Manuela Kaiser-Belz Mentoring im Spannungsfeld von Personalentwicklung und Frauenförderung
VS RESEARCH
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Manuela Kaiser-Belz Mentoring im Spannungsfeld von Personalentwicklung und Frauenförderung
VS RESEARCH
Manuela Kaiser-Belz
Mentoring im Spannungsfeld von Personalentwicklung und Frauenförderung Eine gleichstellungspolitische Maßnahme im Kontext beruflicher Felder
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Dr. Peter Alheit
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Göttingen, 2008 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Christina M. Brian / Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16279-9
Geleitwort
Die Studie von Manuela Kaiser-Belz nimmt ein Thema auf, das hochaktuell ist und zugleich hochambivalent: die Förderung von Frauen in avancierten Berufssparten, konkret in einer Universitätsklinik, im Bankwesen und in den komplexen Organisationsformen eines modernen Flughafens. Wir wissen, dass gerade diese Arbeitsmärkte, wie die jüngere Genderforschung sich ausdrückt, „vergeschlechtlicht“ sind. Die Diagnose, dass Männer die besseren Chancen haben, in attraktive Positionen aufzusteigen, erscheint wenig riskant. Frauen bleiben benachteiligt. Die subtile Unterstellung, dass erwartbare Schwangerschaften ihre Karriereenergie beeinträchtigen und ihren ungebrochenen Einsatz für das Unternehmen gefährden könnten, hält sich auch unabhängig von pro-feministischen Oberflächenbekenntnissen. Garantiert nun das Instrument des Mentoring einen Wandel? Lässt sich die Doppelperspektive „Personalentwicklung“ und „Gleichstellungspolitik“ – zwei strategische Dispositionen, die eher auf Konflikt als auf Konsens deuten – mit ein und demselben Beratungssetting steuern? Analytisch leuchtet zunächst durchaus nicht ein, dass eine Maßnahme, die Frauen in die Lage versetzen soll, als erfolgreiche Player in einem bis dato männerdominierten Berufsfeld zu agieren, jene an männlichen Karrieremustern entwickelten Regeln des beruflichen Aufstiegs unwirksam machen sollte. Eher wäre zu erwarten, dass sie diese latenten Regeln stabilisieren und festigen müsste – Mechanismen also, die für den weitgehenden Ausschluss von Frauen in diesen Berufsfeldern verantwortlich sind. Andererseits besteht natürlich die Chance, dass durch Mentoring diese versteckten Regeln und Muster aufgedeckt und kritisiert werden könnten und dass daraus tatsächlich eine neue Praxis entsteht. Die Befunde der vorliegenden Studie, die als eine der ganz wenigen empirischen Arbeiten in diesem Forschungsfeld Neuland betritt, sind ebenso differenziert wie skeptisch. Die Autorin hält sich freilich nicht bei scheinbar plausiblen Diagnosen auf, sondern wählt einen komplexen interdisziplinären Zugang. Sie fragt aus sozialwissenschaftlicher und geschlechtertheoretischer Sicht, welche Auswirkungen die Erfahrungen mit dem Mentoring auf die beteiligten Akteurinnen haben, sucht nach Deutungen und Umdeutungen von Karriereplänen bei den Betroffenen. Und sie wählt zugleich eine erziehungswissenschaftliche Betrachtung der Befunde, fragt nach möglichen Lernprozessen und ihren Auswirkungen.
6
Geleitwort
Dabei wird deutlich, dass pauschale Vorurteile über die Wirkungslosigkeit des Instruments Mentoring die soziale Realität verfehlen. Tatsächlich kann Manuela Kaiser-Belz aufdecken, dass die Karrierelogiken feldspezifisch variieren. Die Aufstiegspfade in einer medizinischen Fakultät sind durchaus unterschieden von entsprechenden Prozeduren in einer Bank oder im Verkehrsunternehmen. D.h. die Praxis des Mentoring ist in den untersuchten Feldern eher vielfältig und variabel. Allerdings, trotz dieser rekonstruierten Unterschiede verdecken die feldspezifischen Muster die faktische Vergeschlechtlichung der Karrierewege nur oberflächlich. Irritierend ist auch, dass die meisten Mentees, wie Kaiser-Belz überzeugend belegen kann, die jeweils dominierenden Karriereideologien ihrer Betriebe übernehmen und sich explizit dagegen aussprechen, dass eine strukturelle Benachteiligung von Frauen stattfinde. Nicht das Geschlecht, sondern „Leistung“, „Eignung“ oder „Passung“ gäben den Ausschlag für eine Beförderung. Kritische Reflexionen über die versteckten Praktiken finden sich allenfalls an der Universität und hier symptomatischerweise bei den Mentees, die dabei sind, „aus dem Feld zu gehen“ bzw. ihre Aufstiegsambitionen zurückzunehmen. Die Autorin interpretiert diesen ernüchternden Befund im Anschluss an Pierre Bourdieu als „Illusioeffekt“. Mentoring suggeriert auf der sozialen „Vorderbühne“ Veränderungschancen, auf der einflussreicheren „Hinterbühne“ jedoch werden Entscheidungen getroffen, die Karrieren von Frauen spürbar erschweren – im Bereich der medizinischen Forschung, im Bankwesen, aber auch im Feld eines modernen Verkehrsbetriebes. Freilich, die paradoxe Praxis, die allein dadurch entsteht, dass Frauen ausdrücklich zu „Mitspielerinnen“ in einem Feld gemacht werden sollen, das ihnen bisher weitgehend vorenthalten wurde und dessen Regeln auch aktuell das Mitspielen erheblich erschweren, verändert auch das Feld. Lernprozesse sind unvermeidlich. Die Überlegungen, die Manuela Kaiser-Belz in diesem Kontext vor allem an das „Situated-Learning-Konzept“ der kanadischen Soziologen Jean Lave und Etienne Wenger anschließt, sind anregend und sympathisch. Den skeptisch-kritischen Grundton der Studie verändern sie nicht. Mit ihrer Arbeit legt die Autorin eine thematisch und methodisch hochinteressante Forschung vor, die nicht nur eine intensive wissenschaftliche Rezeption verdient, sondern ebenso lebendige Auseinandersetzungen im Feld der Gleichstellungspolitik. Prof. Dr. Dr. Peter Alheit Arbeitsbereich Biographie- und Lebensweltforschung im Pädagogischen Seminar der Georg-August-Universität Göttingen
Danksagung
Diese Arbeit hätte nicht ohne die Unterstützung durch liebe Menschen und wohlwollende Institutionen geschrieben werden können. Deshalb möchte ich mich zunächst bei denjenigen bedanken, die mir auf vielfältige Weise im Promotionsprozess beiseite gestanden und mir geholfen haben. Als erstes gilt mein Dank den Koordinatorinnen der Mentoring-Programme, deren Unterstützung und Kontaktvermittlung zu den Interviewpartner/innen eine wichtige Voraussetzung für diese Arbeit darstellte. Einen ganz besonderen Dank möchte ich an die Mentees und Mentor/innen richten, die mir mit Vertrauen und Offenheit begegnet sind und mit ihren bereitwilligen Antworten auf meine Fragen die wichtigste Grundlage für diese Arbeit geschaffen haben. Weiterhin möchte ich der Hans-Böckler-Stiftung danken, die mir durch ihre finanzielle Unterstützung und andere unterstützende Angebote den Raum und die Zeit gegeben hat, mich meiner Arbeit und meiner wissenschaftlichen Weiterqualifizierung zu widmen. Ein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Dr. Peter Alheit, der mich seit fast zehn Jahren auf meinem wissenschaftlichen Werdegang mit Offenheit und Interesse begleitet und unterstützt und dem ich viele anregende Einblicke in die Wissenschaft verdanke. Auch meiner Zweitgutachterin Prof. Dr. Bettina Dausien möchte ich an dieser Stelle für ihr Interesse an meiner Arbeit und für die konstruktiven Gespräche mit ihr danken. Eine weitere Unterstützung fand ich in der Göttinger Forschungswerkstatt, bei der ich mich für die seit vielen Jahren bestehende Möglichkeit zum Austausch und zur Diskussion ebenso bedanken möchte wie bei der Mikro-AG der Hans-Böckler-Stiftung, namentlich Lena Correll, Lisa Pfahl, Lena Schürmann, Tobias Schwarz, Boris Traue und Inga Truschkat, in deren Kreis ich konstruktive und anregende Hilfe bekam. Ein ganz besonderer Dank gilt dem Doktorandinnen Netzwerk Qualitative Sozialforschung (DINQS). Es ist zum großen Teil der seit 2002 bestehenden, kontinuierlichen Zusammenarbeit in diesem besonderen Netzwerk zu verdanken – die weit über eine wissenschaftliche Kooperation hinausgeht –, dass ich immer wieder den Bezug zu meiner Arbeit finden und ein gutes Gefühl mit ihr verbinden konnte sowie Anregungen von unschätzbarem Wert für deren Erstellung erhalten habe. Ich danke Sandra Glammeier, Dr. Margarete Menz, Anja Nord-
8
Danksagung
mann, Daniela Rothe, Ruth Slomski, Dr. Christine Thon, Dr. Inga Truschkat und Dr. Vera Volkmann für ihre stets kompetente und freundschaftliche Unterstützung. Es fällt mir schwer, meinen Dank für die auf so vielen Ebenen erfolgte wohlwollende Unterstützung in Worte zu fassen, die mir Inga Truschkat gewährt hat. Ich danke ihr sehr für ihre ausdauernde Bereitschaft zum Korrektur lesen, ihren stets wohltuenden Aufmunterungen zur Weiterarbeit und den konstruktiven Rückmeldungen zu meinen Texten. Es ist dieser Verbindung von tiefer Freundschaft und kreativer Zusammenarbeit zu verdanken, die mich beflügelt die letzten Seiten der Dissertation hat schreiben lassen. Gisela Belz, Christel Eickmeier und Nicole Karrasch möchte ich herzlich für ihre akribische Grammatik- und Rechtschreibkorrektur danken. Ihre Hilfsbereitschaft ließ nicht einmal an Weihnachtsfeiertagen nach, was meinen ganz besonderen Dank verdient. Meiner Familie möchte ich für ihre wohlwollende und stets unterstützende Haltung gegenüber meinem wissenschaftlichen Werdegang danken. Besonders dankbar bin ich für ihre große Geduld und das Aushalten von Fremdheiten. Meinen Mitbewohner/innen Susanne Steck, Thomas Göymen-Steck, Selma und Selim möchte ich für ihre Begleitung und alltägliche Unterstützung auf vielen Ebenen danken. Ihre Aufmunterungen und Entlastungen im Alltäglichen stellten eine große Hilfe für mich dar. Schließlich danke ich ganz herzlich Oliver Belz, der mich seit über dreizehn Jahren in meinen wissenschaftlichen Arbeiten und in anderen Lebensschwerpunkten mit wohltuender Gelassenheit und großer Hilfsbereitschaft begleitet und unterstützt und der (auch) dieser Arbeit ein gutes Format gegeben hat. Der letzte Dank gilt meinem Sohn Jaro, der immer wieder im Rahmen seiner kindlichen Möglichkeiten die Geduld aufgebracht hat abzuwarten, bis seine Mutter ihr Buch endlich fertig geschrieben hat. Ihn und die Dissertation entstehen und wachsen zu sehen, haben die letzten fünf Jahre meines Lebens mit besonderer Freude und Sinn erfüllt. Manuela Kaiser-Belz
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ............................................................................................... 15
2
Mentoring als Instrument der Karriereförderung für Frauen .................................................................................................... 21
2.1
Theoretische Betrachtung einer neuen beruflichen Fördermaßnahme..................................................................................... 21 Zur Herkunft des Begriffs Mentoring...................................................... 22 Mentoringprogramm-Definitionen .......................................................... 24 Mentoringprogramme in Deutschland: Eine Maßnahme etabliert sich ................................................................. 27 Mentoring im Feld der Gleichstellungsmaßnahmenan Hochschulen und in der Privatwirtschaft................................................. 28 Frauenförderinstrumente und Gleichstellungsmaßnahmen an Hochschulen................................................................... 31 Frauenförderinstrumente und Gleichstellungs maßnahmen in der Privatwirtschaft ........................................................ 35 Mentoring als neue Maßnahme der Karriereförderung für Frauen – eine Zusammenfassung....................................................... 40
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4
2.1.5
2.2
Theoretische Betrachtung einer neuen gleichstellungspolitischen Maßnahme: Mentoring in der Personalentwicklung................................ 42 2.2.1 Mentoringprogrammatik. Eine Annäherung............................................ 42 2.2.2 Neue Perspektiven in der beruflichen Frauenförderung .......................... 45 Frauen als potenzielle Führungskräfte.................................................... 46 Geschlecht als Ressource ........................................................................ 49 Gleichstellung als Strukturpolitik ............................................................ 53 2.2.3 Mentoring als neue gleichstellungpolitische Maßnahme –eine Zusammenfassung....................................................... 61 2.3
Zwischenfazit und Analyseperspektiven für die Empirie........................ 62
10 3
Inhaltsverzeichnis
Theoretische Perspektiven auf berufliche Integrationsund Ausgrenzungsmechanismen .......................................................... 65
3.1 Zur Vergeschlechtlichung des Arbeitsmarktes ........................................ 65 3.1.1 Berufliche Aufstiegs- und Ausschlussmechanismen im Wissenschaftssystem – Eine Annäherung ............................................... 66 3.1.2 Soziales Feld und Geschlecht .................................................................. 69 3.1.3 Habitus, soziale Praxis und Geschlecht ................................................... 73 3.1.4 Situiertes Lernen in informellen Kontexten............................................. 82 3.2
Zusammenfassung und Forschungsfragen............................................... 90
4
Methodologischer Zugang und methodisches Vorgehen ................................................................................................ 95
4.1
Grounded Theory als methodologisches Rahmenkonzept....................... 96
4.2
Das Sample............................................................................................ 101
4.3
Datenerhebung....................................................................................... 104
4.4 Datenauswertung ................................................................................... 105 4.4.1 Aufbereitung der Daten für die Analyse................................................ 105 Inhaltsprotokoll des Interviews mit Melanie Seiters, Kreditinstitut vom 30.04.04 in der Cafeteria des Kreditinstituts........... 106 4.4.2 Kernstellenanalyse................................................................................. 108 4.5
Darstellung der Ergebnisse und Forschungsprozess.............................. 109
5
Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms ................................................................................. 111
5.1 Soziales Feld: Hochschule, Medizinische Fakultät ............................... 111 5.1.1 Beispiel I: Dermatologie, Christin Baumert ........................................ 111 Selbstverwirklicher der anderen Welt ................................................... 111 Irgendwas mit Frauen und Equal.......................................................... 112 Ein euphorisches Frauengruppengefühl................................................ 114 5.1.2 Beispiel II: Gynäkologie, Tanja Hering............................................... 116 Privatfreunde vom Chef......................................................................... 116 Zotige Sprüche und weibchen-augenzwinkernde Klischees .................. 118
Inhaltsverzeichnis
11
Kein Weiterkommen............................................................................... 119 5.1.3 Zusammenfassung ................................................................................. 121 5.2 Soziales Feld: Bankwesen ..................................................................... 123 5.2.1 Beispiel I: Vertrieb (Sales), Tatjana Teubner ....................................... 123 Ältere Herren und jüngere Protegés...................................................... 123 Vorbehalte gegenüber Frauen............................................................... 125 Commitment zur Firma.......................................................................... 127 Karriereplanungen ................................................................................ 130 5.2.2 Beispiel II: Produktmanagement, Cordula Meissner ............................ 133 Ein Heidenakt ........................................................................................ 133 Jobwechsel für die Beförderung ............................................................ 134 Mentoring als billiger Trost? ................................................................ 135 5.2.3 Zusammenfassung ................................................................................. 137 5.3 Soziales Feld: Verkehrsunternehmen .................................................... 142 5.3.1 Beispiel I: Mittelakquise (Fundraising), Margot Koch......................... 142 Ein politischer Laden ............................................................................ 142 Angst, des Feminismus’ verdächtigt zu werden..................................... 146 Männerquote abschaffen ....................................................................... 149 5.3.2 Beispiel II: Interne Kommunikation, Mechthild Gause........................ 152 Mentoring zur Weiterqualifizierung ...................................................... 152 Männerlastige Strukturen...................................................................... 154 Auch für Männer ist nicht alles rosig .................................................... 157 5.3.3 Zusammenfassung ................................................................................. 159 5.4
Mentoring im Kontext beruflicher Felder. Theoretische Zusammenführung und Schlussfolgerungen ......................................... 162
6
Mentoring als Lernarrangement: Die Gestaltung eines Programms ................................................................................. 171
6.1 Soziales Feld: Hochschule, Medizinische Fakultät ............................... 172 6.1.1 Beispiel I: Dermatologie, Christin Baumert ......................................... 172 Der Mentor als Gegenpol...................................................................... 172 Aus Fehlern profitieren ......................................................................... 173 6.1.2 Beispiel II: Gynäkologie, Tanja Hering................................................ 175 Wirkliche Unterstützung ........................................................................ 175 Kleine Tipps........................................................................................... 177 6.1.3 Zusammenfassung ................................................................................. 178
12
Inhaltsverzeichnis
6.2 Soziales Feld: Bankwesen ..................................................................... 181 6.2.1 Beispiel I: Vertrieb (Sales), Tatjana Teubner ....................................... 181 Außenperspektive................................................................................... 181 Denkanstöße .......................................................................................... 183 6.2.2 Beispiel II: Informationstechnik (IT-Bereich), Claudia Reinke ........... 184 Sounding-Board..................................................................................... 184 Verschiedene Welten ............................................................................. 186 Geringer Input....................................................................................... 187 Meinungsverschiedenheiten................................................................... 188 6.2.3 Beispiel III: Kreditrisiko-Prüfstelle (Credit Risk Management), Melanie Seiters ...................................................................................... 191 Vogelperspektive ................................................................................... 191 An Sachen herumdoktorn ...................................................................... 194 Themensuche ......................................................................................... 196 6.2.4 Zusammenfassung ................................................................................. 197 6.3 Soziales Feld: Verkehrsunternehmen .................................................... 202 6.3.1 Beispiel I: Mittelakquise (Fundraising), Margot Koch......................... 202 Schwarz auf Weiß .................................................................................. 202 Ähnliche Erfahrungen ........................................................................... 205 Ein bisschen Trost ................................................................................. 206 6.3.2 Beispiel II: Interne Kommunikation, Mechthild Gause........................ 209 Vorbereitungen...................................................................................... 209 Einblicke................................................................................................ 211 Begleitung.............................................................................................. 213 6.3.3 Zusammenfassung ................................................................................. 216 6.4
Mentoring als Lernarrangement. Theoretische Zusammenführung und Schlussfolgerungen................................................................................ 219
7
Mentoring im Spannungsfeld von Frauenförderung und Personalentwicklung.................................................................... 231
7.1
Ein Rückblick über die Anlage der Studie ............................................ 231
7.2 Die Ergebnisse der Studie ..................................................................... 235 7.2.1 Der Illusioeffekt auf die Deutung des Mentoringprogramms................ 235 7.2.2 Der Verhaltensregeleffekt auf die Deutung des Mentoringprogramms ............................................................................ 238
Inhaltsverzeichnis
13
7.2.3 Illusio und Verhaltensregeln im Lernarrangement und Lernprozess ........................................................................................... 242 7.3 Mentoring – ein Ort der „stillen Pädagogik“?!...................................... 247 7.3.1 Zum Zusammenhang von Feldlogik, Programm und Setting................ 247 7.3.2 Fazit und Ausblick................................................................................. 254 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 259 Anhang............................................................................................................. 271
1 Einleitung
Der Arbeitsmarkt zeigt sich als ein Bereich, in dem sich eine unübersehbare systematische Benachteiligung von Frauen bis heute gehalten hat. Ein Blick in Statistiken zur Erwerbsbeteiligung genügt, um bei insgesamt ansteigender Erwerbsarbeitsbeteiligung einen nach wie vor geschlechtsspezifisch segmentierten Arbeitsmarkt festzustellen. Frauen arbeiten überwiegend in schlechter bezahlten Berufen mit geringen Aufstiegsmöglichkeiten und bleiben auf unteren Stufen von betrieblichen und institutionellen Hierarchien (vgl. stellv. GenderDatenreport 2005; Bundesregierung: Zweite Bilanz Chancengleichheit 2006). Diese strukturelle Benachteiligung stellt den gesellschaftlichen Hintergrund für die seit Ende der 90er Jahre sich verbreitende Maßnahme ‚Mentoring’ als Karriereförderung für Frauen dar, unter der eine berufliche und persönliche Förderung einer/s jüngeren Mentee durch eine/n ältere/n und erfahrene/n Mentor/in mit dem Ziel der Karriereförderung des/der Mentee verstanden wird. Seit Ende der 90er Jahre ist in Deutschland, wie in Kap. 2 dieser Arbeit dargestellt, ein starker Anstieg von Mentoringprogrammen – zunächst in Unternehmen, später auch an Hochschulen und anderen Organisationen - festzustellen. Von Unternehmensseite wird dies in der Regel auf einen prognostizierten Führungskräftemangel Anfang der 90er Jahre angesichts demographischer Entwicklungen in der Bundesrepublik zurückgeführt. Diese Prognose führt dazu, Frauen als potenzielle Führungskräfte stärker an das Unternehmen zu binden und mittels Mentoringprogammen auf eine potenzielle Führungsposition bzw. Professur vorzubereiten (vgl. Wulf 2005, 71ff). Mittlerweile gelten Mentoringprogramme – überwiegend für Frauen - im Bereich der FührungskräftenachwuchsEntwicklung zum „Standardprogramm“ (vgl. Hansen/von Papstein 2005, 109) der Personalentwicklung von Unternehmen und an über 40 deutschen Hochschulen zu einem etablierten Instrument der Frauenförderung.1 Ursprünglich als Personalentwicklungsmaßnahme konzipiert, ist Mentoring somit ein Instrument, mit dem auch gleichstellungspolitische Ideen verbunden werden (können), geht es doch darum, den Anteil von Frauen auf der bislang männerdominierten Führungsebene des Arbeitsmarktes durch gezielte Karriere1 Vgl. zum Überblick über aktuelle Mentoringprogramme an deutschen Hochschulen: http://www.forum-mentoring.de/
16
Einleitung
fördermaßnahmen für Frauen zu erhöhen. Mentoring stellt damit eine seit Mitte der 90er Jahre sich neu entwickelnde Form gleichstellungspolitischer Maßnahmen „zur Realisierung von Chancengleichheit“ (Krell 2004, 16) dar, deren Voraussetzungen in Kap. 2.2 dieser Arbeit anhand von rekonstruierten Perspektivenwechsel in der beruflichen Frauenförderung und der Gleichstellungspolitik nachgezeichnet werden. Kennzeichnend für die sich neu entwickelnde Gleichstellungspolitik ist eine stärkere Perspektive auf die Organisationsstruktur und Organisationsziele sowie die Integration von Männern in gleichstellungspolitische Maßnahmen (ebd.). Befürworter/innen sehen in der neuen Schwerpunktsetzung beruflicher Förderung die Möglichkeit, Gleichstellungspolitik eine größere gesellschaftliche Akzeptanz zu verschaffen, indem durch eine konzeptionelle Öffnung Anschlussfähigkeiten an Unternehmenslogiken und Organisationslogiken hergestellt werden. Vor diesem Hintergrund wird in der Perspektive auf Frauen (und Männer) als ‚Humanressource’ die Chance gesehen, dass Geschlecht als Ungleichheitsmerkmal „dekonstruiert“ (Meuser 2004, 332) werde und Frauen (wie Männer) als förderwürdig erscheinen (vgl. auch Krell 2004, Blome et al. 2005, Kirsch-Auwärter 1999). Diese Einschätzung wird von anderen Frauen- und Geschlechterforscher/innen (vgl. Wetterer 1994; Knapp 1997) stark bezweifelt. Sie befürchten, dass aus der Anpassung an Organisationslogiken kein Vorteil für Frauen entstehe, sondern sie stattdessen in ihrer individualisierten Position umso härter getroffen werden, da die Ungleichheiten nur rhetorisch geglättet, aber nicht verschwinden werden. Das hierarchische Geschlechterverhältnis werde somit weiter reproduziert, indem gleichstellungspolitische Maßnahmen entgegen ihres eigentlichen Anliegens zur Verfestigung statt zur Auflösung herrschender Ungleichheiten beitragen. Diese theoretisch kontroverse Diskussion, die das zweite Kapitel dieser Arbeit prägt und in der Auseinandersetzung mit dem Konzept des Gender Mainstreaming als Ausdruck eines zentralen Perspektivwechsels in der Gleichstellungspolitik seit Mitte der 90er Jahre seine Zuspitzung erfährt, stellt einen wichtigen Bezugspunkt für die vorliegende Studie dar. Vor dem Hintergrund der empirisch ungeklärten Frage, inwieweit mit der Verschränkung von Personalentwicklung und Gleichstellung neue Chancen bzw. Risiken für die Gleichstellungspolitik einhergehen (vgl. Meuser 2004, 330), soll Mentoring als eine neue Form der Gleichstellungspraxis untersucht werden und auf einer empirischen Grundlage hinsichtlich seiner Ergebnisse und Effekte hinterfragt werden. Bislang liegen trotz des Booms von Mentoringprogrammen für Frauen in der Praxis kaum empirische Untersuchungen über die Gestaltung von Mento-
Einleitung
17
ringprogrammen vor.2 Als erste und bislang bekannteste wissenschaftliche Studie im deutschsprachigen Raum gilt die im Auftrag des Deutschen Jugendinstituts e.V. international vergleichend angelegte Studie Hofmann-Luns et al. (1999), in der Teilnehmer/innen eines organisationsübergreifenden finnischen, eines unternehmensinternen und eines ebenfalls internen deutschen Mentoringprogramms schriftlich zu den Ergebnisse der Programme befragt wurden. Die in psychosoziale und berufliche Effekte unterschiedenen Erfolge der Mentoringprogramme zeigen, dass kaum Auswirkungen auf den Karriereverlauf der Mentees festzustellen sind. Dennoch wurden von allen Mentees der drei Länder und Programme Lernprozesse beschrieben, die eine große Zufriedenheit mit dem Programm begründeten (ebd., 122f). Hofmann-Lun et al. regen deshalb für die weitere Forschung über Mentoring eine stärkere Fokussierung auf den Mentoringprozess und die in ihm stattfindenden Lernprozesse an (ebd., 130). Bislang ist nur eine qualitativ-empirische Studie über Mentoringprogramme diesem Desiderat gefolgt. Schell-Kiehl (2007) hat aus der Perspektive der Teilnehmer/innen die Gestaltung des Mentoringprozesses unter besonderer Berücksichtigung der darin stattfindenden Lernprozesse rekonstruiert. In dieser biographietheoretisch angelegten Studie werden auf der Basis narrativer Interviews mit Mentees und Mentorinnen des unternehmensübergreifenden Mentoringprogramms Kompetenz im Management (KIM) Auswirkungen der biographischen Erfahrungsaufschichtungen und Erfahrungswissensbestände auf die Gestaltung und Struktur des Mentoringprozesses und die Lernprozesse von Mentees und Mentorinnen analysiert. Ein zentrales Ergebnis dieser Studie ist, dass die Deutung und Gestaltung der Mentoringsituation sowie die Verarbeitung der Lern- und Entwicklungsanstöße, viel stärker als bisher angenommen, durch die (berufs-)biographischen Erfahrungswissensbestände der Mentees und Mentorinnen geprägt werden (ebd., 220). Ferner, dass „die Gestaltung der individuellen Mentoringsituation von sozial-historischen und organisatorischen Bedingungen mitgeprägt [wird], die zum Teil über die jeweils (berufs-)biographischen Erfahrungsaufschichtungen, zum Teil aber auch über die Institution ‚Mentoringprogramm’ in die einzelnen Tandems hineingetragen werden“ (ebd., 222). Auf diese Faktoren lassen sich der Studie nach die erfahrungsorientierten Lern2 Den Großteil der Literatur über Mentoringprogramme stellen Ratgeber zur Organisation und Durchführung eines Programms dar (vgl. stellv. Segermann-Peck 1994, Haasen 2001). Die wenigen existierenden Studien unterscheiden sich im anglo-amerikanischen und deutschsprachigen Raum nach unterschiedlichen Schwerpunkten. In der anglo-amerikanischen Forschung liegt der Schwerpunkt auf informellen Mentoringbeziehungen (vgl. stellv. Kram 1988; Cunningham/Eberle 1993; Allen et al. 1997), wohingegen in Deutschland eher formelle Mentoringprogramme mittels quantitativer Methoden zu Vor- und Nachteilen des Programms für Mentees beforscht und evaluiert werden (vgl. Hofmann-Lun et al. 1999). Für einen ausführlichen Überblick über den nationalen und internationalen Forschungsstand zu Mentoring vgl. Schell-Kiehl (2007, 17ff).
18
Einleitung
und Entwicklungsprozesse zurückführen. Der Schwerpunkt der Studie SchellKiehls liegt dabei auf der (berufs-)biographischen Prägung dieser Prozesse. Der Einfluss institutioneller und organisatorischer Bedingungen auf stattfindende oder blockierte Lernprozesse wird nicht genauer untersucht. Indem die hier vorliegende Studie gerade die Prägung des Mentoringprogramms und der Lernprozesse durch die organisatorischen und organisationalen Bedingungen, in die es eingebunden ist, systematisch berücksichtigt, kann sie als eine Weiterführung und Ergänzung der Studie Schell-Kiehls gesehen werden. Die besondere Perspektive dieser Arbeit aber zeigt sich in der Fokussierung auf die gleichstellungspolitische Dimension des Programms. Es gibt bislang keine empirische Studie, die mit Bezug auf die kontrovers diskutierte Programmatik neuer Gleichstellungsprogramme die sozialen Prozesse, insbesondere die Lernprozesse, beim Mentoring untersucht hat. In der vorliegenden Studie werden deshalb unter besonderer Berücksichtigung institutioneller Bedingungen die (möglicherweise) stattfindenden Lernprozesse beim Mentoring und deren Qualität im Hinblick auf die Verbesserung von Karrierechancen der Mentees sowie deren Potenzial zur Reproduktion oder Anregung sich verändernder Geschlechterverhältnisse analysiert. Die übergeordnete Fragestellung dieser Studie richtet sich deshalb aus einer gleichstellungspolitisch interessierten Haltung auf die Möglichkeiten und/oder Schwierigkeiten, die sich aus der Kontextualisierung des Mentoringprogramms als Personalentwicklungsmaßnahme und Gleichstellungsmaßnahme ergeben (können). Die an der Studie teilnehmenden Mentoringprogramme sind an einer Hochschule, in einem Kreditinstitut und in einem Verkehrsunternehmen und somit in verschiedenen beruflichen Feldern verortet. Daraus ergibt sich für die vorliegende Studie eine feldspezifische Forschungsperspektive (vgl. Kap. 3.1.2). Viele empirische Forschungsarbeiten über berufliche Aufstiegschancen und – bedingungen, besonders am Beispiel von Hochschulen, belegen die feldspezifische und vergeschlechtlichte Prägung von Integrations- und Ausschlussmechanismen (vgl. stellv. Wetterer 1992a, 1993; Engler 2000; Krais 2000). Sie zeigen, dass Geschlecht als Dimension des Sozialen durch die Vermittlung der Felder zum Tragen kommt und dass die Mechanismen, die in unterschiedlichen sozialen Feldern wirken und „Geschlechtseffekte“ (Engler 2004, 227) produzieren, jeweils spezifisch sind. Dieses Phänomen wird in einem heuristischen Rahmenkonzept in Kap. 3 mit Bezügen zur Feld- und Habitustheorie Bourdieus (1987, 1995) und dem Konzept der „Institutionellen Reflexivität“ (Goffman 2001, 107) als wechselseitiger Konstitutionsmechanismus von Geschlecht zwischen den Ebenen Handeln und Struktur gegenstandsbezogen diskutiert. Der Analysefokus auf feldspezifische und vergeschlechtlichte Spielregeln zur Regulierung beruflicher Karrieren erfolgt ferner in Anlehnung an Bourdieus
Einleitung
19
Konzeption von Spielen im öffentlichen Bereich sozialer Felder um Macht (1995, 1996) und Goffmans Konzept der Arrangements der Geschlechter (2001) – einem Konzept über formalisierte Verhaltensweisen, die einen Erwartungsrahmen bilden, an dem sich die Individuen für die Modalitäten des Umgangs miteinander ausrichten und welcher die gesellschaftliche Ordnung symbolisiert. Goffmans theoretisches Modell über Geschlecht als eine Angelegenheit institutioneller Reflexivität sowie das Habituskonzept Bourdieus stellen somit den theoretischen Hintergrund zum Zusammenhang vergeschlechtlichter gesellschaftlicher Umweltbedingungen und vergeschlechtlichtem Handeln dar. Daraus ergibt sich, wie in Kap. 3.1.2 entfaltet, für die Studie in Anlehnung an sozialkonstruktivistische Theorien eine doppelte Beobachtungs- und Forschungsperspektive auf vergeschlechtlichte Spielregeln zur Regulierung von beruflichen Aufstiegsprozessen und Ausschlussmechanismen (vgl. 3.1.3). Spielregeln über berufliche Integrations- und Exklusionsmechanismen können prinzipiell als veränderbar gelten. Als Voraussetzung dafür kann ein sozialer Kontext gelten, in dem Spielregeln reflektiert und expliziert werden. Mentoring könnte sich als ein Kontext für Mentees und Mentor(inn)en herausstellen, in dem (implizite und explizite) feldspezifische Spielregeln über Integrations- und Exklusionsmechanismen mittels Reflexionen habitualisierter Praktiken erfahrbar werden. Darüber könnten Bewusstwerdungs- und soziale Lernprozesse angestoßen werden, die die Spielregeln selbst bzw. den Umgang mit ihnen verändern, wie in Kap. 3.1.3 diskutiert wird. Für die theoretische Perspektive auf Lernprozesse im Mentoringsetting als ein informelles Lernarrangement wird in Kap. 3.1.4 der Ansatz des Situated Learning nach Lave/Wenger (1991) sowie das Konzept der Community of Practice (Wenger 1999) auf den Forschungsgegenstand bezogen dargestellt und diskutiert. Lernprozesse werden diesen Ansätzen nach als aktive Versuche der Teilhabe an einem sozialen Kontext mit dem Ziel der vollständigen Akzeptanz und Partizipation verstanden. Für die Auswertung im Folgenden empirischen Teil wird dieser theoretische Ansatz mit dem Fokus auf lernförderliche Lernbedingungen durch Deweys (2000) auf Lernprozesse gerichtetes Konzept des Lernens durch Erfahrung ergänzt. Der Studie liegt mit diesem theoretischen Zugang ein Verständnis von Lernprozessen als (Um-)Deutungen von Beobachtungen in und von der uns umgebenden Welt zugrunde, deren Qualität vom Ausmaß der mit ihnen einhergehenden veränderten Selbst- und Weltverständnisse abhängt (vgl. Dewey 2000; Alheit 1995). Sie sind empirisch nur über die Rekonstruktion der Subjektperspektive zugänglich, die deshalb auch der Ausgangspunkt der eigenen Studie ist. Wie in Kap. 4 zum methodologischen Zugang nach der Grounded Theory und der Methodik der Untersuchungsanlage dargestellt, wurden deshalb zur Untersuchung der Fragestellungen zwölf Teilnehmerinnen aus verschiedenen Mento-
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Einleitung
ringprogrammen mittels qualitativer Interviews zu ihren Deutungen des Programms und ihren Erfahrungen in der Mentoringpraxis befragt. Im ersten Empirieteil der Arbeit, Kap. 5, wird der Frage nachgegangen, ob und wie sich die Feldlogik der verschiedenen beruflichen Felder im Umgang mit dem Mentoringprogramm und seiner gleichstellungspolitischen Dimension bemerkbar macht. Wie deuten die Mentees das Mentoringprogramm? Welchen Einfluss haben institutionelle Kontextbedingungen? Inwiefern zeigt sich der Einfluss der Feldlogiken auf die Deutung und die Gestaltung des Mentoringprogramms? Zeigen sich aus der Sicht der Mentees Vorteile oder Probleme aus der konzeptionellen Interessensverbindung von Personalpolitik und Gleichstellungspolitik? Finden sich problematische Aspekte der kritischen Frauen- und Geschlechterforscherinnen über die Interessensverbindung in der Mentoringpraxis wieder? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den Nutzen der Mentees aus dem Programm? Im zweiten Empirieteil, Kap. 6, werden anschließend die Lernarrangements zwischen Mentees und Mentor/innen sowie die Lernprozesse und für sie förderliche und hinderliche Bedingungen untersucht – ebenfalls unter besonderer Berücksichtigung der Feldlogiken der Berufsfelder, in denen die Mentees tätig sind. Was und wie wird im Mentoringsetting gelernt? Stellt sich die Mentoringbeziehung als eine Beziehung heraus, in der karriererelevantes Wissen über Aufstiegsund Ausschlussmechanismen gewonnen wird? Tragen die Lernprozesse den Befürchtungen von Kritiker/innen entsprechend dazu bei, vergeschlechtlichte Feldlogiken und damit herrschende Geschlechterverhältnisse zu reproduzieren und gar ihre Wirkungsmechanismen zu verschleiern, oder stellt sich Mentoring gerade umgekehrt als ein Kontext heraus, an dem Aufstiegsbedingungen reflektiert und expliziert werden, und nicht nur auf individueller Ebene karriereförderliche Effekte bewirken, sondern auch Veränderungen der Bedingungen selbst im Sinne gleichstellungspolitisch motivierter Hoffnungsträger/innen vorbereiten oder anregen können? In Kap. 7 werden die wichtigsten Ergebnisse aus diesen beiden empirischen Teilen zu gegenstandsbezogenen theoretischen Aussagen zusammengeführt und auf zentrale Aspekte und Kritikpunkte der kontroversen Diskussion zwischen Frauen- und Geschlechterforscher/innen und Gleichstellungspolitiker/innen bzw. Frauenförderinnen zur Bedeutung neuer gleichstellungspolitischer Maßnahmen bezogen und ausgewertet.
2 Mentoring als Instrument der Karriereförderung für Frauen
2.1 Theoretische Betrachtung einer neuen beruflichen Fördermaßnahme Frauen in Führungspositionen sind in Deutschland nach wie vor eine Seltenheit. Obwohl die Gleichstellung von Frauen und Männern weitgehend rechtlich verankert ist, bestehen diskriminierende Strukturen des Arbeitsmarktes und der Einstellungspolitik fort. Trotz hoher beruflicher Qualifikation und der quantitativ gestiegenen Erwerbsbeteiligung von Frauen sind die Positionen mit hohem Einkommen und Prestige in der Regel verwehrt (vgl. stellv. Gender-Datenreport 2005; Bundesregierung: Zweite Blianz Chancengleichheit 2006). Maßnahmen, die diesem Phänomen gezielt entgegen zu wirken versuchen, sind noch relativ neuen Datums, denn dieser Förderschwerpunkt entsteht erst Mitte der 90er Jahre im Zuge einer sich zur Gleichstellungspolitik verändernden Frauenförderung (vgl. Kap. 2.2). Wenn gegenwärtig von Maßnahmen der Karriereförderung für Frauen in Unternehmen, Organisationen, Hochschulen oder Parteien die Rede ist, dann gehören Mentoringprogramme, wie bereits in der Einleitung erwähnt, zum „Standardprogramm“ (Hansen/von Papstein 2005, 109) der Führungsnachwuchskräfte-Entwicklung.3 Die Zielsetzung der meisten Mentoringprogramme in Deutschland ist dabei, den Zugang für Frauen zu Führungspositionen zu verbessern, um den Anteil von Frauen auf Führungsebenen zu erhöhen. Da es sich in Deutschland noch um ein relativ neues Programm handelt, wird im folgenden Kapitel zunächst die Herkunft des Begriffs Mentoring erläutert, ein Einblick in die Konzeptionalisierung von Mentoringprogrammen gegeben und ein Überblick über gesellschaftliche Bereiche und Felder aufgezeigt, in denen sie zum Einsatz kommen.
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Anders als in den USA, in denen Mentoring als Personalentwicklungsmaßnahme entwickelt wurde (vgl. Kap 2.1), handelt es sich in Deutschland in den meisten Fällen um Mentoringprogramme für Frauen. Besonders in größeren Unternehmen gibt es aber neben Mentoringprogrammen für Frauen zusätzlich geschlechtsunspezifische Mentoringprogramme.
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Mentoring als Instrument der Karriereförderung für Frauen
2.1.1 Zur Herkunft des Begriffs Mentoring Der Begriff Mentoring ist der griechischen Mythologie entnommen. In Homers Odyssee (Homer 1966) beschützt und hilft Athene, die Göttin der Weisheit, in Person von Mentes, einem Freund von Odysseus, dessen Sohn Telemachos auf der Suche nach seinem Vater im trojanischen Krieg. „Doch Telemachos sprach zu der helläugigen Athene, dicht sein Haupt an das ihre haltend, damit die andern es nicht hörten: Lieber Gast […] wer bist du und woher unter den Männern? Wo ist deine Stadt und deine Eltern? Auf was für einem Schiff bist du gekommen? Wie haben dich die Schiffsleute nach Ithaka geführt? […] Und sage mir auch dieses wahrhaftig, daß ich es gut weiß: kommst du neu zu uns oder bist du vom Vater her ein Gastfreund? (Erster Gesang, I, 144-176) […] Da sagte hinwieder zu ihm die Göttin, die helläugige Athene: So will ich dir denn dies ganz unverdreht berichten! Mentes, der Sohn des kluggesonnenen Anchialos, rühme ich mich zu sein, und herrsche über die ruderliebenden Taphier. […] Doch jetzt bin ich gekommen, denn schon hieß es: daß er im Lande sei, dein Vater. Doch es behindern die Götter ihm wohl den Weg! Denn tot ist er noch nicht auf der Erde, der göttliche Odysseus, sondern er lebt noch und wird wohl auf dem weiten Meer zurückgehalten, auf einer umströmten Insel, und es halten ihn feindselige Männer, wilde, die ihn wohl festhalten wider Willen. (Erster Gesang, I, 176-206) […] Dir selber aber rate ich sehr, wenn du mir folgen wolltest: rüste ein Schiff mit zwanzig Ruderern, das tüchtigste, das da nur sein mag, und gehe auf Kunde nach dem lange abwesenden Vater.“ (Homer, Erster Gesang, I, 270-303) „Doch dieser ist mein Gastfreund vom Vater her aus Taphos, und Mentes, des Anchialos Sohn, des kluggesonnenen, rühmt er sich zu sein, und herrscht über die ruderliebenden Taphier.“ So sprach Telemachos, jedoch in seinem Sinne hatte er erkannt die unsterbliche Göttin.“ (Homer, Erster Gesang, I, 391-420)
Fénelons (1699) greift in dem Bildungsroman „Les Aventures de Télémaque“ die Figur des Mentes von Homer auf, in dem eine Person mit dem Namen Mentor verantwortlich für die persönliche und politische Entwicklung des Königssohnes ist. Durch diesen Bildungsroman wird der Eigenname Mentor zu einem Gattungsbegriff, ein Vorbild für Erzieher/innen und zum „Vater“ des modernen Mentoring (Schliesselberger/Strasser 1998, 16).4 Mentor wird darin zur emotionalen und intellektuellen Leitfigur des Jünglings, den er zum ‚richtigen’ Verhalten in seiner Gesellschaft erzieht. Die Erziehungswissenschaften des frühen 20. 4
Als Mentor wurde der Lehrer und Erzieher der spätmittelalterlichen Stadtschulen, der in den Unterricht und das Unterrichten einführt, genauso bezeichnet wie der Meister in der Handwerkslehre der Zünfte und schließlich der ideale Pädagoge in der modernen Erziehungswissenschaft. Mentor wird in der Literatur auch mit der Rolle verglichen, die Merlin für König Arthur einnahm, er wird als der Ältere, Erfahrene dargestellt, der den Jüngeren die vielfachen Spielarten der Gesellschaft oder des Berufes vertraut macht. Diese besonderen Beziehungen, in denen ein/e Ältere/r eine/n Jüngere/n auf der Suche nach seiner/ihrer Identität begleitet, finden sich bspw. auch zwischen Aristoteles und Alexander dem Großen und Dr. Benjamin E. Mays und Martin Luther King (Schliesselberger/Strasser 1998, 16).
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Jahrhunderts sowie Managementüberlegungen am Ende des 20. Jahrhunderts greifen auf eben diese Bilder der positiven Leitfigur der griechischen Mythologie zurück, die wohlwollend den anvertrauten und sich anvertrauenden Schützling fördert. Es wird das Bild der ‚Wegbegleitung’ eines ‚Schützlings’ durch eine/n Beschützerin/Beschützer aufgerufen, als Athene in Person des Mentors interessanterweise sowohl männlich als auch weiblich konstruiert. Obwohl in Beschreibungen von Mentoringprogrammen häufig auf den griechischen Mythos Bezug genommen wird, taucht die Figur der Athene jedoch nur selten darin auf und auch für Haasen ist der Mentor ein „Synonym für einen väterlichen Freund und Berater“ (Haasen 2001, 8), womit sie Mentor/innen nicht nur als eindeutig ‚männlich’5 konstruiert, sondern die Beziehung zwischen Mentor und Telemachos zudem als eine ‚quasi-familiäre Vater-Sohn-Beziehung’ interpretiert. Wie wird der griechische Mythos nun in Form eines Mentoringprogramms konzeptionalisiert? Bereits ein Blick in wenige Darstellungen zur Konzeptionalisierung von Mentoringprogrammen genügt, um zu der Einschätzung zu kommen, dass es die Mentoringkonzeption nicht gibt und dass dies keineswegs (nur) auf verschiedene Formen von Mentoringprogrammtypen zurückzuführen ist (vgl. z.B. Wulf 2005; Kirschbaum 2003; Hofmann-Lun et al. 1999; Peters et al. 2004; Segerman-Peck 1994). Stets variieren die Beschreibungen des Gegenstands Mentoring, die fokussierten Ziele der Maßnahme, die Zielgruppen sowie die an sie gestellten Anforderungen, die Gestaltung des Rahmens - um nur einige Aspekte zu nennen – in Abhängigkeit von der anbietenden Organisation bzw. dem Unternehmen, der darin programmverantwortlichen Institution (Personalentwicklung, Frauenbüro oder –beauftragte), der Finanzierung (z.B. EU-ProjektFinanzierung, organisationsinterne Mittel) und dem Grad der (internen) Öffentlichkeit des Programms.6 Auch innerhalb der Mentoringprogramme für Frauen gibt es große Unterschiede auf konzeptioneller Ebene. Im Folgenden wird dennoch versucht, zur Orientierung einen groben Überblick über die verschiedenen Aspekte und Formen von Mentoringprogrammen zu geben.
5 Bezeichnungen wie ‚männlich’, ‚weiblich’, ‚Frau’ und ‚Mann’ werden in einfache Anführungsstriche gesetzt, wenn der Konstruktionscharakter für den Kontext noch einmal zusätzlich betont werden soll. Aufgrund meines sozialkonstruktivistischen Verständnisses von Geschlecht liegt den in dieser Arbeit verwendeten Kategorien aber auch in den Fällen der Nicht-Verwendung von Anführungsstrichen die Annahme zugrunde, dass es sich um Konstruktionen handelt. 6 Nach Kirsch-Auwärter (1999, 164) hängt sowohl die Effizienz, als auch die Akzeptanz und Legitimität von Mentoringprogrammen für Frauen in beträchtlichem Maße von der Transparenz und Formalisierung der Programme ab.
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Mentoring als Instrument der Karriereförderung für Frauen
2.1.2 Mentoringprogramm-Definitionen Aus einem deutschen ‚Klassiker’7 über Mentoring von Nele Haasen (2001) stammt folgende Definition, welche dieser Arbeit zugrunde liegt8: „Mentoring ist die Eins-zu-Eins-Beziehung zwischen einem Berater oder einer Beraterin (Mentor/Mentorin) und einem/einer Ratsuchenden (Mentee9). Beide führen über einen längeren Zeitraum regelmäßig Gespräche. Darin können Fragen aus dem Alltag ebenso besprochen werden wie allgemeinere Themen. Das Ziel ist die Weiterentwicklung der Persönlichkeit und der Fähigkeiten der oder des Mentee und die Förderung seiner oder ihrer beruflichen Karriere. Mentoring ist damit eine berufliche, aber auch eine persönliche Beziehung zwischen zwei Menschen. Deshalb ist gegenseitiges Wohlwollen und Respekt für die Person des anderen Voraussetzung für das Gelingen. Die Gespräche können nur in einer Atmosphäre des Vertrauens stattfinden, in der beide Seiten sicher sein können, dass persönliche Dinge nicht an Dritte weitererzählt werden. Die Gespräche sollten in einem geschützten Rahmen stattfinden, in dem Lernen, Fehler machen und über eigene Schwächen reden, akzeptiert werden und ein echtes Interesse besteht, die Person des Mentee voranzubringen. Findet diese Beziehung in einem beruflichen Kontext statt, sollte das deshalb außerhalb der Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung geschehen“ (ebd., 15f).
Fasst man die zentralen Aspekte aus Haasens Definition zusammen und ergänzt sie durch Zitate anderer Autor/innen, so soll es sich dabei um eine vertrauliche und geschützte Form der Beziehung („Eins-zu-Eins-Beziehung“) zwischen Mentee und Mentor/in zum Zwecke der Weiterbildung der/des Mentee und ihres/seines beruflichen Aufstiegs handeln. Bei Löther (2003, 9) wird die Weiterbildung der Mentees mit dem „Prinzip der persönlichen Weitergabe von Strategien und Verfahrensweisen, die sich im Wesentlichen auf Berufs- und Karriereplanung beziehen“ konkreter gefasst, die auch „die Weitergabe von Lebens- und Berufserfahrung“ (Haasen 2001, 7) durch den/die MentorIn beinhalten soll. In Beschreibungen von Mentoringprogrammen für Frauen werden besonders die Ziele der erhöhten Transparenz von Qualifikationen und das Sichtbarmachen 7 Die deutschsprachige Mentoringliteratur besteht überwiegend aus Ratgeberliteratur und evaluativen Studien oder theoretisch angeleiteten Reflexionen durchgeführter Programme. Hinter der „Vorsicht bei der wissenschaftlichen Annäherung an Förderbeziehungen“ im deutschsprachigen Raum vermuten Schliesselberger/Strasser (1998, 36) die Existenz des Idealtypus einer modernen unabhängigen Wissenschaftlerin, die über ihre Leistungen in einer universalistisch orientierten und auf meritokratischen Prinzipien beruhenden Institution zu ihrem Erfolg kommt. Die Orientierung an diesem Idealtypus kann ihrer Meinung nach erklären, warum in Bezug auf Geschlecht und Hierarchie und die ReProduktion ihrer Abhängigkeitsverhältnisse die Tücken der Institution von Wissenschaftler/innen nicht näher untersucht wurden. 8 Grundlegende Literatur zu Mentoring vgl. Kram (1988); Segermann-Peck (1994); Hofmann-Lun et al. (1999); Haasen (2001); Dolff/Hansen (2002); Löther (2003). 9 Synonym zu Mentee werden in anderen Ländern auch Begriffe wie ‚Mentoree’, ‚Adepter’, ‚Aktor’ verwendet (Hofmann-Lun et al. 1999, 8). Auch Protegés (s.u.) ist in der englischsprachigen Literatur ein verwendeter Begriff für den/die Mentee. In der deutschsprachigen Literatur hat sich der Begriff der/des Mentee durchgesetzt.
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ihrer Kompetenzen betont. Zu den Zielsetzungen gehört darüber hinaus, dass es sich um eine Partnerschaft zwischen Mentees und Mentor/innen handeln solle, die mit einem wechselseitigen Wissenstransfer bzw. Dialog zwischen den Generationen/Hierarchien verbunden wird, und dass die Bildung von Netzwerken damit angeregt werden solle (vgl. z.B. Krell 2004, 223). Der Inhalt der Gespräche soll durch „Beratung in konkreten Situationen, bei aktuellen Fragen und Schwierigkeiten der/des Mentee, Feedback geben zu Verhaltensweisen der/des Mentee, Karriereplanung und Besprechung möglicher Hindernisse, gemeinsame Erarbeitung von beruflichen Strategien, Einführung in Netzwerke und Vermitteln von Kontakten […] Teilnahme am beruflichen Alltag des Mentors, etwa durch Begleitung auf Termine, Einführung in informelles Wissen über eine Organisation oder Abläufe im Berufsleben“ (Haasen 2001, 16) bestimmt sein. Es wird in der Regel darauf hingewiesen, dass sich Mentoringbeziehungen außerhalb von beruflichen Abhängigkeitsverhältnissen befinden sollten (vgl. Haasen 2001, 15; Löther 2003, 9f.). Vielmehr soll Mentoring verstanden werden als ein längere Zeit überdauernder „begleitender Prozess“ (Hofmann-Lun et al. 1999, 9) durch einen Mentor bzw. eine Mentorin. Die konkrete Gestaltung der Treffen soll Mentees und Mentor/innen dabei selbst überlassen bleiben (vgl. ebd., 1999, 9). Im Idealfall profitierten beide Beteiligten von der Zusammenarbeit im Rahmen dieser „Lernbeziehung“ (Löther 2003, 10). Mentoring als formalisiertes Beziehungs-Modell knüpfe an eine seit „Jahrhunderten von Menschen praktiziert(e) informelle Förderbeziehung“ (Haasen 2001, 7) an, die besonders unter Männern in Form des Old-Boys-Network bekannt ist. Für diese ist charakteristisch, durch soziale Kontakte in Form von Protegés eine notwendige bzw. hilfreiche Bedingung für einen beruflichen Aufstieg (von Mentees) darzustellen. Das Zusammenführen von Mentorinpaaren bestehend aus einer Mentee und einem beruflich hoch positionierten Mentor bzw. einer Mentorin zum Zwecke des informellen Erfahrungsaustauschs kann demnach als formal arrangierte Organisation einer solchen Förderbeziehung beschrieben werden wie auch aus folgendem Zitat über die Funktion eines Mentors bzw. Mentorin zu schließen ist: „A mentor is a higher ranking, influential, senior organization member with advanced experience and knowledge who is committed to provide upward mobility and support to a protégé’s professional career” (Kram 1988, 38).
Wie auch im obigen Zitat wird in den meisten Konzeptionen von Mentoring beruflicher bzw. sozialer Aufstieg mit dem Begriff der Karriere umschrieben. Welches konkrete Verständnis dem Begriff Karriere in den jeweiligen Konzepten zugrunde liegt, wird unterschiedlich ausführlich dargestellt. Die Bandbreite der Darstellungen reicht von der Nicht-Thematisierung bis hin zu differenzierten
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feldspezifischen Beschreibungen typischer Karriereverläufe und Bedingungen eines als erfolgreich geltenden beruflichen Aufstiegs sowie den Unterstützungsmöglichkeiten, die Mentoring in diesem Prozess im Idealfall bieten kann (vgl. Löther 2003, Haasen 2001). Implizit oder explizit wird mit dem Begriff Karriere in den Mentoringkonzeptionen eine objektive Verbesserung der beruflichen Position verbunden, die durch eine höhere Verantwortung, Tätigkeit und/oder bessere Bezahlung gekennzeichnet ist (vgl. z.B. Hofmann-Lun et al. 1999, Haasen 2003). Zumeist wird der Begriff wie im folgenden Zitat in Kombination mit Qualifikations- und Aufstiegsmöglichkeiten verwendet: „Für die Mentees bedeutet die Teilnahme an einem Mentoring unzweifelhaft den Zugewinn an persönlichen und beruflichen Erfahrungen gepaart mit der Stärkung eigener Kompetenzen. Aufgrund der offerierten Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten sind die Mentees in der Lage, wertvolle Einblicke in die Führungsetage zu sammeln. […] Das Ausbilden der sozialen Kompetenz als Schlüsselfaktor zum beruflichen Aufstieg und Erfolg stellt neben der Karriereplanung und der nötigen Qualifikation ein Ziel und somit eine Chance von Mentoringprogrammen dar“ (Peters 2004, 16).
In vereinzelten Mentoringbeschreibungen (vgl. Haasen 2001, 18) wird zum Phänomen Karriere neben dem Kriterium einer objektiven Veränderung der Position die subjektive Bedeutung einer Karriere für die Einzelnen als sozialer Aufstieg in Unabhängigkeit von der Ausgangsposition der Akteure im gesellschaftlichen Raum zu Beginn ihrer Karriere erwähnt: „Unter Karriere verstehe ich in diesem Buch die beruflichen Ziele, die sich ein Einzelner selbst steckt und die mit einer erfolgreichen beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung verbunden sind. Das kann die Teilzeitarbeit neben der Betreuung zweier Kinder ebenso sein wie die Führungsposition im internationalen Unternehmen.“ (ebd.).
Die Vorstellung, dass Karriere etwas mit objektiver Verbesserung der Position zu tun hat, wird mit einer solchen Erweiterung des Begriffverständnisses beibehalten, jedoch die implizite normative Erwartungshaltung im Rahmen eines gängigen, alltagstheoretischen Karrierekonzepts relativiert, dass vor allem Ziele einer Karriere nur durch bestimmte Positionen im sozialen Raum gekennzeichnet seien wie zum Beispiel die Einnahme beruflicher Führungspositionen. Die Vergrößerung bzw. Erweiterung von Qualifikationen und Kompetenzen besitzt in Konzeptionen von Mentoring eine zentrale Bedeutung für den erfolgreichen beruflichen Aufstieg. Darin kommt in der Konzeptionalisierung von Mentoringprogrammen die Vorstellung zum Ausdruck, über Akkumulation von Wissen gesellschaftliche Positionsveränderungen beeinflussen bzw. -verbesserungen erreichen zu können. Dies zeigt sich auch in der Einschätzung, durch gewährte „wertvolle Einblicke in die Führungsetage“ und eine „Karriereplanung“ (s.o.) Aufstiege gezielt beeinflussen zu können.
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Neben diesem Sozialisations- und Qualifikationsaspekt gibt es eine Einigung mehrerer Autor/innen „über die grundsätzlich zentrale Bedeutung von Förderungsbeziehungen für den Ein- und Aufstieg im universitären System“ (Löther 2003, 11, Herv. MKB) und über die fehlende Protegierung von Frauen als Grund für den schwierigeren Zugang zu höheren Positionen in Wissenschaft und Wirtschaft (ebd.; Haasen 2001, 9). In Mentoringprogrammen für Frauen sehen sie deshalb eine Möglichkeit zur Kompensation der ungleichen Aufstiegsbedingungen und -chancen für Frauen.
2.1.3 Mentoringprogramme in Deutschland: Eine Maßnahme etabliert sich Mentoring wird seit Ende der 90er Jahre in Deutschland in vielen großen Unternehmen, Hochschulen, Organisationen und Netzwerken als Instrument der Karriereförderung für Frauen im Kontext allgemeiner Personalentwicklung angeboten. Die rasch ansteigende Anzahl von Mentoringprogrammen in Deutschland wird zurückgeführt auf die (Wieder-)Entdeckung der Mentoringbeziehung als Personalentwicklungsmaßnahme in den 70er Jahren in den USA. In der Literatur ist von einem regelrechten ‚Boom’ dieser Personalentwicklungsmaßnahme in den 70er und 80er Jahren in den USA die Rede (vgl. Stüve 2003). In diesem Kontext entstehen auch erste Arbeiten, die einen Zusammenhang zwischen Karriere und Mentoring beschreiben (vgl. Schliesselberger/Strasser 1998, 17). Anhand von 40 Männerkarrieren wird die große Bedeutung von Mentoren für erfolgreiche Männer nachgezeichnet. Seit dieser Zeit steigt besonders in der Wirtschaft das Interesse an Studien über „Role models“, aber auch „sponsors“ und „mentors“ werden verstärkt als Voraussetzung von Erfolg und Karriere gehandelt (Schliesselberber/Strasser 1998, 17). In den USA gehört Mentoring bis heute zu einer etablierten Form der Personalentwicklung und ist als solche über Nordeuropa (Skandinavien, England) nach Deutschland ‚importiert’ worden (vgl. Haasen 2001, 9). In den USA wurde Mentoring neben der Einführung in andere Kontexte10 auch im Rahmen von Gleichberechtigungsgesetzen und Frauenförderprogrammen diskutiert und zur gezielten Fördermaßnahme für weibliche Nachwuchskräfte. Auch in Deutschland handelt es sich bei vielen Mentoringprogrammen um Gleichstellungsangebote zur Karriereförderung von Frauen. Hier wird der Boom von Mentoringprogrammen auf die demographische Entwicklung unserer Gesellschaft zurückgeführt: Ein prognostizierter Führungskräftemangel Anfang der 90er Jahre aufgrund des demographischen Wandels der 10
Hierzu zählt die Wiedereingliederung von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt ebenso wie von Frauen nach längerer Familienzeit (vgl. Hassen 2001).
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Gesellschaft und ein zunehmender globaler Wettbewerb zwischen den Unternehmen führten in der Privatwirtschaft zur Orientierung an neuen Organisationsund Personalmanagementkonzepten, zu deren Instrumenten der Führungskräftenachwuchsförderung auch Mentoring für Frauen erklärt wird. Frauen werden in dieser Perspektive aus einem ökonomischen Kalkül zu einem wichtigen Teil des „Humankapitals“ (Wulf 2005, 35f). Das weibliche Personal bspw. nach einer Familienphase nicht wieder einzusetzen, wird als Verschwendung von „Humanressourcen“ (ebd.) verstanden und die Entwicklung der ‚Ressource Mensch’ wird zum wichtigsten Erfolgsfaktor eines Unternehmens erklärt. Im Kontext dieser personalpolitischen Überlegungen wird Mentoring zu einem zentralen Instrument beruflicher Karriereförderung für Frauen und wird damit konzeptionell anschlussfähig an die gleichstellungspolitische Idee, den Anteil von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, besonders in führenden Positionen, zu erhöhen - zunächst im Bereich der Privatwirtschaft, aber schon bald auch im Bereich der Hochschule. Nahezu alle deutschen Großunternehmen bieten gegenwärtig ein oder mehrere Mentoringprogramme für Frauen an und auch an über 40 Hochschulen Deutschlands gehören Mentoringprogramme für Frauen zum etablierten Frauenförderinstrument. 11
2.1.4 Mentoring im Feld der Gleichstellungsmaßnahmen an Hochschulen und in der Privatwirtschaft Die Bandbreite an Konzeptionen und Maßnahmen zur Förderung von Frauen im beruflichen Sektor ist groß und Mentoring stellt nur eine Maßnahme unter vielen dar. Sie im Feld von Gleichstellungsmaßnahmen zu verorten, ist Gegenstand des folgenden Kapitels. In den unterschiedlichen politischen Parteien, verschiedenen Institutionen wie Universitäten, der kommunalen, der Länder- und Bundesadministrationen, in Gewerkschaften, Betrieben des öffentlichen Dienstes und der Privatwirtschaft kommen verschiedene Instrumente unterschiedlicher Konzepte zum Einsatz. Sie differieren auch innerhalb dieser Bereiche und unterscheiden sich in ihrer Orientierung an theoretischen Ansätzen bzw. in Abhängigkeit von der institutionellen und regionalen Ausrichtung und Unternehmenskultur. So werden kommunale und gewerkschaftliche frauenpolitische Schwerpunkte und Strategien in Flächenkreisen anders gesetzt als in Großstädten; in Unternehmen, die Frauenförderung prinzipiell unterstützen, anders als in solchen, wo es einen starken Widerstand gegen Frauenförderung gibt. In der Entwicklung der institutionalisierten 11 Vgl. zum Überblick über aktuelle Mentoringprogramme an deutschen Hochschulen: http://www.forum-mentoring.de/
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Frauenförderung und Gleichstellungspolitik12 sind zudem Richtungswechsel, Veränderungen der Zielgruppe und Zielvorstellungen zu beobachten, die mit dazu beitragen, dass von der Frauenförderung oder Gleichstellung im Allgemeinen nicht die Rede sein kann und deshalb auch nicht auf eine einheitliche Konzeption bzw. einen theoretischen Hintergrund geschlossen werden kann. Es ist aber möglich, verschiedene Formen der Frauenförderung bzw. Gleichstellungspolitik nach unterschiedlichen Feldern wie Hochschulen und Unternehmen zu unterscheiden, in denen Maßnahmen und Instrumente angeboten werden. Ferner können Maßnahmen und Instrumente hinsichtlich ihrer angestrebten Ziele gruppiert werden und Förderschwerpunkte benannt werden. An dieser im Folgenden vorgenommenen Systematisierung wird deutlich werden, dass Mentoring als zentrale Maßnahme eines neuen Förderschwerpunkts beruflicher Gleichstellungspolitik gelten kann. Gegenstand dieses Kapitels werden deshalb typische Förderschwerpunkte von Frauenförderung und Gleichstellungspolitik und ihre entsprechenden Instrumente bzw. Gleichstellungsmaßnahmen sein. Diese Darstellung erfolgt für die Bereiche Hochschule und Privatwirtschaft, da die an dieser Studie beteiligten Mentoringprogramme diesen Bereichen zuzuordnen sind (vgl. Kap. 4.2). Frauenförderung und Gleichstellungspolitik haben in der Privatwirtschaft und an den Hochschulen verschiedene rechtliche und institutionelle Voraussetzungen und Bedingungen. Die Hochschulen aller Bundesländer sind seit Mitte der 90er Jahre verpflichtet, in Umsetzung ihrer Landesgesetze Frauenförderbzw. Gleichstellungspläne zu erstellen. Bei diesem Plan handelt es sich um die Festschreibung verschiedenster gleichstellungspolitischer Maßnahmen. Er beinhaltet die Festlegung gleichstellungspolitischer Ziele, setzt einen Zeitrahmen zur Erreichung dieser Ziele fest und formuliert Maßnahmen u.a. in den Feldern des Personals, der Organisation und der Fort- und Weiterbildung, die zur Erreichung 12 Frauenförderung und Gleichstellungspolitik sind Bezeichnungen für politische Programme aus verschiedenen historischen Zeiten. Bis Anfang der 90er Jahre wurde überwiegend der Begriff Frauenförderung verwendet (vgl. Leicht-Scholten 1997, 18). Mit zunehmender Kritik an dessen impliziter Annahme über defizitäre Frauen und sich neu entwickelnden Perspektiven und Orientierungen (vgl. Kap. 2.2) hat sich seit dieser Zeit der Begriff Gleichstellungspolitik durchgesetzt (vgl. Cornelißen 1988, 4). Mit diesen Programmen korrespondieren die Begrifflichkeiten für die politische Praxis: es können Frauenförderinstrumente und -maßnahmen von Gleichstellungsprogrammen und – maßnahmen unterschieden werden. In der politischen Praxis kann (noch) von einer parallelen Existenz von Frauenförderinstrumenten und Gleichstellungsmaßnahmen ausgegangen werden, wobei sich Projekte der klassischen Frauenförderung zunehmend durch neue Orientierungen und Konzepte wie dem Gender Mainstreaming in ihrer Existenz bedroht fühlen (z.B. Frauenhausprojekte) und sich prinzipiell eine Tendenz zur De-Institutionalisierung dieser Form von Förderung abzeichnet (vgl. Meuser 2004, Blome et al. 2005). In der einschlägigen Literatur werden die Begriffe trotz der programmatischen Unterschiede zum Teil synonym verwendet. In dieser Arbeit wird dahingegen versucht, sie möglichst der Programmatik und der Art der Förderung entsprechend zu verwenden.
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der Zielvorgaben beitragen sollen. In den Hochschulen herrscht seit Mitte der 80er Jahre die Pflicht zur Einrichtung von Ämtern für Frauen bzw. Gleichstellungsbeauftragte.13 Für sie ist der Frauen- oder Gleichstellungsplan die wichtigste Grundlage ihrer gleichstellungspolitischen Arbeit (vgl. Blome et al. 2005, 141). Die Privatwirtschaft ist dahingegen zur Frauenförderung gesetzlich bislang nicht verpflichtet. Seit dem 2. Juli 2001 besteht lediglich eine Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft. Im Jahr 2002 arbeiteten nach einer Auswertung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gut ein Drittel aller Arbeitnehmer/innen in Betrieben mit Vereinbarungen zur Chancengleichheit (Cornelißen 2005, 144). Nach einer Untersuchung von Krell und Ortlieb (2003) im Auftrag der Hans-BöcklerStiftung und des Deutschen Gewerkschaftsbundes führen solche Unternehmen häufiger Maßnahmen zur Verankerung von Chancengleichheit in der Unternehmenskultur durch, die über einen hohen Frauenanteil im Management verfügen. Des Weiteren werden in diesen Unternehmen häufiger Maßnahmen zur Förderung von Frauen ergriffen. In Unternehmen mit geringem Frauenanteil im Management (unter einem Prozent) hingegen werden wesentlich weniger Maßnahmen zur Chancengleichheit durchgeführt als in Unternehmen mit ‚mittlerem’ (1-10%) oder ‚hohem’ Frauenanteil im Management (10% und mehr). Sowohl an den Hochschulen als auch in der Privatwirtschaft lassen sich folgende Förderschwerpunkte feststellen, auf die sich die Gleichstellungspläne oder Betriebsvereinbarungen beziehen. Es handelt sich meistens um eine Förderung 1. der Sensibilität für Diskriminierungen von Frauen, 2. der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, 3. eines verbesserten Zugangs von Frauen in männerdominierte Bereiche sowie 4. eines erhöhten Frauenanteils in Führungspositionen. In den nächsten beiden Unterkapiteln sollen die gleichstellungspolitischen Maßnahmen und Instrumente zunächst in Bezug auf diese genannten Förderschwerpunkte vorgestellt und ihre Entwicklungslinien nachgezeichnet werden. Im Rahmen dieser Systematisierung werden nicht nur der Kontext und der Stellenwert von Mentoringprogrammen deutlich, es werden auch in Abgrenzung der
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Eine umfassende Darstellung der Arbeit von Frauen – und Gleichstellungsbeauftragten sowie allgemein der Gleichstellungspolitik an Hochschulen findet sich bei Blome et al. (2005).
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Programme von anderen Instrumenten und Maßnahmen deren Besonderheiten herausgearbeitet.
Frauenförderinstrumente und Gleichstellungsmaßnahmen an Hochschulen Im Handbuch zur universitären Gleichstellungspolitik von Blome et al. (2005) erfolgt eine Zusammenstellung wichtiger Gleichstellungsmaßnahmen, ohne dass damit, wie die Autor/innen selbst sagen, einem „Anspruch auf Vollständigkeit“ (ebd., 111) entsprochen wird. In der Praxis ist eine Kombination vieler, an unterschiedlichen Stellen ansetzenden, Instrumente der Regelfall, mit der versucht wird, auf aktuelle Bedürfnisse und Diskussionen zu reagieren und Handlungsmöglichkeiten zu schaffen oder zu nutzen (ebd.). Auch können die Maßnahmen zumeist nicht nur einem Problembereich zugeordnet werden, da sie zum Teil mehrere Ziele verfolgen. So kann z.B. im Wissenschaftsbereich die Einrichtung von Gastprofessuren für Frauen- und Geschlechterforscher/innen der Erhöhung des Frauenanteils im Professor/innenbereich dienen, der Schaffung von Vorbildern für jüngere Wissenschaftler/innen sowie der „Verankerung von Genderkompetenz“14 (Blome et al. 2005, 112) im Lehrplan und damit der Erhöhung der Sensibilität für die Thematik der Chancengleichheit. Die Systematisierung der Maßnahmen erfolgt deshalb nicht (nur) in Bezug auf die oben genannten Schwerpunktbereiche, sondern liegt (auch) in den Handlungslogiken der Maßnahmen begründet. Blome et al. (2005) unterscheiden zwischen • Gleichstellungsstrategien • Sensibilisierungsmaßnahmen • Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils sowie • Maßnahmen zur Förderung des weiblichen Nachwuchses (ebd., 112). Zu den Gleichstellungsstrategien zählen die schon seit langem zum Repertoire gleichstellungspolitischen Handelns gehörenden appellativen Strategien, die Mittels Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zur Notwendigkeit von Frauenförderung Einstellungs- oder Verhaltensänderungen bewirken sollen. Solche sind z.B. aus Stellenausschreibungen bekannt, in denen die Absichtserklärung gege14 Als „Genderkompetenz“ bezeichnen Blome et al. (2005, 112) ein Bewusstsein über die Relevanz der Kategorie Geschlecht und ein Wissen über das Entstehen von Geschlechterdifferenzen sowie über die Strukturen der sozialen Geschlechterkonstruktionen, insbesondere auf der Ebene von Organisationen und Institutionen. Die Entwicklung von Genderkompetenz soll die nachhaltige Umsetzung von Gender Mainstreaming sichern (ebd., 283).
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ben wird, Frauen bei gleicher Qualifikation bevorzugt einzustellen.15 Diese wurden im Zuge der Hochschulreform und des Gender Mainstreaming durch verschiedene Anreizsysteme sowie Analyse- und Bewertungsverfahren ergänzt. Dazu zählen neue Steuerungsinstrumente wie Zielvereinbarungen, indikatorengesteuerte Mittelvergaben16 und Genderanalysen als Methoden eines Gender Mainstreaming Prozesses.17 Daneben sollen Wettbewerbe wie der Total-EQualitiy Science Award18 für die Verankerung und Institutionalisierung von Gleichstellung sorgen. Zu den Sensibilisierungsmaßnahmen zählen Blome et al. Statistiken als ein bewährtes Instrument zur Aufklärung über die Situation von Frauen und zum Abbau von Unwissenheit und Voreingenommenheit. Weiterhin sehen die Autor/innen in Fort- und Weiterbildungen sowohl für weibliche Universitätsangehörige (mit den Schwerpunkten der Qualifikation) als auch für Dienstkräfte mit Führungsaufgaben (mit dem Schwerpunkt auf Erwerb von Genderkompetenz) eine Möglichkeit zur Sensibilisierung. Als letzte Maßnahme zu dieser Kategorie 15 Als wichtig an dieser Praxis wird die Öffentlichkeitswirksamkeit von Frauenförderung eingeschätzt (vgl. Blome et al. 2005, 113). Als problematisch kann dahingegen angesehen werden, dass Frauen schon im frühen Auswahlprozess abqualifiziert werden, oder dass Frauen unterstellt wird, die Stellen nur aufgrund der frauenfördernden Maßnahme bekommen zu haben. 16 Zielvereinbarungen und indikatorengebundene Mittelvergabe sind seit Mitte dieses Jahrzehnts im Zuge der Hochschulreformen bevorzugte Verfahren der Mittelverteilung. Sie sind als Steuerungsinstrumente anzusehen, die die Verbesserung der Situation von Frauen an Hochschulen und die Erhöhung ihres prozentualen Anteils am akademischen Personal mit einer entsprechenden Mehrzuweisung finanzieller Mittel belohnen, während eine Verschlechterung der Situation für Frauen oder eine Stagnation finanzielle Sanktionen nach sich ziehen würde (vgl. Blome et al. 2005, 113). Ein Beispiel für einen Gleichstellungsindikator könnte eine ‚geschlechtliche Abbruchquote’ für Studiengänge sein; ein Beispiel für eine Zielvereinbarung könnten neue Kinderbetreuungsangebote sein. 17 Als die derzeit am häufigsten verwendeten Prüfinstrumente eines Gender Mainstreaming-Prozesses (vgl. auch Kap. 2.2.2) gelten die 3R-Methode und das Gender Impact Assessment. Hinter ersterem verbirgt sich eine in Schweden entwickelte Analysemethode, die anhand der Analysesäulen Repräsentation, Ressourcen und Realität auf die bewusste Berücksichtigung geschlechterbezogener Dimensionen alltäglicher Arbeit zielt. Es sollen Antworten auf die Fragen gegeben werden: Wer bekommt was zu welchen Bedingungen? Das Gender Impact Assessment (GIA) bedeutet die Überprüfung von Auswirkungen politischer Maßnahmen im Hinblick auf deren geschlechterbezogenen Relevanz (vgl. Blome et al. 2005, 120f). 18 Seit 2001 können sich Hochschulen um ein Gütesiegel im Rahmen des Total-E-Quality Science Awards bewerben. Der Wettbewerb zielt darauf, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen Chancengleichheit im Prozess der Einführung von Qualitätsmanagement verankern und damit in die Organisations- und Personalentwicklung mit einbeziehen. Die Bewerbung um das Prädikat erfolgt durch Ausfüllen einer Checkliste, die eine Fülle möglicher Ansätze und Maßnahmen zur Chancengleichheit umfasst. Maßnahmen werden in den Handlungsfeldern: Arbeitszeit, Arbeitsort, Arbeitsinhalte und -abläufe, Führungskompetenz, Information und Kommunikation, Personalentwicklung, Flankierender Familienservice, Studienorganisation u.a. berücksichtigt. Es handelt sich in erster Linie nicht um ein Bewertungsinstrument, sondern um ein Instrument zur Förderung der geschlechtersensibilisierten Reflexion.
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wird von ihnen das Gender Training genannt. Mit diesem „Sensibilisierungsworkshop“ zur Wahrnehmung und Reflexion der eigenen Geschlechtsidentität und Strukturen des gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisses und zugleich „Fortbildungsinstrument“ zur praxis- und organisationsbezogenen Integration geschlechterbezogener Aspekte in die jeweiligen fachlichen Arbeitszusammenhänge, sehen sie gleich zwei Aufgaben von Gleichstellungspolitik erfüllt (ebd., 124). Zu den Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils im Universitätswesen zählen die Autorinnen die Förderungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie19, das Einrichten von Gastprofessuren für Frauen20 und die selbst in frauenpolitischen Kreisen stark umstrittenen Quotenregelungen21 (ebd., 127) Unter den Punkt zur Förderung des weiblichen Nachwuchses zählen Blome et. al. schließlich Maßnahmen wie Schüler/innen-Infotage22, Monoedukation23, Frauentutorien24, Stipendien25 und Mentoringprogramme (ebd., 130). 19
Dazu zählen für sie sowohl die Einrichtung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten, die Förderung von Teilzeitarbeit und Teilzeitstudiengängen, die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in Auswahlprozessen für die Besetzung freier Stellen sowie das Schaffen von Anreizen für Väter, einen größeren Anteil an der Betreuung der Kinder zu übernehmen, als es bisher der Fall ist (vgl. Blome et al. 2005, 128) 20 Insbesondere wird dies in Bereichen gefördert, in denen Frauen bisher unterrepräsentiert sind. Ein Beispiel für diese Praxis ist die Emmy-Noether-Professur der Mathematischen Fakultät an der Universität Göttingen, die jedes Jahr an eine Mathematikerin vergeben wird. 21 Darunter wird die festgelegte Vergabe eines bestimmten Anteils vorhandener Stellen an Frauen verstanden. Die Quote räumt Frauen bei Einstellungen und Beförderungen unter definierten Voraussetzungen einen Vorrang vor männlichen Bewerbern ein. Bezweckt wird durch die Erhöhung des Frauenanteils ein Abbau der strukturellen Benachteiligung von Frauen und langfristig ein Ausgleich der Unterrepräsentanz von Frauen. Die Quote soll letztlich dazu führen, aufgrund der erreichten Gleichstellung überflüssig zu werden (vgl. auch Pfarr 1998). Nach Wetterer (1998, 31) ist die Quotenregelung die einzige Frauenfördermaßnahme, der nicht der Vorwurf gemacht werden kann, den Kurzschluss zu nähren, dass eine entsprechende Qualifikation der Frauen noch erfolgen müsse und dann genüge, um automatisch in den Besitz adäquater Positionen zu gelangen. 22 An solchen Tagen können Oberstufenschüler/innen Vorlesungen, Seminare, Übungen und Labore besuchen und bekommen die Gelegenheit, mit Lehrenden des jeweiligen Faches ins Gespräch zu kommen. Insbesondere naturwissenschaftliche und technische Fächer, in denen Student/innen besonders unterrepräsentiert sind, werden von Blome et al. (2005, 130) aufgefordert, über solche Wege der Öffentlichkeitsarbeit und in Informationsveranstaltungen um eine erhöhte Zahl von Student/innen zu werben. 23 Besonders an Fachhochschulen und in Natur- und Technikwissenschaften werden in der Annahme, dass die Koedukation sich negativ für Frauen auswirke, in letzter Zeit Studiengänge eingerichtet, die sich ausschließlich an Frauen richten (vgl. Blome et al. 2005, 131). 24 Besonders in männerdominierten Studiengängen und –bereichen dienen diese „Lernumfelder“ (Blome et al. 2005, 132) für Frauen als eine gute Möglichkeit der Vernetzung und der gegenseitigen Unterstützung. 25 Hinsichtlich dieser Form der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sind aus frauenfördernder Perspektive besonders die Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die Hans-BöcklerStiftung und die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung als diejenigen Stiftungen hervorzuheben, die
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Dieser letzte Schwerpunkt stellt eine relativ neue Form der Gleichstellungspolitik dar. Sie markiert einen Richtungswechsel der Gleichstellungspolitik, im Rahmen derer hochschulische Frauenförderung verstärkt als berufliche Förderung von Frauen konzipiert wird (vgl. Kap. 2.2.2). Im Unterschied zum Schwerpunkt der Förderung zur Erhöhung des Anteils von Frauen im Wissenschaftsbereich soll mit diesem Schwerpunkt gezielt der vertikalen und horizontalen Segregation des Arbeitsmarktes und somit ‚Männerdomänen’ auf Führungsebenen und in spezifischen Feldern des Arbeitsmarktes (z.B. Naturwissenschaften, Technik) entgegen gewirkt werden. Er kann als Versuch gedeutet werden, ein strukturelles Förderdefizit von Frauen aufzuheben. In diesen Kontext sind auch Mentoringprogramme für Frauen einzuordnen. Sie werden als „Ausgleich zum Old-Boys-Network“ (Blome 2005, 133) im Wissenschaftsbetrieb verstanden. Im Rahmen dieser Maßnahme sollen einzelne, an einer beruflichen Karriere interessierte Frauen gefördert werden (Löther 2003, 9). Weiterhin wird mit Mentoring die Idee verbunden, „Machteliten“ (KirschAuwärter 1999, 165) gleichstellungspolitisch zu aktivieren, um längerfristige Werte, Normen und Strukturen zu verändern. Dabei besitzen sie nach KirschAuwärter eine spezifische Gestalt: „Ihre Dynamik verdanken solche Programme dem paradoxen Umstand, dass dabei hierarchische Beziehungen zum Zwecke ihrer Aufhebung eingegangen werden“ (Kirsch-Auwärter 1999, 165).26 Innerhalb der Kategorie zur Förderung des weiblichen Nachwuchses nehmen Mentoringprogramme eine besondere Stellung ein, da sie im Kontext der sich neu etablierenden beruflichen Gleichstellungsmaßnahmen zentrale und zugleich umstrittene neue Orientierungen von Gleichstellungspolitik programmatisch aufgreifen. Hierzu zählen zum Beispiel die Integration von Männern zur Konzeption und in der Umsetzung von Gleichstellungsmaßnahmen sowie eine veränderte Perspektive auf Gleichstellungspolitik durch eine Ausrichtung auf Organisationsstrukturen und ihnen inhärente Aufstiegsmechanismen (vgl. ausführlicher Kap. 2.2.2). Besonders in der Fokussierung auf berufliche Aufstiege und ihre Förderung durch Mentoringprogramme besteht eine Parallele zu neueren privatwirtschaftlichen Interessen und dem Einsatz von Mentoringprogrammen in Unternehmen.
gezielt Frauen fördern und/oder besondere Schwerpunkte bei Geschlechterforschungsprojekten setzen (vgl. http:/www.boeckler.de/ und http:/www.boell.de/ ). 26 Auf diesen Punkt und besonders die folgenden Punkte zur Bedeutung von Mentoring als Ausdruck einer neuen Form von Gleichstellungsmaßnahmen wird im Rahmen einer späteren analytischen Diskussion (vgl. Kap. 2.2.2) noch näher eingegangen. Hier erfolgt zum zur Einführung in die Thematik und zum Zwecke eines Überblicks zunächst eine deskriptive Darstellung der Programme und Maßnahmen.
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Frauenförderinstrumente und Gleichstellungsmaßnahmen in der Privatwirtschaft Der Arbeitsstab Frauenpolitik des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit regte in den 80er Jahren die erste Frauenförderung in der Industrie an. Obwohl das Thema Frauenförderung in den 80er Jahren ein vieldiskutiertes Thema war, stieg die Anzahl der Unternehmen, die Frauenförderung in ihr personalpolitisches Programm aufnahmen bis Anfang der 90er Jahre nur langsam (vgl. Brumlop/Hornung 1993, 33). Bei frauenfördernden Unternehmen handelt es sich zumeist um große Unternehmen expandierender Branchen wie der Chemieindustrie oder der Metallindustrie und um Banken sowie Bereiche der Nahrungsmittel- und Genussmittelindustrie. Kleinere und mittelständische Unternehmen (KMU) sind in Bezug auf eine institutionalisierte betriebliche Chancengleichheitspolitik traditionell rückständig (vgl. Fries/Hornung 1997).27 In weniger florierenden oder sich in Strukturkrisen befindlichen ‚Frauenberufen’, in denen überwiegend Frauen beschäftigt und benachteiligt sind, war Frauenförderung bzw. Gleichstellungspolitik eine Seltenheit (z.B. in der Land-, Garten- und Forstwirtschaft sowie vor allem die gesamte Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie) (ebd., 34). Auch dort, wo der Anteil der an- und ungelernten Frauen ebenfalls sehr hoch ist, zählten Frauenfördermaßnahmen und zählen Gleichstellungsmaßnahmen nach wie vor zur Seltenheit (bspw. im Hotel- und Gaststättengewerbe, Reinigungsgewerbe). Der Anteil von Frauen im Management eines Unternehmens scheint allerdings ein Indikator für eine frauenfördernde bzw. emanzipatorische Organisationskultur zu sein (vgl. Krell/Ortlieb 2003). Anders als der in den 80er Jahren noch diskutierte umfassende, systematische Frauenförderplan hat sich in der betrieblichen Frauenförderung eine Konzentration auf bestimmte Handlungsfelder sowie eine Differenzierung nach Zielgruppen und Branchen abgezeichnet. Als eindeutige Schwerpunkte haben sich bis in die 90er Jahre Regelungen zur • Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie • zur Flexibilisierung der Arbeitszeit, meist in Form von Teilzeit, herausgebildet.
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Wie allerdings der Gender-Datenreport (2005, 142f) zeigt, liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen in kleineren und mittelständischen Unternehmen mit über einem Fünftel deutlich höher als in Großunternehmen, wo er bei 8% in Top-Management-Positionen und 13% in mittleren Managementpositionen liegt. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass ein Teil der klein- und mittelständischen Unternehmen Familienbetriebe sind, in denen weiblicher Nachwuchs häufiger in die Position der Geschäftsführung gelangt als in der sonstigen Privatwirtschaft.
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Sie machen Mitte der 90er Jahre mehr als 90% der Programme aus und sind meist in Form von Betriebsvereinbarungen oder auch Tarifverträgen abgeschlossen (Brumlop/Hornung 1993, 37). Zu den Vereinbarkeitsmaßnahmen zählen Maßnahmen zur Umsetzung des gesetzlichen Erziehungsurlaubs, zur zusätzlichen Verlängerung der staatlich geregelten Erziehungszeit, Regelungen zur Rückkehr ins Unternehmen nach der Erwerbsunterbrechung, unterstützende Maßnahmen zur Erleichterung des Wiedereinstiegs ins Unternehmen (z.B. Qualifizierungsangebote, Vertretungsmöglichkeiten usw.). Als Maßnahmen zur zeitlichen Flexibilisierung wurden flexible Arbeitsformen wie Teilzeit, Gleitzeit und Tele(heim)arbeit angeboten. Frauenförderprogramme zur Erhöhung des Frauenanteils in qualifizierten Beschäftigungsbereichen durch die verstärkte Beteiligung von Frauen an Aus-, Fort- und Weiterbildungsprogrammen oder Führungskräfteprogramme für Frauen stellen bis Mitte der 90er Jahre zahlenmäßig nur wenige relevante Handlungsfelder dar und zeichnen sich durch rechtliche und inhaltliche Unverbindlichkeit aus. Brumlop/Hornung (1993, 42f) stehen dieser Situation Anfang der 90er Jahre deshalb sehr kritisch gegenüber. In einigen Fällen wendeten sich die Programme auch an männliche Führungskräfte mit dem Ziel, diese für Probleme weiblichen Führungskräftenachwuchses zu sensibilisieren, um alte Rollenklischees und Vorurteile aufzubrechen und ein ‚frauenfreundliches’ Klima zu schaffen. Gleichwohl hätten diese Programme nach Brumlop/Hornung „wenig mehr als den Charakter wohlmeinender betrieblicher Absichtserklärungen“, weckten jedoch bei vielen qualifizierten und aufstiegsorientierten Frauen nicht unerhebliche „Karrierehoffnungen“ und stimulieren ihr „Aspirations- und Leistungsniveau“ (ebd., 44, Herv. MKB). Für die Unternehmen habe dies den Vorteil, dass sie in einer Zeit wachsender ökonomischer Unsicherheit und Unübersichtlichkeit über ein Reservoir an potentiellen Beförderungskandidat/innen verfügen, das sie als Deckungsreserve für mögliche Qualifikationslücken in ihre Personalplanung einbeziehen können. Brumlop/Hornung fragen kritisch, ob es sich bei der Frauenförderung bzw. den Gleichstellungsbemühungen nur um die Imagepflege zum „frauenfreundlichsten Arbeitgeber“(ebd., 45) handele. Oder ob Frauenförderung ein Regulierungsinstrument betrieblicher Personalpolitik sei, das expandierende Großunternehmen – je nach Konjunktur und Arbeitsmarktsituation – dazu einsetzten, partielle Arbeitskräfteknappheit durch die Mobilisierung der „Personalressource Frau“ auszugleichen (ebd., 35). Sie unterstellen, dass die selektive Gewährung oder Ablehnung der Teilnahme an Frauenförderprogrammen für die Unternehmen ein „Instrument der Personalanpassung und –flexibilisierung“ darstellt, das sie entsprechend wechselnder konjunktureller Situationen einsetzen können. So wächst dem Unternehmen ein „Regulierungsinstrument der Perso-
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nalpolitik“ zu, das sie je nach Arbeitsmarktlage entweder zur selektiven Ausgliederung von Mitarbeiter/innen nutzen oder mit dessen Hilfe die jeweils geeignetsten Kandidat/innen aus dem Pool der ambitionierten Frauen für eine innerbetriebliche Aufstiegsförderung auswählen können (ebd., 40). Andere negative Bilanzierungen der Förderpolitik von Frauen Anfang der 90er Jahre werden von Frauen- und Geschlechterforscher/innen geäußert (vgl. Wetterer 1995; Knapp 1997). Es wird von ihnen kritisiert, dass die Frauenförderung im Rahmen der Vereinbarkeitsprogramme tradierte geschlechtsspezifische Zuschreibungen reproduziere, in dem sie beispielsweise das Problem der Vereinbarung von Familie und Beruf weiterhin den Frauen zuschreibe. Ferner wird bemängelt, dass viele Angebote ein Defizit-Bild der Frau verstärkten, etwa in dem Qualifizierungsangebote für Frauen angeboten würden. Damit würde der Trugschluss genährt, die Frauen seien selber für ihre mangelnde Integration und Partizipation auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich (ebd.). Durch diese erweiterte Perspektive erschien die Frauenförderpolitik bis in die 90er Jahre hinein wegen ihrer Konzentration auf die Frauen als ein Kurieren an Symptomen, das die wirklichen Probleme der strukturell in den Basisinstitutionen verankerten Geschlechterungleichheit nicht beachtete und dazu beitrug, den Eindruck zu verstärken, dass es sich bei dem Thema Gleichstellung um ein Problem handele, das Frauen mit dem Beruf oder der Wissenschaft hätten und nicht umgekehrt (vgl. Wetterer 1995). In Konzepten ab Mitte der 90er Jahre wird unter anderem aufgrund dieser Kritik aus der Wissenschaft und einer veränderten politischen und wirtschaftlichen Lage (vgl. auch Kap. 2.2) das Phänomen der Benachteiligung von Frauen in der Privatwirtschaft unter den Begriffen der „Chancengleichheit“ und des „Diversity“ (Karberg/Krell 2004, 39) neu gefasst. Dabei handelt es sich scheinbar nicht nur um ‚Altes in neuem Gewand’. Mit diesen Begriffen erhält in vielen großen Unternehmen das Unternehmenskonzept Managing Diversity28 und das Qualitätsmanagementkonzept des Total E-Quality Management (TEQM)29 Ein28 Diversity Management ist ein Unternehmenskulturkonzept, dem die Annahme zugrunde liegt, dass mit der aktiven Förderung von Diversität der Beschäftigten der ökonomische Erfolg eines Unternehmens steigt (vgl. Krell 2004, 41ff, vgl. auch Kap. 2.2.2) 29 Total E-Quality e.V. ist ein 1994 von deutschen Großunternehmen aus dem „Forum Frauen in der Wirtschaft“ initiierter Verein, der Unternehmen und Verwaltungen im Rahmen eines Wettbewerbs mit einem Prädikat auszeichnet, die ihre Personalpolitik an den Maximen der Chancengleichheit ausrichten (vgl. Krell 2004, 2). Der Verein vertritt die Ansicht, dass Chancengleichheit von Frauen und Männern den Organisationen Wettbewerbsvorteile verschafft und für eine zukunftsweisende Personalpolitik unerlässlich ist (vgl. Blome et al. 2005, 289). Das Konzept spricht grundlegende Affinitäten von Wirtschaftsunternehmen an wie Wettbewerb, Benchmarking und Imagepflege. Als Initiativ-Strategie mit dem Anreiz eines Wettbewerbs und mit Aussicht auf Verbesserung des Images als frauenfreundlicher Arbeitgeber konnten privatwirtschaftliche Unternehmen dafür interessiert werden, ihre Personalpolitik hinsichtlich des Potenzials zur Verbesserung der beruflichen Chancen
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zug, womit berufliche Frauenförderung eine stärkere betriebswirtschaftliche Ausrichtung bekommt. Diese Neukonzipierung führt zwar nicht zur Aufgabe alter Inhalte und Ziele von Gleichstellungspolitik, wie beispielsweise die Studie Kirschbaums (2003) über die Gleichstellungspolitik der Deutschen Telekom AG zeigt. Denn auch nach der Einführung von Gender Mainstreaming und E-Quality Management erfolgt in diesem Unternehmen die Orientierung an den Zielen des 1992 verabschiedeten Frauenförderkonzepts.30 Aber wie in einer Veröffentlichung des Zentrums „Frau in Beruf und Technik“ vom nordrheinwestfälischen Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie aus den dort formulierten, leitenden und sich von „traditionellen Ansätzen der Frauenförderung“ abgrenzenden Kriterien für „die neueren Ansätze zur Integration von Chancengleichheit von Männern und Frauen“ deutlich wird, lässt sich auf der konzeptionellen Ebene eine deutliche Veränderung von Perspektiven und Interessen feststellen (ebd., 39, Herv. MKB): • „Ausgangspunkt ist der ökonomische Vorteil für das Unternehmen, • Frauen werden als Humanressource definiert, die es vor allem aus ökonomischen Gründen zu fördern gilt, • die Maßnahmen setzen auf eine Vermittlung von der Führungsebene aus, sie sind als top-down-Ansatz31 definiert, • die Ansätze streben eine Win-Win-Situation32 für beide Geschlechter an als Voraussetzung für die Einlösung betrieblicher Veränderungsprozesse • Gemeinsame Interessen zwischen den Geschlechtern werden hervorgehoben, Unterschiede innerhalb der Geschlechtsgruppen sollen bewusst werden“ (ebd., Herv. MKB). Diese neue Orientierung, die eine Definition von Frauen unter ökonomischen Gesichtspunkten beinhaltet33, eine Beteiligung von und ein Profit auch für Mänund der Erwerbssituation von Frauen zu überprüfen. Seit 2002 können sich auch Hochschulen um ein solches Prädikat bewerben (vgl. Wulf 2005, 21). 30 Als Ziele werden darin die Erhöhung des Frauenanteils in technischen Berufen, eine bessere Beteiligung von Frauen an Führungsaufgaben, die Förderung der Teilzeit, Flexibilisierung der Arbeitszeit sowie die Unterstützung des beruflichen Wiedereinstiegs, des Angebots an Weiterbildungs- und Aufstiegsmaßnahmen für Frauen und die Förderung der Zusammenarbeit von Männern und Frauen genannt (vgl. Kirschbaum 2003, 53). 31 Mit dieser Organisationsform wird sich von einer bestimmten Frauenförderung abgegrenzt, die sich in Form von Frauenprojekten als bottom-up-Projekte versteht. 32 Mit diesem Prinzip wird eine Parteilichkeit für Frauen, die vielen Frauenförderkonzepten zugrunde lag, aufgegeben zugunsten einer Integrationsstrategie, mit der die Hoffnung auf größere Anerkennung und Erfolge verbunden wird.
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ner anstrebt und einen von der Unternehmensführung beginnenden Implementierungsprozess vorsieht (top-down statt bottom-up), zeigt sich tendenziell auch in den Studien Karberg/Krells (2004) und Dudek/Marschaus (1998) über die Chancengleichheitspolitik in zehn befragten Großunternehmen in den 90er Jahren bis Anfang des Jahrtausends und spiegelt sich auch wieder in den Maßnahmen der Einzelfallstudie Kirschbaums (2003)34, die sie im Unternehmen der Deutschen Telekom AG zum Erreichen der Ziele ihres Frauenförderkonzepts vorfindet.35 Der seit den 80er Jahren (weiter-)bestehende Förderschwerpunkt zur besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Familienarbeit in der Privatwirtschaft wird diesen Studien nach in den 90er Jahren um die folgenden Maßnahmenschwerpunkte ergänzt: • Maßnahmen zur „chancengleichheitsförderlichen Zusammenarbeit und Führung“ und • Maßnahmen zur „unmittelbaren beruflichen Gleichstellung von Frauen“ (Karberg/Krell 2004, 36). Innerhalb der Kategorie Maßnahmen zur Förderung der „unmittelbaren beruflichen Gleichstellung von Frauen“ werden Mentoringprogramme als „spezielle 33
Auch bei früherer Frauenförderung kann von ökonomischen Aspekten ausgegangen werden. Bei Teilzeitregelungen und anderen unterstützenden Maßnahmen zur besseren Vereinbarung von Familientätigkeit und Erwerbsarbeit ging es von Unternehmerseite hauptsächlich darum, weibliche Fachkräfte an das Unternehmen zu binden (vgl. Wulf 2005, 255). Der Unterschied in neueren Konzeptionen ist, dass dieses Kriterium entweder einen größeren Stellenwert bekommen hat oder nur diskursiv stärker in Erscheinung tritt. Letzteres könnte dann für eine Verschiebung der Bedeutung sozialpolitischer und ökonomischer Argumente in einem gleichstellungspolitischen Diskurs sprechen. 34 Als Angebote hat Kirschbaum (2003) neben vielen anderen auch ein Internes und ein CrossMentoring für Frauen in Kooperation mit externen Wirtschaftsunternehmen recherchiert. 35 Für den Bereich der betrieblichen Frauenförderung existieren nur diese beiden Studien, die versuchen den Trend gängiger Strategien und Maßnahmen in der Privatwirtschaft seit Anfang der 90er Jahre anhand von 10 Großunternehmen zu beschreiben. Im Ausmaß und Umfang sowie kritischer Auseinandersetzung sind diese aber nicht mit den Studien Brumlops/Hornungs (1993) und Riegrafs (1996) für die 80er Jahre bis Anfang der 90er Jahre vergleichbar. In diesen wird versucht, einen repräsentativen Überblick über die Gleichstellungspolitik und berufliche Förderung von Frauen bundesdeutscher Unternehmen zu geben. Auch im Gender Datenreport (2005, 133f) wird unter dem Punkt „Erwerbstätigkeit – Arbeitsmarktintegration von Frauen und Männern“ zwar die horizontale und vertikale Segregation des Arbeitsmarktes entlang der Trennlinie Geschlecht beschrieben; auf Maßnahmen, die dem entgegenzuwirken versuchen, wird jedoch nicht eingegangen. Neuere sozialwissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema wie Kirschbaum (2003) und Wulf (2005) untersuchen Implementierungsstrategien neuerer Gleichstellungsansätze an einzelnen Unternehmen. Diese Präferenz von Einzelfallstudien kann damit zu tun haben, dass es sich um ein neuartiges empirisches Feld handelt, dessen konkrete soziale Praxis mittels qualitativer Einzelfall-Analysen am besten zu erfassen ist. Diese Forschungslage ist der Grund, weshalb der Einblick in die gegenwärtige Gleichstellungspolitik in Unternehmen hier ebenfalls schwerpunktmäßig an Ergebnissen von Einzelfallstudien vorgenommen wird.
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Mentoring als Instrument der Karriereförderung für Frauen
Maßnahmen zur Karriereförderung von Frauen“ (ebd. 37) von anderen abgegrenzt. Sie gelten als innovative Maßnahmen im Kontext von Personalentwicklung, die nach der Frage an die Unternehmen zu Perspektiven für die zukünftige Förderung (bis 2005) der unmittelbaren beruflichen Gleichstellung verstärkt angeboten werden sollen. Wie eine Anschluss-Befragung im Jahr 2003 zeigt, wurde dieser Plan in der Mehrzahl der befragten Unternehmen realisiert. In dieser Kategorie wird Mentoring zur zentralen Maßnahme im Bereich von Personalentwicklung. Wulf (2005, 254) interpretiert diese Veränderung als eine Gleichstellungspolitik mit integrationsfähigen Strategien und Aktivitäten, die darauf ausgerichtet ist, zur Auflösung der Geschlechterasymmetrie durch die Förderung der beruflichen Entwicklung von Frauen beizutragen. Auch in den von ihr untersuchten Unternehmen (Finanzunternehmen, Industrieunternehmen und Nahrungs- und Genussunternehmen) wurde mit unterschiedlicher Intensität seit Mitte der 90er Jahre eine Intensivierung der Chancengleichheitspolitik im Bereich der beruflichen Entwicklung vorgenommen. Aus Sicht der Unternehmen erfolgte die Intensivierung der beruflichen Förderung als Konsequenz auf die ausbleibenden Effekte zur Auflösung traditioneller Rollenzuweisungen durch bisherige Vereinbarkeitsinstrumente. Sie wurden kaum von Männern wahrgenommen und trugen auf diese Weise zur Manifestierung von geschlechterstereotypen Karrieremustern bei.36 Im Rahmen des neuen Schwerpunkts besitzt Mentoring für Frauen auch in diesen untersuchten Unternehmen einen zentralen Stellenwert als Strategie der Förderung weiblicher Führungskräfte im Bereich der Personalentwicklung (vgl. Wulf 2005, 254).
2.1.5 Mentoring als neue Maßnahme der Karriereförderung für Frauen – eine Zusammenfassung Mentoring wird seit Ende der 90er Jahre in Deutschland in vielen großen Unternehmen, Hochschulen, Organisationen und Netzwerken als Maßnahme zur beruflichen Förderung von Frauen angeboten (vgl. Haasen 2001). Sie ist die zentrale Maßnahme eines neuen Schwerpunkts von Gleichstellungspolitik in Hoch36 Dieser Praxis stehen Umfrageergebnisse des neuesten Gender-Datenreport (2005, 330) gegenüber. Diese zeigen, dass sich 35,6% der befragten Arbeitnehmerinnen und 27,7% der befragten Arbeitnehmer familienfreundliche Arbeitszeiten wünschen, worin sie den größten Handlungsbedarf für Betriebe sehen, die Familienfreundlichkeit anstreben. Wie diese Zahlen genau zu interpretieren sind, d.h. was unter familienfreundlichen Arbeitszeiten verstanden wird, für wen sie gelten sollen und wer sie letztlich in Anspruch nimmt und Familienarbeit leistet, müsste qualitativ untersucht werden. Sie zeigen jedenfalls einen hohen Bedarf an flexiblen Arbeitszeitmodellen und begründen die Aufrechterhaltung dieser Form von Vereinbarkeitsförderung.
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schulen und Unternehmen zur Förderung des Nachwuchses weiblicher Führungskräfte (vgl. Wulf 2005). Dieser neue Schwerpunkt soll vor allem der vertikalen Segregation des Arbeitsmarktes und somit den ‚Männerdomänen’ auf Führungsebenen entgegen wirken und kann damit als Versuch gedeutet werden, einem strukturell bedingten beruflichen Aufstiegsproblem von Frauen durch eine Förderung auf individueller Ebene entgegenzuwirken. Darin lässt sich eine Verbindung der Interessen von Gleichstellungspolitik und Personalpolitik entdecken, die einen neuen Trend von beruflicher Frauenförderung markiert (vgl. Blome 2005). Es wurden zwei Voraussetzungen für diesen neuen Trend und seinen Schwerpunkt in der beruflichen Förderung benannt. Als Folge eines prognostizierten Führungskräftemangels hat ‚die Personalentwicklung’ ein Interesse an einem größeren Potenzial an (weiblichen) Führungskräften. Etwa zur gleichen Zeit verfolgen gleichstellungspolitische Ansätze aufgrund der geringfügigen Änderungen der Geschlechterverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt durch vorausgegangene Förderpolitik das Interesse, auf eine neue Weise Frauen zu ermöglichen, die gleichen Chancen wie die Männer zu bekommen, um ihre Karrierepläne zu verwirklichen. Die Popularität von Mentoringprogrammen als Erfolg versprechendes Instrument dieser Interessensverbindung steht vermutlich in Zusammenhang damit, dass diese Maßnahme konzeptionell aus verschiedenen Perspektiven die Verfolgung unterschiedlicher politischer Ziele zu ermöglichen scheint: „Diese im Betrieb institutionalisierten und privilegierten Förderbeziehungen zwischen MentorIn und Mentee verfolgen zwar vordergründig ebenfalls das Ziel, betriebsbezogene Qualifikationen der einzelnen Frau zu fördern und Führungsqualitäten erkennbar werden zu lassen. Mentoringprogramme können jedoch einen Beitrag zur Auflösung der in den Unternehmensstrukturen gefestigten Geschlechterhierarchie leisten; besonders, wenn sie in aktuelle unternehmerische Veränderungsprozesse integriert sind, um den Tendenzen der Ausschließung und Ausgrenzung von Frauen zu begegnen.“ (Kirsch-Auwärter nach Kirschbaum 2003, 17)
Mentoringprogramme für Frauen werden demnach aus der Perspektive von Unternehmen und Organisationen als übliche Personalentwicklungsmaßnahme für eine spezifische Zielgruppe begriffen, in der für das Unternehmen wichtige Qualifikationen erworben und Potenziale erkannt werden. Sie werden zugleich aus der Perspektive der Gleichstellungspolitik als ein (subtiles) Instrument zur ‚Dekonstruktion’ etablierter Geschlechterhierarchien interpretiert. Diese Vieldeutigkeit von Mentoringprogrammen könnte neben den oben skizzierten gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen eine weitere Erklärung für ihren ‚Boom’ sein. So bieten sie sowohl auf institutioneller Ebene für die anbietenden Unternehmen, Hochschulen und Organisationen als auch auf der Ebene der sozialen Praxis für die Teilnehmer/innen ein großes Potenzial an Gestaltungsfreiheit,
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Mentoring als Instrument der Karriereförderung für Frauen
worin ein weiteres Kriterium für die Attraktivität dieser Maßnahme begründet liegen kann. 2.2 Theoretische Betrachtung einer neuen gleichstellungspolitischen Maßnahme: Mentoring in der Personalentwicklung
Mentoringprogramme werden in der Regel in Form von Flyern, Plakaten oder Websites in Unternehmen und Organisationen veröffentlicht und zum Zwecke der Werbung um Teilnehmer/innen ausgeschrieben. In diesen Ausschreibungen werden Informationen über Anliegen, Ziele, Programmverlauf, Voraussetzungen der Teilnehmer/innen usw. gegeben, die den interessierten Teilnehmer/innen als politisch und pädagogisch geprägte Deutungsangebote für die Praxis von Mentoring zur Verfügung stehen. Es ist davon auszugehen, dass sie damit (implizit oder explizit) auch Hinweise auf institutionelle und politische Interessen enthalten, die mit dieser Maßnahme verbunden werden. Ob und in wiefern sich die für Mentoringprogramme typische Interessensverbindung zwischen Gleichstellungspolitik und Personalentwicklung in diesen konzeptionellen Ausschreibungen von Mentoringprogrammen wieder finden lässt, wird im Folgenden am Beispiel von Zielvorstellungen eines an dieser Studie beteiligten Mentoringprogramms untersucht.
2.2.1 Mentoringprogrammatik. Eine Annäherung Die folgende Auflistung stammt aus einem Flyer des Mentoringprogramms vom Frauen- und Gleichstellungsbüro der Universitätsmedizin der an dieser Studie beteiligten Hochschule. Anhand der dort aufgeführten „Ziele und Nutzen“ für die Teilnehmer/innen sollen im Folgenden dem Programm innewohnende (personalund gleichstellungs-) politische Interessen rekonstruiert werden: „Systematische individuelle Nachwuchsförderung zur Verbesserung der Chancengleichheit (Perspektivengenerierung, Karriereplanung, Entwicklung konkreter Handlungsschritte, Motivation zur wissenschaftlichen Karriere) Zielgerichtete Personalentwicklung für Frauen im Wissenschaftsbetrieb durch Training und Coaching Auf- und Ausbau beruflicher Netzwerke Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen Sichtbar-Machen der Leistungspotentiale von Frauen
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Strukturentwicklung im Sinne des Gender Mainstreaming zur Verbesserung von Aufstiegschancen für Frauen“37
Die in der Programmbeschreibung verwendeten Begriffe wie „Zielgerichtete Personalentwicklung“, „Nachwuchsförderung“, „Training“ und „Coaching“ zeigen deutlich Bezüge zum Personalmanagement auf und weisen auf eine Logik von individueller Förderung hin, die sich auch in folgender Definition zur Personalentwicklung wieder finden lässt: „Personalentwicklung hat die Aufgabe, die gegenwärtig und künftig erforderlichen Qualifikationen der Mitarbeiter, insbesondere der Fach- und Führungskräfte, je nach Aufgabenprofil zu vermitteln und langfristig sicherzustellen. Dabei gilt es […], durch Qualifizierungsmaßnahmen die Laufbahn und Karriere vorhandener Mitarbeiter so zu gestalten, dass sie Schritt für Schritt die ihnen zugedachten und zugetrauten Positionen ausfüllen können“ (Berger 2004, 87).
Es gibt zwar durchaus auch andere betriebswirtschaftliche Perspektiven auf Personalentwicklung, die deutlicher Vorteile und Nutzen von beruflicher Qualifikation aus der Perspektive der Arbeitnehmer/innen formulieren oder Personalentwicklung zwischen individueller und betrieblicher Verantwortung verorten (vgl. z.B. Becker 2002), aber es ist doch allen Ansätzen von Personalentwicklung gemein, dass das Kriterium der ökonomischen Rentabilität für das Unternehmen bzw. die Organisation eine grundlegende Bedingung der Förderung darstellt. Es geht darum, dass Arbeitnehmer/innen mittels Qualifizierung entsprechende Kompetenzen zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens erlernen bzw. erwerben sollen. Notwendige und sinnvolle Qualifikationen werden seitens des Unternehmens zum Zwecke der Bewältigung von betrieblichen bzw. organisationalen Anforderungen definiert (vgl. Knowles 2007, 149). Neben dieser ökonomisch-funktionalistischen Perspektive einer angestrebten beruflichen Qualifikation von Arbeitnehmerinnen kommt in der Beschreibung des Mentoringprogramms weiterhin zum Ausdruck, dass darin eine gleichstellungspolitische Idee enthalten ist: es geht beim Mentoring um die berufliche Förderung und Qualifikation von Frauen. Dies zeigt sich schon auf sprachlicher Ebene, indem in vier der sechs angestrebten Ziele Frauen als Referenzgruppe genannt werden. Der Ansatz dieser Frauenförderung enthält somit Elemente ‚klassischer’ betrieblicher Frauenförderung, die wie das folgende Zitat zeigt, eine positive Diskriminierung von Frauen unterstützt und fordert: „Betriebliche Frauenförderung ist in ihrer klassischen Form einer nach Geschlecht differenzierenden Personalpolitik zuzuordnen (vgl. Krell 1998). Der inhaltliche Fokus liegt nach dem Prinzip der ‚positiven Diskriminierung’ (vgl. Jansen 1994) auf der Vereinbarkeit von Familie und 37
Diese Auflistung ist dem Flyer eines an dieser Studie beteiligten Mentoringprogramms entnommen. Es handelt sich dabei um das interne Mentoringprogramm für Frauen, das an der Medizinischen Fakultät der Hochschule angeboten wird (vgl. Kap. 4.2)
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Mentoring als Instrument der Karriereförderung für Frauen Beruf bzw. beruflicher Karriere durch entsprechende Regelungen, Maßnahmen und Projekte für Frauen. […] Betriebliche Frauenförderung fordert die Umverteilung bestehender geschlechtsspezifischer Machtverhältnisse.“ (Kirschbaum 2003, 15)
Klassische betriebliche Frauenförderung fördert Frauen demnach durch politisch-kompensatorische Angebote in ihren beruflichen Laufbahnen mit an ihren Bedürfnissen ausgerichteten Maßnahmen und dem Ziel der Veränderung gesellschaftlicher Geschlechterverhältnisse. Mentoringprogramme für Frauen entsprechen diesem Ansatz insofern, als aus Gründen struktureller Benachteiligung ein explizites Angebot für Frauen zur individuellen Förderung ihrer Karrierechancen gemacht wird. Die Akteursperspektive ist im Rahmen dieses Ansatzes auf Frauen gerichtet. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, erforderliche Qualifikationen zu erlernen oder entsprechende Maßnahmen nutzen zu können. Andererseits deuten die verwendeten Formulierungen in der Programmbeschreibung des ausgewählten Mentoringprogramms auf einen anderen und ‚neueren’ gleichstellungspolitischen Frauenförderansatz hin, dessen Bezugspunkt die Organisation ist. Dies wird in Zielen wie das „Sichtbar-Machen der Leistungspotenziale von Frauen“ zum Ausdruck gebracht und zeigt sich auch in der Formulierung „Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen“ sowie in der „Strukturentwicklung […] zur Verbesserung der Aufstiegschancen von Frauen“. Hier wird die Organisation zur handelnden Einheit. Frauen sollen als Profitierende aus Organisationsmechanismen hervorgehen. Die gleichstellungspolitischen Ziele des Mentoringprogramms sind in diesem Fall an die Organisation adressiert und beinhalten strukturelle bzw. organisationale Veränderungs- oder Lernprozesse, die Frauen bessere berufliche Chancen ermöglichen sollen. Diese Perspektive hängt zusammen mit einer programmatischen Ausrichtung vieler neuer Mentoringprogramme, die in einer der Ziele auch explizit genannt wird: der politischadministrative Ansatz des Gender Mainstreaming. Im Rahmen dieses Konzepts wird Gleichstellung und Frauenförderung in erster Linie als Aufgabe einer gesamten Organisation, und damit als politischer Auftrag an alle Beteiligten zum Erlernen eines geschlechtersensibilisierten Blicks angesehen: „Gender Mainstreaming besteht in der (Re-)Organisation, Verbesserung, Entwicklung, und Evaluierung der Entscheidungsprozesse, mit dem Ziel, dass die an der politischen Gestaltung beteiligten Akteurinnen und Akteure den Blickwinkel der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und auf allen Ebenen einnehmen“. (Europarat 1998, 15 Herv. MKB.,vgl. auch Kap. 2.2.2)
Diese beispielhaft am Flyer-Ausschnitt interpretierten Interessenlagen zeigen demnach, dass Mentoringprogramme so konzipierbar sind, dass sie Anknüpfungspunkte für das Verfolgen unterschiedlicher politischer Ziele bieten. So lässt sich in der Zieldefinition des Mentoringprogramms als Ausdruck eines politisch-
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kompensatorischen Frauenförderansatzes die politische Idee erkennen, einzelne Frauen in ihren Bedürfnissen zur beruflichen Verwirklichung zu unterstützen. Weiterhin ist ein politisch-administrativer Ansatz von Gender Mainstreaming in Form einer Perspektive auf die Organisation und die Veränderung ihrer Integrations- und Ausschlussmechanismen festzustellen. Ferner lässt sich ein ökonomisch-individualistischer Ansatz von Personalentwicklung in dem Ziel erkennen, den Erwerb von aufstiegsrelevanten Qualifikationen zu fördern. Es ist davon auszugehen, dass dieser Interessensverbindung auf einer konzeptionellen Ebene von Mentoringprogrammen eine Annäherung verschiedener Perspektiven und Orientierungen vorausgegangen ist, die dazu geführt hat, dass mithilfe eines Personalentwicklungsinstruments (auch) gleichstellungspolitische Ziele verfolgt werden. Dazu werden im Folgenden anhand von drei selbst rekonstruierten Entwicklungslinien in der Gleichstellungspolitik Annahmen entwickelt, inwiefern bestimmte Perspektivwechsel in der Gleichstellungspolitik als Voraussetzung dafür gelten können, Mentoring als ein ursprüngliches Instrument der Personalentwicklung für gleichstellungspolitische Interessen nutzen zu können. Da diese Arbeit von einem geschlechtertheoretischen Forschungsinteresse geleitet wird, werden die rekonstruierten Anknüpfungspunkte und Schnittstellen zwischen Personalpolitik und Gleichstellungspolitik zugleich aus dieser Perspektive diskutiert und hinsichtlich ihrer Bedeutung für (zukünftige) Gleichstellungspolitik reflektiert.
2.2.2 Neue Perspektiven in der beruflichen Frauenförderung Seit Anfang der 90er Jahre sind sowohl in der Privatwirtschaft als auch in Hochschulen Veränderungen in der beruflichen Frauenförderung zu beobachten, die sich bereits in der Verschiebung von Förderschwerpunkten von Gleichstellungspolitik gezeigt haben (vgl. Kap. 2.1.4). Es wird von den Leitlinien der Frauenförderung der 80er Jahre Abstand genommen und es werden neue Orientierungen entwickelt. Diese Perspektivwechsel und Neuorientierungen stellen die Voraussetzung für die erhöhte Anschlussfähigkeit zwischen personalwirtschaftlichen und gleichstellungspolitischen Interessen dar, die in gemeinsam gestalteten oder geförderten Maßnahmen und Instrumenten wie Mentoring zum Ausdruck kommt. Drei Perspektivwechsel in der beruflichen Frauenförderung, die diese Annäherung begründet haben, werden im Folgenden dargestellt sowie aus einer geschlechtertheoretischen Perspektive mit Konsequenzen für die politische Gleichstellungsarbeit kritisch diskutiert.
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Mentoring als Instrument der Karriereförderung für Frauen
Frauen als potenzielle Führungskräfte Hinsichtlich der Zielgruppe von Frauenförderung bzw. Gleichstellungspolitik sind zwei Veränderungen bzw. Verschiebungen zu beobachten. Zum einen zeigt sich in Unternehmen und Organisationen seit Mitte der 90er Jahre ein erweitertes Angebot im Bereich Frauenförderung in Form von Nachwuchsförderung weiblicher Führungskräfte (vgl. Wulf 2005; Kirschbaum 2003). In den Unternehmen geht damit eine erweiterte Definition von Frauen als ‚Humankapital’ einher: lagen zwar auch bei früheren Maßnahmen zur besseren Vereinbarung von Familienarbeit und Berufstätigkeit ökonomische Gründe für eine bessere Bindung der Frauen an das Unternehmen und eine baldige Rückkehr weiblicher Fach- und Arbeitskräfte nach einer Urlaubs- oder Familienphase zugrunde, so gelangen (besonders hochqualifizierte) Frauen seit Anfang der 90er Jahre im Kontext eines prognostizierten Führungskräftemangels zunehmend als potenzielle Führungskräfte in die Aufmerksamkeit von Unternehmen. Um ihren Anteil zu erhöhen bzw. um auf sie als ‚Ressource’ zu(rück)greifen zu können, werden seitdem verstärkt Maßnahmen zur Vorbereitung und Qualifikation als Führungskraft (auch) für Frauen eingerichtet. Mentoring kann als eine dieser Maßnahmen angesehen werden, die besonders häufig in diesem Kontext angeboten wird. Diese Verschiebung in der Schwerpunktsetzung von Frauenförderung wird von einigen Frauen- und Geschlechterforscher/innen und Frauenförder/innen befürwortet (u.a. Meuser 2004; Krell 2004; Blome et al. 2005; Kirsch-Auwärter 1999), wenn auch durch andere Motive geleitet. Sie seen darin eine Möglichkeit, strukturelle Geschlechterverhältnisse auf Führungsebenen zu verändern und der langsam ansteigenden Tendenz von Frauen in Führungspositionen und auf Professuren Nachdruck zu verleihen sowie auf individueller Ebene Frauen bei der Umsetzung ihrer Karrierepläne zu unterstützen. Weiterhin kongruiert die neue Schwerpunktsetzung in ihren Augen mit der aus der sozialkonstruktivistischen Frauen- und Geschlechterforschung formulierten Kritik, dass durch die sich hauptsächlich an Frauen richtende und nahezu ausschließlich die verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützende Frauenförderung die Reproduktion tradierter geschlechtsspezifischer Zuschreibungen erhöht würde. Der stärkeren beruflichen Förderung von Frauen kann im Kontext dieser Kritik zwar auch der Vorwurf gemacht werden, damit zu suggerieren, Frauen seien defizitär qualifiziert und hätten einen erhöhten Bedarf der Förderung, um als Führungskraft tätig zu werden. Zugleich symbolisieren diese Angebote aber auch den Bedarf und das Interesse an mehr potenziellen weiblichen Führungskräften und können in Form einer positiven Verstärkung die Berufs- und Karrierepläne von aufstiegsinteressierten Frauen unterstützen.
Mentoring in der Personalentwicklung
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Die Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit sowie zur Flexibilisierung der Arbeitszeit wurden im Zuge dieser neuen Schwerpunktentwicklung nicht eingestellt, sie stellen seitdem aber nur noch einen Schwerpunkt der Gleichstellungspolitik dar und richten sich zudem nicht mehr ausschließlich an Frauen. Dies geht einher mit einem zweiten Perspektivwechsel von Frauenförderung bzw. Gleichstellungspolitik, der seit Mitte der 90er Jahre zu beobachten ist: die Erweiterung der Zielgruppe von Frauenförderung bzw. Gleichstellungspolitik, d.h. die Vergrößerung der Personengruppe, an die sich die Angebote richten und die in die Mitarbeit zur Veränderung von Geschlechterverhältnissen integriert sind. Diese Entwicklung soll kurz rekonstruiert werden. Die in den 80er Jahren aus der Frauenbewegung heraus entstandene staatlich geförderte institutionalisierte Frauenförderpraxis richtete ihr Augenmerk wie oben bereits beschrieben zunächst auf Frauen und deren Unterstützungsbedarfe: „Es ging in dieser ersten Phase38 vor allem darum, eine Interessenpolitik für Frauen zu machen und zum Abbau der Probleme beizutragen, mit denen sie alltäglich zu kämpfen haben. Frauenförderpläne und Sonderprogramme für Frauen, Qualifizierungsoffensiven und Stipendienprogramme, Vereinbarkeitsmaßnahmen und Fonds für die Frauenforschung wurden eingerichtet; und mit dem Frauenministerien, den Frauenbüros und Frauenbeauftragten entstand eine Infrastruktur der Frauen- und späteren Gleichstellungspolitik, die noch heute unverzichtbar ist“ (Wetterer 2005, 54).39
Die Formulierung Wetterers weist bereits auf einen Perspektivenwechsel hin, der mit der Fokussierung der Förderung auf Frauen in Zusammenhang steht. Von der politisch-kompensatorischen Handlungslogik staatlicher Frauenförderung wurde Anfang der 90er Jahre sukzessiv Abstand genommen, als von der Frauen- und Geschlechterforschung Kritik an einer ausschließlichen Frauenförderung geübt wurde. Es wurde argumentiert, dass durch Qualifizierungsangebote für Frauen das Defizitmodell von Frauen verfestigt werde, anstatt das für die Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt verursachende Geschlechterverhältnis in den Blick genommen würde (vgl. Wetterer 2005, 54). Seitdem wurde und wird bis heute in der Gleichstellungspolitik darüber nachgedacht, ob und in welcher Form eine Förderung (auch, aber nicht ausschließlich) für Frauen stattfinden kann, ohne 38 Diese zeitliche Einordnung beruht auf einer Einteilung der Neuen Frauenbewegung in Phasen, von denen die 80er Jahre üblicherweise als „Phase der Differenzierung, Professionalisierung und institutionellen Integration“ (Lenz 2001, 206) bezeichnet wird. 39 Weckt das Zitat zwar den Eindruck, dass eine kompensatorische Form der Frauenförderung der Vergangenheit angehört, entspricht dies nicht ganz der Situation gegenwärtiger Frauenförderung. Auch wenn die Frauenförderpolitik der 80er Jahre in den 90er Jahren zunehmend durch eine Gleichstellungspolitik mit einer anderen Schwerpunktsetzung (s.u.) abgelöst wurde, so gibt es nach wie vor Projekte und Angebote für Frauen im staatlichen und privatwirtschaftlichen Bereich im Sinne einer ‚positiven Diskriminierung’ mit dem Ziel der Veränderung herrschender Geschlechterverhältnisse.
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dass sich diese kontraproduktiven Wirkungen automatisch einstellen. Seitdem lassen sich Versuche beobachten, in Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familienarbeit und Berufstätigkeit stärker Männer bzw. männliche Arbeitnehmer zu integrieren (z.B. durch Väterseminare, Beratung für Eltern im Betrieb) und damit die Frauenförderung durch eine Familienförderung zu flankieren. Genauso werden seitdem Maßnahmen zur Sensibilisierung für Geschlechterverhältnisse und geschlechterstereotypes Verhalten für beide Geschlechter sowie Führungskräfte angeboten, wie z.B. Gender-Trainings (vgl. Karberg/Krell 2004, 33; vgl. hierzu auch Kap. 2.1.4). Maßnahmen wie Mentoring stellen dabei eine Verbindung dieser beiden Perspektiverweiterungen dar. Die meisten Mentoringprogramme werden von Unternehmen als Fördermaßnahme zur Erhöhung des Anteils weiblicher Führungskräfte angeboten (und entsprechend für hochqualifizierte Frauen konzipiert) und in vielen Programmen (und in zunehmendem Maße) sind männliche Mentoren Teilnehmer des Programms. Dieser Beteiligung von Mentoren wird je nach Perspektive auf das Programm eine spezifische Bedeutung zugewiesen. Aus Perspektive der Personalentwicklung wird die Teilnahme der Mentoren als (informelle) Schulung für das Führen von Mitarbeiter/innengesprächen betrachtet sowie als Schulung zur erhöhten Aufmerksamkeit für potenzielle weibliche Personalressourcen. Aus gleichstellungspolitischer Perspektive wird damit die Hoffnung verbunden, dass bei Mentoren Lernprozesse angeregt werden, die zum Abbau von „negativen Vorurteilen“ (Bourdieu 1997a, 170) gegenüber Arbeitnehmerinnen führen sowie zu einer stärkeren Verantwortungsübernahme durch Entscheidungsträger für zu verändernde Geschlechterverhältnisse in Organisationen beitragen. In diesen beiden Punkten – der Erweiterung und Veränderung des Angebots an Maßnahmen auf Basis einer neuen Definition von Frauen als Arbeitnehmerinnen sowie der Integration von Männern – treffen somit unterschiedlich motivierte Interessen aus der Personalwirtschaft und der Gleichstellungspolitik zusammen, die eine neue Richtung der Gleichstellungspolitik im Kontext von Personalentwicklung (mit-)begründen. Dieses erweiterte Verständnis von Frauen als Führungskräfte und die Betrachtung von Geschlechterverhältnissen geschieht vor dem Hintergrund einer gesellschaftspolitischen Entwicklung Mitte der 90er Jahre, die betriebswirtschaftlich und gleichstellungspolitisch Geschlecht neu definiert und in Maßnahmen und Unternehmenskulturkonzepten neu konzeptionalisiert. Auch dabei sind Anknüpfungspunkte zu rekonstruieren, die eine betriebswirtschaftliche Logik an eine gleichstellungspolitische anschlussfähig machen und umgekehrt, wie sich im Folgenden zeigen wird.
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Geschlecht als Ressource Seit etwa Mitte bis Ende der 90er Jahre kann gleichstellungspolitisch ein Interesse daran festgestellt werden, Frauen aus ihrem Opfer- und Defizitstatus zu befreien, während zugleich betriebswirtschaftlich ein Interesse an einem neuen aus den USA importierten Unternehmenskulturkonzept zu verzeichnen ist, in dem Geschlecht nicht mehr als Ungleichheitsmerkmal, sondern als Ressource definiert wird. Auf unternehmerischer Seite hängt diese Entwicklung mit dem bereits erwähnten prognostizierten Führungskräftemangel Anfang der 90er Jahre im Kontext des demographischen Wandels unserer Gesellschaft zusammen (siehe oben). Deutsche Unternehmen orientieren sich im Zuge dieser gesellschaftlichen Situation zunehmend an dem in den USA sich erfolgreich etablierenden Unternehmenskulturkonzept des Diversity Managements. Damit einher geht eine Integration der Förderung von Frauen in die Logik von Organisationsentwicklung und allgemeiner Personalentwicklung. In diesem Konzept wird Geschlecht wie auch andere Ungleichheitsmerkmale wie Alter, Herkunft oder ethnische Zugehörigkeit als ein Unterscheidungskriterium zwischen Menschen angesehen, das aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive als Ressource erscheint. Die Förderung von Frauen findet damit nicht mehr in ihrem herkömmlichen Sinne zur Bekämpfung eines Ungleichheitsverhältnisses zwischen Männern und Frauen statt. Frau-Sein stellt vielmehr ein Kriterium dar, durch das sich Individuen von anderen unterscheiden und sich in der Annahme, dass Diversität zu Produktivität führt, positiv abheben können sowie davon ausgegangen wird, dass das FrauSein auch zugunsten anderer Unterscheidungskriterien in den Hintergrund treten und irrelevant werden kann. Dieses Managementkonzept soll kurz vorgestellt werden Exkurs: Diversity Management Diversity Management ist ein Unternehmenskulturkonzept, dem die Annahme zugrunde liegt, dass mit der aktiven Förderung von Diversität der Beschäftigten der ökonomische Erfolg eines Unternehmens steigt (vgl. Krell 2004, 41ff). Es schließt damit an ökonomische Interessen und Logiken profitorientierter Unternehmen an. Der Ansatz Managing Diversity zielt auf einen Wandel der Organisationskultur: Die Dominanz einer einzigen Gruppe in einem Unternehmen, z.B.: ‚150%ig’ arbeitende, sich im mittleren Alter befindliche, verheiratete, weiße Männer, die die Organisationskultur prägt und der sich andere Gruppen von Arbeitnehmer/innen anzupassen und unterzuordnen haben, soll durch die „multikulturelle Organisation“ (Krell 2004, 44) ersetzt werden, in der die Kraft bzw. Energie aller Beschäftigten „entfesselt“
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werde (ebd.). Die multikulturelle Organisationskultur zeichne sich durch die Förderung und Wertschätzung von Vielfalt und Pluralismus aus, durch die vollständige strukturelle Integration aller Mitarbeiter/innen auch in informelle Netzwerke, durch vorurteils- und diskriminierungsfreie personalkritische Verfahren und Praktiken aus und minimiere Intergruppenkonflikte durch ein pro-aktives Diversity-Management. Geschlecht wird als ein gleichwertiges Differenzkriterium neben anderen wie Alter, Ethnizität, Religion, Behinderung, sexuelle Orientierung, familiäre bzw. Lebenssituation, Ausbildung, Werte usw. konstruiert, das Personen miteinander verbindet oder voneinander unterscheidet. Vielfalt wird so als Unterschiede und Gemeinsamkeiten verstanden. Personen mit gleichen Gruppenmerkmalen (z.B. junge türkische Arbeiter) können sich hinsichtlich ihres Bildungsstands oder ihrer familiären Situation unterscheiden, ebenso wie sich in ähnlicher Lebenssituation befindliche Personen hinsichtlich ihres Geschlechts oder Alters unterscheiden (vgl. Krell 2004, 42). Mit Bezug auf vorangegangene betriebliche Frauenförderung wird von Befürworter/innen dieses Konzepts sowohl aus betriebswirtschaftlicher als auch aus gleichstellungspolitischer Perspektive eine Überlegenheit behauptet, da darin nicht mehr nur Frauen zu potentiell Diskriminierten und Opfern von Ungleichheitsverhältnissen erklärt würden. Damit wird allerdings auch in Kauf genommen, dass Gleichstellungspolitik ihre Grundlage in Form einer politischen Zielund Bezugsgruppe entzogen und Frauen ihr Status als (diskriminierte) Gruppe abgesprochen wird; Frauen können damit in diesem Konzept zugespitzt ausgedrückt – wie alle anderen zuvor politisch als diskriminiert Geltenden - in ihren jeweiligen Lebenslagen als individualisiert angesehen werden. Positiv wird weiterhin von betriebswirtschaftlichen als auch gleichstellungspolitischen Befürworter/innen hervorgehoben, dass beim Diversity Management nicht mehr stereotyp zwischen Männern und Frauen unterschieden werde, sondern die Unterschiede innerhalb der Gruppen von Frauen und Männern gesehen und betont würden. Dieser Sichtweise wird jedoch von sozialkonstruktivistischen Frauen- und Geschlechterforscher/innen entschieden entgegengehalten, dass das Konzept geradezu auf der Annahme von Geschlechterdifferenz basiere: Frauen sollen in das Unternehmen eine neue Sichtweise, ein anderes Verhalten und mehr Emotionen einbringen; sie müssten ihr „Anderssein“ (Nohr 2002, 52) nicht mehr verstecken, es werde gesucht, weil es eine spezielle Erfahrungswelt und einen eigenen Blickwinkel integriere. Geschlechtsspezifische Zuschreibungen würden auf diese Weise verfestigt, statt aufgebrochen. Schließlich wird von Befürworter/innen von Managing Diversity angeführt, dass der Entwicklungsbedarf nicht mehr nur bei Frauen gesehen werde, sondern in der gesamten Organisation, speziell in der
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betrieblichen Personalpolitik und auf der Ebene der Führungskräfte. Es handele sich somit um ein integratives Konzept, da Chancengleichheit (nicht nur) der Geschlechter zum Teil-Ziel und zur Querschnittsaufgabe erklärt werde und alle Aktivitäten, nicht nur der Personalpolitik, unter dem Blickwinkel ihrer Auswirkungen auf Geschlechtergerechtigkeit betrachtet, bewertet und gestaltet würden. (vgl. Krell 2004, 16). Diese Integration von Gleichstellungspolitik wird politisch damit begründet, dass in dem Humanressourcen-Ansatz aus der Perspektive der Befürworter/innen einer integrativen Frauenförderung ein für die eigenen Interessen zu instrumentalisierendes Anreizmodell für die Wirtschaft gesehen wird, sich verstärkt um Chancengleichheit zu bemühen: „Soll […] Frauenförderung nicht nur „Mutter-Kind-Programm“ sein,40 muss Chancengleichheitspolitik zum integrierten Bestandteil einer Managementpolitik der kontinuierlichen Qualitätsverbesserung werden“ (Krell 2004, 6).41
Damit wird die Hoffnung verbunden, die Gleichstellungspolitik aus ihrer marginalen Stellung heraus in eine zentrale Position innerhalb von Organisationen und Institutionen hinein bringen zu können, wie in der diskursanalytischen Arbeit Webers festgestellt wird: „Bei diesen Bemühungen geht es darum, einen strategischen Positionswechsel von einer marginalen bzw. marginalisierten Position zu einer hegemonialen Position in der öffentlichen Rede vorzunehmen. Die Akteur/innen der Frauenförderung bemühen sich einerseits um Akzeptanzsteigerung ihres Themas durch strategische Positionierung. Andererseits wollen sie kritische und verändernde Inhalte in eine hegemoniale Rede integrieren“ (Weber 1998, 16).
Meuser (2004) als ein Vertreter der Geschlechterforschung sieht in dem Managing Diversity Konzept die (theoretisch diskutierte) Verknüpfung von geschlechtlichen Ungleichheiten mit anderen sozialstrukturell bedingten Ungleichheitslagen praktisch berücksichtigt. Er betont, dass geschlechtliche Benachteiligung nur eine Ungleichheitserfahrung neben anderen und für viele Frauen in ihrem alltäglichen Leben oftmals nicht die zentrale sei. In Bezug auf das „dekonstruktivistische“ Potenzial von Geschlechterpolitik formuliert er deshalb die Lesart:
40 Hier wird sich von einer Frauenförderpolitik abgegrenzt, wie sie als typisch für die 80er Jahre gilt. Die Frauenförderung sah sich dieser Zeit „in erster Linie als soziale Aufgabe und Instrument zur Abfederung frauenspezifischer Defizite mit Hilfe betrieblicher Sonderprogramme zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ (Krell 2004, 5). 41 Kritisch zu dieser optimistischen Perspektive auf Gender Mainstreaming wurde bereits Wetterer (2005) zitiert.
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Mentoring als Instrument der Karriereförderung für Frauen „Möglicherweise führt gerade ein unpolitisches Verständnis von Managing Diversity in der Praxis dazu, dass tradierte bipolare Denkgewohnheiten und Deutungsmuster aufbrechen und Männer und Frauen nicht als zwei gleichsam monolithische Blöcke wahrgenommen werden – freilich um den Preis, dass Geschlecht (wie auch Ethnizität und andere soziale Lagen) nicht mehr als eine Dimension sozialer Ungleichheit gesehen wird. Das Resultat wäre eine um den kritischen Anspruch der Theorie verkürzte dekonstruktivistische Praxis“ (Meuser 2004, 332).
Die Integration einer Frauenförderlogik in diese ‚verkürzte’ postmoderne Logik von Personalmanagement und Organisationsentwicklung markiert einen Strategiewechsel betrieblicher Frauenförderung seit Beginn der Jahrtausendwende: Die politisch-kompensatorische der ersten Frauenförderung sowie die politischstrukturelle Problemdefinition und Lösungsstrategie des Gender Mainstreaming Ansatzes wird um eine als ökonomisch-individualisierende konzeptionalisierbare Handlungslogik erweitert. Damit ist gemeint, dass mit ihr die Optimierung von Organisationsstrukturen mit dem Ziel der profitablen Unternehmensentwicklung ins Zentrum des Interesses von betrieblicher Frauenförderung rückt. Gleichstellungspolitik unterstützt mit einer Integration in das Unternehmenskulturkonzept Diversity Management damit auch eine vorrangig durch Profitorientierung definierte Personalentwicklung mit dem Ziel einer Dekonstruktion der strukturierenden Wirkung durch ein binäres Geschlechtersystem. Eine solche Entwicklung und Sichtweise auf Frauenförderung wird von anderen Wissenschaftler/innen scharf kritisiert. So äußert beispielsweise Bereswill (2004, 54) die geschlechtertheoretische und gleichstellungspolitische Kritik, dass ein solches Verständnis eines unternehmerischen Umgangs mit sozialer Ungleichheit vollkommen neutralisiere, dass Geschlechter- und Generationenverhältnisse und Beziehungen zwischen ethnischen Gruppen hierarchisch organisierte, gesellschaftliche Strukturzusammenhänge sind, die sich sehr träge gegenüber Veränderungen verhalten. Die augenscheinliche Neutralisierung von Hierarchien, Machtfragen und Machtkonflikten erwecke zudem den Eindruck, als hätten Gleichstellungsfragen für Männer und Frauen das gleiche Gewicht, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Aus den Darstellungen sei jede Kritik an herrschaftlichen Geschlechterverhältnissen gewichen und Bereswill kommt deshalb zu dem Ergebnis: „Der Weg zur Gleichstellung scheint nicht länger umwegig, ungleichzeitig und durch gegenläufige Interessenkonflikte geprägt. Hier steht vielmehr das Bild der fortschreitenden Individualisierung beider Geschlechter Pate. Die unbequeme Analyse, dass diese Individualisierung für Frauen wie Männer höchst unterschiedlich und widersprüchlich verläuft, scheint suspendiert“ (Bereswill 2004, 54).
Diese theoretisch begründete Kritik ist plausibel, aber sie kann noch nicht durch empirische Untersuchungen gestützt werden. Wie die Praxis neuerer Konzepte von Gleichstellungspolitik konkret gestaltet ist, wurde noch nicht umfassend
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erforscht. Erst auf solcher Basis kann aber letztlich beurteilt werden, inwiefern gegenwärtige Gleichstellungspolitik und auf welchen Ebenen zur Reproduktion, Modifikation, Irritation oder zu anderen Effekten für bestehende Geschlechterverhältnisse führen kann. Diesem Forschungsdesiderat schließt sich die eigene Studie an. Das unternehmerische Interesse, Gleichstellungspolitik in ein neues Konzept von Personalmanagement zu integrieren und das gleichstellungspolitische Interesse, Personalmanagementkonzepte für eigene Strategien zu nutzen, geht unter anderem einher mit einem auf europäischer Ebene politisch angeregten Perspektivwechsel, der Gleichstellungspolitik und Organisationspolitik bzw. Unternehmenspolitik in ein neues Verhältnis setzt. Dies markiert die dritte Schnittstelle, an der sich gleichstellungspolitische und unternehmerische bzw. organisationale Interessen – wenn auch unterschiedlich motiviert - miteinander verbinden.
Gleichstellung als Strukturpolitik Anfang der 90er Jahre verändert sich die Frauenförderung zur Gleichstellungspolitik, die sich dem Motto „Gleichstellung ist Strukturpolitik“ (Roloff 1998) verpflichtet schien. Zunehmend wird die Perspektive nicht mehr (nur) auf die Frauen gerichtet, sondern auf Organisationen und ihre Geschlechterhierarchien: „Das wissenschaftliche Wissen um die sozialen Mechanismen der Herstellung und Institutionalisierung geschlechtlicher Differenzierungen und Hierarchien lieferte gleichsam den Bauplan, den die AkteurInnen der Gleichstellungspolitik nutzen konnten, um zu bestimmen, wo ihre Veränderungsstrategien anzusetzen hätten: Nicht (nur) bei den Frauen, sondern bei den Organisationsstrukturen und der Organisationskultur, bei den Verfahren der Statusdistribution und der Anerkennung von Qualifikation, bei den Schließungsprozessen, die die Weichen stellen für den Zugang zu Positionen und Ressourcen, zu Status, Prestige und Einfluss“ (Wetterer 2005, 55).
Diese politisch-strukturelle Handlungslogik der Gleichstellungspolitik der 90er Jahre kongruiert in dieser Zeit mit der Perspektive des betrieblichen Managements vieler Unternehmen, da auf diesen nach den Betriebsfallstudien Rudolph/Grünings (1993,1994) neben quantitativen Nachwuchsproblemen ein hoher ökonomischer Innovationsdruck zu lasten scheint, der zu umfassenden organisatorischen Strukturveränderungen führt wie Technische Rationalisierung, motivations- und kreativitätsfördernde Modernisierung von Zeit-, Hierarchie-, Laufbahn- und Geschlechterstrukturen, Veränderung der Unternehmensphilosophie. Im Zuge dieser Strukturveränderung geraten auch Frauenförderung und Gleichstellungspolitik in ein anderes Licht. Rudolph/Grünings (1993) Studien
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zeigen, dass folgende Annahmen der Unternehmen ein gestiegenes Interesse an Frauenförderpolitik begründen: • „Innovative Organisationen benötigen neue Qualifikationen: Frauen erscheinen als Begabungsreserve. • Innovative Organisationen benötigen Teamarbeit, Flexibilität und flache Hierarchien: Frauen erscheinen als Integrationspotenzial. • Innovative Unternehmen sind auf variable Arbeitskräfte angewiesen: Frauen erscheinen als BündnispartnerInnen für flexible Arbeitszeitkonzepte“ (ebd., 232f). Die Autor/innen schließen daraus, dass der Wandel ökonomischer Rahmenbedingungen eine partielle Interessensüberschneidung zwischen Frauenförderung und innovativen Betrieben herstellt. Diese partielle Interessensüberschneidung bestehe darin, dass unter bestimmten Angebots- und Nachfragebedingungen des Erwerbsarbeitsmarktes Frauenförderung für die Betriebe rentabel sei. Allerdings zeigen ihre Studien hinsichtlich der Wirksamkeit und Grenzen betrieblicher Gleichstellungsmaßnahmen auch, dass Gleichstellungskonzepte selbst unter günstigen ökonomischen Rahmenbedingungen an den Macht- und Interessenskonstellationen in Unternehmen scheitern können. Genauso wie sie aufzeigen können, dass auch unter ökonomisch ungünstigen Bedingungen für die Entwicklung und Einführung solcher Maßnahmen durchaus Handlungs- und Gestaltungsspielräume in Organisationen bestehen (ebd.). Die von Seiten der Gleichstellungspolitik mit dem Perspektivenwechsel auf organisationale Praktiken einhergehende verstärkte Integration von Gleichstellungspolitik in institutionelle Praktiken und Logiken findet eine bestärkende Rahmung durch das auf europäischer Ebene im Amsterdamer Vertrag von 1997 verabschiedete Konzept des Gender Mainstreaming. Dieses stellt seit Ende der 90er Jahre das Leitkonzept der europäischen Gleichstellungspolitik dar. Damit werden weitere Anschlussmöglichkeiten der Gleichstellungspolitik an eine organisatorische Praxis bzw. an eine ökonomische Logik von Unternehmen geschaffen. Im Rahmen dieser „Strategie der Verwaltungsmodernisierung“ (Wetterer 2005, 8) wird die staatliche Gleichstellungspolitik zur Querschnittsaufgabe aller entscheidungsbefugten Mitarbeiter/innen in Organisationen und Verwaltungen erklärt, die, für Geschlechterungleichbehandlungen sensibilisiert, diesen entgegenwirken sollen.42 42 An dieser Stelle soll noch einmal betont werden, dass es sich hier um eine fokussierte, verkürzte Beschreibung der Entwicklung von Frauenförderung in Deutschland handelt. Sie dient der Hervorhebung einer bestimmten tendenziellen Entwicklung. Eine umfassendere Darstellung würde deutlich machen, dass diese Entwicklung diskontinuierlich und mit vielen Widersprüchen verlaufen ist.
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Gender Mainstreaming avanciert in den letzten Jahren zu einer wichtigen Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter. Auf EU-, Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene wird das Konzept derzeit zur Durchsetzung der ‚tatsächlichen’ Chancengleichheit von Frauen und Männern umgesetzt. Für viele Befürworter/innen ist das Motiv leitend: „Intendiert ist, Frauenpolitik den Sonderstatus zu nehmen und Geschlechterfragen aus der ‚Frauenecke’ bzw. aus dem Zuständigkeitsbereich von Frauenbeauftragten zu holen. Stattdessen soll die Reflexion des Geschlechterverhältnisses in alle politischen Entscheidungsprozesse integriert sein“ (Blome et al. 2005, 95). Es wird von einem „Paradigmenwechsel“ (Wetterer 2002b) in der Frauenförderung gesprochen, der allerdings nicht unumstritten ist. Bevor auf diese weitere Kritik eingegangen wird, sollen die Grundgedanken des Konzepts Gender Mainstreaming kurz vorgestellt werden. Exkurs: Gender Mainstreaming Ursprünglich in der Entwicklungshilfe und –zusammenarbeit entwickelt, wurde das Konzept Gender Mainstreaming von den Beteiligten der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking als neue Strategie aufgegriffen und bekräftigt. Gender Mainstreaming wurde als Forderung an Regierungen und Entscheidungsträger in allen Politikbereichen gestellt. Diese wurden aufgefordert nachzuprüfen, welche (potenziellen) Auswirkungen ihre Politik auf die Situation von Frauen und Männer hat und inwieweit die mit ihren Zielsetzungen verbundenen Maßnahmen die spezifischen Lebenssituationen von Frauen verbessern (vgl. Stiegler 1998). Mit In-Kraft-Treten des Amsterdamer Vertrages (EG-Vertrag) am 1.Mai 1999 wird das Konzept Gender Mainstreaming in rechtlich verbindlicher Form auf EU-Ebene festgeschrieben. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich zu einer aktiven Gleichstellungspolitik im Sinne des Gender Mainstreaming.43 ‚Traditionelle Frauenförderung’ existiert nach wie vor neben ‚neuerer Frauenförderung’, sie hat sich seit den 80er Jahren viel zu sehr institutionalisieren können, als dass sie von heute auf morgen abgeschafft werden könnte. Gegenwärtig kann wohl (noch) von einer parallelen Existenz klassischer und neuerer Frauenförderung ausgegangen werden, wobei sich Projekte der klassischen Frauenförderung zunehmend durch neue Orientierungen und Konzepte wie dem Gender Mainstreaming in ihrer Existenz bedroht fühlen (z.B. Frauenhausprojekte) und sich prinzipiell eine Tendenz zur DeInstitutionalisierung dieser Form von Förderung abzeichnet (vgl. hierzu Meuser 2004; Blome/Smykalla 2005). 43 Obwohl Gender Mainstreaming zu Beginn der Implementierung in Deutschland als Ergänzung zur bisherigen Gleichstellungspolitik propagiert wurde, finden im Prozess der Durchsetzung dieses Konzepts auch starke Abgrenzungen von der Praxis bisheriger ‚klassischer Frauenpolitik’ statt. Veröffentlichungen über Gender Mainstreaming pflegen zum Teil eine Darstellung von bisheriger Gleichstellungspolitik im Verhältnis zu Gender Mainstreaming, die mit einer Gegenüberstellung von „veraltet-verkürzt“ versus „aktuell-umfassend“ arbeitet (Blome/Smykalla 2005, 99). Als Beispiel
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Das Bundeskabinett erkennt mit Beschluss vom 23.06.1999 die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip der Bundesregierung an und bestimmt, diese Aufgabe mittels der Strategie des Gender Mainstreaming zu fördern. „Gender Mainstreaming besteht in der (Re-)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung der Entscheidungsprozesse, mit dem Ziel, dass die an der politischen Gestaltung beteiligten Akteur/innen und Akteure den Blickwinkel der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und auf allen Ebenen einnehmen“ (Europarat 1998, 15). Gender Mainstreaming ist ein Instrument zur Prüfung der Auswirkungen von Entscheidungen und Prozessen auf die Lebenssituation von Männern und Frauen. Angesiedelt im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) wird in Deutschland im Mai 2000 eine Arbeitsgruppe zur Steuerung und Förderung der Umsetzung von Gender Mainstreaming gegründet mit der Aufgabe, die langfristige Implementierung durch die Erstellung eines differenzierten Kriterienkatalogs voranzutreiben (vgl. Blome et al. 2005, 96). Gender Mainstreaming versteht sich als ein integrativer Prozess, d.h. Gleichstellung und Chancengleichheit gelten nicht als Spezialthemen, sondern sie sind systematischer Bestandteil von Arbeits- und Entscheidungsprozessen. Gender Mainstreaming wird darum auch als ‚Querschnittsaufgabe’ für alle an einer Entscheidung beteiligten Personen. Gender Mainstreaming ist als prozess- und ergebnisorientierte Strategie zu verstehen. Es werden sowohl strukturelle und organisationelle Veränderungen, die die Gleichstellung von Frauen und Männern ermöglichen als auch Qualitätsgewinne bei fachlichen Problemlösungen angestrebt, die die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Organisationen erhöhen. Geschlechterfragen müssen in allen politischen Entscheidungsprozessen thematisiert und transparent gemacht werden, um unhinterfragten androzentristischen Strukturen entgegen zu wirken (vgl. Blokann die oft gewählte Gegenüberstellung von Gender Mainstreaming und traditioneller Frauenpolitik vom BMFSFJ (2002, 30f) gelten. Auch viele Aufsätze mit dem Titel „Von der Frauenförderung zum Gender Mainstreaming“ (vgl. z.B. Cordes 2004, Wulf 2005) unterstützen die Lesart, dass es eine kontinuierliche qualitative Entwicklung von Frauenförderung gegeben habe mit dem Ergebnis, dass Gender Mainstreaming gegenwärtig die Frauenförderung ersetze. Diese Beschreibungen und Bezeichnungen suggerieren, dass Gleichstellungspolitik in Zeiten vor Gender Mainstreaming defizitär gewesen sei. Blome et al. (2005) warnen jedoch vor einer einseitigen Zuschreibung der Ursachen für ausbleibende Effekt ohne bislang systematisch „die Veränderungsresistenz bisheriger Organisationsstrukturen, die Gleichstellungsbemühungen bis heute unterwandern und verhindern“ (Blome et al. 2005, 100), untersucht und berücksichtigt zu haben. Sie vertreten wie andere Autoren (vgl. Meuser 2005, 45; Wiechmann/Kissler 1997, 22), dass es sich bei Gender Mainstreaming um eine ergänzende Maßnahme zu den bisherigen Frauenfördermaßnahmen handeln sollte, mit der weiterhin versucht wird, der Benachteiligung von Frauen entgegenzuwirken.
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me/Smykalla 2005, 97). Instrumente von Gender Mainstreaming lassen sich nach dem BMFSFJ (2002, 35) in drei Gruppen einteilen: analytische Instrumente wie z.B. geschlechterdifferenzierte Statistiken und Analysen, Checklisten, Gleichstellungsprüfungen; Bildungsinstrumente wie Schulungen und Gender-Trainings; Konsultationsinstrumente wie die Einrichtung von Lenkungs- und Steuerungsgruppen, Befragungen, Anhörungen etc. Es wird Gender Mainstreaming auf der einen Seite zwar zugesprochen, dass es die Strukturpolitik der 90er-Jahre-Gleichstellungspolitik fortsetze, indem es die Perspektive weiterhin auf Organisationen und ihren Umgang mit Geschlechterverhältnissen richte, es wird dem Konzept von Gegner/innen jedoch zugleich angelastet, dass das „Primat der Ökonomie“ vor das „Primat der gleichen Rechte“ (Schön zit. nach Nohr 2002, 52) gesetzt werde, indem eine Unterordnung der Gleichstellungspolitik unter eine ökonomische Logik erfolge: „Was unter anderen Voraussetzungen an und für sich gut sein könnte, weil vertiefend und weitend, wird hier immer noch in ein einseitiges Feld eingelassen, wird eine Integration ins Vorhandene, nun eindeutig aus einem bestimmten Interesse heraus von oben nach unten angeordnet. […] Das heißt, hier wird unter der Hand ein Effizienzkriterium bestimmend für das, was von der Gleichstellungspolitik übrig geblieben ist. Und dieses Kriterium ist nicht gleichzusetzen mit Emanzipation, sondern eher mit einer vertieften Vereinnahmung von dem, was Frauen erarbeitet, an Neuem in die Welt gebracht und politisch errungen haben. Die Subjekte, die von ihnen beanspruchte Macht, gehen unterwegs verloren. So wird Querschnittspolitik, Mainstreaming, Chancengleichheit, Kommunikation letztlich unter der Hand zu einer Minimierung der Operation selber. Mainstreaming wird weniger als mehr. Es wird aber eingeführt als ein Muster, das weiterführt. Alle diese Begriffe […] selektieren nämlich nur durch den Kontext, in dem sie stehen, und darüber verkleinern und verwässern sie die Aufgaben – anstatt dass sie mehr verbindliches Recht für die einzelne Frau, eine stärkere Interessenvertretung und soziale Verkehrsverhältnisse insgesamt befördern“ (Jansen 2001, 32).
Mit der Forderung, überall Konsequenzen für Frauen und Männer zu reflektieren, verfestige sich die Unterscheidung in die Frauen und die Männer. Gender Mainstreaming falle damit hinter die Einsicht der Frauen- und Geschlechterforschung zurück, dass es diese Einheitlichkeit nicht gibt (vgl. Wetterer 2005). Gender Mainstreaming stelle sich deshalb „bei genauerer Betrachtung recht schnell als Re-Aktivierung tradierter zweigeschlechtlicher Denk- und Deutungsmuster […] [heraus] und nicht als deren Verabschiedung oder gar Unterminierung“ (Wetterer 2002b, 129). Statt die üblichen Geschlechterkategorisierungen zu hinterfragen, werde Gender Mainstreaming vielmehr die im Alltag übliche Methode „des Vergleichens der Geschlechter und des Findens von Ge-
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schlechtsunterschieden in bislang ungeahnter Weise perfektionieren und deshalb genau das finden, wonach es sucht“ (ebd., 144).44 Wetterer resümiert deshalb: „Mit dem Gender Mainstreaming, das Gleichstellung zur Querschnittsaufgabe aller politischen Ressorts und aller Teile der öffentlichen Verwaltung machen will, begann der Aufstieg der Ökonomie, der Aufstieg der Betriebswirtschaftslehre zur Leitdisziplin der Gleichstellungspolitik. […] Mit dem Gender Mainstreaming hat der derzeit hegemoniale neoliberale Diskurs auch die Geschlechterpolitik erreicht und das hat stellenweise bereits heute zu einer folgenreichen Verschiebung der Prioritäten geführt. Ging es der alten Frauenförderung […] um soziale Gerechtigkeit, so geht es in Zeiten des Gender Mainstreaming um die Förderung der Unternehmens- bzw. Organisationsentwicklung; ging es früher um Partizipation, um Anerkennung und die paritätische Besetzung von Gremien und Positionen, so steht heute die bestmögliche Ausschöpfung der human ressource und die employability im Zentrum aller Bemühungen. Gleichstellung ist in dieser Lesart zu einem Mittel zum Zwecke der Unternehmens- und Verwaltungsoptimierung geworden. […] Aus der Perspektive feministischer Gesellschaftstheorie und –kritik hingegen bedeutet es weit eher den Abschied von einer Gleichstellungspolitik, die sich den feminist politics – allen Differenzen zum Trotz – darin verbunden weiß, dass sie die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit für unverzichtbar hält, unabhängig davon ob sie nach den Maßgaben der neoliberalen Ökonomie viel Profit einbringt oder viel kostet.“ (Wetterer 2005, 58, Herv. MKB).
Gender Mainstreaming findet jedoch auch Befürworter wie Meuser (2004), der solcher Kritik entgegnet, dass gegenwärtig noch keine gesicherten Aussagen über die Effekte von Gender Mainstreaming gemacht werden könnten, da sich das Konzept als eine politische Praxis noch im Prozess befinde und sich erst allmählich in unterschiedlichen Praktiken herauskristallisiere. Fest stehe allerdings bereits, dass sich gezeigt habe, dass sich Organisationen selber als geschlechtsneutrale Gebilde begriffen, dem Gender Mainstreaming Abhilfe schaffen könne: „Indem nun mit Gender Mainstreaming Geschlecht als ein Kriterium bestimmt wird, das bei allen Entscheidungen zu berücksichtigen ist, wird diese Sichtweise gleichsam handlungspraktisch in Frage gestellt, also nicht nur in der wissenschaftlichen Analyse, sondern – zumindest der Potenzialität nach – im Alltag organisatorischen Handelns. Eine vergeschlechtlichte Organisation führt Gender (flächendeckend) als Kategorie der Selbstbeobachtung ein. Das ist das Potenzial von Gender Mainstreaming und markiert einen gravierenden Unterschied zu Frauengleichstellungspolitik.“ (Meuser 2004, 331 Herv. MKB).
Auch Blome et al. vermuten in der „Automatisierung der Behandlung von Geschlechterfragen“ (Blome et al. 2005, 102) die Chance auf eine höhere Akzeptanz von Gleichstellungspolitik. Zugleich befürchten sie allerdings auch, dass sich auf Geschlechterdifferenz rekurrierende Positionen profilieren und zu hegemonialen Diskursen avancieren könnten, während geschlechts- und machtkritische Ansät-
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Vergleiche ähnliche Kritik bei Jansen (2001, 32f)
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ze, die die Geschlechterdichotomie in Frage stellen, marginalisiert würden (vgl. Kotlenga/Smykalla 2001).45 Bisherige Beobachtungen von Umsetzungsversuchen des Gender Mainstreaming zeigten eine Verschiebung der politischen Ausrichtung. Demnach wird Geschlechtergerechtigkeit dem Argument des ökonomischen Vorteils untergeordnet, womit entsprechend neoliberaler Tendenzen eine Ökonomisierung des Geschlechterverhältnisses stattfinde (vgl. Blome et al. 2005, 103). Meuser (2004) sieht darin nicht eine ausschließlich negative Entwicklung: Geschlecht werde zwar so nicht mehr als eine Kategorie sozialer Ungleichheit begriffen, sondern stehe für ungenutzte Rationalisierungspotenziale von Organisationen. Dies könne aber dazu führen, dass „in dieser Logik des Verständnis von Gender Mainstreaming [...] Geschlecht zu einer Humanressource neben anderen [wird], deren Potenzial für eine Optimierung organisatorischer Prozesse ebenfalls im Zuge der aktuellen geschlechterpolitischen Diskussion entdeckt wird“ (Meuser 2004, 331).
Blome et al. (2005) resümieren entsprechend der kontroversen Diskussion und auf eine feministische Wendung gegenwärtiger Gleichstellungsbemühungen hoffend: „Gender Mainstreaming läuft im bisherigen Zuschnitt einerseits Gefahr, das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit durch ökonomisches Effizienzdenken zu ersetzen. […] Auf der anderen Seite ist der Anspruch der querliegenden Thematisierung von Geschlechterfragen und einer systematischen Umsetzung des Gleichstellungsauftrages eine sinnvolle Strategie. Da der momentane Stand der Umsetzung und des Gebrauchs von Gender Mainstreaming an Hochschulen [und andernorts, Anm. MKB] noch sehr diffus ist, entstehen auch Gestaltungs- und Handlungsspielräume, die es ermöglichen, das Konzept mit feministischen Inhalten und Vorstellungen zu füllen“ (ebd., 103).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass herausgestellt werden konnte, inwiefern die Implementierung von Gender Mainstreaming den Zusammenschluss von der Gleichstellungspraxis einer Organisation und der Personalentwicklung ermöglicht. Die Implementierung von Gender Mainstreaming sieht vor, dass alle Entscheidungen in der Organisation auf ihre jeweiligen Effekte für Männer und Frauen hin überprüft und im Falle der Benachteiligung einer Genusgruppe Gegenmaßnahmen ergriffen werden sollen. Dies dürfte besonders im Bereich Personalmanagement und Personalentwicklung eine Rolle spielen, da es hier um Einstellungs- und Aufstiegsmöglichkeiten von Arbeitnehmer/innen geht. Für die Art und Weise sowie die Qualität der Gegenmaßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit von Männern und Frauen sieht das Konzept Gender Main45 Deutlich werde diese Diskursivierung von Geschlechterdifferenz in der Darstellung von Texten oder auf Internetseiten von Projekten und Einrichtungen, die Gender Mainstreaming implementieren.
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streaming allerdings keine einklagbaren Leitlinien oder konzeptionellen Vorgaben vor, die Verantwortung dafür tragen allein die Organisationen bzw. die Umsetzungsverantwortlichen. „Gender Mainstreaming verlangt daher von den Umsetzungsverantwortlichen Kreativität, neue spezielle Methoden und Instrumente zu entwickeln und zu testen. Denn es gibt nicht die eine, für alle Sachgebiete und Fragen passende Gender-Mainstreaming-Methode (BMFSFJ 2002, 35).
Die Offenheit und Unverbindlichkeit von Gender Mainstreaming lassen Organisationen bzw. Unternehmen und ihren Verantwortlichen demnach einen großen Handlungsspielraum, wie konkret die geschlechtersensibilisierte Praxis ihrer Organisation aussehen soll, die Ungleichheitsbehandlungen entgegenwirken kann. Maßnahmen und Instrumente können auf diese Weise aus Unternehmensperspektive mit anderen betrieblichen und ökonomischen Interessen verbunden werden. Es ist deshalb auch unproblematisch, eine Maßnahme wie das Mentoring als Strukturentwicklungsmaßnahme im Sinne des Gender Mainstreaming auszulegen, so wie dies in dem Programmflyers erfolgt (vgl. Kap. 2.2.1). Die damit einhergehenden weiter oben diskutierten Risiken einer Re-Tradierung von Geschlechterstereotypen oder der Verwässerung von feministischen Errungenschaften einmal außer Acht gelassen, kann diese Konzeption so interpretiert werden, dass sie das Herstellen von Anschlussfähigkeiten an eine Chancengleichheitspolitik durch Organisationen und Unternehmen aus ihrer Logik heraus erleichtert. Es erscheint auf den ersten Blick deshalb nicht unplausibel, damit die Chance auf eine steigende Anerkennung von Gleichstellungspolitik in Wirtschaft und Verwaltung zu verbinden. Mindestens ebenso groß ist darin allerdings die Gefahr zu sehen, dass Gleichstellungspolitik, in eine andere Logik übersetzt, ihres ‚eigentlichen’ Charakters beraubt wird, wie auch die oben erfolgte Rekonstruktion der Übersetzung von Gleichstellungszielen in betriebswirtschaftliche Konzepte wie Managing Diversity gezeigt hat. Aus der Perspektive von Gender-Mainstreaming-Befürworter/innen und Gleichstellungsbeauftragten wird umgekehrt durch die Ausweitung der Gleichstellungsarbeit in alle Bereiche des Unternehmens bzw. der Organisation konzeptionell die Möglichkeit der institutionellen Integration und Gestaltung gesehen. Aber auch hier liegen viele Risiken verborgen wie ein Qualitätsverlust von Gleichstellungsarbeit und die verschärfte Reproduktion von Unterschieden durch die laienhafte Reflexion von Geschlechterverhältnissen durch Arbeitnehmer/innen und die mit der Institutionalisierung begründete Absage an eine klassische Frauenförderung. Auf der anderen Seite bietet sich aus der Perspektive von Gleichstellungspolitik durch Gender Mainstreaming – konzeptionell – die Erfolg versprechende Verlagerung der Gleichstellungsarbeit in Kernbereiche eines Unternehmens bzw. einer Organisation. Diese Perspektive zeigt sich auch
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in Formulierungen des Programmflyers (vgl. Kap. 2.2.1) und belegt einmal mehr, wie vieldeutig interpretier- und gestaltbar Mentoring sein kann.
2.2.3 Mentoring als neue gleichstellungspolitische Maßnahme - eine Zusammenfassung Die beispielhaft am Flyer-Ausschnitt interpretierten Interessenlagen zeigen, dass Mentoringprogramme so konzipierbar sind, dass sie Anknüpfungspunkte für das Verfolgen unterschiedlicher politischer Ziele bieten (vgl. Kap. 2.2.1). Die Verbindung von personalpolitischen und gleichstellungspolitischen Interessen auf einer konzeptionellen Ebene von Mentoringprogrammen sind auf eine Annäherung verschiedener politischer Perspektiven und Orientierungen zurückzuführen, die dazu geführt hat, dass mithilfe eines Personalentwicklungsinstruments (auch) gleichstellungspolitische Ziele verfolgt werden. Diese Perspektivwechsel und Neuorientierungen stellen die Voraussetzung für die erhöhte Anschlussfähigkeit zwischen personalwirtschaftlichen und gleichstellungspolitischen Interessen dar, die in gemeinsam gestalteten oder geförderten Maßnahmen und Instrumenten wie Mentoring zum Ausdruck kommt (vgl. Kap. 2.2.2). Drei Perspektivwechsel in der beruflichen Frauenförderung, die diese Annäherung begründet haben, wurden rekonstruiert sowie aus einer geschlechtertheoretischen Perspektive mit Konsequenzen für die politische Gleichstellungsarbeit kritisch diskutiert (vgl. Kap. 2.2.2). Es handelte sich zum einen um die Erweiterung und Veränderung des Angebots an Maßnahmen auf Basis einer neuen Definition von Frauen als Arbeitnehmer/innen sowie der Integration von Männern in Gleichstellungsmaßnahmen. Diese Umdeutung der Bedeutung von Frauen bzw. die Betrachtung von Frauen im Kontext von Geschlechterverhältnissen geschieht vor dem Hintergrund einer Entwicklung Mitte der 90er Jahre, die betriebswirtschaftlich und gleichstellungspolitisch Geschlecht neu definiert und in Maßnahmen und Unternehmenskulturkonzepten neu konzeptionalisiert. Desweiteren ist seit Mitte bis Ende der 90er Jahre ein gleichstellungspolitischer Perspektivwechsel festzustellen, der Frauen aus ihrem ‚Opfer- und Defizitstatus’ befreien will, während zugleich ein betriebswirtschaftliches Interesse an neuen Unternehmenskulturkonzepten zu verzeichnen ist, in dem Geschlecht nicht mehr als Ungleichheitsmerkmal, sondern als Ressource definiert wird. Mit diesem Strategiewechsel betrieblicher Frauenförderung seit Beginn der Jahrtausendwende rückt die Optimierung von Organisationsstrukturen mit dem Ziel der profitablen Unternehmensentwicklung ins Zentrum. Gleichstellungspolitik verfolgt mit Unterstützung von Unternehmenskulturkonzepten wie Diversity Mana-
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gement damit eine vorrangig durch Profitorientierung definierte Personalentwicklung mit dem Ziel einer Dekonstruktion der strukturierenden Wirkung eines binären Geschlechtersystems. Diese Annäherung politischer und ökonomischer Interessen steht auch in Verbindung mit einem auf europäischer Ebene politisch angeregten Perspektivwechsel, der Gleichstellungspolitik und Organisationspolitik bzw. Unternehmenspolitik in ein neues Verhältnis setzt, womit die dritte Schnittstelle, an der sich gleichstellungspolitische und unternehmerische bzw. organisationale Interessen treffen markiert wurde. Bei dieser dritten rekonstruierten Schnittstelle handelt es sich um einen Perspektivwechsel der Frauenförderung zur Gleichstellungspolitik, die sich dem Motto „Gleichstellung ist Strukturpolitik“ (Roloff 1998) verpflichtet schien. Damit einher ging ein sich verschiebender Fokus von Maßnahmen für Frauen hin zu den Organisationen und Maßnahmen zur Veränderung ihrer Geschlechterhierarchien. Diese politisch-strukturelle Handlungslogik der Gleichstellungspolitik der 90er Jahre kongruiert in dieser Zeit mit der Perspektive des betrieblichen Managements vieler Unternehmen aufgrund eines ökonomischen Innovationsdrucks, der zu umfassenden organisatorischen Strukturveränderungen führte. Der Wandel ökonomischer Rahmenbedingungen stellte darüber eine partielle Interessensüberschneidung zwischen Frauenförderung und innovativen Betrieben her, die darin bestand, dass unter bestimmten Angebots- und Nachfragebedingungen des Erwerbsarbeitsmarktes Frauenförderung für die Betriebe rentabel erschien. Die von Seiten der Gleichstellungspolitik mit dem Perspektivenwechsel auf organisationale Praktiken einhergehende verstärkte Integration von Gleichstellungspolitik in institutionelle Praktiken und Logiken fand eine bestärkende Rahmung durch das auf europäischer Ebene im Amsterdamer Vertrag von 1997 verabschiedete Konzept des Gender Mainstreaming. Dieses stellt seit Ende der 90er Jahre das Leitkonzept der europäischen Gleichstellungspolitik dar. Damit wurden weitere Anschlussmöglichkeiten der Gleichstellungspolitik an eine organisatorische Praxis bzw. an eine ökonomische Logik von Unternehmen geschaffen.
2.3 Zwischenfazit und Analyseperspektiven für die Empirie Im Rahmen eines neuen Schwerpunkts beruflicher Weiterbildung zur Karriereförderung von Frauen hat sich Mentoring als zentrale Maßnahme zur Erhöhung des Anteils weiblicher Führungskräfte sowohl in Unternehmen als auch an Hochschulen etablieren können. Mentoring kann als Versuch gedeutet werden, strukturell bedingten beruflichen Aufstiegsproblemen von Frauen durch eine Förderung auf individueller Ebene entgegenzuwirken. Ursprünglich als Perso-
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nalentwicklungsmaßnahme konzipiert, ist es ein Instrument, dass auch für die Umsetzung gleichstellungspolitischer Ideen nützlich zu sein scheint. So verbindet Mentoring das personalpolitische Interesse an einem größeren Potenzial an (weiblichen) Führungskräften angesichts eines prognostizierten Führungskräftemangels mit einem gleichstellungspolitischen Interesse, um auf eine neue Weise dem Ziel näher zu kommen, Frauen und Männern die gleichen Chancen zur Verwirklichung ihrer Karrierepläne zu ermöglichen (vgl. Kap. 2.2). Die Popularität von Mentoringmaßnahmen und die rasch ansteigende Anzahl von Programmen in deutschen Unternehmen und Hochschulen sowie anderen Organisationen können (auch) auf diese Umsetzung von Interessen in einer personalpolitischen Maßnahme zurückgeführt werden. Sie ermöglicht neben dieser Verfolgung eines ähnlichen Ziels aus unterschiedlicher Motivation heraus den anbietenden Institutionen und den Teilnehmer/innen außerdem viel Gestaltungsfreiheit: Die Konzeptionalisierung kann in Anlehnung an spezifische Organisationskulturen erfolgen, so wie das Instrument in bestehende Organisationsprozesse integriert werden kann und den Teilnehmer/innen ein großer Deutungsspielraum und viel Gestaltungsmöglichkeiten gegeben werden. Hierin ist ein weiterer Grund für die Attraktivität dieser Maßnahme zu sehen. Diese auf den ersten Blick plausible Erklärung des quantitativen Erfolgs des Programms kann aber nicht als voraussetzungslos gelten: Anhand von drei Perspektivwechseln in der beruflichen Frauenförderung konnte rekonstruiert werden, wie durch sich annähernde Perspektiven und Orientierungen in den letzten fünfzehn Jahren eine erhöhte Anschlussfähigkeit zwischen personalpolitischen und gleichstellungspolitischen Interessen hergestellt wurde. Diese Entwicklung wird von vielen Frauen- und Geschlechterforscher/innen sehr kritisch eingeschätzt (vgl. Kap. 2.2.2). Als Argumente gegen die Erweiterung der Zielgruppe von beruflicher Frauenförderung durch die Integration von Männern, die Definition von Geschlecht als Ressource sowie den Wechsel der Perspektive auf Organisationen statt auf Lebenswelten von Frauen wird angeführt, dass die Politisierung von Frauen sowie ein Programm für Frauen aufgrund der entgrenzten Bezugsgruppe erschwert wird; dass Gleichstellungspolitik von ökonomischer Rentabilität abhängig wird; ferner, dass Ungleichheiten rhetorisch negiert und geglättet werden, aber weiter bestehen und die individualisierten Subjekte umso stärker treffen; dass neue Methoden durch programmatische Begriffe und Schwerpunktsetzungen zur Re-Produktion statt zur De-Konstruktion führten. Demgegenüber stehen die Hoffnungen der Gleichstellungspolitik, mit der Erweiterung der Gruppe von Beteiligten eine breitere gesellschaftliche Basis für die Verantwortungsübernahme von Geschlechterungleichheiten zu erhalten; eine größere Gestaltungsmöglichkeit von Geschlechterverhältnissen durch die Integ-
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ration in Kernbereiche von Organisationen und Unternehmen zu bekommen; durch die Orientierung an neuen Managementkonzepten Gemeinsamkeiten und Unterschiede nicht mehr (hauptsächlich) auf das Geschlecht einer Person zurückgeführt wird; dass mit der Berücksichtigung von Organisationsprozessen und -interessen die Akzeptanz von Gleichstellungspolitik steigt. Die dargestellten Diskussionen zeigen, dass auf einer theoretischen und konzeptionellen Ebene neue Orientierungen in der Gleichstellungspolitik und der beruflichen Frauenförderung kontrovers geführt werden. Befürchtungen und Hoffnungen stehen sich –aus der entsprechenden Sichtweise plausibel hergeleitet - gegenüber. Einen Beitrag zur Klärung dieser Diskussion könnten empirische Untersuchungen über die Praxis gegenwärtiger beruflicher Förderung in Unternehmen und Organisationen leisten. Vor dem Hintergrund dieser skizzierten Ausgangslage wird in der eigenen Untersuchung die soziale Praxis von Mentoringprogrammen zum Gegenstand der Untersuchung gemacht, da es sich wie gezeigt um ein zentrales Instrument eines sich neu etablierten Schwerpunkts beruflicher Frauenförderung handelt, der als Ausdruck zentraler Orientierungen gegenwärtiger Gleichstellungspolitik gelten kann. Der Analyseschwerpunkt für die Untersuchung des empirischen Materials wird dabei die Frage nach der Bedeutung der ‚neuen’ Interessensverbindung zwischen Frauenförderung bzw. Gleichstellungspolitik und Personalwirtschaft sein. Die übergeordnete Fragestellung dieser Studie richtet sich deshalb aus einer gleichstellungspolitisch interessierten Haltung auf die Möglichkeiten und/oder Schwierigkeiten, die sich aus der Kontextualisierung des Mentoringprogramms als Personalentwicklungsmaßnahme und Gleichstellungsmaßnahme ergeben (können). Welche Möglichkeiten zeigen sich anhand der Analyse der sozialen Praxis für die Teilnehmer/innen beruflicher Frauenförderung? Zeigen sich in der Praxis aus gleichstellungspolitischer Perspektive förderliche oder problematische Aspekte dieser Verbindung?
3 Theoretische Perspektiven auf berufliche Integrations- und Ausgrenzungsmechanismen
3.1 Zur Vergeschlechtlichung des Arbeitsmarktes Während im vorherigen Kapitel die konzeptionellen Annäherungspunkte zwischen personalpolitischen und gleichstellungspolitischen Interessen rekonstruiert und die aus Geschlechterforschungsperspektive mit ihnen verbundenen Hoffnungen und Befürchtungen diskutiert wurden, soll im folgenden Kapitel eine eher theoretische Sensibilisierung für das Phänomen Mentoring vorgenommen werden. Ein zentraler Grund für die Existenz von Förderprogrammen für Frauen und gleichstellungspolitische Maßnahme wie Mentoring ist die geschlechtliche Segregation des Arbeitsmarktes. Diese ist (nach wie vor) eine gesellschaftliche Realität (vgl. stellv. Kreckel 1992, 1993, 2004; Gender-Datenreport 2005), obwohl vor fast 30 Jahren, am 13. August 1980, in Deutschland das „Gesetz über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz“ (Arbeitsrechtliches EG-Anpassungsgesetz) in Kraft trat, das Gültigkeit für die Privatwirtschaft und den öffentlichen Dienst besitzt. Nichtsdestoweniger sind Frauen und Männer auch gegenwärtig noch überwiegend in unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen und Berufsfeldern anzutreffen und diese horizontale Segregation ist oft mit einer vertikalen Segregation verknüpft: Frauen und Männer besetzen schwerpunktmäßig andere hierarchische Ebenen; Frauen erhalten nach wie vor eine geringere Entlohnung als ihre männlichen Kollegen – dies gilt selbst bei gleicher Qualifikation und im gleichen Beruf – und die Bezahlung in den mehrheitlich von Männern besetzten Berufen ist höher als in den von Frauen dominierten Berufen (vgl. Teubner 2002, Allmendinger/Podsialowski 2001, Gender-Datenreport 2005). Dieses Phänomen ist aus unterschiedlichen Perspektiven und wissenschaftlichen Disziplinen untersucht und beschrieben worden. Hierzu zählen zum Beispiel die Arbeiten Wetterers (2002a). Sie hat zusammen mit Gildemeister (1992) an der Vergeschlechtlichung von Berufen und wechselnden Berufszuschreibungen (männlich/weiblich) und –ausübungen nachweisen konnte, dass darüber nicht (nur) Geschlechterdifferenzen bestätigt werden, sondern umgekehrt die kulturell naturalisierte Differenz zwischen den Geschlechtern immer wieder
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hergestellt wird. Sie kommt deshalb zu dem Schluss, dass „die Arbeitsteilung […] ein zentraler, möglicherweise sogar der zentrale Modus der sozialen Konstruktion von Geschlecht“ ist (Wetterer 2002a, 26). Der mit dieser Erkenntnis einhergehende Perspektivenwechsel in der deutschen Geschlechtersoziologie wird als Konstruktivistische Wende bezeichnet und wurde durch einen Aufsatz von Gildemeister/Wetterer (1992) Anfang der 90er Jahre ausgelöst. Sie beziehen sich darin in ihrer Argumentation neben eigenen historischen Rekonstruktionen über geschlechtliche Arbeitsteilung auch auf Ergebnisse von zwei soziologischen Klassikern: Garfinkel (1967) und Goffman (1977, dt. 2001), die sich trotz aller Unterschiede im Einzelnen darin einig sind, dass die Unterscheidung der Geschlechter eine durchweg soziale Angelegenheit ist, und dass wir in der Aufteilung von Berufen und Aufgaben usw. in weibliche und männliche Varianten Teilaspekte eines sozialen Konstruktionsprozesses vor uns haben, der jene Verschiedenheit der Geschlechter erst hervorbringt, die dem Alltagsverständnis zufolge als deren Ursache gilt. Die Inklusions- und Aufstiegsmechanismen auf dem Arbeitsmarkt scheinen demnach für Frauen andere zu sein als die für Männer. Diesem Phänomen wird sich im Folgenden durch Studien über das Wissenschaftssystem und seine Aufstiegs- und Ausschlussmechanismen angenähert.
3.1.1 Berufliche Aufstiegs- und Ausschlussmechanismen im Wissenschaftssystem - Eine Annäherung Obwohl nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes für 2005 der Anteil von Frauen unter Universitätsabsolventinnen 50% beträgt, sinkt ihr Anteil mit steigendem Qualifikationsgrad (38% der Doktor/innentitel wurden an Frauen vergeben, 23% der Habilitationen von Frauen erworben) bis zur Professur auf 14% (vgl. Bundesregierung: Zweite Bilanz Chancengleichheit 2006). Diesem Phänomen auf der Spur haben Untersuchungen im Wissenschaftssystem gezeigt, dass der ‚Schwund’ in Zusammenhang mit fehlenden Förderbedingungen für Frauen zu sehen ist. So kommen Frauen seltener durch direkte Aufforderung durch Professor/innen auf Nachwuchsstellen und werden auch seltener von ihren Betreuer/innen für andere Stellen weiterempfohlen (vgl. Bochow/Joas 1987, Kirschbaum 2005). Frauen werden insgesamt sehr viel weniger durch Mentor/innen, Vorgesetzte oder Doktorväter/--mütter gefördert als ihre männlichen Kommilitonen oder Kollegen (vgl. Schultz 1991, Kirschbaum 2005). Dieses Phänomen der Förderung von Männern durch andere Männer ist gemeint, wenn von Old-Boys-Network die Rede ist und Frauen als Konkurrent/innen ausgeschlossen werden. Es schlägt sich nicht nur in der persönlichen Förderung des
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‚Nachwuchses’ nieder, sondern auch in sog. ‚Zitierkartellen’ und (informellen) Netzwerken, von denen Frauen oftmals weitgehend ausgeschlossen sind: Männer laden sich untereinander zu Vorträgen und zu Konferenzen ein und geben sich gegenseitig die Gelegenheit zur Publikation durch eigene Herausgeberschaften (vgl. Blome et al. 2005, 49). Zu solchen feldspezifischen Varianten von Ausschlussmechanismen gegenüber Frauen zählen auch sexistische Bewertungsmuster bei der Beurteilung von Schriften und Leistungen von Frauen, die die Chancen von Frauen für Karrieren in der Wissenschaft vermindern: „Das wissenschaftliche Werk von Frauen wird von ihren männlichen Kollegen seltener gelesen und zitiert; in Experimenten zeigt sich, daß Schriften höher bewertet werden, wenn behauptet wird, der Autor sei männlich. Erfahrungen weiblicher Mitglieder in Berufungskommissionen bestätigen, daß eine Reihe von Kollegen gewohnheitsmäßig die Schriften weiblicher Mitbewerber als weniger originell, weniger glänzend, näher an Wissenschaftsjournalismus usw. beurteilen, während die Schriften der männlichen Bewerber grundsätzlich als ernstzunehmende Beiträge zum wissenschaftlichen Fortschritt gelobt werden“ (Müller 1999, 148). All diese Forschungsergebnisse offenbaren nach Müller eine Diskrepanz „zwischen den meritokratischen Grundsätzen des Wissenschaftssystems – die Aufstieg an Qualifikation und Leistung binden – und den tatsächlichen Selektionsprozessen. Diese orientieren sich u.a. an Kriterien wie ‚Paßfähigkeit’ und ‚Reputation’ im Kreise von relevanten Meinungsführern“ (Müller 1999, 148). Die Relevanz einer habituellen Passung für einen Aufstieg im Wissenschaftsbetrieb bestätigt auch Krais, die beobachtet, dass die Anforderungen, die im Wissenschaftsbetrieb aufgrund seiner spezifischen Arbeitsorganisation und des vorgezeichneten Karriereverlaufs gefordert werden, von Frauen weniger gut erfüllt werden könnten: „Eine von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gleichermaßen getragene Vorstellung von wissenschaftlicher Arbeit ist, dass diese das volle Engagement der Person erfordere, eine unbedingte Hingabe an die Wissenschaft, die Frauen mit familiären Verpflichtungen nicht erbringen könnten“ (Krais 2000, 21). Richter weist in diesem Zusammenhang auf Untersuchungen aus den 90er Jahren hin, die zeigen, dass in der Wissenschaft eine Arbeitskultur mit „Förderung und Prestige“ (Richter 2000, 14) belohnt werde, bei der 50-60 Stunden Arbeitszeit pro Woche, Nacht- und Wochenendarbeit und der Verzicht auf Urlaubszeiten den Standard setzen. Gleichzeitig haben quantitative Kriterien wie die Anzahl der Publikationen einen hohen Statuswert. Nur im Rahmen einer ‚männlichen Normalbiographie’, damit ist eine Lebensführung gemeint, die sich schwerpunktmäßig auf den Beruf konzentrieren kann und die von der Kindererziehung oder Pflege von Familienangehörigen entlastet ist, kann den zeitlichen Anforderungen, auch im Hinblick auf Flexibilität, entsprochen werden. Es verwundert deshalb nicht, dass Metz-Göckel (1996, 12) die Beobach-
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tung macht, dass gerade junge Frauen heute oftmals Berufsfelder außerhalb der Wissenschaft bevorzugen, weil diese sehr viel stabilere Berufsaussichten versprechen als eine Hochschullaufbahn und damit die eigene Unabhängigkeit sicherstellen. Wetterer geht in mehreren Untersuchungen den Gründen für den Ausschluss von Frauen vom Beruf des Hochschullehrers nach. Sie vertritt die These, dass es bei wissenschaftlichen Qualifikationsstandards nur scheinbar um Qualifikation und Eignung von Frauen für eine wissenschaftliche Position gehe. Im Kern handele es sich vielmehr um soziale Schließungs- und Ausgrenzungsmechanismen, die dafür sorgen, dass Frauen vom Berufsfeld Wissenschaft ausgeschlossen bleiben. Darin drücke sich allerdings keineswegs nur ein für die Hochschule spezifischer Ausschlussmechanismus aus: Im Wissenschaftsbetrieb wirken ähnliche Mechanismen zur Aufrechterhaltung der Geschlechterhierarchie wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen (vgl. Wetterer 1992a, 1993, 1995). Sie sieht diese Mechanismen in Zusammenhang mit einem Status- und Prestigeverlust, den sie im Rahmen historischer Professionsforschung bei der Feminisierung von verschiedenen Berufen rekonstruieren konnte und der auch das Professorenamt bei zunehmendem Anteil von Frauen zu bedrohen scheint.46 Diese Einschätzung der sozialen Selektion teilt auch Pfarr: „Es geht um Definitionsmacht, um Einfluß, es geht um durchaus angenehme und gutbezahlte Jobs. Es geht um die Chance, Wirklichkeit zu verändern. Nur darum. Nicht geht es – oder nur an weit hinterer Stelle – um Wahrheit, um Wissenschaft und Freiheit, um die Ausbildung junger Menschen, nicht geht es um Qualifikation, um den Wettbewerb der Besten“ (Pfarr 1996, 41f). Diese Einschätzungen werden auch durch Untersuchungen gestützt, die den Wissenschaftsbetrieb in Anlehnung an Bourdieu als soziales Feld betrachten (z.B. Engler 2000) und darin eine Spiegelung der symbolischen Strukturen des Geschlechterverhältnisses im Wissenschaftsbetrieb erkennen. Sie belegen ebenfalls, dass nicht Leistung den Status einer Person bestimmt, sondern ein der Wissenschaft inhärentes Reputationssystem zur Wirkung kommt, in dem Frauen unabhängig von ihrer Leistung nicht dieselbe Würdigung erhalten wie Männer (vgl. Schultz 1991, 8). Erneut wird deutlich, dass es nicht um Qualifikation geht, sondern um „die Verteidigung tradierter Privilegien“ (Wetterer 2000, 210) bzw. um das Bewahren von „männlicher Herrschaft“ (Bourdieu 1997). An diesem Beispiel von sozialen Ausschlussmechanismen gegenüber Frauen im Wissenschaftsbetrieb sollte deutlich geworden sein, dass sozialer Aufstieg ebenso wie sozialer Ausschluss sowohl feldspezifische als auch vergeschlecht46 Mit diesem Hintergrundwissen lassen sich beispielsweise auch ‚Geschlechtswechsel’ von Berufen vom Sekretär zur Sekretärin und umgekehrt von der Putzfrau zum Gebäudereiniger verstehen (vgl. Wetterer 1992, 1993).
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lichte Dynamiken aufweisen. Dem Zusammenhang von gesellschaftlichen Positionen und deren Veränderung in einem sozialen Feld in Abhängigkeit vom Geschlecht wird deshalb im Folgenden theoretisch weiter nachgegangen.
3.1.2 Soziales Feld und Geschlecht Hochschulen, Vereine, Gewerkschaften und Unternehmen sind in Bourdieus Verständnis soziale Felder. Ein soziales Feld ist zu verstehen „als ein Netz oder eine Konfiguration von objektiven Relationen zwischen Positionen“ (Bourdieu 1996, 127). Sie stellen das plurale Bild einer in spezifische Felder ausdifferenzierten sozialen Welt dar und bilden zusammengenommen den sozialen Raum einer Gesellschaft ab. Soziale Felder existieren nur, solange es Akteure gibt, die darin Ressourcen investieren und ihre Interessen zum Ausdruck bringen. Auf diese Weise tragen sie zum Erhalt und gegebenenfalls auch zur Veränderung der Struktur der Felder bei (vgl. Bourdieu 1995, 74). Aber auch umgekehrt besteht ein Abhängigkeitsverhältnis, denn die konkreten Handlungs- und Profitchancen, die Personen innerhalb eines spezifischen sozialen Feldes haben, hängen laut Bourdieu in entscheidendem Maße von der praktischen Verfügung über das in einem Feld dominierende Kapital ab: „Gleich Trümpfen in einem Kartenspiel, determiniert eine bestimmte Kapitalsorte die Profitchancen im entsprechenden Feld (faktisch korrespondiert jedem Feld oder Teilfeld die Kapitalsorte, die in ihm als Machtmittel und Einsatz im Spiel ist)“ (Bourdieu 1995, 11).
Die innerhalb eines Feldes zu einem gegebenen Zeitpunkt vorliegende Verteilung der verschiedenen – inkorporierten wie vergegenständlichten – Kapitalsorten gibt den jeweiligen Stand der Kräfteverhältnisse zwischen den Akteuren wieder; diese Verteilung ist es nach Bourdieu, die über die aktuellen und „potentiellen Machtmittel" (Bourdieu 1995, 10) in einem Feld und die darin gegebenen Gewinnchancen entscheidet. „Die soziale Stellung eines Akteurs ist folglich zu definieren anhand seiner Stellung innerhalb der einzelnen Felder, das heißt innerhalb der Verteilungsstruktur der in ihnen wirksamen Machtmittel: primär ökonomisches Kapital (in seinen diversen Arten), dann kulturelles und soziales Kapital, schließlich noch symbolisches Kapital als wahrgenommene und als legitim anerkannte Form der drei vorgenannten Kapitalien (gemeinhin als Prestige, Renommee, usw. bezeichnet). Von hier aus lässt sich ein vereinfachtes Modell des sozialen Raums in seiner Gänze erstellen, anhand dessen für jeden Akteur die jeweilige Stellung in den möglichen Spiel-Räumen auszumachen ist“ (Bourdieu 1995, 11).
Felder stellen somit Teilbereiche des sozialen Raums dar und sind analog der drei sozialräumlichen Achsen strukturiert, die Bourdieu (1987) seiner Konstruk-
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tion des sozialen Raums zugrunde legt.47 Die drei Formen von Kapital können als Einsätze in den sozialen Feldern verstanden werden, um die sich die Akteure „streiten“ (Schwingel 2005, 86). Unter ökonomischem Kapital versteht Bourdieu (1992, 185ff) die verschiedenen Formen materiellen Reichtums und definiert Kapital in Anlehnung an Marx als akkumulierte Arbeit, die unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar ist. Ökonomisches Kapital ist per definitionem leicht zu konzentrieren und zu vererben und stellt die dominierende Kapitalform im sozialen Raum dar. Es ist in Ländern mit einer ausdifferenzierten Marktökonomie über das Eigentumsrecht institutionalisiert. Bourdieu unterscheidet drei Arten von kulturellem Kapital: inkorporiertes (über Bildung akkumuliertes), objektiviertes (in Schriften, Gemälden, Instrumenten etc. verdinglichtes) und institutionalisiertes Kapital (in Titeln rechtlich und gesellschaftlich anerkanntes Kapital). Kulturelles Kapital in inkorporiertem Zustand meint dabei sämtliche kulturellen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissensformen, die durch (schulische und außerschulische) Bildung erworben werden können. Inkorporiertes Kapital ist körper- und personengebunden und unterscheidet sich somit vom ökonomischen Kapital, dem eine andere Logik zugrunde liegt. Inkorporiertes kulturelles Kapital muss durch persönliche Bildungsarbeit angeeignet werden. Es wird im Prozess der Verinnerlichung zum Teil des Habitus: „Inkorporiertes Kapital ist ein Besitztum, das zu einem festen Bestandteil der ‚Person’, zum Habitus geworden ist; aus ‚Haben’ ist ‚Sein’ geworden“ (Bourdieu 1992, 56).
Entsprechend ‚kostet’ die Aneignung dieser Kapitalsorte biographische Lebenszeit zum Lernen und Aneignen kultureller Fertigkeiten. Mit sozialem Kapital bezeichnet Bourdieu schließlich die Ressourcen einer Person aus der Zugehörigkeit zu Gruppen und ihren Beziehungen. Es ist das Kapital, das aus der Ausnutzung „eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens“ (Bourdieu 1992, 63) resultiert, in das ein Akteur eingebunden ist und auf das er oder sie zurückgreifen kann, falls er oder sie einer Unterstützung durch einzelne Akteure oder Gruppen bedarf. Als Beispiele für institutionalisierte Formen sozialen Kapitals nennt Bourdieu Familien, Freunde, Vereine, politische Parteien usw. 47 In Bourdieus Konzept besteht der soziale Raum aus den drei Grunddimensionen Kapitalvolumen, Kapitalstruktur und der zeitlichen Dimension. Die vertikale Achse stellt das Kapitalvolumen dar und lässt Schlüsse über Hierarchien zu. Auf der horizontalen Achse wird die Kapitalstruktur abgebildet und informiert über die Arbeitsteilung im Feld und somit über funktionale Spezialisierungen. Als dritte – querliegende – Achse wird die Zeit berücksichtigt. Auf ihr wird nachvollziehbar, wie sich Umfang und Kapital zeitlich entwickeln (vgl. Bourdieu 1987, 195ff).
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Soziales Kapital in Form von wahrgenommenen48 sozialen Kontakten zu Anderen und deren Position im sozialen Feld bzw. Organisation ist entscheidend für die Position einer Person innerhalb eines sozialen Feldes (ebd.). Wer im sozialen Feld mit vielen Akteuren direkt und indirekt verbunden ist, wird als einflussreicher wahrgenommen und schneller befördert (vgl. Brass 1985). Die symbolische Wirkung sozialen Kapitals kann demnach sowohl qualitativ durch Kontakte zu zentralen Positionsinhaber/innen als auch quantitativ durch eine hohe Anzahl von Kontakten zu weniger zentralen Positionsinhaber/innen im sozialen Feld erzielt werden. Soziales Kapital kann ferner in vertikales und horizontales Kapital unterschieden werden in Abhängigkeit vom Möglichkeitsraum, der sich aus ihm ergibt. Vertikales Kapital wären solche sozialen Beziehungen, die zu hierarchisch übergeordneten Akteur/innen, die unter Aspekten von Schließungsmechanismen die vertikale Lage eines Akteurs positiv beeinflussen können (z.B. Mentor/innen). Horizontales soziales Kapital wären soziale Beziehungen ohne größeren hierarchischen Effekt, die zwar Handlungsspielräume im Feld vertiefen mögen, aber keinen nennenswerten Einfluss auf eine höhere Positionierung im Feld ausüben (z.B. andere Mentees) (ebd.). Zusammengefasst lässt sich zu der Bedeutung von Kapitalien als Ressource im sozialen Feld festhalten, dass sie keine Eigenschaften von Personen darstellen, sondern vielmehr als Voraussetzungen für soziale Handlungen gedacht werden können, die deren Handlungsspielräume zugleich begrenzen. So ist die jeweils individuelle „soziale Verfügungsmacht“ (Bourdieu 1995) im sozialen Feld an das Kapitalvolumen sowie an seine Zusammensetzung, die Kapitalstruktur gebunden (vgl. Bourdieu 1983). Sozialisatorisch sowie durch Kämpfe um die soziale Verortung erworben, entscheidet das Volumen sowie die Kapitalstruktur über potenzielle Machtmittel. Bedeutsam dabei ist, dass Kapital veränderbar ist, also vermehrt oder reduziert werden kann, und dass sich der Gesamtwert von Kapitalien in Abhängigkeit von der Felddynamik über die Zeit verändern kann (ebd.). Der Einfluss von Akteur/innen auf Kapitalvolumen und –struktur und damit auf die Veränderung ihrer sozialen Position ist dabei nur begrenzt. Individuen können ihre Position nicht ‚aufs Geratewohl’ verändern, konstatiert Bourdieu, sondern ihre Bewegungen respektive die Veränderung des Volumens und der Struktur ihrer Kapitalien finden im Rahmen von Möglichkeitsfeldern statt, die zwar ihrerseits nicht unveränderbar, aber träge sind und besondere Bedingungen benötigen, bis sie den Individuen andere Möglichkeitsstrukturen bieten:
48 Im Sinne des Habitus-Konzept besitzt ‚Wahrnehmung’ in diesem Kontext zwei Bedeutungen: zum einen als Aufmerksamkeitsrichtung und zum anderen als genutzte Gelegenheit.
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Theoretische Perspektiven auf berufliche Integrations- und Ausgrenzungsmechanismen „Einem bestimmten Umfang ererbten Kapitals entspricht ein Bündel ungefähr gleich wahrscheinlicher, zu ungefähr gleichwertigen Positionen führender Lebensläufe – das einem bestimmten Individuum objektiv gegebene Möglichkeitsfeld; Wechsel in derartigen Entwicklungsverläufen hängen zumeist von kollektiven – Kriegen, Krisen, etc. – oder individuellen Ereignissen ab, von Zusammentreffen, emotionalen Bindungen, Beziehungen. Gewöhnlich als (glückliche oder unglückliche) Zufälle beschrieben, sind doch auch sie statistisch von Position und Disposition derer abhängig, denen sie zustoßen (so dem ‚Riecher’ für ‚Beziehungen’, der den Eignern eines starken sozialen Kapitals die Bewahrung oder Mehrung dieses Kapitals ermöglicht), wenn sie nicht überhaupt von institutionellen (Vereinen, Familientreffen oder Veteranenverband etc.) oder ‚spontanen’ Interventionen von Einzelnen oder Gruppen herbeigeführt werden. Hieraus folgt, dass Position und individueller Lebenslauf statistisch keineswegs voneinander unabhängig sind, nicht alle Startpositionen mit derselben Wahrscheinlichkeit zu allen Endpositionen führen.“ (Bourdieu 1987, 188)
Wie an dem Beispiel des Wissenschaftsbetriebs zu erkennen war, hat auch das Geschlecht einen erheblichen Einfluss auf (berufs-)biographische Verläufe. Geschlecht zeigt sich als Ressource für Integrations- und Ausgrenzungsprozesse und ist ein relevanter Faktor, der die Verfügung über Kapitalien und somit über die Position im sozialen Raum bestimmt. Dies zeigt sich zum Beispiel in der unterschiedlichen Bewertung der Qualifikationen von Frauen und Männern (kulturelles Kapital), in niedrigeren Besoldungspraktiken für Frauen (ökonomisches Kapital) genauso wie in unterschiedlichen Förderpraktiken für Frauen und Männer (soziales Kapital, Stichwort Old-Boys-Network). Frauen und Männer bilden in Bourdieus Verständnis aber nicht den Ausgangspunkt seiner Untersuchungen, sondern „Relationen“ zwischen Akteur/innen, besonders zwischen sozialen Gruppen und die durch sie getätigten „Realisierungen des historischen Handelns“ (Bourdieu 1996, 160). Soziale Beziehungen werden von ihm immer in Rückbezug auf soziale Felder interpretiert, wo es für ihn kein von der sozialen Praxis der Akteur/innen losgelöstes Konstruieren und Dekonstruieren von Geschlecht gibt. Wie erkenntnisreich sich diese Kontextualisierung von Geschlechterkonstruktionen herausstellen kann, bestätigen Studien in Anlehnung an Bourdieu über Klasse und Geschlecht, die zeigen, dass beide Merkmale in verschiedenen Zusammenhängen von unterschiedlicher Relevanz sein können (Engler 1997; Vester/Gardemin 2001) bzw. als Modi der Generierung von sozialen Unterschieden mal in den Vordergrund und mal in den Hintergrund treten können (Engler 2004, 230). Hieraus folgt, dass es keine abstrakten und allgemeingültigen Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata gibt, die losgelöst von der sozialen Praxis universell und allgemeingültig sind. Geschlecht ist zwar nach dem Habitus-Konzept in die Körper, die Köpfe und in die Handlungen von uns Menschen eingelassen. Es entfaltet aber seine Existenz und Herrschaft in sozialen Feldern auf vielfältige und immer wieder neue Arten und Weisen. Akteur/innen handeln kreativ und erfinderisch, wenn
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auch nicht beliebig. Eine grundlegende Annahme Bourdieus ist, dass moderne Gesellschaften ausdifferenziert sind und die arbeitsteilige Organisation in sozialen Feldern nach spezifischen Prinzipien funktioniert, deren soziale Logik sich nicht auf ein einheitliches, universelles Grundprinzip reduzieren lässt. Für die Analyse von männlicher Herrschaft bzw. Geschlechterverhältnissen bedeutet dies, dass Geschlecht als Dimension des Sozialen durch die Vermittlung der Felder zum Tragen kommt und dass die Mechanismen, die in unterschiedlichen sozialen Feldern wirken und „Geschlechtseffekte“ (Engler 2004, 227) produzieren, jeweils spezifisch sind. Das, was im wissenschaftlichen Feld zählt und im sozialen Handeln der Akteur/innen zu entdecken ist, muss nicht identisch mit dem sein, was im wirtschaftlichen Feld die Akteur/innen umtreibt und miteinander kooperieren und konkurrieren lässt (ebd., 227). Auch innerhalb dieser Felder werden Ressourcen in Abhängigkeit vom Kontext und der Perspektive auf sie unterschiedlich relevant wie am Beispiel Frauen im Rahmen von Karriereförderung aus personalwirtschaftlicher und gleichstellungspolitischer Perspektive im zweiten Kapitel gezeigt wurde (vgl. Kap. 2.2). Es herrschen unterschiedliche Dynamiken in den Feldern, die den Einsatz und die Verteilung von Kapitalien bestimmen und den Einfluss von Geschlecht auf berufliche Aufstiege regulieren. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit feldspezifischer empirischer Forschung, der sich die eigene Studie anschließt. „Der Begriff des Feldes ist dazu da, daran zu erinnern, dass das eigentliche Objekt einer Sozialwissenschaft nicht das Individuum […] ist, auch wenn man ein Feld nur von den Individuen aus konstruieren kann. Das Feld muss im Mittelpunkt der Forschungsoperation stehen“ (Bourdieu 1996, 139).
Die strukturellen Regulierungsinstrumente eines Feldes zeigen sich vermittelt über habituelle (vergeschlechtlichte) Handlungsmuster in den sozialen Praktiken und Deutungen der Akteur/innen. Im nächsten Teil wird deshalb der Zusammenhang von Habitus, sozialer Praxis und Geschlecht theoretisch weiter verfolgt.
3.1.3 Habitus, soziale Praxis und Geschlecht Über die habituellen Handlungsmuster sind die Individuen maßgeblich an der Herstellung von feldspezifischen Dynamiken, die zur Integration oder zum Ausschluss führen, beteiligt - wobei ihr Einfluss auf ihr eigenes Handeln nach Bourdieu (1997) eingeschränkt ist. Vermittelt über den Habitus bestimmen die äußeren materiellen, kulturellen und sozialen Existenzbedingungen, d.h. die gesellschaftlichen Strukturen nicht nur die Position einer Person im sozialen Raum, sondern legen damit zugleich auch die Grenzen möglicher Praktiken einer Per-
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son fest (Schwingel 2005, 69). Dies wird erstens auf die verinnerlichten Grenzen des Habitus und zweitens darauf zurückgeführt, dass in sozialen Feldern – wie oben bereits angedeutet - Spielregeln gelten, die besonders als implizites Wissen der im Feld agierenden Akteur/innen über Erlaubtes und Unerlaubtes bestimmen und damit die sozialen Beziehungen in ihrer Gesamtheit konstituieren. Diese Regeln stellen eine Form äußeren Zwangs dar, dem sich die Akteure eines Feldes nicht entziehen können (Schwingel 2005, 83ff). „Die sozialen Felder bilden Kraftfelder, aber auch Kampffelder, auf denen um Wahrung oder Veränderung der Kräfteverhältnisse gerungen wird. Und das – praktische wie gedankliche – Verhältnis der Akteure zu diesem Spiel ist noch Teil desselben – unter Umständen Grundlage seiner Transformation“ (Bourdieu 1995, 74).
Bourdieu (1997, 196) wählt die Metapher der Spiele für Machtkämpfe innerhalb sozialer Felder, die in seinen Augen ausschließlich von Männern gespielt werden. Frauen sind von diesen öffentlichen Spielen um Herrschaft gänzlich ausgeschlossen und können in diesen lediglich die Position der Beobachter/innen einnehmen. Dies wird von Bourdieu nicht nur zum Nachteil der Frauen interpretiert. Er sieht darin auch ein „negatives Privileg“, da sie aus einer distanzierten Position über einen „Scharfblick der Ausgeschlossenen“ verfügen, der sie vor unangenehmen Effekten der Spiele schützen kann (ebd.). In dieser Studie wird Bourdieus theoretisches Modell der Spiele im öffentlichen Raum um Macht(positionen) konzeptionell um die Beteiligung der Frauen an diesen Spielen und an den Kämpfen um Positionen erweitert. Frauen (zumindest in westlichen Industrienationen) nehmen längst an öffentlichen Machtspielen teil, auch wenn davon auszugehen ist, dass ihr Einfluss auf die Gestaltung der Spielregeln aufgrund ihrer strukturellen Benachteiligung beschränkter ist als die Gestaltungs- und Definitionsmacht der Männer. Dennoch sind Frauen in die Spiele maßgeblich involviert, und diese haben nicht nur entscheidende Auswirkungen auf ihre Lebensgestaltung und ihre Handlungsspielräume, sondern sie müssen durch sie genauso getragen und akzeptiert werden, um gesellschaftlich relevant zu werden. Die Regeln geben zwar den Rahmen von Praxismöglichkeiten an, sie legen jedoch nicht die konkreten Praktiken der Akteure fest. Vermittelt über den Habitus als „modus operandi“ (Bourdieu 1982, 281) bestimmen sie die Art und Weise der Ausführung von Praktiken, aber weniger deren Inhalte sowie die geltenden Spielregeln eines sozialen Feldes nicht die Spielzüge bestimmen, sondern lediglich den Rahmen der Aktivitäten vorgeben (vgl. Schwingel 2005, 83). Hierin liegen Handlungsspielräume von Individuen begründet trotz determinierter Grenzen durch den Habitus. Diesen Gedanken erläutert Bourdieu in Analogie zu Noam Chomskys Modell der „generativen Grammatik“ (Schwingel 2005, 70)
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anhand der menschlichen Sprache: So wie die kompetente Sprecherin über ein zwar begrenztes Repertoire an grammatikalischen Regeln verfügt, das es ihr aber dennoch ermöglicht, im Prinzip unendlich viele grammatisch korrekte Sätze zu bilden, erlaubt der Habitus als „System generativer Schemata“ (Bourdieu 1987, 279) „unendlich viele und (wie die jeweiligen Situationen) relativ unvorhersehbare Praktiken von dennoch begrenzter Verschiedenartigkeit“ zu erzeugen (vgl. Bourdieu 1987, 104). Die Individualität von Praktiken resultiert demnach aus dem akteurspezifischen Nutzen eines gruppenspezifischen Spielraums, dessen Struktur in Form des Habitus verinnerlicht wurde. Dieser akteursspezifische Nutzen wiederum ist auf die individuelle Wahrnehmung und Deutung von Handlungsmöglichkeiten zurückzuführen, die aus biographischen Erfahrungen im Rahmen einer sozialen Laufbahn und der eingenommenen Position im sozialen Raum resultiert. Wie das Handeln innerhalb der verschiedenen Felder der sozialen Welt von den jeweils verfügbaren ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitalressourcen abhängt, so ist auch das Denken und die Wahrnehmung von der sozialen Welt primär von kulturellen Ressourcen abhängig und darüber hinaus durch die spezifische Stellung innerhalb der Sozialstruktur geprägt (vgl. Schwingel 2005, 67). Ob ein Akteur im sozialen Raum eher oben oder unten einzuordnen ist, ob er oder sie als reich oder arm gilt beeinflusst seine bzw. ihre Wahrnehmung und Erfahrung der sozialen Welt und diese wiederum - vermittelt über die daraus erwachsenden Erwartungen und Aspirationen - die Praktiken, die ihm oder ihr als sinnvoll und richtungsweisend erscheinen: „In den Dispositionen des Habitus ist somit die gesamte Struktur des Systems der Existenzbedingungen angelegt, so wie diese sich in der Erfahrung einer besonderen Lage mit einer bestimmten Position innerhalb dieser Struktur niederschlägt. Die fundamentalen Gegensatzpaare der Struktur der Existenzbedingungen (oben/unten, reich/arm, etc.) setzen sich tendenziell als grundlegende Strukturierungsprinzipien der Praxisformen wie deren Wahrnehmung durch“ (Bourdieu 1987, 279).
Im Habitus lassen sich deshalb auch Spuren von strukturellen gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen wieder finden. Zeigen sich in den Handlungen und Deutungen der Individuen reproduktive Praktiken, die die Geschlechterhierarchie bestätigen, handelt es sich dabei nach Bourdieu (1997) nur in den wenigsten Fällen um bewusst erfolgende Strategien zur Unterdrückung bzw. zur Unterwerfung von Männern und Frauen. Was hier zur Wirkung kommt, sind vergeschlechtlichte Habitus der Menschen: im Rahmen der Sozialisation erworbene Systeme von Dispositionen, die innerhalb des kulturellen Symbolsystems der Zweigeschlechtlichkeit (vgl. Hagemann-White 1984) geschlechtstypische Praxen hervorbringen, während sie die des anderen Geschlechts tendenziell ausschließen. Darauf kann auch das Phänomen zurückgeführt werden, dass „Frauen, denen eine wissenschaftliche Karriere gelungen ist, diese vielfach als Zufall und
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Resultat glücklicher Umstände hinstellen, während Männer in der gleichen Situation ihre Karriere als Ergebnis von Zielstrebigkeit und Leistung darstellen“ (Müller 1999, 149). Frauen schätzen auch ihre eigene wissenschaftliche Kompetenz häufig niedriger ein und zeigen eine stärker selbstkritische Herangehensweise an die eigene Forschung als ihre männlichen Kollegen. Bourdieu (1997, 167) verwendet den vergeschlechtlichten Habitus doppelsinnig als einen Operator, in den die zweigeschlechtliche Weltsicht eingeht und der zur zweigeschlechtlichen Ein- und Aufteilung der sozialen Welt führt. „Der Habitus erzeugt gesellschaftlich vergeschlechtlichte Konstruktionen der Welt und des Körpers, die zwar keine geistigen Repräsentationen, doch darum nicht weniger aktiv sind. Desgleichen bringt er synthetische und passende Antworten hervor, die, obschon sie keineswegs auf dem expliziten Kalkül eines das Gedächtnis mobilisierenden Bewusstseins basieren, in keiner Weise das Produkt eines blinden Wirkens physischer oder chemischer Mechanismen sind, die den Geist zu beurlauben vermöchten. Durch eine permanente Formierungs-, eine Bildungsarbeit, konstruiert die soziale Welt den Körper als vergeschlechtlichte Wirklichkeit und in eins als Speicher von vergeschlechtlichenden Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien, die wiederum auf den Körper in seiner biologischen Realität angewendet werden“ (Bourdieu 1997, 167).
Damit übernimmt der vergeschlechtlichte Habitus49 zugleich eine vergeschlechtlichende Funktion, trägt also mit dazu bei, Geschlecht als eine relevante Kategorie der sozialen Ordnung hervorzubringen. Bourdieu vertritt damit eine sozialkonstruktivistische Perspektive auf Geschlecht und betont den Konstruktionscharakter biologisch begründeter Geschlechter: „Es ist keineswegs so, daß die Notwendigkeit der biologischen Reproduktion die symbolische Organisation der geschlechtlichen Arbeitsteilung und nach und nach der ganzen natürlichen und sozialen Ordnung determinieren. Vielmehr liefert eine willkürliche Konstruktion des Biologischen und insbesondere des – männlichen und weiblichen – Körpers, seiner Gebrauchsweisen und seiner Funktionen, namentlich in der biologischen Reproduktion, der männlichen Sicht der Teilung der geschlechtlichen Arbeit und der geschlechtlichen Arbeitsteilung und damit der gesamten männlichen Weltsicht ein scheinbar natürliches Fundament. Ihre besondere Kraft zieht die männliche Soziodizee daraus, daß sie zwei Operationen in eins vollzieht: sie legitimiert ein Herrschaftsverhältnis, indem sie es in etwas Biologisches einschreibt, das seinerseits eine biologisierte gesellschaftliche Konstruktion ist“ (Bourdieu 1997, 175).
Der Habitus ist ein gesellschaftliches Produkt und damit zugleich historisch geprägt. Er ist nicht angeboren, sondern beruht auf individuellen und kollektiven Erfahrungen, die durch ihn in einem Organismus in Form eines Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemas präsent bleiben. Dazu gehört auch die Inkorporierung gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse. Geschlechtliche Herrschaft ist 49 Von hier an ist im Folgenden bei der Verwendung des Begriffs Habitus immer dessen vergeschlechtlichende und vergeschlechtlichte Dimension mitgedacht. Zur besseren Lesbarkeit des Textes werden diese beiden Konkretisierungen jedoch im weiteren Verlauf der Arbeit weggelassen, wenn auf sie im Rahmen einer Argumentation nicht explizit Bezug genommen wird.
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nach Bourdieu der Prototyp symbolischer Gewalt, die er in seinem Aufsatz über die männliche Herrschaft wie folgt charakterisiert: „Alle Macht hat eine symbolische Dimension: sie muss von den Beherrschten eine Form von Zustimmung erhalten, die nicht auf der freiwilligen Entscheidung eines aufgeklärten Bewußtseins beruht, sondern auf der unmittelbaren und vorreflexiven Unterwerfung der sozialisierten Körper. Die Beherrschten wenden auf jeden Sachverhalt der Welt, insbesondere aber auf die Machtverhältnisse, denen sie unterliegen, und auf die Personen, die deren Träger sind, mithin auch auf sich selbst, nicht reflektierte Denkschemata an, die das Produkt der Inkorporierung dieser Machtbeziehungen sind.“ Bourdieu (1997, 165).
So nehmen Beherrschte die Herrschenden mittels Kategorien wahr, die von der Herrschaftsbeziehung hervorgebracht wurden und von daher im Interesse der Herrschenden liegen. Als Produkte der Einschreibung eines Herrschaftsverhältnisses in den Körper führen die Strukturen des Habitus die Beherrschten so laut Bourdieu schließlich mit einer Art nicht-rationalem Einverständnis dazu, “an ihrer eigenen Unterdrückung mitzuwirken, indem sie, jenseits jeder bewussten Entscheidung und jedes willentlichen Beschlusses, die ihnen auferlegten Grenzen stillschweigend akzeptieren oder gar durch ihre Praxis die in der Rechtsverordnung bereits aufgehobenen produzieren und reproduzieren” (Bourdieu 1997, 170).
Dies funktioniere beispielsweise über den habituell bedingten „Selbstausschluss“ von Frauen (oder anderen Opfern symbolischer Gewalt), der dazu führe, dass sie sich trotz der ihnen rechtlich zugänglich gemachten Bereiche dort nicht hineinbegeben, und dieser Selbstausschluss somit den ausdrücklichen Ausschluss ersetze. Der Selbstausschluss stehe dabei in einer durch wechselseitige Beeinflussung gekennzeichneten Beziehung zum erwarteten „negativen Vorurteil“ durch Männer (Bourdieu 1997, 170). Die habituellen Systeme, die über die Wahrnehmung der sozialen Welt durch die Einzelnen entscheiden, die ihre Interpretationen ermöglichen und ihre Praktiken bestimmen, sind für die Einzelnen in nur geringem Maße reflexiv zugänglich. Sie sind als spezifische Existenzform der Gesellschaft ein biographisches Produkt, das oftmals unbemerkt ‚hinter dem Rücken‘ der Akteure deren Art sich auszudrücken, sich zu bewegen, zu erkennen und zu beurteilen usw. steuert. So verkörpert der Habitus ein nicht-reflektiertes implizites Wissen über ‚geschlechtsangemessene’ Strategien des Verhaltens und Erlebens, einen praktischen Sinn dafür, welcher gesellschaftliche Platz einer Person qua ihres/seines Geschlechts zusteht und welcher nicht. „Doing Gender“ (Garfinkel 1967; Kessler/McKenna 1978) ist in Beziehung zum Konzept des Habitus gesetzt demnach nicht voraussetzungslos, nicht beliebig, sondern immer zugleich vorstrukturierte soziale Praxis (Engler 2004, 225).
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In Anlehnung an sozialkonstruktivistische (Vor-)Arbeiten der Ethnomethodolog/innen Garfinkel (1967) und Kessler/McKenna (1978) und des interaktionistischen Geschlechterforschers Goffman (1977/2001) für die empirische Frauenund Geschlechterforschung ergibt sich für die vorliegende Studie eine doppelte Forschungs- bzw. Beobachtungsperspektive auf soziale Phänomene. Dies bedeutet zu untersuchen wie und in welchen (Arbeits-)Kontexten Geschlecht hergestellt und als Ressource zur Strukturierung von Situationen und Institutionen genutzt wird und umgekehrt, inwiefern die Strukturierung von Situationen und Institutionen zu einer Ressource von Geschlechterkonstruktionen wird. Diesen wechselseitigen Konstitutionsmechanismus von Geschlecht zwischen den Ebenen Struktur und Handeln hat Goffman als „Institutionelle Reflexivität“ (Goffman 2001, 107) bezeichnet: die Institutionalisierung des kulturellen und sozialen Geschlechts, die dazu führt, dass genau die Merkmale des ‚Männlichen’ und des ‚Weiblichen’ entwickelt werden (können), welche angeblich die unterschiedliche Institutionalisierung begründen (vgl. Kotthoff 2002). Ein bekanntes Beispiel Goffmans ist die Trennung der öffentlichen Toiletten nach Geschlechtern. Diese Institutionalisierung als Beispiel verdeutlicht recht anschaulich, was es heißt, sich in einer vergeschlechtlichten Umwelt zu bewegen und über das eigene Handeln, nämlich das ‚geschlechtsadäquate’ Aufsuchen dieses ‚Örtchens’, die zweigeschlechtliche Struktur zu bestätigen und immer wieder herzustellen (vgl. Goffman 2001, 132). Geschlecht besitzt nach Goffman (2001) die Funktion eines grundlegenden zentralen Codes, demgemäß soziale Interaktionen und soziale Strukturen aufgebaut sind; „ein Code, der auch die Vorstellungen der Einzelnen prägt“ (ebd., 105). So kommt es zu „geschlechtsklassengebundenen individuellen Verhaltensweisen“ (ebd., 113), die - gleichsam dem Habitus - motiviert und gestaltet sind durch etwas, „das den einzelnen Körpern innewohnt“ (ebd.) und die die Geschichte der Geschlechter und ihre Rangordnung immer schon mitproduzieren. Goffman spricht hier vom „Genderismus“ (ebd.), der von Kotthoff als durchgängiges und ideologisiertes System der Relevanz von Geschlecht umschrieben wird (vgl. Kotthoff 2001, 166). Die geschlechtsklassengebundenen Tätigkeiten werden seit den ethnomethodologischen Arbeiten von Garfinkel (1967) und Kessler/McKenna (1978) als Doing Gender bezeichnet. Garfinkel (1967) beschrieb als erster die Geschlechtsdarstellung, die jede und jeder als Mann oder Frau für die Zugehörigkeit zu der jeweiligen Geschlechterkategorie zu leisten hat. Sie beinhaltet ein körperliches „knowing how” (Hirschauer 1989, 110) zur Darstellung des Geschlechts, mit dem wir identifiziert sind, aber auch den kompetenten und verantwortungsvollen Umgang mit anderen kulturellen Objekten, die als ‚typisch männliche’ oder ‚typisch weibliche’ Geschlechtsinsignien eingeordnet werden
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können (z.B. Frisur, Kleidung, Stimme, Schmuck, Wohnungseinrichtung, Mobilität, Kommunikationsstile) und von denen angenommen wird, dass sie dem Betrachter als Orientierungshilfe bei der Geschlechtszuschreibung dienen (ebd.). Der gekonnte Einsatz der kulturellen Ressourcen und die gelungene körperliche Geschlechtsdarstellung führen zur Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit, die für eine erfolgreiche Integration in ein zweigeschlechtliches System erforderlich ist.50 Die Geschlechtsdarstellung ist in wechselseitiger Abhängigkeit mit der Geschlechtsattribution durch andere Interaktionsteilnehmer/innen zu sehen. Damit ist der von Kessler/McKenna (1978) beschriebene komplexe interaktive Zuschreibungsprozess des Geschlechts einer Person durch Andere gemeint. Geschlechtsdarstellung und Geschlechtsattribution sind somit einerseits elementare Leistungen, die jede/r im Alltagshandeln zur Herstellung der Zweigeschlechtlichkeit vollbringen muss und die entscheidend zur Aufrechterhaltung dieses durch die ‚Natur’ begründeten Systems beitragen. Andererseits sind sie den Individuen zum größten Teil nicht als eine solche Tätigkeit bewusst und verleihen gerade darüber dem System unhinterfragt eine Stabilität. Der Prozess des Herstellens steckt „in den Knochen” (Gildemeister/Wetterer 1992, 243) der Menschen und nicht im Kopf: „Der Modus der Herstellung der Zweigeschlechtlichkeit verschwindet im Ergebnis, nicht zuletzt darin manifestiert sich die geglückte Selbst-Naturalisierung dieser sozialen Konstruktion” (Gildemeister/Wetterer 1992, 214).
Diese Selbst-Naturalisierung wird auch durch die von Goffman anhand verschiedener Beispiele dargestellter institutioneller Reflexivität gestützt (vgl. Goffman 2001, 107): Räumliche Segregationen, die am Geschlecht ausgerichtete Arbeitsteilung, Konventionen im Umgang miteinander und Gemeinschaftsformen, die explizit durch Geschlechtskompositionen definiert sind (z.B. das heterosexuelle Paar), stellen Bedingungen dar, die den Geschlechtsunterschied augenscheinlich machen und den Interaktionsteilnehmer/innen die Möglichkeit zur Geschlechtsdarstellung und -attribution bieten:51 50
Zentral bei der Geschlechtsdarstellung ist, dass sie einen Natürlichkeitscharakter aufweist, d.h., der Herstellungsprozess ist über routinierte Darstellungspraxen derart selbstverständlich geworden ist, dass er für andere, aber auch für die Person selbst unkenntlich geworden ist. „Es ist etwas zu tun, ohne damit beschäftigt zu sein” (Hirschauer 1989, 110). Geschlecht ist damit Teil der je eigenen Persönlichkeit geworden und wird von uns gelebt und nicht als hergestellt empfunden. Damit wird die Darstellungsarbeit vom Individuum in der Regel nicht mehr reflektiert und trägt so, unbemerkt von den Akteuren, zur Aufrechterhaltung der Zweigeschlechtlichkeit bei. 51 Dies alles ist begründet und abgesichert durch das Alltagswissen, welches „die Geschlechtszugehörigkeit als eindeutig, naturhaft und unveränderbar” (Hagemann-White 1988, 228) erachtet. Das Individuum in unserer Gesellschaft muss deshalb (unkenntliche) Darstellungs- und Erkennungsarbeit leisten, um das gesellschaftlich geforderte offensichtliche, lebenslange und biologisch begründete Geschlecht zu belegen und jene Alltagstheorie aufrechtzuerhalten. Dieses Wissen um die Zweige-
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Theoretische Perspektiven auf berufliche Integrations- und Ausgrenzungsmechanismen „Damit meine ich, daß tief verankerte institutionelle Praktiken so auf soziale Situationen wirken, daß diese sich in Kulissen zur Darstellung von Genderismen beider Geschlechter (Sexes) verwandeln“ (Goffman 2001, 150).
Institutionelle Reflexivität als Merkmal sozialer Organisation führt deshalb nach Goffman (2001) zu einer Verfestigung von Geschlechterstereotypen und des vorherrschenden Arrangements der Geschlechter (ebd., 139), womit die spezifische An- und Zuordnung der Geschlechter in einem bestimmten, nämlich hierarchischen Verhältnis, gemeint ist. Goffman hat ritualisierte Formen von Geschlechterverhalten aufgedeckt - formalisierte Verhaltensweisen, die einen Erwartungsrahmen bilden, an dem sich die Individuen für die Modalitäten des Umgangs miteinander ausrichten und welcher die gesellschaftliche Ordnung symbolisiert – deren Ausführung als sozial reglementiert gelten (vgl. Kotthoff 2001, 174). In diesen Geschlechterarrangements liegt ein konzeptioneller Bezug zu den feldspezifischen Spielregeln in der Konzeption Bourdieus, die als institutionalisierte Umgangsformen auch die Beziehungen zwischen den Geschlechtern regeln. Dabei stellt die feldspezifische Vermittlung struktureller Machtverhältnisse über die Spielregeln bei Bourdieu eine Erweiterung des Konzepts der Geschlechterarrangements dar und liegt in dieser Studie als erweitertes Verständnis der Arrangements Goffmans zugrunde. Diese institutionalisierten Praktiken der Konstruktion von Geschlecht benötigen einerseits immer wieder die Aktivierung durch Handelnde. Andererseits bestehen sie aber zugleich relativ unabhängig vom einzeln Handelnden und können sich nach Goffman auch schon mal auf ihre ‚Institutionalisiertheit‘ verlassen: „Zusammengefasst heißt das, daß man zwar von einer vergleichsweise autonomen Form des Lebens in der Interaktionsordnung52 sprechen kann […], ohne sie jedoch als irgendwie vorgängig, grundlegend oder konstitutiv für die Gestalt von makroskopischen Phänomenen ansehen zu dürfen“ (Goffman 2001, 77f).
Goffmans theoretisches Modell über Geschlecht als eine Angelegenheit institutioneller Reflexivität und das Habituskonzept Bourdieus bieten eine Erklärung dafür an, wie der Zusammenhang zwischen vergeschlechtlichten gesellschaftlichen Umweltbedingungen und vergeschlechtlichtem Handeln zu verstehen ist. schlechtlichkeit setzt den sozialen Kontrollmechanismus in Gang, der bei misslungener oder nicht geleisteter Geschlechtsdarstellung zu Ausgrenzung und Ablehnung führt. Beim Betrachter bzw. der Betrachterin löst die emotionale Gebundenheit im Prozess der Geschlechtsattribution ein Schamgefühl aus, wenn das Geschlecht eines Anderen nicht ‚erkannt’ oder ‚falsch’ bestimmt wurde, da die Alltagstheorie von der Offensichtlichkeit des Geschlechts ausgeht. 52 Die Interaktionsordnung kann „als die Folge eines Systems von regelnden Konventionen angesehen werden, ähnlich etwa den Grundregeln eines Spiels, den Verkehrsregeln oder den syntaktischen Regeln einer Sprache“ (Goffman 2001, 63f).
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Eine solche Analyseperspektive leitet auch die eigene Studie über die Mentoringpraxis. Mentee und Mentor/in begegnen sich nicht in einem geschlechtsneutralen Raum, sie reden auch nicht über einen geschlechtsneutralen Berufsalltag oder geschlechtsneutrale Berufspläne und –karrieren. Mentoring und dessen Teilnehmer/innen sind immer in soziale Felder eingebunden, deren vergeschlechtlichte Spielregeln sich vermittelt durch die institutionelle Reflexivität in einer sozialen Praxis spiegeln. Die soziale Umwelt und Praxis sowie die ihnen inhärenten Spielregeln werden durch Akteur/innen gedeutet, die daran ihre Handlungen ausrichten. Die Relevanzwerdung von Spielregeln setzt also Deutungsarbeit von Akteur/innen voraus, wobei diese Deutungen sowohl durch feldspezifische Regeln als auch durch die eigenen biographischen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster geprägt sind (vgl. Alheit/Hoerning 1989, 12). Die Studie interessiert sich somit vor allem für die Erzählungen und Deutungen der feldspezifischen Praxis aus der Sicht der Teilnehmer/innen, um im Sinne der doppelten Forschungsperspektive Rückschlüsse auf die individuelle und institutionelle Bedeutung von karriererelevanten Spielregeln ziehen zu können. Dabei ist sowohl die Deutung der Praxis des sozialen Feldes und der Verortung der Frauen in dieser relevant (Kap. 5) als auch die konkrete Mentoringpraxis (Kap. 6). Gesellschaftliche Spielregeln sind keine statischen Phänomene, sondern stets ‚im Fluss’. Sie sind auf (Wieder-)Herstellungsprozesse angewiesen, die begriffen als Aushandlungsprozesse - immer auch ein emergentes Potenzial zur Veränderung beinhalten. Daran sind auch die Hoffnungen befürwortender Gleichstellungspolitiker/innen, wie sie im ersten Teil dieses Kapitels dargestellt wurden, geknüpft (vgl. Kap. 2.3). Spielregeln über berufliche Integrations- und Exklusionsmechanismen können somit verändert (sowie bestärkt) werden, dies haben die theoretischen Ausführungen über die wechselseitige Konstitution institutionalisierter Regelungen durch Handeln und Struktur gezeigt. Als Teil des Habitus sind sie ein inkorporiertes und damit implizites Wissen, dessen Veränderung Bewusstwerdungs- und Lernprozesse von den Akteur/innen verlangt. Dies setzt einen sozialen Kontext voraus, in dem Spielregeln reflektiert und expliziert werden können und damit veränderbar werden. Mentoring könnte sich als ein Kontext für Mentees und Mentor(inn)en herausstellen, in dem (implizite und explizite) feldspezifische Spielregeln über Integrations- und Exklusionsmechanismen mittels Reflexionen habitualisierter Praktiken erfahrbar werden. Darüber können Bewusstwerdungs- und soziale Lernprozesse angestoßen werden, die die Spielregeln selbst bzw. den Umgang mit ihnen verändern. Im Folgenden wird deshalb die theoretische Auseinandersetzung mit sozialen Lernprozessen in informellen Kontexten fortgesetzt.
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3.1.4 Situiertes Lernen in informellen Kontexten Das Wissen um Spielregeln, die den beruflichen Aufstieg in einem sozialen Feld regeln, kann, wie gezeigt wurde im Bourdieuschen Sinne als eine spezifische Form des kulturellen Kapitals gelten, das Individuen besitzen und worüber sie zur Handlungsorientierung verfügen können. Es handelt sich um ein überwiegend implizites Wissen darüber, welche (Macht-)Mechanismen in einem sozialen Feld wirken und welche Handlungsmöglichkeiten sich daraus für Individuen ergeben. Dieses zentrale Wissen für eine berufliche Karriere wird - wie auch anderes implizites Wissen über gesellschaftliche Zusammenhänge - in der Regel nicht als ‚Faktenwissen’ vermittelt, sondern in Form eines Sozialisationsprozesses mittels einer „stillen Pädagogik“ (Bourdieu 1987a, 128) erworben bzw. im Bourdieuschen Sinne inkorporiert. Dieser Sozialisationsprozess formt „jenseits einer ausdrücklichen erzieherischen Absicht, über unscheinbare pädagogische Imperative und Ermahnungen bezüglich Manieren, Haltung und Betragen den Habitus“ (Schwingel 2005, 67). Bourdieu glaubt hierin eine „List der pädagogischen Vernunft“ (Bourdieu 1987a, 128) zu erkennen, der es mittels der Einprägungsarbeit gelingt, „den Grundprinzipien des kulturell Willkürlichen Geltung zu verschaffen, die damit Bewusstsein und Erklärung entzogen sind“ (ebd.). Die Verinnerlichung externer sozialer Strukturen ist dabei nicht als mechanischer Prozess zu verstehen; „vielmehr werden die äußeren Strukturen im Zuge der Inkorporation in innere Strukturen kognitiver, evaluativer, motivationaler und handlungsgenerierender Art transformiert“ (Schwingel 2005, 68). Diese internen Strukturen ihrerseits sind wirksam „nach der spezifischen Logik der Organismen, die sie sich einverleibt haben, also dauerhaft, systematisch und nicht mechanisch“ (Bourdieu 1987a, 102). Und dennoch hält Bourdieu eine „symbolische Revolution, die darauf abzielt, die fundamentalen Prinzipien der männlichen Weltsicht in den Köpfen wie in der Wirklichkeit umzustürzen“ (Bourdieu 1997, 216) für prinzipiell erreichbar, und er entwickelt die folgende politische Idee. Es seien Kontrollen von „gesellschaftlichen Herrschaftsmechanismen [...] (nötig), die verhindern, dass Kultur, d.h. die Askese und die Sublimation, in und durch die die Humanität sich bildet, anders begriffen wird denn als ein soziales Distinktionsverhältnis, behauptet gegen eine Natur, die nie etwas anderes ist als das naturalisierte Schicksal beherrschter Gruppen (Frauen, Arme, Kolonisierte, stigmatisierte Ethnien usf.)“ (Bourdieu 1997, 217).
In der Übergangsphase zu einer veränderten Gesellschaftsform seien archaische Verhaltensmuster neben sich neu etablierenden habituellen Strategien durchaus noch in den Praktiken und den unbewussten Dispositionen der Menschen erkennbar. Die subtile Wirkungsweise des (vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden) Habitus beruht schließlich gerade auf verinnerlichten, in
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den Körper hineingeschriebenen, herrschaftlichen Verhältnissen, die die Wahrnehmung, die Interpretation und die Handlungsweisen der Individuen prägen. Bourdieu prognostiziert deshalb: „eine wirkliche Umgestaltung der sozialen Strukturen (ist) so lange nicht (zu) erwarten, wie die Frauen in der Produktion und Reproduktion des symbolischen Kapitals weiterhin die benachteiligte Stellung einnehmen, die die Grundlage der Statusinferiorität ist, die ihnen das symbolische System und über es die ganze soziale Organisation zuteil werden lassen“ (Bourdieu 1997, 217).
Diese wirkliche Umgestaltung könne laut Bourdieu einzig durch eine kollektive Aktion zur Organisation eines symbolischen Kampfes ermöglicht werden. Dieser Kampf müsste die stillschweigenden Voraussetzungen der phallo-narzisstischen Weltsicht praktisch in Frage stellen und so einen Bruch der unmittelbaren Übereinstimmung zwischen den inkorporierten und den objektivierten Strukturen herbeiführen. In diesem Bruch läge die Bedingung für eine wirkliche kollektive Umkehrung der mentalen Strukturen, nicht bloß bei den Angehörigen des beherrschten, sondern auch bei denen des herrschenden Geschlechts. Letztere können nur dadurch zur ‚Befreiung’ beitragen, indem sie sich vom Privileg lossagen, das gleichzeitig eine Falle sei (vgl. Bourdieu 1997, 215). Solch eine - und überhaupt eine - politische Position im feministischen Diskurs als Soziologe zu beziehen, verdient Respekt. Allerdings erscheint seine Forderung des kollektiv provozierten Bruchs zwischen objektivierten und inkorporierten Strukturen gerade vor dem Hintergrund seiner Habitustheorie fragwürdig. Die Stärke seines theoretischen Ansatzes liegt eher darin, die Beharrlichkeit von (geschlechtlichen) Gesellschaftsbedingungen und Habitus erklären zu können. Die subjektive Alltagspraxis in seiner Theorie ist nur begrenzt variabel – zu eng sind die Individuen darin an ihre Sozialräume und die Regeln, die dort gelten, gebunden. Die Frage ist nun, ob sich ein Mentoringsetting ebenfalls als ein Ort der „stillen Pädagogik“ entpuppen könnte, an dem implizites Spielregelwissen über Aufstiegs- und Ausschlussmechanismen inkorporiert wird und den Befürchtungen von Kritiker/innen entsprechend herrschende hierarchische Geschlechterverhältnisse reproduziert und ihre Wirkungsmechanismen verschleiert werden. Oder ob sich Mentoring gerade umgekehrt als ein Kontext herausstellen kann, an dem die impliziten Spielregeln reflektiert und expliziert werden und damit im Sinne gleichstellungspolitisch motivierter Hoffnungsträger/innen veränderbar werden. Kann Mentoring sich, mit anderen Worten gesagt, als ein Kontext der beruflichen, sekundären Sozialisation (vgl. Berger/Luckmann 2004, 148f)53 herausstel53
Unter sekundärer Sozialisation verstehen Berger/Luckmann die „Internalisierung institutionaler oder in Institutionalisierung gründender ‚Subwelten’. […] Die sekundäre Sozialisation erfordert das Sich-zu-eigen-Machen eines jeweils rollenspezifischen Vokabulars. Das wäre einmal die Internalisie-
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len, im Rahmen dessen Lernprozesse stattfinden, die letztlich die beruflichen Karrierechancen der Mentees verbessern können? So weist zwar auch Goffman auf die relative Unabhängigkeit der Interaktionsordnung von strukturellen Bedingungen hin, was aber keineswegs bedeutet, dass es nicht auch zu unmittelbaren Auswirkungen situativer Faktoren auf soziale Strukturen kommen kann. Denn nach Goffman (2001) besteht zwischen Handlung und Institution eine „lose Kopplung“ (ebd., 85). „Ein kleines soziales Ritual ist in keinem schlichten Sinne ‚ein Ausdruck von’ strukturellen Anordnungen; es ist bestenfalls ein Ausdruck in dem Sinne, als es mit Blick auf diese Anordnungen erzeugt wird“ (ebd., 83, Herv. i.O.). Sie stehen somit in einer nicht determinierten Beziehung zueinander. So ist es nach Goffman möglich, dass der oder die Einzelne vom kulturellen Reglement abweicht und diese Abweichungen die Interaktionsordnung irritieren sowie mehr oder weniger, sofern sie sozial geteilt werden, auch ihre Veränderung ermöglichen (ebd.).54 Im Folgenden soll ein theoretisches Konzept vorgestellt werden, das eine Perspektive eröffnet und Begrifflichkeiten bereitstellt, wie soziales Lernen von implizitem Spielregelwissen, durch das solche Veränderungen der Interaktionsordnung denkbar sind, im Rahmen eines Settings wie Mentoring genauer erfasst und beschrieben werden kann. Es handelt sich dabei um den theoretischen Ansatz des Situated Learning von Lave/Wenger (1991). Lave/Wenger interpretieren Lernprozesse als aktive Versuche der Teilhabe an einem sozialen Kontext mit dem Ziel der vollständigen Akzeptanz und Partizipation. In der Bourdieuschen Theorie stellen solche Lernprozesse die Bedingung für Inkorporationen äußerer Existenzbedingungen dar bzw. Inkorporationen können als situierte Lernprozesse verstanden werden, die auch den Erwerb von implizitem Spielregelwissen umfassen. Lave/Wenger haben ein Verständnis von Lernen, das von einem Partizipationsbedürfnis sozialer Akteure an einer Gruppe ausgeht und bezeichnen die Situation von Lernenden als „legitimate peripheral participation“ (ebd., 36f): “Legitimate peripheral participation" provides a way to speak about the relations between newcomers and old-timers, and about activities, identities, artefacts, and communities of knowledge and practice. A Person’s intentions to learn are engaged and the meaning is configured through the process of becoming full participant in a socio-cultural practice“ (Lave/Wenger 1991, 29).
rung semantischer Felder, die Routineauffassung und –verhalten auf einem institutionalen Gebiet regulieren. Zugleich werden die ‚stillen Voraussetzungen’, Wertbestimmungen und Affektnuancen dieser semantischen Felder miterworben. Die ‚Subwelten’, die mit der sekundären Sozialisation internalisiert werden, sind im allgemeinen partielle Wirklichkeiten im Kontrast zur ‚Grundwelt’, die man in der primären Sozialisation erfasst“ (Berger/Luckmann 2004, 148f). 54 Goffman vertritt einen weitgehenden Begriff von Institution und Institutionalisierung, der demjenigen des Sozialkonstruktivismus entspricht. Institutionalisierung ist Habitualisierung und Typisierung von Verhalten, womit entscheidungsunabhängige Vorgänge gemeint sind (vgl. Kotthoff 2001, 162).
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Das bedeutet nach Lave/Wenger konsequent “that learning is an integral and inseperable aspect of social practice” (ebd., 31). Es ist immer eine situierte, kontextualisierte Handlung. Bei dem Konzept der situierten Handlung wird davon ausgegangen, dass es keine Aktivität gibt, die nicht situiert ist. Lernen bezieht sich deshalb prinzipiell mehr auf die ganze Person und auf generalisiertes soziales Wissen als auf bloßes Faktenwissen: „it […] can be gained only in specific circumstances. And it too must be brought into play in specific circumstances. The generality of any form of knowledge always lies in the power to renegotiate the meaning of the past and future in constructing the meaning of present circumstances” (Lave/Wenger 1991, 34).
Lave/Wenger gehen sogar noch über diese Definition hinaus: „In our view, learning is not merely situated in practice – as if it were some independently realisable process that just happened to be located somewhere; learning is an integral part of generative social practice in the lived-in-world. […] Legitimate peripheral participation is proposed as a descriptor of engagement and social practice that entails learning as an integral constituent” (Lave/Wenger 1991, 35).
Lernen ist demnach also immer schon verändernde Praxis, gleichsam ein tentatives Handlungsmodell. Dieses Basiskonstrukt hat grundlegende Konsequenzen für das Verständnis von Lernen als Aneignung von Wissen. Konventionelle Erklärungen beschreiben Lernen als einen Prozess, bei dem Lernende Wissen vermittelt bekommen oder in Interaktionen mit anderen ‚entdecken’. Darin ist implizit die Dichotomie zwischen innen und außen enthalten, Lernen vor allem cerebral verortet und die Lernenden als unproblematische Einheiten von der Analyseperspektive ausgeschlossen. Weiterhin wird Lernen als Internalisierung zu leicht als Aufnahmeprozess des Dargebotenen konstruiert, als eine Form der Assimilation oder Transmission (vgl. Lave/Wenger 1991, 50) „In contrast with learning as internalization, learning as increasing participation in communities of practice concerns the whole person acting in the world. Conceiving of learning in terms of participation focuses attention on ways in which it is an evolving, continuously renewed set of relations; this is, of course, consistent with a relational view, of persons, their actions, and the world, typical of a theory of social practice” (Lave/Wenger 1991, 50).
Lernen ist also keine isolierte kognitive Aktivität, sondern ein integraler Bestandteil sozialer Praxis. Lernprozesse sind (Um-)Deutungen von Beobachtungen in und von der uns umgebenden Welt, und ihre Qualität hängt vom Ausmaß der mit ihnen einhergehenden veränderten Selbst- und Weltverständnisse ab. So bezeichnet Alheit den „Übergang in eine neue Qualität des Selbst- und Weltbezuges – ein Prozess, der weder das lernende Subjekt noch den umgebenden strukturellen Kontext unverändert lässt […] [als] transitorische Bildungsprozes-
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se“ (1995, 299, Herv. i. O.). Sie sind empirisch nur über die Rekonstruktion der Subjektperspektive zugänglich, die deshalb auch den Ausgangspunkt der eigenen Studie darstellt. Situiertes Lernen ist nach Lave/Wenger auf die Teilhabe an einer Community of Practice angelegt: „Legitimate peripheral participation refers to both to the development of knowledgeably skilled identities in practice and to the reproduction and transformation of communities of practice. It concerns the latter insofar as communities of practice consist of and depend on a membership, including its characteristic biographies/trajectories, relationships, and practices. […] Legitimate peripheral participation is intended as a conceptual bridge – as a claim about the common processes inherent in the production of changing persons and changing communities of practice” (Lave/Wenger 1991, 55).
Unter Community of Practices kann eine Gemeinschaft von Personen verstanden werden, „die inhaltlich durch ein gemeinsames Interesse, eine gemeinsame Tätigkeit oder ein gemeinsames Bestreben sowie durch soziale Beziehungen und gemeinsame Werte miteinander verbunden sind. Im Zentrum von Communities of Practice stehen der Austausch von Ideen, Einsichten und Erkenntnissen, das gemeinsame Lernen sowie die gegenseitige Hilfe und Unterstützung" (Henschel 2001, 49). Das Konzept der Community of Practice bezieht sich auf den Prozess des sozialen Lernens von Personen, die ein gemeinsames Interesse an einem Thema oder einer Aufgabe haben und mittels Erfahrungen innerhalb der Gemeinschaft Lösungen und Innovationen hervorbringen möchten. Communities of Practices sind über einen längeren Zeitraum bestehende Personengruppen, die aus verschiedenen hierarchischen Ebenen und funktionalen Bereichen einer Organisation oder eines Interessengebietes stammen. Sie bilden eine weisungsunabhängige und sich organisch entwickelnde Gruppe von Personen, die als primäres Ziel haben, Wissen zu pflegen, es zu bewirtschaften, auszutauschen bzw. das Lernen zu fördern. Communities of Practices sind in der Regel nicht tätigkeitsorientiert, die Mitglieder nehmen freiwillig teil und treffen sich zum Austausch von Erfahrungen und Ideen. Die Führung der Gruppe wird durch die Mitglieder selbst bestimmt, diese treffen sich persönlich oder kommunizieren über ein Medium. Communities of Practices arbeiten zeitunabhängig. Sie bilden und trennen sich in Abhängigkeit des Interesses und der Dynamik der Teilnehmenden (vgl. Henschel 2001, 49ff). In gewissem Sinn sind Communities of Practices ubiquitär. Sie beschränken sich nicht nur auf das berufliche Umfeld, sondern erstrecken sich auf alle Bereiche sozialer Interaktion: „Communities of Practice are everywhere. We all belong to a number of them – at work, at school, at home, in our hobbies. Some have a name, some don’t. We are core members of some and we belong to others more peripherally” (Wenger 1999, 2).
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Allerdings wurde ihre Bedeutung auch in Unternehmenskontexten zunehmend erkannt (vgl. Wenger/Snyder 2000, 140). Seit der prominenten Studie von Brown und Gray (1995) zum Schulungsbedarf von Servicemitarbeitern des Kopiergeräteherstellers Xerox gilt als gesichert, dass die Mitarbeiter/innen am effektivsten nicht aus den offiziellen Schulungen und Trainings, sondern aus den Erfahrungen des Alltags lernen, wo sie Probleme mit Kolleg/innen diskutieren und Lösungen finden. „Practice is an ongoing, social, interactional process […]. That members interact, do things together, negotiate new meanings, and learn from each other is already inherent in practice […]“ (Wenger 1999, 102). Auch Mentee und MentorIn können in diesem Sinne eine Community of Practice bilden, in der situierte Lernprozesse auf der Basis einer längeren Zusammenarbeit und eines wechselseitigen beruflichen Austausches angestoßen werden. Als theoretisch sensibilisierende Parameter für die Qualität ihrer Beziehung können die von Henschel (2001) auf der Basis empirischer Studien in einer Unternehmensberatung (Andersen Consulting) systematisierten Determinanten der Lernfähigkeit einer Community of Practice herangezogen werden (ebd., 145ff): • Diversität der Mitglieder einer Community of Practice: Durch die Vielfalt von Sichtweisen und Vorstellungen wird der interindividuelle Diskurs angeregt. Da kollektive Lernprozesse im Wesentlichen auf der interindividuellen Kommunikation und Interaktion beruhen, lässt sich folgern, dass Communities of Practices mit einer höheren Diversität im Allgemeinen auch eine höhere Lernfähigkeit aufweisen (ebd., 146f). • Kohäsion einer Community of Practice: Mit einer Zunahme der Kohäsion steigen Akzeptanz und Sympathie unter den Mitgliedern einer Community of Practice. Damit verbunden ist die Bereitschaft, der Sichtweise anderer Mitglieder unvoreingenommen gegenüberzutreten, was zu einer Erhöhung der potentiellen Lernfähigkeit führt (ebd.). • Interaktions- und Kommunikationsintensität: Mit steigender Interaktion und Kommunikation unter den Mitgliedern einer Community of Practice nimmt auch tendenziell die Lernfähigkeit einer Community of Practice zu. Der persönliche Kontakt ist schließlich auch die Grundlage für das Beobachtungslernen, der dominierenden Lernform in Communities of Practices (ebd., 147). • Struktur bzw. Möglichkeit zur Selbstorganisation: Heterarchische und selbstorganisierende Gruppen haben grundsätzlich eine höhere Lernfähigkeit als hierarchisch-determinierende Gruppen. In selbstorganisierenden heterarchischen Gruppen, in denen von gleichem hierarchischem Rang der Gruppenmitglieder (zumindest bezogen auf die Gruppe) ausge-
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gangen wird, übernimmt das jeweilige kompetenteste Gruppenmitglied die Modellrolle (für das Beobachtungslernen). Insgesamt lässt sich festhalten, dass ein hohes Maß an Autonomie, Heterarchie und Selbstorganisation zu einer hohen Lernfähigkeit führen (ebd.). Communites of Practice unterscheiden sich von anderen sozialen Netzwerken durch eine eigene Identität und einen ausgeprägten Gemeinschaftscharakter (vgl. Wenger 1998, 4). Beide Aspekte sind auf spezifische soziale Prozesse zurückzuführen, die allgemein als charakteristische Eigenschaften einer Community of Practice gelten können. Es handelt sich nach Henschel (2001, 59ff) dabei um: • Zusammenarbeit: Lernen und Wissensaustausch in einem wettbewerbsfreien Raum können als leitende Motive für die Zusammenarbeit gelten. In einem solchen Rahmen sind Personen bereit, implizite Annahmen und Denkmuster zu offenbaren, eigene Positionen in Frage zu stellen, persönliche Fehler und Fehleinschätzungen zuzugeben. In einem Wettbewerbsumfeld, das sich durch eine hohe Dynamik und Komplexität auszeichnet, gewinnt diese Zusammenarbeit immer größere Bedeutung, denn kaum eine einzelne Person ist in der Lage, über jedes Detail Bescheid zu wissen. Vielmehr ist von Bedeutung, bei Problemen und Fragen auf ein Netzwerk von Wissensquellen zurückgreifen zu können (ebd.). • Storytelling: Zahlreiche Autor/innen betonen die Wichtigkeit des Erzählens von Anekdoten und Geschichten für den Austausch von Wissen und Erfahrungen (z.B. Brown/Duguid 1991, 45; Wenger/Snyder 2000, 145). Durch dieses Storytelling entwickelt eine Community of Practice ein gemeinsames Verständnis von einer Problemsituation und eine spezifische Community of Practice-Identität (ebd., 61). • Soziale Konstruktionsprozesse: Durch das Storytelling wird aber auch eine eigene soziale Welt konstruiert mit einer eigenen Sprache sowie einer gemeinsamen Verständnisgrundlage und Identität (ebd., 63f). Diese Identität wiederum hilft bei der Interpretation der wahrgenommenen Informationen: „Identity is important because, in a sea of information, it helps us sort out what we pay attention to, what we participate in, and what we stay away from“ (Wenger 1999, 6). • Care: Schließlich sind die sozialen Aktivitäten der Mitglieder einer Community of Practice durch eine bestimmte Haltung zueinander gekennzeichnet, die für das Lernen und den Wissenstransfer in einer solchen Gemeinschaft zentrale Bedeutung gewinnen. Es sind Haltungen wie Vertrauen, Einfühlungsvermögen, Hilfsbereitschaft, Nachsicht und Mut (vgl.
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Henschel 2001, 65f). Dabei muss nicht notwendigerweise jedes Mitglied diese Eigenschaft aufweisen, vielmehr muss die „social fabric“ (Wenger 1999, 6), d.h. das soziale Klima einer Community of Practice, diese Werte verkörpern. In Anlehnung an diese Determinanten und Prozessvariablen richten sich für die empirische Untersuchung von situierten Lernprozessen im Kontext von Mentoring entsprechend die Analyseperspektiven auf Haltungen und Motive der Mentees, auf Lernaktivitäten und Problemlösungsmuster sowie auf Beziehungen und Rollenverständnisse zwischen Mentee und Mentor/in. Dass auf das Phänomen Mentoring nicht uneingeschränkt das Konzept einer Community of Practice und des Situated Learning übertragen werden kann, darauf verweisen bereits verschiedene Konstitutionsbedingungen der beiden Arten von Arbeitszusammenhängen wie Art des Zustandekommens (formal vs. informell), Anzahl der Beteiligten an einer Community of Practice (Dyade beim Mentoring vs. typischerweise mehrere Personen in einer Community of Practice) und Struktur der Selbstorganisation (heterarchisch vs. hierarchisch). Andererseits gibt es bestimmte Anknüpfungspunkte zwischen dem Konzept einer Community of Practice und der Konzeption und Zielsetzung von Mentoringprogrammen, weshalb sich das Konzept trotzdem zur Sensibilisierung für die empirische Analyse eignet. Communities of Practices stellen eine Form informeller Lern- und Wissensaustauschbeziehung dar, für die der Austausch über implizites (und feldspezifisches Spielregel-)Wissen in Form von der gemeinsamen Bearbeitung von Themen oder Aufgaben zentral ist. Dabei kann es auch zur Reflexion und Explikation impliziten bzw. inkorporierten Spielregelwissens und darüber zu Bewusstwerdungs- und Lernprozessen kommen, die zu veränderten Haltungen und Praktiken führen. Sollte sich die Mentoringbeziehung zwischen Mentee und Mentor/in als eine solche herausstellen, könnte darüber theoretisch die Chance von Befürworter/innen solcher Programme auf Bewusstseinserweiterungen über vergeschlechtlichte Aufstiegsprozesse und Ausschlussmechanismen, die auch zu veränderten Praktiken führen können, begründet werden. Andererseits kann sich Mentoring in Gestalt einer Community of Practice auch als ein ‚stilles pädagogisches Setting’ herausstellen, dem es „mittels der Einprägungsarbeit gelingt“, zur Inkorporierung herrschender Spielregeln beizutragen, dem „kulturell Willkürlichen Geltung zu verschaffen“ (Bourdieu 1987a, 128) und vergeschlechtlichte Ausgrenzungsmechanismen zu ‚verschleiern’, wenn nicht sogar zu verstärken. Darüber würden sich die Befürchtungen der Gegner/innen solcher Programme praktisch bestätigen und theoretisch beschreiben lassen. Bevor mithilfe dieser theoretischen Sensibilisierung in die Analyse des empirischen Materials eingeführt wird, sollen die zentralen Aspekte dieses Kapitels im Folgenden noch einmal zusammengefasst werden.
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3.2 Zusammenfassung und Forschungsfragen Am Beispiel von sozialen Ausschlussmechanismen gegenüber Frauen im Wissenschaftsbetrieb wurde deutlich gemacht, dass sozialer Aufstieg ebenso wie sozialer Ausschluss ein Zusammenspiel von feldspezifischen und vergeschlechtlichten Dynamiken aufweist (vgl. Kap. 3.1.1). Dem Zusammenhang von gesellschaftlichen Positionen und deren Veränderung in einem sozialen Feld in Abhängigkeit vom Geschlecht wurde deshalb im folgenden Kapitel theoretisch weiter nachgegangen (vgl. Kap. 3.1.2). Darin zeigte sich, dass Geschlecht als Dimension des Sozialen durch die Vermittlung der Felder zum Tragen kommt und dass die Mechanismen, die in unterschiedlichen sozialen Feldern wirken und „Geschlechtseffekte“ (Engler 2004, 227) produzieren, jeweils spezifisch sind. Das, was im wissenschaftlichen Feld zählt und im sozialen Handeln der Akteur/innen zu entdecken ist, muss nicht identisch mit dem sein, was im wirtschaftlichen Feld die Akteur/innen umtreibt und miteinander kooperieren und konkurrieren lässt. Auch innerhalb dieser Felder werden Ressourcen in Abhängigkeit vom Kontext und der Perspektive auf sie unterschiedlich relevant, wie am Beispiel Frauen im Rahmen von Karriereförderung aus personalwirtschaftlicher und gleichstellungspolitischer Perspektive im ersten Kapitel gezeigt wurde. Es herrschen unterschiedliche Dynamiken in den Feldern, die den Einsatz und die Verteilung von Kapitalien bestimmen und den Einfluss von Geschlecht auf berufliche Aufstiege regulieren. Daraus wurde für die eigene Arbeit die Begründung einer feldspezifischen empirischen Forschung abgeleitet (vgl. Kap. 3.1.2). Es wurde weiterhin herausgearbeitet, dass die strukturellen Regulierungsinstrumente eines Feldes vermittelt über habituelle (vergeschlechtlichte) Handlungsmuster in den sozialen Praktiken und Deutungen der Akteur/innen zum Ausdruck kommen. Deshalb wurde in dem folgenden Kapitel dem Zusammenhang zwischen Habitus, sozialer Praxis und Geschlecht theoretisch weiter nachgegangen (Vgl. Kap. 3.1.3). Es konnte gezeigt werden, dass die Individuen über die habituellen Handlungsmuster maßgeblich an der Herstellung von feldspezifischen Dynamiken, die zur Integration oder zum Ausschluss führen, beteiligt sind - wobei ihr Einfluss auf ihr eigenes Handeln nach Bourdieu eingeschränkt ist. Vermittelt über den Habitus bestimmen die äußeren materiellen, kulturellen und sozialen Existenzbedingungen, d.h. die gesellschaftlichen Strukturen nicht nur die Position einer Person im sozialen Raum, sondern legen damit zugleich auch die Grenzen möglicher Praktiken einer Person fest. Ein zur Wirkung kommender vergeschlechtlichter Habitus konnte dabei als verantwortlich für ‚geschlechtsangemessene’
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Strategien des Verhaltens und Erlebens bestimmt werden, der als ein praktische Sinn definiert, welcher gesellschaftliche Platz einer Person qua ihres/seines Geschlechts zusteht und welcher nicht. Diese Form der Inkorporierung gesellschaftlicher Strukturen konnte auch auf die in sozialen Feldern geltenden Spielregeln zurückgeführt werden, die als spezifischer Teil des kulturellen Kapitals in Form von implizitem Wissen der im Feld agierenden Akteur/innen über ‚Erlaubtes’ und ‚Unerlaubtes’ bestimmen und damit die sozialen Beziehungen in ihrer Gesamtheit konstituieren. Der Analysefokus auf feldspezifische und vergeschlechtlichte Spielregeln zur Regulierung beruflicher Karrieren erfolgte in Anlehnung an Bourdieus Konzeption von Spielen im öffentlichen Bereich sozialer Felder um Macht. Dabei wird im Rahmen dieser Arbeit eine konzeptionelle Erweiterung durch Frauen als Mitspielerinnen vorgenommen. Die Fokussierung auf Spielregeln wurde weiterhin mit konzeptioneller Nähe zu Goffmans Konzept der Arrangements der Geschlechter begründet – einem Konzept über formalisierte Verhaltensweisen, die einen Erwartungsrahmen bilden, an dem sich die Individuen für die Modalitäten des Umgangs miteinander ausrichten und welcher die gesellschaftliche Ordnung symbolisiert. Die Spielregeln stellen neben sonstiger Nähe zu diesem Konzept eine Erweiterung dar, da sie im Unterschied zu den Geschlechterarrangements Goffmans feldspezifisch konzipiert sind (vgl. Kap. 3.1.2). . Hinsichtlich dieser institutionalisierten Praktiken der Konstruktion von Geschlecht, die die Geschlechter in einem bestimmten Arrangement zueinander organisieren, wurde herausgestellt, dass sie einerseits immer wieder im Handeln aktiviert werden müssen. Andererseits aber zugleich relativ unabhängig vom einzeln Handelnden bestehen und sich durchaus auf ihre ‚Institutionalisiertheit‘ verlassen können. Goffmans theoretisches Modell über Geschlecht als eine Angelegenheit institutioneller Reflexivität sowie das Habituskonzept Bourdieus stellten somit den theoretischen Hintergrund zum Zusammenhang vergeschlechtlichter gesellschaftlicher Umweltbedingungen und vergeschlechtlichtem Handeln dar. Die soziale Umwelt und Praxis sowie die ihnen inhärenten Spielregeln werden durch Akteur/innen gedeutet, die daran ihre Handlungen ausrichten. Die Relevanzwerdung von Spielregeln setzt also Deutungsarbeit von Akteur/innen voraus, wobei diese Deutungen sowohl durch feldspezifische Regeln als auch durch die eigenen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster geprägt sind. Darum wurden auch institutionalisierte Regeln und individuelle Handlungen in ihrer Beziehung zueinander als lose gekoppelt und wechselseitig konstituierend bestimmt, worüber nicht nur Abweichungen Einzelner vom kulturellen Reglement erklärt werden können, sondern auch Veränderungen institutionalisierter Regeln im Falle gesellschaftlicher Akzeptanz von Abweichungen theoretisch erklärbar werden. Daraus ergab sich für die Studie - auch in Anlehnung an sozi-
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alkonstruktivistische Forschungsarbeiten und theoretische Annahmen - eine doppelte Beobachtungs- und Forschungsperspektive auf vergeschlechtlichte Spielregeln zur Regulierung von beruflichen Aufstiegsprozessen und Ausschlussmechanismen (Vgl. Kap. 3.1.3). Spielregeln über berufliche Integrations- und Exklusionsmechanismen wurden schließlich als veränderbar (sowie reproduzierbar) erklärt. Als Teil des Habitus werden sie als inkorporiertes und damit implizites Wissen verstanden, dessen Veränderung Bewusstwerdungs- und Lernprozesse von den Akteur/innen verlangt. Als Voraussetzung dafür kann ein sozialer Kontext gelten, in dem Spielregeln reflektiert und expliziert werden können und damit veränderbar werden. Mentoring könnte sich als ein Kontext für Mentees und Mentor(inn)en herausstellen, in dem (implizite und explizite) feldspezifische Spielregeln über Integrations- und Exklusionsmechanismen mittels Reflexionen habitualisierter Praktiken erfahrbar werden können. Darüber könnten Bewusstwerdungs- und soziale Lernprozesse angestoßen werden, die die Spielregeln selbst bzw. den Umgang mit ihnen verändern können, wie anschließend erarbeitet wurde (Vgl. Kap. 3.1.3). Daraufhin wurde mit dem Ansatz des Situated Learning nach Lave/Wenger sowie dem Konzept der Community of Practice (Community of Practice) sozialen Lernprozessen in informellen Kontexten theoretisch weiter nachgegangen. Lernprozesse werden diesem Ansatz nach als aktive Versuche der Teilhabe an einem sozialen Kontext mit dem Ziel der vollständigen Akzeptanz und Partizipation verstanden. Weiterhin liegt diesem Ansatz ein Verständnis von Lernprozessen als (Um-)Deutungen von Beobachtungen in und von der uns umgebenden Welt zugrunde, deren Qualität vom Ausmaß der mit ihnen einhergehenden veränderten Selbst- und Weltverständnisse abhängt. Sie sind empirisch nur über die Rekonstruktion der Subjektperspektive zugänglich, die deshalb auch den Ausgangspunkt der eigenen Studie darstellt (Vgl. Kap. 3.1.4). In der Bourdieuschen Theorie stellen solche Lernprozesse die Bedingung für Inkorporationen äußerer Existenzbedingungen dar bzw. Inkorporationen können als situierte Lernprozesse verstanden werden, die auch für den Erwerb von implizitem Spielregelwissen zentral sind. Vor diesem theoretischen Hintergrund wurde herausgestellt, dass sich Mentoringbeziehungen als eine Form informeller Lern- und Wissensaustauschbeziehungen erweisen können, im Rahmen derer es sowohl zur Inkorporation und Reproduktion herrschender Spielregeln des beruflichen Aufstiegs kommen kann als auch mittels Reflexion und Explikation impliziten Spielregelwissens zu Bewusstwerdungs- und Lernprozessen, die zu veränderten habitualisierten Praktiken und Haltungen führen können. Auf der Basis dieser theoretischen Auseinandersetzung konnten die in Kap. 2.2.2 dieser Arbeit diskutierten gleichstellungspolitischen Befürchtungen und Hoff-
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nungen theoretisch reformuliert werden: In Anlehnung an diese kontroverse Diskussion wird zu prüfen sein, ob Mentoring der Befürchtung von Kritiker/innen nach dazu beiträgt, vergeschlechtlichte Ausgrenzungsmechanismen zu verschleiern oder ob sich die Hoffnung von Befürworter/innen nähren lässt, dass Bewusstwerdungs- und Lernprozesse angeregt werden, die (auch) zu veränderten Praktiken beruflicher Aufstiegsförderung führen können. Im ersten Empirieteil der Arbeit, Kap. 5, wird deshalb der Frage nachgegangen, ob und wie sich die Feldlogik der verschiedenen beruflichen Felder im Umgang mit dem Mentoringprogramm und seiner gleichstellungspolitischen Dimension bemerkbar macht. Wie deuten die Mentees das Mentoringprogramm? Welchen Einfluss haben institutionelle Kontextbedingungen? Welche impliziten und expliziten Spielregeln über berufliche Aufstiegsprozesse lassen sich aus den Deutungen der Mentees über ihre jeweiligen Berufsfelder rekonstruieren? Lässt sich eine vergeschlechtlichte Dimension der Spielregeln feststellen? Inwiefern zeigt sich der Einfluss der Feldlogik auf die Deutung und die Gestaltung des Mentoringprogramms? Zeigen sich aus der Sicht der Mentees Vorteile oder Probleme aus der konzeptionellen Interessensverbindung von Personalpolitik und Gleichstellungspolitik? Finden sich problematische Aspekte der kritischen Frauen- und Geschlechterforscherinnen über die Interessensverbindung in der Mentoringpraxis wieder? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den Nutzen der Mentees aus dem Programm? Im zweiten Empirieteil, Kap. 6, werden anschließend die Lernprozesse im Mentoringprozess und für sie förderliche und hinderliche Bedingungen – ebenfalls unter besonderer Berücksichtigung der Feldlogiken der Berufsfelder, in denen die Mentees tätig sind – untersucht. Was und wie wird im Mentoringsetting gelernt? Stellt sich die Mentoringbeziehung als eine Beziehung heraus, in der karriererelevantes Wissen über Aufstiegs- und Ausschlussmechanismen gewonnen wird? Tragen die Lernprozesse den Befürchtungen von Kritiker/innen entsprechend dazu bei, vergeschlechtlichte Feldlogiken und damit herrschende Geschlechterverhältnisse zu reproduzieren und gar ihre Wirkungsmechanismen zu verschleiern? Oder stellt sich Mentoring gerade umgekehrt als ein Kontext heraus, an dem Aufstiegsbedingungen reflektiert und expliziert werden, und nicht nur auf individueller Ebene karriereförderliche Effekte bewirken, sondern auch Veränderungen der Bedingungen selbst im Sinne gleichstellungspolitisch motivierter Hoffnungsträger/innen vorbereiten oder anregen können?
4 Methodologischer Zugang und methodisches Vorgehen
Der Studie liegt ein Interesse für die Erzählungen und Deutungen der feldspezifischen Praxis in Mentoringprozessen zugrunde, um Spielregeln der beruflichen Felder der Mentees und Lernprozesse im Mentoringsetting rekonstruieren zu können. Dafür werden die Deutungen über die Praxis des sozialen Feldes, die Verortung der Frauen in dieser und die konkrete Mentoringpraxis als relevant erachtet. Mentoring könnte sich als ein Kontext für Mentees und Mentor(inn)en herausstellen, in dem (implizite und explizite) feldspezifische Spielregeln über Integrations- und Exklusionsmechanismen mittels Reflexionen erfahrbar werden. Darüber könnten Bewusstwerdungs- und soziale Lernprozesse angestoßen werden, die die Spielregeln selbst bzw. den Umgang mit ihnen verändern. Sie sind empirisch nur über die Rekonstruktion der Subjektperspektive zugänglich, die deshalb den Ausgangspunkt der eigenen Studie darstellt und ein qualitativempirisches Forschungsdesign verlangt. Als qualitativ-empirische Studie folgt die Arbeit der Logik rekonstruktiver Sozialforschung. In der Tradition des symbolischen Interaktionismus (vgl. v.a. Blumer 2004) steht die Analyse und Nachvollziehbarkeit sozialen Handelns im Mittelpunkt: Für mich ist der symbolische Interaktionismus nicht eine philosophische Lehrmeinung, sondern eine bestimmte Betrachtungsweise innerhalb der empirischen Sozialwissenschaft – er ist ein Ansatz, der dazu bestimmt ist, nachprüfbares Wissen über das menschliche Zusammenleben und Verhalten zu erbringen.“ (Blumer 2004, 343).
Die Annahme, dass Wirklichkeit gesellschaftlich konstruiert wird (vgl. Berger/Luckmann 1997), hat Konsequenzen für die methodologische Anlage der Arbeit und der Erhebungs- und Auswertungsstrategien. Es geht um die Analyse der komplexen interpretativen Leistungen sozialer Akteur/innen, in denen gesellschaftliche Wirklichkeit produziert wird. Die wissenschaftlichen Konstruktionen als Ergebnis dieser Analyse wurden wiederholt mit dem Modell der Rekonstruktion beschrieben (vgl. u.a. Dausien 2002; Flick 2003). Damit wird auf Alfred Schütz’ (1971) Arbeiten über die Methodologie der Sozialwissenschaften zurückgegriffen, der deren primäre Aufgabe darin sieht, „die allgemeinen Prinzipien zu erforschen, nach denen der Mensch im Alltag seine Erfahrungen und
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Methodologischer Zugang und methodisches Vorgehen
insbesondere die der Sozialwelt ordnet“ (ebd. 68). Die Alltagswirklichkeit wird dabei zum maßgeblichen Gegenstand, auf den sich die sozialwissenschaftliche Theoriebildung bezieht: „Um diese soziale Wirklichkeit zu erfassen, müssen die vom Sozialwissenschaftler konstruierten gedanklichen Gegenstände auf denen aufbauen, die im Alltagsverstand des Menschen konstruiert werden, der sein tägliches Leben in der Sozialwelt erlebt. Daher sind die Konstruktionen der Sozialwissenschaften sozusagen Konstruktionen zweiten Grades, das heißt Konstruktionen von Konstruktionen jener Handelnden im Sozialfeld, deren Verhalten der Sozialwissenschafter beobachten und erklären muß, und zwar in Übereinstimmung mit den Verfahrensregeln seiner Wissenschaft“ (ebd.).
Die theoretische Reformulierung von alltagsweltlichen Konstruktionen soll allerdings nicht dazu führen, „dass sich sozialwissenschaftliche Forschung in einer Art theoretisch und methodisch naiven Zurückhaltung auf eine Reproduktion alltagsweltlicher Konstruktionen beschränken sollte“ (Thon 2006,111). So betont auch Dausien, „dass ‚Rekonstruktion’ in der Schütz’schen Tradition gerade kein unkritisches Nachvollziehen und Affirmieren alltagsweltlicher Ordnungskategorien und Sinnstrukturen meint (‚Reproduktion’), sondern eine reflexive, kritisch-analytische Rekonstruktion von Konstruktionen ‚ersten Grades’ sowie der Bedingungen, unter denen diese hergestellt und relevant gemacht werden, ausbleiben oder sich verändern“ (Dausien 2002, 170f). Die (Re-)Konstruktion der Verarbeitung von Erlebnissen und der Art und Weise, wie Subjekte in sozialen Interaktionen Dingen und Phänomenen Bedeutung zuweisen und diese wieder verändern erfordern ein empirisches Vorgehen, welches vorhandene Theorien im Sinne einer deduktiven Forschungslogik nicht verifiziert oder falsifiziert, „sondern diese vielmehr in Auseinandersetzung mit dem Material entwickelt und so der (Re-)Konstruktion Vorrang vor der Überprüfung eigener Ideen lässt“ (Menz 2006, 111). Das Ergebnis einer solchen Analyse ist dementsprechend eine gegenstandsbezogene Theorie, eine Grounded Theory, wie sie von Glaser und Strauss (1967, auf deutsch 1998) zuerst entwickelt wurde. Eine solche gegenstandsbezogene Theorie soll im Rahmen dieser Arbeit die Frage nach der feldspezifischen Bedeutung von Mentoringprogrammen als Karriereförderinstrument für Frauen beantworten.
4.1 Grounded Theory als methodologisches Rahmenkonzept Strauss und Glaser entwickelten in den späten 1960er Jahren aus Kritik an dem vorherrschenden hypothetiko-deduktivem Paradigma innerhalb der qualitativen Sozialforschung die Grounded Theory. Den (in der Regel männlichen) Forschern, die das deduktive Modell favorisierten, machten sie zum Vorwurf, reali-
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tätsfremde Forschung zu betreiben, da sie innerhalb des Forschungsprozesses die Priorität auf die Überprüfung von Hypothesen legten, die deduktiv aus großen Theorien (Grand Theories) abgeleitet wurden und keinen direkten Bezug zu empirischen Daten aufwiesen. Damit komme es zu einem Bruch zwischen Empirie und Theorie. Die Theorie wirkt abstrakt und leer und verliert ihren Bezug zur Alltagswirklichkeit. Zudem weist das Modell keine Offenheit für die Generierung neuer Konzepte und Hypothesen auf, die aus dem Forschungsfeld entstehen könnten (vgl. Hopf/Weingarten 1979, 91). Gerade daran waren Glaser und Strauss aber interessiert. Sie wollten neues, empirisch fundiertes, theoretisches Wissen generieren. Das von Glaser und Strauss entwickelte Konzept der Grounded Theory zeichnet sich deshalb durch eine Nähe zur Empirie aus, ohne ein induktives Vorgehen zu beschreiben. Sie favorisieren ein abduktives Forschungsverfahren mit dem Ziel der Generierung von gegenstandsbezogenen Theorien (Middle Range Theories) auf der Grundlage empirischen Materials. Abduktives Vorgehen beschreibt dabei den Prozess der ständigen wechselseitigen Überprüfung von Datenanalyse und den theoretischen Vorannahmen der Forschenden. Zu diesen theoretischen Vorannahmen heißt es bei Strauss und Corbin: „Theoretische Sensibilität bezieht sich auf die Fähigkeit, Einsichten zu haben, den Daten Bedeutung zu verleihen, die Fähigkeiten zu verstehen und das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. All dies wird eher durch konzeptuelle als durch konkrete Begriffe erreicht. Erst die theoretische Sensibilität erlaubt es, eine gegenstandsverankerte, konzeptuell dichte und gut integrierte Theorie zu entwickeln“ (Strauss/Corbin 1996, 25).
Theoretische Sensibilität setzt sich nach Strauss und Corbin aus Literaturkenntnissen, beruflichen und persönlichen Erfahrungen und aus den Erkenntnissen zusammen, die im Rahmen des laufenden Forschungsprojektes gewonnen werden (ebd. 25ff). Literaturkenntnisse können sich sowohl aus dem Wissen über abstrakte Theorien als auch aus der Literatur über den konkreten Forschungsgegenstand zusammensetzen. Dies ist laut Strauss und Corbin deshalb von Bedeutung, weil die soziale Realität hinsichtlich ihrer beschreib- und vergleichbaren Phänomene schier unerschöpflich ist und sich der Forscher/die Forscherin deshalb auf eine Aufmerksamkeitsrichtung festlegen sollte (vgl. Kelle 1994, 326). Das Vorwissen ist und bleibt jedoch eine Sensibilität für das Feld; es zeichnet sich durch heuristische Konzepte, nicht durch fest gefügte Erklärungsmodelle aus. Beim daraus entstehenden heuristischen Rahmenkonzept – in dieser Arbeit die Theorieteile A und B - handelt es sich dabei um „expliziertes Wissen, das bestimmte Lebenserfahrungen, gezielt erhobenes Kontextwissen über das Feld und auch geeignete Theoriebezüge enthält“ (vgl. Alheit 2000c). Wesentlich für ein Forschen nach der Grounded Theory Methodology ist in Abgrenzung zu induktiven oder deduktiven Verfahren eine bereits erwähnte
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Methodologischer Zugang und methodisches Vorgehen
abduktive Forschungslogik. Der Begriff wurde bereits 1965 von Glaser in einem Artikel in der Zeitschrift Social Problems eingeführt55 und beschreibt quasi „eine spiralförmige Hin- und Herbewegung zwischen theoretisch angeleiteter Empirie und empirisch gewonnener Theorie" (Dausien 1996, S.93). Die Wechselseitigkeit im Verhältnis zwischen Theorie und Empirie bezieht sich also sowohl auf die Auswertung des erhobenen Datenmaterials (Kodierung) als auch auf die sukzessive Erhebung der Daten, die in einem engen Wechselverhältnis zueinander stehen. Der auf Charles S. Peirce zurückgehende Begriff der Abduktion als logisches Schlussverfahren wurde auch von den Autoren Reichertz (1999) und Kelle (1994) in ein methodologisches Prinzip sozialwissenschaftlicher Forschung überführt. Reichertz beschreibt die Theoriebildung entlang einer abduktiven Logik wie folgt: „Etwas Unverständliches wird in den Daten vorgefunden und aufgrund des geistigen Entwurfs einer neuen Regel wird sowohl die Regel gefunden bzw. erfunden und zugleich klar, was der Fall ist. Die logische Form dieser Operation ist die der Abduktion. Hier hat man sich (wie bewusst auch immer und aus welchen Motiven auch immer) entschlossen, der bewährten Sicht der Dinge nicht mehr zu folgen. Eine solche Bildung eines neuen ‚typ’, also die Zusammenstellung einer neuen typischen Merkmalskombination ist ein kreativer Schluss, der eine neue Idee in die Welt bringt. Diese Art der Zusammenschließung ist nicht zwingend, eher sehr waghalsig. […] Die Abduktion ist also ein mentaler Prozess, der das zusammenbringt, von dem man nie dachte, dass es zusammengehört“ (Reichertz 199, 54, Herv. i. O.).
Problematisch an dieser Forschungslogik ist nach Thon (2006,113), dass sie sich nicht in ein formalisiertes Verfahren übertragen lässt. So betont schon Reichertz, dass sich abduktive Erkenntnisse nicht „wie ein Blitz“ ergäben und sich nicht „willentlich herbeizwingen“ ließen (ebd.). Nach ihm ist eine bestimmte Haltung der Forschenden die Basis und notwendige Voraussetzung für ein abduktives Forschen. Diese Haltung ist durch Informiertheit, Ernstnehmen der Daten und die Bereitschaft, von bisherigen Überzeugungen abzusehen, gekennzeichnet (ebd., 57f). Der abduktive Erkenntnisprozess, wie er in der Grounded Theory Methodologie vollzogen wird, der phasenhaft durch deduktive und induktive Forschungshaltungen geprägt ist, wird deshalb von Strübing (2004) als iterativ-zyklischer Prozess experimenteller Erprobung verstanden. Dieser Prozess zeichnet sich durch die Wechselseitigkeit der Generierung neuen Wissens durch Abduktion und/oder des Schließens vom Fall auf die Regel durch Induktion einerseits und
55 Dieser Artikel ist in dem 1968 erschienenen Buch "Discovery of Grounded Theory" von Glaser/Strauss als fünftes Kapitel unverändert abgedruckt.
Grounded Theory als methodologisches Rahmenkonzept
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das deduktive Abgleichen der daraus entstehenden ad hoc-Hypothesen am empirichen Material andererseits aus (vgl. auch Truschkat 2007, 64).
Abbildung 1: Der iterativ-zyklische Forschungsprozess nach Strübing (2004, 47) Das Schaubild verdeutlicht wie durch die Verdichtung der Erkenntnisse sukzessive das konzeptionelle Niveau der gegenstandsbezogenen Theorie steigt. Methodisch findet dieser spiralförmige Erkenntnisprozess Ausdruck in der „Methode des permanenten Vergleichs“ (Glaser 1965; Glaser/Strauss 1998). Diese Methode kann als grundlegend für das gesamte Verfahren der Grounded Theory Methodologie gesehen werden, sie konkretisiert sich aber vor allem im Prozess der Theoriebildung und der Fallauswahl. Strauss und Corbin entwickeln diesbezüglich in ihrer viel zitierten Veröffentlichung „Grounded Theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung“ (Strauss/Corbin 1996) einen dreistufigen Kodierprozess, der aus dem offenen, dem axialen und dem selektiven Kodieren besteht, wobei sie mit dem jeweiligen Kodierschritten eine jeweils spezielle Samplingstrategie verbinden. In Abweichung von ansonsten üblichen ex ante Kodierungen schlagen sie eine „ad hoc Kodierung des Datenmaterials [vor], bei
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Methodologischer Zugang und methodisches Vorgehen
der das Kategorienschema schrittweise [erst] aufgebaut wird“ (Kelle 1994, 294). Kategorien stehen also nicht zu Beginn eines Analyseprozesses fest, sondern werden „durch das Zusammentreffen des sensibilisierenden Konzepts mit den erhobenen Daten allmählich heraus gearbeitet“ (Alheit 2000c). Beim offenen Kodieren geht es zunächst darum, die Daten ´aufzubrechen´ und alles, was in Bezug auf die Daten und die der Forschung zugrundeliegenden Forschungsfrage wichtig erscheint, festzuhalten und in Kodes zu konzeptualisieren. Zentral ist, die Ebene der Daten zu verlassen, so dass keine Paraphrasierung stattfindet. Stattdessen wird den aufgefundenen Phänomenen auf einer abstrakteren Eben ein „konzeptueller Name“ (Strauss/Corbin 1996, 47) verliehen. Diese konzeptualisierten Daten können zu Kategorien zusammengefasst werden. Kategorien können an der Alltagssprache angelehnt sein (z.B. ein ‚Sich-den-Elternfremd-Fühlen’) als auch aus der soziologischen oder pädagogischen Fachterminologie stammen (z.B. Ablösungsprozess von den Eltern), worin die Notwendigkeit eines theoretischen Rahmens im Forschungsprozess sichtbar wird. Im weiteren Verlauf des Kodierens versucht der/die Forschende, die entwickelten Kategorien in Beziehung zu setzen, um am Ende eine ggf. mehrere Schlüsselkategorien bzw. Kodes formulieren zu können. Dabei soll die Analyse der Daten sich an einem bestimmten Punkt um die Achse einer Kategorie drehen, weshalb Strauss diesen Prozess des Kodierens als axiales (Strauss 1994, 63) Vorgehen bezeichnet. Gemäß der Zielsetzung, der diesem Kodierschritt eigen ist, geht es bei dem Sampling in diesem Untersuchungsstadium auch um das Sampling von Beziehungen und Variationen (vgl. Truschkat/Kaiser-Belz/Reinartz 2007). Der letzte Schritt des Kodierens, das selektive Kodieren impliziert eine Unterordnung aller gewonnenen Kategorien unter die zuvor (im axialen Kodierungsprozess) ermittelte(n) Schlüsselkategorie(n). „Selektiv kodieren heißt also, daß der Forscher den Kodierprozeß auf solche Variablen begrenzt, die einen hinreichend signifikanten Bezug zu den Schlüsselkodes aufweisen, um in einer auf einen spezifischen Bereich bezogenen Theorie verwendet zu werden“ (Strauss 1994, 63). Der Kodiervorgang wird dann abgeschlossen, wenn mithilfe der Methode des permanenten Vergleichs zwischen Ereignissen und Merkmalen von Kategorien keine neuen Erkenntnisse in Bezug auf die Formulierung einer Theorie erfolgen. An diesem Punkt der Untersuchung dient das Sampling dann einer Verdichtung dieser Kernbeziehungen und wird deshalb auch als „diskriminierendes Sampling“ (Strauss/Corbin 1996, 158) bezeichnet. Die Theoriegenerierung gestaltet sich dann als ein Prozess „des systematischen In-Beziehung-Setzens der Kernkategorie mit anderen Kategorien, der Validierung dieser Beziehungen und des Auffüllens von Kategorien, die einer weiteren Verfeinerung und Entwicklung bedürfen“ (ebd., 94).
Das Sample
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Es geht also darum, „die häufig (impliziten) Konstruktionen eines Textes zu explizieren und – im Hinblick auf ein bestimmtes Interesse und eine Fragestellung – die Regeln zu re-konstruieren, die den Konstruktionen des Textes zugrunde liegen, sowie schließlich einen eigenen Text über den empirischen Text zu erzeugen, der nach den Regeln der Wissenschaft plausibel ist und Zusammenhänge in den empirischen Daten ‚neu ordnet’ bzw. ‚neue’ Gesichtspunkte hervorhebt“ (Dausien 2002, 174). Die ‚Theorie’ oder der daraus entstehende Interpretationstext kann nach Mecheril (2003, 43) auch als „Ko-Konstruktion“ verstanden werden, die durch die Transkription ermöglicht wurde, aber durch die gewählte sozialwissenschaftliche Perspektive dennoch eine Eigenständigkeit besitzt. Nach Mecheril handelt es sich deshalb bei der Entwicklung von Theorien um Modellierungen in Form idealtypischer Beschreibungen von Zusammenhängen, die letztlich in einem Modell ihren Ausdruck finden (ebd.).
4.2 Das Sample Für die vorliegende Studie musste zunächst eine Auswahl von Mentoringprogrammen für Frauen getroffen werden, aus denen Teilnehmer/innen interviewt werden konnten. Man unterscheidet verschiedene Organisationstypen von Mentoringprogrammen (vgl. Haasen 2001). Zentral für eine Einordnung von Mentoringprogrammen56 ist die Unterscheidung nach Internen und Externen Programmen.57 Bei ersterem gehören Mentees und Mentor/innen dem gleichen Unternehmen/Organisation an, ohne sich in einer abhängigen Arbeitsbeziehung zu befinden.58 Als Besonderheiten des internen Mentorings gelten die Möglichkeit des Austauschs über spezielle unternehmensinterne Strukturen und Spielregeln, die Möglichkeit der/des Mentors/der Mentorin auf die Karriere der Mentees 56
Es wird zwischen informellen und formellen Mentoringbeziehungen unterschieden, die insbesondere hinsichtlich ihres Zustandekommens des Kontakts sowie der Beziehung zwischen Mentees und Mentor/innen und deren Zugehörigkeit zur Organisation bzw. Unternehmen verschieden sind (Haasen 2001, 20f; Hofmann-Lun et al. 1999, 9f). Informelles Mentoring beschreibt eine Mentoringbeziehung aus Eigeninitiative. Die Dauer und die Intensität der Mentoringbeziehung sowie Umgehensweisen, mögliche Arbeitsfelder und Themen des Austauschs bzw. des Erfahrungstransports werden ausschließlich zwischen den beiden Beteiligten verhandelt. Die im Mythos beschriebene Beziehung zwischen Telemachos und Athene/Mentor kann als ‚Urtypus’ einer informellen Mentoringbeziehung angesehen werden. Bei formalen Mentoringprogrammen vermittelt ein Unternehmen, eine Organisation oder ein Netzwerk die Mentoringbeziehung. Programmbeschreibungen regeln das Rahmenprogramm und machen Angaben über die vorgesehene Dauer des Mentorings. 57 Zu weiteren, spezifischen Formen von Mentoringprogrammen siehe Haasen (2001) 58 Nach Haasen (2001, 21) gilt als Faustregel, dass der/die MentorIn zwei Hierarchiestufen über der Mentee beschäftigt sein sollte.
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Methodologischer Zugang und methodisches Vorgehen
einzuwirken und das bessere Kennenlernen anderer Arbeitsbereiche des Unternehmens. Beim externen Mentoring arbeiten Mentees und Mentor/innen in verschiedenen Unternehmen oder Organisationen. Sie werden durch eine externe Einrichtung zusammengebracht, z.B. von einer Institution, einem Berufsverband oder einer Hochschule. Als Besonderheit des externen Mentorings gilt vor allem eine größere Offenheit im Austausch aufgrund der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Unternehmen sowie dem Gewinn von Einblicken in andere Unternehmenskulturen und deren Spielregeln. Eine besondere Form des externen Mentorings stellt das Cross-Mentoring dar. Bei dieser Form des Mentorings schließen sich mehrere Unternehmen zusammen und organisieren gemeinsam ein Mentoringprogramm. Mentees bekommen immer Mentor/innen aus einem anderen Unternehmen zugesprochen. Die Vorteile für die Mentees entsprechen denen oben dargestellten eines externen Mentoringprogramms. Für die vorliegende Studie konnten schließlich trotz der großen Verschlossenheit des Untersuchungsfeldes, besonders im privatwirtschaftlichen Bereich, im Sinne eines theoretischen Samplingprozesses (Glaser/Strauss 1998, 53ff) Verantwortliche eines Internen Mentoringprogramms an einer Hochschule sowie eines Cross-Mentoringprogramms zwischen verschiedenen Unternehmen und Kreditinstituten gewonnen werden, die ihre Mentees und Mentor/innen für eine Befragung motivieren wollten. Die beiden Programme sind durch maximale Kontraste auf den Ebenen des Programmtyps (Intern-Extern), der Berufsfelder (Verkehrsunternehmen und Kreditinstitut sowie Chemiekonzern, Hochschule) und dem Geschlecht von Mentor/innen geprägt, denn die Mentoringpaare im Internen Programm sind (bis zum Zeitpunkt der Erhebung) gleichgeschlechtlich während im CrossMentoringprogramm auch Männer als Mentoren fungieren. Durch diese dem Prinzip des permanenten Vergleichs folgende Auswahl kontrastiver Programmtypen konnte auf relevante Ergebnisse zur Beantwortung der oben genannten Forschungsfragen geschlossen werden. Es handelt sich demnach um ein „gezieltes Sampling“ nach Strauss/Corbin (1996, 155ff).59 59 Gezielt samplen meint, eben genau die Daten zu erheben, von denen man weiß, dass sie wichtige Informationen für die Beantwortung der Forschungsfrage enthalten und die es ermöglichen, Vergleiche hinsichtlich der Eigenschaften und Dimensionen relevanter Kategorien anzustellen. Davon abzugrenzen ist systematisches samplen, nach dem einer konkreten Strategie gefolgt wird. In der Forschungssituation gestaltet sich diese dann z.B. derart, dass man systematisch von einer bestimmten Person oder einem Ort beg/innend zur/m nächsten geht. Besonders zu Beginn des Forschungsprozesses, aber auch begleitend im Sinne einer Offenheit für neue „Entdeckungen" erachten Strauss und Corbin ein zufälliges Sampling als sinnvoll. Sie bezeichnen „die Selektion der Interviewpartner oder Beobachtungsplätze (als) ziemlich wahllos" (1996, S.156). Gemeint ist hiermit, dass theoretisch relevante Konzepte und Kategorien im Sinne von Auswahlkriterien für das weitere Sampling zumeist erst in der Analyse erster Daten entwickelt werden: „Da wir ja nicht sicher sind, welche Konzepte theoretisch relevant sind, werden wir an diesem Punkt die günstigen Plätze, Personen oder Dokumente zum Nachweis unserer Konzepte noch nicht kennen"
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Das Sample
Die Wahl der Interviewpartner/innen erfolgte daraufhin durch eine „zufällige“ Samplingstrategie, die sich nach Strauss/Corbin besonders bei verschlossenen Feldern anbietet und die sich in diesem Fall durch die fehlende Auswahlmöglichkeit von zu interviewenden Mentees und Mentor/innen zwangsläufig ergab (ebd.).60 So stellten sich nach Anfrage der Programm-Verantwortlichen 14 Mentees und 5 Mentor/innen aus den beiden Mentoringprogrammen für ein Interview zur Verfügung. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die Verteilung von interviewten Mentees und Mentor/innen auf die Berufsfelder. Flughafenunternehmen
Kreditinstitut
Chemiekonzern
Hochschule
Mentees
4
8
-
2
Mentor/innen
1
-
2
2
Abbildung 2: Sample Interviewpartner/innen Wie dem tabellarischen Überblick zu entnehmen ist, stellten sich nur wenige Mentor/innen für ein Interview zur Verfügung. Aufgrund der geringen Anzahl wurde deshalb von einer weiteren Bearbeitung dieser Interviews im Forschungsprozess abgesehen. Eine systematische Auswertung der Daten, wie sie unter 1.4 erläutert wird, erfolgte deshalb nur mit den Mentee-Interviews. Aufgrund des erschwerten Feldzugangs konnte die im Rahmen der Grounded Theory Methodologie für das Sampling vorgesehene Zirkularität von Datenerhebung und Datenauswertung nur sehr bedingt umgesetzt werden. Die Tatsache, dass die Bereitschaft sowohl von den institutionell Verantwortlichen als auch von den Beteiligten eingeholt werden musste, gestaltete den Feldzugang extrem zeitaufwändig und arbeitsintensiv. Es war deshalb kaum möglich, zunächst einen Kontakt herzustellen und erst nach dessen Auswertung wieder ins Feld zu gehen. Deshalb wurden die Interviews in relativ enger zeitlicher Folge (ebd., S.153). Wann sich welche Strategie anbietet, hängt in hohem Maße von dem interessierenden Forschungsfeld ab (vgl. auch Truschkat/Kaiser/Reinartz 2005). 60 Besonders zu Beginn des Forschungsprozesses, aber auch begleitend im Sinne einer Offenheit für neue „Entdeckungen" erachten Strauss und Corbin ein zufälliges Sampling als sinnvoll. Sie bezeichnen „die Selektion der Interviewpartner oder Beobachtungsplätze (als) ziemlich wahllos" (ebd., S.156). Gemeint ist hiermit, dass theoretisch relevante Konzepte und Kategorien im Sinne von Auswahlkriterien für das weitere Sampling zumeist erst in der Analyse erster Daten entwickelt werden: „Da wir ja nicht sicher sind, welche Konzepte theoretisch relevant sind, werden wir an diesem Punkt die günstigen Plätze, Personen oder Dokumente zum Nachweis unserer Konzepte noch nicht kennen" (ebd., S.153). Wann sich welche Strategie anbietet, hängt in hohem Maße von dem interessierenden Forschungsfeld ab (vgl. auch Truschkat/Kaiser/Reinartz 2005).
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Methodologischer Zugang und methodisches Vorgehen
geführt. Das bedeutete nicht, dass nicht direkt nach dem ersten Interview mit der Auswertung begonnen wurde, aber es bedeutete doch, dass die Mehrzahl der Interviews zu Beginn des Forschungsprozesses geführt wurden, da es forschungs- und zeitökonomisch anders gar nicht umzusetzen war.
4.3 Datenerhebung Aufgrund des fokussierten Interesses auf die Selbstwahrnehmung der Mentees im beruflichen Feld, auf die feldspezifischen Aufstiegsbedingungen und Spielregeln im Feld sowie die durch diesen Kontext geprägte Bedeutung der Mentoringprogramme und den konstruierten Nutzen daraus wurden halbstrukturierte Leitfadeninterviews mit den Mentees (und Mentor/innen) nach den Prinzipien eines Problemzentrierten Interviews durchgeführt (vgl. Witzel 2000). Das problemzentrierte Interview (PZI) zielt auf eine möglichst unvoreingenommene Erfassung individueller Handlungen sowie subjektiver Wahrnehmungen und Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Realität ab und ist an das Verfahren der Grounded Theory Methodologie angelehnt. Dies zeigt sich besonders in der spezifischen Haltung der Forschenden zu dieser Methode, die nach Witzel (2000) durch eine Problemzentrierung, eine Gegenstandsorientierung und eine Prozessorientierung gekennzeichnet ist sowie in einer methodischen Entsprechung eines „induktiv-deduktiven Wechselverhältnisses“ im Erhebungs- und Auswertungsprozess der Forschung (ebd.). „Das PZI ist ein ‚diskursiv-dialogisches Verfahren’ […], das – wie schon in der Kontaktaufnahme zum Ausdruck kommt – die Befragten als Experten ihrer Orientierungen und Handlungen begreift, die im Gespräch die Möglichkeit zunehmender Selbstvergewisserung mit allen Freiheiten der Korrektur eigener oder der Intervieweraussagen wahrnehmen können. Um seinen eigenen Erkenntnisfortschritt zu optimieren, kombiniert der Interviewer das Zuhören mit Nachfragen (Witzel 2000).“
Dazu kommen im Rahmen der Methode flexibel verwendbare erzählgenerierende und verständnisgenerierende Kommunikationsstrategien zum Einsatz (ebd.). Entsprechend dieser Prinzipien und in Anlehnung an die Forschungsfragen der Untersuchung enthielt der Leitfaden dieser Studie offene, erzählgenerierende Fragen zur Berufsbiographie, zur aktuellen Berufssituation der Mentees (und Mentor/innen) und zu ihren Karriereplänen bzw. Berufserfahrungen einerseits sowie zur Bedeutung des Mentoringprogramms, zur Motivation der Teilnahme, der Gestaltung der Mentoringtreffen und damit verbundenen Hoffnungen
Datenauswertung
105
und Schwierigkeiten sowie zur Beziehung zum Mentor/zur Mentorin andererseits (s. Anhang). Eine „vorformulierte Einleitungsfrage“ (ebd.) als eine erzählgenerierende Kommunikationsstrategie wurde in den meisten Fällen die Frage nach dem beruflichen Werdegang bis zur aktuellen Situation gestellt. Im weiteren Verlauf des Interviews wurde nach dem Sondierungsprinzip eine sukzessive Offenlegung der subjektiven Problemsicht auf Aufstiegsbedingungen, feldspezifische Spielregeln und die Bedeutung des Mentoringprogramms durch das Aufgreifen thematischer Aspekte aus den Anfangsdarstellungen in Anlehnung an die Fragen des Leitfadens unterstützt (vgl. auch Leitfaden im Anhang). Durch ein „Hervorlocken" konkreter Erfahrungsbeispiele oder biographischer Episoden wurde versucht, die Erinnerungsfähigkeit anzuregen und abstrakte, fehlende oder unklare Begriffe zu verdeutlichen sowie konkrete Bezüge zu Kontextbedingungen des Handelns herzustellen (ebd.). Die Fragen wurden in ihrer Formulierung und Ausführlichkeit den Bedürfnissen der Interviewpartner/innen angepasst ebenso wie die Abfolge der Fragen nach dem Gesprächsverlauf gerichtet wurde und sich vertiefende und abweichende Nachfragen aus dem Verlauf des Gesprächs ergaben. Der Ort der Durchführung der Interviews wurde den Gesprächspartner/innen freigestellt. Die Gespräche mit allen Mentees und Mentor/innen aus dem Internen Mentoringprogramm wurden in privatem Rahmen bei ihnen zu Hause geführt, wohingegen alle anderen Interviews in einem beruflichen Kontext (Büro, Konferenzraum, Cafeteria am Arbeitsplatz) geführt wurden. Die Dauer der Gespräche betrug zwischen 45-90 Minuten, wobei die im privaten Rahmen und am Abend geführten Interviews die längeren Gespräche darstellten. Alle Interviews wurden auf Tonband aufgezeichnet.
4.4 Datenauswertung
4.4.1 Aufbereitung der Daten für die Analyse Die erhobenen Interviewdaten wurden aus einer Kombination der Auswertungsverfahren nach der Methode des Problemzentrierten Interviews nach Witzel (2000) und der Methode des Expert/inneninterviews nach Meuser/Nagel (1991, 1997) aufbereitet. Einer sequenziellen Logik folgend wurden in tabellarischer Form (siehe unten) Inhaltsprotokolle von allen Interviews angefertigt, in denen dem thematischen Verlauf der Interviews folgend die Aussagen der Mentees anonymisiert und möglichst nah am gesprochenen Text zunächst paraphrasiert wurden. Diese Aufbereitung der Daten ermöglichte einen systematischen Ein-
106
Methodologischer Zugang und methodisches Vorgehen
und Überblick in die Interviews und im fortschreitenden Interpretationsprozess zugleich forschungsökonomisch den Verzicht auf die gesamte Interpretation der Interviews. Das Inhaltsprotokoll hat die Funktion, relevante Themen und Kernstellen für die weitere Auswertung sichtbar zu machen. Den nächsten Schritt der Verdichtung stellte die Vergabe von Überschriften zu den paraphrasierten Passagen dar, die zentrale Aspekte des Dargestellten aufgreifen. Damit wird einem Schritt des offenen Kodierens in der Grounded Theory Methodologie gefolgt, nachdem es zunächst darum geht, die Daten ´aufzubrechen´ und alles, was in Bezug auf die Daten und die der Forschung zugrunde liegenden Forschungsfrage wichtig erscheint, festzuhalten und in Kodes zu konzeptualisieren. Zentral ist, die Ebene der Daten zu verlassen, so dass keine Paraphrasierung stattfindet. Stattdessen wird den aufgefundenen Phänomenen auf einer abstrakteren Eben ein „konzeptueller Name“ (Strauss/Corbin 1996, 47) verliehen. Diese konzeptualisierten Daten können zu Kategorien zusammengefasst werden. Kategorien können an der Alltagssprache angelehnt sein (z.B. ein „Sich-den-Eltern-fremdFühlen“) als auch aus der soziologischen oder pädagogischen Fachterminologie stammen (z.B. Ablösungsprozess von den Eltern), worin die Notwendigkeit eines theoretischen Rahmens im Forschungsprozess sichtbar wird. Die nachfolgende Tabelle gewährt beispielhaft einen Einblick in diese geleisteten Arbeitsschritte.
Inhaltsprotokoll des Interviews mit Melanie Seiters, Kreditinstitut vom 30.04.04 in der Cafeteria des Kreditinstituts: Zählwerk 00:00-00:36
Inhalt Intervieweinführung und biographischer Erzählimpuls Biographisches
Aufwachsen und Schulzeit in Ostberlin, Berufsakademiestudium
00:37-01:20
Kommt aus Berlin, ist 29 Jahre alt. Melanie ist in der Ostseite von Berlin aufgewachsen. Als sie 15 war, ist die Mauer gefallen. Sie hat in Berlin Abitur gemacht und hat dann bei der Bank ein Berufsakademiestudium gemacht, d.h. man studiert die Hälfte der Zeit auf FH-Niveau und die andere Hälfte der Zeit hat man TraineeDurchläufe in der Bank, so dass man Studium und Praxis miteinander verbinden kann. Das war 1994-1997.
107
Datenauswertung
Bankkarriere
01:21-02:40
Sie hat dann in B-Stadt in der Firmenkundenabteilung in der Betreuung gearbeitet. 2000 ist sie nach Kanada gegangen und hat dort ebenfalls Kunden betreut wie Ölkonzerne oder Tochterunternehmen deutscher Unternehmen wie Autohersteller X usw. 2002 ist sie zurück nach F-Stadt gekommen und ist im Bereich Credtit Risk Management tätig, ihre Abteilung nennt sich ‚Asset Quality Review’. Sie sind so eine Art neutrale Kredit Risiko Prüfungsstelle. Sie ziehen in Europa durch die Analysezentren und prüfen, ob sie auf das gleiche Kreditrating kommen wie ihre Analysten. Es ist keine formale Revision, es hat einen touch von Revision, aber nicht formal, sondern nur auf materielle Sachen gestützt. Sie gucken nicht, ob Unterschriften richtig sind, sondern ob das Risiko richtig eingeschätzt worden ist. Nachfragen zum Interview Berufsakademiestudium als pragmatische Lösung
02:41-03:19
Frage nach Motivation zum Studium dieser besonderen Art: Es sei familiär bedingt gewesen. Ihre Eltern haben sich scheiden lassen, und ihr Vater fühlte sich nicht im Stande, außer wenn man gerichtlich vorgegangen wäre, Geld zu zahlen. Melanie hatte keine Lust, die ganze Zeit von ihrer Mutter finanziell abhängig zu sein. Den Vorteil dieses Studiums sieht Melanie deshalb vor allem darin, dass sie während der ganzen Zeit von der Bank bezahlt wurde. Studieren wollte sie unbedingt und insofern fand sie diese Lösung gut. Sie hätte vorher nicht gedacht, dass sie zur Bank kommt, aber es war gar nicht so schlecht im Nachhinein. Bis jetzt macht es ihr jedenfalls Spaß. Bankwesen als vielfältiges Arbeitsfeld
03:20-04:25
Frage nach Interesse am Bankwesen: Erstens mochte sie in der Schule ganz gerne Mathe und Englisch und beides kann man in der Bank ganz gut benutzen. Außerdem mit Menschen umgehen, und die Bank ist so groß, dass man in verschiedensten Abteilungen und verschiedenen Ländern tätig sein kann. Es wird im Endeffekt nie langweilig, wenn man wirklich auf der Suche sei, weiterzugehen und nicht irgendwo fest hängen bleibt. Melanie glaubt auch, dass ein wenig Sicherheitsdenken damals mit im Spiel war. Mittlerweile seien Banken ja nicht mehr so sicher, wie sie früher einmal den Ruf gehabt hätten. Aber gerade damals, als die Mauer gerade gefallen war und soviel Neues passierte und Veränderungen mit sich brachte, schien die Bank als ein Sicherheit spendender Arbeitgeber attraktiv. Da sie zudem das Studium bezahlte, war die Entscheidung einfach.
Abbildung 3: Beispielhafte Darstellung eines Inhaltsprotokolls
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Methodologischer Zugang und methodisches Vorgehen
Aufgrund dieses ersten Auswertungsschritts wurden im Anschluss daran den Vorschlägen Meusers/Nagels (1991, 1997) zur Auswertung von Expert/inneninterviews folgend relevante Passagen zur Beantwortung der leitenden Fragestellungen aus den Interviewprotokollen thematisch zusammengestellt (z.B. Beschreibungen des Arbeitsumfeldes und der Aufstiegsbedingungen, die Wahrnehmung des Mentoringprogramms und dessen Gestaltung, die MenteeMentor/innen-Beziehung) und vollständig nach den Transkriptionsnotationen in Anlehnung Rickers (2000) und Selting/Auer (1998, s. Anhang) für die nachfolgende intensive Interpretation einzelner Interviewpassagen transkribiert.
4.4.2 Kernstellenanalyse Auf der Grundlage der Inhaltsprotokolle zu den Interviews wurden forschungsfragenrelevante Passagen, sogenannte Kernstellen, zur intensiven line-by-line Analyse (vgl. u.a. Reichertz 2004) ausgewählt und interpretiert. Bei dieser sequenziellen Feinanalyse ging es um ein weiteres Aufbrechen der Daten und um das Herausarbeiten der zentralen Deutungen des Arbeitsumfeldes mit seinen Aufstiegsbedingungen und die zugewiesene Bedeutung des Mentoringprogramms. Konkret bedeutete dies, zunächst einmal alle möglichen Eindrücke, Assoziationen und Lesarten zu einer Textstelle in Betracht zu ziehen, solange sie auf plausible Art und möglichst ohne Zusatzannahmen an den Text rückgebunden werden konnten (vgl. Thon 2006, 124). Ziel war es zunächst, die Deutungen mithilfe der Methode des permanenten, minimalen Vergleichs innerhalb eines Interviews nachzuvollziehen, bevor im Anschluss daran die herausgearbeiteten Kategorien der verschiedenen Interviews ebenfalls mit der Methode des permanenten Vergleichs durch minimale und maximale Kontrastierungen für die Kategorienbildung auf axialer Ebene herangezogen wurden. Diese konnten dadurch dimensionalisiert und schließlich im Sinne des selektiven Kodierens zu typischen, fallübergreifenden Deutungsmustern verdichtet werden. Neben dem Offenheitsprinzip als ein typisches Merkmal der Grounded Theory Methodologie kommt besonders in dieser Phase der Vielperspektivität große Bedeutung zu. Damit ist gemeint, dass eine möglichst große Vielfalt an Lesarten zum Text produziert werden sollten, um immer wieder neue Aspekte sichtbar werden zu lassen. Dabei zeigt sich nach Thon die „prinzipielle Unausschöpfbarkeit des empirischen Materials, das immer wieder neue ‚Entdeckungen’ ermöglicht, dessen Bearbeitung damit aber auch nie zu einem endgültigen Ergebnis geführt werden kann“ (ebd., 124). Aus forschungspraktischen Gründen
Darstellung der Ergebnisse und Forschungsprozess
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muss dieser Prozess natürlich dennoch letztlich dazu führen, dass die Interpretationen gemäß dem Forschungsinteresse ab einem bestimmten Zeitpunkt perspektivisch so verengt und verdichtet werden, dass damit auf die Entwicklung einer gegenstandsbezogenen Theorie hingearbeitet wird (vgl. hierzu auch Truschkat/Kaiser/Reinertz 2005). Diese Vielperspektivität wird insbesondere durch die gemeinsame Interpretation in Forschungswerkstätten oder anderen Interpretationsgruppen ermöglicht. Durch die unterschiedlichen Sichtweisen der Teilnehmer/innen solcher Gruppen entstehen nicht nur andere und wertvolle Lesarten, sondern auch das eigene Verstehen kann einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Kategorien können in einem solchen Forschungszusammenhang kommunikativ validiert werden, genauso wie Kernkategorien hinsichtlich ihrer Sättigung geprüft werden können (vgl. Flick 2002).
4.5 Darstellung der Ergebnisse und Forschungsprozess Die Ergebnispräsentation der vorliegenden Studie folgt einer anderen Logik als der Logik des Forschungsprozesses. Während der Forschungsprozess entsprechend der abduktiven bzw. iterativ-zyklischen Logik nach der Grounded Theory Methodologie zirkulär verlaufen ist, muss die Darstellung des Prozesses einer linearen Logik folgen und die Ergebnisse derart wiedergeben, dass sie dem/der Leser/in zugänglich und nachvollziehbar erscheinen. Da sich im Forschungsprozess die Feldlogik als zentrale Kategorie herausgestellt hat, vor deren Hintergrund berufliche Aufstiegserfahrungen sowie die Bedeutung des Mentoringprogramm reflektiert wurden, ist sie zur strukturbestimmenden Kategorie für die Gestaltung der Empiriekapitel geworden. Das bedeutet jedoch nicht, dass im Falle einer anderen Forschungsfrage nicht auch eine andere Kategorie als zentral und strukturbestimmend hätte ausgewählt werden können/müssen. Dies gilt auch für die präsentierten Kernstellen des Empiriekapitels. Die Entscheidung für die Auswahl der präsentierten Kernstellen und ihre Interpretationen erfolgte auf Basis ihrer Aussagekraft und Beispielhaftigkeit für die entwickelten Kategorien, die zur Beantwortung der Fragestellungen als relevant erachtet wurden. Die Anzahl und Längen dieser präsentierten Kernstellen in den Empiriekapiteln stellen nur einen kleinen Teil der im Forschungsprozess interpretierten Kernstellen dar. Dieselbe ‚Abkürzungsstrategie’ zeigt sich auch in der theoretischen Zusammenführung im Schlussteil der Arbeit. Während die Entwicklung der gegenstandsbezogenen Theorie in der Darstellungslogik als sukzessive theoretische Verdichtung der Zusammenfassungen aus den einzelnen Kapiteln der Arbeit erscheint, ist ihre tatsächliche Entstehungsgeschichte viel komplexer verlaufen
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Methodologischer Zugang und methodisches Vorgehen
und durch zum Teil ‚schmerzliche’ Fokussierungen geprägt, die die Vernachlässigung anderer interessanter Aspekte und Perspektiven bedeuteten, die sich aber als notwendig für eine theoretische Verdichtung im Sinne der Modellierung eines Modells erwiesen haben.
5 Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
Die theoretischen Überlegungen der vorausgegangenen Kapitel legen nahe, dass die Deutung des Mentoringprogramms in Zusammenhang mit der erlebten (vergeschlechtlichten) Struktur des beruflichen Umfeldes sowie den habituellen Mustern der Teilnehmer/innen steht. Vor diesem Hintergrund richten sich die nun folgenden empirischen Auswertungen auf die rekonstruierbaren Spielregeln über berufliche Aufstiege im jeweiligen beruflichen Feld, auf die rekonstruierbaren Selbstverortungen und Karriereambitionen der Teilnehmer/innen und die damit in Zusammenhang stehende Perspektive auf das Mentoringprogramm.
5.1 Soziales Feld: Hochschule, Medizinische Fakultät
5.1.1 Beispiel I: Dermatologie, Christin Baumert Selbstverwirklicher der anderen Welt I:
Wie ist das denn eigentlich? Also Sie haben schon gesagt, Sie sind fast die einzige Ärztin mit Kind, wie ist das denn in Ihrem Fachbereich, sind da in der Ausbildung wenig Frauen?
C.B.: Nee. Das ist ausgewogen. Fast fifty-fifty. Also wenn, ist sogar eine Frau mehr als ein Mann, würde ich mal so. Ich weiß es nicht genau in Zahlen, ähm, aber die haben alle keinen, also manche haben zwar Partner, aber es sind außer mir, glaube ich, ist glaube ich niemand, außer diesem einen Assistenten, der auch Kinder hat, hatte ich ja gesagt. I:
Hmhm
C.B.: Sind, ist niemand verheiratet und tja. (--) Das sind alles noch so eher so Selbstverwirklicher. Die auch wirklich, das merkt man auch so im beruflichen Alltag, ähm, sich viel wichtiger nehmen, als ich mich jetzt glaube ich wichtig nehmen würde. Also ich nehme meine Arbeit wichtiger und die haben sehr viel Querelen untereinander, an denen ich nicht immer so richtig teilnehmen kann, also das fällt mir so ein bisschen auf. Das ist irgendwie manchmal eine andere Welt. Ja, das hört sich so abgehoben an, ich schwebe ü-
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms ber den Dingen, so, das ist es überhaupt nicht. Das liegt, glaube ich wirklich daran, dass man einfach noch einen ganz anderen Schwerpunkt hat, für den man auch viel tun muss.
Christin Baumerts beruflicher Kontext ist nicht durch ein bestimmtes Geschlechterverhältnis charakterisiert, denn sie hat ebenso viele männliche wie weibliche Kolleg/innen. Für ihr spezifisches berufliches Umfeld ist vielmehr eine familiäre Ungebundenheit typisch. Aufgrund ihres Familienstandes als verheiratete Frau und Mutter zweier Kinder sieht sie sich deshalb in einer besonderen Situation. So ist sie ist die einzige Frau im Kolleg/innenkreis, die eine Familie mit zwei Kindern hat, für die sie „auch viel tun muss“. Zwar gibt es einen männlichen Kollegen (Assistenten), der ebenfalls Kinder hat, aber dies scheint das Empfinden einer besonderen Situation nicht zu schmälern. Es gibt in dieser Passage jedenfalls keinen Hinweis darauf, dass es ein kollektives Gefühl aus ähnlichen Lebenslagen zwischen ihr und dem Assistenten gibt. Mit ihrer Erwerbstätigkeit und dem Familienleben sieht sich Christin Baumert einer Doppelbelastung ausgesetzt, die die Kolleg/innen ohne Familie nicht haben. Diese verstricken sich stattdessen in „Querelen untereinander“ und werden von Christin Baumert deshalb „noch“ als „Selbstverwirklicher“ wahrgenommen. Christin Baumert stellt ihre abweichende Arbeitshaltung damit in den Zusammenhang von Familienleben und Berufstätigkeit: Sie hat aufgrund der Doppelbelastung kein Interesse daran und keine Energien dafür übrig, sich an den sozialen Auseinandersetzungen zu beteiligen. Stattdessen konzentriert sie sich auf ihre Aufgaben und nimmt mit dieser auf Arbeit fokussierten Einstellung eine gesonderte Position im Kolleg/innenkreis ein. Darin zeigt sich empirisch, was von Krais als Spielregel für das wissenschaftliche Feld in Kap. 3.1.1 beschrieben wurde: „Eine von Wissenschaftler/innen und Wissenschaftlern gleichermaßen getragene Vorstellung von wissenschaftlicher Arbeit ist, dass diese das volle Engagement der Person erfordere, eine unbedingte Hingabe an die Wissenschaft, die Frauen mit familiären Verpflichtungen nicht erbringen könnten“ (Krais 2000, 21). Vor diesem theoretischen Hintergrund können die Querelen unter den anderen Kolleg/innen als Hinweis auf ein konkurrenzgeprägtes berufliches Umfeld gedeutet werden. Irgendwas mit Frauen und Equal I:
Was hat sie dazu bewogen eigentlich, ähm, so (.)?
C.B.: Es lag einfach dieser Infozettel in meinem Postfach, ähm, und da ich ja relativ unregelmäßig in der Klinik bin, habe ich den auch relativ spät glaube ich erst, ähm, entdeckt (.) und dann habe (.), ähm, dann noch ein bisschen überlegt und konnte mir unter Mentoring überhaupt nichts vorstellen. I:
Hmhm
Soziales Feld: Hochschule, Medizinische Fakultät
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C.B.: Irgendwas mit Frauen und Equal und so was hörte sich, ähm, für mich, ähm, interessant an, wobei ich dann immer son bisschen denke, hach, ist mir eigentlich viel zu feministisch und emanzipatorisch und hach, was denken I:
((lacht))
C.B.: meine Kollegen denn nur dadrüber, so ungefähr, ähm, (.) und, ähm, erstens brauche ich’s keinem zu sagen, außer meinem Oberarzt da, und der meinte: „Hu, Sie haben doch einen Mentor“ ((lacht)). Und dann habe ich, ähm, Frau Koordinatorin angerufen, es ist ein paar Mal hin und her gegangen, weil wir uns nie erreicht haben, und, ähm, dann hat sie mir das ganz kurz umrissen und hat mir dieses Programm gemailt (.) und nee, nee nicht dieses Programm, sondern diesen diesen Aufnahmezettel sozusagen und, ähm, als ich dann so geschrieben habe dacht’ ich mir Mensch, das finde ich aber mal ganz toll, weil dann bin ich gezwungen erstens an ein paar Sachen (teil)zunehmen und, ähm, mir über viele (.) Dinge (.) einfach da’ dadurch, dass ich mit anderen darüber spreche, klar zu werden. Und das erhoffe ich mir eigentlich auch, ähm, dass ich, ähm, und das hat sie auch ein bisschen schon, wir haben ein paar Mal telefoniert, die Frau Mentorin und ich, Frau Mentorin und ich, ähm, dass mir einfach klar wird, was ich so möchte, ob ich jetzt wirklich Karriere unimäßig machen möchte und was, was, was will ich eigentlich? Will ich Oberärztin in ner Klinik werden oder will ich habilitieren und warum? Oder möchte ich eigentlich lieber, ähm, bisschen meinen Schwerpunkt mehr auf Familie und Praxis legen?
Christin Baumert stuft sich selbst weder als feministisch noch als emanzipatorisch ein, fühlt sich aber durchaus durch das Mentoringangebot für Frauen angesprochen. In ihrem beruflichen Umfeld fällt es ihr jedoch schwer, die Teilnahme an einem solchen Programm zu legitimieren wie an dem geäußerten Unbehagen ihren Kollegen gegenüber abzulesen ist. Diese Äußerung sowie die Reaktion ihres Oberarztes auf eine andere Mentorin ‚neben ihm’ beschreiben Grenzüberschreitungen, die implizit auf weitere Spielregeln dieses beruflichen Feldes schließen lassen. Es scheint eine Spielregel zu geben, die eine besondere - nicht allen Kolleg/innen zustehende - Form der Förderung untersagt, da sie als kompensatorische Maßnahme implizit auf ungerechte Verteilungsmechanismen verweist. Um negative Konsequenzen der Grenzüberschreitung zu vermeiden, verheimlicht Christin Baumert deshalb (zunächst?) ihre Teilnahme am Mentoringprogramm vor den „Kollegen“. Das darin zum Ausdruck kommende vordergründige Egalitätsprinzip ist ein Hinweis darauf, dass im wissenschaftlichen Feld die Illusion herrscht und aufrechterhalten wird, es gäbe keine vergeschlechtlichten Ungleichheiten in diesem Feld. Die Reaktion des Oberarztes bestätigt diese Lesart und verweist zudem auf eine weitere Spielregel, die das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Angestellten betrifft: Eine Mentorin für Christin Baumert ‚neben’ ihrem Oberarzt verletzt die Regel, sich ausschließlich im Einflussbereich des Oberarztes zu bewegen und
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
berufliche Kontakte außerhalb dieser Beziehung, die den Einfluss des Oberarztes relativieren und reduzieren könnten, zu unterlassen. Wie kann die Teilnahme Christin Baumerts trotz dieser Spielregeln erklärt werden? Der Grund für ihre gesonderte Position im Kolleg/innenkreis als nahezu alleinige familiär gebundene Mitarbeiterin dient ihr als Begründung für eine Teilnahme. So ist ihr Hauptinteresse am Mentoringprogramm, mehr Klarheit für sich persönlich darüber zu bekommen, wie sie Familie und Beruf miteinander vereinbaren kann. Neben der Möglichkeit zur Teilnahme an qualifizierenden Angeboten erhofft sie sich eine Reflexion ihrer berufsbiographischer Wünsche und Pläne, die ihr die Entscheidungen über ihre berufliche Zukunft erleichtern werden. Gemäß Christin Baumerts Ausführungen gibt es in ihrem Feld typische Muster für berufliche Karrieren: Dominante Laufbahnen sind eine universitäre Laufbahn und die Tätigkeit als praktizierende Ärztin. Die Darstellungen verweisen auf die Konstruktion einer Weiche, an der eine Entscheidung für eine dieser Alternativen getroffen werden muss. Christin Baumert befindet sich scheinbar in einer Status Passage, in der sie diese Weichenstellung erwartet wie ihre Überlegungen zu ihrer beruflichen Zukunft zeigen. In diesem medizinischen Feld folgen berufliche Karrieren demnach einem institutionalisierten Muster, dessen Spielregeln auch Einfluss auf die Vereinbarkeitsmöglichkeiten von Familienleben und Berufstätigkeit haben. So lässt sich aus Christin Baumerts Sicht die Tätigkeit als praktizierende Ärztin besser mit einem Familienleben vereinbaren als eine spezifische Form der Uni-Karriere. Darin finden sich erneut Hinweise auf die bereits rekonstruierte Spielregel zur permanenten Einsatzbereitschaft als Bedingung einer universitären Karriere. In Form dieser symbolisch höher angesehenen „unimäßigen Karriere“, die mit einer bestimmten Form des Familienlebens unvereinbar konstruiert wird, findet ein Transport normativer Vorstellungen eines traditionellen Karrieremodells statt, nach dem sich die arbeitende Personen von der Familienarbeit entlastet auf die Karriere konzentriert und zugleich die familiäre (finanzielle) Versorgung übernimmt. Ein euphorisches Frauengruppengefühl C.B.: Und ich kann noch sagen, bei diesem ersten, bei dieser Abschlussveranstaltung des Mentorings im Dezember, oder vielleicht war das auch eine Auftaktveranstaltung, ich weiß es nicht, da waren noch ganz viele von dem alten Durchlauf, sehr viele Mentorinnen. Da hat mich so ein richtiges euphorisches Frauengruppengefühl ((Interviewerin lacht, Mentee schmunzelt)) gepackt, das hatte ich, also da kann ich mich nicht so dran erinnern, dass ich das schon mal hatte und dachte mir: „Ja, Towanda, Frauenpower!“ ((Beide lachen)). Da war ich so richtig, da habe ich auch total begeistert erzählt. Mein Mann war ein bisschen skeptisch, was das da jetzt für ein Frauenkränzchen ist, aber, ähm, da dachte ich
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mir, da war ich zum Beispiel wieder so ganz euphorisch und dachte mir ((raunend)): „Ja, es gibt Frauen, die schaffen Forschung und Kinder und super alles toll!“ Und fand das dann, war, war, war schon sehr begeistert von diesem ersten Treffen und fand auch Frau Koordinatorin hat das sehr gut aufgezogen.
Das Zusammentreffen mit Mentorinnen, die Forschung bzw. Karriere und Familie vereinbart haben, wirkt beflügelnd auf Christin Baumerts Berufsperspektiven, und sie sieht in den Frauen Vorbilder und potentielle Modelle für die Gestaltung ihrer eigenen und privaten Zukunft. Die erlebte Euphorie beim Treffen der beruflich erfolgreichen Frauen zeigt, dass solche Modelle im beruflichen Alltag eher selten anzutreffen sind. Christin Baumert beschreibt ein „Frauengruppengefühl“, das sie bei dem Treffen „gepackt“ hat und das sie bis dahin in der Form und Intensität noch nicht erlebt hat. Das Treffen wirkte auf Christin Baumert somit nicht nur motivierend für das Verfolgen bestimmter beruflicher Pläne, sondern führte auch zu einem positiven Kollektiverlebnis ‚unter Frauen’ und kann theoretisch als ein Zuwachs eines vergeschlechtlichten horizontalen und vertikalen sozialen Kapitals bezeichnet werden. Der Ausruf „Ja, Towanda61, Frauenpower!“ deutet eine politisierende Dimension dieses Kapitals an. In dem Film ‚Grüne Tomaten’ steht dieser Begriff für die erfolgreiche Abwehr rassistischer und reaktionärer Übergriffe durch zwei sehr eng befreundete Frauen. Der Film zeigt eine sich entwickelnde Aufbruchstimmung von Frauen, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Dafür, dass Christin Baumert mit der Verwendung des Begriffs „Towanda“ eine solche Stimmung bei dem Treffen der Mentees und Mentorinnen andeuten will, spricht auch der verwendete Begriff „Frauenpower“, mit dem veränderte Möglichkeiten für Frauenlebenswirklichkeiten assoziiert werden, die Veränderungen im Geschlechterverhältnis nach sich ziehen. Christin Baumert ist über diesen Effekt des Treffens selbst sehr verwundert. Nach der Skepsis gegenüber frauenspezifischen Angeboten und den Bedenken gegenüber einer Teilnahme in der ersten Interviewpassage mag diese begeisterte Schilderung eines ‚frauenbewegenden’ Treffens auf den ersten Blick verwundern. Mit einem zweiten Blick auf die Perspektiven, die in den beiden Passagen eingenommen werden, ist vielleicht nachvollziehbar, wie diese verschiedenen Haltungen Christin Baumerts 61 „Towanda“ wird im Film „Grüne Tomaten“ (1991, nach der Buchvorlage von Fannie Flagg „Fried Green Tomatoes at the Whistle Stop Cafe“ verfilmt) als ‚Kampfruf’ zweier Frauen verwendet. Der Film zeigt die erzählte Geschichte einer Altenheimbewohnerin über eine Frauenfreundschaft der 1930er Jahre in den Südstaaten der USA, in der sich zwei Cafébesitzer/innen erfolgreich gegen reaktionäre und rassistische Übergriffe wehren und eine Mordanklage von sich weisen können. In dem Film erzählt eine Altenheimbewohnerin die Geschichte der beiden Frauen einer unbekannten Besucherin, die durch das Zuhören an Selbstbewusstsein gewinnt und sich in ihrem eigenen Leben zunehmend gegen Ungerechtigkeiten und Unterdrückungsformen durch ihren Ehemann zur Wehr setzt.
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
zu verstehen sind. In der ersten Passage wurde in Zusammenhang mit den auf dem Flyer verwendeten Begriffen „Equal“ und „Frauen“ eine Perspektive eingenommen, die implizit das Geschlechterverhältnis in den Blick nimmt und so Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern fokussiert. In diesem Zusammenhang wurde von Christin Baumert Unbehagen gegenüber ihren männlichen Kollegen geäußert, was als Hinweis auf eine übertretene Spielregel gedeutet wurde. Im Fall der Modellfunktion, die die Mentorinnen für sie besitzen, geht es ihr nicht oder nur sehr indirekt um die Thematisierung von Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern, vielmehr beschreibt sie an dieser Stelle durch Frauen verwirklichte Alternativen für ein als durch feldspezifische Spielregeln definiertes Problem der Vereinbarung von Beruf und Familie im Kontext einer universitären Laufbahn. Durch diese Modellfunktion, die die Mentorinnen bekommen, wird die Institutionalisierung von Karrierewegen, die ein bestimmtes engagiertes Familienleben nur im Rahmen einer praktischen Tätigkeit als Ärztin ‚erlauben’, aufgebrochen, was bei Christin Baumert die beschriebene Euphorie auslöst. Die Begeisterung kann demnach primär auf erweiterte Möglichkeiten der individuellen Gestaltung von Karrierewegen durch eine Veränderung feldspezifischer Spielregeln zurückgeführt werden und hat weniger mit einem frauenpolitischen Engagement zu tun. Es ist dem Ausruf: „Frauen, die schaffen Forschung und Kinder und alles super toll!“ sowie dem bereits erwähnten Ausruf „Frauenpower“ allerdings schon eine gewisse Faszination zu entnehmen, die (auch) mit dem Geschlecht zu tun hat. Über das gemeinsame Geschlecht wird ein erhöhtes Identifikationsangebot hergestellt, das den Modellcharakter der Mentorinnen für ein Durchbrechen institutionalisierter Berufswege noch verstärkt.
5.1.2 Beispiel II: Gynäkologie, Tanja Hering Privatfreunde vom Chef I:
Jetzt mal noch so Ihre Fachdisziplin im Rahmen der Medizin betrachte. Wie ist das für Frauen, ähm, die da Karriere machen wollen? Ist das leichter, schwerer als in anderen Bereichen und überhaupt?
T.H.: Pffff ((atmet geräuschvoll aus)). Das kann ich nicht genau einschätzen. Also es gibt halt mittlerweile sehr viele Fachärzte unseres Fachs, aber eben auch das Problem, wie es in der gesamten Medizin ist, dass in den führenden Positionen: Chefarzt, Oberarzt, Klinikleitungsbereich, dass da eben kaum Frauen sind. Es gibt viele engagierte und tolle Frauen, die gute Sachen machen, die gute Medizin machen, aber, ähm, die kommen, die gehen ganz viel in die Praxen und bewirken da denke ich für ihre einzelnen Patientinnen auch viele gute Sachen, aber in diesen entscheidenden Positionen, eben gerade in den großen
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Kliniken. Wir haben in H–Burg drei, vier Oberärzte, ja, vier Oberärzte, davon ist eine Frau und auch die geht jetzt quasi zum 1.4. in die Praxis und die Frau, die als Aspirantin für diesen Oberarztposten zur Verfügung steht, die wird den Posten aus ((atmet tief ein)) ja, männerbündnerischen Gründen nicht kriegen, weil es halt einen alten Assistenten gibt, der ist fünfzehn Jahre älter als die Frau, hat zwar immer noch nicht seinen Facharzt und ist auch fachlich bei weitem nicht so kompetent, aber der ist halt, seitdem der Chef denken kann der, wenn ich das mal so gemein formulieren darf, Schläppchenträger vom Chef. Hat jetzt einen unbefristeten Vertrag und möchte jetzt gerne Oberarzt werden, also wird der wahrscheinlich diesen Oberarztposten bekommen, obwohl die Frau diesen Oberarztposten nicht nur in meinen Augen wesentlich besser ausfüllen könnte, wesentlich kompetenter ist, die ist Fach, die ist schon Fachärztin, der ist noch kein Facharzt, die ist jünger, die ist engagierter, die hat viel mehr Kompetenzen im gesamten Fachgebiet und die kann die Nachbardisziplin mit abdecken, da hat der keinen blassen Schimmer von, aber er ist halt der Privatfreund vom Chef und so kommt man zu nem Posten. Ne? Das ist, ich denke, das ist kein Einzelfall.
Die universitäre Laufbahn in der Gynäkologie ist in Tanja Herings Augen eindeutig vergeschlechtlicht und führt zu Ausgrenzungen von Frauen aus bestimmten beruflichen Bereichen. Sie beschreibt ein stark konkurrenzgeprägtes berufliches Feld, in dem Geschlecht als die dominante Differenzlinie für berufliche Verläufe hergestellt wird. Denn auch wenn sich die Qualifikationen und Kompetenzen (kulturelles Kapital) zwischen Männern und Frauen ihrer Ansicht nach prinzipiell nicht (mehr) unterscheiden, haben sich unterschiedliche Karrierewege geschlechtstypisch institutionalisiert. Eine Weichenstellung besitzt auch in diesem Bereich (wie in der Dermatologie) die Entscheidung über eine Niederlassung als Arzt/Ärztin oder eine Karriere in einer Klinik. Bis zum/zur Facharzt/ärztinnenstatus scheint ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen zu herrschen. An dieser Weiche zeigen sich aber nach Tanja Herings Erfahrungen in Abhängigkeit vom Geschlecht typische Entscheidungen mit dem Ergebnis, dass mehr Ärzte/Ärztinnen in einer Praxis arbeiteten und mehr Ärzte die universitäre Laufbahn einschlügen. Für die Frauen, die sich ebenfalls für eine universitäre Laufbahn entscheiden, sieht Tanja Hering im Vergleich zu Männern erschwerte Aufstiegsbedingungen. Sie führt diesen Vorteil der Männer auf ein höheres vertikales soziales Kapital zurück (vgl. Kap. 3.1.2), dessen Bedeutung für einen erfolgreichen Karriereverlauf in diesem Feld von ihr höher eingeschätzt wird als kulturelles Kapital in Form von gleichen oder höheren Qualifikationen anderer. Wie an dem Beispiel des „Schläppchenträgers“ deutlich wird, betrifft diese nicht nur vergeschlechtlichte, sondern auch habituelle Selektionspraxis allerdings nicht nur Frauen, sondern auch Männer, die über bestimmtes soziales Kapital nicht verfügen.
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
Zotige Sprüche und weibchen-augenzwinkernde Klischees T.H.: Ja, und auch so diese männlichen Umgangsformen, die sich da einschleichen, wo man wirklich auch gucken muss, wo ich jedenfalls ziemlich stark gucken muss, dass ich damit umgehe und nicht in dieses typische weibchen-augenzwinkernde Klischee verfalle. Wenn es halt im OP irgendwelche zotigen Sprüche gibt, dann muss man dann schon erstmal überlegen, wie gehe ich damit um. I:
Ja
T.H.: Steige ich darauf ein, steige ich da nicht drauf ein, kontere ich da, da muss man dann schon gucken, wie man damit umgeht. Und das ist halt, gerade am Anfang habe ich da richtig überlegt, wie ich damit umgehe. Mittlerweile habe ich da, hm, ich habe mir so eine Strategie zurecht gelegt, ich gucke eben, von wem das kommt und versuche das auf so ne witzige, aber doch deutliche Art und Weise zurückzuweisen, ne? Meistens klappt das ganz gut, aber, ähm, manchmal ist es halt schon, schon heftig oder wenn da, hach, irgendwelche Männerwitze unter der Gürtellinie erzählt werden. Da muss man dann halt schon gucken, wie man damit umgeht. Es gibt dann halt Witze, über die lache ich nicht, oder dann kommt da so ein Spruch wie „Naja, dann füllen wir mal wieder die Macho-Kasse auf!“ oder so. Man darf das aber alles eben auch nicht so sehr auf die berühmte Goldwaage legen, weil man sonst ganz schnell unten durch ist. Das hat, das ist wirklich so ein tarieren, was ich echt schwierig finde. Ich glaube, Männer haben da solche Probleme nicht (schmunzelt), merkwürdigerweise.
Nicht nur Aufstiegsmechanismen erlebt Tanja Hering in ihrem Fachbereich als vergeschlechtlicht, auch die Kommunikation im Kolleg/innenkreis besitzt eine vergeschlechtlichte und auf Frauen diskriminierende und ausgrenzende Wirkung. Ihre männlichen Kollegen scheinen durch kommunikative Grenzüberschreitungen in Form eines Wechsels auf eine sexualisierte Ebene in bestimmten Arbeitskontexten wie dem Operationssaal ein hierarchisches Geschlechterverhältnis herzustellen. Da Tanja Hering nicht quasi stillschweigend „weibchenaugenzwinkernd“ reflexiv auf dieses institutionalisierte Muster reagieren möchte, befindet sie sich im Bemühen um das Wiederherstellen eines egalitären Verhältnisses in einer schwierigen Lage und einer – im Unterschied zu Christin Baumert - konfrontativen Position im Kollegenkreis. So fühlt sie sich unter Zugzwang, den hierarchisierenden Geschlechterkonstruktionen entgegenzuwirken und ihre Kritik daran zum Ausdruck zu bringen, im Rahmen ihrer Reaktion aber nicht zugleich ein hierarchisches Verhältnis zu bekräftigen, in dem sie die kommunikativen Grenzüberschreitungen als persönliche Verletzungen zum Ausdruck bringt. Sie versucht deshalb, sich emotional zu distanzieren und sich durch Gelassenheit im Umgang mit den anmaßenden Äußerungen auf eine gleiche Gestaltungsmachtebene wie die ihrer Kollegen zu bringen. Dazu macht Tanja Hering die Inszenierung hierarchischer Geschlechterverhältnisse ihrer männlichen Kollegen diskursiv zum Thema und versucht sie damit in ihrer symbolisch abwer-
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tenden Wirkung zu ‚entschärfen’. Diese Möglichkeit zur De-Institutionalisierung vergeschlechtlichter Interaktionsmuster besitzt Tanja Hering aber besonders vor dem Hintergrund ihrer Karriereambition nur begrenzt. Sie muss aufpassen, dass sie bestimmte Grenzen eines vergeschlechtlicht-habitualisierten Verhaltensmusters nicht überschreitet, um notwendiges vertikales, soziales Kapital für eine berufliche Zusammenarbeit und einen Aufstieg nicht zu gefährden. So hängen ihre Reaktionsmöglichkeiten von der Positionierung des sich „zotig“ äußernden Kollegen ab, worin sich erneut der hohe Grad der Hierarchisierung ihres beruflichen Umfeldes zeigt. Kein Weiterkommen I:
Was hat sie dazu bewogen überhaupt am Mentoring teilzunehmen?
T.H.: Also, das erste Mal gehört habe ich vom Mentoring über die ‚Emma’. Ich bin seit Jahren eine begeisterte ‚Emma’-Leserin und da wird ja auch oft über diese Netzwerkprojekte gesprochen, über dieses eben Mentoring, gibt’s, gab’s da auch Artikel drüber und eben immer mit dem, mit der Bitte „Frauen vernetzt euch, guckt unter einander, sucht Gleichgesinnte, helft euch gegenseitig“, was die Männer seit Jahrzehnten oder ja weiß ich nicht, ja, seit Jahrzehnten mit Burschenschaften machen., ähm, muss man ja nicht auf diese platte Art und Weise machen, aber „helft euch gegenseitig“. Und als ich das dann hier an der Uni mitkriegte, war so, weil ich ja eben auch nicht ausschließen kann, dass ich Karriere machen möchte, war mir das schon ganz wichtig. Ich möchte halt nicht irgendwann da sehen, ich habe das gerade in der Gyn bei vielen engagierten Assistenzärzte/Assistenzärztinnen gesehen, dass die irgendwann da stehen und nicht weiter kommen und wissen aber selber nicht, warum. Die stehen dann da und machen ihre Stationsarbeit und haben das toll im Griff und machen das alles super klasse, kommen aber nicht weiter. Kommen nicht an die großen Operationen zum Beispiel nicht dran, werden nicht gefördert. Kommen mit ihren Veröffentlichungen und so weiter nicht weiter. Und stehen dann da, und viele werden aus Frust schwanger und das muss ja auch nicht sein. Oder gehen dann eben in die Praxis und machen da natürlich auch ne tolle Arbeit, aber kommen nicht in diese Position, wo sie selber was zu sagen haben, und das möchte ich für mich eigentlich ausschließen und da habe ich gedacht, wenn ich da an so einem Projekt teilnehme, mich da eben auch ein bisschen qualifizieren kann, vielleicht gar nicht unbedingt durch diese Computerkurse, da bin ich nicht so der Freak, aber in diesen Seminaren wie dieses dieses Konfliktmanagement oder auch diese, ähm, wie heißt es denn nun, diese Gesprächsseminare, wo man einfach andere Leute kennen lernt? I:
Coaching-Kurse?
T.H.: Genau, diese Coaching-Geschichten. […] Für mich war halt wirklich das wichtigste, dass ich eine Mentorin treffe, treffen kann, die Möglichkeit zumindest habe, wo ich mit Frau Prof. XY auch echt einen guten, ähm, einen guten Griff getan habe, die eben auch in einer ähnlichen Situation steckt, die es aber geschafft hat, Kinder und Karriere unter einen Hut zu kriegen. I:
Hmhm
T.H.: Das war total wichtig für mich.
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
Im Unterschied zu Christin Baumert verfügt Tanja Hering über einen feministisch politisierten biographischen Kontext, über den sie das Mentoringprogramm für Frauen als eine positiv besetzte und förderliche Maßnahme zur Vernetzung und Unterstützung von Frauen deuten kann. Dieser Kontext, die „Emma“, begeistert Tanja Hering „seit Jahren“. Sie versteht das Mentoringprogramm vor diesem Hintergrund sogar als Erfüllung eines expliziten Auftrags der „Emma“: „über dieses Mentoring gibt’s gab’s da auch Artikel drüber und eben immer mit der Bitte: „Frauen vernetzt euch, guckt untereinander, sucht Gleichgesinnte, helft euch gegenseitig!“ Neben dieser politischen Kontextualisierung und Legitimierung des Mentoringprogramms kann sie dessen Sinnhaftigkeit auch sozialhistorisch begründen: Als Beleg für den Erfolg und die Legitimität einer Vernetzungsstrategie verweist sie auf die lange Existenz von Burschenschaften. Deren Art und Weise der Netzwerkpflege besitzt für Tanja Hering zwar keinen ModellCharakter („muss man ja nicht auf diese platte Art und Weise machen“), aber die in diesem Rahmen gepflegte wechselseitige Unterstützung und deren Effektivität erscheinen ihr aus eigenem Interesse an einer Karriere durchaus nachahmenswert. Dieser Hintergrund zusammen mit ihren vergeschlechtlichten und Frauen ausgrenzenden Erfahrungen in ihrem beruflichen Umfeld führen dazu, das Mentoringprogramm als eine feministisch motivierte karrierefördernde Maßnahme für Frauen zu deuten. Auch eine homogene Konstruktion von ‚den Männern’ und ‚der männlich dominierten Arbeitswelt’ scheint eine Rolle dabei zu spielen, das Mentoringprogramm als eine legitime kompensatorische Maßnahme für Frauen zu deuten. Ihre konkreten Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag sind, dass Frauen an die sogenannte Gläserne Decke (Funken, 2005) stoßen und sich trotz sehr guter Arbeit und Karriereambitionen nicht erklären können, warum sie in ihrer Karriere „nicht weiter“ kommen. Das Verharren auf einer Position zeigt sich an mehreren unterschiedlichen Faktoren, die Tanja Hering beobachtet hat. Die Frauen leisteten oftmals sehr gute, aber statusniedrigere Stationsarbeit anstatt „große“, anspruchsvolle und entsprechend zu Anerkennung führende Operationen durchzuführen und sie erführen keine Unterstützung bei Veröffentlichungen. Die Gründe dafür hängen aus Tanja Herings Sichtweise eindeutig mit ihrem Geschlecht zusammen. Ihre Verärgerung darüber kann als Hinweis darauf gedeutet werden, dass hier ein normativ herrschendes meritokratisches Prinzip des Aufstiegs nach Leistung verletzt wird. Daran wird deutlich, dass Tanja Hering in Distanz zu ihrer Institution treten kann und auf diese Weise deren Reproduktionsmechanismen kritisch hinterfragen kann. Die von ihr beobachteten institutionalisierten Karriereentscheidungen anderer Frauen im Kontext dieser vergeschlechtlichten Ausgrenzungsmechanismen sind in ihren Augen oftmals durch Akzeptanz dieser Regelung geprägt. Diese dem institutionalisierten Karrieremus-
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ter reflexiv entsprechenden Lebensentwürfe zeigten sich beispielsweise durch aufgegebene Karrierepläne und veränderte Schwerpunktsetzungen der Bedeutung von Lebensbereichen, in Bourdieus Worten in habituellen Selbstausschlüssen (Bourdieu 1997, 170). Sie selbst möchte diesem institutionalisierten Karrieremuster nicht entsprechen und sich davor schützen, in Positionen verharren zu müssen, in denen sie nichts „zu sagen“ haben wird. Sie möchte Karriere machen, auch wenn sie es in diesem Kontext recht zurückhaltend formuliert mit dem Satz „weil ich ja eben auch nicht ausschließen kann….“. Diese Zurückhaltung könnte mit dem noch vagen Ausgang ihrer angestrebten Karriere zusammen hängen oder etwas mit der thematisierten Solidarität unter Frauen in dieser Interviewpassage zu tun haben, die sie daran hindert, sich zu sehr in eine exponierte Stellung zu bringen. Mit dem Mentoringprogramm verknüpft sie jedenfalls die Hoffnung, sich „auch ein bisschen qualifizieren“ zu können, aber vor allem, eine Mentorin zu treffen, „die in einer ähnlichen Situation steckt, die es aber geschafft hat, Kinder und Karriere unter einen Hut zu kriegen“. Im Vordergrund des Interesses steht demnach eine Frau mit Modellcharakter kennen zu lernen, die einen ähnlichen lebensweltlichen Hintergrund wie Tanja Hering besitzt und die für sie eine Form vertikalen sozialen Kapitals bedeuten kann.
5.1.3 Zusammenfassung Beide Mentees beschreiben für ihr berufliches Feld ähnliche institutionalisierte berufliche Laufbahnen, die in der Feldlogik einen anderen symbolischen Wert besitzen: die universitäre Laufbahn eines Arztes/einer Ärztin und die Tätigkeit als niedergelassene/r Arzt/Ärztin. Im Rahmen der weiteren Deutung dieser institutionalisierten Karrierewege unterscheiden sich jedoch die beiden dargestellten Fälle beträchtlich. Im ersten Fall (Christin Baumert) wird die soziale Differenzierung entlang dieser Karrierewege in Abhängigkeit von Lebensentwürfen und individuellen Entscheidungen über die Bedeutung von Familienleben und der Berufstätigkeit gesehen, worin implizit die Vorstellung von einer prinzipiellen Entscheidungsfreiheit für eine dieser Karrierewege für alle qualifizierten Personen enthalten ist. Die Integrations- und Ausgrenzungserfahrungen einer beruflichen Karriere werden in diesem Fall als Ausdruck von feldspezifischen Spielregeln dieser institutionalisierten Karrierewege gedeutet. Dies führt dazu, dass Karrierechancen in diesem Fall in Abhängigkeit von der Leistungsbereitschaft bzw. dem Arbeitseinsatz und dem Lebensentwurf mit Vorstellungen über die Vereinbarung von Familienleben und Erwerbstätigkeit gesehen und damit auf der individuellen Ebene verortet werden.
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
Damit wird eine illusorische Sichtweise des Feldes reproduziert, die Aufstiegschancen ausschließlich in Abhängigkeit von individuellen Fähigkeiten und Bereitschaftsdispositionen betrachtet und Ungleichheiten nach Geschlecht negiert. Die kennen gelernten Mentorinnen im Mentoringprogramm besitzen in diesem Fall eine Modellfunktion, da sie eine Alternative für die durch feldspezifische Spielregeln eingeengte Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Kontext einer universitären Laufbahn aufzeigen. Sie durchbrechen auf diese Weise die Institutionalisierung von Karrierewegen, die ein bestimmtes engagiertes Familienleben nur im Rahmen einer praktischen Tätigkeit als Ärztin ‚erlauben’, indem sie mit einem bestimmten Familienleben eine universitäre Laufbahn eingeschlagen haben. Die Begeisterung von Christin Baumert kann demnach primär auf die erweiterten Möglichkeiten der individuellen Gestaltung von Karrierewegen durch eine Veränderung feldspezifischer Spielregeln zurückgeführt werden. Sie hat weniger mit einem frauenpolitischen Engagement zu tun, auch wenn ein Teil der Faszination mit dem gemeinsamen sozialen Geschlecht zu tun hat. Dadurch wird ein erhöhtes Identifikationsangebot hergestellt, das den Modellcharakter der Mentorinnen für ein Durchbrechen von institutionalisierten Berufswegen verstärkt. Entsprechend wird in diesem Fall das Mentoringprogramm als biographischer Reflexionsraum für individuelle Entscheidungsprozesse gedeutet, dem nur insofern eine vergeschlechtlichte Dimension zugesprochen wird, dass Frauen in diesem Rahmen Mentorinnen (mit familiären Verpflichtungen) kennen lernen, die eine universitäre Laufbahn eingeschlagen haben und damit eine Modellfunktion für ein alternatives Karrieremuster in diesem beruflichen Feld übernehmen. Im anderen Fall (Tanja Hering) wird die soziale Differenzierung durch die verschiedenen institutionalisierten Karrierewege primär entlang der Differenzlinie Geschlecht erklärt sowie auch die in späteren Karrierephasen zu beobachtenden Ausgrenzungsmechanismen primär über die Geschlechtszugehörigkeit und einen vergeschlechtlichten Habitus interpretiert werden. Als bereits für vergeschlechtlichte Ungleichheiten politisch sensibilisierte Person ist Geschlecht für Tanja Hering die dominante Kategorie, die über Karriereentscheidungen und – verläufe entscheidet. Sie reproduziert in ihrer Sichtweise demnach nicht die Logik des Feldes, dass ein meritokratisches Leistungsprinzip herrsche. So werden von ihr für Männer andere Förderbedingungen im Aufstiegsprozess als für Frauen beobachtet, hinter denen eine besondere Qualität des sozialen Kapitals und symbolischen Kapitals vermutet wird. Dieses Kapital besitzt für sie eine vergeschlechtlichte Dimension, da in ihren Augen Männer vor allem Männer fördern. Das Mentoringprogramm stellt deshalb für sie eine politische Möglichkeit dar, die Gültigkeit dieser Spielregel auch auf die Gruppe der Frauen zu übertragen und ihnen den Erwerb des für einen beruflichen Aufstieg notwendigen kulturellen Kapitals in Form von Spielregelwissen sowie vertikalen, sozialen
Soziales Feld: Bankwesen
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Kapitals in Form von fördernden Kontakten zu beruflich höhergestellten Frauen zu ermöglichen. In diesem Fall wird demnach auf einer strukturellen Ebene von der Vergeschlechtlichung der Karrierewege ausgegangen, in deren Zusammenhang auch die Befürwortung einer politischen Maßnahme zur Beseitigung struktureller Unterschiede für Karrierechancen zwischen den Geschlechtern zu sehen ist. Die unterschiedlich gedeuteten Spielregeln eines gemeinsamen beruflichen Feldes können demnach zusammengefasst auf verschieden interpretierte Integrations- bzw. Ausgrenzungserfahrungen zurückgeführt werden. In einem Fall werden die Spielregeln mit der Existenz von institutionalisierten Karrierewegen begründet und Karrierechancen in Abhängigkeit vom individuellen Lebensentwurf gedeutet. Mentoring führt in diesem Fall zu einer Erweiterung von Karriereperspektiven durch das Kennenlernen von Modellen, da die institutionalisierten Karrieremuster (von den ‚Modell-Frauen’) durchbrochen (und möglicherweise verändert) werden. Im anderen Fall werden die feldspezifischen Spielregeln für einen beruflichen Aufstieg auf ein hierarchisches Geschlechterverhältnis zurückgeführt. Karrierechancen und soziale Differenzierung werden in diesem Fall primär mit unterschiedlichen Ressourcen der Geschlechter erklärt. Mentoring wird in diesem Kontext als kompensatorische Maßnahme zur Veränderung ungleicher Karrierebedingungen für Frauen und Männer verstanden. Im Unterschied zum ersten Fall, in dem Mentoring dazu dient, individuelle Lösungsmuster für problematische Aspekte von institutionalisierten Karrierewegen zu finden, wird Mentoring im zweiten Fall dazu genutzt, vergeschlechtlichte Karrieremuster im Sinne einer Annäherung der Karrierebedingungen für Frauen und Männer zu verändern.
5.2 Soziales Feld: Bankwesen
5.2.1 Beispiel I: Vertrieb (Sales), Tatjana Teubner Ältere Herren und jüngere Protegés I:
Und wie sehen Sie so diese andere Förderung bei Ihren Kollegen?
T.T.: Na ja gut, ich sag mal, bevor es halt diese Mentoringprogramme hier in der Firma gab, hat man halt schon gesehen, dass sich gerade so die älteren Herren dann immer halt nen jüngeren Herrn rausgesucht haben, den sie dann praktisch halt protegiert haben, ja? Und wenn es dann halt einen Titel gab, der vergeben werden muss und es waren mehrere Anwärter, dann ist das schon viel stärker auf die männliche Seite vergeben worden. Wobei
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms ich am Anfang, ähm, eher dagegen war, ein rein weibliches Programm zu machen. Also das wollte ich eigentlich erst nicht, weil das finde ich auch nicht richtig, ähm, warum nicht gemixt? Und man macht aber ne feste Quote eben, dass man halt sagt: „Okay, was weiß ich, wir haben so und so viel Mitarbeiterinnen so und so viel Mitarbeiter und dementsprechend muss die Quote auch angesetzt sein“, ja? Okay, gibt’s halt nicht, war ich halt, hab ich halt gesagt „Okay, mach ich halt trotzdem mit.“ Wobei ich auch keine weibliche Mentorin unbedingt haben wollte, also war mir, war mir jetzt ehrlich gesagt egal.
Tatjana Teubner hat in ihrem beruflichen Umfeld beobachtet, dass Männer bevorzugt als informelle Mentees von Vorgesetzten ausgewählt wurden und dass diese bei Titelvergaben begünstigt wurden. Das darin zum Ausdruck kommende Aufstiegsmuster dieses Feldes kann deshalb als ein Prinzip der Beförderung bezeichnet werden, das eine vergeschlechtlichte Dimension hat, da nach der Erfahrung Tatjana Teubners Männer bevorzugt ernannt werden bzw. worden sind. (Bisherige) Förderpraktiken in ihrem beruflichen Feld werden von ihr demnach als vergeschlechtlicht zugunsten von Männern interpretiert. Dieser Ungleichbehandlung aufgrund des sozialen Geschlechts einer Person wird in Tatjana Teubners Augen durch das Mentoringprogramm auf einer quantitativen Ebene entgegengewirkt mit dem Ziel der zahlenmäßigen Annäherung von Beförderungen für Männer und Frauen. Das Mentoringprogramm wird demnach im Kontext des feldspezifischen Aufstiegsmusters als ein Beförderungsinstrument interpretiert. Vor diesem Hintergrund versteht Tatjana Teubner das Angebot zur Teilnahme als eine Form der institutionellen ‚Beförderung’ im symbolischen Sinne einer Beförderung. Wie auch aus der Beschreibung Tatjana Teubners zu üblichen Beförderungspraktiken hervorgeht, ist die Beförderung von Personen sowohl für die Vergabe von Titeln und Protégierungen als auch die Teilnahme an Maßnahmen wie dem Mentoringprogramm an konkrete Personen gebunden. Aufstiege im Rahmen dieses Musters sind demnach abhängig von vertikalem sozialem Kapital oder wie Tatjana Teubner es formuliert, sie hängen von der Gunst der „älteren Herren“ ab. Zwar lässt Tatjana Teubners Darstellung auf eine kritische Haltung gegenüber dieser informellen Förder-Praxis schließen, ihre Konsequenz daraus ist aber nicht, wie im Fall Tanja Herings, eine generelle Gleichbehandlung von Frauen und Männern zu fordern, sondern eine relative Gleichbehandlung in Abhängigkeit von quantitativen Anteilen männlicher und weiblicher Mitarbeiter. In diesem Vorschlag steckt implizit die Akzeptanz einer vergeschlechtlichten Beförderungspraxis, d.h. der Orientierung an Geschlecht bei der Vergabe symbolischer Anerkennungsformen, obwohl zu vermuten ist, dass diesem Vorschlag gerade die Intention zugrunde liegt, die Relevanz von Geschlecht im Kontext sozialer Differenzierung zu reduzieren. Dieser Vorschlag, der die Benachteiligung von
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Frauen fortsetzt, wird paradoxerweise jedoch als gerecht empfunden, da er als Mittel zur Veränderung von Beförderungspraktiken eine Benachteiligung von Männern ablehnt. Übertragen auf das Mentoringprogramm bedeutet dies, dass Frauenförderung in diesem Feld nur dann einen symbolischen Wert besitzt, wenn sie nicht zum Nachteil von Männern ist, worin ein nicht aufzulösender Widerspruch steckt – eine Aporie – da das Feld durch die Bevorzugung von Männern geprägt ist. Sie wird von der Norm getragen, Männer nicht benachteiligen zu dürfen, woraus bei gleichen Aufstiegsinteressen von Männern und Frauen im Rahmen von gleichzeitig ausgeprägten ungleichen Voraussetzungen der Genusgruppen zwangsläufig eine Benachteiligung von Frauen folgen muss. Dieser Zusammenhang ist in dem Beispiel nicht Teil des Bewusstseins; stattdessen zeigt sich eine stärkere Orientierung an der Norm der institutionalisierten Beförderungspraxis zum Vorteil von Männern. Darin zeigt sich die normative Erwartung des Feldes, die herrschende Förderpraxis prinzipiell nicht in Frage stellen zu ‚dürfen’, was negative Konsequenzen für die eigene Berufskarriere bedeuten würde. Vorbehalte gegenüber Frauen T.T.: Wobei ich mit Frauen sehr, sehr gut auskomme im Arbeitsleben. Viele sagen ja nicht, aber ich hatte schon einige Chefinnen auch, und es ging eigentlich immer, also früher, hat eigentlich immer wunderbar funktioniert. Und auch jetzt habe ich sage ich mal, so zwei Kolleginnen, die so ein bisschen älter sind als ich, die aber so ein bisschen dann ja, wenn man mal so ein bisschen Rat braucht, helfen oder so. Also ich habe hier sowohl die männliche als auch die weibliche Seite. Nur äh wie gesagt man merkt immer noch starke Vorbehalte. I:
Aber Sie hatten auch mal einen männlichen Mentor, haben Sie eben erwähnt?
T.T.: Jetzt habe ich einen Mann, ja. I:
Nee!
T.T.: Ach so, hier in der Firma, das ist mein alter Chef, der jetzt geht. I:
Genau, Ihr alter Chef und der hat sie sozusagen schon angeregt, unterstützt
T.T.: Ja I:
Perspektiven wahrzunehmen.
T.T.: Genau, also der hat mich schon sehr auch gefördert, ähm, wobei man natürlich auch sagen muss, er hatte auch noch einen jungen Mann, sag ich mal, den er auch förderte und da merkt man auch schon wieder den Unterschied, schon jetzt. Wobei ich, ganz ehrlich, wenn ich Chef wäre, würde ich es mir auch überlegen ja? Wenn ich ne Frau habe, die, die halt gerade in, in, in der Phase ist, ja? Und verheiratet ist. Ich mein ganz ehrlich, am Ende des Tages wird er nach seiner Profitabilität gemessen, nach nichts anderem. Nicht, ob er nett zu mir war oder nicht. Also insofern muss man das halt auch gerechterweise sagen.
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms Und ich weiß halt auch nicht, ob ich nicht anders entschie also ob ich nicht auch so entscheiden würde, wenn ich an der Stelle wäre. (--) Da kommen wir nicht drum herum als Frauen ((lacht))
Die Betonung Tatjana Teubners, dass sie mit Frauen „sehr, sehr gut auskomme“ und engere berufliche Beziehungen zu beiden Geschlechtern pflegt, bestätigt die Lesart, dass sie ein Interesse daran hat, Geschlecht als relevantes Differenzierungsmerkmal zu ‚dekonstruieren’. Dies kann sie allerdings nicht von ihrer beruflichen Umwelt, besonders von männlichen Vorgesetzten behaupten. Am Verhalten dieser spüre sie „immer noch starke Vorbehalte“ gegenüber Frauen. Die „Vorbehalte“ werden an der unterschiedlichen Förderpraxis des ehemaligen Chefs von Tatjana Teubner und dessen männlichem Mitarbeiter offensichtlich. Tatjana Teubner hat für die ungleiche Behandlung eine Theorie: Verheiratete Frauen in einer bestimmten Lebensphase stellen ein ökonomisches Risiko dar. Es liegt nahe, davon auszugehen, dass hier die potenzielle und assoziierte Mutterschaft einer Frau durch einen Vorgesetzten in einer bestimmten Lebensphase der Mitarbeiterin gemeint ist, von der befürchtet wird, dass sie zu einer eingeschränkten Arbeitskraft und Einsatzfähigkeit und damit zu ökonomischen Einbußen führen könnte. Tatjana Teubner interpretiert diese Spielregel der Diskriminierung von Frauen eines bestimmten Alters ganz im Kontext einer feldspezifischen ökonomischen Logik. Diese feldspezifische Logik vermittelnde Spielregel ist auch für sie handlungsleitend, denn sie rechtfertigt mit dem Argument des Erfolgs einer Karriere die diskriminierende Praxis der Vorgesetzten: „am Ende des Tages wird er nach seiner Profitabilität gemessen, nach nichts anderem“ – zumindest in einer bestimmten „Phase“ – und rückt damit einen universellen Gerechtigkeitsdiskurs über Geschlechterverhältnisse in den Hintergrund zugunsten einer feldspezifisch institutionalisierten Spielregel („Und ich weiß halt auch nicht, ob ich nicht anders entschie also ob ich nicht auch so entscheiden würde, wenn ich an der Stelle wäre“). In diesem Rahmen wird die Benachteiligung von Frauen eines bestimmten Alters sogar aufgewertet zu einer Erfolg versprechenden Führungsstrategie. Die Akzeptanz dieser Spielregel durch Tatjana Teubner lässt erneut darauf schließen, dass mit einer vorhandenen Karriereambition keine habituellen Abweichungen von dieser Spielregel bei gleichzeitiger ökonomischer Erfolgsorientierung vorstellbar sind ohne die eigene Karriere zu gefährden. Der Erfolg einer Karriere in diesem Feld scheint somit von einem ungebrochenen Glauben an den Sinn und die Bedeutung des Spiels und seiner Regeln sowie von der Identifikation mit diesem abzuhängen. Daraus folgt, dass den Einzelnen in Kombination mit einer stark ausgeprägten Konkurrenzsituation kaum Handlungsspielräume gewährt sind und besonders Frauen in eine ambivalente Lage versetzt. Sie sehen
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sich in der Position, zum Zwecke des persönlichen beruflichen Erfolgs die Ungleichbehandlungen entlang der Trennlinie Geschlecht nicht nur hinnehmen zu müssen, sondern wie das Beispiel Teubner zeigt, sich mit ihnen möglichst noch zu identifizieren. In diesem Kontext ist auch die Kollektivierung und Naturalisierung von Frauen zum Ende der Interviewpassage zu verstehen, in der gebärfähigen Lebensphase eine „biologische Bombe“62 zu sehen und die Diskriminierung als ein unausweichliches Schicksal zu erleben, da eine assoziierte Mutterschaft für die Arbeitswelt ein ökonomisches Risiko darstelle. Interessant daran ist, dass dabei das kollektiv unterstellte Schicksal aller Frauen und die Quasi-Natürlichkeit des Problems die Akzeptanz dieser diskriminierenden Spielregel zu erleichtern scheint. Zum einen wird damit das Einzelschicksal relativiert. Ferner können etwaige Benachteiligungen auf diese Spielregel und nicht auf das eigene Handeln zurückgeführt werden. Zum anderen lässt die Deutung dieser Spielregel die Hoffnung zu, dass die Benachteiligungen mit einem bestimmten Alter der Frauen nachlassen, sollten sie bis dahin kinderlos geblieben sein. Diese Theorie und die Deutung der feldspezifischen Spielregeln hat demnach aus der Perspektive Tatjana Teubners einerseits den ‚bitteren Geschmack’ der vergeschlechtlichten Diskriminierung, sie besitzt aber für sie zugleich den entlastenden Faktor der strukturellen Diskriminierung und ihrer zeitlichen Begrenztheit. Um ihre Karrierepläne zu verwirklichen, sieht sie sich gezwungen, diese Regeln zu akzeptieren und als eigene Handlungsorientierung anzuwenden. Commitment zur Firma I:
Wie ist es zu Ihrer Teilnahme am Mentoringprogramm gekommen?
T.T.: Also, ähm, ganz ehrlich ich denke es ist dadurch gekommen, dass man mir Motivation geben wollte. Also wir haben ja bei uns ist ja der Ge, ähm, wir haben ja fixes und variables Gehalt und der variable Anteil ist relativ hoch bei uns. Und es war mal eine zeitlang ein Chef hier in der Firma, der über meinem war und die sich nicht verstanden haben, und dann habe ich eine ziemlich harte Runde mitmachen müssen I:
Runde?
T.T.: Ja, eine also wir haben immer im Februar praktisch kriegen wir die Gehaltserhöhung, die Fix-Gehalt-Erhöhung und das variable Gehalt für das let, ja für das letzte Jahr. Und diese Runde ist sehr sehr schlecht bei mir ausgefallen, obwohl ich eigentlich sehr gute Leistung gezeigt habe. Das waren dann politische Gründe und, ähm, ich nehme an, ähm, dass man daraufhin mich schon im Fokus hatte, dass man mir in irgendeiner Form Motivations, äh, 62
T: „Aber trotzdem ist es so, dass ich schon merke, dass weiß ich, Kollegen, die im gleichen Alter sind, doch noch ne andere Förderung genießen als ich, weil es ist einfach, ja. Man sieht mich halt als biologische Bombe, ne? Verheiratet, gut verdienenden Mann. Ja? Ich denke, ich nehme an, das nimmt mit 36 wieder ab, dieses, äh, dieser Stress, ja? Aber man merkt das schon immer noch.“
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms schub, äh, geben wollte, der vielleicht nicht monetär war, weil monetär ja eben nicht machbar war und dass so dann praktisch die restlichen, sag ich mal, Führungspersonen mit der Personalabteilung halt entschieden haben, wobei ich natürlich die Anforderungen erfüllen musste für das Programm, es gibt ja gewisse Anforderungen und es darf ja aber nur eine sein und wir sind hier glaube ich, 1200 Mitarbeiter und es darf nur eine gestellt werden pro Jahr und, ähm, dass man da halt so ein bisschen den Ausschlag gegeben hat, dass es schon son, ja dass man mich hält, dass ich nicht, ähm, ja, dass ich mehr commitment zu der Firma spüre. Und ich denke schon, dass es dadurch beeinflusst ist. Wobei ich auch nicht aktiv nach so einem Programm gesucht habe, weil ich ja immer interne Mentoren hatte und mit denen eigentlich glücklich war.
I:
Uuund was hat Sie dann noch mal dazu motiviert da mitzumachen?
T.T.: Gut, erstmal war ich natürlich dagegen, weil es nur für Frauen war, ja? Da habe ich dann erst mal gesagt: „Ja, wie nur für Frauen?“ Hab das auch ausdiskutiert und, ähm, was ich natürlich sehr gut finde ist, ähm, dieses Übergreifende. Also dieses, dass ich mal eine andere Unternehmenskultur kennen lerne und sag ich mal, das eigentlich wieder so meine alte Bestrebung ist, mein Gesichtsfeld äh also erweitern kann, weil ich kenn eigentlich ja nur die Bank. Ich mein, ich bin jetzt 12 Jahre lang in der Bank, ich hatte nie einen anderen Arbeitgeber, und das ist ja schon eine gewisse Denke, die Banker haben und eigentlich will ich darin auch jetzt nicht erstarren oder zu sehr, man nimmt sich das schon an, man kann ja gar nichts dagegen machen, ja? Und, ähm, das ist so was denke ich, das war für mich eigentlich das Interessante daran, dass ich sage, ich kriege eigentlich einen erfahrenen Mentor an die Seite gestellt, der mir aber vielleicht jetzt nicht bei den Banksachen hilft, aber einfach so generell, wie funktioniert eine Firma? Was kann man machen? Was kann man tun? Und das hat mich eigentlich daran fasziniert und vielleicht auch mal jemanden zu haben, der mit Abstand etwas beurteilen kann, weil hier, sag ich mal, Mentor hin, Mentor her, die sind doch alle politisch beeinflusst, ja? Durch die Firmenstruktur, da kriegt man ja nie soooo, ähm, so ganz freie Feed-Backs ne? Also das denke ich, das war ein großer Punkt für mich, dass ich gesagt habe, einen Mentor fand ich schon immer gut, habe ich schon immer mit gelebt, konnte gut mit umgehen und halt noch mal was von einer anderen Seite zu hören, und es ist auch eine ganz andere Firmenkultur dort.
Tatjana Teubner interpretiert das Angebot zur Teilnahme am Mentoringprogramm im Kontext einer feldspezifischen Spielregel, die für engagierte Mitarbeiter/innen eine Form der symbolischen Anerkennung vorsieht. Dieser Lesart folgend kann aus Tatjana Teubners Haltung geschlussfolgert werden, dass in dem beruflichen Feld eine Orientierung an der „Norm des Leistungserfolgs“ zugrunde liegt mit dem Ethos, Erfolg nur als Wertbeweis eigener Leistungen anzuerkennen (Parsons nach Neckel 2004, 67). Diese an Leistungen orientierte Norm wurde in Tatjana Teubners Fall durch politische Entscheidungen und durch Konkurrenzkämpfe zwischen Vorgesetzten verletzt. Vor diesem Hintergrund versteht sie das Angebot zur Teilnahme am Mentoringprogramm als Zeichen einer Wiedergutmachung. Darin zeigt sich eine Verknüpfung der Spielregel der vergeschlechtlichten Beförderung mit der legitimierenden Norm des Leistungserfolgs.
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Entsprechend der bereits herausgestellten Norm, dass Formen der Anerkennung auf Leistung beruhen (sollten), betont Tatjana Teubner, dass sie „natürlich die Anforderungen erfüllen“ konnte, die als Voraussetzungen für die Teilnahme am Mentoringprogramm galten. Die Erwähnung, dass sie aus einer Mitarbeiterinnenschaft von 1200 Personen als einzige für die Teilnahme vorgeschlagen wurde, erhöht den symbolischen Wert dieser Wiedergutmachungsgeste und stellt für Tatjana Teubner eine zentrale Begründung für ihre Teilnahme dar, da sie aufgrund ihrer beruflichen Situation eigentlich keinen Bedarf am Mentoring für sich sah. Auf erneute Nachfrage der Interviewerin zur Motivation der Teilnahme stellt Tatjana Teubner heraus, dass sie in dem exklusiven Angebot für Frauen eine Grenzüberschreitung einer feldspezifischen Norm sieht: „Gut, erst mal war ich natürlich dagegen, weil es nur für Frauen war, ja? Da habe ich dann erst mal gesagt: „Ja, wie nur für Frauen?“. Besonders an dem Ausdruck „natürlich“ zeigt sich, dass ein Mentoringprogramm für Frauen aus Tatjana Teubners Perspektive in Widerspruch zu der institutionalisierten Logik des Feldes steht, die von ihr wie bereits dargestellt durch die Norm der Orientierung am Leistungserfolg charakterisiert wird. Da es aber zugleich als Ausdruck der Spielregel des Ernennens ein Angebot aus ihrem beruflichen Feld ist, das in ihrem besonderen Fall indirekt der Bestätigung und Wiederherstellung der (verletzten) Norm an der Leistungsorientierung dient, ist es ihr möglich daran teilzunehmen. Dazu kontextualisiert sie ihre Teilnahme im Sinne der Norm der Leistungsorientierung, indem sie durch das „ausdiskutieren“ erneut zum Ausdruck bringt, dass sie ein Bewusstsein über die feldspezifische Norm besitzt, diese nicht nur anerkennt, sondern selbst mit produziert. Darin zeigt sich das Zusammenspiel zwischen dem feldspezifischen Beförderungsprinzip und der Norm des Leistungserfolgs: Die Spielregel der Beförderung erfährt auf einer „Vorderbühne“ (Goffman 2006, 100) durch die Norm an der Leistungsorientierung ihre Legitimation. Ein weiterer Grund für ihre Teilnahme sieht Tatjana Teubner in der Möglichkeit, durch einen externen Mentor ihren Deutungshorizont zu erweitern. Sie vermutet eine geringe Distanz zu den Spielregeln des Bankwesens aufgrund ihrer zwölf Jahre dauernden Tätigkeit in diesem Bereich, und sie erhofft sich durch die Reflexion mit einem außerhalb dieses Feldes tätigen Mentor eine Flexibilisierung ihrer Wahrnehmungs- und Denkweise. Hinzu kommt ihre Beobachtung, dass die Vorgesetzten in ihrem beruflichen Umfeld, die eigentlich im Sinne eines Mentors unterstützend ihre Mitarbeiter/innen fördern sollten, politisch beeinflusst agieren. Es zeigt, dass es im Kreditinstitut schwer ist, soziales Kapital aufzubauen und auf berufliche Förderung auf Basis dieser Kapitalsorte zu vertrauen. Dies wird zusätzlich erschwert durch die häufigen Wechsel von Vorgesetzten, ein Phänomen, das in dieser Stelle nicht nur durch Tatjana Teubner an-
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
gedeutet wird, sondern sich auch in anderen Interviews gezeigt hat. Vor diesem Hintergrund erhofft sie sich durch ihren Mentor eine von politischen Strategien unabhängige Form des Feedbacks über Arbeitshaltung und -weise zu erhalten sowie unbeeinflusste Informationen über Firmenstrategien und Handlungsspielräume der Angestellten zu bekommen. Spannend daran ist, Tatjana Teubner entwickelt an dieser Stelle die Idee, dass Mentoring nicht nur der ‚quantitativen’ Kompensation vergeschlechtlichter Beförderungspraktiken auf einer strukturellen Ebene sowie der (Wieder)Herstellung der Norm am Leistungserfolg dienen kann, sondern für sie persönlich auf einer ‚qualitativen’ Ebene zur reflexiven Bearbeitung von Normen und Spielregeln des Feldes nützlich sein könnte. Karriereplanungen I:
Wie wünschen Sie sich denn Ihre berufliche Zukunft?
T.T.: Das ist schwer. I:
Ist schwer?
T.T.: Ja. Weil man ist ja also, ähm, ich möchte nie aufhören zu arbeiten und ich möchte auch nie aufhören einen anspruchsvollen Job zu haben. Und wenn man halt auch mal relativ, sag ich mal, weit kommt, dann ist der Schritt zurück, kann man eigentlich a) gar nicht mehr machen, weil sonst muss man ganz gehen. I:
Ist das echt so?
T.T.: Ja. Ja, weil, wenn ich irgendwann einen Cut ziehe und sage, ich will das nicht mehr, dann, so bekomme ich ja immer mehr anspruchsvolle Aufgaben, weil man denkt, sie will weiter kommen, ja? Über [unverst.] Herausforderungen. Wenn ich dann irgendwann mal sage, ich, ich, ich kapp das, dann wird ein anderer kommen, der das bereit ist zu tun, und dadurch werde ich eher dann absinken, ja? Und das ist halt die Frage, gibt man sich damit zufrieden oder nicht und ich glaube halt nicht, dass ich damit leben könnte. Und deswegen, ich bin nicht per se gegen Kinder, aber ich sehe halt keinen, kein Modell, in dem das machbar ist, wobei ich sagen muss, ich will keine Kinder haben, die ich abends ins Bett bringe, also dafür brauche ich keine Kinder. Das finde ich egoistisch. Und ich meine, ich hatte das Luxusleben, ich war Einzelkind, und meine Mutter hat nicht gearbeitet, ja? Also ich meine, das braucht man auch nicht unbedingt, ja? Ich wäre bestimmt auch anders was geworden, aber ((Interviewerin lacht)), ähm, aber das andere Modell finde ich halt auch nicht richtig, dass ich, was weiß ich, dann abends nur noch das Kind ins Bett lege, das muss es halt auch nicht sein. Und, ähm, ich hätte halt die Wahl gut gefunden, ich arbeite vier Tage, mein Mann arbeitet vier Tage, aber da er auch im Sales ist (--) ist das eigentlich schwer zu machen. (--- ) Und insofern, sage ich mal, habe ich mich eigentlich tendenziell dagegen entschieden, es sei denn, irgendwie läuft mir was vor die Füße, wo man sagt, das kann man super vereinbaren, und alle sind glücklich dabei, dann.. dann okay, aber so sieht es eher mal nicht aus, würde ich sagen. I:
Und was wünschen Sie sich für Ihre berufliche Perspektive, für Ihre Karriere?
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T.T.: Da bin ich eigentlich völlig offen. Ich gucke einfach, was kommt. ((Interviewerin lacht)). Ja, also so, ich weiß auch nicht, ob ich ewig bei der Bank bleibe, weil ich denke, wenn jemand engagiert ist und Spaß an der Arbeit hat, dann kann er viele Jobs machen. Und, ähm, ich bin da, ich gucke einfach, also ich habe auch nie Karriereplanung betrieben, wobei das ja auch im Mentoringprogramm gesagt wird, man soll planen. Und gut, vielleicht wäre ich auch weiter, wenn ich Karriereplanung gemacht hätte, kann ja sein, aber, ähm, ich sehe es halt so, ich gucke, also ich le ich mache meinen Job gut, und wenn was kommt, was, was, was passt, dann mache ich das, und ich suche jetzt aber nicht förmlich danach. Also, so dass ich sage, da muss ich das erreicht haben oder so. Ich denke halt, ich bringe hier 120%, und das sollte man mir auch entlohnen und wenn das passt, dann mache ich das und wenn es irgendwann nicht mehr passt, dann schaue ich halt nach was anderem, aber es ist jetzt nicht so, dass ich sage, mein großes Ziel ist hier, Geschäftsführer zu werden oder so. Weiß ich gar nicht, ob ich das unbedingt will. Also wichtig ist mir, dass ich jeden Tag komme und denke: „Wow, ich komme gerne!“ Und so lange ich das nicht, wenn ich das nicht mehr habe, höre ich auf. I:
Okay!
T.T.: Ja, also ich meine, ich sehe hier die Leute mehr als meinen eigenen Mann, ja? Also insofern muss es mir auch Spaß machen.
Aus dieser Interview-Passage ist erneut die Bedeutung der Norm des Leistungserfolgs rekonstruierbar. Die Aufstiegsorientierung der Angestellten werden in der Bereitschaft gesehen, die an sie gestellten Aufgaben anzunehmen und die Übergabe immer neuer, anspruchsvoller Aufgaben wird als Herausforderung gedeutet, mit denen vor allem der Ehrgeiz der Angestellten getestet wird. Diese Norm kann besonders im Rahmen eines stark durch Konkurrenz geprägten beruflichen Umfeldes aufrechterhalten bleiben, in dem die Einzelnen eine Möglichkeit der Einflussnahme auf Beförderungspraktiken darin sehen, normativ erhobene Leistungsansprüche zu erfüllen. Entsprechend der Norm besteht die Möglichkeit, nicht erfolgte Beförderungen in einen Zusammenhang mit nicht erfüllten Aufgaben als Ausdruck eines geringen Interesses und eines fehlenden Ehrgeizes für einen beruflichen Aufstieg zu interpretieren sowie umgekehrt Beförderungen über angeblich erbrachte Leistungen und übernommene Aufgaben mittels der Norm legitimiert werden können. Tatjana Teubner beschreibt sich als eine ehrgeizige und am beruflichen Erfolg interessierte Frau, die bereit ist, immer mehr zu leisten („120 %“) als von ihr erwartet wird. Sie bringt damit zum Ausdruck, dass Ehrgeiz und überdurchschnittliche Leistung im Rahmen der Norm als Kriterien eines Aufstiegsinteresses gelten. Sie erfüllt damit habituell die auf der Vorderbühne konstruierten normativen Erwartungen einer am beruflichen Erfolg Interessierten. Dies zeigt sich auch in ihrer Einstellung gegenüber der Setzung von Lebensschwerpunkten: Eine lebenslange Berufstätigkeit und eine anspruchsvolle Tätigkeit besitzen für Tatjana Teubner eine große Bedeutung in der Zukunftspla-
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nung. Auch eine Familiengründung spielt in der Reflexion ihrer Zukunftspläne eine bedeutsame Rolle, wie die konkreten Überlegungen einer Vier-TageArbeitswoche für sich und ihren Mann zur gemeinsamen Kinderbetreuung zeigen. Jedoch sieht sie in einer reduzierten Arbeitszeit eine Unvereinbarkeit mit der konkurrenzgeprägten Struktur ihres Arbeitsbereiches, in dem ein hohes Maß an Flexibilität und Leistungsbereitschaft erwartet wird und in dem auch ihr Ehemann tätig ist. Die von ihr konstruierten alternativen Modelle einer ‚Vollzeitmutter’, die ihre Berufstätigkeit zugunsten der Kinderbetreuung aufgibt sowie das Modell der ‚Karrieremutter’, die die Kinder von der Bedeutung her der Berufstätigkeit nachordnet, sind für sie keine attraktiven Perspektiven. Eine Vereinbarung stellt für sie nur die Alternative der Vier-Tage-Arbeitswoche dar, die aber in ihrem beruflichen Feld für sie beide als potentielle Elternteile nicht denkbar ist. Diese Form der Vereinbarung würde ein Abweichen vom dominierenden, institutionalisierten Aufstiegsmuster bedeuten, das einen hohen Grad an Flexibilität voraussetzt und so zu einem Risiko für die Karriere werden, da in diesem Fall eine Verdrängung von der Position durch Andere erwartet wird. Innerhalb ihrer Berufskarriere würde dies von Tatjana Teubner als ein beruflicher Rückschritt erlebt werden, den sie vermeiden möchte. Mit dem Wissen um diese feldspezifischen Aufstiegsbedingungen sieht sie deshalb nur eingeschränkte Handlungsspielräume zur Vereinbarung ihrer beruflichen Pläne mit einer Familiengründung und leitet daraus die Unwahrscheinlichkeit ab, eigene Kinder haben zu wollen. Das habitualisierte Leistungsprinzip Tatjana Teubners sowie ihre habituelle Anpassung an weitere feldspezifische Normen lässt darauf schließen, dass der Erfolg und die Wertschätzung in diesem Feld in besonderem Maße davon abhängig zu sein scheinen, inwiefern die konstitutiven, distinktiven und normativen Regeln habituell von den Beteiligten beherrscht werden. Dieses Einsatzes sich durchaus bewusst, erwartet Tatjana Teubner zumindest eine ‚Gegenleistung’ vom Unternehmen auf der Ebene der Beförderungspraktiken. Sollte sie auf dieser Ebene die Erfahrung machen, unberücksichtigt im Sinne von benachteiligt zu werden, würde sie dies als offensichtliche Verletzung einer informellen Spielregel deuten und die Konsequenz daraus ziehen, ihren Arbeitsplatz zu wechseln. Darin zeigt sich letztlich die Machtlosigkeit einzelner Akteur/innen diskriminierenden Praktiken in diesem Feld entgegenzuwirken.
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5.2.2 Beispiel II: Produktmanagement, Cordula Meissner Ein Heidenakt I:
Woran denken Sie, worin sehen Sie dann Barrieren?
C.M.: Hmm. (---) Also, ich, ähm,. Wie soll ich sagen? Man macht sich ja im Rahmen dieser Mentoringprogramme so insgesamt auch Gedanken darüber, das ist ja auch Ihr Thema, denke ich, ob Frauen jetzt irgendwie, ähm, größere Probleme haben als Männer weiter zu kommen oder so? Ich habe eigentlich mich da immer ziemlich gegen gewehrt, weil ich für mich nie den Eindruck hatte und ich glaube so kann man es trennen, ich habe nie den Eindruck gehabt, irgendeine Aufgabe nicht zu bekommen, weil ich eine Frau bin. Ganz ernsthaft nicht, also ich habe immer in dem Sinne die gleichen Chancen gehabt wie Männer, aber das auch bezahlt zu kriegen und das auch den entsprechenden Rang zu kriegen, war immer ein Heidenakt und zwar vom ersten Tag an. Also als ich, ähm, in, in, in der Filiale noch war, da gab es wirklich noch so Vorgesetzte, die sagten: „Wir fördern Frauen nicht, weil die werden ja schwanger.“ Also so, wirklich noch von dem Kaliber. Und später ging’s ja (.) weiß ich nicht, ein bisschen feiner halt zu, dass man jetzt nun, nun per se mehr mit dusseligen Aufgaben zugeworfen wird und sich damit nicht auf die interessanten konzentrieren kann. Also ich, ich bin da weit davon weg, da irgendwo Böswilligkeit zu unterstellen, das ist es wirklich nicht und wie gesagt, es gibt keine Chance, muss ich wirklich sagen, rückwirkend, ähm, es gab nie die Situation, dass ich eine Aufgabe nicht bekommen hätte. Ich habe immer alles, oftmals mehr als mir lieb war, auf den Tisch geknallt bekommen. Aber, ähm, aber diesen formalen Rang, da haben sich alle immer ein bisschen schwer mit getan und das auch oft hinter so einem ganz, wie soll ich sagen, hinter so einem ganz, äh, naiven „Ja, wussten wir doch nicht, dass Sie weiterkommen wollen!“ Ne? So. Auch jetzt in diesem Rang noch. Ich meine, die VS 3 ist jetzt auch nicht so ein kleines Level, aber ich bin in diese Abteilung mit einer VS 3 gekommen, und irgendwann nach zwei, drei Jahren, als ich dann zu meinem Chef gesagt habe: „Also, ich möchte jetzt hier also.“ „Da haben wir ja nie drüber gesprochen!“ So, als sei es jetzt völlig absurd, dass jemand in dieser Hierarchiestufe, als Frau, darüber nachdenkt, irgendwie das zu erreichen. Aber die Aufgaben dafür, die habe ich immer gemacht, ja.
In allen Bereichen und auf den verschiedenen Verantwortungsstufen, auf denen Cordula Meissner gearbeitet hat, hatte sie im Rahmen der konkreten Arbeit nicht das Gefühl, anders als ihre männlichen Kollegen behandelt worden zu sein. Dies macht sie an der Art der zugewiesenen Aufgaben fest, was auch schon bei Tatjana Teubner als eine Form der symbolischen Anerkennung interpretiert wurde. So hat sie den Eindruck, den Positionen entsprechende Aufgaben bekommen zu haben. Zugleich rekonstruiert sie aber im Nachhinein in allen Bereichen und auf allen Ebenen diskriminierende vergeschlechtlichte Praktiken, die sie als Barrieren für Frauen mit Karriereplänen bezeichnet. Dies führt sie zum einen darauf zurück, dass in ihrem Fall oft die Spielregel verletzt wurde, dass nach einer bestimmten Dauer des erfolgreichen Bewältigens von übertragenen Aufgaben die Beförderung in einen anderen Status verletzt wurde. Die Zeiträume wurden ih-
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rem Empfinden nach unangebracht überschritten, in dem eine solche Beförderung der normativen Erwartungshaltung hätte entsprechen müssen. Eine weitere ausgrenzende Praxis, die sie erlebt hat, ist die Überbelastung von Mitarbeiterinnen durch karriereirrelevante Aufgaben, so dass die Konzentration auf karriererelevante Tätigkeiten eingeschränkt ist. Dass die Mitarbeiterinnen sich dieser Situation nicht ‚einfach’ durch Verweigerung der übertragenen Aufgaben entziehen können, hat vermutlich mit dem bereits im Fall Tatjana Teubner rekonstruierten habituellen Prinzip zu tun, dass der Ehrgeiz einer Person an der Bewältigung von übertragenen Aufgaben gemessen zu werden scheint. Eine andere Erfahrung ist, dass sie auf allen Ebenen ihrer Berufstätigkeit nicht die entsprechende Form der symbolischen Anerkennung bekommen hat, die ihr gemäß ihrer Tätigkeit und den übernommenen Aufgaben zugestanden hätte. Weder die Bezahlung noch die zugesprochene Position haben (zunächst) ihrer Ansicht nach den von ihr erbrachten Leistungen entsprochen. Sie hat dies erst einklagen müssen. Dabei hat sie die Erfahrung gemacht, dass solche diskriminierenden Praktiken den Verantwortlichen je nach Bereich und Verantwortungsebene unterschiedlich stark und in unterschiedlicher Weise bewusst sind. So hat sie erlebt, dass in der Filiale, in der sie tätig war, (noch) offensiv vertreten wurde, die Karriere einer Frau zu verhindern, wohingegen die Ausgrenzungspraktiken im Bereich der hochqualifizierten Mitarbeiterinnen der Bank eher subtiler, habitueller Art waren. In diesem Bereich lagen die Karrierepläne von Mitarbeiterinnen zum Teil außerhalb des Vorstellungshorizonts von Vorgesetzten und wurden von diesen so lange nicht wahrgenommen, bis sie darauf von den Frauen selbst aufmerksam gemacht worden sind. Jobwechsel für die Beförderung C.M.: Aber es ist eben, es ist eben immer ein Thema gewesen und da würde ich ganz klar da die Trennlinie ziehen: Tätigkeit keine Benachteiligungen, wirklich, also vernünftiges Arbeiten und vernünftige Anerkennung und aber Bezahlung ist auch noch nicht mal das Thema, weil ich habe oft Situationen erlebt, wo mir dann gesagt wurde: „Ja, mehr Geld können Sie haben, aber mehr Hierarchiestufe eben nicht“, ne? Ähm, Bezahlungen auch, Bezahlungen auch okay, aber Beförderung, genau genommen, auch rückwirkend schon immer ein großes Thema gewesen. Und am Ende hat es dazu geführt, ich habe auch jetzt, nachdem ich überlegt habe, jetzt auch im Zusammenhang mit dem Programm noch mal rückwirkend, habe das Revue passieren lassen. Ich habe ja auch relativ oft gewechselt, und eigentlich war es am Ende so, dass ich oftmals rein für eine Beförderung gewechselt habe. Also nach dem Motto: Ähm, ich mache den Job nur, wenn ich jetzt auch den und den Rang kriege, also wirklich auf, auf heftigste Erpressung hin und dann oft, nja, Erpressung ist natürlich das falsche Wort, aber der U-Land-Job war zum Beispiel so einer, da wusste ich, ich würde den, die nächste Stufe, das war damals die 3, wo ich auch eeewig gewartet und, nicht gewartet, sondern richtiggehend gekämpft auch habe, und es hier wirklich ums Verrecken nichts werden wollte, und der U-Job war mit der 3 ausgeschrieben, da habe ich gesagt, dann mache ich das jetzt für die 3. Ich wusste aber, das Projekt war begrenzt, also
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das ist ja oftmals so, dass die interessanten Stellen dann vergeben werden, weil man keine Leute kriegt und beim U-Job war klar, dass klar war, der wäre zeitlich begrenzt und man wusste nicht, was nachher werden würde, und dann habe ich das bewusst für mich in Kauf genommen und habe gesagt: „Also wenn ich die 3 jetzt erst mal habe, die nimmt mir dann keiner mehr weg, dann mache ich das jetzt erst mal und danach müssen wir halt weiter sehen.“
Neben der Differenzierung zwischen nicht-vergeschlechtlichten Arbeitserfahrungen und vergeschlechtlichten Gratifikationen nimmt Cordula Meissner in dieser Interviewpassage eine Differenzierung der symbolischen Anerkennungsformen vor. Sie unterscheidet zwischen monetären Zuwendungen und Beförderungen. Diese Differenzierung beruht auf der Erfahrung, dass ihr bei Forderungen nach Anerkennung ihrer Leistung eine Lohnerhöhung durchaus gewährt, aber die Beförderung in eine beruflich höher gestellte Position oftmals verwehrt wurde. Darin zeigt sich, dass eine Orientierung an der Norm der Leistungsorientierung zwar eine mögliche, aber keineswegs hinreichende Bedingung für eine Beförderung darstellt. Die Beförderungspraxis wird damit als eine Praxis rekonstruiert, die sich der Norm des Leistungserfolgs bedienen kann, aber auch davon unabhängig die Beförderung von Personen nach vergeschlechtlichten und habituellen Kriterien darstellt. Cordula Meissners Schilderungen zeigen, dass sich sowohl das Warten und Hoffen auf die Beförderung durch Vorgesetzte als auch das Einklagen und „kämpfen“ darum als erfolglose Strategien herausgestellt haben. Diese Aberkennung eines sozialen Status und die Verweigerung einer Beförderung nicht akzeptierend, hat Cordula Meissner eine andere Strategie entwickelt. Sie hat mehrmals die Stellen gewechselt, um die gewünschte Beförderung zu bewirken und nahm dafür auch von den Vertragsbedingungen her unattraktive und für die berufliche Zukunft nicht unriskante Stellenangebote in Kauf (zeitliche Befristung, unsichere Anschlussbeschäftigung), um ihr Ziel zu erreichen. Die Risiken dieser Strategie und der enorme Einsatz für eine berufliche Karriere liegen auf der Hand, und obwohl sich auf diese Weise mit Bezug auf die Norm des Leistungserfolgs ihr symbolisches Kapital und ihre Mitgestaltungsmöglichkeiten erhöht haben sollte, kann vor dem Hintergrund rekonstruierter Spielregeln, die diese Norm unterlaufen, nicht sicher davon ausgegangen werden, ob sie auch tatsächlich dazu ernannt wird, entsprechend Einfluss zu nehmen. Dies kann jedoch auf der Basis dieser Daten nicht weiter eingeschätzt werden. Mentoring als billiger Trost? I:
Wie ist es dazu gekommen, dass Sie am Mentoring teilgenommen haben?
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
C.M.: Also, ich bin von meinem, nicht von meinem Chef selbst, ist auch wieder bezeichnend, aber von dem da drüber benannt worden. I:
Ach so.
C.M.: Ja. I:
Also Sie wurden gefragt oder vorgeschlagen?
C.M.: Vorgeschlagen, ja. Joa. Und das habe ich, joa, habe ich auch gern gemacht. Also hat mich schon, hat mich schon gefreut, wobei ich jetzt auch wieder sagen muss, also, es klingt vielleicht ein bisschen renitent, aber ich war da zwiespältig, weil wie gesagt, ich hatte, habe diese Situation, dass ich, also ich bin seit über drei Jahren für eine Beförderung vorgeschlagen gewesen, das finde ich ein ziemlich, wie soll ich sagen, in gewisser Weise, ähm, zumindest ein demotivierendes Moment, wobei ich auch weiß, dass es vielen Männern genau so geht. Das zum Thema Mann/Frau. Aber ich finde es trotzdem relativ schlimm, ähm, weil es ist immer so eine Wurst hingehalten zu kriegen und dann „Nein, diesmal nicht, vielleicht nächstes Mal.“ So. Und, ähm, ich habe mich gefreut über die Benennung, weil es mir zeigte, dass ich irgendwie nicht ganz vergessen bin, aber ich hatte auch das: Hoffentlich machen sie das jetzt nicht als billigen Trost dafür, dass es nun äh dass es nun wieder mal nicht klappen wird oder nicht geklappt hat. Das waren so meine, das waren so die zwei Seelen in meiner Brust, wobei ich dann immer gesagt habe: Na ja, also ich werde es wahrnehmen, egal, aus welchem Grund, ist mir wurscht. […] I:
Was haben Sie sich davon erhofft?
C.M.: Hmm, erhofft. Erhofft. Hmmmm. ---, ähm, also ich glaube, das geht jetzt ein bisschen, ein bisschen in Ihre Richtung. Was ich mir wirklich erhoffe, wobei ich nicht weiß, ob es wirklich so eintrifft, ist, dass eine enge Verknüpfung hergestellt wird zwischen den Beförderungen und dem Mentoringprogramm. Jetzt ist es ja so, also ich habe Ihnen ja gesagt, wenn jetzt die Beförderung mal kommt, dann kommt die sicherlich nicht durchs Mentoringprogramm, sondern sie wäre sowieso über-, über-, überfällig gewesen. Aber auch das ist mir am Ende egal, es ist, es geht mir dann darum, wenn ich durch das Programm mir mehr Aufmerksamkeit krie, ka, kriege, und das erhoffe ich mir ja, dass jetzt diejenigen, die das Programm machen auch sagen: „Hey, wir gucken drauf, das ist ja das Thema Messbarkeit, wir schauen uns mal an, ob das die Leute auch wirklich weiterbringt“. Ähm, ja, also ich hoffe, dass das der Fall sein wird. Und wenn das ein Steinchen zu der nächsten Stufe ist, dann finde ich es okay. Was jetzt nicht heißt, dass wenn die nächste Stufe nicht erfolgt, ich unzufrieden mit dem Programm wäre, das natürlich nicht.
Das Mentoringprogramm wird von Cordula Meissner im Rahmen der Reflexion über verschiedene Formen von Anerkennung interpretiert. In der Beziehung zu ihrem Chef sieht Cordula Meissner allerdings kein soziales Kapital, das sich für ihre berufliche Karriere ausgezahlt hat. Auch hierin kann wie schon bei Tatjana Teubner ein Hinweis auf die Schwierigkeit in diesem Feld gesehen werden, soziales Kapital aufzubauen und zu pflegen, was vermutlich mit der starken Konkurrenzsituation zu tun hat. Einerseits sieht sie in dem Angebot zur Teilnahme eine Form der symbolischen Anerkennung für ihre Leistungen, da sie aus einem Kreis
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potentieller Mitarbeiterinnen ausgewählt wurde. Andererseits befürchtet sie, dass die ermöglichte Teilnahme den politischen Hintergrund besitzt, sie über das Vorenthalten der symbolisch höherwertigen Gratifikation einer Beförderung ‚hinwegzutrösten’. Diese Spielregel zur Vorenthaltung eines sozialen Status und einer Mitgestaltungsmöglichkeit durch (nur scheinbar) kompensierende, weil symbolisch niedrigere Anerkennungsformen hat sie bereits am Beispiel der Lohnerhöhung dargestellt. Ihre Teilnahme am Mentoringprogramm hat Cordula Meissner dennoch nicht in Frage gestellt, denn selbst wenn sich das Mentoring an sich als irrelevante Variable für ihre Beförderung herausstellen sollte, hofft sie, dass die Programmverantwortlichen des Mentoringprogramms eine kompensierende Beförderungsfunktion übernehmen und die beruflichen Aufstiege der teilnehmenden Frauen aktiv beeinflussen können. Für eine solche Einflussnahme müsste allerdings die Diversity-Abteilung des Kreditinstituts, die das Mentoringprogramm veranstaltet, eine zentral mitgestaltende Position im Kreditinstitut einnehmen. Ob dies der Fall ist, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden, aber sie ist vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung der Frauenförderung in Unternehmen (vgl. Kap. 2.1) eher unwahrscheinlich. Am Versuch der Instrumentalisierung des Programms als auch der Programmverantwortlichen sowie der Annahme von (auch unattraktiven) Stellenangeboten zum Zwecke des beruflich-sozialen Aufstiegs durch Cordula Meissner wird jedenfalls deutlich, dass aus ihrer Perspektive Spielregeln der vergeschlechtlichten Beförderung, nach denen Frauen tendenziell von bestimmten Positionen ausgeschlossen werden, die feldspezifische Norm der Beförderung nach Zeit und Leistung überlagern. Ihre Strategien (z.B. Besetzen von beruflichen Nischen, Instrumentalisierung von Maßnahmen und Programmverantwortlichen) als Reaktion auf die strukturellen Diskriminierungen zeigen ein Muster der individualisierten kompensierenden Instrumentalisierung von (Stellen- und Weiterbildungs-)Angeboten zum Zwecke des Erreichens ihrer persönlichen Berufsziele.
5.2.3 Zusammenfassung Im Unterschied zum Feld der Medizin, in dem institutionalisierte Karrierewege konstruiert wurden, dominiert in den beiden präsentierten Fällen aus dem Feld des Bankwesens eher ein institutionalisiertes Aufstiegsprinzip die Konstruktion des beruflichen Feldes. In beiden Beispielen wird als dominantes Aufstiegsmuster ein Prinzip der vergeschlechtlichten Beförderung konstruiert, das im Sinne der (unternehmens-)förderlichen Konkurrenzsituation auf einer Vorderbühne (vgl. Goffman 2006, 100) durch eine Norm des Leistungserfolgs mit der Erwar-
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
tung eines leistungsorientierten Habitus überdeckt wird. Dies zeigt sich in den Beispielen des Feldes in Form einer Orientierung der Mitarbeiter/innen an den normativen Leistungserwartungen, zum Ausdruck gebracht über einen durch Leistungsbereitschaft und Profitorientierung geprägte Habitus mit der Hoffnung, dass das Prinzip der Beförderung an diese habitualisierte normative Erwartung unmittelbar gekoppelt ist. Ihre Erfahrung aber spiegelt, dass ein entsprechender Habitus - selbst im Fall einer 120%igen Leistungsorientierung und -bereitschaft nicht zwangsläufig als hinreichende Voraussetzung für einen beruflichen Aufstieg reicht, obwohl dieser Zusammenhang – aus einer ökonomischen Perspektive des Kreditinstituts durchaus nachvollziehbar - institutionell aufrechterhalten wird. In der Praxis zeigt sich vielmehr das über Spielregeln vermittelte Aufstiegsmuster der vergeschlechtlichten Beförderung durch Ermächtigte, für das auch der Besitz von sozialem Kapital zentral zu sein scheint, über das aber beide Mentees – zumindest in Person ihrer direkten Vorgesetzten - nicht verfügen. So werden männliche Kollegen (mindestens phasenhaft) bevorzugt und gefördert, da sie eher über diese Qualität des sozialen Kapitals verfügen. Für Frauen ergibt sich daraus die Situation, dass Formen der Anerkennung von ihnen weniger beeinflussbar sind, da sie schwerer vertikales soziales Kapital anhäufen können bzw. dieses sich symbolisch als weniger nützlich für ihre Karriere erweist als für die der Männer.63 Die stattfindenden Benachteiligungen von Frauen werden dabei vordergründig über die Leistungsnorm bzw. über abweichende habituelle Dispositionen legitimiert, wie an der Konstruktion über das ökonomische Risiko durch Frauenförderung von Vorgesetzten deutlich wurde oder dem Hinweis auf die Spielregel der Überbelastung von Mitarbeiterinnen mit karriereirrelevanten Aufgaben zu schließen ist, die keine Zeit und Energie für die Bearbeitung karriererelevanter Aufgaben lässt, was als habituelle Abweichung interpretiert wird. Sie finden im Rahmen der Beförderungspraxis Ausdruck in symbolisch weniger wertvollen Anerkennungsformen wie monetären Zuwendungen oder Teilnahmemöglichkeit an nur scheinbar karriererelevanten Programmen, wie es das Mentoringprogramm eines darstellen könnte. Die habituellen Erwartungen als Ausdruck einer Orientierung an der Leistungsnorm werden von den Akteurinnen dabei auf zwei Ebenen konstruiert: auf der Ebene des flexiblen Arbeitens und Bewältigens von Aufgaben sowie auf der Ebene des Erwirtschaften ökonomischen Profits für das Unternehmen. Es werden die normativen Ansprüche vermittelt, dass Aufstiegsorientierte eine sehr 63 Ein mehrfach in den Interviews erwähntes Phänomen könnte hierbei von Relevanz sein: Es werden häufige Wechsel von Vorgesetzten genannt, was – mit besonderer Härte für Frauen – den Aufbau von sozialem Kapital zur langfristigen Unterstützung von Karrieren erschweren dürfte.
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hohe Leistungsbereitschaft („120 %“) für die Bewältigung von übertragenen Aufgaben zeigen sowie ökonomisch profitabel für das Unternehmen arbeiten müssen. Entsprechend dem bereits dargestellten Muster führt eine habituelle Entsprechung dieser Anforderungen aber nicht zwangsläufig zu einer Beförderung für einen höhergestellten Posten, umgekehrt aber wird – insbesondere bei Frauen - eine Abweichung als Ambitionslosigkeit interpretiert und nicht erfolgende Beförderungen, bzw. (Be-)Förderungen werden so als selbstverschuldete ‚habituelle Unpässlichkeiten’ interpretierbar. In diesem Kontext stehen auch die vorstellbaren Formen zur Vereinbarung von Familie und Beruf. Wenn die mit der Norm kompatible Form der Vereinbarung nicht mit den eigenen Bedürfnissen eines Familienlebens übereinstimmen, sehen sich Mitarbeiterinnen wie die Mentee Teubner vor die Wahl gestellt, sich für eine berufliche Karriere ohne familiäre Bindungen oder für ein Familienleben mit einem begrenzten beruflichen Erfolg entscheiden zu müssen. Auch in diesem Fall wird eine Anpassung an eine Leistungsnorm gefordert und gefördert, die (nur) vordergründig die Chance auf Erfolg und Wertschätzung in diesem Feld erhöht, indem die Mitarbeiter/innen die konstitutiven, distinktiven und normativen Spielregeln habitualisieren. Die Verletzungen der normativen Orientierung an Leistung in ihrem Fall wurden von der Mentee Meissner nach mehreren biographischen Erfahrungen als ein Ausgrenzungsmuster erkannt und in einen Zusammenhang mit dem Geschlecht der betroffenen Mitarbeiter/innen gebracht. Sie sieht deshalb im Mentoringprogramm auch die Gefahr, dass es sich hier symbolisch um eine Art ‚Nebenschauplatz’ handelt. Vor dem Hintergrund dieses erkannten Zusammenhangs der relativen Unabhängigkeit zwischen der konstruierten Norm des Leistungserfolgs und deren Ausdruck in einem bestimmten Habitus sowie der sich trotzdem an anderen Kriterien tatsächlich erfolgenden Beförderungspraxis zeigt sie im Interview eine von ihr entwickelte Doppelstrategie, die auch als Ausdruck ihrer distanzierten Haltung gegenüber der Feldlogik gelten kann. Im Rahmen dieser versucht sie zum einen mittels der durch die Norm des Leistungserfolgs ‚erzwungene’ Teilnahme am Mentoringprogramm die Voraussetzungen eines vordergründig legitimen Aufstiegs so offensichtlich zu erfüllen, dass ihre Beförderung quasi notwendig erscheint, um einen zu offensichtlichen Bruch an der Norm zu vermeiden. Daran zeigt sich die Gültigkeit der Norm auch für die Verantwortlichen des Kreditinstituts, was sich die Mentee strategisch zunutze machen will. Zum anderen versucht sie entsprechend der tatsächlichen (zumindest bei Männern beobachteten) Beförderungspraxis ihr soziales Kapital strategisch zu erhöhen, um den vergeschlechtlichten Karrierennachteil zu kompensieren. Dazu instrumentalisiert sie das Mentoringprogramm als symbolisches Kapital
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und die Mentoringprogrammverantwortlichen als soziales Kapital zur objektiven Statusverbesserung. Eine weniger distanzierte und stattdessen mit der Feldlogik stärker identifizierte Haltung ist einer der Gründe, warum sich die Mentee Teubner im Gegensatz zur Mentee Meissner primär an der Norm des Leistungserfolgs orientiert, einen entsprechenden Habitus präsentiert und vor diesem Hintergrund Geschlecht phasenhaft als legitimes diskriminierendes Kriterium der sozialen Differenzierung für Berufsverläufe und –entscheidungen konstruiert: So wird die Benachteiligung von Frauen in einem gebärfähigen Alter bei der Karriereförderung letztlich von ihr als logische Konsequenz betrachtet, die auf dem hergestellten Zusammenhang beruht, dass Frauen durch einen potenziellen Ausfall oder der Einschränkung ihrer Leistungsbereitschaft aufgrund einer Mutterschaft für das Finanzinstitut ein ökonomisches Risiko darstellen könnten. Eine Benachteiligung von Frauen erscheint in der Phase der potentiellen Gebärfähigkeit deshalb entsprechend der Feldlogik als normenkonform und als erfolgreiche Strategie zum Verfolgen der Karriere. Entsprechend wird die im Fall Teubner erfolgte Abweichung von der Leistungsnorm auf Konkurrenzkämpfe auf einer höheren Personal-Ebene zurückgeführt und behält darüber eine der Leistungsnorm entsprechende Legitimität. Darum wird die Teilnahme am Mentoringprogramm von der Mentee Teubner auch als vom Kreditinstitut gewährtes Zeichen der Wiedergutmachung interpretiert und dient darüber ebenfalls der Bestätigung der Norm, dass Leistungen belohnt werden. Diese Interpretation des Mentoringprogramms ‚heilt’ zugleich den Widerspruch zur feldspezifischen Logik der Orientierung am Leistungsprinzip durch ein Programm für Frauen, in dem ein gewährtes Privileg offensichtlich nicht auf beruflichen Leistungen beruht, sondern auf einem konstruierten Merkmal einer ebenfalls über angebliche Ähnlichkeiten definierten Personengruppe. Prinzipiell wird aus diesem Grund ein Programm für Frauen von Tatjana Teubner abgelehnt, wenn sie auch in Anlehnung an die Leistungsnorm eine quantitative Annäherung förderlicher Karrierebeziehungen für Männer und Frauen befürwortet. Da das Mentoringprogramm für Frauen in ihrem speziellen Fall zugleich als eine symbolische Anerkennung des Feldes für ihre individuelle Leistung interpretiert werden kann und somit der Bestätigung der Norm des Leistungserfolgs dient, kann sie ihre Teilnahme auf diese Weise schließlich doch legitimieren. Spannend ist, dass Tatjana Teubner auf der Ebene des Inhalts des Programms die Idee entwickelt, dass Mentoring nicht nur der ‚quantitativen’ Ebene der Kompensation vergeschlechtlichter Beförderungspraktiken dienen, sondern für sie persönlich auf einer ‚qualitativen’ Ebene zur reflexiven Bearbeitung von Normen und Spielregeln des Feldes nützlich sein kann.
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Die Orientierung an der Leistungsnorm und ihr zu entsprechen wird somit von beiden Mitarbeiterinnen trotz der widersprüchlichen Erfahrungen als zentrale Möglichkeit gesehen, Einfluss auf die Beförderungspraxis zu nehmen und eine Beförderung von Seiten der Mitarbeiterinnen vorzubereiten. In dieser Reproduktion der Norm, ihres entsprechenden Habitus und ihres Zusammenhangs mit der feldspezifischen Spielregel der Beförderung kann eine Interessensverbindung zwischen dem Unternehmen und den Akteur/innen in dem Feld gesehen werden: Die Akteur/innen können sich durch ihre Orientierung an der Leistungsnorm als gestaltende Subjekte ihrer beruflichen Karrieren begreifen, und die Unternehmen profitieren von den leistungsbereiten und engagierten Mitarbeiter/innen, so dass beide Seiten auf diese Weise zur Beständigkeit der die eigentliche vergeschlechtlichte Aufstiegspraxis überdeckenden Norm beitragen. Zusammengefasst lässt sich zur Deutung des Mentoringprogramms vor dem Hintergrund der konstruierten Feldlogik festhalten, dass das Programm im Beispiel der Mentee Teubner entsprechend der Norm des Leistungserfolgs als Wiedergutmachungsgeste eines Bruchs der Norm zur Honorierung individueller Leistungen (symbolisches Kapital) ausgelegt wird. So weit es der Norm entspricht, wird es als legitim erachtet, dass mittels des Instruments einer quantitativen Ungleichbehandlung von Frauen und Männern auf der Ebene von Förderbeziehungen entgegengewirkt wird. Auf einer qualitativen Ebene wird in dem Instrument die Möglichkeit gesehen, institutionelle Spielregeln und normative Orientierungen in der Mentoringbeziehung zu reflektieren, was theoretisch auch ein Potenzial beinhaltet, eine größere Distanz zu institutionellen Praktiken zu entwickeln und daraus Handlungsmöglichkeiten zu schöpfen. Im Beispiel der Mentee Meissner zeigt sich ein Bewusstsein darüber, dass die institutionell produzierte normative Orientierung an Leistung relativ unabhängig von der institutionellen Beförderungspraxis besteht, die primär entlang der Differenzlinien Geschlecht verläuft. Entsprechend dieser Beobachtung wird das Mentoringprogramm als Teil einer Doppelstrategie genutzt: Im Sinne der institutionellen Beförderungspraxis wird es sowohl als Möglichkeit zur Anhäufung kompensatorischen sozialen Kapitals betrachtet als auch im Sinne der institutionellen Norm des Leistungserfolgs als symbolische Anerkennung für individuelle Leistung interpretiert, die im Sinne der Norm für eine weitere Beförderung strategisch eingesetzt werden kann.
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
5.3 Soziales Feld: Verkehrsunternehmen
5.3.1 Beispiel I: Mittelakquise (Fundraising), Margot Koch Ein politischer Laden I:
Und, ähm, was haben Sie für berufliche Pläne jetzt, also, wie sehen Sie Ihre Zukunft?
M.K.: Ich habe mir, bevor ich hier angefangen habe, eigentlich immer gewünscht, eigentlich doch mal noch eine Bereichsleitung zu übernehmen oder, ähm, eine verantwortungsvollere Stelle, weil ich meistens, kennen Sie sicher, sagen wir mal, man hat oftmals das Gefühl, dass man bestimmte Sachen einfach besser machen würde oder anders machen würde oder besser könnte als Leute, die da auf diesen Pöstchen sitzen. Seit ich jetzt hier bin, das ist hier ein ganz, ganz politischer Laden, sehe ich, wie diese Machtspielchen laufen und so weiter, und da habe ich mich jetzt fürs erste Mal für mich beschlossen, mir reicht das eigentlich, was ich bisher erreicht habe mit noch nicht mal ganz vierzig Jahren.64 Also ich habe keine Lust, mich dem auszusetzen, was sich die Leute hier, zumindest die Führungskräfte, aussetzen. I:
Ich habe schon einmal eine Frau um die 40 interviewt, die genau das sagt, dass sie keine Lust mehr hat, weiter zu kämpfen. Die es als zu anstrengend empfindet, und dass es im Grunde genommen gar nicht mehr um Inhalte geht, was man macht.
M.K.: Überhaupt nicht, also immer weniger, ja. I:
Das ist ja super spannend.
M.K.: Und ich habe jetzt halt auch mir noch mal überlegt, es ist ja tatsächlich so, es gibt gute Spezialisten, Fachkräfte und, und Führungskräfte, und man sagt immer: Eine Führungskraft muss überhaupt nichts vom Fach verstehen. Da bin ich völlig anderer Meinung. Ich denke nicht, dass jemand einen Fachbereich gut leiten kann, wenn er überhaupt nicht weiß, zumindest nicht grob versteht, was dort passiert. Der muss sich schon damit auseinandersetzen, aber äh es gibt doch so viele Führungsqualitäten, die ich, also ich entdeck das jetzt immer mehr, auch im Gespräch mit meinem Mentor, dass man die nicht unbedingt haben muss und dass es auch nicht immer erstrebenswert ist, die zu entwickeln. Das ist auch eine Flucht ein bisschen, ne? Weil ich wohl so merke, dass ich nicht der Typ dafür bin einerseits für diese ganzen Machtspielchen und auch keine Lust habe, drei Abende in der Woche für Abendessen zu opfern mit Leuten, die ich nicht riechen kann, die aber wichtig sind für das berufliche Fortkommen. I:
Was wären das für Eigenschaften, die Sie gerade angedeutet haben, was muss man sozusagen machen
M.K.: Ein super, super dickes Fell. Also ein extrem dickes Fell, ich mein das Fell wächst sowieso mit jedem Berufsjahr, man nimmt mehr Abstand von bestimmten Dingen, ja über die man sich auch zuvor noch aufregen konnte, aber man muss auch bestimmte Details ganz 64 Margot Koch ist zum Zeitpunkt des Interviews stellvertretende Bereichsleiterin im EDV-Bereich des Unternehmens.
Soziales Feld: Verkehrsunternehmen
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gut ignorieren können, und man muss ein gewisses Desinteresse an, äh, an, an, äh Abläufen und an, an, an Sachfragen haben. Bestimmte Dinge laufen einfach nicht, und da muss man einfach so tun, als würden sie laufen und äh nach außen auch so verkaufen als würde es perfekt laufen und das ist was, was mir völlig zuwider läuft. Ich kann nicht grün als gelb verkaufen oder. Ich lerne es ein bisschen jetzt, ne? Aber ich werde das sicher nie perfekt beherrschen. Ja. Ich habe allerdings auch einige Führungskräfte getroffen, die, ähm, relativ gut sich auf ihre Jobs gerettet haben. Also die das Spiel nicht so ganz extrem mitspielen, also das ist ermutigend. Ich finde es auch nicht okay, dass das ganze so läuft, aber es läuft so und was mich ein bisschen stört, an, ähm, an der Diskussion auch, um Frauenanteil erhöhen und so weiter, dass nie in Frage gestellt wird wie das Ganze aktuell praktiziert wird. Ich mein klar, es geht vorrangig erst mal darum, den Anteil zu erhöhen. Keine Frage. Aber ich finde es halt insgesamt auch fraglich, ob das überhaupt alles so laufen muss wie es läuft. I:
Würden Sie da einen Unterschied sehen wenn jetzt eine Frau eben auf diese Position will oder ein Mann auf diese Position will, also jetzt sozusagen, dass sie noch mal andere Eigenschaften
M.K.: Nö. Muss besser sein, muss viel, viel besser sein, ja. Und muss sich mehr, muss ein dickeres Fell haben, weil, ähm, es gibt bei uns jetzt wohl relativ viele weibliche Führungskräfte, aber im Vergleich zu Männern sind es immer noch verschwindend wenige, so. Wenn jetzt, nehmen Sie 20 Führungskräfte, davon sind drei Frauen. Wenn von den 17 Männern 10 Mist bauen, nimmt man die nicht so wahr, weil das ist, äh, ein kleines bisschen mehr als die Hälfte, aber es gibt ja noch genug Gute. Wenn bei den Frauen eine großen Mist baut oder zwei, I:
[unv.] weil es fast gleich alle sind
M.K.: Ja. Ja. Sie sind viel exponierter, werden mehr beobachtet und, äh, man haut schneller drauf, wenn was passiert ist. Es warten viele drauf, dass was passiert. So stille Entmachtungsspielchen auch.
Margot Koch hatte zu dem Zeitpunkt des Wechsels zum Flughafenunternehmen das berufliche Ziel, eine Bereichsleitung zu übernehmen. Sie begründet dieses Berufsziel unter anderem mit oft erlebten Überlegenheitsgefühlen gegenüber Vorgesetzten und strebte deshalb mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten an. Im Flughafenunternehmen findet sie jedoch Bedingungen eines weiteren beruflichen Aufstiegs vor, die dazu führen, dass sie diesen Plan wieder aufgibt. Sie macht die Erfahrung, dass Personalentscheidungen vorwiegend auf der Basis habitueller Passungen getroffen werden und nicht ihren eigenen Grundsätzen nach auf der Grundlage von Qualifikationen und fachlicher Kompetenz. So werden Führungspositionen mit dem Argument der Eignung für Führungsaufgaben überwiegend an männliche Kollegen vergeben, die in Margot Kochs Augen fachlich nicht unbedingt kompetent sind, aber bestimmte Verhaltensweisen als Führungspersönlichkeiten zeigen. Diese Beobachtung Margot Kochs deckt sich mit den empirischen Untersuchungen Hartmanns (2002, 116ff), der den Habitus der gehobenen sozialen Milieus und des Großbürgertums als wichtigste Vorausset-
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zung für den Zugang Promovierter zu Elitepositionen in der Wirtschaft rekonstruiert hat. Weder in Wissenschaft, Justiz noch Politik hänge die Rekrutierung von Führungskräften so stark von der sozialen Herkunft und dem dort entwickelten Habitus zusammen wie in der Wirtschaft (ebd., 131). An der Darstellung dieses Phänomens auf der Basis eigener Erfahrungen durch Margot Koch wird deutlich, dass die Praxis der habituellen Rekrutierung (vgl. auch Bourdieu 1981, 132ff) diskursiv in dem Flughafenunternehmen als eine normative Orientierung an der Eignung einer Person kommuniziert wird, was einen noch größeren Interpretationsspielraum der Bewertung von Mitarbeiter/innen lässt als das normative Qualifikations- und Leistungskriterium, wie es sich im Beispiel des Kreditinstituts gezeigt hat – das belegen auch Margot Kochs Erfahrungen. Aus den ablehnenden Ausführungen zu den Rekrutierungspraktiken für den Zugang zu den Führungspositionen lässt sich schließen, dass Margot Koch nicht über den von ihr im Feld beobachteten erforderlichen Habitus einer Führungsperson zu verfügen scheint, was den Selbstausschluss von der Führungsebene begründet hat. So beschreibt sie Diskrepanzen zwischen einem erwarteten Habitus auf der Führungsebene und ihrem eigenen Habitus, die sie für unüberwindbar hält, obwohl sie sich dazu genötigt fühlt, in Ansätzen Verhaltensweisen des geforderten Habitus zu übernehmen, um ihre erreichte Position zu behalten. Sie nennt zwar prinzipiell die Möglichkeit mittels habitueller Anpassungen einen weiteren beruflichen Aufstieg zu bestreiten, lehnt eine solche Bemühung aber für sich persönlich vor dem Hintergrund der damit einhergehend vermuteten und anschaulich beschriebenen Anstrengungen ab. Dabei sähe sie ihre Eignung durchaus gegeben, würde diese im Unternehmen stärker an fachlichen als an habituellen Kriterien gemessen werden. Die entlang der Differenzlinie Habitus verlaufende Rekrutierungspraxis führt für Frauen und Männer dabei zu unterschiedlichen Ausgangsbedingungen eines beruflichen Aufstiegs wie ihre Einschätzungen über Zugangsmöglichkeiten für Frauen zu Führungspositionen zeigen. Denn ein Zugang für Frauen zu den Führungsetagen ist in ihren Augen davon abhängig, in wiefern sie ihre Eignung trotz des ‚fehlenden Merkmals Mann’ durch habituelle Passungen kompensieren können oder mit andern Worten inwiefern ihr vergeschlechtlichter weiblicher Habitus dem vergeschlechtlichten männlichen Habitus einer Führungskraft entspricht. Dazu zählt ein von Hartmann beschriebener durch „unternehmerisches Denken“ (2002, 124f) geprägter Habitus, mit dem unternehmensinterne Probleme beschönigend dargestellt werden, um eine optimistische und von unternehmerischen Visionen geprägte Grundhaltung zu präsentieren und soziales Kapital zur Demonstration von Zugehörigkeit in ‚Führungskreisen’ strategisch zu pflegen. Frauen müssen oder dürfen Margot Kochs Erfahrungen nach keine anderen
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Verhaltensweisen und Eigenschaften aufweisen, die erforderlichen aber noch stärker ausgeprägt haben als konkurrierende Männer, auch um der durch Ausgrenzungsmechanismen geprägten erschwerten Situation zu umgehen, in der sie sich als Vertreterinnen einer sich in der Minderheit befindenden Genus-Gruppe befinden. Dieses Konzept umschreibt das Phänomen, dass Personen wegen ihres Minderheitenstatus in einem Feld bzw. Bereich erhöhte Aufmerksamkeit gezollt wird und Abweichungen von normativen Vorstellungen nicht nur verstärkt von der Umgebung wahrgenommen werden, sondern auch in Zusammenhang mit dem Merkmal gebracht werden, das ihnen den Minderheitenstatus beschert hat wie beispielsweise ihr soziales Geschlecht. Dieses Merkmal (Geschlecht) erfährt über den verzerrt konstruierten Zusammenhang eine symbolische Abwertung. Margot Koch hat in ihrem Umfeld deshalb auch den Eindruck, manche Angestellten warteten nur darauf, dass Frauen Fehler unterliefen, um sie dann zu diskreditieren. Gegenüber Frauen wird damit ein Loyalitätsgesetz des Unternehmens außer Kraft gesetzt, das wie an dem demonstrierenden Beispiel zum unternehmerischen Denken innerhalb der Gruppe von männlichen Führungspersonen als unternehmensspezifische Regel deutlich wurde. Das Beispiel Margot Kochs zeigt, wie einzelne Akteure ihre Verhaltensweisen zum Zwecke der Integration und der Mitgestaltung des Feldes auf der Ebene des Habitus an die Spielregeln anpassen müssen, planen sie eine berufliche Karriere bis in die Führungsetage. Die große Diskrepanz zwischen ihren eigenen normativen Überzeugungen und den Spielregeln des Feldes ermöglicht Margot Koch zwar eine distanzierte und kritische Perspektive auf die Spielregeln des Feldes, dennoch sieht sie sich im Wissen um sie dazu genötigt, diese in bestimmtem Maße mit zu reproduzieren. Da sie aber nicht bereit ist, sich gänzlich der Feldlogik und deren Spielregeln zu unterwerfen, worin sie eine Voraussetzung eines beruflichen Aufstiegs sieht, lässt sie ihren Plan des Strebens nach einer Führungsposition fallen. Insgesamt erscheint ihr demnach die mit der erforderlichen habituellen Anpassung verbundene Anstrengung zu groß, um über einen beruflichen Aufstieg eine stärkere Integration ins Feld zu verfolgen, und sie plant stattdessen, sich mit ihrer bereits erreichten Position zu begnügen. Dabei hat sie auch Führungskräfte kennen gelernt, die sich auf ihre Positionen „retten“ konnten, ohne sich scheinbar gänzlich den habituellen Logiken und Spielregeln unterworfen zu haben, was ihr noch ein wenig Hoffnung auf alternative Aufstiegsmuster gibt. Sie scheint damit aber keinen konkreten Plan verbinden oder entwickeln zu können, wie ihr das gelingen könnte. Margot Koch befürwortet aufgrund der von ihr beobachteten Benachteiligung von Frauen prinzipiell Programme zur beruflichen Förderung von Frauen, aber vor dem Hintergrund ihrer Kritik an der beobachteten Feldlogik mit ihren
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Spielregeln und habituellen Anforderungen erscheint ihr eine Frauenförderpolitik fragwürdig, die versucht, den Anteil von Frauen im Rahmen dieser Feldbedingungen zu erhöhen. Dies fördert wie sie an ihrer eigenen Situation sieht die habituelle Anpassung an feldspezifische Spielregeln, die sie persönlich und ideologisch für problematisch hält. Sie stellt stattdessen generell die Logik des Feldes in Frage, die schließlich auch für die Ausgrenzung von Frauen verantwortlich ist. Die Interviewerin geht auf dieses Thema allerdings nicht weiter ein, sondern lenkt stattdessen die Aufmerksamkeit auf geschlechtstypische Aufstiegsbedingungen. Angst, des Feminismus’ verdächtigt zu werden I:
War das dann für Sie wichtig, dass es nur für Frauen war?
M.K.: Äh, ja. Und zwar finde ich, dass also jetzt, ich weiß nicht, wie weit Sie da ins Detail gehen dann mit der Auswertung, aber es ist in meinem Umkreis so, dass die Männer ohnehin über Gebühr gefördert werden. Also, das Verhältnis zwischen Förderung durch die Vorgesetzte und dem, was dahint, was an Können und Fähigkeiten, ist unverhältnismäßig. I:
Woran können Sie das festmachen?
M.K.: Ähhh, die hat diese Leute geholt aus alten Unternehmen und, wie gesagt, mit Managementpöstchen beschenken wollen. Das ging dann nicht aus internen Gründen, und dann haben wir umstrukturiert und es wird jetzt mehr Augenmerk auf die Qualität der Arbeit gelegt, und dann hatten sie keine Wahl als mich da als Vertreterin zu nehmen, weil es einfach keiner kann. Jetzt sitz ich da und mach die ganze Arbeit. Also. I:
[unv.] eine Frau als Vorgesetzte?
M.K.: Ja. Ganz extrem. Das ist nicht die einz, also ich hab das öfter erlebt, ja. Ich hatte einmal schon eine Chefin, eine Frau als Vorgesetzte, und die war perfekt, also einen besseren Chef oder Chefin kann man sich nicht wünschen. Und, ähm, die hat allerdings eher Frauen gefördert, ne? Aber die hätte jetzt auch nicht eine Frau genommen, die einfach überhaupt nichts bringt, ne? Sondern ich würde es auch so machen: Ich würde immer, wenn ich zwei Kandidaten hätte, ich würde immer die Frau nehmen. Überhaupt keine Frage. Und, ähm, sie hat, ähm, sie hat einfach nur Männer geholt und auch neue eingestellt als Seniors und, äh, eine Junior-Kollegin, eine super patente, ganz tolle Anwältin, die erst 26 oder 27 ist, eine Spanierin, daher so jung, super kompetent, die überhaupt keine Förderung bekommt. Die hätte ich zum Beispiel auch für das Cross-Mentoringprogramm vorgeschlagen. Mittlerweile ist sie 30, hat auch ein Kind gekriegt und ist jetzt wieder halbtags da und wird jetzt so in die Ecke geschoben. Die ist suuuper fit und hat super tolles Entwicklungspotenzial, aber da passiert überhaupt gar nichts. Und die Männer werden mit Versprechen zugedeckt, auf Reisen geschickt, und ich bleib jetzt mehr zu Hause. Wir haben sehr reiseintensive Jobs hier und, ähm, die werden vorgeschickt, die Verhandlungen zu führen, wissen dann aber nicht, wie eine Finanzierung funktioniert und, äh, es ist extrem. Und ich dachte anfangs, das würde nur mir auffallen, so nach nem halben Jahr, als dann alle eingetrudelt waren, alle neu eingestellten Kollegen, bis ich dann so mal nebenbei mit einer Kollegin beim Essen, da ging es so drum, dass Männer mehr gefördert werden als Frauen und so weiter und dann sagt sie: „Ja, unsere Chefin macht’s ja genau so.
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Als Frau hat sie nur so ne Junior eingestellt.“ Was sie jetzt nicht abwertend gegenüber der Junior-Kollegin meinte, sondern. Ja ja. Die hat auch Angst, die Chefin hat ganz, ganz große Angst des Feminismus verdächtigt zu werden.
In dieser Passage zeigt sich die Verschränkung der habituellen Rekrutierungspraxis mit einer vergeschlechtlichten sozialen Differenzierung. Zum einen wird aus dieser Stelle die Benachteiligung von Frauen durch die gängige Rekrutierungspraxis deutlich, des Weiteren wird deutlich, dass diese aber nicht nur von Männern betrieben wird, wie das Beispiel Margot Koch zeigt. Ihre Chefin hat ebenfalls den Versuch unternommen, hauptsächlich Männer in führende Positionen einzustellen. „Interne Gründe“, die eine stärkere Orientierung der Eignung von Angestellten an Qualifikation und Kompetenz vorschrieben, haben jedoch vermeiden können, dass Margot Koch dabei unberücksichtigt blieb. Aus ihrer Perspektive musste deshalb zwangsläufig die Position der Stellvertreterin an sie vergeben werden, da nur sie die erforderliche fachliche Kompetenz besitzt. Sie hat allerdings das Gefühl, eine geduldete, aber nicht unbedingt erwünschte Person auf der Position zu sein, woran sich zeigt, dass die informelle Praxis der stärkeren Orientierung am vergeschlechtlichten Habitus (als an Qualifikation) zur Feststellung der Eignung einer Person weiter betrieben wird, auch wenn formal eine andere Praxis gefordert wird. Die fehlende Akzeptanz ihrer Person wird ihr darüber vermittelt, dass sie zwar als einzige Kompetente ihres Aufgabengebiets einer großen Arbeitsbelastungen ausgesetzt ist, die ihr symbolisch aber nicht anerkannt wird („Jetzt sitz ich da und mach die ganze Arbeit“), denn die prestigeträchtigen Kernaufgaben werden den männlichen Kollegen zugeteilt, die keine fachliche Eignung, aber scheinbar eine vergeschlechtlicht-habituelle aufweisen können. Margot Koch besitzt demnach kein förderliches berufliches Umfeld im Sinne von sozialem Kapital, das ihr bei der Verfolgung ihrer beruflichen Pläne nützlich werden könnte. Dieser Umstand wird sicher eine große Rolle gespielt haben bei der Aufgabe ihres Karriereziels. Förderung und fachliche Eignung stehen ihren Darstellungen nach nur in Ausnahmefällen oder – situationen in einem wechselhaft sich bedingenden Verhältnis. Die Regel wird von ihr darin erkannt, dass diese beiden Faktoren unabhängig voneinander gesehen werden bzw. Eignung über den Habitus definiert wird. Eine erstrebenswerte Aufstiegs- und Förderpraxis würde in Margot Kochs Augen die Eignung einer Person für Aufgaben und Positionen an Leistung und Qualifikation messen sowie Frauen bei gleich eingeschätzter fachlicher Eignung zwischen einem männlichen und einer weiblichen Bewerber/in zur Kompensation von Ungleichheitsverhältnissen zu bevorzugen wären, wie sie es einmal bei einer Chefin erlebt hat. Im Gegensatz dazu erlebt sie ihre gegenwärtige Chefin als eine Förderin von Männern, die das Leistungs- und Qualifikationskriterium
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bei der Rekrutierungspraxis dem vergeschlechtlichten Habitus stark nachordnet. Das macht Margot Koch nicht nur an der Rekrutierungspraxis selbst fest, die hauptsächlich zur Anstellung von Männern in gehobenen Positionen sowie zur Vernachlässigung kompetenter Frauen geführt hat, sondern auch an verschiedenen Förderbedingungen. Wie bereits erwähnt werden die männlichen Kollegen mit den Kernaufgaben der Abteilung betraut (Verhandlungen mit Außenkontakten) und es werden ihnen attraktive Zukunftsperspektiven aufgezeigt. Daran wird empirisch rekonstruierbar, was in Anlehnung an Bourdieu über die Beziehung von Frauen und Männer, Kap. 3.1.3 beschrieben wurde: Die im Geschlechterverhältnis strukturell Benachteiligten (Frauen) nehmen die Privilegierten (Männer) mittels Kategorien wahr, die von der Herrschaftsbeziehung hervorgebracht wurden und von daher im Interesse der Privilegierten liegen. Als Produkte der Einschreibung eines Herrschaftsverhältnisses in den Körper führen die Strukturen des Habitus die Benachteiligten, laut Bourdieu, schließlich mit einer Art nicht-rationalem ‚Einverständnis’ dazu, “[…] an ihrer eigenen Unterdrückung mitzuwirken, indem sie, jenseits jeder bewussten Entscheidung und jedes willentlichen Beschlusses, die ihnen auferlegten Grenzen stillschweigend akzeptieren oder gar durch ihre Praxis die in der Rechtsverordnung bereits aufgehobenen produzieren und reproduzieren” (Bourdieu 1997a, 170).
Wie das Beispiel Margot Koch allerdings zeigt, trifft dies nicht, wie Bourdieu pauschalisierend beschreibt auf alle Frauen zu. Wie ebenfalls in Kap. 3.1.3 dieser Arbeit zum Zusammenhang von Feldern und Praxis herausgestellt wurde, lässt sich implizit in der Erklärung Margot Kochs für das Verhalten ihrer Chefin feststellen, dass die Benachteiligung von Frauen durch die Chefin mit feldspezifischen Spielregeln und normativen Erwartungen zusammenhängt. Männerfördernde Praktiken sind in der Abteilung ein alltägliches und durch die verdeckende Norm an der Eignung ein akzeptiertes Phänomen, wohingegen (zumindest von den Frauen in diesem Feld davon ausgegangen wird, dass) eine frauenfördernde Praxis keine institutionelle Akzeptanz besitzt, sondern stattdessen Ausgrenzungsmechanismen in Gang setzen würde. Deshalb kann die den Geschlechter- und Machtverhältnissen entsprechende Förderpraxis von Margot Kochs Chefin als persönlicher Schutz vor negativen Vorurteilen verstanden werden. Sie präsentiert damit zugleich ein erfolgreiches Aufstiegs-Modell für Frauen in diesem Unternehmen, das durch eine habituelle Anpassung geprägt ist sowie dazu beiträgt, Frauen im Vergleich zu Männern im Kontext der Norm der Eignung symbolisch abzuwerten und herrschende Geschlechterverhältnisse zu reproduzieren. Sowohl die Angst der Vorgesetzten, durch eine vom institutionalisierten Muster abweichende Rekrutierungspraxis negativ aufzufallen als auch die Zu-
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rückhaltung, sich unter Kolleg/innen negativ über Vorgesetzte und institutionalisierte Praktiken kritisch zu äußern, lassen auf ein Betriebsklima schließen, das in besonderem Maße durch eine Norm der ungebrochenen Identifikation mit dem Unternehmen sowie seinen Vorgesetzten und institutionalisierten Praktiken geprägt zu sein scheint. Der berufliche Erfolg bzw. Misserfolg in einem solchen Klima hängt dann von einem vermittelten Glauben und Sinn an die Spielregeln und Praktiken des Feldes ab. Männerquote abschaffen I:
Denken Sie denn, dass so ein Programm wie das Mentoring irgendetwas bewegen kann?
M.K.: Ja. Ja, ich denke, deshalb hatte ich da ganz zu Anfang nachgefragt: Mich würde das echt mal interessieren, ob, ähm, irgendwelche, ähm, Versetzungsbewegungen ähm, in Richtung Führungsposition von Frauen stattfinden nach solchen Mentoringprogrammen, ähm, nee, ich denke einfach, dass es eine Bewusstseinsänderung herbeiführt. Ich posaune das auch überall aus jetzt im Unternehmen. Ich hatte früher auch immer so ein bisschen Angst, obwohl ich sehr für solche Programme bin und auch für Quoten, ne? Ich bin total für eine Frauenquote, ähm, das habe ich immer schon gesagt mit dem Argument Männerquote abschaffen, ne? Aber ich wollte nicht unbedingt, dass ich da so mit in Verbindung gebracht werde. Ich wollte immer nur für meine Leistung, äh, gelobt werden oder auch gerade stehen, wenn ich etwas falsch mache, ich wollte nie aus irgendeinem Grund, für den ich auch nichts kann irgendwelche Lorbeeren ernten oder an Programmen teilnehmen dürfen und so weiter und jetzt gehe ich aber los und mach das. Stell meinen Mentor vor, ja und so und ich denke, das wird, führt eine Bewusstseinsänderung herbei, selbst wenn darüber gelacht wird I:
Bei den Mitarbeitern, bei Kollegen, bei Vorgesetzten, wo meinen Sie jetzt?
M.K.: Ja, im ganzen Unternehmen, bei Kollegen, bei Vorgesetzten, bei meiner Vorgesetzten, die war auch schon mal Mentorin, aber hat es nie wieder gemacht. Die findet das überflüssig und zeitraubend und so weiter. Naja., ähm, ne, ich denke, die Leute nehmen das wahr, da passiert was zugunsten einer Gruppe, die hier möglicherweise überhaupt nicht förderungswürdig oder betrachten oder die es überhaupt nicht für möglich halten, aber da passiert was, das wird ernster genommen, und es wird gesehen, dass die Frauen, die daran teilnehmen, auch was machen wollen und nicht weiter bereit sind, einfach da zu sitzen und die Klappe zu halten und die Arbeit zu machen und sich mit den schlechter bezahlten Jobs abzufinden und mit der Mehrarbeit. Ich habe bisher noch keine einzige Frau getroffen, die einen dieser repräsentativen Hände-schütteln-Kreise-Jobs hat. Wir haben ziemlich viele, wie so Vertreter, ne? Die nur Leute treffen zu Galas, ne, Gala nicht, aber Konferenzen und so weiter, deshalb gehe ich jetzt auch zu jeder Konferenz, die ich erwischen kann. Das ist das langweiligste der Welt, es gibt nichts langweiligeres als eine Konferenz über Flughäfen, echt, vor allem, wenn sie mit Amerikanern stattfindet, die bringen nämlich ihre Frauen mit, die dann nicht in der Konferenz sitzen, sondern irgendwo im Hotelzimmer, und unter Workshops läuft eine Schiffsreise auf eine Insel mit Kaffee, eine Butterfahrt für Amerikaner mit ihren Frauen und äh ich gehe da trotzdem, wenn es geht, hin, einfach nur, um den Frauenanteil im Konferenzsaal aufzufüllen. I:
(lachen beide) Find ich toll…
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M.K.: Naja, es geht dann manchmal in die falsche Richtung. Ich mache dann Sachen, die ich nicht machen würde, wenn es für mich nicht diesen Hintergrund hätte, ne?
Interessant ist die rekonstruierte biographische Entwicklung von Margot Kochs feministischer Haltung: Früher ging sie noch in der Öffentlichkeit auf Distanz zu Frauenquoten und Programmen für Frauen, obwohl sie diese eigentlich befürwortete. Sie beobachtete wohl auch schon damals ungleiche berufliche Bedingungen für Frauen und Männer. Da ein offensives Vertreten dieser Verhältnisse den feldspezifischen Spielregeln zu widersprechen schien, hat sie sich in früheren Zeiten davon distanziert und darauf gehofft, im persönlichen Umkreis auf eine geschlechtsneutrale Orientierung an Qualifikation und Leistung zu treffen, die sie persönlich vor Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechts schützen würde. Diese Hoffnung, dass Geschlecht zu einem irrelevanten Faktor für berufliche Karrieren wird und stattdessen Beförderungen nach Leistung und Qualifikation entschieden werden, scheint sie im Verlauf ihrer Berufsbiographie aufgegeben zu haben. Es macht für sie deshalb auch keinen Sinn mehr, sich durch eine vom Feminismus distanzierende oder dem Unternehmen gegenüber besonders loyale Haltung vor Benachteiligungen zu schützen. Stattdessen fordert sie offensiv Veränderungen von Geschlechterverhältnissen und versucht, stereotype Geschlechterkonstruktionen aufzubrechen. Sie durchbricht dazu habituelle Erwartungsmuster und nimmt dafür in Kauf, ihre Karrierechancen zu verringern, was vermutlich damit zusammenhängt, dass sie das Ziel der Bereichsleitung bereits aufgegeben hat. So versucht sie statt über die Anpassung an habituelle Erwartungsmuster, Zugehörigkeit und ‚Eignung’ für Führungspositionen zu demonstrieren, indem sie beispielsweise Arbeitsabläufe und Unternehmensstrategien idealisiert, genau Gegenteiliges: Sie arbeitet daran, die Spielregeln und vergeschlechtlichten habituellen Rekrutierungspraktiken aufzudecken, nach denen Frauen benachteiligt werden. Sie setzt dazu das vom Unternehmen selbst als Zeichen für Ungleichbehandlungen zu deutende Mentoringprogramm ein und versucht dessen kompensierende Funktion im Unternehmen publik zu machen, um Reflexionsprozesse über herrschende Geschlechterverhältnisse und Rekrutierungspraktiken anzustoßen. Margot Koch sieht deshalb den Nutzen von Mentoringprogrammen vor allem auf einer symbolischen und bewusstseinsverändernden Ebene. Sie instrumentalisiert das Mentoringprogramm, um ein größeres Bewusstsein für Geschlechterungleichheiten zu schaffen. Diese Darstellungen Margot Kochs beschreiben sehr eindrücklich, in welch strukturell schwieriger Lage sich Frauen befinden, frauenfördernde Maßnahmen zu befürworten (unabhängig davon, ob sie ein Bewusstsein über strukturelle Ungleichheiten entwickeln oder nicht), da sie Etikettierungen und Diskreditie-
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rungen so sehr fürchten, dass sie in Distanz dazu treten (müssen), um den diskriminierenden Effekt für ihre persönlichen Karrieren nicht noch zu verdoppeln. Margot Kochs primäres Ziel zum Zeitpunkt des Interviews ist, Bewusstseinversänderungen auf der institutionellen Ebene herbeizuführen, um das symbolische Kapital für Frauen zu erhöhen, das dazu verhelfen könnte, dass ihnen häufiger bzw. ebenso häufig die Eignung für Aufgaben und Positionen zugesprochen wird wie Männern. Dafür geht sie auch sozial riskante Situationen im Unternehmen ein, in denen sie ausgelacht und diskreditiert werden kann. Sie führt eine Art individualisierten Kampf um Anerkennung für Frauen, der dazu führen soll, dass die Frauen und die Programme für diese „ernster genommen“ werden, „dass die Frauen, die daran teilnehmen auch was machen wollen und nicht weiter bereit sind, einfach dazusitzen und die Klappe zu halten und die Arbeit zu machen und sich mit den schlechter bezahlten Jobs abzufinden und mit der Mehrarbeit.“ Sie konstruiert eine durch Männer dominierte Arbeitsumgebung und –welt, gegen die sie – allen Widrigkeiten zum Trotz - ankämpft. Sie setzt dabei auf Konfrontationen und Irritationen, die sie allein durch ihre Anwesenheit in männerdominierten Kontexten hofft auszulösen. Sie versucht über eine Strategie des Opponierens (z.B. alternative Deutungen über Geschlechterverhältnisse), größeren Respekt für sich und die Gruppe der Frauen zu bewirken. Ihr geht es wohl darum, Selbstverständlichkeiten aufzubrechen, wie das Beispiel der männerdominierten Konferenzen zeigt und ein anderes Frauenbild zu generieren als das von Frauen, die „die Klappe halten“ und ihre Arbeit machen bzw. Frauen, die ihre Ehemänner begleiten, auf Hotelzimmern warten und an Kaffeefahrten teilnehmen, die offiziell Workshops sind. Hier erfolgt durch Margot Koch, wie schon zuvor in anderen Interviews auch, eine Konstruktion verschiedener Frauengruppen, von denen sie sich distinktiv abgrenzt. Margot Koch zeigt zum Schluss der Passage Selbstzweifel an dieser Art des individualisierten Protests: Sie räumt ein, manche Dinge allein aus politischer Motivation heraus zu tun. Mit dem Hinweis auf die „falsche Richtung“, die dieses Engagement manchmal nimmt, könnte sie meinen, dass sie sich mit ihrer Strategie schon wieder Schaden (zum Beispiel hinsichtlich der Zeit und der Energie, die sie investiert) zufügt, obwohl es ja eigentlich darum gehen sollte, verbesserte Bedingungen zu erreichen, was unmittelbar vermutlich nur wenig spürbar sein dürfte, wenn sie den Frauenanteil einer Konferenz erhöht. Sie könnte mit der falschen Richtung auch meinen, dass sie anzweifelt, ob es sinnvoll ist, sich strategisch in Situationen zu begeben, die sie eigentlich nicht tangieren oder sogar langweilen um einer Idee willen und nicht, weil es sie persönlich oder beruflich voranbringt.
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
5.3.2 Beispiel II: Interne Kommunikation, Mechthild Gause Mentoring zur Weiterqualifizierung I:
Gut und wie kam es dann zu Ihrer Teilnahme am Mentoringprogramm?
M.G.: Ähm, also einmal interessiere ich mich dafür, weil ich es ein tolles Programm finde. Ich kenne also Kerstin Teichler, ist eine frühere Freundin von mir, über sie habe ich das schon ein bisschen mitgekriegt, was da eben gelaufen ist. Fand das sehr interessant, und möchte mich natürlich weiter entwickeln und guck dann immer, quasi, welche Angebote in meiner Situation am passendsten sind. Also ich mache immer eine Sache, das ist so so mein Plan und, ähm, I:
Neben Ihrer täglichen Arbeit sozusagen?
M.G.: Genau I:
So zur Weiterqualifizierung
M.G.: Genau, mach ich immer eine Sache und, ähm, guck dann einfach so, was passt in der Situation am besten und, ähm, hatte mich dann eben auch informiert äh, fand das schon immer interessant und hab dann quasi gedacht, dass das eigentlich momentan sehr gut passt für mich, weil es werden Leute ausgesucht bei uns, die quasi vorgesehen sind für Führungspositionen auf der dritten Ebene. Das ist quasi so dass, wo ich denk, das ist für mich mal so ein Ziel, nicht morgen, aber vielleicht so in den nächsten zwo, drei Jahren und, ähm, einfach jetzt anfang, mich da ein bisschen drauf vorzubereiten und zu überlegen, welche Qualifikationen brauche ich, welche Fragen muss ich behandeln, wie mache ich das überhaupt, was ist wichtig, was ist nicht so wichtig, weil ich’s nicht themengebunden angehen möchte, sondern eher so auf einer abstrakteren Ebene, und da ist es halt, ja, da fand ich das jetzt einfach, ähm, gut und hatte dann die Idee, das zu machen und hatte mit meinem Vorgesetzten sowieso besprochen, mal einfach zu gucken, also hatte er vorgeschlagen, wir gucken mal jetzt nicht wie sieht’s im nächsten Jahr aus, was wir über Zielvereinbarungen natürlich machen, sondern wie ist eine Perspektive über die nächsten fünf Jahre, und dann waren wir relativ schnell bei der Führungsposition, und eben wie bereite ich mich auf so was vor? Und, ähm, ja, haben das dann quasi als einen Baustein gesehen und ja dann die Bewerbung dafür formuliert.
Das Mentoringprogramm stellt einen Baustein in Mechthild Gauses Karriereplan dar. In diesem von ihr selbst entwickelten Plan hat sie sich zur Aufgabe gemacht, sich über die erforderliche Arbeitstätigkeit hinaus systematisch weiterzubilden, um auf diese Weise einen beruflichen Aufstieg vorzubereiten und zu gestalten. Das von ihr angestrebte und zusammen mit ihrem Vorgesetzten entwickelte berufliche Ziel ist eine Führungsposition auf der zweithöchsten Ebene im Unternehmen.65 Dieses berufliche Ziel sieht sie in ihrer ermöglichten Teilnahme am 65 Es ist auffällig, dass alle interviewten Frauen, die ihre beruflichen Ziele konkret an Positionen oder Ebenen im Unternehmen festgemacht haben, im Sinne eines Selbstausschlusses die höchste Füh-
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Mentoringprogramm, das sich an zukünftige Führungspersonen auf dieser Ebene richtet, durch das Unternehmen legitimiert. Karrieren einzelner Personen scheinen demnach in diesem Unternehmen geplant und längerfristig vorbereitet bzw. begleitet zu werden, was wie im Fall Mechthild Gauses den Mitarbeiter/innen eine konkrete Karriereperspektive eröffnen kann. Anders als im Kreditinstitut scheint in diesem Unternehmen demnach die Rekrutierungspraxis nicht über eine vordergründige Leistungsnorm legitimiert, sondern über die Passung bestimmter Personen für bestimmte Positionen gerechtfertigt zu werden, die in Zusammenhang mit der Bereitschaft zur Weiterbildung gesehen wird. Dies wird auch bestätigt durch den speziellen Aspekt ihres Karriereplans, den Mechthild Gause mit dem Mentoringprogramm verbindet. Sie sieht darin eine habituelle Vorbereitung auf eine Führungsposition, und ein zentrales Anliegen von ihr ist, sich über konstitutive Spielregeln, normative Regeln und distinktive Praktiken dieser Ebene im Unternehmen zu informieren. Im Rahmen des Karriereplans hat das Mentoringprogramm deshalb für sie symbolisch die wichtige Funktion, es als Reflexionsraum zur Vorbereitung auf die Verantwortung und die Aufgaben eines Führungspostens nutzen zu können. Ihre systematische Karriereplanung wird auch darüber transportiert, dass Mechthild Gause der Interviewerin erzählt, sie habe sich über die Gestalt und den Inhalt des Mentoringprogramms vor dessen Beginn über Insider-Wissen informiert und auf dieser Basis reflektiert, ob es sich in ihrer Situation als Baustein ihres Karriereplans als sinnvoll erweisen könnte. Weiterhin wird die systematische Karriereplanung durch die dargestellten Gespräche mit ihrem Chef über ihre langfristige berufliche Planung belegt. Sowohl die („ehemalige“) Freundin als auch der Vorgesetzte bekommen durch die ihnen zugeschriebenen Funktionen eines angedeuteten Peer-Netzwerks und einer individuellen Karriereförderung die Bedeutung eines sozialen Kapitals für Mechthild Gause. Besonders ihrem Vorgesetzten wird in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Seine außergewöhnliche Förderung durch die individuellen Gespräche wird von Mechthild Gause hervorgehoben, da sie über die üblichen Zielvereinbarungen für das nächste Beschäftigungsjahr hinausgehen, und mit jeder/m Mitarbeiter/in geführt werden. Zu ihrem Vorgesetzten wird ein sehr vertrautes und wohlgesonnenes Verhältnis konstruiert, das darüber plausibilisiert wird, dass er in ihr eine förderungswürdige Mitarbeiterin sieht, in der das Potenzial einer zukünftigen Führungskraft gesehen wird. Sein Engagement für Mechthild Gauses Karriere wird zum Schluss der Passage noch einmal durch das gemeinsame Formulieren des Bewerbungsschreibens unter Beweis gestellt. rungsebene explizit nicht als Karriereziel in Betracht ziehen. Hier scheint ein implizites Wissen über die Schwierigkeit des Erreichens dieser formal für beide Geschlechter zugänglichen Ebene für Frauen zu einer Strategie der bescheidenen Ansprüche zu führen.
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
Männerlastige Strukturen M.G.: Ja und, ähm, so hier im Unternehmen, ähm, auch unterschiedliches natürlich ganz personengebunden, finde ich. Also immer, ähm. Gut, gibt es Bereiche, wo halt überhaupt keine Frauen mehr arbeiten. Wenn man da hinkommt, oder da irgendwas macht bei den Leuten, ist es eine komische Situation, also weil man dann auch so wie vom anderen Stern so ein bisschen angeguckt wird., ähm, ich denke hier, in der Abteilung, wo ich jetzt bin oder im Personalbereich ist das vollkommen problemlos. Das ist sehr unterstützend, ähm, da sind aber auch einfach viele Frauen, ja? Das verändert das natürlich auch und jetzt hier mit meinem direkten Vorgesetzten, ähm, das ist total klasse. Also absolut unterstützend und auch so, weil ich nicht einsehen möchte, dass ich jetzt große Nachteile in Kauf nehme, nur weil ich eine Frau bin, ja? Also so immer dieses, dass ja doch öfter suggeriert wird, oder dazu kommt eben noch, dann habe ich eben noch Familie und kleine Kinder und gebe mich dann trotzdem nicht damit zufrieden, hier mit 50% jemandem zuzuarbeiten, ähm, ja, so was wird von ihm absolut unterstützt. Also ich werde gefördert, also auch das Programm hier, das um da rein zu kommen, man wird ja auch empfohlen von einem Vorgesetzten, ähm, er gibt ja auch eine Bewertung ab, man selbst tut das auch. Also auch da, ähm, ja bei solchen Sachen kommt da immer die Unterstützung, die ich mir so wünsche, ja. Oder eben bei den Arbeitszeiten oder auch bei anderen Dingen. I:
Also bezüglich jetzt so Karriereambitionen oder Ideen da haben Sie jetzt nicht das Gefühl, dass Sie da irgendwie als Frau da in irgendeiner Weise Probleme haben oder Barrieren gespürt haben?
M.G.: Ne, also soweit würde ich nicht gehen. Also, da kommen schon Sachen, natürlich. Also einfach äh, wenn ich, also ich denke, hier werden viele Frauen gefördert, es gibt tolle Programme. Trotzdem, wenn ich mir die Leitungsteams angucke, sitzen da hauptsächlich Männer drin. Wenn Frauen kommen, kommen sie meistens von extern, also werden sie eingestellt, waren sie schon vorher in einem anderen Unternehmen in hohen Positionen. Also da denke ich, gibt es schon Grenzen oder zumindest Probleme, die man dann eben überwinden muss. I:
Haben Sie da, wenn Sie selbst solche Erfahrungen nicht gemacht haben, von Kolleginnen oder Freundinnen oder so was eine Idee, was so was, wie so was konkret läuft? Also, was da für Ausgrenzungsmechanismen am wirken sind?
M.G.: Also, ähm, muss mal gerade überlegen. Also ich denke, das meiste läuft bei Besetzungen der Stellen. Dass man eigentlich jemanden braucht, der einen empfiehlt, der einen fördert, damit man sich weiter entwickeln kann. Und das denke ich funktioniert einfach, weil die Strukturen hier sehr männerlastig sind. Das sind viele, die auch schon ganz lange im Unternehmen sind, ähm, und sie das einfach mehr haben als die Frauen jetzt hier. Also das ist. I:
Da werden die Frauen dann nicht vorgeschlagen.
M.G.: Ja, oder nicht I:
Oder kommen gar nicht erst in die engere Wahl oder so
M.G.: Ja, oder pff. Ich denke, es kommt schon vor, aber nicht so regelmäßig wie bei Männern, ja.
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Und wenn Frauen das dann wollen, wenn sie auf diese Ebenen wollen, wechseln sie dann den Betrieb, oder wie ist sozusagen die Reaktion der Frauen?
M.G.: Ich weiß nicht, ob man das so generell sagen kann. Ich glaube nicht. Also, wenn man eben jemanden hat, der einen fördert, einen Vorgesetzten, der einen fördert und unterstützt, dann kommt man weiter und sonst hat man es, glaube ich, echt schwer. Also besonders auch im Hinblick auf, wir haben hier viele Möglichkeiten, um Beruf und Familie zu verbinden und das alles besser hinzukriegen, aber in vielen Köpfen, denke ich, von Leuten, die auch Stellen besetzen, oder die in ihren Teams Positionen frei haben, ähm, ist halt nach wie vor das Bild, entweder ist eine Frau um die dreißig zu jung, weil sie kriegt bald Kinder, wenn man Kinder hat, ist es auch nicht recht, weil dann kann man ja auch öfter mal fehlen und also das ist natürlich wirklich genau so da wie überall schätze ich auch, joa.
Mechthild Gause unterscheidet zwischen Personen, Bereichen und Beschäftigungsebenen, in denen Geschlecht als Differenzierungsmerkmal für berufliche Aufstiege im Flughafenunternehmen Relevanz besitzt sowie ihrem persönlichen beruflichen Umfeld, der Personalabteilung, in dem Geschlecht kein zentrales Unterscheidungskriterium ist, und sie deshalb eine Gleichbehandlung der Geschlechter konstruiert. Während sie somit institutionell und strukturell Ungleichbehandlungen von Männern und Frauen beobachtet, sieht sie sich auf der Ebene ihres Arbeitsbereichs und ihres persönlichen Arbeitsumfelds persönlich keinen Diskriminierungen ausgesetzt. Sie begründet dies zum einen auf einer institutionellen Ebene mit einem gemischtgeschlechtlichten Kolleg/innenkreis im Personalbereich, das vor besonderer Aufmerksamkeit für ein sich in der Minderheit befindendes Geschlecht schützt und durch weniger Vorurteile gegenüber Frauen geprägt ist. Sie begründet dies des Weiteren auf einer individuellen Ebene mit dem bereits in der ersten Passage hervorstechenden emanzipierten Vorgesetzten, von dem sie sich hinsichtlich der Programmteilnahme, ihrer Karriereförderung und der Organisation ihrer Arbeit unterstützt fühlt. In diesen institutionellen und sozialen Ressourcen sieht sie eine gute Voraussetzung für die in ihrem Fall mögliche Kompensation struktureller Benachteiligungen von Frauen wie ihre ‚Theorie’ über das feldspezifische Aufstiegsmuster zeigt: „Also, wenn man eben jemanden hat, der einen fördert, einen Vorgesetzten, der einen fördert und unterstützt, dann kommt man weiter und sonst hat man es, glaube ich, echt schwer.“ Die Benachteiligung von Frauen führt sie auf die „männerlastige“ Struktur des Unternehmens zurück, die über eine an der Trennlinie Geschlecht verlaufende Rekrutierungspraxis des ‚Unter-Seinesgleichen-Bleibens’ besonders auf Führungsebenen reproduziert wird. Sie sieht darin ein quantitatives Ungleichverhältnis, das auf tradierten vergeschlechtlichten Mustern des Unternehmens beruht und durch Vorurteile gegenüber Frauen geprägt und legitimiert wird. Als kompensierende Möglichkeit und Chance für Frauen, stärker Anteil auf diesen Ebenen im Unternehmen zu bekommen, sieht Mechthild Gause die Förde-
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rung durch bereits Etablierte im Unternehmen, d.h. durch vertikales soziales Kapital. Die Förderung wird im Rahmen einer solchen Deutung als sich auf die Mitarbeiterin übertragenes symbolisches Kapital verstanden, das die Chance erhöht, die habituelle Passung für bestimmte Posten und Programme auch unter diesen „männerlastigen“ Bedingungen zugesprochen zu bekommen. Schließlich sieht Mechthild Gause auch in ihrer persönlichen Haltung einen Schutz vor „negativen Vorurteilen“ durch Männer (Bourdieu 1997a, 170, vgl. auch Kap. 3.1.3), da sie nicht akzeptieren würde, „dass ich große Nachteile in Kauf nehme, nur weil ich eine Frau bin, ja?“. Sie bringt damit zum Ausdruck, was Hartmann als wichtigstes habituelles Kriterium für die Besetzung von Führungspositionen in der Wirtschaft bezeichnet, „der persönlichen Souveränität in Auftreten und Verhalten, der Selbstverständlichkeit, mit der sich jemand in den Chefetagen eines großen Unternehmens bewegt“ (2002, 125). Sie grenzt sich mit dieser Haltung von Frauen ab, die nach der Familiengründung oftmals ‚nur noch’ mit einer halben Stelle einer anderen Person „zuarbeiten“.66 In dieser Form des Selbstausschlusses von Frauen mit Familie sieht sie scheinbar ein selbstverschuldetes Karriererisiko, da das Arbeiten auf einer halben Stelle wie auch schon im Bankwesen mit einer ökonomischen Logik von Unternehmensseite aus mit einem geringen Interesse an einer Karriere interpretiert wird. Sie schreibt somit die Verantwortung für den Erfolg einer Karriere den Einzelnen zu und individualisiert damit ein strukturelles Problem, da sich ihr persönliches Modell einer 80%igen Beschäftigung als individuelle Lösung (bislang) als erfolgreich erwiesen hat, d.h. im Sinne der Feldlogik funktionierend und Ausgrenzungsmechanismen vorbeugend. In diesem Punkt zeigt sich eine im Vergleich zu Margot Koch auf institutionelle Ausgrenzungsmechanismen weniger durch Distanz und Kritik geprägte Perspektive Mechthild Gauses. So wehrt Mechthild Gause auch die Übertragung des strukturellen Problems der Benachteiligung von Frauen auf Führungsebenen auf die unternehmerische Praxis in hierarchisch niedrigeren Bereichen ab. So beobachtet auch sie ungleiche Bedingungen für Frauen und Männer in der Besetzung von Führungspositionen, was sie aber nicht als institutionalisierte vergeschlechtlichte Praxis für das gesamte Unternehmen generalisiert. Für Frauen und Männer beschreibt sie stattdessen vergeschlechtlichte institutionalisierte Karrierewege für den Weg zur Führungsposition. So stellt sie fest, dass für die wenigen Frauen in Führungspositionen eine Karriere über ‚Umwege’ typisch zu sein scheint, da die führenden Frauen im Flughafenunternehmen von Führungspositionen aus anderen Unternehmen dorthin wechselten. Unternehmensinterne Aufstiege scheinen damit 66 Mechthild Gause arbeitet 80 % einer vollen Stelle und hat flexible Arbeitszeiten. So kann sie in Absprache mit ihrem Chef und Team einen Bürotag zu Hause einrichten oder die Stunden auf fünf kürzere Arbeitstage verteilen.
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auch aus Mechthild Gauses Perspektive besonders für Frauen erschwert zu sein, aber diese vergeschlechtlichten Aufstiegsbedingungen reduziert sie letztlich auf Probleme, „die man dann eben überwinden muss“. Auch darin kommt die ‚unternehmensfreundliche’ Haltung einer individualisierten Lösung für strukturelle und institutionelle Probleme zum Ausdruck, die in das Muster eines loyalen Habitus passt. Dasselbe Prinzip zeigt sich im Umgang mit stereotypen Vorurteilen von Verantwortlichen gegenüber Frauen in einem gebärfähigen Alter bzw. gegenüber Frauen mit Kindern, die sie in den Köpfen Vieler in ihrem Unternehmen vermutet. Auch hier hält sie ihr unterstützendes und förderndes berufliches Umfeld als kompensierendes soziales Kapital, das sie persönlich vor Ausgrenzungsmechanismen schützen wird, der kritischen Einschätzung entgegen und bewährt sich auf diese Weise als loyale Mitarbeiterin. Das Mentoringprogramm wird in diesem Kontext als ein weiterer Beleg für die Unterstützung durch ihren Vorgesetzten gedeutet. Auch wenn sie den Ausführungen nach vergeschlechtlichte Aufstiegsbedingungen durch vergeschlechtlichte Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata von Männern zur Einschätzung der Eignung von Frauen als eine institutionalisierte Praxis beschreibt, geht sie aufgrund bisheriger Erfahrungen davon aus, dass ihre persönliche Passung mittels fürsprechender und unterstützender Personen festgestellt werden wird. Auch für Männer ist nicht alles rosig M.G.: Ich überleg mal, was ich noch interessant finde. Ich weiß nicht, ob Sie das auch mit aufnehmen, ist, wie andere reagieren auf das Programm? I:
Ja, genau, ja das ist mir vorhin auch mal in den Kopf gekommen.
M.G.: Ja, dass ich doch oft angesprochen werde. Also wir hatten das, hatten das in der Zeitung, in der Mitarbeiterzeitung nehmen wir das immer auf so was und ich hatte jetzt auch gesagt, Abschluss des alten Programms, haben wir mal so quasi so Kurzinterviews von den Leuten mit reingenommen und hatten jetzt aber auch vorgestellt der neue äh I:
Durchgang
M.G.: Durchgang, ne? Wer macht da mit. Weil es natürlich auch, denke ich, so eine Außenwirkung haben muss. Dass die anderen wissen, aha, ist so ein Programm, es geht natürlich viel über, man kennt jemanden, oder siehe da, da hat jemand Potenzial und wird dann auch eher mal für etwas in Betracht gezogen und, ähm, ich habe von sehr vielen Männern das quasi so gesagt bekommen: „Schade, dass es das für Männer nicht gibt.“ I:
Das glaube ich. Kollegen?
M.G.: Hmhm. Die dann so gesagt haben: „Ach, würde ich mir eigentlich auch wünschen“ und „Finde ich klasse“. So, ja. I:
Das waren aber hauptsächlich so Reaktionen von Kollegen? Oder auch von Vorgesetzten oder von anderen Ebenen?
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
M.G.: Neee. Eher weniger. Also es fördert natürlich auch da den Kontakt, weil wir ja, ähm, quasi mit den eigenen Mentoren des Flughafenunternehmens über diese gemeinsamen Veranstaltungen auch mehr Kontakt bekommen. I:
Und wie reagieren Sie auf solche sozusagen Kommentare oder Rückmeldungen von Ihren Kollegen?
M.G.: Ich kann’s verstehen, also weil ich denke auch, klar für die Männer ist das auch nicht alles rosig. Es gibt ein Netzwerk, aber da ist natürlich auch nicht jeder drin, ich denke aber trotzdem, dass sie mehr Möglichkeiten haben von vornherein, ja. Also, ich bin trotzdem froh, dass das jetzt speziell für Frauen aufgesetzt wurde. I:
Und das vertreten Sie dann auch, oder…
M.G.: Hmhm. Ja, denke ich, macht auch Sinn, nach wie vor…
Auch die Hinweise aus der dritten Interviewpassage können im Kontext einer in besonderem Maße durch Loyalität geprägten Unternehmenskultur gedeutet werden. Auf die Frage der Interviewerin, ob ihr am Ende des Interviews noch etwas Wichtiges einfalle, was sie noch mitteilen möchte, erzählt Mechthild Gause von der Öffentlichkeitsarbeit zum Mentoring als Mit-Herausgeberin der Mitarbeiterzeitung. Dass sie eine solche Funktion wahrnimmt verdeutlicht die folgende Formulierung: „Also wir hatten das, hatten das in der Zeitung, in der Mitarbeiterzeitung nehmen wir das immer auf…“. Sie werde in dieser Funktion „doch oft angesprochen“ auf das Mentoring und hebt damit nicht nur ihre erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit hervor, sondern verweist auch auf eine positive Resonanz des Programms, was ihr wichtig ist: „Weil es natürlich auch denke ich so eine Außenwirkung haben muss.“ Die Bedeutung der Außenwirkung besitzt dabei auf zwei Ebenen eine Relevanz: Zum einen verbindet Mechthild Gause eine positive Außenwirkung mit einem Gewinn an symbolischem und sozialem Kapital für die Teilnehmerinnen wie der Satz zeigt, „Dass die anderen wissen, aha, ist so ein Programm, es geht natürlich viel über, man kennt jemanden, oder siehe da, da hat jemand Potenzial und wird dann auch eher mal für etwas in Betracht gezogen.“ Darin sieht sie erhöhte Karrierechancen für Frauen. Zum anderen entschärft die positiv dargestellte Außenwirkung selbst und gerade von Männern, die aus diesem karriereförderlichen Programm ausgeschlossen sind, die potenziell in diesem Programm angelegte Kritik an der Unternehmensführung und – praxis. Das Programm – und eine Teilnahme daran - bekommt somit eine Legitimation im Rahmen der normativen Loyalitätskultur. Dieser Logik entsprechend betont Mechthild Gause, besonders häufig von Mitarbeitern „angesprochen“ zu werden, die ein Mentoringprogramm trotz ihres Ausschlusses gutheißen, und ihr Bedauern darüber ausdrücken, dass es nur für Frauen angeboten wird. Mechthild Gause zeigt sich – als Ausdruck wechselseitiger Loyalität - diesen Mitarbeitern gegenüber ebenfalls empathisch und hat Ver-
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ständnis für die Wunschäußerung der Männer, auch an dem Programm teilnehmen zu wollen, bedauert sie sogar ein wenig. Sie räumt ein, dass auch manche Männer nicht den beruflichen Erfolg haben, den sie sich wünschten. Auch im Fall dieser Männer führt sie dies auf fehlendes soziales Kapital durch den Ausschluss von wichtigen beruflichen Netzwerken zurück, worin erneut bestätigt wird, dass sie in sozialen Kontakten und der daraus resultierenden Förderung eine wichtige Voraussetzung für eine Karriere sieht. Dennoch ist sie der Überzeugung, dass sich Männer durch ein höheres symbolisches Kapital in einer besseren beruflichen Ausgangslage befinden als Frauen und sieht darin die Berechtigung der Maßnahme für Frauen, was sie auch öffentlich vertritt. Diese Position ist nicht als Kritik am Unternehmen zu verstehen und steht somit nicht im Widerspruch zu ihrer eigentlich loyalen Haltung, da sie damit nur im Rahmen der bereits vom Unternehmen mit dem Mentoringangebot für Frauen öffentlich gemachten Problem- und Lösungsdefinition argumentiert.
5.3.3 Zusammenfassung Die Konstruktionen zum Unternehmen des dritten Feldes zeigen einen Aufstiegsmechanismus, der durch eine soziale Differenzierungspraxis entlang der Trennlinien Habitus und Geschlecht geprägt ist. Es werden primär Männer durch Vorgesetzte als ‚Ihresgleichen’ rekrutiert, die einen normativ erwarteten durch Loyalität geprägten Habitus besitzen, was entgegen dem Vertuschungsprinzip im zweiten Feld als eine legitime Praxis auf der Vorderbühne verhandelt wird. So werden Führungspositionen mit dem Argument der Eignung für Führungsaufgaben überwiegend an Kolleg/innen vergeben, die fachlich nicht entsprechend kompetent sein müssen, aber bestimmte Verhaltensweisen als Führungspersönlichkeiten zeigen, worin sich die primäre und diskursiv kommunizierte Orientierung einer habituellen Passung zwischen Aufstiegsorientierten und den bereits etablierten Führungskräften zeigt. Eine solche Form der Ausgrenzung von Frauen aus Tätigkeitsbereichen beschreibt Kanter (1977, S. 73f) als überholtes und irrationales Relikt patriarchaler Gesellschaftsstrukturen, welches auf der informellen Organisationsebene in Form von geschlechts- und tätigkeitsspezifischen Rollenstereotypen fortexistiere. Verbreitete Vorstellungen von Eigenschaften erfolgreicher Manager knüpften an die als ‚typisch männlich’ geltenden Stereotype an. Zu diesen Verhaltensweisen zählen das bei Hartmann als „unternehmerisches Denken“ (2002, 124f) beschriebene und als loyaler Habitus im empirischen Material zu rekonstruierende Phänomen, unternehmensinterne Probleme beschönigend darzustellen, um eine optimistische und von unternehmerischen Visionen geprägte Grundhaltung zu präsentieren sowie strategisch soziales Kapi-
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tal zu pflegen, um selbstverständliche Zugehörigkeit in ‚Führungskreisen’ zu demonstrieren. Gerade der Aspekt der Loyalität erweist sich in dem Flughafenunternehmen als ein zentrales, normatives habituelles Muster, das die Homosozialität auf der Führungsebene zu bewahren und Frauen systematisch auszugrenzen scheint. Diese entlang der Differenzlinie Habitus verlaufende Rekrutierungspraxis führt für Frauen und Männer zu unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und zu anderen Effekten eines beruflichen Aufstiegs, wie die Einschätzungen der Mentee Koch über Zugangsmöglichkeiten für Frauen zu Führungspositionen zeigen. Zum einen ist ihnen der Aufbau von sozialem Kapital in dem „männerlastigen“ Unternehmen im Vergleich zu Männern erschwert, zum anderen birgt eine beschönigende Darstellung von eigentlich problematischen Abläufen für sie ein größeres Risiko der Entlarvung, da auf sie und ihre Tätigkeit als sich in der Minderheit befindende „Tokens“ (Kanter 1977) eine stärkere Aufmerksamkeit gerichtet wird als auf Männer. Es kommt deshalb, wie das Beispiel Koch zeigt oftmals zu Selbstausschlüssen von Frauen, die eine habituelle Anpassung an institutionalisierte Muster ablehnen, auch wenn sie ihre Eignung als Führungskraft in dem Unternehmen durchaus gegeben sehen, würde diese auf Führungsebene im Unternehmen stärker über fachliche statt über habituelle Kriterien definiert werden. Der Selbstausschluss von der Führungsebene schützt dabei nicht davor, in Maßen die Spielregeln selbst mit zu reproduzieren, um sich auf der eingenommenen Position behaupten zu können und im Konkurrenzkampf mit anderen nicht zu unterliegen. Somit ist die vergeschlechtlicht-habitualisierte Förderpraxis nicht nur bei Männern des Unternehmens zu beobachten, sondern auch bei einigen weiblichen Vorgesetzten, die hauptsächlich männliche Mitarbeiter fördern, indem sie diesen die attraktiveren Stellenangebote machen, sie mit den Kernaufgaben des Arbeitsbereiches betrauen, ihre sozialen Kontakte fördern sowie erfolgversprechende Karriereperspektiven anbieten. Entsprechend sich verhaltende Akteurinnen eines Feldes präsentieren damit ein erfolgreiches Aufstiegs-Modell für Frauen in diesem Unternehmen, das auf habituellen Anpassungen beruht und dazu beiträgt, Frauen im Vergleich zu Männern im Kontext der Norm an der Eignung symbolisch abzuwerten und herrschende Geschlechterverhältnisse zu reproduzieren. In diesem Kontext ist die von der Mentee Koch geäußerte Kritik an Frauenförderung zu verstehen: Trotz einer prinzipiellen Befürwortung einer Frauenförderung wird vor dem Hintergrund der kritisierten Feldlogik mit ihren Spielregeln und habituellen Anforderungen eine Frauenförderpolitik als fragwürdig eingeschätzt, die versucht, den Anteil von Frauen im Rahmen dieser Feldbedingungen zu erhöhen. Dies fördere die habituelle Anpassung an feldspezifische Spielregeln, die persönlich und ideologisch für problematisch gehalten wird. Stattdessen
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wird angeregt, generell die Logik des Feldes in Frage zu stellen, die schließlich auch für die Ausgrenzung von Frauen verantwortlich ist. Daraus resultiert die Perspektive auf das Mentoringprogramm als eine Möglichkeit der kritischen Auseinandersetzung mit Unternehmenspolitiken und vergeschlechtlichthabituellen Integrations- und Ausgrenzungspraktiken, um auf institutioneller Ebene eine Erweiterung des Bewusstseins über diskriminierende Praktiken im Unternehmen zu erreichen sowie der symbolischen Abwertung von Frauen entgegenzuwirken. Die Darstellungen der Mentee Gause sind in diesem Sinne als Ausdruck der habituellen Anpassungserwartungen zu verstehen, sich möglichst loyal gegenüber dem Unternehmen und seiner Logik bzw. Spielregeln zu verhalten, um darüber die Karrierechancen zu erhöhen. So unterscheidet sie zwischen einzelnen Personen, Bereichen und Beschäftigungsebenen, in denen Geschlecht als Differenzierungsmerkmal für berufliche Aufstiege im Flughafenunternehmen Relevanz besitzt sowie ihrem persönlichen beruflichen Umfeld, der Personalabteilung, in dem sie eine Gleichbehandlung der Geschlechter konstruiert, worin eine Tendenz der ‚Beschönigung’ von institutionellen Ungleichbehandlungen entlang der Trennlinie Geschlecht zu vermuten ist. Denn zugleich beschreibt die Mentee ungleiche berufliche Aufstiegsvoraussetzungen für Männer und Frauen, die sich zum Beispiel in Stellenbesetzungen auf der Führungsebene zeigten. Dennoch werden diese Beobachtungen nicht als eine institutionalisierte vergeschlechtlichte Praxis für das gesamte Unternehmen generalisiert. Für Frauen und Männer werden vielmehr unterschiedliche vergeschlechtlichte, institutionalisierte Karrierewege für den Weg zur Führungsposition beschrieben, die aber letztlich als Ausdruck einer ‚unternehmensfreundlichen’ loyalen Haltung auf ein individuelles Problem reduziert werden, das mittels genutzter institutioneller Angebote wie dem Mentoringprogramm überwunden werden können. In diesen institutionellen und sozialen Ressourcen wird eine gute Voraussetzung für eine individuelle Kompensation der strukturellen Benachteiligung von Frauen bei Aufstiegsprozessen gesehen, da davon ausgegangen wird, dass Frauen (und Männer) für eine Karriere im Unternehmen über soziales Kapital, vermitteltes symbolisches Kapital angewiesen sind. Zusammen betrachtet lassen die Konstruktionen der beiden Mentees folgende Schlüsse über Aufstiegsmechanismen und Spielregeln in diesem Feld zu: Führungskräfte werden in diesem Unternehmen primär aus dem Pool männlicher Mitarbeiter rekrutiert, was über die Norm einer habituellen Passung legitimiert und als Selektionspraxis auch auf der Vorderbühne durchaus verhandelt wird. Frauen können über habituelle Anpassungen ihre Karrierechancen erhöhen, müssen aber dann zentrale habituelle Züge wie Loyalität als Ausdruck eines unternehmensfreundlichen Denkens in besonderer Weise zeigen, was auch die para-
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doxe Folge bedeutet, die entlang der Trennlinie Geschlecht institutionalisierte Förderpraxis mit zu reproduzieren. Da die Mentee Koch einen beruflichen Aufstieg aufgrund dieser vergeschlechtlicht-habitualisierten Rekrutierungspraxis für sich aufgegeben hat (Selbstausschluss), agiert sie in Opposition zu dieser und versucht genau diese Reproduktionsmechanismen aufzudecken statt sich anzupassen sowie zu fördern, dass Aufstiege aufgrund von Leistung und Qualifikation statt in Abhängigkeit vom Geschlecht und vom Habitus ermöglicht werden. Das Mentoringprogramm wird von ihr dementsprechend nach außen als Zeichen für die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im Kampf um symbolisches Kapital für Frauen eingesetzt. Nach ‚innen’ nutzt sie es vor allem als kritischen Reflexionsraum für Spielregeln und Rekrutierungspraktiken ihres Feldes. Da die Mentee Gause noch ein konkretes Aufstiegsinteresse im Flughafenunternehmen besitzt, wird von ihr das Mentoringprogramm als Ausdruck eines durch Loyalität geprägten Habitus als Teil einer emanzipativen Unternehmensführung interpretiert, das die Benachteiligung von Frauen über die Chance der Habitualisierung von feldspezifischen Regeln und Praktiken zumindest teilweise kompensieren kann. Entsprechend der auch von ihr beobachteten habituellen Aufstiegsbedingungen betrachtet sie die Mentoringbeziehung somit als eine Möglichkeit der beruflichen Sozialisation, um sich auf die konstitutiven Spielregeln, normativen Regeln und distinktiven Praktiken auf der Führungsebene vorzubereiten.
5.4 Mentoring im Kontext beruflicher Felder. Theoretische Zusammenführung und Schlussfolgerungen Abschließend sollen die konstruierten Logiken der verschiedenen Felder im Vergleich noch einmal hinsichtlich ihrer Ausgrenzungs- und Integrationsmechanismen zusammengefasst und hinsichtlich ihrer Spezifik diskutiert werden. Mit Bourdieu (1985) lassen sich soziale Felder (bspw. das ökonomische, das politische, das akademische, das religiöse, das literarische) als historisch konstituierte Spielräume mit je eigenen Institutionen und Funktionsgesetzen beschreiben, in denen konzeptionell zwischen dem Ressourcenaspekt (vgl. Bourdieu 1983), dem Regelaspekt (vgl. Bourdieu 1987), dem Machtaspekt (vgl. Bourdieu 1997a) und dem Illusioaspekt (vgl. Bourdieu 1995) unterschieden werden kann, die über die Art der Beteiligung und Integration Einzelner entscheiden. Es lässt sich festhalten, dass der Bereich Medizin im Wissenschaftsfeld durch institutionalisierte Karrierewege geprägt ist, die im Vergleich zu den anderen Feldern in dieser Studie durch eine stärkere Formalisierung von Auf-
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stiegsvoraussetzungen und –bedingungen für eine berufliche Karriere gekennzeichnet sind (vgl. hierzu auch Hartmann 2002, 132f). Hierbei werden zwei unterschiedliche Karrierewege beschrieben, die symbolisch höher bewertete Universitätskarriere und die symbolisch niedriger bewertete Niederlassung als Arzt/Ärztin. Vor allem der erste Karrierepfad zeichnet sich dadurch aus, dass hier die Verfügungsgewalt über bestimmte Ressourcen über Integration und Ausgrenzung entscheiden, wie beispielsweise das Vorweisen von Zertifikaten (Habilitation), die Publikationshäufigkeit, das Durchführen bestimmter symbolisch anerkannter Operationen und nicht zuletzt die Verfügung über soziales Kapital im Sinne einer/eines fördernden Mentors/Mentorin. Die Verfügung über diese Kapitalien – so wurde aus dem Material deutlich – steht in einem direkten Zusammenhang mit bestimmten normativen Vorstellungen des Verhaltens, die als Regelaspekt des Feldes bezeichnet werden können. „Eine von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gleichermaßen getragene Vorstellung von wissenschaftlicher Arbeit ist, dass diese das volle Engagement der Person erfordere, eine unbedingte Hingabe an die Wissenschaft […]“ (Krais 2000, 21).
Wie aber anhand der Interviews herausgearbeitet werden konnte, und wie es sich auch in den bereits zitierten Studien zeigt, sind der Ressourcen- und Regelaspekt, die die Integrations- und Ausgrenzungsmechanismen dieses sozialen Feldes organisieren, vergeschlechtlicht. So wurde in diesem Feld eine Vergeschlechtlichung der Karrierewege insofern rekonstruiert, da der symbolisch niedriger bewertete Karriereweg als besser vereinbar mit einem Familienleben konstruiert wird, worauf nach wie vor mehr Frauen als Männer einen Schwerpunkt im Lebensentwurf legen. Die mehrheitliche ‚Wahl’ des symbolisch niedrigeren Karrierewegs von Frauen hat dabei mit einem konstruierten Habitus eines Wissenschaftlers/einer Wissenschaftlerin zu tun. Wie bereits aus Kap. 3.1.1 hervorging, zeigen auch empirische Untersuchungen aus den 90er Jahren, dass in der Wissenschaft eine Arbeitskultur mit „Förderung und Prestige“ belohnt wird, bei der 50 - 60 Stunden Arbeitszeit pro Woche, Nacht- und Wochenendarbeit und der Verzicht auf Urlaubszeiten den Standard setzen (Richter 2000, 14.) Nur im Rahmen einer ‚männlichen Normalbiographie’, damit ist eine Lebensführung gemeint, die sich schwerpunktmäßig auf den Beruf konzentrieren kann und die von der Kindeserziehung oder Pflege von Familienangehörigen entlastet ist, kann den zeitlichen Anforderungen, auch im Hinblick auf Flexibilität, entsprochen werden. Ferner wird in den Interviews der Mentees das Wissenschaftssystem mit seinen Aufstiegsbedingungen durch die vergeschlechtlichte Verteilung sozialen Kapitals sowie karriererelevanter symbolisierter Aufgaben- und Verantwortungsbereiche als unterschiedlich und zum Nachteil von Frauen konstruiert. Ähnliches wird auch in anderen Studien beschrieben: Frauen kommen
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seltener durch direkte Aufforderung durch Professor/innen auf Nachwuchsstellen und werden auch seltener von ihren Betreuer/innen für andere Stellen weiterempfohlen (vgl. Kirschbaum 2005). Frauen werden insgesamt sehr viel weniger durch Mentor/innen, Vorgesetzte oder Doktorväter/--mütter gefördert als ihre männlichen Kommilitonen oder Kollegen (vgl. Schultz 1991, Kirschbaum 2005). Anhand dieser Spielregeln zeigt sich, dass der Erwerb von feldrelevanten Ressourcen wie sozialem und kulturellem Kapital scheinbar nicht nur zu ungleichen Bedingungen für Frauen und Männer zum Nachteil von Frauen geregelt ist. Als die soziale Ungleichheit verschärfende Komponente kommt hinzu, dass beruflicher Erfolg über kulturelles Kapital in erster Linie von dessen symbolischer Wirkung, d.h. von dessen sozialer Anerkennung abhängt. Diese besondere Bedeutung des symbolischen Kapitals im Wissenschaftsfeld beschreibt auch Bourdieu: „Wie ich seit langem, seit 1975 dargelegt habe [….], ist das wissenschaftliche eine besondere Art symbolischen Kapitals (von dem man weiß, daß es immer aus Akten des Erkennens und Anerkennens entsteht), das auf der Anerkennung (oder dem Kredit) beruht, den die Gesamtheit der gleichgesinnten Wettbewerber innerhalb des wissenschaftlichen Feldes gewährt [..]“ (Bourdieu 1998, 22f)
Damit verliert der Ressourcenaspekt in doppelter Hinsicht seinen scheinbar objektiven und unabhängigen Charakter für berufliche Aufstiege und der Ressourcenerwerb gerät ins Kraftfeld von vergeschlechtlichten Machtverhältnissen und – kämpfen im Feld. Im eigenen Selbstverständnis des Feldes, das über eingehaltene oder übertretene Spielregeln und soziale Normen vermittelt wird, gibt es allerdings keine vergeschlechtlichten Aufstiegsbedingungen. Die Regeln deuten vielmehr darauf hin, dass vordergründig das Bild eines geltenden meritokratischen Aufstiegsprinzips im Feld hergestellt wird und aufrechterhalten werden soll. Von den Mentees wird deshalb in diesem Feld auf institutioneller Ebene eine Veränderung dieser institutionalisierten Karrierewege im Hinblick auf eine Annäherung der Karrierebedingungen für beide Wege und Geschlechter erhofft zur Verbesserung ihrer individuellen Karrierechancen. Die Erwartungen, die auch an das Mentoringprogramm geknüpft sind, beziehen sich dabei auf die Dekonstruktion eines geschlechtsabhängigen Erwerbs karriererelevanten sozialen, kulturellen und symbolischen Kapitals sowie auf eine Flexibilisierung normativer Vorstellungen über den wissenschaftlichen Habitus mit dem Ziel der besseren Vereinbarung von Familienleben und wissenschaftlicher Karriere. Da die Mentor/innen im gleichen Feld wie die Mentees tätig sind, stellt der intensive Kontakt und Austausch mit ihnen einen Gewinn auf der Ressourcenebene dar. Noch stärker tritt aus dem empirischen Material jedoch die Bearbeitung dieser vergeschlechtlichten strukturellen Aufstiegsbedingungen auf der Ebene des eige-
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nen Verhaltens hervor: Das Mentoringprogramm wird von den Mentees zum kennen lernen normativ abweichender wissenschaftlicher und im Feld erfolgreicher Habitus als Modelle für einen eigenen zu entwickelnden professionellen Habitus genutzt sowie zum Einüben eines Umgangs mit den konstitutiven, normativen und distinktiven Regeln des Feldes in dem schwierigen Versuch, deren Logik nicht zu reproduzieren. Darin zeigt sich der von Bourdieu beschriebene Regelaspekt eines Feldes, nach dem die Beherrschung konstitutiver, normativer und distinktiver Regeln des Benehmens sowie die habituell verankerte Stilsicherheit bei der Beherrschung dieser Regeln und der durch sie geforderten Praktiken über individuellen Erfolg und Misserfolg, über Wertschätzung oder Missachtung im Feld entscheidet. Im Vergleich dazu konnte im Feld des Bankwesens gezeigt werden, dass als dominantes Aufstiegsmuster ein Prinzip der vergeschlechtlichten Beförderung gilt, das im Sinne der (unternehmens-)förderlichen Konkurrenzsituation auf einer Vorderbühne (vgl. Goffman 2006, 100) an eine Norm des Leistungserfolgs gebunden scheint. Die habituellen Erwartungen als Ausdruck einer normativen Leistungsorientierung werden dabei auf zwei Ebenen konstruiert: auf der Ebene des flexiblen Arbeitens und Bewältigens von Aufgaben sowie auf der Ebene des ökonomischen Profits für das Unternehmen. Es werden die normativen Ansprüche vermittelt, dass Aufstiegsorientierte eine sehr hohe Leistungsbereitschaft für die Bewältigung von übertragenen Aufgaben zeigen sowie ökonomisch profitabel für das Unternehmen arbeiten müssen. Die Benachteiligungen von Frauen werden vordergründig über Abweichungen von der Leistungsnorm bzw. über abweichende habituelle Dispositionen legitimiert. Dies zeigt sich an der Konstruktion des ökonomischen Risikos einer Gleichbehandlung von Frauen und Männer durch Vorgesetzte sowie in dem Hinweis auf die Spielregel der Überbelastung von Mitarbeiterinnen mit karriereirrelevanten Aufgaben, die keine Zeit und Energie für die Bearbeitung karriererelevanter Aufgaben lässt, was dann als habituelle Abweichung von der Leistungsnorm interpretiert wird. Dazu stellt Bourdieu fest: „Das ökonomische Feld unterscheidet sich dadurch von anderen Feldern, dass hier die Sanktionen besonders brutal sind und das unverhohlene Streben nach der Maximierung des individuellen materiellen Profits öffentlich zur Zielvorgabe des Verhaltens gemacht werden kann“ (Bourdieu 2002, 189f).
Diese Praktiken werden aufgrund der habitualisierten ökonomischen Logik von Erfolg und Gewinnmaximierung zum Teil auch von Frauen unterstützt und reproduziert. Daran wird empirisch rekonstruierbar, was in Anlehnung an Bourdieu über die Beziehung von Frauen und Männer in Kap. 3.1.3 beschrieben wurde: Die im Geschlechterverhältnis strukturell Benachteiligten (Frauen) nehmen
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die Privilegierten (Männer) mittels Kategorien wahr, die von der Herrschaftsbeziehung hervorgebracht wurden und von daher im Interesse der Privilegierten liegen. Dies hat erneut mit der Logik des ökonomischen Feldes zu tun, in dem Abweichungen von normativen Erwartungen besonders hart sanktioniert werden: „Im ökonomischen Feld ist kaum Platz für ‚Verrücktheiten’, und wer darauf verfällt, zahlt über kurz oder lang mit seinem Verschwinden für den Verstoß gegen die immanenten Regeln und Regelmäßigkeiten der ökonomischen Ordnung“ (Bourdieu 2002, 222).
Auch hier erweist sich also der Regelaspekt, empirisch rekonstruierbar über normative Erwartungen zur Beherrschung von Regeln des Benehmens, als ein relevantes Kriterium der Organisation von Integration und Ausgrenzung. Die Erfahrungen zeigen, dass eine Anpassung an die Leistungsnorm zwar als notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung –zumindest für Frauen - für einen beruflichen Aufstieg gilt. Umgekehrt aber wird bei Frauen eine Abweichung als Ambitionslosigkeit interpretiert und nicht erfolgende Beförderungen bzw. Förderungen werden so als selbstverschuldete ‚habituelle Nicht-Passungen’ interpretierbar. So zeigt sich in der Praxis das über Spielregeln vermittelte Aufstiegsmuster der vergeschlechtlichten Beförderung durch Ermächtigte (Ernennungsprinzip). Integration und Ausgrenzung organisiert sich hier somit über eine Deutungs-, Verteilungs- und Verfügungsmacht. Dieser Machtaspekt – so konnte im Material aufgezeigt werden – unterliegt einer hohen unternehmenspolitischen Färbung, hat eine vergeschlechtlichte Dimension und ist stark personell gebunden. Vor diesem Hintergrund ist Aufstieg stets gekoppelt mit der Verfügung über vertikales soziales Kapital, über das Frauen im Vergleich zu Männern seltener verfügen. Die Benachteiligungen von Frauen finden im Rahmen der Aufstiegspraxis Ausdruck in symbolisch weniger wertvollen Anerkennungsformen wie monetären Zuwendungen statt Beförderungen oder der Teilnahmemöglichkeit an nur scheinbar karriererelevanten Programmen, wie es auch das Mentoringprogramm eines darstellen könnte. Die individuelle Bearbeitung dieses Problems erfolgt im Rahmen des Mentoringprogramms auf der Ebene der Verhaltensregeln. So erhoffen sich die Frauen vor allem – und dies ist besonders vor dem Hintergrund der Orientierung an der Leistungsnorm naheliegend – den Erwerb eines Regelbewusstseins über normative und distinktive Regeln des Benehmens. Zum anderen hoffen die Mentees aus dem Kreditinstitut in der ermöglichten Teilnahme am Mentoringprogramm als symbolische Form der Anerkennung ihrer beruflichen Leistung, einen Gewinn symbolischen Kapitals errungen zu haben, von dem sie sich einen Vorteil in dem Ernennungssystem und somit eine kompensierende Wirkung auf die vergeschlechtlichten Benachteiligungen erhoffen. Das für einen Aufstieg zentrale vertikale soziale Kapital können sie im Rahmen des Mento-
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ringprogramms nicht erwerben, da die Mentor/innen in einem anderen beruflichen Feld tätig sind und keine Deutungs-, Verteilungs- und Verfügungsmacht besitzen. Im Feld des Verkehrswesens ließ sich schließlich als Aufstiegsprinzip eine normative Orientierung an der Eignung einer Person für einen Führungsposten rekonstruieren, die nicht unabhängig vom (männlichen) Geschlecht und einem (männlichen) Habitus gesehen werden kann. So werden Führungspositionen mit dem Argument der Eignung für Führungsaufgaben überwiegend an Personen vergeben, die fachlich nicht entsprechend kompetent sein müssen, aber bestimmte Verhaltensweisen als Führungspersönlichkeiten zeigen, worin sich die primäre und diskursiv kommunizierte Orientierung einer habituellen Passung zwischen Aufstiegsorientierten und den bereits etablierten Führungskräften zu zeigen scheint. Diese Beobachtung deckt sich mit den empirischen Untersuchungen Hartmanns (2002, 116ff), der den Habitus der gehobenen sozialen Milieus und des Großbürgertums als wichtigste Voraussetzung für den Zugang Promovierter zu Elitepositionen in der Wirtschaft rekonstruiert hat. Wie in keinem anderen gesellschaftlichen Teilsystem hänge die Rekrutierung von Führungskräften so stark von der sozialen Herkunft und dem dort entwickelten Habitus zusammen wie in der Wirtschaft (ebd., 131). So wird also auch hier deutlich, dass Integration und Ausgrenzung durch den Regelaspekt des Feldes, durch Entsprechung des normativ erwarteten Aufzeigens eines stilsicheren Verhaltens, organisiert ist. Besonders der Aspekt der Loyalität unter und gegenüber ‚passenden’ männlichen Kollegen, Vorgesetzten und institutionellen Praktiken erweist sich in dem Flughafenunternehmen als ein zentrales normatives habituelles Muster, das die Homosozialität auf der Führungsebene zu bewahren und Frauen systematisch auszugrenzen scheint. Diese entlang der Differenzlinie Habitus verlaufende Rekrutierungspraxis führt für Frauen und Männer zu unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und zu anderen Effekten eines beruflichen Aufstiegs. Zum einen ist Frauen dadurch der Aufbau von sozialem Kapital im Vergleich zu Männern erschwert, zum anderen birgt eine beschönigende Darstellung von eigentlich problematischen Abläufen für sie ein größeres Risiko der Entlarvung, da auf sie und ihre Tätigkeit als sich in der Minderheit befindende Tokens (vgl. Kanter 1977) eine stärkere Aufmerksamkeit gerichtet wird als auf Männer. Die damit einhergehende Form der Ausgrenzung von Frauen aus bestimmten Tätigkeitsbereichen beschreibt Kanter als überholtes und irrationales Relikt patriarchaler Gesellschaftsstrukturen, welches auf der informellen Organisationsebene in Form von geschlechts- und tätigkeitsspezifischen Rollenstereotypen fortexistiere. Verbreitete Vorstellungen von Eigenschaften erfolgreicher Manager knüpften an die als ‚typisch männlich’ geltenden Stereotype an (ebd.). Zu diesen Verhaltensweisen zählen das bei Hartmann (2002, 124f) als unternehmerisches Denken
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
beschriebene und als loyaler Habitus im empirischen Material zu rekonstruierende Phänomen, unternehmensinterne Probleme beschönigend darzustellen, um eine optimistische und von unternehmerischen Visionen geprägte Grundhaltung zu präsentieren. Ferner zählt dazu die strategische Pflege sozialen Kapitals, um selbstverständliche Zugehörigkeit in Führungskreisen zu demonstrieren. Integrations- und Ausgrenzungsprozesse erfolgen in diesem Feld somit nach einem Illusioaspekt, der nach Bourdieu (1995) den Erfolg bzw. Misserfolg der Teilnahme an den Feldpraktiken in Abhängigkeit vom Glauben an den Sinn und die Bedeutung des Spiels sowie von der bedingungslosen Identifikation mit diesem als Ausdruck von Zugehörigkeit beschreibt. Von der Mentee, die eine Aufstiegsambition zeigt, wird das Mentoringprogramm primär auf der Regelebene als eine Möglichkeit gedeutet, unternehmerische Verhaltensweisen kennen zu lernen und zu verinnerlichen. Hinsichtlich des für Aufstiegsprozesse relevant beschreibbaren Illusioaspekts stellt das Mentoringprogramm nicht nur keine Möglichkeit der Verbesserung individueller Karrierechancen dar. Es besitzt sogar eine kontraproduktive Wirkung, da es eine potenzielle Kritik an den Spielregeln im Unternehmen darstellt. Daran knüpft die Mentee ohne Aufstiegsambition an: In diesem Fall wird das Mentoringprogramm dazu eingesetzt, die Regeln und unternehmerischen Praktiken, die zur Benachteiligung von Frauen führen, aufzudecken. Das Mentoringprogramm wird primär nicht zur Verbesserung individueller Karrierechancen genutzt, sondern zur kritischen Reflexion und zur Veränderung institutioneller Macht- und Geschlechterverhältnisse eingesetzt – eine Perspektive, die sich politisch nachteilig auf die Karriere auswirken kann. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich alle Feldlogiken durch eine spezifische Bedeutung des Regelaspekts auszeichnen. Es wird somit deutlich, welche besondere Bedeutung der Habitus für die Organisation von Integration und Ausgrenzung spielt. Während sich im Feld der Wissenschaft ein wissenschaftlicher Habitus (Regelaspekt) in Zusammenhang mit kulturellem und symbolischem Kapital (Ressourcenaspekt) als zentral für Aufstiegsprozesse zeigt und im Bankwesen der Aufstiegserfolg eines leistungsorientierten Habitus (Regelaspekt) aufgrund eines herrschenden Ernennungsprinzips in besonderem Maße von vertikalem sozialen und erwirtschaftetem ökonomischen Kapital abhängt (Macht- und Ressourcenaspekt), konnte im Verkehrsunternehmen ein unternehmerischer Habitus (Regelaspekt) in Zusammenhang mit symbolischem Kapital (Ressourcenaspekt) und einem besonderen Glauben an den Sinn der Spielregeln (Illusioaspekt) als aufstiegsrelevant rekonstruiert werden. Das Mentoringprogramm und dessen potenzieller Nutzen für die eigene Karriere werden – wie gezeigt werden konnte - von den Mentees entsprechend der rekonstruierten Feldlogiken gedeutet. Besonders im wissenschaftlichen Feld
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erfolgt eine Übereinstimmung der Deutung und des Nutzens des Mentoringprogramms mit der beschriebenen Feldlogik und ihren Aufstiegsmechanismen. Von den Mentees dieses Felds wird das Mentoringprogramm deshalb als hilfreich für den Erwerb feldspezifischer Ressourcen und aufstiegsrelevanten Regelwissens eingeschätzt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Mentees sich erhoffen, durch die im gleichen Feld tätigen Mentor/innen soziales, kulturelles und symbolisches Kapital zu gewinnen und durch sie den Umgang mit den konstitutiven, normativen und distinktiven Feldregeln einüben und beherrschen lernen zu können, ohne sie zugleich reproduzieren zu müssen. Aber auch die Beschreibungen der Mentees aus den anderen Feldern zeigen die ‚Durchschlagskraft’ der Feldlogik auf die Deutung des Programms. Im Vergleich zum Wissenschaftsfeld wird der potenzielle Nutzen des Mentoringprogramms im Bankwesen für ihre berufliche Karriere jedoch ausschließlich auf der Ebene des Verhaltens (Regelaspekt) verortet und die Mentees setzen das Programm damit nur in Bezug zu einem Teil der von ihnen als aufstiegsrelevant beschriebenen Aspekte in ihren Feldern. Dies erscheint insofern verständlich, da die Mentees aus dem Bankwesen durch die Kontakte zu den in anderen Feldern tätigen Mentor/innen kein aufstiegszentrales soziales Kapital gewinnen können, das ihnen einen Vorteil im Ernennungssystem der Bank verschaffen könnte. Die Mentor/innen verfügen nicht über die notwendigen Deutungs-, Verteilungs- und Verfügungsmacht. Ein ähnliches Bild zum Einfluss der Feldlogik auf die Deutung des Programms zeigt sich im Flughafenunternehmen. Dort lässt sich eine Erwartungserwartung im Sinne der Illusio rekonstruieren, das Mentoringprogramm auf der Regelebene primär als eine Möglichkeit zu deuten, unternehmerische Verhaltensweisen kennen zu lernen anstatt es als ein Instrument zu verstehen, das der Rekrutierungslogik des Unternehmens entgegenwirkt. Damit würden Mentees gerade ihren Unglauben an den Sinn der Spielregeln und die nicht vorhandene Identifikation mit den institutionellen Regeln und Praktiken demonstrieren. Die Teilnahme am Programm könnte dann sogar zu einer Verstärkung der Benachteiligung im Rekrutierungssystem führen. Das Mentoringprogramm und dessen potenzieller Nutzen werden demnach von den Mentees vor dem Hintergrund der Feldlogik ihrer jeweiligen Berufsfelder gedeutet. Auf diesen ‚Durchschlageffekt’ der Feldlogik lassen sich die Ähnlichkeiten in den Deutungen der Mentoringprogramme innerhalb eines Feldes zurückführen. Welche konkrete Funktion das Mentoringprogramm dabei zur Karriereförderung zugesprochen bekommt, steht in Zusammenhang mit den erwarteten bzw. erlebten Möglichkeiten, das Mentoringsetting zu gestalten. Feldübergreifend handelte es sich dabei in der Regel um die Funktion der Reflexion und Veränderung von Verhaltensweisen zur Verbesserung der individuellen Karrierechancen.
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Mentoring im Kontext beruflicher Felder: Deutungen eines Programms
Vor dem Hintergrund dieser Feldlogiken und den mit ihnen verknüpften Deutungen des Mentoringprogramms ist interessant, was dies für die konkrete Ausgestaltung der Mentoringsettings bedeutet und inwiefern das Lernen in diesen Situationen relevant wird. Dies wird Gegenstand des zweiten Empirieteils sein. Wird sich auch auf der Ebene der Interaktion zwischen Mentee und Mentor/in die prägende Wirkung der Feldlogik bemerkbar machen und falls ja, was bedeutet dies für potenzielle Lernprozesse und die Reflexion von Ungleichheiten bzw. Ungleichbehandlungen entlang der Trennlinie Geschlecht? Wie und was wird vor dem Hintergrund der Feldlogiken in den beruflichen Feldern der Mentees im Kontext von Mentoring erfahren und/oder gelernt?
6 Mentoring als Lernarrangement:67 Die Gestaltung eines Programms
In diesem zweiten empirischen Teil der Arbeit werden die Lernarrangements und Lernprozesse im Mentoringprozess und für sie förderliche und hinderliche Bedingungen untersucht – ebenfalls unter besonderer Berücksichtigung der Feldlogiken der Berufsfelder, in denen die Mentees tätig sind. Es wird den Fragen nachgegangen, was und wie im Mentoringsetting gelernt wird, und ob sich die Mentoringbeziehung als eine Beziehung herausstellen wird, in der karriererelevantes Wissen über Aufstiegs- und Ausschlussmechanismen gewonnen wird. Ferner, ob die Lernprozesse den Befürchtungen von Kritiker/innen entsprechend dazu beitragen, die vergeschlechtlichte Feldlogiken und damit herrschende Geschlechterverhältnisse zu reproduzieren oder sogar ihre Wirkungsmechanismen zu verschleiern. Stellt sich Mentoring also als ein Ort der „stillen Pädagogik“ (Bourdieu 1987a, 128) heraus? Oder zeigt sich Mentoring gerade umgekehrt als ein Kontext, an dem Aufstiegsbedingungen reflektiert und expliziert werden (können), und nicht nur auf individueller Ebene karriereförderliche Effekte bewirken (können), sondern auch Veränderungen der Bedingungen selbst im Sinne gleichstellungspolitisch motivierter Hoffnungsträger/innen vorbereiten oder anregen (können)?
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Der Begriff Lernarrangement wird in Anlehnung an Goffmans (2001) Konzept des Arrangements der Geschlechter verwendet. Goffman verwendet den Begriff der Arrangements zur Beschreibung der spezifischen An- und Zuordnung der Geschlechter in einem hierarchischen Verhältnis (ebd., 139). Für die vorliegende Studie wird der Begriff des Lernarrangements verwendet, da auch in der Konzeption der Mentoringbeziehung, die als eine Lernbeziehung konstruiert wird, eine hierarchische Beziehung zwischen den Mentor/innen und den Mentees angelegt ist. Die in dieser Beziehung potenziell angelegte Hierarchie erfährt noch eine Zuspitzung im Fall eines Mentors und einer Mentorin.
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Mentoring als Lernarrangement: Die Gestaltung eines Programms
6.1 Soziales Feld: Hochschule, Medizinische Fakultät
6.1.1 Beispiel I: Dermatologie, Christin Baumert Der Mentor als Gegenpol C.B.: [Bandwechsel, Aufnahmeunterbrechung]…bis ich fertig bin und dann hat sie gesagt: „Ja, also musst du ganz klar sehen, wenn Du nicht an der Uni bleiben willst, dann brauchst du dir jetzt auch nicht, den, A-a-a (schmunzelt) arsch aufzureißen und dich dann abends noch da hinzusetzen und so, sondern da musst du eigentlich das mit deinem Oberarzt abklären, der muss die Enttäuschung einmal hinnehmen und dann bist du aber entspannter.“ So, mehr oder weniger „Und dann habilitier bloß nicht, weil, wenn du mal in die Praxis willst, in eine Gemeinschaftspraxis, dich nimmt kein alter etablierter Hautarzt. Eine habilitierte Frau, die dann da mit PD auf’m Schild steht, das macht keiner. Deswegen mach das dann, wenn du dich dazu entschieden hast, bloß nicht.“ Und das finde ich, war für mich jetzt der erste sehr wertvolle Hinweis, ähm, weil ich ja immer noch so dachte: „Ach ja, habilitieren schadet ja auch nicht.“ Gut, es wird mir jetzt nicht, es wird mir nicht, denke ich, die Zukunft würde es mir nicht verbauen, aber, ähm, das fand ich ganz schön, dass da mal so ein Gegenpol zu diesem mich ständig pushenden Oberarzt ist, der sagt: „Ach, machen Sie doch dies, machen Sie doch das, das ist ganz toll und Preis hier und Preis da“ und so was.
Christin Baumert konstruiert das Mentoringsetting und die Mentorin als „ein Gegenpol“ zu ihrem informellen „Mentor“ (siehe 2. Interviewpassage aus Beispiel I, Feld A in Empirieteil I), dem Oberarzt, und der Beziehung zu diesem. Diese Andersartigkeit der Mentoringförderung besteht vor allem darin, dass die Mentorin ihr aus einer beruflich nicht-interessierten Haltung die Konsequenzen aus der Entscheidung für beide institutionalisierten Karrierewege in der Medizin verdeutlichen kann, in dem sie diese vor dem Hintergrund des Wissens um feldspezifische Spielregeln reflektiert. Während Christin Baumert von ihrem Oberarzt ‚lediglich’ Unterstützung für die symbolisch höher bewertete institutionalisierte akademische Laufbahn erfährt und von diesem in dieser Richtung „ständig gepusht“ wird, klärt sie die Mentorin über die Konsequenzen auf, die mit diesem Karriereweg verbunden sind. Mit zunehmenden Abschlüssen im Verlauf der akademischen Laufbahn verschließe sich Christin Baumert unter Umständen den alternativen Karriereweg, sich als Ärztin in einer Gemeinschaftspraxis niederzulassen. Dies begründet sie damit, dass sie als jüngere, aber deutlich höherqualifizierte Frau in der Praxis eines als Typus konstruierten älteren Hautarztes vergeschlechtlichte und professionelle Spielregeln brechen würde, weshalb ihr dieser Weg sicher versperrt würde. Über diese Form der Einweihung in informell herrschende Spielregeln im Feld ist die Mentee Christin Baumert dankbar, da sie
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ihr als „wertvolle Hinweise“ für die anstehenden beruflichen Entscheidungen dienen und die einseitige positive Sichtweise ihres Oberarztes auf eine akademische Laufbahn relativieren („Ach, machen Sie doch dies, machen Sie doch das, das ist ganz toll und Preis hier und Preis da…“). Beide institutionalisierte Karrierewege erlangen durch diese neue Perspektive eine andere Bedeutung. Der Weg der Niederlassung als Ärztin rückt allein schon aus dem Grund der Thematisierung als legitime Möglichkeit der Professionalisierung stärker in den Bezugshorizont, und die Möglichkeit der akademischen Laufbahn wird nicht nur ihres Status der Unhinterfragtheit beraubt, sondern auch in ihrer symbolischen Wertigkeit reduziert. Aus dieser Perspektiverweiterung könnten sich somit für Christin Baumert die Handlungs- und Entscheidungsspielräume vergrößert haben, in jedem Fall aber hat eine Horizonterweiterung mit erweiterten beruflichen Perspektiven und potenzieller Grenzen stattgefunden, auch wenn sie die Einschätzungen ihrer Mentorin in ihrer Radikalität nicht vollends teilt und sich eine gewisse Distanz dieser Einstellung gegenüber bewahrt. Bedingt wurde die sich die an diesem Beispiel zeigende Diversität von Sichtweisen und Vorstellungen, die in der Mentoringbeziehung sichtbar geworden ist und, wie von Henschel (2001, 146 f; vgl. auch Kap. 3.1.4) beschrieben, das Lernpotential erhöht hat, durch den Erfahrungsvorsprung der Mentor/innen über Spielregeln im beruflichen Feld. Das Duzen zwischen Christin Baumert und ihrer Mentorin lässt im Übrigen ebenso wie die Auseinandersetzung mit einem biographisch zentralen Thema auf eine offene und vertraute Atmosphäre zwischen den beiden schließen. Diese Lesart wird auch durch die parteiische Beratung der Mentorin gestützt. Aus Fehlern profitieren I:
Was wünschen Sie sich für Ihre weitere Mentorinnenschaft? Ähm, für Ihre zukünftige Zusammenarbeit mit der Frau Mentorin?
C.B.: Hm, ja. Dadurch, dass das sicherlich nicht so ein herkömmliches Tandem ist, wo ich halt, so wie es auch erklärt wurde, war es ja eher zugeschnitten auf, ähm, Studentinnen, die Probleme mit ihrer Doktorarbeit haben und sich da Hilfe erhoffen. So wurde das dargestellt im Dezember. Und, ähm, bei uns ist es ja jetzt ein bisschen anders, wir sind ja beruflich ein bisschen weiter, und ich habe jetzt den Eindruck bekommen, bei vielen, die jetzt teilnehmen, oder nee, bei vielen stimmt gar nicht, aber, ähm, zwei davon sind ja immer noch Studentinnen, die hoffentlich, die eine ist ein bisschen, finde ich, differenzierter, die erhofft sich auch ein bisschen, ähm, Prioritätenschwerpunkte zu finden und die andere möchte aber auch gerne so Doktorarbeitsunterstützung und, ähm, bei den anderen habe ich schon so den Eindruck, dass die, ähm, so Richtung Habilitation und da Unterstützung wollen und, ähm, das ist ja nun bei mir jetzt eigentlich, da ich mich noch nicht festgelegt habe, nicht unbedingt so, sondern ich habe mir eher erhofft, ähm, aus der aus der Erfahrung jetzt speziell von meiner Mentorin zu profitieren, ähm, weil ich oft mitbekommen habe, wie sie gekämpft hat als Frau in der Chirurgie, als wissenschaftliche Frau in der Chi-
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Mentoring als Lernarrangement: Die Gestaltung eines Programms rurgie, also als als, ähm, sehr engagierte und zielstrebige und ehrgeizige, ähm, Ärztin, ähm, aus ihren Fehlern, praktisch von ihren Fehlern, aus denen sie gelernt hat, zu profitieren. Und so hat sie das auch dargestellt, also sie, sie hat manche Wege, manche Umwege eingeschlagen, die bräuchte ich nicht mehr zu gehen, ähm, sei es jetzt, dass ich mich in Richtung Habilitation entscheide oder auch in Sachen wie zum Beispiel schon der Kommentar: „Ja, dann brauchste dich auch nicht zu habilitieren, wenn du nur in die Praxis willst.“ Also, auf der ja, aus der größeren Erfahrung von ihr zu profitieren. Ja. Wobei es ist halt so, dass ich sie, ähm, schon kenne und, ähm, es ist jetzt nicht so, dass wir so ganz neutral miteinander reden, ähm, und na ja, nicht neutral miteinander reden, einmal weil wir uns schon kennen und auch, ähm, ja, ähm, ich würd jetzt, ja, sie hat eine ganz bestimmte Art, die ich also so (zieht Luft ein) die zielstrebige und son bisschen so ruppig vielleicht, was man ja Chirurgen manchmal nachsagt, so dass ich, ähm, schon so im Umgang mit ihr darauf bedacht sein werde, das sag ich also jetzt hier nur, ich bin ja aus Marburg oder sonst wo her, ein bisschen diplomatisch mit ihr umgehen werden muss. Also so, den Eindruck habe ich jetzt so von mein. Das wird nie, nie so super entspannt werden, so würde ich es jetzt einschätzen, und es wird aber auch nie nicht so ganz auf der neutralen Ebene bewegen, ähm, wie jetzt bei anderen, die sich überhaupt noch nicht kennen, weil wir uns schon kennen.
Da sich Christin Baumert im Unterschied zu den meisten anderen Mentees im Mentoringprogramm noch nicht für einen der institutionalisierten Karrierewege entschieden hat und deshalb stärker Entscheidungs- als Qualifikationshilfen braucht, sieht sie sich mit ihrer Mentorin in einer besonderen Situation. Ihr primäres Interesse ist auf die Erfahrungen der Mentorin gerichtet, von denen sie sich einen Gewinn für die Gestaltung der eigenen Berufslaufbahn erhofft. Christin Baumert schätzt diesen Gewinn für sich besonders hoch ein, da sie diese im Feld hat „kämpfen“ sehen, womit sie wohl einen besonders großen Erfahrungsschatz über feldspezifische Spielregen mit ihren impliziten Handlungsspielräumen, Gefahren und Risiken verbindet. Im Frausein und dem ehrgeizigen und zielstrebigen Dasein als Wissenschaftlerin im Feld der Chirurgie, das stark männerdominiert ist, vermutet Christin Baumert besondere, zu überwindende, Schwierigkeiten in der Karriere der Mentorin. Dies wertet sie in ihrer Funktion als Mentorin mit der Aufgabe, Erfahrungen hinsichtlich erfolgreicher Karrierestrategien weiterzugeben und ein Modell für eine erfolgreiche Karriere zu sein, symbolisch auf. Das Mentoringsetting als Lernsituation wird von Christin Baumert in diesen Passagen als eine einseitige Form der Beratung konstruiert. Gegenstand der Gespräche sind die berufliche Situation und die Karriereideen Christin Baumerts, die sie mithilfe der feldspezifischen Erfahrungen der Mentorin gemeinsam reflektieren. Die Mentorin scheint eine ähnliche Vorstellung vom Gewinn des Mentorings für die Mentee zu haben, denn sie hat zum Ausdruck gebracht, dass sie von ihren beruflichen Erfahrungen profitieren könne. Dabei scheint sie die Idee zu
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verfolgen, Christin Baumert einige negative Erfahrungen ersparen zu können, indem sie sie über feldspezifische Spielregeln aufklärt und ihr beispielsweise den Sinn bzw. die Konsequenzen von bestimmten Qualifikationsphasen und – arbeiten im Rahmen dieser Regelungen darlegt. Die Mentorin wird aus Christin Baumerts Sicht als eine Person konstruiert, die aus eigener Erfahrung von Grenzen und Grenzüberschreitungen ein großes Wissen über feldspezifische Integrations- und Ausgrenzungsmechanismen besitzt und aus einer distanzierten Perspektive institutionelle Prozesse reflektieren und kommunizieren kann. Aus dieser Verbindung ergibt sich in diesem Beispiel das große Potential eines gemeinsam gestalteten Lernprozesses. Trotz des solidarischen Verhältnisses zwischen der Mentee und der Mentorin ist die Offenheit zumindest von Seiten Christin Baumerts nicht uneingeschränkt. Die Mentoringbeziehung wird trotz des Hinausgehens über einen rein beruflichen Status deutlich von einer privaten, freundschaftlichen Beziehung abgegrenzt, da die Mentorin die Spielregeln ihres beruflichen Kontexts zu Verhaltensweisen in das Mentoringsetting hineinträgt, die aus Sicht Christin Baumerts nicht den Spielregeln einer Freundschaft entsprechen. Darin zeigen sich Folgen einer formalisierten und hierarchischen Dimension einer Mentoringbeziehung, die im Vergleich zur Mentorin für Christin Baumert zu ungleichen Gestaltungsmöglichkeiten führen. Die Mentorin hat nicht nur durch alltagsweltliche Differenzierungskriterien wie die höhere berufliche Stellung und das höhere Alter gegenüber der Mentee eine überlegene Position. Diese wird auch durch Definitionen von Mentor/innen in Mentoringprogrammbeschreibungen als Expert/innen für berufliche Karrieren verstärkt. Dieser Hintergrund erklärt die stärkere Deutungs- und Gestaltungsmacht der Mentorin, die sich in diesem Fall nicht nur im Grad der privaten bzw. beruflichen Rahmung der Mentoringgespräche ausdrückt, sondern auch darin zeigt, dass die Spielregeln ihres beruflichen Kontextes das Setting stärker bestimmen als die Spielregeln zu bestimmten Verhaltensweisen, die in Christin Baumerts beruflichem Kontext gelten.
6.1.2 Beispiel II: Gynäkologie, Tanja Hering Wirkliche Unterstützung I:
Kannten Sie die Mentorin schon vorher?
T.H.: Nee, ne. Wir haben uns über das Mentoring kennen gelernt. War halt auch so, ähm, „Wir treffen uns einfach mal“, Frau Koordinatorin hatte das einfach mal so vorgeschlagen, die könnten zusammenpassen. Na gut, „wir treffen uns mal und gucken mal, wie wir so mit-
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Mentoring als Lernarrangement: Die Gestaltung eines Programms einander klarkommen“ und dann wollten wir uns eigentlich nur ganz kurz treffen und uns beschnuppern, und dann haben wir fast drei Stunden miteinander geredet.
I:
Oh!
T.H.: ((schmunzelt)) Total spannend und so, so die Hilfestellung, die sie mir geben kann, das fand ich halt total wichtig. Sie hat meine Bewerbung zum Beispiel gegen gelesen, hat gesagt: „So und so kannste das machen“ oder „so und so machen Sie das besser mal nicht, das nehmen Sie mal raus“. „So und so können Sie sich da bewerben“ und dann eben auch immer dieses „Wenn Sie sich an einer Klinik bewerben, dann muss es aber auch eine gute Klinik sein!“ Total süß irgendwie. Oder eben, ich habe auch ganz viel mit ihr geredet, als ich dann eben doch überlegt habe, von G-Stadt wieder nach H-Stadt zurückzugehen, da habe ich mich eben auch mit ihr getroffen und hab ihr das erzählt, wie ich das so empfinde, wie das so für mich ist und da sagte sie dann auch, war sie halt auch sofort mehr oder minder auf meiner Seite und sagte „Weg da und hmmm!“ und hat mich da auch wirklich unterstützt eben. Hat eben nicht gesagt: „Na ja, da musst du durch“ oder so, sondern wirklich mich da unterstützt. Das ist schon, das war schon sehr wichtig.
Tanja Hering beschreibt die Mentoringbeziehung als eine, in der umgangssprachlich formuliert ‚die Chemie’ von Anfang an stimmte und die theoretisch als eine Beziehung mit einer habituellen Passung beschrieben werden könnte. Die Betonung der investierten drei Stunden Zeit für das erste Gespräch sowie die starke Emotionalisierung („total süß irgendwie“) kann als weiterer Beleg für diese schnell hergestellte Vertrautheit und ein wechselseitiges Interesse aneinander gedeutet werden. Sie waren sich somit von Anfang an sehr sympathisch und konnten eine vertrauensvolle Atmosphäre in den Gesprächen herstellen. Dafür spricht auch das von Tanja Hering versehentlich rekonstruierte Duzen aus einem Gespräch mit der Mentorin, obwohl sie sich in den gemeinsamen Gesprächen wie die darauf folgenden Zitate zeigen - siezen. Ähnlich wie die Mentorin von Christin Baumert solidarisiert sich die Mentorin von Tanja Hering mit ihr und gibt ihr vor dem Hintergrund des größeren Wissens um feldspezifische Aufstiegsmuster strategisch wichtige Rückmeldungen zu konkreten beruflichen Handlungen wie das Formulieren von Bewerbungsunterlagen. Wie auch die Ratschläge zur Planung weiterer Karriereschritte zeigen, hat sie ein gesichertes Wissen über das symbolische Wertesystem des Feldes und kann Tanja Hering auf den Ebenen des konkreten Handelns, Planens und der Selbstpräsentation Kriterien nennen („so und so machen Sie das besser mal nicht, das nehmen Sie mal raus“, „gute Klinik“, „Weg da und hmmm!“), die ihren beruflichen Erfolg vor dem Hintergrund der feldspezifischen Logik wahrscheinlicher werden lassen. Tanja Hering konnte ihre Mentorin in problematischen beruflichen Situationen um ein Gespräch bitten und bekam wichtige Unterstützung, die sie darin stärkte, den Arbeitsplatz zu wechseln, mit dem sie sich unglücklich fühlte. Ähnlich wie Christin Baumert erlebt sie ihre Mentorin reflektiert und distanziert
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gegenüber den institutionalisierten Aufstiegsmustern in der medizinischen Disziplin und ihr selbst gegenüber offen und solidarisch. Auch in dieser Mentoringbeziehung scheint der Versuch angelegt zu sein, Tanja Hering vor Ausgrenzungen, Abwertungen und Umwegen in der beruflichen Karriere zu schützen sowie ihr gleichzeitig Planungs- und Entscheidungshilfen zu bieten. Kleine Tipps I:
Ja, haben Sie da speziell zu Ihrer Mentorinnenschaft noch besondere Wünsche oder Hoffnungen?
T.H.: Ja, ich hoffe halt, dass das so ist, dass das wirklich so weitergeht, dass sie mir da. Es ist halt eine ganz andere Fachdisziplin, von daher kann sie mir da zu den gynäkologischen Sachen da nicht unbedingt auf die Sprünge helfen, aber da habe ich in H-Heim auch eine erfahrene Kollegin, die so ein bisschen einen Mentorinnenstatus da einnimmt, was das Fachliche angeht. Aber sie ist halt auch jemand, den ich wegen dieser Doktorarbeit zum Beispiel immer mal wieder fragen kann, wenn ich dann das Gefühl habe „Mensch, da stimmt was nicht“. Ich muss halt bei meiner Doktorarbeit auch ganz genau aufpassen, dass sich mein Oberarzt das da nicht auf die Fahnen schreibt, dass das eben nicht so läuft: „Ich veröffentliche das und ich schreib das mal und na ja, du kommst dann da irgendwie mit drauf“, sondern dass das mein Ding bleibt, da muss ich halt ganz genau gucken und da ist sie halt immer schon sehr engagiert, sagt: „Mensch, da musst du drauf achten, wenn’s um solche Sachen geht, ähm, wenn man Sachen veröffentlicht, an welcher Stelle stehe ich denn?“ Ähm, ich bin da völlig, ähm, naiv reingegangen. Mir ist das egal, ob ich an erster, zweiter oder letzter Stelle stehe und sie sagte mir dann: „Hier, pass auf! Musst du gucken, wer an erster, wer an letzter Stelle steht und ob du an zweiter Stelle stehst oder gar nicht drauf stehst, das kannst du dir haken!“ Und das fand ich schon ganz spannend, so was einfach auch nur zu wissen, so kleine Tipps einfach auch nur. Und eben auch so diese Sachen einfach mal gegenzulesen und zu sagen: „So wirkt das auf mich, so kann man das schreiben, so würde ich das schreiben.“ Das ist schon ganz wichtig und ich hoffe, dass das so weitergeht.
Auf der fachlichen Ebene kommt die Mentorin, die in einem anderen Fachgebiet tätig ist, an die Grenzen ihrer Unterstützungsmöglichkeiten. Das stellt für Tanja Hering aber kein Problem dar, da sie noch eine informelle Mentorin aus ihrem Fachbereich hat, die ihr im Bedarfsfall Unterstützung gewährt. Darin lässt sich die zugesprochene große Bedeutung sozialen Kapitals im medizinischen Feld für einen erfolgreichen beruflichen Aufstieg erneut erkennen, die am Beispiel Tanja Herings auch schon im ersten Empirieteil rekonstruiert werden konnte. Wie das Beispiel der drohenden Bemächtigung ihrer Forschungsergebnisse durch den Oberarzt zeigt, scheinen bestimmte Formen der Statusdistribution und des Konkurrenzverhaltens aber fachübergreifend und damit feldtypisch zu sein. In dieser Hinsicht kann die Mentorin mit ihrem größeren Wissen um Integrations- und Ausgrenzungsmechanismen auf wichtige symbolische Anerkennungsformen einer wissenschaftlichen Karriere hinweisen, für deren Besitz sich ihre
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Mentee in Konkurrenzbeziehungen und im Rahmen von Statusdistributionen einsetzen sollte. An diesem Beispiel von Veröffentlichungen, einem zentralen Kriterium, an dem der Erfolg einer wissenschaftlichen Karriere gemessen wird, zeigt sich abermals, wie wichtig, aber nicht selbstverständlich vorhanden, ein Wissen über karriererelevante Symboliken ist, das in diesem Fall in einer formal arrangierten Förderbeziehung erworben wird. Für Tanja Hering hatte die Reihenfolge der Autor/innen bis zur Rückmeldung von der Mentorin keine symbolische Bedeutung für das Maß ihrer Beteiligung an den Forschungsergebnissen. So wusste sie auch nicht um die Bedeutung der „ersten Stelle“ in der Scientific Community. Ihre Haltung zur Autor/innenreihenfolge zeigt darüber hinaus, dass sie habituell keine distinktive Haltung ausgeprägt hat und deshalb zum Teil „völlig naiv“ in Situationen gerät, aus denen sie als Benachteiligte herausgehen könnte, da sie sie einer anderen habituellen Haltung entsprechend, z.B. auf Basis einer solidarischen Grundhaltung und einem Interesse an einer inhaltlichen Zusammenarbeit, rahmt und deutet. Gerade für Personen, die kein feldspezifisch sensibilisiertes persönliches Umfeld haben, durch das sie implizit und explizit Wissen über Symboliken und Integrations- und Ausgrenzungsmechanismen erlangen können, kann ein informelles oder ein formales Mentoring wie in diesem Fall eine kompensatorische, wenn auch sicher nicht in Ausmaß und Intensität mit einem feldspezifischen Herkunftsmilieu vergleichbare, Funktion übernehmen. Auch in dieser Mentoringbeziehung ist die Hierarchie aufgrund einer Überlegenheit der Mentorin im Wissen um feldspezifische Spielregeln stark ausgeprägt. Das Setting ist den Ausführungen nach wie im Fall Christin Baumert durch eine Karriere-Beratung der Mentee gekennzeichnet.
6.1.3 Zusammenfassung Die beiden Beispiele zum Mentoringprogramm in der medizinischen Fakultät vermitteln ein ähnliches Bild der Beziehung zwischen den Mentees und ihren Mentorinnen sowie über die Gestaltung des Lernarrangements. Die rekonstruierten Mentoringbeziehungen entsprechen dabei durchaus den von Henschel (2001) definierten Parametern und Variablen einer Community of Practice. So beschreiben beide Mentees ein enges Verhältnis zu ihren Mentorinnen, das durch die Solidarität der Mentorinnen mit den Mentees und ihre berufliche Förderung gekennzeichnet ist. Wie Henschel aufgezeigt hat, sind diese Formen der Zusammenarbeit und der Fürsorge, von ihm als Care bezeichnete Haltungen (ebd., 65f; vgl. auch Kap. 3.1.4.), typisch für eine Community of Practice. Sie kommen deutlich in den Rekonstruktionen zu den Mentoringtreffen zum Ausdruck, die
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auf ein wechselseitiges Interesse aneinander sowie auf ein großes Engagement der Mentorinnen schließen lassen, die Mentees in ihren beruflichen Werdegängen zu unterstützen. Durch ihren Vorsprung an Erfahrungen im medizinischen Feld sowie durchlaufener Stationen können die Mentorinnen die Mentees in feldspezifische Symboliken und in inoffizielle Integrations- und Ausgrenzungsprozesse einweihen. Die Mentees gewinnen dadurch strategisches Wissen über feldrelevante Ressourcen und Möglichkeiten ihres Erwerbs bzw. ihrer Vermehrung zur Verbesserung ihrer Karrierechancen im Sinne der Feldlogik. Ferner erfahren sie über Ratschläge und Einschätzungen der Mentorinnen implizit und explizit feldspezifische Verhaltenserwartungen, auf die sie sich vorbereiten und ihren Vorstellungen dazu entsprechend reagieren können. Darin kommt der von Henschel (ebd., 146f) als lernförderlich beschriebene Effekt aus der Diversität von Perspektiven zum Ausdruck, der sich in diesen Fällen aus den unterschiedlichen Positionen und Erfahrungen von Mentees und Mentorinnen im gemeinsamen medizinischen Feld ergibt. Diese von den Mentees als besonders wertvoll erachteten Tipps der Mentorinnen über feldspezifische Selektionsprozesse und Ausgrenzungspraktiken lassen dabei nicht nur auf eine erhöhte Sensibilität der Mentorinnen für diese Praktiken und Prozesse schließen. Sie sind zugleich Ausdruck einer von Henschel als lernanregend charakterisierten intensiven Kommunikation und Interaktion (ebd., 147f) im Rahmen des Mentoringsettings über feldspezifische Regeln des Verhaltens und karriererelevanter Ressourcen im Feld. Den beispielhaften Darstellungen von Ratschlägen der Mentorinnen nach lässt sich aber nicht oder nur an wenigen Stellen erkennen, dass im Austausch und bei den Reflexionen und Ratschlägen diskursiv auf das gemeinsame soziale Geschlecht der beiden Mentoringpartnerinnen Bezug genommen bzw. die besondere Situation für aufstiegsorientierte Frauen thematisiert wird. Vielmehr werden institutionalisierte Aufstiegsmuster und ihre Selektionsmechanismen als Bezugspunkte gewählt, die sich für Frauen noch einmal in besonderer Härte zeigen können, wie am Beispiel Christin Baumerts zur Niederlassung als habilitierte Ärztin deutlich wurde. Dies ist Folge eines nach Henschel (ebd., 147) für eine Community of Practice typischen Prinzips der Selbstorganisation, das den Teilnehmerinnen die Referenz- und Schwerpunktsetzung zu bearbeitender Themen und Aufgaben selbst überlässt. Dennoch lassen die Mentoringgespräche durch mehrere Aspekte auf eine implizite vergeschlechtlichte Dimension schließen: zum einen durch den starken Modell-Charakter, den alle Mentoringpartnerinnen den Mentorinnen zuweisen. Er ist ein Hinweis auf die Konstruktion ähnlicher Berufswelten, die auch mit dem gemeinsamen sozialen Geschlecht zu tun hat. In diesem Zusammenhang kann weiterhin in der spezifischen Form der Ratschläge eine vergeschlechtlichte
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Dimension gesehen werden: Beide Mentorinnen zeigen durch ihre eingenommene Perspektive auf das Feld, dass sie eine reflektierte und distanzierte Haltung zu dessen Praktiken und Prozessen haben, aber nicht unbedingt eine kritische Haltung dazu einnehmen. So ist zu erklären, dass den Mentees in beiden Fällen tendenziell zur habituellen Anpassung an die ausgemachten institutionalisierten Aufstiegsmuster geraten wird. Dies lässt sich einerseits als hohe Sensibilität der Mentorinnen für Spielregeln des Feldes sowie für Machtverhältnisse und unterschiedliche Gestaltungsräume für Männer und Frauen interpretieren. Die Strategie lässt andererseits aber auch die Schlussfolgerung zu, dass der Handlungsspielraum für Frauen im Rahmen der feldspezifischen Logik von diesen selbst in besonderer Weise als beschränkt wahrgenommen und transportiert wird. Auf diese Weise werden tendenziell nicht nur herrschende Macht- und Geschlechterverhältnisse reproduziert, sondern gleichzeitig auch Selbstausschlüsse von Frauen, wie Bourdieu (1997a, 170, vgl. auch Kap. 3.1.3) sie beschreibt, provoziert. Die Gestaltung des Settings durch die Mentorinnen und Mentees erfolgt mit Perspektive auf die berufsbiographischen Situationen der Mentees und auf derBasis der Erfahrungen mit sowie des Wissens um feldspezifische Spielregeln der Mentorinnen. Dadurch können Aufstiegsmechanismen auf institutioneller Ebene in Beziehung zu den individuellen Interessen der Mentees gesetzt werden und feldrelevante Ressourcen für einen beruflichen Aufstieg aufgrund institutionalisierter Karrierewege deutlich benannt werden. In diesen beiden Mentoringfällen zeigt sich, dass das gemeinsame Geschlecht und ein mindestens implizites Wissen um die Benachteiligung von Frauen eine solidarische Grundhaltung zwischen den Mentees und Mentorinnen zu fördern scheint, die zu relativ großer Offenheit im Prozess der Beratung führt. Dies hat zur Folge, dass distanzierte Positionen gegenüber der Institution Wissenschaft geäußert und Mentees auch von inoffiziellen Integrations- und Ausgrenzungsmechanismen erfahren. So bekommen die Mentees implizites Wissen über feldspezifische Spielregeln vermittelt, was sich auch auf die strategische Mehrung feldrelevanter Ressourcen bezieht. Es wird damit empirisch nachvollziehbar, was Lave/Wenger (1991, 35) sagen, dass nämlich Lernen immer auch verändernde Praxis ist. Die durch das Mentoring sich verändernden Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster der Mentees bedeuten als ein Teil davon eine Veränderung der feldspezifischen Praxis (vgl. auch Kap. 3.1.4), wenngleich daraus nicht Strukturveränderungen erwartet werden können.
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Soziales Feld: Bankwesen
6.2 Soziales Feld: Bankwesen
6.2.1 Beispiel I: Vertrieb (Sales), Tatjana Teubner Außenperspektive I:
Wer ist Ihr Mentor? Oder woher? T.T.:
I:
Hmhm
Vom Chemiekonzern
T.T.: Und das ist schon eine ganz andere Welt. Also ich finde das schon höchst interessant so mit ihm zu diskutieren ja? Und, ähm, also ich bin da auch sehr, sehr offen, ich habe auch mit ihm zum Beispiel meine Beurteilung durchgesprochen, oder ich habe dann auch diese Tests gemacht, einmal diesen Lifo Test und einmal diesen Mayers Index oder so Tests, die beurteilen praktisch wie man, ähm, wie man sich selbst verhält in nicht im Stress und in Stresssituationen, also da gibt es verschiedene Typen, welcher Typ man ist oder welche Typen man bevorzugt, und wie man aber lernen kann auch mit den anderen Typen umzugehen, die es noch gibt und auch erkennt, wie man diese anderen Typen eben einfangen kann, weil mit meiner Art kann ich das natürlich nicht, ich muss dann auf seine Wellenlänge irgendwie kommen, ja? Und das sind auch so Sachen, die habe ich dann mit ihm durchgesprochen. Wie er zum Beispiel mich sieht, weil ich denke, ich habe schon zwei, ähm, also das sagen mir zumindest die Kollegen, ich denke, ich habe schon zwei Gesichter. Also ich bin schon in der Firma wesentlich strenger, ähm, sehr konservativ gekleidet, auch vielleicht aus den früheren Erfahrungen, ähm, wirke da, glaube ich, sehr, ähm, so logikgetrieben autoritär, wobei ich glaube ich im, im, im, im so jetzt wenn ich jemanden eher auf der persönlichen Schiene kennen lerne, bin ich glaube ich eher der lustige Typ, emotionaler, aufgeschlossen so erst mal so traaaa ja? Und dann, aber da habe ich einfach die Erfahrung gemacht, dass es in dieser Welt zumindest nicht so gut ankommt. Insofern trenne ich das halt relativ gut und habe dann eben auch meine zwei, sage ich mal, Facetten, die man so erlebt und in diesen Tests kommen die aber schon bedingt wieder durch, ja. Und dann hat mir so meinte mein Mentor auch gesagt: „Warum nicht doch einsetzen und versuch doch halt vielleicht zu sagen: Okay, vielleicht nicht so wie du es machst, aber vielleicht anders halt einzusetzen.“ Weil er sagt: „Du kannst da trotzdem einen Profit draus schlagen aus deiner Art, ja? Du musst vielleicht gar nicht immer so logik- und, ähhh, getrieben oder vernunftsgetrieben einfach wirken, das kann auch anders sein.“ Das sind schon also das sind schon Sachen, denke ich, gerade zum Beispiel weil mein Mentor jetzt auch mein direkter Vorgesetzter ist, kann man bis zu einem bestimmten Punkt bestimmt sehr gut mit ihm diskutieren, aber so gewisse Punkte vielleicht dann auch irgendwann nicht mehr und das fand ich dann schon eine tolle Sache. Also ich verstehe mich mit meinem Mentor auch wirklich sehr gut, und wir a, also jetzt haben wir ein bisschen geschludert, aber ansonsten sehen wir uns eigentlich alle fünf Wochen. Es war halt bei beiden viel Stress und dann sind es mal acht geworden.
Auch wenn angeregt durch die Frage der Interviewerin die ersten Sätze der Passage vermuten lassen, dass hier von Tatjana Teubner ein Lernsetting konstruiert
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wird, in dem Lernprozesse durch Bezugnahme auf institutionelle Prozesse über Reflexionen der verschiedenen Unternehmenskulturen von Mentee und Mentor stattfinden, beschreiben die folgenden Passagen in erster Linie Lernprozesse mit Bezug zur individuellen, zur persönlichen Ebene: Tatjana Teubner macht sich selbst bzw. ihren Habitus im Rahmen der Mentoringgespräche scheinbar zum wichtigsten Referenzpunkt, und es geht ihr im Mentoringprozess darum, diesen zur Verbesserung ihrer Erfolgschancen für die berufliche Karriere zu reflektieren und für einen strategischen Einsatz bewusst zu machen. Dieses Bedürfnis der Mentee wird vom Mentor aufgegriffen, und sie scheinen in vertrauensvoller Atmosphäre einen Reflexionsraum geschaffen zu haben, in dem Tatjana Teubner durch die Außenperspektive ihres Mentors für sich wertvolle Anregungen über ihre Wirkungsweise zu bekommen scheint. Die von ihr selbst als „sehr, sehr offene“ Haltung kann vor dem Hintergrund ihrer starken Orientierung an der Leistungsnorm des Feldes (vgl. Kap. 5.2.1) als Ausdruck ihres 120%igen Einsatzes für den beruflichen Erfolg interpretiert werden. Anders jedoch als den Interviewpassagen im ersten Empirieteil zu entnehmen war, zeigt sich in den Reflexionen der Gespräche mit dem Mentor, dass Tatjana Teubner nicht nur an die vordergründig produzierte Norm des Leistungserfolgs glaubt, sondern die Rekrutierungspraxis ihres Feldes auch in Zusammenhang mit habituellen Auswahllogiken sieht. So kann ihre Auseinandersetzung mit der Außenwirkung ihrer „zwei Gesichter“ im Rahmen der Mentoringgespräche und ihren „früheren Erfahrungen“ als Hinweis darauf gelesen werden, dass sie in ihrem Feld subtile Integrations- (und Ausgrenzungs-)Mechanismen mit Bezug auf den Habitus beobachtet hat. Diese haben sie dazu geführt, bestimmte Charakterzüge im beruflichen Feld nicht zum Ausdruck zu bringen und sich stattdessen an einer Norm der „logikgetriebenen autoritären“ Form der Selbstpräsentation zu orientieren. Über die Rückmeldungen des Mentors zu ihrer „Art“ und den Einsatzmöglichkeiten ihrer verschiedenen Mentalitäten versucht Tatjana Teubner herauszufinden, inwiefern diese den informell geltenden Spielregeln zum Umgang miteinander und zur Selbstpräsentation auf Führungsebene entsprechen könnten. Erfolg wird damit als eine Persönlichkeitseigenschaft konstruiert (Neckel 2004, 65f), der im Rahmen eines Lernsettings wie dem Mentoring, erlernbar erscheint. Der Mentor lässt sich ihren Darstellungen nach auf diese Ebene der Zusammenarbeit ein, und sie bekommt die Rückmeldung von ihm, dass die Toleranz im Bereich habitueller Passungen größer ist, als sie bislang vermutet hat. Er ermuntert sie, selbstsicherer mit ihren unterschiedlichen Charakterzügen umzugehen und diese strategisch im Sinne normativer Erwartungen und Spielregeln des Feldes einzusetzen – ein Phänomen, das Neckel als „charismatische Selbstenthusiasmierung“ (ebd., 65) bezeichnet und in Autosuggestionstechniken (z.B. Neurolinguistisches Programmieren (NLP)) beobachtet, die propagieren, dass das Subjekt in sich selbst
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eine unerschöpfliche Quelle persönlicher Erfolgspotenziale sehen könne. Die beispielhaft gewählte Thematik der Gespräche zeigt, dass beide Gesprächspartner/innen das Spannungsverhältnis von individueller Disposition und institutionellen Praktiken und Regelungen einseitig auf der Ebene des Individuums, der Mentee, bearbeiten. Die informellen Spielregeln der habituellen Rekrutierungspraxis sind impliziter Teil dieses Prozesses, werden aber nicht diskursiv zugänglich gemacht und kritisch reflektiert. Stattdessen wird über den funktionalen Einsatz von Charakterzügen gesprochen. Ein Umstand, der damit zu tun haben wird, dass der Mentor die feldspezifischen Regeln des Bankwesens nicht kennt, wie aus der Unterschiedlichkeit der beiden Berufsfelder zu schließen ist. Aus Tatjana Teubners Reflexionen zum Feld ist jedenfalls zu schließen, dass sie ein praktisches Bewusstsein darüber hat, dass der persönliche Erfolg immer in Abhängigkeit zu der Feldlogik zu stehen scheint, wie ihr Hinweis auf einen Teil ihres Habitus zeigt, der „in dieser Welt [ihrem beruflichen Umfeld] zumindest nicht so gut ankommt“. Die konkreten institutionellen Praktiken und Mechanismen ihres Feldes können im Rahmen dieser Mentoringbeziehung jedoch scheinbar nicht gemeinsam bearbeitet werden, weshalb der Fokus und ein Ziel der Mentoringgespräche die ‚Selbstverbesserung’ der Mentee Teubner im Sinne einer habituellen Anpassung an vermutete subtile Rekrutierungspraktiken des beruflichen Feldes ist. Aus diesem Grund ist diese Form der Reflexion nicht mit ihrem Chef, dem ‚eigentlichen’ Mentor der Mentee möglich, worin sie einen Gewinn des Programms sieht. Denkanstöße I:
Worin sehen Sie denn Ihren persönlichen Nutzen in dem Programm?
T.T.: Na ja, ich denke halt, ähm, also er deckt mit Sicherheit noch einen Punkt auf, in dem ich mich verbessern kann, so generell, also jetzt wir haben bisher nur generell so gesprochen und gibt mir halt auch so Denkanstöße wie ich das vielleicht halt, also er ist da eigentlich relativ, also er nimmt sich jedes Mal Zeit, wir sehen uns jedes Mal drei Stunden. I:
Boah!
T.T.: Und er gibt mir da schon auch so Denkanstöße einfach mal da drüber nachzudenken, wie man es vielleicht noch machen könnte, oder wie man es oder wie ich mich auch anpassen kann oder mich darauf anpassen kann und das hilft mir schon sehr halt weiter und ich hoffe, dass das auch nicht unbedingt gleich abbricht nach dem Jahr. Vielleicht jetzt nicht mehr alle sechs Wochen, dass man sich aber trotzdem noch vierteljährlich sieht, und er ist da eigentlich auch, äh, durchaus gewillt, und das denke ich halt schon, dass das die Quintessenz sein muss, dass man sich persönlich weiterentwickelt und das denke ich findet schon, schon statt.
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Die Lesart zur ersten Interviewpassage wird in diesem Ausschnitt bestätigt. Im Sinne einer habituellen Integrations- und Ausgrenzungspraxis ihres beruflichen Feldes setzt Tatjana Teubner darauf, im Rahmen des Mentorings über Veränderungen ihres professionellen Habitus ihre Chancen auf eine berufliche Karriere zu erhöhen. Sie konstruiert dabei eine hierarchische Beziehung zwischen sich und dem Mentor, von der sie sich Anregungen erhofft. Darin sieht die Mentee Teubner eine Form der persönlichen Weiterentwicklung mit dem Ziel des beruflichen Erfolgs. Die Erwartung an die Mentoringbeziehung wurde bislang scheinbar noch nicht erfüllt, wie die an mehreren Stellen erfolgenden Relativierungen und ausbleibenden Konkretisierungen sowie die auf die Zukunft gerichtete formulierte Hoffnung belegen, obwohl Tatjana Teubner „Denkanstöße“ bekommen hat, die sie dazu angeregt haben, über alternative Handlungsweisen nachzudenken. Dabei scheint die Beratungstendenz des Mentors von der Mentee in Richtung einer habituellen Anpassung an institutionelle Praktiken und normative Erwartungen verstanden zu werden, um erfolgreich zu agieren, worin die Mentee einen Fortschritt für ihre berufliche Karriere sieht. Anders als in den Beispielen des ersten beruflichen Feldes, in dem die Mentor/innen den Mentees quasi ‚Modell’ für ihre berufliche Karrieren standen sowie klare Ratschläge mit dem Wissen um informelle Regelungen und symbolische Werte im Feld erteilen konnten, scheint das Lernarrangement in diesem Fall durch Rückfragen an die Mentee geprägt zu sein, mittels derer sie selbst für ihr Feld alternative Handlungsmuster entwickeln soll. Dies kann zum einen dem Umstand geschuldet sein, dass der Mentor über keine eigenen Erfahrungen im beruflichen Feld der Mentee verfügt und sein Bezugshorizont deshalb beschränkt ist. Das andere Arrangement kann weiterhin damit zusammen hängen, dass in diesem Fall die Identifikations- und Solidarisierungsmöglichkeit aufgrund eines anderen sozialen Geschlechts von Seiten des Mentors aus reduziert ist, das im Fall der Mentor/innen im medizinischen Feld als ein sehr prägender Einfluss auf die Mentoringbeziehung rekonstruiert werden konnte.
6.2.2 Beispiel II: Informationstechnik (IT-Bereich), Claudia Reinke Sounding-Board I:
Und wie haben Sie sich das so vorgestellt, als Sie davon gehört haben? Was ist das, was bringt mir das oder warum sollte ich überhaupt daran teilnehmen?
C.R.: Ähm, ich hab’s positiv insofern mir vorgestellt, weil ich denke, dass es immer gut ist, einfach Erfahrungen, sich über Erfahrungen auszutauschen und so eine Art wie soll ich sagen, ja Sounding-Boards sagt man immer so schön, also jemanden zu haben, dem ich
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auch mal ein Problem schildern kann, und der einfach sagt: ich weiß von deinem Umfeld erst mal gar nichts, aber als Außenstehender kommt mir das so und so vor. Also einfach der, die die eigenen vielleicht etwas fest äh gefahrenen Problemsichten klären hilft und, ähm, gut, wenn das dann noch ein erfolgreicher Manager aus ner anderen Firma ist umso besser. Also.
Claudia Reinke entfaltet hier ein Konzept des Lernens, das darin besteht, „ein Problem“ zum Anlass einer gemeinsamen Reflexion über feldspezifische Spielregeln und institutionelle Praktiken zu nehmen. Von der gemeinsamen Problematisierung wird eine Bewusstwerdung der persönlichen Prägung ihrer Sichtweise erhofft und das kennen lernen anderer Perspektiven auf das Institut und dessen institutionalisierten Praktiken durch eine distanzierte Haltung des Mentors erwartet. Die Metapher ‚Sounding-Board’ steht im Allgemeinen für eine FeedbackMethode, die dazu dient, während des Veränderungsprozesses oder Projektes immer wieder Standortbestimmungen und Reflexionen vorzunehmen. Für diese Art des Feed-Backs ist typisch, dass sie eine besondere Qualität dadurch besitzt, dass einer oder mehrere „Außenstehende“, in diesem Fall Claudia Reinkes Mentor, Rückmeldungen zu den geschilderten Problemen geben, womit losgelöst von unternehmenspolitischen Interessen und Zwängen eine konsequenzenlose Einschätzung der Situation erfolgen kann. Von Seiten Claudia Reinkes wird demnach die Erwartung formuliert, dass ein Außenstehender aufgrund der distanzierten Haltung die institutionellen Praktiken leichter erkennen und kritisch betrachten kann, was sie sich zunutze machen kann. Der Mentor wird zusätzlich als wertvoll angesehen, weil er durch seine Positionierung im Unternehmen als erfahren gilt und seine Karrierestrategien somit als bewährt einzustufen sind. Der Gegenstand der gemeinsamen Reflexion soll in diesem skizzierten Lern-Modell von Claudia Reinke die Erfahrung der Mentee in ihrem beruflichen Feld sein. Die Mentee möchte die Themen vorgeben, die dann Ausgangspunkt der nachfolgenden Auseinandersetzungen sind. Vom Mentor wird erwartet, dass er eine beobachtende und unterstützende Rolle einnimmt und seine rückgemeldeten Eindrücke als Anregungen für die Mentee versteht, sich eine Perspektivenvielfalt verschaffen zu können, um darüber zu neuen Denkmustern über feldspezifische Spielregeln zu kommen und sich Handlungsspielräume zu verschaffen. Damit wird der Lernprozess als aktive Konstruktionsleistung der Mentee beschrieben, die sich auf der Basis von Anregungen und Unterstützung in eine andere Position im beruflichen Feld bringt. Der Prozess der Auseinandersetzung und der Gewinn eines neuen Verständnisses über die feldspezifische Logik ist das Ziel des Lernprozesses in diesem Modell, und es geht nicht darum, ein bestimmtes Ziel, z.B. eine bestimmte Fähigkeit oder Fertigkeit zu erreichen. Vom Mentor werden deshalb in erster
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Linie keine Anleitungen zum Handeln und auch keine konkreten Tipps erwartet, sondern eine distanzierte Haltung gegenüber den institutionellen Praktiken im Kreditinstitut. Verschiedene Welten I:
Und wer ist ihr Mentor? Von welcher Firma ist der?
C.R.: Mein Mentor ist vom Unternehmen X, und zwar aus dem Einkauf und betreut Großkunden., ähm,. Ja, also ich würd’s mal so ausdrücken. Wir, also ich sehe ne kleine Schwierigkeit darin, dass unsere Welten unwahrscheinlich verschieden sind. Sprich, es geht immer um Produkte des Unternehmens X. Man kann natürlich Gemeinsamkeiten finden, also zum Beispiel: Wir verlagern jetzt einige Tätigkeiten ins Ausland, beim Unternehmen X gibt es entsprechend Firmen und Fabriken irgendwo in anderen Kontinenten. Also, man findet schon Parallelen, aber irgendwie sind unsere Tätigkeiten schon sehr weit voneinander entfernt. Das führt so ein bisschen dazu, dass ich sicherlich nicht so viel mitnehme, wie ich mitnehmen könnte, wenn irgendwie die Konstellation ein bisschen anders wäre. Also, ja, so würde ich’s mal ausdrücken.
Ähnliche Handlungsfelder und Tätigkeiten sind in Claudia Reinkes Lernkonzept für eine solche distanzierte Perspektive auf die feldspezifischen Spielregeln eine Grundvoraussetzung für die gemeinsame Reflexion. In diesem Fall sind jedoch die „Welten unwahrscheinlich verschieden“ zwischen Mentee Claudia Reinke und ihrem Mentor, und die Auseinandersetzung über feldspezifische Probleme und Abläufe ist deshalb erschwert – anders als von Henschel (2001, 146f) für den Fall von Diversität im Rahmen einer Community of Practice analysiert wurde. Das Problem wird von Claudia Reinke noch präzisiert: „Es geht immer um Produkte des Unternehmens X“. In Claudia Reinkes Lernkonzept sollten aber, wie oben bereits rekonstruiert, ihre Erfahrungen im Rahmen ihres beruflichen Umfeldes die Basis der Auseinandersetzung sein sowie sie sich feldspezifisches Wissen über Spielregeln erhofft hatte. Damit wird angedeutet, dass die Gespräche nicht nur aufgrund fehlender Gemeinsamkeiten bei der beruflichen Tätigkeit erschwert werden, sondern dass darüber hinaus auch Unterschiede zwischen den Lernkonzepten von Mentee und Mentor bestehen, die den Mentoringprozess im Sinne der Erarbeitung einer Perspektivenvielfalt behindern. Dieses Problem zu beheben bemüht, sucht Claudia Reinke nach Ähnlichkeiten zwischen den Arbeitswelten, um aus den angesprochenen Themen etwas für sich „mitnehmen“ zu können, sprich, aufgrund ähnlicher Praktiken in den beruflichen Feldern auf ähnliche Spielregeln zwischen diesen schließen zu können. Solche „Parallelen“ finden sich auf der Ebene der Organisationsstrategien, aber nicht auf der Ebene ihres persönlichen beruflichen Handelns, weshalb sie letztlich „nicht so viel mitnehme“, wie sie „mitnehmen könnte, wenn irgendwie die Konstellation ein
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bisschen anders wäre“. Dieser Argumentation folgend hieße, dass zwei Varianten größere Zufriedenheit beim Mentoringprozess bewirken könnten: a) ähnlichere Arbeitswelten zwischen Mentee und Mentor zur Aneignung feldspezifischen Wissens und b) Lernkonzepte von Mentee und Mentor/in, die die Reflexion feldspezifischer Logiken fokussieren. Ein Annäherungsversuch auf diesen Ebenen erfolgt durch Claudia Reinke. Von Seiten des Mentors scheint dies nicht der Fall zu sein. Hier tritt die hierarchische Dimension des Mentoringsettings erneut deutlich hervor: Der Umgang mit den unterschiedlichen Lernkonzepten und Arbeitswelten zeigt, dass der Mentor mit seinem Lernkonzept und seinen feldspezifischen Bezügen das Setting dominiert. Frau Reinke bleibt nur die Reaktion darauf, die ganz im Zeichen eines stark hierarchischen Settings in einer einseitigen Anpassungsleistung besteht. Geringer Input I:
Was sind das dann so für Themen, über die Sie dann reden können, oder was machen Sie dann zum Thema?
C.R.: Also prinzipiell ist es so, dass das ja Mentee und Mentor sich selbst überlassen bleibt., ähm, wobei ich sagen muss, dass mein Mentor halt relativ passiv ist. Also insofern, dass ich einen Themenvorschlag mache und, ähm, von ihm relativ wenig als Anstoß kommt. Also die, ich hatte mir ein bisschen mehr vorgestellt, ja wie soll ich es ausdrücken, dass der Mentor auch durch Fragen und durch entsprechende Anregungen von seiner Seite eben auch hilft, der Mentee auf den Problemen überhaupt erst mal auf die Spur zu kommen. Und, ähm, das funktioniert nicht so gut, ganz einfach deshalb, weil er von sich aus relativ wenig Input erst mal liefert. Also er macht sich im, im in der Vorbereitung des Gesprächs nicht so übermäßig viel Gedanken, was er mich denn zum Beispiel fragen könnte. Sondern es läuft eigentlich so, dass ich so eine initiale Frage stelle, und er natürlich dann aus seinem reichen Erfahrungsschatz zu dem Thema berichtet., ähm, aber es ist so ein bisschen, es bleibt irgendwie so einseitig, also irgendwie die Richtung ist immer nur diese eine. Aber ich nehme an, dass das auch an den beteiligten Personen dann einfach liegt.
Die Gestaltungsfreiheit für die Mentoringtreffen ist für Claudia Reinke eine gemeinsame Chance und Herausforderung für Mentee und Mentor. Ihr Mentor erfüllt aus ihrer Perspektive aber nicht die ihm zugedachte Aufgabe, die darin bestünde, ihre berufliche Situation und Umfeld zu erforschen und gemeinsam Probleme und damit zusammenhängende Aufgaben heraus zu arbeiten. Zwar greift er die durch Claudia Reinke eingebrachten Themen auf, aber abgesehen davon stellt der Mentor keinen Bezug her zwischen seinen Erfahrungen und dem Arbeitskontext Claudia Reinkes. Ihre Erfahrungen werden nicht in ihrem institutionellen Kontext gemeinsam reflektiert, was von der Mentee bedauert wird. Damit zeigt sich auf kommunikativer Ebene erneut die Konfrontation von zwei verschiedenen Lernkonzepten für das Setting sowie die im Umgang damit zum
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Ausdruck gebrachte Hierarchie zwischen Mentee und Mentor: Auf Seiten der Mentee herrscht die Vorstellung, mittels kommunikativer Mittel (Beschreibung, Feed-Back, Reflexion) gemeinsam Probleme mit feldspezifischen Praktiken und Spielregeln zu entdecken und zu benennen und auf dieser Basis Lösungsmuster im Umgang mit diesen zu entwickeln; auf Seiten des Mentors herrscht die Vorstellung, mittels weitergegebener Erfahrungen (‚Trichterprinzip’) aus seinem beruflichen Feld das Wissen der Mentee zu vergrößern. Dies kann auch als Ausdruck der Schwierigkeit gesehen werden, dass der Mentor keine persönlichen Erfahrungen im beruflichen Feld der Mentee gemacht hat und entsprechend kein feldspezifisches Wissen über Spielregeln, Praktiken, Prozesse und normative Erwartungen besitzt. Gerade diese Fremdheit hätte sich das Mentoringpaar aber nach Henschel im Sinne einer Entfaltung diverser Perspektiven auf das Feld der Mentee zunutze machen können, um Spielregeln im Bankwesen über Integrations- und Ausgrenzungsprozesse aufspüren und reflektieren zu können. Diesen Transfer vom Erfahrungshorizont des Mentors auf den Kontext der Mentee musste Claudia Reinke jedoch alleine leisten. Das Kommunikationsmuster weist damit eine Einseitigkeit auf, die von ihr beklagt wird. Die damit einhergehende schärfere Kritik zeigt die Unzufriedenheit mit dem Ablauf der Mentoringtreffen aufgrund der nicht übereinstimmenden Lernkonzepte und der fehlenden Kooperationsfähigkeit des Mentors zur Erarbeitung der feldspezifischen Logik des Bankwesens und seiner Spielregeln. Hier wird sehr deutlich eine Schuld an den Mentor adressiert. Ein Wechsel auf die Meta-Ebene der Kommunikation, um ihre Unzufriedenheit über diese ausbleibende Ebene der Reflexion zu thematisieren, erfolgt nicht. Dies belegt erneut die hierarchische Beziehung, die sich zwischen der Mentee und dem Mentor entwickelt hat (Claudia Reinke fragt, der Mentor antwortet) und die aufgrund der Programmanlage wenig erstaunt. Sie ‚erlaubt’ Claudia Reinke nicht – im Sinne einer unausgesprochenen herrschenden Spielregel – die Anregung eines solchen Wechsels in der Kommunikation, da sie sich damit auf eine Ebene mit dem Mentor stellen würde. Meinungsverschiedenheiten I:
Ist das ein Thema in den Gesprächen mit Ihrem Mentor eigentlich? Also geschlechtsspezifische Frauen- und Männerkarrieren oder so?
C.R.: ((lacht)) Ja, neee, ich würde das mal so sagen. Wir hatten das Thema Work-Life-Balance jetzt mal vor ein paar, vorletztes Mal, glaube ich, als wir uns trafen. Und äh das ist ein Thema, bei dem ich nicht wirklich mit ihm übereinstimme. Also da kam so ein bisschen an: „Familie und so weiter das geht alles, man muss dann aber auf Karriere verzichten.“ Also, ähm, neutral erst mal wer? Ja? Also wobei eigentlich rüber kam, bei ihm persönlich wollte die Frau das auch wie er sagt, hat also die Frau auf Karriere verzichtet für die drei
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Kinder, die sie haben, ähm, er ist aber der Meinung, dass niemand ein Kind so gut betreut wie die Mutter. So und an der Stelle habe ich allerdings das Proble, äh, das Gespräch dann umgelenkt, weil ich mir gesagt hab, das macht keinen Sinn, wenn jemand eine solche Meinung hat in dem Alter, dann werde ich die nicht mehr ändern, ja? Auf der anderen Seite ist natürlich insofern frustrierend, dass ich mir sage, wär eigentlich ein wichtiges Thema, kann ich mit ihm nicht wirklich besprechen, weil er eine sehr unflexible festgefahrene Meinung dazu hat, wo ich dann auch keine konstruktive, kein konstruktives Gespräch irgendwo möglich sehe. Ja also mit welchem Vorschlag soll ich kommen, wenn diese Meinung bei ihm so fest sitzt. I:
Ja.
C.R.: Gut, also das ist ein Thema, wo man nicht wirklich viel miteinander reden kann. I:
Ja, weil natürlich schon implizit die Erwartung da ist, also wenn Sie Karriere machen wollen so ungefähr, dann ist nichts mit Kinder kriegen
C.R.: Genau, ja oder ja, ähm, ich werde die Rabenmutter, bei der der Vater dann zu Hause bleibt, also. I:
Ja, das stimmt, die armen Kinder so ungefähr.
C.R.: Genau. Ja und dann auch noch ne andere Sache, also, ähm, was also, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, ich finde es, äh, eigentlich falsch, und ich denke auch, dass man es anders kann, äh, aber die Aussagen kamen so ungefähr: „Also, mein Handy ist niemals ausgeschaltet, auch nicht im Urlaub. Also, ich bin rund um die Uhr, Tag und Nacht und Feiertag und so weiter verfügbar, öh, und das muss auch so sein.“ Und das ist eigentlich was, woran ich so arbeite, dass es bei mir nicht so ist, und wo ich der Meinung bin, dass man einfach durch die Qualifikation seiner Mitarbeiter dafür sorgen muss, dass man eben nicht der einzige Faden ist, an dem alles hängt. Aber da gibt es eben auch unterschiedliche Meinungen drüber.
Das Problem der divergierenden Lernkonzepte zwischen Mentee und Mentor, das sich bereits in den vorangegangenen Passagen gezeigt hat, kann an dieser Interviewpassage weiter ausdifferenziert werden. Aus den Darstellungen der Mentee Reinke lässt sich ihre konkrete Vorstellung erkennen, im Rahmen der Mentoringbeziehung die individuellen Bedürfnisse und Wünsche zur Gestaltung der Berufsbiographie und des beruflichen Handelns in Beziehung zum Feld und dessen institutionalisierten Praktiken und normativen Erwartungen zu setzen sowie vor diesem Hintergrund gemeinsam Lösungsmuster für die persönliche Gestaltung der Berufsbiographie und das professionelle Handelns zu entwickeln. Wie an den rekonstruierten Formulierungen des Mentors deutlich wird, scheint diese Unterscheidung von Perspektiven für ihn kein relevanter Ausgangspunkt von Reflexionen zu sein. Jedenfalls entsteht durch die wiedergegebenen Äußerungen der Eindruck, dass der Mentor sich im Wesentlichen für eine Orientierung an den institutionalisierten Erwartungsmustern seines beruflichen Feldes auszusprechen scheint. Zumindest deuten die von der Mentee wahrgenommenen Äußerungen über seine Art der Vereinbarung von Familien- und Berufsleben
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bzw. Berufstätigkeit und Privatzeit keine Brüche zwischen den normativen Erwartungen des Feldes und seinen eigenen Bedürfnissen oder Vorstellungen an. Daraus und aufgrund seiner erfolgreich verlaufen(d)en Berufsbiographie, die er auf eine Orientierung an diesen Vorgaben zurückzuführen scheint, resultiert wohl auch deren – unhinterfragte - Weitergabe an die Mentee. So fehlt auch eine kritische Distanz hinsichtlich der weitertransportierten normativen Erwartung an eine Mutterschaft bzw. berufstätige Mütter, wie das Beispiel der Familiengründung zeigt, die eine andere Brisanz für die Mentee besitzt, als sie für den Mentor je besessen hat. Aber auch in diesem Fall stimmt die institutionell konstruierte normative Erwartung der vollen Einsatzbereitschaft mit den Vorstellungen des Mentors über Elternschaft und Vereinbarkeitsmodellen von Beruf und Familie überein, so dass er ungebrochen die normativen Vorstellungen eines Berufstätigkeitsmodells konstruieren kann, das im Fall der Familiengründung nur Männern eine Karriere ‚erlaubt’. Aus der Bedeutung, die Claudia Reinke dem Thema der Vereinbarkeit im Rahmen der Mentoringgespräche unter anderen Voraussetzungen gerne geschenkt hätte, lässt darauf schließen, dass in ihrem Feld auch Schwierigkeiten mit der Frage der Vereinbarung von Familie und Karriere für Frauen verbunden sind und vergeschlechtlichte Spielregeln herrschen. Sie geht in dieser Passage aber nicht weiter darauf ein. Anders bei dem zweiten Beispiel zur Einsatzbereitschaft für den Beruf. Hier zeigt sich an den Formulierungen Claudia Reinkes, dass die Norm der permanenten Arbeitsbereitschaft auch in ihrem Berufsfeld Gültigkeit zu besitzen scheint, wobei sie aber anders als ihr Mentor versucht, dieser Norm in der Praxis entgegenzuwirken und sie zu entkräften sowie für sich eine individuelle Lösung im Umgang mit dieser Norm zu finden. Ihre Art der Argumentation lässt dabei darauf schließen, dass sie ihre Strategie sowohl unter Berücksichtigung eigener als auch Unternehmensinteressen zu entwickeln versucht, woran sich erneut die Übernahme verschiedener Perspektiven auf institutionelle Praktiken zeigt, die der Mentor in ihren Augen nicht besitzt. Der Mentor scheint seine Aufgabe stattdessen darin zu sehen, der Mentee die normativen Erwartungen, mit denen er in seiner beruflichen Laufbahn konfrontiert war weiter zu vermitteln, wohingegen die Mentee ein Interesse daran hat, diese und andere, in ihrem beruflichen Feld relevante, normativen Erwartungen und feldspezifischen Spielregeln aufzuspüren und diese vor dem Hintergrund eigener Vorstellungen kritisch zu hinterfragen bzw. individuelle Lösungsmuster für den Umgang mit problematischen Aspekten dieser Normen zu entwickeln. Eine solche Art der Zusammenarbeit ist jedoch mit dem Mentor dadurch erschwert, da er nicht nur zum Feld der Mentee Reinke und dessen institutionalisierten Praktiken und normativen Erwartungen keine interessierte und zugleich distanzierte Haltung einzunehmen scheint, sondern auch gegenüber
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seinem eigenen Berufsfeld und dessen Logik keine Haltung präsentiert, die durch eine kritische Distanz geprägt wäre. Seine Ratschläge für eine erfolgreiche Karriere besitzen deshalb in Claudia Reinkes Augen keine besondere Qualität, da sie lediglich auf der Ebene (unternehmensförderlicher) normativer Erwartungen liegen und eine Anpassung an diese Anforderungen beinhalten. 6.2.3 Beispiel III: Kreditrisiko-Prüfstelle (Credit Risk Management), Melanie Seiters Vogelperspektive I:
Was hatten Sie sich davon erhofft? Wie haben Sie sich das vorgestellt, das Mentoring?
M.S.: Ähm, also einmal, also ein, ein, ein Grund natürlich warum ich da gerne mitmachen will, weil man ein Netzwerk aufbauen kann, und, äh, nichts ist wichtiger in dieser Bank als ein Netzwerk zu haben. Zum Zweiten hoffe ich oder glaube ich, dass man einfach mal Themen besprechen kann, die einem auf dem Herzen liegen, mit dem man, der so ein bisschen, also deswegen mag ich das Cross-Mentoring eigentlich auch, der mal so ein bisschen außenstehend ist und, ähm, einfach mal von der Vogelperspektive drauf gucken kann und einem ein bisschen Feed-Back geben kann und weil man vielleicht auch Sachen diskutieren kann, die, wenn das jetzt ein innerbetriebliches Mentoring ist, vielleicht doch nicht erzählen kann, weil da kennt der eine den und der kennt den und dann ist es schon wieder alles kompliziert, ja, und man muss aufpassen, und insofern, ähm, habe ich mir davon versprochen, einfach mal über Sachen zu diskutieren, einfach auch mal zu hören, wie läuft es bei anderen Firmen und wie wird es da ‚gehandlet’ und vielleicht da Ideen zu bekommen. Äh außerdem glaube ich, solange man Interesse an der Bank zeigt und ich denke, das ist auch eine Art von Interesse an der Bank zeigen, hat die Bank vielleicht weniger Interesse einen fallen zu lassen? Ganz uneigennützig ((schmunzelt)). Und es ist ja eine Sache, die auch Spaß macht, also es ist ja jetzt nicht ein, weiß ich nicht, ewiges Zeit-raubendes Irgendwas, sondern es ist, wenn man es schafft sich zu treffen, ist es ja auch, äh, interessant und witzig und, ähm, also so gestern war zum Beispiel wieder so eine von den großen Veranstaltungen, deshalb habe ich auch Frau Reinke und Frau Meissner getroffen, das war, also man ja, das ist einfach nett, ja? Mal irgendwie mit den Leuten zu reden und da mal zu hören, wie es überall läuft und wie die Stimmung ist, weil daran kann man auch immer so ein bisschen ablesen, wo es so hingeht. Also, ich habe mir jetzt nicht versprochen, dass ich dadurch, weiß ich nicht, morgen, ähm, Chef von sonst was bin, aber ja, mal wieder ein bisschen über den Tellerrand gucken und und äh andere Bereiche sehen und so.
Selbstverständlich erscheint Melanie Seiters der Netzwerkgedanke, der bei jeder Art des Kontakts mit anderen mitzuschwingen scheint. Netzwerke sind in ihren Augen das A und O, eine absolute Notwendigkeit für erfolgreiches Arbeiten in ihrem Arbeitsumfeld, macht sie doch die Erfahrung, dass berufliche Karrieren in erster Linie stark durch soziales Kapital beeinflusst sind. In einem solchen Umfeld scheint es extrem wichtig, vernetzt zu sein, sprich bei wichtigen Entschei-
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dungsträgern bekannt zu sein, über Informant/innen zu verfügen, soziale Unterstützung z.B. in Form von Fürsprecher/innen zu haben, usw. Melanie Seiters ist sich der Logik und Spielregeln ihres Arbeitskontextes scheinbar sehr bewusst, reagiert diesem institutionellen Muster entsprechend und baut sich strategisch ein Netzwerk auf – unter anderem mit Hilfe des Mentorings. Des Weiteren erhofft sich Melanie Seiters eine Gesprächsatmosphäre aufgrund des externen Status des Mentors/der Mentorin, die „einfach“ - ohne strategische Vorüberlegungen – erlaubt, über Themen zu reden, „die einem auf dem Herzen liegen“. Neben dem damit zum Ausdruck gebrachten Wunsch nach einer vertraulichen Atmosphäre, die auch das Thematisieren persönlich wichtiger Dinge erlaubt, enthält dieser Ausdruck den Hinweis auf feldspezifische Spielregeln, die die bankinterne Kommunikation regulieren. So lässt sich aus dem Beispiel schließen, dass Loyalität ein zentrales zu beachtendes Kriterium zu sein scheint, das im Falle eines Bruchs die Karriere gefährden könnte. Der/die „so ein bisschen außenstehende“ Mentor/Mentorin kann vor diesem Hintergrund verstanden werden als jemand, der/die nicht involviert ist in die institutionellen Spielregeln und Machtkämpfe, weshalb Melanie Seiters durch eine offene Schilderung über feldspezifische Probleme nicht in Loyalitätskonflikte kommt, da „der eine den kennt und der kennt den“ usw., was die Gespräche ‚verkomplizieren’ und eine strategische Umgehensweise erforderlich machen würde. Besonders aufgrund „des Cross-Aspekts“ stellt sie sich das Mentoring als ein vielseitiges Lernarrangement vor, bei dem man „einfach mal über Sachen diskutieren“ kann, „einfach auch mal zuhören“ kann, wie es bei „anderen Firmen läuft“, wie dort „gehandlet“ wird, wodurch man neue „Ideen“ bekommen kann. Mit Neugierde, Offenheit und Interesse geht sie demnach die Mentoringgespräche an und möchte neue Perspektiven gewinnen sowie ihren Horizont erweitern. Implizit wird damit angedeutet, dass sie so einen Einblick in Spielregeln und normative Erwartungen anderer beruflicher Felder bekommt, der den Blick auf das eigene berufliche Feld und dessen Reproduktionsmechanismen sowie alternativen Handlungsmöglichkeiten schärfen kann. Ein weiteres Motiv, das sich in der Passage zur Teilnahme zeigt, ist, sich ihren Arbeitsplatz zu sichern. Dabei wird implizit eine Spielregel des Engagements und der Verantwortung für Berufskarrieren konstruiert, das die Norm des Leistungserfolgs stützt und Ausdruck unternehmerischer Interessen ist: Erscheint der/die Arbeitnehmer/in nicht als interessiert und engagiert, ist ein „FallenLassen“ von Seiten des Arbeitgebers legitim. Der/die Arbeitnehmer/in hat letztlich nur die Möglichkeit, das Interesse des Arbeitgebers an einer Kündigung zu minimieren. Tut er/sie das nicht, erhöht sich schon dadurch das Risiko einer Kündigung! Sich selbst präsentiert Melanie Seiters in diesem Kontext als ‚eigennützig’, wenn sie im Sinne dieser Spielregel strategisch versucht ihre Bindung an
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die Bank zu stärken. Wie schon bei der Auswahl von Mentees schreibt Melanie Seiters auch in diesem Punkt die Verantwortung für den Job und die Karriere in erster Linie den Einzelnen zu und reproduziert damit eine Norm des Leistungserfolgs, die den Arbeitgeber davon entlastet, Verantwortung zu übernehmen. Darin zeigen sich die Übernahme einer institutionalisierten Norm und die sie unterstützende Spielregel durch die Mentee. Sich des funktionalen Charakters dieser Motivationsdarstellung bewusst, betont Melanie Seiters im nächsten Abschnitt zur Heilung dessen, dass es sich um „eine Sache [handelt], die auch Spaß macht“. Das Mentoring bekommt damit auch als solches eine sinnvolle Bedeutung zugeschrieben und nicht nur im Sinne der Norm des Leistungserfolgs in seiner Funktion der Arbeitsplatzsicherung. „Wenn man es schafft sich zu treffen“ bedeutet wohl, dass Mentoring bei allen Beteiligten nicht an erster Stelle auf der Prioritätenliste steht, sich aber dennoch Freude einstellt, wenn es zu einem Treffen kommt, denn dann „ist es ja auch äh interessant und witzig“. Als Beispiel für den spaßigen Teil des Mentorings erzählt Melanie Seiters von einer Großveranstaltung am Vorabend. Dort hat sie andere Mentees getroffen, die ihr sympathisch zu sein scheinen und mit denen die Unterhaltung unkompliziert und lustig erscheint. Das Unterhaltende verbindet sie auch bei diesem Teil des Mentorings mit dem BeruflichInteressanten, da sie über das „reden“ und das „hören, wie es überall läuft und wie die Stimmung ist“ aktuelle und unter Umständen karriererelevante Unternehmenspolitik in Erfahrung bringen kann. Dieser Gewinn erscheint ihr wohl nicht so groß, wie ihre erklärenden Ausführungen zum Ende dieser Passage andeuten, er entspricht aber ihren Erwartungen, die auch nicht gewesen seien, danach „Chef von sonst was“ zu werden. Vielmehr hatte sie damit verbunden „mal wieder ein bisschen über den Tellerrand [zu] gucken und äh andere Bereiche [zu] sehen und so“, also ihren Horizont zu erweitern, was ihr der Darstellungsform nach wohl auch gelingt, in die Tat umzusetzen. Die gesamte Passage mit dem zu Anfang genannten primären Wunsch nach einem vergrößerten sozialen Netzwerk in der Bank als wichtigste Ressource für den beruflichen Erfolg, der dem nachgeordneten Interesse an einer Mentoringbeziehung und dem spontanen Bericht über das Treffen der anderen Mentees auf der Mentoringrahmenveranstaltung könnte ein Hinweis darauf sein, dass ihr das Treffen auf der Peer-Ebene wichtiger ist und karrieremäßig relevanter erscheint als die Mentoringtreffen mit ihrer Mentorin. Auch dies könnte etwas damit zu tun haben, dass durch das gemeinsame berufliche Feld der Mentees ein Austausch über karriererelevante informelle Spielregeln und Praktiken möglich ist sowie eine lebensweltlich ähnliche Lebenssituation Solidaritäts- und Identifikati-
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onsmöglichkeiten schafft. Näheres über die Treffen zwischen Melanie Seiters und ihrer Mentorin werden die nächsten Passagen zeigen. An Sachen herumdoktorn I:
Und was haben Sie so für Themen?
M.S.: Hm, also sie ist jemand, die möchte nicht gerne über abstrakte Dinge reden, es gibt ja ganz unterschiedliche Mentoren. Manche Mentoren möchten über Zeitmanagement reden, sie ist eher jemand, die sagt: „Okay, gib mir irgendein Beispiel, ich denke mich da rein und dann gucken wir mal, wie ich es ‚gehandlet’ hätte, so.“ Also sie ist jemand, die lieber an konkreten Sachen herumdoktort, insofern geht es meistens darum, wenn ich zum Beispiel, also was jetzt Leitungsfunktion angeht, wenn wir, in kleiner Form, unsere Reviews leiten, wenn ich ein Review leite, ja? Gucken, wie gehe ich jetzt mit verschiedenen Charakteren um, die da drin sind, die normalerweise auf einer Stufe sind, ähm, wenn irgend etwas nicht läuft, wie man es anpacken kann. Also, dann erzähle ich halt, wie ich es gemacht habe, was was das Ergebnis war und sie sagt halt „Okay, hätte man vielleicht auch so machen können oder so“. Oder es ging mal eine Zeit lang darum, ob ich mich jetzt beruflich verändere oder nicht. Also ob ich mich, ähm, also da hatte ich mal vom Reisen wirklich mal die Schnauze voll auch, ja? Wenn ich es mal so lapidar sagen darf, ja? Ja, das war dann, da war ich richtig genervt davon eigentlich, und, ähm, dann ging’s halt darum, ob ich dann doch mal wieder mich irgendwo niederlasse und nicht durch die Gegend fliege oder, ähm, also so, an konkreten Sachen einfach. Und, ähm, also ich finde es einfach ganz erfrischend immer. Sie ist auch sehr, sie ist eine ganz toughe und, ähm, ziemlich viel also pushi, pushi dahinter und sehr kreativ natürlich als Media Art Director und, ähm, insofern ist es sehr spannend.
Die Mentorin gibt klar zu verstehen, um was für eine Art von Mentoringgesprächen es sich handeln sollte. So wird Melanie Seiters von ihrer Mentorin aufgefordert, konkrete Arbeitssituationen zu schildern, mit denen sie sich im Anschluss daran auseinandersetzen. Über „abstrakte Dinge“ wie „Zeitmanagement“ möchte ihre Mentorin nicht reden. Sie scheint Probleme vor allem als Handlungsprobleme zu definieren, die verknüpft sind mit einer alltäglichen Praxis und zwar einer beruflichen Praxis aus dem Zentrum der Arbeit. Das zeigt ein Verständnis der Mentorin von situierter Praxis und eine Form der Problemlösungsstrategie, die den Kontext des Problems berücksichtigt. Die zitierte Aufforderung „Okay, gib mir irgendein Beispiel….“ lässt nicht nur erkennen, dass die Mentorin sich als beruflich sehr erfahren und geübt in Beratungssituationen präsentiert. Sie zeigt damit, auch wenn sie dies explizit nicht so zu benennen scheint, dass sie sich entsprechend ihrem Verständnis situierter Praxis über die Schilderungen Melanie Seiters ein Bild über die institutionellen Praktiken im Bankwesen und die Probleme verschaffen möchte, die sich aus Spielregeln und normativen Erwartungen für Melanie Seiters ergeben und reflektiert diese Eindrücke im Hinblick auf ihre eigenen Erfahrungen. Dabei geht
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es ihr primär um den Entwurf neuer Handlungsmöglichkeiten und um das Verstehen der Situationen, sprich um eine explizite Reflexion des Verhältnisses institutioneller Bedingungen und individueller Bedürfnisse bzw. Dispositionen. Sie kann sich aber in „irgendein Beispiel“ aus dem Berufsalltag Melanie Seiters hineindenken und ihr beschreiben, wie sie in einer solchen Situation gehandelt hätte. Darin kommt ein Lernkonzept zum Ausdruck, das dem Modell-Lernen Bandura (1967)68 ähnelt: Die Mentorin steht Melanie Seiters quasi Modell mit ihren Problemlösungsstrategien und gibt Einblicke in ihre Interpretation feldspezifischer Spielregeln und Handlungsoptionen. Mit diesem Konzept wird zwar ein hierarchisches Beziehungsmuster in den Gesprächen aktiviert, denn die Mentorin tritt als Professionellere auf, die einen deutlichen Erfahrungsvorsprung vor Melanie Seiters hat, von dem die Mentee aber zu profitieren scheint. Neben dem Modell-Charakter impliziert ein Teil des Kommunikationsmusters ein klassisches Lehrerinnen-Schülerinnen-Verhältnis: Die Mentorin fordert einen Beitrag von Melanie Seiters und bewertet diesen im Anschluss daran. Ein anderer Teil erinnert an ein Ärztinnen-Patientinnen-Verhältnis, da die Mentorin „an konkreten Sachen herumdoktort“, Melanie Seiters sorgt für den „Fall“ und die Mentorin wirft den professionellen Blick darauf und ‚bearbeitet’ diesen. Die Entwicklung von Lösungen erfolgt dementsprechend auch nur durch die Mentorin - nicht durch Melanie Seiters und auch nicht durch einen gemeinsamen Prozess. Melanie Seiters bekommt in diesem Prozess demnach eine wichtige Gestaltungsfunktion zugesprochen, hat aber in der Mitbestimmung der Gespräche eine eher untergeordnete Rolle. Dass sie dies nicht als störend erlebt, mag daran liegen, dass sie in den Beschreibungen ihrer Mentorin den Gewinn impliziten Spielregelwissens erkennt und/oder die übergeordnete Stellung einer Mentorin für selbstverständlich erachtet. Die Gespräche zwischen Melanie Seiters und ihrer Mentorin scheinen eine klare Struktur mit einem wiederkehrenden Muster zu haben nach dem Muster: Aufforderung Melanie Seiters, ein Gesprächsthema zu wählen - Melanie Seiters ‚Berufsalltagsbeispiel’ - Feed-Back der Mentorin - Entwurf von Handlungsalternativen durch die Mentorin. Melanie Seiters hat das Gefühl, über diese Art der Zusammenarbeit ein sehr klares Bild von der Mentorin gewonnen zu haben, die ihre Zusammenarbeit stark dominiert. Der Kontrast zwischen den klaren und knappen ‚Anweisungen’ der Mentorin und den beispielhaft dargestellten Problemsituationen aus Melanie Seiters 68
Mit dem Begriff Modell-Lernen wird an die sozial-kognitive Lerntheorie Banduras (1967) angeknüpft. Der für die eigene Arbeit relevante Aspekt der Theorie ist, dass im Rahmen des Mentoringprogramms eine Erweiterung des Verhaltensrepertoires der Mentees beschrieben wird, die in Anlehnung an Banduras Theorie als Modell-Lernen zwischen Mentee und Mentor/in bezeichnet werden kann.
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Berufsalltag, die auf die Komplexität der Situationen verweisen könnten ein Hinweis darauf sein, dass Melanie Seiters und ihre Mentorin unterschiedliche Reflexionsmuster hinsichtlich der Dauer und der Intensität von Reflexionen haben (kurz und knapp vs. lang und ausführlich). Da sie aber beide an konkreten Lösungen für Problemsituationen interessiert sind, scheint die Interaktion dennoch zu funktionieren. Wohl auch deshalb, da Melanie Seiters sich sehr an die Vorstellungen der Mentorin anzupassen scheint und deren Anweisungen und Erwartungen zu entsprechen versucht. Themensuche I:
Wie stellen Sie sich denn Ihre zukünftige Mentoringbeziehung vor und was wünschen Sie sich noch so vom Mentoringprogramm?
M.S.: Ähm, also was ich mir wünschen würde, wäre, dass es nicht in einem halben Jahr ganz zu Ende ist, sondern dass die Beziehung, die wir da haben, wenn was ist, aufrechterhalten bleibt. Was ich mir für das nächste halbe Jahr wünsch ist, dass ich weiterhin viele interessante Themen finde, die vorzubereiten, weil es ist ehrlich gesagt, gar nicht so einfach, wenn man auch selber in Gedanken ist und vieles anderes zu tun hat, sich vorzubereiten und auch sinnvolle Themen zu finden. I:
Für das Gespräch mit der Mentorin?
M.S.: Für das Gespräch genau, weil ich denke schon, man sollte das gut vorbereiten, aber es ist halt, wenn gerade nichts ansteht, dann ist es schon schwierig, ja man hat das Gefühl, man muss sich was aus den Fingern saugen und nichts ist schlimmer. Weil sie ist auch nicht doof, sie merkt das (lacht).
Auf die Frage, was sich Melanie Seiters für die Zukunft hinsichtlich des Mentoringprogramms wünscht, ist die Antwort, dass der Kontakt zu ihrer Mentorin nicht „ganz zu Ende“ geht, sondern dass im Bedarfsfall „wenn was ist“ Kontakt zueinander hergestellt werden kann. Dies ist ein Beleg dafür, dass Melanie Seiters die Ratschläge und Rückmeldungen ihrer Mentorin schätzt und als hilfreich erachtet. Interessant ist, dass sich Melanie Seiters an zweiter Stelle wünscht, dass ihr „weiterhin viele interessante Themen“ für die Gespräche mit ihrer Mentorin einfallen. Dies zeigt, dass Melanie Seiters die Inhalte der Gespräche bestimmen kann, dass sie dies aber auch unter großem Druck tun muss und die Erwartungen an sie durch die Mentorin sehr hoch sind, wie die nachfolgenden Sätze zeigen: „weil es ist ehrlich gesagt gar nicht so einfach, wenn man auch selber in Gedanken ist und vieles anderes zu tun hat, sich vorzubereiten und auch sinnvolle Themen zu finden“. Nicht alle Themen scheinen sich aus Sicht der Mentorin für das Mentoring zu eignen, und „sinnvolle Themen zu finden“ ist für Melanie Seiters oftmals eine zusätzliche Belastung zum Arbeitsalltag. Die Gespräche
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finden also auch unabhängig von ihrem Bedürfnis nach Beratung oder FeedBack zu einem Thema statt, und es hat sich ein Interaktionsmuster entwickelt, bei dem Melanie Seiters sich in die Pflicht genommen fühlt, einen passenden Inhalt für die Gespräche zu finden. Ein Muster der klaren Rollenverteilung zeigt sich hier: Nicht gemeinsam wird nach Themen und Problemen gesucht, sondern Melanie Seiters obliegt die Aufgabe, einen ‚Input’ aus ihrem beruflichen Feld zu liefern, steht sozusagen in der Bringschuld für ein Beispiel, und die Mentorin übernimmt die Aufgabe, dieses Beispiel zu bearbeiten. Hat Melanie Seiters kein ‚passendes’ Problem zur Hand, dann hat sie das Gefühl, sich ‚was aus den Fingern saugen’ zu müssen, damit das Interaktionsmuster fortgesetzt werden kann. Ein Wechsel der Kommunikation auf eine Meta-Ebene, auf der thematisiert werden könnte, dass Melanie Seiters in der aktuellen Situation kein spezifisches Beratungsbedürfnis hat, scheint demnach nicht möglich zu sein. Stattdessen versucht Melanie Seiters den Anspruch zu erfüllen, riskiert dabei aber, ob eines ‚nichtigen Themas entlarvt’ zu werden, was zu einer sehr unangenehmen Situation für beide führen kann. Was sich hier zeigt ist, dass primär die Bedürfnisse und Erwartungen der Mentorin (!) erfüllt sein müssen, damit sich eine angenehme und produktive Gesprächsatmosphäre einstellen kann. Hat Melanie Seiters zufällig ein Problem, das sich für das Mentoringgespräch eignet, nämlich ein Verhaltensproblem, das auch im Bezugshorizont der Mentorin liegt, scheint das Treffen gewinnbringend für Melanie Seiters zu verlaufen. Kann sie mit keinem passenden Problem dienen, stellen die Treffen für Melanie Seiters eine Belastung dar, da ‚abstrakte’ Fragen und Probleme von der Mentorin scheinbar nicht akzeptiert werden. Die Erwartungshaltung der Mentorin scheint die zu sein, ausschließlich auf der Ebene von Verhaltensproblemen reden zu können. Solche Probleme scheinen bei Melanie Seiters seltener der Fall zu sein als die Mentoringtreffen stattfinden, was als Zeichen eines relativ sicheren Umgangs der Mentee mit feldspezifischen Spielregeln gedeutet werden kann. Dies bringt Schwierigkeiten für das Mentoringsetting mit sich, da Melanie Seiters darin die Erfahrung macht, dass sich solche Probleme aus einer tatsächlichen Praxis ergeben müssen. Für das Setting erfunden, kommt eine Kommunikation über sie schnell an ihre Grenzen.
6.2.4 Zusammenfassung In allen drei Fällen des Bankwesens wird ein mehr oder weniger expliziertes Interesse an informellen Spielregeln des beruflichen Aufstiegs und den Umgang mit normativen Erwartungen des Feldes gezeigt, das in Zusammenhang mit der im ersten empirischen Teil rekonstruierten Leistungsnorm des Feldes zu tun hat.
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Dieses Interesse wird - auch aufgrund eines individuellen Umgangs mit dieser Norm - auf jeweils andere Art und Weise im Mentoringsetting verfolgt wie im Folgenden an kurzen Zusammenfassungen der Beispiele zu sehen sein wird. Im ersten Beispiel wird die feldspezifische Norm des Leistungserfolgs von der Mentee auf die formale Ebene als auch die inhaltliche Ebene des Mentoringsettings übertragen. Auf der formalen Ebene wird die Leistungsorientierung über die Konstruktion eines außergewöhnlichen Engagements und Einsatzbereitschaft in der Mentoringbeziehung durch eine große Offenheit in der Thematisierung ihres professionellen Habitus im Gespräch mit dem Mentor ausgedrückt. Hierin zeigt sich ein nach Henschel lernförderliches Interesse der Mentee an einer intensiven Interaktions- und Austauschbeziehung. Auf der inhaltlichen Ebene zeigt sich die Leistungsorientierung in dem Ziel, im Rahmen des Mentoringprogramms habituelle Anpassungen an feldspezifische Aufstiegsbedingungen ‚leisten’ zu wollen. Der Mentor scheint bemüht, diesem Lernkonzept zu entsprechen, kann allerdings, ohne weitere Kenntnisse über das Feld des Bankwesens und seine Spielregeln des Erfolgs zu besitzen, keine konkreten Verbesserungsvorschläge für die berufliche Praxis der Mentee machen, sondern versucht, die Mentee durch angeregte Reflexionen ihrer Praxis selbst angemessene Handlungsweisen finden zu lassen. Darin zeigt sich – entgegen Henschels Behauptung, dass die Lernfähigkeit mit steigender Diversität der Perspektiven zunehme - eine begrenzte Lernförderung durch berufsweltlich zu verschiedene Perspektiven. Beruflicher Erfolg wird im Setting des ersten Mentoringpaares als eine Persönlichkeitseigenschaft konstruiert, dem im Mentoringsetting durch eine Form der Anpassung des professionellen Habitus an feldspezifisch institutionalisierte Aufstiegsmuster versucht wird näher zu kommen. Implizit wird damit in den Gesprächen auf informelle Spielregeln der habituellen Ernennungspraxis des Feldes Bezug genommen, ihre (kritische) Reflexion erfolgt aber scheinbar nicht, da von beiden Beteiligten das Spannungsverhältnis zwischen institutionellen und individuellen Interessen einseitig auf der Seite des Individuums bearbeitet wird mit dem Ziel der habituellen Anpassung an institutionelle Erwartungen. Damit ist auch ein Risiko zur stärkeren Orientierung an Normen des beruflichen Felds verbunden und deren unhinterfragter Reproduktion. Anders im zweiten Beispiel: In diesem Fall wird von der Mentee deutlich der Anspruch an das Mentoringsetting formuliert, dass auf der Basis der feldspezifischen Erfahrungen der Mentee mithilfe der Außenperspektive des Mentors eine kritische Reflexion des Spannungsverhältnisses zwischen individuellen und institutionellen Interessen erfolgen soll. Hier besteht ebenfalls ein durch Lerninteresse geleitetes Motiv zum Aufbau einer intensiven Interaktion- und Austauschbeziehung. Es wird dazu im Sinne der als Care zu bezeichnenden lernför-
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derlichen Haltung im Rahmen einer informellen Lernbeziehung eine konstruktiv beobachtende und unterstützende Rolle des Mentors erwartet, die zu einer Perspektiverweiterung der Mentee für das Spannungsverhältnis zwischen institutioneller Praxis und Vorstellungen der Mentee und darüber zu einer Erweiterung von Handlungsspielräumen auf individueller Ebene führen soll, die die Mentee ihrem beruflichen Erfolg näher bringen wird. Hier besteht also eine hohe Sensibilität für das von Henschel als lernförderlich festgestellte Diversitäts-Prinzip einer Lerngemeinschaft. Die Mentee hat ein ausdrückliches Interesse an der Reflexion feldspezifischer Aufstiegsbedingungen und informeller Regelungen und Praktiken. Wie an den Beispielen zu Vereinbarkeitsvorstellungen von Privatleben und Berufstätigkeit zu erkennen ist, verfolgt sie das Ziel, dass ihr berufliches Handeln einerseits im Sinne der Leistungsnorm als Leistung interpretiert werden soll, dass es aber zugleich von institutionalisierten Praktiken abweichen und einer individuellen Logik folgen kann. Dieses Vorhaben im Umgang mit der feldspezifischen Leistungsnorm zu reflektieren, zu problematisieren und Lösungsmuster dafür zu finden ist ein Anliegen für das Mentoringsetting. Ihre Hoffnungen werden jedoch enttäuscht: Eine andere Feldlogik im beruflichen Kontext des Mentors, die für diesen orientierend und leitend ist, erschwert ein solches Lernarrangement. Weiterhin wirken ein anderes Lernkonzept und eine anders interpretierte Rolle des Mentors einem solchen Lernprozess entgegen. So ist dessen Perspektive auf Kriterien für einen beruflichen Erfolg durch die Fokussierung auf normative Erwartungen im Sinne der Feldlogik geprägt, und in seinem Mentoren-Selbstverständnis als ein autoritärer Experte für berufliche Karrieren gibt er diese unreflektiert als Handlungsorientierung an die Mentee weiter, die diese für sich aber aus ihrer distanzierten Haltung zu institutionalisierten Regelungen und Praktiken heraus für sich relativiert. Sie stellen für sie eine mögliche, aber keine zwingende Handlungsorientierung dar. Diese unterschiedlichen Perspektiven auf die Gestaltung einer beruflichen Karriere sowie abweichende Lernkonzepte über die Form der Zusammenarbeit als Mentor und Mentee führen dazu, dass das Mentoringsetting von der Mentee als Lernarrangement mit geringer Qualität bewertet wird. Noch stärker als im ersten Fall wird daran deutlich, dass die Diversität von Perspektiven auf vielen verschiedenen Ebenen – entgegen Henschels These (ebd., 146f) - nicht zwangsläufig die Wahrscheinlichkeit von Lernprozessen steigert, sondern auch Verfremdungseffekte bewirken kann, die Lernprozesse eher behindern als fördern. Eine dritte Variante der Bedeutung des Leistungsprinzips für das Mentoringsetting zeigt das letzte Beispiel aus diesem Feld. Bereits die Teilnahme an einem vom Kreditinstitut angebotenen Programm wird im Sinne der Leistungsnorm auf der formalen Ebene als Leistungsbereitschaft und Aufstiegsinteresse signalisierendes Zeichen gedeutet. Die Bedeutung der Leistungsorientierung auf
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einer inhaltlichen Gestaltungsebene ist in diesem Fall nicht so hoch wie im ersten Fall (Mentee Teubner) und beschränkt sich auf eine den Ansprüchen der Mentorin angepassten Form des Engagements. Das hat damit zu tun, dass die Mentee um die große Bedeutung sozialen Kapitals für einen beruflichen Aufstieg innerhalb der Bank weiß und den Kontakt zu der Peergroup von Mentees aus der Bank symbolisch höher einschätzt als die Beziehung zur extern tätigen Mentorin. Im Rahmen dieses Kontakts setzen sie – die Mentees – ihre persönlichen Erfahrungen in Beziehung zu institutionellen Zielen und Entwicklungsprozessen und erweitern anlässlich dieser Einbettung ihren Erfahrungshorizont. Dennoch ist das Engagement Melanie Seiters in der Mentoringbeziehung nicht gering, was nicht nur mit einer Orientierung an der Leistungsnorm zu tun hat, sondern auch durch das Lernkonzept der Mentorin gefordert wird, von dem die Mentee aber auf einer Verhaltensebene durchaus profitieren kann. Es handelt sich um eine das Setting dominierende Mentorin, die zur Zusammenarbeit situierte Schilderungen der Mentee aus deren beruflicher Praxis erwartet, um diese zu reflektieren, worin Aspekte des Storytellings wieder zu finden sind. Dies erfolgt im Rahmen einer solidarischen und hilfsbereiten Haltung gegenüber der Mentee, in der die Relevanzsetzung der Mentee zu Themen und Problemen zum Ausgangspunkt der Zusammenarbeit gemacht wird. Hierin kommt der Care-Aspekt zum Ausdruck. Implizit wird in diesem Setting eine Beziehung zwischen den individuellen Erfahrungen und Plänen zu Spielregeln und institutionalisierten Praktiken des beruflichen Feldes der Mentee hergestellt. Sie werden zur Reflexion und Weiterentwicklung von Handlungsoptionen der Mentee im beruflichen Alltag genutzt. Interessant ist, dass die Mentorin, obwohl sie in einem anderen beruflichen Feld tätig ist, alternative Handlungsvorschläge für das Feld der Mentee macht. Dies kann mit beobachteten Parallelen zwischen den beruflichen Feldern zu tun haben, die es ihr erlauben, aufgrund ihrer Erfahrungen solche Einschätzungen zu machen; es kann auch mit einer Konstruktion von Ähnlichkeit durch das gleiche soziale Geschlecht von Mentee und Mentorin zu tun haben und dem gemeinsamen Streben nach beruflichem Erfolg. Es ist jedenfalls auffällig, dass bislang nur unter gleichgeschlechtlichen Mentorinnen-Mentee-Paaren konkrete Handlungsvorschläge von Seiten der Mentorinnen formuliert werden, die als Ausdruck eines Modell-Lernkonzepts verstanden werden können. In den Fällen gemischtgeschlechtlichter Mentoringpaare konnte ein solches Mentoringkonzept noch nicht rekonstruiert werden. Zusammenfassend lässt sich zu den Settings von Mentoringpaaren mit Mentees aus dem Bankwesen festhalten, dass für sie einerseits eine Divergenz charakteristisch ist, die auf unterschiedlichen Ebenen festzustellen ist, sowie zugleich eine Konvergenz im Hinblick auf die Gestaltung der Mentoringsettings durch die Prägung der Leistungsnorm des Feldes sowohl auf einer formalen als
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auch auf einer inhaltlichen Ebene zu erkennen ist. Die allen Settings gemeinsame Prägung durch die Leistungsnorm auf der formalen Ebene wird durch die Motivation zur Teilnahme und durch die Signalisierung von Leistungsbereitschaft deutlich, unabhängig davon, wie der Sinn und der Nutzen des Programms persönlich eingeschätzt werden. Auf der inhaltlichen Ebene zeigt sich die bei allen Mentees zu rekonstruierende Prägung durch die Leistungsnorm in dem Interessedie eigenen feldrelevanten Ressourcen zu vergrößern. Die Divergenz der Settings drückt sich in variierenden Selbstverständnissen von Mentoren/innen und Mentees hinsichtlich ihrer Rolle, unterschiedlicher Interessen an der Gestaltung und der verfolgten Ziele ebenso wie in unterschiedlichen Lernkonzepten der Mentor/innen aus mit dem Ergebnis, dass sowohl die Mentoringbeziehung, die Lernmethoden und die Gegenstände der Auseinandersetzung von Mentoringpaar zu Mentoringpaar verschieden sind. Dies scheint in erster Linie mit den verschiedenen beruflichen Feldern zu tun zu haben, in denen die Mentor/innen und die Mentees beschäftigt sind, denn durch diesen Umstand müssen Gesprächsgegenstände gefunden werden, die unabhängig von der Unkenntnis der Mentor/innen über das berufliche Feld der Mentees und ihrer Logik von beiden Beteiligten bearbeitet werden können. Folge dieses Findungsprozesses scheint zu sein, dass die Tendenz in Richtung Verbesserung individueller Eigenschaften, Haltungen etc. der Mentees geht, wobei ein programmatisch angelegtes ModellLernkonzept sowie eine ungleiche Deutungs- und Gestaltungsmacht von Mentees und Mentor/innen einen stärkeren Bezug zu den Verhaltensregeln aus den Berufsfeldern der Mentor/innen statt auf die gültigen Regeln im Feld der Mentees unterstützt. Zugleich wird damit eine einseitige Verantwortung für den beruflichen Erfolg auf Seiten der Mentees (re-)konstruiert. Die Divergenz der Settings scheint des Weiteren mit der Beteiligung von Männern und Frauen als Mentor/innen im Rahmen eines anderen Programmkonzepts zu tun zu haben, denn während im Fall von Mentorinnen (siehe auch Mentorinnen im Feld A) ein Gestaltungsformat näher zu liegen scheint, das als Modell-Lernen bezeichnet werden kann und Ausdruck in konkreten Handlungsvorschlägen, einer solidarischen und unterstützenden Grundhaltung (Care) sowie einer intensiven Kommunikation (u.a. Storytelling) zwischen Mentorin und Mentee findet, lässt sich im Fall von männlichen Mentoren durch zwei sehr verschiedene Formate der Mentorenschaft zunächst auf keine institutionalisierte Form der Gestaltung einer Mentorenschaft mit weiblichen Mentees schließen.
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6.3.1 Beispiel I: Mittelakquise (Fundraising), Margot Koch Schwarz auf Weiß I:
Und, ähm, wie läuft das mit dem Mentoring? Wie gestalten Sie die Treffen, wie erleben Sie sie?
M.K.: Ähm, wir treffen uns im Schnitt alle sechs Wochen, sechs bis sieben, acht Wochen, je nachdem, wie das klappt. Der Mentor ist Naturwissenschaftler, und die sind ja immer noch mal ein bisschen anders als so die reinen BWLer, zu deren Kaste ich ja auch gehöre, da haben Sie schon diese, kennen Sie ja von der Uni, kennen Sie sicher, dass die BWLer verschrien sind usw., teilweise zu Recht. Also er ist Naturwissenschaftler und insofern ein sehr sachorientierter Mensch. Ich habe das gemerkt bei den Spielchen, die man da am Anfang macht, beim Mentoring, man soll zusammen im Tandem was weiß ich, festlegen, wer jetzt den letzten Flug nach irgendwohin nehmen darf, und mit ihm das geht so ganz Schritt für Schritt, also wie so eine Prozedur im Computer, ne? (schmunzelt). Und der hat, als es anfing, dieses Jahr im Herbst, da war klar, dass ich die Stellvertretung meines Chefs übernehmen soll, und da kamen also ganz massive Animositäten mir entgegen von diesen anderen männlichen Kollegen, die dann nicht so bedacht wurden mit offiziellen hierarchischen Würden, ne? Wie sie sich das eigentlich gewünscht hatten und ihnen das auch versprochen worden war, als sie ins Haus geholt wurden von anderen Unternehmen. Und, äh, da habe ich mir bei dem schon Rat geholt, wie ich damit umgehe, und wie ich das jetzt mache, dass die jetzt einfach das machen, was ich denen sage, ne? Das dürfte normalerweise kein Problem sein, ich kenne das auch so unter, unter Kollegen, dass, dass man Arbeiten einfach so verteilt, dass jeder seine Arbeit schafft, und dass man es nachher zusammenfügt, aber das ist in dem Laden schwierig gewesen. Und er meinte dann halt, ja, ich muss das offiziell haben, schwarz auf weiß, und das muss denen natürlich kommuniziert werden. Das war nicht passiert, es war lediglich mein Name außerhalb der alphabetischen Reihenfolge als zweiter Name in der Kolonne aufgetaucht. Das ist auch wieder symptomatisch für den Bereich. Da will man denen nicht auf den Schlips treten und sagen „Hör zu, Margot Koch ist jetzt hier Stellvertreterin.“ Oder irgend so was, ja? Und dann muss ich gucken, wie ich mich da durchbeiße. Und ich bin dann auch los und habe gesagt: „Ich will, dass das offiziell gemacht wird, sowohl ins Unternehmen als auch hier.“ Ich lege keinen Wert auf die hierarchische Position, das ist mir völlig pieps, wahrscheinlich ein Fehler. Und es wurde dann gemacht, und dann mit dem einen oder anderen habe ich ein Gespräch geführt und dann klappte es, aber mit dem einen oder anderen klappt es halt immer noch nicht. Und da ist es dann so, dass ich die Arbeit lieber selber erledige, als dass ich die. Oder sie bleibt liegen. Hört sich völlig bescheuert an, wenig durchsetzungsfähig und so weiter, aber es ist [unverst.]
Aus der Angabe über die Häufigkeit der Treffen und der Erklärung dazu „je nachdem, wie das klappt“ lässt sich schließen, dass die Mentoringtreffen bei beiden Mentoringpartner/innen nicht die höchste Priorität besitzen. Auch wenn
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Schwierigkeiten der Terminfindung als Grund angegeben werden, legt die Formulierung die Lesart nahe, dass sich generell die Motivation sich zu treffen in Grenzen hält. Die Distanzierung, die dabei durchklingt, scheint etwas mit der Person des Mentors zu tun zu haben, da Margot Koch mit der Beschreibung von ihm fortsetzt. „Der Mentor“ bekräftigt die Lesart der Distanz zu ihm, so bezeichnet sie ihn nicht als „mein“ Mentor. Erklärt wird die Distanzierung mit einem Unterschied der beruflichen Habitus von sich und dem Mentor. Naturwissenschaftler/innen und Betriebswissenschaftler/innen besäßen unterschiedliche Habitus, die auch im studentischen Milieu als Stereotypen bekannt seien. Die von Margot Koch verwendete Metapher „Kaste“ verweist dabei auf eine sehr starke Grenzziehung zwischen Naturwissenschaftler/innen und Betriebswissenschaftler/innen. Innerhalb der Gruppe der BWLer/innen trifft Margot Koch noch eine Unterscheidung zwischen „reinen“ und ‚nicht reinen’ BWLer/innen. Ob sie zu den weniger „reinen“ BWLer/innen gehört, bleibt unklar, jedenfalls distanziert sie sich von den „verschrienen“ BWLer/innen, die „zu Recht“ verurteilt würden. Was BWLer/innen typischerweise auszeichnet wird nicht weiter erläutert, sie setzt dies als kollektiven Wissensbestand zwischen sich und der Interviewerin voraus. Der Mentor ist insofern ein typischer Naturwissenschaftler (und unterscheidet sich darin von ihr als BWLerin, worin indirekt ein ‚Merkmal’ von BWLer/innen herauszulesen ist), als dass er ein „sehr sachorientierter Mensch“ ist. Er funktioniert wie ein „Computer“, der „Schritt für Schritt“ Lösungen entwickelt. Diese Metapher lässt den Mentor als einen systematischen und sachlichen Menschen erscheinen, weckt aber auch Vorstellungen eines technokratischen, funktionalistischen und schlichten Typus. In dieser Beschreibung ist eine Abwertung des Mentors enthalten. Margot Koch hat ihn gleich zu Beginn des Mentorings als einen solchen Menschentyp klassifiziert, als sie zusammen „Spielchen“ gemacht haben. Ob und welche Bewertung des Habitus darin steckt, ist aus ihren Beschreibungen nicht zu schließen. Deutlich aber wird, dass sie sich mit ihrem Mentor prinzipiell auf eine Stufe stellt und damit eine im Konzept angelegte inferiore Position der Mentee für sich nicht annimmt. Im weiteren Verlaufder Passage erzählt Margot Koch aber auch von einer Situation, in der sie sich „bei dem schon Rat geholt“ hat, eine Formulierung, die darauf hinweist, dass dies in ihrer Mentoringbeziehung eher selten vorkommt. Diese Situation hing mit ihrer neuen Position als Stellvertreterin ihres Vorgesetzten zusammen, die Personalführung beinhaltete und einem Team von Mitarbeitern, das sie als Autorität in dieser Position nicht akzeptierte. Aufgrund vorangegangener biographischer Erfahrungen konnte Margot Koch einschätzen, dass nicht ihre Art der Aufgabenverteilung Schuld an deren Widerständen sein konnte, sondern dass dies mit ihr als Vorgesetzter zu tun haben musste. Vom Mentor holt sie sich Rat, wie sie sich Autorität verschaffen kann, so dass ihre Anweisun-
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gen befolgt werden. Das Arrangement funktioniert: Margot Koch bekommt auf einer konkreten Handlungsebene die Tipps, die ihr helfen, offensiv im Unternehmen und im Team die Anerkennung als stellvertretende Chefin einzufordern, was bei einigen Mitarbeitern schließlich auch zur Akzeptanz ihrer Person bzw. ihres Postens zur Folge hat. Margot Koch unterstellt, dass die männlichen Kollegen ihre Rekrutierung als stellvertretende Bereichsleiterin als einen Loyalitätsbruch in doppelter Hinsicht interpretieren: Zum einen, weil deren Hoffen auf eine Führungsposten enttäuscht wurde, obwohl ihnen darauf bei ihrer Einstellung Hoffnung gemacht wurde, und zum anderen, weil es sich bei Margot Koch um eine Frau handelt, was sie als einen Loyalitätsbruch ‚unter Kollegen’ interpretieren. Die Schwierigkeiten, die Margot Koch bis zur offiziellen Bekanntgabe ihres Postens hatte und die sie auch noch danach im Umgang mit einigen männlichen Kollegen hat, unterstützen diese Lesart zur Relevanz des weiblichen Geschlechts. Gewiss ist, dass Margot Koch sich in einem sehr stark konkurrenzgeprägten Arbeitsumfeld befindet, das durch „Animositäten“ mancher männlicher Kollegen bereits einen feindlichen Charakter besitzt, und dass sie mit dem Führungsproblem von Seiten Unternehmensverantwortlicher allein gelassen wurde. Ihre Haltung gegenüber dem Unternehmen ist dementsprechend distanziert und kritisch. Sie muss(te) sich deshalb feldrelevantes symbolisches Kapital in Form notwendigen Rückhalts und Respekts erst erkämpfen und ist nach wie vor dabei bzw. hat den Kampf an einigen Stellen aufgegeben und resigniert. Interessant ist, dass es ihr im Kampf um Anerkennung vor allem darum geht, in ihrer Funktion als Führungskraft anerkannt zu werden und nicht als Autorität in ihrer Position, womit eine höhere symbolische Wertschätzung einhergehen würde. Diese Interpretation eines reduzierten Anspruchs deutet sehr auf einen vergeschlechtlichten Zusammenhang hin – tendieren Frauen doch häufig dazu, errungene Positionen in ihrer Bedeutung herunterzuspielen. Der Mentor stellt jedenfalls eine Entlastung und eine Bereicherung für Margot Koch dar, denn dieser schreibt mit seinem Vorschlag indirekt Margot Kochs Führungsprobleme den unternehmensinternen Kommunikationsprozessen zu, entlastet sie damit von der Verantwortung dafür und gibt ihr die Möglichkeit, in einem anderen Deutungsmuster als dem des Geschlechts zu argumentieren. Zugleich trägt er mit seinen Ratschlägen dazu bei, dass Margot Koch sich zur Mehrung karriererelevanter Ressourcen feldrelevantes symbolisches Kapital sichern kann. Die Problematisierung der nicht erfolgten symbolischen Anerkennung im Kontext von Kommunikationsspielregeln durch den Mentor kann als Hinweis darauf gedeutet werden, dass selbst wenn eine Geschlechtersensibilität vorhanden ist und Diskriminierungen durch Geschlecht in einem geschützten Rahmen thematisiert werden, die Schwierigkeit bestehen bleibt, diese als Spielregel (an-)
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zu erkennen und zu benennen. Ungleichbehandlungen werden deshalb eher im Kontext anderer institutionalisierter Spielregeln und Aspekten der Reproduktion von Ungleichheiten verortet und thematisiert. Ähnliche Erfahrungen I:
Und konnte der Mentor das verstehen? Also konnte er sich da hineinversetzen, dass es Sie anders betrifft als die anderen männlichen Kollegen?
M.K.: Ja. Ja. Ja. Er hat mir eine Situation aus seinem beruflichen Leben geschildert, in der er genau dasselbe erlebt hat, das gleiche. Er war Assistent des Vorstands und war für irgendeine Aufgabe verantwortlich und die Bereichsleiter, denen er da irgendwelche Anweisungen geben musste, haben das wohl nicht so akzeptiert. Das ist vergleichbar. Also er ist auch jemand, der sagt, er macht das, die ganzen Probleme, die ich ihm so vorstelle, eigentlich nicht so sehr daran fest, dass ich eine Frau bin. Er meint, Männer kennen das auch, und es ist häufig auch eine Persönlichkeitsfrage, wobei er schon auch sieht, dass das Frausein das natürlich noch überlagert, ne? I:
Also das ist schon bei Ihnen auch ein Thema in den Gesprächen, was es vielleicht besonders noch mal als Frau oder so.
M.K.: Ja einmal das und auch Themen, weil das spielt ja immer zusammen auch, also Rassismus und, und, ähm, Sexismus und diese ganzen Themen, die besprechen wir schon.
Die Entlastungsfunktion, die der Mentor für Margot Koch einnimmt, wird hier noch deutlicher als in der vorherigen Interviewpassage. Auch der Mentor hatte ein ähnliches Führungsproblem wie Margot Koch und belegt damit die Interpretation, dass die Probleme institutionell und nicht individuell begründet sind. In einer vom Mentor entwickelten Rangfolge ursächlicher Faktoren für Führungsprobleme wird besonders die Bedeutung von Geschlecht diffus und ist schwer einzuordnen. Klar scheint, dass an erster Stelle Probleme geschlechtsunabhängig entstehen und, wenn individuell verursacht, eher in der Persönlichkeit der Person zu suchen sind, wobei dies dann doch wieder durch „das Frausein überlagert“ wird. Genau betrachtet heißt dies, dass im Fall von Männern die Führungsprobleme nicht auf das Geschlecht zurückgeführt werden – das gerät gar nicht erst in den Fokus der Aufmerksamkeit - sondern Schwierigkeiten werden auf der Ebene der Persönlichkeit erklärt. Im Fall von Frauen bedeutet die entwickelte Rangfolge, dass das Geschlecht dominant ist und den Persönlichkeitstyp „überlagert“. Die ‚feststehende Variable’ für die erfolgreiche Führungskraft ist in dieser Argumentation demnach also doch das Geschlecht. Die Mentoringtreffen werden von Margot Koch und ihrem Mentor demnach auch dazu genutzt, berufliche Probleme zu reflektieren, sich wechselseitig verständlich zu machen und zu erklären. Da es sich bei ihrem Mentor um einen Mann handelt, ist es für Margot Koch interessant von seinen Erfahrungen zu
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hören, um die Bedeutung von geschlechtsspezifischen Aspekten bei beruflichen Problemen genauer einschätzen zu können. So wie sie die Gespräche mit ihrem Mentor beschreibt, wird der Eindruck geweckt, dass Margot Koch auf gleicher Höhe mit ihrem Mentor redet bzw. den dominanteren Part übernimmt. So fällt sie das Urteil über das Beispiel des Mentors: „Das ist vergleichbar“ und zeigt damit, dass letztlich sie entscheidet, ob es sich um ein für sie relevantes Beispiel aus der beruflichen Praxis handelt oder nicht. Auch bezüglich anderer Diskriminierungsfaktoren, die sie bei ihren Gesprächen thematisieren, bekommt man den Eindruck, dass dies Themen sind, die Margot Koch wichtig sind. Interessant ist, dass Geschlecht auch in diesem Punkt erneut in einen komplexeren Zusammenhang gestellt wird. Obwohl der Satz „Ja einmal das und auch Themen..“ eine Relativierung des Geschlechterthemas durch eine Verknüpfung mit anderen Faktoren ankündigt, bekommt es interessanterweise auch hier wieder bei genauer Betrachtung der drei aufgelisteten zusammenhängenden Themen („Sexismus“, „Rassismus“ und „Frau“-Sein) die wichtigste Rolle zugesprochen. Die Interpretation, dass Geschlecht und Geschlechterthemen nur bedingt diskursfähig sind, wird hier bestärkt. Der letzte Halbsatz „die besprechen wir schon“ kann so gedeutet werden, dass sie den Anregungen des Programms und vermutlich auch den Erwartungen Margots entsprechend in den gemeinsamen Gesprächen Faktoren der beruflichen Diskriminierung, insbesondere das Thema Geschlecht, thematisieren. Das „schon“ beinhaltet jedoch eine Relativierung. Einerseits läuft das Mentoring anscheinend „schon“ erwartungsgemäß, andererseits aber wohl auch nicht optimal. Genauere Angaben dazu werden von Margot Koch in der nächsten Interviewpassage gemacht, in der die Interviewerin nach dem persönlichen Gewinn Margots fragt. Ein bisschen Trost I:
Ja und inwiefern kö, also nutzen Sie das dann sozusagen für sich, das Mentoringprogramm?
M.K.: Ich nutze es für mich vor allem, also es hat sich jetzt so herauskristallisiert, dass er mir bestimmte Dinge so vorgibt: „Das würde ich so und so machen, dann klappt das.“ Und weil er eben so logisch strukturiert ist. Und dieses, was hier so hier so emotional steht, was die auch nicht kennen bei der Bank, weil die nicht so einen Personalüberhang haben. Wir haben hier ein bisschen zu viel Personal und dann wollen alle beschäftigt sein und, ähm, es arbeiten halt einige Leute ganz intensiv und fachlich gut und der Rest, der lässt sich so mit durchziehen und will auch kei. Also die Probleme, die, die, die kennt er nicht und es ist nicht ganz so politisch dort, ne, wie hier? Wir haben ja auch viel mit Behörden zu tun. Wir müssen teilweise Projekte machen, die nicht unbedingt wirtschaftlich sind, die wir nicht machen dürften und das ist, ähm. Und das schildere ich ihm, und da da gibt er mir dann schon Tipps und sagt an, an, an mancher Stelle sagt er schon, so kennt er das
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nicht, und das ist Hanebüchen. Aber im Großen und Ganzen versetzt er sich rein und äh gibt dann schon so eine Art Guideline vor, wie man sich verhalten könnte und fragt dann ab, wie es funktioniert hat. Aber im großen und ganzen ist es eher so ein Austausch und so ne, so eine Bestätigung, dass, ähm, dass es nicht nur hier so schlimm ist, sondern, dass es eine allgemeine Situation in Unternehmen heutzutage ist, dass das Arbeitsleben halt, äh, sich immer mehr verschlechtert und dass, dass der Druck immer größer wird und äh dass man immer mehr weggeht von sachlichen Fragestellungen und immer mehr hin zu politischen Agenden und so weiter und so fort. Und dass es immer mehr Leute gibt, die nur an ihrer Karriere arbeiten. Das ist ja so ein bekannter Spruch: Frauen arbeiten für ihre Sachen und Männer für ihre Sache und für die Karriere. Dass es halt immer mehr von letzterer Sorte gibt. Also er bestätigt das dann immer, wenn ich dem was erzähle und denke, da jetzt kommt da irgendein toller Tipp. Dann sagt er: „Aaaach, das ist bei uns genauso!“ Und „Das ist ja fürchterlich!“ und „Das ist bei uns auch so, ich beobachte das immer wieder!“ Also es kommt dann sehr stark auf so eine abstrakte Ebene. Ist aber ein bisschen tröstlich auch, ne? So zu hören. Man macht sich dann nicht die ganze Zeit Gedanken, was man falsch macht, weil ich denke immer, das liegt alles an mir, dass ich das nicht beherrsche, dass ich das nicht kann, und ich geh immer mehr dazu über, das so hinzunehmen als, ähm, gegebene Rahmenbedingungen, die ich ohnehin teilweise nicht verändern kann, und mich immer mehr auf das zu konzentrieren, was was ich in den Griff kriegen kann.
Die Gestaltung der Mentoringtreffen hat eine Entwicklung durchlaufen. Das Ergebnis dieses Prozesses ist durch die Vorgabe des Mentors strukturiert: Auf eine Problemdarstellung bzw. Frage Margots erfolgt ein Verhaltensratschlag seitens des Mentors. Der Gewinn für Margot Koch aus den Mentoringtreffen besteht in diesen konkreten Ratschlägen, die sich durch „Logik“ auszeichnen. Genau wegen dieser zunächst nützlichen Eigenschaft, aber auch wegen des andersartigen Arbeitsumfeldes des Mentors ist die Hilfe- und Unterstützungsleistung zugleich begrenzt. Die logische Betrachtung und Herangehensweise nützt nicht mehr viel bei „emotional“ und „politisch“ bedingten Problemen, die der Mentor aus seinem Arbeitsumfeld nicht zu kennen scheint. Dies führt Margot Koch auf die unterschiedlich strukturierten Arbeitsfelder zurück: Während sie der Bank eine Logik zuschreibt, Wirtschaftlichkeit durch Effizienz anzustreben, macht sie die Erfahrung, dass die Projekte in ihrem Unternehmen oftmals politisch motiviert sind, was nicht dem gängigen Wirtschaftlichkeitsprinzip entspräche. Gegenüber solchen Problemlagen ist der Mentor ratlos, in diesem Gebiet hat er keine Erfahrungen gemacht, sie liegen außerhalb seines Bezugshorizontes, und er kann dementsprechend keinen Ratschlag für Margot Koch zur Lösung oder Handhabung erteilen. Margot Kochs Erfahrungsschatz ist in diesem Fall größer als seiner, und sie schätzt ihre Arbeitssituation komplexer und damit komplizierter ein als seine. Davon abgesehen erlebt Margot Koch ihren Mentor sehr bemüht ihre Situation zu verstehen und ihre Perspektive zu übernehmen – wobei die Formulierung „im Großen und Ganzen“ auch als Heilungsversuch Margots interpretiert werden kann, die eigentlich enttäuschenden Äußerungen
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des Mentors betreffend, denn das Kommunikationsmuster bleibt trotz seiner Bemühungen auf einer Ebene, die ihr scheinbar schlicht und einfach erscheinen, aber am tatsächlichen Interesse und Problem Margot Kochs vorbeizielen. Nach dem Heilungsversuch zur Beratung des Mentors macht Margot Koch einen weiteren Heilungsversuch auf der Ebene der Kommunikation zwischen ihnen beiden, die „im Großen und Ganzen eher so ein Austausch und so ne, so eine Bestätigung“ darstellt. Die „Bestätigung“ verweist darauf, dass schon Gewusstes/Bewusstes eine Bestärkung erfährt und demnach keine ‚neue’ Qualität der Erfahrung ist. Hier scheint anders als in den Fällen des Bankwesens gerade ein Mangel an Diversität in den Perspektiven Lernprozesse zu behindern, worin sich Henschels These zur Steigerung von Lernfähigkeit durch zunehmende Diversität bestätigen ließe. Beide Ausdrücke lassen jedenfalls einen eher mäßigen Gewinn durch die Treffen vermuten. Aus dem Beispiel der nächsten Zeilen wird deutlich, dass Margot Koch bei den Treffen ihre Deutungen zur Problemlage auf dem Arbeitsmarkt entfaltet und der Mentor sie darin bestätigt. Auch wenn das sprachliche Format einer ‚Theorie’ über die „allgemeine Situation in Unternehmen heutzutage“ ungewöhnlich für das Bitten um Ratschläge ist, zeigt ihr wiedergegebener Gedanke „und ich denke, da jetzt kommt da irgendein toller Tipp!“, dass sie genau diese Erwartung dabei hat. Der Mentor erfüllt diese Erwartung aber nicht, denn Margot Koch äußert Enttäuschung darüber, dass der Mentor ihr im konkreten Umgang mit einer immer karrieristischen Arbeitswelt nicht wirklich helfen kann – auch wenn die von ihm geteilte Deutung des Arbeitsmarktes eine Entlastung für Margot Koch von individuellen Schuldfragen darstellt und eine persönliche Bestätigung bezüglich ihres Einschätzungsvermögens bedeutet. Stattdessen stellt der Mentor auf der Deutungsebene eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden her, was jedoch nicht Margot Kochs Wunsch entspricht. Gerade auf dieser Ebene hofft sie durch die Diversitiät von Perspektiven einen Gewinn aus dem Mentoringsetting. So würde sie bevorzugen, statt dass ihr Mentor auf der Ebene der Beschreibung von Machtverhältnissen Gemeinsamkeiten in der Perspektive feststellt, konkrete und konstruktive Umgangsweisen benennen könnte, die sich für ihr Verhalten in ihrem Unternehmen als hilfreich erweisen könnten und dem Abbau dieser dienen würden. In diesem Punkt entspricht der Mentor nicht Margot Kochs Erwartungen eines konstruktiven Ratgebers, worüber Margot Koch spürbar enttäuscht ist. Die vom Mentor hergestellte Gemeinsamkeit auf Ebene der Machtverhältnisse ist bemerkenswert vor dem Hintergrund, denn Margot Koch hat zu Beginn dieser Passage die Arbeitswelten als sehr unterschiedliche eingeführt. Scheinbar gibt es aber auf der Ebene von Machtverhältnissen und Spielregeln der Reproduktion von Macht Ähnlichkeiten zwischen den beruflichen Feldern, die benannt werden können. Dahinter bleibt aber dennoch Margot Kochs Wunsch zurück,
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konkrete Hilfen für den Umgang und den Abbau dieser Praktiken und Regeln zu bekommen, was vom Mentor nicht eingelöst wird. Inhaltlich interessant an Margots Deutung zur Arbeitswelt ist, dass sie einen sehr starken Geschlechteraspekt hat: In Margots Typologie gibt es Frauen, die für ihre Sachen arbeiten, Männer, die für die Sache und die Karriere arbeiten und Männer, die nur für ihre Karriere arbeiten. „Von letzterer Sorte“ gäbe es immer mehr, womit sie zu verstehen gibt, dass dies für sie als Frau und ihre Position bedeutet, dass ihr Arbeitsumfeld zunehmend konkurrenzgeprägt sein wird. Auch wenn Margots Probleme und beschriebenen Problemlagen durch die Bestätigung des Mentors, dass er manches genauso sieht und erlebt hat, eine Verallgemeinerung darstellen, damit eine Relativierung der Probleme bedeuten und Margots Selbstzweifel reduzieren helfen, sieht sich Margot Koch in einer Arbeitssituation, die sie immer weniger beeinflussen kann und kommt auch zu einer pessimistischen Zukunftseinschätzung: „es ist eine allgemeine Situation in Unternehmen heutzutage, dass der Druck immer größer wird und dass man immer mehr weggeht von sachlichen Fragestellungen und immer mehr hin zu politischen Agenden und so weiter und so fort. Und dass es immer mehr Leute gibt, die nur an ihrer Karriere arbeiten.“ Der Mentor symbolisiert aus ihrer Perspektive die Ohnmacht im Umgang mit dieser Situation: obwohl er dem von Margot Koch problematisierten Arbeitsmarkt und der damit einhergehenden Situation in den Unternehmen zustimmt, scheint er keine Vorstellung über Möglichkeiten der Beeinflussung oder der Veränderung zu haben. Stattdessen zeigt er eine resignierte und die Situation letztlich akzeptierende Haltung. Darüber fühlt sich Margot Koch in ihrer Strategie bestärkt, ebenfalls die Mechanismen und Regeln akzeptieren zu lernen, auf die sie keinen Einfluss ausüben kann, aber daneben an den Punkten aktiv zu werden, an denen sie Einfluss nehmen kann.
6.3.2 Beispiel II: Interne Kommunikation, Mechthild Gause Vorbereitungen I:
Und welche Aspekte genau finden Sie interessant - gerade für Ihre Perspektive - an diesem Cross-Mentoringprogramm?
M.G.: Also, ähm, ganz, gut. Zwei Sachen muss ich sagen. Ich fand jetzt besonders das CrossMentoring interessant, weil’s mir die Möglichkeit gibt, über’s Unternehmen hinauszugucken, ich kann da gucken, wie läuft es woanders? Ähm, es war ja vollkommen offen, ist es eine Mentorin oder ein Mentor? Auf welcher Ebene spielt sich das ab? Ähm, war aber der Überzeugung, dass die Fragen, die ich jetzt habe, ja, was bringt überhaupt so eine Verän-
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Mentoring als Lernarrangement: Die Gestaltung eines Programms derung mit sich, wenn man so eine Position mitnimmt, mit jedem, den ich da bekomme, auch klären kann, ja, oder dran arbeiten kann und, ähm, ja, also das war der Aspekt. Und dann auch einfach, denke ich, meine persönlichen Fragen da besser besprechen zu, auch mit jemandem, der nicht im Unternehmen ist und, ähm, einfach als Vorbereitung auf eine Führungsposition, ja.
Mechthild Gause verbindet mit dem Cross-Mentoring zum einen das Sammeln von Differenzerfahrungen, um ihren Horizont zu erweitern. Neugier ist das Motiv für den Lernprozess, der von Spannung begleitet wird. „Gucken“, also in die Rolle einer Beobachterin schlüpfen, ist im ersten Abschnitt dieser Passage die bevorzugte Lernmethode. In der Passung zwischen drei Komponenten sieht Mechthild Gause gute Voraussetzungen für gelingende Mentoringtreffen: Die teilnehmenden Personen (und dabei spielt das Geschlecht eine entscheidende Rolle), die Art der Interaktion zwischen Mentee und MentorIn und das Interesse beider müssen zusammenpassen. Obwohl die Formulierung „Auf welcher Ebene spielt sich das ab?“ auf eine unterstellte Eigendynamik der Gespräche verweist, die nur begrenzt beeinflussbar ist, ist Mechthild Gause von Anfang an „überzeugt“ davon gewesen, dass die Passung zwischen diesen Komponenten herstellbar sein würde, da sie ihre Fragen „mit jedem, den ich da bekomme, auch klären kann, ja, oder dran arbeiten kann“. Diese optimistische, aber auch zu vermutende recht unkritische Haltung zeugt von der Bereitschaft, das Angebot (im unternehmensförderlichen Sinn) auf jeden Fall als sinnvoll interpretieren zu wollen und kann als ein Hinweis auf ein hohes Identifikationsniveau mit der Unternehmenslogik gedeutet werden. Das Interesse Mechthild Gauses am Mentoring ist jedenfalls, Fragen zur angestrebten Führungsposition zu „klären“ bzw. „dran arbeiten“. In dieser Offenheit der Formulierung zeigt sich erneut, warum sich Mechthild Gause so sicher war, dass das Setting in jedem Fall gelingen wird. Sie wird aus verschiedenen Lernprozessen Gewinn schlagen: Sowohl aus Lernprozessen, die die Beantwortung einer Frage oder die Klärung eines Problems zum Ziel haben und an dessen Ende eine klare Antwort bzw. Lösung steht als auch aus Lernprozessen, bei denen an Problemen oder Fragen „gearbeitet“ wird und bei denen eher der Prozess der Auseinandersetzung und eine Zeit der Beschäftigung mit einem Gegenstand zentral ist. Mechthild Gause kann mit diesen Möglichkeiten flexibel auf die Mentoringsituation reagieren und sichert sich darüber den Nutzen daraus. Auch in Mechthild Gauses Schilderungen taucht der Aspekt auf, dass die Unabhängigkeit zwischen Mentorin und Mentee bzw. Unternehmen der Mentee eine Vertrauensbasis schafft, auf der persönliche Fragen und Anliegen geklärt werden können, die mit Personen des eigenen Unternehmens schwer kommunizierbar sind. Dies kann mit der zukünftigen Rolle als Führungskraft zusammen-
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hängen, die in Widerspruch stehen könnte zu der Rolle einer Ratsuchenden. Es kann auch ein Hinweis auf unternehmenspolitisch brisante Themen sein (z.B. Familienleben neben/vor dem Beruf, der Umgang mit Konkurrenz und Vorgesetzten), die eher in einem ‚geschützten Rahmen’ thematisiert werden können. Es ist in jedem Fall ein Hinweis darauf, dass sich sowohl Mechthild Gause als auch Claudia Reinke in einer Arbeitssituation befinden, in der sie strategisch mit Fragen und Problemen umgehen müssen. Eindeutig ist, dass das Setting von Mechthild Gause als personalentwicklerische Maßnahme definiert wird, indem sie den Nutzen des Programms im Erwerb von Qualifikationen für ihre berufliche Karriere sieht. Die Art zu beschreiben, wie sie sich in ihrem Unternehmen sieht, weist auf eine Distanz in ihrer Haltung hin zu dem, was in ihrem Unternehmen und beim Mentoring passiert bzw. was sich generell in ihrem Berufsleben abspielt. Sie scheint das Ganze wie ein Spielbrett zu betrachten, auf dem auch sie eine Figur darstellt. Ihr recht klarer und instrumentalisierender bzw. strategischer Umgang mit dem Mentoringprogramm wird in dieser reflektierten Haltung begründet liegen. Mechthild Gause geht es laut dieser Interviewpassage zusammengefasst um drei Dinge: aus Neugierde ein anderes Unternehmen kennen lernen, aus Interesse an einer höheren Position im eigenen Unternehmen die informellen Arbeitsbedingungen und impliziten (Verhaltens-)Regeln solcher Posten ausloten und ihre Motivation überprüfen sowie aus strategischem Kalkül persönliche/private Probleme und im Sinne der Feldlogik brisante Fragen in einem ‚geschützten Rahmen’ zu thematisieren. Dazu setzt sie verschiedene Lernmethoden ein: beobachten, fragen und zuhören sowie beschreiben und reflektieren. Einblicke I:
Was für Fragen haben Sie da im Kopf gehabt? Können Sie Beispiele nennen?
M.G.: Ja, also so, ähm, so was ich eben schon gesagt habe, welche Veränderungen das mitsichbringt, ja? Also einfach, dass ich das auch einschätzen kann, will ich das denn wirklich, ja? Oder ist das, äh, stelle ich mir das anders vor, als sich das dann in der Realität dann darstellt, ja? Was ja gut sein kann. Welche Punkte muss ich besonders beachten, ja? Das sind ja oft die eher inoffiziellen Aspekte, die dann eine entscheidende Rolle spielen, die einem ja so keiner sagt, aber innerhalb so eines Programms natürlich besprochen werden können, ja? Das war auch so meine Erwartungshaltung. Nicht, dass mir jemand sagt, da muss man Arbeitsverträge unterschreiben oder so was, sondern mehr die anderen Sachen, vielleicht auch sich Tipps einzuholen, oder konkrete Situationen zu besprechen und hatte mir das jetzt so gedacht, also einmal diese Fragen, ähm, zu klären. Auch ein bisschen zu gucken, wer ist Mentor, wer ist Mentorin, was kann man machen? Das davon abhängig zu machen. Und dann hatte ich mir gewünscht, ähm, über das Jahr ein Projekt zu bearbeiten, was ich quasi dann mit der Mentorin, also es ist ja jetzt eine Mentorin, quasi dann was sie dann begleitet.
212 I:
Mentoring als Lernarrangement: Die Gestaltung eines Programms Ja, das ist ja gut.
M.G.: Ja, hat nicht geklappt, das sage ich gleich, weil die Umorganisation dann kam und ich gesagt habe, ich möchte noch was machen, wo ich auch ne Chance auf Umsetzung sehe. […]
Mechthild Gause erhofft sich tiefere Einblicke in die Aufgaben einer Führungskraft und die sich daraus ergebenden Konsequenzen. Sie möchte sich auf der Basis der Erfahrungen der Mentorin vergewissern, dass ihre Vorstellungen über Führungsarbeit realistisch sind und ihre Motivation zur Übernahme eines solchen Postens überprüfen. Die Mentorin bekommt in diesem Fall eine machtvolle Rolle zugesprochen, denn ihre Erfahrungen und Einschätzungen können Mechthild Gauses Entscheidung stark beeinflussen. Abwägen zu wollen, kann auf Mechthild Gauses strategischen Umgang mit Karrierechancen hindeuten, kann aber auch ein Zeichen von Unsicherheit sein, eine solche Position einzunehmen. Die Ungebundenheit der Mentorin an ihr Unternehmen wird als für das Lernarrangement wertvoll eingeschätzt, da sie sich davon die Weitergabe strategischen Wissens erhofft, das im eigenen Unternehmen – vermutlich aus einem karrierespezifischen unternehmenspolitischen Kalkül heraus - nicht offen kommuniziert wird. Dies zeugt von einem konkurrenzgeprägten Feld, in dem entscheidendes Wissen für einen Aufstieg geheim gehalten wird sowie einem Wissen um die Bedeutung informeller Spielregeln und normativer Erwartungen für den Erfolg einer Karriere. Diese Strategie wendet auch Mechthild Gause an, indem sie das Mentoring – das ebenfalls nicht transparent nach außen ist - zum Erlangen informeller Informationen und karrieretechnisch relevanten Wissens instrumentalisiert. Ihr geht es deshalb auch nicht darum, über zukünftige Tätigkeiten aufgeklärt zu werden. Stattdessen möchte sie soziale Zusammenhänge und informelle Aufgaben von Führungsarbeit kennen lernen und dies anhand von konkret geschilderten Situationen. Sie hat demnach ein Verständnis situierter Praxis und impliziter Regeln und favorisiert deshalb eine Problemlösestrategie, die den Kontext des Problems bzw. der Handlung berücksichtigt. Sie knüpft damit direkt an die Vorstellungen Henschels (2001, 61) über eine lernförderliche Community of Practice an, der die besondere Bedeutung von situierten Erzählungen für Lernprozesse betont. Bezüglich der Gestaltung der Mentoringtreffen geht sie davon aus, flexibel ihre Erwartungen und Aktivitäten an der Art der Mentorin bzw. des Mentors ausrichten zu müssen. Damit erhöht sie zugleich aktiv ihre Chancen auf Nutzen und Zufriedenheit mit dem Programm. Der Wunsch, ein einjähriges Projekt durchzuführen, was von ihrer Mentorin begleitet wird, weist nicht nur auf ebenfalls große Aktivität hin, er zeigt erneut ihr strategisches Kalkül und die Ernsthaftigkeit, mit der sie das Mentoring als
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karrierewirksames Instrument nutzt. Implizit nimmt sie damit erneut Bezug auf die von Henschel (2001, 59ff) als lernförderlich beschriebenen Rahmenparameter der Zusammenarbeit einer Community of Practice. Obwohl die Projektarbeit sich nicht umsetzen lässt, erfolgt die Gestaltung der Mentoringsettings zu ihrer Zufriedenheit: Zum einen definiert sie im Sinne des Care-Aspekts die Rolle ihrer Mentorin als Begleiterin und bestimmt damit nicht nur ihr Verhältnis zueinander, sondern auch einen Großteil der Gesprächsinhalte. Zum anderen stellt sie damit einmal mehr ihre Karriereambitionen unter Beweis und profiliert sich dadurch im Sinne symbolischen Kapitals und erhöht so ihre Aufstiegschancen. Die Bemerkung „also es ist ja jetzt eine Mentorin“ belegt im Übrigen die Relevanz des Geschlechts der Mentorin, und zeigt, dass ihre ‚Normalerwartung’ ein männlicher Mentor war. Begleitung I:
Und wie läuft jetzt konkret Ihre Mentoringbeziehung?
M.G.: Also wir haben uns jetzt schon ein paar Mal getroffen. Sie hat halt oft auch externe Termine und Pressetermine, die kurzfristig kommen, wenn aktuell irgendwas ist. Und da haben wir halt jetzt die Vereinbarung, wir haben uns quasi Termine gesetzt alle drei Wochen, d.h. wenn einer ausfällt, aber in dem Wissen auch, es fallen viele aus, dass der Abstand zwischen zweien nicht länger als sechs Wochen wird, und das kommt gut hin. Ansonsten telefonieren wir mal, aber das ist eher selten. Was wir jetzt noch gemacht haben ist, sie hat mich jetzt öfter mal zu so Sachen eingeladen, die bei ihnen sind. Also es gab mal eine große Pressekonferenz mit so einer anschließenden Diskussion, da bin ich hingeflogen zu dem Termin, das hatte sie organisiert und vorbereitet. Dann war ich bei der Hauptversammlung jetzt eingeladen, und immer in Kombination jetzt mal zu gucken, wie bereiten die das vor und dann das Ergebnis angucken. Und dann machen die da, gehe ich nächste Woche zu so einer internen Veranstaltung mit dazu, das ist so, ja, nennen das Happy Hour, das machen die so alle sechs bis acht Wochen, dass die Mitarbeiter zusammen kommen, und irgendwas miteinander machen, sich da ein bisschen austauschen. Also so, dass ich mir das auch wirklich angucken kann, was sie da machen. Und dann die andere Seite ist halt quasi diese, diese Begleitung jetzt von der Entwicklung, die in der Zeit passiert. Also ganz konkrete Vorbereitung für Gespräche, für bestimmte Strukturvorschläge, die ich dann gemacht habe. So was, ja? Und dann erzählt sie mir sehr viel, wie es dann ihr gegangen ist. Also das ist dann immer das, was ich dann auch abfrage, ja? Wie war das bei ihr? Wie hat sie das erste Mal die Position eingenommen? Welche Schwierigkeiten treten bei ihr auf, wie hat sie das gelöst? So was als Beispiel. Was ich jetzt noch habe, ich habe am Anfang so eine Liste gemacht, verschiedene Punkte gesagt, das wären so Themen, die ich gerne besprechen würde, aber jetzt nicht, dass wir das eins nach dem anderen abarbeiten, sondern das wird jetzt in dem Jahr, werden die Themen auftauchen. Zum Beispiel so was: Man hat Mitarbeiter, also wenn man natürlich ein Team bekommt ist das Team ja da, man sucht sich ja nicht, kann sich ja, glaube ich selten alle Mitarbeiter aussuchen, die man haben möchte. Was passiert zum Beispiel, wenn man mit jemandem überhaupt nicht zurecht kommt? Wann trennt man sich von Mitarbeitern? Welche Aufgaben sind wichtig, was übernimmt man selbst? Was kann man alles delegieren? So was einfach.
214 I:
Mentoring als Lernarrangement: Die Gestaltung eines Programms Hört sich klasse an!
M.G.: Ja, die ist auch supernett.
Mechthild Gause und ihre Mentorin haben sich bis zum Interviewtermin schon mehrmals getroffen, womit sie ihr beidseitiges ernsthaftes Interesse am Mentoringprogramm bekundet. Auch der professionelle Umgang mit der Terminabsprache um zu seltenen Treffen vorzubeugen (dreiwöchentliche Treffen), belegt diese Lesart wie auch die Aufwertung der Mentorin durch die häufigen auswärtigen Termine zeigen, dass sie eine anerkannte Person ist. Ihre Abmachung funktioniert und ist ein Hinweis auf die Zufriedenheit Mechthild Gauses mit der Organisation ihrer Mentoringtreffen. Die früh getroffene gemeinsame Vereinbarung über die Regelung und Häufigkeit der Treffen zeugt auch von einer Kommunikation zwischen Mechthild Gause und ihrer Mentorin, die auf verschiedenen Ebenen stattfindet (konkrete Gesprächsebene und Meta-Ebene) sowie von einer Offenheit, Schwierigkeiten des Mentorings zumindest auf einer organisatorischen Ebene ansprechen zu können. Die häufige Rede von „wir“ in Kombination mit gemeinsamen Beschlüssen und Aktivitäten zeigt, dass sie das Lernarrangement gemeinsam gestalten bzw. dass es wenig Konflikte in der Gestaltung der Treffen zu geben scheint. Implizit steckt in dem Bemühen um häufige Treffen ein Verständnis von Mentoring als kontinuierlich stattfindende Kommunikation. Zudem belegen die häufigen persönlicheren Treffen in ihren unterschiedlichen Formen (auf Veranstaltungen, in Zweier-Konstellation, bei Meetings) erneut die ernsthafte Herangehensweise der beiden Mentoringpartner/innen, denn Treffen bedeuten auf vielen Ebenen Investitionen von beiden Seiten (Zeit, Geld, Organisationsaufwand). Im Sinne einer gelingenden Community of Practice nach Henschel (ebd., 147) scheinen sie eine intensive Interaktions- und Kommunikationsbeziehung zu pflegen, und das Programm erfährt über diese Investitionen eine symbolische Aufwertung. Die persönlichen Treffen zwischen Mechthild Gause und ihrer Mentorin sind häufiger als telefonische Gespräche. Möglicherweise sind Telefonate kein förderlicher Rahmen für Mentoringgespräche, worin implizit ein Verständnis von Mentoring im Sinne einer lernförderlichen Community of Practice nach Henschel (ebd.) enthalten sein könnte, dass face-to-face Interaktionen eine andere Qualität von Mentoringprozessen besitzen als Telefongespräche. Die Möglichkeit von Telefonaten bedeutet aber in jedem Fall, dass Mechthild Gause und ihre Mentorin zwischen verschiedenen ‚Kontaktformen’ wählen können und sie mit der Möglichkeit zu telefonieren auch kurzfristig oder in Notsituationen Kontakt aufnehmen können. Auch dies bestätigt den relativ intensiven Kontakt und eine Haltung entsprechend des Care-Aspekts zwischen Mentee und Mentorin.
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Entsprechend zur ersten Interviewpassage beschreibt Mechthild Gause zuerst den Prozess des Kennenlernens des anderen Unternehmens. Die Einladungen zu unterschiedlichen Veranstaltungen im Unternehmen der Mentorin – zu denen Mechthild Gause einmal sogar flog - belegen (wie oben) die Ernsthaftigkeit, das Engagement und das große Interesse der Mentorin am Mentoringprogramm bzw. an Mechthild Gause. Die von der Mentorin „organisierte und vorbereitete“ Pressekonferenz ist erneut als Aufwertung ihrer Person und ihrer Funktion durch die Mentee zu verstehen. Von der anderen Seite her betrachtet betont die Mentorin mit derartigen Einladungen und Teilhaben allerdings die unterschiedlichen Positionen von Mechthild Gauses und ihr selbst und stellt damit rein formal stets eine hierarchisierte Beziehung her, aus der sie als professioneller, erfahrener und höhergestellt hervorgeht. Zugleich spricht die Teilnahme Mechthild Gauses an vorbereitenden Arbeiten und anschließenden Veranstaltungen natürlich auch für eine vertrauensvolle Basis zwischen der Mentorin und Mechthild Gause, und zeigt ein Wissen um die Komplexität von Lernprozessen, zu denen das Kennenlernen ganzer Arbeitsprozesse gehört, und ein Lernen nicht nur auf der Basis von verbalem Austausch, sondern auch durch Beobachten und Miterleben stattfindet. Ein ebensolcher Vertrauens- und Ernsthaftigkeitsbeweis, aber immer auch ein Positionierungsmittel, ist, dass Mechthild Gause an „internen“ Veranstaltungen teilnehmen darf. Auf dieser Basis kann sich Mechthild Gause „das auch wirklich angucken, was sie da machen“ und Einblicke in hintergründig stattfindende Prozesse und Regelungen bekommen. Der Satz „angucken, was sie da machen“ scheint zu bedeuten, offensichtliches Wissen der Mentorin und der Mitarbeiter/innen durch Beobachtung zu erwerben. Unabhängig von der strukturellen Hierarchie, die mit diesen Settings hergestellt werden, ist Mechthild Gause auch mit diesem Teil des Mentorings sehr zufrieden. Ein weiterer Bestandteil ihrer Treffen ist neben dem Kennenlernen des anderen Unternehmens und konkreter Arbeiten der Mentorin das Führen von Beratungsgesprächen, in denen die beiden gemeinsam an Strategien für Mechthild Gauses aktuellen Aufgaben arbeiten. Die Umsetzung, die die Strategien erfahren haben, verdeutlichen erneut Mechthild Gauses Gewinn und ihre Zufriedenheit mit den Mentoringtreffen. Ein weiterer Aspekt der Treffen ist, dass Mechthild Gause aus den Erfahrungen der Mentorin lernen kann. Sie dient ihr quasi als Modell. So „erzählt“ die Mentorin aus ihrem Berufsleben und wie es „ihr gegangen ist“, worin sich das Prinzip des Storytellings nach Henschel (ebd.) wiederfinden lässt. Dass dies aber auch wieder in Mechthild Gauses Interesse liegt, zeigt ihr Nachsatz „Also das ist dann immer das, was ich dann auch abfrage, ja?“. Mechthild Gause hat demnach das Gefühl, für die Schilderungen Impulse setzen zu können, so dass
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die Erzählungen an ihren Fragen und Interessen anknüpfen, und das ist ihr wichtig. Das Verb „abfragen“ weckt die Assoziation eines LehrerinnenSchülerinnen-Verhältnisses, wobei Mechthild Gause vorgibt, die Rolle einer mündigen Schülerin einzunehmen. Ihr scheint es wichtig zu sein, die Situation mitzubestimmen und eine gewisse Kontrollmacht zu behalten und möglichst der inferioren Position entgegenzuwirken, die in der Lern-Konzeption angelegt ist. Dies spricht für ein Interesse an einer heterarchischen Beziehung, das Henschel (ebd., 55ff) als lernförderlicher im Vergleich zu hierarchisch organisierten Lernbeziehungen definiert. „Was ich jetzt noch habe“ sind die einleitenden Worte für einen weiteren Punkt der Mentoringtreffen, der zugleich Mechthild Gauses systematische und ernsthafte Herangehensweise bei Aufgaben zeigt. Sie hat gleich zu Beginn des Programms eine Liste mit Themen angefertigt, die sie gern mit der Mentorin thematisieren würde. Diese Liste stellt für Mechthild Gause aber keinen ‚Lehrplan’ dar: statt sie Punkt für Punkt „abzuarbeiten“, werden im Verlauf des Mentoringjahres die „Themen auftauchen“. Darin könnte implizit angedeutet werden, dass Mechthild Gause ihre Interessen und Vorstellungen zum Inhalt und Verlauf der Mentoringtreffen an die Vorstellungen der Mentorin angepasst hat. Möglicherweise hielt die Mentorin nichts vom „abarbeiten“ einer solchen Liste. Jedenfalls ist erstaunlich, dass Mechthild Gause eine solche Liste erstellt hat, aber unklar bleibt, wie die Themen in den Gesprächen konkret auftauchen sollen. Wie ein beispielhaftes Thema der Liste zeigt, handelt es sich um konstruierte Probleme in der Personalführung. Mechthild Gause vermutet besondere Schwierigkeiten einer Führungskraft vor allem im zwischenmenschlichen Bereich. Wie solche Situationen am besten zu lösen sind, erfordert Erfahrungswissen, das sie noch nicht besitzt. Ein solches Wissen ist auch schwer beobachtbar und sie fragt deshalb nach dem impliziten Wissen der Mentorin dazu. Mechthild Gause beschäftigt sich demnach intensiv mit ihrer zukünftigen Rolle als Führungskraft und nutzt das Mentoring, um sich habituell auf schwierige und potenziell unangenehme Situationen vorzubereiten und erfahrungsbasierte Lösungen im Sinne der Feldlogik kennen zu lernen.
6.3.3 Zusammenfassung Die Interessen am Mentoringsetting der beiden Mentees aus dem letzten beruflichen Feld liegen weit auseinander und resultieren aus verschiedenen Aufmerksamkeitsrichtungen auf Integrations- und Ausgrenzungsmechanismen im beruflichen Umfeld. So hat die Mentee Gause ein Interesse an den informellen Praktiken, die Ausdruck impliziter Spielregeln ihres Unternehmens sind. Um ihre be-
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ruflichen Aufstiegschancen zu verbessern möchte sie diese im Hinblick auf eine angestrebte Führungsposition kennen lernen, um adäquat und im Sinne der Unternehmenslogik handeln und sich verhalten zu können. In der Beziehung zur Mentorin und den Treffen mit dieser sieht sie dazu eine geeignete Form der Vorbereitung im Sinne eines beruflichen Sozialisationsprozesses. In vielen Aspekten ähnelt ihre Mentoringbeziehung zur Mentorin einer Community of Practice wie sie Henschel beschreibt. So pflegen sie auf unterschiedlichen Ebenen und auf verschiedene Weisen intensiven Kontakt und ihre Haltung zueinander ist durch Solidarität und Hilfsbereitschaft der Mentorin geprägt. Henschel bezeichnet dies als Care-Aspekt einer Community of Practice. Lernprozesse werden so durch persönliche Gespräche als auch durch beobachtendes Teilnehmen in verschiedenen beruflichen Situationen der Mentorin angeregt. Durch beispielhafte Darstellungen und Erzählungen von Situationen aus dem beruflichen Alltag – Henschel bezeichnet dies als Storytelling - lernt die Mentee anhand der Mentorin als Modell Spielregeln und implizite Verhaltensregeln kennen sowie Lösungsstrategien. Die Diversität in dieser Beziehung ist durch die unterschiedlichen Erfahrungen und beruflichen Positionen und Kontexte gegeben und hat einen bereichernden Effekt für den Lernprozess der Mentee, der scheinbar nicht durch die Tätigkeit in unterschiedlichen Unternehmen von Mentee und Mentorin beeinträchtigt wird. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Logiken der beruflichen Felder von der Mentee und der Mentorin ähnlich erlebt werden oder dass gerade über die Abweichungen Erkenntnisprozesse angeregt werden. Darüber können aber anhand des empirischen Materials keine genaueren Aussagen getroffen werden. Dahingegen besteht Margot Kochs Interesse darin, Ungleichbehandlungen durch institutionalisierte Regeln und informelle Praktiken im Unternehmen aufzudecken und zu verändern. Ihr ist es ein Anliegen, etwas darüber zu erfahren, wie diesen Missständen im Unternehmen entgegen gewirkt werden kann, und sie hat sich für diesen Zweck vom Mentor strategische Tipps erhofft. Diese Hoffnung wird aber enttäuscht, obwohl der Mentor die Entwicklung des Arbeitsmarktes und entsprechende Strategien der Unternehmen ebenso problematisch wie sie einschätzt. Für eine Einschätzung und ein Entgegenwirken hat er für sich selbst weder eine Perspektive, noch eine Strategie entwickelt und kann solche entsprechend auch nicht in die Mentoringsituation einbringen. Auf dieser Ebene scheint sich somit ein Mangel an diversen Perspektiven und Strategien als hemmend auf den Mentoringprozess auszuwirken. Für Margot Koch führt dies dazu, das Mentoringsetting nur bedingt als lernanregend wahrzunehmen, da sie ein großes Interesse an der Reflexion und der Entwicklung von Strategien zur Veränderung institutioneller Ungleichbehandlungen hat. Dies hängt auch damit zusammen, dass sie keinen weiteren beruflichen Aufstieg anstrebt. Sie befürchtet aufgrund dieses Anliegens keine negativen Konsequenzen. Diesbezüglich findet sie im
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Mentoringprogramm aber keine Unterstützung, und sie kann das Programm hinsichtlich dieses Anliegens nur insofern nutzen, als sie es politisch als symbolisches Zeichen für stattfindende und vom Unternehmen selbst eingestandene Ungleichbehandlungen einsetzt. Dazu versucht sie, ihm eine möglichst große Öffentlichkeit zu verschaffen und die gleichstellungspolitische Dimension des Programms transparent zu machen. Da sie aber auch im beruflichen Alltag ihre Position bewahren muss, kann sie die Mentoringtreffen mit ihrem Mentor auch dazu nutzen, problematische Aspekte daraus mit ihrem Mentor zu besprechen. Diese Gespräche richten sich auf die Verhaltensweisen Margot Kochs und ihren Möglichkeiten, feldrelevante Ressourcen zu bewahren und zu vermehren. Die Spielregeln und impliziten Verhaltenserwartungen in Margot Kochs beruflichem Umfeld scheinen Ähnlichkeiten zu denen im Bereich des Mentors zu besitzen. Deshalb kann der Mentor auf der Basis ähnlicher Erfahrungen konkrete Tipps auf der Verhaltensebene geben, die für Margot Koch neue Handlungsmöglichkeiten darstellen. Durch die Kooperation auf dieser Ebene im Rahmen einer ebenfalls durch Solidarität und Hilfsbereitschaft des Mentors geprägten Lerngemeinschaft und mit dem Ziel der Verbesserung von Verhaltensweisen Margot Kochs im Sinne der Feldlogik stellen die beiden Mentoringpartner/innen somit eine produktive Form der Zusammenarbeit her, die in einigen Punkten damit ebenfalls einer Community of Practice ähnelt. Dennoch hat diese Bedeutung des Mentoringprogramms für Margot Koch einen zweitrangigen Charakter – zumindest tritt dies so im Rahmen des Interviews hervor. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass beide Mentees auf der Ebene des Verhaltens von der Mentoringbeziehung profitieren. Sie lernen informelle Praktiken und ihre implizite Bedeutung kennen und erweitern auf diese Weise ihr Wissen über feldspezifische Spielregeln sowie sie feldrelevante Kapitalien für sich sichern bzw. vermehren können. Dies erfolgt auf der Basis ähnlicher beruflicher Erfahrungen des Mentors/der Mentorin bzw. durch ähnlich strukturierte Arbeitskontexte von Mentor/innen und Mentees. Daraus wird deutlich, dass eine produktive Zusammenarbeit und ein Austausch auch zwischen Mentees und Mentor/innen möglich sind, die in unterschiedlichen Unternehmen/Organisationen tätig sind, vorausgesetzt, die beruflichen Kontexte der Beteiligten besitzen eine ähnliche Logik. Beide Mentoringpaare gestalten ihre Beziehung durch lernförderliche Aspekte einer Community of Practice wie sie von Henschel beschrieben werden, wobei das geschlechtshomogene Mentoringpaar durch eine intensive Ausprägung dieser Parameter auffällt und das ModellLernen besonders stark zu beobachten ist. Dies bestätigt die These aus den anderen Fällen und Feldern, in denen besonders zwischen Mentees und Mentorinnen
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ein Format der Zusammenarbeit, der Unterstützung und des Lernens ausgeprägt ist, das besonders lernförderliche Effekte ermöglicht. Die unterschiedlichen Interessen sowie die Bewertung der Qualität und des Nutzens aus der Mentoringbeziehung durch die Mentees muss im Zusammenhang mit den verschiedenen berufsbiographischen Voraussetzungen und Pläne der Mentees gesehen werden (vgl. auch Alheit 1997). Da die Mentee Gause auf die Übernahme einer Führungsposition hinarbeitet, ist es ihr wichtig, sich entsprechende Verhaltensweisen anzueignen, die diesen Aufstieg unterstützen können. Dazu zählt auch – wie im ersten Empirieteil herausgearbeitet werden konnte – eine loyale Haltung gegenüber Kollegen und Vorgesetzten sowie gängigen Praktiken und Regelun-gen. Da sie diesbezüglich Unterstützung im Mentoringsetting findet, kann sie das Programm in ihrem Sinne nutzen. Ein anderes Bild zeigt sich bei Margot Koch: Aus einem primären Interesse heraus, Spielregeln und informelle Praktiken des Unternehmens im Hinblick auf ihren ausgrenzenden Charakter zu reflektieren und zu verändern, handelt sie entgegen der normativ erwarteten Loyalität als Ausdruck eines unternehmerischen Habitus und sucht darin Unterstützung und Hilfe im Mentoringprogramm. Da dies nicht möglich ist, schätzt sie den persönlichen Gewinn aus der Mentoringbeziehung nicht sehr hoch ein.
6.4 Mentoring als Lernarrangement. Theoretische Zusammenführung und Schlussfolgerungen Die Analysen der Lernsettings des Mentorings haben gezeigt, dass die Art und Weise wie dieses Setting als Lernarrangement konstruiert wird mit den feldspezifischen Logiken aus dem beruflichen Umfeld der Mentees und Mentor/innen sowie mit den aus diesem Kontext resultierenden berufsbiographischen Plänen der Mentees zusammenhängt (vgl. hierzu auch Schell-Kiehl 2007, 219ff). Dies wird im Folgenden anhand der Zusammenfassung der Gestaltung der Settings durch die Mentoringpaare aus den drei Feldern aufgezeigt werden. In den Darstellungen zum Mentoring als ein Lernarrangement gibt es, angeregt durch die Fragen der Interviewerin, zwei Ebenen der Beschreibung. Die erste enthält Vorstellungen der Mentees zum Setting als Lernarrangement, die sie bereits vor Beginn des Programms hatten oder wie sie sich im Verlaufe dessen entwickelthaben69. Dabei werden zum Teil sehr differenzierte Vorstellungen zum Ler69 Vorstellungen oder Erwartungen sind immer kontextabhängig und werden interaktiv hergestellt. Sie variieren mit der sozialen Situation und können ihre Richtung in Abhängigkeit vom Verlauf der Interaktion verändern. So können die Mentees vor Beginn des Mentorings andere Erwartungen gehabt haben als sie zum Zeitpunkt des Interviews formulieren, genauso wie denkbar ist, dass sie keine spezifischen Erwartungen und Vorstellungen vor Beginn des Programms hatten und diese erst
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nen in diesem spezifischen Setting geäußert, was darauf hindeutet, dass diese Mentees sich im Vorfeld viele Gedanken darüber gemacht haben und das Programm sehr ernst nehmen. Die zweite Ebene zum Mentoring als Lernarrangement ist die Beschreibung des Erlebens der Settings. Grob zeigten sich dabei zwei Varianten von Mentoringpaaren: Mentoringbeziehungen, bei denen eine Passung zwischen den Vorstellungen der Mentees zum Mentoringsetting und den konkreten Erlebnissen hergestellt wurde und Mentoringbeziehungen, bei dem die Vorstellungen zum Setting nicht mit den gemachten Erfahrungen übereinstimmen. Für die Beschreibung der Lernarrangements erwiesen sich vor allem die Parameter und Prozessvariablen einer Community of Practice nach Henschel (2001) als hilfreich. Neben der Beschreibung des Mentoring als Lernarrangement, so wurde in der Analyse deutlich, stellt der Lernprozess einen weiteren wichtigen Aspekt dafür dar, der Frage aus dem Theorieteils nachzugehen, ob sich ein Mentoringsetting als ein Ort der „stillen Pädagogik“ (Bourdieu 1987a, 128) entpuppen könnte, an dem implizites Spielregelwissen über Aufstiegs- und Ausschlussmechanismen inkorporiert wird und den Befürchtungen von Kritiker/innen entsprechend herrschende hierarchische Geschlechterverhältnisse reproduziert und ihre Wirkungsmechanismen verschleiert werden (vgl. Kap. 2.3). Ob sich Mentoring gerade umgekehrt auch als ein Kontext herausstellen kann, in dem die impliziten Spielregeln reflektiert und expliziert werden und damit im Sinne gleichstellungspolitisch motivierter Hoffnungsträger/innen veränderbar werden, lässt sich also nur durch die differenzierte Betrachtung des Lernprozesses bestimmen. Das Konzept des Situierten Lernens mit seiner Fokussierung auf förderliche Lernbedingungen muss dazu um eine theoretische Perspektive erweitert werden, die stärker den Lernprozess als komplexe Gestalt ins Auge fasst (vgl. Alheit/Dausien/Kaiser/Truschkat 2003). Dies ermöglicht der lerntheoretische Zugang Deweys über erfahrungsbasiertes Lernen (vgl. Dewey 2000). Dewey betrachtet Lernen als ein komplexes Gesamtgeschehen, als ein Zusammenspiel von Handeln und Denken bzw. Reflexion in einem diffus teleologischen Prozess der interaktiven Auseinandersetzung mit der sozialen und materiellen Umwelt. Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich John Dewey (1896) und George Herbert Mead (1903) mit der damals entstehenden behavioristischen Psychologie kritisch über deren einfaches Verhaltensmodell auseinandergesetzt und dabei ein Konzept von Handlung und Erfahrung entwickelt, dem das Verständnis von Lernen in dieser Arbeit folgt. In einem Aufsatz über das so genanndurch die Interaktion mit dem/der MentorIn entwickelt haben oder bereits vorab entwickelte Vorstellungen im Rahmen der Interaktion mit dem/der MentorIn verändert haben. Vorstellungen und Erwartungen besitzen demnach eine dynamische Struktur, sind nicht starr und können theoretisch als „diffus teleologisch“ (Joas, 1988, S.423) beschrieben werden.
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te „Reflexbogenmodell“ konnte Dewey (1896) plausibel zeigen, dass menschliches Handeln eben nicht nach dem Schema funktioniert: Reiz Æ Reizverarbeitung Æ Reaktion. Vielmehr machte er deutlich, dass Handlung als ganzheitlicher Prozess verstanden werden muss, in dem bestimmte Reize als solche überhaupt erst wahrgenommen werden. Dass in der Regel nicht ein Auslösereiz die Handlung determiniert, sondern – umgekehrt – der ablaufende Handlungsprozess sich die für ihn wesentlichen Reize gleichsam auswählt, beschrieb auch Mead (1903) in einem weniger bekannten Aufsatz über die „Definition des Psychischen“. Die beiden Klassiker des amerikanischen Pragmatismus gehen aber noch einen Schritt weiter. Selbst die Vorstellung, dass Handeln gewöhnlich zweckvolles, also intentionales Handeln sei, halten sie für problematisch. Die Idee, dass gleichsam außerhalb des Handlungskontextes ein bestimmtes Handlungsziel vom Bewusstsein ‚als solchem’ gesetzt wird, ist mit empirischen Handlungsvollzügen nicht vereinbar. Im Regelfall handeln wir zwar mit einer bestimmten Grundintention, diese ist jedoch eher mit einem unscharfen Entwurf vergleichbar als mit einem exakt formulierten Ziel. Die konkreten Zwecke der Handlung werden zumeist erst im Handlungsvollzug deutlich und können durchaus zur Revision der ursprünglichen Intention führen. Lernen vollzieht sich somit stets in einem diffus teleologischen Prozess der interaktiven Auseinandersetzung mit der sozialen und materiellen Umwelt. Es ist „diejenige Rekonstruktion und Reorganisation der Erfahrung, die die Bedeutung der Erfahrung erhöht und die Fähigkeit, den Lauf der folgenden Erfahrung zu leiten, vermehrt“ (Dewey 2000, 108). Voraussetzung für Lernprozesse sind somit Erfahrungen, die ihrerseits als aktive, reflexive Auseinandersetzungen mit Erlebnissen verstanden werden können, die in einen sozialen Bedeutungshorizont eingebettet werden. Die Qualität des Lernprozesses hängt wiederum von der Qualität des Reflexionsprozesses und der auf ihn folgenden bzw. in ihm gemachten Erfahrung zusammen: „Bloße Betätigung stellt noch keine Erfahrung dar. Sie wirkt zerstreuend, zentrifugal. Erfahrung als Probieren umfasst zugleich Veränderung – Veränderung aber ist bedeutungsloser Übergang, wenn sie nicht bewusst in Beziehung gebracht wird mit der Welle von Rückwirkungen, die von ihr ausgehen. Wenn eine Betätigung hineinverfolgt wird in ihre Folgen, wenn die durch unser Handeln hervorgebrachte Veränderung zurückwirkt auf uns selbst und in uns eine Veränderung bewirkt, dann gewinnt die bloße Abänderung Sinn und Bedeutung; dann lernen wir etwas.“ (Dewey 2000, 186f)
Die Qualität der Erfahrung wiederum hat mit dem Ausmaß der Verflochtenheit der aktiven und der passiven Seite der Erfahrung zu tun. „Die aktive Seite der Erfahrung ist Ausprobieren, Versuch – man macht Erfahrungen. Die passive Seite ist ein Erleiden, ein Hinnehmen. Wenn wir etwas erfahren, so wirken wir auf dieses Etwas zugleich ein, so tun wir etwas damit, um dann die Folgen unseres Tuns zu erleiden. Wir
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wirken auf den Gegenstand ein, und der Gegenstand wirkt auf uns zurück; eben darin liegt die besondere Verbindung der beiden Elemente. Je enger diese beiden Seiten der Erfahrung miteinander verflochten sind, um so größer ist ihr Wert.“ (Dewey 2000, 186; Herv. i.O.).
Um zu klären, wie, wodurch und was in den beschriebenen Lernarrangements gelernt wird und ob es sich hierbei um eine „stille Pädagogik“ (Bourdieu 1987a, 128) handelt oder nicht, ist es somit relevant, nach der Verbindung zwischen aktiven und passiven Momenten der Reflexion und somit nach der Qualität der Erfahrung zu fragen. Insgesamt sollen somit an dieser Stelle die von den Mentees beschriebenen Lernarrangements und die in ihnen stattfindenden Lernprozesse in den Blick genommen werden und hinsichtlich ihres Zusammenhangs von feldspezifischen Logiken diskutiert werden. Im Feld A konnte aufgezeigt werden, dass die Lernarrangements in den rekonstruierten Mentoringbeziehungen in vielen Zügen einer Community of Practice gleicht, wie sie von Henschel (2001) beschrieben wird. So beschreiben beide Mentees ein enges Verhältnis zu ihren Mentorinnen, das durch die Solidarität der Mentorinnen mit den Mentees und ihre berufliche Förderung gekennzeichnet ist. Neben diesen kooperativen und fürsorglichen Haltungen, die sich nach Henschel als Care (ebd., 65f; vgl. auch Kap. 3.1.4.) beschreiben lassen, kommt ebenso ein als lernförderlich beschriebener Effekt in der Diversität von Perspektiven (ebd., 146f) zum Ausdruck, der sich in diesen Fällen aus den unterschiedlichen Positionen und Erfahrungen von Mentees und Mentorinnen im gemeinsamen medizinischen Feld ergibt. Die Mentorinnen besitzen einen Modell-Charakter. Inhaltlich findet im Rahmen der beschriebenen Lernarrangements dieses Feldes vor allem ein Austausch über feldspezifische Regeln des Verhaltens und karriererelevanter Ressourcen im Feld statt. Eine solche als lernanregend zu begreifende intensive Kommunikation und Interaktion (ebd., 147) weist allerdings kaum explizite Bezüge auf das gemeinsame soziale Geschlecht der beiden Mentoringpartnerinnen oder die besondere, weil vergeschlechtlichte Situation für aufstiegsorientierte Frauen auf. Gegenstand der Treffen werden vielmehr institutionalisierte Aufstiegsmuster und Selektionsmechanismen, innerhalb derer sich Frauen zu verorten und zu entscheiden haben, welche Wege sie einschlagen. Diese indirekte Bezugnahme auf die Vergeschlechtlichung der Aufstiegsmuster ist Folge eines nach Henschel (ebd.) für eine Community of Practice typischen Prinzips der Selbstorganisation, das den Teilnehmerinnen die Referenz- und Schwerpunktsetzung zu bearbeitender Themen und Aufgaben selbst überlässt. Den Mentees ist es im Rahmen dieser Form der Gestaltung eines informellen Lernarrangements möglich, feldspezifisches Wissen über feldrelevante Ressourcen und Regeln institutionalisierter Karrierewege im Bereich der Medizin zu erwerben und für ihre individuellen berufsbiographischen Pläne zu nutzen. Der
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Lernprozess, wie er von den Mentees beschrieben wird, lässt sich im Sinne Deweys als ein Reflexionsprozess beschreiben, durch den eigene Berufspraktiken und Karrierewege der Mentees in neuer Art und Weise in Beziehung zu den institutionalisierten Spielregeln des Feldes gesetzt werden (können). So bietet das Lernarrangement der Mentoringbeziehung, wie sie sich in diesem Feld präsentiert, einen Raum, primäre Erfahrungen als Resultat von praktisch tätigen Prozessen (vgl. Schäfer 1985, 229) reflexiv in den Blick zu nehmen. Zumeist, so zeigen die Analysen, handelt es sich hierbei um Erfahrungen, die innerhalb des beruflichen Lebenszusammenhangs als problematisch erlebt wurden. Im Rahmen des Mentoringsettings als Lernarrangement werden diese primären Erfahrungen durch einen Prozess des theoretischen und zugleich praxisbezogenen Prozess des Reflektierens in „sekundäre Erfahrungen“ (Schäfer 1985, 229) überführt. Primäre Erfahrungen gehen damit zeitlich und logisch den Sekundären voraus, die die in primären Lebenszusammenhängen gewonnenen Erfahrungen bereichern, erweitern, vertiefen und sichern (ebd., vgl. auch Schell-Kiehl 2007, 82). In den Mentoringbeziehungen des Feldes A wird implizites Wissen über feldspezifische Spielregeln vermittelt, wodurch jener Prozess des In-Beziehung-Setzens primärer Erfahrungen mit diesen Spielregeln und somit ein Umlernen im Sinne Deweys angeregt wird. Dies hat eine Veränderung in der Haltung der Mentees zum Feld und zur eigenen Karriere zur Folge, was auch zu veränderten Handlungsweisen führen kann (vgl. Dewey 2000 [1916]).70 „Lernen ist nicht nur die bruchlose Folge einander bedingender Erwerbungen, sondern vorzüglich ein Umlernen… Umlernen aber, das ist nicht nur die Korrektur dieser und jener Vorstellungen, die man sich über etwas gemacht hat; es bedeutet auch einen Wandel der ‚Einstellung’, d.h. des ganzen Horizonts der Erfahrung.“ (Buck 1967, 44)
In diesem Sinne lässt sich als Folge dieses Erfahrung-Machens und Lernens für die Mentees des Feldes A ein anderes Verständnis ihrer Position im Feld rekonstruieren sowie eine erweiterte Perspektive auf Handlungsoptionen bzw. – einschränkungen, die sich aus den neuen Erkenntnissen ergeben und die sie strategisch für das Verwirklichen ihrer Karrierepläne einsetzen können. Es wird damit empirisch nachvollziehbar, was Lave/Wenger (1991, 35) darunter verstehen, dass Lernen immer auch verändernde Praxis ist. Die durch das Mentoring sich verändernden Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster der Mentees bedeuten somit auch stets eine Veränderung der feldspezifischen Praxis (vgl. auch Kap. 3.1.4). 70
Diese Leistung der Subjekte kann aus biographietheoretischer Sichtweise mit dem Begriff der Biographizität gefasst werden (vgl. Alheit 1993; Alheit/Dausien 2000b), der den Gedanken der ‚eigensinnigen’ subjektiven Aneignung von Lernangeboten aufnimmt, aber darüber hinaus die Chance der Herstellung neuer kultureller und sozialer Erfahrungsstrukturen akzentuiert.
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Doch lässt sich hier auch tatsächlich eine Veränderung der vergeschlechtlichten feldspezifischen sozialen Praktiken nachzeichnen? Dazu kann auf Basis der Analysen zum ersten Feld festgestellt werden, dass aus den im Interview beschriebenen erfolgten Reflexionen im Mentoringprozess nicht darauf zu schließen ist, dass ein systematischer Bezug zwischen den Erfahrungen in primären Lebenszusammenhängen der Berufstätigkeit zu der Dimension der Vergeschlechtlichung von Spielregeln und Normen und damit zusammenhängenden Ungleichheitserfahrungen oder erlebten Ungleichbehandlungen stattgefunden hat. Im Rahmen der rekonstruierten Reflexionen ließ sich allenfalls implizit die besondere Härte von Ausgrenzungsmechanismen im Konkurrenzkampf um Positionen gegenüber Frauen erkennen, sie wurde jedoch in der Regel von den Mentees und Mentorinnen nicht im Sinne Deweys reflexiv in Beziehung zu Aufstiegsbedingungen gesetzt. Lernen erfolgt somit auf der Ebene individueller Reflexivität, was auf struktureller Ebene jedoch allenfalls indirekte Folgen zeigen kann. Im Feld B konnte aufgezeigt werden, dass nur eines der rekonstruierten Lernarrangements einer Community of Practice gleicht. Hier wurde die Mentorin als dominant und fordernd beschrieben, die zur Zusammenarbeit Schilderungen der Mentee aus deren beruflicher Praxis erwartet, um diese dann reflektieren zu können. Hier sind somit deutlich Aspekte des Storytellings und eine intensive Kommunikation und Interaktion wiederzufinden. Die Relevanzsetzung der Mentee zu Themen und Problemen wird zum Ausgangspunkt der Zusammenarbeit gemacht und die gemeinsamen Reflexionen erfolgen im Rahmen einer solidarischen und hilfsbereiten Haltung gegenüber der Mentee, so dass sich auch hier der Care-Aspekt zeigt. Das Aufzeigen von Handlungsalternativen durch die Mentorin lässt sich dabei als Ausdruck eines Modell-Lernkonzepts deuten. Interessant ist, dass ein solches Modell-Lernen stattfindet, obwohl die Mentorin in einem anderen beruflichen Feld als die Mentee tätig ist. So scheint vordergründig auch hier die Diversität von Perspektiven eine besondere lernförderliche Bedingung darzustellen. Gerade hierin liegt jedoch die Ursache begründet, warum die anderen beiden Mentees dieses Feldes ihre Mentoringbeziehung als weniger lernförderlich bewerten. Beide Mentees formulieren aufgrund der Nachfrage der Interviewerin eine Erwartungshaltung an die Mentoringbeziehung, die geprägt ist von einer intensiven Interaktions- und Austauschbeziehung und einer konstruktiv beobachtenden und unterstützenden Haltung des Mentors (Care). Obgleich zumindest in einem Fall die Bereitschaft des Mentors zur Gestaltung einer solchen Mentoringbeziehung durchaus vorhanden ist, zeigt sich – entgegen Henschels Behauptung, dass die Lernfähigkeit mit steigender Diversität der Perspektiven zunehme – gerade die Begrenzung der Lernförderlichkeit eines solchen Arrangements, wenn die berufsweltlichen Perspektiven allzu sehr diver-
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gieren. Dies wird umso deutlicher, wenn sich im anderen Fall eine solche unzuträgliche Diversität noch durch Diversitäten auf anderen Ebenen verstärkt, wie beispielsweise ein anderes Lernkonzept des Mentors, unterschiedliche Perspektiven auf die Gestaltung einer beruflichen Karriere sowie abweichende Vorstellungen über die Form der Zusammenarbeit (vgl. auch Riegraf 1996, 99). Interessant ist, dass im ersten Fall trotz oder gerade aufgrund der Diversität der Perspektiven, die durch das Cross-Mentoring entstehen, das Lernarrangement als eine lernförderliche Communitiy of Practice beschrieben werden kann.71 Dies kann einerseits auf die beobachteten Parallelen zwischen den beruflichen Feldern der Mentorin und der Mentee, andererseits aber auch auf das gleiche soziale Geschlecht von Mentee und Mentorin zurückgeführt werden. So ist jedenfalls auffällig, dass nur unter gleichgeschlechtlichen Mentorinnen-Mentee-Paaren tatsächlich förderliche, weil am Modell-Lernen orientierte, Lernarrangements aufzufinden sind. Gemeinsam ist allen drei rekonstruierten Mentoringbeziehungen eine Ausrichtung auf die in diesem Feld wirkende Norm des Leistungserfolgs. So wird oft schon die Teilnahme an diesem Programm von den Mentees im Sinne der Leistungsnorm als Leistungsbereitschaft und Aufstiegsinteresse signalisierendes Zeichen gedeutet. Je nachdem, was die Mentees von dem Programm erwarten bzw. wie viel sie sich durch die eben sehr unterschiedliche Lernförderlichkeit speziell ihres Mentoringsettings erhoffen können, spiegelt sich die Leistungsorientierung in dem Aufzeigen eines außergewöhnlichen Engagements und einer hohen Einsatzbereitschaft in der Mentoringbeziehung – auch dann, wenn der individuelle Nutzen im Hinblick auf Lernmöglichkeiten gering eingeschätzt wird. Die Norm des Leistungserfolgs spiegelt sich aber auch in den inhaltlichen Aspekten der Lernarrangements und somit im erwarteten Lernprozess. Dies zeigt sich vor allem im Interesse der Mentees, durch das Mentoringprogramm feldspezifisch erwarteten Verhaltensweisen besser zu entsprechen. Diesem darin zum Ausdruck kommenden Interesse am Regel-, Ressourcen- bzw. Machtaspekt des Feldes kann im Rahmen der Mentoringbeziehung allerdings nur bedingt entsprochen werden. Im Fall der Mentoringbeziehung, die als ein förderliches Lernarrangement beschrieben werden kann, zeigt sich, dass durch die solidarische und unterstützende Haltung der Mentorin die hier stattfindende intensive Kommunikation und das Aufzeigen erfolgreicher Verhaltensweisen die Mentee für sich zwar durchaus als eine Erweiterung von Handlungsoptionen beschreibt, den Gewinn der Mentoringbeziehung für einen beruflichen Aufstieg aber dennoch deutlich relativiert. Zum einen – so kann man anhand der Deutungen der Mentee aufzeigen - lässt sich hier also durchaus ein Lernprozess beschreiben. Bei diesem 71 Vgl. ausführlicher zu der sich hier aufdrängenden Diskussion der Bedeutung der Diversität von Perspektiven für Lernprozesse Kap. 7.2.3 im Schlusskapitel
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Lernprozess handelt es sich allerdings stärker um ein Modell-Lernen, eben um ein Lernen des ‚richtigen’, weil angepassten Verhaltens im Sinne der Feldlogik am Beispiel der Mentorin und weniger um einen reflexiven Prozess des Umlernens im Sinne Deweys. So werden allenfalls regelkonforme Verhaltensvorschläge angeregt, die aber eben nicht jenen rekonstruierten Erwartungen, die die Mentee – wie auch die anderen Mentees dieses Feldes – an das Lernarrangement formulieren, nämlich ihre persönlichen Erfahrungen in Beziehung zu institutionellen Zielen und Entwicklungsprozessen setzen zu können und somit primäre in sekundäre Erfahrungen zu überführen. Aber selbst ein solches Modell-Lernen gestaltet sich in den anderen beiden Fällen dieses Feldes aufgrund des Auseinanderklaffens der Perspektiven als schwierig. Zum anderen kann die Relativierung des Gewinns auf das Wissen um die zentrale Bedeutung bankinternen sozialen Kapitals für eine karriererelevante Ernennung zurückgeführt werden. Da die Mentor/innen in anderen Unternehmen tätig sind, sind ihre Möglichkeiten karriererelevante Beziehungen zu vermitteln, oder Reflexionen zwischen den im Bankwesen herrschenden Aufstiegsbedingungen und individuellen Verhaltensweisen anzuregen, nur begrenzt gegeben. Auch das für einen Aufstieg zentrale vertikale soziale Kapital können sie im Rahmen des Mentoringprogramms nicht verkörpern, da sie keine Deutungs-, Verteilungs- und Verfügungsmacht besitzen. Insgesamt zeigt sich an diesem Beispiel, wie stark die Feldlogik – in diesem Fall die Norm des Leistungserfolgs und die besondere Bedeutung des vertikalen sozialen Kapitals – und somit auch die vergeschlechtlichte Feldlogik bis in die Mentoringsettings hineinwirkt. Da es sich bei den hier rekonstruierten Lernprozessen um Formen des Modelllernens handelt, wird diese Logik perpetuiert, sodass man durchaus von einer „stillen Pädagogik“ (Bourdieu 1987a, 128) sprechen kann. In diesem Sinne lässt sich im Feld B also noch weniger eine Veränderung der vergeschlechtlichten feldspezifischen sozialen Praktiken erwarten als im Feld A. Die Feststellung der Bedeutung der Feldlogik für die Gestaltung und den potenziellen Gewinn des Mentoringsettings aus Sicht der Mentees lässt sich auch an den Beispielen aus dem dritten Feld C belegen. Die hier rekonstruierten Lernarrangements lassen sich durchaus als Communities of Practice beschreiben, die sich durch einen intensiven Kontakt zwischen Mentees und Mentor/innen, durch die Momente des Storytelling und schließlich in unterschiedlichem Ausmaß durch die Diversität der Perspektiven auszeichnen. Die zunächst lernförderlichen Bedingungen der Mentoringbeziehungen dieses Feldes werden jedoch durch die Betrachtung des Lernprozesses relativiert. Im ersten Fall dieses Feldes lernt die Mentee anhand der Mentorin als Modell Spielregeln und implizite Verhaltensregeln kennen sowie Lösungsstrategien für Probleme aus dem Berufsalltag. Sehr ähnlich wie im Feld B zeichnet sich hier
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also ab, dass ein Modell-Lernen am stärksten in der gleichgeschlechtlichen Mentoringpaarung zu beobachten ist, auch dann, wenn in solchen Fällen die Mentorin in einem anderen Unternehmen tätig ist. Durch einen intensiven Austausch mittels lernförderlicher Methoden wie dem Storytelling und die ermöglichte Begleitung und Beobachtung der Mentorin bei verschiedenen beruflichen Aktivitäten und in unterschiedlichen Kontexten erhält die Mentee den gewünschten Einblick in feldspezifische Spielregeln und informelle Praktiken der Mentorin, die sie zur Vorbereitung auf die Übernahme einer Führungsposition in ihrem Unternehmen für hilfreich hält. Ebenso wie zuvor geht es also auch hier weniger um ein erfahrungsbasiertes Lernen im Sinne eines Reflexionsprozesses, sondern vielmehr um die Fokussierung auf die Verhaltensebene zur Einübung eines stilsicheren Umgangs mit konstitutiven, normativen und distinktiven Regeln. Viel stärker als im Feld B zeichnet sich hier ab, dass das zu rekonstruierende Modell-Lernen den Glauben an den Sinn und die Bedeutung des Spiels und seiner Regeln nicht nur voraussetzt, sondern gleichzeitig verstärkt. So zeigt sich im zweiten Fall dieses Feldes, dass der Lernprozess mit dem Ziel einer Erweiterung von Handlungsoptionen zur Sicherung feldrelevanten symbolischen Kapitals und somit der Verbesserung von Verhaltensweisen im Sinne der Feldlogik sich ebenfalls recht erfolgreich gestaltet. Dennoch hat diese Bedeutung des Mentoringprogramms für die Mentee nur einen zweitrangigen Charakter. Dies liegt aus Gründen eines aufgegebenen Aufstiegsbedürfnisses an ihrem primären Interesse, Spielregeln und informelle Praktiken des Unternehmens aufgrund ihres ausgrenzenden Charakters aufzudecken, womit sie entgegen der normativ erwarteten Loyalität und der ausgeprägten Illusio in ihrem Feld handelt und auf Unterstützung und Hilfe im Mentoringprogramm setzt. Die erwünschte kritische Reflexion und Unterstützung erhält die Mentee jedoch im Rahmen der Mentoringbeziehung nicht. Deshalb bearbeitet sie die Illusio außerhalb der Mentoringbeziehung, indem sie im Unternehmen versucht, über das In-Beziehung-Setzen von institutionalisierten Praktiken und diskriminierenden Folgen ein Erfahrung-Machen über institutionalisierte Ungleichheiten und Ungleichbehandlungen als Lernprozess im Sinne Deweys bei Mitarbeiter/innen und Vorgesetzten anzuregen. Die Mentoringsettings im Feld C sind also in besonderem Maße durch die spezifische Feldlogik gekennzeichnet. So fördern gerade die Bedeutung der Loyalität und die damit verbundene Mächtigkeit des Illusioaspekts in diesem Feld den Effekt des Mentorings als ein Ort der „stillen Pädagogik“ (Bourdieu 1987a, 128). So zeigt sich auch hier vor allem ein (Modell-)Lernen im Sinne des (vergeschlechtlichten) Regelaspekts, durch das bestehende Strukturen ihre Bestätigung finden. Gerade in jenem Fall, in dem die Erwartung der Mentee an das Programm besonders in dem Aufdecken und somit in einem erfahrungsbasierten
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Lernprozess im Sinne Deweys liegt, zeigt sich regelrecht eine verhindernde Struktur durch das Mentoring. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Rahmen der Mentoringbeziehung, die als ein selbstorganisiertes Lernarrangement verstanden werden kann, prinzipiell die Möglichkeit angelegt ist, Lernprozesse anzuregen. Die Art der sozialen Beziehung zwischen den Mentees und ihren Mentor/innen hat sich dabei als ein entscheidendes Kriterium zur Lernförderlichkeit herausgestellt. Wenn soziale Lernbedingungen, wie sie im Konzept der Community of Practice beschrieben werden, hergestellt werden konnten, haben sich diese als anregend erwiesen. Umgekehrt hat die Verhinderung solcher Lernbedingungen die Reflexivität als Bedingung für Lernprozesse eingeschränkt. Darin kommt auch zum Ausdruck, wie voraussetzungsvoll nicht nur ein gelingendes Lernarrangement im Sinne einer Community of Practice ist. Es zeigt sich darüber hinaus, dass nicht in jeder Community of Practice automatisch Lernprozesse stattfinden. Dies betont, dass das Besondere an Lernprozessen nicht das ‚Fachliche’, sondern das Interaktive ist, Interaktion allein als Bedingung aber auch nicht für gelungene Lernprozesse ausreicht (vgl. hierzu auch Alheit/Dausien/Kaiser/Truschkat 2003). Deshalb liegt gerade im Prinzip der Selbstorganisation eine der größten Schwierigkeiten des Mentorings, denn aufgrund der hierarchischen Beziehung zwischen Mentees und Mentor/innen ist die Definitions- und Gestaltungsmacht im Setting ungleich verteilt. Diese ungleichen Bedingungen, die damit zu tun haben, dass die/der Mentor/Mentorin im Rahmen des Mentoringprogramms eine Expert/inn/enrolle zugewiesen bekommt und gegenüber der Mentee älter und beruflich gesehen höhergestellt ist, führt dazu, dass das Setting durch dieses informelle Legitimationsprinzip in der Regel nach den Vorstellungen der Mentorin/des Mentors gestaltet wird. Stimmen die Vorstellungen von Mentee und MentorIn überein bzw. entwickeln sich aufeinander zu, wird das Setting von den Mentees als gewinnbringend und gelungen erlebt. Sie sind im Sample dann in der Regel als Community of Practice beschrieben werden. Anders in den Fällen von abweichenden Vorstellungen zum Setting: hier setzt sich das ‚Konzept’ des/der MentorIn ‚durch’ und es kommt in nahezu allen Fällen phasen- bis dauerhaft zu einseitigen Anpassungsleistungen oder Heilungsversuchen durch die Mentees. Dies ist im Feld B vor allem vor dem Hintergrund der rekonstruierten Leistungsnorm plausibel, im Feld C aufgrund der dort herrschenden Norm zur Loyalität. So erfolgt beispielsweise eine Anpassung der Mentees an die Vorstellungen der Mentor/innen über die Verschiebung von Gesprächsthemen auf unverfängliche oder ‚unschädliche’, für die Mentee aber zugleich auch unwichtigere Themen oder indem eine Auswahl von für die Mentorin als relevant erachteten Gesprächsthemen getroffen wird oder indem ein Frage-Antwort-Schema, nahegelegt durch den/die Mentor/in, ‚bedient’ wird. Selbstorganisierte Lernarrange-
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ments führen demnach nicht per se zu erhöhtem Lernpotenzial, sondern wie Henschel bereits feststellt, hängen in entscheidendem Maße von der Hierarchie bzw. Egalität in Beziehungen ab. Die Mentees müssen sich gemäß sozialer Normen der Definition und Gestaltung des Mentorings durch den/die Mentor/in aufgrund der ungleichen Gestaltungsmöglichkeiten beugen. Dadurch wird tendenziell eine Lehr-Lern-Situation evoziert, die der Lernförderlichkeit einer Community of Practice entgegenwirkt. Die Chance auf eine gemeinsame Reflexion und eine kritische Auseinandersetzung mit feldspezifischen Spielregeln und Aufstiegsbedingungen sowie das Entwickeln von Möglichkeiten, die zu ihrer Veränderung beitragen könnten, wird damit gering. Zugleich hat die Feldlogik der Berufsfelder von Mentees und Mentor/innen entscheidenden Einfluss darauf, wie lernförderlich das Setting sein kann bzw. wie die Passung zwischen Mentee und Mentor/in sein sollte, um das Herstellen einer produktiven Lernatmosphäre zu unterstützen. So stellt die Feldlogik im Wissenschaftssystem mit seinen kulturellen und symbolischen Aufstiegsbedingungen die Basis für den Erwerb von Wissen über karriererelevante Ressourcen und deren Vermehrung sowie über feldspezifische Regeln im Rahmen der Mentoringbeziehungen dar. Durch das reflektierte Wissen der Mentor/innen über diese karriererelevanten Bedingungen und deren Erwerbmöglichkeit im Rahmen einer interaktiven Beziehung kann das Mentoringsetting in diesem Fall dazu beitragen, die Karrierechancen der Mentees zu erhöhen. Dabei haben sich die formalisierten und institutionalisierten Aufstiegsprozesse und -bedingungen im medizinischen Feld als erleichternde Faktoren für das Wahrnehmen, Deuten und Vermitteln von feldrelevanten Ressourcen und Verhaltensweisen herausgestellt. Dies stellt sich anders in den Feldern B und C dar, in denen die Aufstiegsbedingungen in den Feldern der Mentees durch die Tätigkeit der Mentor/innen in Feldern mit anderen Aufstiegslogiken nicht reflektiert und aufgezeigt werden können sowie der Erwerb zentralen karriererelevanten Kapitals wie z.B. soziales Kapital für einen Aufstieg im Bankwesen oder durch Loyalität geprägtes symbolisches Kapital im Verkehrsunternehmen nicht mittels oder im Rahmen der Mentoringbeziehung erworben werden kann. Die Qualität der Lernprozesse, die sich „im Zuwachs an Bedeutung [.] der vermehrten Wahrnehmung der Beziehungen und Zusammenhänge der Tätigkeiten, in die wir verwickelt sind“ (Dewey 2000, 108) zeigt, variiert dabei in Abhängigkeit von der Sozialität des Lernarrangements. So finden reflexive Lernprozesse nicht nur ‚im’ Individuum statt, sondern sind auf Kommunikation und Interaktion mit anderen bzw. die Beziehung auf einen sozialen Kontext angewiesen (Alheit/Dausien/Kaiser/Truschkat 2003). So sehen die Mentees gerade in der Auseinandersetzung mit dem Modell ‚Mentor/in’ gewinnbringende Lernprozesse begründet. Diese Lernprozesse, die am stärksten im medizinischen Feld sowie in
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Mentoring als Lernarrangement: Die Gestaltung eines Programms
gleichgeschlechtlichen Mentoringpaaren zu beobachten sind, sind aber zugleich durch ein In-Beziehung-Setzen von Erfahrungen in der Logik der Felder und ihren Spielregeln und sozialen Normen gekennzeichnet und resultieren deshalb in Lernprozessen vorwiegend als Anpassungsleistungen an feldspezifische Erwartungen. Die Dimension der Vergeschlechtlichung von Spielregeln und Normen wird im Rahmen dieses Reflexionsprozesses kaum berücksichtigt und gerade deshalb nicht in Beziehung zu individuellen Erfahrungen und institutionellen Aufstiegsbedingungen gesetzt. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse und den Analysen des ersten Empirieteils soll im folgenden Schlusskapitel dieser Arbeit Bezug genommen werden auf die in den ersten Kapiteln entwickelten Forschungsfragen und –perspektiven über die Gestaltung von Mentoringbeziehungen als Kern eines Instruments, mit dem personalwirtschaftliche und gleichstellungspolitische Interessen verbunden werden. Ferner werden die sich daraus ergebenden Möglichkeiten, Einfluss auf vergeschlechtlichte Spielregeln des beruflichen Aufstiegs diskutiert.
7 Mentoring im Spannungsfeld von Frauenförderung und Personalentwicklung
7.1 Ein Rückblick über die Anlage der Studie In dem letzten Kapitel geht es darum, in Bezug auf das Erkenntnisinteresse der Arbeit die Ergebnisse der empirischen Analysen zu theoretischen Aussagen im Sinne einer gegenstandsbezogenen Theorie (vgl. 4.1) zu verdichten. Dazu soll zunächst noch einmal (rückblickend) ein Überblick über die Anlage der Untersuchung gegeben werden. Den Ausgangspunkt der Überlegungen in dieser Arbeit stellten konzeptionelle Reflexionen über Mentoringprogramme als eine seit Ende der 90er Jahre verbreitete und sich nach wie vor verbreitende Maßnahme der Karriereförderung für Frauen in der Bundesrepublik dar. Die steigende Anzahl von Mentoringprogrammen – insbesondere Maßnahmen für Frauen als potenzielle Führungskräfte - wurde auf einen prognostizierten Führungskräftemangel angesichts demographischer Entwicklungen zurückgeführt (vgl. Wulf 2005, 71ff) sowie in Zusammenhang mit einem neuen Trend beruflicher Förderung von Frauen aus gleichstellungspolitischer Perspektive gestellt (Krell 2004, 16). Mentoring kann demnach als Versuch gedeutet werden, strukturell bedingten beruflichen Aufstiegsproblemen von Frauen durch eine Förderung auf individueller Ebene entgegenzuwirken. Ursprünglich als Personalentwicklungsmaßnahme konzipiert, ist es somit ein Instrument, dass auch für die Umsetzung gleichstellungspolitischer Ideen nützlich zu sein scheint. In der aus dieser Interessensverbindung hervorgehenden Vieldeutigkeit von Mentoringprogrammen wurde ein weiterer und wesentlicher Grund für die Etablierung der Programme im Weiterbildungsbereich von Unternehmen und Hochschulen gesehen (vgl. Kap. 2.1.4). Die dafür als notwendig erachteten Voraussetzungen konnten durch drei nachgezeichnete Perspektivwechsel der beruflichen Frauenförderung zwischen Anfang der 80er bis Mitte der 90er Jahre plausibilisiert werden. Dabei handelt es sich um die Erweiterung und Veränderung des Angebots an Maßnahmen auf Basis einer neuen Definition von Frauen als Arbeitnehmerinnen sowie um die Integration von Männern in Gleichstellungsmaßnahmen und eine betriebswirtschaftlich und gleichstellungspolitisch neue Definition von Geschlecht, das seit Mitte der 90er
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Mentoring im Spannungsfeld von Frauenförderung und Personalentwicklung
Jahren in Maßnahmen und Unternehmenskulturkonzepten neu entworfen wird (vgl. Kap. 2.2.2). Die darüber insbesondere in der Frauen- und Geschlechterforschung geführte nachgezeichnete Auseinandersetzung zeigt, dass diese neuen Orientierungen in der Gleichstellungspolitik und der beruflichen Frauenförderung auf einer theoretischen und konzeptionellen Ebene kontrovers diskutiert werden (vgl. Kap. 2.3). Als Argumente gegen die Erweiterung der Zielgruppe von beruflicher Frauenförderung durch die Integration von Männern, die Definition von Geschlecht als Ressource sowie den Wechsel der Perspektive auf Organisationen statt auf Lebenswelten von Frauen wird angeführt, dass die Politisierung von Frauen sowie ein Programm für Frauen aufgrund der entgrenzten Bezugsgruppe erschwert wird; dass Gleichstellungspolitik von ökonomischer Rentabilität abhängig wird; ferner, dass Ungleichheiten rhetorisch negiert und geglättet werden, aber weiter bestehen und die individualisierten Subjekte umso stärker treffen; dass neue Methoden durch programmatische Begriffe und Schwerpunktsetzungen zur Reproduktion statt zur De-Konstruktion führen (vgl. Wetterer 1994; Knapp 1997). Demgegenüber stehen die Hoffnungen von Gleichstellungspolitiker/innen, mit der Erweiterung der Gruppe von Beteiligten eine breitere gesellschaftliche Basis für die Verantwortungsübernahme von Geschlechterungleichheiten zu erhalten; eine größere Gestaltungsmöglichkeit von Geschlechterverhältnissen durch die Integration in Kernbereiche von Organisationen und Unternehmen zu bekommen; durch die Orientierung an neuen Managementkonzepten Gemeinsamkeiten und Unterschiede nicht mehr (hauptsächlich) auf das Geschlecht einer Person zurückzuführen; dass mit der Berücksichtigung von Organisationsprozessen und –interessen die gesellschaftliche Akzeptanz von Gleichstellungspolitik steigt (Meuser 2004; 332; Krell 2004; Blome et al. 2005; KirschAuwärter 1999). Vor dem Hintergrund dieser skizzierten Ausgangslage wurde für die vorliegende Studie die Forschungsfrage nach der Bedeutung der Interessensverbindung zwischen Gleichstellungspolitik und Personalwirtschaft als ein Kontext für Mentoringprogramme sowie für deren Gestaltung als ein zentrales Instrument eines sich neu etablierten Schwerpunkts beruflicher Frauenförderung gestellt. Dazu wurden zwölf halbstrukturierte Interviews mit Mentees aus verschiedenen beruflichen Feldern und Mentoringprogrammen mithilfe der Grounded Theory als methodologisches Rahmenkonzept ausgewertet und die Daten im abduktiven Prozess mittels des Verfahrens des permanenten Vergleichs bis zur theoretischen Verdichtung sukzessive offen, axial und schließlich selektiv kodiert (vgl. Kap. 4.1). Eine zentrale Theorie im heuristischen Konzept der Untersuchung für die Analyse der Bedeutung des Mentoringprogramms lieferte die Feld- und Habitus-
Ein Rückblick über die Anlage der Studie
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theorie Bourdieus (1987, 1995). Am Beispiel von sozialen Ausschlussmechanismen gegenüber Frauen im Wissenschaftsbetrieb wurde deutlich gemacht, dass sozialer Aufstieg ebenso wie sozialer Ausschluss sowohl feldspezifische als auch vergeschlechtlichte Dynamiken aufweist. Darin zeigte sich, dass Geschlecht als Dimension des Sozialen durch die Vermittlung der Felder zum Tragen kommt und dass die Mechanismen, die in unterschiedlichen sozialen Feldern wirken und „Geschlechtseffekte“ (Engler 2004, 227) produzieren, jeweils spezifisch sind. Es herrschen unterschiedliche Dynamiken in den Feldern, die den Einsatz und die Verteilung von Kapitalien bestimmen und den Einfluss von Geschlecht auf berufliche Aufstiege regulieren. Daraus wurde für die eigene Arbeit die Begründung einer feldspezifischen empirischen Forschung abgeleitet (vgl. Kap. 3.1.2), da durch diese theoretische Sensibilisierung davon ausgegangen werden konnte, dass die Feldlogiken der Berufsfelder, in denen die Mentees tätig sind, einen Einfluss auf die Deutung und die Gestaltung des Mentoringprogramms zeigen würden. Der Analysefokus auf feldspezifische und vergeschlechtlichte Spielregeln zur Regulierung beruflicher Karrieren erfolgte ferner in Anlehnung an Bourdieus Konzeption von Spielen im öffentlichen Bereich sozialer Felder um Macht. Dabei wird im Rahmen dieser Arbeit eine konzeptionelle Erweiterung durch Frauen als Mitspielerinnen vorgenommen. Die Fokussierung auf Spielregeln wurde weiterhin mit konzeptioneller Nähe zu Goffmans (2001) Konzept der Arrangements der Geschlechter begründet – einem Konzept über formalisierte Verhaltensweisen, die einen Erwartungsrahmen bilden, an dem sich die Individuen für die Modalitäten des Umgangs miteinander ausrichten und welcher die gesellschaftliche Ordnung symbolisiert. Die Spielregeln stellen zu diesem Konzept eine Erweiterung dar, da sie im Unterschied zu den Geschlechterarrangements Goffmans feldspezifisch konzipiert sind. Goffmans theoretisches Modell über Geschlecht als eine Angelegenheit institutioneller Reflexivität sowie das Habituskonzept Bourdieus stellten somit den theoretischen Hintergrund zum Zusammenhang vergeschlechtlichter gesellschaftlicher Umweltbedingungen und vergeschlechtlichtem Handeln dar. Daraus ergab sich für die Studie in Anlehnung an sozialkonstruktivistische Theorien eine doppelte Beobachtungs- und Forschungsperspektive auf vergeschlechtlichte Spielregeln zur Regulierung von beruflichen Aufstiegsprozessen und Ausschlussmechanismen (vgl. Kap. 3.1.3). Spielregeln über berufliche Integrations- und Exklusionsmechanismen wurden schließlich als veränderbar (sowie reproduzierbar) erklärt. Als Voraussetzung dafür kann ein sozialer Kontext gelten, in dem Spielregeln reflektiert und expliziert und damit veränderbar werden. Mentoring könnte sich als ein Kontext für Mentees und Mentor(inn)en herausstellen, in dem (implizite und explizite) feldspezifische Spielregeln über Integrations- und Exklusionsmechanismen mit-
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tels Reflexionen habitualisierter Praktiken erfahrbar werden. Darüber könnten weitere Bewusstwerdungs- und soziale Lernprozesse angestoßen werden, die die Spielregeln selbst bzw. den Umgang mit ihnen verändern (vgl. Kap. 3.1.3). Als theoretische Konzepte für die Beschreibung von sozialen Lernprozessen beim Mentoring als ein formal hergestellter informeller Kontext wurde der Ansatz des Situated Learning nach Lave/Wenger (1991) sowie das Konzept der Community of Practice (ebd., 55) herangezogen. Lernprozesse werden diesen Ansätzen nach als aktive Versuche der Teilhabe an einem sozialen Kontext mit dem Ziel der vollständigen Akzeptanz und Partizipation verstanden. Weiterhin liegt der Studie ein Verständnis von Lernprozessen als (Um-)Deutungen von Beobachtungen in und von der uns umgebenden Welt zugrunde, deren Qualität vom Ausmaß der mit ihnen einhergehenden veränderten Selbst- und Weltverständnisse abhängt. Sie sind empirisch nur über die Rekonstruktion der Subjektperspektive zugänglich, die deshalb auch den Ausgangspunkt der eigenen Studie darstellt. Für diese theoretische Perspektive auf Lernprozesse im Mentoringsetting wurde der Ansatz Lave/Wengers im empirischen Teil durch Deweys Lernverständnis als ein Lernen durch Erfahrung ergänzt (vgl. Kap. 6.4). Der Studie liegt somit ein Interesse für die Erzählungen und Deutungen der feldspezifischen Praxis in Mentoringprozessen zugrunde, um im Sinne der doppelten Forschungsperspektive auf Basis der Handlungen und Deutungen feldspezifischer Erfahrungen Rückschlüsse auf die individuelle und institutionelle Bedeutung von karriererelevanten Spielregeln ziehen zu können. Dafür wurden sowohl die Deutung der Praxis des sozialen Feldes und die Verortung der Frauen in dieser als auch die konkrete Mentoringpraxis anhand von Interviewpassagen rekonstruktiv untersucht. Die leitenden Fragestellungen richteten sich im ersten Empirieteil auf die erlebten vergeschlechtlichten Spielregeln der Felder als Ausdruck feldspezifischer Logiken, die den beruflichen Aufstieg von Frauen und Männern regulieren und auf die Bedeutung und Funktion, die Mentoring vor diesem Hintergrund zugesprochen wird. Anknüpfend an diese Deutungsebene wurde im zweiten Empirieteil der Forschungsblick auf die Praxis gerichtet und Mentoring als ein Lern-Arrangement analysiert. Die leitenden Fragestellungen für diesen Empirieteil richteten sich auf die rekonstruierbaren Lernprozesse und die Möglichkeit der individuellen Karriereförderung sowie vergeschlechtlichten Spielregeln des Aufstiegs entgegen zu wirken, die zur Benachteiligung von Frauen führen. Dies erfolgte unter Berücksichtigung der Perspektive, dass es sich um eine konzeptionelle Verbindung von Personalentwicklung und Gleichstellungspolitik handelte (vgl. Kap. 2.3). Die zentralen Ergebnisse der empirischen Untersuchung werden im Folgenden zusammenfassend dargestellt und aufeinanderbezogen. Sie stellen damit
Die Ergebnisse der Studie
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zugleich den Ausgangspunkt und Basis der entwickelten gegenstandsbezogenen Theorie dar.
7.2 Die Ergebnisse der Studie Die Analysen des ersten Empirieteils zu den rekonstruierten Spielregeln der Felder, in denen die Mentees arbeiten, und den Deutungen des Mentoringprogramms durch die Mentees haben gezeigt, dass die Deutungen und der erhoffte Nutzen des Mentorings in Zusammenhang mit der jeweiligen Feldlogik des Unternehmens, des Kreditinstituts bzw. der Hochschule der Mentees zu sehen ist. Dieser Zusammenhang soll im Folgenden genauer betrachtet und analysiert werden.
7.2.1 Der Illusioeffekt auf die Deutung des Mentoringprogramms Ein zentrales Ergebnis aus der Analyse der rekonstruierten Feldlogiken ist, dass sich quer zu den Feldern der Illusioaspekt (vgl. Bourdieu 1995) in Form eines auf der Vorderbühne (re-)produzierten Selbstverständnisses eines Feldes über seine Aufstiegsprozesse als zentral für den Umgang und die Deutung der Mentees mit dem Mentoringprogramm herausgestellt hat. Als eine über den Habitus der herrschenden Akteur/innen ausgeübte „Erhaltungsstrategie“ (Bourdieu 1993, 109) trägt die Illusio wesentlich zur Aufrechterhaltung der Machtverhältnisse im Feld bei. Dazu werden auf der Hinterbühne stattfindende Prozesse zur Reproduktion von Machtverhältnissen verdeckt, indem soziale Normen ein Hinterfragen verhindern. Im medizinisch-wissenschaftlichen Feld zeigte sich die Illusio auf der Ebene eines normativen Selbstverständnisses in Form eines meritokratischen Prinzips des Aufstiegs. So zeigen die Erwartungserwartungen der Mentees als Ausdruck dieses normativenSelbstverständnisses, dass ein beruflicher Aufstieg sehr stark in Abhängigkeit von der Einsatzbereitschaft der einzelnen Akteur/innen dieses Feldes und von deren erworbenem kulturellem und symbolischem Kapital in Form von Qualifikationen und deren Anerkennung gesehen wird. Über diese Parameter werden vordergründig Karrierechancen und die Institutionalisierung symbolisch unterschiedlich bewerteter Karrierewege begründet. Damit wird eine illusorische Sichtweise auf das Feld reproduziert, die berufliche Aufstiegschancen in Abhängigkeit von kulturellem Kapital und der individuellen Einsatzbereitschaft der Akteur/innen betrachtet (Ressourcen- und Regelaspekt) und Ungleichheiten nach Geschlecht (Machtaspekt) und Habitus, die als hintergründig wirk-
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same Kriterien des Aufstiegs rekonstruiert werden konnten, negiert (Illusioaspekt). Im Feld der Finanzwirtschaft zeigte sich die Illusio im normativen (unternehmens-förderlichen Leistungserfolg, der berufliche Aufstiege über individuelle Leistungsbereitschaft und die Erwirtschaftung von ökonomischem Kapital begründet. Mittels des zentralen Arguments der ökonomischen Rentabilität werden im Rahmen dieser Illusio auch Benachteiligungen von Frauen, bspw. im gebärfähigen Alter oder mit familiären Verpflichtungen, legitimiert. Verdeckt wird damit auch in diesem Feld die in entscheidendem Maße über Geschlecht und Habitus verlaufende Beförderungspraxis. Im Verkehrsunternehmen schließlich zeigte sich die Illusio ebenfalls in der Ausblendung der vergeschlechtlichten Dimension bei Rekrutierungspraktiken. Vordergründig erfolgt in diesem Unternehmen die Rekrutierung von Führungskräften über eine habituelle Passung, die mit einem ausgeprägten Regelbewusstsein im Sinne einer Entsprechung der Verhaltenserwartungen begründet wird. Als zentrales Kriterium für einen beruflichen Aufstieg gilt die Identifikation und Zugehörigkeit zum Unternehmen. Obwohl Geschlecht den Deutungen der Mentees zufolge im Hintergrund ein zentrales Kriterium der habituellen Passung darstellt, wird dessen Relevanz ebenfalls vordergründig negiert. Diese Ausführungen verdeutlichen, dass der als Illusioaspekt der Felder beschreibbare Effekt zur Verschleierung von relevanten Aufstiegskriterien und bedingungen für die theoretische Zusammenführung der Ergebnisse dieser Arbeit ein zentrales Ergebnis darstellt. In den rekonstruierten Logiken aller drei Felder wird die Relevanz von Geschlecht als Selektionskriterium sozialer Differenzierung in Aufstiegsprozessen ausgeblendet. Gerade diese stellt aber die Begründung für die frauenfördernde Dimension der Mentoringprogramme dar. Es stellt sich somit die Frage, wie die Teilnehmerinnen mit dieser Problematik umgehen? Wie deuten sie das Programm und dessen gleichstellungspolitische Dimension vor dem Hintergrund der Feldlogik? Um diese Fragen zu beantworten, werden im Folgenden die Deutungen des Mentoringprogramms durch die Mentees auf eine neue Weise reflektiert. So kann die im medizinisch-wissenschaftlichen Feld erfolgende Umdeutung des Mentoringprogramm von einem gleichstellungspolitischen Programm zu einem biographischen Reflexionsraum der individuellen Karriereplanung als Folge des Illusioeffekts gesehen werden, um potenzielle negative Konsequenzen für die eigene Karriere zu vermeiden. Dass es sich in der Deutungsarbeit auch um eine biographisch geprägte „individuelle Bereitschaftsdisposition“ (vgl. Alheit/Dausien/Kaiser/Trusch-kat 2003) handelt, die verschiedene Umgangsweisen mit dieser Problematik begründet, zeigt die andere Deutung des Programms durch die zweite Mentee dieses Feldes. In diesem Fall einer gleichstellungspoli-
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tisch sensibilisierten Mentee führt das ungleiche Aufstiegsbedingungen verdeckende Selbstverständnis des Feldes dazu, das Mentoringprogramm explizit als einen gleichstellungspolitisch motivierten Reflexionsraum zur kritischen Auseinandersetzung mit der Feldlogik wahrzunehmen – wahrnehmen im doppelten Sinne -, in dem die verschwiegenen vergeschlechtlichten Zusammenhänge über Aufstiegsbedingungen reflektiert werden können. Gerade weil im Feld das meritokratische Aufstiegsmuster nicht hinterfragt werden darf, wird das Mentoringprogramm somit als eine Möglichkeit gesehen, vergeschlechtlichte Spielregeln und Normen zu reflektieren und Handlungsoptionen im Umgang mit ihnen zu entwickeln. Im Feld des Bankwesens zeigt sich zum einen ein ähnlicher Effekt des Illusios auf die Wahrnehmung und Deutung des Mentoringprogramms. So lässt sich auch hier angesichts der impliziten Kritik an der vordergründig produzierten Feldlogik durch die gleichstellungspolitische Dimension des Programms die Strategie der Mentees rekonstruieren, Mentoring zu einer Personalentwicklungsmaßnahme umzudeuten. Damit wird ein Schutz vor negativen Konsequenzen für die berufliche Laufbahn erhofft. Daneben lässt sich aber noch ein anderes feldspezifisches Motiv zur Deutung eines Personalentwicklungsinstruments erkennen. Da Personalentwicklungsmaßnahmen prinzipiell im Sinne von Organisationszielen ausbilden und weiterbilden (vgl. Kap. 2.2.2), können Mentees durch die Teilnahme an einer solchen bzw. zu einer als solches definierten, neben dem potenziellen Gewinn auf einer inhaltlichen Ebene zusätzlich auf einer symbolischen Ebene profitieren. Denn sie können damit nicht nur im Sinne eines unternehmerischen Denkens ihre Identifikation und Zugehörigkeit zum Kreditinstitut unter Beweis stellen, sondern – was dieses noch unterstreicht - auch ihre Förderwürdigkeit als potenzielle Führungskraft demonstrieren (vgl. Hartmann 2002, 124f). Noch einmal anders zeigt sich der Effekt durch die Illusio in der Deutung des Mentoringprogramms durch die Mentees im Flughafenunternehmen aufgrund der dort herrschenden feldspezifischen Logik. Die in diesem beruflichen Feld als besonders karriereförderlich angesehene Loyalität führt im Fall der einen Mentee dazu, dass die prinzipiell die Feldlogik kritisierende gleichstellungspolitische Implikation des Mentoringprogramms als bewusster Teil einer selbstkritischen Unternehmensstrategie zur Veränderung der herrschenden Logik ausgelegt wird. Folglich kann das Mentoringprogramm durch die Mentee als Personalentwicklungs- und Gleichstellungsmaßnahme ausgelegt werden, um das Geschlechterverhältnis auf der Führungsebene zu verändern. Die Illusio wird damit von der Mentee nicht in Frage gestellt, denn das Passungsprinzip wird auf diese Weise nicht kritisiert und die Unternehmenslogik wird indirekt vom potenziellen Vorwurf entlastet, strategisch Frauen auszugrenzen. Das Angebot der Gleichstel-
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lungsmaßnahme wird so gedeutet, dass damit von Unternehmerseite aus eingeräumt wird, dass bislang wenige Passungsverhältnisse zwischen Frauen und angestrebten Führungspositionen hergestellt werden konnten. Das Angebot eines Mentoringprogramms für Frauen seitens des Unternehmens und die Teilnahme daran seitens der Mentee wird in diesem Fall deshalb als beidseitige Verantwortungsübernahme für eine Veränderung des ungleichen Geschlechterverhältnisses interpretiert. Von dieser Deutung des Mentoringprogramms als Gleichstellungsprogramm und als Zeichen der Verantwortungsübertragung an Mentees, Passungsverhältnisse herstellen zu müssen, wird sich im anderen Fall distanziert. Die Versäumnisse für herzustellende Passungsverhältnisse werden primär auf der Unternehmensseite gesehen, und das Programm wird deshalb in erster Linie als politisches Instrument zur Anregung von Reflexionen auf der institutionellen Ebene der Verantwortlichen über die vergeschlechtlichten Aufstiegsbedingungen und nur sekundär als individuelles Karriereförderinstrument zur Lösung (geschlechtlicher) beruflicher Probleme gedeutet. Ähnlich wie im medizinischwissenschaftlichen Feld wird auch in diesem Fall die Illusio der geschlechtsunabhängigen Rekrutierung als Anlass genommen, dass das Mentoringprogramm bewusst als Möglichkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit ihr gedeutet und genutzt wird. Ein Unterschied besteht lediglich darin, dass die Feldlogik im ersten Feld noch so interpretiert wird, dass Aufstiege für Frauen im prinzipiell Möglichen verortet werden, wohingegen die zuletzt dargestellte Deutung der Mentee des Flughafenunternehmens dies nur durch Veränderungen auf institutioneller Seite gewährleistet sieht. Deshalb wird Mentoring in Form einer individuellen Förderung von Frauen von ihr als wenig aussichtsreich eingeschätzt. Neben dem Illusioeffekt zeigt sich als weitere Kernkategorie zur Beschreibung der Beziehung zwischen Berufsfeld der Mentees und der Deutung des Mentoringprogramms die Bedeutung der feldspezifischen normativen Verhaltenserwartungen. Diese als Regelaspekt kategorisierten Verhaltensregeln der Felder (vgl. Bourdieu 1987) und deren Auswirkungen auf die Deutung des Mentoringprogramms sollen deshalb im Folgenden genauer dargestellt werden.
7.2.2 Der Verhaltensregeleffekt auf die Deutung des Mentoringprogramms Mit dem Regelaspekt der Felder wird in Anlehnung an Bourdieu wie bereits dargestellt das empirische Phänomen der Beherrschung konstitutiver, normativer und distinktiver Regeln des Benehmens sowie die habituell verankerte Stilsicherheit bei der Beherrschung dieser Regeln und der durch sie geforderten Praktiken bezeichnet, die über individuellen Erfolg und Misserfolg, über Wertschätzung oder Missachtung im Feld entscheidet (vgl. Bourdieu 1987; vgl. auch Kap.
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5.4). Dieser Teil der Feldlogik wird im Folgenden in Beziehung zu den Erwartungen und Hoffungen der Mentees an die Gestaltung der Mentoringbeziehung gesetzt, um die Bedeutung der feldspezifischen Verhaltensregeln für die Wahrnehmung und Deutung des Programms näher beschreiben zu können. Werden die im Feld erlebten Verhaltensregeln und das Wissen über sie als Anregung für die erhoffte Gestalt und als Maßstab für den potenziellen Gewinn der Maßnahme genommen oder wird stattdessen eine distanzierte Perspektive gegenüber diesem Teil der Feldlogik erhofft und erwartet? Im medizinisch-wissenschaftlichen Feld zeigte sich die normative Verhaltensregel in Form eines wissenschaftlichen Habitus, der im Bild des Wissenschaftlers/der Wissenschaftlerin aufscheint, der/die durch „eine unbedingte Hingabe an die Wissenschaft“ (Krais 2000, 21) gekennzeichnet ist. Aufgrund des hohen Institutionalisierungsgrads einer wissenschaftlichen Karriere wird von aufstrebenden Wissenschaftler/innen eine große Einsatzbereitschaft erwartet, die – so dem vordergründig produzieren Selbstverständnis nach (Illusio, vgl. auch Kap. 7.2.1) – den karriererelevanten Erwerb von Ressourcen kultureller und symbolischer Art ermöglicht. Dazu zählen der Erwerb von akademischen Titeln, eine hohe Anzahl von Veröffentlichungen (in möglichst reputierlichen Veröffentlichungsorganen), eine institutionelle Anbindung und Tätigkeiten mit hohem symbolischem Wert. Entgegen des vordergründigen meritokratischen Aufstiegsprinzips lassen die empirischen Daten auf eine vergeschlechtlichte Dimension dieser Verhaltenserwartungen schließen. Es zeigte sich, dass der Erwerb von feldrelevanten Ressourcen wie sozialem und kulturellem Kapital zu ungleichen Bedingungen für Frauen und Männer zum Nachteil von Frauen geregelt ist, was noch dadurch verschärft wird, dass kulturelles Kapital in erster Linie von dessen symbolischer Wirkung, d.h. von dessen Anerkennung abhängt, die in einem vergeschlechtlichten Machtkampf im Feld zum weiteren Nachteil von Frauen führt. Im Kreditinstitut wird der Regelaspekt des Feldes über einen leistungsorientierten Habitus vermittelt. Die habituellen Erwartungen als Ausdruck einer Orientierung an der Leistungsnorm werden dabei auf zwei Ebenen konstruiert: auf der Ebene des flexiblen Arbeitens und Bewältigens von Aufgaben sowie auf der Ebene des Erwirtschaften ökonomischen Profits für das Unternehmen. Es werden die normativen Ansprüche vermittelt, dass Aufstiegsorientierte eine sehr hohe Leistungsbereitschaft („120 %“) für die Bewältigung von übertragenen Aufgaben zeigen sowie ökonomisch profitabel für das Unternehmen arbeiten müssen. Auch in diesem Feld lässt sich eine vergeschlechtlichte Dimension auf der Ebene der Verhaltensnorm rekonstruieren. So führt eine Entsprechung der normativen Anforderungen nicht zwangsläufig zu einer Beförderung, umgekehrt aber wird – insbesondere bei Frauen - eine Abweichung als Ambitionslosigkeit
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interpretiert und nicht erfolgende Beförderungen bzw. Förderungen werden so als selbstverschuldete ‚habituelle Unpässlichkeiten’ erklärbar. Zudem ließ sich auch in diesem Feld ein ungleicher Zugang zu karriererelevanten Ressourcen für Frauen und Männer rekonstruieren. Im Flughafenunternehmen zeigte sich hinsichtlich des Regelaspekts die interessante Besonderheit, dass die habituelle Passung als zentrales Aufstiegskriterium entgegen den Vertuschungsprinzipien der anderen Felder als eine legitime Praxis auf der Vorderbühne verhandelt wird. So wird recht offensiv eine soziale Differenzierungspraxis entlang der Trennlinie Habitus vertreten. Es werden primär Männer durch Vorgesetzte als ‚Ihresgleichen’ rekrutiert, die einen normativ erwarteten durch Loyalität geprägten Habitus besitzen. Führungspositionen werden mit dem Argument der Eignung für Führungsaufgaben überwiegend an Kolleg/innen vergeben, die fachlich nicht entsprechend kompetent sein müssen, aber bestimmte Verhaltensweisen als Führungspersönlichkeiten zeigen, worin sich die primäre und diskursiv kommunizierte Orientierung einer habituellen Passung zwischen Aufstiegsorientierten und den bereits etablierten Führungskräften zeigt. Zu diesen Verhaltensweisen zählen das bei Hartmann als „unternehmerisches Denken“ (2002, 124f) beschriebene, als loyaler Habitus im empirischen Material zu rekonstruierende Phänomen, eine optimistische und von unternehmerischen Visionen geprägte Grundhaltung zu präsentieren sowie strategisch soziales Kapital zu pflegen, um selbstverständliche Zugehörigkeit zu Führungskreisen zu demonstrieren. Besonders der Aspekt der Loyalität unter Männern erweist sich in dem Flughafenunternehmen als ein zentrales normatives habituelles Muster, das die Homosozialität auf der Führungsebene zu bewahren und Frauen systematisch auszugrenzen scheint. Diese entlang der Differenzlinie Habitus verlaufende Rekrutierungspraxis ist deshalb ebenfalls durch eine vergeschlechtlichte Dimension geprägt. Frauen ist der Aufbau von sozialem Kapital in dem männerdominierten Unternehmen im Vergleich zu Männern erschwert, sowie die geforderte unternehmerische Haltung für sie ein größeres Risiko des Scheiterns birgt, da auf sie und ihre Tätigkeit als sich in der Minderheit befindende „Tokens“ (Kanter 1977) eine stärkere Aufmerksamkeit gerichtet wird als auf Männer. Diese normativen Verhaltenserwartungen im jeweiligen beruflichen Feld lässt gerade vor dem Hintergrund der festgestellten vergeschlechtlichten Dimension von habituellen Anforderungen und des Erwerbs von Kapitalien die Frage nach den Vorstellungen der Teilnehmerinnen zur Gestaltung und zum möglichen Gewinn aus dem Mentoringsetting mit den Mentor/innen aufkommen. Wird die Feldlogik in ihrer Dimension des Regelaspekts in das Setting ‚hineingetragen’? Hegen die Mentees die Hoffnung, Benachteiligungen im Feld zum Erwerb von Ressourcen durch Regelwissen im Mentoringsetting kompensieren zu können
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oder erhoffen sie sich eine distanzierte Perspektive auf Verhaltensregeln, um auf diese Weise Handlungsoptionen zu vergrößern? Im medizinisch-wissenschaftlichen Feld zeigte sich die Erwartung an das Mentoring, das Wissen über normative Verhaltenserwartungen zu erweitern bzw. zu schärfen, und zugleich Möglichkeiten für normativ abweichende Karrieremuster und –verhaltensweisen kennen zu lernen. Mit dem Mentoringprogramm verbunden wird damit auch die Dekonstruktion eines geschlechtsabhängigen Erwerbs karriererelevanten sozialen, kulturellen und symbolischen Kapitals sowie eine Flexibilisierung normativer Vorstellungen über den wissenschaftlichen Habitus mit dem Ziel der besseren Vereinbarung von Familienleben und wissenschaftlicher Karriere. Da die Mentorinnen im gleichen Feld wie die Mentees tätig sind, stellt der intensive Kontakt und Austausch mit ihnen einen Gewinn auf der Ressourcenebene dar. Noch stärker tritt aus dem empirischen Material jedoch die Bearbeitung dieser vergeschlechtlichten strukturellen Aufstiegsbedingungen auf der Ebene des eigenen Verhaltens hervor: Das Mentoringprogramm wird von den Mentees zum Kennenlernen normativ abweichender im Feld erfolgreicher Habitus genutzt sowie zum Einüben eines Umgangs mit den konstitutiven, normativen und distinktiven Regeln des Feldes in dem schwierigen Versuch, deren Logik nicht zu reproduzieren. Obgleich auch im Fall des Kreditinstituts ein Regelwissen über vergeschlechtlichte Kriterien des beruflichen Aufstiegs zu rekonstruieren ist, erwarten die Frauen von dem Mentoringprogramm vor allem – und dies ist besonders vor dem Hintergrund der Orientierung an der Leistungsnorm naheliegend – den Erwerb eines Regelbewusstseins über normative und distinktive Regeln des Benehmens. Zum anderen hoffen die Mentees aus dem Kreditinstitut in der ermöglichten Teilnahme am Mentoringprogramm als symbolische Form der Anerkennung ihrer beruflichen Leistung symbolisches Kapital zu gewinnen, das ihnen einen Vorteil in dem Ernennungssystem und somit eine kompensierende Wirkung auf die vergeschlechtlichten Benachteiligungen verschafft. Das für einen Aufstieg zentrale vertikale soziale Kapital können sie im Rahmen des Mentoringprogramms nicht erwerben, da die Mentor/innen in einem anderen beruflichen Feld tätig sind und keine Deutungs-, Verteilungs- und Verfügungsmacht besitzen. Entsprechend wird in diesem Feld – auch im Mentoring – angestrebt, „vernünftige Erwartungen, d.h. solche, die zu den objektiven Chancen passen“ (Bourdieu 2002, 221) zu entwickeln, womit die herrschenden Machtund Geschlechterverhältnisse auf der Ebene der Verhaltensregeln reproduziert werden. Im Verkehrsunternehmen zeigen sich schließlich sehr unterschiedliche Ausprägungen des Umgangs mit den Verhaltensregeln des Feldes, die zu unterschiedlichen Vorstellungen über die Gestaltung des Mentoringsettings führen. So
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lässt sich zum einen die Entwicklung ‚vernünftiger Erwartungen’ entsprechend objektiver, d.h. herrschender Aufstiegsbedingungen feststellen, wie sie auch für das Kreditinstitut beschrieben worden sind. In diesem Fall wird Mentoring zur Erweiterung des Regelwissens genutzt, wie es im feldspezifischen Selbstverständnis (Illusio) als Voraussetzung für Passungsverhältnisse beschrieben wird. Zum Umgang mit der vergeschlechtlichten Dimension der Verhaltensregeln wird trotz des Wissens um ihre Relevanz kein Bearbeitungswunsch im Mentoring formuliert. Anders im zweiten Fall: Hier stellt die vergeschlechtlichte Dimension von Aufstiegsbedingungen und insbesondere die vergeschlechtlichten Verhaltensregeln gerade den erwünschten Ausgangspunkt für die Bearbeitungen im Mentoringprogramm zum Umgang mit diesen dar. Für das Ziel der Veränderung der herrschenden Rekrutierungspraxis wird mit dem Mentoring die Erwartung verknüpft, Verhaltensregeln, die zu ihrer Verfestigung beitragen zu ‚entlarven’ und auf die Illusion über ‚gerechte’, im Sinne von ungeschlechtlichen Aufstiegen, hinzuweisen. Zusammenfassend lässt sich über die Bedeutung der Illusio und der Verhaltensregeln der Felder für die Wahrnehmung und Deutung der Mentoringprogramme festhalten, dass ihre zentrale Bedeutung, die sie in den konstruierten Feldlogiken für ungleiche Aufstiegsbedingungen und –regelungen besitzen, auch auf der Ebene der Deutung des Mentoringprogramms zugesprochen bekommen. Damit werden zentrale Aspekte der Feldlogiken im Mentoring reproduziert, zumindest auf der Deutungsebene des Programms nicht reflektiert und hinterfragt. Ob sich dies auch in den konkreten Mentoringsettings fortsetzt oder ob dort stattdessen ein ‚Aufbrechen’ der Logiken stattfindet und somit institutionelle Veränderungen vorbereitet werden, soll im nächsten Teil dieser Schlussbetrachtungen beschrieben werden.
7.2.3 Illusio und Verhaltensregeln im Lernarrangement und Lernprozess Die Analysen des zweiten Empirieteils zum Mentoringsetting als ein Lernarrangement haben verschiedene feldspezifische Ausprägungen in der Gestaltung der Settings gezeigt. Auch für diese Ebene lässt sich somit eine prägende Wirkung des Feldes und seiner Logik auf das Mentoringprogramm feststellen. In welcher Weise dies geschieht und mit welchen Folgen für die Gestaltung des Settings sowie die in ihm stattfindenden Lernprozesse soll im Folgenden zunächst bezogen auf die hergestellten Lernarrangements und im Anschluss mit Bezug auf die Lernprozesse diskutiert werden. Es konnte gezeigt werden, dass sich die meisten rekonstruierten Lernarrangements als eine Community of Practice begreifen lassen. Communities of Prac-
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tice sind über einen längeren Zeitraum bestehende Personengruppen, die aus verschiedenen hierarchischen Ebenen und funktionalen Bereichen einer Organisation oder eines Interessengebietes stammen. Sie bilden eine weisungsunabhängige und sich organisch entwickelnde Gruppe von Personen, die als primäres Ziel haben, Wissen zu pflegen, es zu bewirtschaften, auszutauschen bzw. das Lernen zu fördern. Henschel (2001) beschreibt unterschiedliche Parameter und soziale Prozesse, die für die Funktionsfähigkeit einer Community of Practice relevant sind. Im vorliegenden Material ließen sich vor allem drei Aspekte identifizieren, die eine besondere Bedeutung für die Lernförderlichkeit der Mentoringbeziehung besitzen: eine intensive Kommunikation und Interaktion, das Vorhandensein des Care-Aspekts und eine Diversität der Perspektiven. So erleben die Mentees jene Settings als besonders lernförderlich, in denen der Austausch mit den Mentor/innen als sehr intensiv und die Beziehung als geprägt durch Vertrauen, Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft (Henschel 2001, 66f) beschrieben werden. Diese Konstellationen zeigen sich vor allem in gleichgeschlechtlichen Mentoringbeziehungen, in denen die Mentorin eine Modellrolle einnimmt und der Mentee somit ein Beobachtungs- bzw. Modell-Lernen möglich wird. Als ebenso lernanregend wird die Vielfalt von Sichtweisen und Vorstellungen gedeutet, die aus der Sicht der Mentees durch den Erfahrungsvorsprung der Mentor/innen in das Setting eingebracht werden. Die Ursache aber, warum einige Lernarrangements weniger als eine Lernund Wissensaustauschbeziehung beschrieben werden und somit auch nicht als Communities of Practices zu fassen sind, liegt im vorliegenden Material in einer übermäßigen Diversität der Perspektiven begründet. Im Gegensatz zu Henschel, der mit einer höheren Diversität aufgrund der verstärkt angeregten Kommunikation und Interaktion im Allgemeinen auch eine höhere Leistungsfähigkeit der Community of Practice verbindet, zeigt sich in der vorliegenden Analyse, dass solche Mentoringbeziehungen, in denen die Sichtweise des Mentors als zu fremd erlebt wird, als lernhinderlich gedeutet werden. Solche Fremdheiten lassen sich in abweichenden Lernkonzepten der Mentor/innen, in unterschiedlichen Perspektiven auf die Gestaltung einer beruflichen Karriere sowie in abweichenden Vorstellungen über die Form der Zusammenarbeit aufzeigen (vgl. auch Riegraf 1996, 99). Der markanteste Aspekt liegt jedoch in der zu großen Diversität berufsweltlicher Perspektiven begründet. So wird deutlich, dass durch den Einfluss unterschiedlicher Feldlogiken, soweit diese aus den Erzählungen der Mentees zu rekonstruieren waren, auch die Einschätzungen karriereförderlicher Kriterien und Verhaltensweisen divergieren. So zeigt sich vor allem im medizinisch-wissenschaftlichen Feld das feldspezifische Wissen der Mentorinnen über die karriererelevanten Ressourcen und deren Erwerbsmöglichkeiten als lernförderlich. Dabei haben sich die formalisier-
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ten und institutionalisierten Aufstiegsprozesse und -bedingungen dieses Feldes als erleichternde Faktoren für das Wahrnehmen, Deuten und den Transfer von feldrelevanten Ressourcen und Verhaltensweisen herausgestellt. Dies stellt sich anders in den Feldern B und C dar, in denen die Aufstiegsbedingungen in den Feldern der Mentees durch die Tätigkeit der Mentor/innen in Feldern mit anderen Aufstiegslogiken nicht reflektiert und aufgezeigt werden können sowie der Erwerb zentralen karriererelevanten Kapitals, wie z.B. soziales Kapital für einen Aufstieg im Bankwesen oder durch Loyalität geprägtes symbolisches Kapital im Verkehrsunternehmen, nicht mittels oder im Rahmen der Mentoringbeziehung erworben werden kann. Die Bedeutung des Illusioeffekts und der Verhaltensregeln der Felder zeigt sich somit sowohl in der Wahrnehmung und Deutung der Mentoringprogramme und der mit ihnen verbundenen Erwartungen an dieses Programm als auch in den konkreten Ausgestaltungen des Mentoringsettings. Schließlich hat die Analyse des Mentoringsettings deutlich werden lassen, dass die Qualität der Lernprozesse, die sich in den Interviews nachzeichnen lassen und die sich „im Zuwachs an Bedeutung […] der vermehrten Wahrnehmung der Beziehungen und Zusammenhänge der Tätigkeiten, in die wir verwickelt sind“ (Dewey 2000, 108) zeigt, in Abhängigkeit von der Sozialität des Lernarrangements variiert. So finden reflexive Lernprozesse nicht nur ‚im’ Individuum statt, sondern sind auf Kommunikation und Interaktion mit anderen bzw. die Beziehung auf einen sozialen Kontext angewiesen (Alheit/Dausien/Kaiser/ Truschkat 2003). Vor diesem Hintergrund gestalten sich eben jene Mentoringsettings als lernförderlich, die als Community of Practice beschrieben werden können. In dem Maße aber, wie diese Settings beeinflusst sind von den spezifischen Feldlogiken, zeigen auch die in ihnen stattfindenden Lernprozesse feldspezifische Besonderheiten auf. Im Feld A, dem medizinisch-wissenschaftlichen Feld, findet im Rahmen der beschriebenen Lernarrangements dieses Feldes vor allem ein Austausch über feldspezifische Regeln des Verhaltens und karriererelevanter Ressourcen im Feld statt. Über die Auseinandersetzung mit sozialen Normen der Verhaltens- und Ressourcenregeln des Feldes werden hier Lernprozesse angeregt, durch die primäre Erfahrungen der eigenen Berufspraxis in einem theoretischen und zugleich praxisbezogenen Prozess des Reflektierens in „sekundäre Erfahrungen“ (Schäfer 1985, 229) überführt und somit zugleich in neuer Art und Weise in Beziehung zu den institutionalisierten Spielregeln des Feldes gesetzt werden. Durch jenen Prozess des In-Beziehung-Setzens als ein Umlernen im Sinne Deweys wird eine Veränderung in der Haltung der Mentees zum Feld und zur eigenen Karriere angeregt, was auch zu veränderten Handlungsweisen führen kann (vgl. Dewey
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2000 [1916]).72 Durch solche Lernprozesse wird somit auch die Illusio des meritokratischen Aufstiegsprinzips bearbeitet, deren Relevanz sich bereits auf der Deutungsebene zum Mentoringprogramm gezeigt hat (vgl. Kap. 7.2.1). So werden hier zugleich auf der Hinterbühne stattfindende Prozesse zur Reproduktion von Machtverhältnissen bearbeitet, indem soziale Normen reflexiv in den Blick genommen werden. Dies – so wurde auch in der Auseinandersetzung mit den Lernarrangements dieses Feldes deutlich – wird vor allem durch die formalisierten und institutionalisierten Aufstiegsprozesse und –bedingungen des medizinisch-wissenschaftlichen Feldes begünstigt. Auf der Ebene der Lernprozesse lässt sich allerdings kein systematischer Bezug zwischen den Erfahrungen in primären Lebenszusammenhängen der Berufstätigkeit zu der Dimension der Vergeschlechtlichung von Spielregeln und Normen und damit zusammenhängenden Ungleichheitserfahrungen oder erlebten Ungleichbehandlungen feststellen. Lediglich implizit verweisen die rekonstruierten Reflexionen auf die Wahrnehmung einer besonderen Härte von Ausgrenzungsmechanismen im Konkurrenzkampf um Positionen gegenüber Frauen. Sie wurden jedoch von den Mentees und Mentor/innen nicht im Sinne Deweys reflexiv in Beziehung zu Aufstiegsbedingungen gesetzt. Lernen erfolgt in diesem Feld somit allenfalls durch individuelle Reflexivität, kann aber nicht als ein Lernen über institutionelle Reflexivität bezeichnet werden. Im Feld B, dem Bankwesen, kann sowohl auf formaler als auch auf inhaltlicher Ebene für alle rekonstruierten Mentoringbeziehungen dieses Feldes eine Ausrichtung auf die in diesem Feld wirkende Norm des Leistungserfolgs rekonstruiert werden. So wird schon die Teilnahme an diesem Programm oder ein außergewöhnliches Engagement in der Gestaltung der Mentoringsettings im Sinne der Leistungsnorm als Leistungsbereitschaft und Aufstiegsinteresse signalisierendes Zeichen gedeutet. Inhaltlich und damit auf der Ebene der Lernprozesse zeigt sich die Norm im Interesse, feldspezifisch erwarteten Verhaltensweisen besser entsprechen zu wollen. Es ist besonders hierauf zurückzuführen, dass es sich bei den rekonstruierten Lernprozessen allenfalls um Modell-Lernen handelt, um ein Lernen des ‚richtigen’, weil angepassten Verhaltens im Sinne der Feldlogik und weniger um einen reflexiven Prozess des Umlernens im Sinne Deweys. Die Illusio wird hier im Gegensatz zum Feld A somit nicht reflexiv in den Blick genommen. Vor diesem Hintergrund ist im Feld B auch weder eine direkte, noch einen implizite Bearbeitung der vergeschlechtlichten Aufstiegsbedingungen zu erwarten. Neben den lernhinderlichen Bedingungen des Mentoringsetting ist zu 72
Diese Leistung der Subjekte kann aus biographietheoretischer Sichtweise mit dem Begriff der Biographizität gefasst werden (vgl. Alheit 1993; Alheit/Dausien 2000b), der den Gedanken der „eigensinnigen“ subjektiven Aneignung von Lernangeboten aufnimmt, aber darüber hinaus die Chance der Herstellung neuer kultureller und sozialer Erfahrungsstrukturen akzentuiert.
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vermuten, dass die Bearbeitung der Illusio in diesem Feld vor allem deshalb erschwert ist, weil die Illusio des Leistungserfolgs gerade institutionelle und strukturelle Machtstrukturen zu verschleiern sucht und die Aufstiegs- und Karrierelogik stark individualisiert wird. Eine reflexive Auseinandersetzung mit der Illusio des Feldes birgt für die Einzelnen somit die Gefahr negativer Konsequenzen für die Karriere in sich, weshalb sie plausiblerweise vermieden wird. Auch im Feld C lassen sich die Lernprozesse als Ausdruck eines ModellLernens in Form eines intensiven Austausches und der Gewährung von Einblicken in feldspezifische Spielregeln und informelle Praktiken verstehen. Ebenso wie in den anderen Feldern zeigt dieser Lernprozess aber eine Fokussierung auf die Verhaltensebene und wird in erster Linie zur Einübung eines stilsicheren Umgangs mit konstitutiven, normativen und distinktiven Regeln des Feldes genutzt. Noch stärker als im Feld B zeichnet sich hier ab, dass das zu rekonstruierende Modell-Lernen den Glauben in den Sinn und die Bedeutung des Spiels und seiner vergeschlechtlichten Regeln nicht in Frage stellt. So zeigt sich sogar, dass ein solches Lernen des In-Beziehung-Setzens verschiedener Ebenen der Erfahrung regelrecht verhindert wird, nämlich genau dann – und dies hat sich im Material vor dem biographischen Hintergrund eines aufgegebenen Aufstiegsbedürfnisses gezeigt – wenn von Seiten der Mentee gerade ein großes Interesse in der Reflexion der Spielregeln des Unternehmens vorherrscht und zwar vor allem in Bezug auf die vergeschlechtlichte Dimension.73 Ähnlich wie im Feld B scheint auch hier die besondere Ausprägung der Illusio deren Reflexion zu behindern. So würde auch hier eine Auseinandersetzung mit der Illusio der geforderten Loyalität und dem passenden Habitus der herrschenden Logik diametral gegenüberstehen. Eine Reflexion dieser Logik würde somit gerade als Ausdruck eines nicht passenden Habitus und somit als Ausdruck von Untreue und Illoyalität im Feld gedeutet werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich auch auf der Ebene der Lernarrangements und der Lernprozesse die Feldlogik der jeweiligen Felder als prägend für sie erweist. Zugleich lässt sich in allen Feldern ihr Einfluss auf die Gestaltung der Arrangements und der Ausrichtung der Lernprozesse derart rekonstruieren, dass ihre Reproduktion darüber gesichert wird. Daran sind natürlich auch die Individuen beteiligt. Nur durch ihr Handeln und Deuten ist die Fortexistenz der Feldlogiken mit ihren Spielregeln und institutionalisierten Praktiken möglich. Dazu tragen auch die beschriebenen Lernprozesse im Mentoring bei, die überwiegend aus Reflexionen auf individueller Erlebnisebene bestehen, die nicht systematisch in Beziehung zu vergeschlechtlichten Regeln oder Praktiken auf institutioneller Ebene gesetzt werden. Ein ähnliches Ergebnis ließ sich 73 Darin kommt auch die Abhängigkeit eines Lernprozesses von der „individuellen Bereitschaftsdisposition“ (Alheit/Dausien/Kaiser/Truschkat 2003) der Lernenden zum Ausdruck.
Mentoring – ein Ort der „stillen Pädagogik“?!
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bereits auf der Deutungsebene des Mentoringprogramms feststellen (vgl. Kap. 7.2.1 und 7.2.2) und wurde dort in Verbindung mit den Feldlogiken der jeweiligen Felder gebracht. Dieser Zusammenhang von Feldlogik, Mentoringprogrammund Setting soll deshalb im Folgenden noch einmal genauer in den Blick genommen werden, um so die sich hier andeutende Logik des Mentoringsetting als Ort einer „stillen Pädagogik“ noch einmal systematisch zu diskutieren. 7.3 Mentoring - ein Ort der „stillen Pädagogik“74?! In diesem abschließenden Kapitel soll auf Basis der bisherigen Erkenntnisse die der Studie zugrunde liegende Forschungsfrage diskutiert werden, ob sich Mentoring als ein Ort entpuppt, an dem implizites Spielregelwissen über Aufstiegsund Ausschlussmechanismen inkorporiert wird und den Befürchtungen von Kritiker/innen entsprechend herrschende hierarchische Geschlechterverhältnisse reproduziert und ihre Wirkungsmechanismen verschleiert werden, oder kann sich Mentoring gerade umgekehrt als ein Kontext herausstellen an dem die impliziten Spielregeln reflektiert und expliziert werden und damit im Sinne gleichstellungspolitisch motivierter Hoffnungsträger/innen veränderbar werden. Es soll im Folgenden demnach argumentativ erarbeitet werden, wie Mentoring vor dem Hintergrund der in dieser Studie gewonnenen empirisch begründeten Erkenntnisse einzuschätzen und zu bewerten ist. Hierzu werden im Folgenden die Analyseergebnisse zum Verhältnis zwischen der Feldlogik der Felder, der Deutung des Mentoringprogramms und der Gestaltung des Settings weitergedacht.
7.3.1 Zum Zusammenhang von Feldlogik, Programm und Setting Aus den rekonstruierten Deutungszuschreibungen der Mentoringprogramme im jeweiligen Berufsfeld aus der Perspektive der Mentees hat sich die Problematik herauskristallisiert, dass Mentoring mit der gleichstellungspolitischen Idee als ein Ungleichheiten kompensierendes Gleichstellungsprogramm in Feldern angeboten wird, deren Feldlogiken gerade die Ungleichheiten hervorbringen (vgl. 7.2). Wie gezeigt werden konnte, wird dies in den Feldern jedoch mit der Illusio über geschlechtsunabhängige Aufstiegsbedingungen verdeckt. Die Bedeutung dieses Spannungsverhältnisses zwischen Feldlogik und Gleichstellungsprogramm soll im Folgenden genauer analysiert werden. Wie wird mit dieser Problematik im Rahmen des Programms umgegangen? Was bedeutet sie für die Teil74
Vgl. Bourdieu (1987a, 128)
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nehmerinnen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die gleichstellungspolitische Implikation des Programms? Und lassen sich daraus Erkenntnisse für Gleichstellungsmaßnahmen generalisieren? Zunächst lässt sich nach den Ergebnissen dieser Studie davon ausgehen, dass Weiterbildungsangebote bzw. Bildungsangebote generell von (potenziell) Teilnehmenden nicht losgelöst von der jeweiligen Feldlogik wahrgenommen und gedeutet werden.75 Die Studie zeigt gerade das Gegenteil: Die Perspektive, die gegenüber der Maßnahme eingenommen wird, ist entschieden durch die institutionelle Umgebung, ihre Logik, vermittelt über Spielregeln und soziale Normen, geprägt. So konnte gezeigt werden, dass die Maßnahme reflexiv von den Teilnehmer/innen in Beziehung zu der Feldlogik, in diesem Fall besonders zur Illusio und zum Regelaspekt, gesetzt wird. Dazu wird die eingenommene Perspektive „des verallgemeinerten Anderen“ aus dem Feld (Mead 1998, 205) in die eigene Betrachtung aufgenommen und bekommt eine leitende Funktion für die Deutung des Programms. Dies hat mit dem zentralen Ergebnis der empirischen Analyse zu tun, dass in allen Fällen den Verhaltensregeln in den Feldern die zentrale Funktion von ‚Scharnieren’ für berufliche Aufstiege zugesprochen wird. Im ‚richtigen’ Verhalten, d.h. entsprechend feldspezifischer Normen und institutionalisierter Regeln, das sich auch im Erwerb von feldspezifisch definierten karriererelevanten Ressourcen zeigt, wird - gemäß der Illusio der Felder - in der Regel der Erfolg für berufliche Aufstiege gesehen. Vor dem Hintergrund, dass Mentoring als ein karriereförderliches Instrument konzipiert wird, erscheint es deshalb nur plausibel, dass die Rekonstruktionen einen starken Zusammenhang zwischen der Deutung und dem Umgang mit dem Mentoringprogramm und den Verhaltensregeln sowie der Illusio gezeigt haben. Was bedeutet also die sich daraus ergebende Schwierigkeit für die in dieser Studie untersuchte Maßnahme, dass sie als Gleichstellungsmaßnahme in einem Feld zur Kompensation ungleicher Geschlechterverhältnisse eingesetzt wird, die gerade durch die im Feld herrschende Logik hervorgebracht werden? Die Maßnahme vertritt damit eine genau gegenläufige Logik zur herrschenden Logik der Organisation / des Unternehmens, die als verantwortlich für die ungleichen Bedingungen gelten kann mit dem Ziel der Annäherung gleicher Bedingungen zwischen bislang Bevorzugten und Benachteiligten. Wie am empirischen Material dieser Studie gezeigt werden konnte, werden damit die Beteiligten solcher Programme in eine schwierige Lage gebracht. Durch eine Teilnahme an der Maßnahme riskieren sie negative Folgen für ihre berufliche Laufbahn, da sie damit implizit die herrschende Logik über Aufstiegsbedingungen, also die Illu75
Ob und welcher Feldbezug bei feldunspezifischen Bildungsangeboten wie z.B. Volkshochschulkursen (Sprachkurse, Zeitmanagementkurse etc.) hergestellt wird, könnte eine interessante Fragestellung für weitere Untersuchungen darstellen.
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sio, hinterfragen und entgegen der Spielregel handeln, einen ungebrochenen Glauben an das Unternehmen / die Organisation mit ihrer Logik zu zeigen. Darin wird aber eine zentrale Voraussetzung für beruflichen Erfolg gesehen (vgl. Hartmann 2002, 124f; Kap. 5.3.3). Aus diesem Grund können kompensatorische Maßnahmen den Effekt der Benachteiligung sogar verdoppeln, indem die bereits Benachteiligten durch zusätzliche Ausgrenzungsmechanismen gefährdet sind. Mit dieser Problematik sind alle Maßnahmen konfrontiert, die zur Kompensation ungleicher Geschlechterverhältnisse bzw. ungleicher Bedingungen für bestimmte Personengruppen eingesetzt werden.76 Als im empirischen Material entlastend im Umgang mit diesem Problem hat sich aus der Sicht der Teilnehmer/innen die potenzielle Vieldeutigkeit von Mentoringprogrammen erwiesen. Da die Programmatik häufig Bezüge zur Personalentwicklung und zur Gleichstellungspolitik enthält, bedeutet dies für (potenzielle) Teilnehmer/innen, verschiedene Deutungsmöglichkeiten zur Verfügung zu haben. Als ein Boundary Object (Wenger 1998, 106f), das durch die Kooperation unterschiedlicher sozialer Welten mit gemeinsamen Zielen oder Visionen entsteht und darüber die Kooperation ermöglicht, erweist sich Mentoring somit als ein Objekt mit unterschiedlichen Bedeutungen, die individuell genutzt werden können. Unter Umständen kann so die Möglichkeit, Mentoring als ein Instrument der allgemeinen Personalentwicklung zu deuten, die Mentees vor negativen Konsequenzen in ihrem beruflichen Umfeld schützen. Mentoring als ein Boundary Object ermöglicht auf diese Weise eine Teilnahme der Mentees an einem Gleichstellungsprogramm, auch wenn diese durch ihren beruflichen Kontext eine andere Perspektive auf die Maßnahme einnehmen (müssen). Das Mentoringprogramm weist damit ein typisches Charakteristikum von Boundary Objects auf. Diese sind oft inkonsistent, mehrdeutig, und häufig ‚unlogisch’; gerade darin besteht aber zugleich ihr Vorteil: Sie können die Anforderungen mehrerer Welten oder Interessensgruppierungen erfüllen. Ein Konsens ist deshalb nicht auf allen Ebenen und hinsichtlich aller Inhalte nötig. Vielmehr dienen Boundary Objects den verschiedenen Akteuren als Referenzobjekt für die Kommunikation (ebd., 108). Dies setzt im Falle von Mentoring als gedeutete Personalentwicklungsmaßnahme allerdings voraus, dass auch von zentralen Akteur/innen wie Kolleg/innen und Vorgesetzten im Unternehmen / der Organisation diese Zuschreibung vorgenommen wird. Denn deutet das berufliche Umfeld die Maß76
Interessant wäre dieser Frage weiter nachzugehen, indem Organisationen/Unternehmen ins Sample aufgenommen werden, denen eine höhere Sensibilität bzw. ein größeres Bewusstsein für Ungleichbehandlungen der Geschlechter unterstellt werden kann. Dann könnte sich zeigen, ob dies eine andere Wirkung auf die Deutungen der Maßnahme durch die Teilnehmer/innen bewirken würde oder ob auch in diesem Fall von den Benachteiligten eine eher aus der Sicht der Herrschenden kritische Perspektive auf potenziell verändernde Maßnahmen eingenommen wird (vgl. hierzu auch Kap. 3.1.3).
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nahme dessen ungeachtet weiterhin als eine Gleichstellungsmaßnahme, kann der potenzielle Schutz vor Benachteiligungen wegfallen. Wie sich in den Ergebnissen gezeigt hat, wird unter der Voraussetzung der institutionellen Akzeptanz, die (Um-)Deutungsstrategie zur Personalentwicklungsmaßnahme über die Schutzfunktion hinaus mit einem karriererelevanter Vorteil verbunden. Wenn ein Mentoringprogramm für Frauen primär als Personalentwicklungsmaßnahme interpretiert wird, die prinzipiell die Funktion besitzen und symbolisieren, im Sinne von Organisationszielen aus- und weiterzubilden (vgl. Kap. 2.2.2), bedeutet dies für die Mentees durch ihre Teilnahme neben dem potenziellen inhaltlichen Gewinn auch auf einer symbolischen Ebene ein Profit. Sie können damit im Sinne eines unternehmerischen Denkens ihre Zugehörigkeit zum/zur Unternehmen/Organisation und ihre Förderwürdigkeit demonstrieren. Aus einer individuellen Perspektive betrachtet, kann somit gerade in der Abgrenzung von einer gleichstellungspolitischen Implikation des Programms ein besonders karriereförderlicher Effekt liegen. Diese Deutung spiegelt sich auch in den erwarteten und rekonstruierten Lernprozessen der Mentees wieder. Diese sind vor allem auf Aspekte und Regeln des Feldes gerichtet, in denen die Mentees als Einzelne Gestaltungsmöglichkeiten sehen. Daraus ergibt sich in den überwiegenden Fällen eine Erwartung an das Mentoringprogramm, im Sinne der Illusio den Verhaltensregeln zu entsprechen mit der Hoffnung, auf diese Weise die als karriererelevant geltenden Ressourcen erwerben zu können. Mit der Vergrößerung karriererelevanten Kapitals und/oder der Habitualisierung feldspezifischer Normen und Spielregeln zielen die Mentees so auf die Erhöhung individueller Karrierechancen ab. Durch diese individuelle Reflexivität in Lernprozessen und die Deutung des Mentoringprogramms als Personalentwicklungsmaßnahme wird allerdings eine individualistische Perspektive auf Aufstiegsvoraussetzungen und –chancen verstärkt. Personalentwicklung wird die Aufgabe zugesprochen, zum Zwecke der „Organisationseffektivität“ die „Leistungssteigerung“ der Mitarbeiter/innen, insbesondere potenziell künftiger Führungskräfte, zu erhöhen (Knowles 2007, 154). Aus einer unternehmensförderlichen Perspektive geht es der Personalentwicklung darum, dass Arbeitnehmer/innen mittels Qualifizierung entsprechende Kompetenzen zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens erlernen bzw. erwerben sollen. (ebd., 149; vgl. Kap. 2.2.1). Zu dieser Perspektive wird durch die Fokussierung der Lernprozesse auf normative Verhaltenserwartungen zum Zwecke des Erwerbs karriererelevant geltender Ressourcen auf individueller Ebene eine Anschlussfähigkeit hergestellt. Dies führt zum Verlust einer Perspektive, in der strukturelle Aspekte wie Geschlechterverhältnisse und institutionalisierte Aufstiegsbedingungen des Feldes (mit-)reflektiert werden. Feldspezifische Spielregeln und ihre vergeschlechtlichte Dimension werden deshalb nur implizit,
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aber nicht explizit mit individuellen Erfahrungen in Beziehung gesetzt und reflektiert. Durch diese Lernprozesse mit dem Ergebnis erweiterter Handlungsoptionen werden deshalb keine neuen Qualitäten der Erfahrung gemacht, die mit einem Perspektivwechsel auf das Feld und den darin herrschenden Geschlechterund Machtverhältnissen einhergehen. Personalentwicklung und die Feldlogik stellen somit den sinnprägenden Rahmen für die Deutung der Mentoringprogramme dar. Dabei besitzt der individualisierende Rahmen der Personalentwicklung, in den das Mentoringprogramm als eine „(Meta-)Verstehensanweisung“ (Willems 1997, 35) gestellt wird, eine Anschlussfähigkeit an den Rahmen, den das Programm durch die Illusio der Feldlogik besitzt. Beide Rahmen zusammen ergänzen sich als „Verständnishintergrund“ (Goffman 1989, 32) zu einem „Möglichkeitsraum“ (ebd., 36), der dem Mentoringprogramm seinen spezifischen, individualisierenden Sinn von beruflichen Aufstiegsprozessen verleiht. Diese Rahmen produzieren als Erzeugungsstrukturen sozialen Sinn und besitzen eine handlungsleitende Funktion. Sie implizieren „a potential world that answers all questions about what is it that shall be taken by participants as real, and how it is that they should be involved in this reality” (Gonos in Willems 1997, 48). Mentoringprogramme werden demnach zwar durch die Mentees mithilfe der Rahmen definiert, aber „diejenigen, die sich in der Situation befinden, schaffen gewöhnlich nicht diese Definition […]; gewöhnlich stellen sie lediglich ganz richtig fest, was für sie die Situation sein sollte, und verhalten sich entsprechend“ (Goffman 1998, 9). Über dieses Verhalten, die Rahmung, als sinnaktualisierende Praxis wird das Mentoringsetting durch die Mentees im Sinne der Feldlogik hergestellt und trägt damit zur Aufrechterhaltung der Struktur des Feldes mit seinen vergeschlechtlichten Reproduktionsmechanismen bei. Dabei sollte deutlich geworden sein, dass die Rahmungen als Sinn konstituierende Praktiken nicht dem ‚freien Willen’ der Akteur/innen entspringen. Sie sind mit Bourdieu als eine Art nicht-rationales Einverständnis als Produkte der Einschreibung eines Herrschaftsverhältnisses in den Körper zu verstehen, die die Beherrschten dazu führen, „[…] an ihrer eigenen Unterdrückung mitzuwirken, indem sie, jenseits jeder bewussten Entscheidung und jedes willentlichen Beschlusses, die ihnen auferlegten Grenzen stillschweigend akzeptieren oder gar durch ihre Praxis die in der Rechtsverordnung bereits aufgehobenen produzieren und reproduzieren” (Bourdieu 1997, 170). Aus einer gleichstellungspolitischen Perspektive betrachtet, mutet dieses Ergebnis recht kritisch an. Durch diese Strategie wird die Illusio der Felder als ein zentrales Element der Feldlogik reproduziert und die Wirksamkeit von Geschlecht als soziales Differenzierungskriterium für berufliche Aufstiegsprozesse damit weiterhin nicht wahr- und ernst genommen. Die Teilnehmer/innen tragen
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auf diese Weise durch ihre Rahmungen entscheidend dazu bei, in dem sie „vernünftige Erwartungen“ ausbilden, „d.h. solche, die zu den objektiven Chancen passen – und fast immer durch den direkten Effekt der kollektiven Steuerungen, namentlich seitens der Familie [oder des Unternehmens, MKB], kontrolliert und bestärkt werden“ (Bourdieu 2002, 221). Durch das Handeln der Einzelnen zum Zwecke der individuellen Karriereförderung findet so durch die Deutungen des Programms zurückwirkend eine Verstärkung der Feldlogik statt, die gerade die ungleichen Aufstiegsbedingungen (mit-)hervorbringt. So betont Bourdieu, dass „eine wirkliche Umgestaltung der sozialen Strukturen (ist) so lange nicht zu erwarten [ist], wie die Frauen in der Produktion und Reproduktion des symbolischen Kapitals weiterhin die benachteiligte Stellung einnehmen, die die Grundlage der Statusinferiorität ist, die ihnen das symbolische System und über es die ganze soziale Organisation zuteil werden lassen“ (Bourdieu 1997, 217).
Bourdieu schlussfolgerte daraus, dass eine wirkliche Umgestaltung einzig durch eine kollektive Aktion zur Organisation eines symbolischen Kampfes ermöglicht werde. Dieser Kampf müsste die stillschweigenden Voraussetzungen der phallonarzisstischen Weltsicht praktisch in Frage stellen und so einen Bruch der unmittelbaren Übereinstimmung zwischen den inkorporierten und den objektivierten Strukturen herbeiführen. In diesem Bruch läge die Bedingung für eine wirkliche kollektive Umkehrung der mentalen Strukturen, nicht bloß bei den Angehörigen des beherrschten, sondern auch bei denen des herrschenden Geschlechts. Letztere können nur dadurch zur Befreiung beitragen, indem sie sich vom Privileg, das für sie zugleich einen Zwang darstelle, befreien (Bourdieu 1997, 215). Damit über Mentoring solche mentalen Strukturen im Sinne der Gleichstellungspolitik veränderbar werden, müsste Lernen nicht individuell reflexiv, sondern institutionell reflexiv sein. Damit ist ein Lernen über das sich wechselseitig konstituierende und begründende Verhältnis von Spielregeln und Handlungen gemeint, in dem systematisch Geschlechter- und Machtverhältnisse (mit)reflektiert werden,. In solch einer distanzierten Perspektive auf das Feld und die eigene Position im Feld im Sinne einer „ethnographischen Haltung“ (Alheit 2001, 11) läge somit die Möglichkeit eines Lernens über institutionelle Reflexivitäten, in der neue Qualitäten der Erfahrung gemacht werden könnten. Als „Beobachtung zweiter Ordnung“ (Siebert 1997, 20) besäße ein Lernen über institutionelle Reflexivität das Potenzial zu Neu-Rahmungen der Wahrnehmungen und kognitiven Muster. Damit würde auf individueller Ebene ein identitätsrelevanter Lernprozess angeregt werden, der für strukturelle Veränderungen von Machtund Geschlechterverhältnissen eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung darstellen würde. Mit solchen Lernprozessen könnte die – zumindest für die Programme dieser Studie zu Recht gewählte - Bezeichnung von Mento-
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ring als ein Ort der „stillen Pädagogik“ (Bourdieu 1987a, 128) jedenfalls entkräftet werden. Wie gezeigt werden konnte, weist Mentoring einige begünstigende Bedingungen für ein Lernen über institutionelle Reflexivität auf. So kann die in der Mentoringbeziehung systematisch angelegte Diversität von Perspektiven in diesem Kontext als ein förderliches Gestaltungskriterium des Mentorings für institutionelle Reflexionsprozesse gelten. Zugleich hat sich gerade dieses Kriterium in einer bestimmten Ausprägung geradezu als lernhinderlich erwiesen (vgl. Kap. 6.4). Und wie anhand der Lernergebnisse aus selbst gelungenen Lernarrangements – im Sinne einer Community of Practice – zu erkennen ist, muss ein Lernen über institutionelle Reflexivitäten als höchst anspruchsvoller und voraussetzungsvoller Lernprozess angesehen werden. Er erfordert im Prinzip die Entwicklung einer „ethnographischen Haltung“ (Alheit 2001, 11), um „nicht sichtbare Hintergrundstrukturen aufzudecken und ‚das Fremde’ in vorgeblich trivialen und vertrauten Situationen ernst zu nehmen“ (ebd., 14). Eine solche Haltung müsste beim Mentoring nicht nur von Mentees, sondern aufgrund ihrer größeren Gestaltungsmacht vor allem von den Mentor/innen entwickelt und im Lernarrangement mit der Mentee eingebracht werden. Da es sich dabei aber nicht um eine „moralische Disposition [handelt], die man gewinnt, weil sie einem sinnvoll erscheint“ (ebd. 13), sondern es sich vielmehr um die Entwicklung einer habituellen Disposition handelt, die trainiert, kommuniziert und eingeübt werden muss, ist eine institutionalisierte Vorbereitung und Begleitung der Mentor/innen und Mentees und ihrer Zusammenarbeit unabdingbar. Über das Einüben eines von Alheit skizzierten Methodenrepertoirs zum Erwerb eines erweiterten Verständnisses über formale und informelle Ordnungen der beruflichen Umgebung sowie der in ihr stattfindenden Interaktionen könnte die Entwicklung einer solchen Haltung gefördert werden (ebd.). Damit ist ein Übergang für das letzte Kapitel dieser Arbeit hergestellt. In diesem soll abschließend der Frage nachgegangen werden, welche Konsequenzen sich für die Existenz und die zukünftige Gestaltung von Mentoringprogrammen aus den in dieser Studie gewonnenen Erkenntnissen ziehen lassen. Sollten Mentoringprogramme angesichts ihres reproduzierenden Effekts auf vergeschlechtlichte Feldlogiken eingestellt werden oder lassen sich Bedingungen formulieren, die Mentoringprogramme zu einer sinnvollen Gleichstellungsmaßnahme machen, indem die in ihnen potenziell angelegten Lernprozesse so unterstützt und begleitet werden, dass sie das Erreichen gleichstellungspolitischer Ziele unterstützen können? Zur Beantwortung dieser Frage wird noch einmal auf die Pro- und die Contra- Argumente aus der Frauen- und Geschlechterforschung Bezug genommen (vgl. auch Kap. 2.3), um eine empirisch begründete Einschät-
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zung über die Bedeutung und den Nutzen von Mentoringprogrammen unter Berücksichtigung gleichstellungspolitischer Interessen zu geben. 7.3.2 Fazit und Ausblick In der Frauen- und Geschlechterforschung wird vielfach die Kritik an gleichstellungspolitischer Praxis geäußert, sie verfehle das im Gender-Begriff gegebene gesellschaftskritische Potenzial und trage stattdessen zur Reproduktion herrschender Geschlechter- und Machtverhältnisse bei. Inwiefern diese Kritik angesichts des in dieser Studie untersuchten Gegenstands Mentoring berechtigt erscheint, soll im Folgenden an konkreten und zentralen Kritikpunkten diskutiert und überprüft werden. Damit knüpfen diese Schlussbetrachtungen an Meusers Desiderat nach empirisch fundierten Aussagen über neue gleichstellungspolitische Schwerpunkte an (vgl. Meuser 2004, 330). Ein zentraler Kritikpunkt an gleichstellungspolitischen Maßnahmen für Frauen ist, dass sie – insbesondere als Maßnahmen mit einer qualifikatorischen Implikation – eine Förderbedürftigkeit von Frauen suggerieren. Damit würden Frauen nicht nur als selbstverantwortlich für ungleiche Karrierechancen von Frauen und Männern erklärt, es werde darüber hinaus zugleich eine hierarchische Beziehung zwischen Männern und Frauen reproduziert, die Frauen im Vergleich zu Männern als schlechter qualifiziert und weniger geeignet für gesellschaftliche Aufgaben erscheinen ließe (vgl. Wetterer 1994; Knapp 1997). Auf Basis der empirischen Ergebnisse kann der Vorwurf der suggerierten Förderbedürftigkeit als ein Problem für frauenspezifische Mentoringprogramme bestätigt werden. Das in allen Feldern zum Ausdruck gebrachte Unbehagen gegenüber der geschlechtsspezifischen Förderung kann als Ausdruck dafür gelten, dass in den Feldern durch ihre Logiken, in denen Geschlecht nicht als Aufstiegskriterium anerkannt wird und stattdessen Leistung oder Einsatz als Erfolgskriterien gelten, Maßnahmen mit dem Label ‚für Frauen’ im Sinne der Feldlogiken als Qualifikationsbedürftigkeit von Frauen ausgelegt wird. Auch die in diesem Zusammenhang geäußerte Hoffnung, dass Frauen durch Maßnahmen im höher qualifizierten Bereich als förderwürdig interpretiert werden und auf diese Weise eine symbolische Aufwertung erführen, kann nur in den Fällen bestätigt werden, in denen die Maßnahme gerade nicht als Gleichstellungsmaßnahme, sondern als Personalentwicklungsmaßnahme ausgelegt wird. Zumindest auf Basis der rekonstruierten Perspektive der Frauen zeigt sich daran, dass die Sensibilität für Geschlecht als ein strukturell benachteiligendes Merkmal in den Feldern nicht sehr hoch ausgeprägt ist. Deshalb können auch Maßnahmen wie Mentoring, die bereits versuchen, durch ihre Konzeption stärker die Perspektive auf organisationale Lernprozesse zu lenken, in dem (auch männliche) Führungskräfte in die Maß-
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nahmen eingebunden werden (vgl. hierzu Kap. 2.2.2), um damit der potenziellen Disqualifizierung von Frauen entgegenzuwirken – bislang – wenig bewirken, wenn sie nicht eingebettet sind in ein umfassendes Bildungskonzept eines Unternehmens/einer Organisation, das auch Steuerungsverfahren und Sensibilisierungsmaßnahmen enthält (vgl. auch Kap. 2.1.4). Institutionelle Veränderungen können nicht über Lernprozesse auf der individuellen Ebene erreicht werden. Sie müssen begleitet, gerahmt und unterstützt werden durch institutionelle Veränderungsprozesse, die auf der Prozess- und Entscheidungsebene liegen. Dies lässt sich auch durch die Erkenntnisse dieser Studie stützen. So kann die im Feld Wissenschaft im Vergleich zu den Feldern der Wirtschaft und der Dienstleistung festgestellte höhere Sensibilität für vergeschlechtlichte Aufstiegsbedingungen und Karrieren (auch) darauf zurückgeführt werden, dass die gleichstellungspolitische Arbeit an den deutschen Hochschulen seit Mitte der 80er Jahre durch rechtliche Verpflichtungen bereits lange institutionalisiert ist und auf diese Weise Effekte zeigt (vgl. Kap. 2.1.4). Auch die befürchtete Verstärkung der Hierarchie zwischen den Geschlechtern muss auf Basis der Erkenntnisse dieser Studie für Mentoringprogramme bestätigt werden. Insbesondere über die klar verteilten Rollen der Expert/innen an die Mentor/innen und den Karriereanfänger/innen an die Mentees sowie die über Alter und berufliche Stellung bewirkte Höherstellung, wird in der Mentoringbeziehung in allen Fällen eine hierarchische Beziehung hergestellt – die gerade bei männlichen Mentoren und weiblichen Mentees dem strukturell vorherrschenden hierarchischen Geschlechterverhältnis entspricht und dieses bekräftigt. Die Idee, ‚Machteliten’ auf diese Weise gleichstellungspolitisch zu aktivieren, um längerfristig Werte, Normen und Strukturen zu verändern, scheint deshalb schwer umsetzbar. Die „Dynamik“, die Mentoringprogramme nach KirschAuwärter „dem paradoxen Umstand [verdanken], dass dabei hierarchische Beziehungen zum Zwecke ihrer Aufhebung eingegangen werden“ (KirschAuwärter 1999, 165) - muss angesichts der Ergebnisse dieser Studie als kritisches Potenzial zur Reproduktion herrschender hierarchischer Geschlechterverhältnisse eingeschätzt werden. Wenn daraus nicht der Schluss gezogen werden soll, dass sich Mentoringbeziehungen generell nicht eignen, um Hierarchisierungsprozessen entgegen zu wirken, sollten Mentoringprogramme durch Maßnahmen für die Mentor/innen, aber auch Mentees, zur Sensibilisierung über eigenes vergeschlechtlichtes Handeln und institutionalisierte vergeschlechtlichte Praktiken und Strukturen begleitet werden und - wie oben bereits vorgeschlagen wurde - in ein umfassendes Bildungskonzept zum Abbau vergeschlechtlichter Prozesse und Strukturen eingebettet sein. Schließlich soll noch auf einen letzten Kritikpunkt eingegangen werden, der insbesondere ‚neuere’ Gleichstellungsmaßnahmen wie Mentoring betrifft, die
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mit dem Ziel einer größeren Akzeptanz von Gleichstellungspolitik Anschlussfähigkeiten versuchen herzustellen, indem sie sich für Unternehmenslogiken und Organisationslogiken öffnen (vgl. Kap. 2.2.2). In den empirisch untersuchten Mentoringprogrammen zeigt sich diese Strategie in dem Bezug zur Personalentwicklung, der über Programmverantwortliche und der Programmbeschreibung hergestellt wird. Dieser Strategie der Integration von gleichstellungspolitischen Maßnahmen in zentrale Institutionen von Unternehmen und Organisationen wie der Personalentwicklung wird von kritischen Frauen- und Geschlechterforscher/innen vorgeworfen, dass durch die mit ihr einhergehende Umdefinition von benachteiligten Frauen zu Frauen als Humanressource soziale Ungleichheiten rhetorisch negiert und geglättet werden (vgl. Wetterer 2005). Die Ungleichheiten würden durch diesen ‚diskursiven De-Konstruktionsversuch’ jedoch nicht verschwinden, sondern weiter bestehen und die bereits individualisierten Subjekte umso stärker treffen (vgl. Bereswill 2004, 54; Jansen in Batisweiler 2001, 32). Auch dieser Kritikpunkt muss auf Basis der Ergebnisse dieser Studie als berechtigt betrachtet werden. So hat sich gezeigt, dass sich die Möglichkeit, das Mentoringprogramm als Personalentwicklungsmaßnahme deuten zu können, dahingehend auswirkt, dass Aufstiegsbedingungen und –chancen primär im Rahmen der Feldlogik, d.h. der Illusio, zu interpretieren. Dies führte in den meisten Fällen zu einer Deutung von Kapitalien und einem der Feldlogik entsprechenden Habitus als zentrale Aufstiegskriterien. Die Ignoranz gegenüber Geschlecht und seiner Bedeutung für berufliche Integration und Aufstiege wird auf diese Weise gestärkt, und es wird für Mentees und andere Frauen damit ungleich schwerer, Ausgrenzungsmechanismen als vergeschlechtlichte sozial erfahren zu können. Auch bezüglich dieses Aspekts kann deshalb nur, wie bereits mehrfach getan, dazu geraten werden, Mentoringprogramme, auch und gerade wenn sie im Kontext zentraler Institutionen von Unternehmen und Organisationen angeboten werden, durch andere Maßnahmen der Reflexion und Sensibilisierung für Geschlechterverhältnisse und Konstruktionen ihrer Herstellung zu begleiten. Diese Schlussfolgerungen schließen an Knapps (2004, 156) Vorschlag zur Verschränkung unterschiedlicher Maßnahmen und Vorgehensweisen von Gleichstellungspolitik und Frauenförderung an. Dieser sieht vor, über Strukturdefizite korrigierende Programme und zugleich stattfindende dekonstruktivistische Bewusstseinsarbeit sukzessive der sozialen Selektionskraft von Geschlecht entgegenzuwirken. Wenn Mentoring als ein Möglichkeitsraum für neue Erfahrungen über gesellschaftliche und institutionelle Macht- und Geschlechterverhältnisse genutzt werden kann, und die eigenen Erfahrungen an Entwicklungen und Prozesse der Dekonstruktion von Geschlecht auf einer institutionellen Ebene anschlussfähig sind, dann stellt die Maßnahme – neben ihren individuellen För-
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dermöglichkeiten für Frauen – möglicherweise auch ein Potenzial für strukturelle Veränderungsprozesse der Geschlechterverhältnisse dar.
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Anhang A
Leitfaden für Interviews mit Mentees und Mentor/innen Teil I: Berufsbiographie, Berufstätigkeit, Berufsfeld x Bitte erzählen Sie mir Ihre Berufsbiografie. Wie sind Sie die Person geworden, die Sie heute sind? x Wie sieht Ihr Berufsalltag aus? x Wie Stellen Sie sich Ihre berufliche Zukunft vor? x Was bedeutet es Ihnen berufstätig zu sein? x Haben Sie (als Frau) Hürden/Barrieren in ihrer beruflichen Laufbahn erlebt? Teil II: Mentoring x Wie ist es zu Ihrer Teilnahme am Mentoringprogramm gekommen? x Wie haben Sie sich das Mentoring vorgestellt? Welche Hoffnungen/Wünsche haben Sie damit verbunden? x Wie oft und auf welchem Weg treten Sie mit Ihrer Mentee/Mentor/in in Kontakt? x Können Sie sich an Ihr erstes Treffen erinnern? Wie haben Sie das Treffen erlebt? x Wie haben Sie die folgenden Treffen gestaltet? x Wie ist Ihre Beziehung zu Ihrer Mentee/Ihrer/m Mentor/in? x Über was sprechen Sie bei Ihren Treffen? x Worin sehen Sie Ihren persönlichen Nutzen aus der Teilnahme an dem Mentoringprogramm? Wie schätzen Sie den Gewinn aus dem Programm ein?
Anhang B
Transkriptionsnotation Pausen (.) (-), (--), (---) (4)
Mikropause Kurze, mittlere, längere Pause von 1-3 Sekunden Dauer einer langen Pause in Sekunden
Tonhöhenbewegung am Einheitenende ? , . !
Hoch steigend Kurzes Absetzen; Heben der Stimme am Ende des Wortes Absenken der Stimme am Ende des Wortes Ausruf
Sonstige Konventionen ((lachend)) nisse […]
[Vermutung]
Para- und außersprachliche Handlungen und EreigAusgelassene Textstelle (wegen Irrelevanz für Interpretation oder wegen Unverständlichkeit der Tonaufnahme) vermuteter Wortlaut bei Verständlichkeitsproblemen
Rezeptionssignale Hm, ja, nein, nee, nja Hmhm, aha, ahja Jaaaa Nein
Einsilbige Signale Zweisilbige Signale Dehnung des Vokals/des letzten Buchstabens/der letzten Silbe/des (kurzen) Wortes Primär- bzw. Hauptakzent, betont/etwas lauter
(Angelehnt an: Selting, M./Auer, P. (1998): Gesprächsanalytische Transkriptionssystem (GAT). In: Linguistische Berichte 34, 173, Seite 91-122)