27) betont hingegen, dass nicht nur der Tourismus, sondern auch der Rassismus auf der Konstruktion von Differenzen beruhe und dass der Tourismus maßgeblich dazu beitrage, eine symbolische Ordnung der Welt aufrechtzuerhalten, die aus mobilen TouristInnen einerseits und authentischen, sich im historischen Stillstand befindlichen, bereisbaren Kulturen andererseits besteht. Während Differenz im Tourismus positiv konnotiert sei, sei sie im Rassismus mit Abwertung und Ausgrenzung verbunden. Innerhalb einer von Herrschaftsstrukturen bestimmten Welt könne jedoch auch die touristische Differenzkonstruktion zwischen kulturellen Gruppen letztlich nicht positiv sein. Die „im Tourismus zum alltäglichen Geschäft gehörende exotische Wertschätzung des Fremden“ (ebd., 15) müsse vielmehr als Ausdruck rassistischen Denkens und Handelns interpretiert werden. Goethe (ebd., 15f.) vertritt daher die These, „dass der auf der Annahme und Herstellung kultureller Differenzen basierende Tourismus zum Erhalt der symbolischen Ordnung der Welt beiträgt. Diese Weltordnung beruht auf rassistischen Kategorien, die kulturell definiert sind. Reisen und Rassismus basieren beide auf der Konstruktion von Grenzen zwischen unterschiedlichen Kulturen.“32
32
Vgl. hierzu auch Hennig (1997, 124ff.).
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Nun wird der „touristische Blick“ häufig mit dem „ethnologischen Blick“ verglichen (vgl. z.B. Rolshoven 1995).33 Insbesondere im Hinblick auf den Mittelmeerraum gibt es einige Parallelen.34 So ähnelt der „touristische Blick“ auf den Mittelmeerraum, der sich in der Nachkriegszeit in Westeuropa entwickelte und die Region mit Traditionsbewusstsein, Rückständigkeit und ursprünglicher, naturverbundener Lebensweise assoziierte, in mancher Hinsicht dem „ethnologischen Blick“ dieser Zeit.35 Als die ehemaligen Kolonien ihre Geschichtsschreibung selbst in die Hand nahmen und westliche EthnologInnen in den befreiten postkolonialen Staaten Afrikas und Asiens nicht mehr willkommen waren, zogen sich einige von ihnen in den 1960er und 1970er Jahren auf den europäischen Raum zurück. Die Methoden der Erforschung der außereuropäischen „Anderen“ wurden auf das ländliche Europa und die zirkummediterranen Gesellschaften übertragen, die nun zum zentralen Gegenstand des Forschungsinteresses britischer SozialanthropologInnen und US-amerikanischer KulturanthropologInnen avancierten. Die ethnografischen Studien der frühen Mittelmeerethnologie waren zumeist Gemeindeforschungen in ländlichen, peripheren Regionen, die weitgehend isoliert von äußeren Einflüssen betrachtet wurden. Ihr Eingebettetsein in Nationalstaaten mit bürokratischer Organisation, Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozesse sowie Migrationsbewegungen, die den Horizont der Dorfgemeinschaft transzendierten, wurden ausgeblendet oder als Bedrohung für das traditionelle Leben gesehen, das es zu bewahren galt. (Vgl. hierzu kritisch Giordano 1990; Goddard/Llobera/Shore 1994; Welz 2000; Avdela 2007) Dies änderte sich erst infolge der heftigen Kritik, die in den 1980er Jahren an den Prämissen der Mittelmeerethnologie entbrannte, wofür insbesondere Michael Herzfeld (1987) steht. In Anlehnung an Edward Saids (1979) Begriff des „orientalism“ bezeichnete Herzfeld (1987, 64) die Konstruktion eines einheitlichen, statischen Kulturraums Mittelmeer, der als Kontrastfolie für „den Westen“ dient, als „mediterraneanism“. Damit warf er den westeuropäischen EthnologInnen Exotisierung und Archaisierung der Gesellschaften rund um das Mittelmeer 33
Mit dem Aufkommen der Eisenbahn, der Fotografie und der Pauschalreise gewann im 19. Jahrhundert ein „ethnografischer Blick“ für Differenz an Bedeutung. Jane C. Desmond (1999, xiii) schreibt: „The origins of this visual and kinesthetic basis of codifying ‘difference,’ on which tourism relies, reach back to the late nineteenths century (with antecedents much earlier), when the nexus of visual representation, popular performance, anthropology, and bodily ‘sciences’ like craniology came together to produce a popular, ‘scientific’ ethnographic gaze. This mode of knowledge proposes that cultural difference is represented by and understandable through direct observation of ‘specimens.’“ 34 Da es sich bei Mittelmeerreisen zu einem großen Teil um im Reisebüro gebuchte Pauschalreisen handelt, hätten die Veranstalterkataloge einen starken Einfluss auf den „touristischen Blick“, meint Cord Pagenstecher (2004b, 14). Es gibt jedoch auch andere, mehr auf Individualität setzende Reiseformate, die den „touristischen Blick“ auf den Mittelmeerraum geprägt haben (vgl. hierzu z.B. Römhild 2002, 165). 35 Im Hinblick auf Griechenland vgl. hierzu z.B. Galani-Moutafi (2000) oder Wills (2005).
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vor, insofern die Region – insbesondere Griechenland – in eurozentristischer Weise zum einen als „Wiege der Zivilisation“ betrachtet werde, von der aus (West-)Europa vor langer Zeit seinen Ursprung nahm, zum anderen aber eine Distanz zwischen völlig verschiedenen kulturellen Räumen behauptet werde (vgl. ebd., 7). Eine solche Perspektive auf die Bereisten oder Erforschten lässt sich nicht nur in Bezug auf den Mittelmeerraum finden. Christoph Hennig (1997, 128) zufolge ist „das Bild der unverdorbenen, außerhalb der modernen Zeit stehenden Einheimischen“ generell eines der „wichtigsten und beständigsten Elemente“ des Tourismus.36 Die „Einheimischen“ werden dabei nicht nur als „anders“ wahrgenommen, sondern immer auch als RepräsentantInnen einer differenten Gruppe. Der touristische (oder ethnologische) Blick, wie ich ihn hier fasse, wird in gegenwärtigen Einwanderungsgesellschaften längst nicht mehr nur auf entfernte touristische Räume gerichtet, sondern auch auf die eigene – in diesem Zusammenhang – westliche Gesellschaft, in der Eingewanderte aus den ehemaligen Kolonien oder „GastarbeiterInnen“ aus Südeuropa vor allem in ihrer kulturellen Andersartigkeit wahrgenommen wurden und werden. Im Rahmen eines multikulturellen Gesellschaftsverständnisses werden sie auf eine kulturelle Differenz festgelegt, die sich im indischen Restaurant und in der italienischen Pizzeria gleichsam touristisch konsumieren lässt. Sie fungieren dabei als Projektionsfiguren, deren Differenz kontrolliert und einverleibt werden kann (vgl. Steyerl/Gutiérrez Rodríguez 2003, 9). Hieran wurde zum einen die ethnisierte oder kulturalisierte Form der Anerkennung und Vereinnahmung von Differenz kritisiert, die soziale und wirtschaftliche Unterschiede ausblendet, und zum anderen darauf verwiesen, dass „die Sichtbarkeit und die Anerkennung von (natio-ethnokulturellen) Identitäten und Zugehörigkeiten in der Migrationsgesellschaft systematisch ungleich ist“ (Broden/Mecheril 2007, 15). Noch grundsätzlicher werden aber auch überhaupt Strategien in Frage gestellt, die auf Sichtbarkeit, Anerkennung, Identität und Differenz – kurz Repräsentation – setzen. Repräsentation in ihrer doppelten Bedeutung als Darstellung und Vertretung ist „ein tückisches Mittel, das einerseits das Versprechen der Sichtbarmachung deprivilegierter Positionen in sich birgt, andererseits jedoch selbst ein Instrument der Vereinnahmung und Ausbeutung der subalternen Stimme ist“ (Steyerl/Gutiérrez Rodríguez 2003, 15), wie wir am Beispiel des „Einheit-in-Vielfalt“-Mythos, mit dessen Hilfe eine europäische Identität konstruiert werden soll, im folgenden Kapitel noch sehen werden. 36
Beispielsweise sind Parallelen zu Hawaii auffällig, das aus der Perspektive von US-AmerikanerInnen gleichzeitig Teil der USA ist und doch etwas ganz anderes repräsentiert. Jane C. Desmond (1999, 141) schreibt: „Hawai’i, as a part of the United States, but clearly apart from it, serves as a foil, defining through Edenic contrast what the ‘real’ America is all about.“
2.3 Konzepte der Migrations- und Tourismusforschung
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Das Problem besteht darin, dass Sichtbarkeit nur innerhalb eines hegemonialen „Blickregimes“ möglich ist, in dem bestimmte Differenzen hervorstechen und andere ausgeblendet werden. Dies hat Konsequenzen für das Leben und die Wahrnehmungsweisen in westeuropäischen Gesellschaften, aber auch für den „touristischen Blick“ auf den Mittelmeerraum. Marion von Osten (2007) ist der Ansicht, dass sich in den Zeiten der „GastarbeiterInnenmigration“ in Westeuropa ein „Blickregime“ durchgesetzt hat, das den Mittelmeerraum mit Rückständigkeit assoziiert und auch heute noch, unter den Bedingungen des postfordistischen Migrationsregimes, wirkmächtig ist. Gegenwärtig seien es wieder Bilder aus dem Mittelmeerraum, die das Migrationsgeschehen in Europa repräsentierten. Inzwischen sind jedoch aus den Herkunftsländern der „GastarbeiterInnen“ EUMitgliedstaaten oder -Beitrittskandidaten und Einwanderungsländer geworden. Die Bilder vom Mittelmeerraum werden jetzt nicht mehr von „GastarbeiterInnen“ auf dem Weg nach Westeuropa beherrscht, sondern von verzweifelten Flüchtlingen und „illegalen“ MigrantInnen, die das Mittelmeer unter Einsatz ihres Lebens überqueren, um in die „Festung Europa“ zu gelangen. Doch auch in diesen aktuellen Darstellungen werde das „koloniale Narrativ der MigrantInnen als Angehörige eines Territoriums von Unterentwickelten“ (ebd., 179) fortgeschrieben. Eine Übersetzung des migrantischen Raums in den touristischen scheint – anders als zu Zeiten der „GastarbeiterInnenmigration“ als das, was in Bezug auf MigrantInnen als rückständig galt, für den touristischen Konsum als traditionell umgedeutet wurde – so ohne Weiteres jedoch nicht mehr möglich. Dieses „Blickregime“ beeinflusst auch die konkrete Interaktion zwischen TouristInnen, ArbeitsmigrantInnen, Flüchtlingen und anderen dauerhaft oder zeitweilig Anwesenden im Mittelmeerraum. Insbesondere der Bereich touristischer Dienstleistungen ist es, in dem verschiedene mobile Personengruppen zusammenkommen und verschiedene Blicke sich kreuzen, und dem deswegen meine besondere Aufmerksamkeit gilt. Auch John Urry (2002) widmet der Dienstleistungstätigkeit in der Tourismusindustrie als einem Objekt des „touristischen Blicks“ ein eigenes Kapitel. Er schreibt: „the tourist gaze is structured by culturally specific notions of what is extraordinary and therefore worth viewing. This means that the services provided, which may of course be incidental to the gaze itself, must take a form which does not contradict or undermine the quality of the gaze, and ideally should enhance it. This in turn poses, as we shall see, immense problems of management of such industries, to ensure that the service provided by the often relatively poorly paid service workers is appropriate to the almost sacred quality of the visitors’ gaze on some longed-for and remarkable tourist site.“ (Ebd., 59f.)
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Wenngleich er sich bewusst ist, dass Dienstleistungstätigkeiten von „gender, age, race, educational background and so on“ (ebd., 61) beeinflusst werden, und dass die Beschäftigten in Hotels und Restaurants häufig im Ausland rekrutiert werden (vgl. ebd., 73), konzentriert Urry sich nur auf Geschlechterdifferenzen (vgl. ebd., 62ff.) und gibt kaum Auskunft darüber, wie Differenzen in der Interaktion zwischen DienstleisterInnen und TouristInnen zum Tragen kommen. Gerade im touristischen Dienstleistungsbereich verlaufen die Differenzlinien jedoch entlang verschiedenster Achsen und lassen sich häufig nicht mit den im „touristischen Blick“ gebündelten Differenzkonsumbedürfnissen in Einklang bringen, wie ich anhand meiner Forschung zeigen möchte. Der Tourismus bietet allerdings auch diverse Möglichkeiten, sich mittels Nachahmung an hegemoniale Differenzmarkierungen anzupassen, was sowohl TouristInnen als auch Einheimische tun. Beide Seiten begeben sich bisweilen gezielt in die touristische Bühnenlandschaft, von der Dean MacCannell (1973) spricht, um durch das vorübergehende Annehmen einer anderen Identität das touristische Erlebnis zu inszenieren.37 In Abgrenzung zum eindirektionalen „tourist gaze“ wird in diesem Zusammenhang deutlich, dass nicht nur die TouristInnen auf „die Bereisten“ blicken, sondern auch umgekehrt. Darya Maoz (2006, 225) spricht daher von einem „mutual gaze“.38 Die verschiedenen Blickrichtungen oder Sichtweisen sind innerhalb eines hegemonialen Blickregimes jedoch nicht gleichberechtigt. Im Mittelmeerraum sind es nun nicht nur Einheimische und TouristInnen, die die touristischen Bühnen bespielen, sondern auch verschiedene Gruppen von MigrantInnen. In den touristischen Zentren an der südlichen EU-Außengrenze gibt es gewissermaßen abgestufte Sichtbarkeiten, die von der Hypersichtbarkeit touristischer Körper in der Hochsaison bis zur Unsichtbarkeit von Flüchtlingen reichen, von denen bisweilen nur Spuren wie am Strand zurückgelassene Boote zu sehen sind (vgl. hierzu Cabot 2008 über Lesbos). Auch migrantische Arbeitskräfte sind häufig für den touristischen Blick nicht sichtbar, da sie eher die Hinterbühnen des Tourismus bespielen: „In general, the proportion of foreign staff increases as the degree of customer contact decreases“ (Richards 2001, 46). Diese abgestuften Sichtbarkeiten sind der dominanten Perspektive geschuldet, die sich aus dem touristischen Blickregime ergibt. Entsprechend der unterschiedlichen Positionen, die dieses hegemoniale Blickregime zuweist, variieren auch die Strategien im Umgang mit der eigenen Sichtbarkeit. „Alternativreisende“ oder auch sesshaft gewordene ehemalige TouristInnen bemühen sich, als Einheimische wahrgenommen zu werden, um sich von der Masse der allgegenwärtigen TouristInnen abzuheben. Migrantische DienstleisterInnen im Touris37 38
Zum Verwandlungsspiel im Tourismus vgl. z.B. Hennig (1997, 86). Vgl. hierzu auch Kerschreiter (2009).
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mussektor versuchen ebenfalls als Einheimische durchzugehen oder korrigieren diesen Eindruck nicht, um den „touristischen Blicken“ zu entsprechen. Für illegalisierte MigrantInnen kann es gar lebensnotwendig sein, dem hegemonialen Blickregime entsprechend entweder als einheimisch oder touristisch durchzugehen. Hierbei sind diejenigen im Vorteil, die nicht durch offensichtliche Differenzmarker wie Hautfarbe auffallen. Die Strategien der Subalternen im Umgang mit dem hegemonialen Blickregime können als internalisierter Rassismus oder simple Überlebensstrategie gedeutet werden oder aber im Sinne des postkolonialen Mimikry-Konzeptes. Kien Nghi Ha (2004, 148) schreibt in Anlehnung an Homi K. Bhabha: „Mimikry ist eine Form der strategischen Kriegsführung für Unterlegene, die die Ambivalenz des kolonialen Diskurses zur Alltagslist der Irreführung, Täuschung und Tarnung für sich ausnutzen. Sie ist ein intimes Wissen, das trotz aller systematischen Ausschlüsse von der unvermeidlichen Nähe und Innigkeit mit dem vertrauten Feind in der kolonialen Situation zeugt und sich nun gegen den Kolonialisierer selbst, den Hüter des Wissens und der Rationalität, wendet.“
Im Kontext des europäischen Mobilitätsregimes ist die Praxis der Mimikry mehr als eine kreative Persiflage hegemonialer Identitätskonzepte. Die kulturellen Differenzmarkierungen, die hierbei imitiert werden, sind nicht einfach nur unschuldige Beschreibungen verschiedener, objektiv beobachtbarer Identitätskategorien, sondern Versuche, die Wirklichkeit entlang dieser Kategorien zu regieren. Eric R. Wolf (1997, 388) schreibt: „The ability to bestow meanings – to ‘name’ things, acts, and ideas – is a source of power. Control of communication allows the managers of ideology to lay down the categories through which reality is to be perceived. Conversely, this entails the ability to deny the existence of alternative categories, to assign them to the realm of disorder and chaos, to render them socially and symbolically invisible.“
Sichtbar werden bedeutet jedoch nicht in jedem Fall Ermächtigung, sondern kann auch eine Herrschaftstechnologie sein, die darauf zielt, eine eindeutige Verbindung zwischen einem Körper und einer Identität bzw. einer Person und ihrer Herkunft zu ziehen, oder wie Dimitris Papadopoulos und Vassilis Tsianos (2007, 229) es formulieren: „Visibility, meanwhile, in the context of illegal migration, belongs to the inventory of technologies for policing migrational flows.“ Strategien, die auf Sichtbarkeit und Repräsentation zielen, kommen im Kontext des hegemonialen Blickregimes, das die europäische Mobilitätsordnung bestimmt, für jene Subalternen, denen ein legaler Aufenthalt verwehrt wird, also nicht in Frage. Sichtbarkeit bedeutet für sie keine Chance auf Anerkennung, wie ambivalent auch immer, sondern im Gegenteil erhöhte Ausschlussgefahr. Anstatt
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2 Migration und Tourismus
zu einem wahrnehmbaren und identifizierbaren politischen Subjekt zu werden, setzen illegalisierte MigrantInnen daher häufig darauf, unsichtbar zu werden, indem sie ihre Papiere vernichten oder sich eine andere Identität zulegen, um sich der Einordnung oder Aussortierung zu entziehen. Insofern MigrantInnen machtvolle Kategorien des migrationspolitisch wirksamen Blickregimes wie „Touristin“ oder „Einheimischer“ durch Mimikry bedienen, spielen sie daher nicht einfach nur mit verschiedenen Identitäten und bedienen den „touristischen Blick“, sondern machen sich gewissermaßen unsichtbar und durchkreuzen so migrationspolitische Ordnungskategorien und Ausschlussmechanismen.
2.4 Fazit In den in diesem Kapitel vorgestellten künstlerischen und wissenschaftlichen Arbeiten wird häufig nach bestehenden Dominanzen, aber auch nach neuen Hierarchien gefragt, die in mehr oder weniger vorhandenen Zugangsmöglichkeiten zu Mobilität zum Ausdruck kommen, insbesondere im Kontext des europäischen Grenzregimes. So werden ungleiche Reise- und Aufenthaltsbedingungen als Ausdruck einer Neustratifizierung der Welt entlang von Mobilität ins Blickfeld gerückt. Migration und Tourismus werden dabei mal als Pole einer Mobilitätshierarchie begriffen und mal als verschiebbare Größen eines Mobilitätskontinuums, wobei zunehmend ihre gegenseitige Bedingtheit und die Schwierigkeiten einer klaren Trennung betont werden. Die Projekte zeigen, dass verschiedene Formen der Mobilität ihre jeweiligen Konturen oftmals erst in ihrer gegenseitigen Bedingtheit zu erkennen geben. Sie lösen sich nie komplett in einander auf, sind aber häufig auch nicht klar voneinander zu trennen, schon gar nicht durch abstrakte Typologisierungen. Ungeachtet der vielfältigen Überschneidungen wurden Tourismus- und Migrationsforschung bislang meist getrennt voneinander betrieben. Die beiden Forschungsstränge arbeiten jedoch zu einem beträchtlichen Teil mit den gleichen oder zumindest mit ähnlichen Prämissen und Konzepten. Ziel dieses Kapitels war es daher auch, Überschneidungen zwischen zentralen Begriffen der Migrations- und Tourismusforschung herauszuarbeiten und einige ihrer Vorannahmen zu problematisieren. Statische und binäre Konzepten von Gastfreunschaft oder Authentizität werden der mobilen Welt nicht länger gerecht. Entsprechende Vorstellungen sind jedoch nach wie vor wirkmächtig, wie wir weiter unten sehen werden, und insofern als Gegenstand der Forschung noch immer relevant. Sowohl in den empirischen Arbeiten als auch in der Diskussion der theoretischen Konzepte kristallisiert sich heraus, dass die Dienstleistungsebene im Tourismus näher betrachtet werden sollte. Gerade hier überschneiden sich tou-
2.4 Fazit
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ristische und migrantische Praktiken und stellen die herkömmlichen Dichotomien der Tourismus- und Migrationsforschung in Frage. Inwiefern migrantische DienstleisterInnen im Tourismus darüber hinaus ein ergiebiges Forschungsfeld darstellen, um die Funktionsweise des europäischen Mobilitätsregimes zu erschließen, soll die vorliegende Arbeit näher beleuchten. Ich möchte insbesondere in Bezug auf Kreta weiter unten verschiedene Strategien der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit aufzeigen, die MigrantInnen verfolgen, die dem „touristischen Blick“ auf den Mittelmeerraum ausgesetzt sind und mit Authentizitätsanforderungen umgehen müssen. Auf der Basis meiner Forschung in Zypern wird es dann um die Konsequenzen gehen, die die Durchsetzung der Kategorien des europäischen Mobilitätsregimes im Zuge des EUBeitritts mit sich bringt, und um die Rolle, die die Geschlechtszugehörigkeit von migrantischen Dienstleisterinnen für den „touristischen Blick“ spielt. Dabei wird dem Topos der Gastfreundschaft als Distinktionsvorteil von Einheimischen auf einem europäischen Arbeitsmarkt besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Im folgenden Kapitel geht es jedoch zunächst um Migration und Tourismus in der Geschichte Europas und um die Herausbildung des europäischen Grenzregimes.
3 Europa
Einige der Mobilitätsmetaphern, die ich in Kapitel 1 vorgestellt habe, lassen sich im gegenwärtigen „Transit-Europa“ in europäisierter Form wieder finden: Brücken werden zu „Europabrücken“ oder dienen als Identitätssymbole auf EuroBanknoten (vgl. hierzu Shore 2000, 111ff.). Die Eisenbahnverbindung über den Ärmelkanal heißt nicht nur „Kanaltunnel“ sondern auch „Eurotunnel“, Flughäfen werden zu „Euro Airports“ oder „Eurogates“, aus öffentlichen Plätzen vor Bahnhöfen werden „Euro Squares“, Hotels bekommen den Namenszusatz „de l’Europe“, Schiffe werden „MS Europa“ getauft, Züge heißen „Eurostar“ oder „Euronight“, und Speditionsfirmen nennen sich „Eurotransport“ und schmücken ihre Lastwagen mit gelben Sternen auf blauem Grund (vgl. Johler 2002, 11). Durch diese Namensgebungen wird die Vorstellung bestärkt, dass Europa und 1 Mobilität untrennbar miteinander verbunden sind. Zudem werden europäische BürgerInnen in einer neoliberalen Rhetorik zunehmend als „verantwortliche, offene, interessierte und mobile Subjekte“ (Quenzel 2005, 189) angesprochen, wie ich weiter unten an Diskursen und politischen Programmen zur europäischen Identitätsbildung verdeutlichen werde2, die teil1 Orvar Löfgren (2000) diskutiert die Bedeutung von „moving metaphors“ in einer innereuropäischen Grenzregion. Am Beispiel der Øresundbrücke zwischen Dänemark und Schweden arbeitet er heraus, wie stark konkrete Bauprojekte in Europa symbolisch aufgeladen sein können. Geschwindigkeit und Mobilität seien hier Schlüsselmetaphern gewesen, die auch das große Interesse der EU an dem Bauprojekt befördert hätten. 2 Ich kann in diesem Rahmen nicht der umfassenden Debatte um die Konzepte „Identität“ und „Diskurs“ gerecht werden. Daher möchte ich auf Gudrun Quenzel (2005, Kapitel 1) verweisen, die einen Überblick dazu liefert und die Begriffe im Hinblick auf Europa spezifiziert. Kurz gefasst betrachtet Quenzel „kollektive Identität“ als einen „reziproken Prozess, in dem die Subjekte über ihre Anrufung als Teil eines Kollektivs konstituiert werden und sich über die Annahme der Anrufung mit dem angebotenen Objekt der Identifikation auch identifizieren“ (ebd., 267), wobei sie die Heterogenität der Identifikationsangebote in Europa betont. Sie fragt vor diesem Hintergrund nach dominanten Identifikationsangeboten und Homogenisierungsprozessen (vgl. ebd. 33). Über den zweiten Teil des Identitätsbildungsprozesses – die Annahme der Anrufung – gibt Quenzel allerdings kaum Auskunft. Unter Diskurs versteht Quenzel (ebd., 36) in Anlehnung an Foucault „regelgeleitete Praktiken, die sich nicht in der Repräsentation und Bezeichnung von Gegenständen erschöpfen, sondern diese vielmehr hervorbringen“. Das bedeutet, dass „Begriffe wie Ost-, Mittel-, Süd- und Westeuropäer – wie alle anderen Begriffe auch – keine vordiskursiven Gegebenheiten [bezeichnen], sondern sie konstruieren im Prozess der Bezeichnung erst, was sie benennen“ (ebd., 37).
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3 Europa
weise eine Reaktion auf das vielfach diagnostizierte Demokratie- respektive Kulturdefizit der EU darstellen, aber auch der Regulierung eines binneneuropäischen Arbeitsmarktes dienen. Insbesondere EU-Programme im Bereich Tourismus haben daher sowohl eine wirtschaftliche als auch eine – meist diffuse – kulturelle Komponente und zielen auf die Schaffung einer europäischen Identität unter Anerkennung kultureller Vielfalt. In Diskursen um europäische Identität erscheint die Europäische Union häufig als die Krönung einer aufstrebenden historischen Entwicklung. Cris Shore (1999, 59) schreibt: „European identity is portrayed as the end product of a progressive ascent through history – albeit a highly selective history – from ancient Greece and Rome, to the spread of Christianity, the scientific revolution, the Age of Reason, the Enlightenment and the triumph of liberal democracy.“
Auf der Basis dieses selektiven Zugriffs auf Geschichte werden einige Formen der Mobilität – beispielsweise die christliche Pilgerreise im Mittelalter – als historische Vorläuferinnen heutiger Mobilitätsformen in Europa und als Teil der europäischen Identität begriffen (vgl. z.B. FAZ vom 20.3.2008). Gleichzeitig sind jedoch auch statische Metaphern – insbesondere die der „Festung Europa“ – im öffentlichen Diskurs präsent, mit denen Mobilitäten wie Flucht und Migration über die Außengrenzen der EU hinweg stigmatisiert und als Bedrohung des europäischen Projektes dargestellt werden. Ebenso wie Tourismus historisch als ein „Kind Europas“ (Spode 2005b, 76) betrachtet werden kann, sind jedoch auch Migration und Flucht keineswegs Phänomene, die erst dieser Tage von außerhalb und ohne eigenes Zutun über Europa hereinbrechen. Sie stellen vielmehr „einen zutiefst europäischen Prozeß“ dar, „der unmittelbar in der Geschichte der Entstehung des europäischen Staatensystems verwurzelt ist“ (Sassen 1996, 10). Vor diesem Hintergrund wird europäische Geschichte in diesem Kapitel sowohl mit Fokus auf Flucht- und Migrationsprozesse als auch auf touristische Mobilitätsformen erzählt. Da Mobilitäten und ihre Geschichte längst Eingang in politische Programme und Diskurse um exklusive europäische Identität gefunden haben, ist die Fokussierung auf Mobilität kein Königsweg, auf dem machtvolle Repräsentationen europäischer Geschichte und Identität unterlaufen werden können. Daher soll mein Fokus auf die Mobilitätsgeschichte Europas im Folgenden auch nicht als Gegendarstellung zu einer eher auf Vorannahmen der Immobilität gründenden Geschichtsschreibung verstanden werden. Ich betrachte die Diskurse und politischen Programme zur europäischen Identitätsbildung auf der Basis der Imagination einer gemeinsamen – durchaus auch mobilen – Geschichte vielmehr
3.1 Kapitelüberblick
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als Teil des europäischen Grenzregimes, und frage, wer bzw. wessen Mobilität dabei als zugehörig betrachtet wird und wer bzw. wessen Mobilität nicht.
3.1 Kapitelüberblick Im nächsten Abschnitt des Kapitels (3.2) gehe ich darauf ein, wie Geschichte im Hinblick auf gegenwärtige Identitätsbildungsprozesse interpretiert wird. Dabei beziehe ich mich auf AutorInnen, die die europäische Geschichte als Erfolgsgeschichte des graduellen Zusammenwachsens erzählen, sowie auf Erkenntnisse von Gudrun Quenzel (2005) zu historisch begründeten Konstruktionen europäischer Identität, die sie aus der (westeuropäischen, deutsch- und englischsprachigen) geistes- und sozialwissenschaftlichen Literatur und den Feuilletons herausgearbeitet hat. Dabei soll gezeigt werden, wie in zeitlicher und räumlicher Abgrenzung interne und externe „Andere“ Europas produziert werden und welche Rolle die Repräsentation historischer Mobilitäten dabei spielt. Unter 3.3 werde ich dann die Gewordenheit des gegenwärtigen europäischen Mobilitätsregimes herausarbeiten. Dazu setze ich am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit an. Dieser „Anfang“ legitimiert sich nicht darüber, dass er besonderes Potenzial für die europäische Identitätsbildung heute bietet. Was diesen Zeitpunkt für meine Fragestellung vielmehr interessant macht ist, dass sich seither nicht nur verschiedene Mobilitäten und ihr Verhältnis zueinander, sondern auch Grenzen und Regulierungen von Mobilitäten, wie sie heute in Europa beobachtbar sind, abzuzeichnen beginnen. In diesem Abschnitt beziehe ich mich vor allem auf AutorInnen, die die Europäische Union als postkoloniales Gebilde begreifen und die vielschichtigen Abgrenzungen nach außen und innen kritisch reflektieren. In Abschnitt 3.4 soll es schließlich um die Rolle gehen, die verschiedene Mobilitäten in gegenwärtigen politischen Entscheidungen und Programmen der Europäischen Union spielen. Nach einer Betrachtung von Konzepten und Maßnahmen zur Regulation von Migration im Kontext des EU-Erweiterungsprozesses beleuchte ich die Konstruktion europäischer Identität in EU-Politiken und -Programmen aus dem Bereich Kultur und insbesondere Tourismus. Sowohl auf die Regulierung von Migration als auch auf Tourismus zielende politische Entscheidungen und Programme betrachte ich dabei als konstitutiv für das europäische Grenzregime, das die verschiedenen Mobilitäten unterschiedlich bewertet und so Ein- und Ausschluss produziert. Da meine Feldforschung auf Kreta und
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3 Europa
Zypern stattfand, gilt meine besondere Aufmerksamkeit im gesamten Kapitel diesen beiden Ländern bzw. dem Mittelmeerraum.3 Im Rahmen dieser Arbeit kann weder eine umfassende historische Aufarbeitung von Mobilitäten und Grenzen in Europa sowie ihrer Repräsentation geleistet werden noch eine systematische Genealogie im Sinne Foucaults. Die Absicht der Ausführungen in diesem Abschnitt entspricht jedoch durchaus denen einer „Genealogie als Kritik“, da „das Wissen um die Gewordenheit eines Objekts“ – in diesem Fall des gegenwärtigen europäischen Grenzregimes inklusive der EU-Identitätspolitiken und -diskurse – insofern „gegen dieses [ge]richtet“ werden soll (Saar 2007, 9), als dass es in seiner Selbstverständlichkeit hinterfragt wird.
3.2 Historische Situierung statt selektiver Rückgriffe auf die Menschheitsgeschichte 3.2 Historische Situierung statt selektiver Rückgriffe In diversen populärwissenschaftlichen Texten zu Mobilität wird weit in die Geschichte der Menschheit zurückgegriffen, um die Bedeutung von Mobilitäten heute zu veranschaulichen. So verweist Michael Gleich (1998, 35f.) auf die „Urmenschen“, „unsere Ur-Ur-Ahnen“, um das Zusammenspiel von körperlicher Bewegung und geistiger Beweglichkeit zu verdeutlichen; Eduard Zirkler (2003, 10) fragt sich, ob die Menschen der Steinzeit schon so schnell laufen konnten wie „trainierte junge Männer“ heute, wofür in seinen Augen spricht, dass „Naturvölker“ beachtliche körperliche Fähigkeiten aufweisen; und Helmut Böttiger (2007, 42) grenzt heutige, auf Abwechslung zielende Reisen von der Bewegung „unserer Vorfahren“, der „Jäger und Sammler“, ab, die gezwungen gewesen seien, in unbekannte Gebiete weiter zu ziehen. Solche Rückgriffe auf die Menschheitsgeschichte sind zum einen problematisch, weil sie ungesicherte Daten als Wahrheiten präsentieren4, und zum anderen, weil sie die Vor- und Frühgeschichte auf eine überzeitliche Vergleichsfolie für Reflexionen über Mobilität in der Gegenwart reduzieren. Dabei kommt es dann auch schon mal zu exotisierenden und archaisierenden Vergleichen mit
3 Der „Mittelmeerraum“ konkurriert in der Geschichtsschreibung mit Termini wie „Südosteuropa“ oder „Süden Europas“. Zur Kritik am Konzept von Geschichtsregionen und insbesondere am diskursiven Konstrukt „Süden Europas“ vgl. Schenk/Winkler (2007). Im Rahmen dieser Arbeit kann auf diese Debatte nicht näher eingegangen werden. Verschiedene Termini werden hier weniger aus inhaltlichen als aus stilistischen Gründen abwechselnd gebraucht. 4 Zur archäologischen Nachweisbarkeit von Wanderungen in prähistorischer Zeit vgl. z.B. Prien (2005, 324ff.).
3.2 Historische Situierung statt selektiver Rückgriffe
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nicht-westlichen Gesellschaften heute, wobei die eigene Position undefiniert bleibt. Obwohl sie um die methodischen Probleme wissen, halten auch Migrationsforscher, die sich differenziert mit dem gegenwärtigen Migrationsgeschehen in Europa auseinandersetzen, es offenbar für notwendig, die Beschäftigung mit heutigen Mobilitäten über eine möglichst weit zurück liegende Datierung des „Ursprungs“ menschlicher Mobilität bzw. über die Definition von Mobilität als Prinzip des menschlichen Leben zu legitimieren. So bezeichnet Klaus Bade (2002, 21) Migration als ein „Konstituens der Conditio humana“, und Franck Düvell (2006) spricht von den Menschen als „migrierender Spezies“ (ebd., 93) und beginnt seine Mobilitätsgeschichte mit dem „Homo Sapiens“ (ebd., 33). Sowohl Bade (2000, 13) als auch Düvell (2006, 94) äußern sich jedoch kritisch über Versuche, eine epochenübergreifende Theorie der menschlichen Mobilität zu entwickeln, und sehen die Notwendigkeit der Situierung und Kontextualisierung von Mobilitäten. Beide setzen sich differenziert mit dem gegenwärtigen Migrationsgeschehen in Europa und seinem Zustandekommen auseinander. Insofern es auch in dieser Arbeit um Mobilitäten im Kontext der Europäischen Union geht, ist das unterschiedlich definierbare Europa eine zentrale Bezugsgröße, ohne dass jedoch in eurozentristischer Weise von hier aus Behauptungen 5 über Mobilität im Allgemeinen aufgestellt werden sollen. Es geht mir eher darum, gegenwärtige mobilitätsbezogene Diskurse, Institutionen und Praktiken in Europa als geworden anzuerkennen und kausale Herleitungen heutiger Mobilitätsformen und Identitätskonstruktionen aus der Geschichte kritisch zu reflektieren.6 5 Eurozentrisch bedeutet nicht einfach, dass Europa im Zentrum bestimmter Ausführungen steht. Es ist vielmehr der Aspekt hegemonialer Verallgemeinerung des historisch Partikularen, der Eurozentrismus ausmacht. Auch diese Arbeit ist nicht frei davon, was beispielsweise im konventionalisierten Gebrauch der Himmelsrichtungen zum Ausdruck kommt. Norden, Süden, Westen und Osten sind sowohl global als auch auf einen innereuropäischen Raum bezogen nicht neutral (vgl. Schenk/Winkler (2007) über den „Süden Europas“). Es handelt sich dabei weniger um „Raumkategorien“ als um „Messpunkte internationaler Hierarchisierung“ (Osterhammel 2009, 144). Die meisten der zur Verfügung stehenden Geschichtsschreibungen können zudem auch insofern als eurozentrisch betrachtet werden, als dass sie in einem akademischen Diskurs entstanden sind, in dem „Europa“ – bzw. „Westeuropa“ – dominiert (vgl. Chakrabarty 2000, 27). Dipesh Chakrabarty zufolge ist „Europa“ immer „stille Bezugsgröße“ historischen Wissens. Man muss nicht nur davon ausgehen, dass „Europa“ als master narrative die Geschichtsschreibung anderer Weltgegenden beeinflusst, sondern dass auch die Geschichtsschreibung Europas fast immer eurozentrisch ist, was Chakrabarty (ebd., 28) am Beispiel der wissenschaftlichen Referenzen verdeutlicht: „Third-world historians feel a need to refer to works in European history; historians of Europe do not feel any need to reciprocate.“ 6 Dass die zeitliche und räumliche Begrenzung Europas umstritten ist, zeigen beispielhaft auch die Auseinandersetzungen um die Entwicklung eines Konzeptes für ein Europamuseum in Brüssel vgl. z.B. Reitz (2009) sowie FAZ vom 15.12.2008a+b.
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3 Europa
3.2.1 Räumliche Eingrenzung: Wo hört Europa auf? Mit dem Begriff Europa wird keine eindeutige Landkarte aufgerufen. Nicht zuletzt weil Europa geografisch gesehen eine Halbinsel am westlichen Rand des asiatischen Kontinents ist, die sich geologisch oder plattentektonisch nicht eindeutig von Asien abgrenzen lässt, sind seine Konturen immer eine Frage von mehr oder weniger machtvoll zustande gekommenen gesellschaftlichen Übereinkünften gewesen. Seit dem 18. Jahrhundert wird Europas Grenze in Richtung Osten meist mit dem Gebirgszug des Ural und seiner nördlichen Fortsetzung sowie dem Fluss Ural, dem Kaspischen Meer, den Manytschniederungen und dem Schwarzen Meer festgelegt. Folglich erstrecken sich zwei Staaten – die Türkei und Russland – teilweise über den europäischen und teilweise über den asiatischen Kontinent, was auch in Diskussionen um ihre politische und kulturelle Zugehörigkeit ausgespielt wird.7 Die territoriale Zugehörigkeit zum europäischen Kontinent ist zwar keine Voraussetzung für einen Beitritt zur Europäischen Union, kann aber zu einem Ausschlusskriterium werden, wenn die Mitgliedschaft politisch nicht gewollt ist. So wurde der Antrag Marokkos auf Mitgliedschaft 1987 mit dieser Begründung zurückgewiesen. (Vgl. Quenzel 2005, 99f.) Nicht nur nach Osten, sondern auch in die anderen Himmelsrichtungen sind die Grenzen Europas umstritten. Da „Europa ständig über seine räumlichen Grenzen hinausgegriffen [hat]“ (Braudel 1989, 8), stellen auch die Küsten keine eindeutigen Grenzlinien dar: „Zu Europa gehören nicht zuletzt auch die nordischen Meere, der weite Atlantische Ozean; ja, seit den großen Entdeckungen ein erobernder Atlantik, durch Magalhães mit dem Pazifik und durch Vasco da Gama mit dem Indischen Ozean verbunden.“ (Braudel 1990, 319)
Da Europa also geografisch nicht eindeutig zu bestimmen ist, variieren nicht nur die – häufig historisch abgeleiteten – Identifikationsangebote, sondern auch die Strategien der Abgrenzung und damit die Konstruktion „kollektiver Gegenidentitäten“. In der Analyse (westeuropäischer, deutsch- und englischsprachiger) geistes- und sozialwissenschaftlicher Literatur und Feuilletons arbeitet Quenzel (2005, 96) als wichtigstes europäisches Gegenüber „den Osten“ heraus, der manchmal weiter differenziert werde in „Asien“, „Orient“, „Russland“ oder „Türkei“. Europa werde dabei mit „dem Westen“ gleichgesetzt und Osteuropa erhalte den Status einer Übergangszone.
7 Zur Frage der Zugehörigkeit Russlands und der Türkei zu Europa vgl. auch Osterhammel (2009, 146ff. bzw. 148ff.).
3.2 Historische Situierung statt selektiver Rückgriffe
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Die Bedeutung von „Orient“ und „Okzident“ hat im Laufe der Zeit ebenso geschwankt wie die Europas (vgl. hierzu Bosl 2005, 13f. oder Le Goff 2004, 22f. und 44f.). Wie auch immer definiert, dient „der Orient“ aber bis heute dazu, Europa oder „den Westen“ über „sein Anderes“ zu definieren (vgl. Said 1979). In orientalistischer Weise wird beispielsweise eine Abgrenzung Europas gegenüber Russland manchmal mit der abweichenden Geschichte des Byzantinischen Reichs begründet, dem die Zugehörigkeit zu Europa abgesprochen wird. Noch stärker wird die „islamische Welt“ zum „externen Anderen“ Europas erklärt. Weitere bedeutsame „externe Andere“ sind nach Quenzel die USA. (Vgl. Quenzel 2005, 100ff.) 3.2.2 Zeitliche Eingrenzung: Wann beginnt Europa? Griechenland als „Wiege der europäischen Zivilisation“ Der Name Europa wird meist mythologisch auf die Entführung der phönizischen Prinzessin Europa durch den griechischen Gott Zeus zurückgeführt, der sie nach Kreta brachte. Europa, nach der später ein Kontinent benannt wurde, ist also „orientalischer Herkunft und […] das Opfer von Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Vergewaltigung und Deportation“ (Ette 2001, 559). Mobilität, noch dazu erzwungene, steht damit am Beginn der europäischen Geschichte: „Denn der Herkunftsort (und vielleicht sogar der ‚Strandungsort’) der schönen Europa liegt nicht in jenem Raum, den wir nach heutigem territorialen Verständnis mit ihrem Namen schmücken. So steht der Name der Europa für eine Bewegung und Außerhalbbefindlichkeit, die von (freilich göttlich erzwungener) Deportation und Deterritorialisierung geprägt wird. Mag Europa auch später am Anfang eines neuen Geschlechts, einer neuen Genealogie stehen: Sie lebt nicht in ihrer Heimat, ist vielmehr eine Migrantin.“ (Ebd., 560)
Dem „heutigen territorialen Verständnis“ gemäß wird der mythische Ursprung Europas jedoch meist in Griechenland verortet, das seit der Entführung der phönizischen Prinzessin nach Kreta als „Wiege der europäischen Zivilisation“ gilt. Diese Zuschreibung trägt bis heute zu einem ambivalenten Status Griechenlands in Europa bei. Nicht zuletzt aufgrund der unleugbaren Verbindung nach Kleinasien über die entführte Prinzessin stellt das Land in gewisser Hinsicht ein „internes Anderes“ in Europa im Sinne Quenzels (2005, 97)8 dar. Die Vorstellung,
8 Nach Quenzel existiert das „Nicht-Europäische“ auch in Europa, so dass sich die zur Identitätsbildung notwendig erachteten Prozesse der Abgrenzung nicht nur nach außen, sondern auch nach innen vollzögen. Während der Gegensatz nach außen verstärkt werde, würden interne Differenzen homogenisiert, und aus ehemals „antagonistischen Gegensätzen“ würden „einfache Unterschiede“ (Quen-
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Griechenland sei die Wiege der europäischen Zivilisation, bringt so zwar eine privilegierte Position im Hinblick auf europäische Identitätskonstruktionen mit sich, geht aber auch mit einer Distanzierung von Griechenland durch Archaisierung und Exotisierung einher, wie Michael Herzfeld (1987, 7) es aus der Perspektive Westeuropas formuliert: „In either case, it is ‘not us’, even though we claim it as ‘our own’.“ Während der migrantische Hintergrund der Europa hinsichtlich der europäischen Identitätsbildung meist keine Rolle spielt, wird der griechischen Migration in der Antike eine große Bedeutung beigemessen. So gelten die Eroberungsfeldzüge, mit denen Alexander der Große von Makedonien aus bis an den Indus vorstieß und dabei die griechische Migration in Richtung Osten vorbereitete, als Beginn der Hellenisierung, der Durchdringung vor allem „des Orients“ mit „der griechischen Kultur“.9 (Vgl. hierzu Bringmann 2000) Tourismusgeschichtlich werden aus der griechischen Antike zum einen einzelne Forschungsreisende wie Herodot hervorgehoben, die durch die Begegnung mit „dem Fremden“ zu ihren Erkenntnissen gelangten (vgl. hierzu Müller 1992, 24ff.), zum anderen werden auch bereits Vorformen des heutigen Massentourismus ausgemacht10. Die „Geburt Europas“ im Römischen Reich Erst im Römischen Reich habe sich der frühe Massentourismus jedoch entfalten können, meint Maxine Feifer (1985, 8ff.), begünstigt durch eine 200 Jahre währende Friedensperiode und durch eine Infrastruktur, die sowohl ein gut ausgebautes Straßennetz als auch zahlreiche Kommunikations- und Übernachtungsmöglichkeiten entlang der Reiserouten umfasst habe und von Geschäfts- wie Erholungsreisenden genutzt worden sei.
zel 2005, 96f.). Die als nicht-integrierbar angesehenen Elemente würden zu „internen Anderen“. Ihr Status sei ambivalent; sie seien sowohl eingeschlossen als auch ausgeschlossen. 9 Als erste Phase der griechischen Kolonisation gilt die sogenannte „Ionische Kolonisation“ im 11. und 10. Jahrhundert vor Christus, die vor allem die kleinasiatischen Küstengebiete betraf (vgl. hierzu z.B. Welwei 2002, 28ff.). Allerdings wird bereits die „Entstehung des Hellenentums“ über um 2000 vor Christus beginnende Wanderungsbewegungen erklärt (vgl. ebd., 10). Manche WissenschaftlerInnen gehen angesichts der weit zurück reichenden Wanderungsgeschichte davon aus, dass Migration „zum Wesen der Griechen“ (Konstantinou 2000, 9) gehöre und „integraler Bestandteil ihrer Identität“ (Skarpelis-Sperk 2000, 195) sei. Andererseits gibt es Ansätze, die die Sesshaftigkeit der GriechInnen hervorheben und als Kriterium für das hohe Maß an Zivilisiertheit im Unterschied zu „barbarische Nomaden“ betonen (vgl. hierzu Quenzel 2005, 107). Derart essentialistische und homogenisierende Sichtweisen auf „die GriechInnen“ gehen über die Vielfalt der Praktiken und „identitären Verortungen“ hinweg, entlang derer griechische Geschichte erzählt werden kann (vgl. hierzu Wolf 1997, 5). 10 Vgl. Feifer (1985, 8) über Vergnügungsreisen zu den heiligen Spielen in Olympia.
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Die immensen Migrationsbewegungen, die zwischen dem 4. und dem 6. Jahrhundert stattfanden und im Deutschen meist unter dem Begriff „Völkerwanderung“ zusammengefasst werden, lösten den Zusammenbruch des Weströmischen Imperiums aus, im Zuge dessen auch die Infrastruktur an Straßen, Kommunikationssystemen und Unterkünften verfiel, die das Reisen erleichtert hatten. Diese Zeit war von Krieg und Gewalt gekennzeichnet11, Le Goff (2004, 36) betont jedoch vor allem die weit reichenden „ethnischen und kulturellen Vermischungen“ in der Zeit der sogenannten Völkerwanderung, die für ihn die „Empfängnis Europas“ darstellen: „Von Anfang an setzte sich bei der Geburt Europas in diesem großen Schmelztiegel die Dialektik der Einheit und Vielfalt, der Christenheit und der Nationen durch, die bis heute einer der Grundzüge Europas ist.“ Damit wird das Römische Reich und sein Zerfall infolge der „Völkerwanderung“ zum Ursprung dessen erklärt, was heute im Zentrum von Diskursen und Politiken um die europäische Identität steht: die Vereinbarkeit von Einheit und Vielfalt. Als Grundlage dieses „europäischen“ Ideals wird meist die Bedeutung gemeinsamer Werte wie Freiheit und Toleranz hervorgehoben und gleichzeitig in Abgrenzung gegenüber außereuropäischen „Anderen“ in Anschlag gebracht. (Vgl. Quenzel 2005, 128) Der „Vater Europas“, das mobile Christentum und der Aufstieg der Städte im Mittelalter Mit den Eroberungen Karls des Großen (747-814), der auch „Vater Europas“ genannt wurde, vertiefte sich Karl Bosl (2005, 14f.) zufolge „ein europäisches Bewußtsein“, das wesentlich auf der Idee der geistigen Einheit im Christentum beruhte. Diese Zeit, die vor allem eine der Feldzüge und Christianisierungskampagnen war, wird häufig als die eines ersten systematischen Entwurfs von Eu12 ropa betrachtet. Im 11. Jahrhundert sei „die Christenheit“ zu einer Bezeichnung für das Territorium geworden, das Le Goff (2004, 18) zufolge „der Schoß Europas“ werden sollte. Dabei ist in der Regel jedoch nur die westliche Christenheit 11
Franck Düvell (2006, 33) hebt hervor, dass das, was im deutschen Sprachgebrauch Völkerwanderung genannt wird, eher ein 200-jähriger Krieg innerhalb und gegen das Römische Reich war, und dass es sich dabei keineswegs um Wanderungen „ganzer Völker“ gehandelt habe. Im Englischen und Französischen spreche man daher von der „großen Migration“ oder auch von einer „Invasion“ entweder der „Barbaren“ oder der „Nomaden“. 12 Le Goff (2004, 48) hält das Unternehmen Karls des Großen allerdings für ein „fehlgeleitetes Europa“, weil es „unter der Herrschaft eines Volkes oder eines Reiches“ gebaut werden sollte: „Das Europa Karls V., das Europa Napoleons und das Europa Hitlers waren de facto anti-europäisch, und in den Bestrebungen Karls des Großen ist bereits etwas von diesen Plänen angelegt, die dem wahren Europagedanken widerstreben.“
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gemeint. Die Unterscheidung zwischen ChristInnen und Andersgläubigen wurde „zum dominanten Kriterium der Grenzziehung zwischen dem europäischen Selbst und den Anderen“ (Quenzel 2005, 108).13 Für Le Goff (2004, 94) sind die vielfältigen Mobilitäten, die das mittelalterliche Europa kennzeichnen, in einem uneingeschränkt positiven Sinne Ausdruck des Christentums: „Die bewegte Christenheit verkörpert sich in der raumgreifenden Entwicklung des Pilgerwesens. Dem Bild der traditionellen Geschichtsschreibung von einem unbewegten Mittelalter, in dem der Bauer auf der Scholle haftete und die Mehrheit der Männer und Frauen mit Ausnahme einiger Wandermönche oder Kreuzzugsabenteurer auf ihre kleine Heimat beschränkt blieben, hat die Historiographie unserer Zeit ein anderes Bild entgegengesetzt: das Bild von einer mobilen mittelalterlichen Menschheit, die viel unterwegs ist, in via, ganz im Sinne der christlichen Definition des Menschen als Wanderer, Pilger, homo viator.“14
Im 13. und 14. Jahrhundert war die Pilgerreise ein weit verbreitetes Phänomen geworden und wurde durch eine zunehmend ausgebaute Infrastruktur – insbesondere ein wachsendes Netzwerk von Herbergen und erste Reiseführer – systematisiert. Im 15. Jahrhundert wurden sogar organisierte Touren von Venedig aus ins „Heilige Land“ angeboten (vgl. Feifer 1985, 31).15 Im Zusammenhang mit christlich motivierter Mobilität finden oft auch die Kreuzzüge Erwähnung, die zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert stattfanden und das Ziel hatten, jene Stätten zurückzuerobern, die als ursprünglich christlicher Besitz galten (vgl. Le 13 Dirk Hoerder (2006, 24) stellt fest, dass die Bezeichnung „Europa“ von west- und mitteleuropäischen ChronistInnen häufig für das mitteleuropäische Feudalregime reserviert wird, während die beiden alternativen Modelle staatlicher Organisation im Norden und Süden als äußere Bedrohung abgetan werden. Im Unterschied dazu unterscheidet er für das Mittelalter drei Europas: Neben dem trans-alpinen nennt er das skandinavische und das mediterrane, die alle von Mobilität gekennzeichnet gewesen seien. „If there was a Europe or an Occident, borders were fuzzy and permeable; borderlands or contact zones were characterized by transcultural ways of life. Migration meant cultural interaction, trade changed material culture, intellectual contacts – often through migration – resulted in Islamic-Jewish-Christian or Palestinian-Arab-European scholarship. Pilgrims and peddlers influenced the local ways of life of common people.“ 14 Vgl. hierzu z.B. auch Ohler (1991). 15 Die PilgerInnen kamen aus nahezu allen sozialen Schichten. Ihre Reisen waren allerdings häufig nicht nur religiös motiviert. So schreibt Maxine Feifer (1985, 31): „For most people, pilgrimage was the only legitimate excuse to leave home, the only escape from the relentless surveillance of the village, where many people considered it their business to keep their fellows on the righteous path. On pilgrimage, illegitimate lovers who ‘just happened’ to leave at the same time could discreetly pursue their affair; pilgrimage offered lots of opportunities for casual sex, too. Adventurers and hustlers of all types found credulous provincials easy to exploit on foreign ground. Paradoxically, pilgrimage was a unique opportunity to break free from moral restraint, a motive not unknown to later generations of tourists.“
3.2 Historische Situierung statt selektiver Rückgriffe
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Goff 2004, 131ff.). Sie sind als erster Ausdruck der europäischen Kolonisation interpretiert worden (vgl. hierzu kritisch ebd., 137). Inzwischen scheint es weitgehend anerkannt, dass die Menschen im Mittelalter mobil waren. Udo Friedrich (2005, 54) warnt jedoch davor, mittelalterliche Verhältnisse am Maßstab moderner Dynamik zu messen, und fordert, stattdessen die spezifischen historischen Ausprägungen von Mobilität zu würdigen.16 Mobilität habe sich nicht in erster Linie über Geschwindigkeit definiert und zudem nur einen Ausschnitt der Bevölkerung betroffen. Dennoch sei sie Voraussetzung strukturbildender Prozesse im Mittelalter gewesen. Er benennt daher „spezifisch mittelalterliche Figuren der Mobilität“, die er als „dynamische Repräsentanten der statischen Ständeordnung“ begreift (vgl. ebd., 53). Die meist männlich konnotierten Figuren der Mobilität werden von Ernst Schubert (2002) ergänzt um Frauen und Kinder, die ebenfalls im Mittelalter mobil waren.17 Das Konzept der statischen mittelalterlichen Ständegesellschaft lehnt auch Schubert ab. Er problematisiert allerdings grundsätzlich die Tragfähigkeit der konzeptionellen Gegenüberstellung von Sesshaftigkeit und Mobilität für das Mittelalter, da dieser Gegensatz sich noch nicht klar herausgebildet habe: „In einer Welt, in der nur die wenigsten Häuser aufwendig gebaut, z.B. unterkellert waren, in der die meisten Behausungen eher lehmverschmierten Katen als Häusern glichen, in einer solchen Welt der geringen Platzgebundenheit des Wohnens (was nicht zuletzt die vielen Wüstungen seit dem Frühmittelalter erklärt) ist die Grenze zwischen Mobilität und Seßhaftigkeit durchlässig“ (ebd., 46). 16 Diese Kritik lässt sich auch auf die historischen Ausflüge der beiden Mobilitätstheoretiker Bauman und Cresswell übertragen. Zygmunt Bauman (2003, 20) idealisiert das Mittelalter als Zeitraum, in dem das Nomadenleben noch möglich gewesen sei, bevor mit dem Aufstieg der Moderne und der Gründung von Nationen und Nationalstaaten, die kurz darauf in Europa begonnen habe, „ein durchgehender und systematischer Angriff des ,Seßhaften’, der ortsgebundenen Lebensweise, gegen das Nomadische und die dazu gehörenden Lebensformen“ zu beobachten gewesen sei (vgl. hierzu auch Simmel 1992, 756, und Mac Laughlin 1999, 129ff.). Tim Cresswell (2006, 10f.) behauptet demgegenüber, das Mittelalter sei in erster Linie von sesshaften Lebensformen gekennzeichnet gewesen. Diejenigen, die ohne bzw. trotz Restriktionen mobil waren, sind nach Cresswell entweder einige wenige sozial Privilegierte oder marginalisierte Ausnahmen gewesen. Erst ab dem 16. Jahrhundert (vgl. ebd., 12ff.) und verstärkt ab dem 19. Jahrhundert (vgl. ebd., 15ff.) sei es zu einem Anstieg und einem Bedeutungszuwachs von Mobilität gekommen. Was Cresswell und Bauman verbindet, ist ihre lineare und teleologische Mobilitätsgeschichtsschreibug, die auf einen gegenwärtigen Kulminationspunkt hinausläuft. Während Cresswell mit der These zunehmender Mobilität die Behauptung eines mobility turn legitimieren will, leitet Bauman seine pessimistische Gegenwartsdiagnose von einer Zunahme von Mobilitätsbeschränkungen bzw. einer zunehmenden Stratifizierung der Welt entlang von Mobilität her. Ihre gegensätzliche Interpretation der Vergangenheit zeigt, wie stark der Blick in die Geschichte von der Gegenwart bestimmt wird. 17 Schubert erwähnt den Kinderkreuzzug und die Kinderwallfahrten und verweist darauf, dass sowohl arme Kinder als auch solche „aus gutem Hause“ umhergezogen seien. Unter den umherziehenden Frauen des Mittelalters hebt er insbesondere die Wanderdirne hervor.
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3 Europa
Während das frühe Mittelalter ländlich geprägt war, setzte sich im 13. Jahrhundert ein städtisches Europa durch (vgl. Le Goff 2004, 138ff.). Nach Sassen (2008, 84) war der Aufstieg der Städte ein politisches Schlüsselereignis. Er fand in einer Periode statt, in der auch die nationalstaatliche Territorialität erfunden wurde und der Begriff „Grenzen“ im heutigen Sinne erstmals auftauchte. Es entstand eine neue gesellschaftliche Gruppe der Städtebewohner: die Bürger (vgl. ebd., 105ff.). Ohne die Ausdehnung des Handels, insbesondere des Fernhandels, der zum Teil eine Folge der geografischen Expansion zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert war, ist der Aufstieg der Städte allerdings nicht denkbar.18 In den Städten kreuzten sich die verschiedensten Mobilitäten von Kaufleuten, Arbeitern, Vertriebenen, Pilgern, Kreuzfahrern und einer „wachsenden Zahl Entwurzelter aller Art“ (ebd., 103). Auch nicht sesshafte Frauen und Kinder sammelten sich vorwiegend in den Städten (vgl. hierzu Schubert 2002).19 Im Hinblick auf die abgrenzende Betonung spezifisch europäischer Werte wird in gegenwärtigen Identitätsdiskursen bisweilen das Prinzip der Gleichheit aller BürgerInnen hervorgehoben, das die okzidentale Stadt des Mittelalters im Unterschied zu den Städten der Antike aber auch im Unterschied zu Städten auf den ehemals byzantinischen Gebieten oder in der islamischen Welt kennzeichne (vgl. Oexle 1991, zit. nach Quenzel 2005, 119). Während es in vielen Kulturen Städte als Marktorte, Festungen oder Herrschaftszentren gegeben habe, sei die Entstehung einer Stadtkommune, in der sich BürgerInnen als Gleiche begegneten, spezifisch für den Okzident. Weder auf den ehemals byzantinischen Gebieten noch in der islamischen Kultur habe sich daher ein vergleichbarer demokratischer Diskussionsraum etablieren können.
18 In den Grenzregionen war das Wachstum der Städte besonders stark. Das Geschäftsleben konzentrierte sich auf drei Zentren: eines im Mittelmeergebiet, eines im Norden und ein weiteres in Nordwesteuropa. Während sich am Mittelmeer und im Norden Säume mächtiger Handelsstädte herausbildeten, die zugleich christliche Vorposten gegenüber den MuslimInnen und den SkandinavierInnen darstellten, wie Le Goff (2004, 154ff.) betont, entstand dazwischen, in Nordwesteuropa, eine Verbindungszone, die durch Warenaustausch und industrielle Produktion charakterisiert war. 19 Die These von zunehmender Mobilität in den Städten ist jedoch umstritten. Während Cresswell (2006, 18) Bezug nehmend auf die Chicago School of Sociology die Stadt im Unterschied zum Land als Ausdruck einer durch Mobilität geprägten Lebensweise sieht (vgl. dazu auch Simmel 1992), behauptet Mac Laughlin (1999, 131), auf den sich Bauman bezieht, dass mit einer urbanisierteren Zivilisation mehr Sesshaftigkeit einherging.
3.3 Zur Herausbildung des europäischen Mobilitätsregimes
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3.3 Zur Herausbildung des europäischen Mobilitätsregimes seit dem Ende des Mittelalters unter besonderer Berücksichtigung Südeuropas 3.3 Zur Herausbildung des europäischen Mobilitätsregimes 3.3.1 Von der frühen Neuzeit bis zum Zweiten Weltkrieg Im Folgenden soll nun nicht auf Geschichte zurückgegriffen werden, um eine gemeinsame europäische Identität zu begründen, sondern um das Wechselverhältnis zwischen verschiedenen Mobilitäten und diversen Grenzverläufen und -funktionen im Kontext des gegenwärtigen europäischen Mobilitätsregimes besser nachvollziehen zu können. Zwar können einzelne Mobilitäten nahezu beliebig weit zurückverfolgt werden, doch zum Verständnis des Wechselverhältnisses zwischen Grenzen und Mobilitäten im gegenwärtigen Europa – insbesondere im Mittelmeerraum – zeichnen sich vor allem am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit wichtige Entwicklungen ab, die bis heute fortwirken. Mit Beginn des „Zeitalters der Entdeckungen, des Fernhandels und der Kolonialisierung“ um 1500 ergaben sich neue Mobilitätsmöglichkeiten und -kontrollen sowie grundsätzlich veränderte Raum-Zeit-Vorstellungen (vgl. Schmitz 2005, 13). Fortschritte der Seefahrt und des Schiffsbaus erhöhten Leistungsfähigkeit und Einsatzmöglichkeiten der Schiffe deutlich und ermöglichten nicht nur die Expansion der EuropäerInnen über den Atlantik (vgl. Le Goff 2004, 260), sondern auch die Verschleppung zahlreicher Menschen aus Afrika (vgl. Gilroy 1993). Da die große Nachfrage nach Arbeitskräften in den Kolonien weder durch einheimische noch durch aus Europa eingewanderte ArbeiterInnen gedeckt werden konnte, transportierten europäische SklavenhändlerInnen zwischen 1450 und 1850 etwa zehn Millionen AfrikanerInnen nach Amerika (vgl. 20 Emmer 2002). Binneneuropäische Migration und Mobilitäten über das Mittelmeer hinweg verloren trotz der Orientierung zum Atlantik hin jedoch nicht an Bedeutung für Europa. Südeuropa und der Mittelmeerraum am Beginn der frühen Neuzeit Der Mittelmeerwelt gilt als „Prototyp eines maritimen Interaktionsraumes“ (Osterhammel 2009, 157). Während AutorInnen wie Le Goff (2004, 258) davon ausgehen, dass die EuropäerInnen sich am Ende des 15. Jahrhunderts, das als Ende des Mittelalters und Beginn der Neuzeit gilt, unter anderem aufgrund des Vormarsches der OsmanInnen aus dem Mittelmeerraum zurückzogen und eher dem Atlantik zuwandten, betonen andere die fortbestehende Bedeutung des Mittelmeeres. So bemerkt Hartmut Elsenhans (2007, 30), dass die Ausdehnung des 20
Vgl. hierzu z.B. auch Wolf (1997, 195ff.). Sklavenhandel gab es allerdings schon früher. Zur Geschichte des Sklavenhandels von der Antike bis zur Gegenwart vgl. z.B. Herrmann-Otto (2005).
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3 Europa
Osmanischen Reiches keineswegs zu einer Schließung der Handelswege nach Indien geführt habe, sondern dass es vielmehr Kooperationen gegeben habe, die sogar zu einer Neubelebung der traditionellen Routen führten. Auch Braudel (1990, 322) vertritt die Ansicht, dass das Mittelmeer aufgrund der Reisen von Kolumbus und Vasco da Gama nicht mit einem Schlag an Bedeutung verloren habe. Im Gegenteil habe es am blühenden Ozeanhandel partizipiert und den Atlantik und die Neue Welt der SpanierInnen und PortugiesInnen „durch Nachschöpfungen und Projektionen seines eigenen Bildes“ geprägt. Ebenso wie für Europa verschiedene Karten entworfen werden können, lassen sich auch die Grenzen des Mittelmeerraums unterschiedlich bestimmen. Braudel bietet Klima und Vegetation als Orientierungspunkte an. Der Mittelmeerraum erstreckt sich ihm zufolge geografisch „vom ersten Ölbaum, dem man vom Norden kommend begegnet, bis zum ersten dichten Palmenhain, der in der Wüste vor einem erscheint“ (ebd., 18). Er weiß jedoch um die Beschränktheit dieser Definition, wenn er fragt: „In der Tat, welche Grenze soll man ziehen, wenn es nicht mehr um Pflanzen und Tiere, um Bodengestalt oder Klima geht, sondern um Menschen, die durch keine Schranken aufzuhalten sind, die alle Hindernisse überwinden“ (Braudel 1990, 242).21
Bevor PortugiesInnen und SpanierInnen im 15. Jahrhundert in die „Neue Welt“ aufbrachen und auch danach war Europa über das Mittelmeer auf vielfältige Weise mit dem asiatischen und dem afrikanischen Kontinent verbunden und von Binnenwanderungen gekennzeichnet.22 „Südosteuropa war über Jahrhunderte hinweg ein Raum der Bewegung“, betont Holm Sundhausen (2007, 288). Ortswechsel in unterschiedlicher Form seien für große Teile der Bevölkerung eine gewohnte Erfahrung gewesen. Mangels Quellen sei es allerdings schwierig, eine Wanderungsgeschichte Südosteuropas zu schreiben. Auch häufige Grenzverschiebungen und unterschiedliche, teilweise wechselnde Bezeichnungen für Personengruppen erschwerten dies. Zudem seien viele Migrationen in nationale Geschichtsschreibungen eingegangen und damit einer „nüchternen Analyse“ entzogen worden. In seinem Versuch, eine Wanderungsgeschichte Südosteuro-
21 An anderer Stelle schreibt Braudel (1987a, 8): „Seit Jahrtausenden strömt hier alles zusammen, wirbelt die Geschichte durcheinander und bereichert sie: Menschen, Lasttiere, Wagen, Waren, Schiffe, Ideen, Religionen, Lebenspraktiken. Und Pflanzen.“ Zur Kritik an Braudels Konzept des Mittelmeerraums vgl. die Beiträge von Baumeister, Troebst und Kaser in Schenk/Winkler (2007). 22 Man kann die geografisch begünstigte Mittlerfunktion Zyperns und Griechenlands „zwischen West und Ost“ bis in die Bronzezeit zurückverfolgen, als Menschen, Pflanzen und Techniken sich von Asien aus in Europa verbreiteten (vgl. Gourou 1989, 115).
3.3 Zur Herausbildung des europäischen Mobilitätsregimes
133
pas zu schreiben, fängt Sundhausen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – mit dem Beginn der osmanischen Expansion Ende des 14. Jahrhunderts an. In der frühen Neuzeit standen ihm zufolge große Teile Südosteuropas unter der Herrschaft zweier „multiethnischer Imperien“: des islamisch geprägten Osmanischen Reiches und der katholischen Habsburgermonarchie. Später kam das russische Zarenreich als dritter machtvoller Akteur hinzu. In dieser Zeit gab es sowohl binnen- als auch transimperiale Wanderungen. Die Expansion der OsmanInnen in Europa und die Eingliederung großer Teile Südosteuropas in das Osmanische Reich ging mit intensiven Zu-, Ab-, Rück- und Binnenwanderungen einher. Und auch die spätere Zurückdrängung der OsmanInnen war Ursache für Flucht, Migration und Kolonisationsbewegungen. Sundhausen erwähnt unter anderem Migrationsbewegungen von GriechInnen, SerbInnen, AlbanerInnen und ArmenierInnen (vgl. ebd., 294ff.). Zu den mobilen Personengruppen dieser Zeit gehörten ferner WanderhirtInnen, WanderhandwerkerInnen und WanderhändlerInnen (vgl. ebd., 301 sowie Braudel 1987b, 26ff., und 1990, 123ff.). Die Herausbildung von Nationalstaaten und die Formierung der Disziplinargesellschaft Das 16. Jahrhundert in Europa ist charakterisiert durch das Spannungsverhältnis „zwischen dem Aufbau einer nationalen Ökonomie und der Entwicklung imperialer Geografien, die jene aufbessern sollten“ (Sassen 2008, 147), wobei Saskia Sassen (ebd., 148) den Begriff der „Fernplünderung“ als Kennzeichen dieser Epoche angemessener findet als den des „Fernhandels“. Viele ForscherInnen datieren in diese Zeit den Beginn eines Kapitalismus, der von einem Wechselverhältnis zwischen nationalem und globalem Maßstab gekennzeichnet ist (vgl. ebd., 159). Unter dem Eindruck von Forschungs- und Entdeckungsreisen zur Erschließung „neuer Kontinente“, die mit macht- und handelspolitischen Absichten einhergingen (vgl. hierzu z.B. Müller 1992, 32ff., oder Opaschowski 2001, 38ff.), gewann ab dem 16. Jahrhundert die sogenannte Grand Tour an Bedeutung, deren Ziel die „Alte Welt“ war. Sie führte junge männliche Angehörige frühneuzeitlicher Eliten – zunächst vorwiegend aus England, später auch aus anderen westeuropäischen Ländern – zu Erziehungs- und Bildungszwecken durch Europa, wobei Italien meist den Höhepunkt der Reise darstellte. (Vgl. hierzu Feifer 1985, Kapitel 4; Löfgren 1999, 157ff.; Opaschowski 2001, 31ff.; Leibetseder 2007) Mit der Reformation hatte die Aura heiliger Stätten abgenommen, die im Mittelalter Ziele von Pilgerreisen gewesen waren. Der „Geist der Renaissance“ beförderte stattdessen das Interesse an der diesseitigen Welt und dem Leben im Hier und Jetzt, was auch die Reisemotive fortan bestimmte. (Vgl. Feifer 1985, 64) Das Aufkommen der Grand Tour kann auch als Ausdruck der Verdrängung des
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3 Europa
Christentums durch die Idee Europas und durch ein neues Interesse an Nationen und Differenzen zwischen ihnen betrachtet werden (vgl. Adler 1989, 1377).23 In dieser Zeit wurden Dokumente wie Pässe essentiell für die Reisenden (vgl. Feifer 1985, 65). Ab Mitte des 17. Jahrhunderts begann Etienne Balibar (2003, 24f.) zufolge der Begriff „Europa“ den Begriff „Christenheit“ in der Diplomatensprache abzulösen und an Bedeutung zu gewinnen als Bezeichnung des „Ensembles der Kräfteverhältnisse und Handelsbeziehungen“ zwischen den sich herausbildenden souveränen Nationen oder Staaten, dessen Gleichgewicht auf vertraglich fixierten Grenzen beruhte. Dieses „europäische Gleichgewicht“ sei eng mit der Führungsrolle verbunden gewesen, die Europa in der Welt innehatte: „Das Ziehen von ‚politischen’ Grenzen im europäischen Raum, der sich als das Zentrum der Welt sah und als solches etablieren wollte, war ursprünglich auch und vor allem eine Aufteilung der Welt“ (ebd., 26; vgl. hierzu auch Sassen 2008, 138). Im 17. und 18. Jahrhundert war saisonale Arbeitswanderung innerhalb Europas weit verbreitet (vgl. Sassen 1996, 35f.). Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts war von einem drastischen Bevölkerungsanstieg und einem Bedeutungszuwachs des ländlichen Gewerbes gekennzeichnet. Mit dem Einzug des Kapitals in die Landwirtschaft entstand eine neue Schicht verarmter Kleinbauern, und es entwickelten sich Produktionsketten, die die abgelegensten Dörfer mit Märkten auf der ganzen Welt verbanden. Wer nicht in einer der wenigen prosperierenden ländlichen Regionen sein Auskommen fand, begab sich häufig als WanderarbeiterIn oder zur Vermarktung eigener Produkte in die Stadt. Die Zahl armer ArbeitsmigrantInnen nahm zu, und die Städte als Märkte für die Produkte des ländlichen Gewerbes wuchsen. Der Bevölkerungsexport von EuropäerInnen zur Besiedlung der Kolonien diente vor diesem Hintergrund nicht nur der Organisation der Exportproduktion und der Sicherung strategisch wichtiger Zonen, sondern war schon früh auch eine Reaktion auf Krisen in den Metropolen, durch die beispielsweise Sträflinge und politisch oder religiös „dissidente“ Gruppen eliminiert und Arbeitslosigkeit reduziert werden sollte (vgl. Elsenhans 2007, 146ff.). Innerhalb Europas gab es mehrere große Routen, auf denen WanderarbeiterInnen – anknüpfend an die Saisonwanderungen des Mittelalters – in meist zyklischen Abständen an die Nordsee, in die Mittelmeerebenen, nach Paris, Madrid und London zogen. Die 23
Häufig wird der heutige Tourismus monokausal auf die Grand Tour zurückgeführt, wobei als Reisende meist ausschließlich männliche Adlige genannt werden. Daneben gab es jedoch eine Reihe weiterer Reiseformate und die soziale Zusammensetzung der Grand Tour-Reisenden war heterogener. Dementsprechend müsste eine Genealogie des heutigen Tourismus differenzierter ausfallen, meint József Böröcz (1996, 24ff.). Zu jungen Handwerksgesellen, die zwecks fachlicher und persönlicher Bildung in Europa unterwegs waren vgl. Opaschowski (2001, 33ff.).
3.3 Zur Herausbildung des europäischen Mobilitätsregimes
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Wanderarbeit überschnitt sich häufig mit dem Wanderhandel24 in der räumlichen Zirkulation. (Vgl. Sassen 1996, 35ff.; Oberpenning 2001; Bade 2000, 42ff.; Schulze 2004, 150ff.) Michel Foucault (1994, 280) zufolge formiert sich angesichts des demografischen Wachstumsstoßes und des Anwachsens des Produktionsapparates in dieser Zeit die „Disziplinargesellschaft“. In Abgrenzung zu herkömmlichen aufwändigen und gewaltsamen Machtformen habe sich mit den Disziplinen „eine verfeinerte und kalkulierte Technologie der Unterwerfung/Subjektivierung“ (ebd., 283) herausgebildet, die in der Lage sei, die menschliche Vielfalt kostensparend, lückenlos und nutzbringend „in deren eigenen Gewebe“ (ebd. 282) zu ordnen. Da sich die Bevölkerung nicht nur stark vermehrte, sondern auch immer mehr Bevölkerungsteile die Sesshaftigkeit aufgaben, sei das Festsetzen dieser mobilen Personen eines ihrer ersten Ziele gewesen. Foucault (ebd., 280) bezeichnet die Disziplin daher auch als „ein gegen das Nomadentum gerichtetes Verfahren“. Die Französischen Revolution von 1789 hatte nicht nur entscheidenden Einfluss auf die Durchsetzung von Menschenrechten und Demokratie in Europa, sondern brachte auch den modernen Nationalstaat hervor, der definiert werden kann „als Herrschaftsraum, der sowohl Staatsvolk als auch Staatsgewalt in einem Staatsgebiet (Territorium) vereinigt“ (Mau et al. 2007, 3). Staatsgrenzen kommt folglich im völkerrechtlichen Sinne die Bedeutung zu, staatliche Hoheitsräume zu trennen und die Reichweite staatlicher Souveränität zu begrenzen. Gleichzeitig dienen sie der Überwachung und Regulierung von grenzüberschreitenden Transaktionen. Die Entwicklung des Staates ging mit der Übernahme bzw. Monopolisierung von Mobilitätskontrollen einher, die zuvor von verschiedenen sozialen, religiösen oder politischen Organisationen durchgeführt worden waren. Die staatliche Kontrolle grenzüberschreitender Personenmobilität ermöglicht seither nicht nur die Kontrolle der auf dem eigenen Staatsgebiet befindlichen Bevölkerung, sondern auch die Regulierung der Ein- und Ausreise von Personen ohne uneingeschränktes Aufenthaltsrecht. (Vgl. ebd., 4ff.) Aus tourismusgeschichtlicher Perspektive führten die Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege dazu, dass die Grand Tour zum Erliegen kam (vgl. Feifer 1985, 99). Doch auch zwischen 1789 und 1814 gab es Vergnügungsreisen. Da die Landroute der Grand Tour durch die Napoleonischen Kriege abgeschnitten war, begaben sich viele Reisende der Romantik mit dem Schiff in den Mittelmeerraum (vgl. ebd., 149). Anders als die Grand Tour-Reisenden waren die romantischen Reisenden des 19. Jahrhunderts nicht in erster Linie auf 24 Zu mobilen griechischen und zypriotischen HändlerInnen seit der frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert vgl. z.B. Fedalto (2000) und Zelepos (2007).
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Bildung aus (das waren die Grand Tour-Reisenden allerdings auch nicht ausschließlich), sondern reisten um des Reisens willen, oder wie Friedrich Wolfzettel (1986, 9) es formuliert, „nicht mehr primär zum Zweck, sondern Selbstzweck mit dem Ziel eines gesteigerten, ganzheitlichen Lebensgefühls“. Die Pittoreske hatte für die Reisenden der Romantik eine besondere Bedeutung. Darunter verstanden sie die „ursprüngliche Einheit“ von „Natur und Kunst/Geschichte“ (ebd., 23), die sie allerdings in dem historischen Augenblick zu entdecken meinten, in dem sie bereits bedroht erschien (vgl. ebd., 24). Wolfzettel (ebd., 26) zufolge, „ist die Vorstellung des Pittoresken ein defensiver Begriff, der ständig von der Entwicklung und Ausbreitung der modernen Industriegesellschaft bedroht ist“. Das Zeitalter der Nation und des Massenverkehrs Das 19. Jahrhundert lässt sich beschreiben als „Jahrhundert, in dem Herrschaft sich territorialisierte“ (Osterhammel 2009, 199). Die Vorstellung der Nation verdichtete sich „zur mächtigsten Legitimationsidee Europas“ (Schulze 2004, 150), und der Nationalstaat wurde zur dominanten politischen Strukturform (vgl. Bade 2000, 209). Saskia Sassen (2008, 232ff.) spricht von der „hypernationalen Epoche“. Nie zuvor habe es so „messerschaf gezogene Grenzen“ gegeben, meint Jürgen Osterhammel (2009, 179), und verweist auf die teils verhängnisvollen Konsequenzen, insbesondere in Gebieten mit nomadisierender Bevölkerung. Gleichzeitig war es jedoch auch eine Zeit enormer Mobilitätssteigerung. Im 19. Jahrhundert wurde das Netz der Chausseen ausgebaut, die Eisenbahn ersetzte zunehmend die Postkutsche und der Aufstieg der Dampfschiffe begann: „Damit hatte das Zeitalter des Massenverkehrs begonnen: Große Menschen- und Gütermengen wurden in viel kürzerer Zeit und in viel größerer Zahl über weitere Strecken zu niedrigeren Kosten transportiert. Landwirtschaftliche Produkte konnten, ohne zu verderben, über Meere und Kontinente hinweg zu den städtischen Ballungsgebieten gebracht werden. Großflächige Markträume, Voraussetzung des Wachstums und der Verflechtung der europäischen Wirtschaft, wurden so erst möglich. Die Dimension der Welt als einer im eigentlichen Wortsinn erfahrbaren Wirklichkeit verwandelte sich innerhalb einer Generation. Bisher war der größte zusammenhängende Wirtschaftsraum, den die Europäer gekannt hatten, das Mittelmeer gewesen. […] Am Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich der erfaßbare Lebensraum der Menschen auf den gesamten Erdball ausgeweitet.“ (Schulze 2004, 159f.)
Die verkehrstechnische Entwicklung und die Ausdehnung der erfahrbaren Wirklichkeit machen das 19. Jahrhundert tourismusgeschichtlich zur zentralen Referenz. Das „Reisen als bürgerliche Welt-Erfahrung“ erfasste um die Jahrhundertwende immer größere Gruppen des Bürgertums, die „fremde Kulturen“ und „vor allem das pulsierende Leben der europäischen Metropolen“ kennenlernen woll-
3.3 Zur Herausbildung des europäischen Mobilitätsregimes
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ten (Kaschuba 1991, 29). Dies ist unter anderem auf das neu organisierte Postsystem des späten 18. Jahrhunderts zurückzuführen, das Reisen zeitlich und finanziell planbar machte und damit als erster Schritt zur „Demokratisierung“ des Reisens interpretiert werden kann (vgl. ebd., 40f.). Den zweiten großen Schritt stellte dann die Eröffnung der ersten englischen Eisenbahnlinien in den 1820er Jahre dar, gefolgt von französischen und deutschen Linien in den 1840er Jahren, die nicht nur das Reisen, sondern auch die Wahrnehmung von Raum und Zeit entscheidend veränderten. In den frühen 1840er Jahren begann Thomas Cook in England, organisierte Gruppenreisen für Arbeiterfamilien und kaufkräftigere Schichten anzubieten, was als Ursprung von Pauschalreisen und Massentourismus gilt und eng mit den Industrialisierungsprozessen in Westeuropa verbunden war. (Vgl. hierzu z.B. Feifer 1985, Kapitel 6; Urry 2002, Kapitel 2) So wurde in dieser Zeit eine Trennung von Arbeit und Freizeit befördert, und es entstanden neben den Fabriken, den Orten der Arbeit, Orte, die der Erholung dienten. Sie sollten einen Ausgleich bieten für die Ermüdungserscheinungen, die der Arbeitsalltag mit sich brachte, um dann den kommenden Arbeitsbelastungen wieder gewachsen zu sein. Migrationsgeschichtlich war das 19. Jahrhundert im europäischen und atlantischen Raum vor allem bestimmt durch „proletarische Massenwanderungen“, deren Hintergrund „der krisenhafte Wandel von Agrar- zu Industriegesellschaften in Europa, die Entfaltung der atlantischen Ökonomie und der Sog der neuen Welt“ bildeten (Bade 2000, 59; vgl. hierzu auch Wolf 1997, 354ff. und Oster25 hammel 2009, 221ff.). In dem Maße wie sich der Nationalstaat in Europa durchsetzte, wurde die grenzüberschreitende Arbeitsmigration zu einer transnationalen Form der Mobilität. Infolge von Massenmigration und verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten kam es verstärkt zur Bildung transnational vernetzter Diasporas (Osterhammel 2009, 174ff.). Gleichzeitig gewann die Figur des politischen Flüchtlings bzw. Exilanten an Bedeutung (vgl. hierzu Sassen 1996, 50ff.; Bade 2000, 187ff.; Oltmer 2002; Osterhammel 2009, 210ff.).26
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Neben den Migrationsbewegungen innerhalb Europas und von Europa nach Übersee gab es zwischen 1830 und 1930 auch große Emigrationsbewegungen aus Indien und China, die teilweise auf die globale Dominanz Europas zurückgeführt werden können (vgl. Düvell 2006, 36 und ausführlicher Wolf 1997, 363ff.). 26 Wenngleich Osterhammel (2009, 210) der These zustimmt, dass der „massenhaft auftretende Flüchtling“ im 19. Jahrhundert noch nicht dominierte, sondern Flucht und Exil eher eine individuelle Angelegenheit waren, weist er doch auch darauf hin, dass es grenzüberschreitende Flüchtlingsströme durchaus bereits gab, beispielsweise infolge des griechischen Unabhängigkeitskampfes in den 1820er Jahren (vgl. ebd., 214ff.).
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Die Herausbildung einer transnationalen Migrationsdynamik zwischen Südostund Westeuropa und nach Übersee Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts hatte der Mittelmeerraum immer mehr an Bedeutung verloren und der ökonomische und kulturelle Schwerpunkt Europas hatte sich nach Nordwesten und an die Atlantikküsten verschoben. Ein Ungleichgewicht, das sich im 19. Jahrhundert noch verstärkte. England zählte zu den europäischen Ländern, in denen sich vergleichsweise früh Industriestrukturen herausbildeten, während in Ländern wie Italien, Spanien oder Griechenland ein entsprechender Wandel erst nach dem Ersten oder gar Zweiten Weltkrieg einsetzte (vgl. Bade 2000, 59f.; Schulze 2004, 156f.). Gerade diese Verzögerung trug jedoch dazu bei, dass die südeuropäischen Länder touristisch interessant blieben bzw. wurden. Orvar Löfgren (1999, 157) schreibt: „The Mediterranean world turned into a European periphery, a backwater region, in which the chief exports were emigrants. The new imports, on the other hand, were tourists, as the region became a destination for northern European elites in search of classic culture.“
In Südosteuropa machte sich angesichts der Bevölkerungszunahme gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Land eine zunehmende Bodenknappheit bemerkbar, die nicht durch Urbanisierung und Industrialisierung vor Ort abgefedert werden konnte und zu Arbeitsmigration in die westeuropäischen Industrieländer und nach Übersee führte (vgl. Sundhausen 2007, 305f.; Osterhammel 2009, 222). „So entstand im Europa des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts eine neue transnationale Migrationstopographie. Ihre Hauptausgangsräume lagen in Süd-, Ost- und Südosteuropa […]. Die Hauptzuwanderungsräume lagen in Mittel- und Westeuropa“ (Bade 2000, 69).
Sowohl die Montanindustrie als auch das Bauwesen stellten im 19. Jahrhundert wichtige Erwerbsbereiche dar, und es gab eine große Nachfrage nach Arbeitskräften im Eisenbahn-, Straßen-, Tunnel-, Brücken- und Kanalbau (vgl. ebd., 92ff.), die im Ergebnis wiederum die Mobilitätsbedingungen entscheidend veränderten. Viele der Arbeitswanderungen in diesen Bereichen waren zeitlich begrenzt. Zudem fanden auch weiterhin Saisonwanderungen in der Landwirtschaft statt (vgl. ebd., 97ff.). Hinzu kam die Mobilität von UnternehmerInnen, Kaufleuten und SpezialistInnen (vgl. ebd., 113ff.). Außerdem gab es nach wie vor kleine Gemeinschaften mobiler ViehzüchterInnen (vgl. Osterhammel 2009, 226f.). Die innereuropäischen Arbeitsmigrationen gingen vielfach ineinander über und waren auch mit dem transatlantischen Wanderungsgeschehen verschränkt (vgl. Bade 2000, 69; Castles/Miller 2003, 59). Die europäische Amerikaauswan-
3.3 Zur Herausbildung des europäischen Mobilitätsregimes
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derung weitete sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts zum Massenexodus aus, der eng mit dem Vordringen der Dampfschifffahrt auf den transatlantischen Routen in den 1860er Jahren verbunden ist (vgl. Bade 2000, 121ff.). Die USA waren ab 1820 das wichtigste Einwanderungsland, gefolgt von Südamerika (vgl. Düvell 2006, 35). Nach dem Ende des transatlantischen Sklavenhandels27 dominierten in der kolonialen Migrationsgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts grob drei Wanderungsformen: „1. Kolonialdienst und koloniale Siedlung von Europäern in Übersee auf Zeit oder auf Dauer; 2. durch die europäische Kolonialexpansion ausgelöste Folgewanderungen nichteuropäischer Einheimischer innerhalb der Kolonien; 3. ‚Umsetzungen’ nichteuropäischer Arbeitskräfte und Bevölkerungsgruppen innerhalb oder zwischen europäischen Kolonien und Interessengebieten“ (Bade 2000, 170).
Touristisch aktiv war um die Jahrhundertwende – zur Zeit der sogenannten Belle Époque – insbesondere das gehobene Bürgertum. Mit noblen Kreuzfahrtschiffen und luxuriösen Personenzügen begab man sich auf Vergnügungsreise, gerne in europäische Seebäder. Hasso Spode (2005b, 79) zufolge erblühte in dieser Zeit „ein transnationales Europa des Luxus und der Moden“. Der Erste Weltkrieg und das „Jahrhundert der Flüchtlinge“ Mit den Prozessen der Staatenbildung und vor allem verursacht durch den Ersten Weltkrieg setzte in Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts „das Jahrhundert der Flüchtlinge“ ein. War politische Flucht im 19. Jahrhundert noch weitgehend ein Einzelschicksal gewesen, wurde daraus mit dem Ersten Weltkrieg und den politischen Veränderungen der Folgezeit ein Massenphänomen (vgl. Oltmer 2002; Osterhammel 2009, 210), das nicht nur die innereuropäischen Wanderungen prägte, sondern auch die Auswanderungen nach Übersee (vgl. hierzu Sassen 1996, 99ff.; Bade 2000, 233ff.; Düvell 2002, 35). Für Giorgio Agamben (2002, 141) ist die „Überflutung Europas durch Flüchtlinge und Staatenlose […] zusammen mit den gleichzeitig in vielen europäischen Staaten eingeführten Normen, welche die massenhafte Entnaturalisierung und Entnationalisierung der eigenen Bürger erlauben, das hervorstechendste Phänomen“
27 Der Sklavenimport in die USA wurde offiziell 1808 beendet, der transatlantische Sklavenhandel dauerte faktisch aber bis etwa 1860 an. Zudem entwickelte sich ein interner Sklavenhandel. (Vgl. Osterhammel 2009, 203+232ff.) Mitte des 19. Jahrhunderts kam dann eine neue Migrationsbewegung asiatischer KontraktarbeiterInnen nach Amerika in Gang, um die Lücke zu füllen, die das Ende der Sklaverei hinterlassen hatte (vgl. hierzu Emmer 2002, 98ff.; Osterhammel 2009, 239ff.).
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des Ersten Weltkriegs und der Folgezeit. Innerhalb Südosteuropas waren einige saisonale Migrationsrouten mit der Gründung der postosmanischen Staaten durch neue Grenzen zerschnitten worden und jene Bevölkerungsgruppen, die als nicht zur Nation gehörig galten, wurden ausgegrenzt, was zu Flucht, Vertreibung, Abwanderungsdruck oder Umsiedlung führte. Ihren ersten „Höhepunkt“ erreichten die „ethnischen Säuberungen“ während der Balkankriege von 1912/13. Im bulgarisch-türkischen Friedensvertrag war erstmals ein wechselseitiger „Bevölkerungsaustausch“ vorgesehen, auf formal freiwilliger Basis allerdings. (Vgl. Sundhausen 2007, 301f.) Zwangs- und Fluchtbewegungen setzten sich nach dem Ersten Weltkrieg in gesteigertem Maße fort, vor allem ausgelöst durch den russischen Bürgerkrieg sowie die Staatsbildungsprozesse in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa (vgl. Bade 2000, 275). Nachdem Griechenland 1922 damit gescheitert war, die Niederlage des Osmanischen Reiches zur Umsetzung der „Megali Idea“ zu nutzen, also die Idee eines Großgriechenlands zu verwirklichen, wurde im Vertrag von Lausanne 1923 erstmals in der Geschichte des Völkerrechts ein obligatorischer 28 „Bevölkerungsaustausch“ zwischen Griechenland und der Türkei vereinbart. Rund 1,2 Millionen GriechInnen und 400.000 MuslimInnen wurden zwecks nationaler „Homogenisierung“ und „Entmischung“ nach Vertragsschluss zwangsumgesiedelt.29 (Vgl. Sundhausen 2007, 302f., und Zürcher 2007) Über die anschließende Zwischenkriegszeit schreibt Klaus Bade (2000, 254): „Die Friedensverträge, die den Ersten Weltkrieg formell beendeten, führten zu einer weitreichenden Neustrukturierung der politischen Ordnung Europas. Die drei europäischen Kaiserreiche waren untergegangen, vierzehn neue Staaten entstanden, 11.000 km neue Außengrenzen in Europa hinzugekommen. Minderheiten wurden zu Mehrheiten, Mehrheiten zu Minderheiten, Fluchtbewegungen und ‚Umsiedlungen’ erreichten Dimensionen, die selbst der Erste Weltkrieg nicht gekannt hatte. Veränderungen der politischen Kartographie verwandelten den Charakter von Wanderungen, besonders im mittel- und ostmitteleuropäischen Raum: Aus vielen früheren Binnen-
28 Hitler (Generalplan Ost 1941/42) und Churchill (Potsdamer Abkommen 1945) benutzten die Lausanner Konvention später als Modell für Umsiedlungen und Vertreibungen (vgl. Sundhausen 2007, 304). 29 Zu den Zwangsumgesiedelten gehörte auch die Familie von Angela Melitopoulos, die aus der Türkei nach Nord-Griechenland vertrieben wurde. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Vater von Melitopoulos dann als „Fremdarbeiter“ nach Wien angeworben. Nachdem er von seiner Arbeitsstelle geflohen war, kam er in ein SS-„Umerziehungslager“. Nach dem Krieg ging er wie viele aus seinem Dorf als „Gastarbeiter“ nach Deutschland. In ihrem Film „Passing Drama“ (1999) zeichnet Melitopoulos die Geschichte ihrer Familie nach, die sich räumlich und zeitlich vom Osmanischen Reich bis in die wiedervereinigte Bundesrepublik erstreckt und mehrere Flucht-, Arbeits- und Migrationsregimes umfasst. (Vgl. hierzu Steyerl 2003, 42)
3.3 Zur Herausbildung des europäischen Mobilitätsregimes
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wanderungen wurden transnationale Bewegungen […]. Andernorts verwandelten sich transnationale Bewegungen in Binnenwanderungen.“
Zudem habe sich das Verhältnis von Staat und Migration grundlegend gewandelt, und es habe sich eine protektionistische Migrations- und Arbeitsmarktpolitik durchgesetzt, die auf Kontrolle und Steuerung der Beschäftigung von AusländerInnen basierte und auf Abschottung der nationalen Wirtschaftsräume zielte (vgl. ebd, 255ff.). Die restriktive Migrationspolitik auf beiden Seiten des Atlantiks führte auch zu einem Rückgang der überseeischen Auswanderung aus Europa und die Zahl der Rückwanderungen stieg (vgl. ebd., 258ff.). Das Interesse der Reichen am Reisen nahm in der Zwischenkriegszeit noch zu (vgl. Feifer 1985, Kapitel 7). Die Zwischenkriegszeit ist tourismusgeschichtlich allerdings auch in anderer Hinsicht von Bedeutung. So tauchten ab Mitte der 1920er Jahre in verschiedenen europäischen Städten erstmals Organisationen auf, die sich mit ihrem Reiseangebot speziell an ArbeiterInnen richteten (vgl. Keitz 1997, 60). Ihr Ziel war unter anderem, zukünftige Kriege durch friedliche Begegnungen zwischen Angehörigen verschiedener Nationalitäten zu verhindern (vgl. Fromm 1992, 6). Auch wenn der Umfang des Angebots und die TeilnehmerInnenzahlen gering waren, handelte es sich dabei um ein historisch neuartiges, länderübergreifendes Phänomen der 1920er Jahre, das als Wegbereiter für die Entwicklung des späteren Massentourismus gesehen werden kann. Ohne den in dieser Zeit mithilfe des wachsenden Einflusses der Gewerkschaften durchgesetzten Anspruch auf bezahlten Urlaub für einen Teil der Arbeiterschaft wäre Massentourismus undenkbar (vgl. Keitz 1997, 64). Zudem trug eine Entwicklung im Bereich des Transportwesens – die Verbreitung des Omnibusses und die Ausdehnung des Streckennetzes – dazu bei, entlegene Orte touristisch zu erschließen und so die verkehrstechnische Infrastruktur für den Massentourismus bereitzustellen (vgl. ebd., 66). Der Zweite Weltkrieg und die Produktion von „BürgerInnen zweiter Klasse“ Der Zweite Weltkrieg war in noch stärkerem Maße als der Erste mit Massenbewegungen über große Distanzen hinweg verbunden. Flucht, Vertreibung, Deportation und Zwangsarbeit prägten Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit in bislang unbekanntem Ausmaß. (Vgl. Bade 2000, 284) Die erste große Emigrationswelle aus dem nationalsozialistischen Deutschland begann mit der Machtergreifung Hitlers 1933. Weitere folgten 1935 und 1938/39 (vgl. ebd., 281). Die letzte große Fluchtbewegung in Europa vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde 1939 durch den spanischen Bürgerkrieg ausgelöst (vgl. ebd., 283). Zwischen 1939 und 1943 wurden etwa dreißig Millionen Menschen von Stalin und Hitler vertrieben, verschleppt, umgesiedelt und deportiert (vgl. Judt 2006, 39).
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Die nationalsozialistische Rüstungskonjunktur löste einen Arbeitskräftemangel in Deutschland aus, der zu einer Welle von Anwerbungen im Ausland führte, die nach Kriegsbeginn durch den Einsatz von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen ergänzt wurde. Im Frühjahr 1943 befanden sich knapp 230.000 Arbeitskräfte aus Südosteuropa, darunter über 11.000 GriechInnen, im „Großdeutschen Reich“. (Vgl. Sundhausen 2007, 306f.) Die Nazis trieben das sich seit dem Ersten Weltkrieg in Europa abzeichnende Aufbrechen des „Nexus Nativität-Nationalität“ ins Extrem, indem sie deutsche BürgerInnen in „vollwertige Bürger“ und „Bürger zweiter Klasse“ unterteilten und Bürgerschaft zu etwas machten, dessen man sich würdig erweisen musste und das jederzeit entzogen werden konnte. So wurde die vollständige Entnationalisierung der Juden und Jüdinnen und damit ihre Verfolgung und Vernichtung legitimiert. (Vgl. Agamben 2002, 141) Um die „vollwertigen BürgerInnen“ auf Linie zu bringen, nutzten die NationalsozialistInnen unter anderem den Tourismus. Im Jahr der Machtergreifung Hitlers gründeten sie nach italienischem Vorbild die Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF), die als weitere Wegbereiterin des heutigen Massentourismus gesehen werden kann (vgl. Fromm 1992, 318). Wenngleich es auch vor der NSZeit bereits Organisationen gab, die Reisen für ArbeiterInnen organisierten, gelang es erst der NS-Organisation „Kraft durch Freude“, Billigreisen in großem Maßstab anzubieten und vielen ArbeiterInnen, die es sich vorher nicht hätten leisten können, eine Urlaubsreise zu ermöglichen. „Die Idee, den Tourismus mittels ,Normierung, Montage, Serienfertigung’ (Enzensberger 1987: 671f.) anzukurbeln und nach dem Motto ‚großer Umsatz, kleine Preise’ verbilligte Sonderfahrten zu organisieren, war freilich keineswegs neu; sie ist fast so alt wie die Eisenbahn selbst. Neu war die hemmungslose Konsequenz, mit der diese Idee von nun an umgesetzt werden sollte.“ (Spode 1997, 22)
Dabei machten sich die NationalsozialistInnen die Idee der „Völkerverständigung“ zueigen, zu der die KdF-Reisen beitragen sollten. Es wurden allerdings nur „diktatorisch bzw. faschistisch oder pseudo-faschistisch regierte Länder“ (Fromm 1992, 317) wie Portugal, Spanien, Italien, Griechenland oder Jugoslawien angefahren.30 Oberstes Ziel der Organisation war „die Schaffung der natio-
30 Entgegen der KdF-Propaganda, dass Reisen kein bürgerliches Privileg mehr sei und alle „Volksgenossen“ unabhängig von Schicht und Einkommen gleichermaßen ihr Recht auf Erholung in Anspruch nehmen könnten, lassen Statistiken erkennen, dass insbesondere die im Vergleich zu den Landreisen kostspieligen Seereisen nach Portugal, Italien oder Griechenland dem Mittelstand vorbehalten waren (Vgl. Fromm 1992, 265ff.). Wirklich geboomt hat der Massentourismus im Mittelmeerraum tatsächlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg, zunächst in Form von Bustouren und später von Charterflügen.
3.3 Zur Herausbildung des europäischen Mobilitätsregimes
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nalsozialistischen Volksgemeinschaft und die Vervollkommnung und Veredelung des deutschen Menschen“ (zit. nach ebd., 108). Wenngleich man „kollektivem Reisen mit politischem Hintergrund“ nach 1945 in Westeuropa größtenteils ablehnend gegenüberstand, blieb die Frage, ob Auslandsreisen als Mittel der Völkerverständigung und Friedenserhaltung dienen können, weiterhin von Bedeutung (vgl. ebd., 306f.), gerade auch im Europäisierungsprozess nach 1945. 3.3.2 Nach 1945 Die Nachkriegsjahre Der Zweite Weltkrieg war Auslöser für den bald nach seinem Ende beginnenden europäischen Einigungs- und Integrationsprozess. Über eine zunächst wirtschaftliche und später auch politische Vernetzung der ehemaligen Kriegsgegner sollte eine dauerhafte Friedenssicherung in (West-)Europa erreicht werden.31 Die unmittelbaren Nachkriegsjahre waren allerdings vor allem von Flucht und Vertreibung gekennzeichnet (vgl. Bade 2000, 297ff.). „Was sich 1945 ereignete und mindestens ein Jahr zuvor eingesetzt hatte, war […] ein beispielloser Fall von ethnischer Säuberung und Bevölkerungstransfer“ (Judt 2006, 41). Stephen Castles und Mark Miller (2003, 4) sprechen angesichts des weltweit gestiegenen Umfangs und der Bedeutung von Wanderungsbewegungen nach 1945 von einem „neuen Zeitalter der Migration“, und Franck Düvell (2006, 38) fasst sechs verschiedene Ursachen für die Migrationen nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen, „erstens die Vertreibung im Gefolge des Krieges und der Verschiebung von Staatsgrenzen (Polen), zweitens die Absetzbewegung aus den nun kommunistischen osteuropäischen Staaten, drittens die massenhafte Emigration aus dem zerstörten Europa, viertens die Vertreibungen im Rahmen von dem Zweiten Weltkrieg folgenden Konflikten (Indien, China, Koreakrieg), fünftens die Enttäuschung der Erwartungen in die neue Unabhängigkeit vieler ehemaliger Kolonien, und sechstens die Anwerbung von Arbeitskräften in Europa.“
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Tony Judt (2006, 20) hält die Geschichte eines friedfertigen Europa, das nach 1945 „phönixgleich […] aus der Asche einer mörderischen, selbstmörderischen Vergangenheit“ erstand, für einen Mythos, in dem die östliche Hälfte der Geschichte verschwiegen wird. „Verglichen mit den vorangegangen Jahrzehnten war die osteuropäische Nachkriegsgeschichte zwar friedlich, aber nur dank der unerwünschten Anwesenheit der Roten Armee: Es war der Frieden eines scharf bewachten Gefängnishofs. Und wenn sich der Sowjetblock zu einem Wirtschaftsverband zusammenschloß, der oberflächlich mit der westlichen Gemeinschaft vergleichbar erschien, dann nur, weil Moskau seinen Satelliten ‚brüderliche’ Institutionen und Handelsbeziehungen aufzwang. Die Nachkriegsgeschichte der beiden Hälften Europas kann nicht getrennt voneinander erzählt werden.“
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Schon bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann der „Kalte Krieg“ zwischen der Sowjetunion einerseits und den USA und den anderen westlichen Siegermächten andererseits. Zu einem der vielen heißen Kriege im Kalten Krieg zählt der griechische Bürgerkrieg, der 1949 mit der Niederlage der KommunistInnen endete (vgl. hierzu Kofas 2006). Viele griechische Bürgerkriegsflüchtlinge flohen in seiner Folge nach Albanien und Bulgarien und wurden später auf andere sozialistische Länder verteilt (vgl. Lagaris 2007a, 609). Gleichzeitig ließen sich griechischstämmige Flüchtlinge aus den Balkanstaaten in Griechenland nieder (vgl. Kaiser 1985, 496). Die westeuropäischen Migrationsregimes, Arbeitsmigration aus Südeuropa und der Ausbau des Massentourismus im Mittelmeerraum nach 1950 Ab den 1950er Jahren verlagerte sich die Flüchtlingsgenerierung von Europa auf die Südhalbkugel, wo Dekolonialisierungskriege und -prozesse unterschiedlich motivierte Wanderungen auslösten. Die durch den Zweiten Weltkrieg beschleunigte Auflösung der europäischen Kolonialreiche führte zur Rückwanderung von Personal der Kolonialmächte sowie zur zunehmenden Einwanderung von BewohnerInnen der ehemaligen Kolonien nach Europa (vgl. Bade 2000, 301ff.; Hoerder 2002, 157ff.). Einige westeuropäische Länder konnten durch die Einwanderung aus den ehemaligen oder noch bestehenden Kolonien in der Nachkriegszeit ihren zusätzlichen Bedarf an billigen Arbeitskräften decken. Andere Länder warben (zusätzlich) „GastarbeiterInnen“ aus dem Mittelmeerraum an. Für diese Phase kann daher zwischen drei Migrationsregimen unterschieden werden: dem „Gastarbeiterregime“ (vor allem Deutschland und die Schweiz), dem „Kolonialregime“ (vor allem Großbritannien) und dem „Hybridregime“, das aus einer Kombination von kolonialer Migration und Arbeitsmigration vorwiegend aus dem Mittelmeerraum gekennzeichnet ist (vor allem Frankreich und die Niederlande). (Vgl. Schwenken 2006, 84f.) Die Ursachen der Auswanderung aus der „weniger entwickelten europäischen Peripherie“ (Castles/Miller 2003, 69) – hierzu können neben dem Mittelmeerraum auch Irland und Finnland gezählt werden – sind allerdings vielfältig und lassen sich nicht auf ökonomische Motive (vgl. ebd., 76) reduzieren, wie die Beispiele Griechenland und Zypern verdeutlichen. Die griechische Arbeitswanderung nach West-, Mittel- und Nordeuropa begann wenige Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs, wobei der weitaus größte Teil als „GastarbeiterInnen“ in 32 die Bundesrepublik ging. Zahlreiche GriechInnen wanderten in dieser Zeit aber auch in transatlantische Zielländer aus. (Vgl. Kaiser 1985, 497; Vermeulen 2007, 604) Während der Militärdiktatur von 1967 bis 1974 verließen zudem viele 32
Zur griechischen Diaspora in Deutschland vgl. z.B. Skarpelis-Sperk (2000).
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GriechInnen aus politischen Gründen das Land (vgl. Glytsos 1997, 414; Lagaris 2007b).33 Nach dem Ende der Militärdiktatur verbesserte sich die Wirtschaftslage in Griechenland. Etwa zeitgleich änderten sich die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in den westeuropäischen Aufnahmeländern, so dass sich einige der Ausgewanderten für eine Rückkehr entschieden (vgl. Kaiser 1985, 497; Glytsos 1997, 413ff.; Vermeulen 2007, 606). Außerdem öffnete sich das Land verstärkt für ausländische TouristInnen (vgl. Löfgren 1999, 180). Es kam allerdings auch zu einem „neuen Abwanderungsstrom“ – vornehmlich von FacharbeiterInnen – in Richtung Naher Osten und Nordafrika (vgl. Kaiser 1985, 496). In Zypern gestaltet sich die Mobilitätsgeschichte etwas anders. Zypern erlangte erst 1960 die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft.34 In den folgenden Jahren nahmen die Spannungen zwischen griechischen und türkischen ZypriotInnen zu und es kam ab 1963 und insbesondere 1974 zu Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen zwischen den beiden größten Bevölkerungsgruppen. Die Spannungen führten das Land in eine ökonomische Krise, die viele ZypriotInnen in den 1960er und 1970er Jahren zur Emigration nach Griechenland, Großbritannien (vgl. hierzu Anthias 1992), Australien, in die Vereinigten Staaten oder nach Südafrika veranlasste. Nach der Invasion der Türkei 1974 wurden im türkisch besetzten Norden der Insel Menschen aus Anatolien angesiedelt, um die demografische Struktur der Insel zu verändern. Der nicht türkisch okkupierte Süden erlebte von 1973 bis 1975 einen massiven Einbruch des Bruttosozialprodukts und einen rapiden Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut. Die griechisch-zypriotischen Flüchtlinge, die im Zuge der türkischen Invasion aus dem Norden der Insel vertrieben worden waren, stellten jedoch ein Reservoir billiger Arbeitskräfte dar, die maßgeblich zum wirtschaftlichen Auf35 schwung der Republik Zypern ab Ende der 1970er Jahre beitrugen. Hinzu ka-
33
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die lange Zeit als „klassische Auswanderungsstaaten“ betrachteten Länder Südeuropas auch Immigration verzeichneten. So kamen bereits unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges Flüchtlinge und Asylsuchende aus den sozialistischen Ländern Osteuropas nach Griechenland. Später kamen Flüchtlinge aus „Drittweltländern“ hinzu. Die Immigration von als gering qualifiziert betrachteten ArbeitsmigrantInnen begann in den späten 1960er Jahren. Kamen die MigrantInnen zunächst vorwiegend aus Spanien, Ägypten und Südasien, waren es in den späten 1970er Jahren zunehmend MigrantInnen aus verschiedenen „Drittweltländern“ und Polen, bevor dann mit Beginn der 1990er Jahre die Zahl der Einwandernden, vor allem aus Albanien, rapide zunahm und zu einem wesentlichen Faktor für die griechische Volkswirtschaft wurde. (Vgl. Fakiolas 2000, 58f.) 34 Zypern gehörte ab 1571 zum Osmanischen Reich, das die Insel 1878 an Großbritannien verpachtete. 1914 wurde Zypern von Großbritannien annektiert und war von 1925 bis 1960 Kronkolonie. 35 Zur Bevölkerungsentwicklung nach 1974 vgl. Brey (1998, 500ff.).
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men andere Faktoren wie der Ausbau des Massentourismus, die zur Verbesserung der Wirtschaftslage in Zypern führten. Ungefähr zeitgleich mit dem „GastarbeiterInnensystem“ entwickelte sich um 1960 herum in großem Maßstab ein industriell organisierter Massentourismus in Europa, und der europäische Mittelmeerraum wurde Teil der „Vergnügungsperipherie“ für TouristInnen aus West- und Nordeuropa. Der wirtschaftliche Aufschwung in den west- und nordeuropäischen Ländern führte dazu, dass Reisen in den Mittelmeerraum nicht länger nur für die Mittelschicht, sondern zunehmend auch für die Arbeiterklasse attraktiv wurden (vgl. Löfgren 1999, 157ff.). Zudem wurden durch die „GastarbeiterInnenmigration“ Bilder aktiviert, die Urlaubsreisen in den Mittelmeerraum für West- und NordeuropäerInnen interessant machten. So setzte sich in der Zeit der „GastarbeiterInnenmigration“ in West- und Nordeuropa die Vorstellung vom hoffnungslos unterentwickelten Süden Europas durch, der die „GastarbeiterInnen“ in den reichen Norden trieb und eine Kontrastfolie bot, die den eigenen beginnenden Wohlstand umso deutlicher erscheinen ließ. (Vgl. von Osten 2007, 176) Neben Sonne und Meer war es diese Vorstellung von Rückständigkeit, die – umgedeutet in Tradition, Ursprünglichkeit und Naturverbundenheit – den Mittelmeerraum für den touristischen Konsum attraktiv machte. Manche TouristInnen wurden in Südeuropa sesshaft. Andere verlängerten ihr Urlaubserlebnis mit dem Besuch von griechischen oder italienischen Restaurants, mit denen „GastarbeiterInnen“ in Westeuropa seit Mitte der 1970er Jahre ihre prekär werdenden Beschäftigungsverhältnisse gegen eine selbstständige Existenzsicherung eintauschten. (Vgl. Bojadžijev 1998, 303; Gogos 2005, 387; Vermeulen 2007, 605f.) Das Ende der Anwerbung und die Bemühungen um Rückkehr Anfang der 1970er Jahre erreichte die Beschäftigung von „GastarbeiterInnen“ in Westeuropa ihren Höhepunkt. Ab 1973 reagierten die westeuropäischen Länder mit Anwerbestopps auf die wirtschaftliche Rezession und die gesunkene Aufnahmekapazität des Arbeitsmarktes infolge der Ölkrise. Die ansteigenden Geldströme in den Erdöl-fördernden Staaten lösten dort einen enormen Wachstumsprozess aus, der eine zunehmende Nachfrage nach Arbeitskräften mit sich brachte, so dass der Mittlere Osten Westeuropa als Hauptzielregion von „GastarbeiterInnen“ abzulösen begann. (Vgl. Düvell 2006, 39) Die westeuropäischen Länder bemühten sich hingegen um Rückkehr der ausländischen Arbeitskräfte. Diese Maßnahmen zeitigten jedoch nicht die erwünschte Wirkung. Viele ArbeitsmigrantInnen, die zuvor nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses wieder ausgereist waren, blieben nun im Land und holten ihre Familien nach. (Vgl. Sassen 1996, 115f.; Bade 2000, 320f.; Münz 2001, 29ff.)
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Langfristig überwogen jedoch vor allem in Griechenland die Rückwanderungen, was auch auf entsprechende Bemühungen der griechischen Regierung zurückzuführen ist (vgl. Glytsos 1997, 415; Bade 2000, 361; Vermeulen 2007, 606ff.). Zwischen 1974 und 1985 kehrte fast die Hälfte der in Europa verstreuten GriechInnen wieder nach Griechenland zurück (vgl. Fakiolas 2000, 58; Kasimis/ Kassimi 2000), manche in Begleitung westeuropäischer PartnerInnen. Auf Kreta und in anderen inzwischen zu beliebten Tourismuszielen gewordenen Regionen fanden einige RückkehrerInnen Arbeit in Hotels und Restaurants (vgl. BuckMorss 1987, 203) oder eröffneten eigene touristische Unternehmen. Das kulturelle Kapital, das sie aus ihrer Zeit in Westeuropa mitbrachten, konnten sie hier durch die Arbeit mit westeuropäischen TouristInnen in ökonomisches verwandeln (vgl. Römhild 2002). Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch für manche Regionen Zyperns feststellen, wo ebenfalls insbesondere der Tourismussektor eine Einkommensquelle für RückkehrerInnen bot (vgl. Welz 1998b, 2000). Die „neue“ Migration Nicht nur RückkehrerInnen und TouristInnen kamen im Mittelmeerraum zusammen. Im Zuge der wirtschaftlichen und politischen Veränderungen, die Italien, Spanien, Portugal, Griechenland und Zypern ab Mitte der 1970er Jahre durchliefen, wurden die Länder zunehmend auch zu Transit- und Zielländern für MigrantInnen und Flüchtlinge aus dem globalen Süden und Osten (vgl. hierzu z.B. Castles/Miller 2003, 82ff.). Dieser Wandel von klassischen Auswanderungsstaaten zu Einwanderungsländern wird in der Literatur häufig als ein wesentliches Merkmal der „neuen Geografie der Migration“ (Koser/Lutz 1998, 2) betrachtet, die Europa ab den 1980er und verstärkt ab den 1990er Jahren kennzeichne. Ausgelöst durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und „den Fall des Eisernen Vorhangs“ verschoben sich nicht nur die Zielländer von Flucht und Migration in Europa, sondern auch die Herkunftsländer. Zum einen wurde die lange Zeit unterbundene innerkontinentale Ost-Westmigration wieder möglich, und zum anderen boten sich MigrantInnen aus Afrika und Asien neue Migrationsmöglichkeiten nach Europa. (Vgl. Düvell 2006, 54f.) Wirtschaftliche Umstrukturierungen in Europa sowie globale Veränderungen des Migrationsgeschehens beeinflussten sich dabei gegenseitig (vgl. hierzu z.B. King 1997). Neben der erheblichen quantitativen Zunahme von Migration stellt Helma Lutz (1997; vgl. hierzu auch Koser/Lutz 2000, 4; Schwenken 2006, 83ff.) fünf qualitative Merkmale fest, die die „neue Migration“ in Europa von früheren Wanderungsbewegungen unterscheide: geografische Verschiebungen, veränderte MigrantInnenprofile, neue politische Antworten, veränderte Migrationsstrategien sowie Feminisierung von Migration. Chronologisch lässt sich eine Ablösung der
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Figur des staatlich angeworbenen „Gastarbeiters“ durch die des bedrohlichen und/oder hilfsbedürftigen (nicht-europäischen) „Flüchtlings“ und schließlich durch die des „illegalen Migranten“ feststellen. Bei aller „Neuartigkeit“ mancher Aspekte sollten jedoch auch Kontinuitäten und Gleichzeitigkeiten berücksichtigt werden. Wenn der staatlich angeworbene „Gastarbeiter“ auch lange Zeit die migrationspolitisch leitende Figur war, hat es doch in allen Phasen der europäischen Nachkriegsmigrationsgeschichte Formen unregulierter Migration gegeben, so dass man nur eingeschränkt von einer Ablösung regulierter Migrationsformen durch dereguliertere sprechen kann (vgl. hierzu Karakayal 2008). Inzwischen sind alle drei Figuren – „der Gastarbeiter“, „der Flüchtling“ und der „illegale Migrant“ – simultan Regulationsobjekte der EU-Migrationspolitik, die „auf die Freizügigkeit der EU-Arbeitsmigranten, auf die partielle sozialrechtliche Integration bereits eingewanderter Drittausländer und auf eine gemeinsame restriktive Politik gegenüber Migrantinnen und Migranten ohne Papiere [zielt]“ (Karakayal/Tsianos 2005, 420). Vor diesem Hintergrund liegt Franck Düvell (2006, 57) vermutlich richtig, wenn er die Markierung von Migrationsphänomenen am Ende des 20. Jahrhunderts in Europa als „neu“ in erster Linie auf „das Erstaunen und die Aufregung von Forschern und Gesellschaft“ zurückführt. Düvell (ebd., 55) kommentiert nüchtern: „Europa, welches 50 Jahre lang geschützt hinter dem ‚Eisernen Vorhang’ ein gewisses Eigenleben führte, hatte erneut Anschluss an das globale Migrationsgeschehen erhalten. Weil sich unter den Migranten aber auch viele Asylsuchende und irreguläre Migranten befanden und erstmals auch die Anzahl von Frauen unter ihnen auffiel, im Unterschied zur Gastarbeiter- und Familienzusammenführungsmigration der vorausgegangenen Jahrzehnte, sprachen sie […] von neuen Typen der Migration.“36
Auch die quantitative Zunahme von Migration in und nach Europa kann vor dem Hintergrund relativiert werden, dass die weltweiten Wanderungen, die sich im Zeitalter der Globalisierung verstärkten, zumeist auf die Ausgangsregionen beschränkt blieben und Europa auch am Ende des 20. Jahrhunderts nur zu ca. fünf Prozent erreichten, was jedoch nicht verhinderte, dass die europäische Migrationspolitik zunehmend von „Horrorvisionen von auf den Kontinent zielenden Massenwanderungen“ bestimmt und als Sicherheits- und Verteidigungspolitik verstanden wurde (Bade 2002, 43). Neben Debatten um das Für und Wider „multikultureller“ Gesellschaften und die Integration bereits eingewanderter MigrantInnen, ging es in den migrationspolitischen Diskursen der 1980er Jahren in verschiedenen europäischen Län36 Dabei ist zu berücksichtigen, dass Migrationsbewegungen nun auch anders bewertet wurden als zu Zeiten des Kalten Krieges.
3.4 Migration und Tourismus als Regulationsobjekte
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dern vor allem um den Umgang mit AsylbewerberInnen. Im Zuge der „Harmonisierung“ der europäischen Migrationspolitiken wurde die Zulassung zum Asylverfahren beschränkt, und die Zugangskontrollen an den EU-Außengrenzen wurden verschärft. (Vgl. Bade 2000, 382) Asylsuchende, die bereits nach Europa gelangt waren, wurden zunehmend mit Rassismus und Ablehnung konfrontiert. In öffentlichen Diskursen wurden sie als Wirtschaftsflüchtlinge diffamiert und für die steigende Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht. Nach „der Öffnung des Eisernen Vorhangs“ kam die Furcht vor Massenwanderungen aus Osteuropa hinzu. Sowohl der Ansturm aus „dem Osten“ als auch der aus „dem Süden“ blieben letztlich aus. (Vgl. ebd., 386) In der europäischen Migrationspolitik setzte sich jedoch ein restriktiver Kurs durch, der durch die zunehmende Verquickung von Migration, Kriminalität und Terrorismus gekennzeichnet ist und in dem sich „das Unbehagen Europas angesichts einer ständig wachsenden Vielfalt“ (Judt 2006, 24) zeigt.
3.4 Migration und Tourismus als Regulationsobjekte des EU-Mobilitätsregimes 3.4 Migration und Tourismus als Regulationsobjekte 3.4.1 Der EU-Erweiterungsprozess und die Regulation von Migration Die europäische Mobilitätsordnung der konzentrischen Kreise Anfang der 1980er Jahre begannen die Staaten der Europäischen Gemeinschaft in Fragen von Einwanderung, Visabestimmungen, Grenzkontrollen und Asyl zu kooperieren. Das Schengener Abkommen wurde 1985 zwischen den fünf „kerneuropäischen“ Staaten Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg geschlossen, um Staaten übergreifende Beziehungen durch den Abbau von Kontrollen an den Binnengrenzen zu erleichtern. Zum Ausgleich dafür sollten Kontrollen an die Außengrenzen der EU verlagert werden. Seit den 1990er Jahren schlossen sich nahezu alle EU-Staaten sowie die Nicht-EU-Staaten Norwegen, Island und Schweiz dem Abkommen an. Mit dem Amsterdamer Vertrag von 1997 wurde dieses informell zustande gekommene Abkommen schließlich in die formellen Strukturen der EU integriert. Damit wurde es auch Teil des acquis communautaire37, den die ost- und südeuropäischen Beitrittskandidaten zu erfüllen hatten, wenngleich sie sich in der Art und Weise, wie sie von Migrationsdynamiken betroffen waren, maßgeblich von den „kerneuropäischen“ Ländern unterschieden. Es wurde von ihnen erwartet, eine Einwanderungspolitik umzusetzen, die in erster Linie den offiziellen Vorstellungen und Bedürfnissen 37
Gesamtbestand an Rechten und Pflichten für EU-Mitgliedstaaten.
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„Kerneuropas“ entsprach, wobei nationale Spezifika im Umgang mit Migration allerdings weiterhin bestehen blieben.38 Dabei kristallisierte sich eine spezifisch europäische Mobilitätsordnung heraus, die zum einen von den geopolitischen Veränderungen durch den Fall des „Eisernen Vorhangs“ sowie den EU-Integrationsprozess gekennzeichnet ist und zum anderen durch eine alternde Bevölkerung bei gleichzeitigem Bedarf an jungen Arbeitskräften (vgl. Rogers 2001, 15). Wie Ali Rogers (ebd., 12ff.) gehen verschiedene AutorInnen davon aus, dass in der im Schengener Abkommen formulierten Mobilitätspolitik ein Modell von Europa zum Ausdruck kommt, das die Welt um ein Kerneuropa herum in drei konzentrische Kreise mit unterschiedlichen Graden von Freizügigkeit und wirtschaftlichen Beziehungen zum Kern einteilt (vgl. Müller 2000; Hess/Lenz 2001; Vobruba 2001, 144f.). Den ersten Kreis um den wohlhabenden Kernbereich EU-Europas bilden dabei die näheren Nachbarn, die EU-Beitrittskandidaten der ersten Runde. Der zweite Kreis setzt sich zusammen aus den entfernteren Nachbarn mit weniger sicherer Beitrittsperspektive, und darum herum bilden der „mittlere Osten, China und Schwarzafrika“ einen weiteren Kreis. Migrationspolitisch kommen den verschiedenen Kreisen unterschiedliche Aufgaben zu. Während der erste Kreis sich in der „Visa-, Grenzkontroll- und Rücknahmepolitik“ kontinuierlich EU-Standards annähern soll, soll sich der zweite Kreis vor allem um die „Transitkontrolle und Schleppereibekämpfung“ kümmern. Der dritte Kreis schließlich hat sich in erster 39 Linie auf die „Beseitigung von Push-Faktoren“ zu konzentrieren. Die Erfüllung dieser Pflichten im Sinne Kerneuropas wurde für den ersten Kreis mit EUMitgliedschaft belohnt, für den zweiten mit verstärkter wirtschaftlicher Zusammenarbeit und für den dritten mit Entwicklungshilfe. (Vgl. Strategiepapier des Europäischen Rates unter österreichischer Präsidentschaft, zit. nach Müller 2000). „Daraus ergibt sich, daß die wohlhabende Kernzone zweifach abgesichert ist. Es gibt für den Eintritt von außen sowohl graduell abnehmende Anreize als auch graduell zunehmende Hindernisse“ (Vobruba 2001, 138). Die Orientierung Griechenlands in Richtung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) begann bereits in den 1950er Jahren.40 Der Beitritt Grie38
Zur Geschichte der europäischen Migrationspolitik vgl. ausführlicher Düvell (2002, 75ff.) oder Schwenken (2006, 96ff.), und mit Fokus auf Südeuropa z.B. Kostakopoulou (1999). 39 Ende 2007 beschloss der Europarat beispielsweise, „Mobilitätspartnerschaften“ zu fördern. Darunter werden bilaterale Abkommen zwischen EU-Länder und sogenannten Drittstaaten verstanden, die die Mobilität von Arbeitskräften zu beidseitigem Nutzen regeln sollen, wodurch die kontrollierte Einwanderung wirtschaftlich nützlicher MigrantInnen bei gleichzeitiger Unterbindung „illegaler“ Migration nach Europa erreicht werden soll. Vgl. dazu http://www.eu2007.pt/NR/rdonlyres/ 4B8B3D1F-86EA-4591-93AD-C09DAAD6D42E/0/97508.pdf (letzter Zugriff: 8/2009). 40 Zum Prozess der EU-Integration Griechenlands vgl. z.B. Lauth Bacas (2004) oder Judt (2006, 572ff.).
3.4 Migration und Tourismus als Regulationsobjekte
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chenlands zur EWG 1981 – nur wenige Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur – stand am Beginn der Süderweiterung der EU. Sieben Jahre später endete die Übergangsregelung, und die GriechInnen erhielten das Recht auf uneingeschränkte Freizügigkeit innerhalb der EU. Seit 1992 ist das Schengener Abkommen in Griechenland in Kraft. Damit wurden die Landesgrenzen Griechenlands mit Albanien, Mazedonien, Bulgarien (seit 2007 auch EU-Mitglied) und der Türkei zu EU-Außengrenzen, ebenso wie die Küsten. Sie dienen „Drittstaatenangehörigen“ seither als erster „point of entry“ (Panagiotidis/Tsianos 2007, 67) ins Schengenland, wobei viele bei der Überquerung von Landes- wie Meeresgrenzen ihr Leben riskieren. Gleichzeitig wurden Arbeitsaufnahme und Niederlassung in Griechenland für BürgerInnen aus anderen EU-Ländern erleichtert, beispielsweise für TouristInnen aus Nordeuropa, die sich einen Zweitwohnsitz am Mittelmeer einrichten. Ebenso können GriechInnen sich seither überall in der EU niederlassen und arbeiten. Zypern schloss 1972 eine Assoziierungsvereinbarung mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Erst nach 1974 begann die Europäisierung der Ökonomie jedoch wirklich zu greifen. (Vgl. Trimikliniotis 2001, 55) Im Zuge der ersten Osterweiterung 2004 trat Zypern der EU bei. Seither gilt für ZypriotInnen uneingeschränkte Freizügigkeit innerhalb der EU, und umgekehrt dürfen EU-BürgerInnen sich in Zypern uneingeschränkt niederlassen und arbeiten. Der Beitritt zum Schengener Abkommen wurde aufgrund der unklaren Grenzsituation des seit 1974 geteilten Landes jedoch verschoben. Zwar wurde die ganze Insel Mitglied der Europäischen Union, aber der acquis communautaire, der Gesamtbestand an Rechten und Pflichten für EU-Mitgliedstaaten, gilt nur für den von der griechisch-zypriotischen Regierung kontrollierten Süden. Der Status der Grenze zwischen den beiden Landesteilen ist seither umstritten. Immer wieder versuchen „Drittstaatenangehörige“, darüber, aber auch über die Meeresgrenzen, in die EU zu gelangen. Durch den EU-Beitritt haben sich nun jedoch nicht nur die Ein- und Ausreisebedingungen verändert, sondern auch die Situation von im Land lebenden AusländerInnen, wie ich ein Jahr nach dem Beitritt beobachten konnte (vgl. hierzu Kapitel 5). Die neue „Kunst des Regierens“ im erweiterten Europa Mit den Beitritten von 2004 und 2007 scheint das Erweiterungspotenzial der EU nun weitgehend ausgeschöpft, und es zeichnet sich „ein Paradigmenwechsel in der Politik der Expansion der Interessenssphäre Europas“ (Vobruba 2007, 119) bzw. eine „grundlegende Transformation im Modus des Politischen“ (Hess/ Tsianos 2007, 25) ab. Diese neue Regierungsweise lässt sich nicht mehr mit den Begrifflichkeiten des „methodologischen Nationalismus“ erklären. Statt herkömmliche für den Nationalstaat entwickelte Konzepte auf EU-Ebene zu über-
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tragen, muss daher nach Möglichkeiten gesucht werden, dass qualitativ Neue an der „Kunst des Regierens“ im erweiterten Europa zu erfassen, das sich insbesondere in der Migrationspolitik abzeichnet: „In addition to nation-states, transstate expert panels and inter-governmental organisations (IGOs) have become the avant-garde in the promotion of new techniques to manage migration and asylum ‘in a more orderly way’“ (Geiger 2005, 19). Die Methoden zur Regulierung von Mobilität wurden also dem grenzüberschreitenden Charakter ihres Regulationsobjektes angepasst und machen ebenso wenig an nationalstaatlichen Grenzen wie an EU-Außengrenzen halt, wenngleich diese Grenzen nach wie vor bedeutsam sind. Sabine Hess und Vassilis Tsianos (2007, 36f.) schreiben: „Die EU-europäischen Migrationspolitiken haben mit einer Autonomie der Migration zu rechnen, die gelernt hat, mit ihnen umzugehen, ihnen auszuweichen und sie ins Leere laufen zu lassen. Deshalb spricht auch die EU nicht mehr die Sprache der Abschottung, sondern des Migrationsmanagements. Auch die Politik der Erweiterung und Vorverlagerung der Grenzkontrollen lässt sich als eine Reaktion auf die Selbstbehauptungskräfte der Migration lesen. Sie bremst den einen oder anderen an den Rändern und in den Pufferzonen ab, sie verlängert Wege und ‚leitet’ Teile der Migration um. So trägt die Erweiterungspolitik der Migrationskontrollen dazu bei, dass die Ränder der Europäischen Union zum Hotspot des Migrationsgeschehens werden.“
Die „prinzipielle Variabilität der Grenzen“ und die „europäische Apartheid“ Anknüpfend an das von John Urry popularisierte Mobilitätsparadigma fragen Ulrich Beck und Edgar Grande (2004, 186; sowie Beck 2008, 30f.): „Was unterscheidet die generelle Mobilität von der europäischen Mobilität? In welcher Form muß Mobilität als Charakteristikum der Europäisierung verstanden werden, das heißt als Integral der europäischen Identität und Politik?“, und bieten als Antwort an: die Variabilität der Grenzen. So seien mit der Osterweiterung der EU ganze Gesellschaften bzw. Länder mobil geworden. Durch die Länder-Mobilität von außerhalb der EU in die EU hinein verschiebe sich nicht nur die Außengrenze der Union, sondern auch die Verhältnisse zwischen und innerhalb der einzelnen Nationalgesellschaften würden durcheinander gewirbelt. „Ganze Länder ‚immigrieren’ in die EU, europäische Ausländer werden zu europäischen Inländern. Freiwillige Kollektivimmigration von Staaten ist ein historisch neuartiges Phänomen.“ (Ebd., 259) Die prinzipielle Variabilität der Grenzen trägt Beck und Grande (ebd., 274) zufolge allerdings „perverse Züge“. Während die Binnengrenzen im Sinne des Schengener Abkommens zugunsten der Freizügigkeit der EU-BürgerInnen abgebaut werden, werden die Außengrenzen gegen illegale Einwanderung und zur besseren Kontrolle von „Drittstaatenangehörigen“ hochgerüstet. Darin sehen
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Beck und Grande „das Paradox des ‚grenz-mobilen’ Europa“: Einerseits seien die Grenzen zwischen „Europa“ und „Nicht-Europa“ extrem variabel, andererseits würden sie jedoch in Abstammungsdiskursen über Zugehörigkeit zu Europa re-ontologisiert. Etienne Balibar (2003, 172+276) spricht von der „Gewalt der Grenzen“ in Europa, durch die parallel zur Herausbildung der formellen Institutionen europäischer Bürgerschaft eine „europäische Apartheid“ produziert werde: „Die Ausländer sind zu Metöken oder Bürgern zweiter Klasse geworden, deren Aufenthalte und Aktivitäten besonders überwacht werden. Diese Ausgrenzung betrifft allerdings ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen: die aus dem Süden, die durch frühere Arbeitskraft-Anwerbung mit Europa verbunden sind, und die aus dem europäischen Osten und Südosten, deren Völker einem selektiven Aufnahmeverfahren in die ‚Gemeinschaft’ ausgesetzt sind.“ (Ebd., 277f.)
Während alle AusländerInnen – zumindest theoretisch – bislang als Angehörige eines anderen souveränen Staates gegolten hätten, ihre Zugehörigkeit also prinzipiell gleichwertig gewesen sei und daher wie ein Schutzmechanismus gewirkt habe, würden einige von ihnen in der EU nun als Eingewanderte aus einem sogenannten Drittstaat abqualifiziert und intern ausgegrenzt. Dies sei auch ein Ergebnis der differentiellen Einbeziehung Europas in den Globalisierungsprozess, die dazu führe, dass immer weniger von einer äußeren Bedrohung ausgegangen werde als vielmehr von einer inneren – „der Feind ist unter ‚uns’“. (Vgl. ebd., 173ff.)41 Auch unter EU-BürgerInnen ist eine Binnenverlagerung ehemals externer Grenzen festzustellen. Es lässt sich beobachten, dass das im Zuge der letzten Erweiterungsrunden scheinbar ausgereizte Muster der konzentrischen Kreise teilweise in Binnendifferenzierungen umgesetzt, also nach innen gewendet, wird, so dass „EU-Mitglieder erster, zweiter und vielleicht dritter Klasse entstehen“ (Vobruba 2001, 163). Die Ausdifferenzierung der Grenzverläufe und -funktionen Mehr noch als die prinzipielle Variabilität von Grenzen – die mit dem Stocken der Erweiterungsdynamik ohnehin immer weniger gegeben ist – scheint die Umstrukturierung und Ausdifferenzierung der Grenzverläufe und -funktionen ein besonderes Kennzeichen der EU zu sein, wobei nationalstaatliche Grenzen nach wie vor wirkmächtig bleiben. In Abgrenzung zu Theorien, die das Ende nationalstaatlicher Territorialität ausrufen oder im Gegensatz dazu von einer Wiedergeburt des starken Staates sprechen, betonen Steffen Mau et al. (2007), dass sich 41
Zur Unterscheidung von „Drittstaatsangehörigen“ und „EU-Ausländern“ vgl. auch Benhabib (2008, 151ff.).
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im Zuge von Globalisierungsprozessen in den OECD-Staaten und insbesondere in der EU erstens die „Konfiguration von Grenzen“ wandelt und sich zweitens „funktionale Äquivalente“ zu staatlichen Grenzen und Kontrollen herausbilden. Dazu gehört die zunehmende Bedeutung bi- oder multilateraler Kooperationen, die Verlagerung von Grenzkontrollen auf eine makroterritoriale bzw. supranationale Ebene, der zunehmende Einsatz neuer Technologien wie beispielsweise die Verwertung biometrischer Informationen sowie die Einbindung von Grenzregimen in Regime der inneren Sicherheit. Die Wirkungen der Grenzkontrollen seien hinsichtlich der Mobilität von Kapital, Gütern, Dienstleistungen, Informationen und Personen sehr unterschiedlich. In Bezug auf Personenmobilität fungierten Grenzen zunehmend „wie semipermeable Filter [...], die eine selektive und differenzierte Kontrolle nach Personengruppen ermöglichen, um sowohl Schutz und Sicherheit als auch ökonomische Notwendigkeiten miteinander zu vereinen“ (ebd., 23). Mit Fokus auf die Mobilität von Menschen unterscheidet Helen Schwenken (2006, 102ff.) vier Typen von Grenzverläufen in Europa: erstens EU-Außen42 grenzen, zweitens binnenverlagerte Außengrenzen , drittens Grenzen zwischen Schengenstaaten und Nicht-Schengenstaaten innerhalb der EU43 sowie viertens Bewegungseinschränkungen für bestimmte Personengruppen innerhalb eines Staates44. All diese Grenztypen lassen sich in Griechenland und Zypern finden, wobei als einziges Exemplar eines weiteren Typs europäischer Grenzverläufe die sogenannte Green Line hinzugefügt werden muss, die Zypern seit 1974 teilt und deren Status seit dem EU-Beitritt unklar ist. Hinzu kommen symbolische Grenzen, die sich beispielsweise in einer Segmentierung des Arbeitsmarktes nach ethnischen oder geschlechtlichen Zugehörigkeiten ausdrücken. Die veränderten Grenzverläufe und -funktionen in Europa sind zwar einerseits ein Spezifikum des historisch neuartigen Schengenraums. In einer genealogischen Analyse kann Schengen jedoch in eine Reihe mit anderen symbolträchtigen Ortsnamen gestellt werden wie Westfalen (1648), Wien (1815), Berlin (1878) Versailles (1919) und Potsdam (1945) – Orte, an denen historische Beschlüsse zur Neuordnung der europäischen Grenzen gefasst wurden (vgl. Walters 2002). Mit der Absicht, die gegenwärtige Grenzpolitik zu irritieren und das na42 Damit nimmt Schwenken auf ein Charakteristikum des europäischen Grenzregimes Bezug, das Zugangskontrollen zur EU nicht nur an den eigentlichen Grenzen zulässt, sondern ereignis- und verdachtsunabhängig auch im Landesinneren, beispielsweise an Autobahnen oder Verkehrknotenpunkten wie Bahnhöfen oder Flughäfen. 43 Prominentestes Beispiel dafür ist der Ärmelkanal, der den Schengenraum von Großbritannien trennt, das nicht dem Schengenverbund angehört. 44 Hierbei bezieht sich Schwenken vor allem auf Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von AsylbewerberInnen im laufenden Verfahren sowie Personen ohne gültige Aufenthaltspapiere.
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tionalstaatliche Grenzverständnis zu denaturalisieren, analysiert William Walters (2002) verschiedene Kontinuitäten und Brüche der in Schengen definierten europäischen Grenzen im Verhältnis zu geopolitischen, nationalen und biopolitischen Vorläuferinnen. Im Unterschied zum geopolitischen Konzept der Grenze, das von der zweiten Hälfte des 19. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa dominant gewesen sei, werde die in Schengen definierte Grenze nicht als potenzielle Konfrontationslinie verstanden, an der über Krieg und Frieden entschieden werde, sondern gehe im Gegenteil auf eine Entmilitarisierung der westeuropäischen Grenzen zurück. Zu den im 19. Jahrhundert zunehmend naturalisierten nationalstaatlichen Grenzen hält Walters folgende Kontinuitäten fest: 1. Die Abschwächung existierender innerer Grenzen, 2. die Erleichterung ökonomischer und sozialer Beziehungen innerhalb eines begrenzten Raumes und 3. das Ideal einer kontinuierlichen und umfassenden äußeren Grenze. Einen Unterschied zur nationalstaatlichen Grenze sieht er andererseits jedoch darin, dass opt-outs und opt-ins vorgesehen sind, also Arrangements, die es EU-Mitgliedstaaten erlauben, einen nationalen Sonderweg zu gehen und nicht dem Schengener Abkommen beizutreten (z.B. Großbritannien), während andere Länder Teil des Schengenraums werden können, ohne Mitglied der EU zu sein (z.B. Norwegen und Island). Außerdem werde die Außengrenze der EU nicht von einem politischen Zentrum aus gesteuert, sondern es gehe eher um eine „Harmonisierung“ nationaler Systeme der Grenzsicherung, wobei sich eine spezifisch europäische Kunst des Regierens herausbilde. Zudem habe sich die ideologische Konstruktion des „Anderen“ nach innen gewendet. Die bedrohlichen „Anderen“ des Schengenraums seien nicht mehr andere Nationalstaaten, sondern Flüchtlinge und MigrantInnen auf dem eigenen Territorium. Was die biopolitische Grenze anbelangt, betont Walters, dass ihr Zweck der Bevölkerungsregulierung im Sinne Foucaults infolge der Massenwanderungen und ökonomischen Krisen nach dem Ersten Weltkrieg an Bedeutung gewonnen habe. Die Grenze diene dabei nicht einfach der Regulierung einer auf einem Territorium befindlichen Bevölkerung, sondern sei vielmehr ein privilegierter Ort, an dem biopolitisches Wissen über Bevölkerungen und ihre Mobilitäten angehäuft werden könne. „In a sense, then, the border actually contributes to the production of population as a knowable, governable entity“ (ebd., 573). In Bezug auf den Schengenraum hebt Walters die besondere biopolitische Funktion der Grenze im Hinblick auf die Regulierung „illegaler“ Migration hervor, mit der eine Ausdehnung von Grenzkontrollen nach innen und außen gerechtfertigt werde. Darin sieht er eine Ablösung der Disziplinargesellschaft durch die Kontrollgesellschaft. Während Macht in Disziplinargesellschaften über konkrete Orte der
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Disziplinierung wie die Schule, das Gefängnis oder die Fabrik ausgeübt werde, sei die Biopolitik in der Kontrollgesellschaft diffuser geworden: „[T]he border is no longer reducible to fixed control posts and sites of inspection and observation. Instead, it is networked, an articulation of social security and health data systems, employing registers. It reaches back into the territory of the nation, but also outwards, linking systematically with gateways in the EU, such as foreign consulates, airlines, and travel agents. And the border operates in terms of codes which classify mobile populations, making entry quick and efficient for some, and difficult for others.“ (Ebd., 575)
Dabei betont Walters jedoch, dass nicht von einer linearen Entwicklung hin zu immer komplexeren Grenzregimes auszugehen sei; auch früher schon habe es Verlagerungen von Grenzkontrollen nach innen wie nach außen gegeben. Außerdem zeige die britische Weigerung, sich an der Europäisierung der Grenzkontrollen zu beteiligen, dass es in Europa nicht verschiedene Etappen, sondern verschiedene Strategien der Kontrolle gebe. Die machtvolle Klassifizierung mobiler Personengruppen Auch die machtvolle Klassifizierung mobiler Personengruppen an der Grenze, die einige problemlos passieren lässt, während anderen der Grenzübertritt verweigert wird, ist nicht neu in dem Sinne, dass es in der Geschichte nichts Vergleichbares gab. So betont Klaus Bade (2002, 24), „daß Begriffe und Zuordnungen wie ‚Auswanderer’ bzw. ‚Einwanderer’, ‚Arbeitswanderer’ und ‚Wirtschaftswanderer’ oder ‚Flüchtlinge’ und ‚Asylsuchende’ in der Geschichte wie in der Gegenwart durch staatliche Verwaltungs- bzw. Steuerungsinteressen oder – ebenfalls auf distinktive Ordnungskriterien angewiesene – wissenschaftliche Erkenntnisinteressen geleitete Zuschreibungen von Migranteneigenschaften sind, die mit den in der Regel ‚multiplen Migrantenidentitäten’ oft wenig zu tun haben.“
Und Hannah Arendt (1943, 19) benennt die gewaltvollen Implikationen der Identifizierung von Menschen mit ihren Papieren in Auseinandersetzung mit der Erfahrung der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und besonders des Nationalsozialismus: „Die Gesellschaft hat mit der Diskriminierung das soziale Mordinstrument entdeckt, mit dem man Menschen ohne Blutvergießen umbringen kann; Pässe oder Geburtsurkunden, und manchmal sogar Einkommenssteuererklärungen, sind keine formellen Unterlagen mehr, sondern zu einer Angelegenheit der sozialen Unterscheidung geworden.“
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Vor diesem Hintergrund kann der strategische Umgang mit amtlichen Kategorien überlebensnotwendig sein. So waren MigrantInnen „in Zeiten, in denen es weitgehend uneingeschränkte Wanderungsfreiheit – wie z.B. beim europäischen Massenexodus in die Neue Welt der Vereinigten Staaten von Nordamerika im 19. Jahrhundert – nicht gab, darauf angewiesen […], sich in ihren Selbstzuschreibungen den amtlichen Fremdzuschreibungen anzupassen, um sich über Grenzen bewegen zu können. Sie hinterließen damit in den amtlichen Dokumenten und Statistiken nicht selten ‚falsche’ Spuren, weil es bei der Zulassung oder Nichtzulassung im Sinne festgelegter Kriterien oft um ein Spiel mit falschen Karten auf beiden Seiten ging.“ (Bade 2002, 24)
Dieses „Spiel mit falschen Karten“ beschränkt sich nicht auf den Umgang mit Behörden, sondern ist Teil verschiedenster Begegnungen im Migrationsprozess. So konterkariert Hannah Arendt (1943) die Überschrift ihres Essays „Wir Flüchtlinge“ gleich mit dem ersten Satz – „vor allem mögen wir es nicht, wenn man uns ‚Flüchtlinge’ nennt“ –, um anschließend die vielschichtigen und widersprüchlichen Selbst- und Fremdzuschreibungen von aus Deutschland vertriebenen Juden und Jüdinnen aufzuzeigen. Seit dem späten 20. Jahrhundert hat sich Bade (2002, 44) zufolge die Spannung zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen verschärft. Das Selbstverständnis von MigrantInnen weicht immer stärker von den ihnen durch Migrationspolitik (und auch Migrationsforschung) zugeschriebenen Identitäten ab. Dementsprechend hat sich der Druck für MigrantInnen erhöht, erfolgversprechende Strategien im Umgang mit amtlichen und gesellschaftlichen Zuschreibungen zu entwickeln. Wir werden später sehen, auf welche Weisen sich ArbeitsmigrantInnen in touristischen Gegenden in Südeuropa identitären Zuschreibungen anpassen oder entziehen. Vergleichbares lässt sich im Asylsystem beobachten. So verweisen Sabine Hess und Serhat Karakayal (2007, 46) auf den „rigiden Authentifizierungsdruck“, dem Flüchtlinge unterliegen, die in Europa Asyl beantragen. Dieser Druck hat dazu geführt, dass erfolgreiche AntragstellerInnen die Erfindung und Plausibilisierung von Fluchtgeschichten zur Verbesserung der Chancen auf Anerkennung im Asylverfahren als Dienstleistung anbieten. Angesichts solcher Strategien von MigrantInnen im Umgang mit dem Grenzregime sehen Dimitris Papadopoulos und Vassilis Tsianos (2007, 229) die Politik der Differenz der 1980er und -90er Jahre, die auf Repräsentation und Sichtbarkeit gezielt habe und die für legale MigrantInnen nützlich gewesen sein mochte, an ihrem Ende:
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3 Europa „Instead of being perceptible, discernible, identifiable, current migration puts on the agenda a new form of politics and a new formation of active political subjects whose aim is not to find a different way to become or to be a political subject, but to refuse to become a subject at all.“
Einen Ausdruck dieser Zurückweisung von Subjektivität sehen Papadopoulos und Tsianos in der „Animalisierung“ des Grenzgeschehens, in dem kommerzielle Fluchthelfer als „Kojoten“ (Grenze Mexiko/USA) oder „Raben“ (Grenze Albanien/Griechenland) bezeichnet werden und die Organisation illegaler Grenzübertritte als „Schafhandel“ (Türkei), und in dem Menschen ihre Papiere vernichten oder fälschen, um nicht in ihr Herkunftsland zurückgeschickt zu werden. „The strategy of de-identification is a voluntary ‘de-humanization’ in the sense that it breaks the relation between your name and your body. A body without a name is a non-human being; an animal which runs.“ (Ebd., 227) Ein solches Tier lässt sich nicht bürokratisch erfassen und entzieht sich so dem klassifizierenden und identifizierenden Grenzregime inklusive der Menschenrechte.45 Papadopoulos und Tsianos wollen nicht Leid, Schmerz und Todesgefahr leugnen, die häufig mit undokumentierter Migration verbunden sind, lehnen jedoch die Repräsentation von Migration als humanitären Skandal ab, da dies für sie im Zusammenhang einer rassistischen Rückführungspolitik im Namen der Humanität steht. Mittels der Klassifizierung von Menschen scheint sich ein Mobilitätsregime globaler Reichweite durchzusetzen, das dazu dient, Ungleichheiten aufrechtzuerhalten, während gleichzeitig das Prinzip der Gleichheit aller in der Erklärung universell gültiger Menschenrechte festgehalten wird. Dieses Mobilitätsregime stellt dabei selbst eine Bedrohung dar und zwar nicht nur für bestimmte Gruppen von MigrantInnen, deren Grenzübertritt verhindert oder erschwert wird, sondern auch für die Menschenrechte und die Demokratie selbst, wie Antoine Pécoud und Paul de Guchteneire (2006, 74) betonen. Pécoud und Guchteneire sprechen sich daher für ein universelles Recht auf Mobilität (bzw. auf Immigration, da das Recht auf Emigration bereits in Artikel 13(2) der UN-Menschenrechtscharta verankert ist) aus. Dabei bleibt allerdings die Art und Weise unberücksichtigt, in der die Menschenrechte selbst Teil des Mobilitätsregimes sind und nicht eine übergeordnete Institution. So zeigen Forschungen wie die von Sabine Hess und Vassilis Tsianos (2007) oder Rutvica Andrijaševi (2007), wie Migration mit der Unterstützung von supranationalen Organisationen wie der International Organization for Migration (IOM) sowie von im Bereich Menschen- und/oder Frauenrechte aktiven 45
Papadopoulos und Tsianos entwickeln ihre Thesen zur Animalisierung in Anlehnung an Deleuze und Guattari. Zu einer kritischen Reflektion des Konzeptes „becoming-animal“ in „Tausend Plateaus“ vgl. Miller (1998, 192).
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Nichtregierungsorganisationen unter Bezugnahme auf die Menschenrechte kriminalisiert wird und Kontroll- und Rückführungsmaßnahmen legitimiert werden. Anknüpfend an den von zivilgesellschaftlichen AkteurInnen getragenen Diskurs um Menschenrechte und Asyl ist beispielsweise der UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) zentral daran beteiligt, die Selektionsprinzipen der EU zum Aufspüren „echter Flüchtlinge“ aus der „Masse irregulärer MigrantInnen“ in EU-Beitrittsländern zu implementieren, wobei die Kategorie „irreguläre Migration“ überhaupt erst geschaffen und als Problem etabliert wird. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Konstruktion eines Spannungsverhältnisses zwischen der hierarchischen Klassifizierung von mobilen Personengruppen oder Individuen einerseits und universellen Menschenrechten – die als europäische Errungenschaften gelten und Teil von EU-Identitätsdiskursen sind (vgl. hierzu z.B. Quenzel 2005, 128) – andererseits für das gegenwärtige Mobilitätsregime konstitutiv ist (vgl. hierzu auch Shamir 2005, 199). Die EU selbst hat das Recht auf Mobilität in Artikel II-105(1) der Charta 46 der Grundrechte der Union integriert, die Teil des 2004 unterzeichneten Verfassungsvertrages ist. Hier heißt es: „Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.“ Dies betrachtet Tim Cresswell (2006, 237) als Ausdruck dafür, dass Mobilität Teil europäischer Identität geworden ist: „There is a clear sense here that it is the practice of mobility that will produce a feeling of freedom, citizenship, and European identity – that citizenship will be produced though the practice of freedom of/as mobility.“ Die europäische Selbstverpflichtung, das Recht auf Mobilität als Grundfreiheit der UnionsbürgerInnen sicherzustellen, basiert freilich auf der Unterscheidung verschiedener Mobilitäten, unter anderem zwischen europäischen Geschäftsreisenden, TouristInnen und ErfahrungssammlerInnen einerseits und undokumentierten MigrantInnen, TerroristInnen und Kriminellen andererseits. „Die dabei praktizierten Kontrollmaßnahmen geben vor, präventiv den Gewaltfall auszuschließen, werden aber selbst zur Quelle von Gewalt, indem sie rassistische Ordnungsmuster institutionalisieren“ (Backes 2004b, 63). Neben der Mobilität der UnionsbürgerInnen ist daher auch die Abgrenzung zu anderen mobilen Personen, die beispielsweise in den „gemeinsamen Feindbilder[n] ‚Asylantenflut’ und ‚illegale Migration’“ und der dementsprechenden Klassifikation von Menschen zum Ausdruck kommt, „konstitutiv für 47 die europäische Identität“ (Düvell 2002, 76).
46 Vgl. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2004:310:0041:0054:DE:PDF (letzter Zugriff: 8/2009). 47 Zum Zusammenhang zwischen dem Schengener Abkommen und der europäischen Identitätsbildung vgl. auch Karakayal (2008, 196ff.).
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3.4.2 Der EU-Erweiterungsprozess und die Konstruktion einer europäischen Identität in Programmen zu Mobilität, Kultur und Tourismus TouristInnen als Regulationsobjekte des europäischen Grenzregimes Das europäische Mobilitätsregime beruht auf vielfältigen kategorialen Unterscheidungen, unter anderem zwischen MigrantInnen und TouristInnen. Während der Grenzübertritt für die einen erschwert wird, wird die Mobilität der anderen im Sinne des „Kulturaustauschs“ innerhalb Europas mit dem Ziel der Bildung einer europäischen Identität begrüßt. „Der Tourist“ ist also nicht nur eines von vielen Regulationsobjekten des europäischen Grenzregimes, er wird auch als Subjekt europäischer Identitätskonstruktionen angerufen. Der Tourismus ist so zu einem zentralen Feld EU-europäischer Kultur- und Identitätspolitiken avanciert. Davon ausgehend, dass Identitätskonstruktionen immer mit Abgrenzungen einhergehen, betrachte ich die Diskussionen und Politiken im Hinblick auf europäische Identitätsbildung als Teil des oben diskutierten Grenzregimes. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es keine einheitliche europäische Kultur- oder Identitätspolitik gibt, aus der sich eine klar umrissene Vorstellung von Europa und seinen „Anderen“ herauskristallisieren ließe. Ebenso wenig wie auf EUEbene eine zentrale Institution existiert, die explizit und exklusiv für Kultur zuständig ist (vgl. hierzu Karaca 2008), gibt es eine zentrale Beauftragte für den Bereich Tourismus (vgl. Coles/Hall 2005, 56). Dies trägt dazu bei, dass das Akteursfeld, das den Diskurs um europäische Identitätsbildung prägt, nicht klar umrissen ist. Wie eingangs bereits erwähnt, steckt Gudrun Quenzel (2005) zur Analyse von Europakonstruktionen drei Diskursfelder ab. Zunächst unterscheidet sie zwischen der (westeuropäischen, deutsch- und englischsprachigen) geistes- und sozialwissenschaftlichen Literatur und den Feuilletons einerseits und der von den Institutionen der EU verfolgten Kulturpolitik andererseits. Letztere unterteilt sie 48 dann noch einmal in kulturpolitische Rechtsakte der EU , konkrete kulturpolitische Programme und ihre Umsetzung. Im Folgenden geht es um den Bereich der Kulturpolitik und darum, wie der Tourismus hier in Konstruktionen von Europa
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Quenzel (2005, 91f.) unterscheidet mehrere Arten von Rechtsakten nach ihrer Verbindlichkeit. Die Kulturpolitik ist zum einen im Primärrecht der Europäischen Union mit Art. 151 (ex 128) des EGVertrages verankert. Die Rechtsakte des Sekundärrechts basieren auf dem Primärrecht und sind in ihrer Verbindlichkeit abgestuft von Verordnungen und Richtlinien, die einen hohen Grad der Verbindlichkeit haben, bis hin zu Empfehlungen und Stellungnahmen, die ohne rechtliche Verbindlichkeit für die Mitgliedstaaten sind. Die für den Bereich Kulturpolitik geltenden Rechtsakte verpflichten die Mitgliedstaaten größtenteils nicht zur Umsetzung in nationales Recht. Die wichtigsten AkteurInnen im Rechtsetzungsprozess sind der Rat, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament.
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integriert wird. Dabei werde ich auch der Frage nachgehen, wie sich in diesem Kontext die Anrufung der EU-BürgerInnen als mobile Subjekte gestaltet. EU-Kulturpolitik und die Konstruktion einer europäischen Identität „Wir gehen davon aus, dass das Gelingen einer Erweiterung der EU nicht alleine eine ökonomische Frage ist, sondern auch eine kulturelle Komponente besitzt“, schreiben Jürgen Gerhards und Michael Hölscher (2006, 55). Den normativen Bezugspunkt ihrer Analyse bildet dabei das „kulturelle Selbstverständnis der EU, wie es sich im Primär- und Sekundärrecht findet“, und welches die beiden Autoren mit „den länderspezifischen Kulturen“ abzugleichen versuchen. Länderspezifische „kulturelle“ Differenzen und Gemeinsamkeiten werden hierbei als Schlüsselfaktoren für das Gelingen des europäischen Integrationsprozesses begriffen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Kulturpolitik zu einem privilegierten Feld der Konstruktion einer europäischen Identität geworden ist. Kulturpolitisch soll nicht nur das vielfach beklagte „Kulturdefizit“ (Shore 1999) der EU, sondern auch das damit vermeintlich einhergehende „Identitäts- und Demokratiedefizit“ (Lenoble 1994) behoben werden. So weist die Europäische Union die Aufgabe der Förderung einer „europäischen Identität“ und eines „gemeinsamen Bewusstseins“ maßgeblich den Bereichen Bildungs- und Kulturpolitik zu. Während die Bildungspolitik vor allem auf Kinder und Jugendliche ausgerichtet ist, umfasst die Kulturpolitik breitere Bevölkerungsschichten. Sie soll die Förderung „kultureller Vielfalt“ mit der Förderung „kultureller Einheit“ verbinden. (Vgl. Quenzel 2005, 21f.) Anders formuliert: Die Aufgabe der Kulturpolitik ist es unter anderem, den „Einheit-in-Vielfalt-Mythos“ (Verstraete 2002) in identitätsstiftender Weise als Synonym für Europa zu etablieren. Die kulturpolitischen Aktivitäten der Europäischen Union lassen sich bis in die 1970er Jahre zurückverfolgen (vgl. Quenzel 2005, 87). Erst Mitte der 1980er Jahre begann jedoch die Diskussion um die identitätsstiftende Funktion von Kultur, die in diverse politische Initiativen mündete (vgl. Shore 1999, 57ff.). Seit 1993, mit der Aufnahme des Artikels 128 (heute 151) in den Vertrag von Maastricht, hat die Europäische Union nun explizit das Recht und den Haushalt, im Kulturbereich aktiv zu werden (vgl. Quenzel 2005, 87f.). In Artikel 151(1) des EG-Vertrags heißt es: „Die Gemeinschaft leistet einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedsstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Er49 bes.“ Der Beitrag der Gemeinschaft soll dabei dem Subsidiaritätsprinzip folgen, das heißt, die Zuständigkeit der Europäischen Union im Bereich der Kultur 49
Vgl. http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/12002E/htm/12002E.html, Konsolidierte Fassung, Dezember 2002 (letzter Zugriff: 8/2009).
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soll sich auf die Unterstützung und Ergänzung von Maßnahmen der Mitgliedstaaten sowie auf die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten beschränken (Artikel 151(2)). Als Ziele werden unter anderem formuliert: „Verbesserung der Kenntnis und Verbreitung der Kultur und Geschichte der europäischen Völker“, „Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt“, „Erhaltung und Schutz des kulturellen Erbes von europäischer Bedeutung“ sowie die Förderung von Tätigkeiten im „künstlerischen“ und „literarischen“ Bereich (vgl. hierzu auch Europäische Kommission 2002). Der Kulturbegriff wird hier in mindestens zweifacher Weise verwendet: zum einen als Beschreibung für ästhetische Produktionen und zum anderen als Bezeichnung für territorial begrenzte Kollektive, die entweder eine Kultur „sind“ oder „haben“. Die Kollektive sind mal national oder regional definiert und mal gesamteuropäisch, wobei letzteres von Seiten der EU konzeptionell häufig als eine Addition der National- und Regionalkulturen dargestellt wird (vgl. Quenzel 2005, 141). Künstlerische Produktionen werden meist als Repräsentationen kollektiver Kulturen verstanden, die sowohl regional als auch national oder europäisch definiert sein können (vgl. ebd., 139f., 151). Sie können also sowohl Ausdruck der Vielfalt als auch der Einheit Europas sein. Banu Karaca (2008) weist darauf hin, dass die Geschichte der EU-Entscheidungen im Kulturbereich nicht ohne die UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) erzählt werden kann, insofern die EU nicht nur das Vokabular, sondern auch die Argumentationsweise übernommen habe, mit der eine Fokussierung von Kultur in politischen Entscheidungen legitimiert werden könne. Karaca betont, dass die Bedeutung der UNESCO eng mit den Entkolonialisierungsprozessen der Nachkriegszeit verknüpft ist, im Zuge derer kulturelles Erbe zu einem Politikum wurde, mit dem gerade unabhängig gewordene Staaten das Recht auf ihre Vergangenheit gegenüber den ehemaligen Kolonialmächten einklagten. Die von der UNESCO seit 1970 formulierten Stellungnahmen und Resolutionen zum Schutz von kulturellem Erbe und kultureller Vielfalt zielten daher ursprünglich auf „Drittwelt“-Kontexte. Im Kontext der EUKultur- und Identitätspolitiken werden sie nun europäisiert: „While the connection between culture, creativity and by extension (economic) development is basically identical with that of UNESCO, the issue worth mentioning here is that frequently CULTURE and the link through culture is presented as intrinsically EUROPEAN“ (Karaca 2008).
Dabei wird auch „kulturelle Vielfalt“ zu einem spezifisch europäischen Phänomen erklärt. Luisa Passerini (zit. nach Quenzel 2005, 118) meint bezogen auf die europäische Kunstgeschichte, dass in der Rede von „der unvergleichlichen,
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ausladenden kulturellen Vielfalt“ Europas eine eurozentrische Haltung durchscheine, die auf Stereotypen basiere. Schließlich könne nicht belegt werden, „dass diese Vielfalt in Europa größer gewesen sei als etwa in Südostasien“. Mit der Hervorhebung der außergewöhnlichen kulturellen bzw. künstlerischen Entwicklung gehe daher eine „Abgrenzung gegen alle Erdteile einher, die einen geringeren oder einen anderen künstlerischen und kulturellen Reichtum aufzuweisen haben“, meint Quenzel (ebd.). Diese Abgrenzung ist auf der Ebene der praktischen Kooperation nicht hermetisch, denn die „Zusammenarbeit mit dritten Ländern“ im Kulturbereich ist laut Artikel 151(3) des EG-Vertrags durchaus erwünscht. Das Verhältnis zwischen EU-Staaten und außereuropäischen Ländern ist jedoch ebenso asymmetrisch wie das zwischen verschiedenen EU-Mitgliedstaaten. So betont Quenzel (ebd., 167), dass dem Konzept eines gemeinsamen europäischen Kulturerbes meist ein westeuropäisch geprägter Kulturerbebegriff zugrunde liege, der auf ganz Europa ausgedehnt werde und damit osteuropäische, aber auch nordeuropäische Länder in die „kulturelle Peripherie“ abdränge. Und Banu Karaca (2008) zeigt am Beispiel von KünstlerInnen aus der Türkei, wie KulturproduzentInnen aus der Peripherie darauf verpflichtet werden, als RepräsentantInnen von Einwanderungsgruppen in Westeuropa aufzutreten, selbst wenn sie weder biografisch noch künstlerisch dafür stehen (wollen). Karaca greift daher den Begriff der „whiteness of cultural policy“ auf, den Kira Kosnick (2007, 95ff.) in Bezug auf die städtische Kulturförderung in Berlin entwickelt, und überträgt ihn auf die europäische Ebene, wo „kulturelle Repräsentation“ vor allem im Hinblick auf die Förderung „kultureller Vielfalt“ in Europa bedeutsam ist. Die Idee der kulturellen Repräsentation bleibt dabei einem Containermodell von Kultur verhaftet und gründet auf hierarchischen Differenzkonstruktionen. Cris Shore (1999, 64) nennt dies „kulturellen Rassismus“: Bestimmte Differenzen werden überbetont und als „kulturelle Vielfalt“ gefeiert, während andere zwecks Stabilisierung der „kulturellen Einheit“ verdrängt wer50 den, was insbesondere auch im Tourismus zum Tragen kommt. Tourismus als Gegenstand von Kultur- und Identitätspolitiken der EU und des Europarats Neben Kunst und anderen Bereichen ist auch der Tourismus zu einem Gegenstand von Kultur- und Identitätspolitiken von EU und Europarat geworden. So empfiehlt die Europäische Kommission in einem Green Paper von 1995, den Nutzen der gemeinschaftlichen Tourismusförderung auf EU-Ebene zu prüfen 50 Zur Bedeutung des anthropologischen Konzeptes der „kulturellen Differenz“ im Zusammenhang mit „kulturellem Fundamentalismus“ in Europa vgl. Stolcke (1995).
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und definiert als möglichen Mehrwert „la promotion de l'identité européenne“.51 Abgesehen davon wurde der Tourismussektor seitens der EU als ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor anerkannt (vgl. Coles/Hall 2005, 56). Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die EU bereits im Vorfeld der Erweiterungsrunde von 2004 Tourismus in den Beitrittsländern gefördert hat (vgl. ebd., 54). Identitätspolitisch wird auch in den Programmen der Tourismusförderung auf der Grundlage eines diffus gebrauchten Kulturbegriffs das „Einheit-in-Vielfalt“-Ideal verfolgt. Dies lässt sich beispielsweise an den zwei bereits in den 1980er Jahren entwickelten großen Projekten der Tourismusförderung veranschaulichen, dem Projekt der „europäischen Kulturstraßen“ und der Veranstaltung „Kulturhauptstadt Europas“, auf die häufig Bezug genommen wird, wenn es um Tourismus und europäische Identität geht (vgl. hierzu z.B. Verstraete 2002; Enser 2005; Gostmann/Wagner 2005; Quenzel 2005). Der Nutzen der Einrichtung von grenzüberschreitenden Kulturstraßen wird seitens des Europarats (1986) darin gesehen, „für bessere Kenntnis von der Geschichte und Kultur Europas zu sorgen und somit den Europagedanken zu fördern, eine Verstärkung des Fremdenverkehrs herbeizuführen und damit die wirtschaftliche Entwicklung der betreffenden Gebiete, insbesondere durch Schaffung von Arbeitsplätzen, zu fördern“. Dies soll vor allem über die Besichtigung von 52 „Denkmälern und Kulturstätten“ geschehen. Wie Ginette Verstraete (2002, 38) betont, geht es darum, Orte zu definieren, die repräsentativ für ein einheitliches Europa sind und gleichzeitig kulturelle Vielfalt zur Schau zu stellen. Das Konzept der „Kulturhauptstadt Europas“ geht auf die damalige griechische Kulturministerin Melina Mercouri zurück. Nachdem Griechenland 1981 Mitglied der EWG geworden war, machte Mercouri 1983 den Vorschlag, eine europäische Kulturhauptstadt zu nominieren, um den Integrationsprozess zu stärken. Der Europarat griff den Vorschlag auf, und 1985 wurde Athen zur ersten „Kulturhauptstadt Europas“. Auch in dem Programm „Kulturhauptstadt Europas“ geht es um „Einheit-in-Vielfalt“. So wird in dem von der Europäischen Kommission herausgegebenen Leitfaden für Bewerbungen als Kulturhauptstadt53 das vorrangige Ziel der Veranstaltung folgendermaßen definiert: „den Reichtum und die Vielfalt sowie die Gemeinsamkeiten der europäischen Kulturen herauszustellen, einen Beitrag zu einem besseren Verständnis der Bürger Euro51 Vgl. http://europa.eu/bulletin/fr/9504/p103062.htm (letzter Zugriff: 8/2009); dazu auch Urry (1995). 52 Vgl. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:41986X0226:DE:NOT (letzter Zugriff: 8/2009). 53 Vgl. http://ec.europa.eu/culture/pdf/doc633_de.pdf (letzter Zugriff: 8/2009).
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pas füreinander zu leisten und das Gefühl der Zugehörigkeit zu ein und derselben ‚europäischen’ Gemeinschaft stärker ins Bewusstsein zu rücken.“
In diesem Sinne soll auch der europäische Tourismus im Rahmen der Veranstaltung „Kulturhauptstadt Europas“ gefördert werden.54 Auf der Ebene der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Zusammenhang von Tourismus und europäischer Identitätsbildung lassen sich verschiedene kritische Positionen ausmachen. Die Positionen von Gareth Shaw und Allan M. Williams (1992) sowie Stephan Enser (2005) stimmen grundsätzlich mit den in den EU-Papieren formulierten Absichten überein. Auch sie sehen im Tourismus Potenzial zur Bildung einer europäischen Identität und bestätigen den „Einheitin-Vielfalt“-Mythos. Aus dem diffusen Kulturbegriffspool der EU werden dabei verschiedene Konzepte herausgegriffen und dementsprechend unterschiedliche Kritikpunkte formuliert, die allerdings nicht auf die Inhalte der Programme zielen, sondern auf deren Implementierung. In der Entschließung zu den Kulturreiserouten (1986) wird betont, dass „die kulturelle Identität und die Umwelt der betreffenden Gebiete nicht gestört werden dürfen“. Und im Leitfaden für Bewerbungen als „Kulturhauptstadt Europas“ der Europäischen Kommission wird gefordert, dass die Veranstaltung „nachhaltig und unmittelbarer Bestandteil einer längerfristigen Strategie für die kulturelle und soziale Entwicklung der Stadt“ sein soll. Diesem Kulturbegriff entsprechend warnen Shaw und Williams (1992) vor den soziokulturellen, ökonomischen und ökologischen Begleiterscheinungen des Tourismus für „host communities“. Ensers (2005, 117f.) Hauptaugenmerk ist hingegen weniger auf die Destination als auf die Reisenden gerichtet. Er interessiert sich vor allem für „Kulturtouristen im engeren Sinne“. Hierunter versteht er eine Elite von Reisenden, die „über die Zeit, die Offenheit und die Bereitschaft verfügen, sich eingehend mit den Gedächtnisorten auseinanderzusetzen, wo das kulturelle Kapital gespeichert ist und zum Zweck der Identitätsbildung vermittelt wird“. Diese privilegierten Reisenden sind für ihn gleichzeitig hervorragende MultiplikatorInnen der europäischen Identitätskonstruktion. Vor diesem Hintergrund beklagt er die „unzulängliche Ausbildung der Reiseleiter“, die in seinen Augen einer Vermittlung der
54 In ihrer Umsetzung stimmen die Programme freilich nicht eins zu eins mit den EU-Papieren überein. Auf das hier entstehende Spannungsfeld kann jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlicher eingegangen werden. In Bezug auf die Initiative „Kulturhauptstadt Europas“ möchte ich daher beispielhaft auf die Studien von Gudrun Quenzel (2005, 209ff.) und Annina Lottermann (2009) verweisen, die sich anhand konkreter Beispiele kritisch mit der Umsetzung des Programms beschäftigen, ohne die Perspektive von EU bzw. Europarat einzunehmen und eine Optimierung der Implementierung anzustreben.
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vom Europarat und der EU konstruierten europäischen Identität im Wege steht und fordert eine „europäische Reiseleiterausbildung“.55 Kritik der Implementierungskritik In der Kritik an der mangelhaften Implementierung der Programme drückt Enser (2005) ebenso wie Shaw und Williams (1992) eine Vorstellung von Kultur und Kulturtourismus aus, die Verstraete (2002, 38) kritisch so zusammenfasst: „the various places and routes that are generated are also homogenized in the image of the typical European ‘cultural’ traveler who so far looks very white, male, Northern European, bourgeois, Christian and Humanist indeed“. Ihrer Ansicht nach zielt der „Einheit-in-Vielfalt“-Mythos der Europäischen Union auf genau diesen Typus, „since he combines freedom, cross-border mobility, openness to different cultures with the privileged position of the white bourgeois consumer always in search of unique experiences (diversity) in a world of common commodified values (unity)“ (ebd., 39).
Das Recht auf Mobilität und der Konsum „anderer Kulturen“ sind zu Vorrechten europäischer BürgerInnen geworden, die sich vor allem in touristischen Reisen ausdrücken: „Thus citizenship rights increasingly involve claims to consume other cultures and places throughout the world“ (Urry 1995, 165). Die EU geht davon aus, dass europäische TouristInnen auf europäische Einheimische – oder auch „repräsentative“ MigrantInnen – treffen und die Vielfalt der Kulturen Europas konsumieren. Dadurch soll gleichzeitig eine gesamteuropäische Identitätsbildung erreicht werden. Gerade im nachhaltigen Tourismus wird die Möglichkeit gesehen, die „Menschen Europas“ näher zusammenzubringen und den Sinn der EU-BürgerInnen für eine „gemeinsame Identität“ zu schärfen. (Vgl. Committee on Transport and Tourism 2005) Damit wird in europäisierter Weise aufgegriffen, was die Vereinten Nationen anstrebten, als sie 1967 das „Jahr des Welttourismus“ ausriefen: Völkerverständigung und Friedenserhaltung durch Tourismus (vgl. Fromm 1992, 308). Das Konzept der Nachhaltigkeit beruht dabei häufig auf homogenisierenden Aussagen über Kulturen, die als territorial begrenzt gefasst werden. Vasiliki Galani-Moutafi (2000, 168) schreibt: „Interestingly, sustainability rhetoric is often accompanied by certain generalized references regarding the ‘community’ […]. In these cases, the term ‘community’ is 55
Vgl. hierzu auch Gostmann/Wagner (2005). Es wäre sicher interessant zu erforschen, wie die Europäisierung der ReiseleiterInnenausbildung mit den häufig stark nationalstaatlich regulierten Qualifikationsprofilen von ReiseführerInnen (vgl. hierzu z.B. Richards 2001, 50) korrespondiert.
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treated as a ‘given’ category (rather than being approached as an analytical concept requiring definition), while heterogeneity – which can be traced to differences in status, class, gender and ethnicity – is overlooked.“56
Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Forderung nach ökologisch, ökonomisch und kulturell nachhaltigem Tourismus zentrales Thema der EU-Institutionen geworden. Analog zu den beiden von Enser (2005) einerseits und Shaw und Williams (1992) andererseits formulierten Kritikpunkten werden in einer Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften57 zum europäischen Tourismus unter anderem folgende Herausforderungen für Nachhaltigkeit hervorgehoben: Erstens der „Mangel an qualifizierten Arbeitskräften“ und zweitens „mögliche Auswirkungen der Fremdenverkehrsentwicklung auf die wirtschaftliche und soziale Lage der örtlichen Bevölkerung […], das Risiko, Kultur aus ihrem örtlichen Zusammenhang und aus ihrer Rolle für die lokale Gesellschaft zu lösen, und der Verlust der lokalen Authentizität soziokultureller Ausdrücke infolge globalisierter Tourismusentwicklungen und -investitionen“.
Folglich sollen zum einen Umwelt- und Traditionsbewusstsein bei TouristInnen und zum anderen Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie Mobilitätserleichterungen für Beschäftigte aus EU-Ländern gefördert werden. Es entsteht der Eindruck, prekär beschäftigte ArbeitsmigrantInnen aus sogenannten Drittländern seien hauptverantwortlich für sämtliche Qualitätseinbußen im Tourismus und müssten deshalb dezimiert werden. Greg Richards (2001, 92) entwickelt dementsprechend in seiner Studie über die Mobilität von Beschäftigten im europäischen Tourismussektor folgendes Bedrohungsszenario: „If the majority of tourism jobs remain unskilled, however, there is a danger that more workers will be sucked into the tourism sector from outside the EU. It is likely that 40 % of the foreign workers in tourism are already non-EU citizens, and this proportion will grow if the image of tourism employment does not improve. Particular attention will need to be paid to the career prospects of young workers from other EU Member States if this is to be avoided.“
Obwohl prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die zu einem großen Teil von „Drittstaatenangehörigen“ ausgeübt werden, längst zu einem Strukturmerkmal des Tourismussektors in vielen Regionen Europas geworden sind, werden Beschäftigte aus sogenannten Drittstaaten und aus EU-Ländern zugunsten letzterer gegeneinander ausgespielt. EU-BürgerInnen sollen nicht nur als TouristInnen in 56
Zur Kritik der Nachhaltigkeitsdebatte vgl. auch Backes/Goethe (2003). Vgl. http://ec.europa.eu/enterprise/tourism/docs/communications/com2003_51601_de.pdf (letzter Zugriff: 8/2009).
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Europa mobil, sondern auch als qualifizierte und „flexible Beschäftigte“ zu „mehr Branchenmobilität“ und „größerer geografischer Mobilität“ bereit sein (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2003, 22) – Bemühungen, die die Europäische Kommission 2006 im „Europäischen Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer“ verstärkt verfolgt hat. Basierend auf einem mosaikartig statischen Konzept von Kultur wird als Besonderheit des Tourismussektors allerdings in Rechnung gestellt: „Much of the knowledge associated with tourism is […] knowledge of a particular culture or region associated with that culture. This knowledge is more likely to reside in local people than outsiders, which makes it harder for some workers to move from one country or region to another.“ (Richards 2001, 21)
Im Tourismuskontext werden nicht nur Mobilität, sondern auch bestimmte kulturelle Differenzen positiv aufgeladen und zu identitätsstiftenden Merkmalen europäischer BürgerInnen erklärt. Hierarchische Differenzen zwischen den Geschlechtern sowie soziale und ökonomische Unterschiede innerhalb der bereisten „Kulturen“ sind jedoch nicht Teil der „kulturellen Differenzen“, die im tourismustauglichen „Einheit-in-Vielfalt“-Mythos geltend gemacht werden (vgl. hierzu auch Verstraete 2002, 45), und der identitäts- und arbeitsmarktpolitische Mobilitätsimperativ gilt nicht für unerwünschte MigrantInnen. Letztere sind jedoch durchaus Gegenstände der EU-Kulturpolitik, beispielsweise als Thema (touristisch konsumierbarer) künstlerischer Arbeiten, wie Karaca (2008) beobachtet: „Ultimately, we witness a situation in which fairly innovative approaches to cultural diversity and migration funded through the EU are contemporaneous with the passing of legislature tightening immigration procedures on national levels. Thus, they appear to be addressing social, political and economic ills and injustices by relaying them to the realm of culture, merely avoiding actual political changes.“
Migration im Museum Auf der Ebene kultureller Repräsentationen in Form von künstlerischen Arbeiten und Ausstellungen ist Migration in Europa also durchaus präsent und wird so auch touristisch konsumierbar gemacht. Dies drückt sich auch aus in der Förderung von Museen, die klassische Stationen von Kulturreisenden darstellen. An der 2006 ins Leben gerufenen Migration Museums Initiative, die die Förderung von Integrationspolitiken und von kultureller Vielfalt als Ziele definiert, ist neben der UNESCO auch die IOM (International Organization for Migration)
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beteiligt.58 Dabei ist zu bedenken, dass die IOM keine transnationale Organisation wie die UNO oder das Internationale Rote Kreuz ist, sondern eine intergouvernementale Organisation mit derzeit 127 Mitgliedstaaten (Stand: Dezember 2009), die im Auftrag ihrer Mitglieder vielfältige Aufgaben im Bereich der Planung und Steuerung von Migrationsbewegungen übernimmt. Ihre Hauptaufgabe liegt in der „Rückführung, Repatriierung und Wiederansiedlung“ von Flüchtlingen und MigrantInnen (vgl. Düvell 2002, 101ff.). Es lässt sich feststellen, dass die IOM bei der Bekämpfung von Migrationsursachen in erster Linie auf die Herkunftsländer von MigrantInnen Einfluss nimmt und nicht auf politische Veränderungen in den Zielländern – den hauptsächlichen Finanzgebern der IOM – hinwirkt (vgl. Geiger 2005, 28). Gleichzeitig zeichnet die IOM in gewisser Hinsicht ein durchaus positives Bild von Migration und widerspricht damit der in vielen Zielländern verbreiteten Abschottungsrhetorik, die in Metaphern wie der „Festung Europa“ zum Ausdruck kommt. Sie bezieht sich dabei allerdings auf geregelte Migration im Sinne der Nachfragesituation in den Zielländern, während irreguläre Migration als gefährlich eingestuft wird. (Vgl. Ziai 2007, 612)59 Wenngleich die konkrete Umsetzung in einzelnen Museen hier nicht beurteilt werden kann, kann die UNESCO-IOM-Initiative doch als weiterer Ausdruck der Kulturalisierung und Entpolitisierung der Migrationthematik gesehen werden, die Karaca (2008) beobachtet. Die Aufbereitung von Migration für den „touristischen Blick“ bekräftigt die These von Papadopoulos und Tsianos (2007), dass die Politik der Repräsentation und die Strategie der Sichtbarkeit für die Bewegung der Migration möglicherweise an ihr Ende gekommen sind.
58 Vgl. http://portal.unesco.org/shs/en/ev.php-URL_ID=10411&URL_DO=DO_TOPIC&URL_ SECTION=201.html (letzter Zugriff: 8/2009) sowie Lorenz (2009). 59 Wie Aram Ziai (2007) berichtet, hat die IOM im September 2006 bei den Vereinten Nationen einen „High Level Dialogue on International Migration and Development“ der Generalversammlung initiiert, um die von ihr mitentwickelte „Internationale Migrations- und Entwicklungsinitiative“ (IMDI) vorzustellen. Die Initiative zielt auf eine bessere Koordination von Angebot und Nachfrage der Arbeitsmigration zwischen Herkunfts- und Zielländern, auf eine Förderung der positiven Auswirkungen von Migration auf Entwicklung in ärmeren Herkunftsländern sowie auf sicherere, menschlichere und geordnetere Migration. Dabei wird allerdings betont, dass kein Recht auf Migration geschaffen werden soll und das Recht der Staaten auf eine selbstbestimmte Migrationspolitik unangetastet bleibt. Es gibt also zwar einen stärkeren Bezug auf den Schutz der Menschenrechte von MigrantInnen, jedoch stehen nicht ihre Interessen im Vordergrund, sondern das Interesse der Unternehmen in den Industrieländern an billigen und flexiblen Arbeitskräften. „Migrationswissenschaftlich lässt sich die IMDI als weiteres Anzeichen einer Trendwende der Migrationspolitik der Industrieländer deuten. Diese Wende beinhaltet jedoch keine vollständige Abkehr von der früheren, vor allem auf Abschottung setzenden Politik, sondern bedeutet ihre Ergänzung um Maßnahmen selektiver und gesteuerter Zuwanderung“ (Ziai 2007, 616).
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Die EU im Mittelmeerraum Was das Management von Migrationsbewegungen und die Unterscheidung von erwünschten und unerwünschten MigrantInnen angeht, ist die EU in Südosteuropa besonders aktiv. So liegt der Schwerpunkt der Ausweitung des europäischen Grenzregimes mit Hilfe der IOM Düvell (2002, 104) zufolge auf dem gesamten Großraum (süd-)östlich der EU bis hin zum Kaukasus und Zentralasien. Es wird vermutet, dass Südosteuropa mittlerweile die größte Dichte an Programmen gegen den Menschenhandel aufweist (vgl. Friesendorf 2006). Im Rahmen der EU-Nachbarschaftspolitik60 ist der touristisch und migrantisch geprägte Mittelmeerraum von besonderer Bedeutung, was mit Nicolas Sarkozys Vorschlag zur Gründung einer Mittelmeerunion im französischen Präsidentschaftswahlkampf von 2007 und seinen darauf folgenden Initiativen in diese Richtung neue öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hat. Bereits 1995 wurde auf einer Außenministerkonferenz in Barcelona der Grundstein für eine engere Zusammenarbeit der EU mit ausgewählten südlichen Mittelmeeranrainerstaaten gelegt. Als Ziel der euro-mediterranen Partnerschaft, die aufgrund des Konferenzortes auch Barcelona-Prozess genannt wird, wurde die Sicherung von Frieden, Stabilität und Wohlstand im Mittelmeerraum formuliert. In einer gemeinsamen Erklärung der Außenministerkonferenz wurden die Bereiche Politik und Sicherheit, Ökonomie und Finanzen, Kultur und Soziales als Kernbereiche der Zusammenarbeit definiert. 2005 wurde Migration als vierter Kernbereich 61 hinzugefügt. Verschiedene Aspekte der gesamteuropäischen Migrationspolitik werden hier für den Mittelmeerraum spezifiziert. So werden in der Zusammenfassung der Ergebnisse des ersten euro-mediterranen Ministertreffens zum Thema Migration im November 2007 in Portugal drei Prioritäten des gemeinsamen Managements von „migration flows“ unterschieden: erstens „legale Migration“, zweitens „Migration und Entwicklung“ und drittens „illegale Migration“. Legale Migration soll im Interesse aller Beteiligten gefördert werden, sofern sie den Erfordernissen des euro-mediterranen Arbeitsmarktes entspricht. Gleichzeitig sollen Migrationsursachen bekämpft und der Nutzen von Migration soll im Sinne von Entwicklungshilfe für die Herkunftsländer maximiert werden. Zudem wird 60 Die Europäische Nachbarschaftspolitik wurde 2004 entwickelt, um Angelegenheiten wie Sicherheit, Umweltschutz, Energie und Einwanderung gemeinsam mit Nachbarländern zu regeln, für die eine EU-Mitgliedschaft nicht in Aussicht steht. Zu ihren Zielen gehört, dass „die Partnerländer leichter Zugang zu den Märkten der EU erhalten“, dass „kurzfristige (berechtigte) Reisen einfacher werden“ und dass „Konfliktgebiete stabilisiert“ werden. Sie ergänzt den multilateralen BarcelonaProzess, der auf die EU-Beziehungen zu den Mittelmeerländern ausgerichtet ist. (Vgl. http://ec. europa.eu/world/enp/index_de.htm, letzter Zugriff: 8/2009) 61 Vgl. http://ec.europa.eu/external_relations/euromed/index_en.htm (letzter Zugriff: 8/2009).
3.4 Migration und Tourismus als Regulationsobjekte
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eine Verstärkung der euro-mediterranen Zusammenarbeit im Hinblick auf die Bekämpfung „illegaler Migration“ angestrebt. Der Fokus der Zusammenarbeit liegt also in der Umsetzung eines Migrationsmanagements, das sowohl für die Länder der EU als auch für die südlichen Mittelmeeranrainerstaaten Vorteile bringen soll und auf der Unterscheidung von erwünschter und unerwünschter Migration beruht.62 Im Hinblick auf die Zusammenarbeit im Bereich der Kultur versichern die KulturministerInnen in den Schlussfolgerungen aus ihrer dritten euro-mediterranen Konferenz im Mai 2008 in Griechenland63, dass die Kulturpolitik für den Mittelmeerraum auf den Prinzipien der UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung kultureller Vielfalt64 beruhen soll. Bereits in der Barcelona-Erklärung von 1995 lässt sich das für den Integrationsprozess der EU vermeintlich identitätsstiftende „Einheit-in-Vielfalt“-Ideal in mediterranisierter Form wiederfinden: „According to the Barcelona Declaration, the partners agreed to establish a partnership in social, cultural and human affairs with a view to bringing peoples closer together, promoting understanding between them and improving their perception of each other. This partnership is based on the delicate compromise between, on the one hand, the existence, recognition and mutual respect of diverse traditions, cultures and civilisations throughout the Mediterranean and, on the other hand, the promotion of common roots.“
Und in den Schlussfolgerungen aus der euro-mediterranen MinisterInnenkonferenz zu Tourismus, die im April 2008 in Marokko stattfand, wird dem Tourismus unter Punkt 15 eine herausragende Bedeutung beigemessen, um kulturellen Austausch, gegenseitigen Respekt und Toleranz zu fördern. Insbesondere dem Kulturtourismus – und hier vor allem den „Kulturstraßen“ – wird dabei das Potenzial zuerkannt, das „euro-mediterrane Kulturerbe“ zu würdigen.65 Der Tourismussektor spielt freilich auch im Rahmen der ökonomischen Zusammenarbeit eine zentrale Rolle. Er zählt zu den sieben Kernsektoren der euro-mediterranen Partnerschaft im Bereich der Wirtschaft.66 Insbesondere im Hinblick auf den Handel mit Dienstleistungen, der durch die Schaffung einer euromediterra62 Vgl. http://www.eu2007.pt/NR/rdonlyres/8D86D66E-B37A-457E-9E4A-2D7AFF2643D9/0/ 20071119%20AGREEDCONCLUSIONSEuromed.pdf (letzter Zugriff: 8/2009). 63 Vgl. http://ec.europa.eu/external_relations/euromed/docs/culture_concl_0508_en.pdf (letzter Zugriff: 8/2009). 64 Vgl. http://www.unesco.org/culture/en/diversity/convention (letzter Zugriff: 8/2009). 65 Vgl. http://ec.europa.eu/external_relations/euromed/conf/tourism/conclusions_en.pdf (letzter Zugriff: 8/2009). 66 Vgl. http://ec.europa.eu/external_relations/euromed/etn/finance_en.htm (letzter Zugriff: 8/2009).
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nen Freihandelszone erleichtert werden soll, ist der Tourismussektor von Bedeutung, insofern der Hauptteil der Ausfuhr von Dienstleistungen aus Mittelmeerländern in die EU gegenwärtig auf den Tourismus entfällt (vgl. Schumann/Möller 2007, 15). Da das Erweiterungspotenzial der EU weitgehend erschöpft scheint, die EU ihr Einflussgebiet jedoch nicht auf Europa beschränken will, werden über die Außengrenzen hinaus Partnerschaften angestrebt. Die euro-mediterrane Partnerschaft ist sowohl wirtschaftlich als auch migrationspolitisch von großer Bedeutung für die EU und lässt sich noch dazu ohne Weiteres historisch und kulturell legitimieren. Wie Europa wird auch das Grenzgebiet Mittelmeerraum über den „Einheit-in-Vielfalt“-Mythos zum Kulturraum definiert, der sich touristisch bereisen lässt und Identifikationspotenzial bietet. So wird Weltkulturerbe im Rahmen des EU-Mobilitätsregimes je nach Bedarf mal europäisiert und mal mediterranisiert. Auf der Ebene der euro-mediterranen Zusammenarbeit werden auch Mobilitätskategorien neu sortiert: Analog zur binneneuropäischen Freizügigkeit sollen „berechtigte Reisen“ innerhalb des Mittelmeerraums erleichtert werden, wobei gleichzeitig multilaterale Kooperationen zur Bekämpfung illegaler Migration angestrebt werden und die EU beispielsweise mithilfe der IOM ihre südlichen Nachbarländer bei der Rückführung von MigrantInnen aus ande67 ren sogenannten Drittstaaten unterstützt. Die südeuropäischen Länder stehen der euro-mediterranen Partnerschaft unter anderem deswegen positiv gegenüber, weil damit die Verantwortung für die Sicherung der EU-Außengrenzen, die die kerneuropäischen Länder größtenteils an die äußeren Mitgliedstaaten delegiert haben, auf mehrere Schultern verteilt wird.
3.5 Fazit Migration und Tourismus können weit in die europäische Geschichte zurückverfolgt werden, ebenso wie das gegenwärtige EU-Grenzregime. Der Mittelmeerraum spielt dabei eine besondere Rolle. Wie wir gesehen haben, wird er einerseits schon lange als Zentrum verschiedener Mobilitäten begriffen (vgl. hierzu insbesondere Fernand Braudel), während es andererseits – insbesondere in der Geschichte seiner ethnologischen Erforschung – auch Tendenzen gab, ihn zu marginalisieren und als einheitlichen, statischen Kulturraum fern der westlichen 67 Vgl. hierzu beispielsweise das „Projekt der freiwilligen Rückkehr gestrandeter Migrantinnen und Migranten in Marokko und Wiedereingliederung ins Herkunftsland“, das in seiner zweiten Phase von April 2008 bis März 2009 lief, von der IOM durchgeführt und „von der Schweiz und mehreren europäischen Ländern“ ko-finanziert wurde. Mehr dazu unter http://www.ch.iom.int/taetigkeitsfelder/ weitere-taetigkeitsfelder/pim/marokko.html (letzter Zugriff: 8/2009).
3.5 Fazit
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Moderne zu konstruieren, was Herzfeld (1987, 64) als „mediterraneanism“ kritisierte.68 Seither sind eine Reihe von ethnologischen Studien entstanden, die die Uneindeutigkeit der Grenzen des Mittelmeerraumes anerkennen und anstelle von Traditionen und Unveränderlichkeit sozialen Wandel und modernes Leben (vgl. z.B. Welz/Ilyes 2001) sowie Migration, Tourismus und sonstige Formen der Mobilität ins Zentrum rücken (vgl. hierzu z.B. Römhild 2000, Welz 2000, Transit Migration 2007). Getrud Hüwelmeier (2004, 75) fordert in diesem Sinne: „Als Schnittpunkt von Kontinenten und Kulturen und als Übergangszone ist der Mittelmeerraum eine relevante Untersuchungseinheit. Lokale und regionale Ethnographie bleibt weiterhin eine zentrale anthropologische Praxis, aber sie muss eine grössere Sensibilität gegenüber historischen Prozessen entwickeln, unterschiedliche Diskurse stärker berücksichtigen sowie ausserlokale und ausserregionale Einflüsse in die Forschung einbeziehen.“
Und Regina Römhild (2005, 95) meint: „In der vermeintlichen Peripherie liegt heute das Zentrum der Mobilitäten; hier treffen und kreuzen sich die verschiedenen Bewegungen des transnationalen Europas auf kleinstem Raum.“ Die Figur des Touristen betrachtet sie dabei als Kreuzungspunkt verschiedener Mobilitätsprojekte. Für die einen bedeutet TouristInsein einen temporären Ausstieg aus dem Arbeitsalltag, für die anderen ist damit die Möglichkeit eines legalen Grenzübertritts zum Zweck (illegaler) Arbeitsaufnahme verbunden. Im europäischen Mittelmeerraum treffen Reisende, Bereiste und DienstleisterInnen aufeinander. Touristische und migrantische Praktiken überkreuzen und vermischen sich auf vielfältige Weise. Flüchtlinge werden in den Hotels der TouristInnen untergebracht, zurückgekehrte „GastarbeiterInnen“ machen sich mit touristischen Unternehmen selbstständig, ehemalige TouristInnen lassen sich im Süden nieder und beschäftigen migrantische Pflegekräfte, MigrantInnen mit oder ohne Papiere werden als billige Arbeitskräfte auf dem Bau oder für Dienstleistungstätigkeiten im Tourismus nachgefragt, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Mittelmeerraum steht daher auch im Zentrum der EU-europäischen Mobilitätsregulierung, die sowohl auf Migrationsprozesse Einfluss nimmt als auch auf den Tourismus. Zum einen spielt der Tourismus als Wirtschaftssektor eine wichtige Rolle, zum anderen wird insbesondere im „Kulturtourismus“ das Potenzial gesehen, eine gemeinsame Identität über den „Einheit-in-Vielfalt“Mythos zu schaffen – mal auf gesamteuropäischer und mal auf mediterraner Ebene. Der Mythos geht dabei auch mit der Konstruktion von „Anderen“ einher, 68
Vgl. hierzu auch den Sammelband von Schenk und Winkler (2007, 18) über „den Süden Europas“, der nicht nur in der Anthropologie, sondern auch in der Geografie und der Geschichtsschreibung als „räumlich gefasste Projektionsfläche negativer Stereotype des Westens“ fungierte, „die nicht zuletzt der Abgrenzung und Identitätsstiftung der eigenen ‚Zivilisation’ diente“.
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die häufig gleichzeitig die Benachteiligten im EU-Mobilitätsregime sind, dessen zentrales Machtinstrument die Kategorisierung von Menschen ist. Allerdings stimmen die behördlichen Kategorien häufig nicht mit den Praktiken der Mobilität überein. So werden die Grenzen zwischen legaler und irregulärer, freiwilliger und erzwungener, formeller und informeller Mobilität, Tourismus und Migration zunehmend uneindeutig, wie ich anhand meiner Forschungsergebnisse aus Kreta im folgenden Kapitel zeigen möchte. Oftmals durchläuft ein und dieselbe Person immer wieder mehrere dieser Kategorien. Insofern europäische Grenzpolitik zum einen inzwischen bis nach China und an die Küste Senegals reicht und andererseits in Form von Passkontrollen an Bahnhöfen und Flughäfen mitten in Europa stattfindet, muss die ethnologische Erforschung Europas „von den Rändern her“ (vgl. Welz 2005, 28) nicht auf die geografisch konkretisierbare Außengrenze der Europäischen Union beschränkt werden. Dennoch stellt die vielfältig gesicherte und überschrittene EU-Außengrenze, der auch von Seiten der EU-Politik eine besondere Aufmerksamkeit zukommt, einen privilegierten Ort dar, um das europäische Grenzregime zu untersuchen. Aufgrund ihrer Lage am Mittelmeer und an der Außengrenze der EU sind die Länder Südosteuropas nicht nur Teil der europäischen „Vergnügungsperipherie“, sondern auch „Hotspot des Migrationsgeschehens“ (Transit Migration 2005, 690), an dem sich die Züge eines neuen Mobilitätsregimes studieren lassen. In den folgenden Kapiteln werde ich mich daher verschiedenen mobilen Personengruppen widmen, die im Mittelmeerraum – konkret auf Kreta und in Zypern – aufeinander treffen.
4 Kreta
Griechenland hat knapp elf Millionen EinwohnerInnen (vgl. NSSG 2007, 35). Es grenzt an die Länder Albanien, Mazedonien, Bulgarien und Türkei, die alle – außer Bulgarien seit 2007 – nicht Teil der Europäischen Union sind, so dass die griechischen Landesgrenzen sowohl entlang der Küsten als auch auf dem Festland größtenteils gleichzeitig EU-Außengrenzen sind.1 Seit den 1960er Jahren ist Griechenland von einem rapiden Wachstum des Tourismus gekennzeichnet; 1981 wurde es Mitglied der Europäischen Gemeinschaft und spätestens seit Anfang der 1990er Jahre kann es als Einwanderungsland bezeichnet werden. Inwiefern die Tourismusentwicklung, die Orientierung Griechenlands in Richtung Europa und Migrationsbewegungen miteinander verschränkt sind, möchte ich am Beispiel meiner Forschung in Rethymno, einer Stadt im Norden Kretas, der größten griechischen Insel, verdeutlichen, die ich im Frühjahr und im Sommer 2004 durchführte.
4.1 Zur Feldforschung Um einen möglichst breit gefächerten Eindruck von der touristisch-migrantischen Infrastruktur und ihrer Nutzung vor Ort zu bekommen, wählte ich verschiedene Unterkünfte für meinen Aufenthalt in Rethymno aus. Ich übernachtete sowohl in einem vor allem von dem Reiseveranstalter „Neckermann Reisen“ für Pauschalreisende aus Deutschland, Österreich, Polen und Ungarn gebuchten Hotel etwas außerhalb der Altstadt als auch in einem Gästehaus, einer Pension und einer Jugendherberge im Stadtzentrum. Ich sprach mit dem griechischen und nicht-griechischen Personal ebenso wie mit verschiedenen Gästen. Es stellte sich dabei heraus, dass die touristische Infrastruktur nicht nur von TouristInnen genutzt wird, sondern auch von verschiedenen anderen Reisenden (vgl. hierzu auch Kapitel 6). Während meines Aufenthaltes in dem Neckermann-Hotel hatte ich es zwar vorwiegend mit PauschaltouristInnen zu tun, erfuhr aber von der Hotelmanagerin, dass einige Hotelzimmer über Winter häufig an StudentInnen vermietet würden. Ähnliches ließ sich auch in anderen Unterkünften beobachten. In der 1
Zur Länge der Grenzen in Kilometern sowie zu ihrer Beschaffenheit vgl. NSSG (2007, 25).
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4 Kreta
Pension traf ich beispielsweise zwei Erasmus-Studentinnen aus Frankreich und eine Studentin aus dem Norden Griechenlands, die auf Kreta studierten. In dem Gästehaus hatte sich ein ehemaliger deutscher Tourist, der später nach Kreta ausgewandert war, dauerhaft in einer Dachkammer eingerichtet. Die Jugendherberge war zwar vor allem eine wichtige Adresse für Kurzaufenthalte von RucksacktouristInnen, gleichzeitig fanden sich aber auch hier viele Dauergäste unterschiedlichen Alters, vorwiegend aus Großbritannien, die auf Kreta arbeiteten. Auch von albanischen DienstleisterInnen erfuhr ich, dass die Jugendherberge ihre erste Übernachtungsgelegenheit auf Kreta gewesen war, bevor sie sich dann zu mehreren eine kleine Wohnung über den Sommer gemietet hatten. In allen Unterkünften traf ich zudem auf nicht-griechische Bedienstete. Die verschiedenen Unterkünfte waren wichtige Orte, um mit TouristInnen und MigrantInnen ins Gespräch zu kommen. Zudem suchte ich immer wieder öffentliche und halböffentliche Orte in der Stadt auf, um die Ausübung und Inanspruchnahme touristischer Dienstleistungstätigkeiten zu beobachten und Kontakte zu potenziellen InterviewpartnerInnen zu knüpfen. Als Touristin und Feldforscherin zugleich hielt ich mich in Cafés und Restaurants auf, schaute mir die Auslagen von StraßenhändlerInnen an und sonnte mich am Strand. Dabei suchte ich das Gespräch mit DienstleisterInnen und anderen TouristInnen. Sehr wichtig für die Kontaktaufnahme war für mich außerdem der „MigrantInnenladen“ (griech. abgekürzt: „Steki“), ein selbst verwalteter öffentlicher Raum, der von einem Verein betrieben wird. Er ist in einem von MigrantInnen, Studierenden und Einheimischen renovierten alten Haus an der Hauptverkehrsstraße Rethymnos untergebracht. Hier werden Aktivitäten gebündelt, die zur Verbesserung der Lebenssituation von MigrantInnen beitragen. Eine wichtige Aktivität des Steki ist das einmal jährlich im Stadtpark stattfindende antirassistische Festival, an dem auch ich während meines Aufenthaltes in Rethymno in 2004 mitwirken konnte. Bei Tätigkeiten wie Plakate kleben und Stühle stellen war dieses Festival eine gute Gelegenheit, mit MigrantInnen in Kontakt zu kommen. Gleichzeitig konnte ich MigrantInnen, die ich bereits kannte, dorthin einladen, was sich positiv auf weitere Gespräche auswirkte. Auf meine Einladung hin kamen zwei senegalesische Straßenhändler, eine israelische Schmuckverkäuferin und eine serbische Küchenhilfe, mit denen ich danach immer wieder Kontakt hatte und ausführliche Gespräche führen konnte. Außerdem nahm ich während meiner Zeit in Rethymno mehrmals an einem Griechischkurs teil, der kostenlos einmal wöchentlich für MigrantInnen im Steki angeboten wurde. Die anderen TeilnehmerInnen waren albanische Männer, die bereits sehr gut Griechisch sprachen. Auch hier lernte ich Migranten kennen, die sich später für Interviews zur Verfügung stellten. Der Kontakt zum Steki kam über Athanasios Marvakis zustande, der am Psychologie-Department der Universität Kreta tätig
4.1 Zur Feldforschung
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war und das Steki maßgeblich mit aufgebaut hat. Ihn wiederum habe ich über das von der Bundeskulturstiftung geförderte „Projekt Migration“ kennengelernt, in dessen Rahmen meine Feldforschung auf Kreta stattfand (vgl. hierzu Transit Migration Forschungsgruppe 2007). Weitere wichtige Informationen über die Situation von MigrantInnen in Griechenland und die griechische Migrationspolitik erhielt ich durch meine Mitwirkung an dem von der Europäischen Kommission (GD Freiheit, Sicherheit und Recht) geförderten Forschungsprojekt zum Thema „Integration of Female Migrant Domestic Workers“ (2008)2, das die Situation von migrantischen Haushaltsarbeiterinnen in fünf verschiedenen europäischen Ländern verglich. Ich wirkte an dem Bericht zu Deutschland mit (vgl. Spindler/Lenz 2008). Im Kontext der vorliegenden Arbeit profitierte ich aber vor allem von dem zweitägigen Studienaufenthalt in Athen im Dezember 2006, der von der griechischen Partnerorganisation Antigone3 organisiert wurde und bei dem die ForscherInnengruppe Gelegenheit hatte, mit RegierungsvertreterInnen und zivilgesellschaftlichen AkteurInnen zu sprechen und sich über die Situation von MigrantInnen in Griechenland sowie die griechische Migrationspolitik zu informieren.4 Die folgenden Ausführungen basieren nicht nur auf systematisch geführten Interviews, sondern auch auf vielen informellen Gesprächen. Da sich viele meiner InterviewpartnerInnen nicht eindeutig einer bestimmten Kategorie zuordnen lassen, ist meine empirische Grundlage nicht ganz einfach strukturiert darzustellen. Die folgende Unterteilung erscheint mir jedoch im Hinblick auf in diesem Kapitel herausgearbeitete vergleichbare Erzählungen und Praktiken gerechtfertigt, die die jeweiligen Gruppen und ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen. Abgesehen von den ExpertInneninterviews in Athen, die wir im Team führten, lassen sich meine InterviewpartnerInnen auf Kreta grob in folgende Gruppen unterteilen: DienstleisterInnen, UnternehmerInnen/ArbeitgeberInnen und (ehemalige) TouristInnen.5 Ich habe niemanden gezielt aufgrund seiner oder ihrer Nationalität angesprochen. Die Zusammensetzung nach Nationalitäten ist daher mehr oder weniger zufällig. Die Gruppe der DienstleisterInnen lässt sich nochmals unterteilen in griechische RemigrantInnen, EU-EuropäerInnen und MigrantInnen aus Nicht-EULändern. Ich führte Interviews mit zwei Remigrantinnen, die einige Jahre in Deutschland gelebt hatten, sowie mit einer deutschen Reiseleiterin und einem 2
Vgl. hierzu auch http://www.medinstgenderstudies.org/?p=17 (letzter Zugriff: 8/2009). Vgl. http://www.antigone.gr/ (letzter Zugriff: 8/2009). 4 Vgl. hierzu http://www.medinstgenderstudies.org/wp-content/uploads/study-visit-greece_for-web_ final1.pdf (letzter Zugriff: 8/2009). 5 Außerdem sprach ich noch mit einem Vertreter der Einwanderungsbehörde in Rethymno, was aber für die vorliegende Arbeit nicht ergiebig war und daher keine Berücksichtigung findet. 3
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4 Kreta
ungarischen Reiseleiter, die beide für Neckermann arbeiteten. Außerdem ergaben sich ausführliche Gespräche mit drei EngländerInnen, die in der Jugendherberge wohnten, und einem Deutschen, der in dem Gästehaus lebte. Sie arbeiteten alle in Rethymno bzw. waren hier auf der Suche nach Arbeit. Weitere kurze Gespräche, insbesondere in der Jugendherberge, mit jungen Leuten aus Nordeuropa, die vorübergehend auf Kreta arbeiteten, sowie mit einer Österreicherin, die schon lange im Süden Kretas lebte, kamen hinzu. Die Gruppe der interviewten MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern setzt sich zusammen aus acht AlbanerInnen, zwei Bulgaren und zwei SerbInnen. Außerdem sprach ich ausführlicher mit zwei Senegalesen und einem Syrer und führte kürzere Gespräche mit weiteren ArbeitsmigrantInnen aus den bereits genannten Ländern sowie aus Afghanistan, Argentinien, Armenien, China, Israel, Pakistan, Peru, Russland und Sierra Leone. Dass AlbanerInnen, insbesondere Männer, die quantitativ dominante Gruppe darstellen, war nicht geplant, ist aber auch kein Zufall, sondern spiegelt den hohen Anteil der AlbanerInnen an der erwerbstätigen migrantischen Bevölkerung Griechenlands wider. Die Gruppe der UnternehmerInnen und ArbeitgeberInnen setzt sich zusammen aus sechs GriechInnen, die entweder EigentümerInnen oder leitende Angestellte touristischer Betriebe waren und griechisches wie nicht-griechisches Personal beschäftigten. Hinzu kam ein Interview mit einem leitenden Angestellten der Firma „Neckermann Reisen“, der sich als Deutsch-Türke bezeichnete. Was die dritte Gruppe anbelangt, führte ich insgesamt zwanzig kurze Interviews oder längere Gespräche mit jeweils ein bis drei Personen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt und teilweise auch bereits früher schon als TouristInnen auf Kreta unterwegs waren. Ungefähr die Hälfte meiner GesprächspartnerInnen aus dieser Gruppe waren Deutsche, was unter anderem daran liegt, dass ich einen Teil meines Kreta-Aufenthaltes über einen Reiseveranstalter organisiert habe, der vorwiegend auf dem deutschen Markt aktiv ist. Abgesehen davon sind ohnehin viele Deutsche auf Kreta anzutreffen. Es waren aber auch AlbanerInnen, BelgierInnen, BritInnen, Franzosen und Französinnen, IrInnen, NorwegerInnen, ÖsterreicherInnen, UngarInnen und US-AmerikanerInnen vertreten. Mehr als die Hälfte waren als Pauschalreisende nach Kreta gekommen, die anderen hatten ihre Reise individuell organisiert. Im Folgenden möchte ich zunächst einen Überblick über die Tourismusund Migrationsgeschichte Griechenlands geben (4.2 und 4.3). Anschließend gehe ich auf die Entwicklung von Tourismus und Migration auf Kreta ein (4.4). In der zweiten Hälfte des Kapitels werden dann meine eigenen Beobachtungen aus Kreta stärker im Vordergrund stehen. Nachdem ich zunächst „touristische Blicke“ auf Griechenland und Kreta herausarbeite (4.5), gehe ich auf die Einstellung griechischer TourismusunternehmerInnen gegenüber der Beschäftigung von
4.2 Tourismus in Griechenland
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nicht-griechischem Personal ein (4.6). Anschließend geht es um EU-EuropäerInnen, die langfristig auf Kreta leben und arbeiten, und ihre Haltung gegenüber anderen AusländerInnen in Griechenland, wobei AlbanerInnen immer wieder besonders hervorgehoben werden (4.7). Ihnen, aber auch anderen ArbeitsmigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern, die im Tourismussektor auf Kreta beschäftigt sind und sowohl mit der griechischen und EU-europäischen Migrationspolitik als auch mit „touristischen Blicken“ und alltäglichem Rassismus6 umzugehen haben, gilt der letzte Teil des Kapitels (4.8). In allen Teilen geht es um die Konstruktion und Wahrnehmung von Differenzen, über die in der EU und in ihren Mitgliedsländern Ein- und Ausschlüsse produziert werden. Im touristisch-migrantischen Zusammenhang an der südlichen EU-Außengrenze wird deutlich, wie wirkmächtig die in Kapitel 3 beschriebene „europäische Apartheid“ (Balibar 2003) in konkreten Interaktionen ist. Gleichzeitig kann gezeigt werden, dass behördliche Kategorien, die Menschen in Europa entlang von Mobilitätsmöglichkeiten und -beschränkungen in ein hierarchisches Verhältnis zueinander setzen, keinesfalls in jeder Hinsicht mit konkret bedeutsamen Differenzkonstruktionen übereinstimmen. Bisweilen werden offizielle Kategorien und dominante Differenzkonstruktionen auch gezielt umgenutzt oder unterlaufen, wofür der touristische Kontext der europäischen „Vergnügungsperipherie“ privilegiert scheint.
4.2 Tourismus in Griechenland Die TouristInnenzahlen in Griechenland sind in den letzten Jahrzehnten – mit zwischenzeitlichen Schwankungen (vgl. Reimelt 2004, 14) – enorm angestiegen. Während 1950 nur rund 30.000 TouristInnen in Griechenland gezählt wurden (vgl. ebd., 12), wurden im Jahr 2006 17,3 Millionen Ankünfte von ausländischen 7 TouristInnen in Griechenland erfasst (vgl. NSSG 2007, 211). Dies wirkt sich auch auf die Beschäftigungsstruktur aus. Im Jahr 2007 waren 1,1 Million Menschen in Griechenland legal im Bereich „Trades, Restaurants and Hotels“ beschäftigt, der damit mit steigender Tendenz den wichtigsten Beschäftigungszweig des Landes darstellt, gefolgt von der verarbeitenden Industrie und dem Bereich Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (vgl. NSSG 2008, 7). Es ist ein
6
Zum Zusammenhang von touristischem Differenzkonsum und Rassismus vgl. Kapitel 2. Das Vereinigte Königreich steht in der nach Nationalitäten differenzierten Tabelle der Ankünfte von AusländerInnen in Griechenland an erster Stelle. An zweiter Stelle folgt Deutschland und an dritter Albanien (vgl. NSSG 2007, 212). Der überwiegende Teil der TouristInnen erreicht Griechenland im Sommer, zwei Drittel kommen zwischen Juni und September (vgl. Reimelt 2004, 17). 7
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4 Kreta
eindeutiger Trend vom primären zum tertiären Sektor zu erkennen, woran der Tourismus einen bedeutenden Anteil hat (vgl. hierzu auch Reimelt 2004, 11f.). Bis in die 1950er Jahre hinein war Griechenland vornehmlich für Bildungsreisende interessant, die sich auf die Spuren des europäischen Kulturerbes begaben und sich hauptsächlich für archäologische Ausgrabungsstätten interessierten. Diese Art von Tourismus basiert auf der Konzeptionalisierung Griechenlands als „Wiege der Zivilisation“, von der aus (West-)Europa vor langer Zeit seinen Ursprung nahm. Er war gesellschaftlichen Eliten vorbehalten und stand in der Reisetradition des 18. und 19. Jahrhunderts. (Vgl. Galani-Moutafi 2004, 171)8 Anfang der 1960er Jahre fing die griechische Regierung an, sich der Tourismusplanung zu widmen, und untersuchte in diesem Zusammenhang auch das Potenzial Kretas für eine systematische Tourismusentwicklung. Diese Initiative wurde durch die Militärregierung ab 1967 stark ausgebaut, die den Tourismus durch Steuererleichterungen, Infrastrukturerweiterungen und günstige Kredite für Tourismusbetriebe förderte, was nicht nur auf Kreta ein Auslöser für den Bau großer Tourismusanlagen war. Dieser Bauboom und das vergleichsweise niedrige Preisniveau in Griechenland trugen wesentlich dazu bei, dass die TouristInnenzahlen massiv anstiegen. (Vgl. Kousis 1989, 321; Reimelt 2004, 12) In den 1960er Jahren entwickelte sich Griechenland zum beliebten Reiseziel für „Alternativreisende“. Sie interessierten sich weniger für die archäologischen Pilgerstätten der KulturtouristInnen, die eine vergangene Hochkultur bezeugen, wollten sich aber auch nicht mit einem Pauschalurlaub in den touristischen Hochburgen begnügen. Ihr Interesse galt vielmehr der gegenwärtig, abseits ausgetretener touristischer Pfade in Griechenland lebenden Bevölkerung, deren „naturverbundene Lebensweise“ und „unverfälschte Gastfreundschaft“ die „Alternativreisenden“ als Gegenbild zu den Entfremdungserfahrungen in den westlichen Industriegesellschaften entwarfen. „Authentizität“ und „Tradition“ wurden in ländlichen Regionen vermutet, und städtisches Leben wurde als Ausgangspunkt drohender Modernisierung gemieden, wie Regina Römhild (2002, 165) betont. Noch mehr als gegenüber den Bildungsreisenden, die sich vorrangig für die archäologischen Stätten und weniger für die lebende griechische Bevölkerung interessieren, grenzen sich die „Alternativreisenden“ nach wie vor vom Massentourismus ab, den sie als Bedrohung für die „unverfälschte griechische Kultur“ betrachten. Für die Distinktion sind Pauschalreisende jedoch unverzichtbar, insofern man sich im Unterschied zu ihnen als „Insider“ fühlen kann, die sich aus8 Philip Duke (2007) untersucht in seiner Studie „The Tourists Gaze, the Cretans Glance“ das gegenwärtige Wechselverhältnis von Archäologie und Tourismus am Beispiel Kretas. Er geht davon aus, dass die meisten TouristInnen sich heutzutage nur am Rande für archäologische Ausgrabungsstätten interessieren (vgl. ebd., 58).
4.2 Tourismus in Griechenland
181
kennen, die mit Angehörigen der Lokalbevölkerung befreundet sind und die „authentische Tradition“ von „touristischer Inszenierung“ unterscheiden können. (Vgl. ebd.,172f.) Bei einigen „Alternativreisenden“ ging der Kontakt zur Lokalbevölkerung so weit, dass sie GriechInnen heirateten oder aus anderen Gründen zeitweise oder dauerhaft in Griechenland sesshaft wurden (vgl. ebd., 174). Diese sesshaft gewordenen TouristInnen haben ebenso wie die griechischen RemigrantInnen, die nach einiger Zeit im Ausland – teilweise in Begleitung nicht-griechischer PartnerInnen – wieder nach Griechenland zurückkehrten, häufig Arbeit in Hotels und Restaurants gefunden (vgl. Buck-Morss 1987, 203) oder eröffneten eigene touristische Untenehmen. Das kulturelle Kapital, das sie aus ihrer Zeit im Ausland mitbrachten, konnten sie hier durch die Arbeit mit TouristInnen in ökonomisches verwandeln. Sie fungieren häufig als „cultural broker“, die die Erwartungen der TouristInnen optimal einschätzen und erfüllen können (vgl. Römhild 2002, 172ff.). Der „touristische Blick“, der den Mittelmeerraum und insbesondere Kreta mit „Authentizität“ und „Ursprünglichkeit“ assoziiert und der in vieler Hinsicht dem „ethnologischen Blick“ ähnelt (vgl. hierzu Kapitel 2), ist nach wie vor wirkmächtig. Er wird allerdings unter anderem durch aktuelle Migrationsbewegungen irritiert, die Griechenland seit einigen Jahren prägen und die für den Tourismussektor ein bedeutendes Reservoir an billigen Arbeitskräften liefern. Dies mag zunächst folgende Meldung aus der „Griechenland Zeitung“ vom 8.7.2003 mit der Überschrift „Hoher Ausländeranteil in der Touristenbranche“ verdeutlichen: „Die europäischen Staats- und Regierungschefs behandelten beim jüngsten EU-Gipfel auf der nordgriechischen Halbinsel Halkidikí auch die Einwanderungsfrage. ‚Anschauungsunterricht’ erhielten die Politiker in dem Hotel, in dem sie untergebracht waren, dessen Personal zum Großteil aus Nicht-Griechen bestand. Nach einem Bericht der Tageszeitung ‚Kathimerini’ sind etwa 40 % der Angestellten in Bars, Restaurants, Tavernen, Hotels usw. Ausländer; sie kommen vor allem aus Albanien, Russland, der Ukraine, Polen und anderen ehemaligen Ostblock-Ländern. Sie verrichten Tätigkeiten im Lager, der Küche, als Hilfskellner oder als Zimmerpersonal. In Mykonos beträgt der Ausländeranteil an den ständigen Einwohnern ca. 30 %, ein Teil davon arbeitet im Tourismus; auf der Insel Kos kommen von den 3.500 Angestellten im Fremdenverkehr etwa 2.000 aus dem Ausland. Wie Vertreter der Fremdenverkehrsbranche kritisieren, verfügen beispielsweise auf Kreta 95 % des Personals – des griechischen und ausländischen – über keinen Abschluß einer Fremdenverkehrsschule.“
Kreta ist als Feld für die Erforschung der Überschneidungen der beiden Mobilitätsformen Tourismus und Migration in Europa in vielerlei Hinsicht interessant.
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4 Kreta
Zum einen ist die Insel noch immer bevorzugtes Objekt eines archaisierenden und exotisierenden „touristischen Blickes“ auf den Mittelmeerraum, und zum anderen ist sie ebenso wie der Rest Griechenlands seit einiger Zeit stark von Migration geprägt, was auch die Arbeitsverhältnisse im Tourismussektor prägt und den „touristischen Blick“ irritiert. Das Verhältnis der verschiedenen mehr oder weniger mobilen Personengruppen zueinander hat sich dabei über die Jahre verändert, unter anderen auch infolge des EU-Beitritts Griechenlands und aufgrund von veränderten touristischen und migrantischen Rahmenbedingungen.
4.3 Migration in Griechenland Die Ausdehnung des tertiären Sektors hat dazu beigetragen, dass die Nachfrage nach billigen und flexiblen Arbeitskräften in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen ist (vgl. Kasimis 2005). Die AlbanerInnen stellen seit den 1990er Jahren die mit Abstand größte MigrantInnengruppe in Griechenland dar, auch was den Anteil erwerbstätiger MigrantInnen am griechischen Arbeitsmarkt anbelangt. Es 9 gab jedoch schon vorher ArbeitsmigrantInnen in Griechenland. So kamen mit Unterstützung der griechischen Regierung in geringem Umfang bereits in den 1970er Jahren Arbeitskräfte aus Afrika und Asien ins Land. Mit dem Beitritt Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft 1981 wurde die Mobilität innerhalb der Mitgliedstaaten erleichtert, was die Präsenz von EU-BürgerInnen auf dem griechischen Arbeitsmarkt erhöhte. Außerdem kamen in den 1980er Jahren weiterhin MigrantInnen aus asiatischen und nordafrikanischen Ländern, aber auch aus Osteuropa, wobei einige Griechenland nur als Transitland auf dem Weg nach Nordeuropa und in die USA nutzten. Sofern sie nicht griechischer Abstammung waren, hatten sie nur wenige legale Einreisemöglichkeiten, so dass ein Großteil dieser MigrantInnen illegal nach Griechenland kam. (Vgl. Sarris/Zografakis 1999, 156; Romaniszyn 2000, 132; Baldwin-Edwards 2004a, 3) Während die Ökonomien der post-sozialistischen Nachbarländer in den 1990er Jahren in eine tiefe Rezession stürzten, war Griechenlands wirtschaftliche Situation relativ stabil, was Migrationsbewegungen nach Griechenland in dieser Zeit beförderte (vgl. Lauth Bacas 2002, 202). Als infolge des Zusammenbruchs des kommunistischen Regimes in Albanien 1991 vor allem zahlreiche Albane9
Die Migration aus Albanien nach Griechenland hat eine lange Tradition, die durch das kommunistische Regime nach dem Zweiten Weltkrieg unterbrochen wurde. Bereits zur osmanischen Zeit gab es albanische Migration nach Griechenland, und ähnlich wie heute kamen Ende des 19. Jahrhunderts albanische ArbeitsmigrantInnen zu Fuß über die Berge, um in der Landwirtschaft oder der Textilindustrie zu arbeiten. Die heute noch in Griechenland lebenden ArvanitInnen sind Nachfahren dieser MigrantInnen. (Vgl. Grandits 2002, 190f.; Baldwin-Edwards 2004c, 51f.)
4.3 Migration in Griechenland
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rInnen nach Griechenland einreisten, reagierte die griechische Regierung, indem sie innerhalb kürzester Zeit das Einwanderungsgesetz von 1929 durch ein neues ersetzte, das – auch im Hinblick auf die Anpassung an das Schengener Abkommen, welches Griechenland 1992 unterzeichnete – in erster Linie auf die Eindämmung der Migration ausgerichtet war und dies mit der Bekämpfung von Kriminalität legitimierte. Unterstützt von den Massenmedien hatte sich im öffentlichen Diskurs bald das rassistische Stereotyp des „kriminellen Albaners“ durchgesetzt, den es zu bekämpfen galt (vgl. hierzu Triandafyllidou 2000, 195ff.; Baldwin-Edwards 2004c, 58f.). Dementsprechend hieß es in der Präambel zum neuen Gesetz: „Suddenly, Greece was flooded with aliens, who, entering, staying and working illegally, create enormous social problems for the state, while they inevitably try to solve their own problems by engaging in criminality (drugs, robberies, thefts etc)“ (zit. nach Baldwin-Edwards 2004a, 3).
Hier wird der Eindruck erweckt, Griechenland sei zu Beginn der 1990er Jahre von Einwanderung überrascht worden. Es ist jedoch festzuhalten, dass es schon lange vorher Einwanderung gab und dass die Konstitution Griechenlands als moderner Nationalstaat realisiert wurde durch die Addierung verschiedener Bevölkerungsgruppen in das wachsende Staatsgebiet: „Die strukturelle Integration ethno-linguistisch verschiedener Bevölkerungsgruppen stellt also ein konstitutives Charakteristikum des Neuen Griechenlands dar, seit seiner Gründung, und auf keinen Fall ein historisch neues Phänomen am Ende des 20. Jahrhunderts“ (Marvakis 2002).
Der Wandel Griechenlands von einem Auswanderungs- in ein Einwanderungsland in den 1980er und -90er Jahren muss daher eher so gefasst werden: „Greece has turned from an emigration into a immigration country with various newcomers adding to the existing multilingual and multicultural population“ (Lauth Bacas 2002, 197). Das Gesetz von 1991 ließ wenig Raum für legale Migration nach Griechenland und war darauf ausgerichtet, repressive Maßnahmen gegen MigrantInnen durchzusetzen. So schuf es die Möglichkeit, MigrantInnen, die ohne gültige Papiere aufgegriffen wurden, ohne rechtliche Anhörung abzuschieben. Zwischen 1991 und 1995 wurden 250.400 MigrantInnen ausgewiesen, 241.000 davon AlbanerInnen (vgl. Triandafyllidou 2008). Trotz dieser Maßnahmen wurde Mitte der 1990er Jahre deutlich, dass viele MigrantInnen in Griechenland bleiben würden, wie auch immer die offizielle Politik aussah. Außerdem kamen neue Mig-
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4 Kreta
rantInnen aus Albanien aber auch aus anderen Balkanstaaten sowie aus der ehemaligen Sowjetunion, Pakistan und Indien. 1997 brachte die griechische Regierung die erste Legalisierungskampagne auf den Weg, die es MigrantInnen ermöglichte, ihren Aufenthalt mit einer „White Card“ für zunächst sechs Monate zu legalisieren. In einem weiteren Schritt konnte dann eine „Green Card“ für ein bis drei Jahre erworben werden. Insgesamt gingen rund 370.000 Anträge auf eine „White Card“ ein. Der Großteil der AntragstellerInnen kam aus benachbarten Ländern, insbesondere aus Albanien. Es beantragten jedoch nicht alle InhaberInnen einer „White Card“ letztlich eine „Green Card“, und auch das Interesse an der „White Card“ nahm ab. Gründe dafür sind zum einen in der schlechten Organisation des Legalisierungsprogramms zu sehen: Die griechischen Behörden waren völlig überfordert, die Vielzahl der Anträge adäquat zu bearbeiten. Zum anderen konnten viele MigrantInnen nicht den Nachweis erbringen, für eine gewisse Anzahl von Tagen legal beschäftigt und versichert gewesen zu sein. Da zahlreiche ArbeitgeberInnen sich weigern, für ihre migrantischen Arbeitskräfte Sozialversicherungsabgaben zu entrichten, erfüllten viele MigrantInnen die Grundvoraussetzungen für eine Legalisierung nicht. (Vgl. Lauth Bacas 2002, 200f.; Baldwin-Edwards 2004a, 4; Kasimis/Kassimi 2004; Gropas/Triandafyllidou 2005, 2f.) Ende der 1990er Jahre wurde seitens der griechischen Regierung anerkannt, dass eine Einwanderungspolitik vonnöten war, die über die Bestimmungen von 1991 hinausging. Im Sommer 2001 wurde ein neues Gesetz erlassen, das zunächst jedoch wiederum keine realistischen Wege der legalen Einreise nach Griechenland vorsah. Infolge von Protesten wurde das Gesetz daher in letzter Minute ergänzt um die „Green Card II“-Regelung, die es MigrantInnen ermöglichen sollte, ihren Aufenthalt in Griechenland ohne großen Aufwand zu legalisieren. Die „Green Card II“ war wiederum für sechs Monate gültig und musste danach durch eine Aufenthalts- sowie eine Arbeitsgenehmigung ersetzt werden. Die Initiative wurde durch Werbekampagnen unterstützt, die illegalisierte MigrantInnen mit Slogans wie „Don’t stay in the dark!“ zur Legalisierung ermutigen sollten. Bis zum Ende dieser zweiten Legalisierungskampagne gingen 370.000 Anträge ein. Nur 220.000 erfüllten allerdings die bürokratischen Anforderungen. (Vgl. Lauth Bacas 2002, 201; Baldwin-Edwards 2004a, 6; Kasimis/Kassimi 10 2004) Zwar beinhaltete das neue Verfahren auch Verbesserungen für MigrantInnen – insbesondere dadurch, dass sie nicht mehr an eineN bestimmteN ArbeitgeberIn gebunden waren –, ExpertInnen kritisierten es jedoch aus verschiedenen Gründen heftig. Martin Baldwin-Edwards (2004c, 58) schreibt: 10 Zur Möglichkeit, eine illegale Einreise nach Griechenland über einen Asylantrag zu legalisieren, vgl. Lauth Bacas (2002, 201f.).
4.3 Migration in Griechenland
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„In summary, Greek policy on immigrants contains an exclusionary ideology as regards all others than ethnic Greeks. The various legalization initiatives have been implemented by untrained officials with an explicitly nationalistic and xenophobic mentality and, reportedly, in abusive circumstances.“
Im November 2003 beschloss das griechische Parlament Ergänzungen zum Einwanderungsgesetz von 2001. Nun sind Arbeitsgenehmigungen nicht mehr auf bestimmte Präfekturen begrenzt, sondern für ganz Griechenland gültig, und MigrantInnen können zwischen dem Status als Angestellte oder Selbstständige wechseln. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass MigrantInnen eine Aufenthaltsgenehmigung für zwei Jahre bekommen statt bisher für maximal ein Jahr. (Vgl. Baldwin-Edwards 2004a, 7; Kasimis/Kassimi 2004; Gropas/Triandafyllidou 2005, 4) Noch immer existiert allerdings das Problem, dass das Ausstellen der Papiere so lange dauert, dass MigrantInnen sie häufig erst dann erhalten, wenn sie schon wieder abgelaufen sind, und das bürokratische Verfahren der Erneuerung der Aufenthaltsgenehmigung von Neuem beginnt. Dies führt dazu, dass der Aufenthalt vieler legalisierter MigrantInnen ohne eigenes Verschulden illegal wird. (Vgl. Triandafyllidou 2008) Dadurch dass MigrantInnen nach wie vor meist nur zeitlich begrenzte Aufenthaltsgenehmigungen bekommen, kann die Vorstellung aufrechterhalten werden, Migration sei ein vorübergehendes Phänomen in Griechenland. Integrationsmaßnahmen gibt es kaum bzw. werden nicht hinreichend implementiert wie beispielsweise der Action Plan for the Social Integration of Immigrants für die Periode 2002-2005, der von der Organisation der Olympischen Spiele 2004 in Athen und dem damit einhergehenden kurzfristigen Bedarf an billigen migrantischen Arbeitskräften überlagert wurde, die man danach wieder loswerden wollte. (Vgl. Baldwin-Edwards 2004a, 10f.; Kasimis/Kassimi 2004; Gropas/Triandafyllidou 2005, 4) Die mangelnden Bemühungen um Integration sind aber auch auf das griechische Konzept der ethnisch, linguistisch, religiös und kulturell definierten Nation zurückzuführen, das die Akzeptanz von MigrantInnen verhindert, insbesondere wenn es um Einbürgerung geht. Einbürgerung ist in Griechenland so teuer und schwierig, dass nur wenige MigrantInnen diesen Weg gehen können (vgl. Baldwin-Edwards 2004a, 11; Triandafyllidou 2000). In Griechenland scheint sich nur langsam die Erkenntnis durchzusetzen, dass ein Großteil der MigrantInnen bleiben wird.11 Im August 2005 wurde mit Wirkung zum 1.1.2006 ein neues Einwanderungsgesetz verabschiedet. Wesentliche Ziele dieses Gesetzes sind Entbürokratisierung und Verfahrensvereinfachung, unter anderem durch die Zusammenfas11 Zur zögerlichen Implementierung von Integrationsmaßnahmen in Griechenland vgl. auch Parsanoglou/Tsiamoglou (2008, 97ff.).
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sung von Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung in einem Dokument. Des Weiteren wurden EU-Direktiven zu Familienzusammenführung und dem Status von dauerhaft ansässigen MigrantInnen in das Gesetz integriert. Zudem erfolgte eine dritte Legalisierung, im Zuge derer rund 200.000 Bewerbungen eingingen (die Zahl der erfolgreichen Bewerbungen ist nicht bekannt). Das Gesetz wurde jedoch dafür kritisiert, dass es weiterhin die Situation der Mehrheit der illegalisierten migrantischen Bevölkerung Griechenlands ignoriert und effektiv verhindert, dass rund siebzig Prozent dieser MigrantInnen eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten können. In Reaktion auf diese Kritik wurde das Gesetz Anfang 2007 durch eine Novelle ergänzt, die weitere Verfahrensvereinfachungen vorsieht und eine „Mini-Legalisierung“ beinhaltet. Für diejenigen, die nicht genügend Sozialversicherungsabgaben nachweisen können, wurde die Möglichkeit geschaffen, fehlende Sozialversicherungsstempel nachträglich zu erwerben. (Vgl. Gropas/Triandafyllidou 2005, 4; Triandafyllidou 2008) 12 Beim Hellenic Migration Policy Institute (IMEPO) , einem 2002 gegründeten Forschungsinstitut, das die griechische Regierung in Fragen der Migrationspolitik berät, hieß es im Dezember 2006, die griechische Regierung habe Migration bislang nur gemanagt, bemühe sich nun aber um Integration. Ein Vertreter von IMEPO erklärte, ein zunächst bis 2013 angelegter Integrationsplan sehe vor, MigrantInnen zu unterstützen, unter anderem durch die Bereitstellung von Informationen, durch Sprachkurse, durch die bessere Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen, durch Ausbildungsangebote, durch die Verhinderung von Ghettoisierung, durch interkulturelle Aktivitäten sowie durch gesundheitliche Vorsorgemaßnahmen. Da die MigrantInnen selbst nicht gut genug organisiert seien – sie erfüllten nicht den Wunsch der mehrheitsgesellschaftlichen EntscheidungsträgerInnen nach ethnisch definierten RepräsentantInnen –, seien sie in das Komitee zur Entwicklung dieses Integrationsplans al13 lerdings nicht involviert. Dies wurde von einer Vertreterin des Department of Social Integration im Innenministerium bestätigt, die darauf verwies, dass es in Griechenland nicht so viele MuslimInnen wie beispielsweise in Deutschland gebe, wo viele TürkInnen lebten. Daraus leitete sie die Überzeugung ab, man habe in Griechenland auch weniger Integrationsprobleme. Die Hellenic League for Human Rights bezeichnete das Komitee zur Entwicklung eines Integrationsplans vor diesem Hintergrund als „National Committee for the Social Exclusion of Migrants“ (vgl. Parsanoglou/Tsiamoglou 2008, 98).
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http://www.imepo.gr/ (letzter Zugriff: 8/2009). Zu den begrenzten Möglichkeiten politischer Partizipation von MigrantInnen in Griechenland vgl. ausführlicher Gropas/Triandafyllidou (2005, 8ff.) und Parsanoglou/Tsiamoglou (2008). 13
4.3 Migration in Griechenland
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Ein wesentliches Hindernis für die rechtliche Integration von MigrantInnen stellen GewerkschaftsvertreterInnen14 und Nichtregierungsorganisationen zufolge die hohen Legalisierungskosten dar, die im europäischen Vergleich in Griechenland am höchsten sind (vgl. ebd.). Seit 2006 ist in Griechenland ein neues Gesetz in Kraft, dass es MigrantInnen, die fünf Jahre legalen Aufenthaltes sowie 100 Stunden Griechischunterricht und 25 Stunden Unterricht in griechischer Geschichte und Kultur nachweisen können, ermöglicht, eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen.15 Allerdings ist diese langfristige Aufenthaltsgenehmigung teurer als die jährliche Verlängerung, deren Kosten bereits vergleichsweise hoch sind. Während die Verlängerung um ein Jahr 150,- Euro und um zwei Jahre 300,- Euro kostet, liegen die Kosten für eine fünfjährige Aufenthaltsgenehmigung bei 900,- Euro, insgesamt also erheblich höher als die wiederholte Verlängerung um ein oder zwei Jahre. Ein Antrag auf eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung ist nach zehn Jahren legalen Aufenthaltes innerhalb eines Zeitraums von zwölf Jahren möglich und kostet über 1.300,- Euro, auch wenn der Antrag abgelehnt wird, wie eine Vertreterin des Panhellenic Network of Immigrant Women betonte (vgl. hierzu auch Gropas/Triandafyllidou 2005, 8). Um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, müssen MigrantInnen nachweisen, dass entweder ihre ArbeitgeberInnen oder sie selbst Sozialversicherungsabgaben für sie entrichtet haben. Wenn ArbeitgeberInnen sich weigern, für ihre Beschäftigten in die Sozialversicherung einzubezahlen, müssen die MigrantInnen die Abgaben selbst entrichten, was häufig ökonomisch schwierig für sie ist und dazu führt, dass sie mangels Sozialversicherung auch keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen fordern daher eine Entkopplung von Aufenthaltsgenehmigung und Sozialversicherungsnachweis, um die rechtliche Integration von MigrantInnen zu erleichtern.
14 Gewerkschaften bemühten sich zwar bis zu einem gewissen Grad darum, MigrantInnen als Mitglieder zu gewinnen, könnten jedoch nicht als Vorkämpferinnen pro-migrantischer politischer Mobilisierung betrachtet werden, wie Gropas und Triandafyllidou (2005, 10) meinen. Das gewerkschaftliche Interesse an der Integration von MigrantInnen gründe vornehmlich darauf, die Rechte der griechischen ArbeitnehmerInnen zu sichern und Billiglohnkonkurrenz durch migrantische ArbeitnehmerInnen auszuschalten, die schlecht bezahlte Tätigkeiten ohne Sozialversicherung akzeptieren. 15 Vgl. Gespräch mit dem Leiter des Department of Residence Permits im Innenministerium, das im Rahmen des bereits erwähnten Studienaufenthaltes in Athen stattfand. Was die Kurse anbelangt, gibt es zum einen das Problem, dass die Nachfrage das Kursangebot weit übersteigt, wie uns ein Gewerkschaftsvertreter mitteilte. Zum anderen führt die lange Wartezeit bei der Ausstellung von Aufenthaltsgenehmigungen dazu, dass viele MigrantInnen sich nicht für die Kurse anmelden dürfen, weil sie noch keine Aufenthaltsgenehmigung haben, wie eine Vertreterin des Panhellenic Network of Immigrant Women erklärte. (Auch diese Informationen gehen auf Gespräche zurück, die während des erwähnten Studienaufenthaltes geführt wurden.)
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Wenngleich die soziale und rechtliche Integration von MigrantInnen bislang kaum gefördert wurde, schon gar nicht ihre Einbürgerung, sind sie wirtschaftlich inzwischen unabkömmlich für Griechenland. So gibt es eine starke Nachfrage nach billigen migrantischen Saisonarbeitskräften in wirtschaftlich wichtigen, arbeitsintensiven Beschäftigungszweigen wie in der Landwirtschaft, auf dem Bau oder auch im Tourismus. Meist werden sie illegal beschäftigt. MigrantInnen stellen vermutlich den größten Teil der illegalen Arbeitskräfte in Griechenland, sie sind allerdings nicht die Ursache des Phänomens. Informelle ökonomische Tätigkeiten sind in Griechenland weithin akzeptiert, da die Steuerlast allgemein als zu hoch empfunden und ein verantwortungsvoller Umgang mit Steuergeldern seitens der Regierung bezweifelt wird. Schätzungen zufolge macht die informelle Ökonomie dreißig Prozent aller wirtschaftlichen Aktivitäten in Griechenland aus. (Vgl. Fakiolas 2000, 61f.) Verschiedene AutorInnen betonen vor diesem Hintergrund die positiven Effekte (illegalisierter) ArbeitsmigrantInnen für die griechische Wirtschaft (vgl. z.B. Sarris/Zografakis 1999; Fakiolas 2000, 70; Lauth Bacas 2002, 202f.; Baldwin-Edwards, 2004a, 10; Kasimis/Kassimi 2004), und Martin Baldwin-Edwards (2004a, 12) prognostiziert, dass illegalisierte Migration ein fortdauerndes Phänomen in Griechenland sein wird: „Greece makes no attempt to minimise illegal migration through the formal recruitment of workers […], and seems intent on delaying any implementation of the incipient EU permanent residence permits.16 In the European Union, it is Greece which will contribute to have massive numbers of illegal immigrants on its territory, apparently as a deliberate policy choice.“
Im Unterschied zu den Wanderungsbewegungen der Nachkriegszeit ist die gegenwärtige Migration schlecht dokumentiert, was unter anderem eben daran liegt, dass die meisten MigrantInnen illegal einreisen und häufig jahrelang undokumentiert bleiben (vgl. Lauth Bacas 2002, 198). Doch die Schwierigkeiten, genaue Zahlen anzugeben, beschränken sich nicht auf undokumentierte Migration. So stellt Baldwin-Edwards (2004b, 4) seinem ausführlichen Bericht über statistische Daten zu Migration in Griechenland folgende Einschränkung voran: „We cannot estimate other than crudely how many illegal or even legal immigrants are present in Greece, or what the total of immigrants might be.“ Auf dieser wenig soliden Basis schätzt er gleichwohl, dass 2004 insgesamt – inklusive EU-BürgerInnen und illegalisierter MigrantInnen – rund 1,15 Millionen Personen, also 10,3 Prozent der Bevölkerung Griechenlands, einen Migrationshintergrund hatten. Der Bevölkerungszählung von 2001 zufolge stellen AlbanerInnen mit 56 Prozent aller AusländerInnen die größte Gruppe dar, gefolgt von 16
Zu einem ähnlichen Phänomen in Zypern vgl. Kapitel 5.
4.3 Migration in Griechenland
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BulgarInnen mit fünf, GeorgierInnen, RumänInnen und US-AmerikanerInnen mit je drei sowie ZypriotInnen, RussInnen, BritInnen und Deutschen mit je zwei Prozent. Mit einer dominanten Gruppe, die mehr als die Hälfte aller MigrantInnen umfasst, ist Griechenland einzigartig in der EU. (Vgl. Baldwin-Edwards 2004a, Table 2) Was ihre geografische Verteilung anbelangt, sind proportional die meisten MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern in den urbanen Zentren Athen und Thessaloniki zu finden, gefolgt von einigen Inseln. Nicht-griechische EU-BürgerInnen verteilen sich in ähnlicher Weise über Griechenland (vgl. Baldwin-Edwards 2004b, 6). MigrantInnen sind also vor allem da zu finden, wo es Arbeit gibt, in den urbanen Zentren und ihrer Umgebung sowie in den touristisch geprägten Regionen Griechenlands. Befragt nach den Gründen für ihren Aufenthalt in Griechenland geben MigrantInnen aus Ländern außerhalb der EU größtenteils Erwerbstätigkeit an. Mit einem Anteil von 58 Prozent aller nach eigenen Angaben erwerbstätigen MigrantInnen stellen die AlbanerInnen wiederum die mit Abstand größte Gruppe dar. (Vgl. ebd., 13) Was die Verteilung von MigrantInnen auf verschiedene Sektoren des Arbeitsmarktes anbelangt, schreibt BaldwinEdwards (ebd., 14): „[I]mmigrants in Greece follow very stereotypical and rigid employment possibilities – determined by nationality and gender. Thus, the labour market is highly segmented and non-competetive.“ Mit unterschiedlichen nationalen Schwerpunkten sind männliche MigrantInnen aus Ländern außerhalb der EU vorwiegend im Bausektor, in der Landwirtschaft, in der verarbeitenden Industrie und auch im Tourismus zu finden. Weibliche MigrantInnen verrichten vor allem Dienstleistungstätigkeiten in Privathaushalten oder arbeiten als Reinigungskräfte (vgl. hierzu Lazaridis 2000). Sie sind aber auch in der Landwirtschaft, im Tourismus und in der verarbeitenden Industrie tätig. Einige Migrantinnen verdienen ihren Lebensunterhalt als Sexarbeiterinnen oder werden zur Prostitution gezwungen (vgl. Lazaridis/Psimmenos 2000, 181). Nicht nur in Bezug auf diesen Bereich, sondern generell sind die Daten über den Anteil von MigrantInnen an der erwerbstätigen Bevölkerung in einzelnen Arbeitsmarktsektoren sowie über die Bedeutung von MigrantInnen für den griechischen Arbeitsmarkt allerdings sehr lückenhaft (vgl. ebd., 17; Petrakou/Dimitrakopoulos 2003, 29). Der zunehmende persönliche Kontakt zwischen GriechInnen und AusländerInnen scheint die negativen Stereotype zumindest in einigen Regionen abgeschwächt zu haben. Rassistische Diskriminierung ist jedoch nach wie vor eine Alltagserfahrung, vor allem für AlbanerInnen, sei es im Bildungssystem oder auf dem Wohnungsmarkt. Neben dem „kriminellen Albaner“ hat sich inzwischen zwar auch das Stereotyp des „hart arbeitenden Albaners“ durchgesetzt, was allerdings nicht unbedingt soziale Anerkennung seitens der griechischen Mehr-
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heitsbevölkerung bedeutet, sondern mit gering geachteter Arbeit und damit einem niedrigen sozialen Status in Verbindung gebracht wird. Insbesondere im Zusammenhang mit skandalisierenden Meldungen, dass AlbanerInnen in Griechenland verdientes – also „griechisches“ – Geld nach Albanien transferieren bzw. dort investieren, um ihre Rückkehr vorzubereiten, hat dieses Stereotyp eine deutlich negative Konnotation bekommen (vgl. Baldwin-Edwards 2004c, 59ff.).17 In konkreten Arbeitsbeziehungen kommt der Rassismus häufig in der paternalistischen Haltung der ArbeitgeberInnen zum Ausdruck, die betonen, dass der konkret Beschäftige im Unterschied zu den meisten anderen AlbanerInnen ein „guter Junge“ ist (vgl. Lauth Bacas 2002, 205f.). Mehrere meiner albanischen InterviewpartnerInnen auf Kreta haben diese oder ähnliche Bezeichnungen für sich selbst benutzt und sich als hart arbeitende Ausnahmen dargestellt, mit denen die ArbeitgeberInnen zufrieden sind. Zudem bemühten sich vor allem meine albanischen InterviewpartnerInnen, aber und auch andere MigrantInnen, sich möglichst wenig von GriechInnen zu unterscheiden, beispielsweise indem sie griechische Namen annahmen und in ihre Griechischkenntnisse investierten (vgl. hierzu auch Grandits 2002, 206+215; Baldwin-Edwards 2004c, 61). Diese Strategien erhalten im touristischen Umfeld noch einmal eine besondere Bedeutung, insofern damit auch der „touristische Blick“ bedient und genutzt werden kann, wie ich weiter unten zeigen werde. Wie bereits angedeutet, kommen auch in dem von mir untersuchten touristisch-migrantisch geprägten Umfeld auf Kreta jene rassistischen Stereotype zum Tragen, die den öffentlichen Diskurs in Griechenland prägen. Angesichts des von mir beobachteten Wechselverhältnisses zwischen verschiedenen mehr oder weniger mobilen, häufig nicht eindeutig als „einheimisch“ oder „fremd“, „Gast“ oder „Gastgeberin“ definierbaren Personen müssen verschiedene rassistische Haltungen und Praktiken und die Reaktionen darauf allerdings ausdifferenziert werden. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich Rassismus nicht als ein „individuelles Krankheitssymptom“ verstehe, sondern als ein „soziales Verhältnis“ (vgl. Hund 2007, 33), das sich in der Essentialisierung von Grenzen ausdrückt. Das bedeutet nicht, dass eine rassistisch motivierte Gewalttat nicht individualpsychologisch untersucht werden kann. Um das soziale Phänomen des Rassismus zu verstehen, muss jedoch die Frage geklärt werden, wie es zu rassistischen Stereotypen kommt und wie Opfer von rassistischen Gewalttaten identi-
17 Ähnlich wie einige griechische „GastarbeiterInnen“, die nach ein paar Jahren in Westeuropa nach Griechenland zurückgingen, kehren manche AlbanerInnen nach einigen Jahren in Griechenland oder anderswo nach Albanien zurück und machen sich mit eigenen kleinen Unternehmen in Albanien selbstständig, unter anderem im Tourismus (vgl. hierzu Nicholson 2004; Gregori Bon 2007; Kilic et al. 2007).
4.4 Tourismus und Migration auf Kreta
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fiziert werden. (Vgl. hierzu Terkessidis 2004b, 109) Mit Mark Terkessidis (ebd., 108f.) gehe ich davon aus, dass „[d]as rassistische Wissen […] deshalb so beharrlich und einleuchtend [ist], weil es in einer Praxis ‚gelebt’ wird und mit sozialen Gegebenheiten übereinstimmt. Insofern ist rassistisches Wissen nicht ‚Vorurteil’ und auch nicht ‚falsches Bewusstsein’ im Sinne von traditionellen Ideologievorstellungen – kritikwürdig ist vielmehr die institutionelle Praxis, die Ungleichheit erzeugt und dieses Wissen ‚beherbergt’.“
Insofern Rassismus in Institutionen wie Arbeitsmarkt und Staatsbürgerschaft sowie in dominanten Wert- und Moralvorstellungen mit ihren – negativen und positiven – Klischees über „die Anderen“ eingelassen ist, muss Rassismusforschung sich auch mit diesen Institutionen befassen und danach fragen, wie hier Grenzen zwischen verschiedenen sozialen Gruppen essentialisiert werden (vgl. ebd., 100ff.). In Kapitel 3 bin ich bereits auf die Ein- und Ausschlüsse eingegangen, die das EU-Grenzregime produziert, und in diesem Kapitel weiter oben habe ich die entsprechenden Implikationen der griechischen Migrationspolitik geschildert. Vor diesem Hintergrund möchte ich nach einem kurzen Überblick über die Tourismus- und Migrationsgeschichte Kretas im Folgenden danach fragen, wie die „europäische Apartheid“ (Balibar 2003) bzw. auch dazu quer liegende Differenzkonstruktionen in konkreten Interaktionen im touristischmigrantischen Ereignisraum auf Kreta zum Ausdruck kommen.
4.4 Tourismus und Migration auf Kreta Kreta ist die größte Insel Griechenlands und nach Zypern die zweitgrößte im östlichen Mittelmeer. Rund 600.000 EinwohnerInnen sind in der Verwaltungsregion Kreta gemeldet (vgl. NSSG 2007, 39). Die dazu zählende Insel Gavdos markiert den südlichsten bewohnten Punkt Europas. Kreta liegt nicht nur geografisch relativ weit vom griechischen Festland entfernt, sondern gehört auch politisch erst seit vergleichsweise kurzer Zeit zu Griechenland. Die Geschichtsschreibung Kretas beginnt meist mit der Entführung der phönizischen Prinzessin Europa durch den griechischen Gott Zeus, der sie nach Kreta brachte und mit ihr zusammen den späteren König Minos zeugte, mit dem die ab dem 3. Jahrtausend vor Christus auf Kreta entstandene minoische Kultur in Verbindung gebracht wird. Die minoische Kultur gilt als früheste Hochkultur Europas. Archäologische Ausgrabungsstätten wie der Palast von Knossos zeugen noch heute von dieser Hochkultur und sind beliebte Ausflugsziele für TouristInnen.18 18
Zur touristischen Aufbereitung der minoischen Vergangenheit auf Kreta vgl. Duke (2007).
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Der Ursprung der minoischen Kultur auf Kreta bestärkt Griechenlands und insbesondere Kretas Anspruch, die „Wiege der europäischen Zivilisation“ zu sein. Der Status Kretas innerhalb Griechenlands ist dabei ambivalent. Diese Ambivalenz wird dadurch verstärkt, dass die Wurzeln der minoischen „EuropäerInnen“ in Kleinasien und Afrika vermutet werden. Angesichts der Nähe Kretas zu Asien und Afrika gilt die Insel innerhalb Griechenlands einerseits als besonders wild und rückständig und ihre kulturelle Zugehörigkeit zu Griechenland bzw. Europa wird bezweifelt. Andererseits werden gerade die „archaischen Bräuche“ der KreterInnen und die Reste der minoischen Hochkultur als Kernbestandteil griechischer Tradition und Kultur verstanden, die die Zugehörigkeit Griechenlands zu Europa belegen. Nicht nur innerhalb Europas, sondern auch innerhalb Griechenlands kommt Kreta daher die Rolle eines „internen Anderen“ zu. Über die Selbstverortung der KreterInnen in diesem Diskurs schreibt Römhild (2002, 164f.): „These rather African and Asian roots of early Minoan ‘Europeans’ render them an ambivalent case in terms of Greek national and European identity construction. The Cretans, in turn, pick up these interpretations when discussing their own belonging (or non-belonging) to Greece and Europe. Locals in Pousos – the Cretan village in which I carried out most of my fieldwork – would turn that discussions up-side down, maintaining that it is not a question whether they are part of either Greece or Europe but rather that both of these have to accept that they are descendants of early Cretan culture.“
Über die Jahrhunderte hinweg erlebte Kreta verschiedene Besatzungen, denen sich die InselbewohnerInnen jedoch nicht ohne Weiteres unterworfen haben. Die KreterInnen gelten als extrem rebellisch, nicht nur gegenüber den unterschiedlichen Besatzungsmächten in der Geschichte, sondern bis heute auch gegenüber dem griechischen Staat (vgl. hierzu Römhild 2002, 170). Gegen die OsmanInnen, die die Insel Mitte des 17. Jahrhunderts erobert hatten, formierte sich der Widerstand verstärkt im 19. Jahrhundert und führte schließlich dazu, dass Kreta 1898 den Status einer autonomen osmanischen Provinz erhielt.19 1913 wurde Kreta Teil des griechischen Staates. Im Zuge des im Vertrag von Lausanne 1923 vereinbarten Bevölkerungsaustausches (vgl. hierzu Kapitel 3) mussten rund 50.000 TürkInnen die Insel verlassen, und GriechInnen aus Kleinasien siedelten 19
Im Zusammenhang mit der kretischen Geschichte des Widerstands gegen die osmanische Herrschaft wurde das Kloster Arkadi in der Präfektur Rethymno zu einem wichtigen griechischen Nationaldenkmal und einer bedeutenden touristischen Sehenswürdigkeit. Hier wurde 1866 ein Revolutionskomitee gegen die osmanische Herrschaft gebildet. Die knapp tausend Kinder, Männer und Frauen, die bald darauf in dem Kloster Zuflucht suchten, sprengten sich angesichts ihrer aussichtslosen Lage gegenüber den osmanischen AngreiferInnen schließlich in die Luft.
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auf Kreta. Im Zweiten Weltkrieg wurde Kreta von der deutschen Wehrmacht erobert, die die Insel zwischen 1941 und 1945 besetzte. Angesichts von Massenerschießungen und anderen Repressalien formierte sich auf Kreta Widerstand gegen die deutsche Wehrmacht, der dann in den 1946 beginnenden griechischen Bürgerkrieg überging.20 Der Widerstand gegen die Besatzungsmächte ist auch in touristische Imaginationen von Kreta eingeflossen und hat das Bild des wilden und archaischen Kretas bestärkt, das insbesondere in den Bergen vermutet wird, wo sich die PartisanInnen versteckt hielten. Diese touristische Imagination von Kreta wurde stark durch Alexis Sorbas beeinflusst, den Helden eines 1946 erschienenen Romans von Nikos Kazantzakis, über den Römhild (2002, 170) 21 schreibt: „His ‘irrepressible and free spirit’ […] resembles the rebellious, anti-authoritarian Cretan spirit that is considered the essential relic of Cretan history. […] This image has rendered Crete something of a European Cuba in the eyes of left-wing travellers who come to seek that spirit in the tavernas and kafenia of the villages at the sea and in the mountains. The Cretan, thus incorporating both idealised ‘primitivism’ and nonconformist freedom, has become an idol of northwestern cultural critics, a ‘perfect servant’ to their imagination.“
Nicht nur die Stätten der minoischen Hochkultur, sondern auch das Image des Wilden, Archaischen und Antiautoritären haben Kreta also für TouristInnen attraktiv gemacht. Außerdem waren es freilich nicht zuletzt die landschaftlichen Merkmale und klimatischen Verhältnisse, die dazu beitrugen, dass der Tourismus sich in der Nachkriegszeit zur wichtigsten Einkommensquelle Kretas entwickelte. Innerhalb Griechenlands ist Kreta die bedeutendste Fremdenverkehrsdestination geworden, mit Übernachtungszahlen, die über ein Fünftel aller Nächtigungen von TouristInnen im gesamten Land ausmachen (vgl. Reimelt 2004, 33). Bis in die 1950er Jahre hinein waren allerdings noch rund siebzig Prozent aller KreterInnen in der Landwirtschaft tätig und lebten in ländlichen Regionen (vgl. Kousis 1989, 321). In den 1960er Jahren kam es zu einer Auswanderungswelle aus Kreta, da die kleinen landwirtschaftlichen Parzellen nicht mehr genug 20
Zwar ist die Erinnerung an die deutsche Besatzungszeit noch immer sehr lebendig auf Kreta (vgl. Meyer-Bauer 2003, 24+35ff.), in den Begegnungen zwischen deutschen TouristInnen und KreterInnen wird sie jedoch meist ausgeblendet. Buck-Morss (1987, 206ff.) spricht von „historischer Amnesie“ und verdeutlicht dies an einem Beispiel: Die schwarz gekleideten alten Frauen von Mirtos, die um ihre Männer trauern, die im September 1943 Opfer eines von deutschen Truppen verübten Massakers wurden, werden vom „touristischen Blick“ als Ausdruck des traditionellen, authentischen Dorflebens auf Kreta wahrgenommen. „They make it more photogenic“, schreibt Buck-Morss. Und für das Kriegsdenkmal im Dorfzentrum interessiere sich fast niemand, weil es nicht alt genug sei. 21 Vgl. hierzu auch Terkessidis (1998, 74ff.).
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abwarfen. Viele Menschen im arbeitsfähigen Alter verließen in dieser Zeit ihre Dörfer, um auf der Suche nach Arbeit nach Iraklio, die Hauptstadt der Insel, oder nach Athen zu ziehen bzw. als „GastarbeiterInnen“ ins Ausland zu gehen. (Vgl. Meyer-Bauer 2003, 25; Reimelt 2004, 21) Zwischen 1965 und 1972 veränderten sich die Grundbesitzverhältnisse auf Kreta erheblich, wie Maria Kousis (1989, 322) am Beispiel der Gemeinde Drethia zeigt. Viele lokale Familien seien in dieser Zeit aus finanziellen Gründen gezwungen gewesen, ihr Land zu verkaufen, oder seien enteignet worden, um achäologische Ausgrabungen im „öffentlichen Interesse“ zu ermöglichen. Tatsächlich haben die Enteignungen letztlich meist dazu geführt, dass KäuferInnen großer Flächen ihre Baupläne realisieren konnten. Große Teile der Küstenregionen wurden an SpekulantInnen verkauft, die sie an Außenstehende aus anderen Regionen Kretas, aus Athen oder aus dem Ausland weiter veräußerten. Die meisten KäuferInnen errichteten große Hotelkomplexe auf den erworbenen Grundstücken. Diese Bautätigkeit wurde durch die Initiative der Militärregierung erleichtert, die den Tourismus ab 1967 mit Steuererleichterungen, Infrastrukturerweiterungen und günstigen Krediten für Tourismusbetriebe förderte (vgl. Kousis 1989, 321; Reimelt 2004, 12+36f.). Einige ehemalige LandwirtInnen verkauften ihre Arbeitskraft in der Folgezeit im Bauwesen oder mit zunehmendem Ausbau des Tourismus auch für andere tourismusbezogene Tätigkeiten bzw. begannen, sich mit eigenen kleinen Geschäften, Restaurants oder Zimmervermietungen selbstständig zu machen, was vom Staat unterstützt wurde (vgl. Kousis 1989, 322f.+325). Anfang der 1970er Jahre kehrten zudem einige Ausgewanderte wieder in ihre Herkunftsregionen auf Kreta zurück, um an der Tourismusentwicklung teilzuhaben (vgl. z.B. Reimelt 2004, 21). Die Tourismusindustrie hat sich inzwischen zum bedeutendsten Wirtschaftszweig Kretas entwickelt (vgl. ebd., 22) und ist hier in den letzten Jahrzehnten in höherem Maße gewachsen als in anderen Regionen Griechenlands. Die Zahl der Übernachtungen ausländischer Gäste stieg von 3.767 in 1954 (ebd., 22 26) auf 12,58 Millionen in 2001 (ebd., 17). Die meisten ausländischen TouristInnen kommen aus dem europäischen Raum, vor allem aus Deutschland, Großbritannien und Skandinavien (vgl. ebd., 30), und buchen Pauschalangebote großer ausländischer Reiseveranstalter (vgl. ebd., 34f.). Zum allergrößten Teil gehen die touristischen Reisen an die Nordküste Kretas, deren touristische Entwicklung bereits 1967 von der griechischen Regierung besonders gefördert wurde (vgl. ebd., 26f.). Im Norden der Insel befinden sich die Inselhauptstadt Iraklio sowie 22
Drei Viertel aller Ankünfte ausländischer TouristInnen entfallen auf die Monate Mai bis September, wobei die Bezirke Rethymno und Iraklio durch relativ hohe durchschnittliche Raten gekennzeichnet sind (vgl. Reimelt 2004, 29). Zum Problem der Saisonalität des Tourismus und zu Versuchen, die Saison auf Kreta auszudehnen, vgl. z.B. Donatos/Zairis (1991) oder Reimelt (2004, 55f.).
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die Bezirkshauptstädte und die wichtigsten Häfen für den Schiffs- und Flugverkehr. Der Süden der Insel wird eher von „Alternativreisenden“ besucht (vgl. hierzu Römhild 2002). Es wird geschätzt, dass inzwischen rund vierzig Prozent der kretischen Bevölkerung direkt oder indirekt im Tourismussektor arbeiten (vgl. Andriotis 2005, 70f.). Während die Zahl der Beschäftigten im primären Sektor zurückging, weist der tertiäre Sektor seit den 1970er Jahren eine stete Zunahme auf. Es fand eine Verschiebung der Beschäftigungsstruktur statt, von der der Tourismussektor profitierte, die aber einen Arbeitskräftemangel in anderen Sektoren, vor allem in der Landwirtschaft, verursachte. Im Sekundärsektor profitierten hingegen Bereiche wie die Nahrungsmittelindustrie und der Bausektor. (Vgl. Velissariou 1999, 51ff.) Die Landwirtschaft ist auf Kreta jedoch nach wie vor ein bedeutender Wirtschaftsfaktor (vgl. hierzu Meyer-Bauer 2003, 27f.).23 Auch heute noch sind viele KreterInnen als LandwirtInnen tätig, häufig als Nebenerwerbsbauern und -bäuerinnen, die im Winter die Felder bestellen und im Sommer in touristischen Betrieben arbeiten (vgl. Reimelt 2004, 20f.). Die Nachfrage nach Arbeitskräften für arbeitsintensive und schlecht bezahlte Tätigkeiten in verschiedenen Sektoren der Wirtschaft, in der Landwirtschaft wie auch im Tourismus, wird heute zum Großteil durch MigrantInnen befriedigt: „Durch den in den 80er Jahren mit Macht einsetzenden Tourismus und den Arbeitsbedarf in der Landwirtschaft erfährt Kreta mittlerweile wieder eine Zuwanderung. Nicht nur Griechen vom Festland oder anderen Inseln siedeln sich an oder heiraten ein, auch Gast- oder Saisonarbeiter aus Albanien, Serbien, Bulgarien und den ehemaligen sowjetischen Republiken kommen nach Kreta. Die meisten dieser Arbeiter sind illegale Tagelöhner, die unversichert zu Niedrigstlöhnen arbeiten.“ (MeyerBauer 2003, 25; vgl. hierzu auch Reimelt 2004, 43ff.)
Die Region Rethymno an der Nordküste stellt mit ca. 80.000 EinwohnerInnen nach Iraklio und Chania und vor Lassithi die drittgrößte der vier Präfekturen Kretas dar (vgl. NSSG 2007, 43). Die Stadt Rethymno selbst, in der meine Feldforschung stattfand, hat rund 30.000 EinwohnerInnen, wobei die Zahl der EinwohnerInnen in den vergangenen Jahrzehnten im Verhältnis zu Gesamt-Kreta überproportional gestiegen ist (vgl. Archondakis 2003). Auch der Massentourismus hat hier seit Anfang der 1970er Jahre enorm zugenommen.24 Nach einer Phase der unkontrollierten Tourismusentwicklung in den 1980er Jahren möchte die Stadtverwaltung nun gegen die negativen Konsequenzen des 23
Mit 38 Prozent war der Anteil der in der Landwirtschaft Tätigen auf Kreta in 2001 immer noch sehr hoch und lag weit über dem gesamtgriechischen Durchschnitt (vgl. Reimelt 2004, 22). 24 Zur Geschichte der Stadt Rethymno vgl. Herzfeld (1991).
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Massentourismus vorgehen und eine nachhaltige Tourismusentwicklung vorantreiben, die unter anderem die Verbesserung des Umweltschutzes, Verkehrsplanung im historischen Stadtzentrum, Ausbau der touristischen Infrastruktur außerhalb des Stadtzentrums, Schutz des historischen und kulturellen Erbes der Stadt sowie kulturelle Aktivitäten umfasst (vgl. ebd.). Der Tourismusberater und Projektmanager Vangelis Archondakis (2003), der im Namen der Stadtverwaltung mit EU-finanzierten Projekten zu nachhaltiger Tourismusentwicklung in Rethymno befasst ist, schreibt über die Entwicklung der Beschäftigungsstruktur in der Stadt: „Rethymnon has developed into an urban center which attracts residents from the larger area. This fact was intensified with the establishment of the university in the city. Concerning the employment picture of the city’s inhabitants, it has been noticed that over the period 1961-1981 the city of Rethymnon became an urban center whose main source of income was offering of services. As a result the employment in the primary and secondary sectors significantly decreased […]. On the contrary employment in the tertiary sector increased […]. It is clear that tourism is the most important resource for Rethymnon. […] In a few years an almost total socioeconomic transformation took place resulting in a transformation of traditional agriculture and farming to tourism.“
In dem modernen Hafen der Stadt legen täglich mehrere Schiffe aus Piräus an. Die historische Altstadt mit ihren Gebäuden aus venezianischer und osmanischer Zeit, insbesondere die Fortezza und der alte Hafen, aber auch die von Geschäften und Restaurants gesäumten Altstadtgassen sind beliebte touristische Attraktionen geworden. Entlang der Uferpromenade in östlicher Richtung reiht sich ein Hotel an das nächste, und ein Privatstrand folgt auf den anderen. Die Stadt ist jedoch nicht nur touristisch geprägt. Auch die Universität Kreta, die am Stadtrand einen Campus von zweien auf der Insel betreibt, stellt einen wichtigen Standortfaktor dar. Aus dem Umfeld der Universität rekrutieren sich auch viele der AktivistInnen, die seit einigen Jahren das eingangs erwähnte Steki zur Unterstützung der MigrantInnen in Retyhmno betreiben. Wie sehr sich die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, möchte ich am Beispiel von Markos25 verdeutlichen, der in Rethymno aufgewachsen ist und dessen Geschichte den touristisch-migrantisch geprägten Wandel Rethymnos veranschaulicht. Markos ist Anfang fünfzig. Fast jeden Tag sitzt er an einem der vielen Tische einer stark von TouristInnen frequentierten Taverne unterhalb der Fortezza. Er ist der Eigentümer des Hauses, in dem die Taverne sich befindet. Die Taverne wird aber von einem Pächter betrieben. Da ich 25 Die Namen aller zu ihrer Biografie Befragten wurden anonymisiert. Ich verzichte auf die Nennung eines Nachnamens, wenn der Vorname unserer gegenseitigen Anrede entsprach.
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öfters in den Nachmittagsstunden dort bin, wenn es etwas ruhiger ist, um mit Alban, einem albanischen Kellner zu reden, komme ich bald auch mit Markos ins Gespräch. Markos besitzt mehrere alte Häuser am Rande der Altstadt, einige davon mit Blick aufs Meer. Er selbst wohnt mit seiner Familie in einem Haus hinter der Taverne, das nicht zum Meer, sondern zur Altstadt hin ausgerichtet ist. Früher sei in dem Haus, in dem sich nun die Taverne befindet, der Handwerksbetrieb seines Vaters untergebracht gewesen, erzählt Markos.26 In den 1960er Jahren sei die wirtschaftliche Situation auf Kreta jedoch schlecht gewesen und mit dem Handwerk habe sich nicht mehr genug verdienen lassen. Viele Leute gingen aus Rethymno weg und verkauften ihre Häuser.27 Auch Markos und seine Familie verließen die Stadt. 1967, als Markos zwölf Jahre alt war, zogen sie nach Athen. Die Häuser der Familie in Rethymno standen leer. Markos’ älterer Bruder wollte sie verkaufen, doch zum Glück hätten sie das nicht gemacht, meint Markos. Als Anfang der 1970er Jahre die ersten Hotels in Rethymno entstanden, stieg der Wert der Häuser plötzlich an. Mitte der 1970er Jahre ging Markos nach Kreta zurück und begann, Zimmer für TouristInnen einzurichten. Anfangs habe er nur Platz für vierzig TouristInnen gehabt, und in der Taverne hätten nicht mehr als sechs Tische gestanden. Damals habe eine wunderbare Atmosphäre geherrscht, erzählt er ein wenig nostalgisch. Viele TouristInnen hätten anfangs nur für drei Tage kommen wollen und seien schließlich drei Wochen geblieben. Oft habe man abends lange zusammengesessen und gefeiert. Neunzig Prozent seiner Gäste seien immer Deutsche gewesen. Die möge er auch am liebsten, mit manchen sei er heute noch befreundet. In der Anfangszeit des Tourismus in Rethymno lernte Markos seine heutige Ehefrau kennen, eine Schweizerin, die als Touristin auf Kreta war. Sie sei zu ihm nach Rethymno gezogen, habe aber nicht im Tourismus arbeiten wollen, sondern in ihrem erlernten Beruf als Medizinerin. Das sei jedoch nicht einfach gewesen, da sie dafür einen griechischen Pass brauchte, und den habe sie erst Jahre später beantragen können. Schließlich habe sie aber doch einen Job im Krankenhaus in Rethymno gefunden. Inzwischen überlege sie allerdings, wieder zurück in die Schweiz zu gehen. Die beiden haben einen erwachsenen Sohn, der plant, im deutschsprachigen Ausland zu studieren. Momentan arbeitet er daran, seine Deutschkenntnisse zu verbessern. Je mehr sich die Stadt verändert und auf den Tourismus eingestellt habe, desto mehr habe sich auch die Atmosphäre verändert, erzählt Markos. Er baute mehr Räume zur Vermietung an TouristInnen aus und verdiente eine Zeitlang sehr gut damit. Wenn heute von einer Krise des Tourismus und von zurückge26
Zu Handwerksbetrieben in Rethymno vgl. Herzfeld (2004). Die EinwohnerInnenzahl Rethymnos ging von 69.943 im Jahr 1961 auf 60.949 im Jahr 1971 zurück und steigt seither wieder an (vgl. Reimelt 2004, 22, Abb. 10). 27
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henden Einnahmen die Rede ist, stört ihn das nicht weiter. Er hat sein Geld gemacht. Aber für die, die vor kurzem erst angefangen hätten, sei es hart, meint er. Markos vermietet inzwischen viele Appartements an StudentInnen oder andere Dauergäste. Er hat nur noch fünf Zimmer für TouristInnen; die könne er aber nicht aufgeben, da manche TouristInnen seit 25 Jahren zu ihm kämen und immer dasselbe Zimmer reservierten. In den ersten zehn Jahren, als Markos mit dem Tourismus anfing und nur vierzig Betten hatte, arbeitete eine Frau aus der Verwandtschaft als Reinigungskraft für ihn. Das sei damals ein Fulltimejob gewesen. Dann habe sie nicht mehr gewollt und Markos baute um: mehr dauerhaft vermietete Appartements und weniger Zimmer für TouristInnen. Deshalb konnte er auch keine Vollzeitkraft mehr gebrauchen. Er beschäftigte daraufhin stundenweise ausländische Arbeitskräfte, zunächst vor allem Frauen aus Albanien und Bulgarien, seit ungefähr fünf Jahren auch Osteuropäerinnen. Da die Frauen irregulär bei ihm arbeiteten, damit er nichts in die Arbeitslosenversicherung einzahlen müsse, mit der SaisonarbeiterInnen in regulären Arbeitsverhältnissen über den Winter kommen, sei der Job für GriechInnen uninteressant. In dem Sommer, als ich auf Kreta war, arbeitete eine Georgierin bei Markos. Sie kam täglich für zwei Stunden und bekam vier bis fünf Euro die Stunde, schwarz. Das sei sogar ein bisschen mehr als eine reguläre Angestellte bekommen würde, erklärt Markos, dafür habe sie aber eben keine Versicherung. Markos weiß, dass die Frau seit sieben Jahren mit ihrem Mann zusammen auf Kreta ist. Ihr Mann arbeite in einer Bäckerei und verdiene ungefähr 1.000,- Euro im Monat. Die Frau habe noch zwei andere ähnliche Jobs. Einer ihrer Arbeitgeber zahle auch für sie in die Versicherung ein, so dass sie im Winter nicht ganz ohne Einkommen dastehe. Es ist Markos ein Rätsel, wie dieser Arbeitgeber das finanziell hinbekommt. Markos sitzt oft in der Taverne und plaudert mit Alban, dem albanischen Kellner, der mit seiner Freundin in einer von Markos’ Wohnungen zur Altstadt hin wohnt. Markos und Alban kennen sich inzwischen seit vielen Jahren und bezeichnen sich gegenseitig als Freunde. Markos bestätigt mehrmals, dass Alban ein „guter Junge“ ist und ausgezeichnet Griechisch spricht. Alban freut sich darüber.
4.5 Touristische Blicke auf Kreta: Von authentischen Dörfern und echten GriechInnen 4.5 Touristische Blicke auf Kreta Das urbane Zentrum Rethymnos mit seiner Universität, von dem der weiter oben zitierte Touristiker Archondakis spricht, und die in vieler Hinsicht migrantische
4.5 Touristische Blicke auf Kreta
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Realität der Stadt, die die Erzählung von Markos widerspiegelt, scheinen für den dominanten „touristischen Blick“ auf Kreta wenig Reiz zu haben. Wenn TouristInnen positiv auf Rethymno Bezug nehmen, dann meist im Hinblick auf die alte Bausubstanz. Das „wahre Kreta“ wird allerdings oft abseits der Städte vermutet. So legen beispielsweise deutschsprachige Reiseführer TouristInnen, die „hinter die touristischen Fassaden“ blicken wollen, den Besuch abgelegener Dörfer nahe. Im Kreta-Reiseführer von Dumont direkt (Varelas 2004, 6f.) heißt es beispielsweise: „Ob zu Fuß, per Rad, Auto oder Bus: Das wahre Kreta erlebt, wer sein Hotel und die Strände verlässt und vielleicht auch einmal auf dem Land übernachtet.“ Und im Vista Point Pocket Guide zu Kreta (O’Bryan/Zaglitsch 2000, 8) steht: „Das mediterrane Urlaubsparadies mit seinen geschützten Buchten, hübschen Stränden und türkisfarbenem Meer, mit seinen Hotelburgen, pulsierendem Nachtleben und unzähligen Georgos und Kostas, die mit Touristinnen flirten, ist nur die eine Seite von Kreta. Abseits der zugebauten Küstenabschnitte zeigt die Insel ihr wahres Gesicht. Im Inselinneren gehen die Uhren anders, und die Stille bietet einen wohltuenden Kontrast zum touristischen Treiben an den Küsten. Die Dörfer im Hinterland sind in einen verschlafenen Alltag versunken, alte Traditionen werden wie eh und je gepflegt. Frauen und Männer auf Eseln kreuzen die Straße, und die Besucher erleben die vielgerühmte griechische Freundlichkeit, die in den künstlichen Touristenwelten durch findige Geschäftstüchtigkeit verdrängt wurde.“
Wenngleich der Kontakt mit Einheimischen und der Aufenthalt im kretischen Hinterland abseits ausgetretener touristischer Pfade insbesondere für „Alternativreisende“ und in Griechenland sesshaft gewordene ehemalige TouristInnen ein wichtiges Distinktionsmerkmal gegenüber Pauschalreisenden ist, wie die Forschungen von Römhild (2002, 171) oder Wills (2005, 191) zeigen und wie ich weiter unten noch beispielhaft verdeutlichen möchte, so hat diese Perspektive auf Kreta doch auch Eingang gefunden in die Gestaltung von Pauschalreisen. In dem Hotel, in dem ich mit vielen anderen Pauschalreisenden zunächst wohnte, wurde vom Reiseveranstalter unter anderem der sogenannte „Yamas-Ausflug“ ins kretische Hinterland angeboten. Leider kam er mangels Anmeldungen nicht zustande, so dass ich nicht aus eigener Erfahrung sagen kann, was sich dahinter verbirgt. Als ich einen leitenden Angestellten von „Neckermann Reisen“ in Rethymno darauf ansprach, erklärte er: „Der Yamas-Ausflug ist ein kretischer Ausflug, den machen wir, wenn wir die Mindestteilnehmerzahl erreichen bei den Gästen. Es ist so, dass viele Hotels selbst griechische Abende anbieten. Das ist zwar sehr touristisch, die Gäste denken aber, gut, jetzt haben wir einen griechischen Abend hier im Hotel, dann brauchen wir’s nicht extra machen. Was wir machen, ist richtig in die Dörfer hineinfahren, griechische
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4 Kreta Bergdörfer, und dort auch mit der Atmosphäre, wie die Griechen leben, wie die wohnen, dort in der Umgebung so einen griechischen Abend zu veranstalten.“
Von dem Hotel, in dem ich wohnte, wurde kein „griechischer Abend“ angeboten und aus den Erzählungen der anderen Gäste lässt sich schließen, dass sie auf den „Yamas-Ausflug“ nicht deshalb verzichteten, weil sie schon woanders einen organisierten „griechischen Abend“ erlebt hatten, sondern weil sie ihre Ausflüge ins kretische Hinterland lieber eigenständig organisierten. Fast alle befragten PauschaltouristInnen betonten, dass sie nicht nur Strandurlaub auf Kreta machen, sondern außerdem mit gemieteten Autos oder Mofas oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Insel erkunden wollten. Den meisten schien dabei klar zu sein, dass der Kontakt zur Lokalbevölkerung in der kurzen Zeit allenfalls oberflächlich sein konnte. Offensichtlich waren ihnen aber die eigenständig aufgesuchten „Hinterbühnen“ des Tourismus – wie „authentisch“ auch immer sie letztlich waren – lieber als das inszenierte „Backstage“-Spektakel des Reiseveranstalters. Viele waren auch froh, den anderen TouristInnen einmal ausweichen zu können. Dementsprechend finden sich in den Antworten der von mir befragten Pauschalreisenden – von denen viele schon öfters in Griechenland und teilweise auch schon mehrmals auf Kreta waren – klassische Motive der touristischen Erzählungen über Reisen in den Mittelmeerraum wieder, die häufig eher „Alternativreisenden“ zugeschrieben werden. Es scheint nicht weiter überraschend, wenn eine 24jährige Französin, die für einige Tage in Rethymno in der Jugendherberge wohnte, bevor sie die Insel auf eigene Faust erkunden wollte, sich enttäuscht davon zeigte, wie touristisch Kreta war. Sie hatte sich die Insel ganz anders vorgestellt. In Frankreich gehe man davon aus, dass Kreta wild und ursprünglich sei und nicht so touristisch, erzählte sie. Der Topos von der Überformung des „Ursprünglichen“ durch den Massentourismus, der sich Orvar Löfgren (1999) zufolge durch die gesamte Geschichte des Mittelmeertourismus zieht, wird allerdings nicht nur von Individualreisenden bemüht. Auch Pauschalreisende wie beispielsweise ein Paar aus Süddeutschland, beide Mitte vierzig, mit dem ich im Hotel sprach, stimmten in diese Klage ein. Die beiden waren in den vergangenen zwölf Jahren regelmäßig in Griechenland gewesen. Die „Mentalität“ der GriechInnen sage ihnen sehr zu, „einfach das Lockere, nicht zu aufdringlich, aber trotzdem freundlich“. Nun waren sie bereits zum dritten Mal auf Kreta und hatten zuerst eine Woche Strandurlaub gemacht, bevor sie eine Woche lang mit dem Mietauto die Insel erkundeten. Ihnen sei es wichtig, die lokale Küche zu genießen, sie bräuchten im Urlaub kein Wiener Schnitzel. Auf Kreta finde man immer ein nettes Lokal, wenn man sich nur ein bisschen abseits der touristischen Pfade bewege. Ein Kafeníon, in dem die Stühle wackeln und es keine weißen Tischdecken gibt, sei ihnen am
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liebsten: „Das ist dann wirklich Griechenland. Wenn ich zum Essen gehe, will ich griechisch essen“, meinte sie. Sie freuten sich auch, wenn sie mit dem Personal ein bisschen ins Gespräch kamen, beispielsweise mit der Barfrau in ihrem Hotel. Über die Jahre hätten sie beobachtet, dass Griechenland sich immer mehr auf die TouristInnen einstellt. Das gefiel ihnen nicht. Über die Veränderungen in einigen kretischen Dörfern, die sie vor ein paar Jahren bereits besucht hatten und wo sie nun erneut hingefahren waren, zeigten sie sich entsetzt: „Das waren richtig schnuckelige Dörfer, da sind wir am Abend rauf gelaufen, so zwei oder drei Kilometer zu Fuß. Das war wie in einer anderen Welt, so ruhig. Da war eine zauberhafte Bäckerei in einem Innenhof, und die haben klassische Musik gespielt, das war wie in einer anderen Welt. Da haben wir gesagt, da fahren wir wieder hin. Und dann sind wir da rauf gefahren. Man kann sich nicht vorstellen, was da passiert ist! Das ist jetzt schlimmer als hier in Rethymno: ein Hotel, eine Taverne, ein Souvenirladen neben dem anderen. Aber jetzt ist es da ja klein und eng. Es ist furchtbar. Furchtbar.“
Dass es die Dörfer im Hinterland sind, in denen das typisch Griechische oder Kretische vermutet wird, wurde auch in verschiedenen anderen Interviews deutlich. Ein Paar aus Jena, beide Mitte dreißig, – sie war schon öfters in Griechenland und bereits zum zweiten Mal auf Kreta – war mit dem Mietwagen und dem Bus eine Woche lang rumgefahren und wollte dann noch eine Woche am Strand in Rethymno verbringen. Für „typisch Griechisch“ hielten sie allenfalls die Altstadt von Rethymno. Insgesamt fanden sie aber, dass die Stadt „so auf Tourismus gemacht“ ist. Das könnte in jedem anderen Land genau so aussehen und sei daher nichts Besonderes. Das „typisch Griechische“ lag für sie eher in den Bergen. „Diese kleinen Dörfer, die engen Gassen und so“, meinte sie. Einem Paar, Mitte fünfzig, aus Hildesheim, das überhaupt den Kontakt mit seinen Mitmenschen zu suchen schien und auch mich in ein freundliches Gespräch verwickelte, war die Begegnung mit Einheimischen sehr wichtig. Die beiden waren bereits vor vier Jahren auf Kreta gewesen und wollten diesmal mit dem Auto alles abklappern, was sie beim letzten Mal nicht gesehen hatten. Deshalb verließen sie ihr pauschal gebuchtes Hotel in Rethymno auch so oft wie möglich, um die Insel und ihre BewohnerInnen kennenzulernen. Anstatt die Insel zu erkunden, waren sie aber in den letzten beiden Wochen fast immer an denselben Ort im Süden Kretas gefahren, den ihnen der Autoverleiher empfohlen hatte. Sie hatten dort einen Hotelbesitzer kennengelernt, der ihnen sehr sympathisch war. Er erinnerte sie an Alexis Sorbas. Nun überlegten sie, später im Jahr noch einmal nach Kreta zu fahren und dann direkt in dieses Hotel zu gehen. Die beiden redeten viel „vom Kostas“ und „vom Pavlos“, mit denen sie bei ihren Ausflügen auf der Insel ins Gespräch gekommen waren.
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Die drei genannten – meinem Eindruck nach nicht untypischen – Beispiele verdeutlichen zum einen, dass Pauschalreisende sowohl in ihrer Reisebiografie als auch innerhalb eines Urlaubsaufenthaltes zwischen verschiedenen Reiseformaten wechseln. Der Topos vom „unverfälschten Dorfleben“ und der Kontakt mit den (Sorbas-ähnlichen) Einheimischen durchzogen dabei auch ihre Erzählungen. Wenngleich dieser immobilisierende und archaisierende „touristische Blick“ auf den Mittelmeerraum, Griechenland oder Kreta in verschiedenen Ausprägungen also noch immer bedeutsam ist – auch für Pauschalreisende –, gibt es jedoch auch noch ganz andere Assoziationen und Erwartungen, die zeigen, wie stark der jeweilige „touristische Blick“ davon abhängt, wer von wo aus auf Kreta blickt. Alter, Geschlecht, Herkunft, Beruf, Reiseerfahrung und vieles mehr spielen dabei eine Rolle. Häufig werden Assoziationen zu Griechenland oder Kreta im Vergleich zu anderen Urlaubsregionen oder zum Herkunftskontext entwickelt. So meinte ein vierzigjähriger Mann aus Sachsen, der mit seiner Freundin zum ersten Mal in Griechenland war, bezogen auf die Läden in Rethymno und die Jahrmarktstände an der Uferpromenade, an der auch migrantische StraßenhändlerInnen abends ihre Stände aufbauen: „Also, ich kann’s eigentlich mit zwei Ländern vergleichen. Zum einen mit der Türkei, weil da am Hafen ein Verkaufsstand nach dem anderen ist, genau wie in der Türkei auch, bloß preisintensiver. Und zum anderen mit Polen. Wir wohnen nah an der polnischen Grenze. Wenn man hier in Rethymno vom Kreisverkehr aus links runtergeht, sind überall Stände, ein richtiges Markttreiben. Das ist wie der Polenmarkt.“
Und ein 54jähriger Mann aus Nordirland, der regelmäßig des Wetters wegen mit seiner Frau in den Süden fuhr und zum zweiten Mal auf Kreta war, meinte: „I think, all these places here are all much the same, you know, for tourists and that’s it. If there wasn’t any tourism, there wouldn’t be anything here. There is no heavy industry.“ Häufiger als auf Parallelen zu anderen (mediterranen) Ländern wurde im Vergleich allerdings auf die Besonderheiten Griechenlands verwiesen. So erinnerte sich eine belgische Touristin an ihre erste Griechenlandreise vor vielen Jahren, bei der ihr das Land insbesondere im Kontrast zu Rumänien und Bulgarien als paradiesisch erschienen war, was ihr Griechenlandbild bis heute prägte: „27 years ago, when I was young, we took the car and went through Germany, Austria, Hungary, Romania and Bulgaria to Greece. In Romania and Bulgaria there were no restaurants and no food to buy at that time, it was communist. In the end I was so hungry that I had hallucinations, I saw the chicken before my eyes. When we finally reached the Greek border and came to Thessalonica, it was like paradise: Good food, friendly people, we sat on a terrace, really holiday. So for me Greece
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always remained like that. When I think of Greece, I remember the communist countries – no food at all – and then by contrast Greece!“
Sie habe seither immer wieder nach Griechenland zurückkommen wollen. Im letzten Jahr sei sie schließlich mit ihrem Mann nach Rethymno gefahren, wo sie nun zum zweiten Mal Urlaub machten. Ihr Griechenlandbild von damals sei nicht enttäuscht worden. Im Gegenteil, sie weiß von vielen Begegnungen mit gastfreundlichen GriechInnen zu berichten. Auch die Türkei wird immer wieder als Kontrast zu Griechenland angeführt. So meinte eine Pauschalreisende, Mitte dreißig, aus Deutschland, die mit ihrer Freundin unterwegs war und sich als Mittelmeerfan bezeichnete, dass sie an Kreta insbesondere „diese Mischung aus Antike und Meer und mediterranem Lebensgefühl“ gereizt habe. Vergleichend fasste sie zusammen: „Ich war schon sehr häufig in der Türkei, und da gibt es viele Parallelen, aber es ist zum Beispiel als Frau bedeutend angenehmer, in Griechenland unterwegs zu sein als in der Türkei. Es ist ein Unterschied, ob man in einem christlichen Land unterwegs ist oder in einem muslimischen. Griechenland ist aber trotzdem wiederum näher am Orient als Italien.“
Diese ambivalente Wahrnehmung Griechenlands, mit dem man einerseits kulturelle Nähe oder berechenbare, angenehme Differenz verbindet, das aber andererseits auch das ganz Andere – „den Orient“ – repräsentiert, wurde auch von einem individuell reisenden Paar aus Berlin-Kreuzberg zum Ausdruck gebracht, das einen zweiwöchigen Urlaub auf Santorin hinter sich hatte und über Kreta zurück nach Deutschland flog. Die beiden verglichen Griechenland im Interview immer wieder mit der Türkei, wobei sie sich darin einig waren, dass sie sich in Griechenland wohler fühlten. Während sie sich in ihrem Türkeiurlaub häufig bedrängt gefühlt hätten, hätten sie Griechenland als sehr gastfreundlich erlebt. So erklärte sie: „Ich glaub’ schon, dass das mit der Kultur zu tun hat, mit Lebenskultur, aber auch mit Verhaltenskultur. Und da scheint doch ein Hauptproblem zu liegen. Das ist ja keine Erkenntnis, die wir jetzt gewonnen haben. Ein Hauptproblem oder ein Hauptreibungspunkt scheint irgendwie doch eine unterschiedliche Religionszugehörigkeit verbunden mit bestimmten Riten und Bräuchen zu sein, wo man eben doch nicht so richtig reinkommt und nicht so viel Verständnis vielleicht für entwickelt so schnell. Das ist uns aufgefallen.“
Wenngleich sie sich selbst als nicht religiös bezeichneten, fühlten sie sich Griechenland nicht zuletzt aufgrund der griechischen Orthodoxie kulturell verbunden, wie sie betonten. Während sie zu Griechenland also kulturelle Nähe emp-
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fanden, ließ sie nicht nur ihr Urlaub in der Türkei, sondern auch ihr türkisch geprägtes Wohnumfeld in Berlin-Kreuzberg zu dem Schluss kommen, dass der Beitritt der Türkei zur Europäischen Union „ein kulturelles Problem“ ist. Dann wiederum wussten sie aber auch von Erlebnissen zu berichten, die die GriechInnen aufgrund abweichender Gastfreundschaftspraktiken und Geschlechterrollenvorstellungen als kulturell different erscheinen ließen. Das Paar war bei einer deutschen Wirtin untergekommen, die fließend Griechisch sprach und die die beiden mit vielen, vorwiegend männlichen GriechInnen in Kontakt brachte, mit denen sie dann mehrere nette Kneipenabende verbracht hatten. Über diese Begegnungen berichtete die Kreuzberger Touristin: „Da war zum Beispiel kulturell schon einiges zu erleben. Einerseits diese Offenheit, mit Fremden, doch Zufallsfremden, sich da irgendwie die Nächte um die Ohren zu schlagen und das auf eine sehr dynamische und herzliche Art und Weise. Und andererseits aber auch so, ja doch irgendwie so vorgefasste Verhaltensmuster, wer wem ausgeben darf und wer beschließt, wann der Abend zu Ende ist.“
Sie seien zum „Spielball von anderen Gastlichkeitsvorstellungen“ geworden, meinte ihr Partner. Es sei jedenfalls nicht an ihnen gewesen, das Ende des Abends zu bestimmen, und selbst einmal die Runde einzuladen, sei ihnen kaum gelungen: „Letztlich ging’s dann schon mal, aber da wo dominante griechische Männer dabei waren, ging’s nicht. An einer Stelle waren nur noch, also, wenn man’s ganz runterbricht, waren nur noch Frauen, ein albanischer Gastarbeiter, obwohl der schon seit langem hier ist, und ich da.“
In dieser Situation sei es nicht ganz klar gewesen, wer der „Platzhirsch“ ist. Deswegen habe er zahlen können, ohne dass es das übliche „Trara“ gegeben habe. Dass es auf Santorin migrantische Arbeitskräfte gab, fanden die beiden völlig normal, zumal sie selber in einem „multikulturellen“ Umfeld lebten. Sie meinte: „Es ist klar, dass die Bedienerjobs letzten Endes auch nach unten weitergegeben werden, sobald das finanziell möglich ist für ein Land. Und da hat sich Griechenland halt auch schon ein bisschen sozusagen aufgerappelt und kann jetzt die Albaner das machen lassen, was sie selber nicht mehr machen wollen.“
Die Beschäftigung von migrantischen Arbeitskräften – häufig wurden „die Albaner“ stellvertretend genannt – schien ebenso wie die christliche Religion für das Paar aus Kreuzberg die kulturelle Nähe Griechenlands zu Westeuropa zu bestätigen. Die meisten Pauschalreisenden, die ich auf die Beschäftigung von migranti-
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schem Personal im Tourismus auf Kreta ansprach, reagierten darauf ebenso mit Gelassenheit. Es war ihnen gleichgültig, woher das Personal kam, das sie bediente. Nur ein Paar aus Leipzig, beide Mitte zwanzig, assoziierte Konkurrenz um Arbeitsplätze. Bevor ich sie darauf aufmerksam machte, dass in Griechenland viele Arbeitskräfte aus anderen Ländern – beispielhaft nannte ich Albanien und Bulgarien – beschäftigt waren, hatten sie darüber offenbar noch nicht nachgedacht. Sie meinte: „Würde ich nicht gut finden, also, das sind ja die Arbeitsplätze hier von der Bevölkerung. Also, ich würde das nicht unterstützen wollen.“ Und er ergänzte nach einer Weile: „Also, ich hätte nicht gedacht, dass das so hier ist, dass die jetzt auch… Ich hab’ da jetzt mal rausgehört, dass die mehr oder weniger dann auch Probleme vielleicht haben, dass die Einwanderer die Stellen besetzen und die Einheimischen dann… können ja nicht alle bloß vom Hotel hier leben.“
Ihr erster Gedanke hatte allerdings Arbeitskräften aus Deutschland gegolten, die in Griechenland arbeiten. Durch diese sahen sie ihr touristisches Differenzerlebnis gefährdet: „Na ja, man fährt ja weg, um von zu Hause weg zu sein und wenn dann hier noch tausend Deutsche rumspringen würden an Personal, das wäre dann schon irgendwie dasselbe.“ Dass sie sich auf Deutsch verständlich machen konnten – im Hotel arbeiteten zwei Remigrantinnen aus Deutschland –, gefiel ihnen aber schon. In ähnlicher Weise äußerte sich auch ein Paar, Mitte zwanzig, aus Lyon, das froh war über das französischsprachige Personal im benachbarten Hotel, da beide keine Fremdsprachen beherrschten. Trotzdem war ihnen griechisches Personal wegen des Ambientes lieber als Personal aus Frankreich oder anderen Ländern: „Nous préférons le personnel de la Grèce quand même parce que c’est plus typique et, oui, c’est pour l’ambiance, pour sentir un petit peu plus l’ambiance.“ Letztlich sei es ihnen aber gleich, wo die Leute herkämen. So ähnlich formulierte es auch eine deutsche Touristin, die es ebenfalls schätzte, sich auf Deutsch oder Englisch verständigen zu können. Sie meinte: „Klar ist es nochmal ein griechischeres Gefühl, wenn jemand klassisch griechisch aussieht, wie man sich das vorstellt.“ Wenn Arbeitskräfte aus anderen Ländern kämen, hätte sie damit aber auch kein Problem. In Aussagen wie den zuletzt zitierten wird bereits deutlich, dass es TouristInnen häufig vor allem auf das griechische Flair ankommt, dass neben verschiedenen anderen Faktoren auch vom Personal beeinflusst wird. Eine belgische Touristin, die wie viele andere eine Mischung aus Pauschal- und Individualreise machte, äußerte sich – auf meine Nachfrage hin – zwar der Tatsache gegenüber ablehnend, dass das Personal in Hotels und Restaurants auf Kreta häufig nicht griechisch war, meinte damit aber vor allem WesteuropäerInnen. Gegen albanisches Personal hatte sie nichts, da die AlbanerInnen sich in ihren Augen optisch
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nicht von den GriechInnen unterschieden und daher ihren touristischen Differenzkonsum nicht beeinträchtigten. Ihr kam es nicht auf die „Echtheit“ des Griechischen an, sondern darauf, dass das Personal griechisch aussah: „If you don’t see immediately that they are from Albania, I don’t care, but I wouldn’t like to see a French or an English serve me.“ Insofern die meisten der Befragten eine Mischung aus Strandurlaub und individueller Erkundung der Insel anstrebten, erscheint eine einfache Unterscheidung in Pauschalreisende oder MassentouristInnen, die sich mit der Oberfläche zufrieden geben (müssen), und Individual- oder Alternativreisende, die hinter die Kulissen vordringen, nicht sinnvoll. Ich möchte hier daher nochmals an die im zweiten Kapitel angeführte Kritik von Hasso Spode (2005a, 154) an Urrys Konzept des „touristischen Blicks“ erinnern, das Spode zufolge einen Strukturbruch vom „Einmalig-Echten“ zum „Spielerisch-Simulierten“ im Tourismus nahe legt. Spode geht hingegen davon aus, dass beides – sowohl die Suche nach „dem Echten“ als auch Spiel und Simulation – per se Kennzeichen der touristischen Reise sind. Dies gilt insbesondere für Begegnungen zwischen verschiedenen Personengruppen im touristisch-migrantischen geprägten Mittelmeerraum, in dem das Spiel oder die Simulation nicht nur eine touristische Erholungs-, sondern auch eine migrantische Überlebensstrategie sein kann, wie wir weiter unten sehen werden. Wenngleich in den „touristischen Blicken“ auf Griechenland oder Kreta nach wie vor das „Echte“, „Unverfälschte“ und „Unveränderliche“ eine zentrale Rolle spielt, werden Veränderungen, die beispielsweise durch Arbeitsmigration vorangetrieben werden, nicht ausschließlich als Bedrohung der authentischen griechischen oder kretischen Kultur gefasst. Insbesondere migrantische Realitäten in den Herkunftsländern von TouristInnen führen vielmehr zu anderen Assoziationen. So übertrug das Paar aus Leipzig den in Deutschland wirkmächtigen Diskurs über MigrantInnen, die Einheimischen die Arbeitsplätze streitig machen, auf Griechenland. Und das Paar aus Berlin-Kreuzberg führte sein eigenes „multikulturelles“ Selbstverständnis sowohl als Begründung dafür an, die kulturelle Zugehörigkeit der Türkei zu Europa zu bezweifeln als auch dafür, die Beschäftigung migrantischen Personals in Griechenland als normal zu empfinden. Eine albanische Touristin, die seit acht Jahren in Deutschland lebte und nun zum ersten Mal auf Kreta war, wo sie ihre Tante besuchte, hatte hingegen wiederum einen anderen migrantisch geprägten touristischen Blick auf Kreta. Ihr gefiel die Insel sehr gut und sie wollte im nächsten Jahr wiederkommen. Über ihre Tante hatte sie auch viele nette GriechInnen kennengelernt. Vor dem Hintergrund eines Fußballspiels zwischen Griechenland und Albanien, in dessen Folge es in Griechenland zu Ausschreitungen gekommen war, bei denen mehrere
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Albaner getötet worden waren, meinte sie jedoch: „Es ist zwar schön, also die Verhältnisse sind schön und der Strand ist ganz wunderschön, aber manchmal kriegt man auch Angst.“
4.6 Griechische ArbeitgeberInnen und DienstleisterInnen, der touristische Blick und das migrantische Personal 4.6 ArbeitgeberInnen, DienstleisterInnen und der touristische Blick Angesichts der Zahlenverhältnisse und der vertrauten Richtung von TouristInnenströmen in Europa erscheint die Begegnung mit einer albanischen Touristin in Griechenland, wie ich sie im vorhergehenden Abschnitt geschildert habe, ungewöhnlich. Üblicherweise werden AlbanerInnen in Griechenland eher der Gruppe der ArbeitsmigrantInnen zugeordnet, an der sie auch den größten Anteil haben. Wie ich bereits weiter oben dargelegt habe, sind die AlbanerInnen im Vergleich zu anderen MigrantInnengruppen in Griechenland am stärksten mit Rassismus konfrontiert. Die Haltung von griechischen ArbeitgeberInnen gegenüber migrantischem und insbesondere albanischem Personal ist ambivalent. Miltos, der ehemalige Besitzer zweier Tavernen und einer Bar in Rethymno, die stark von TouristInnen frequentiert wurden, erzählte, er habe irgendwann alles verkauft, weil er gelangweilt war von den vielen TouristInnen, die in Kreta alles besser fanden als bei sich zu Hause. Die Frage, ob er auch MigrantInnen beschäftigt habe, verneinte er zunächst. Insbesondere griechische TouristInnen wollen ihm zufolge nicht von MigrantInnen bedient werden. Deshalb habe er im Service ausschließlich GriechInnen beschäftigt. Auf Nachfrage fiel ihm dann aber ein, dass die Spülkräfte rumänischer Herkunft waren. Spültätigkeiten würden auf Kreta sehr häufig von weiblichen MigrantInnen ausgeübt. Inzwischen arbeitete Miltos als Bauunternehmer und beschäftigte Albaner, 28 Rumänen und Syrer . Meist rekrutierte er sie auf dem „Arbeiterstrich“, der sich auf einem Parkplatz nahe der großen Kirche im Zentrum von Rethymno organisiert hat. Die Albaner machen die besten Mauern, meinte Miltos. Die GriechInnen seien inzwischen auf ihr Können angewiesen. Griechen finde er für Jobs auf 28 Auf dem antirassistischen Festival in Rethymno erzählte mir ein syrischer Bauarbeiter, der seit zehn Jahren auf Kreta lebte, dass er in den ersten Jahren vorwiegend Hotels gebaut habe. Inzwischen baue oder repariere er vor allem Häuser von Nord- und WesteuropäerInnen. Ali war mit einem Touristenvisum nach Bulgarien eingereist und dann von dort aus zu Fuß über die Grenze nach Griechenland gekommen. Er ging direkt nach Kreta, weil hier Verwandte von ihm lebten. Es gebe in Syrien ein Dorf mit rund 5.000 EinwohnerInnen, die alle aus Kreta vertrieben worden seien und die nun wieder zurückkehrten, erläuterte er. Dadurch lasse sich die innerhalb Griechenlands vergleichsweise hohe Konzentration von SyrerInnen auf Kreta erklären. Einige der SyrerInnen sprächen ein ganz altes Kretisch. Er selbst kam nicht direkt aus diesem Dorf, sondern aus der Nähe. Griechisch lernte er erst auf Kreta.
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dem Bau nur selten. Außerdem arbeite er inzwischen auch lieber mit AusländerInnen, weil die immer etwas lernen wollten und das Ganze nicht nur als Job zum Geldverdienen betrachteten. In ähnlich positiver Weise äußerte sich auch Kyriakos, der stellvertretende Geschäftsführer eines noblen Hotel-Restaurants in der Altstadt von Rethymno über migrantische Arbeitskräfte: „They are more committed to the job“, meinte er. MigrantInnen verrichteten zwar meist Tätigkeiten im Hintergrund, würden aber zunehmend auch im Service eingesetzt, da ihre Sprachkenntnisse sich im Lauf der Zeit verbessert hätten, wobei er sich insbesondere auf AlbanerInnen bezog. Griechische Arbeitskräfte seien weniger bereit, hart zu arbeiten. Es sei zunehmend schwierig, überhaupt GriechInnen für Tätigkeiten in der Gastronomie zu finden. Jorgos, der Besitzer des Hotel-Restaurants, erklärte mir später, die griechische Regierung lasse zu viele touristische Betriebe zu und daher sei es zu einem Engpass an griechischen Arbeitskräften gekommen: „The problem is that in the last years – this is a mistake from the Greek government – many, many, many restaurants and hotels opened up, many more than we need. So the staff that works for tourism split now. It’s not easy to find a professional waiter from Greece. So you have to find something else.“
In seinem Restaurant beschäftigte Jorgos in dieser Saison sechs GriechInnen, einen Albaner und einen Ungar. Migrantische Arbeitskräfte seien längst nicht mehr billiger als griechische, da sie wüssten, dass sie gebraucht werden. Er melde alle seine Beschäftigten an und zahle für sie in die Versicherung ein. Zusätzlich verdienten die AlbanerInnen aber noch Geld mit weiteren illegalen Jobs, erklärte er. Das schwarz verdiente Geld transferierten sie dann nach Albanien. Der Staat kontrolliere nur die ArbeitgeberInnen, nicht die Beschäftigten, meinte Jorgos empört. Er griff nur sehr ungern auf AusländerInnen zurück, insbesondere mit AlbanerInnen hatte er Probleme: „Personally, I prefer anybody else than Albanians because of the mentality. I don’t have problem with Polish people or people from Romania or from Morocco or from Egypt. But with Albanians I have problem that has to do with the mentality. […] They will never change. […] The problem is that the level between us and Albania, if we want it or not, is not the same. Their level is like we used to be fifty years ago. […] Most of these Albanians out of their work and also when they work, they have no style. I mean, they do not have the level they have to have. […] But the tourist cannot understand who is Greek and who is Albanian “
Da viele AlbanerInnen fließend Griechisch sprächen, könnten nicht-griechische TouristInnen nicht erkennen, dass es sich um AusländerInnen handelt. Sie seien
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dann häufig irritiert von der schlechten Qualität des Services, weil sie das von GriechInnen nicht gewohnt seien. Auch die Managerin des von Neckermann gebuchten Hotels, in dem ich zunächst wohnte, brachte eine skeptische Haltung gegenüber der Beschäftigung von migrantischem Personal zum Ausdruck. Simela war in Rethymno geboren und aufgewachsen, hatte dann Hotelmanagement in Thessaloniki studiert. 1988 übernahm sie die Leitung des Hotels von ihren Eltern. Sie hatte in dieser Saison zehn Beschäftigte, darunter aber nur eine einzige Ausländerin, wie sie auf Nachfrage betonte, eine Albanerin, die in der Küche arbeitete. Im Jahr zuvor hatte außerdem noch eine Rumänin im Hotel gearbeitet. Nach Möglichkeit versuchte Simela jedoch, die Beschäftigung von MigrantInnen zu vermeiden, wofür sie allerdings etwas andere Gründe anführte als Jorgos: „They are cheaper, but you can’t have the same result as we are used to with Greek people. I prefer Greek people here, because you know them. They are from the same city. You can have them next year and the next year. These people, they start here, if they say, I find something better, they change, and the next year maybe they are in another place. So you can’t trust them the same as you can trust local people.“
Die Einheimischen, die Simela beschäftigte, waren teilweise gerade deswegen besonders für die Arbeit im Hotel qualifiziert, weil sie Erfahrungen als Migrantinnen in Deutschland mitbrachten. Zwei der Hotelangestellten, mit denen ich sprach, waren selbst als Arbeitsmigrantinnen in Deutschland gewesen. Gavrielas Eltern hatten ein griechisches Restaurant in Frankfurt am Main betrieben, und sie selbst hatte für die griechische Nationalbank gearbeitet. 22 Jahre hatte sie in Deutschland gelebt, ihr erwachsener Sohn wohnte noch immer dort. Gavriela war vor zehn Jahren wieder nach Kreta zurückgegangen und seither in verschiedenen Hotels in Rethymno tätig gewesen. Seit sechs oder sieben Jahren arbeitete sie nun an der Rezeption von Simelas Hotel. Ihre Deutschkenntnisse und ihre Erfahrung im Umgang mit KundInnen waren hier sehr nützlich. Auf meine Anmerkung, dass das Personal im Tourismus immer häufiger aus Albanien und anderen Ländern komme, äußerte auch Gavriela Zweifel an der Qualität des Services: „Ich glaube, alle Besitzer, die Hotels haben, die müssen [...] nicht einfach so Hotels eröffnen oder einfach Personal nehmen, die keine Erfahrung haben, keine Ahnung von Tourismus. Das macht viel aus. Wir müssen alle das Beste machen. Es ist nicht mehr wie damals. Es hat sich geändert.“
Auch Konstantina hatte fünf Jahre lang in Deutschland gelebt und gearbeitet, war aber inzwischen bereits seit zwanzig Jahren wieder auf Kreta. Sie arbeitete
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nun im dritten Jahr an der Bar von Simelas Hotel, auf eigenen Wunsch sieben Tage die Woche, um für den Winter Geld zu sparen. Auch in ihrem Fall waren Deutschkenntnisse und Auslandserfahrung sehr hilfreich im Job. Über MigrantInnen auf Kreta sagte sie: „Wir haben viele Leute von Russland, Rumänien, Bulgarien, Albanien viel. Schlimm. [...] Sind nicht alle Leute nett, weißt du. Vielleicht gibt’s auch Familien mit Kindern, die kommen und arbeiten, das ist alles okay, mit Papieren und alles. Aber wir haben auch viele Leute ohne Papiere.“
Während in Simelas Hotel also Wert auf die Beschäftigung von „Einheimischen“ gelegt wurde, war es in dem Gästehaus in der Altstadt von Rethymno, in dem ich ebenfalls einige Tage wohnte und das sich durch die Ausstattung und den englischen Sprachgebrauch einen internationalen Anstrich gab, ganz üblich, nichtgriechisches Personal zu beschäftigen. Stavroula, die Betreiberin, erzählte, wie sie jedes Jahr eine Person aus einem anderen Land rekrutierte, die ihr dann bei der Zimmerreinigung und der Bewirtung der Gäste zur Hand ging: „Ramón from Spain, Claire from England, Ela from Germany, Frederik from Sweden – every year I have someone else helping me with the rooms upstairs. Let’s say, you come and it is the beginning of the season and I need someone. The first one who comes at the beginning of the season and asks for a job can stay and work here. I mean, it’s not like hard work but helping me with the rooms, cleaning the rooms, serving breakfast etc. I give them food, you know, and we became friends with most.“
Seit fünf Jahren beschäftigte sie nun eine Albanerin und war sehr zufrieden mit ihr. Über die AlbanerInnen allgemein sagte sie anerkennend, dass sie sehr schnell im Erlernen des Griechischen und Englischen seien und dass die albanischen Kinder in der Schule sehr gute Leistungen brächten. Sie bedauerte die AlbanerInnen allerdings dafür, nicht mit dem Christentum vertraut zu sein. Der Sohn der Albanerin, die bei ihr arbeitete, war inzwischen griechisch-orthodox getauft worden, und Stavroulas Sohn hatte die Patenschaft übernommen. „We like to show Christianity to them, something that they don’t know“, meinte Stavroula. „The Greek Orthodox, they love family and make children, and we believe in one god. But they didn’t have anyone to show them in which one to believe. They only believe in their country. So they need someone to teach them.“ Wie diese Beispiele zeigen, stehen einige ArbeitgeberInnen migrantischen Arbeitskräften durchaus positiv gegenüber, während andere insbesondere in Bezug auf AlbanerInnen Zurückgebliebenheit und Unterlegenheit oder eine geringere Qualität der erbrachten Dienstleistung im Vergleich mit griechischen Arbeitskräften konstatieren. Ein Arbeitgeber ging davon aus, dass TouristInnen
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an der mangelhaften Qualität des Services von AlbanerInnen Anstoß nehmen könnten, ohne dass ihnen bewusst wäre, von einem Albaner oder einer Albanerin bedient worden zu sein. Seine Abneigung gegen die AlbanerInnen kommt unter anderem in dem Vorwurf zum Ausdruck, dass sie in Griechenland illegal verdientes Geld nach Albanien transferierten und so den griechischen Staat hintergingen. Weniger abschätzig als paternalistisch ist hingegen die Haltung einer anderen Arbeitgeberin, die es als ihre Aufgabe betrachtet, ihrer albanischen Angestellten das Christentum näher zu bringen. Wie ich bereits weiter oben dargestellt habe, sind beides Topoi des gegenwärtig zu beobachtenden Rassismus gegen AlbanerInnen in Griechenland.
4.7 Dauertouristische bzw. arbeitsmigrantische Blicke von WesteuropäerInnen auf GriechInnen und AlbanerInnen 4.7 Dauertouristische bzw. arbeitsmigrantische Blicke Der in Griechenland verbreitete Rassismus gegen AlbanerInnen wird nicht nur von GriechInnen selbst zum Ausdruck gebracht, sondern spiegelt sich auch in Aussagen von ehemaligen TouristInnen wider, die sich dauerhaft auf Kreta niedergelassen haben. Bei einem Ausflug in den Süden der Insel lernte ich eine Österreicherin kennen, die bereits vor vielen Jahren nach Kreta ausgewandert war. Sie war als Touristin auf Kreta gewesen und hatte einen Griechen kennengelernt, mit dem sie zwei inzwischen fast erwachsene Kinder bekam. Als sie uns ein Restaurant empfahl, fügte sie – ohne etwas über meine Forschung zu wissen – hinzu, dass dort inzwischen ein albanischer Kellner arbeite. Der sei aber sehr nett. „Könnte ein Grieche sein.“ Noch ablehnender gegenüber AlbanerInnen insgesamt als diese Aussage, in der der persönlich bekannte Albaner als positive Ausnahme aus der Masse hervorgehoben wird, war die Haltung von Jörg, einem Deutschen, Mitte dreißig, den ich im März 2004 in dem bereits erwähnten Gästehaus in der Altstadt von Rethymno kennenlernte, das vorwiegend von Rucksackreisenden frequentiert wurde. Wie auch in der Aussage der Österreicherin ging Jörgs Ablehnung der AlbanerInnen mit einer positiven Bewertung der GriechInnen bzw. KreterInnen einher und war gleichzeitig eine Möglichkeit, „Insider“-Wissen zur Geltung zu bringen. Jörg lebte seit einem guten halben Jahr auf Kreta. Er hatte die Dachkammer des Gästehauses dauerhaft gemietet. Gleich bei unserer ersten Begegnung auf der Dachterrasse gab sich Jörg als „Insider“ und erklärte mir und zwei anderen Gästen unaufgefordert, dass die KreterInnen ein „eigenes und stolzes Völkchen“ seien, das nichts mit Athen zu tun haben wolle. Dieser Gedanke gefiel ihm offensichtlich. Jörg war früher schon oft zum Urlaub auf Kreta gewesen, wie er erzählte, und habe immer davon geträumt, hier sesshaft zu werden. Letzten
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Sommer sei es dann endlich soweit gewesen. Mit der EU sei das ganz einfach geworden: „Man holt sich nur eine Steuernummer, und das war’s.“ Im weiteren Gespräch versuchte er, uns damit zu beeindrucken, wie gut er Kreta kannte. Er gab uns Tipps für „echt kretische“ Restaurants und lachte uns dafür aus, dass wir soviel Geld für einen Flug bezahlt hatten, wo es mit dem Schiff doch viel schöner und billiger sei. Besonders wichtig war es ihm aber, uns zu vermitteln, wie sehr er – im Gegensatz zu uns – in das griechische und insbesondere das kretische Alltagsleben integriert war. Für die Sommermonate plante Jörg, in einem Juwelierladen zu jobben. Obwohl man im Winter nur schwer Geld verdienen könne, sei ihm der Winter auf Kreta lieber als der Sommer, da dann weniger TouristInnen auf der Insel seien und man „Land und Leute“ besser kennenlernen könne. In den vergangenen Monaten habe er von den Erträgen leben können, die sein kleiner Verlag in Deutschland abwarf, erzählte Jörg. Als er letzten Winter jedoch einmal für zwei Wochen kein Geld gehabt habe, habe er die Erfahrung gemacht, dass auf Kreta niemand verhungern müsse. Der Winter sei für alle eine schwierige Zeit, da die meisten vom Tourismus lebten. Deshalb werde geteilt. Er kenne inzwischen so viele „locals“, dass er sich von Kneipe zu Kneipe durchschnorren könne. So sei er im Winter oft was trinken gegangen und habe dann eine Schale Oliven oder eine andere Kleinigkeit dazu bekommen, und sein Glas sei immer wieder aufgefüllt worden, ohne dass er dafür habe zahlen müssen. Das sei allerdings nur deswegen so gewesen, weil die Einheimischen ihn gekannt hätten. TouristInnen bekämen so etwas nie. Die müssten in den Bars und Kneipen immer mehr bezahlen als er und die „locals“. So kämen letztere trotz häufiger Kneipenbesuche bei geringem Einkommen gut über die Runden. Seine Vertrautheit mit der Lokalbevölkerung unterstrich Jörg außerdem mit einem Bericht darüber, wie er einem schwedischen Paar, das eine Wohnung suchte, weitergeholfen hatte: Nur zwei Anrufe und schon sei ganz Rethymno in dieser Sache tätig geworden. So sei das eben hier, wie in einer großen Familie. Er hatte inzwischen auch eine griechische Freundin, wobei er betonte, dass sie eine „local“ aus Rethymno sei. Und seinen Namen hatte Jörg inzwischen auch angepasst, er nannte sich jetzt Jorgos. Nach den ausführlichen Schilderungen seiner Vertrautheit und Eingebundenheit in das kretische Alltagsleben fragte ich ihn, ob er auch mit AlbanerInnen bekannt sei, von denen ja viele hier lebten. Daraufhin erklärte er mir, dass die GriechInnen die AlbanerInnen nicht mögen würden, z.B. die Kinder, die immer in den Restaurants bettelten. Die machten damit locker dreißig Euro am Tag, das seien 900,- Euro im Monat. Ein Lehrer bekomme in Griechenland nur 800,- Euro im Monat. Er hatte kein Verständnis für die Bettelei. In Griechenland könne jeder Arbeit bekommen, der wolle, meinte er. Als er meinen skeptischen Ge-
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sichtsausdruck sah, ergänzte er auf Deutsch (zuvor hatten wir wegen eines Gastes aus den USA englisch gesprochen.): Das meine er jetzt nicht rassistisch, wie das in Deutschland oft gemeint sei, hier könne wirklich jeder Arbeit bekommen. Dass er zuvor erklärt hatte, wie schwierig es für viele KreterInnen ist, über den Winter zu kommen, dass sie sich verschuldeten, um ihre Restaurants und Bars wieder für die Saison in Schuss zu bringen, und dass er selbst auf Hilfe angewiesen war, spielte in dem Zusammenhang keine Rolle.29 Eine starke Idealisierung der griechischen oder kretischen Gesellschaft und der Wunsch nach weitgehender Assimilation können offenbar dazu beitragen, sich nicht nur einen griechischen Namen zuzulegen und vermeintlich typische Verhaltensmuster zu übernehmen, sondern sich auch den örtlichen Rassismus gegen AlbanerInnen zueigen zu machen. Dieses Phänomen ist mir allerdings auch umgekehrt begegnet. So konturierten zwei Engländer, die auf Kreta arbeiteten und in der Jugendherberge in Rethymno wohnten, ihre ablehnende Haltung gegenüber GriechInnen in der Gegenüberstellung mit AlbanerInnen. Ben arbeitete seit einem Jahr in der Jugendherberge und wohnte auch dort. Er kümmerte sich um alles, was anfiel, organisierte die Buchungen, reinigte die Zimmer und sanitären Anlagen und sorgte für Ordnung in den Gemeinschaftsräumen. Da er nach der Anzahl der Gäste pro Nacht bezahlt wurde, war er immer besorgt, wenn zu wenige Gäste da waren. Ben arbeitete schwarz. Einmal alle zwei Monate nahm er für einen Tag unbezahlt frei. Während ich da war, kam das einmal vor. Ben entschloss sich allerdings, das Angebot seines Chefs anzunehmen, an diesem Tag bei Renovierungsarbeiten an dessen Privathaus behilflich zu sein. Er wolle keine Zeit verlieren, ohne Geld zu verdienen, meinte er. Er selbst und die AlbanerInnen seien die einzigen auf Kreta, die wirklich arbeiteten. Mit seinem griechischen Chef war Ben eigentlich ganz zufrieden, aber insgesamt war er von den GriechInnen genervt. Er hatte sich ein paar Brocken Griechisch angeeignet, die er immer mal wieder mit starkem englischen Akzent anbrachte. Im Winter hätten die KreterInnen auch schon mal Griechisch mit ihm gesprochen, im Sommer aber antworteten sie immer auf Englisch, wenn er sie auf Griechisch anspreche. Obwohl sie ihn inzwischen eigentlich kennen müssten, degradierten 30 sie ihn damit zum Touristen. Das ärgerte ihn. 29
Als ich einige Monate später wieder an dem Gästehaus vorbeikam, frage ich nach Jörg. Der Besitzer teilte mir mit, Jörg wohne nicht mehr hier, er habe seine Miete nicht mehr zahlen können. Er schien nicht gut auf Jörg zu sprechen. 30 Eine Argentinierin, die mit ihrem griechischen Ehemann ein kleines griechisches Restaurant in der Altstadt von Rethymno betrieb, fühlte sich hingegen im Sommer wohler auf Kreta, gerade weil man sie dann für eine Touristin hielt. Zuvor hatte sie zwei Jahre in Athen gelebt, was sie als eine schreckliche Zeit empfand. Die Leute in den Läden und auf Ämtern seien häufig sehr unfreundlich zu ihr gewesen, weil sie nicht fließend Griechisch spreche. Einmal habe sie eine Dame auf dem Amt gebeten, langsamer zu reden, worauf diese erwidert habe: „Wir sind hier in Griechenland!“ Auf Kreta sei
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Der zweite Engländer, der eine explizit ablehnende Haltung gegenüber GriechInnen zum Ausdruck brachte, war Victor. Victor war um die vierzig und seit sieben Monaten auf Kreta. In dieser Zeit hatte er mit Englischunterricht und als Erntehelfer Geld verdient. Seit drei Monaten arbeitete er nun als Strandpfleger, ein anstrengender und schlecht bezahlter Job, mit dem er sich nicht einmal ein Flugticket nach England leisten könne, wie er meinte. Kein Grieche würde diesen Job machen wollen. Victor ging von morgens um sechs Uhr bis mittags an den Strand und nach einer Mittagspause spätnachmittags dann nochmals. Seine Arbeit bestand darin, sämtliche Wege und die Dusche immer wieder von Sand zu befreien, den Sand zum Meer hin anzufeuchten, damit die TouristInnen sich nicht die Füße verbrannten, und die Liegen in Richtung Sonne auszurichten. Er bekam dafür 17,- bis 18,- Euro am Tag, bei Regenwetter nichts. Victor hatte einen albanischen Vorgesetzten, der in diesem Job seit fünf Jahren tätig war. Dieser habe inzwischen mehr Verantwortung und bekomme daher auch mehr Geld. Victor sprach mit großem Respekt von ihm. Er sei erst 23 Jahre alt, aber schon sehr verantwortungsbewusst, sowohl sich selbst als auch anderen gegenüber. Während Victor und die anderen schwarzarbeiteten, habe der junge Albaner durchgesetzt, dass der Chef ihn als ordentlichen Arbeitnehmer anmeldete und für ihn in die Versicherung einbezahlte. Auf den Chef, einen Griechen, war Victor überhaupt nicht gut zu sprechen. Er sei den ganzen Tag über am Strand und tue nichts als mit seinen Freunden Tavli zu spielen. Manchmal frage er, ob in der Jugendherberge junge Frauen wohnten, die Arbeit suchten. Victor hatte den Verdacht, dass sie für ihn anschaffen sollten. Victor hat eine Weile in Russland gelebt und dann in Shanghai. Danach wollte er wieder nach Europa. So war er auf Kreta gelandet. Nun hatte er aber genug von Kreta, obwohl er das Klima mochte. Sobald er genügend Geld für ein Flugticket zusammen hatte, wollte er zurück nach England. Vielleicht könne er in England Arbeit als Sozialarbeiter finden. Darin sei er ausgebildet, und das habe er viele Jahre lang gemacht. Er konnte sich gut vorstellen, mit Flüchtlingen zu arbeiten, da er selbst oft die Erfahrung gemacht habe, allein in einem fremden Land zu sein. Ben und Victor saßen oft nachmittags gemeinsam bei einem Bier auf der Terrasse der Jugendherberge und klagten sich ihren Frust über Kreta. Sie fanden die griechischen ArbeitgeberInnen rassistisch, nicht nur gegenüber AlbanerInnen, sondern auch gegenüber AusländerInnen aus dem Westen. Die GriechInnen hielten alle für „bescheuert“, die aus dem Westen kämen, um in Griechenland zu arbeiten, meinten sie. Beide wussten von einer Reihe von Begebenheiten zu es nun besser, weil sie hier als eine von vielen TouristInnen wahrgenommen werde, zu denen man freundlich sei, aber sie fürchte sich vor dem Winter, wenn man sie nicht mehr für eine Touristin halten würde.
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berichten, bei denen sie ihrer Meinung nach unfreundlich behandelt worden waren, weil sie keine Griechen waren. Sie waren sich darin einig, dass Griechenland eigentlich nicht Teil des zivilisierten Europa ist.31 Diese Haltung gegenüber Griechenland unterstrichen sie mit dem Verweis auf den verbreiteten Rassismus gegen AlbanerInnen, mit denen sie sich identifizierten.32 So lässt sich bei WesteuropäerInnen, die sich auf Kreta längerfristig niedergelassen haben, einerseits die Tendenz feststellen, die „griechische Lebensweise“ derart zu überhöhen, dass auch der vor Ort verbreitete Rassismus gegen AlbanerInnen übernommen wird. Andererseits gibt es aber auch WesteuropäerInnen, die aus einer Unzufriedenheit mit ihrer eigenen Position in der griechischen Gesellschaft heraus eine ablehnende Haltung gegenüber GriechInnen respektive KreterInnen entwickeln und sich stark mit den AlbanerInnen, den bevorzugten Objekten des griechischen Rassismus, identifizieren. Bei beiden Positionen geht es in der einen oder anderen Form darum, nicht als TouristIn wahrgenommen zu werden. Insofern kann unter anderem der Spracherwerb von Jörg oder Ben auch als Strategie der Mimikry (vgl. hierzu Kapitel 2) interpretiert werden, die dazu dient, nicht in eine unliebsame Kategorie eingeordnet zu werden.33 Ähnliche 31 Sylvia, eine 52jährige Engländerin, die am selben Strand arbeitete wie Victor – zum Zeitpunkt unserer Begegnung besserte sie die Sonnenschirme aus –, hatte kein Verständnis für die Tiraden von Ben und Victor. Wenn die beiden so unzufrieden seien mit den Arbeitsbedingungen in Griechenland, sollten sie doch gehen. Sylvia war stellvertretende Leiterin eines Supermarktes in Großbritannien gewesen. Als sie befördert werden sollte, kündigte sie. Die Beförderung hätte noch mehr Arbeit und Stress für das gleiche Geld bedeutet. Diese Vorstellung habe sie krank gemacht. Sie wollte bald für eine Woche nach Großbritannien zurück, um etwas zu erledigen. Dann würde sie wieder nach Kreta kommen und ihren Job am Strand zu Ende bringen, bevor sie über den Winter zurück nach Großbritannien ging, wo auch ihre beiden erwachsenen Kinder und ihre fünf Enkelkinder lebten. Dort wollte sie dann in der Bar arbeiten, in der sie früher schon einmal gejobbt habe. 32 Ohne wie Ben und Victor auf den Rassismus gegen AlbanerInnen Bezug zu nehmen, äußerte sich auch ein ungarischer Reiseleiter von „Neckermann Reisen“ negativ über Kreta als Arbeitsumfeld. Kristofs Job bestand darin, die Neckermann-KundInnen in verschiedenen Hotels in Rethymno zu betreuen, sie zu begrüßen, ihnen das Ausflugsangebot nahe zu bringen, Beschwerden entgegenzunehmen und zwischen Hotel und Gästen zu vermitteln. Diesen Job machte er schon seit einigen Jahren. Er war bereits in Spanien, Tunesien und auf Korfu als Reiseleiter gewesen. In diesem Jahr war Kristof jedoch unzufrieden mit seinem Job. Sein Arbeitgeber habe die Freiheiten, die den Job eigentlich auszeichneten, stark eingeschränkt, und die Bezahlung sei trotz Hochsaison sehr schlecht. Hinzu kam die Unzufriedenheit mit Kreta. Kristof wollte nie wieder nach Kreta wegen „der Kultur und von den Leuten her“. Er meinte, es sei „nicht so entwickelt wie normalerweise Griechenland“. 33 Bereits in Reiseberichten aus dem 19. Jahrhundert erzählen westeuropäische Reisende von Versuchen des „going native“ in Mittelmeerländern durch weitest mögliche Imitation dessen, was sie für die Lebensweise der Einheimischen halten. Gérard de Nerval berichtet in seinem „Voyage en Orient“ beispielsweise nicht nur von der Mimikry eines französischen Reisenden an das Leben in Kairo, sondern auch von zahlreichen Begegnungen mit Menschen vor Ort, die orientalistischen Erwartungen entsprechend in andere Rollen schlüpfen, wie Frank Estelmann (2006, 258) schreibt: „Die verschleierten Araberinnen, die eine verheißungsvolle aventure versprechen, entpuppen sich als betagte Fran-
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Strategien verfolgen auch MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern, deren Aufenthalt in Griechenland durch die rechtlichen Rahmenbedingungen erschwert wird. In ihrem Fall geht es häufig nicht nur um ein Spiel mit Identitäten oder um einen Versuch der kulturellen Anpassung, sondern um einen überlebensnotwendigen Umgang mit den offiziellen Kategorien des europäischen Mobilitätsregimes.
4.8 Migrantische DienstleisterInnen und ihre Erfahrungen im Umgang mit dem europäischen Mobilitätsregime, dem alltäglichen Rassismus in Griechenland und den touristischen Blicken 4.8 Migrantische DienstleisterInnen und ihre Erfahrungen Sie bewegen sich zu Fuß, mit dem Schiff, dem Zug, dem Auto oder dem Flugzeug über die inneren und äußeren Grenzen Europas, je nachdem welche Transportweise sie sich rechtlich und finanziell gerade leisten können. Die chronologische Ordnung der Mobilitätssysteme vom einfachen langsamen Gehen bis zum komplexen schnellen Fliegen, wie sie Virilio (1999) oder Urry (2007) vorschlagen (vgl. Kapitel 1), wird von ihren Praktiken durchkreuzt. Sie nutzen kleine Waldwege ebenso wie internationale Flughäfen, sind heute als VagabundInnen unterwegs und morgen als TouristInnen. Im Umgang mit dem europäischen Mobilitätsregime greifen sie mal auf das eine und mal auf das andere Mobilitätssystem zurück. Die jeweils optimale Fortbewegungsart wird von einem PreisLeistungsverhältnis bestimmt, das sich einer objektiven Berechnung und Systematisierung immer wieder entzieht. Die Rede ist von jenen MigrantInnen, denen keine oder nur wenige legale Aufenthalts- und Mobilitätsmöglichkeiten innerhalb Europas und über die EU-europäischen Außengrenzen hinweg zur Verfügung stehen. Einige von ihnen arbeiten im Tourismussektor auf Kreta, wo ganz unterschiedliche Personengruppen mit ihren jeweiligen Mobilitätsmöglichkeiten und -beschränkungen aufeinander treffen. Manche begreifen den Tourismus als Chance, den eigenen migrantischen Hintergrund zu verbergen. Sie machen sich gewissermaßen unsichtbar, um sich gegen rassistische Anfeindungen zu schützen und den touristischen Imaginationen von griechischer Kultur zu entsprechen. Ihre transnationalen Kompetenzen und Praktiken ermöglichen es ihnen, sich der Zurichtung durch touristische und andere Blicke des europäischen Grenzregimes zu entziehen. Es wird deutlich, dass „die touristische Bildproduktion nicht nur maßgeblich dazu beitragen [kann], tradierte kulturelle Hierarchien und Abhängigkeiten durch die Konstruktion des Anderen in postkolonialen Machtverhältzösinnen. Die lasziven Tänzerinnen eines Kairoer Cafés stellen sich als männlichen Geschlechts heraus. Die Rekurrenz solcher lazzi, die die Erwartung des Reisenden ein ums andere Mal ins Unrecht setzen, ist beinahe unbegrenzt.“
4.8 Migrantische DienstleisterInnen und ihre Erfahrungen
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nissen fortzuschreiben“, sondern auch als „Werkzeug des Widerstands“ angeeignet werden kann (Spillmann/Zinganel 2004, 7). Das gilt auch für die Kategorien des europäischen Mobilitätsregimes, die MigrantInnen immer wieder Kreativität abverlangen. Im Folgenden möchte ich zunächst die Migrationsgeschichte von Alban etwas ausführlicher darstellen. Sie verdeutlicht beispielhaft, welche Auswirkungen die eingangs geschilderte griechische Migrationspolitik seit Anfang der 1990er Jahre konkret haben kann. Aufgrund von Alter, Geschlecht und Nationalität entspricht Alban zudem dem Stereotyp des bedrohlichen Ausländers, der zur Leitfigur des rassistischen Diskurses in Griechenland geworden ist. Vieles von dem, was Alban erzählte, wurde auch von anderen MigrantInnen in Interviews angesprochen. Auszüge aus diesen Interviews werden anschließend unter den Rubriken Rassismuserfahrung, Strategien und Zukunftspläne thematisiert. In allen Abschnitten wird es dabei auch um die Besonderheiten gehen, die den touristischen Raum auszeichnen, in dem sich die von mir befragten MigrantInnen bewegten, und es werden transnationale Praktiken und Imaginationen herausgearbeitet. Alban arbeitete als Kellner in einer griechischen Taverne in der Nähe des alten Hafens von Rethymno und wohnte mit seiner Freundin in einer der Wohnungen von Markos, dessen Geschichte ich weiter oben bereits kurz geschildert habe. Anfang der 1990er Jahre war Alban von Albanien aus nach Athen gekommen, zu Fuß über die Berge. Das sei eine schreckliche, ökonomisch sehr schwierige Zeit in Albanien gewesen, erklärte er. Unter jungen Männern sei es damals Mode gewesen, ins Ausland zu gehen. Alle hätten das Land verlassen. Das sei schließlich fünfzig Jahre lang nicht möglich gewesen. Bei seinem ersten Migrationsversuch war Alban 18 Jahre alt und gerade dabei, die Schule abzuschließen. „I had good marks in school but our economic situation was bad. We were three children in our family with my brother and my sister, and my father was afraid because he used to work for the communist system. […] We are from a village far away in the mountains. […] The area where we lived was at the border between Greece and Albania. I decided to go to Greece together with two friends. My family didn’t know about it.“
Er habe gedacht, dass in Griechenland alles besser sei und dass dort ein leichteres und schöneres Leben auf ihn warte. So lief er mit seinen beiden Freunden zu Fuß über die Berge in Richtung griechischer Grenze. Sie hatten allerdings Pech: Das griechische Militär griff sie auf und schickte sie ein paar Tage später zurück. Weil er so jung gewesen sei, sei man freundlich mit ihm umgegangen. Seinen beiden Freunden gegenüber, die bereits Mitte zwanzig waren, seien die Militärs hingegen sehr aggressiv begegnet.
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Seinen zweiten Migrationsversuch unternahm Alban zusammen mit seinem älteren Bruder und einem Bekannten, wieder zu Fuß über die Berge. Sie hätten Angst gehabt vor allen, vor albanischen Kriminellen ebenso wie vor der griechischen Polizei. Unterwegs seien weitere Albaner zu ihnen gestoßen, mit denen sie dann gemeinsam nach Griechenland gelangten. Sein Bruder und er hatten etwas Geld dabei, womit sie sich ein Ticket für den Nachtzug nach Athen kauften. Sie hatten Glück, niemand kontrollierte sie, und so kamen sie am nächsten Morgen in Athen an. Die Stadt sei ein Schock für sie gewesen, die außer ihrem Dorf in Albanien noch nicht viel von der Welt gesehen hatten, erzählte Alban. Die beiden Brüder hatten die Adresse eines Albaners aus ihrem Herkunftsort dabei, der in der Nähe von Athen lebte, und machten sich auf den Weg dorthin. Es sei nicht einfach gewesen, ihn zu finden, zumal viele AlbanerInnen ihre Namen geändert hätten. Sie fragten mehrere Leute, aber niemand kannte ihn. Eine Albanerin, die an einem Kiosk arbeitete, gab ihnen ein wenig Geld und zwei Zigaretten und wünschte ihnen Glück bei der Suche. Als sie ihn schließlich fanden, mussten sie enttäuscht feststellen, dass er ihnen nicht helfen konnte. Da er gerade selbst keinen Job habe, könne er nichts für sie tun. Er gab er ihnen etwas Geld, und die beiden waren wieder auf sich gestellt. Tief enttäuscht suchten sie sich im Freien einen Platz zum Schlafen. Albans Schmerzen im Bein, die er sich aufgrund von schlechtem Schuhwerk bei der Überquerung der Grenze zugezogen hatte, verschlimmerten sich. Als sie überlegten, ob sie wieder zurück nach Albanien gehen sollten, kamen Leute aus einem Haus in der Nähe zu ihnen und brachten ihnen Obst. Es waren ArvanitInnen, Angehörige einer albanischstämmigen Bevölkerungsgruppe, die schon lange in Griechenland ansässig war. Als sie Albans Bein sahen, beschlossen sie, ihn bei sich aufzunehmen, bis die Verletzung geheilt war. Seinem Bruder gaben sie Geld, und er beschloss, damit zurück nach Albanien zu fahren. Das sei ein schwieriger Moment gewesen, weil sie sich trennen mussten. Aber sein Bruder wusste Alban bei der Familie gut aufgehoben und ließ ihn beruhigt zurück. Nachdem Albans Bein einen Monat später geheilt war, brachte die arvanitische Familie ihn zum Busbahnhof und schickte ihn zurück nach Albanien. Er solle erst seine Ausbildung in Albanien abschließen und dann wieder nach Griechenland kommen. Sie würden ihm dann wieder helfen. Die Rückkehr nach Albanien sei schrecklich gewesen. Alban habe sich wie ein Versager gefühlt, weil er mit leeren Händen kam. Seine Eltern seien sehr enttäuscht gewesen. Sein Bruder hatte ihnen gesagt, dass sie sich keinen Sorgen machen sollten, Alban gehe es gut. Daraufhin hatten sie gehofft, dass Alban in Griechenland viel Geld verdienen und ihnen eine Wohnung in der Stadt kaufen würde, denn das Dorfleben sei sehr hart für sie gewesen. Als Alban dann nach weniger als einem Monat wieder vor der Tür stand, hätten sich seine Eltern ihm
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gegenüber plötzlich anders verhalten als früher. Sie hätten ihn immer noch geliebt, aber da sie nicht gewusst hätten, wie es in Griechenland wirklich war, hätten sie gedacht, Alban sei kein guter Junge, wolle nicht arbeiten und sei faul. Eigentlich habe er nie wieder nach Griechenland gehen wollen, aber nachdem er die Enttäuschung seiner Eltern gespürt habe, habe er bald beschlossen, es noch einmal zu probieren. Ein bis zwei Monate später machte er sich mit seinem Cousin zusammen erneut auf den Weg. Wieder schafften sie es bis nach Athen, wo sie getrennte Wege gingen. Zwei Monate lang war Alban allein. Die ersten Tage seien fürchterlich gewesen. Er lebte im Freien und schlief auf Parkbänken. Oft wurde er aufgescheucht und musste sich einen anderen Platz suchen. Morgens ging er in Bäckereien und bettelte um Essen. Manche gaben ihm etwas, andere schickten ihn weg. Wenn er jemanden um eine Zigarette bat, wurde er meist schroff zurückgewiesen. Es sei wieder eine neue Erfahrung gewesen, man gewöhne sich auch daran, meinte er. Schließlich fand er kleinere Jobs und schlug sich damit eine Weile durch. Dann habe jemand zu ihm gesagt: „Geh weg von Athen. Athen ist nur etwas für Diebe.“ So ging er nach Piräus und kaufte sich ein Schiffsticket. Wohin genau das Schiff fuhr, war ihm egal. Alban hatte Angst, man könnte bemerken, dass er Albaner ist, und sein Ticket zerreißen. Deshalb mischte er sich unter eine Gruppe von TouristInnen und gelangte so unbemerkt auf ein Schiff nach Kreta. Er kannte zwar niemanden auf der Insel, aber wie in allen griechischen Städten gebe es auch hier Plätze, wo MigrantInnen stehen und auf Arbeit warten. Dort ging er hin und fragte nach jemandem aus seiner Gegend. Leute aus der gleichen Gegend würden sich immer gegenseitig helfen, weil sie ähnliche Erfahrungen gemacht hätten, erklärte er. Die anderen seien sehr hilfsbereit gewesen, und schon bald habe er einen Albaner gefunden, der sich seiner annahm. Das habe ihn optimistisch gemacht. Das Leben auf Kreta sei dann auch tatsächlich viel besser gewesen als in Athen; er habe genug zu essen gehabt und Leute, mit denen er reden konnte. Schon bald habe er auch einen Job auf dem Bau gefunden, sich ein Zimmer gemietet und begonnen, Griechisch zu lernen. Über einen Radiosender in Iraklio, der die Namen und die Aufenthaltsorte von albanischen MigrantInnen nach Albanien übermittelte, hatte Alban seiner Familie ein Lebenszeichen geschickt. Ein Bekannter der Familie hatte die Sendung im Radio gehört und seinen Eltern mitgeteilt, dass Alban wohlauf war. Direkten Kontakt zu seiner Familie hatte Alban aber nicht. Heute sei das einfacher, heute hätten alle Telefon. Nach sieben Monaten hatte Alban Sehnsucht nach seiner Familie und wollte nicht länger in der Illegalität leben. Auch wenn einiges auf Kreta besser geworden sei als in Athen, ein Leben ohne Papiere war ihm auf Dauer zu schwierig und anstrengend. So ging er zurück nach Albanien.
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4 Kreta „I had exactly 157.000 drachma and I thought, this is very good money. But when I came home, my parents where disappointed again. […] There is some immigrant standard. If you are a good guy and you work, you have to bring 300.000 drachma after three months. […] So my parents thought, I am lazy and I don’t work, you know.“
Also machte Alban sich bald darauf erneut nach Griechenland auf. Diesmal besorgte er sich über das griechische Konsulat ein Visum für ein Jahr. Es sei nicht leicht gewesen, 1994 ein Visum zu bekommen, aber er habe Glück gehabt. Wieder ging er nach Kreta. Diesmal habe er mehr Erfahrung gehabt und gewusst, wie man Geld verdienen kann. Der Gedanke an seine enttäuschten Eltern habe ihn dazu gebracht, hart zu arbeiten und für sich selbst so wenig Geld wie möglich auszugeben. Nach einigen Jahren habe er 20.000,- Euro zusammengehabt und seinen Eltern eine Wohnung in der Stadt kaufen können: „I bought a house with very new things, you know, a very new apartment with all the comfort, in the city, not in the village, and I said: ‘Father, mother, this is yours.’“ Inzwischen arbeitete Alban seit vielen Jahren auf Kreta und fühlte sich hier heimisch: „I am the same as Greeks, you know. I speak very good Greek now, very good.“ Nach anfänglichen Jobs auf dem Bau, hatte er sich überlegt, dass es besser sei, als Hilfskellner zu arbeiten, auch wenn man dabei weniger Geld verdiene, denn im Restaurant bekomme man auch Essen. Außerdem seien die Jobs nicht so stark zeitlich befristet wie auf dem Bau, und man müsse sich nicht ständig um etwas Neues kümmern. Im Restaurant konnte man sieben Monate am Stück arbeiten. Also ging er von Restaurant zu Restaurant und fand schließlich Arbeit in einer Taverne. Die Anfangszeit als Hilfskellner sei nicht einfach gewesen, erzählte Alban. Er habe eine schwedische Kollegin gehabt, die ihn schikanierte. Beispielsweise habe er einmal bis nachts um drei Besteck poliert. Da sie der Meinung war, es glänze nicht genug, habe er es nochmals polieren müssen. Er habe nie widersprochen, weil er seinen Job nicht verlieren wollte. Inzwischen habe er sich zum ersten Kellner hochgearbeitet und habe nun selbst Hilfskellner, die er aber besser behandle als seine schwedische Kollegin ihn damals. Griechisch sprach Alban in der Anfangszeit als Kellner nur wenig, konnte es aber schon gut verstehen. Problematischer war es mit seinem Englisch. Am Anfang hatte er jedoch ohnehin keinen Kontakt zu den Gästen. Er war dafür zuständig, die Tische abzuräumen und das Geschirr zu spülen, sieben Tage die Woche täglich zehn bis zwölf Stunden. Als die Taverne ein Jahr später von jemand anderem übernommen wurde, wurde auch Alban übernommen. Albans neuer Chef kam aus den Vereinigten Staaten, hatte 24 Jahre als griechischer Immigrant dort gelebt, 15 davon ohne Papiere, wie Alban erzählte. Er habe also sehr gut Bescheid gewusst. Nationale Zugehörigkeit sei ihm egal gewesen. Al-
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ban sei wie ein Familienmitglied behandelt und schließlich zum ersten Kellner befördert worden. Als solcher arbeitete er auch zum Zeitpunkt unseres Gesprächs noch im selben Restaurant. Seine momentane Aufenthaltsgenehmigung war für zwei Jahren gültig und seine Tätigkeit im Restaurant offiziell angemeldet; das heißt, es wurde für ihn in die Versicherung einbezahlt, so dass er über die Wintermonate von Arbeitslosengeld leben konnte. Sein Arbeitsverhältnis unterschied sich damit nicht von dem eines Griechen, wie er betonte. Die AlbanerInnen wüssten inzwischen, wie das System funktioniert, und seien daher keine billigeren Arbeitskräfte mehr. Inzwischen sprach Alban fließend Griechisch und kam auch auf Englisch gut zurecht. Die meisten Gäste hielten ihn für einen Griechen. „They don’t understand anything. When I am talking with the people, they think, I am from here. […] Some people even think, I am the boss, because I am there every day, since I work for seven months without a day off.“ Manche seien irritiert, weil er so höflich sei. Das seien sie von GriechInnen nicht gewöhnt. Nicht immer gebe er sich aber als Albaner zu erkennen, wenn er nach seiner Herkunft gefragt werde. Manchmal sage er einfach, er sei Grieche. Das sei Teil des Business. Wenn das Restaurant voll sei und Gäste fragten ihn, wo er herkomme, sei es nicht so gut fürs Geschäft zu sagen, dass er Albaner ist. Manche reagierten dann irritiert. Wenn er hingegen sage, er komme aus Griechenland, vertrauten sie ihm eher. Nicht-griechischen TouristInnen sei es meist gleichgültig, woher er komme, manche wollten sich aber über Rethymno unterhalten und darüber, wie schön es hier sei, und wenn er dann antworte, er sei Albaner, seien sie enttäuscht. Deswegen gebe er sich auch ihnen gegenüber manchmal als Grieche aus. Früher, als er noch häufig mit allein reisenden Frauen ausgegangen sei, habe er auch manchmal behauptet, er sei halb Grieche und halb Italiener, weil er auch ein bisschen italienisch spreche. Damit sei er bei Nordeuropäerinnen sehr gut angekommen. Dass er Albaner ist, habe er den Frauen nur manchmal gesagt und dann auch erst, wenn es vorbei war, da sie sonst ängstlicher gewesen wären, vermutete er. Alban betonte, dass es in seinem Job als Kellner sehr auf das Aussehen ankomme: „Albanians look the same as Greeks, so it’s easy to find work.“ Für MigrantInnen, die sich optisch stärker von GriechInnen unterschieden, sei es hingegen schwierig, einen solchen Job zu bekommen. Inzwischen kämen viele MigrantInnen aus Pakistan oder arabischen Ländern, während die albanischen MigrantInnen überlegten, zurück nach Albanien zu gehen. Die griechischen Medien, die die Einwanderung der AlbanerInnen in den 1990er Jahren skandalisiert hätten, skandalisierten nun deren Rückkehrbestrebungen. „Ten years ago we were hungry and now all the Greek papers say: The money is in Albanian hands.“ Über den Entscheidungsprozess der AlbanerInnen sagte er:
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4 Kreta „Ten years ago we were saying: How can we get to Greece? Now we ask ourselves, how we can get back to Albania. Many Albanian people now are talking like that: Shall we go back? Shall we buy an apartment in Albania? Maybe you never go back, but all the people who used to dream about leaving Albania, now dream about going back.“
Alban lebte seit einigen Jahren mit einer Albanerin zusammen, die in Rethymno Politikwissenschaft studierte. Die beiden überlegten, nach Abschluss ihres Studiums im nächsten Jahr ebenfalls aus Griechenland wegzugehen. Wohin, wussten sie aber noch nicht, vielleicht nach Albanien, vielleicht aber auch nach Frankreich. In verschiedenen Interviews wurden mir ähnliche Geschichten von gefährlichen Grenzüberquerungen, massiven Schwierigkeiten in der Anfangszeit und späterer erfolgreicher Überwindung dieser Schwierigkeiten erzählt, insbesondere von albanischen Männern. Alle von mir interviewten MigrantInnen aus NichtEU-Ländern haben dabei auf verschiedenen Ebenen Erfahrung mit rassistischer Diskriminierung gemacht, auf die ich im Folgenden näher eingehen möchte. Ich möchte dabei unterscheiden zwischen Erfahrungen mit Behörden, ArbeitgeberInnen, griechischen Gästen und ausländischen TouristInnen, wobei es mir darum geht, Rassismus weder als individuelle Entgleisung darzustellen noch als spezifisches Problem der griechischen Gesellschaft. Gerade durch die Einbeziehung von Personengruppen wie ausländischen TouristInnen kann vielmehr zum Ausdruck gebracht werden, dass Rassismus in einem europäischen Einwanderungsland nicht nur in der Relation zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten im nationalen Rahmen entsteht, sondern ein transnationales Phänomen mit verschiedenen Bezugsgrößen ist. Erfahrungen mit Behörden Bei rassistischer Diskriminierung auf Behörden ist zu unterscheiden zwischen strukturellem Rassismus und konkretem rassistischem Verhalten. Strukturell werden MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern unter anderem dadurch ausgegrenzt, dass ihr dauerhafter legaler Aufenthalt in Griechenland und anderen Ländern der EU erschwert oder verhindert wird. Es sind nur wenige legale Einreiseund Arbeitsmöglichkeiten in EU-Ländern für sie vorgesehen. Und selbst wenn es sie gibt, sind die Bedingungen oft problematisch. Viele MigrantInnen auf Kreta klagten beispielsweise über die hohen Kosten für eine Aufenthaltsgenehmigung und die lange Wartezeit, bis sie endlich ausgestellt wird. Meist war sie dann schon wieder abgelaufen und musste neu beantragt werden (siehe dazu ausführlicher 4.3). Da kurzfristige Aufenthaltsgenehmigungen zwar teuer, aber immer noch billiger und leichter zu bekommen waren als langfristige, begnügten sich
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die meisten MigrantInnen damit. Diese Bedingungen führten dazu, dass sie ständig mit griechischen Behörden zu tun hatten, um sich nach ihrer Aufenthaltsgenehmigung zu erkundigen oder sie zu verlängern. Aber auch aus anderen Gründen hatten die befragten MigrantInnen mit Ämtern und Staatsbediensteten zu tun. Fast alle konnten von diskriminierenden Erlebnissen mit BehördenvertreterInnen berichten, die von Unfreundlichkeit bis zu körperlicher Gewalt reichten. Azem, ein albanischer Migrant, der 1991 erstmals nach Griechenland kam, erzählte beispielsweise, wie er 1994 von der griechischen Polizei aufgegriffen wurde. Es war die Zeit, als Griechenland viele AlbanerInnen ohne rechtliche Anhörung auswies und teilweise brutal gegen sie vorging. Auch Azem wurde ausgewiesen und erfuhr dabei körperliche Gewalt durch griechische PolizistInnen. Eigentlich wollte er danach nach Italien auswandern, was jedoch nicht klappte, so dass er einige Monate später erneut illegal nach Griechenland einreiste. Wieder wurde er nach Albanien zurückgeschickt und wieder wurde er körperlich misshandelt. Diesmal ging er noch am Tag seiner Ausweisung über die Grenze nach Griechenland zurück. Er gelangte auf ein Schiff nach Kreta, wo er bis zur Legalisierungskampagne von 1997 in der Angst lebte, abermals entdeckt und abgeschoben zu werden. „I didn’t even go out for a drink, I stayed in the house. I only went to my job, but I controlled the street every time I left, like illegal.“ Inzwischen hatte Azem seinen Aufenthalt in Griechenland legalisieren können. Ich lernte ihn 2004 im Griechischkurs im Steki kennen. Zu diesem Zeitpunkt übte er neben einer legalen handwerklichen Tätigkeit noch einen illegalen Job als Nachtportier in einem Hotel am Rande von Rethymno aus. Adil und Latif, zwei senegalesische Straßenhändler, hatten seitens der Polizei noch keine körperliche Gewalt erfahren, wussten aber von diversen Begegnungen mit PolizistInnen zu berichten, die unterschiedlich auf ihre illegalen Straßenstände reagierten, an denen sie afrikanisches Kunsthandwerk verkauften. Unter anderem aufgrund dieser unterschiedlichen Vorgehensweisen pendelten Adil und Latif zwischen verschiedenen Tourismusregionen in Spanien, Italien und Griechenland. In Italien war ihre Ware in jüngerer Zeit des Öfteren von der Polizei konfisziert worden. Das konnten sie sich auf Dauer nicht leisten. Deshalb waren sie nach Griechenland gegangen. Hier waren sie bislang von der Polizei nur verscheucht worden, hatten aber ihre Ware behalten dürfen. Sie bauten ihren Stand dann einfach in einiger Entfernung wieder auf. Renatas Probleme mit Behörden entstanden zum einen aus den beschränkten legalen Mobilitätsmöglichkeiten einer Serbin in der EU34 und zum anderen aus der Arbeitsweise der griechischen Behörden. 1993 war Renata zum ersten Mal nach Griechenland gekommen und hatte als Altenpflegerin, Kellnerin und 34 Erst seit Dezember 2009 dürfen SerbInnen, MazedonierInnen und MontenegrinerInnen für maximal neunzig Tage ohne Visum in die EU einreisen.
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Erntehelferin gearbeitet. Nachdem sie zwei Jahre später ausgewiesen wurde, kam sie Ende der 1990er Jahre erneut nach Griechenland und schlug sich seither mit verschiedenen Jobs durch. Im Sommer 2004 arbeitete sie in der Küche eines der zahlreichen Cafés an der touristischen Strandpromenade Rethymnos. Im Winter, wenn nur wenige TouristInnen auf der Insel waren und es kaum Arbeitsmöglichkeiten gab, wurde Renata selbst zur Touristin. In den letzten Jahren reiste sie immer wieder für einige Monate mit einem TouristInnenvisum nach Deutschland und arbeitete im Rhein-Main-Gebiet als Putzfrau oder Küchenhilfe, unter anderem in einer der griechischen Tavernen, in der deutsche GriechenlandurlauberInnen ihre Urlaubserinnerungen aufwärmen. Als wir uns im September 2004 trafen, wartete sie darauf, endlich von den griechischen Behörden ihre Aufenthaltsgenehmigung verlängert zu bekommen, damit sie erneut nach Deutschland gehen und nach langer Zeit auch mal wieder Mutter und Bruder in Serbien besuchen konnte. „Griechenland ist wie ein Gefängnis für mich“, erklärte sie. „Ich muss auf Papiere warten, vorher kann ich nicht raus.“35 Alban, dessen Geschichte ich weiter oben wiedergegeben habe, erzählte mir wütend von einem Erlebnis auf dem Amt, das er hatte, als er wegen seines Arbeitslosengeldes für die Wintermonate dort war. Vor ihm sei ein Deutscher an der Reihe gewesen, der ziemlich ungepflegt ausgesehen habe – wie ein Immigrant. Die Frau auf dem Amt habe ihn gefragt, wo er herkomme, und als er gesagt habe, er sei Deutscher, sei sie ausgesucht freundlich zu ihm gewesen. Als Alban an der Reihe gewesen sei, und sie gesehen habe, dass er Albaner ist, habe sie ihr Verhalten komplett geändert. Sie sei sehr unfreundlich und unhöflich geworden. Dabei spreche er fließend Griechisch und ziehe sich ordentlich an. Einmal mehr konnte Alban beobachten, wie Menschen in Griechenland ihr Verhalten ändern, wenn sie feststellen, dass er Albaner ist. Albans Ärger, Azems Angst, die Sorgen von Rada und die Ausweichmanöver von Adil und Latif zeugen teilweise von konkretem Fehlverhalten einzelner Staatsbediensteter. Gleichzeitig sind sie jedoch auch Ausdruck von institutionell verankertem Rassismus, der für diese Menschen nur begrenzte Aufenthalts- und Arbeitsmöglichkeiten in der EU vorsieht. Es geht hier also nicht um unglückliche Einzelfälle, sondern um paradigmatische Manifestationen der EU-Grenzpolitik und der Migrationspolitik Griechenlands.
35 Wie weiter oben ausgeführt, bekommen viele MigrantInnen in Griechenland ihre offiziellen Aufenthaltspapiere erst dann, wenn sie bereits wieder abgelaufen sind. Zur Überbrückung wird ihnen ein Zertifikat ausgestellt, mit dem sie jedoch nicht ins Ausland reisen dürfen. (Vgl. Parsanoglou/Tsiamoglou 2008, 98f.)
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Erfahrungen mit ArbeitgeberInnen Einige der befragten ArbeitsmigrantInnen waren zufrieden mit ihren ArbeitgeberInnen, so beispielsweise Alban, dessen Chef selbst lange Zeit illegal in den USA gearbeitet hatte. Fast alle hatten jedoch auch schlechte Erfahrungen gemacht. Weiter oben wurden bereits rassistische Einstellungen und Praktiken griechischer ArbeitgeberInnen wiedergegeben, die sich vor allem gegen AlbanerInnen richteten. Mehrmals wurde insbesondere in Bezug auf AlbanerInnen an der Qualität der Arbeit von MigrantInnen gezweifelt. Zudem kam es vor, dass die AlbanerInnen im Vergleich zu den GriechInnen als zurückgeblieben dargestellt wurden, was mit einer herablassenden und feindseligen Haltung einhergehen konnte, aber auch mit missionarischen Bestrebungen. Manche ArbeitgeberInnen setzten MigrantInnen nicht in Bereichen ein, wo sie direkten KundInnenkontakt haben, weil sie fürchteten, damit Gäste zu verschrecken.36 Andere gaben zu, keine Sozialversicherungsabgaben für ihre migrantischen Bediensteten zu entrichten. Einige MigrantInnen berichteten, dass ihnen von ArbeitgeberInnen auch schon mal der komplette Lohn verweigert worden war. Dardan, ein 28jähriger Albaner, der seit 2000 in Norwegen lebte und im Sommer immer zum Arbeiten nach Kreta kam, erzählte beispielsweise von seinem ersten Arbeitsverhältnis auf Kreta im Sommer 1996. Damals hatte er für einen griechischen Wassersportanbieter gearbeitet, der ihm am Ende des Sommers den Lohn verweigerte. Erst zwei Jahre später und nur auf Druck eines griechischen Bekannten bekam Dardan sein Geld. Auch Rinor, der 1997 aus Albanien nach Kreta kam und nach verschiedenen anderen Jobs nun in einem Restaurant in der Altstadt von Rethymno arbeitete, erzählte, dass ihm bei seinem ersten Job in Griechenland ein Teil seines Lohns verweigert wurde. Sein Boss behauptete, er habe schlecht gearbeitet, und bezahlte ihn statt für sechs Monate nur für drei. Rinor konnte nichts dagegen unternehmen, weil er illegal in Griechenland war. Ähnliches wusste auch Danail, ein junger Bulgare, zu berichten, der im Winter auf dem Bau und im Sommer im Tourismus auf Kreta arbeitete. Azem, von dem bereits im vorigen Abschnitt die Rede war, hatte in dem Hotel, in dem er illegal als Nachtportier arbeitete, zwar keine Probleme mit der Bezahlung, doch sein Chef untersagte ihm, mit einer Kollegin albanisch zu reden, was sich Azem jedoch nicht gefallen ließ. Und Renatas Tätigkeit in einem Café in Rethymno war zwar offiziell, und ihr Arbeitgeber zahlte Sozialversiche36 Diese Erfahrung ist keinesfalls auf Griechenland oder auf touristische Regionen beschränkt. So erzählt beispielsweise ein westafrikanischer Asylbewerber, der in einer bayrischen Wirtsstube in der Münchner Innenstadt als Küchengehilfe arbeitet, dass er bei Veranstaltungen der CSU den Gastraum nicht betreten darf. Sein Chef wolle nicht, dass die Gäste von der CSU mitbekommen, dass er Afrikaner beschäftigt. (Vgl. Mayer/Weinzierl 2007, 28)
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rungsabgaben für sie, doch gleichzeitig schrie er Renata und ihre bulgarische Kollegin häufig an, worunter Renata sehr litt. Rassistische Diskriminierung durch ArbeitgeberInnen kann also ebenso in der Verweigerung des Lohns zum Ausdruck kommen wie in der Weigerung, migrantische Beschäftigte offiziell anzumelden und für sie Sozialversicherungsabgaben zu entrichten, wobei häufig die schwierige rechtliche Situation der ArbeitsmigrantInnen ausgenutzt wird. Aber auch in Umgangsformen, die MigrantInnen herabsetzen und benachteiligen, äußert sich Rassismus. Häufig hat die Ungleichbehandlung mit den vermeintlichen Erfordernissen eines touristischen Betriebes und den antizipierten Erwartungen der Gäste zu tun. Erfahrungen mit griechischen Gästen Dardan, von dem bereits im vorangegangenen Abschnitt die Rede war, sagte, er habe manchmal den Eindruck, dass TouristInnen, die an den Strand kommen, von ihren ReiseleiterInnen oder an der Hotelrezeption vor AlbanerInnen gewarnt wurden. Sie reagierten manchmal sehr distanziert, wenn sie erfuhren, dass er Albaner ist. Griechische TouristInnen hätten sich sogar schon geweigert, an ihn, einen Albaner, die Strandgebühr zu entrichten. Sie seien schließlich GriechInnen an einem griechischen Strand und ließen sich von einem Albaner nichts sagen. Das könne er natürlich nicht durchgehen lassen. Glücklicherweise habe er aber ohnehin nur wenig mit griechischen TouristInnen zu tun. Einige albanische DienstleisterInnen in touristischen Betrieben haben die Erfahrung gemacht, dass Gäste irritiert reagieren, wenn sie erfahren, dass sie es mit AlbanerInnen zu tun haben. Die meisten MigrantInnen unterschieden dabei aber zwischen griechischen und anderen Gästen und betonten, dass es ausländischen TouristInnen meist egal sei, woher das Personal komme, während GriechInnen häufig ablehnend darauf reagierten, von AlbanerInnen bedient zu werden. So meinte beispielsweise Elira, eine albanische Studentin, die im alten Hafen von Rethymno kellnerte und mit Alban, dem albanischen Kellner zusammen lebte, dessen Migrationsgeschichte ich weiter oben geschildert habe: „When I work with Greek people, I don’t feel very good. They ask, where are you from. […] They are friendly, but they have a small problem with Albanians. […] With tourist people from England or USA it’s very nice. I love to work with tourist people. I don’t know what they are thinking in that moment but they are very, very gentle, all of them.“
In ähnlicher Weise äußerte sich auch Lindita, eine Albanerin, die ebenfalls als Kellnerin in Rethymno arbeitete, über griechische Gäste: „They don’t like to have foreign waiters, they prefer to have Greeks. I feel better to work with [for-
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eign (R.L.)] tourists because they are more open-minded, they don’t care, if you are Greek or if you are foreign.“ Lindita war 1994 ihren Brüdern nach Kreta gefolgt, gemeinsam mit Ehemann und Tochter. Inzwischen war sie geschieden und versuchte, sich und ihre Tochter mit Kellnern über Wasser zu halten. Was nach dem Ende der Saison sein würde, wusste sie noch nicht. Im Winter sei es immer besonders schwierig, Arbeit zu finden. Lindita machte einen sehr erschöpften und niedergeschlagenen Eindruck. Zusätzlich zu ihren ökonomischen Problemen machte ihr die Angst vor Abschiebung zu schaffen, und auch die rassistischen Erfahrungen, die sie immer wieder machte, belasteten sie. Einmal sei eine Familie aus Nordgriechenland im Restaurant gewesen, und sie habe die kleine Tochter auf Griechisch gefragt: „Na, wie gefällt’s dir auf Kreta? Magst du die KreterInnen?“ Darauf hätten die Eltern geantwortet: „Die KreterInnen schon, aber nicht die vielen AlbanerInnen hier.“ Als Lindita sich daraufhin als Albanerin zu erkennen gegeben habe, hätten sie jedoch freundlich gelacht und seien dann noch öfter zum Essen in das Restaurant gekommen. In einem anderen Fall hatte sie einen Tisch mit 18 Personen teilweise aus Kreta und teilweise aus Athen zu versorgen. Da die Gäste viel konsumierten, sei sie sehr bemüht gewesen und habe ihr Bestes gegeben, um sie zufrieden zu stellen. Auf einmal habe der Hund eines Gastes nach ihr geschnappt. Daraufhin wollte der Hundebesitzer von ihr wissen, woher sie komme. Als sie sagte, sie sei Albanerin, habe der Gast erwidert, der Hund habe das wohl gemerkt, er möge keine AlbanerInnen. Das ließ Lindita nicht auf sich sitzen und antwortete, das Problem sei nicht, dass sie Albanerin, sondern dass der Hund rassistisch sei. Danach weigerte sie sich, weiter an diesem Tisch zu bedienen. Am nächsten Tag habe sich der Sohn des rassistischen Gastes bei ihr entschuldigt. Erfahrungen mit ausländischen TouristInnen Wenngleich nicht-griechische TouristInnen der Erfahrung der befragten ArbeitsmigrantInnen nach im Allgemeinen weniger empfindlich darauf reagierten, wenn sie von AlbanerInnen oder anderen MigrantInnen bedient werden, haben manche MigrantInnen jedoch auch mit ausländischen Gästen schlechte Erfahrungen gemacht. Agim, ein junger Albaner, kam 1994 nach Griechenland und landete nach einer schwierigen Anfangszeit in Thessaloniki schließlich auf Kreta, wo er seit sieben Jahren in einem schicken kleinen Hotel in der Altstadt arbeitete. Er erzählte, dass eines Abends eine Italienerin an der Bar auf Italienisch zu ihm gesagt habe: „Agim, here on the island you have many people now from other countries, from Bulgaria, Romania and so on. We in Italy we have many people from Albania. They are all criminals!“ Nachdem Agim geantwortet habe, er sei selbst Albaner, sei ihr das sehr peinlich gewesen, und sie habe sich in den nächsten zwei Wochen immer wieder bei ihm entschuldigt.
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Agim war offensichtlich wie die meisten albanischen DienstleisterInnen in Griechenland von der Touristin als Grieche wahrgenommen worden, da er sich optisch nicht von einem Griechen unterschied. Wenn es für sie überhaupt ein Thema ist, scheint den meisten ausländischen TouristInnen der Anschein des „echt Griechischen“ zu genügen, um das gewünschte Urlaubsflair zu gewährleisten, wie in weiter oben zitierten Aussagen bereits zum Ausdruck kam. Viele albanische MigrantInnen scheinen ihre Ununterscheidbarkeit von GriechInnen für den „touristischen Blick“ und die touristischen Differenzkonsumbedürfnisse, die sich auf das typisch Griechische beziehen, bewusst zu pflegen. So gaben einige ihre albanische Herkunft nicht sofort preis, sondern bedienten die touristische Erwartung, es mit „echten GriechInnen“ zu tun zu haben. Alban und Dardan verheimlichten vor allem gegenüber weiblichen TouristInnen häufig, dass sie aus Albanien kamen. Sie hatten die Erfahrung gemacht, dass „Südländer“ wie Griechen oder Italiener zwar bei Frauen aus West- und Nordeuropa gut ankommen, nicht aber Albaner, und sie reagierten auf diese exotisierenden Männlichkeitsideale, indem sie ihre albanische Herkunft verschleierten. Strategien Einige MigrantInnen wie beispielsweise Adil und Latif, aber auch Renata und Dardan, pendelten zwischen mehreren Ländern hin und her. Basch, Glick Schiller und Szanton Blanc (1997) analysieren die zunehmend mobil und mehr-ortig werdenden Migrationsstrategien einerseits als Antworten auf die immer begrenzteren Möglichkeiten, sozio-ökonomische Grundbedürfnisse an nur einem Ort zu befriedigen, und andererseits als Reaktion auf die immer restriktiveren nationalen Migrationspolitiken westlicher Industrienationen. Renatas Migrationsstrategie ist beispielhaft für diese Entwicklung. Die Befriedigung ihrer sozio-ökonomischen Grundbedürfnisse war für sie an nur einem Ort nicht möglich. Deshalb pendelte sie zwischen Serbien, Griechenland und Deutschland. Da das europäische Mobilitätsregime ihr keine legale innereuropäische Mobilität als Arbeitsmigrantin ermöglichte, musste sie ihre offizielle Mobilitätskategorie bei jedem Grenzübertritt wechseln. Wenn sie nach Griechenland kam, war sie eine Arbeitsmigrantin mit beschränkten Arbeits- und Aufenthaltsbedingungen. Wenn sie nach Deutschland kam, wurde sie offiziell zur Touristin und arbeitete illegal. Adil und Latif bewegten sich ebenfalls zwischen verschiedenen europäischen Ländern. So versuchten sie, Schwierigkeiten mit der Polizei zu vermeiden. Ähnlich transnational gestaltete sich der Arbeits- und Lebensraum Europa auch für Dardan, der den Sommer auf Kreta und den Winter in Norwegen verbrachte. Die Arbeitssituation in einer Tourismusregion erfordert, aber ermöglicht gleichzeitig auch das Spiel mit verschiedenen Rollen und Identitätszuschreibungen. Die benachteiligte Position im europäischen Mobilitätsregime bringt in
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diesem Zusammenhang nicht nur überlebensnotwendige Taktiken im Umgang mit machtvollen Mobilitätskategorien hervor, sondern kann auch eine Ausgangsposition für das Spiel mit Identitätszuschreibungen sein, von der aus hierarchische Differenzmarkierungen eigenwillig angeeignet und profitabel eingesetzt werden. Die Mobilitätskategorie „Touristin“ ermöglicht es MigrantInnen wie Renata, sich innerhalb der EU zu bewegen. Renata kann mit diesem Aufenthaltsstatus legal nach Deutschland einreisen und für einen begrenzten Zeitraum illegal dort arbeiten. Alban und auch Azem verschaffte die Rolle des Touristen die Möglichkeit, als illegalisierte MigrantInnen innerhalb Griechenlands mobil zu sein. Beide gelangten so unbemerkt auf ein Schiff nach Kreta. Im ständigen Kontakt mit TouristInnen haben sich dann einige wie beispielsweise Alban und Dardan schnell das Wissen angeeignet, für jede Kundin und jeden Kunden die entsprechende nationale oder regionale Zugehörigkeit vorzutäuschen. Angesichts weit verbreiteter rassistischer Ressentiments gegen AlbanerInnen in Griechenland hat es sich für sie bewährt, sich gegenüber griechischen TouristInnen nicht als Albaner zu erkennen zu geben. Gegenüber westund nordeuropäischen TouristInnen, die in ihrem Urlaub den Kontakt mit „echten“ GriechInnen suchen, können sie die Rolle des Griechen sogar Gewinn bringend einsetzen – insbesondere gegenüber weiblichen TouristInnen. Zukunftspläne Die Albaner Agim, Alban, Azem und Rinor erzählten ihre Migrationsgeschichte als persönliche Erfolgsgeschichte, wobei sie betonten, dass sie viel Glück hatten. Alle vier waren stolz auf das, was sie seit ihren Anfängen als illegalisierte Arbeitsmigranten in Griechenland erreicht hatten, insbesondere auf ihren Fleiß und die erworbenen Griechischkenntnisse. Sie waren zufrieden mit ihrer momentanen Arbeitssituation und fühlten sich (inzwischen) wohl auf Kreta. Dementsprechend positiv sahen sie ihre Zukunft. Andere wie beispielsweise Lindita und Renata waren mit ihrer momentanen Arbeitssituation weniger zufrieden und machten sich Sorgen um die Zukunft. Diskriminierungserfahrungen machten ihnen daher auch mehr zu schaffen. Die meisten MigrantInnen hatten keine konkreten Zukunftspläne, weil sie nicht weit voraus planen konnten. Einige träumten von der Ausreise in ein anderes Land, wie zum Beispiel Vojislav aus Serbien, der seit 1997 in Griechenland war und in einer Crêperie in der Altstadt von Rethymno arbeitete. Er wollte gerne nach Deutschland oder Italien gehen, weil er glaubte, dort bessere Arbeitsbedingungen vorzufinden als in Griechenland. Außerdem würde er gern einmal Urlaub in Kanada machen. Auch Renata wünschte sich, bald nach Deutschland oder anderswohin ausreisen zu können, wo sie sich wohler fühlte als in Griechenland. Daher wartete sie ungeduldig auf ihre Papiere. Angesichts ihrer unge-
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wissen Zukunft ging sie manchmal zu einer Wahrsagerin. Auch Adil und Latif wollten gerne weiter Richtung Westeuropa ziehen und erkundigten sich bei mir nach dem Leben in Deutschland. Alban und Elira würden am liebsten nach Frankreich gehen. Sie fürchteten sich vor einer Rückkehr nach Albanien, weil sie sich über die Jahre verändert hätten und auch ihr Herkunftsland nicht mehr so sei, wie sie es verlassen hätten. Gleichzeitig hatten sie sich in Griechenland inzwischen ganz gut eingerichtet und würden vielleicht auch vorerst hier bleiben. So ähnlich ging es Agim und Azem, die beide überlegten, irgendwann zurück nach Albanien zu gehen, aber zunächst auf Kreta bleiben wollten, weil sie sich hier inzwischen recht wohl fühlten. Danail wollte eigentlich nach Bulgarien zurück, fand sich aber auch gut in Griechenland zurecht und würde daher nach dem EU-Beitritt Bulgariens vermutlich zwischen beiden Ländern pendeln. Lindita hingegen war froh, wenn sie mit ihrer Tochter gut über den Winter kam, und hoffte, die Zeit der Arbeitslosigkeit im Winter nutzen zu können, um ein wenig zu studieren. Ihr Studium in Albanien hatte sie aufgrund der politischen Umwälzungen abbrechen müssen, und sie haderte mit ihrem sozialen Abstieg in Griechenland. Eine Rückkehr nach Albanien oder eine Migration in ein anderes Land stand für sie nicht zur Debatte. Nedzad aus Albanien hingegen, der seit 1992 immer wieder in Griechenland war und unter anderem vom illegalen Souvenirverkauf an der Strandpromenade von Rethymno lebte, konnte sich ein Leben in Griechenland oder anderswo auf Dauer nicht vorstellen. Er wollte in Albanien leben. Das sei auch ein Grund dafür gewesen, dass seine Beziehung zu einer Schwedin, mit der er zwei Jahre lang in Rethymno zusammen gewohnt hatte, vor einiger Zeit in die Brüche gegangen sei. Ob er nächsten Sommer wieder nach Griechenland zum Arbeiten kommen würde, wusste er noch nicht. Stojan aus Bulgarien, der seit acht Jahren in Griechenland war und nun im zweiten Jahr in derselben Crêperie arbeitete wie Vojislav, war mit seinem Leben in Griechenland auch nicht besonders glücklich. Er sah seine besten Jahre mit anstrengenden, langweiligen Jobs dahingehen und war frustriert darüber, so wenig in die griechische Gesellschaft integriert zu sein. Wie einige andere auch träumte Stojan davon, irgendwann nach Bulgarien zurückzugehen und sich dort mit einem eigenen touristischen Unternehmen selbstständig zu machen: „I’m trying now to do something, to save some money, in order to start some business in Bulgaria, something that belongs to me. […] For sure something with tourism in Bulgaria. […] Some small hotel, or rooms, or some villas, or some restaurant, something like that. Try to find some tour operators and make contract with them. […] That’s alright, because all these years in Greece, whatever I’m doing, I’m doing it with tourism.“
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Sein Problem war, dass ihm bei seiner Arbeit in Rethymno nur wenig Geld zum Sparen übrig blieb und sein Traum daher in weiter Ferne lag. Auch Rinor träumte davon, nach einer Rückkehr nach Albanien in einigen Jahren ein eigenes touristisches Unternehmen zu eröffnen. Er hatte dafür auch bereits ein geeignetes Haus: „My country is so, so beautiful. […] Half of the country is at the Adriatic Sea. […] We have ten lakes inside. […] We have tourists from Italy, from Serbia, all the Serbians come, all the tourists from Serbia go to Albania or Montenegro or Macedonia. […] My house is at the Adriatic Sea close to Italy. So I have a place to open a restaurant or something like that, a tourist place.“
Seine unmittelbare Zukunft sah Rinor aber erstmal in Griechenland, wo er sich auch insgesamt wohl fühlte. Schon sehr viel weiter vorangeschritten waren die Pläne, ein touristisches Unternehmen in ihrem Herkunftsland zu eröffnen, bei den beiden Cousins von Dardan, mit denen er sich über den Sommer ein kleines Einzimmerappartement in Rethymno teilte. Die beiden arbeiteten seit 1991 jeden Sommer in Rethymno bei einem Wassersportanbieter. In Albanien hatten sie inzwischen ein Grundstück am Meer gekauft und ein Hotel darauf errichtet. Seit zwei Jahren war es nun in Betrieb, und es hatten bereits einige TouristInnen aus Italien, Deutschland und Albanien dort übernachtet. Während die beiden in Rethymno waren, wurde das Hotel von anderen Familienmitgliedern betrieben. Sie selbst versuchten, über den Sommer so viel Geld wie möglich in Griechenland zu verdienen – einer der beiden arbeitete zusätzlich noch als Nachtportier in einem Hotel – und nahmen außerdem die ausrangierten Geräte des Wassersportanbieters in Rethymno mit, um später auch in ihrem Hotel in Albanien Wassersport anbieten zu können. Die wenigen von ArbeitsmigrantInnen konkret formulierten Zukunftspläne bezogen sich darauf, Kompetenzen und Ressourcen aus ihrer Tätigkeit im Tourismus in Griechenland für eine Zukunft in ihrem Herkunftsland nutzbar zu machen. Auch Dardan hatte konkrete Zukunftspläne und wollte die Kompetenzen, die er durch die langjährige Arbeit mit TouristInnen erworben hatte, außerhalb Griechenlands verwerten. Allerdings wollte er nicht nach Albanien zurück und auch nicht im Tourismus arbeiten. Er hatte vielmehr vor, in Norwegen, wo er seit einigen Jahren lebte, eine Ausbildung zum Polizisten zu absolvieren. Dafür sah er sich aufgrund seiner Tätigkeit im Tourismus auf Kreta bestens vorbereitet. Die vielfältigen Kontakte zu Menschen aus verschiedenen Kulturen, die sein Job auf Kreta mit sich bringe, qualifizierten ihn hervorragend für den polizeilichen Umgang mit den Problemen der multikulturellen Gesellschaft Norwegens, meinte er. Er schrieb sich hier in die „Multikulti“-Debatte ein, die aus der Perspektive Westeuropas um Anerkennung und Aufwertung kultureller Differenzen bemüht
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war. Mit der Vorstellung vom friedlichen Nebeneinander der Kulturen in den westeuropäischen Einwanderungsgesellschaften schrieb sie nicht nur ein Konzept homogener Ethnizität fort, sondern etablierte gleichzeitig eine „Multikulti“Idylle, die zu Paternalismus neigte und über ökonomische und rechtliche Unterschiede hinwegtäuschte. Die eigene Gesellschaft konnte als multikulturell aufgewertet werden, brauchte dazu aber die monokulturellen Herkunftsgesellschaften der sogenannten „GastarbeiterInnen“, die sich gleichzeitig zum touristischen Konsum eigneten. Das Einschreiben in den „Multikulti“-Diskurs durch einen albanischen Saisonarbeiter, der zu denen gehört, vor denen TouristInnen an Hotelrezeptionen im Süden Europas gewarnt werden, und der aufgrund seiner Erfahrungen mit TouristInnen aus unterschiedlichen Kulturen als Polizist die Probleme der multikulturellen Gesellschaft Norwegens lösen helfen will, ist daher gewissermaßen ironisch. Man kann in ihm einen „postkolonialen Eulenspiegel“ (Ha 2004, 150) sehen, der den hegemonialen Diskurs durch Persiflage herausfordert.
4.9 Fazit Tourismus und Migration sind in Griechenland und insbesondere auf Kreta schon seit langer Zeit miteinander verschränkt. So hat die „GastarbeiterInnenmigration“ aus dem Süden Europas in Richtung Nordwesten umgekehrt Tourismus in die als rückständig vorgestellte Peripherie Europas befördert und dabei einen bestimmten touristischen Blick geformt, der auch für Griechenland und hier in besonderer Weise für Kreta gilt. Kreta wurde vor allem auch deswegen zu einer beliebten Tourismusdestination, weil hier einerseits Rückständigkeit und Ursprünglichkeit in Abgrenzung zum modernen westlichen Leben verstärkt vermutet werden, gleichzeitig aber auch der Ursprung der europäischen Zivilisation hier verortet wird. In den letzten Jahrzehnten hat die Bedeutung des Tourismus im Mittelmeerraum stark zugenommen. Die Motive eines touristischen Aufenthaltes am Mittelmeer haben sich ausdifferenziert. Das gilt auch für Kreta. Gleichzeitig sind die europäischen Mittelmeerländer selbst zu Einwanderungsländern geworden und der EU-Integrationsprozess ist vorangeschritten. Länder wie Griechenland sind nun zu Grenzwächtern an den Außengrenzen der EU zu geworden und müssen ihre Migrationspolitik an die Vorgaben der EU anpassen. In Griechenland wird seit Anfang der 1990er Jahre, als in kurzer Zeit viele MigrantInnen aus ehemals sowjetischen Ländern nach Griechenland kamen, eine restriktive Migrationspolitik verfolgt, die jedoch nicht auf die völlige Unterbindung von illegaler Migration hinausläuft, da die griechische Wirtschaft davon profitiert, auch der Touris-
4.9 Fazit
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mussektor. In diesem Spannungsfeld haben Ressentiments insbesondere gegen die größte MigrantInnengruppe in Griechenland, die AlbanerInnen, stark zugenommen. Westeuropäische TouristInnen fühlen sich durch die Anwesenheit von nicht-griechischem Personal auf Kreta kaum gestört bzw. bemerken es gar nicht. Dennoch ist das Interesse am traditionellen, von außen möglichst unbeeinflussten Leben auf Kreta, das den „touristischen Blick“ von „Alternativreisenden“ auf den Mittelmeerraum lange Zeit prägte, auch unter Pauschalreisenden groß, und einzelne betonen, dass ihnen zumindest der Anschein, es mit „echten GriechInnen“ zu tun zu haben, im Urlaub wichtig ist. Unter ehemaligen TouristInnen, die sich inzwischen dauerhaft in Griechenland niedergelassen haben oder längere Zeit dort arbeiten, gibt es solche, die sich soweit an die „griechische Kultur“ anzupassen versuchen, dass sie auch den „ortstypischen“ Rassismus gegen AlbanerInnen übernehmen. Andere hingegen sind enttäuscht über ihre fehlende Integration in die griechische Gesellschaft und identifizieren sich mit den AlbanerInnen, der Gruppe von ArbeitsmigrantInnen in Griechenland, die am meisten von Rassismus betroffen ist. Dieser Rassismus äußert sich auf unterschiedliche Weise. Im touristischen Dienstleistungszusammenhang scheinen vor allem griechische Gäste Wert darauf zu legen, von einheimischem Personal bedient zu werden. Davon gehen zumindest einige UnternehmerInnen aus, die MigrantInnen deswegen häufig nur im Backstage-Bereich einsetzen. Insbesondere AlbanerInnen, die sich optisch nicht von GriechInnen unterscheiden und inzwischen oft fließend Griechisch sprechen, haben jedoch inzwischen auch viele Jobs mit direktem KundInnenkontakt inne, wobei sie diverse Kompetenzen und Strategien im Umgang mit unterschiedlichen Formen des Rassismus entwickelt haben. Die schwierigen Arbeits- und Aufenthaltsbedingungen in der EU und die bürokratischen Hürden in Griechenland sowie der alltägliche Rassismus und der „touristische Blick“ auf Kreta und seine BewohnerInnen verlangen den MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern einiges an Flexibilität und Kreativität ab. Indem sie sich als „TouristInnen“ oder auch vollkommen undokumentiert innerhalb der Europäischen Union bewegen und damit Mobilitätskategorien für sich in Anspruch nehmen, die das Grenzregime für sie offiziell nicht vorsieht, erschweren MigrantInnen die Registrierung und Kontrolle ihrer Mobilität durch das Migrationsregime mit seinen Technologien der Sichtbarmachung und Quantifizierung. Wenn sie zudem ihre Herkunft gegenüber griechischen Gästen oder ausländischen TouristInnen nicht ohne Weiteres preisgeben, entziehen sie sich ein weiteres Mal Differenzmarkierungen, die darauf zielen, eine sichtbare und eindeutige Verbindung zwischen der Person und ihrer Herkunft, ihrem Körper und ihrer Identität herzustellen.
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Da sie sowohl mit dem europäischen Grenzregime als auch mit den unterschiedlichen Differenzmarkierungen umzugehen wissen, die im touristischmigrantischen Zusammenhang im europäischen Mittelmeerraum wirksam werden, können diese MigrantInnen auch als KosmopolitInnen (Pécoud 2000) betrachtet werden, die über eine Art „strategischer Transkulturalität“ (Pütz 2004, 28) verfügen. Diese „strategische Transkulturalität“ gibt ihnen die Möglichkeit, sich reflexiv in verschiedenen Symbolsystemen zu orientieren und sich so touristische Blicke auf den Mittelmeerraum zunutze zu machen. Es ist möglich, diese Strategie als internalisierten Kolonialismus/Rassismus oder simple Überlebensstrategie zu deuten oder aber im Sinne von Mimikry als eine Form des Widerstands (vgl. Ha 2004, 148). MigrantInnen wie Dardan, Renata und Alban nutzen die Unsichtbarkeiten, die die europäische Mobilitätsordnung und das touristische Blickregime produzieren, zu ihren Gunsten. Die Praxis der Mimikry ist hier mehr als eine kreative Persiflage hegemonialer Identitätskonzepte, denn die kulturellen Differenzmarkierungen, die dabei imitiert werden, sind nicht einfach nur unschuldige Beschreibungen verschiedener, objektiv beobachtbarer Unterschiede, sondern Versuche, die europäische Wirklichkeit entlang dieser Differenzen zu organisieren. Insofern MigrantInnen machtvolle Figuren des gegenwärtigen europäischen Mobilitätsregimes wie „echter Grieche“ oder „Touristin“ durch Mimikry bedienen und sich aus ihrer Perspektive in mehrheitsgesellschaftliche Identitätsdiskurse einschreiben, imitieren sie nicht einfach Identitätszuschreibungen, sondern durchkreuzen migrationspolitische Ordnungskategorien und Sichtbarmachungsstrategien. Gleichzeitig werden dabei zentrale Figuren „multikultureller“ Gesellschaften in Europa und damit in Zusammenhang stehende touristische Motive des Mittelmeerurlaubs irritiert. Tourismus im Mittelmeerraum, der auf den genussvollen Konsum des vertrauten Fremden, auf leicht konsumierbare Andersartigkeit ausgerichtet ist, die beispielsweise durch „typisch griechische Gastfreundschaft“ bestätigt werden will, wird durch „andere Andere“ verkompliziert. In meinen Ausführungen habe ich gezeigt, dass nicht nur ArbeitsmigrantInnen mit prekärem Aufenthaltsstatus Strategien der Mimikry einsetzen. Auch viele WesteuropäerInnen bemühen sich um weitestgehende Angleichung an das, was sie als lokale Lebensweise begreifen. Sie wollen nur ungern als „TouristInnen“ erkannt werden. Dies gilt insbesondere für jene, die sich langfristig in Griechenland aufhalten. Einzelne legen sich sogar einen griechischen Namen zu, um sich möglichst wenig von den Einheimischen zu unterscheiden, und imitieren den „ortstypischen“ Rassismus. Teilweise können sie als „Wirtschaftsflüchtlinge“ betrachtet werden, die sich aufgrund einer prekären wirtschaftlichen Situation oder einer unbefriedigenden Arbeit in ihrem Herkunftsland dazu entschieden haben, auf dem touristischen Arbeitsmarkt am Mittelmeer auf Jobsuche zu
4.9 Fazit
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gehen. Wenngleich sie rechtlich ohne Weiteres innerhalb der Europäischen Union mobil sein und arbeiten können, sind sie auf dem griechischen Arbeitsmarkt nicht unbedingt gegenüber MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern im Vorteil. Dennoch ist freilich auch in Griechenland die „europäische Apartheid“ wirksam, die insbesondere Menschen aus sogenannten Drittstaaten gegenüber EU-BürgerInnen abwertet. Inwiefern diese „europäische Apartheid“ (Balibar 2003) mit ihrer Hierarchisierung von Mobilitätsmöglichkeiten und -beschränkungen sich im Arbeitsalltag in einer mediterranen Tourismusregion an der EU-Außengrenze widerspiegelt, aber auch bricht, möchte ich im Folgenden auf der Grundlage meiner Beobachtungen in Zypern weiter ausführen.
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Ähnlich wie Griechenland und andere südeuropäische Länder ist auch Zypern seit einigen Jahrzehnten stark vom Tourismus geprägt und wandelte sich spätestens mit Beginn der 1990er Jahre in ein Einwanderungsland. 2004 wurde Zypern zusammen mit neun weiteren Ländern1 Mitglied der Europäischen Union. Der EU-Beitritt war nicht nur für die zypriotische Bevölkerung mit vielfältigen Hoffnungen und Befürchtungen verknüpft. Auch migrantische Arbeitskräfte in Zypern waren auf verschiedene Weise mit seinen Konsequenzen konfrontiert, wie ich im Folgenden am Beispiel einiger Arbeitskräfte im zypriotischen Tourismussektor verdeutlichen möchte.2 Während die einen nach der EU-Erweiterungsrunde von 2004 plötzlich UnionsbürgerInnen waren und von der ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit profitierten, sahen die anderen sich mit restriktiveren Aufenthaltsbedingungen und prekäreren Arbeitsverhältnissen konfrontiert. Anders als in Griechenland, das bereits seit 1981 Mitglied der EU ist und seit 1992 zum Schengenraum gehört, konnte ich in Zypern ein Jahr nach dem EU-Beitritt das Wirksamwerden der „europäischen Apartheid“ (Balibar 2003) gewissermaßen im Entstehen beobachten, wobei zu berücksichtigen ist, dass die mit dem Beitritt einhergehenden rechtlichen Anpassungen nicht über Nacht passierten, sondern dass ihnen ein langfristiger – keineswegs konfliktfreier – „Harmonisierungsprozess“ vorausging und folgte.
5.1 Zur Feldforschung Am Beispiel von zwanzig jungen Frauen aus Armenien, Bulgarien, China, Deutschland, Lettland, Österreich, Moldawien, Polen, Rumänien, Russland, der Slowakei und Sri Lanka, von denen die meisten ein gutes Jahr nach dem EU3 Beitritt in Plagia , einem Dorf in der Region Paphos im Nordwesten der Repu1
Die anderen neuen Mitgliedstaaten waren die Tschechische Republik, die Slowakei, Slowenien, Ungarn, Polen, Estland, Lettland, Litauen und Malta. Seit dem 1. Januar 2007 gehören auch Bulgarien und Rumänien zur Europäischen Union. 2 Ich beziehe mich dabei auf den von der griechisch-zypriotischen Regierung kontrollierten Süden der Insel. 3 Pseudonym.
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blik Zypern, in Hotels und gastronomischen Betrieben tätig waren, sollen die unterschiedlichen Auswirkungen des EU-Beitritts auf den Arbeitsalltag und die Zukunftsplanung von Menschen aus anderen europäischen sowie aus außereuropäischen Ländern verdeutlicht werden. Zudem wird ein Einblick in die von unterschiedlichen Interessengruppen wie Gewerkschaften, ArbeitgeberInnenverbänden und Nichtregierungsorganisationen geführte Debatte um die Rechte ausländischer Arbeitskräfte und die entsprechenden Rahmenbedingungen der EU gegeben, wobei es insbesondere um den Hotel-, Restaurant- und Cateringsektor geht.4 Es war zunächst nicht meine Absicht, mich ausschließlich auf weibliche MigrantInnen zu konzentrieren, doch begegnete ich im touristischen Dienstleistungsbereich auf Zypern so vielen Frauen – einige von ihnen hatten zudem von geschlechtsspezifischen Erfahrungen zu berichten –, dass mir eine Fokussierung auf weibliche Arbeitskräfte gerechtfertigt erschien. Die meisten von ihnen sprach ich direkt an ihrem Arbeitsplatz an. Zwei InterviewpartnerInnen wurden mir außerdem von Christiane Chimarrides vermittelt, die Deutschkurse für das Personal großer Hotels in der Paphos-Region anbot. In Paphos selbst führte ich ein Interview mit dem Betreiber einer Bar sowie mit dem Personalchef eines VierSterne-Hotels, die beide migrantisches Personal beschäftigten. Eine weitere Arbeitgeberin interviewte ich in einem der Appartementhäuser in Plagia, in dem ich wohnte. Ebenso wie auf Kreta (vgl. Kapitel 4 und 6), wurden auch in Plagia viele Unterkünfte nicht nur touristisch genutzt, sondern teilweise an ArbeitsmigrantInnen vermietet. Das gilt auch für die Jugendherbergen in Larnaca und Nicosia, in denen ich am Beginn und am Ende meiner Feldforschungsaufenthalte übernachtete und die Gelegenheit nutzte, mit Beschäftigten und anderen Übernachtungsgästen ins Gespräch zu kommen. In der Hauptstadt Nicosia befinden sich auch die Hauptsitze der Gewerkschaften, ArbeitgeberInnenverbände und Ministerien, die ich für Interviews aufsuchte. Ich sprach mit einer Vertreterin des Arbeitsministeriums sowie mit Vertretern von Gewerkschaften und ArbeitgeberInnenverbänden im Bereich Hotel und Gastronomie. Bei der Herstellung einiger dieser Kontakte waren mir Nicos Trimikliniotis (zu diesem Zeitpunkt: Cyprus Labour 5 Institute INEK-PEO ) und Tassos Costeas (zu diesem Zeitpunkt: Office of the Commissioner for Administration der Republik Zypern6) behilflich. Außerdem interviewte ich Angestellte der Cyprus Tourism Organisation (CTO) und einen 4
Zur Haltung der European Federation of Food, Agriculture and Tourism (EFFAT) und dem European Trade Union Liaison Committee on Tourism (ETLC) zur Position von migrantsichen Arbeitskräften im Tourismus vgl. Howald (2006). 5 Vgl. http://www.inek.org.cy/english/ (letzter Zugriff: 8/2009). 6 Vgl. http://www.ombudsman.gov.cy/Ombudsman/Ombudsman.nsf/index_en/index_en?Open Document (letzter Zugriff: 8/2009).
5.2 Die Mobilitätsgeschichte Zyperns
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Dozenten einer staatlichen Hotelfachschule. Weitere Informationen und ExpertInnenaussagen – beispielsweise von der Nichtregierungsorganisation KISA7 – beziehe ich aus der zypriotischen Tagespresse.8 Bevor ich auf die neuen Mobilitätsbedingungen zu sprechen komme, die sich in Zypern im Zuge des EU-Beitritts herausgebildet haben, und Konsequenzen für ausländische Arbeitskräfte im Tourismussektor herausarbeite, möchte ich eine kurze Zusammenfassung der jüngeren zypriotischen Migrations- und Tourismusgeschichte geben.
5.2 Die Mobilitätsgeschichte Zyperns seit dem Ende der britischen Kolonialzeit bis zum EU-Beitritt 5.2 Die Mobilitätsgeschichte Zyperns Nach der Unabhängigkeit Zyperns von der britischen Kolonialherrschaft in 1960 nahmen die Spannungen zwischen griechischen und türkischen ZypriotInnen zu. Ab 1963 und insbesondere im Zuge der türkischen Invasion 1974 kam es zu Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen zwischen den beiden größten Bevölkerungsgruppen, die bis heute das Leben der ZypriotInnen prägen. Die Spannungen führten das Land in eine ökonomische Krise, die viele ZypriotInnen in den 1960er und -70er Jahren zur Emigration veranlasste. Die meisten ZypriotInnen gingen nach Griechenland, Großbritannien (vgl. hierzu Anthias 1992), Australien, Südafrika oder in die USA.9 Diese Konzentration auf anglophone Länder unterscheidet die zypriotische ebenso wie die maltesische Auswanderung dieser Zeit von Auswanderungsbewegungen in anderen südeuropäischen Ländern (vgl. King 2000, 5). Nach der Invasion der Türkei 1974 wurden im türkisch besetzten Norden der Insel Menschen aus Anatolien angesiedelt, um die demografische Struktur Zyperns zu verändern. Der nicht türkisch okkupierte Süden erlebte von 1973 bis 1975 einen massiven Einbruch des Bruttosozialprodukts und einen rapiden Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut. Die griechisch-zypriotischen Flüchtlinge, die im Zuge der türkischen Invasion aus dem Norden der Insel vertrieben worden waren, stellten jedoch ein Reservoir billiger Arbeitskräfte dar, die
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Abkürzung des griechischen Namens, engl.: Action for Equality Support and Antiracism in Cyprus. Hierbei vor allem aus der Internetausgabe der englischsprachigen Tageszeitung Cyprus Mail (http://www.cyprus-mail.com/news/, letzter Zugriff: 8/2009) sowie aus der englischsprachigen Wochenzeitung Cyprus Weekly (http://www.cyprusweekly.com.cy/main/default.aspx, letzter Zugriff: 8/2009). 9 Bis heute ist es für viele griechische ZypriotInnen selbstverständlich, zwecks Ausbildung, Studium oder Berufstätigkeit ins Ausland zu gehen. Manche kehren dauerhaft wieder nach Zypern zurück, andere kommen nur noch als TouristInnen. 8
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maßgeblich zum wirtschaftlichen Aufschwung der Republik Zypern ab Ende der 1970er Jahre beitrugen.10 Während der britischen Kolonialherrschaft11 hatte der Erholungstourismus auf Zypern bereits an Bedeutung gewonnen. Im Troodos-Gebirge entstanden Sommerlager für britische Militärangehörige. Auch die Oberschicht aus den arabischen Nachbarländern sowie reiche ZypriotInnen aus dem Ausland verbrachten die Sommermonate in den Bergen. Viele Reisende kamen aus archäologischem oder kunsthistorischem Interesse. Bevorzugte Ziele dieser Bildungsreisenden waren Famagusta und Kyrenia im heute türkisch besetzten Teil der Insel. Nur ein kleiner Teil der BesucherInnen suchte in dieser Zeit seaside resorts auf. Ökonomisch war der Tourismus noch nicht allzu bedeutsam für Zypern. Agrarwirtschaft und Handel stellten die Haupteinnahmequellen dar. Der eigentliche touristische Boom setzte erst nach der Unabhängigkeit 1960 ein. Die wirtschaftliche Situation des Landes war zu diesem Zeitpunkt desolat. Die Regierung versuchte, die Wirtschaft über den Tourismus anzukurbeln. An den Küsten des Landes entstand eine touristische Infrastruktur, die zügig ausgebaut wurde. Die BesucherInnenzahlen nahmen stetig zu, bis der Tourismus aufgrund der bürgerkriegsähnlichen Verhältnisse Mitte der 1960er Jahre beinahe zum Erliegen 10
Zur Bevölkerungsentwicklung nach 1974 vgl. Brey (1998, 500ff.). Ebenso wie die Geschichte Kretas ist die Geschichte Zyperns von fremden Besatzungsmächten charakterisiert, die die Inseln einnahmen. Im Unterschied zum touristisch wirkmächtigen Bild der widerspenstigen KreterInnen (vgl. Kapitel 4) werden die ZypriotInnen jedoch als eher fügsam repräsentiert. So schreibt George Hill (1952) über die Reaktion der griechischen ZypriotInnen auf die britische Kolonialisierung: „The Greeks welcomed their new masters, as they had throughout their history welcomed any change of this kind“ (zit. nach Argyrou 1996, 41). Anders als in Reiseführern zu Kreta ist dementsprechend in Zypern-Reiseführern weniger von Widerstand zu lesen als von den noch immer spürbaren kolonialen Einflüssen: „Auf Zypern nämlich mischt sich die südländische Spontaneität des griechischen Nationalcharakters mit dem Erbe der britischen Kolonialzeit, also einer völlig unorientalischen, eben britischen Zuverlässigkeit. Weiterer positiver Nebeneffekt des britischen Einflusses: Für alle, die ein wenig Englisch können, ist die Verständigung auf Zypern kein großes Problem.“ (Braun 2005, 10) Oder: „Man ist nicht nur etwas stiller als auf dem türkischen und griechischen Festland, sondern liebt die Ordnung – vor allem auf der Straße. Verkehrsschilder und rote Ampeln werden beachtet, sodass sich der westeuropäische Tourist trotz des Linksverkehrs schnell zu Hause fühlt. Die Ladenschlusszeiten, die in anderen Mittelmeerländern oft nicht geregelt sind, halten die Zyprer recht strikt ein. Dieses wenigen Beispiele deuten schon an, dass es hier ‚europäischer’ als in anderen Mittelmeerländern zugeht. Die Jahrzehnte britischer Herrschaft haben die Inselbevölkerung nachhaltig beeinflusst.“ (Korst/Hoff 2002, 52) Eine Deutsche, die häufig auf Kreta Urlaub gemacht hatte und nun auf Zypern lebte, weil ihr griechischer Ehemann hier Arbeit gefunden hatte, verglich im Gespräch die beiden Inseln miteinander, wobei Zypern aufgrund des noch immer spürbaren kolonialen Einflusses der BritInnen deutlich schlechter abschnitt: „Es ist halt sehr englisch hier. Zypern hat – finde ich jetzt, da stimmen mir auch viele Zyprioten zu, wenn ich mit denen diskutiere – einfach die Chance verpasst, nachdem es nicht mehr englische Kolonie war und auch alle anderen los war, die im Laufe der Jahrhunderte hier gewesen sind, seine Kultur wieder zurück zu gewinnen, so wie andere Mittelmeerinseln.“
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5.2 Die Mobilitätsgeschichte Zyperns
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kam. Nach einem massiven Einbruch der Tourismusentwicklung in 1964 setzte sich der Aufwärtstrend allerdings schon 1967 fort. Infolge der türkischen Invasion 1974 kam der Tourismus wiederum kurzfristig zum Erliegen, die Zahl der touristischen Ankünfte erreichte aber bereits 1979 wieder das Niveau von 1973 – zumindest im Süden der nun geteilten Insel.12 Die Teilung der Insel und die Flüchtlingsströme veränderten Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend, auch die touristischen Rahmenbedingungen. Während der Tourismus sich vor 1974 vor allem auf den Norden der Insel konzentriert hatte, entwickelten sich nun neue touristische Zentren in Limassol, Agia Napa/ Paralimni, Larnaka und – allerdings erst ab Ende der 1970er Jahre – in Paphos. (Vgl. Ioannides 1992, 716ff.; Sackmann 1998, 409f.; Ioannides/Apostolopoulos 1999, 51ff.; Ayres 2000, 115f.; Saveriades 2000, 147f.; Sharpley 2003, 249ff.) In den 1980er Jahren verzeichnete die Republik Zypern eine der höchsten Zuwachsraten aller mediterranen Urlaubsziele (vgl. Sackmann 1998, 408). Die Insel zählt seither zur „Vergnügungsperipherie“ (Scott 2000) für viele TouristInnen aus West- und Nordeuropa sowie zunehmend auch aus Russland, wobei BritInnen mit rund fünfzig Prozent aller TouristInnen noch immer die mit Abstand größte Gruppe darstellen.13 Die Tourismusentwicklung wirkte sich auch positiv auf andere Wirtschaftszweige wie beispielsweise den Bausektor aus.14 Das wirtschaftliche Wachstum Zyperns zwischen 1970 und 1990 brachte einen steigenden Bedarf an Arbeitskräften mit sich. Die meisten der zwischen 1980 und 1995 neu geschaffen Jobs – über acht von zehn – entfielen auf den tertiären Sektor. Stellen in Hotels und Restaurants hatten daran den größten Anteil. Auch in anderen Dienstleistungsbereichen, die direkt oder indirekt mit dem Tourismus zu tun hatten, stieg die Beschäftigungsrate. Dank des wachsenden Dienstleistungsbereiches nahm die Zahl der Erwerbstätigen auch insgesamt zu, wenngleich sie im Primärsektor zurückging. In den 1980er Jahren konnte ein Teil des Arbeitskräftebedarfs durch Bevölkerungswachstum, Arbeitskräfte aus dem an 12 Zur Tourismusentwicklung im türkisch besetzten Norden Zyperns nach 1974 vgl. z.B. Scott (1995, 2000, 2005), Hahn/Preisinger (1998), Ioannides/Apostolopoulos (1999, 54f.), Fercher (2006) oder Erdal (2009). 13 Zwischen Januar und Juni 2009 wurden insgesamt 883.002 Ankünfte von TouristInnen in Zypern gezählt, was einen Rückgang von 10,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutet. 81,8 Prozent der TouristInnen kamen aus EU-Ländern. Das Vereinigte Königreich stellte mit 48,8 Prozent aller Ankünfte die mit Abstand größte Gruppe, gefolgt von Deutschland mit sieben Prozent, Russland mit 6,9 Prozent, Griechenland mit 6,7 Prozent, Schweden mit 4,9 Prozent, Norwegen mit 2,5 Prozent, Finnland mit 1,7 Prozent und Niederlande mit 1,6 Prozent. (Vgl. http://www.mof.gov.cy/mof/cystat/ statistics.nsf/All/17D277B8E2A79FD9C2257615001ECAC9/$file/TOURISM-STATISTICS-Q2_ 2009.pdf?OpenElement, letzter Zugriff: 8/2009) 14 Wie auf Kreta auch haben inzwischen einige ehemalige TouristInnen auf Zypern Immobilien erworben und die Insel zu ihrem ersten oder zweiten Wohnsitz gemacht, was in den letzten Jahren zu enormen Bautätigkeiten geführt hat.
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Bedeutung verlierenden Primärsektor sowie RückkehrerInnen aus dem Ausland befriedigt werden. Vor allem aber wurde der Bedarf durch weibliche Arbeitskräfte gedeckt, die zunehmend auf den Arbeitsmarkt drängten und Dienstleistungstätigkeiten übernahmen. Doch auch die erheblich zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen genügte nicht zur Deckung des Gesamtbedarfs. (Vgl. Ayres 2000, 119f.) 1990 führte die steigende Nachfrage nach Arbeitskraft zusammen mit der beginnenden Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und dem Anstieg der Inflationsrate zu einem radikalen Wandel in der Migrationspolitik der griechischzypriotischen Regierung. Um die Wirtschaft anzukurbeln, erhielten MigrantInnen erstmals in großem Ausmaß die Erlaubnis, in Zypern zu arbeiten. Seither hat die Immigration von Menschen aus Osteuropa und der „Dritten Welt“ weiter zugenommen, wobei auch externe Faktoren wie das Ende der Blockkonfrontation eine entscheidende Rolle spielten. (Vgl. Trimikliniotis 2001, 57f.) Bei einer 15 GesamteinwohnerInnenzahl von rund 790.000 hat sich die Zahl der legal eingereisten ausländischen Arbeitskräfte von 20.713 in 199816 auf 61.483 in 2006 nahezu verdreifacht. Davon kamen rund drei Viertel aus sogenannten Drittstaaten, der Rest aus Ländern der EU (vgl. Cyprus Mail vom 14.10.2006). Hinzu kommen die internationalen Studierenden an den zahlreichen Colleges des Landes und Asylsuchende.17 Schätzungen zufolge leben zudem zwischen 6.000 und 45.000 MigrantInnen illegal in Zypern (vgl. Mainwaring 2008, 22).18 Die meisten MigrantInnen arbeiten in arbeitsintensiven und schlecht bezahlten Jobs. Insbesondere im Tourismus, Zyperns wichtigstem Wirtschaftszweig19, gibt es einen hohen Bedarf an migrantischen Arbeitskräften.20 Die Beschäftigung nicht15 Dem demografischen Bericht der Statistikbehörde zufolge ist die zypriotische Bevölkerung bis Ende 2007 auf 789.300 angestiegen. (Vgl. http://www.mof.gov.cy/mof/cystat/statistics.nsf/All/ FC5F3AB325D6BEEAC22574D7002DB767?OpenDocument&sub=1&e=, letzter Zugriff: 8/2009). 16 Vgl. Statistical Service of the Republic of Cyprus (2003, 59). 17 In Zypern gehen proportional die meisten Asylanträge aller EU-Staaten ein. Phasenweise kam ein Großteil der Anträge von Studierenden aus Bangladesh und Pakistan, da sie mit einem Studierendenvisum nicht arbeiten durften, als AsylbewerberInnen aber durchaus. Dies hat sich inzwischen geändert. Seit 2007 dürfen Studierende aus sogenannten Drittstaaten in begrenztem Umfang arbeiten. (Vgl. hierzu z.B. Mainwaring 2008, 23f.) 18 Die starken Schwankungen verdeutlichen, dass solche Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind. 19 Dem Leiter der zypriotischen Tourismusbehörde zufolge ist der Tourismus die größte Einkommensquelle des Landes, da 13 bis 15 Prozent der zypriotischen Ökonomie direkt und weitere zwanzig Prozent indirekt vom Tourismus abhingen (vgl. Cyprus Mail vom 20.9.2006). Mit 8,9 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung, die im Hotel-, Restaurant- und Catering-Sektor arbeiteten, lag Zypern 2004 proportional um mehr als das Doppelte über dem EU-Durchschnitt und an erster Stelle im Vergleich der damals 25 EU-Mitgliedsländer (vgl. Eurostat zit. nach Cyprus Weekly vom 14.10.2005). 20 Seitdem in 2003 die Grenze zwischen den beiden Landesteilen durchlässiger wurde, kommen auch viele türkische ZypriotInnen zum Arbeiten in den Süden. Sie arbeiten größtenteils im Bausektor.
5.2 Die Mobilitätsgeschichte Zyperns
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zypriotischen Personals ist jedoch gerade hier sehr umstritten, was mit einer Kombination des Trends zu nachhaltigem Qualitätstourismus und essentialistischen Gastlichkeitsvorstellungen zu tun hat. Angesichts unerwünschter Nebeneffekte und stagnierender oder zurückgehender Einkünfte aus dem Tourismus wird seit den 1990er Jahren in Zypern – wie auch in anderen Mittelmeerländern – verstärkt auf die Diversifizierung des touristischen Angebots gesetzt, das bislang stark saisonabhängig ist und sich auf bestimmte Küstenregionen konzentriert, wo es vor allem um den massentouristischen Konsum von sun and sea geht. Nicos Trimikliniotis (2008, 14) bezeichnet Zypern daher als „post-tourist society“. „Nachhaltigkeit“ und „Qualität“ sind nicht nur auf EU-Ebene zu zentralen Schlagworten tourismusbezogener Programme geworden (vgl. hierzu Kapitel 3), sondern auch tourismuswissenschaftliche Texte zu Zypern befassen sich seit Mitte der 1990er Jahre zunehmend damit (vgl. hierzu z.B. Godfrey 1996; Beck/Welz 1997; Ayres 2000; Amato 2001; Sharpley 2003; Sharpley/Forster 2003; Paphitou 2007; Welz 2007). Neben wirtschaftlichen Effekten werden im Zuge dieser Debatten ökologische und soziale Konsequenzen der Tourismusentwicklung in den Vordergrund gerückt und deren stärkere Berücksichtung eingefordert. Die Bedürfnisse der Lokalbevölkerung gewinnen an Bedeutung (vgl. z.B. Akis/Peristianis/Warner 1996; Saveriades 2000). „Gastfreundschaft“ scheint in diesem Zusammenhang häufig gleichermaßen als Maßstab für das Wohlbefinden von Einheimischen wie TouristInnen zu dienen und wird oft als schutzbedürftig dargestellt. Ebenso wie die Gastfreundschaft von BewohnerInnen anderer Urlaubsregionen (zu Kreta vgl. Kapitel 4) erscheint „zypriotische Gastfreundschaft“ gerade im Kontext von Nachhaltigkeitsdebatten bisweilen als bedrohtes oder bereits zerstörtes Wesensmerkmal einer autochthonen Bevölkerung, das es sowohl zum Wohle der Einheimischen als auch – in möglichst „unverfälschter“ Form – für den touristischen Konsum zu erhalten gilt. Dabei wird es gleichzeitig zum typischen und essentiellen Qualitätsmerkmal einer bestimmten Destination erklärt, das durch Kommerzialisierung gefährdet ist. In einigen deutschsprachigen Reiseführern lassen sich entsprechende Zitate finden. Marita Korst und Edgar P. Hoff (2002, 95) beklagen etwa, es sei „in der Tat schwer festzustellen, ob dem Fremden aus geschäftlichen Erwägungen Interesse entgegengebracht wird oder aus herzlich gemeinter Gastfreundschaft“. Und Ralf-Raymond Braun (2005, 10) schreibt über Zypern: „Die Insel besticht durch die Gastfreundschaft ihrer Bewohner. Kopiaste! Dieses ‚Tritt ein, setze Dich, und halte mit’ bestimmt auch in den Touristenzentren noch [Hervorhebung R.L.] den Umgang mit den Fremden.“ Diese Aussagen stimmen mit Thesen aus der tourismuswissenschaftlichen Literatur zu Zypern überein, die ohne empirische Belege „Gastfreundschaft“ zum
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Charakteristikum der ZypriotInnen erklären. „In Cyprus, hospitality forms an integral part of the culture, and the people have a welcoming attitude towards foreigners“, schreibt beispielsweise Stephan F. Witt (1991, 43). Und Ron Ayres (2000, 125) behauptet: „In the past traditional warmth and the friendliness of Cypriots have scored high on consumer satisfaction.“ Weder diese Behauptung über die KundInnenzufriedenheit noch seine These, die „Gastfreundschaft“ habe durch das Wachstum der Tourismusindustrie und die zunehmende Beschäftigung schlecht qualifizierten Personals in Zypern Schaden genommen, sichert Ayres empirisch ab. Wir erfahren lediglich: „[A]s the industry has grown and taken on large numbers of untrained workers the service provided in some instances has become more mechanical and formal“ (ebd.). Oft wird migrantisches Personal per se für unqualifiziert erklärt, und es wird ihm qua Herkunft abgesprochen, in einer Dienstleistungssituation TouristInnen gegenüber gastfreundlich agieren zu können. So bringt Richard Sharpley (2003, 253) – nachdem er die Gewerkschaften für sinkende Produktivität und mangelnde Qualität des Services verantwortlich gemacht hat – das Dilemma der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte im Zuge des EU-Beitritts Zyperns aus betriebs- und volkswirtschaftlicher Sicht folgendermaßen auf den Punkt: „However, likely membership of the EU will make it easier to recruit (cheaper) overseas staff although, importantly, a greater proportion of foreign workers is likely to dilute the traditional hospitality for which Cyprus is renowned, further diminishing the island’s competitiveness.“ (Vgl. hierzu auch Sharpley/Forster 2003, 689) 21
Abgesehen davon, dass seine Einschätzung, der EU-Beitritt werde die Rekrutierung billiger Arbeitskräfte aus dem Ausland erleichtern, zu bezweifeln ist, stecken in dieser Formulierung eine Reihe weiterer problematischer Mutmaßungen über ausländische Arbeitskräfte. Sharpley ist der Ansicht, sie seien zwar billig, und daher sei es betriebswirtschaftlich sinnvoll, sie einzustellen. Als AusländerInnen trügen sie jedoch unweigerlich zur Zerstörung der „traditionellen zypriotischen Gastfreundschaft“ bei und beeinträchtigten damit die Konkurrenzfähigkeit der Insel, wodurch sie Zypern volkswirtschaftlich schadeten. Migrantische Arbeitskräfte können in dieser Logik weder Gastfreundschaft erfahren noch selbst gastfreundlich agieren. Gastfreundschaft ist demzufolge keine erlernbare Fertigkeit und hat nichts mit Professionalität zu tun, sondern erscheint als eine gewissermaßen angeborene Qualifikation von Einheimischen, die allerdings nur ausgewählten „Fremden“ zuteil wird. MigrantInnen kommen in diesem hostguest-Verhältnis allenfalls als Störfaktor vor. 21
In ähnlicher Weise ist beispielsweise Greg Richards (2001, 86) der Meinung, dass die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte in Irland die traditionelle irische Gastfreundschaft untergrabe.
5.3 EU-Beitritt, ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit, Direktive 2003/109/EC
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Wie ich weiter unten zeigen werde, durchziehen die Schlagworte „Nachhaltigkeit“ und „Qualität“ auch die Strategiepapiere der Cyprus Tourism Organisation (CTO), wobei auch hier „zypriotische Gastfreundschaft“ als Humanressource begriffen wird, die nicht nur durch Kommerzialisierung, sondern auch durch unqualifiziertes – häufig ausländisches – Personal gefährdet ist. Auch ArbeitgeberInnen legen Wert auf „Gastfreundschaft“ und „Authentizität“ bei ihrem Personal. Bevor ich näher auf die Positionen von CTO und ArbeitgeberInnen eingebe, möchte ich jedoch im Folgenden wiedergeben, in welcher Weise sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für Aufenthalt und Arbeit von ausländischen Arbeitskräften in Zypern im Zuge des EU-Beitritts geändert haben.
5.3 Der EU-Beitritt, die ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit und die Direktive 2003/109/EC 5.3 EU-Beitritt, ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit, Direktive 2003/109/EC Zyperns Orientierung in Richtung Europäische Gemeinschaft begann bereits kurz nach der Unabhängigkeit. 1961 wurde Zypern Mitglied des Europarats und 1972 schloss das Land eine Assoziierungsvereinbarung mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Erst nach 1974 begann die Europäisierung der Ökonomie jedoch wirklich zu greifen. (Vgl. Trimikliniotis 2001, 55) Die Europäisierung blieb freilich nicht auf wirtschaftliche Kooperationen beschränkt, sondern war mit unterschiedlichen Hoffnungen, Befürchtungen und Wertvorstellungen verknüpft. Meist wird Europäisierung in Zypern mit Modernisierung assoziiert, wie Gisela Welz in ihrer Untersuchung des Modernisierungsdiskurses in der Republik Zypern feststellt. Man ist sich darüber einig, dass die griechischzypriotische Gesellschaft in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts in vergleichsweise kurzer Zeit tief greifende Veränderungen erfahren hat. Diese werden allerdings sehr unterschiedlich bewertet. „Für die einen ist Zypern noch lange nicht modern genug, für andere schon wieder viel zu modern“ (Welz 2001, 225). Vassos Argyrou (1996, 111ff.) zufolge sind „modernity“, „Europe“, „the West“ oder „the civilized world“ austauschbare Begriffe, die im öffentlichen Diskurs das Ziel einer Reise beschreiben, auf der sich die griechisch-zypriotische Gesellschaft seit den 1960er Jahren wähne. Tatsächlich handele es sich bei der Referenz auf diese Begriffe jedoch weniger um die Beschreibung eines Reiseziels als um die Legitimierung und Reproduktion sozialer Ungleichheiten. Innerhalb Zyperns würden mit der Referenz auf „modernity“ Unterschiede zwischen verschiedenen Generationen und sozialen Klassen sowie zwischen Frauen und Männern, StadtbewohnerInnen und Dorfbevölkerung verstärkt. Während die einen für sich in Anspruch nähmen, „modern“ zu sein, dabei aber immer wieder
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5 Zypern
der ungenügenden Nachahmung des Westens entlarvt würden, würden die anderen auf „die Tradition“ verpflichtet, welche aufgrund touristischer Nachfrage an Bedeutung gewonnen habe (vgl. ebd., 151). Ob sich die ZypriotInnen nun bemühen, „modern“ zu sein, oder ob sie „traditionell“ leben wollen – in beiden Fällen reproduzieren sie Argyrou zufolge die „symbolische Dominanz“ des Westens. In der Implementierung neuer Gesetze und Direktiven und in ihren Konsequenzen für Einzelne kommt soziale Ungleichheit nicht nur symbolisch, sondern ganz konkret zum Ausdruck. Während die ZypriotInnen in 2004 offiziell zu EUBürgerInnen wurden und den BürgerInnen anderer EU-Länder Freizügigkeit gewährten, wurden die legalen Mobilitäts- und Arbeitsmöglichkeiten für migrantische Arbeitskräfte aus sogenannten Drittstaaten erheblich eingeschränkt, wobei auch Hierarchien entstanden, die quer lagen zu den offiziellen Mobilitätskategorien der EU. Seit der Mitgliedschaft Zyperns in der Europäischen Union können zypriotische BürgerInnen uneingeschränkt auf dem gesamten Gebiet der EU leben und arbeiten. Die von den alten EU-Ländern (außer von Großbritannien, Schweden und Irland) eingeführte Übergangsregelung, die Freizügigkeit von BürgerInnen aus den neuen Beitrittsländern für sieben Jahre auszusetzen, gilt nicht für Slowenien, Malta und Zypern. Die alten EU-Länder hatten diese Übergangsfrist eingeführt, um ihre Arbeitsmärkte gegen Billiglohnkonkurrenz aus Mittel- und Osteuropa abzuschotten. Aufgrund der geringen Bevölkerungsgröße und vor allem wegen der ökonomischen Entwicklung in Slowenien, Malta und Zypern schloss man eine Emigrationswelle aus diesen Ländern aus und gestattete den BürgerInnen unmittelbar uneingeschränkte Freizügigkeit innerhalb der EU. (Vgl. Thom22 son 2006, 1f.) Anders als die meisten alten EU-Länder hat Zypern unmittelbar nach dem Beitritt sämtliche Restriktionen der Freizügigkeit für EU-BürgerInnen aufgehoben. Auch für BürgerInnen aus den erst zum 1. Januar 2007 in die EU aufgenommenen Ländern Bulgarien und Rumänien wurden die Einreise- und Arbeitsbedingungen erleichtert.23 Ziel war es, die im Land lebenden Arbeitskräfte aus 22 In alten EU-Ländern wie Deutschland und Frankreich dominierte im Vorfeld der Beitrittsrunde von 2004 die Diskussion um Billiglohnkonkurrenz aus dem Osten. Die neuen EU-Länder an den südöstlichen Außengrenzen Europas spielten in dieser Diskussion ebenso wenig eine Rolle wie Migrationsbewegungen zwischen den neuen EU-Ländern. 23 Mit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur Europäischen Union am 1. Januar 2007 gewährte Zypern ebenso wie Griechenland auch BürgerInnen aus diesen beiden Ländern volle Freizügigkeit. Großbritannien und Irland, die ihre Arbeitsmärkte bei den Beitritten in 2004 noch unmittelbar für die neuen EU-BürgerInnen geöffnet hatten, entschieden sich nun hingegen wie die meisten anderen EULänder für eine restriktivere Haltung. (Vgl. Cyprus Mail vom 13.12.2006) Allerdings versäumte Zypern es ebenso wie acht andere EU-Mitgliedstaaten, die Direktive zur Anerkennung von Berufsqualifikationen aus Rumänien und Bulgarien zu implementieren, so dass Menschen mit rumänischem
5.3 EU-Beitritt, ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit, Direktive 2003/109/EC
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sogenannten Drittstaaten sukzessive durch EU-BürgerInnen zu ersetzen. Arbeitsgenehmigungen für „Drittsaatenangehörige“ werden nur für einen begrenzten Zeitraum und nur für bestimmte Sektoren der Wirtschaft erteilt, wobei jetzt nachgewiesen werden muss, dass weder einE ZypriotIn noch einE BürgerIn aus einem EU-Land dafür zur Verfügung stehen. Zudem sind die Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen von „Drittstaatenangehörigen“ an eineN bestimmteN ArbeitgeberIn geknüpft, so dass MigrantInnen nur schwer ihren Arbeitsplatz wechseln können und damit extrem ausbeutbar sind. Diese unterschiedliche Behandlung kommentiert Mark Thomson (2006, 7) so: „This line of thought betrays an endemic aspect of the wider EU project that achieves inclusion partly by excluding others. At the scale of nation-states, the process of EU enlargement can change relations between countries that subsequently find themselves on either side of EU borders. […] But this process also affects member-state relations with its resident migrant population as the recruitment of EU citizens is prima facie prioritised over others.“
Thomson (2006, 4) zufolge lag der Schwerpunkt bei der „Harmonisierung“ der EU-Migrationspolitik auf den Bereichen, in denen Migration als eine Sicherheitsfrage behandelt wurde (z.B. bei der Koordination von Visa-Regelungen und der Einführung gemeinsamer Datenbanken wie dem Schengener Informationssystem (SIS)), während die Rechte von auf EU-Gebiet lebenden „Drittstaatenangehörigen“ zweitrangig waren. In Anbetracht der in Zypern beobachtbaren Konsequenzen für MigrantInnen aus sogenannten Drittstaaten verläuft der „Harmonisierungsprozess“, also die Angleichung der nationalen Gesetzgebung an EUVorgaben, dementsprechend alles andere als harmonisch. Die Verschlechterung der Situation von „Drittstaatenangehörigen“ ist dabei nicht als Nebenprodukt der Europäisierung zu betrachten, sondern als ein zentrales Merkmal. Nicos Trimikliniotis (2001, 61) schreibt: „Europeanism in some contexts may play a protagonistic role in creating new configurations where the non-Europeans (usually migrants or ethnic minorities with ‘questionable’ European credentials) may be excluded or inferiorised or subordinated. It, therefore, makes little sense to view Europeanisation necessarily as ‘conflict resolution’ given that it may well operate in practice as a mechanism for exclusion.“24 oder bulgarischem Pass teilweise aufwändige Prozeduren in Kauf nehmen müssen, um eine Arbeitsgenehmigung zu erhalten (vgl. Cyprus Mail vom 4.4.2008). 24 Mit „conflict resolution“ bezieht Trimikliniotis sich auf das im Vorfeld des Beitritts häufig zur Legitimation von Angleichungsmaßnahmen bemühte Argument, Europäisierung bedeute eine Chance für die Lösung des Zypernkonflikts. Der Zypernkonflikt wurde bisher jedoch nicht gelöst. Der von UN-Generalsekretär Kofi Annan vorgelegte Plan zur Einrichtung einer bizonalen Föderation wurde
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5 Zypern
Wenig harmonisch gestaltete sich auch die Implementierung der EU-Direktive 2003/109/EC, die für „Drittstaatenangehörige“ die Möglichkeit vorsieht, nach einem mindestens fünfjährigen legalen und ununterbrochenen Aufenthalt eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. In Zypern war die maximale Verlängerungsfrist für Arbeitsgenehmigungen von „Drittstaatenangehörigen“ vor wenigen Jahren auf sechs Jahre heraufgesetzt worden. Angesichts der bevorstehenden Implementierung der EU-Direktive 2003/109/EC wurde sie jedoch wieder auf vier Jahre reduziert, um sicherzustellen, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens möglichst wenige „Drittstaatenangehörige“ antragsberechtigt sein würden. Die Harmonisierung der nationalen Regelungen mit der EU-Direktive hätte eigentlich bis zum 23. Januar 2006 erfolgen sollen, doch in Zypern wie auch in anderen EU-Ländern zögerte sich die Umsetzung hinaus. Von Seiten des Innenministeriums wurde Unterbesetzung der entsprechenden Regierungsstelle als Grund angegeben. (Vgl. Cyprus Mail vom 5.7.2006) Die Nichtregierungsorganisation KISA und das Büro der Ombudsfrau vermuteten jedoch eine gezielte Verzögerungstaktik, um vor der Implementierung des Gesetzes noch so viele „Drittstaatenangehörige“ wie möglich ausweisen zu können, die ansonsten möglicherweise in den Genuss einer Daueraufenthaltsgenehmigung kommen würden. Der Präsident von KISA, Doros Polycarpou, sagte: „We’ve asked that people who have been working in Cyprus legally for the past five years be granted extensions on their residency permits until the law is implemented, but the migration department is refusing to do this and is deporting people. By the time the law is passed no one will be left to apply.“ (Vgl. Cyprus Mail vom 13.9.2006)
Es wurde eine Reihe von Fällen bekannt, in denen Menschen vor der Implementierung des Gesetzes abgeschoben wurden, obwohl (bzw. weil) sie die erforderlichen Kriterien für den Antrag auf eine Daueraufenthaltsgenehmigung erfüllten (vgl. z.B. Cyprus Mail vom 15.1.2006). Die Einwanderungsbehörde setzte sich dabei sogar eigenmächtig über die Verfügung des Innenministers vom Oktober 2006 hinweg, bis zur Implementierung des Gesetzes niemanden abzuschieben, der oder die fünf Jahre legalen Aufenthaltes in Zypern nachweisen konnte (vgl. Cyprus Mail vom 15. und 31.5.2007). Obwohl das Gesetz Anfang Februar 2007 von der Mehrheit der griechischen ZypriotInnen im April 2004 abgelehnt und die Wiedervereinigung der Insel damit auf unbestimmte Zeit vertagt (zu den Wiedervereinigungsverhandlungen zwischen 1974 und 2008 vgl. z.B. Faustmann 2009). Zwar wurde dennoch die ganze Insel Mitglied der Europäischen Union, aber der acquis communautaire, der Gesamtbestand an Rechten und Pflichten für EU-Mitgliedstaaten, gilt nur für den von der griechisch-zypriotischen Regierung kontrollierten Süden. Der Status der Grenze zwischen den beiden Landesteilen ist seither umstritten.
5.3 EU-Beitritt, ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit, Direktive 2003/109/EC
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– über ein Jahr nach dem gesetzten Termin und nach der verspäteten Einbeziehung der Einwände zivilgesellschaftlicher AkteurInnen wie Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen – schließlich verabschiedet worden war (vgl. Cyprus Mail vom 1. und 2.2.2007), dauerte es noch bis November desselben Jahres, bis die Einwanderungsbehörde Anträge auf eine Daueraufenthaltsgenehmigung akzeptierte (vgl. Cyprus Mail vom 17., 21. und 22.11.2007). Einige Fälle der unrechtmäßigen Verweigerung von Daueraufenthaltsgenehmigungen machten Schlagzeilen. So war der Antrag einer Migrantin, die als „domestic worker“ fünf Jahre ununterbrochenen legalen Aufenthaltes in Zypern nachweisen konnte, abgelehnt worden. Diese Entscheidung wurde Mitte Januar 2008 vom Obersten Gerichtshof in Zypern mit der Begründung bestätigt, dass die EU-Direktive nur dann greife, wenn MigrantInnen gute Gründe für die Annahme hätten, ihr dauerhafter Aufenthalt sei erwünscht. Das sei jedoch bei StudentInnen, SaisonarbeiterInnen und Hausangestellten nicht der Fall, da sie explizit einen Status als „temporarily resident“ hätten. Die Nichtregierungsorganisation KISA reagierte mit großer Sorge auf dieses Urteil und kündigte an, Beschwerde bei der EU-Kommission einzulegen, da Zypern damit im Grunde allen ArbeitsmigrantInnen eine Daueraufenthaltsgenehmigung verweigern könne (vgl. 25 Cyprus Mail vom 23.1.2008). Die vom Obersten Gerichtshof bestätigte Verweigerung der Daueraufenthaltsgenehmigung scheint die im Vorfeld der Implementierung häufig geäußerte Befürchtung widerzuspiegeln, Zypern werde von „Drittstaatenangehörigen“ überschwemmt, sobald die Direktive umgesetzt sei. So hatte beispielsweise eine von mir interviewte Beamtin des Arbeitsministeriums mit Sorge die drohenden demografischen Veränderungen für Zypern ausgemalt. Wenn 50.000 MigrantInnen eine Daueraufenthaltsgenehmigung bekämen und dann auch noch ihre Familien nachholten, wären in kurzer Zeit 200.000 MigrantInnen dauerhaft in Zypern, rechnete sie mir vor. Die Zahlen sind jedoch nicht realistisch. Wie meine empirischen Beispiele weiter unten zeigen werden, wollen viele „Drittstaatenangehörige“ gar nicht in Zypern bleiben – selbst wenn sie eine Daueraufenthaltsgenehmigung beantragen. Wenngleich die Bevorzugung von EU-BürgerInnen gegenüber „Drittstaatenangehörigen“ auf dem Arbeitsmarkt explizit Teil der zypriotischen Migrationspolitik geworden ist und sich in entsprechend unterschiedlichen arbeitsrechtlichen Bedingungen äußert, sind die zwischen ausländischen Arbeitskräften im Alltag entstehenden Hierarchien nicht immer ganz so eindeutig. Beispielsweise sind MigrantInnen von außerhalb der EU inzwischen in manchen Sektoren 25
Inzwischen hat eine Regierungskommission entschieden, dass Hausangestellte, die sich um ältere, pflegebedürftige Menschen kümmern, ihre Arbeitsgenehmigung nach fünf Jahren verlängern können (vgl. Cyprus Mail vom 10.5.2008).
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der Wirtschaft – insbesondere im Bereich haushaltsnaher Dienstleistungen (vgl. hierzu Lenz 2006) – strukturell so stark eingebettet, dass sie nicht ohne Weiteres durch EU-BürgerInnen ersetzt werden können. Auch ArbeitgeberInnen in anderen Bereichen, insbesondere im Tourismus, der wichtigsten Einkommensquelle des Landes, aber auch in der Landwirtschaft und im Bausektor, können oder wollen nicht auf Arbeitskräfte aus sogenannten Drittstaaten verzichten. Und während für „Drittstaatenangehörige“ – zumindest offiziell – die Tarifverträge gelten, können mit EU-BürgerInnen individuelle Arbeitsverträge abgeschlossen werden, häufig unter schlechteren Bedingungen. Unmittelbar nach den EUBeitritten in 2004 waren zudem einige neue EU-BürgerInnen nicht über ihre Rechte informiert und wurden von selbsternannten ArbeitsvermittlerInnen betrogen, die ihnen unrechtmäßig Geld für die Vermittlung von Jobs in Zypern abnahmen, welche dann oftmals gar nicht oder anders als vereinbart zustande kam. (Vgl. hierzu z.B. Cyprus Mail vom 26.1.2006) Der EU-Beitritt und die damit einhergehende ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit führten also nicht in jeder Hinsicht zu einer Privilegierung von EU-BürgerInnen gegenüber „Drittstaatenangehörigen“. Eine einfache Hierarchisierung entlang der offiziellen Arbeitsmarktprioritäten – 1. ZypriotInnen und sonstige EU-BürgerInnen, 2. BulgarInnen und RumänInnen (zu diesem Zeitpunkt noch keine EU-BürgerInnen), 3. „Drittstaatenangehörige“ – ergibt sich nicht immer ohne Weiteres. Davon ausgehend, dass Grenzziehungsprozesse meist ambivalent sind und sich nicht unmittelbar aus der Gesetzeslage, aus Policy-Papieren oder aus Statistiken ergeben, werden im Folgenden zunächst unterschiedliche offizielle Positionen zur Beschäftigung von Arbeitskräften aus dem EU-Ausland wie auch aus sogenannten Drittstaaten im Hotel-, Restaurant- und Catering-Sektor in Zypern einander gegenübergestellt. Dabei werde ich auch herausarbeiten, wie der Topos „Gastfreundschaft“ hier zum Tragen kommt. Abschließend stelle ich die konkrete Situation einzelner ausländischer Arbeitskräfte vor dem Hintergrund der veränderten Bedingungen durch den EU-Beitritt ausführlicher dar.
5.4 „Drittstaatenangehörige“ im Hotel-, Restaurant- und Catering-Sektor Wie die teilweise widersprüchlichen Aussagen der in Zypern befragten Gewerkschaftsvertreter exemplarisch zeigen, befinden sich die ArbeitnehmerInnenvertretungen in Europa in einem Dilemma. Lange Zeit endeten der Kampf der Gewerkschaften und ihre Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“ an den Grenzen der Nationalstaaten. Nun muss in den Kategorien eines europäischen Marktes gedacht werden. Während der Neoliberalismus sich inzwischen die Forderung der Gewerkschaften zu eigen gemacht habe und Lohnunterschiede
5.4 „Drittstaatenangehörige“ im Hotel-, Restaurant- und Catering-Sektor
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anprangere, um Löhne überall auf ein gleich niedriges Niveau zu bringen, seien die Gewerkschaften in eine „perverse Lage“ geraten, schreiben Ulrich Beck und Edgar Grande (2004, 267): Entweder sie fordern weiterhin gleichen Lohn für gleiche Arbeit – aber auf hohem Niveau – und wählen damit einen möglicherweise „ökonomisch fatalen“ und „politisch utopischen“ Weg, oder sie vertreten eine „neonationale Position“ und verteidigen die Lohnunterschiede zwischen den europäischen Ländern. Das „explosive Potential europäischer Ungleichheiten“, von dem Beck und Grande sprechen, ist jedoch nicht auf den binneneuropäischen Arbeitsmarkt begrenzt, sondern umfasst auch Arbeitskräfte aus sogenannten Drittstaaten. Die Gewerkschaften in Zypern26 scheinen sich mit der Europäisierung des Arbeitsmarkts – zumindest offiziell – abgefunden zu haben. Sie versuchen nun, die ArbeitnehmerInnen aus anderen europäischen Ländern für ihre Sache zu gewinnen und die ZypriotInnen davon zu überzeugen, dass nicht die – legal beschäftigten – KollegInnen aus dem Ausland, sondern die ArbeitgeberInnen daran schuld sind, wenn die Löhne sinken.27 „Drittstaatenangehörige“ beziehen sie in ihre Bemühungen allerdings kaum ein. Es zeichnen sich in Bezug auf die Öffnung des zypriotischen Arbeitsmarktes für BürgerInnen aus den neuen EU-Ländern und die Neuregelung der Arbeits- und Aufenthaltsrechte von „Drittstaatenangehörigen“ inhaltliche Übereinstimmungen zwischen unterschiedlichen Interessengruppen ab, hinter denen allerdings ganz verschiedene Absichten stehen. „In the tourist sector we were very strict this year to keep the priorities, first locals, then Europeans and then Bulgaria and Romania“, erklärte eine leitende Beamtin des Ministeriums für Arbeit und Soziales ein Jahr nach dem EUBeitritt.28 Insbesondere RestaurantbetreiberInnen bestünden jedoch darauf, weiterhin in großer Zahl Arbeitskräfte aus sogenannten Drittstaaten zu beschäftigen. ArbeitgeberInnen, die Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern über die Saison hinaus beschäftigen wollen, müssen dies beim Arbeitsministerium beantragen. In dem Jahr nach dem EU-Beitritt waren nur sehr wenige Anträge von Arbeitgebe26 Für einen Überblick über Gewerkschaften und Parteien im heutigen Zypern vgl. z.B. Stergiou (2009). 27 Bis vor wenigen Jahren verfolgten die zypriotischen Gewerkschaften allerdings noch eine grundsätzlich ablehnende Politik gegenüber der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte (vgl. hierzu Trimikliniotis 1999, 156ff.). 28 Inzwischen hat die Regierung eine „Foreigners Employment Strategy“ auf den Weg gebracht, die Quoten für die Beschäftigung von „Drittstaatenangehörigen“ in verschiedenen Sektoren vorsieht. Ein Unternehmen, das „Drittstaatenangehörige“ beschäftigen will, muss jetzt nachweisen, dass es sich mindestens sechs Monate lang vergeblich bemüht hat, Arbeitskräfte aus Zypern oder der EU zu finden. Außerdem wurde festgelegt, dass die Zahl der Arbeitskräfte aus sogenannten Drittländern einen Anteil von dreißig Prozent aller Arbeitskräfte eines Unternehmens nicht übersteigen darf. (Vgl. Cyprus Mail vom 24.4.2008)
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5 Zypern
rInnen aus dem Hotel-, Restaurant- und Catering-Sektor bewilligt worden. Im Arbeitsministerium hoffte man, so zu einer Verminderung der saisonal bedingten Arbeitslosigkeit von ZypriotInnen beizutragen. Es könne nicht angehen, dass viele ZypriotInnen ihre Jobs nach Saisonende verlören, während MigrantInnen weiterbeschäftigt würden, meinte die Ministerialbeamtin. Die Zusammenarbeit mit den ArbeitgeberInnen habe in dieser Hinsicht auch sehr gut funktioniert – außer in der Region Paphos. Dort sei niemand dem offiziellen Prozedere gefolgt. In touristischen Zentren wie Paphos und Agia Napa haben Restaurant- und BarbetreiberInnen Anfang 2004 sogar mit Streiks und gerichtlichen Schritten gedroht, wenn die Arbeitsgenehmigungen ihrer Beschäftigten aus sogenannten Drittstaaten nicht verlängert würden. Sie betonten, dass es trotz zahlreicher arbeitslos gemeldeter ZypriotInnen nicht möglich sei, in den Wintermonaten einheimische KellnerInnen und BarkeeperInnen zu finden, da die ansässige Bevölkerung es vorzöge, außerhalb der Saison von Arbeitslosengeld zu leben. (Vgl. Cyprus Mail vom 16. und 24.1.2004) Angesichts der Tsunami-Katastrophe Ende 2004 versuchten RestaurantbesitzerInnen aus Paphos zudem humanitäre Gründe geltend zu machen, um eine Verlängerung der Arbeitsgenehmigungen ihrer zahlreichen Beschäftigen aus Sri Lanka und Indien zu erwirken. (Vgl. Cyprus Mail vom 29.12.2004) Die Ministerialbeamtin führte das Insistieren der ArbeitgeberInnen auf der Beschäftigung von Arbeitskräften aus sogenannten Drittstaaten hingegen auf die Ausbeutbarkeit der MigrantInnen zurück. Gesetze und Vorschriften, nach denen für ausländische Arbeitskräfte dieselben Arbeitsbedingungen gelten wie für ZypriotInnen, existierten zwar, würden jedoch häufig nicht eingehalten: „From the complaints that come before us there is evidence that some employers – I don’t know to what extent – but some employers do violate these rules and these criteria.“ Das gelte nicht nur für Arbeitskräfte aus sogenannten Drittstaaten, sondern auch für BürgerInnen aus den neuen EU-Ländern. Da Zypern ihnen im Unterschied zu den meisten anderen EU-Ländern unmittelbar Freizügigkeit gewährte, seien im vergangenen Jahr viele Arbeitskräfte aus Mittel- und Osteuropa – insbesondere aus der Slowakei und Polen – nach Zypern gekommen. Dies sei allerdings sehr unorganisiert geschehen. „People were not informed at that time of their rights. They came on their own. Many of them were mislead by some employment agencies.“ Oftmals würden auch die Arbeitsverträge nicht eingehalten. Es sei jedoch nicht einfach für ausländische Arbeitskräfte, dagegen Beschwerde einzulegen. Das Ministerium verfüge auch nicht über genügend Personal, um sämtliche Betriebe zu kontrollieren. Man ist daher froh über die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften: „We cannot do thousands and thousands of labour inspections, to be at all places at any time. So we rely a lot on the trade unions.“
5.4 „Drittstaatenangehörige“ im Hotel-, Restaurant- und Catering-Sektor
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Der Generalsekretär des Hotel- und Gaststättenzweigs des linksgerichteten Gewerkschaftsverbands PEO sagte: „There is legislation: Foreigners are going to work in Cyprus with the same benefits and rights as Cypriots. This is only in the paper, only in the paper.“ Die Position seiner Gewerkschaft fasste er folgendermaßen zusammen: „After Cyprus got member of the EU the people started especially from ex-socialist countries to come here. […] They accept to work with much less remuneration and other benefits than the Cypriots have and that is an element in the hand of the employers. Then they press the […] Cypriots to accept to work with lower and other conditions than the collective agreements.“
Dabei bezog er sich sowohl auf BürgerInnen aus anderen EU-Ländern als auch auf „Drittstaatenangehörige“, sofern sie legal beschäftigt waren. Ziel der Gewerkschaft sei es, den zypriotischen ArbeitnehmerInnen klar zu machen, dass das Problem nicht die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte sei, sondern die Tatsache, dass zypriotische ArbeitgeberInnen deren Situation ausbeuteten. Außerdem versuche man, mit den ausländischen Arbeitskräften in Kontakt zu kommen und ihnen Unterstützung bei der Einforderung ihrer ArbeitnehmerInnenrechte anzubieten. Eine ähnliche Politik im Hinblick auf ausländische Arbeitskräfte verfolgte auch der Zweig der Hotelangestellten des konservativen Gewerkschaftsbundes SEK. Der Generalsekretär betonte: „A big number of employers they are exploiting foreigners and European citizens and we try on the contrary to protect them.“ Die Broschüre, die SEK zum Zweck der Kontaktaufnahme und der Aufklärung über ArbeitnehmerInnenrechte entwickelt hat, wurde ins Englische, Russische, Tschechische, Polnische und Slowakische übersetzt, was darauf verweist, dass sich das Engagement der Gewerkschaften vornehmlich auf Arbeitskräfte aus den neuen Beitrittsländern richtet, deren Konkurrenz auf dem zypriotischen Arbeitsmarkt sich im Rahmen der gemeinsamen Mitgliedschaft in der Europäischen Union nun nicht mehr verhindern lässt. Ein Vertreter der Hotel- und Gaststättengewerkschaft PEO in der Region Paphos bestätigte im Interview, dass „Drittstaatenangehörige“ zwar insofern schlechtere Arbeitsbedingungen haben als EU-BürgerInnen, als dass ihre Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung an eineN bestimmteN ArbeitgeberIn gebunden ist und sie kaum Möglichkeiten haben, ihren Arbeitsplatz zu wechseln. Allerdings würden die Arbeitsverträge der „Drittstaatenangehörigen“ vom Ministerium und von den Gewerkschaften kontrolliert. Mit Arbeitskräften aus EU-Ländern könnten hingegen individuelle Verträge mit oftmals schlechteren Bedingungen abgeschlossen werden, was er als Gewerkschafter mit Sorge beobachte. Entgegen der in den Gewerkschaftszentralen inzwischen verbreiteten antirassisti-
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schen Rhetorik und den Bemühungen um Arbeitskräfte aus den neuen Beitrittsländern äußerte sich dieser Gewerkschafter eher ablehnend gegenüber Arbeitskräften aus den neuen EU-Ländern. Er sprach von „kulturellen Differenzen“, wobei vor allem Ressentiments gegenüber PolInnen deutlich wurden. Polnische Arbeitskräfte seien extrem unzuverlässig und sprächen zudem meist kein Englisch, weshalb er Verständnis habe, wenn ArbeitgeberInnen sie nicht beschäftigen wollten: „The people who come from Poland now and from the new European countries, they are not so good. […] They don’t work, they just make problems. They drink, go to the restaurants and get drunk and make problems most of them. That’s why they don’t want them. […] Maybe they work for one week and then they leave, go somewhere else and the restaurants or the hotels, they cannot work like that. […] The Cypriots, they don’t leave from one day to the other, they stay, they work, they give their best.“
Gegenüber Arbeitskräften aus sogenannten Drittstaaten brachte er hingegen eine zwar ambivalente, insgesamt jedoch positive Haltung zum Ausdruck. Ebenso wie von ZypriotInnen könne man von ihnen eine gewisse Kontinuität erwarten, da sie ihren Arbeitsplatz nicht einfach wechseln könnten. Der Gewerkschafter fand es daher nachvollziehbar, dass ArbeitgeberInnen sie bevorzugten: „They cannot change every day. […] They stay. They stay because they have to stay, because the license is for that place. That’s why. […] The restaurants here, the hotels, they want to give service, they want to give quality, so they want people who stay.“
Ein mir von dem Gewerkschafter zum Interview empfohlener Barbetreiber aus Paphos löste das Problem der hohen Fluktuation seiner zumeist osteuropäischen Servicekräfte, indem er ein Monatsgehalt zurückhielt und erst nach sechs Monaten auszahlte.29 Der Gewerkschafter widersprach seinem Fluktuationsargument dann allerdings wieder, als er sagte, dass nun PolInnen auch deshalb bevorzugt 29 Es gibt jedoch freilich auch ArbeitgeberInnen, die eine andere Personalpolitik verfolgen: Ein Agrotourismusunternehmer mit hohen ethischen Ansprüchen an sein Unternehmen hatte sich nach dem EU-Beitritt entschieden, neben ZypriotInnen auch einige PolInnen einzustellen, da es schwierig geworden war, ZypriotInnen zu finden, die bereit waren, abends und an Wochenenden zu arbeiten. Sein Problem war nun nicht die hohe Fluktuation, sondern im Gegenteil die Schwierigkeit, die Arbeitskräfte aus Polen wieder loszuwerden, und zwar nicht aus rechtlichen, sondern aus menschlichen Gründen. Man gebe ihnen schließlich nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern auch Unterkunft und Verpflegung und stelle zudem vielleicht noch Verwandte von ihnen ein, die nicht alle gleichermaßen geeignet seien. Mit einer Nichtverlängerung ihres Beschäftigungsverhältnisses verlören sie also mehr als nur einen Arbeitsplatz, weshalb er sich damit sehr schwer tat. „You know, you are dealing with people“, erklärte er. (Vgl. hierzu auch Welz 2007)
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würden, weil sie über Winter weiterbeschäftigt werden dürften und damit Kontinuität über die Saison hinaus gewährleisteten. Dadurch machten sie Studierenden, die nur während des Sommers arbeiten könnten, die Jobs streitig: „These students come to Cyprus in summer, they work and take some money and they go back to study. […] This year it’s a problem, because people from Poland come, many people from Poland, and because they are going to stay, some of them, in September, October, too, […] they prefer to take them [instead of] people from colleges.“
Den polnischen Arbeitskräften wird hier also sowohl Wechselhaftigkeit als auch Kontinuität zum Vorwurf gemacht, je nachdem wem sie gegenübergestellt werden. Außerdem werden sie aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke aus einer Reihe von Nationalitäten herausgegriffen, die seit der EU-Erweiterungsrunde in 2004 zunehmend auf dem zypriotischen Arbeitsmarkt zu finden sind. Offenbar wird das Feindbild der pontischen GriechInnen, die insbesondere in der Region Paphos leben und dort in den letzten Jahren häufig mit Rassismus konfrontiert wurden30, nun durch das der Problem-PolInnen abgelöst oder zumindest ergänzt. (Vgl. hierzu auch Cyprus Mail vom 9.9.2007) Mit seiner grundsätzlich verständnisvollen Haltung zur Bevorzugung von Arbeitskräften aus sogenannten Drittstaaten gegenüber BürgerInnen aus den neuen EU-Ländern und insbesondere Polen bestätigt der Gewerkschafter die Personalpolitik vieler ArbeitgeberInnen. So sagte der Personalchef eines VierSterne-Hotels in Paphos über die Beschäftigung von „Drittstaatenangehörigen“: „If we had the chance to employ these people, we would, but the policy, the new government policy don’t give us permits to employ these people. They prefer to have the Europeans. […] I could say that they [die “Drittstaatenangehörigen”] are better workers in some parts […]. I wouldn’t say they are famous in service but like stewarding, which is washing dishes and all these jobs which are considered rather heavy jobs for Europeans, these people they do work because they appreciate it. […] We Europeans, we are choosing where to work and how much money we want to have. But these people, they need the job, they need money and they are working good. […] Yes, these people are working better than Europeans.“
30
Nach der Auflösung der Sowjetunion erhielten die in der Kaukasusregion lebenden pontischen GriechInnen ohne größere Umstände griechische Pässe und konnten so problemlos nach Zypern einreisen. Eine bilaterale Vereinbarung mit der griechischen Regierung sichert ihnen unbegrenzte Aufenthalts- und Arbeitsrechte in Zypern zu. Die meisten von ihnen leben in der Paphos-Region im Westen Zyperns. Sie werden häufig für die steigende Kriminalitätsrate verantwortlich gemacht und der Ghettoisierung bezichtigt. (Vgl. z.B. Cyprus Mail vom 24.6. und 4.7.2004)
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Auch der Generaldirektor des UnternehmerInnenverbandes Cyprus Hotel Association (PASYXE) sprach sich für die Beschäftigung von „Drittstaatenangehörigen“ aus: „Especially for meeting the needs of the high season there is no adequate number of local skilled workforce […] in the hotel industry and the tourist industry […]. So they need to employ not only European nationals but also from third countries beyond the 25 countries of the European Union in order to cover and fill especially those supporting duties like cleaners, like housemaids, like assistants in the kitchen, gardeners etc. […] If there is no local force available for specific duties that are satisfactorily executed for a number of years now by third country nationals, why should we go to the expense of trying and seek to find other foreign workers since the ones chosen have performed excellent?“
Der Generaldirektor des UnternehmerInnenverbandes Association of Cyprus Tourist Enterprises (STEK) ärgerte sich über die Position der Gewerkschaften: „As far as foreigners from third countries are concerned, they don’t want them at all. They want them out of Cyprus and they press for this, whereas we want them. For the time being we want them, because it’s the only way to reduce to some extent our operational cost and survive, because survival means employment for many people in Cyprus.“
In ihrem Einsatz für die baldige Umsetzung der EU-Direktive 2003/109/EC unterstützte auch die Nichtregierungsorganisation KISA die Position der ArbeitgeberInnen in Bezug auf Arbeitskräfte aus sogenannten Drittstaaten und übernahm dabei deren unternehmerische Rhetorik: „And if we look at it from a financial point of view, we [KISA] believe that giving migrant workers long-term residency will be beneficial to the economy. We receive numerous calls every day from employers who want to keep their employees whose visa has run out, because they are hard working and honest.“ (Vgl. Cyprus Mail vom 28.6.2006)
Die hier zitierten Positionen zeigen beispielhaft, wie EU-Direktiven und nationale Politik mehr oder weniger harmonisch aufeinander abgestimmt werden und dabei in einem spezifischen Sektor der Wirtschaft, hier dem Hotel-, Restaurantund Catering-Sektor, auf unterschiedlich motivierte Widerstände oder auch auf Unterstützung stoßen. Die offizielle Absicht des Arbeitsministeriums, im Sinne der EU die Zahl von ZypriotInnen und EU-BürgerInnen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, findet Anklang bei den Gewerkschaften, die in der Beschäftigung von „Drittstaatenangehörigen“ eine Gefahr für die Arbeitsbedingungen aller sehen. ArbeitgeberInnen hingegen legen großen Wert auf die Weiterbeschäfti-
5.5 MigrantInnen als Bedrohung der „Gastfreundschaft“
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gung von „Drittstaatenangehörigen“ und bedauern die Neuregelung. Eine ähnliche Position wird auch von einzelnen GewerkschafterInnen sowie von VertreterInnen einer Nichtregierungsorganisation, die sich für die Rechte von MigrantInnen einsetzt, formuliert. Lange Zeit konnten die ArbeitgeberInnen sich zudem auf die Laxheit der Kontrollen des Ministeriums verlassen. Ebenso wie die Tourismusbehörde befürchten einige ArbeitgeberInnen jedoch Qualitätseinbußen, wenn ausländisches Personal im direkten Kontakt mit Gästen eingesetzt wird.
5.5 Die Konstruktion von MigrantInnen als Bedrohung der „typisch zypriotischen Gastfreundschaft“ 5.5 MigrantInnen als Bedrohung der „Gastfreundschaft“ Die positive Einschätzung von „Drittstaatenangehörigen“ als fleißigen und zuverlässigen Arbeitskräften wird von manchen ArbeitgeberInnen relativiert, insofern sie sie zwar als Putzkräfte oder Küchenhilfen im Hintergrund schätzen, sie aber weniger gern im Service beschäftigen. Der bereits zitierte Personalchef aus Paphos lehnte eine Beschäftigung von „Drittstaatenangehörigen“ in Jobs mit direktem Gästekontakt mit der Begründung ab, dass dadurch das Image des gastfreundlichen Zyperns gefährdet sei. Bedauernd sagte er: „We don’t have enough staff, so we ended up hiring foreigners and changing the general image.“ Und die Managerin eines kleinen Hotels in Plagia sah die Authentizität des touristischen Erlebnisses durch ausländische Arbeitskräfte gefährdet, ohne dabei jedoch zwischen EU-BürgerInnen und „Drittstaatenangehörigen“ zu differenzieren: „I mean, it’s nice to go to Cyprus to meet Cypriots, not to meet Bulgarians or whatever, because you want to see the culture.“ Außerdem würden AusländerInnen die lokale Küche nicht beherrschen und womöglich fremde Gewürze bei der Zubereitung von Moussaka verwenden. Sie selbst beschäftigte zwei Frauen aus Sri Lanka, die jedoch nur für die Familie kochten, nicht für die Gäste, und weitere Haushaltsarbeiten erledigten.31 Auch die Cyprus Tourism Organisation (CTO), die seit einigen Jahren daran arbeitet, dem Problem der zurückgehenden Einnahmen aus dem Tourismus zu begegnen, indem sie verstärkt auf sogenannten Qualitätstourismus setzt, steht der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte kritisch gegenüber. Ein Dozent am
31
Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen von Welz (2007, 343f.) über einen Agrotourismusunternehmer in Zypern, der auf Qualitätstourismus setzt und seine Angestellten den Kriterien des nachhaltigen Tourismus entsprechend vorwiegend in zypriotischen Dörfern rekrutiert. Er vertritt die Ansicht, zypriotische MitarbeiterInnen seien „durch ihre Herkunft prädestiniert, der Dienstleistung dem Kunden gegenüber eine besondere Note zu verleihen und eine spezifische menschliche Wärme zu vermitteln“.
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Higher Hotel Institute in Nicosia, einem staatlichen Ausbildungsinstitut für das Hotelfach, der eng mit der CTO zusammenarbeitet, erklärte: „Hoteliers in the last few years have [taken the easy option by] hiring foreign staff, especially in the house and in service positions, in the kitchen, in restaurants and so on, primarily because they are cheaper. They are a cheaper labour force as opposed to Cypriots who are unionized and they have lots of benefits etc. But they create problems to the image of the industry. [...] You as a national of the country, you go to the restaurant and you cannot communicate with the waiter in your own language, let alone the tourists. [...] If the CTO’s direction is to transform Cyprus into a quality destination, that’s not the best way to do it. You have to start from the workforce.“
Ein Kommentator in der Cyprus Weekly vom 21. Oktober 2005 meinte dementsprechend: „Friendliness and hospitality are normal characteristics of most Cypriots in the services […]. One of the problems of Cyprus tourism today is that there is a labour shortage, and not enough locals to go round in the hotel trade. How do you get a local flavour in the hotels when most of the staff is foreign? What type of hospitality can you get from a Romanian employee who arrived a couple of weeks ago, speaks a crude form of pidgin English and does not know what halloumi means?“ (zit. nach Cyprus Mail vom 1.6.2008)
Von der CTO wird „Human Resource Development“ zu den drei Hauptbereichen des auf Qualitätstourismus setzenden Strategieplanes für den Tourismus 20002010 gezählt. Im Zuge ihrer Strategie, Zypern zu einer Destination des sogenannten Qualitätstourismus zu machen, hat die CTO eine Studie in Auftrag gegeben, in der es unter anderem um ausländische Arbeitskräfte in touristischen Betrieben ging, wie mir eine Angestellte Ende 2005 berichtete. Die Ergebnisse seien jedoch nicht zufrieden stellend gewesen. Da viele MigrantInnen illegal arbeiteten, seien weder Interviews zustande gekommen noch habe man Zahlen geliefert bekommen. Die Studie wurde daher nicht fertig gestellt. Als Zwischenergebnis fasste die CTO-Angestellte zusammen, die meisten Befragten (vornehmlich ReiseveranstalterInnen und TouristInnen) hätten ausländische Arbeitskräfte gar nicht erwähnt.32 Freilich wird der Strategieplan der CTO dennoch 32
Diejenigen, die doch etwas dazu sagten, hätten sich über Unfreundlichkeit, ungepflegtes Äußeres und fehlende Sprachkenntnisse beschwert. „Sie sprechen nicht unsere Sprache, deshalb sind die ZypriotInnen unzufrieden. Sie sprechen auch keine andere verbreitete europäische Sprache, deshalb sind die TouristInnen unzufrieden.“ Da RussInnen inzwischen eine der größten TouistInnengruppen auf Zypern stellen und mir während meiner Forschung sehr viele russischsprachige Servicekräfte begegnet sind, ist diese Aussage so pauschal sicher nicht haltbar.
5.6 Migration und Tourismus in Plagia
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weiter verfolgt, der als wichtiges Mittel der Qualitätssteigerung benennt: „To cover needs in human resources mainly by Cypriots.“ Dass „traditionelle Gastfreundschaft“ das Wesensmerkmal einer ansässigen Bevölkerung ist und als solche von TouristInnen nachgefragt wird, wird hier wie in der eingangs zitierten tourismuswissenschaftlichen Literatur und in den Reiseführern nicht bezweifelt. Die Strategiepapiere der zypriotischen Tourismusorganisation sowie die Beschäftigungspolitik einzelner ArbeitgeberInnen setzen dies vielmehr voraus. Im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Zyperns und dem dadurch europäisierten Arbeitsmarkt scheint ein Verständnis von „Gastfreundschaft“ als angeborene und nicht erlernbare, aber unabdingbare, gewissermaßen übergeordnete Qualifikation für Dienstleistungstätigkeiten im Tourismus sogar noch an Bedeutung zu gewinnen. Für zypriotische ArbeitnehmerInnen kann dies nun zum einen einen Konkurrenzvorteil gegenüber BürgerInnen aus anderen EULändern darstellen, die infolge des EU-Beitritts zu formal gleichberechtigten BewerberInnen um Arbeitsplätze auf Zypern geworden sind. Zum anderen kann damit legitimiert werden, dass Beschäftigte aus sogenannten Drittstaaten vorwiegend für schlecht bezahlte, arbeitsintensive Tätigkeiten ohne direkten Kontakt mit Gästen eingesetzt werden. Die nicht-zypriotischen Beschäftigten im touristischen Dienstleistungsbereich sind quantitativ im Tourismussektor in Zypern inzwischen so präsent und bilden dabei gleichzeitig eine so heterogene Gruppe, dass pauschale Behauptungen über ihre gastgeberischen Eigenschaften oder Fertigkeiten abwegig sind. Welche Auswirkungen der EU-Beitritt Zyperns auf ihre Situation hatte, möchte ich im Folgenden an einigen Beispielen aus Plagia verdeutlichen.
5.6 Migration und Tourismus in Plagia Der größte Teil meiner Interviews mit Beschäftigten in touristischen Betrieben 33 fand 2005 in Plagia, einem Dorf im Norden der Region Paphos , statt. Die Gegend wurde vergleichsweise spät touristisch erschlossen. Von der rasanten Ausdehnung des Tourismus in den 1980er Jahren blieb sie nahezu unberührt. Im Unterschied zu anderen Regionen ist die touristische Ökonomie in Plagia stark von kleinen Betrieben geprägt, die überwiegend in der Hand lokaler UnternehmerInnen sind. Bei einer EinwohnerInnenzahl von 1.300 gab es in 1997 mehr als 250 Unternehmen, wovon rund 140 auf touristische Kundschaft zielten. Der sprunghafte Anstieg von Unternehmensgründungen Mitte der 1990er Jahre führ33 Seit 1980 UNESCO Weltkulturerbe, vgl. hierzu http://whc.unesco.org/en/list/79 (letzter Zugriff: 8/2009).
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te in einigen Bereichen zu einem Überangebot und damit zu teilweise heftigen Konkurrenzkämpfen. (Vgl. Welz 1998b, 2000) Mehrere der Neugründungen dieser Zeit wurden von DorfbewohnerInnen vorgenommen, die nach einigen Jahren im Ausland nach Plagia zurückkehrten. Infolge zunehmender Arbeitslosigkeit Ende der 1970er Jahre waren einige – vorwiegend Männer – zum Studium oder zur Ausbildung ins Ausland gegangen, häufig mit der finanziellen Unterstützung ihrer Familien, die das über Grundstücksverkäufe eingenommene Geld in die Ausbildung ihrer Söhne investierten. Viele blieben im Ausland. Die neuen Möglichkeiten, die die touristische Entwicklung bot, veranlasste jedoch auch einige von ihnen, wieder nach Plagia zurückzukehren. Bei den von Welz (1998b, 2000) befragten UnternehmerInnen war 1992 das Jahr, in dem die meisten zurückgekehrt waren, um sich mit einem eigenen Unternehmen in der Region selbstständig zu machen. Viele dieser KleinunternehmerInnen sind Welz zufolge deshalb erfolgreich, weil sie aufgrund ihrer Auslandserfahrung über „interkulturelle Kompetenzen“ verfügen und die Erwartungen und Bedürfnisse der TouristInnen daher besser einschätzen und bedienen können. Überdies können sie wie die meisten KleinunternehmerInnen in Plagia auf die Mitarbeit von Familienmitgliedern zählen. Oftmals handelt es sich um Familienbetriebe, in denen einzelne Familienmitglieder Vollzeit arbeiten und andere neben einer Teilzeitbeschäftigung im Familienbetrieb noch einer anderen Tätigkeit nachgehen, so dass die Familie nicht ausschließlich vom Tourismus abhängig ist. Die touristische Erschließung der Region und die Zunahme von Unternehmensgründungen verliefen parallel zur zunehmenden Verfügbarkeit ausländischer Arbeitskräfte in Zypern. So konnten die Personalkosten in den kleinen touristischen Betrieben nicht nur durch die Mitarbeit von Familienmitgliedern, sondern auch durch die Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften gering gehalten werden. „The advantage of unpaid family labour over hired employees is minimized to the degree that severely underpaid, often illegal immigrant labour has become very widely available in Cyprus“, schreibt Welz (2000, 7). Wenn man Hilfe von außen brauche, greife man lieber auf MigrantInnen zurück als auf DorfbewohnerInnen, die nicht zur Verwandtschaft zählen. Dies liege zum einen an Neid und Misstrauen zwischen konkurrierenden Familien, zum anderen aber auch daran, dass AusländerInnen ohne Konsequenzen schlecht bezahlt und nach Ende der Saison entlassen werden können. Bei einem späteren Besuch Ende 2004 stellte Gisela Welz fest, dass sich die Struktur des Tourismus stark verändert hatte. Im persönlichen Gespräch fasste sie zusammen, dass inzwischen weniger jüngere Leute und Familien mit Kleinkindern aus Deutschland oder der Schweiz kämen, sondern zunehmend SeniorInnen aus England. Zudem hätten zwei große Reiseunternehmen, die in den
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letzten Jahren TouristInnen nach Plagia gebracht hatten, den Ort aus dem Programm genommen. Viele Grundstücke und Häuser seien an WesteuropäerInnen verkauft worden, die nun nicht mehr als TouristInnen nach Plagia kämen und die touristische Infrastruktur nutzten, sondern als EU-BürgerInnen von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch machten und sich einen Zweitwohn- oder Altersruhesitz am Mittelmeer zulegten. Diese Entwicklung mache sich auch bei den KleinunternehmerInnen bemerkbar. Einige der von Welz untersuchten Kleinbetriebe haben aufgrund veränderter Nachfrage und rückläufiger Gästezahlen inzwischen ihr Angebot modifiziert, andere mussten schließen. Viele der Appartement- und Zimmervermietungen begegnen den rückläufigen Gästezahlen, indem sie an MigrantInnen vermieten, die in den touristischen Betrieben oder auch auf einer der zahlreichen Baustellen arbeiten.34 Bei meinen Besuchen in Plagia im Sommer und Herbst 2005 hatten alle Restaurants und Cafés entlang der Fußgängerzone im Dorfzentrum mindestens eineN nicht-zypriotischeN BeschäftigteN. In den elf gastronomischen Betrieben arbeiteten im Herbst 2005 vier EngländerInnen, eine pontische Griechin, sechs Polinnen, zwei Lettinnen, eine Slowakin, fünf BulgarInnen, fünf RumänInnen, eine Ukrainerin, eine Armenierin und zwei Männer aus Sri Lanka. Einige von ihnen habe ich intensiver befragt, darüber hinaus aber auch mit Beschäftigten in anderen gastronomischen Betrieben im Dorf gesprochen. Ich beziehe mich im Folgenden auf die Aussagen von zwei Frauen aus Deutschland, einer Österreicherin, vier Polinnen, einer Lettin, einer Slowakin, drei Bulgarinnen, einer Rumänin, einer Moldawierin, einer Russin, einer Armenierin und je zwei Frauen aus China und Sri Lanka. Die Rumänin und eine der Chinesinnen habe ich in der zypriotischen Hauptstadt Nicosia getroffen, alle anderen in Plagia. Bis auf die Rumänin, die in Wäschereien in Paphos und Nicosia gearbeitet hat, waren alle befragten Frauen im Service von Hotels, Restaurants, Cafés oder Bars tätig. Illegalität und Schwarzarbeit Im Unterschied zu den anderen Interviewten betrieb eine der beiden befragten Deutschen selbst ein Café. Sie war vor einigen Jahren als Touristin nach Plagia gekommen und hatte dort ihren jetzigen Mann kennengelernt, einen Zyprioten, der nach mehreren Jahren in Deutschland wieder in Plagia lebte. Anfangs hatte sie das Café gemeinsam mit einer angeheirateten Verwandten aus dem Dorf 35 geführt. Die wurde jedoch schwanger und stieg aus, so dass Thea ausländische 34 Zu den negativen Auswirkungen des Baubooms auf Umwelt und Tourismus in Zypern vgl. Erdal (2009). Erdal (vgl. ebd., 26) zufolge sind es in erster Linie britische StaatsbürgerInnen, die in Immobilien auf Zypern investieren, gefolgt von RussInnen, Israelis, GriechInnen und TürkInnen. 35 Die Namen aller zu ihrer Biografie Befragten wurden anonymisiert. Ich verzichte auf die Nennung eines Nachnamens, wenn der Vorname unserer gegenseitigen Anrede entsprach.
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Arbeitskräfte einstellte. Im Sommer 2005 arbeitete Steffi bei ihr, eine Österreicherin, die seit fünf Jahren zwischen Plagia und Wien pendelte und sich mit verschiedenen Jobs durchschlug. Als ich ein Jahr später nochmals vorbeischaute, war Steffi für längere Zeit zurück nach Wien gegangen und Lilly aus China hatte bei Thea angefangen. Es sei in diesem Sommer nicht leicht gewesen, jemanden zu finden, erzählte Thea. Drei Frauen hätten zunächst zugesagt und seien dann kurzfristig wieder abgesprungen. Thea nahm an, dass ihre aktuellen ArbeitgeberInnen sie unter Druck gesetzt und ihnen mit Anzeige gedroht hatten, sollten sie ihren Job wechseln. Es seien zwar alles Europäerinnen gewesen, die eigentlich arbeiten können, wo sie wollen. Die Einschüchterungsversuche ihrer ArbeitgeberInnen hätten offenbar dennoch gewirkt. Genauso wie Steffi arbeitete Lilly schwarz, was für beide Seiten Vorteile hatte. Sie war vor zwei Jahren mit einem Studierendenvisum nach Zypern gekommen und hatte in verschiedenen Orten als Putzfrau und Haushaltshilfe gear36 beitet. Ihr Visum war inzwischen abgelaufen und ihr Aufenthalt in Zypern illegal; eine legale Beschäftigung kam für Lilly daher nicht in Frage. Sie wollte nun so lange in Zypern bleiben, bis man sie ausweisen würde, und in dieser Zeit so viel Geld wie möglich verdienen. Über die Arbeit bei Thea war sie sehr froh, hier verdiente sie deutlich mehr als bei ihren vorherigen ArbeitgeberInnen. Zusätzlich arbeitete sie den Sommer über an ihrem freien Tag noch in anderen Jobs. Sie brauchte das Geld, um die Schulden zurückzahlen zu können, die sie bei ihrer Mutter gemacht hatte. Außerdem plante sie, nach ihrer Rückkehr in China selbst ein Café aufzumachen. Daher war sie auch sehr an den deutschen Kuchenrezepten interessiert, die Thea ihr beibrachte. Thea war ebenfalls froh, Lilly gefunden zu haben, und hoffte, dass sie auch in der nächsten Saison wieder bei ihr arbeiten würde.
36 Dem öffentlichen Diskurs zufolge kommen junge Menschen aus Ländern wie Indien, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka und China nur deshalb mit einem Studierendenvisum nach Zypern, weil es ihnen die Möglichkeit verschafft, illegal in Zypern zu arbeiten. Viele von ihnen wählen Zypern jedoch tatsächlich als Studienort, weil die Studienbedingungen in ihren Herkunftsländern zu schlecht sind und weil sie nicht die Möglichkeit haben, in anderen europäischen Ländern zu studieren. Sie profitieren von den zahlreichen Privatcolleges in Zypern mit ihren internationalen Studienprogrammen. (Vgl. hierzu Li 2006 und 2009) In Nicosia sprach ich beispielsweise mit Yang, die seit zwei Jahren in Zypern war. Lieber hätte sie in England oder in den USA studiert, aber das sei nicht möglich gewesen. Über eine Vermittlungsagentur habe sie schließlich einen Studienplatz in Zypern bekommen. Es sei ihr zugesichert worden, dass sie auf Englisch studieren könne, doch in ihrer Fachrichtung sei dann fast ausschließlich auf Griechisch gelehrt worden. Sie wollte nichts lieber als schnell studieren und dann wieder nach China zurückkehren. Doch sie würde nun viel länger brauchen, weil sie zunächst die Sprache lernen musste. Außerdem musste sie viel Zeit für die Finanzierung ihres Studiums aufbringen. Sie hatte mehrere illegale Jobs, u. a. in der Jugendherberge in Nicosia.
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EU-BürgerInnen zuerst: Ausbeutung trotz Arbeitsvertrag Anders als in Theas Café arbeiteten die Angestellten einer Bar etwas außerhalb des Dorfzentrums zwar nicht schwarz, dafür aber zu ungleichen Konditionen und keinesfalls frei von Ausbeutung. Zum Zeitpunkt meiner Forschung waren zwei Polinnen, eine Moldawierin und zwei Frauen aus Sri Lanka in der Bar beschäftigt. Die beiden Polinnen (Bibiana und Brygida) und die Moldawierin (Tamara) arbeiteten im Service, die beiden Frauen aus Sri Lanka (Beena und Shalini) in der Küche. Der Betreiber lege Wert darauf, im Service junge, attraktive Osteuropäerinnen zu beschäftigen, um Kunden anzuziehen, erzählte eine der Frauen. Einmal habe er von ihnen verlangt, Miniröcke zu tragen. In Zypern gibt es zahlreiche Frauen aus Osteuropa, die in der Sexindustrie tätig sind (vgl. hierzu Lenz 2006). Offenbar wollte der Barbetreiber bei den Kunden den Eindruck erwecken, auch seine Angestellten seien für sexuelle Dienstleistungen zu haben. Die Frauen haben sich jedoch erfolgreich gewehrt. Da sie häufig nachts alleine in der Bar arbeiten mussten, wollten sie sich durch das Tragen von kurzen Röcken nicht zusätzlich gefährden. Die unterschiedliche aufenthaltsrechtliche Situation der fünf Frauen machte sich in dieser Bar ganz konkret in ihrem Arbeitsalltag bemerkbar. Während die beiden Polinnen sich darauf verlassen konnten, dass ihr Arbeitsvertrag weitgehend eingehalten wurde, sah die Situation für die Frauen aus Moldawien und Sri Lanka anders aus. Tamara aus Moldawien berichtete, dass sie zwölf Stunden am Tag arbeiten müsse, ihre polnischen Kolleginnen hingegen nur zehn. Es nütze jedoch nichts, sich zu beschweren, sagte sie. Dann werde sie entlassen. Auch mit der Polizei haben die Frauen keine guten Erfahrungen gemacht. Einmal habe sie nachts die Polizei gerufen, weil ein Gast angefangen habe zu randalieren, erzählte Bibiana. Geholfen worden sei ihr jedoch nicht, im Gegenteil. „The first thing they did was to check my alien card. They check, if everything is okay and then they go. They cannot help me.“ Auch Tamara berichtete, dass sie einmal samstagnachts Probleme mit Gästen gehabt und die Polizei gerufen habe. Diese hätte sich jedoch genauso wie bei Bibiana lediglich für ihre Papiere interessiert und sie für den nächsten Tag aufs Revier bestellt. Tamara, Bibiana und Brygida waren alle unzufrieden mit ihrem Arbeitsplatz. Brygida plante, nach Saisonende zurück nach Polen zu gehen; Bibiana wollte sich im neuen Jahr in der Stadt einen anderen Arbeitsplatz suchen. Da sie beide aus einem EU-Land kamen, würden sie ihre Pläne auch ohne rechtliche Probleme realisieren können. Tamara aus Moldawien bedauerte hingegen: „I need visa, I can’t change for another work.“ Als „Drittstaatenangehörige“ hatte sie eine Aufenthaltsgenehmigung, die an ihren Arbeitsplatz geknüpft war. Damit gewährleistete sie die Kontinuität, die ArbeitgeberInnen an „Drittstaatenangehörigen“ schätzen, wie ich weiter oben dargestellt habe, während die beiden ande-
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ren Frauen dem von dem interviewten Gewerkschafter aus unternehmerischer Sicht formulierten Stereotyp der unzuverlässigen PolInnen entsprachen, die häufig ihren Job wechseln. Ebenso wie Tamara mussten sich auch die beiden Frauen aus Sri Lanka, die in der Küche arbeiteten, mit schlechten Arbeitsbedingungen abfinden. Bibiana hatte sich von einer der beiden den Arbeitsvertrag zeigen lassen. Sie sagte: „I saw one contract from a woman from Sri Lanka. It said eight hours work and a salary of 400 pounds37, but really she worked twelve hours and got only 250 pounds.“ Vermutlich wurde ihr Geld für Kost und Logis abgezogen. Beena war vor zwei Jahren aus Sri Lanka nach Zypern gekommen. Sie lebte in einem Zimmer direkt über der Bar. Da sie nur wenig Englisch sprach, beschrieb sie gestisch und mimisch, dass ihr Zimmer wenig komfortabel sei. Es gebe keine Duschgelegenheit und kein warmes Wasser. Ihre Kollegin Shalini, die seit vier Jahren in Zypern war und mit ihrem Mann zusammenlebte, erklärte, dass Beena neben ihrer Tätigkeit in der Bar häufig in einem ca. drei bis vier Kilometer entfernt liegenden Restaurant desselben Besitzers arbeiten müsse. Oftmals müsse sie sich nach einer Vormittagsschicht in Plagia zu Fuß für die Spätschicht in das andere Restaurant begeben. Anfangs hatte sie manchmal ein Auto angehalten, um mitgenommen zu werden. Da sie dabei aber mehrmals sexuell belästigt worden sei, tue sie das nicht mehr. Shalini erklärte: „Our boss doesn’t listen, when she has a problem, he just doesn’t listen. I see this and I try to help her. She needs somebody. It’s not good for her. Since she cannot speak English, everybody forgets her.“ Shalini war froh, dass sie mit ihrem Ehemann zusammen sein konnte, der in Zypern als Koch arbeitete. Zwar müsse er wie alle anderen Sri LankerInnen auch etwas mehr arbeiten als vertraglich vereinbart, sein Arbeitgeber sei dennoch in Ordnung. Er habe ihnen auch eine schöne Wohnung zur Verfügung gestellt. Shalini selbst arbeitete mit zwölf Stunden ohne Pause doppelt so viel wie im Vertrag vorgesehen. Eine Beschwerde bei der Einwanderungsbehörde würde ihr jedoch nicht helfen, meinte sie. „I can go to Migration [Einwanderungsbehörde (R.L.)] and many things, but this government is for this people, not for us. So it’s very difficult. I must go to a lawyer and I must pay the lawyer. I would have many problems. So it’s better, I work and go, finish my contract and go. The thing is, this government must come and check about the people, but they do nothing. For sure they would take the side of my boss. My employer’s brother is in the government. This is the way it works. They never believe us.“ 37 Ein zypriotisches Pfund entsprach ca. 1,70 Euro. Am 1. Januar 2008 wurde in Zypern der Euro eingeführt.
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Ihre Ausbeutbarkeit erklärte sie folgendermaßen: „You know, my boss knows that I need the money. So he tells me: ‘You must work twelve hours.’ These girls from Europe they work ten hours. The boss says: ‘I don’t have to make visa for them, but I have to make visa for you, so you must work. You are Asian people.’“
Mit dem EU-Beitritt Zyperns sei es für AsiatInnen schwieriger geworden, nach Zypern zu kommen: „Now here is European country. Before it was easier to come. You go to an agent, they take money and then they will find you a job.“ Ihr Mann hatte damals in Sri Lanka 2.000,- Pfund für einen Job in Zypern bezahlt. Vor Ort habe er dann auch für sie Arbeit gefunden, und sie sei nachgekommen. Das sei viel Geld gewesen, aber heute ginge das gar nicht mehr, da nun bevorzugt EuropäerInnen eingestellt würden. „Now it’s more difficult, because they are in Europe. For us, we cannot go to European countries. It’s difficult, very difficult. […] Now they stop visa and the European people, they can come. They don’t give a chance for Asian people.“38 Shalini war noch nicht lange genug in Zypern, um von der EU-Direktive 2003/109/EC profitieren zu können. Vielmehr würde die Reduzierung der maximalen Verlängerungsmöglichkeit von Visa auf vier Jahre sie bald betreffen, da sie bereits seit drei Jahren in Zypern war. Noch zweimal könnte sie ihr Visum erneuern, dann müsste sie gehen. „We had every time six months visa, because we are from restaurant. […] But now you can work only until four years. […] I will have four years in next October. Then I must go to Sri Lanka.“ Sie wollte allerdings auch nicht langfristig in Zypern bleiben. Zu oft sei sie mit Rassismus konfrontiert worden. „Some people are okay, but some… […] They call us ‚black’, not men, black. They think too much about this colour. What can I do? This is my colour.“ Außerdem hätten sie inzwischen genug verdient, um sich in Sri Lanka ein komfortableres Leben leisten zu können. Ein Hauptgrund für die Migration nach Zypern sei gewesen, dass sie und ihr Mann beengt bei ihrer Familie gelebt hätten und es deshalb zu Konflikten gekommen sei. In der Zwischenzeit hatten sie Geld in ein Haus investiert, in das sie nach ihrer Rückkehr einziehen wollten. Den unterschiedlichen aufenthaltsrechtlichen Status von Bibiana, Brygida, Tamara, Beena und Shalini setzte ihr Arbeitgeber offensichtlich in eine unterschiedliche Behandlung entsprechend der Vorgabe EU-BürgerInnen vor „Dritt38
Vgl. hierzu auch Zinganel et al. (2006, 46ff.) über die Konsequenzen des österreichischen EUBeitritts 1995 für SaisonarbeiterInnen aus den ehemaligen Kronländern der Monarchie, die plötzlich EU-fremde BürgerInnen waren und sukzessive durch BürgerInnen aus dem erweiterten EU-Raum ersetzt wurden, zunächst durch SkandinavierInnen und später durch Deutsche aus den neuen Bundesländern.
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staatenangehörigen“ um. Bei einem anderen Arbeitgeber, dem Betreiber des Campingplatzes im Ort, kam darüber hinaus noch die offizielle Abstufung zwischen EU-BürgerInnen und BürgerInnen aus Noch-nicht-EU-Ländern zum Tragen. Raina, eine der beiden Bulgarinnen, die dort arbeiteten, erklärte: „If I was Polish, I would have to work a little bit less.“ Zudem würde sie als Bulgarin nach Saisonende nicht so leicht einen neuen Job finden. „They [die PolInnen (R.L.)] can move whenever they want. If I want to change my place, I can change it, but I have to find an employer who has a visa. It’s not so easy. Most of them, they don’t have visa.“ Sie wollte gerne über den Winter bleiben, aber wenn sie keineN ArbeitgeberIn finden würde, der oder die die Erlaubnis hatte, auch im Winter Nicht-EU-BürgerInnen zu beschäftigen, würde sie zurück nach Bulgarien und von dort erneut auf Jobsuche gehen müssen, sonst würde ihr Aufenthalt in Zypern illegal werden. Wie die weiter oben zitierte Ministerialbeamtin schilderte, hatte das Arbeitsministerium die Vergabe von Visa für die Beschäftigung von Nicht-EUBürgerInnen im Tourismussektor in diesem Jahr stark begrenzt, was auch Raina aus Bulgarien zu spüren bekam. Es ist zu bezweifeln, dass die strikte Politik, die das Arbeitsministerium verfolgte, tatsächlich die Zahl der arbeitslosen ZypriotInnen verringerte. Sicher ist jedoch, dass die Prioritäten – 1. EU-BürgerInnen (bzw. davor eigentlich noch ZypriotInnen), 2. BulgarInnen und RumänInnen, 3. (bzw. langfristig dann gar nicht mehr) „Drittstaatenangehörige“ – sich faktisch in den Arbeitsbedingungen und Zukunftsaussichten der nicht-zypriotischen Arbeitskräfte niederschlugen. Illegale Jobvermittlungen und Europäerinnen ohne Arbeitsvertrag Die Arbeitgeber von Tamara, Bibiana, Brygida, Beena, Shalini und Raina setzten die mit dem EU-Beitritt verstärkte Hierarchisierung von EU-BürgerInnen, Nochnicht-EU-BürgerInnen und „Drittstaatenangehörigen“ unmittelbar in entsprechend unterschiedliche Arbeitsbedingungen um. Nicht immer sind jedoch EUBürgerInnen besser gestellt als „Drittstaatenangehörige“. Die ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit wurde in einigen Fällen von ArbeitgeberInnen als Begründung dafür benutzt, EU-BürgerInnen ohne vertragliche Absicherung zu beschäftigen. Außerdem zogen illegale ArbeitsvermittlerInnen Nutzen daraus, dass viele ArbeitnehmerInnen und -geberInnen mit der neuen rechtlichen Situation noch nicht vertraut waren. Viele der aus den neuen EU-Ländern kommenden Arbeitskräfte waren über bereits dort arbeitende FreundInnen oder Verwandte auf Zypern aufmerksam geworden und hatten so einen Job gefunden. Manche griffen jedoch auch auf die Dienste von selbst ernannten ArbeitsvermittlerInnen zurück, die Geld für ihre Dienste verlangten. Julia aus Polen erzählte, dass es in Plagia einen illegalen
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Jobvermittler gebe, der mit einer Polin verheiratet sei und in polnischen Dörfern junge Leute für Jobs in Zypern anwerbe. Eine Vermittlung koste 200,- Euro. „This is not legal, there is no agency, no office, nothing, only this man. And if you want a job here, he tells you first, it’s a good job, eight hours a day, good cash, one day off, legal job, insurance. But that’s not true.“ Julias Freund hatte die Dienste dieses Vermittlers in Anspruch genommen und einen Job als Automechaniker in Plagia angetreten, den er aber schon bald wieder aufgab, weil die Arbeitsbedingungen zu schlecht waren. Julia kam vor zehn Monaten nach. Seitdem hat auch sie mehrmals ihren Job gewechselt. Zunächst arbeitete sie in der Küche einer Taverne im Dorfzentrum, allerdings nur für zwei Wochen. Nachdem ihr Chef sie sexuell belästigt hatte, kündigte sie. Von ihrem letzten Monatslohn bekam sie daraufhin nur die Hälfte. Gemeinsam mit einer Kollegin beschwerte sie sich bei der zuständigen Stelle des Arbeitsministeriums in der einige Kilometer entfernten Bezirkshauptstadt Paphos. In Plagia selbst wollten die Frauen dies nicht tun, weil sie fürchteten, dort keine Chance zu haben. „Plagia is a small village and all people here are family. This is cousin, this is sister, this is aunt, this is uncle, like this“, erklärte Julia. Aber auch in Paphos sei ihnen nicht weitergeholfen worden: „We went to Paphos, to one office and spoke about this, but nothing was done, because this is a Cypriot man.“ Der Vorgang wurde an die Behörde in Plagia zurückgegeben. Danach war es nicht leicht für Julia, einen neuen Job zu finden: „I had many problems“, erklärte sie, „because I’m Polish, because I’m European, I’m a different human here, somebody to have sex with“. Sie fand schließlich einen neuen Arbeitgeber, weil der ihren ehemaligen Chef nicht mochte. An ihrem neuen Arbeitsplatz, einer Taverne, hielt sie es dreieinhalb Monate aus. Ihr neuer Chef habe sie zwar nicht sexuell belästigt, aber oft angeschrieen. Als in einem Hotel eine neue Cafébar eröffnet wurde, wechselte sie dorthin. Einen Arbeitsvertrag hatte sie nicht. Die Hälfte aller PolInnen arbeite illegal in Zypern, sagte sie, auch ihr Freund. Um ihn machte sie sich Sorgen, weil er einen gefährlichen Job habe und nicht versichert sei: „My boyfriend has a very dangerous job and he doesn’t have insurance, too, because these people speak to you: You are in the European Union, you don’t need anything. This is not true. I called my embassy here and they told me, if you want to stay, you must have an aliens book. If you have this book, your boss must pay for you.“
Julia fühlte sich nicht wohl in Zypern und plante, in zwei Monaten mit ihrem Freund zurück nach Polen zu gehen. Auch vier Frauen aus Rumänien, die in einer Wäscherei in Nicosia arbeiteten, waren von einem illegalen Arbeitsvermittler betrogen worden und wollten Zypern so bald wie möglich verlassen. Für
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jeweils 300,- Euro hatte der Vermittler ihnen einen Job in Paphos besorgt. Bei ihrer Ankunft am Flughafen in Zypern vor einem Monat hätten sie zu ihrer Verwunderung allerdings nur ein TouristInnenvisum bekommen. Als sie dann aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen ihren Job wechseln wollten, habe ihr Vermittler nichts für sie getan. „He said: If you don’t like this, you just go“, erzählte Claudia. Daraufhin hätten sie sich einen anderen Vermittler gesucht, dem sie 250,- Euro für einen neuen Job zahlten. Wenn sie wieder wechseln wollten, koste dies erneut 250,- Euro. Die Frauen arbeiteten nun in einer Wäscherei in Nicosia und teilten sich ein Zimmer in der baufälligen Jugendherberge. Auch mit ihrem neuen Job waren sie sehr unglücklich. Laut Vertrag seien sieben Stunden pro Tag vereinbart, tatsächlich arbeiteten sie jedoch zwölf bis 13 Stunden. Die Arbeit sei unerträglich. Bei fast vierzig Grad Celsius draußen müssten sie in einem nicht klimatisierten Raum Bettwäsche für Hotels mangeln. Von einem erneuten ArbeitgeberInnenwechsel erhoffte Claudia sich nichts. „Change the employer for what? I have seen, all are the same, really. There is no difference between them, they are all so greedy and they want to see you working all the time.“ ZypriotInnen gingen davon aus, dass ausländische Arbeitskräfte wie sie aus einem unzivilisierten Land kämen, meinte sie. Eine Kollegin sei einmal gefragt worden, ob es in Rumänien Fahrstühle gebe. Claudia wollte Zypern so bald wie möglich verlassen, vielleicht würde sie nach Spanien gehen. Vorher brauchte sie aber Geld: „I regret very much working here“, sagte sie, „but we spent a lot of money to come here, you know, and we want at least this money back“. Eine Angestellte der Jugendherberge bestätigte später meinen Eindruck, dass die beiden jüngeren RumänInnen begonnen hatten, sich gelegentlich mit Prostitution etwas dazu zu verdienen. Zukunftspläne Bis auf Thea, die ihr eigenes Café betrieb und mit ihrer Familie zusammen in Plagia lebte, hatten die bisher erwähnten Frauen alle nicht die Absicht und/oder nicht die Möglichkeit, langfristig in Zypern zu bleiben. Andere hatten jedoch durchaus längerfristige Pläne in Zypern oder waren schon seit längerer Zeit dort. Oftmals hing dies wie bei Thea damit zusammen, dass die Frauen vor Ort ihren Lebensgefährten kennengelernt hatten bzw. wegen der Beziehung dorthin gegangen waren. So erzählte Sandra aus Deutschland, die seit zwei Jahren in Zypern war und an der Rezeption eines Hotels in Plagia arbeitete, sie sei aus zwei Gründen nach Zypern gegangen, zum einen aufgrund der wirtschaftlichen Situation in Deutschland – ihre Firma hatte kurz vor der Insolvenz gestanden, und sie hatte befürchten müssen, in naher Zukunft arbeitslos zu werden – und zum anderen der Liebe wegen. Ihr Mann, ein Grieche, hatte Arbeit im boomenden Bau-
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sektor in Plagia gefunden. Sobald er jedoch in Griechenland Arbeit finde, würden sie dorthin gehen, vielleicht auch wieder nach Deutschland. Vorerst würden beide jedoch in Zypern bleiben. Im selben Hotel arbeitete Olga aus Russland. Sie hatte Tourismusmanagement in Moskau studiert und war 1999 für ein viermonatiges Praktikum nach Zypern gekommen. Bei dieser Gelegenheit traf sie ihren jetzigen Mann, einen Griechen, der – wie Sandras Mann – inzwischen im Bausektor tätig war. Kennengelernt hatten sie sich in dem Restaurant, in dem sie damals beide arbeiteten. Inzwischen hatten sie ein Kind und lebten mit Olgas Schwiegereltern zusammen in einem Haus. Auch wenn es ihr hier manchmal langweilig sei, stellte Olga sich auf eine Zukunft in Plagia ein. Thea, Sandra und Olga konnten in Zypern bleiben, da sie entweder selbst aus einem EU-Land kamen oder zumindest mit einem EU-Bürger verheiratet waren, so auch Ewa. Sie war vor einem Jahr aus Polen nach Zypern gekommen und arbeitete als Bedienung in einem Bistro. In Zypern hatte sie ihren jetzigen Freund kennengelernt, der ebenfalls Pole war und in Zypern auf dem Bau arbeitete. Die beiden erwarteten ein Kind. Vor einigen Monaten war daher Ewas jüngere Schwester nach Zypern gekommen, um ihr nach der Geburt zu helfen. Sie arbeitete in einer Bar in Plagia. Wenn das Kind etwas größer wäre, würden sie woanders hingehen, meinte Ewa, vielleicht nach England, wo sie FreundInnen habe, oder nach Österreich, wo ihre Mutter lebe. In Polen würden sie wohl keine Arbeit finden. Vorerst wollten sie jedoch in Zypern bleiben, wo sie sich auch recht wohl fühlten. Allerdings seien die Behörden noch sehr unerfahren, was die Ansprüche einer schwangeren Polin in Zypern anbelange, meinte Ewa. Auf der polnischen Botschaft habe man keine Ahnung gehabt. „They even don’t know, they are not sure how it looks like. They said, it’s something new for us, because now many Polish have babies here. And they said to me, after six months you will get some money, but we have to check this.“ Wie Ewa kam auch Marenka aus einem neuen EU-Land. Sie war aus der Slowakei nach Zypern gekommen und arbeitete im Sommer 2005 als Kellnerin in Plagia. Dort lernte sie ihren Freund kennen, einen Kurden, der sein Geld als Bauarbeiter verdiente. Marenka hatte nicht vorgehabt, langfristig in Zypern zu bleiben, doch da ihr Freund das Land nicht so leicht verlassen konnte, war sie nach einem kurzen Aufenthalt in der Slowakei wieder nach Zypern zurückgekehrt. Ein Jahr später erfuhr ich, dass sie mit ihrem Freund zusammen in eine andere Gegend Zyperns gezogen war, wo seine Firma Arbeit für ihn hatte. Während bei Ewa die bevorstehende Geburt Grund für eine Verlängerung ihres Aufenthaltes in Zypern war, lag es bei Marenka an der schwierigen aufenthaltsrechtlichen Situation ihres Freundes, dass sie sich dazu entschloss, bis auf Weiteres in Zypern zu bleiben.
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Katinka aus Lettland, die in einer Pizzeria in Plagia arbeitete, war es ähnlich ergangen wie Ewa und Marenka. Sie hatte eigentlich nur ein Jahr in Zypern bleiben und anschließend ihr Studium in Lettland fortsetzen wollen. Dann hatte sie sich aber in einen Zyprioten verliebt und war länger geblieben. Inzwischen lebte sie seit zwei Jahren dort. Katinkas Mutter war Polin und ihr Vater Russe. Sie hatten sich in Lettland kennengelernt, wo Katinka zur Welt kam. Das war jedoch noch zu Sowjetzeiten. Daher hatte sie nicht die lettische Staatsbürgerschaft bekommen, sondern die russische. Zum Zeitpunkt unseres Gespräches bemühte sie sich darum, offiziell Lettin und damit EU-Bürgerin zu werden. Sie plante, in einigen Monaten nach Lettland zu gehen, dort noch ein paar Prüfungen abzulegen und dann mit neuen Papieren zurückzukehren. Sie wollte Lettin werden, um in Zypern bleiben zu können. Teresa und ihr Mann kamen beide aus Bulgarien und hatten eigentlich auch nicht lange in Zypern bleiben wollen. Vor vier Jahren war Teresas Mann, der als Kellner in Sofia tätig war, von einem Zyprioten angesprochen worden, ob er nicht nach Zypern kommen und dort in einem Restaurant arbeiten wolle. Nach dem Systemwechsel sei es schwierig geworden, in Bulgarien ein normales Familienleben zu führen. Daher hatte Teresas Mann das Angebot des Zyprioten nach kurzem Überlegen angenommen. Ein Jahr später sei Teresa nachgekommen. Abends arbeiteten die beiden im selben Restaurant. Auch über die Wintermonate konnten sie dort weiterbeschäftigt werden. Den Sommer über kellnerte Teresa zusätzlich auf dem Campingplatz in Plagia. Ihren inzwischen siebenjährigen Sohn hatten sie bei den Großeltern gelassen. Als seine Einschulung bevorstand, und sie nicht länger von ihm getrennt sein wollten, mussten sie sich entscheiden, ob sie zurückgehen oder ihn nachholen wollten. Seit drei Monaten war er nun in Zypern und ging in die erste Klasse der Grundschule in Plagia. Die Familie stellte sich jetzt auf eine längere Zukunft in Zypern ein. Irgendwann würden sie sicher wieder zurückgehen, meinte Teresa, doch zunächst sollte ihr Sohn eine gute Ausbildung bekommen. Dafür arbeite und spare sie. „I’m here to do the future for my son“, erklärte sie. Sie hoffte, dass er vielleicht einmal in Bulgarien studieren wolle. Obwohl sie weder Kinder noch eine feste Beziehung dort hatte, war auch Gabi in Plagia hängen geblieben. In Bulgarien hatte sie Hotelmanagement studiert. Eigentlich hatte sie vorgehabt, an der bulgarischen Schwarzmeerküste zu arbeiten, doch 1999 ergab sich die Gelegenheit, nach Zypern zu gehen. So war sie damals im Alter von 19 Jahren das erste Mal nach Zypern gekommen und hatte drei Jahre lang in einer Taverne gearbeitet. Sie war froh, damals an eine gute Arbeitsvermittlerin geraten zu sein, die sie nicht an einen Nachtclub vermittelte, wo man sie vielleicht zur Prostitution gezwungen hätte. Vielen sei das passiert. Als sie krank wurde, ging sie zurück nach Bulgarien, kam ein Jahr spä-
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ter jedoch wieder nach Zypern. Inzwischen arbeitete sie seit über drei Jahren in einer Bar in Plagia, wo sie auch Personalverantwortung bekommen hatte. Da sie in einer Großstadt aufgewachsen sei, schätze sie an Plagia die Ruhe und Abgeschiedenheit, auch wolle sie nicht mehr auf die milden Winter am Mittelmeer verzichten. Sie begrüßte den bevorstehenden EU-Beitritt Bulgariens, der dazu führen würde, dass sie nicht ständig ihre Arbeitserlaubnis verlängern müsse. Auch Aida aus Armenien hoffte, dass sie bald eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis bekommen würde. Sie lebte bereits seit fünf Jahren in Zypern. Anfangs hatte sie in einem Restaurant in einem Dorf in den Bergen gearbeitet. Als jedoch der Sohn des Besitzers das Restaurant übernahm und sie nicht in der vereinbarten Position arbeiten ließ, kündigte sie. Mit der Hilfe ihres ehemaligen Chefs fand sie eine neue Stelle in einer Bar in Plagia, in der sie nun seit vielen Jahren tätig war. Mit dem zypriotischen Betreiber und seiner bulgarischen Ehefrau war sie inzwischen befreundet. Sie arbeitete viel, war aber mit ihren Arbeitsbedingungen und ihrer Unterbringung sehr zufrieden. Sie sagte: „I’m the luckiest one here. Usually, they don’t give you nice apartments, you have to live in one small apartment with several people.“ Nach ihrem Universitätsabschluss hatte Aida in Armenien zunächst als Russischlehrerin gearbeitet und dann als Journalistin für einen Fernsehsender. Gut verdient habe sie allerdings nicht. Sie fand einen deutlich besser bezahlten Job in einem Pharmaunternehmen, der ihr jedoch bald zu langweilig war. Bei einem Urlaub in Zypern, wo sie eine Freundin besuchte, entschloss sie sich daher, hier einen Job anzunehmen. Ihr Großvater hatte ihr Vorwürfe gemacht, dass sie ihre gute Ausbildung mit Aushilfsjobs in Zypern vergeude, auch ihre Mutter sei entsetzt gewesen. Für Aida war die Migration nach Zypern jedoch auch eine Gelegenheit, sich der Kontrolle durch ihre Familie zu entziehen. In Zypern konnte sie ein sehr selbst bestimmtes Leben führen. Sie erinnerte sich an die Anfangszeit: „I was an independent person. It was a very strange feeling for me, when I stayed here, because in our family in Armenia I wouldn’t go out at night. To go out, even for a walk, to decide what I am going to wear – everything the family decide for you.“
In letzter Zeit hatte sie jedoch immer öfter Heimweh nach Armenien gehabt. Dauerhaft zurückgehen wollte sie jedoch nicht unbedingt. „Every day I change my mind: I’m going to go to Armenia and stay. No, I’m going to go only on holidays. Maybe I go to another country“, meinte sie. Sie fürchtete, ihre Unabhängigkeit nach einer Rückkehr nach Armenien wieder zu verlieren. Da sie aber auf jeden Fall im Winter zu Besuch nach Armenien reisen wollte, arbeitete sie den Sommer über hart, um das Ticket zu finanzieren. Ihre Familie würde ihr zwar sofort Geld schicken, wenn sie zurückkäme, aber sie wollte ihre Familie
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5 Zypern
nicht um Geld bitten müssen. Das würde wie eine Niederlage aussehen. Obwohl sie sich in Plagia sehr gut integriert fühlte, konnte Aida sich auch nicht vorstellen, dauerhaft in Zypern zu bleiben: „I have a lot of friends here. I know everybody as if we were friends. If I go alone somewhere, I know, I won’t stay alone. I go, I have my company, I sit and talk, but close friends I don’t have. […] I think, for Cypriots we will always stay foreigners, they let you know every time.“
Gerne hätte sie eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung, so dass sie ohne Probleme immer wieder nach Zypern kommen und ihre FreundInnen besuchen könnte. Daher versuchte sie, ihr Visum nochmals um ein Jahr zu verlängern. Dann wäre sie sechs Jahre in Zypern und könnte mit erhöhten Erfolgsaussichten eine Daueraufenthaltsgenehmigung beantragen. Sie habe zwar in der Zeitung gelesen, dass die Visa für „Drittstaatenangehörige“ momentan nicht verlängert würden. Ein Anwalt habe jedoch gemeint, dass sie als Armenierin trotzdem gute Chancen auf Verlängerung hätte, da sich die griechischen ZypriotInnen mit dem armenischen Volk verbunden fühlten.39 Aidas Interesse an einer Daueraufenthaltsgenehmigung war also weniger dadurch begründet, dass sie dauerhaft in Zypern bleiben wollte, als vielmehr dadurch, dass sie die Möglichkeit haben wollte, problemlos zwischen Armenien und Zypern pendeln zu können. Ihre lettische Freundin habe es gut, meinte sie. Seit den EU-Beitritten in 2004 könne sie problemlos reisen und ihren Arbeitsplatz wechseln. Manchmal sage Aida zu ihr: „You are white now!“ Im Scherz habe die Freundin ihr angeboten, sie zu heiraten. Als ich ein Jahr später wieder in Plagia war, arbeitete Aida nicht mehr in der Bar. Ihr ehemaliger Arbeitgeber sagte mir, sei nach Armenien zurückgegangen. Sie habe Besuch aus Armenien bekommen und sich in einen Schulfreund verliebt. Jetzt wolle sie in Armenien heiraten. Vorher hatte sie jedoch noch eine Daueraufenthaltsgenehmigung in Zypern beantragt.
5.7 Fazit Der EU-Beitritt Zyperns brachte neue arbeits- und aufenthaltsrechtliche Bedingungen für migrantische Arbeitskräfte mit sich. Die durch restriktivere Lizenzvergabe für die Beschäftigung von „Drittstaatenangehörigen“ vom Arbeitsminis39
Seit dem 6. Jahrhundert gibt es eine armenische Minderheit in Zypern, die allerdings vorwiegend in anderen Landesteilen angesiedelt ist. Aida war ihren eigenen Angaben zufolge in Plagia die einzige Armenierin.
5.7 Fazit
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terium durchgesetzten Arbeitsmarktprioritäten – 1. EU-BürgerInnen (bzw. davor eigentlich noch ZypriotInnen), 2. BulgarInnen und RumänInnen, 3. (bzw. langfristig dann gar nicht mehr) „Drittstaatenangehörige“ – wurden von einigen ArbeitgeberInnen dieser Hierarchie entsprechend in ungleiche Arbeitsbedingungen übersetzt, wie bei Bibiana, Brygida, Tamara, Beena, Shalini und Raina. Die Tatsache, EU-Bürgerin zu sein oder bald zu werden, schützte jedoch auch nicht unbedingt vor Diskriminierung und Ausbeutung. Ein Arbeitsvertrag oder tarifliche Vereinbarungen nutzten den Beschäftigten häufig nichts, da die wenigsten von ihnen im Falle von Zuwiderhandlungen durch ArbeitgeberInnen Beschwerde einlegen würden bzw. damit Erfolg hätten. Die Befragten fürchteten, ihren Job zu verlieren, und/oder trauten den Behörden nicht. Einige hatten bereits schlechte Erfahrungen gemacht, wie beispielsweise Julia. Schwarzarbeit war daher für manche die bessere Lösung und im konkreten Fall nicht unbedingt ausbeuterischer als ein vertraglich geregeltes Arbeitsverhältnis, so zum Beispiel bei Steffi und Lilly. Der EU-Beitritt Zyperns führte dazu, dass die Vor- und Nachteile der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte vom Arbeitsministerium, von ArbeitgeberInnenverbänden, Gewerkschaften, NGO-VertreterInnen und auch von der Tourismusbehörde unter neuen Vorzeichen diskutiert wurde. Die Beschäftigung migrantischer Arbeitskräfte wurde einerseits als vorteilhaft für ArbeitgeberInnen angesehen, da nicht-zypriotische Arbeitskräfte schlechter organisiert und abgesichert seien und daher flexibel angeheuert und wieder entlassen werden konnten. Andererseits wurde von ArbeitgeberInnenseite jedoch auch ein Interesse an Kontinuität geltend gemacht. BefürworterInnen der neuen Prioritäten sahen diese Kontinuität durch ZypriotInnen gewährleistet, andere – vorwiegend ArbeitgeberInnen – vertraten die Ansicht, ZypriotInnen zögen über die Wintermonate den Bezug von Arbeitslosengeld vor und stünden dann nicht zur Verfügung. Ebenso zwiespältig hinsichtlich der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses waren die Auskünfte in Bezug auf EU-BürgerInnen. Einerseits wurde an EUBürgerInnen geschätzt, dass sie sich unbegrenzt in Zypern aufhalten dürfen und im Unterschied zu „Drittstaatenangehörigen“ nicht an saisonal begrenzte Arbeitsgenehmigungen gebunden sind. Andererseits wurde bemerkt, dass die Fluktuation bei EU-BürgerInnen höher ist, da sie sich bei Unzufriedenheit ohne rechtliche Hindernisse einen anderen Job suchen können, während die Visa von „Drittstaatenangehörigen“ an bestimmte ArbeitgeberInnen gebunden sind und dadurch – auch bei ausbeuterischen Arbeitsbedingungen – Kontinuität gewährleisten. Unter den FürsprecherInnen der Beschäftigung von „Drittstaatenangehörigen“ waren nicht nur ArbeitgeberInnen und „Drittstaatenangehörige“ selbst, sondern auch einzelne GewerkschafterInnen und NGO-VertreterInnen. Europäisierungsprozesse führen also offensichtlich auch zu einem Ausfransen von Kon-
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5 Zypern
fliktlinien, die innerhalb des nationalstaatlichen Rahmens noch recht eindeutig beispielsweise zwischen den verschiedenen Tarifparteien gezogen werden konnten. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Verknüpfung der Diskussion um kontinuierliche Beschäftigungsverhältnisse mit der im Strategieplan der CTO angestrebten Förderung von Qualitätstourismus, in dem insbesondere der Bedarf an qualifiziertem und gut eingearbeitetem Personal betont wird. TourismusforscherInnen wie CTO-VertreterInnen und ArbeitgeberInnen sorgten sich um Schaden am Image der „typisch zypriotischen Gastfreundschaft“ durch ausländisches – und damit meist als unqualifiziert geltendes – Personal, dem gastgeberische Fertigkeiten qua Herkunft abgesprochen werden. Gastfreundschaft wird damit essentialisierend zum Wesensmerkmal eines territorial gebundenen Kollektivs erklärt – bedingungslos und allen „Fremden“ gegenüber gleichermaßen gilt sie jedoch freilich keineswegs. Im touristischen Setting kommen DienstleisterInnen aus sogenannten Drittländern weder als GastgeberInnen noch als Gäste in Betracht. Das Verhältnis Gast-GastgeberIn ist vielmehr auf TouristInnen und Einheimische beschränkt. Nicht-zypriotische DienstleisterInnen bleiben außen vor, was ArbeitgeberInnen gleichzeitig eine Begründung dafür liefert, sie „ungastlich“ schlecht zu bezahlen bzw. mangels „gastgeberischer“ Fertigkeiten auf touristische Hinterbühnen zu verbannen. Auch offiziell gleichberechtigten BürgerInnen aus anderen EU-Ländern können mithilfe eines essentialistischen Gastfreundschaftsverständnisses die notwendigen Qualifikationen für eine Dienstleistungstätigkeit im Tourismus abgesprochen werden. Das binäre Konzept von GastgeberInnen einerseits und Gästen andererseits wird der mobilen touristisch-migrantisch geprägten Realität in Zypern jedoch überhaupt nicht gerecht, in der eindeutige Zuordnungen zur einen oder anderen Kategorie häufig kaum möglich sind. Die Referenz auf Gastfreundschaft als Wesensmerkmal scheint vor diesem Hintergrund vor allem dazu zu dienen, Hierarchien auf einem transnationalen Arbeitsmarkt aufrechtzuerhalten oder neu zu etablieren. Die in diesem Kapitel versammelten Interviewaussagen machen deutlich, dass weder die neue EU-Bürgerschaft noch die Möglichkeit, eine Daueraufenthaltsgenehmigung zu beantragen, automatisch dazu führen, dass ausländische Arbeitskräfte sich dauerhaft in Zypern niederlassen. Viele unterschiedliche Faktoren spielen bei einer solchen Entscheidung eine Rolle. Den Befragten ging es oftmals darum, mit dem Lebensgefährten zusammen sein zu können, oder auch um die Zukunft eines Kindes. Kaum eine meiner Interviewpartnerinnen wollte jedoch für immer in Zypern bleiben. BürgerIn eines EU-Landes zu sein oder – wie Katinka, die die lettische Staatsbürgerschaft beantragte – zu werden, schien vielmehr eine Möglichkeit darzustellen, sich frei über Grenzen hinweg bewegen und ohne Einschränkungen Arbeit suchen zu können. Im Falle Marenkas ver-
5.7 Fazit
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lockte nicht die Tatsache, dass sie selbst EU-Bürgerin war, zur längerfristigen Niederlassung in Zypern, sondern paradoxerweise führte der prekäre Aufenthaltsstatus ihres kurdischen Freundes zu dieser Entscheidung. Dass sich im Zuge der Implementierung der EU-Direktive 2003/109/EC massenhaft „Drittstaatenangehörige“ in Zypern niederlassen werden – wie die zitierte Ministerialbeamtin fürchtete – ist aus meiner Sicht unwahrscheinlich. Zum einen sind nur wenige MigrantInnen lange genug in Zypern, um einen Antrag auf eine Daueraufenthaltsgenehmigung stellen zu können, und zum anderen muss die Beantragung einer Daueraufenthaltsgenehmigung nicht unbedingt in einen tatsächlichen Daueraufenthalt in Zypern münden, im Gegenteil. So dachte Aida eigentlich schon länger über eine Rückkehr nach Armenien nach. Sie blieb jedoch, unter anderem weil sie eine Daueraufenthaltsgenehmigung haben wollte, die es ihr ermöglichen würde, das Land zu verlassen, aber potenziell jederzeit zurückkommen zu können. Die Möglichkeit einer Daueraufenthaltsgenehmigung würde also in einigen Fällen Pendelmigration begünstigen und weniger einen neuen Siedlungs- als einen erweiterten Bewegungsraum eröffnen. Aida ist zudem ein Beispiel dafür, dass wirtschaftliche Gründe nicht immer ausschlaggebend sind für eine Entscheidung zur Arbeitsmigration. Selten sind sie der einzige Grund. So betonten sowohl Aida als auch Shalini – und auch bei anderen war dies als ein Migrationsgrund erkennbar –, dass die Migration für sie Unabhängigkeit von ihrer Familie bedeutete und insofern auch einen Schritt individueller Emanzipation darstellte. Umgekehrt ist auch Migration aus einem westeuropäischen Land wie Deutschland nicht allein mit einer Lebensstilentscheidung zu begründen, sondern kann durchaus auch wirtschaftliche Gründe haben. So war die drohende Arbeitslosigkeit für Sandra einer der wesentlichen Auslöser, nach Zypern zu gehen. Hinzu kam bei Sandra – wie auch bei einigen anderen – der Wunsch nach dem Zusammenleben mit dem Lebensgefährten, der in Zypern im Bausektor arbeitete. Eine entsprechende Paarkonstellation fand sich in mehreren Fällen in Plagia, wo sowohl touristische Infrastruktur vorhanden ist als auch zahlreiche Bauprojekte laufen. Die teilweise geschlechtsspezifische Nachfrage nach Arbeitskräften in den beiden Sektoren ermöglicht es offenbar einigen MigrantInnen, als Paar Arbeit zu finden. Während die Frauen vorwiegend im Dienstleistungssektor arbeiteten – im Rahmen dieser Untersuchung waren es insbesondere Beschäftigte im Hotel-, Restaurant- und Cateringsektor, aber auch in haushaltsnahen Dienstleistungsjobs sind vorwiegend migrantische Frauen zu finden –, waren im Bausektor in erster Linie Männer gefragt. Die geschlechtsspezifische Nachfrage nach Frauen für Servicejobs im Hotel-, Restaurant- und Cateringsektor muss allerdings weiter ausdifferenziert werden. So scheinen junge Frauen aus Osteuropa offenbar gerne im Service einge-
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5 Zypern
setzt zu werden, während Frauen aus Südostasien oder ältere Frauen eher im Hintergrund, in der Küche oder in Putzjobs, zu finden sind. Osteuropäerinnen scheinen unter anderem aufgrund der relativ großen Zahl osteuropäischer Frauen, die in Nachtclubs und Bars in Zypern sexuelle Dienstleistungen anbieten, häufig kollektiv als „willige Sexualobjekte“ wahrgenommen zu werden. Mehrere Frauen berichteten von sexuellen Belästigungen durch Arbeitgeber, Gäste oder auch Passanten auf der Straße. Der Prozess der „Harmonisierung“ mit EU-Vorgaben erweist sich in Zypern in Bezug auf den Arbeitsmarkt vor allem als ein Prozess der Hierarchisierung. Quer zu der offiziellen Abstufung ausländischer Arbeitskräfte in EU-BürgerInnen, Noch-nicht-EU-BürgerInnen und Niemals-EU-BürgerInnen werden noch eine Reihe weiterer hierarchischer Grenzziehungen im Zuge der EU-Erweiterung bedeutsam. Am Beispiel des Hotel-, Restaurant- und Catering-Sektors in Zypern wird deutlich, inwiefern – zusätzlich zu EU-Bürgerschaft oder „Drittstaatenangehörigkeit“ – ethnische und geschlechtliche Zugehörigkeiten auf dem Arbeitsmarkt zum Tragen kommen. Dabei kristallisiert sich allerdings auch heraus, dass unternehmerische Entscheidungen und individuelle Lebensentwürfe durch neue Arbeits- und Aufenthaltsbedingungen zwar beeinflusst, aber nicht vollständig kontrolliert werden können.
6 Zur Multifunktionalität touristischer Infrastruktur im Mittelmeerraum
Abschließend möchte ich nochmals auf die Mobilitätsmetaphern zurückkommen, die ich in Kapitel 1 im Zusammenhang mit dem mobility turn diskutiert habe, und sie an einem bislang noch nicht ausführlich zur Sprache gekommenen Beispiel empirisch konkretisieren. Anhand eines Hotels, das gegenwärtige Mobilitäten und die ihnen zugrundeliegende Infrastruktur nicht nur abstrakt versinnbildlicht, sondern als Kreuzungspunkt konkreter touristischer und migrantischer Praktiken in Europa beschrieben werden kann, sollen die verschiedenen Dichotomien, die in den Texten zum mobility turn angelegt sind und die die Gefahren eines „neuen Orientalismus“ (Tsing 2002) bergen, nochmals aufgenommen und reflektiert werden.
6.1 „Hotel Royal“ – Ferienquartier und Abschiebelager Das Hotel versinnbildlicht nach James Clifford (1997) einen bestimmten modernen Lebensstil, der die urbanen Zentren der Alten Welt prägte, während das Motel eher für eine postmoderne Lebensweise steht (vgl. z.B. Löfgren 1995). Beide Metaphern sind – auch von den genannten Autoren selbst – dafür kritisiert worden, soziale Unterschiede auszublenden. In Abgrenzung zu derart voreingenommenen und symbolorientierten Darstellungen des Hotels oder Motels entstanden ethnografische Studien, die unter Berücksichtigung von ethnischen, schicht- und geschlechtsspezifischen Unterschieden die Arbeitsrealitäten von Hotelangestellten in den Blick nehmen (vgl. z.B. Adler/Adler 2004). Wenn wir uns den Außengrenzen der Europäischen Union am Mittelmeer zuwenden, sind wir zum einen mit den Resultaten der enormen Tourismusentwicklung der letzten Jahrzehnte konfrontiert und können zum anderen die Implementierung des europäischen Grenzregimes mit seinen Folgen für MigrantInnen auf dem Weg nach Europa und in Europa beobachten. In diesem Zusammenhang kommen dem Hotel jenseits seiner metaphorischen Bedeutung für einen bestimmten Lebensstil oder seiner materiellen Relevanz als Arbeitsplatz neue Funktionen zu.
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6 Zur Multifunktionalität touristischer Infrastruktur im Mittelmeerraum
Diese neuen Funktionen von touristischen Massenunterkünften im Kontext eines von verschiedenen Mobilitätsprojekten konturierten Europa möchte ich im Folgenden am Beispiel von „Hotel Royal“ illustrieren, das sich einige Kilometer außerhalb der kretischen Hauptstadt Iraklio befindet.1 Im Sommer dient das mit staatlichen Geldern betriebene Hotel als Ferienunterkunft für sozial schwache TouristInnen aus dem Norden Griechenlands. Als wir im September 2004 zum Hotel kamen, war die Hauptsaison bereits vorbei. Der Parkplatz war verlassen, auf den Balkonen kein Mensch zu sehen, und auch die Eingangshalle war menschenleer. Von den 140 anwesenden Hotelgästen keine Spur. Man erklärte uns, sie dürften das erste Stockwerk nicht verlassen und die Balkone nicht benutzen. Wir gingen nach oben. Im Flur saßen drei Männer und spielten Karten, zwei von ihnen trugen Marineuniformen. Sie passten auf, dass niemand das Hotel verließ. Der dritte Kartenspieler war ebenso wie die restlichen Hotelgäste ein Flüchtling aus Ägypten oder Palästina.2 Die Männer waren von Alexandria aus nach Italien aufgebrochen. Vor einer Woche war ihr Schiff in Seenot geraten, und die Schiffsinsassen waren von der griechischen Marinepolizei nach Kreta gebracht worden. Die Crew hatte aus sechs Leuten bestanden, zwei davon waren verschwunden. Die Polizei inhaftierte die restlichen vier und einen der Passagiere. Alle anderen Passagiere wurden vorübergehend im zum Abschiebelager umfunktionierten „Hotel Royal“ untergebracht. Wir sprachen mit einigen von ihnen. Einer der Passagiere stellte sich uns als Schulleiter aus Ägypten vor. Er erklärte, er habe 2.000,- Euro für die Überfahrt nach Italien gezahlt. Ihm sei gesagt worden, man werde ihn zu einem großen Schiff bringen, wo er einen Pass und ein Visum erhalte. Es sei jedoch nichts dergleichen geschehen. Deshalb habe er nun keinerlei Papiere. Anderen war es ähnlich ergangen. 6.2 Zur Plausibilität der in den Texten zum mobility turn angelegten Dichotomien am Beispiel von „Hotel Royal“ 6.2 Zur Plausibilität der Dichotomien Im „Hotel Royal“ und seiner Umgebung materialisieren sich diverse Metaphern des mobility turn (Hotel/Lager, Meer/Schiff, Migrant/Tourist), von denen in Ka1 Die konkrete Lokalisierung ist in diesem Fall nur begrenzt von Bedeutung. Multiple Nutzungsweisen touristischer Massenunterkünfte lassen sich im gesamten Mittelmeerraum (vgl. hierzu Hess/Karakayal 2004, Holert/Terkessidis 2006) und darüber hinaus (vgl. z.B. Gotschi 2008 und RothStauffenberg 2008 über ein Hotel in Mosambik) finden. Dennoch ist der jeweilige Kontext – in diesem Fall vor allem die griechische und europäische Migrationspolitik – freilich bedeutsam. 2 Afghanistan, Irak, Palästina, Somalia und Ägypten sind die fünf Hauptherkunftsländer illegalisierter MigrantInnen, die zwischen 2001 und 2007 an den griechischen Küsten erfasst wurden (vgl. Triandafyllidou 2008, Table 2).
6.2 Zur Plausibilität der Dichotomien
279
pitel 1 die Rede war. Das beschriebene Lager-Hotel ist zugleich ein Ort, an dem verschiedene Mobilitätsprojekte zusammenkommen, die das gegenwärtige Europa kennzeichnen (vgl. hierzu Kapitel 3). Um ihrer Bedeutung für Europa gerecht zu werden, genügt es nicht, sie als Migrations- oder Tourismusphänomene getrennt zu untersuchen, wie es in der Tourismusforschung einerseits und der Migrationsforschung andererseits geschieht (vgl. hierzu Kapitel 2). Das „Hotel Royal“ stellt jedoch nicht nur die Dichotomie von MigrantInnen und TouristInnen in Frage, sondern auch weitere Polarisierungen, die von ProtagonistInnen des mobility turn formuliert werden. So fordern beispielsweise Hannam, Sheller und Urry (2006, 10) die Berücksichtigung des Gegensatzes zwischen freiwilliger und erzwungener Mobilität und stellen Mobilität und Immobilität einander gegenüber (vgl. z.B. ebd., 3f.). Und Zygmunt Bauman (1996, 662) polarisiert zwischen „Touristen“ und „Vagabunden“. Im Folgenden werde ich Polarisierungen, die in den Debatten um den mobility turn immer wieder auftauchen, im Kontext des europäischen Grenzregimes diskutieren. Die Dichotomien, um die es gehen soll, sind:
Mobilität versus Immobilität Freiwillige versus erzwungene Mobilität Tourismus versus Migration
Mobilität versus Immobilität Für die eingangs beschriebenen Reisenden auf dem Weg nach Italien nahm die Reise auf Kreta ein jähes Ende. Sie saßen in einem zum Abschiebelager umfunktionierten Hotel fest und waren auf das Warten verwiesen. Eignet sich das Lager also besonders, um „the power and politics of discourses and practices of mobility in creating both movement and stasis“, wie Hannam, Sheller und Urry (2006, 3f.) es formulieren, zu untersuchen? Menschen in Bewegung brachten die immobilisierende Gleichsetzung von „Territorium, Identität und Staatsbürgerschaft“ zur Erosion (Beck/Grande 2004, 193) und sprengten die „Koterminalität von Gruppe, Kultur und Raum“ (Welz 1994, 67). In der dadurch bedingten Krise des Nationalstaats, in der der Nexus „Staat, Nation (Geburt) und Territorium“ auseinander bricht, gewinnt das Lager an Bedeutung, schreibt Giorgo Agamben (2002 [1995], 185). Nach Agamben findet im Lager die stabile räumliche Einrichtung des Ausnahmezustands statt, der ursprünglich als nur zeitweilige Aufhebung der Rechtsordnung galt: „Das Lager ist der Raum, der sich öffnet, wenn der Ausnahmezustand zur Regel zu werden beginnt“ (ebd., 177). Agamben betont ausdrücklich, dass die Abschiebelager der Gegenwart scheinbar harmlose Orte wie Hotels sein können. Folgen wir Agamben, dann grenzt das „Hotel Royal“ „in Wirklichkeit einen Raum ab, in
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6 Zur Multifunktionalität touristischer Infrastruktur im Mittelmeerraum
dem die normale Ordnung de facto aufgehoben ist“ (183). An solchen Orten hänge es nicht mehr vom Recht ab, was mit den LagerbewohnerInnen passiere, sondern von der Zivilität und Ethik der Polizei, die hier vorübergehend als Souverän agiere. Wie uns bei unserem Besuch im „Hotel Royal“ klar gemacht wird, warten die meisten LagerbewohnerInnen auf ihre Abschiebung. Einige von ihnen wollen Anträge auf Asyl stellen, andere nicht. Denn nach einer sehr wahrscheinlichen Abschiebung zurück nach Ägypten, müssen die Ägypter unter ihnen eine Gefängnisstrafe wegen „Landesverrats“ fürchten, wenn sie zuvor in Griechenland Asyl beantragt haben, und erneute Migrationsversuche würden erschwert werden, wie ein Vertreter von Amnesty International-Ortsgruppe Iraklio uns später erklärt. Die Befürchtungen der Ägypter, dass sie abgeschoben werden, sind berechtigt, denn Organisationen wie der UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) oder die IOM (International Organization for Migration) und andere machtvolle AkteurInnen des europäischen Grenzregimes, die die Sorge um die Menschenrechte von den Nationalstaaten übernommen haben, verfahren in solchen Fällen meist nach dem „völkischen Prinzip, dass Menschen vorrangig dort leben sollen, wo ihre ‚Heimat’ ist, dort wo ihr ‚Volk’ ‚zu Hause’ ist“ (Düvell 2002, 107f.). Nun ist es aber keinesfalls unweigerlich so, dass eine illegale Reise in die EU mit der Rückführung endet, selbst dann nicht, wenn man sich bereits im Abschiebelager befindet. Ein im Lager gestellter Antrag auf Asyl kann in Griechenland sogar durchaus zu einem längeren Aufenthalt im Land verhelfen. Zwar wird nur ein verschwindend geringer Teil der Asylanträge letztlich anerkannt, doch besteht die Möglichkeit, sich für die Antragsfrist legal im Land aufzuhalten und dann illegal weiter dort zu bleiben. Aus anderen Lagern in Griechenland ist bekannt, dass LagerbewohnerInnen nach drei Monaten mit einem Dokument entlassen werden, das sie auffordert, das Land innerhalb von 14 Tagen „freiwillig“ zu verlassen, und zwar „in einer Richtung ihrer Wahl“. Das gibt ihnen de facto die Möglichkeit, weiterzureisen aufs Festland. Bis es zu einem Interview mit dem oder der Antragstellenden kommt, können ein bis zwei Jahre vergehen. „Diese Verwaltungspraxis dokumentiert ein offen eingestandenes politisches Kalkül: dass die Migranten auf das Interview verzichten und illegal bleiben bzw. ihre Reise fortsetzen“ (Panagiotidis/Tsianos 2007, 72f.). Das Lager ist daher nicht unbedingt ein Ort der totalen Immobilisierung. Lager des europäischen Grenzregimes können vielmehr als „der verräumlichte Versuch“ betrachtet werden, „Bewegungen temporär zu beherrschen, d.h. Verkehrswege, Routen zu verwalten“ (ebd., 79). Sie dienen offensichtlich nicht dazu, illegale Grenzübertritte gänzlich zu unterbinden, sondern gemäß den Erfordernissen des Arbeitsmarktes zu steuern. Daher waren wir auch nicht allzu über-
6.2 Zur Plausibilität der Dichotomien
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rascht, als wir ein paar Tage nach unserem Besuch im „Hotel Royal“ erfuhren, dass es einer kleinen Gruppe von Flüchtlingen gelungen war, auszubrechen und unterzutauchen. Lager wie das „Hotel Royal“ stellen weniger einen Pol in der Gegenüberstellung von Mobilität und Immobilität dar, als dass sie Mittel der „Kontrolle der Mobilität durch Entschleunigung“ (ebd., 81) sind. Anstelle der Konzentration auf Mobilität und Immobilität scheint es daher notwendig, auch Momente von Be- oder Entschleunigung in der Analyse des europäischen Mobilitätsregimes zu berücksichtigen bzw. „Friktionen“ im Sinne Tsings (2005) in den Blick zu nehmen. Freiwillige versus erzwungene Mobilität Nachdem die kretische Marinepolizei das Flüchtlingsschiff in ihre Kontrolle gebracht hatte, bestand eine ihrer ersten Maßnahmen darin, die Organisatoren der Reise, die aufgrund der erschwerten Mobilitätsbedingungen an den EU-Außengrenzen auch „Menschenschmuggler“ genannt werden, ausfindig zu machen. So kam man in der Hotellobby nicht zum Begrüßungsumtrunk zusammen, sondern um die Crew-Mitglieder von den Passagieren identifizieren zu lassen. Die vier identifizierten Crew-Mitglieder genügten den Beamten jedoch offenbar nicht. Sie wussten, dass es mehr gewesen waren, also nahmen sie willkürlich noch einen Passagier fest. So stellten es jedenfalls die anderen Passagiere dar, mit denen wir eine Woche später sprachen und die planten, die fünfte Person mit einem Hungerstreik freizupressen. Die meisten der Passagiere hatten viel Geld für die Überfahrt bezahlt, zum Ziel gebracht hatte es sie nicht. Hilft die Unterscheidung von „erzwungener“ und „freiwilliger“ Mobilität hier analytisch weiter? Was ist von der Erklärung zu halten, die Männer aus Alexandria hätten sich wohlweislich in die Hände von „Menschenschmugglern“ begeben und seien daher letztlich selbst für ihre Lage verantwortlich? Rhetorik und Praxis der europäischen Migrationspolitik legen eine solche Interpretation nahe. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat am 15. November 2000 das umfassende Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität und Zusatzprotokolle gegen den Menschen- und insbesondere den Frauen- und Kinderhandel sowie gegen die Schleusung von MigrantInnen verabschiedet. Die dabei zugrunde gelegten Definitionen haben Eingang gefunden in die Konvention des Europarats gegen Menschenhandel, die am 16. Mai 2005 von 14 Ländern unterzeichnet wurde. Der UNHCR hob die Bedeutung einer klaren Unterscheidung zwischen Menschenhandel und Menschenschmuggel hervor. Er betonte, „dass Menschenhandel eine Missachtung der Menschenrechte jeder betroffenen Person darstellt (weshalb im gesamten Text des Protokolls über den Menschenhan-
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6 Zur Multifunktionalität touristischer Infrastruktur im Mittelmeerraum del von ‚Opfer’ gesprochen wird). Menschenschmuggel hingegen wird eher als ein Verstoß gegen die gesetzlichen Einwanderungsbestimmungen charakterisiert, nämlich als Beihilfe zum Überschreiten einer Landesgrenze unter der Verletzung der für die legale Einreise in einen Staat geltenden Vorschriften, mit dem Ziel der direkten oder indirekten Erlangung finanzieller oder anderer materieller Vorteile.“ (UNHCR 2003, 2f.)
Wie Jacqueline Bhabha (2005) feststellt, wird hier eine Dichotomie zwischen erzwungener und freiwilliger irregulärer Migration etabliert. Während gehandelte Personen als „Opfer“ oder „Überlebende“ betrachtet würden, die ihrer Verbringung über Grenzen nicht zugestimmt haben, wird von geschmuggelten MigrantInnen angenommen, sie hätten sich mit dem kriminellen Grenzübertritt einverstanden erklärt. Geschmuggelte Personen würden in der Regel mit Männern assoziiert. Opfer von Menschenhandel würden hingegen meist mit den traditionellen Objekten von Schutzmaßnahmen in Verbindung gebracht: Frauen und Kinder. In der Praxis der Migration sei eine Trennung zwischen Menschenhandel und Menschenschmuggel jedoch häufig kaum möglich, ebenso wenig wie immer eindeutig zwischen „Freiwilligkeit“ und „Zwang“ unterschieden werden kann (vgl. Lenz 2004). Politisch ermöglichen diese Dichotomien jedoch die Legitimation einer bestimmten Migrationspolitik und den selektiven Zugriff auf MigrantInnen entlang dieser Kategorien. Die Zerschlagung von „Menschenhändlerringen“ und „Schleppernetzen“ wird als humanitäre Maßnahme deklariert, die dem „Opferschutz“ dient und die verschärfter Grenzkontrollen bedarf. Gleichzeitig wird dabei die „Bewegung der Migration“ in „Verbrecher“ und „Opfer“ gespalten (Bojadžijev/Karakayal 2007, 206). Wenn wir also in der Mobilitätsforschung von „Opfern“ und „Tätern“ des illegalen Grenzübertritts sprechen, wenn wir „Flüchtlinge“ und „ArbeitsmigrantInnen“ unterscheiden und Mobilität in „freiwillig“ und „unfreiwillig“ unterteilen, rufen wir nicht unbedingt analytische Begriffe zur Beschreibung der mobilen Wirklichkeit auf. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass die behördlichen Kategorien, auf denen das europäische Grenzregime und die Forschungsaufträge der EU beruhen, unhinterfragt übernommen werden. Tourismus versus Migration Die Gegenüberstellung von Tourismus und Migration wird häufig herangezogen, um die Pole gegenwärtiger Mobilitätsprojekte entlang der Dichotomie von „freiwilliger“ versus „erzwungener“ Mobilität oder auch Immobilität zu veranschaulichen. Meist wird die Dauer des Aufenthalts als Unterscheidungskriterium für Tourismus und Migration herangezogen, und die unterschiedlichen Bedingungen und Motive der Reise werden bemüht, um den Unterschied zu belegen.
6.2 Zur Plausibilität der Dichotomien
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Recht prominent wurde die Polarisierung von Mobilität durch Zygmunt Bauman (1996, 662) mit der Gegenüberstellung von „Touristen“ und „Vagabunden“ vertreten: „Die Touristen bleiben oder brechen auf, wie ihnen gerade zumute ist. Sie verlassen einen Ort, wenn es anderswo noch neue, ungenutzte Möglichkeiten gibt. Die Vagabunden wissen hingegen, daß sie nicht lange bleiben werden, wie sehr sie es auch wünschen mögen, denn sie sind nirgends willkommen. [...] Touristen reisen, weil sie es wollen, Vagabunden, weil sie keine andere bewältigbare Wahl haben.“
Dass ich „Freiwilligkeit“ und „Zwang“ als analytisches Unterscheidungskriterium für verschiedene Mobilitätsformen für problematisch erachte, habe ich im vorangegangenen Abschnitt ausgeführt. Ebenso wenig scheint mir die Dauer des Aufenthaltes ausschlaggebend, um zwischen touristischen und migrantischen Praktiken zu unterscheiden. Auch die Motive für eine Reise sind häufig nicht eindeutig und können sich unterwegs verändern. Dies wurde in den vorangegangenen Kapiteln anhand von diversen Beispielen aus dem touristisch-migrantischen Ereignisraum am europäischen Mittelmeer verdeutlicht. Es konnte gezeigt werden, dass hier Reisende, Bereiste und DienstleisterInnen in wechselnden Rollen aufeinandertreffen. Touristische und migrantische Praktiken überkreuzen und vermischen sich auf vielfältige Weise. Aus den USA zurückgekehrte griechische ArbeitsmigrantInnen machen sich mit touristischen Unternehmen selbstständig; ehemalige TouristInnen aus Deutschland oder Österreich lassen sich an der Mittelmeerküste nieder und beschäftigen syrische Bauarbeiter und bulgarische Pflegekräfte; Albaner mit oder ohne Papiere arbeiten als Kellner in griechischen Tavernen und geben sich als Griechen aus; russischsprachige Kellnerinnen bedienen russische Touristen in den Cafés und Bars auf Zypern; „Drittstaatenangehörige“ bewegen sich mit TouristInnenvisum auf der Suche nach Arbeit durch die EU; und in den touristischen Unterkünften auf Kreta und Zypern werden – vor allem in der Nebensaison – Flüchtlinge und andere zeitweilig Anwesende untergebracht. (Vgl. hierzu Kapitel 2, 4, 5) Zweifelsohne unterscheidet sich die Situation der Männer aus Alexandria im „Hotel Royal“ erheblich von der der TouristInnen aus Nordgriechenland, die das Hotel noch kurz zuvor bevölkerten. Allein die Tatsache, dass sie am selben Ort untergebracht sind, macht sie nicht zu Reisenden derselben Klasse. Dennoch ist das Hotel ein Ausdruck dafür, dass sich Migration und Tourismus in mancher Hinsicht ähneln, insbesondere in Bezug auf die Nutzung derselben Infrastruktur. Die häufig provisorischen Massenunterkünfte haben einen „hybriden, multifunktionellen Charakter“ (Holert/Terkessidis 2006, 251) und lassen verschiedenste Nutzungen zu. Häufig sind sie mit Technologien ausgestattet, die unterschiedlich eingesetzt werden können. Aus der Perspektive technischen Fort-
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schritts haben die Nachtsichtgeräte, mit denen MigrantInnen aus dem globalen Süden bei ihren Versuchen des Grenzübertritts aufgespürt werden, ihr Pendant in den Überwachungskameras, mit denen die Feriensiedlungen der TouristInnen, die Häuser der RemigrantInnen und die Zweitwohnsitze der WesteuropäerInnen abgesichert werden. Zudem scheinen sich Flüchtlingslager wie Feriensiedlungen und Appartementblocks von DauertouristInnen in ähnlicher Weise auf das Gemeinwesen auszuwirken. Mit den provisorischen Unterkünften und Lagern für die MigrantInnen und den Bauprojekten der Tourismusindustrie „entsteht eine ganze Welt von seltsamen Übergangslösungen, eine Welt von saisonal oder vorübergehend bewohnten Orten, manchmal überfüllt, manchmal gespenstisch leer“, wie Tom Holert und Mark Terkessidis (2006) es formulieren. Zunehmend verwandeln sie sich in „ständige Übergangslösungen“ (ebd., 48) für „Leute, die fehlen, die pendeln, die im Sommer vorbeischauen, die warten“ (ebd., 127). Gerade im Mittelmeerraum, der europäischen „Vergnügungsperipherie“ an der EU-Außengrenze, entstehen so immer mehr „mobilisierte Zonen im permanenten Ausnahmezustand“ (ebd., 169). Nicht nur viele der MigrantInnen, sondern auch viele der TouristInnen, die diese Zonen bevölkern, sind häufig „papierlos“. Denn auch wenn die TouristInnen aus West- und Nordeuropa sich innerhalb der EU frei bewegen können, sind sie doch AusländerInnen und müssen sich registrieren lassen, wenn sie sich länger in einem anderen europäischen Land aufhalten, was aber nur wenige tun. (Vgl. ebd., 181) „Wasser, Strom und eine Straße reichen als Verbindung zum Gemeinwesen. Was hier entsteht, überall in und um Europa, sind ganze Städte, die keine Bürger mehr haben“ (ebd., 139). Zur Erfassung dieser neuen sozialen Agglomerationen und ihrer Auswirkungen ist eine strikte Trennung von Tourismus und Migration wenig hilfreich.
6.3 Ausblick Die im touristisch-migrantisch geprägten Mittelmeerraum entlang der EU-Außengrenze entstehenden „Städte ohne BürgerInnen“, Orte wie „Hotel Royal“, scheinen sich inzwischen selbst zu touristischen Attraktionen entwickelt zu haben, wozu das 2006 erschienene Buch „Fliehkraft“ von Tom Holert und Mark Terkessidis maßgeblich beigetragen hat, auf das auch ich mich im vorangegangenen Abschnitt beziehe. Holert und Terkessidis sind für die Recherchen zu diesem Buch selbst mobil geworden und durch verschiedene Länder dies- und jenseits der südlichen EU-Außengrenzen gereist. Sie suchten dort Gebäude auf, die zur Unterbringung von TouristInnen und/oder MigrantInnen entworfen worden waren bzw. genutzt wurden. In ihrem Buch setzen sie diese Gebäude und die
6.3 Ausblick
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unterschiedliche Nutzungsweise zueinander ins Verhältnis und diskutieren ihre Bedeutung vor dem Hintergrund des europäischen Grenzregimes. Einige dieser Überlegungen lassen sich auf das von mir beschriebene „Hotel Royal“ übertragen. Während „Hotel Royal“ jedoch vermutlich nie zu einem Anlaufpunkt für zukünftige touristische Reisen entlang der EU-Außengrenze werden wird, sind die Orte, die Holert und Terkessidis beleuchten, inzwischen selbst zu Attraktionen für „politische KulturtouristInnen“ geworden. So haben sich einige VertreterInnen des linken Kulturbetriebs bereits auf den Spuren von „Fliehkraft“, das ihnen gewissermaßen als Reiseführer dient, an die EU-Außengrenzen begeben. (Vgl. hierzu Zinganel/Lenz 2008)
Abbildung 7:
„Hotel Royal“ auf Kreta im September 2004.
Wie Michael Zinganel und ich an anderer Stelle (2008) ausführen, scheint es verschiedene Gründe dafür zu geben, dass das Buch für diese Klientel attraktiv ist.3 Ein Grund ist sicher die Ästhetik, die die Autoren nicht nur in der sprachlichen, sondern auch in der visuellen Repräsentation ihrer Reiseeindrücke zum Ausdruck bringen. Ähnlich wie die von uns aufgenommenen Bilder von „Hotel Royal“ (vgl. Abb. 7) zeigen auch die Bilder von Holert und Terkessidis zumeist 3
Umfang und Motivation der hier angedeuteten Reisen wurden nicht systematisch empirisch erhoben und basieren auf subjektiven Eindrücken. Es wäre Gegenstand einer anderen Forschung, sie differenziert zu beleuchten. Die hier formulierten Thesen sind daher eher als Ausblick zu verstehen.
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menschenleere, scheinbar verlassene Gebäude.4 Da diese Gebäude jedoch offensichtlich zur Unterbringung einer Vielzahl von Menschen entworfen und errichtet wurden, ist ihre Leere umso irritierender, macht aber auch gleichzeitig für einige BetrachterInnen den ästhetischen Reiz aus, der dann wiederum ihren „touristischen Blick“ auf den Mittelmeerraum beeinflusst (vgl. hierzu auch die in Kapitel 1 angerissene Diskussion der Faszination Baudrillards und anderer für das Motel, die Wüste oder das „leere“ Amerika). Diese visuelle Ästhetik korrespondiert mit der sprachlichen Repräsentation. Holert und Terkessidis umgehen die empirische Fundierung ihrer Thesen im Sinne der Auseinandersetzung mit konkreten Menschen, die die beschriebenen und abgebildeten Gebäude erbauen, bewohnen oder bewirtschaften, und verdichten sie unmittelbar zu prägnanten Figuren und Metaphern. So vermeiden sie, sich in langwierigen Beschreibungen von Besonderheiten und in der kleinteiligen Ausleuchtung von Nebenwidersprüchen zu verlieren. Es geht ihnen um „soziale Positionen in einer Gesellschaft in Bewegung“. „Migrant“ und „Tourist“ sind daher für sie weniger als „reale Personen“ von Belang, sondern vor allem als „Typen“ oder „Konzept-Figuren“, die als solche helfen sollen, „die Gesellschaft in Bewegung zu beschreiben und zu analysieren“ (Holert/Terkessidis 2006, 13), so wie es auch Zygmunt Bauman im Hinblick auf „Touristen“ und „Vagabunden“ tut. Wenn es die eindrucksvollen Bilder und prägnanten Metaphern sind, die „Fliehkraft“ so attraktiv machen, dann werden auch Orte wie „Hotel Royal“ nicht nur als multifunktionale Unterkünfte für TouristInnen und MigrantInnen mit ihren Konsequenzen für das Gemeinwesen in Europa bedeutsam, sondern auch als Destinationen für „politische KulturtouristInnen“ oder Forschungsreisende aus Westeuropa. Ihre entsprechende ästhetische Repräsentation als Hotspots des europäischen Mobilitätsregimes, an denen „Städte ohne BürgerInnen“ entstehen und sich möglicherweise eine „neue Horde von Nomaden“ (Hardt/Negri 2002, 224, vgl. Kapitel 1) bildet, macht sie zu touristischen Attraktionen für jene, die ihre Reise in den Süden politisch und ästhetisch aufwerten wollen. TouristInnen und MigrantInnen, die keine „anderen Räume“ bewohnen, sondern – wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt – mitten in den touristisch-migrantischen Zentren am Mittelmeerraum in konkreten Städten und Dörfern leben, arbeiten, konsumieren, Pläne machen und vielfältige soziale Bezüge herstellen, werden sich möglicherweise nur schwerlich mit diesem touristischen Blick auf den Süden vereinbaren lassen.
4 Vgl. auch die Bildergalerie zum Buch unter http://www.isvc.org/fliehkraft/index.htm (letzter Zugriff: 8/2009).
Schluss
In der vorliegenden Arbeit wurden zwei Gegenden auf Kreta und Zypern im Kontext des gegenwärtigen europäischen Mobilitätsregimes ethnografisch untersucht. Dabei ging es nicht darum, die Inseln als territorial begrenzte Kulturräume zu begreifen und entlang derselben Kriterien miteinander zu vergleichen. Ebenso wenig stand der Einfluss von Migration und Tourismus auf die jewelige „Lokalbevölkerung“ im Zentrum und wurde verglichen. Der Fokus lag vielmehr auf Wechselwirkungen zwischen Migration und Tourismus, und die unterschiedliche Materialisierung des europäischen Grenzregimes in den beiden von Mobilitäten geprägten Ländern an der südöstlichen EU-Außengrenze wurde herausgearbeitet. Während in Griechenland der Rassismus gegen AlbanerInnen eine zentrale Rolle spielte, die sich seit Anfang der 1990er Jahre zur mit Abstand größten MigrantInnengruppe Griechenlands entwickelt haben und auch als Arbeitskräfte im Tourismussektor stark vertreten sind, kristallisierte sich in Zypern ein Jahr nach dem EU-Beitritt das veränderte Verhältnis zwischen Arbeitskräften aus der EU und „Drittstaatenangehörigen“ im Hotel-, Restaurant- und Cateringsektor als zentral heraus. Das Anliegen der vorliegenden Studie war es zu zeigen, dass sowohl Migration als auch Tourismus Regulationsobjekte des EU-europäischen Mobilitätsregimes sind, und deutlich zu machen, dass die beobachteten Praktiken mit den behördlichen Kategorien häufig ebenso wenig erfasst werden können wie mit den wissenschaftlichen Konzepten aus der klassischen Tourismus- und Migrationsforschung (Kapitel 2). Außerdem konnte herausgearbeitet werden, inwiefern Europa historisch von verschiedenen Mobilitätsformen gekennzeichnet ist, auf die zum Zweck der Bildung einer europäischen Identität jedoch unterschiedlich zurückgegriffen wird. Die Bemühungen um eine europäische Identitätsbildung wurden von mir als Teil des EU-Grenzregimes begriffen, insofern darüber festgelegt wird, wer dazu gehört und wer nicht. Verschiedene Mobilitätsformen werden unterschiedlich bewertet, was ebenso in der europäischen Migrationspolitik wie in EU-Programmen zu Kultur und Tourismus zum Ausdruck kommt (Kapitel 3). Das vielschichtige Wechselverhältnis von Migration und Tourismus in Europa konnte anhand von ethnografisch gewonnenen Erkenntnissen aus Kreta und Zypern konkretisiert werden. Die Arbeit hat damit die bislang vornehmlich auf
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Schluss
die Repräsentationsebene beschränkten Vergleiche von Mobilitäten auf eine empirische Basis gestellt. Dabei wurde an das Konzept der multi-sited ethnography und an den in Kapitel 1 diskutierten mobility turn angeknüpft, dessen Potenzial unter anderem darin besteht, nicht nur einzelne Mobilitäten und ihre immobile Infrastruktur zu untersuchen, sondern verschiedene Mobilitäten zu einander in Beziehung zu setzen. Für die Analyse einzelner Mobilitätsformen wie Tourismus oder Migration erarbeitete Konzepte wurden zu diesem Zweck aufeinander bezogen (Kapitel 2), wobei gängige Gegenüberstellungen wie die zwischen „mobilen Fremden“ und „sesshaften Einheimischen“ problematisiert wurden. In der Auseinandersetzung mit der Empirie habe ich in Kapitel 4 das sowohl in der Migrations- als auch in der Tourismusforschung häufig verwendete Konzept der „Authentizität“ aufgegriffen und gezeigt, inwiefern die Vorstellung „des authentisch Griechischen“ als Produkt von touristischen wie migrantischen Praktiken der Mimikry auf Kreta begriffen werden kann. In Kapitel 5 ging es darum, das binäre Konzept der „Gastfreundschaft“, das von „sesshaften GastgeberInnen“ und „mobilen Gästen“ ausgeht, angesichts der zahlreichen migrantischen Arbeitskräfte im Tourismussektor auf Zypern kritisch zu reflektieren. Für Kreta lässt sich zeigen, dass „der touristische Blick“ auf den Mittelmeerraum, der konsumierbare Differenz im „Authentischen“ und „Ursprünglichen“ sucht, sich in ganz verschiedene touristische Blicke ausdifferenzieren lässt, die stark davon bestimmt sind, wer von wo aus auf Kreta blickt. Eine einfache Unterscheidung in oberflächliche PauschaltouristInnen und reflektierte Alternativreisende ist dabei nicht möglich. Auch die Wahrnehmung ausländischer Arbeitskräfte im Tourismussektor variiert stark in Abhängigkeit von der eigenen Position. Am Beispiel von WesteuropäerInnen, die sich langfristig auf Kreta niedergelassen haben, zeigt diese Studie, dass die AlbanerInnen, die wie bereits erwähnt vor allem in den 1990er Jahren in vergleichsweise großer Zahl nach Griechenland einwanderten, zu wichtigen Figuren der Abgrenzung oder Identifikation geworden sind. Ein Deutscher, der Kreta und die KreterInnen stark idealisierte, übernahm beispielsweise den lokal verbreiteten Rassismus gegen Albaner, während zwei Engländer, die sich von den GriechInnen ausgebeutet fühlten, sich mit den Albanern identifizierten. Die meisten TouristInnen, die nur kurz auf Kreta waren, nahmen die Präsenz ausländischen Personals häufig kaum wahr. Ihnen schien es vor allem wichtig zu sein, dass der Schein des authentisch Griechischen gewahrt blieb. Da AlbanerInnen sich in ihren Augen optisch nicht von GriechInnen unterschieden, störten sie den touristischen Differenzkonsum nicht weiter. Umgekehrt war albanischen DienstleisterInnen aus Erfahrung bewusst, dass es häufig besser war, sich aufgrund dominanter Stereotype gegenüber griechischen wie anderen TouristInnen nicht gleich als AlbanerInnen zu erkennen zu geben. Ein Albaner nutzte dabei die exotisierenden und mediterrani-
Schluss
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sierenden Männlichkeitsvorstellungen west- und nordeuropäischer Touristinnen und gab sich bisweilen als Italiener aus. Die Strategie, eine andere Nationalität vorzugeben oder auch einen Mobilitätsstatus in Anspruch zu nehmen, der von der eigenen Mobilitätspraxis abweicht, verfolgten zudem einige MigrantInnen, um innerhalb der EU mobil sein zu können. Eine Serbin reiste beispielsweise im Winter immer als Touristin nach Deutschland, um dann hier illegal als Putzfrau oder Küchenhilfe zu arbeiten. Weder die Kategorien des europäischen Grenzregimes noch eine konzeptionell klare Zuordnung als Touristin oder Migrantin könnte ihre transnationalen Praktiken hinreichend erfassen. In Zypern ist mir das „Spiel“ mit Identitätszuschreibungen und Mobilitätskategorien weniger stark begegnet. Hier dominierte zum Zeitpunkt meiner Forschung die veränderte rechtliche Position vieler ausländischer Arbeitskräfte nach dem EU-Beitritt. Während neue EU-BürgerInnen wie PolInnen plötzlich uneingeschränkte Aufenthaltsmöglichkeiten hatten, gestaltete sich die Situation für „Drittstaatenangehörige“ auf einmal schwieriger, da sie von nun an erst dann einen Arbeitsplatz bekommen würden, wenn sich keinE EU-EuropäerIn dafür finden ließ. Was die Beschäftigung von „Drittstaatenangehörigen“ versus EUBürgerInnen anbelangt, gibt es in Zypern unterschiedliche Positionen. Die Regierung möchte die Beschäftigung von „Drittstaatenangehörigen“ sukzessive verringern, so dass langfristig – bis auf wenige unvermeidbare Ausnahmen – nur noch EU-BürgerInnen in Zypern beschäftigt sind. Eine ähnliche Haltung wird auch von den Gewerkschaften vertreten, die ausländische Arbeitskräfte aus anderen EU-Ländern inzwischen in ihre Politik aufgenommen haben. Der Beschäftigung von „Drittstaatenangehörigen“ stehen sie jedoch größtenteils skeptisch gegenüber. Im Unterschied zu den Gewerkschaften haben ArbeitgeberInnen ein großes Interesse an der Weiterbeschäftigung von „Drittstaatenangehörigen“. EUBürgerInnen sind vielen zu unzuverlässig, da sie ihren Job jederzeit wechseln können und dies auch tun, wenn sie unzufrieden sind oder etwas Besseres finden. Die Haltung der ArbeitgeberInnen wird von lokalen NGOs unterstützt, die sich für „Drittstaatenangehörige“ einsetzen und zu diesem Zweck deren Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft in einer unternehmerischen Rhetorik hervorheben. Im Unterschied zu NGO-VertreterInnen schätzen ArbeitgeberInnen an „Drittstaatenangehörigen“ allerdings meist auch deren Ausbeutbarkeit. Bei einem genaueren Blick auf den zypriotischen Arbeitsmarkt lässt sich feststellen, dass neben den offiziellen Differenzen zwischen EU-BürgerInnen und „Drittstaatenangehörigen“ eine Reihe weiterer Differenzmarkierungen wie Hautfarbe und Geschlecht wirksam werden. So setzen zypriotische ArbeitgeberInnen junge Frauen aus Osteuropa – egal ob EU-Bürgerin oder nicht – bevorzugt im Service ein, während Frauen aus Sri Lanka oder von den Philippinen eher auf den Hinterbühnen des Tourismus als Küchenhilfen oder Putzfrauen
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Schluss
arbeiten. Die in Zypern interviewten Frauen sind ähnlich wie die auf Kreta angetroffenen ausländischen Arbeitskräfte einer Art „europäischer Apartheid“ – wie Etienne Balibar es nennt – ausgesetzt. Nicht zuletzt Rassismus und Sexismus sind der Grund dafür, dass viele keinesfalls langfristig in Zypern bleiben wollen, ganz gleich ob sie dies als EU-BürgerInnen neuerdings problemlos dürfen oder ob sie als „Drittstaatenangehörige“ Aussichten auf eine Daueraufenthaltsgenehmigung haben. Die offizielle Hierarchisierung der Mobilitätskategorien bildet sich nicht eins zu eins in der Arbeitsrealität ab. Es profitieren beispielsweise nicht notwendigerweise in jeder Hinsicht die EU-Bürgerinnen vom EU-Beitritt Zyperns, und die „Drittstaatenangehörigen“ sind nicht unbedingt nur Verliererinnen der Neuregelung. Beschäftigte wie ArbeitgeberInnen entwickeln vielmehr unterschiedliche Strategien, mit denen die offizielle Mobilitätshierarchie bisweilen auch durchkreuzt wird. Von der zypriotischen Tourismusbehörde, aber auch von ArbeitgeberInnen im Tourismussektor, wurde vor diesem Hintergrund die in vielen Reiseführern und auch tourismuswissenschaftlichen Texten beschworene „typisch zypriotische Gastfreundschaft“ ins Spiel gebracht, um die Kompetenzen einheimischer Arbeitskräfte gegenüber ausländischem Personal hervorzuheben. Es wird deutlich, dass „Gastfreundschaft“ sich nicht als Wesensmerkmal einer autochthonen Bevölkerung erfassen lässt, das es vor der Bedrohung von außen zu bewahren gilt, sondern als Teil eines Diskurses um Standortvorteile auf einem transnationalen europäischen Arbeitsmarkt begriffen werden muss. Ganz ähnlich wie „das Authentische“ auf Kreta ist sie längst das Produkt einer mobilen europäischen Realität, in der ganz unterschiedliche Imaginationen und Erwartungen von verschiedenen AkteurInnen aufgegriffen, umgedeutet und nutzbringend eingesetzt werden. Diese Arbeit zeigt, dass die häufig dichotom angelegten Konzepte der Migrations- und Tourismusforschung zu kurz greifen, um das Wechselverhältnis von Migration und Tourismus im Kontext des europäischen Grenzregimes zu begreifen. Auch die Debatten um den mobility turn beruhen häufig auf Polarisierungen, die weniger analytisch tauglich sind als dass sie Grundlagen des Regierens in Europa reproduzieren. So kann im letzten Kapitel anhand eines zum Flüchtlingslager umfunktionierten Hotels auf Kreta gezeigt werden, dass die Gegenüberstellungen von Mobilität und Immobilität sowie von freiwilliger und erzwungener Mobilität Instrumente der europäischen Grenzpolitik sind und dass die Polarisierung von Tourismus und Migration hinter der touristisch-migrantischen Realität im Mittelmeerraum zurückbleibt.
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Bildnachweise Abbildung 1: Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Lisl Ponger. Abbildung 2: Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Galerie Polaris, Paris. Abbildung 3: Abdruck mit freundlicher Genehmigung von andcompany&Co., http://www.andco.de/1projects-europe.htm (letzter Zugriff: 8/2009). Abbildung 4: Wikipedia, en.wikipedia.org/wiki/Image:Polish_Plumber.jpg. Abbildung 5: Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Julia Bernstein. Abbildung 6: Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Michael Zinganel. Abbildung 7: © Ramona Lenz