Petra Stein Lebensstile im Kontext von Mobilitätsprozessen
Petra Stein
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Petra Stein Lebensstile im Kontext von Mobilitätsprozessen
Petra Stein
Lebensstile im Kontext von Mobilitätsprozessen Entwicklung eines Modells zur Analyse von Effekten sozialer Mobilität und Anwendung in der Lebensstilforschung
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage August 2006 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Monika Mülhausen / Tanja Köhler Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN-10 3-531-15130-4 ISBN-13 978-3-531-15130-4
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Problembeschreibung 1.1 Modellierung von Mobilitätseffekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Anwendung auf die Lebensstilforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Struktur der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 9 13 18
2 Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten 2.1 Das „square additive“ Modell . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Das „diamond“ Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Das „diagonal mobility“ Modell . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Spezifikation des Grundmodells . . . . . . . . . . 2.3.2 Das „diagonal mobility 1“ Modell . . . . . . . . . 2.3.3 Das „diagonal mobility 2“ Modell . . . . . . . . . 2.3.4 Einbeziehung von Mobilitätseffekten . . . . . . . 2.3.5 Einbeziehung explanatorischer Variablen . . . . . 2.3.6 Zusammenfassende Spezifikation des allgemeinen „diagonal mobility“ Modell . . . . . . . . . . . . 2.3.7 Erweiterung durch Mobilitätseffekte . . . . . . . 2.3.8 Schätzung des Modells . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.9 Anwendungen des Modells . . . . . . . . . . . . . 2.4 Das Modell von Weakliem . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Vorteile des „diagonal mobility“ Modells . . . . . . . . .
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21 21 24 27 27 30 31 31 32
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34 35 35 38 41 45
3 Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung des „diagonal mobility“ Modells 3.1 Allgemeine Modellspezifikation für metrische abhängige Variable 3.1.1 Einbeziehung der erweiterten „diagonal mobility“ Modelle 3.1.2 Einbeziehung des Weakliem-Modells . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Erweiterung durch explanatorische Variablen . . . . . . . 3.1.4 Einbeziehung von Interaktionseffekten . . . . . . . . . . . 3.1.5 Modellbildung für latente abhängige Variablen . . . . . . 3.2 Schätzung der Modellparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Modellspezifikation für nicht metrische abhängige Variable . . . . 3.4 Illustration des dreistufigen Schätzverfahrens durch Simulation . 3.4.1 Weakliem-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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49 49 56 59 62 64 69 71 75 76 76
6
Inhaltsverzeichnis
3.4.2 3.4.3
3.5
„Diagonal mobility 1“ Modell mit „Diagonal mobility 2“ Modell mit Interaktionseffekten . . . . . . . Anwendungsbereiche des Modells . . . .
latenter Variable . . . . . . . latenter Variable und . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung 4.1 Strukturierung versus Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Rolle der Lebensstile in der Sozialstruktur . . . . . . . . . 4.3 Lebensstile als Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Lebensstile als bewusste Gestaltung . . . . . . . . . . . 4.3.2 Wandel der Gesellschaftsstruktur von der sozialen Schichtung zu den Erlebnismilieus . . . . . . . . . . . . 4.3.2.1 Konzeption der alltagsästhetischen Schemata . 4.3.2.2 Konstitution der sozialen Milieus . . . . . . . . 4.3.2.3 Reproduktion der Erlebnismilieus in den neunziger Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.4 Rekonstruktion des Wandels . . . . . . . . . . 4.3.3 Beziehung zwischen sozialer Lage und Lebensstil . . . . 4.3.3.1 Darstellung neuerer Lebensstiluntersuchungen 4.3.3.2 Trennung zwischen ökonomischen und kulturellen Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3.3 Zusammenfassende Ergebnisse der neueren Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Lebensstile als Ergänzung der traditionellen Sozialstrukturanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Methodische Probleme in der Lebensstilforschung . . . . . . . . 4.6 Bilanz der empirischen Lebensstilforschung . . . . . . . . . . .
77 80 81
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85 87 93
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98 99
. . . . 103 . . . . 105 . . . . 108 . . . .
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. 112 . 113 . 116 . 116
. . . . 125 . . . . 128 . . . . 133 . . . . 136 . . . . 140
5 Zur sozialstrukturellen Bedeutung von Lebensstilen: Pierre Bourdieu 5.1 Die Konstruktion des sozialen Raums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der Habitus als Vermittlungsglied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Der Mechanismus der Distinktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Der Geschmack als Dimension des Habitus . . . . . . . . . . . 5.3 Der Lebensstil der Klassenfraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Bourdieus’ Korrespondenzanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Diskussion der empirischen Begründbarkeit der Bourdieu’schen Theorie der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145 148 150 154 155 156 158 159
7
Inhaltsverzeichnis
6 Entwicklung eines empirisch fundierten Modells zur Analyse von Effekten sozialer Mobilität auf Lebensstile 6.1 Datengrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Spezifikation des Basismodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Operationalisierung sozialer Positionen . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Kategorisierung beruflicher Positionen . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Ergänzung des Mobilitätsmodells durch soziodemographische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Lebensstil: Konzeptualisierung und Operationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Definition des Begriffs in der bisherigen Forschung . . . . . . . 6.4.2 Operationalisierung von Lebensstil . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Auswahl der Modellvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Empirische Illustration des verallgemeinerten „diagonal mobility“ Modells 7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern 7.1.1 Empirische Spezifikation eines „diagonal mobility“ Modells . . . 7.1.2 Empirische Spezifikation des „diagonal mobility 1“ Modells . . 7.1.3 Empirische Spezifikation des „diagonal mobility 2“ Modells . . 7.1.4 Empirische Spezifikation des Weakliem-Modells . . . . . . . . . 7.1.5 Modellanpassung zur Auswahl des Modells . . . . . . . . . . . 7.1.6 Zusammenfassende Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Musikpräferenz für klassische Musik: Empirische Spezifikation eines „diagonal mobility 1“ Modells mit erklärenden Variablen . . . . . 7.3 Interesse an privater Weiterbildung: Empirische Spezifikation eines „diagonal mobility 2“ Modells mit Interaktionseffekten . . . . . . 7.4 Interesse für informative Medieninhalte: Empirische Spezifikation eines „diagonal mobility 2“ Modells mit latenter abhängiger Variable . . . . 8 Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile 8.1 Reproduktion der alltagsästhetischen Schemata 8.2 Hochkulturschema . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Trivialschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Spannungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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163 170 171 173 175 183 186 186 190 191
195 195 200 211 214 218 225 228 229 241 250 259 260 262 274 286 293
9 Schlussbetrachtung
295
Literaturverzeichnis
301
Tabellenverzeichnis
314
1 Einleitung und Problembeschreibung 1.1 Modellierung von Mobilitätseffekten Das Interesse an der Erforschung sozialer Mobilität innerhalb der Soziologie ist neben der Erfassung von Bewegungen von Personen zwischen sozialen Positionen auch durch die Erwartung geleitet, Einstellungen, Verhalten und Handeln sozialer Gruppierungen erklären zu können. Während in Deutschland die Effekte sozialer Mobilität auf Einstellungen, Werthaltungen und Handlungsorientierungen weitgehend unerforscht sind (Hradil 1999), lassen sich in der internationalen soziologischen Literatur eine Reihe von Forschungen finden, die unterschiedliche soziale und psychische Verhaltensweisen als Ergebnis von Mobilitätsprozessen behandeln und verschiedene theoretische Gründe für die Beziehung angeben (Blau 1956; Sorokin 1927; Westhoff 1953; Freedman 1963; Easterlin 1975; Halaby und Sobel 1979). In diesen Arbeiten werden Einstellungen und Verhaltensweisen gemeinsam durch zwei Faktoren erklärt: Erstens durch einen Sozialisationsprozess, der durch die Einflüsse von Herkunftsposition und Zielposition repräsentiert wird, und zweitens durch einen Effekt, den die soziale Mobilität auf Einstellungen, Werthaltungen und Verhaltensweisen ausübt (Duncan 1966; Blau und Duncan 1967, Sobel 1981). Eine große Anzahl empirischer Studien haben sowohl unter mikro- als auch unter makrosoziologischer Perspektive die Auswirkungen intergenerationeller sozialer Mobilität auf Verhaltensweisen erforscht. Die meisten dieser Studien untersuchen den Einfluss sozialer Mobilität auf klassenspezifisches Wahlverhalten bzw. klassenspezifische Parteipräferenzen. Beispiele lassen sich in Lipset und Zetterberg (1956); Lipset und Bendix (1959); Barber (1970); Abramson (1972); Knoke (1973) Thorburn (1979); Andeweg (1982); Robertson (1984) und Herz (1986) finden. Wichtige Arbeiten jüngeren Datums sind die Forschungen von De Graaf und Ultee (1990); Kelley (1992); Turner (1992); Weakliem (1992); De Graaf, Nieuwbeerta und Heath (1995) und Nieuwbeerta, De Graaf und Ultee (2000). Dabei sind zur Spezifikation der vermuteten Effekte verschiedene Modelle eingesetzt worden, die zur Analyse von Effekten der sozialen Mobilität auf Einstellungen und Verhaltensweisen entwickelt wurden. Im Einzelnen handelt es
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1. Einleitung und Problembeschreibung
sich um das „square additive“ Modell von Duncan (1966), das „diamond“ Modell von Hope (1971, 1975) und das „diagonal mobility“ Modell von Sobel (1981, 1985) sowie eine Erweiterung des letzten Modells durch Weakliem (1992). Das „square additive“ Modell von Duncan (1966) hat sich trotz heftiger Debatten in der empirischen Anwendung sowohl zur Analyse von Mobilitätseffekten als auch von Statusinkonsistenzeffekten in den 1960er und 1970er Jahren durchgesetzt. Unter Verwendung des „square additive“ Modells sind eine Reihe von Forschungen entstanden, die zu dem Ergebnis gelangten, das soziale Mobilität keinen Einfluss auf Einstellungen und Verhaltensweisen ausübt (Blau und Duncan 1967; Laslet 1971; Knoke 1973; Jackman 1972; Kessin 1971; Boyd 1971; Jackson und Curtis 1972; Curtis und Jackson 1977). Dies hat dazu geführt, die Analyse von Mobilitätseffekten nicht weiter zu verfolgen und statt dessen zu ergründen, warum Mobilitätsbeeinflussungen nicht existieren (Curtis und Jackson 1977; Halaby und Sobel 1979, Goldthorpe 1980). Die Ergebnisse der Analyse von Mobilitätseffekten sind jedoch auf Grund verschiedener Probleme, die mit der Anwendung des Modells verbunden sind, skeptisch zu betrachten. Das „square additive“ Modell wurde von verschiedenen Autoren ausführlich kritisiert (Hope 1971, 1975; Sobel 1981, 1985). Hope (1971, 1975) schlägt daher ein alternatives Modell vor, das er als „diamond“ Modell bezeichnet. Obwohl auch dieses Modell sehr umstritten ist (House 1978; Halaby und Sobel 1979; Zimmermann 1985), wurde es mangels Alternativen in den späten 1970er und 1980er Jahren häufig angewendet. Beispiele lassen sich in Wilson (1979), Zurcher und Wilson (1979), Whitt (1983) und Slomcynski (1989) finden. Seit Ende der 1980er Jahre wird das „diagonal mobility“ Modell (Sobel 1981, 1985) zur Analyse von Mobilitätseffekten verwendet. In Anlehnung an Mobilitätstheorien, die davon ausgehen, dass Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen einer Person sowohl durch den Herkunftsstatus als auch durch den gegenwärtigen Status beeinflusst werden, entwickelt Sobel ein Modell, das die reinen Sozialisationstypen auf der Hauptdiagonale einer Mobilitätstabelle (Herkunftsposition und gegenwärtige Position sind identisch) anordnet und die Werte in den anderen Zellen als Mischungen der reinen Typen betrachtet. Beispiele für die Verwendung des „diagonal mobility“ Modells lasssen sich in De Graaf und Ultee (1987, 1990); De Graaf und Ganzeboom (1990); De Graaf und Heath (1992); Weakliem (1992); De Graaf, Nieuwbeerta und Heath (1995) und Nieuwbeerta, De Graaf und Ultee (2000) finden. Die Anwendung des Modells in der Mobilitätsforschung ist u.a. deswegen so beliebt, weil das Modell ermöglicht, unterschiedliche Gewichte bezüglich des Einflusses der sozialen Herkunft und der
1.1 Modellierung von Mobilitätseffekten
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aktuell eingenommenen Position zuzulassen. Die Variation der Gewichte ergibt sich aus der jeweils spezifischen Kombination von Herkunfts- und Zielklasse. Auf diese Art können Hypothesen zu Effekten sozialer Mobilität auf individuelle Einstellungen und Verhaltensweisen geprüft werden, die in dieser Form nicht in konventionelle Modelle einbezogen werden konnten (vgl. De Graaf und Ultee 1990). Weakliem (1992) erweitert das Modell, so dass es möglich ist, den Einfluss der sozialen Herkunft und der gegenwärtigen sozialen Position in Abhängigkeit davon, ob eine Person sozial auf- oder abgestiegen ist, zu variieren. Das Modell ermöglicht damit die Überprüfung von Hypothesen über „asymmetrische Muster“ von Effekten auf- und absteigender Mobilität. Damit können die Effekte sozialer Herkunft und aktuell eingenommener Position auf Einstellungen und Verhaltensweisen zwischen sozialen Auf- und Absteigern in einer gegebenen sozialen Klasse sinnvoller analysiert werden als es durch die Anwendung des Modells von Sobel möglich wäre, da in dem Modell von Sobel die sozialen Auf- und Abstiege sowie die schulische und berufliche Laufbahn eines Individuums lediglich als erklärende Variable in das Modell mit aufgenommen werden können. Die Anwendung des theoretisch gut begündeten „diagonal mobility“ Modell führt zu erheblichen methodischen und statistischen Problemen, die Sobel nicht lösen konnte. Diese betreffen zum einen die Schwierigkeit, Restriktionen auf die als Anteilswerte interpretierten Gewichte in der Schätzung einzuhalten. Zum anderen stellt das Modell zusätzlich ein nicht-lineares Regressionsmodell in den Parametern dar. Da Sobel die Restriktionen nicht einhalten konnte, sind seine Schätzergebnisse falsch. Das gilt auch für neuere Arbeiten von De Graaf und Ultee (1987, 1990); Sorensen (1989); De Graaf und Ganzeboom (1990); De Graaf (1991); De Graaf und Heath (1992); Weakliem (1992); De Graaf, Nieuwbeerta und Heath (1995) und Nieuwbeerta, De Graaf und Ultee (2000). Das Modell weist jedoch eine Reihe bemerkenswerter Vorteile auf, die eine grundsätzliche Verwerfung des Modells nicht sinnvoll erscheinen lassen. Ein entscheidender Vorteil liegt in der theoretischen Fundierung des Modells. Dem Modell liegen theoretische Annahmen hinsichtlich der Beeinflussung von Verhaltensweisen und Einstellungen durch soziale Mobilität zugrunde. Demnach lassen sich Einstellungen und Verhaltensweisen gemeinsam durch die additiven Einflüsse erstens von den voneinander abhängigen Effekten der Herkunftsposition und der Zielposition und zweitens der sozialen Mobilität erklären. Entsprechend werden in dem „diagonal mobility“ Modell die Einflüsse, die von der Herkunftsposition und der aktuell eingenommenen Position ausgehen, als Haupteffekte
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1. Einleitung und Problembeschreibung
parametrisiert. Der zweite Vorteil ist, dass die Haupteffekte mit relativen Gewichten versehen werden, die Auskunft darüber geben, mit welchem Anteil Verhaltensweisen und Einstellungen durch die Herkunftsposition und mit welchem Anteil sie durch die aktuell eingenommene Position beeinflusst werden. Ein weiterer Vorteil liegt in der Erweiterung des „diagonal mobility“ Modells in Hinblick auf die Variation der Anteilswerte bezüglich der Herkunftsposition („diagonal mobility“ Modell 1), bezüglich der aktuell eingenommenen Position („diagonal mobility“ Modell 2) sowie die Verallgemeinerung der beiden letztgenannten durch das Modell von Weakliem (1992). Die Erweiterungen ermöglichen es, Variationen in den Anteilswerten, mit denen der Einfluss der sozialen Herkunft und der aktuell eingenommenen Position gewichtet wird, in Abhängigkeit von der jeweils spezifischen sozialen Herkunft bzw. der jeweils spezifischen Zielposition zuzulassen. So können Hypothesen über Mobilitätseffekte geprüft werden, die im Rahmen der traditionellen Mobilitätsmodelle nicht integrierbar waren. So ließe sich z.B. der Frage nachgehen, ob soziale Mobilität je nach sozialer Herkunft der Personen einen unterschiedlichen Einfluss ausübt. Ferner können Effekte der sozialen Herkunft und der gegenwärtig eingenommenen Position auf Verhaltensweisen oder Einstellungen in einer gegebenen sozialen Klasse unter Berücksichtigung dessen, ob es sich um soziale Aufsteiger oder Absteiger handelt, analysiert werden. Die Verwendung des Modells ist jedoch nicht nur auf die Mobilitätsforschung beschränkt, sondern ist wesentlich allgemeiner zu verwenden als Sobel es konzipiert hat. So eignet es sich z.B. dazu, soziale Entscheidungsprozesse zwischen mehreren Personen oder Institutionen zu modellieren. Üblicherweise werden nur Ergebnisse von Verhandlungsprozessen dargestellt. Die wesentliche Variable ist jedoch gerade der Verhandlungsprozess an sich, weil er das Ergebnis mitbeeinflusst. Die Besonderheit des Modells liegt dabei nicht nur in der Ermittlung der unterschiedlich starken Einflüsse der Verhandlungspartner, die zu dem jeweiligen Resultat zu einem gegebenen Zeitpunkt geführt hat, sondern darüber hinaus darin, dass der soziale Prozess, der zu der Entscheidung geführt hat, modelliert werden kann. Das Modell ermöglicht beispielsweise die Verhandlungen, die in Bundestagsdebatten von den politischen Parteien geführt werden und im Ergebnis zu einer politischen Entscheidung führen, zu berücksichtigen. Weitere Beispiele für den Einsatz des Modells sind Tarifverhandlungen. Die Positionen der Tarifpartner gehen mit unterschiedlichen Gewichten in die Verhandlung ein, die Positionen nähern sich im Prozess an, wobei in der Regel sich die schwächere der stärkeren annähert. Das Modell ermöglicht, diesen Prozess, der im Ergebnis zu einem Kompromiss führt, abzubilden.
1.2 Anwendung auf die Lebensstilforschung
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Ausgehend von den zentralen methodischen Problemen wird in dieser Arbeit aufgezeigt, wie diese Probleme gelöst werden können. Es wird ein allgemeines Modell entwickelt, das die Vorteile des „diagonal mobility“ Modells und des Weakliem-Modells einbezieht. Dieses Modell ist eine Verallgemeinerung auf mehrere abhängige Variablen, wobei zusätzlich die abhängige Variable latent sein kann. Dies ermöglicht beispielsweise den Einfluss der sozialen Mobilität auf theoretische Konstrukte, die nicht direkt der Beobachtung zugänglich sind, wie z.B. Lebensstile, zu analysieren. Durch die Einbeziehung einer zeitlichen Komponente kann auch der Entwicklungsprozess abgebildet werden. Darüber hinaus kann das Modell auf dichotome und/oder ordinale abhängige Variablen sowie dadurch charakterisierte latente Variablen verallgemeinert werden.
1.2 Anwendung auf die Lebensstilforschung Zur Illustration wird das Modell zur Analyse von Mobilitätseffekten in der Lebensstilforschung eingesetzt. Unter Anwendung des Modells wird in dieser Arbeit der Einfluss der sozialen Position, der sozialen Herkunft und der sozialen Mobilität auf alltagsästhetische Präferenzen, kulturelle Orientierungen und Verhaltensweisen spezifiziert und analysiert. Im Mittelpunkt steht die Untersuchung der Stabilität lebensstilrelevanter Strukturierungsmuster sowie die Anpassungsleistung der Akteure an veränderte Ressourcenlagen. Die Prägung von Lebensstilen wird aus einer diachronen Perspektive betrachtet, in dem in der Modellierung auch die soziale Herkunft sowie der Lebenslauf bzw. Erwerbsverlauf einer Person und damit der Prozess der Habitualisierung berücksichtigt wird. Damit soll die in der bisherigen Lebensstilforschung offene Frage beantwortet werden, ob und wie stark der Lebensstil durch die soziale Herkunft geprägt ist und wie stark durch den biographischen Lebensverlauf und der aktuell eingenommenen Position eines Individuums. Theoretische Grundlagen zur Modellierung der Effekte liefern das Klassenmodell sowie das Habituskonzept von Pierre Bourdieu. Nach Bourdieu (1982) ist jede Lebensäußerung abhängig von der Position, die ein Individuum im Raum sozialer Positionen einnimmt, die dabei aber, weil sie einen Niederschlag des bisherigen Lebenslaufs darstellt, relativ unabhängig von der im fraglichen Zeitpunkt eingenommenen Position sein kann. Die Bedeutung der primären Sozialisation für die Ausbildung alltagsästhetischer Präferenzen, kultureller Orientierungen und Verhaltensweisen wird im Habituskonzept von Bourdieu herausgestellt. Nach Bourdieu geschieht die Internalisierung gesellschaftlicher Strukturen durch die kontinuierliche Einbindung der Akteure in einen sozialen Raum. Es
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1. Einleitung und Problembeschreibung
findet eine unbewußte Ausbildung der Praxisformen statt, die im Verlauf der klassenspezifischen Sozialisation adäquate mentale Prägungen und Praxismuster hervorbringt. Die erworbenen Dispositionen stabilisieren sich zu manifesten Mentalitäten und Identitäten. Nach Bourdieu verändert sich der in der primären Sozialisation ausgebildete Habitus zeitlebens nicht wesentlich, bei sozialen Aufund Abstiegen wird er lediglich modifiziert. Der Hysteresis-Effekt des Habitus betont die Beständigkeit eines in der Primärsozialisation erworbenen und in der Biographie weiter ausgeformten Lebensstils gegenüber den heutigen Strukturmerkmalen eines Individuums. In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, ob der in den prägenden Jahren von Kindheit und Jugend innerhalb eines sozialen Kontexts erworbene Lebensstil über lebensgeschichtlich wandelnde Ressourcen hinweg invariant bleibt und wie Personen ihren Lebensstil, je nach Anforderung und Ressourcenlage, auf ihre Bedürfnisse abstimmen. Im Hinblick auf die Entstehung des Musikgeschmacks belegen Holbrook und Schindler (1989) die Existenz einer Prägephase, die den Geschmack im restlichen Leben in starkem Maße prägen. Darüber hinaus verstärken endogene Mechanismen wie z.B. Verhaltenshomogenisierung, Gewohnheitsbildung und Selbstbindung wiederum den Einfluss exogener Mechanismen. Es stellt sich die Frage, ob Geschmacksmuster, die sich in der Sozialsiation der ersten Lebensphasen herausgebildet haben, lebenslang wirksam sind. Ist davon auszugehen, dass im späteren Leben keine oder nur geringfügige Veränderungen im Lebensstil bestehen oder verändert sich der Lebensstil grundlegend mit einem Wechsel in eine andere soziale Position? In der neueren Lebensstildiskussion wird auf Grund der Ergebnisse empirischer Untersuchungen von einer Wirkung vertikaler struktureller Ungleichheit auf Lebensstile ausgegangen, in deren Rahmen sich eine Pluralität an Lebensstilen herausbildet (vgl. z.B. Wahl 1997, Georg 1999, Schroth 1999). Unter der Annahme, dass die Stellung im Raum sozialer Positionen einen Einfluss auf Lebensstile ausübt, ist davon auszugehen, dass der Lebensstil nicht statisch ist, sondern prinzipiell mit einer Veränderung der Lage sich auch der Lebensstil wandeln kann. Auslösende Faktoren können sowohl individuell als auch strukturell begründet sein. Auslösende Faktoren können Veränderung der beruflichen Situation, eine Änderung der Familienverhältnisse (individuelle Faktoren) oder Veränderungen der Haushaltsstruktur aufgrund des Wandels der Berufskarrieren und des generativen Verhaltens, des Wachstums von Wohlstand und Lebensqualität in sozialen Lagen oder eines extremen Wertewandels sein (vgl. Zapf 1987). Unter der Annahme, dass sich der Lebensstil durch eine Veränderung der be-
1.2 Anwendung auf die Lebensstilforschung
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ruflichen Position ändern kann, ist davon auszugehen, dass der Einfluss, den die berufliche Position auf Lebensstile ausübt, zunimmt, je länger diese Position eingenommen wird und entsprechend schwächer wird der Einfluss der sozialen Herkunft. Unter Anwendung der in dieser Arbeit entwickelten Modelle soll überprüft werden, ob und wie stark der Einfluss der sozialen Herkunft nachlässt, wenn eine Person in eine andere Position wechselt. Eng damit verknüpft ist die Frage, inwieweit sich Effekte der vertikalen Mobilität auf den Lebensstil einer Person auswirken. Ist der Effekt der sozialen Herkunft stärker bei Personen, die absteigen gegenüber den Personen, die aufsteigen? Der Einfluss sozialer Mobilität auf Lebensstile ist in den bisherigen Lebensstiluntersuchungen nicht berücksichtigt worden, obwohl vereinzelt auf die Abhängigkeit der Lebensstile von sozialen Auf- und Abstiegsprozessen hingewiesen wurde (z.B. Wuggenig 1994: 218). Frühere Arbeiten Bourdieus und Passerons (1971) begreifen Lebensstile bzw. die Lebensstil generierenden Kapitalien im Sinne Bourdieus als Voraussetzung für soziale Mobilität. In diesen Arbeiten geht es neben der Reproduktion der Klassenstruktur durch das Schulsystem primär um die Rolle des kulturellen Kapitals für die soziale Mobilität. Bourdieu unterstellt, dass eine starke Beziehung zwischen dem Status der Eltern und dem der Kinder besteht, die durch die Weitergabe von kulturellem Kapital erklärt werden kann (DiMaggio 1982). Kulturelles Kapital, das in der Primärsozialisation erwoben wurde, determiniert die Rate der Akkumulation kulturellen Kapitals in späteren Sozialisationsphasen. Je früher in der Kindheit kulturelles Kapital erworben wurde, desto stärker wirkt es sich in Hinblick auf soziale Mobilität aus. Ferner hat außerhalb der Schule erworbenes kulturelles Kapital einen stärkeren Effekt auf die soziale Mobilität als innerhalb der Schule erworbenes kulturelles Kapital. Empirische Untersuchungen über die Weitergabe kulturellen Kapitals bei der sozialen Mobilität lassen sich in DiMaggio (1982); Mohr und DiMaggio (1995); Aschaffenburg und Maas (1997) und speziell für Deutschland in De Graaf (1988) finden. In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, welchen Einfluss intergenerationale soziale Mobilität auf Lebensstile ausübt. Es wird der Frage nachgegangen, inwieweit das Wissen über Mobilitätsprozesse dazu beitragen kann, die Erklärungskraft von Klassen und Schichten für Lebensstile zu verstärken. Dabei soll berücksichtigt werden, dass der Einfluss der sozialen Mobilität unterschiedlich sein kann, je nach dem, in welcher Klasse eine Person aufgewachsen ist und in welche Klasse sie gewechselt ist. Unter Verwendung der in dieser Arbeit entwickelten Modelle wird dementsprechend unter Berücksichtigung der jeweiligen Herkunftsposition und der jeweiligen aktuell eingenommenen Position einer Per-
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1. Einleitung und Problembeschreibung
son analysiert, ob und inwieweit die ästhetische Orientierung durch die soziale Herkunft bzw. die sozialisationsspezifische Entwicklung eines Subjekts geprägt ist und welchen Einfluss die aktuell eingenommene Position auf die ästhetische Einstellung ausübt. Damit wird untersucht, ob der Einfluss der sozialen Herkunft in Abhängigkeit von der jeweiligen Primärsozialisation einer Person unterschiedlich ist. Empirische Befunde weisen darauf hin, dass die kulturelle Partizipation einer Person als Kind, wie z.B. Theater- und Konzertbesuch mit den Eltern, einen Einfluss auf die kulturelle Partizipation dieser Person als Erwachsener ausübt (Frank, Maletzke und Müller-Sachse 1991). Dieser Befund führt dazu, die Hypothese aufzustellen, dass die soziale Herkunft einen länger anhaltenden Einfluss auf hochkulturelle Aktivitäten ausübt, wenn ein Individuum aus einer Statusgruppe stammt, in denen hochkulturelle Aktivitäten stattfanden. Zur Überprüfung dieser Hypothese ist es notwendig, Modelle zu spezifizieren, in denen Anteilswerte, mit denen der Einfluss der sozialen Herkunft gewichtet wird, nach der jeweiligen sozialen Herkunft variieren können. Eng mit der Frage nach dem unterschiedlich starken Einfluss der sozialen Herkunft in Abhängigkeit nach der jeweils spezifischen Herkunft ist die Frage verknüpft, inwieweit sich Effekte der vertikalen Mobilität in Abhängigkeit nach der jeweiligen Herkunfts- und Zielposition auf den Lebensstil einer Person auswirken. Die Musikkapitaltheorie von Stigler und Becker (1977) impliziert z.B. ein nachhaltiges Interesse für klassische Musik, wenn das Individuum sozial abgestiegen ist. Gleichzeitig impliziert sie, dass das Interesse an klassischer Musik stärker wird, je öfter sie konsumiert wird. Unter der Annahme, dass höhere Statusgruppen stärker klassische Musik konsumieren, bedeutet dieses für Personen, die noch kein Interesse für klassische Musik entwickelt haben und die in diese Statusgruppe aufgestiegen sind, dass sie zunächst durch den Kontakt mit den Personen aus der Statusgruppe an diese Art Musik herangeführt werden und sich durch den Konsum das Interesse verstärkt. Zur Modellierung dieser Effekte ist es notwendig, sowohl variierende Anteilswerte nach der sozialen Herkunft als auch nach der Zielposition zuzulassen. Eine weitere Frage, die in der bisherigen Lebensstilforschung nicht thematisiert wurde, ist, ob und inwieweit soziale Mobilität an sich einen eigenständigen Effekt auf Lebensstile ausübt. Unter Umständen können es jedoch gerade die häufigen Auf- und Abstiege und nicht die konstanten Einflüsse gleichbleibender Lebensbedingungen sein, die bestimmte Muster des Denkens und Handelns erklärlich machen. Daher wird in dieser Arbeit analysiert, ob intergenerationelle Mobilität an sich einen Effekt auf Lebensstile ausübt und wie sich soziale Aufund Abstiege auf den Lebensstil auswirken.
1.2 Anwendung auf die Lebensstilforschung
17
Die Ergebnisse der Modellierung des Einflusses sozialer Herkunft, sozialer Mobilität und der durch die aktuell eingenommene Position vermittelten Erfahrungen der sozialen Welt auf die ästhetischen Einstellungen und kulturellen Orientierungen ist vom jeweils gewählten Bezugsrahmen abhängig. Die Kategorisierung der beruflichen Positionen bzw. die Wahl des geeigneten Klassen- oder Schichtkonzeptes, das bei der Modellierung der Effekte zugrunde gelegt wird, bestimmt einerseits, welche und wie viele Bewegungen als Mobilität gelten, andererseits die Erklärungskraft für Lebensstile. Eine sinnvolle Analyse setzt daher voraus, dass zunächst das geeignete Modell vertikaler und horizontaler Gliederung der Gesellschaft identifiziert wird, die als Strukturebene dient, um den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft, sozialer Mobilität und aktuell eingenommener sozialer Position einerseits und den Lebensstilen andererseits zu analysieren. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit zunächst der Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung zusammengestellt und daraufhin gesichtet, welche Klassen- oder Schichtkonzepte stärker mit Lebensstilen in Verbindung stehen bzw. welche Merkmale vertikaler sozialer Ungleichheit einen Einfluss auf Lebensstile ausüben. Dies soll einen möglichen Anhaltspunkt für eine Kategorisierung von Statusgruppen geben, die den im ersten Teil entwickelten Modellen zugrunde gelegt werden können. Die Spezifikation der Effekte auf den Lebensstil erfordert neben einer Modellierung des Einflusses sozialer Herkunft und aktuell eingenommener Position auch die Einbeziehung des Prozesses des Lebenslaufs bzw. des Erwerbsverlaufs (Karrieremobilität), um die Habitualisierung einer Person zu modellieren. Die Einbeziehung des Lebens- bzw. Erwerbsverlaufs in die Modellierung der Effekte ist zum einen erforderlich, um Aussagen darüber zu treffen, ob und inwieweit die bisherige Biographie einer Person den jetzigen und noch zu gestaltenden Lebensstil determiniert. Zum anderen ist die Einbeziehung erforderlich, da nicht mit einer einzigen Statusmessung, wie z.B. die aktuell eingenommene Berufsposition, auf den gesamten Lebenslauf geschlossen werden kann. Aus diesem Grund plädieren Forscher wie Berger und Hradil (1990: 14f); Bertram und Dannenberg (1990: 227) sowie Mayer und Blossfeld (1990: 297ff) für eine dynamische Ungleichheitsforschung, die eine Verknüpfung von Lebenslauf und sozialer Ungleichheit beinhaltet, um so dem statischen Charakter der Modelle entgegenzuwirken. Klassen- und Schichttheorien unterstellen, dass durch die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppierung, deren Mitglieder ähnliche Lebensbedingungen aufweisen, die einzelnen Personen in spezifischen Prozessen der Sozialisation, der persönlichen Erfahrung oder der selektiven Kommunikation in gemeinsamer Weise
18
1. Einleitung und Problembeschreibung
geprägt werden. Derart erworbene Muster der Wahrnehmung, der Einstellung und des Bewusstseins bringen ähnliche Ausprägungen sozialen Handelns hervor. Das Problem dieser Erklärungsweisen ist, dass sie mehr oder weniger stillschweigend voraussetzen, dass die Zugehörigkeit zu den jeweiligen sozialstrukturellen Gruppierungen und ihren Lebensbedingungen lange genug gedauert hat, um eine Prägung von Mentalität, Persönlichkeit und Verhaltensweisen zu erreichen. Eine Berücksichtigung sozialer Mobilität bei der Erklärung von Lebensstilen könnte zu einer stärkeren Erklärungskraft der vertikalen Strukturkonzepte beitragen. Unter Anwendung der in dieser Arbeit entwickelten Modelle wird überprüft, ob durch die Integration intergenerationeller und intragenerationeller Mobilität eine Verbesserung vertikaler Strukturkonzepte zur sozialstrukturellen Erklärung von alltagsästhetischen Orientierungen führt.
1.3 Struktur der Arbeit Im folgenden Kapitel werden die verschiedenen Modelle, mit denen Effekte der sozialen Mobilität auf Einstellungen und Verhalten analysiert werden, vorgestellt und die Probleme bei der Konstruktion und Anwendung dieser Modelle diskutiert. Im Anschluss daran wird im dritten Kapitel ein allgemeines Modell entwickelt, mit dem die besprochenen Probleme gelöst werden können. Zur Schätzung der Parameter wird ein dreistufiges Schätzverfahren vorgeschlagen. Zur Veranschaulichung der vorgeschlagenen Modelle und des dreistufigen Schätzverfahrens werden Simulationsstudien durchgeführt und die Ergebnisse präsentiert. Zur Illustration des Modells und des schätztechnischen Verfahrens wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit das Modell zur Analyse von Effekten intergenerationeller Mobilität in der Lebensstilforschung eingesetzt. Datengrundlage bildet die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) 1998, in der Lebensstile ein Schwerpunktthema darstellten. Eine sinnvolle Analyse setzt voraus, dass zunächst das geeignete Modell vertikaler Gliederung der Gesellschaft gefunden wird, das als Strukturebene dient, um den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft, sozialer Mobilität und aktuell eingenommener sozialer Position auf der einen und Lebensstile auf der anderen Seite zu analysieren. Aus diesem Grund wird im vierten Kapitel zunächst der Stand der empirischen Lebensstilforschung zusammengestellt und daraufhin gesichtet, ob Lebensstile weiterhin Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen sind oder vielmehr die sozialen Differenzierungs- und postulierten Individualisierungserscheinungen in fortgeschrittenen Industriegesellschaften widerspiegeln.
1.3 Struktur der Arbeit
19
Als Ergebnis kann vorweggenommen werden, dass auf der Grundlage insbesonders neuerer empirischer Untersuchungen von einem Einfluss struktureller Ungleichheit auf Lebensstile ausgegangen werden kann, in dessen Rahmen sich eine Pluralität von Lebensstilen entwickelt. Auf Grund der im vierten Kapitel erzielten Ergebnisse wird dem Lebensstilansatz von Bourdieu (1982) erneut Beachtung geschenkt und als theoretische Grundlage für die Modellierung der Effekte verwendet. Der Fokus wird dabei insbesondere auf die intergenerationale Konzeption des Ansatzes gerichtet. Im fünften Kapitel werden daher wesentliche Bestandteile seiner Praxistheorie, in die das Habituskonzept eingebunden ist, soweit diese für die vorliegende Arbeit erforderlich sind, vorgestellt. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit werden zentrale Elemente des Habituskonzeptes, wie die Bedeutung der primären Sozialisation für die Ausbildung des Geschmacks, die Inkorporationsannahme sowie die Stabilitätsannahme überprüft. Dazu wird zunächst im sechsten Kapitel ein empirisch fundiertes Modell zur Analyse der Effekte entwickelt. Es werden die soziale Herkunft und die gegenwärtigen sozialen Positionen operationalisiert und kategorisiert. Ferner wird der Lebensstil definiert und operationalisiert. Im siebten Kapitel wird zur Veranschaulichung des im dritten Kapitel entwickelten Modells dieses konkret unter Verwendung der im sechsten Kapitel vorgenommenen Operationalisierungen und Kategoriesierungen in die Erforschung von Effekten sozialer Herkunft, sozialer Mobilität und gegenwärtiger Position auf ausgewählte Lebensstilvariablen eingesetzt. Im achten Kapitel wird das Modell dann stärker unter den inhaltlichen Fragestellungen analysiert und die Ergebnisse präsentiert.
2 Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten Zur Analyse von Effekten der sozialen Mobilität auf Einstellungen und Verhalten wurden verschiedene Modelle entwickelt. Im Einzelnen handelt es sich dabei um das „square additive“ Modell von Duncan (1966), das „diamond“ Modell von Hope (1971, 1975) und das „diagonal mobility“ Modell von Sobel (1981, 1985) sowie eine Erweiterung des letzten Modells von Weakliem (1992).1 Im Folgenden werden die verschiedenen Modelle vorgestellt und die Probleme bei der Konstruktion und Anwendung dieser Modelle diskutiert.
2.1 Das „square additive“ Modell Duncan (1966) schlägt eine Strategie für die Analyse von Statusinkonsistenzeffekten und Mobilitätseffekten vor, die sich deutlich von den frühen Vorgehensweisen von Lenski (1954, 1956) und Jackson (1962) unterscheidet. Diese verwenden zur Messung von Statusinkonsistenz einfach die Statusvariablen. Die Statusvariablen werden dabei mit kontinuierlichen Skalen gemessen und die Differenz zwischen ihnen als Maß der Statusinkonsistenz betrachtet. Bereits Blalock (1966) weist darauf hin, dass es bei dieser Vorgehensweise unmöglich sei her1
Das „square additive“ Modell und das „diamond“ Modell erheben den Anspruch, sowohl ein Modell zur Analyse von Mobilitätseffekten als auch zur Analyse von Statusinkonsistenzeffekten zu sein. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass bei der Umsetzung theoretischer Annahmen in ein Modell Mobilität oft als ein Spezialfall von Statusinkonsistenz betrachtet wird (vgl. Hendrickx, De Graaf, Lammers und Ultee 1993). Mit Hilfe der Statusinkonsistenzmodelle wird der Einfluss unterschiedlicher Ausprägungen zweier oder mehrerer Statusvariablen auf eine Einstellungsvariable oder eine Verhaltensvariablen ermittelt. Als abhängige Variablen werden unter anderem politischer Radikalismus, Vorurteile/Rassismus und soziale Integration verwendet. Einen Überblick über die Breite der in der Statusinkonsistenzforschung verwendeten abhängigen Variablen geben Wilson und Zurcher (1976). Als Statusvariablen wurden typischerweise Beruf, Einkommen und ethnische Zugehörigkeit verwendet. Im Unterschied dazu tritt bei Mobilitätsmodellen an deren Stelle die Herkunftsposition („origin“) und die Zielposition („destination“), die üblicherweise als „Status des Vaters“ und „Status des Sohnes“ operationalisiert werden (siehe exemplarisch hierfür Blau und Duncan 1967). Trotz der vorhandenen Unterschiede zwischen Statusinkonsistenz und Mobilität gibt es auch überschneidungen, die die Verwendung gleicher oder zumindest ähnlicher Modelle rechtfertigen.
22
2. Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten
auszufinden, welche Effekte von der Statusvariablen ausgehen und welche von den Statusinkonsistenzvariablen stammen. Die Lösung dieses Identifikationsproblems sieht Duncan (1966) darin, dass der Einfluss der Statusinkonsistenz bzw. der Mobilität von den Einflüssen der Variablen, die verwendet werden, um Statusinkonsistenz bzw. Mobilität zu modellieren, zu unterscheiden ist. Zur Bestimmung der Statusinkonsistenzeffekte bzw. der Mobilitätseffekte sei es notwendig, in einem Grundmodell zunächst die Effekte der Statusvariablen zu erklären. Dazu schlägt er ein varianzanalytisches Modell vor. Ausgangspunkt des „square additiven“ Modells ist eine Mobilitätstabelle, in der Herkunfts- oder Ausgangsposition („origin“) vertikal und die Zielposition („destination“) horizontal abgetragen wird. Die Anzahl der Kategorien ist bei beiden Variablen gleich, woraus eine quadratische Tabelle resultiert. Die abhängige Variable Y ist eine metrische Zufallsvariable, die sowohl von der Herkunftsposition als auch von der Zielposition abhängt. Im Unterschied zur Standardmobilitätstabelle stellen die Werte innerhalb der Zellen nicht die Mobilitätsvorgänge dar, sondern in den Zellen befinden sich die Werte der abhängigen Variable aller Personen, die die jeweilige Kombination der Herkunftsposition und der Zielposition aufweisen. Die Hauptdiagonale umfasst die Werte derjenigen Personen, bei denen Herkunftsposition und Zielposition übereinstimmen. Es wird angenommen, dass eine Stichprobe von Personen gezogen wird und für jede Person die Ausprägungen der Herkunftsposition, der Zielposition und der abhängigen Variablen Y aufgezeichnet werden. Die Kategorien der Herkunftsposition werden mit j = 1, . . . , J und die der Zielposition mit k = 1, . . . , J indiziert. Das „square additive“ Grundmodell ist spezifiziert für die Personen i = 1, . . . , n als (jk)
yi
(jk)
= µ(jk) + i
(2.1)
mit µ(jk) = µ + αj + βk (jk)
.
(2.2)
yi bezeichnet den Wert der abhängigen Variable der Person i, die in der Zelle jk der Mobilitätstabelle liegt. µ(jk) ist der Erwartungswert der Zufallsvariablen (jk) Y der Personen, die sich in der jk-ten Zelle der Mobilitätstabelle befinden. i ist ein normalverteilter Fehlerterm mit einem Erwartungswert von 0 und Varianz σ 2 . µ ist der Erwartungswert der Zufallsvariablen Y aller Personen, αj sind die
2.1 Das „square additive“ Modell
23
Effekte der Herkunftsposition j auf Y und βk die Effekte der Zielposition k auf Y. K J Es wird von der Restriktion j=1 αj = 0 und k=1 βk = 0 (wobei J = K ist) ausgegangen. Damit können αj und βk als Abweichungen des Erwartungswertes der einzelnen Zeilen und Spalten vom Gesamtmittelwert interpretiert werden. Bezieht man das Modell inhaltlich auf die Analyse des Einflusses der Mobilität auf bestimmte Verhaltensweisen, wird der Erwartungswert des Verhaltens einer Person in einer beliebigen Zelle der Mobilitätstabelle aus dem Erwartungswert des Verhaltens aller Personen und den spezifischen Einflüssen der jeweiligen Herkunftsposition und der Zielposition gebildet. Um Mobilitätseffekte oder Statusinkonsistenzeffekte zu testen, erweitert Duncan (1966) das Grundmodell um die Interaktionsterme γjk mit den 2J − 1 IdenK J tifikationsrestriktionen j=1 γjk = 0 und k=1 γjk = 0. Das „square additive“ Gesamtmodell lautet damit: µ(jk) = µ + αj + βk + γjk
(2.3)
Bezogen auf die Analyse von Statusinkonsistenzeffekte bilden die additiven Effekte αj und βk den Anteil der Varianz, der durch die Statusvariablen erklärt (jk) wird und die Interaktionseffekte γjk den Anteil der Varianz von yi , der durch Statusinkonsistenz erklärt wird. Zum Testen von Mobilitätseffekten oder Statusinkonsistenzeffekten schlägt Duncan (1966, 1967) einen Vergleich zwischen dem Grundmodell in Gleichung (2.2) und dem Gesamtmodell in Gleichung (2.3) vor. Mobilitäts- bzw. Statusinkonsistenzeffekte existieren, wenn der durch Interaktionseffekte erzeugte Zuwachs an erklärter Varianz statistisch signifikant ist und diese Abweichung systematisch mit Mobilität oder Statusinkonsistenz in Verbindung gebracht werden kann. Inhaltlich betrachtet korrespondieren die Parameter γjk mit Einstellungen und Verhalten, die mit dem jeweiligen Wechsel von einer speziellen Herkunftsposition zu einer Zielposition assoziiert werden und dementsprechend mit Mobilitätseffekten gleichgesetzt werden können. Bezogen auf die Analyse von Statusinkonsistenzen können die Parameter als die Effekte interpretiert werden, die von der jeweiligen Kombination der Statusvariablen auf das Verhalten wirken. Durch das Setzen von Restriktionen auf γjk , wie z.B. das Gleichsetzen von Parametern oder das Nullsetzen bestimmter Parameter, ist es möglich, bestimmte Muster von Mobilitäts- und Statusinkonsistenzeffekten festzulegen. Dadurch können theoretische Annahmen wie beispielsweise die, dass nur bestimmte Ty-
24
2. Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten
pen von Statusinkonsistenzen einen Effekt auf das zur Frage stehende Verhalten ausüben, in ein statistisches Modell umgesetzt werden. Das „square additive“ Modell hat sich trotz heftiger Debatten (siehe als Überblick hierzu Whitt 1983) in der empirischen Anwendung sowohl zur Analyse von Mobilitätseffekten als auch von Statusinkonsistenzeffekten in den 1960er und 1970er Jahren durchgesetzt. Unter Verwendung des Modells sind eine Reihe von Forschungen entstanden, die zu dem Ergebnis gelangten, dass soziale Mobilität keinen Einfluss auf Einstellungen und Verhaltensweisen ausübt (Blau und Duncan 1967; Laslet 1971; Knocke 1973; Jackman 1972; Kessin 1971; Boyd 1971; Jackman und Curtis 1972; Curtis und Jackson 1977). Die Ergebnisse der Analyse von Mobilitätseffekten sind jedoch auf Grund verschiedener Probleme, die mit der Anwendung des Modells verbunden sind, skeptisch zu betrachten. Das „square-additive“ Modell wird von Hope (1971, 1975) und Sobel (1981, 1985) in mehrfacher Hinsicht kritisch beleuchtet. Erstens lassen sich Haupt- und Interaktionseffekte nicht trennen, da die Nullhypothese, dass das Grundmodell (ohne Interaktionseffekte) korrekt spezifiziert ist, in der Regel verworfen wird. Zweitens sind die Referenzkategorien falsch spezifiziert. Nach Hope (1971, 1975) sollte als Referenzkategorie nicht eine ausgewählte Kategorie der Herkunftsposition bzw. der Zielposition dienen, sondern die Kategorien der Immobilen, die in den Diagonalzellen der Tabelle auftreten. Die Abweichungen der Mittelwerte in diesen Zellen vom Gesamtmittelwert sollten daher als Haupteffekte verwendet werden.
2.2 Das „diamond“ Modell Aufgrund der von ihm formulierten Kritik schlägt Hope (1971, 1975) ein alternatives Modell für die Analyse von Mobilitätseffekten oder Statusinkonsistenzeffekten vor. Er vertritt die Auffassung, dass es angemessener sei, eine gesamte Statusdimension zu kontrollieren und die Effekte einer dazu orthogonalen Statusinkonsistenzdimension zu testen. Hope (1971) entwickelt zunächst ein varianzanalytisches Modell unter der Bezeichnung „halfway/difference“ Modell, welches Hope (1975) um die Einbeziehung kontinuierlicher Variablen erweitert und in „diamond“ Model umbenennt. Das „diamond“ Modell für kontinuierliche unabhängige Variablen geht von den metrisch skalierten Statusvariablen X1 und X2 aus. Diese werden in zueinander orthogonale Variable für den Gesamtstatus (Z1 ) und und eine für Statusinkonsistenz (Z2 ) transformiert. Die abhängige metrische Variable Y wird als
25
2.2 Das „diamond“ Modell
(jk)
yi
= b1 z1i + b2 z2i + i
(2.4)
parametrisiert. In diesem Modell ist z1i = w1 x1i + w2 x2i und z2i = w3 x1i − w4 x2i und w1 w3 − w2 w4 = 0, wobei die Gewichte w1 , . . . , w4 so gewählt werden, dass die Vektoren Z 1 = (Z11 , . . . , Zn1 ) und Z 2 = (Z12 , . . . , Zn2 ) zueinander orthogonal sind und die gleiche Varianz besitzen. In den Fällen, in denen die Statusvariablen auf der gleichen Skala gemessen wurden, sind die Gewichte für die beiden Statusvariablen identisch. Dann vereinfacht sich das Modell zu (jk)
yi
= b1 (x1i + x2i ) + b2 (x1i − x2i ) + i
.
(2.5)
Indem Hope von einer gemeinsamen Statusdimension anstelle der beiden Originalvariablen als Grundlage seines Modells ausgeht, ist es möglich, die Effekte, die von der Statusinkonsistenz (x(1i) − x(2i) ) ausgehen, zu identifizieren. Die Achsen werden um 135◦ rotiert, so dass X1 = X2 die neue Z1 - Achse und X1 = −X2 die neue Z2 - Achse bildet. Da die neue Z1 Gerade an der Stelle, an der X1 − X2 Null ergibt, liegt, ist es einfach, die Statusinkonsistenzeffekte zu ermitteln. Dieses Modell kann unmittelbar auf die Analyse von Mobilitätseffekten übertragen werden. Als Beispiel hierfür betrachten wir vier hierarchisch geordnete Klassen von Berufspositionen mit gleichen Abständen und den Ausprägungen 1 bis 4 als Herkunfts- bzw. Zielposition. Würde man die Herkunftsposition als Zeilenvariable und die Zielposition als Spaltenvariable in Form einer Tabelle anordnen, resultiert daraus eine quadratische 4 × 4 Tabelle. Wenn man im Inneren der Tabelle die Werte für die abhängige Variable Y darstellt, entspricht diese Anordnung dem Ausgangspunkt des „square additiven“ Modells. Im Unterschied dazu werden in dem Modell von Hope die Herkunfts- und die Zielposition gemeinsam als eine Variable betrachtet, deren Ausprägung sich aus der Addition des zugeordneten Wertes der Berufsklasse, die die Ausgangsposition repräsentiert und diejenigen, die die Zielposition repräsentiert, ergibt. Die Variable wird horizontal in der Tabelle angeordnet und hat die Ausprägungen 2 bis 8. In der Vertikalen der Tabelle werden die Mobilitätsvorgänge abgebildet. Diese ergeben sich aus der Differenz der zugeordneten Werte für die Ausgangsposition und der Zielposition und können die Werte -3 bis +3 annehmen. Aus dieser Transformation enthält die Tabelle eine Form, die einem Diamanten ähnelt und dem Modell seinen Namen verleiht. Die Referenzkategorie bei der Analyse von Mobilitätseffekten bilden die Personen, die ihre berufliche Position nicht gewechselt haben.
26
2. Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten
Bei diesen Personen ist die Differenz zwischen der Variablen Herkunftsposition und Zielposition gleich Null. Das „diamond“ Modell wird von House (1978); Halaby and Sobel (1979); Sobel (1981) und Zimmermann (1985) kritisiert. Hauptkritikpunkt ist die Verwendung einer gemeinsamen Statusdimension. Diese würde auf der inhaltlichen Ebene einem eindimensionalen Klassenkonzept korrespondieren, das von vielen Theoretikern zugunsten multipler Statusdimensionen zurückgewiesen wird. House (1978) kritisiert, dass das „diamond“ Modell in den Fällen, in denen die Effekte der Statusvariablen auf die abhängige Variable unterschiedlich sind, das Vorhandensein von Statusinkonsistenzeffekten anzeigen würde, auch wenn diese gar nicht gegeben sind: Falls die abhängige Variable eine Linearkombination aus (jk) = c1 x1i +c2 x2i mit c1 = b1 +b2 und c2 = b1 −b2 den Statasvariablen ist, also yˆi 1 ist, dann ist b1 = 2 (c1 + c2 ) und b2 = 12 (c1 − c2 ) in Gleichung (2.5). Dies ist eine logische Konsequenz aus der Verwendung eines einzigen gemeinsamen Statuskontinuums. Sobel (1981) kritisiert, dass die Addition verschiedener Werte einer Ausgangsposition mit verschiedenen Werten einer Zielposition zum gleichen Wert in der neu konstruierten Zeilenvariablen führt. Bezogen auf das o.g. Beispiel mit vier Berufsklassen ergäbe sowohl die Kombination von Berufsposition 1 als Herkunftsposition und Berufsposition 3 als Zielposition wie umgekehrt die Kombination der Berufsposition 3 als Herkunftsposition und Berufsposition 1 als Zielposition einen Summenwert von 4. Ebenfalls erzielt man einen Wert von 4 auf der neu konstruierten Variablen durch die Kombination der Berufsposition 2 als Herkunfts- und als Zielposition. Würde man z.B. Arbeiter mit dem Wert 1, mittlere Angestellte mit dem Wert 2 und leitende Angestellte mit dem Wert 3 kodieren, führt das „diamond“ Modell inhaltlich betrachtet Arbeiter, die leitende Angestellte werden wie leitende Angestellte, die Arbeiter werden und mittlere Angestellte, die mittlere Angestellte bleiben, in einer Spalte zusammen. Zweitens kritisiert Sobel (1981), dass die Parameterisierung der Spalten in der Art nicht mit Hopes ursprünglichem Anspruch, die Effekte unter Verwendung der Diagonalzellen der Mobilitätstabelle zu parametrisieren, übereinstimmt. Genau diesen Punkt bemängelte Hope (1971) bei dem Ansatz von Duncan (1966). Sobel (1981) kommt in seiner Kritik zu dem Schluss, dass das „diamond“ Modell auf Grund desselben konzeptuellen Fehlschlags wie das „square additive“ Modell falsch ist: Es scheitert an der mangelnden Übereinstimmung von soziologischer Theorie und statistischem Modell. Trotz dieser Kritik wurde das Modell von Hope mangels Alternativen in den späten 1970er und 1980er Jahren häufig eingesetzt. Anwendungen lassen sich
2.3 Das „diagonal mobility“ Modell
27
in Wilson (1979); Zurcher und Wilson (1979); Whitt (1983) und Slomcynski (1989) finden.
2.3 Das „diagonal mobility“ Modell 2.3.1 Spezifikation des Grundmodells Zur Überwindung der konzeptionellen Fehler in den Modellen von Duncan und Hope schlägt Sobel (1981) ein Modell für die Analyse von Mobilitätseffekten vor, das er als „diagonal mobility“ Modell bezeichnet.2 In Anlehnung an Mobilitätstheorien (Blau 1956; Duncan 1966; Blau und Duncan 1967), die davon ausgehen, dass Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen einer Person sowohl durch den Herkunftsstatus als auch durch den Zielstatus beeinflusst werden, entwickelt Sobel ein Modell, das diese Effekte als Haupteffekte in einem varianzanalytischen Modell parametrisiert. Sobel ordnet die reinen Sozialisationstypen auf der Hauptdiagonale einer Mobilitätstabelle an und betrachtet die Werte in den anderen Zellen als Mischungen der reinen Typen. Darin sieht Sobel die Verbindung mit der dem Modell zugrundeliegenden soziologischen Theorie aufrechterhalten, deren Fehlen er sowohl beim „square additive“ als auch beim „diamond“ Modell bemängelt. Nach Auffassung der Mobilitätstheoretiker werden Einstellungen und Verhaltensweisen nicht durch additive Einflüsse von Herkunftsposition und Zielposition alleine erklärt. Vielmehr werden sie gemeinsam a) durch die voneinander abhängigen Einflüsse der sozialen Herkunft und der jetzigen Stellung einer Person und b) durch einen Effekt, den die soziale Mobilität auf Einstellungen, Werthaltungen und Verhaltenweisen ausübt, erklärt. Da Mobilitätseffekte Effekte sind, die vom Wechsel der Positionen ausgehen, muss nach Auffassung Sobels neben der Parametrisierung der Haupteffekte ein Mobilitätsmodell auch diesen Prozess darstellen können. Ausgangspunkt des „diagonal mobility“ Modells ist eine Mobilitätstabelle mit J Zeilen und Spalten. Die Zeilen repräsentieren den Herkunftsstatus und die Spalten den Zielstatus einer Person. Y ist eine metrische Zufallsvariable, die 2 Das
„diagonal mobility“ Modell von Sobel ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Modell von Goodman (1972). Im Unterschied zu Sobels „diagonal mobility“ Modell geht es Goodman um die Analyse von Mobilitätstabellen mit loglinearen Modellen. Im Unterschied zu Sobel repräsentieren in den von Goodman verwendeten Mobilitätstabellen die Werte innerhalb der Zellen die Häufigkeit und die Richtung der Mobilitätsvorgänge. Aufgrund der Namensgleichheit der beiden Modelle bezeichnen Autoren, die das Modell von Sobel anwenden, das Modell als „diagnonal reference model“ (vgl. De Graaf, Nieuwbeerta und Heath 1995; Hendrickx, De Graaf, Lammers und Ultee 1993).
28
2. Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten
sowohl von der Zeilenvariable H (Herkunftsposition) als auch von der Spaltenvariable Z (Zielposition) abhängt. Es wird angenommen, dass eine Stichprobe von Personen gezogen wird und für jede Person die Werte von Y, H, Z aufgezeichnet werden. Die Ausprägungen der Variable H werden mit j = 1, . . . , J und die Kategorien der Variable Z mit k = 1, . . . , J indiziert. Sobel (1981) geht zunächst von folgendem Grundmodell aus: (jk)
yi
(jk)
= µ(jk) + i
,
(jk)
i
N (0, σ 2 )
(2.6)
(jk)
yi bezeichnet den Wert der abhängigen Variable der Person i, die in der Zelle jk der Mobilitätstabelle liegt. µ(jk) ist der Erwartungswert der Zufallsvariablen Y der Personen, die sich in der jk-ten Zelle der Mobilitätstabelle befinden. (jk) ist ein normalverteilter Fehlerterm mit einem Erwartungswert von 0 und i Varianz σ 2 . Bei Personen, die ihren Status gewechselt haben und sich damit außerhalb der Diagonalzellen der Mobilitätstabelle befinden, wird die abhängige Variable (jk) durch zwei Komponenten beeinflusst. Der Erwartungswert µ(jk) wird in yi die Komponenten µ(jj) und µ(kk) in Form von µ(jk) = πµ(jj) + (1 − π)µ(kk) ,
mitπ ∈ [0, 1]
(2.7)
zerlegt, wobei µ(jj) der Erwartungswert in der jj- ten und µ(kk) der Erwartungswert in der kk - ten Zelle der Mobilitätstabelle ist. Die Diagonalzellen der Mobilitätstabelle sind damit ein zentrales Element in Sobels Modell. Daraus resultiert der Name des Modells. π bzw. 1 − π sind multiplikative Gewichte, die als mischende Wahrscheinlichkeiten interpretiert werden können. Diese Gewichte geben an, mit welchem Anteil der Erwartungswert der abhängigen Variablen durch die Herkunftsposition und mit welchem Anteil er durch die Zielposition beeinflusst wird. Der Erwartungswert einer Person i, die von der Statusgruppe j in die Statusgruppe k wechselt, setzt sich in Anlehnung an das Modell von Hope (1971, 1975) aus dem Erwartungswert µ(jj) der Personen, die die j - te Statusgruppe nicht verlassen haben bzw. wieder in diese Statusgruppe zurückgekehrt sind und dem Erwartungswert µ(kk) der Personen, die die k - te Statusgruppe nicht verlassen bzw. wieder in diese zurückgekehrt sind, in Form einer Linearkombination zusammen. Der Erwartungswert der Individuen, die ihren Status gewechselt haben, besteht damit aus einer Mischung von zwei Referenzwerten. Dies ist zum einen der Erwartungswert der Personen, die den Herkunftsstatus charakterisieren und
29
2.3 Das „diagonal mobility“ Modell
zum anderen der Erwartungswert der Personen, die den Zielstatus charakterisieren. Die beiden Referenzwerte werden mit den Parametern π bzw 1 − π multipliziert, wobei die Parameter mit der Restriktion versehen werden, dass die Summe der Werte 1 ergibt und π im Intervall [0,1] liegt. Die Gewichte π bzw. 1−π geben den Anteil des Einflusses der Herkunftsposition bzw. Zielposition auf den Erwartungswert der abhängigen Variable an. Der Erwartungswert µ(jk) ist also der gewichtete Erwartungswert der beiden Referenzwerte µ(jj) und µ(kk) . Die Gewichte π und 1 − π geben den Anteil der Referenzwerte an. Werte von π > 0.5 zeigen an, dass die Herkunftsposition einer Person stärker Einstellung und Verhalten prägt als die Zielposition. Individuen, die ihren Status nicht gewechselt haben bzw. wieder in ihre ursprüngliche Statusgruppe zurückgekehrt sind und sich damit in den Diagonalzellen der Mobilitätstabelle befinden, sind nur durch den Referenzwert µ(jj) charakterisiert. Die Gleichung (2.7) reduziert sich auf (jj)
yi
(jj)
= µ(jj) + i
.
(2.8)
Der Unterschied zwischen dem „diagonal mobility“ Modell und dem „square additiven“ Modell liegt in der Zerlegung von µ(jk) . Während im „square additive“ Modell der Erwartungswert der abhängigen Variablen einer zufällig ausgewählten Personen in der jk-ten Zelle der Mobilitätstabelle die Summe eines allgemeinen Effekts µ, eines Effekts αj , der von der Herkunftsposition ausgeht und eines Effekts βk , der von der Zielposition ausgeht, ist, setzt sich im „diagonal mobility“ Modell der Erwartungswert aus den gewichteten Erwartungswerten der Herkunftsposition µ(jj) und der Zielposition µ(kk) zusammen. Im Gegensatz zum „diamond“ Modell und in Analogie zum „square additiven“ Modell wird im „diagonal mobility“ Modell der begriffliche Unterschied zwischen der Herkunftsposition und der Zielposition bewahrt. Desweiteren wird im „diagonal mobility“ Modell keine Annahme über eine Rangordnung der einzelnen Statuskategorien getroffen. Daher ist das Modell auch anwendbar, wenn die Hierarchie der Kategorien unbekannt ist oder aus theoretischen Gründen von keiner Hierarchie ausgegangen werden soll. Darüber hinaus geht das „diagonal mobility“ Modell nicht davon aus, dass µ(jk) mit µ(kj) gleichgesetzt wird, wenn j = k ist. Nur in dem Fall, dass die Gewichte π bzw. 1 − π den Wert 0.5 annehmen und damit die Effekte, die von der Ausgangsposition ausgehen, gleich sind, ist µ(jk) = µ(kj) . In dem Fall ist das „diagonal mobility“ Modell äquivalent mit dem „diamond“ Modell. Ungleiche Gewichte in dem Modell von Sobel, wobei π = 0 ist, bedeuten übersetzt in das Modell von Hope, dass die Differenzwerte
30
2. Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten
ungleich 0 sind. Der entscheidende Unterschied zwischen den Modellen liegt in dem Umgang mit dem Verhältnis von Herkunfts- und Zielposition. Sobel drückt die unterschiedlichen Einflüsse durch das Verhältnis der Parameter zueinander aus, Hope hingegen nutzt die Differenz. 2.3.2 Das „diagonal mobility 1“ Modell Sobel (1981) erweitert das Grundmodell in zweierlei Hinsicht. Die erste Erweiterung bezieht sich darauf, dass die Anteilswerte, mit denen der Erwartungswert der abhängigen Variablen durch die Herkunftsposition gewichtet wird, nach der jeweiligen sozialen Herkunft einer Person variieren können. Um dies zu berücksichtigen, wird das Modell folgendermaßen erweitert: (jk)
yi
(jk)
= πj µ(jj) + (1 − πj )µ(kk) + i
(2.9)
Dabei ist πj ein Gewicht, das mit dem Herkunfsstatus variiert. Im Unterschied zum einfachen „diagonal mobility“ Modell kann der Einfluss, den die soziale Herkunft auf den Erwartungswert der abhängigen Variablen ausübt, je nach sozialer Herkunft unterschiedlich sein. Diese Erweiterung ermöglicht die Modellierung einer stärkeren oder schwächeren Prägung einer Einstellung oder eines Verhaltens durch eine bestimmte soziale Herkunft im Vergleich zu den anderen Herkunftspositionen. Der Einfluss, den der Zielstatus auf den Erwartungswert der abhängigen Variablen ausübt, ist entsprechend abhängig von dem Gewicht des jeweiligen Herkunfsstatus. Eine Person i, die von der Klasse j in die Klasse k wechselt und eine Person i + 1, die von der Klasse j + 1 in die dieselbe Klasse k wechselt, sind durch unterschiedliche Effekte, die von der Herkunftsposition ausgehen und in Abhängigkeit davon durch unterschiedliche Einflüsse, die von der Zielposition ausgehen, charakterisiert. Diese Erweiterung bezeichnet Sobel (1981, 1985) als „diagonal mobility 1“ Modell (DM 1). Inhaltlich betrachtet kann dieses Modell verwendet werden, um die unterschiedliche Sozialisierung eines Individuums in Abhängigkeit von der jeweiligen sozialen Herkunft darzustellen. In der konventionellen Sicht der politischen Sozialisation beispielsweise, wird die politische Disposition, die sich in der Jugend oder im frühen Erwachsenensein gebildet und sich in einer Parteiloyalität stabilisiert hat, relativ resistent gegenüber einer Veränderung sein. Das „diagonal mobility 1“ Modell impliziert, dass sich die Klassen in ihrer Fähigkeit, solche permanenten Loyalitäten zu entwickeln, unterscheiden. Ein weiteres Beispiel hierfür wäre die Untersuchung der Frage, ob sich Effekte sozialer Mobilität in Abhängigkeit von der jeweils spezifischen sozialen Herkunft unterscheiden.
31
2.3 Das „diagonal mobility“ Modell
2.3.3 Das „diagonal mobility 2“ Modell Die zweite Erweiterung bezieht sich darauf, dass die Effekte nach der Zielposition variieren können. Dies führt zu folgendem Modell: (jk)
yi
(jk)
= πk µ(kk) + (1 − πk )µ(jj) + i
.
(2.10)
Dabei ist πk ein Gewicht, das mit dem Zielstatus variiert. Der Unterschied zum einfachen „diagonal mobility“ Modell besteht darin, dass der Anteil an Einfluss, den die Zielposition auf den Erwartungswert der abhängigen Variablen ausübt, von Zielposition zu Zielposition unterschiedlich sein kann. Dies ermöglicht die Modellierung eines stärkeren oder schwächeren Einflusses einzelner Zielpositionen auf Einstellungen und Verhalten im Vergleich zu den anderen Zielpositionen. Diese Erweiterung bezeichnet Sobel (1981, 1985) als „diagonal mobility 2“ Modell (DM 2). Inhaltlich betrachtet geht das „diagonal mobility 2“ Modell im Gegensatz zum „diagonal mobility 1“ Modell davon aus, dass sich die Klassen in ihrer Fähigkeit, ihre neuen Angehörigen zu sozialisieren, unterscheiden. So gelangen beispielsweise Bechhoffer und Elliot (1978) und Thorburn (1979) im Bereich der politischen Sozialisation zu den Ergebnissen, dass sich die Klassen in der Stärke der Beeinflussung ihrer neuen Mitglieder unterscheiden. Falls die soziale Herkunft keinen Effekt auf die politischen Ansichten eines Individuums in einer bestimmten Klasse ausübt, dann ist der Anteilswert, mit dem der Einfluss der Klasse, in die das Individuum gewechselt ist, gewichtet wird, annähernd eins. Ein niedriger Wert zeigt an, dass eine Klasse in der Beeinflussung ihrer neuen Mitglieder wenig effektiv ist. Das „diagonal mobility 1“ Modell (DM 1) und das „diagonal mobility 2“ Modell (DM 2) können als komplementäre Modelle betrachtet werden. Das DM-1 Modell untersucht ausschließlich die Variationen, die sich durch den Einfluss der sozialen Herkunftsklasse ergeben. Mit dem DM-2 Modell lässt sich hingegen exklusiv der Einfluss der Zielklasse prüfen. 2.3.4 Einbeziehung von Mobilitätseffekten In den bisher behandelten Modellen sind Mobilitätseffekte, d.h. Effekte, die durch den Statuswechsel zustandekommen noch nicht integriert. Ebensowenig sind Effekte, die durch den sozialen Auf- oder Abstieg bedingt sind oder die Schritte, die ein Individuum im Raum der sozialen Positionen, durchlaufen hat, in das Modell eingebettet. Die Einführung von Mobilitätsvariablen erfolgt bei Sobel (1981) durch folgende Modifikation des Modells
32
2. Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten
µ(jk) = πµ(jj) + (1 − π)µ(kk) +
W w=1
(jk)
γw Miw
,
(2.11)
(jk)
wobei Miw der Wert der w - ten Mobilitätsvariable der i - ten Person in der jk - ten Zelle der Mobilitätstabelle ist und γw der Regressionskoeffizient ist. Der Erwartungswert der abhängigen Variablen einer Person i, die ihren Status gewechselt hat, setzt sich damit aus den gewichteten Einflüssen des Herkunftsstatus und des Zielstatus und den Mobilitätseffekten zusammen. Es ist zu beachten, dass es nicht notwendig ist, die Interpretation der anderen Parameter unter der Präsenz der Mobilitätseffekte zu modifizieren. Diese Form der Modellierung leitet Sobel (1981) direkt aus Theorien über den Einfluss der sozialen Mobilität auf Einstellungen und Verhaltensweisen (vgl. Duncan 1966; Blau und Duncan 1967; Sobel 1981) ab. Danach werden soziale Phänomene gemeinsam durch einen Enkulturationsprozess, repräsentiert durch den additiven Einfluss der Herkunftsposition und der Zielposition eines Individuums und dem Effekt, der von der sozialen Mobilität ausgeht, erklärt. Entsprechend hat Sobel (1981) das „diagonal mobility“ Modell als ein Mobilitätsmodell konstruiert und erhebt nicht den Anspruch, dass es notwendigerweise auch zur Analyse anderer Forschungsfragen wie z.B. der Analyse von Statusinkonsistenzeffekten geeignet sei. 2.3.5 Einbeziehung explanatorischer Variablen In den bisher behandelten Modellen wurden lediglich der gewichtete Einfluss von Herkunftstatus und Zielstatus sowie die Mobilitätseffekte auf den Erwartungswert der abhängigen Variablen berücksichtigt. Im allgemeinen ist jedoch davon auszugehen, dass der Einfluss, den die soziale Herkunft auf die abhängige Variable ausübt, je nach gesellschaftlichen Verhältnissen der jeweiligen Zeit, in der das Individuum primär sozialisiert wurde, unterschiedlich ist. Ebenso kann auch der Einfluss der sozialen Herkunft in Abhängigkeit von dem jeweiligen Geschlecht unterschiedlich sein. Um solche Phänomene zu berücksichtigen, erweitert Sobel (1985) das „diagonal mobility“ Modell durch die Einbeziehung explanatorischer Variablen. Zur Illustration dieser Erweiterung betrachten wir den Fall einer Person i, die in der j - ten Diagonalzelle der Mobilitätstabelle, j = 1, . . . , J, liegt. Unter einem beliebigen Diagonal-Modell reduziert sich das Strukturmodell auf (jj)
yi
(jj)
= µ(jj) + i
,
(2.12)
33
2.3 Das „diagonal mobility“ Modell
da in diesem Fall die soziale Herkunft und die jetzige Position eines Individuums identisch ist und damit die abhängige Variable nur durch eine Komponente beeinflusst wird. Unter dieser einfachen Annahme kommt in den Diagonalzellen die gesamte Variabilität in der abhängigen Variablen nur durch den unbeobachteten Zufall und nicht durch verschiedene explanatorische Variablen zustande. Ein Strukturmodell, das den Einfluss von Kovariaten erlaubt, geschieht durch die Ersetzung der Quantitäten µ(jk) , µ(jj) und µ(kk) im „diagonal mobility“ Mo(jk) (jj) und dell durch die Bildung personenspezifischer Erwartungswerte µi , µi (kk) µi . Dies erlaubt die Einbeziehung erklärender Variablen als Regressoren, die auf die Erwartungswerte der Referenzzellen wirken. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, den Einfluss, den beispielsweise die Zugehörigkeit zu einer Alterskohorte auf die Wirkung, den die soziale Herkunft auf die abhängige Variable ausübt, zu modellieren. Ebenso wird dadurch die Möglichkeit geschaffen, z.B. den Einfluss der jetzigen beruflichen Stellung auf die abhängige Variable nach dem Geschlecht variieren zu lassen. Sobel schlägt ein Strukturmodell für die Elemente vor, die in den Diagonalzellen der Mobilitätstabelle enthalten sind. Für die Beobachtungen der j- ten Diagonalzelle i = 1, . . . , J wird das folgende lineare Regressionsmodell vorgeschlagen:
(jj)
(jj)
yi
= µi
(jj)
= αj +
µi
L l=1
(jj)
(jj)
+ i
(jj)
βjl xil
(2.13)
(2.14)
µi ist der Erwartungswert der i- ten Beobachtung der j-ten Zelle der Haupt(jj) diagonalen, xil der Wert der l-ten explanatorischen Variablen (l = 1, . . . , L), die durch die i- ten Beobachtung in der j-ten Diagonalzelle erzielt wurde, αj und βjl , l = 1, . . . , L sind die Regressionskonstanten und Regressionskoeffizienten, die spezifisch für die j - te diagonale Zelle sind. In diesem Modell folgt die abhängige Variable einem linearen Regressionsmo(jj) dell mit dem konditionalen Erwartungswert µi , den explanatorischen Varia(jj) blen xil , den Parametern αj , βjl , . . . , βjL und der Varianz σ 2 .
34
2. Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten
2.3.6 Zusammenfassende Spezifikation des allgemeinen „diagonal mobility“ Modell Das im vorhergehende Abschnitt behandelte Modell bildet die Basis für ein allgemeines „diagonal mobility“ Modell mit Kovariaten. Die zusammenfassende Modellspezifikation des allgemeinen „diagonal mobility“ Modells lautet: (jk)
= µi
(jj)
+ (1 − π)µi
yi (jk)
µi
= πµi (jj)
µi
(jk)
(kk)
(kk)
= µi
(jj) µi
(jk)
+ i
,
wobei
(2.16)
fallsj = k
,
= αj +
(2.15)
L l=1
(2.17)
(jj)
βjl xil
(2.18)
Unter der allgemeinen Formulierung ist:
(jk) yi
= π(αj +
L l=1
(jk) βjl xil )
+ (1 − π)(αk +
L l=1
(jk)
(jk)
βkl xil ) + i
(jk)
(2.19)
der PersoUnter der allgemeinen Formulierung ist der Erwartungswert µi (jj) (kk) nen, die ihren Status gewechselt haben, durch µi und µi definiert. Diese Referenzwerte können von einer oder mehreren explanatorischen Variablen abhängen. Der Unterschied zum einfachen „diagonal mobility“ Modell liegt also darin, dass in diesem Modell Personen nicht nur durch den Herkunftsstatus und den Zielstatus charakterisiert werden, sondern auch durch weitere erklärende Variablen. Bei der Formulierung des Modells in Gleichung (2.18) wird dabei berücksichtigt, dass der Einfluss des Herkunftsstatus und des Zielstatus auf die abhängige Variable in jeder Zelle der Mobilitätstabelle je nach Einfluss der explanatorischen Variablen unterschiedlich sein kann. Damit ist es möglich, bestimmte Alterskohorteneffekte und geschlechtsspezifische Einflüsse, die sowohl auf den Einfluss der sozialen Herkunft als auch auf den Einfluss der Zielposition auf die abhängige Variable wirken, zu berücksichtigen. Im Unterschied zum „square additive“ Modell schließt jedoch die Beibehaltung der Unterscheidung zwischen Herkunftsposition und Zielposition Schlussfolgerungen über die Einflüsse, die von der sozialen Mobilität ausgehen, nicht aus.
35
2.3 Das „diagonal mobility“ Modell
2.3.7 Erweiterung durch Mobilitätseffekte In dem allgemeinen Grundmodell von Sobel mit Kovariaten sind noch keine Effekte, die vom Statuswechsel ausgehen, integriert. Um gegen die Nullhypothese, dass soziale Mobilität keinen Einfluss auf das Verhalten oder die Einstellung von Personen hat, zu testen, müssen diese Effekte in dem Modell berücksichtigt werden. Sobel (1985) erweitert daher das Grundmodell durch die Einbeziehung von Mobilitätseffekten. Durch die Integration von Mobilitätsvariablen erhält man:
(jk)
yi
= π(αj +
L l=1
(jk)
βjl xil ) + (1 − π)(αk +
L l=1
(jk)
βkl xil ) +
W w=1
(jk)
(jk)
γw Miw + i
(2.20) Aus Gleichung (2.20) wird deutlich, dass die Integration von Mobilitätsvariablen in das Modell durch die Aufnahme einer additiven Komponente, bestehend aus den Mobilitätsvariablen und den Einfluss dieser auf die abhängige Variable, erfolgt. Die Interpretation der anderen Parameter verändert sich unter der Präsenz der Mobilitätseffekte nicht. 2.3.8 Schätzung des Modells Die Anwendung des theoretisch gut begründeten „diagonal mobility“ Modell führt zu erheblichen methodischen und statistischen Problemen, die Sobel nicht lösen konnte. Diese betreffen zum einen die Schwierigkeit, Restriktionen auf die Anteilswerte in der Schätzung einzuhalten. Zum anderen stellt das Modell zusätzlich ein nicht-lineares Regressionsmodell in den Parametern dar. Zur Schätzung der Modellparameter (Regressionskoeffizienten und der Gewichte π) schlägt Sobel (1981) eine einfache OLS-Schätzung der Parameter in einem linearen Regressionsmodells vor, obwohl das Modell in den Parametern durch das Gewicht π und die Restriktion π ∈ [0, 1] nicht linear ist. Seine Vorgehensweise lässt sich einfach an einem Modell mit jeweils 3 Statusgruppen als Herkunftsposition und als Zielposition, die in einer 3 × 3 Mobilitätstabelle angeordnet werden, und einer Mobilitätsvariablen illustrieren. Der Wert in der abhängigen Variablen einer Person i, die in der Diagonalzelle jj, j = 1, 2, 3 liegt, wird durch die Gleichung (jj)
yi
(jj)
= µ(jj) + γMi + i
beschrieben. Befindet sich Person i in der Zelle (jk), wird sie durch
(2.21)
36
2. Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten
(jk)
yi
= πµ(jj) + (1 − π)µ(kk) + γMi + i
(2.22)
beschrieben. Da die Erwartungswerte µ(jj) , j = 1, 2, 3 unbekannt sind, müssen sie zusammen mit π, γ und V (i ) = σ 2 geschätzt werden. Im allgemeinen Fall werden µ(jj) und γ durch Vektoren von Regressionskoeffizienten ersetzt. Nimmt man zunächst an, dass die Werte µ(jj) , j = 1, 2, 3 bekannt sind, lässt sich das Modell (2.22) als lineares Regressionsmodell mit einer Regressionskonstanten von 0 und Regressionskoeffizienten π und 1 − π auffassen. Die Erwartungswerte µ(jj) fungieren als Regressoren. Bei n Personen, die sich auf neun Zellen aufteilen, erhält man damit in Matrixschreibweise folgendes Gleichungssystem: y = Xβ +
(2.23)
Der Vektor der abhängigen Variablen besteht aus 9 Teilvektoren: ⎛ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ y=⎜ ⎜ ⎜ ⎝
y 11 y 11 . . . y 33
⎞ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎠
(2.24)
Jeder Teilvektor enthält njk Elemente, also z.B. ⎛
y 11
⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ =⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎝
y1 y2 .. . .. . .. . y n33
⎞ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎠
(2.25)
Der Vektor der Regressionskoeffizienten enthält β = (φ, 1 − φ, γ). Die Matrix der Regressoren ist dann:
37
2.3 Das „diagonal mobility“ Modell
⎛ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ X=⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎝
X 11 X 12 X 13 X 21 X 22 X 23 X 31 X 32 X 33
⎞ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎠
(2.26)
mit ⎛ ⎜ ⎜ X 11 = ⎜ ⎝
µ(11) µ(11) .. . (11) µ
⎛
X 12
µ(11) ⎜ .. =⎝ . µ(11) ⎛
X 13
µ(11) ⎜ .. =⎝ . µ(11)
µ(11) µ(11) .. . (11) µ
⎞ ⎟ ⎟ ⎟ ⎠
(2.27)
⎞ Mn11+1 ⎟ .. ⎠ . Mn11 +n12
(2.28)
⎞ Mn11 +n12+1 ⎟ .. ⎠ . Mn11 +n12 +n13
(2.29)
⎞ Mn11 +n12 +...n23+1 ⎟ .. ⎠ . Mn11 +n12 +...n33
(2.30)
µ(22) .. . (22) µ µ(33) .. . (33) µ
M1 M2 .. . Mn11
bis ⎛
X 33
µ(33) ⎜ = ⎝ ... µ(33)
µ(33) .. . µ(33)
Das Schätzproblem weist, wie bereits aus dieser Formulierung deutlich wird, die Schwierigkeit auf, dass die Restriktionen π+(1−π) = 1 und π ∈ [0, 1] bei der
38
2. Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten
OLS-Schätzung eingehalten werden müssen. Dies war in den Computerprogrammen (damals BMDP), die von Sobel verwendet wurden, nicht vorgesehen, und π und (1 − π) wurden als getrennte Regressionskoeffizienten geschätzt. Entsprechend wurden Abweichungen von diesen Restriktionen beobachtet. So treten in seiner Anwendung des Modells z.B. Anteilswerte von unter 0 und über 1 auf (vgl. Sobel 1981, 1985). Bisher wurde angenommen, dass µ(jj) = 1, 2, 3 bekannt sind. Dies ist jedoch tatsächlich nicht der Fall, denn µ(jj) sind selbst zu schätzende Parameter. Es zeigt sich daher, dass die Regressionskoeffizienten π, (1 − π) und µ(jj) multiplikativ verknüpft sind, d.h. (jk)
yi
= πµ(jj) + (1 − π)µ(kk) + γMi + i
(2.31)
stellt ein nicht-lineares Regressionsmodell in den Parametern (Multiplikation von π und µ(jj) ) dar, dessen Parameter π und (1−π) zusätzlich die Restriktionen π ∈ [0, 1] und π +(1−π) = 1 aufweisen. Die damit verbundenen Schätzprobleme konnten weder für den hier beschriebenen einfachen Fall noch für die allgemeine Gleichung in (2.16) zur damaligen Zeit befriedigend gelöst werden. Dies gilt auch für neuere Arbeiten von De Graaf und Ultee (1987, 1990); Sørensen (1989); De Graaf und Ganzeboom (1990); De Graaf (1991); De Graaf und Heath (1992); Weakliem (1992); De Graaf, Nieuwbeerta und Heath (1995) und De Graaf und Ultee (2000). 2.3.9 Anwendungen des Modells Seit Ende der 1980er Jahre wird das „diagonal mobility“ Modell von Sobel (1981, 1985) zur Analyse von Mobilitätseffekten in der Forschung angewendet. Exemplarisch hierfür sind die Arbeiten von De Graaf und Ultee (1987, 1990); De Graaf und Ganzeboom (1990); De Graaf und Heath (1992); Weakliem (1992); De Graaf, Nieuwbeerta und Heath (1995) und De Graaf und Ultee (2000). Der Vorteil des Modells liegt darin, unterschiedliche Gewichte zwischem dem Einfluss der sozialen Herkunft und der aktuell eingenommenen Position zuzulassen. Die Variation der Gewichte ergibt sich aus der jeweils spezifischen Kombination von Herkunfts- und Zielklasse. Auf diese Art und Weise können Hypothesen in Bezug auf Mobilitätseffekte geprüft werden, die in dieser Form nicht in konventionelle Modelle nicht integriert werden konnten (vgl. De Graaf und Ultee 1990). Besonders häufig wird das Modell in der Analyse des Einflusses sozialer Mobilität auf das individuelle Wahlverhalten bzw. die Parteipräferenz eingesetzt (z.B. De Graaf und Ultee 1990; Weakliem 1992; Clifford und Heath 1993; Breen
2.3 Das „diagonal mobility“ Modell
39
und Whelan 1994; De Graaf, Nieuwbeerta und Heath 1995 und Nieuwbeerta, De Graaf und Ultee 2000). Im Folgenden werden diese und weitere ausgewählte Anwendungsbereiche des Modells in der Mobilitätsforschung sowie anderen Forschungsbereichen stichpunktartig vorgestellt. Sobel (1981, 1985) verwendet das Modell zur Überprüfung des Zusammenhanges zwischen intergenerationellen Mobilität und Fertilität. Ursprünglich wurde die Beziehung zwischen Mobilität und Fertilität von Blau und Duncan (1967) unter Verwendung des „square additive“ Modells analysiert. Sobel reanalysiert die OCG-I-Daten unter Verwendung desselben Klassifikationsschemas. Entsprechend den theoretischen Annahmen, dass die Effekte sozialer Mobilität sich zum einen aus den relativen Einflüssen der sozialen Herkunft und der gegenwärtigen Position, zum anderen aus den Effekten, die von einem Statuswechsel ausgehen, zusammensetzen, spezifiziert Sobel zunächst ein Basismodell. In dieses werden im weiteren Verlauf sukzessiv Mobilitätseffekte einbezogen. Im ersten Schritt spezifiziert Sobel die relativen Einflüsse der sozialen Herkunft und der gegenwärtigen Position unter Anwendung des einfachen „diagonal mobility“ Modells. In zwei weiteren Schritten werden die relativen Einflüsse unter Anwendung der erweiterten Modelle („diagonal mobility 1“ Modell und „diagonal mobility 2“ Modell) spezifiziert. Die Anpassung der Modelle wird schließlich mit Hilfe der Likelihood-Ratio-Test-Statistik verglichen. Im Ergebnis zeigt sich, dass erstens der Einfluss der gegenwärtigen sozialen Position wesentlich stärker als der Einfluss der sozialen Herkunft ist und zweitens, dass der relative Einfluss von Herkunftsposition und Zielposition invariant gegenüber den einzelnen Berufsklassen ist. Daher verwendet Sobel im weiteren Verlauf seiner Analyse das einfache „diagonal mobility“ Modell als Basismodell. Dieses Modell testet er gegen ein um Mobilitätsvariablen erweitertes Modell. Summa summarum ist festzuhalten, dass absteigende Mobilität einen Einfluss auf Fertiltät ausübt. Demnach bekommen Personen, die sozial abgestiegen sind im Vergleich zur Herkunftsklasse mehr Kinder. Darüber hinaus konnten keine relevanten Effekte der Mobilität auf Fertilität nachgewiesen werden. Diese Überprüfung bestätigt größtenteils die Ergebnisse, die Blau und Duncan (1967) in Bezug auf Mobilitätseffekte erhielten. Aus dem Anwendungsbeispiel wird deutlich, dass das Modell von Sobel (1981, 1985) als Basismodell verwendet werden kann, gegen das ein um Mobilitätsvariablen (wie z.B. die Richtung der Mobilität) erweitertes Modell getestet wird. Sobels Fokus liegt in der Anwendung auf der Frage, ob von einem Statuswechsel Effekte auf Fertilität ausgehen. Dennoch ist das Modell von Sobel nicht nur auf die Überprüfung von Mobilitätseffekten im Sinne von Effekten, die vom Sta-
40
2. Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten
tuswechsel ausgehen, beschränkt. Ebenso ist es für die Ermittlung von Effekten geeignet, die im eigentlichen Sinne Mobilitätseffekte – also die relativen Einflüsse von sozialer Herkunft und gegenwärtiger Position auf Einstellungen und Verhaltensweisen – darstellen. Das „diagonal mobility“ Modell impliziert dies durch die Parametrisierung der Haupteffekte. In den Arbeiten von De Graaf und Ultee (1990) liegt der Fokus beispielsweise stärker auf den relativen Einflüssen von Herkunfts- und Zielposition als auf den Effekten, die von einem Statuswechsel ausgehen. Die Autoren spezifizieren und testen unter Verwendung des „diagonal mobility“ Modells verschiedene Hypothesen über den Einfluss der intergenerationellen Mobilität auf die politische Präferenz. Die erste Hypothese geht davon aus, dass sozial mobile Personen unmittelbar die politische Einstellung der Zielklasse übernehmen. Dies würde bedeuten, dass das Gewicht, mit dem die soziale Herkunft in den Erwartungswert für die Variable „politische Einstellung“ eingeht, den Wert 0 ergibt. Die zweite Hypothese geht etwas abgeschwächt von einer geringeren Übernahme der politischen Einstellungen aus. Demnach müsste das Gewicht einen wesentlich kleineren Wert als 0.5 annehmen. Weitere Hypothesen beziehen sich auf asymmetrische Effekte auf- und absteigender Mobilität. Eine Hypothese bezieht sich darauf, dass Personen, die abgestiegen sind, die politische Präferenz der Statusgruppe, in der sie primär sozialisiert sind, beibehalten. Demnach müsste als Ergebnis ein Anteilswert einer bestimmten Personengruppe innerhalb einer Statusgruppe (nämlich die Personen, die sozial abgestiegen sind) geschätzt werden, der den Wert 1 annimmt. In abgeschwächter Form wird von einer geringen Anpassung an die politische Einstellung der Statusgruppe, in die sie gewechselt sind, ausgegangen. Komplementär dazu wird geprüft, ob Absteiger eine geringere Adaption an die Statusgruppe haben, in die sie gewechselt sind als Personen, die aufgestiegen sind. Insgesamt gelangen De Graaf und Ultee (1993) zu dem Ergebnis, dass die Statusgruppe, in die eine Person wechselt, einen stärkeren Einfluss auf politische Einstellungen ausübt als die Statusgruppe, aus der eine Person stammt. Dies ist unabhängig davon, ob die Personen in diese Statusgruppe auf- oder abgestiegen sind. Die Spezifikation der Effekte auf der Basis der abgeschwächten Hypothesen erzielte eine bessere Datenanpassung als die Spezifikation auf der Basis der strengen Hypothesen. Eine Alternative zu der sequentiellen Vorgehensweise Sobels ist die Spezifikation der Effekte durch ein Modell von Weakliem (1992). Im Unterschied zum „diagonal mobility“ Modell, bei denen die Effekte auf- und absteigender Mobilität durch den Vergleich des Basismodells mit dem um Mobilitätsvariablen
2.4 Das Modell von Weakliem
41
erweiterten Modells analysiert werden, ermöglicht das Modell von Weakliem eine Spezifikation der Effekte auf- und absteigender Mobilität innerhalb der Parametrierung der Haupteffekte. Damit können soziale Auf- und Absteiger innerhalb einer sozialen Klasse angemessener analysiert werden als unter Anwendung des „diagonal mobility“ Modells. Weakliem (1992) wendet sowohl das „diagonal mobility“ Modell und die Erweiterungen bezüglich der variierenden Anteilswerte als auch sein Modell zur Analyse des Einflusses auf- und absteigender Mobilität auf das individuelle Wahlverhalten an. Das zentrale Erkenntnisinteresse ist darauf gerichtet, ob bei sozialen Auf- und Abstiegen die jeweiligen Klassen einen unterschiedlichen Effekt auf das Wahlverhalten ausüben. Modell und Anwendung werden im nächsten Abschnitt ausführlich dargestellt. Die Verwendung des „diagonal mobility“ Modells ist jedoch nicht nur auf die Mobilitätsforschung beschränkt. Die Verwendung des Modells eignet sich allgemein für die Ermittlung der Gewichte (Einflussstärke, relative Macht) zweier oder mehrerer Personen (Partner, Institutionen, Parteien), wenn die Partner sich einigen müssen. Unter diesen Bedingungen kann das „diagonal mobility“ Modell als allgemeines Entscheidungsmodell verwendet werden. So lassen sich beispielsweise Entscheidungen, die in einer Familie getroffen werden (wie die Anschaffung eines Kindes, Berufstätigkeit der Frau, Wahl des Urlaubsziels oder der Kauf eines Autos) analysieren. So untersucht z.B. Sørensen (1989), inwieweit soziodemographische Merkmale der Ehepartner die Entscheidung, wieviele Kinder sie im Verlauf ihres Lebens bekommen, beeinflussen. In dieser Anwendung ist Fertilität eine Funktion von gewichteten Effekten der Bildung von Ehemännern und Ehefrauen. Die Ergebnisse der Parameterschätzungen, die durch die Anwendung des „diagonal mobility“ Modells erzielt werden, sind auf Grund der bisher nicht gelösten schätztechnischen Schwierigkeiten falsch bzw. nur zufällig richtig. Die o.g. Forscher, die das „diagonal mobility“ Modell anwenden, gehen zwar ebenfalls von den Restriktionen π + (1 − π) = 1 und π ∈ [0, 1] aus, konnten diese jedoch in der Schätzprozedur nicht einhalten. Desweiteren konnte auch von ihnen die Schätzprobleme, die sich mit der Schätzung eines nicht-linearen Regressionsmodells in den Parametern ergeben, dessen Parameter zusätzliche Restriktionen aufweisen, nicht gelöst werden.
2.4 Das Modell von Weakliem Das „diagonal mobility“ Modell wird von Weakliem (1992) erweitert, in dem er das „diagonal mobility 1“ Modell (dargestellt in Abschnitt 1.3.2) mit dem „dia-
42
2. Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten
gonal mobility 2“ Modell (dargestellt in Abschnitt 1.3.3) verknüpft. Während in dem „diagonal mobility 1“ Modell der Anteil an Einfluss, den die Herkunftsposition auf die abhängige Variable ausübt, je nach Herkunftsposition unterschiedlich sein kann und in dem „diagonal mobility 2“ Modell der Anteil an Einfluss, den die Zielposition auf die abhängige Variable ausübt, je nach Zielposition variieren kann, können in dem Modell von Weakliem (1992) die Gewichte sowohl nach Herkunftsposition als auch nach Zielposition gleichzeitig variieren. Dies ermöglicht die Modellierung einer stärkeren oder schwächeren Prägung einer bestimmten Herkunftsposition in Kombination mit einer bestimmten Zielposition im Vergleich zu anderen Kombinationen von Herkunftspositionen und Zielpositionen. Diese Art der Modellierung ist auf verschiedene theoretische Arbeiten und empirische Ergebnisse zurückzuführen, die davon ausgehen, dass der relative Einfluss der Statusgruppe, aus der eine Person stammt und der Statusgruppe, in die die Person gewechselt ist, nicht notwendigerweise für jede Kombination von Statusgruppen gilt (De Graaf und Ultee 1990). In Bezug auf politische Parteipräferenzen wird davon ausgegangen, dass höhere soziale Schichten einen stärkeren Effekt auf politisches Verhalten ausüben als untere Schichten. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um die Statusgruppe handelt, die die soziale Herkunft repräsentiert als auch die Statusgruppe, in die hineingewechselt wurde. In den Hypothesen sind Annahmen über asymmetrische Effekte enthalten. Demnach tendieren Personen, die sowohl mit höheren Schichten als auch mit unteren Schichten in Kontakt stehen, dazu, sich an dem Standard der höheren Schichten zu orientieren. Daraus folgt, dass sowohl Personen, die sozial abgestiegen sind, als auch Personen, die aufgestiegen sind, sich an den höheren Schichten orientieren. Weakliem (1992) fasst die theoretischen Annahmen, die zu diesen asymmetrischen Effekten führen, in einem Modell zusammen. Die erste Hypothese geht davon aus, dass Personen dazu neigen, die Identität der Positionen mit dem höheren Prestige anzunehmen. Die zweite Hypothese bezieht sich auf die Frage, ob Mobilität einen indirekten Effekt auf politische Einstellungen durch den Einfluss über persönliche Kontakte ausübt. Sozial mobile Menschen pflegen sowohl zur Statusgruppe, aus der sie stammen, als auch zu der Statusgruppe, der sie aktuell angehören, persönliche Kontakte. Falls Personen die Verbindung zu Menschen mit höherem Status bevorzugen, werden die Aufsteiger neue Bekanntschaften in der oberen Schicht kultivieren auf Kosten von Bekanntschaften aus der Statusgruppe, der sie in jungen Jahren angehörten. Die Absteiger dagegen werden versuchen, die alten Bekanntschaften zu pflegen. Die zweite Hypothese unterscheidet sich von der ersten dahingehend, dass politische Einstellungen
43
2.4 Das Modell von Weakliem
eher eine Folge von sozialen Kontakten sind als eine direkte Folge der Klassenzugehörigkeit. Die dritte Hypothese geht davon aus, dass die Effekte, die von der Herkunftsposition und von der Statusgruppe, in die eine Person gewechselt ist, ausgehen, auf Grund der unterschiedlichen Sozialisierung innerhalb der Klassen variieren können. Insgesamt ist davon auszugehen, dass es keine einheitliche Beziehung zwischen den einzelnen Statusgruppen und der Effektivität der Sozialisation gibt. Beispielsweise könnte die Statusgruppe der Arbeiter über eine ausgeprägtere Identifizierung verfügen als z.B. eine neue Mittelklasse aus „white collar worker“ und könnten dementsprechend einen stärkeren Einfluss ausüben. Um solche Möglichkeiten in der Modellierung zu berücksichtigen bzw. solche Hypothesen zu testen, erweitert Weakliem (1992) das „diagonal mobility“ Modell wie folgt: µ(jk) = ωjk µ(jj) + (1 − ωjk )µ(kk)
(2.32)
wobei ωjk =
φpj φpj + pk
(2.33)
ist. In diesem Modell hängen die Gewichte ωjk bzw. 1 − ωjk , die den Anteil des Einflusses der Herkunftsposition bzw. der Zielposition angeben, von Koeffizienten pj und pk und einem Gewicht der Herkunftsposition in Relation zur Zielposition, das in dem Parameter φ repräsentiert ist, ab. Die Parameter pj geben die relative Stärke, mit denen die einzelnen Statusgruppen in das Gewicht eingehen, an. Eine Klasse mit einem größeren Wert in p wird ein größeres Gewicht als die Herkunftsposition und die Zielposition gemeinsam erhalten. Der Parameter φ gibt das Gewicht an, mit dem die Koeffizienten pj in die Anteilswerte eingehen. Ist der Wert φ größer als 1, hat die Herkunftsposition einen geringeren Einfluss auf die Anteilswerte ωjk bzw. (1 − ωjk ). Der in Relation zur Zielposition geringere Einfluss der Herkunftsposition auf die Anteilswerte kann jedoch durch Statusgruppen, die an sich einen starken Einfluss ausüben (dargestellt in hohen Werten in pj ) wieder ausgeglichen werden. Das Grundmodell von Sobel in Gleichung (2.7) kann als ein restringiertes Submodell von Weakliems Modell gesehen werden. Falls alle Parameter pj = 1 sind, ist das Modell von Weakliem identisch mit dem „diagonal mobility“ Modell φ = π. Analog dazu ist das Gewicht der Herkunftsposition ωjk = mit ωjk = φ+1 1 . φ(φ + 1) und das der Zielposition (1 − ωjk ) = φ+1 Zur Illustration des Modells betrachten wir den Fall, dass der Wert von φ = 0.5 und p1 = 1 und p2 = 2 ist. Für eine Person, die von der Klasse 1 zur
44
2. Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten
Klasse 2 wechselt, entspricht das Gewicht, mit dem der Erwartungswert der Herkunftsposition gewichtet wird, dem Wert 0.2 und das Gewicht, mit dem der Erwartungswert der Zielposition gewichtet wird, dem Wert 0.8. Für eine Person, die aus der Klasse 2 in die Klasse 1 wechselt, werden die Erwartungswerte der Herkunftsposition und Zielposition beide mit dem Wert 0.5 gewichtet. Mit dieser Formulierung ist es möglich, den Einfluss der Herkunftsposition und der Zielposition in Abhängigkeit von der Richtung der Mobilität zu variieren. Das Modell ermöglicht damit die Überprüfung von Hypothesen über asymmetrische Effekte von aufsteigender und absteigender Mobilität wie z.B. dass Absteiger loyaler zu ihrer Herkunftsklasse sind als Aufsteiger. Im Unterschied zur Anwendung des „diagonal mobility“ Modells bzw. seinen Erweiterungen, bei denen Dummy-Variablen zur Indikation auf- und absteigender Mobilität verwendet werden, benötigt das Weakliem-Modell keine vorhergehende Rangbildung der Klassen. Als Beispiel für asymmetrische Effekte betrachten wir Personen, die aus der Mittelschicht stammen. Wenn man davon ausgeht, dass diejenigen, die in eine höhere Position wechseln, Einstellungen und Verhaltensweisen übernehmen werden, die mit der höheren Position verbunden sind und diejenigen, die in die Arbeiterschicht absteigen, das Verhalten, welches für ihre Herkunftsschicht typisch ist, bewahren werden, müssen die Effekte, die von der Herkunfts- und Zielposition ausgehen, bei den Personen unterschiedlich sein. Als weiteres Beispiel betrachten wir Personen, die aus der Mittelschicht stammen und in die Arbeiterschicht wechseln und Personen aus der Arbeiterschicht, die in die Mittelschicht aufsteigen. Folgt man der Annahme, dass Personen, die Kontakte sowohl zur Mittelschicht als auch zur Arbeiterschicht pflegen, eher dazu tendieren, Mittelschichtsstandards anzunehmen, wird die Mittelschicht einen stärkeren Einfluss als die Arbeiterschicht auf Einstellungen und Verhaltensweisen der Individuen ausüben. Dies ist unabhängig davon, ob die Mittelschicht die soziale Herkunftsschicht des Individuums ist oder ob es die Schicht ist, in die es gewechselt ist. Wenn also sowohl Aufsteiger als auch Absteiger dazu neigen, sich stärker durch die Mittelschicht beeinflussen zu lassen, kann dies in dem Modell dadurch berücksichtigt werden, dass der höhere Status verbunden wird mit einem höheren Wert von p. Dadurch wird der höheren Schicht ein besonderer Einfluss verliehen unter Berücksichtigung dessen, ob es sich hierbei um die soziale Herkunftsschicht oder um die soziale Schicht handelt, in die das Individuum gewechselt ist. Weakliem (1992) wendet das Modell auf die Beziehung von Klassenidentifikation und politisches Wahlverhalten in einem internationalen Vergleich an. Da in
2.5 Vorteile des „diagonal mobility“ Modells
45
dieser Anwendung die abhängige Variable diskret ist, schätzt er die Parameter des Modells mit Hilfe der Maximum-Likelihood-Methode für logistische Regression unter Verwendung einer Newton-Raphson Prozedur (Nelder und Wedderburn 1972). Auch Weakliem konnte die in Abschnitt 1.3.7 dargestellten Schätzprobleme nicht lösen. Zur sinnvollen Interpretation des Modells geht er von der Restriktion 0 ≥ ωjk ≥ 1 aus, konnte diese jedoch in der Schätzprozedur nicht einhalten. Bei der Anwendung des Modells erhielt er hohe negative Schätzer für die Anteilswerte. Um überhaupt Schätzwerte zu erhalten, die einigermaßen sinnvoll interpretiert werden können, behilft er sich damit, die Schätzprozedur zu beenden, wenn der Wert 0 erreicht wird. Desweiteren weist Weakliem darauf hin, dass zusätzliche Identifikationsrestriktionen erforderlich sind. Er schlägt die J Restriktion j=1 pj = J vor, kann diese jedoch in der Schätzprozedur ebenfalls nicht einhalten. Als Ergebnis seiner numerisch unzureichenden Schätzung konnten bei der Anwendung seines Modells zur Analyse sozialer Mobilität auf das individuelle Wahlverhalten in allen sieben von ihm analysierten Nationen Unterschiede in den sozialen Klassen bezüglich der Effektivität der politischen Sozialisation festgestellt werden. Diese Differenzen folgen jedoch keinen Statusrangordnungen. Beispielsweise haben in Deutschland die Klassen mit hohem kulturellen Kapital („professionals“) und hohem ökonomischen Kapital („managers“) mehr Einfluss als andere Klassen auf das Wahlverhalten, während in Österreich und den Niederlanden die Bauern den stärksten Einfluss ausüben.
2.5 Vorteile des „diagonal mobility“ Modells Das „diagonal mobility“ Modell sowie seine Erweiterungen weisen eine Reihe von theoretischen Vorteilen zur Erklärung von Einstellungs- und Verhaltensweisen auf, die eine grundsätzliche Verwerfung der Anwendung des Modells auf Grund seiner schätztechnischen Probleme nicht sinnvoll erscheinen lassen. Der erste Vorteil des Modells liegt in der theoretischen Fundierung. Einstellungen und Verhaltensweisen lassen sich gemeinsam erstens durch die additiven Einflüsse der Herkunftsposition und der Zielposition und zweitens durch den Einfluss der sozialen Mobilität erklären. Entsprechend werden in dem Modell von Sobel die Einflüsse, die von der Herkunftsposition und von der Zielposition ausgehen, als Haupteffekte parametrisiert. Hendrickx, De Graaf, Lammers und Ultee (1993) stellen im Vergleich des „diagonal mobility“ Modells, des „square additive“ Modells und dem „diamond“ Modell die starke Anbindung an theoretische Modelle heraus. Sie verweisen auf den gelungenen Transfer von theore-
46
2. Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten
tischen Grundannahmen in die Spezifikation eines mathematisch-statistischen Modells. Der zweite Vorteil liegt darin, dass im Rahmen des Modells auch Immobilität abgebildet werden kann. Immobilität wird in dem „diamond“ Modell von Hope als ein Punkt betrachtet, in dem sich der Unterschied zwischen Herkunftsposition und gegenwärtiger Position in dem Wert null ausdrückt. Der Unterschied zwischen Immobilität und Mobilität ist dementsprechend nur ein gradueller. Außerdem bietet das Modell von Hope nicht die Möglichkeit, komplexe Mobilitätsmuster zu berücksichtigen. Diese lassen sich lediglich eindimensional abbilden, was einen Informationsverlust bedeutet. Das Modell von Sobel bietet bessere Möglichkeit, Immobilität und komplexe Mobilitätsmuster in eine Analyse aufzunehmen. Der dritte Vorteil liegt darin, dass in dem „diagonal mobility“ Modell die beiden Referenzwerte, aus denen sich der Erwartungswert der abhängigen Variablen für die Statuswechsler zusammensetzt, mit Gewichten versehen werden, die in der Summe den Wert 1 ergeben, also relativ sind. Diese relativen Gewichte geben Auskunft darüber, mit welchem Anteil der Erwartungswert der abhängigen Variablen jeweils durch Herkunfts- und Zielposition beeinflusst wird. Der Vorteil der unterschiedlichen Gewichtung wird insbesondere durch De Graaf und Ultee (1987, 1990) und Weakliem (1992) herausgestellt. Durch diese Gewichtung können die Auswirkungen der sozialen Herkunft und die Einflüsse der gegenwärtigen sozialen Position exakter und praxisrelevanter als in anderen Modellen modelliert werden. Der vierte Vorteil liegt in der Erweiterung des „diagonal mobility“ Modells in Hinblick auf die Variation der Anteilswerte bezüglich der Herkunftsposition („diagonal mobility 1“ Modell), bezüglich der Zielposition („diagonal mobility 2“ Modell) und der gleichzeitigen Berücksichtigung variierender Anteilswerte nach der Herkunfts- und Zielposition (Weakliem-Modell). Der Vorteil der Anwendung der erweiterten „diagonal mobility“ Modelle wird von De Graaf und Ultee (1990) herausgestellt: Der relative Einfluss, den die soziale Herkunft und die jetzige Stellung einer Person auf Einstellungen und Verhalten ausübt, muss nicht notwendigerweise für jede Herkunftsposition und jede Zielposition identisch sein. Das „diagonal mobility 1“ Modell und das „diagonal mobility 2“ Modell ermöglichen es, Variationen in den Anteilswerten, mit denen der Einfluss der sozialen Herkunft und der Zielposition gewichtet wird, in Abhängigkeit von der jeweils spezifischen sozialen Herkunft bzw. der jeweils spezifischen Zielposition zuzulassen. So können Hypothesen über Mobilitätseffekte geprüft werden, die im Rahmen der oben dargestellten Mobilitätsmodelle nicht integrierbar wa-
2.5 Vorteile des „diagonal mobility“ Modells
47
ren. So ließe sich z.B. der Frage nachgehen, ob soziale Mobilität je nach sozialer Herkunft der Personen einen unterschiedlichen Einfluss ausübt. Wie bereits in der allgemeinen Darstellung des Weakliem-Modells herausgearbeitet wurde, liegt ein fünfter Vorteil in der Möglichkeit, variierende Gewichte gleichzeitig nach sozialer Herkunft und nach gegenwärtig eingenommener Position zuzulassen. Damit lässt sich bei der Parameterisierung der Haupteffekte die Richtung der Mobilität berücksichtigen. Weiterhin kann durch die Modellierung variierender Gewichte die unterschiedliche Fähigkeit sozialer Klassen, ihre Angehörigen zu beeinflussen, gemessen werden. Beispielsweise variiert die Fähigkeit einer sozialen Klasse soziokulturelle Normen, die typisch für diese Gruppe sind, zu definieren, entlang des Anteils der immobilen Personen in dieser Gruppe. Ist dieser Anteil verhältnismäßig klein, werden diese durch die Statuswechsler nicht mehr als konstituierende Gruppe wahrgenommen. Dies unterminiert die Definitionsmacht der „Stayer“ im Hinblick auf den konsituierenden Normkatalog (vgl. Sobel 1981: 904). Beispiel hierfür ist die Abnahme der quantitativen Bedeutung der alten Mittelschicht. Durch die Modellierung gleichzeitig variierender Gewichte ist es möglich, den Einfluss sozialer Gruppierungen, die ihre Mitglieder weniger stark prägen können, sinnvoller zu modellieren als es unter Verwendung des „diagonal mobility 1“ Modell oder des „diagonal mobility 2“ Modell möglich wäre. Der sechste und nach meiner Ansicht zentrale Vorteil des Modells von Sobel ist die Anwendbarkeit auf die Spezifikation aller Fragestellungen, in denen das theoretische Interesse darauf gerichtet ist, die Gewichte in Entscheidungsprozessen zweier oder mehrerer Parteien zu ermitteln (siehe z.B. die o.g. Analyse von Sørensen (1989)). Die Besonderheit liegt dabei nicht nur in der Ermittlung der unterschiedlich starken relativen Einflüsse der Verhandlungspartner auf das Ergebnis. Es lässt sich darüber hinaus der soziale Prozess, in dem die Entscheidung getroffen wurde und der zu der Entscheidung beigetragen hat, im Rahmen des Modells berücksichtigen. So kann mit dem „diagonal mobility“ Modell der Verhandlungs- bzw. Entscheidungsprozess zwischen zwei oder mehreren Parteien in seiner Dynamik abgebildet werden. Das Modell ermöglicht die Spezifikation des Wirkungsmechanismus. Im Unterschied zu der herkömmlichen Anwendung statistischer Modelle in der Soziologie, in denen Einstellungen, Verhaltensweisen und Handlungen sowie Entscheidungen als das Ergebnis von Attributen betrachtet werden, erlaubt das Modell, auch die soziale Situation, in der die Entscheidung getroffen wurde,
48
2. Modelle zur Analyse von Mobilitätseffekten
zu berücksichtigen. Ein Beispiel hierfür sind Tarifverhandlungen. Die Positionen der beiden oder mehreren Partner gehen mit unterschiedlichen Gewichten in die Verhandlung ein, die Positionen nähern sich im Zeitlauf wechselseitig an. In der Regel nähert sich die schwächere Position der stärkeren an.
3 Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung des „diagonal mobility“ Modells In diesem Kapitel wird das „diagonal mobility“ Modell wesentlich erweitert, die Spezifikation des allgemeinen nicht-linearen Regressionsmodells durchgeführt sowie die Lösung der schätztechnischen Probleme aufgezeigt. Erstens wird das Modell von Sobel von einer auf multivariate abhängige Variablen erweitert. Im Unterschied zum „square additive“ Modell, dem „diamond“ Modell und dem „diagonal mobility“ Modell, mit denen jeweils der Einfluss der sozialen Mobilität auf eine einzige abhängige metrische Variable analysiert werden kann, ermöglicht dieses Modell, den Einfluss auf mehrere abhängige Variablen zu analysieren. Zweitens erlaubt das allgemeine Modell die Einbeziehung von latenten abhängigen Variablen. Auf diese Art kann beispielsweise der Einfluss von sozialer Mobilität auf theoretische Konstrukte, die nicht direkt der Beobachtung zugänglich sind, wie z.B. Lebensstile, analysiert werden. Drittens wird das Modell durch die Einbeziehung des „Weakliem-Modells“ verallgemeinert. Damit können Unterschiede in den Effekten der sozialen Mobilität bei sozialen Auf- und Abstiegen berücksichtigt werden. Viertens wird eine Möglichkeit zur Lösung aller schätztechnischen Probleme aufgezeigt. Fünftens wird skizziert, wie dichotome und/oder ordinale abhängige Variable in ein derartiges Modell integriert werden können. Sechstens werden Simulationsstudien für einzelne Spezialfälle durchgeführt. Siebtens wird die Anwendbarkeit des Modells über die Analyse sozialer Mobilität hinaus weiter diskutiert.
3.1 Allgemeine Modellspezifikation für metrische abhängige Variable Das Modell von Sobel (1981) wird in ein Regressionsmodell der Form y i = µ∗i + ∗i ,
i = 1, . . . , n
(3.1)
mit µ∗i = γ ∗ + Π∗ x∗i
undE(∗i ) = 0undV (∗i ) = Σ∗
(3.2)
50
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
eingebettet. In diesem Modell bezeichnet y i ∼ p×1 einen Vektor von abhängigen Zufallsvariablen, γ ∗ ∼ p×1 einen Vektor der Regressionskonstanten, Π∗ ∼ p×q die Matrix der Regressionskoeffizienten, x∗i ∼ q × 1 ein Vektor von Regressoren und ∗i ∼ p × 1 den Vektor der Fehler in der Gleichung. µ∗i = E(y i |xi ) ist der konditionale Erwartungswert der Zufallsvariablen y eines zufällig ausgewählten Individuums i, i = 1, . . . , n und ist analog zu dem Modell Sobels identisch mit dem Erwartungswert der Personen, die sich in der (jk) -ten Zelle der Mobilitätstabelle befinden und bestimmte Werte in den erklärenden Variablen aufweisen. Sowohl die den Zellen der Mobilitätstabelle entsprechenden Dummyvariablen als auch die erklärenden Variablen sind in x∗i enthalten. In vielen Anwendungen, die in Kapitel 7 folgen, wird nur eine einzige abhängige Variable betrachtet. In diesem Fall ist y i skalarwertig und wird daher in der Regel mit yi bezeichnet. In diesem Fall wird analog µ∗i mit µi bezeichnet. Der Vektor γ ∗ wird durch den Skalar γ ∗ ersetzt. Die p × q Matrix Π∗ wird in diesem Fall zum 1 × q Vektor Π∗ ohne Wechsel der Bezeichnung. Sowohl die Regressionskonstanten γ ∗ als auch die Regressionskoeffizienten Π∗ als auch die Kovarianzmatrix Σ∗ können als nicht-lineare Funktionen γ ∗ (ϑ), Π∗ (ϑ) und Σ∗ (ϑ) eines Parametervektors ϑ aufgefasst werden. Damit ist es möglich, dass die im Modell von Sobel (1981, 1985) entstehenden Parameterrestriktionen, z.B. die Restriktion, dass Gewichte, die den Anteil des Einflusses des Herkunfts- bzw. des Zielstatus entsprechen, zwischen 0 und 1 liegen müssen, bzw. ihre Summe 1 ergeben muss, berücksichtigt werden können. Dies wird später anhand von Beispielen gezeigt. Der Vektor der Regressorvariablen x∗i setzt sich aus verschiedenen Subvektoren zusammen, in denen jeweils ein spezifisches Charakteristikum für jede Person i abgebildet wird. Die einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle werden in J × J − 1 Dummy-Variablen Sji und Wjki kodiert. Sji , j = 1, . . . , J bezeichnet die Statusvariable der Personen, die zu beiden Betrachtungszeitpunkten denselben Status haben. S1i ist die Referenzkategorie, die nur den Wert 0 annimmt und daher in ihrem Wert in der Regressionskonstanten abgebildet wird. Die Variablen S2i bis SJi nehmen den Wert 1 an, wenn die Person i zu beiden Zeitpunkten der Statusgruppe j angehörte, ansonsten nehmen sie den Wert 0 an. Mit der Variable Sji werden die Zellen der Hauptdiagonalen der Mobilitätstabelle abgebildet. Diese Variablen sind im Subvektor si zusammengefasst. Wjki , j = 1, . . . , J, k = 1, . . . , J, j = k bezeichnet eine Variable, die den Statuswechsel angibt. Die Variablen nehmen jeweils den Wert 1 an, wenn ein Wechsel im Status von j zum Zeitpunkt 1 der Betrachtung auf k zum Zeitpunkt 2 erfolgte. Diese Dummy-Variablen entsprechen den Zellen der
51
3.1 Allgemeine Modellspezifikation für metrische abhängige Variable
Mobilitätstabelle, die außerhalb der Hauptdiagonalen liegen. Sie werden im Subvektor wi zusammengefasst. Der Subvektor mi enthält die Mobilitätsvariablen Mw , w = 1, . . . , W, j = 1, . . . , J, k = 1, . . . , J. Weitere explanatorische Variablen (Prädiktoren) Pv , v = 1, . . . , V werden im Subvektor pi zusammengefasst. Insgesamt besteht damit der Vektor x∗i aus den Subvektoren si , wi , mi und pi sowie aus Interaktionseffekten, die später anhand von Beispielen erläutert werden. Zum besseren Verständnis des hier vorgestellten Modells wird als erstes Beispiel der Einbettung ein einfaches Modell mit nur zwei Statuskategorien und ohne weitere explanatorische Variablen als allgemeines Regressionsmodell, das linear in den Variablen, aber nicht linear in den Parametern ist, vorgestellt. Zunächst betrachten wir das Modell für die Personen, die sich in den beiden Diagonalzellen befinden. Es handelt sich dabei um die Personen, deren Herkunftsposition identisch mit der Zielposition ist. Für eine Person i in der ersten Diagonalzelle (11), d.h. in der die Herkunftsposition und die Zielposition die Ausprägung eins annehmen, lässt sich der Erwartungswert µ∗i aus Gleichung (11) mit (3.2) als µi (11)
µi
= α1
(3.3)
schreiben. α1 ist die Regressionskonstante und ist identisch mit dem Erwartungswert der abhängigen Variablen in der Diagonalzelle (11). (22) mit Für eine Person i in der zweiten Diagonalzelle (22) gilt µ∗i = µi (22)
µi
= α1 + α2
.
(3.4)
α2 beschreibt den Unterschied im Erwartungswert der abhängigen Variablen zwischen Diagonalzelle (11) und Diagonalzelle (22). Durch die Einführung der Dummyvariablen S2i mit S2i =
1 : 0 :
wenn i zu beiden Zeitpunkten der Statusgruppe 2 angehört sonst,
kann eine einheitliche Gleichung für beide Diagonalzellen geschrieben werden als: (jj)
µi
= α1 + α2 S2i
, j = 1, 2
(3.5)
Daher besteht in diesem Fall der Subvektor si nur aus einem Skalar, nämlich S2i , der den Wert 0 für Personen in der Diagonalzelle (11) und den Wert 1 für
52
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
Personen aus der Diagonalzelle (22) annimmt. Es gilt daher für Personen aus (11) oder (22): µ∗i = α1 + α2 S2i
(3.6)
Im Folgenden wird gezeigt, wie die Diagonalzellen und die Nichtdiagonalzellen in das obige Regressionsmodell durch eine einheitliche Gleichung eingebettet werden. Die zentrale Überlegung ist dabei, das Modell für die Personen, die ihren Status gewechselt haben, durch die Einführung von Dummyvariablen, die den Statuswechsel indizieren, zu formulieren. In dem hier betrachteten Beispiel handelt es sich um die Dummyvariable W12i mit W12i =
1 0
: :
wenn Wechsel von Statusgruppe 1 nach 2 stattgefunden hat sonst,
und die Dummyvariable W21i mit W21i =
1 0
: :
wenn Wechsel Statusgruppe von 2 nach 1 stattgefunden hat sonst. (12)
eines Wechslers i von der Statusgruppe 1 zur Für den Erwartungswert µi Statusgruppe 2 gilt entsprechend dem „diagonal mobility“ Modell: (12)
µi (11)
(11)
= πµi (22)
und µi Werden nun für µi α1 + α2 eingesetzt, erhält man: (12)
µi
(22)
+ (1 − π)µi
(11)
die Formulierungen µi
=
πα1 + (1 − π)(α1 + α2 )
=
α1 + (1 − π)α2 (21)
Analog gilt für den Erwartungswert µi 2 zur Statusgruppe 1 wechselt: (21)
µi
(11)
Durch Einsetzen von µi man:
(3.7)
(22)
= πµi
(22)
und µi
(22)
= α1 und µi
=
(3.8)
einer Person i, die von Statusgruppe (11)
+ (1 − π)µi
(3.9)
aus Gleichungen (3.3) und (3.4) erhält
3.1 Allgemeine Modellspezifikation für metrische abhängige Variable
(21)
µi
=
π(α1 + α2 ) + (1 − π)α1
=
α1 + πα2
53
(3.10)
Betrachtet man die Parameter (1 − π)α2 und πα2 als Regressionskoeffizienten in einem linearen Modell, lässt sich eine einheitliche Gleichung für alle Personen i, also sowohl für die Personen in den Diagonalzellen als auch für die Wechsler schreiben als: µ∗i = α1 + α2 S2i + (1 − π)α2 W12i + πα2 W21i ,
i = 1, . . . , n
(3.11)
Daraus ergibt sich im Regressionsmodell der Gleichungen (3.1) und (3.2) für den Spaltenvektor x∗i der Regressoren ein Vektor mit den Komponenten ⎛
⎞ S2i x∗i = ⎝ W12i ⎠ W21i
(3.12)
und für die Parameter γ ∗ und Π∗ die Restriktionen γ ∗ = α1
(3.13)
Π∗ = (α2 , (1 − π)α2 , πα2 ).
(3.14)
und
Der Vektor der Regressionskonstanten γ ∗ besteht in diesem Fall nur aus einem Skalar. Die Matrix der Regressionskoeffizienten Π∗ besteht in diesem Fall nur aus einem Vektor. Dieser enthält nichtlineare Funktionen der modellrelevanten Parameter α2 und π. Zusätzlich ist die Restriktion π ∈ [0, 1] zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass ein in den Parametern nichtlineares Regressionsmodell geschätzt werden muss, um die für die inhaltliche Betrachtung relevanten Parameter zu schätzen. Im Folgenden betrachten wir die Erweiterung des Modells auf drei Statusgruppen. Dies entspricht einer 3 × 3 Mobilitätstabelle im „diagonal mobility“ Modell. Die Erweiterung geschieht durch die Einführung von fünf weiteren Dummyvariablen in das Modell. Im Einzelnen handelt es sich hierbei um die Dummyvariable S3i mit
54
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
S3i =
1 0
: :
wenn i zu beiden Zeitpunkten der Statusgruppe 3 angehörte sonst,
der Dummyvariablen W13i mit W13i =
1 0
: :
wenn i von Statusgruppe 1 nach 3 gewechselt hat sonst,
der Dummyvariablen W23i mit W23i =
1 0
: :
wenn i von Statusgruppe 2 nach 3 gewechselt hat sonst,
der Dummyvariablen W31i mit W31i =
1 0
: :
wenn i von Statusgruppe 3 nach 1 gewechselt hat sonst,
sowie der Dummyvariablen W32i mit W32i =
1 0
: :
wenn i von Statusgruppe 3 nach 2 gewechselt hat sonst.
Betrachten wir zunächst den konditionalen Erwartungswert einer Person i, die zu beiden Zeitpunkten der dritten Statusgruppe angehörte. Der Erwartungswert (33) des allgemeinen Modells µ∗i lässt sich dann als µi mit (33)
µi
= α1 + α3
(3.15)
(33) µi
aus dem Erwartungswert α1 der ersten schreiben. In dem Fall besteht Diagonalzelle (11) und dem Unterschied α3 zwischen der ersten und der dritten Diagonalzelle (33). (13) eines Wechslers i von der Statusgruppe 1 zur Für den Erwartungswert µi Statusgruppe 3 gilt: (13)
µi
(11)
(33)
=
πµi
+ (1 − π)µi
=
πα1 + (1 − π)(α1 + α3 )
=
α1 + (1 − π)α3
(3.16)
3.1 Allgemeine Modellspezifikation für metrische abhängige Variable
(23)
Analog dazu erhält man für den Erwartungswert µi der Statusgruppe 2 in die Statusgruppe 3 (23)
µi
(22)
55
eines Wechslers i von
(33)
=
πµi
(1 − π)µi
=
π(α1 + α2 ) + (1 − π)(α1 + α3 )
=
α1 + πα2 + (1 − π)α3
(3.17)
Man beachte, dass in diesem Falle die letzte Gleichung komplizierter ist als beim Wechsel von der Statusgruppe 1 zu 3, da nicht mehr aus der Referenzgruppe 1 gewechselt wird. (31) eines Wechslers i von der Statusgruppe 3 in Für den Erwartungswert µi die Statusgruppe 1 gilt: (31)
µi
(33)
(11)
=
πµi
+ (1 − π)µi
=
π(α1 + α3 ) + (1 − π)α1
=
α1 + πα3 (3.18) (32)
und für den Erwartungswert µi Statusgruppe 2 wechselt gilt: (32)
µi
einer Person i, die von Statusgruppe 3 zur
(33)
(22)
=
πµi
+ (1 − π)µi
=
π(α1 + α3 ) + (1 − π)(α1 + α2 )
=
α1 + πα3 + (1 − π)α2
(3.19)
Daraus ergibt sich im Regressionsmodell der Gleichungen (3.1) und (3.2) für den Spaltenvektor x∗i der Regressoren ein Vektor mit den Komponenten ⎛ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ x∗i = ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎝
S2i S3i W12i W13i W21i W23i W31i W32i
⎞ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎠
(3.20)
56
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
Die Parameter der reduzierten Form γ ∗ und Π∗ werden durch die Gleichungen γ ∗ = α1
(3.21)
und Π∗ = (α2 , α3 , (1 − π)α2 , (1 − π)α3 , πα2 , πα2 + (1 − π)α3 , πα3 , πα3 + (1 − π)α2 ) (3.22) als Funktionen der strukturellen Parameter(α1 , α2 , π1 , π2 ) beschrieben. Der Vektor der Regressionskoeffizienten Π∗ enthält nichtlineare Funktionen der modellrelevanten Parameter α2 , α3 und π. Zusätzlich ist die Restriktion π ∈ [0, 1] zu berücksichtigen. Die Kovarianzmatrix Σ∗ ist in diesem Fall ein Skalar σ 2∗ , der die Varianz des Fehlers ∗i darstellt. Erweitert man die Anzahl der Statusgruppen auf eine beliebige Zahl J, lässt sich allgemein der skalarwertige bedingte Erwartungswert der Zufallsvariablen yi einer zufällig ausgewählten Person i aus einer beliebigen Zelle der Mobilitätstabelle formulieren als: µ∗i = α1 +
J j=2
αj Sji +
J J
(παj + (1 − π)αk )Wjki
(3.23)
j=1 k=j
Entsprechend besteht der Vektor xi aus den Komponenten Sji , j = 2, . . . J und Wjki , j = k; j, k = 1, . . . , J. Die Regressionskoeffizienten Π∗ werden analog zu Gleichung (3.22) gebildet und nehmen die Werte α2 , . . . , αj für Sji , j = 2, . . . , J und παj +(1−π)αk für die Statuswechsler Wjki , j = k, j, k = 1, . . . , J an. Dabei ist die Restriktion π ∈ [0, 1], j = . . . , J zu beachten. 3.1.1 Einbeziehung der erweiterten „diagonal mobility“ Modelle Im Folgenden betrachten wir die Erweiterung des Modells, die sich darauf bezieht, dass die Gewichte nach dem Herkunftsstatus variieren können. Dies ist analog zu der Einbeziehung des DM-1 Modells von Sobel, dargestellt in Gleichung (2.9), in das Regressionsmodell der Gleichungen (3.1) und (3.2). Diese Erweiterung ermöglicht, die unterschiedliche Sozialisation eines Individuums in Abhängigkeit von der jeweiligen sozialen Herkunft darzustellen. Wir betrachten das Modell zunächst für drei Statusgruppen. Die Erwartungswerte für die Personen, die ihren Status nicht gewechselt haben bzw. wieder in die ursprüngliche Statusklasse zurückgekehrt sind und sich damit in den
3.1 Allgemeine Modellspezifikation für metrische abhängige Variable
57
Hauptdiagonalzellen der Mobilitätstabelle befinden, ist identisch mit dem zuvor behandelten Modell und lässt sich als einheitliche Gleichung für die drei Diagonalzellen schreiben als: (jj)
= α1 + α2 S2i + α3 S3i ,
µi
j = 1, 2, 3
(3.24)
(12)
eines Wechslers i von der Statusgruppe 1 zur Für den Erwartungswert µi Statusgruppe 2 gilt entsprechend dem DM-1-Modell (12)
µi
(11)
= π1 µi
(22)
+ (1 − π1 )µi
,
(3.25)
wobei mit π1 der Einfluss der Statusgruppe 1 in ihrer Funktion als Herkunfts(11) (22) und µi die Formulierungen position bezeichnet wird. Werden nun für µi (11) (22) µi = α1 und µi = α1 + α2 eingesetzt, erhält man (12)
µi
=
π1 α1 + (1 − π1 )(α1 + α2 )
=
α1 + (1 − π1 )α2
.
(3.26)
(21)
Analog gilt für den Erwartungswert µi einer Person i, die von Statusgruppe (21) 2 zur Statusgruppe 1 wechselt µ∗i = µi mit (21)
µi
(22)
= π2 µi
(11)
+ (1 − π2 )µi
,
(3.27)
wobei π2 den Einfluss der Statusgruppe 2 in ihrer Eigenschaft als als Herkunftsposition bezeichnet. (11) (22) und µi aus Gleichungen (3.3) und (3.4) erhält Durch Einsetzen von µi man (21)
µi
=
π2 (α1 + α2 ) + (1 − π2 )α1
=
α1 + π2 α2
(13)
Für den Erwartungswert µi Statusgruppe 3 gilt (13)
µi
.
(3.28)
eines Wechslers i von der Statusgruppe 1 zur
(11)
(33)
=
π1 µi
+ (1 − π1 )µi
=
π1 α1 + (1 − π1 )(α1 + α3 )
=
α1 + (1 − π1 )α3
.
(3.29)
58
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
(23)
Analog dazu erhält man für den Erwartungswert µi der Statusgruppe 2 in die Statusgruppe 3 (23)
µi
(22)
eines Wechslers i von
(33)
=
π2 µi
=
π2 (α1 + α2 ) + (1 − π2 )(α1 + α3 )
=
α1 + π2 α2 + (1 − π2 )α3 (31)
Für den Erwartungswert µi die Statusgruppe 1 gilt (31)
µi
(1 − π2 )µi
.
(3.30)
eines Wechslers i von der Statusgruppe 3 in
(33)
(11)
=
π3 µi
+ (1 − π3 )µi
=
π3 (α1 + α3 ) + (1 − π3 )α1
=
α1 + π3 α3
(3.31) (3.32)
(32)
und für den Erwartungswert µi Statusgruppe 2 wechselt, gilt (32)
µi
einer Person i, die von Statusgruppe 3 zur
(33)
(22)
=
π3 µi
+ (1 − π3 )µi
=
π3 (α1 + α3 ) + (1 − π3 )(α1 + α2 )
=
α1 + π3 α3 + (1 − π3 )α2
.
(3.33)
Daraus ergibt sich im Regressionsmodell der Gleichungen (3.1) und (3.2) für den Spaltenvektor x∗i der Regressoren ein Vektor mit den Komponenten Sji , j = 1, 2, 3 und Wjki , j = 1, 2, 3; k = 1, 2, 3; j = k und die Parameter γ ∗ und Π∗ der reduzierten Form werden durch die Gleichungen γ ∗ = α1
(3.34)
und Π∗
=
(α2 , α3 , (1 − π1 )α2 , (1 − π1 )α3 , π2 α2 , π2 α2 + (1 − π2 )α3 , π3 α3 , π3 α3 + (1 − π3 )α2 )
(3.35)
als Funktionen der strukturellen Parameter (α1 , α2 , α3 , π1 , π2 , π3 ) beschrieben. In dem Fall enthält der Vektor Π∗ nichtlineare Funktionen der modellrelevanten
3.1 Allgemeine Modellspezifikation für metrische abhängige Variable
59
Parameter α2 , α3 , π1 , π2 und π3 . Zusätzlich sind die Restriktionen π1 , π2 und π3 ∈ [0, 1] zu berücksichtigen. Die Kovarianzmatrix Σ∗ ist ein Skalar σ 2∗ , der die Varianz des Fehlers ∗i darstellt. Erweitert man die Anzahl der Statusgruppen auf eine beliebige Zahl J, lässt sich allgemein der skalarwertige bedingte Erwartungswert der Zufallsvariablen yi einer zufällig ausgewählten Person i aus einer beliebigen Zelle der Mobilitätstabelle formulieren als: µ∗i = α1 +
J
αj Sji +
j=2
J J
(πj αj + (1 − πj )αk )Wjki
(3.36)
j=1 k=j
Entsprechend besteht der Vektor xi aus den Komponenten Sji , j = 2, . . . J und Wjki , j = k; j, k = 1, . . . , J. Die Regressionskoeffizienten Π∗ werden analog zu Gleichung (3.35) gebildet und nehmen die Werte α2 , . . . , αj für Sji , j = 2, . . . , J und πj αj + (1 − πj )αk für die Statuswechsler Wjki , j = k, j, k = 1, . . . , J an. Dabei sind die Restriktionen πj ∈ [0, 1], j = . . . , J zu beachten. Das Modell in Gleichung (3.36) geht davon aus, dass die Anteile, mit denen der Einfluss der Koeffizienten gewichtet werden, durch den Herkunftsstatus bestimmt wird. Modifiziert man das Modell dahingehend, dass die Gewichte π mit dem Zielstatus variieren, erhält man: µ∗i = α1 +
J
αj Sji +
j=2
J J
(πk αj + (1 − πk )αk )Wjki
(3.37)
j=1 k=j
3.1.2 Einbeziehung des Weakliem-Modells Die Modelle in Gleichung (3.35) und (3.36) können dahingehend modifiziert werden, dass die Gewichte sowohl nach Herkunftsposition als auch nach Zielposition gleichzeitig variieren können. Dies geschieht in dem das Modell von Weakliem (1992) in das Regressionsmodell (3.1) und (3.2) eingebettet wird. Zur Illustration der Einbeziehung des Weakliem-Modells in das Regressionsmodell betrachten wir ein einfaches Modell mit drei Statusgruppen. Für die Personen, die ihren Staus nicht gewechselt haben bzw. wieder in ihre ursprüngliche Statusgruppe zurückgekehrt sind, ergeben sich für die Erwartungswerte: (jj)
µi
= α1 + α2 S2i + α3 S3i (12)
j = 1, 2, 3
(3.38)
eines Wechslers i von der Statusgruppe 1 zur Für den Erwartungswert µi Statusgruppe 2 gilt entsprechend dem Weakliem-Modell:
60
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
(12)
µi
(11)
= ω12 µi
(22)
+ (1 − ω12 )µi
(3.39)
mit ω12 = (11)
(22)
(12)
(3.40) (11)
Werden nun für µi und µi α1 + α2 eingesetzt, erhält man: µi
φp1 φp1 + p2
die Formulierungen µi
(22)
= α1 und µi
=
ω12 α1 + (1 − ω12 )(α1 + α2 )
=
ω12 α1 + (1 − ω12 )α1 + (1 − ω12 )α2
=
α1 + (1 − ω12 )α2
=
(3.41)
Analog gilt für den Erwartungswert µ(21) einer Person i, die von Statusgruppe 2 zur Statusgruppe 1 wechselt (21)
µi
(22)
= ω21 µi
(11)
+ (1 − ω21 )µi
,
(3.42)
wobei ω21 = (11)
ist. Durch Einsetzen von µi (21)
µi
φp2 p1 + φp2 (22)
= α1 und µi
(3.43)
= α1 + α2 erhält man:
=
ω21 (α1 + α2 )(1 − ω21 )α1
=
α1 + ω21 α2
(3.44)
(13)
Für den Erwartungswert µi eines Wechslers i von der Statusgruppe 1 zur Statusgruppe 3 gilt entsprechend dem Weakliem-Modell (13)
µi
wobei
(11)
(33)
=
ω13 µi
+ (1 − ω13 )µi
=
ω13 α1 + (1 − ω13 )(α1 + α3 )
=
ω13 α1 + (1 − ω13 )α1 + (1 − ω13 )α3
=
α1 + (1 − ω13 )α3
(3.45)
3.1 Allgemeine Modellspezifikation für metrische abhängige Variable
ω13 =
φp1 φp1 + p3 (21)
Analog gilt für den Erwartungswert µi 2 zur Statusgruppe 3 wechselt (23)
µi
(22)
ist.
61
(3.46)
einer Person i, die von Statusgruppe
(33)
=
ω23 µi
+ (1 − ω23 )µi
=
ω23 (α1 + α2 ) + (1 − ω23 )(α1 + α3 )
=
α1 + ω23 α2 + (1 − ω23 )α3
(3.47)
mit ω23 = (31)
Für den Erwartungswert µi die Statusgruppe 1 gilt (31)
µi
φp2 φp2 + p3
.
(3.48)
eines Wechslers i von der Statusgruppe 3 in
(33)
(11)
=
ω31 µi
+ (1 − ω31 )µi
=
ω31 (α1 + α3 )(1 − ω31 )α1
=
α1 + ω31 α3
(3.49)
mit ω31 = (32)
und für den Erwartungswert µi Statusgruppe 2 wechselt, gilt (32)
µi
φp3 p1 + φp3
,
(3.50)
einer Person i, die von Statusgruppe 3 zur
(33)
(22)
=
ω32 µi
+ (1 − ω32 )µi
=
ω32 (α1 + α3 ) + (1 − ω32 )(α1 + α2 )
=
α1 + ω32 α3 + (1 − ω32 )α2
(3.51)
mit ω32 =
φp3 p2 + φp3
.
(3.52)
62
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
Für den Spaltenvektor x∗i der Regressoren ergibt sich im Regressionsmodell der Gleichungen (3.1) und (3.2) ein Vektor mit denselben Komponenten wie in Gleichung (3.20). Die Parameter γ ∗ und die Komponenten des Vektors der Regressionskoeffizienten Π∗ sind dann als folgende Funktionen der modellrelevanten Parameter αj , αk und ωjk gegeben: γ ∗ = α1
(3.53)
und Π∗
=
(α2 , α3 , (1 − ω12 )α2 , (1 − ω13 )α3 , ω21 α2 , ω23 α2 + (1 − ω23 )α3 , ω31 α3 , ω32 α3 + (1 − ω32 )α2 )
(3.54)
Erweitert man die Anzahl der Statusgruppen auf eine beliebige Zahl J, lässt sich allgemein der skalarwertige bedingte Erwartungswert der Zufallsvariablen yi einer zufällig ausgewählten Person i aus einer beliebigen Zelle der Mobilitätstabelle formulieren als: µ∗i = α1 +
J j=2
αj Sji +
J J
(ωjk αj + (1 − ωjk )αk )Wjki
(3.55)
j=1 k=j
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Gewichte ωjk von ihren relativen Koeffizienten pj und pk und einem Gewicht der Herkunftsposition in Relation zur Zielposition, das in dem Parameter φ repräsentiert ist, abhängen. Dies ermöglicht die Modellierung einer stärkeren oder schwächeren Prägung einer bestimmten Herkunftsposition in Kombination mit einer bestimmten Zielposition im Vergleich zu anderen Kombinationen von Herkunftspositionen und Zielpositionen. Im Unterschied zu den bisher entwickelten Modellen mit Restriktionen auf πj oder πk ist im Weakliem-Modell Restriktionen der Form ωjk ∈ [0, 1] zu berücksichtigen. Darüber hinaus weist Weakliem (1992) darauf hin, dass zur Identifikation der Modellparameter Restriktionen für pj erforderlich sind. Allerdings führt Weakliem (1992) diese Restriktionen nicht aus. Vorschläge dazu werden von Hendrickx, De Graaf, Lammers und Ultee (1993) angeführt, auf die in Abschnitt 2.2 eingegangen wird. 3.1.3 Erweiterung durch explanatorische Variablen In den bisher behandelten Beispielen wurden lediglich die gewichteten Einflüsse der Herkunftsposition und der Zielposition auf die endogene Variable als
3.1 Allgemeine Modellspezifikation für metrische abhängige Variable
63
allgemeines Regressionsmodell, das linear in den Variablen, aber nicht linear in den Parametern ist, ohne Berücksichtigung zusätzlicher exogener Variablen, vorgestellt. Im Folgenden betrachten wir die Einbeziehung weiterer erklärender Variablen wie z.B. Mobilitätsvariablen oder soziodemographischer Variablen in das allgemeine Modell in Gleichung (3.1) und (3.2). Als Beispiel hierfür verwenden wir das „diagonal mobility 1“ Modell in Gleichung (3.23). Wir betrachten zunächst das Modell mit drei Statusgruppen. In dieses Modell wird eine metrisch skalierte Mobilitätsvariable Mi und eine weitere Prädiktorvariable Pi einbezogen. Zunächst betrachten wir das Modell für die Personen, deren Position sich nicht geändert hat bzw. deren Position sich im Laufe des Lebens geändert hat und deren jetzige Position der Herkunftsposition entspricht. Es handelt sich dabei um Personen, die sich in den Zellen der Hauptdiagonalen der Mobilitätstabelle befinden. Da sich in diesen Zellen sowohl Personen befinden, die ihre Position gewechselt haben und wieder in ihre Herkunftsposition zurückgekehrt sind, als auch aus Personen, die ihre Position nie gewechselt haben, ist es sinnvoll, die Mobilitätsvariable auch für die Personen innerhalb der Diagonalzellen zu berücksichtigen. (11) einer Person i, die zu beiden Zeitpunkten der StaDer Erwartungswert µi tusgruppe 1 angehört und sich daher in der ersten Diagonalzelle der Mobilitätstabelle (11) befindet, wird durch (11)
µi
= α1 + βPi + γMi
(3.56)
gebildet. In diesem Modell bezeichnet γ den Regressionskoeffizienten für die Mobilitätsvariable Mi und β den Regressionskoeffizienten für die Prädiktorvariable Pi . Für eine Person i in der zweiten Diagonalzelle der Mobilitätstabelle (22) gilt (22)
µi
= α1 + α2 + βPi + γMi
,
(3.57)
und für eine Person i, die sich in der dritten Diagonalzelle der Mobilitätstabelle (33) befindet, gilt (33)
µi
= α1 + α3 + βPi + γMi
.
(3.58)
Im Folgenden betrachten wir den konditionalen Erwartungswert einer Person i, die ihren Status gewechselt hat und sich außerhalb der Diagonalen der Mobilitätstabelle befindet unter Einbeziehung von metrischen Mobilitätsvariablen und weiteren metrischen explanatorischen Variablen. Als Beispiel hierfür wird
64
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
eine Person gewählt, die von der Statusgruppe 1 in die Statusgruppe 2 gewechselt ist (W12i ). Für den Erwartungswert dieser Person gilt entsprechend dem „diagonal mobility 1“ Modell: (12)
µi
(11)
(22)
=
π1 µi
+ (1 − π1 )µi
=
π1 (α1 + βPi + γMi ) + (1 − π1 )(α1 + α2 + βPi + γMi )
=
α1 + βPi + γMi + (1 − π1 )α2
=
α1 + βPi + γMi + (1 − π1 )α2 W12i
(3.59)
Aus Gleichung (3.59) ist zu erkennen, dass die Einbeziehung der Mobilitätsvariablen Mi und einer weiteren explanatorischen Variablen Pi in das Modell durch die Erweiterung des Spaltenvektors x∗i um diese Variablen sowie durch Erweiterung des Vektors der Regressionskoeffizienten Π∗ um die Koeffizienten β und γ erfolgt. Erweitert man die Anzahl der Mobilitätsvariablen auf eine Zahl V und fasst sie in dem Subvektor mi zusammen und die Anzahl der explanatorischen Variablen auf U und fasst sie im Subvektor pi zusammen, lässt sich allgemein der bedingte Erwartungswert der skalarwertigen abhängigen Variablen yi einer zufällig ausgewählten Person i aus einer beliebigen Zelle der Mobilitätstabelle formulieren als:
µ∗i = α1 +
J j=2
αj Sji +
J J
(πj αj + (1 − πj )αk )Wjki +
j=1 k=j
U u=1
βu Pui +
V
γv Mvi
v=1
(3.60) Die Einbeziehung kategorialer exogener Variablen in das Modell hätte die Erweiterung der Subvektoren mi und pi um die Anzahl der aus den einzelnen Kategorien gebildeten Dummy-Variablen zur Folge. 3.1.4 Einbeziehung von Interaktionseffekten Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass der Einfluss der Mobilitätsvariablen auf Einstellungen und Verhaltensweisen, wie z.B. auf die Lebensstilvariablen von der jeweils spezifischen Herkunfts- und Zielposition einer Person abhängt. Dennoch sind die Einflüsse von sozialer Herkunft und gegenwärtiger beruflicher Stellung auf Grund einer Vielzahl persönlicher Eigenschaften der Personen unterschiedlich. So kann zum Beispiel die individuelle Kohortenzugehörigkeit auf den Einfluss der sozialen Herkunft intervenierend wirken. Auch
3.1 Allgemeine Modellspezifikation für metrische abhängige Variable
65
der Einfluss anderer explanatorischer Variablen, wie z.B. das Geschlecht kann je nach sozialer Herkunft und jetziger beruflicher Stellung variieren. In diesen Fällen muss das Modell dahingehend erweitert werden, dass die Aufnahme von Interaktionseffekten zwischen den die einzelnen Mobilitätszellen repräsentierenden Dummyvariablen und den Variablen in mi und pi ermöglicht wird. Im folgenden Beispiel betrachten wir das Modell mit drei Statusgruppen und zwei metrischen explanatorischen Variablen Mi und Pi unter Berücksichtigung von Interaktionseffekten mit den Zellen der Mobilitätstabelle. Betrachten wir zunächst den konditionalen Erwartungswert der Personen, die sich in den Diagonalzellen der Mobilitätstabelle befinden. Der Erwartungswert einer Person i, die sich in der ersten Diagonalzelle der Mobilitätstabelle (11) befindet, lässt sich schreiben als: (11)
µi
= α1 + β1 Pi + γ1 Mi
(3.61)
Im Unterschied zu Gleichung (3.59) wird hier angenommen, dass die Gewichte der Variablen Pi und Mi für jede Diagonalzelle unterschiedlich sind. Daher werden die Regressionskoeffizienten indiziert und mit β1 und γ1 bezeichnet. Für den Erwartungswert einer Person i, die sich in der zweiten Diagonalzelle der Mobilitätstabelle (22) befindet, gilt: (22)
µi
= α1 + α2 + (β1 + β2 )Pi + (γ1 + γ2 )Mi
(3.62)
Man beachte, dass der Regressionskoeffizient von Pi jetzt den Wert (β1 + β2 ) annimmt und daher β2 als der Unterschied zwischen dem Gewicht von Pi in der ersten und zweiten Diagonalzelle aufgefasst werden kann. Analoges gilt für γ2 . Für den Erwartungswert einer Person i, die sich in der dritten Diagonalzelle der Mobilitätstabelle (33) befindet ist (33)
µi
= α1 + α3 + (β1 + β3 )Pi + (γ1 + γ3 )Mi
(3.63)
Für den Erwartungswert eines Wechslers i von der Statusgruppe 1 zur Statusgruppe 2 gilt dann: (12)
µi
(11)
= π1 µi
(22)
+ (1 − π1 )µi
Durch Einsetzen der Gleichungen (3.61) und (3.62) erhält man:
(3.64)
66
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
(12)
µi
=
π1 (α1 + β1 Pi + γ1 Mi ) + (1 − π1 )(α1 + α2 + β1 Pi + β2 Pi + γ1 Mi + γ2 Mi )
=
α1 + β1 Pi + γ1 Mi + (1 − π1 )α2 + (1 − π1 )β2 Pi + (1 − π1 )γ2 Mi
=
α1 + β1 Pi + γ1 Mi + (1 − π1 )α2 W12i +(1 − π1 )β2 Pi W12i + (1 − π1 )γ2 Mi W12i
(3.65)
Als weiteres Beispiel hierfür betrachten wir eine Person i, die von der Status(23) gruppe 2 in die Statusgruppe 3 wechselt (W23i ). Für den Erwartungswert µi dieser Person gilt: (23)
µi
(22)
(33)
=
π2 µi
+ (1 − π2 )µi
=
π2 (α1 + α2 + (β1 + β2 )Pi + (γ1 + γ2 )Mi ) +(1 − π2 )(α1 + α3 + (β1 + β3 )Pi + (γ1 + γ3 )Mi
=
α1 + π2 α2 + (1 − π2 )α3 + β1 Pi + π2 β2 Pi + (1 − π2 )β3 Pi + γ1 Mi +π2 γ2 Mi + (1 − π2 )γ3 Mi
=
α1 + π2 α2 + (1 − π2 )α3 W23i + β1 Pi + γ1 Mi + π2 β2 + (1 − π2 )β3 Pi W23i +π2 γ2 + (1 − π2 )γ3 Mi W23i
(3.66)
Aus der Gleichung (3.65) ist zu erkennen, dass die Einbeziehung von Interaktionseffekten in das Modell durch Multiplikation der Variablen Sji und Wjki mit Mi und Pi und Aufnahme dieser Variablen in den Spaltenvektor xi erfolgt. Daraus ergibt sich im Regressionsmodell der Gleichungen (3.1) und (3.2) für den Spaltenvektot x∗i der Regressoren ein Vektor mit den Komponenten: x∗ i =
(S2i , S3i , W12i , W13i , W21i , W23i , W31i , W32i , Pi , Mi , Pi S2i , Pi S3i , Mi S2i , Mi S3i , Pi W12i , Pi W13i , Pi W21i , Pi W23i , Pi W31i , Pi W32i , Mi W12i , Mi W13i , Mi W21i , Mi W23i , Mi W31i , Mi W32i )
(3.67)
Die Parameter γ ∗ und die Komponenten von Π∗ sind dann als folgende Funktionen der modellrelevanten Parameter αj , πj , βj und γj gegeben: γ ∗ = α1 und
(3.68)
67
3.1 Allgemeine Modellspezifikation für metrische abhängige Variable
Π∗ =
(α2 , α3 , (1 − π1 )α2 , (1 − π1 )α3 , π2 α2 , π2 α2 + (1 − π2 )α3 , π3 α3 , π3 α3 + (1 − π3 )α2 , β1 , γ1 , (β1 + β2 ), (β1 + β3 ), (γ1 + γ2 ), (γ1 + γ3 ), (1 − π1 )β2 , (1 − π1 )β3 , π2 β2 , π2 β2 + (1 − π2 )β3 , π3 β3 , π3 β3 + (1 − π3 )β2 , (1 − π1 )γ2 , (1 − π1 )γ2 , π2 γ2 , π2 γ2 + (1 − π2 )γ3 , π3 γ3 , π3 γ3 + (1 − π3 )γ2 )
(3.69)
Erweitert man das Modell in Gleichung (3.36) durch die erklärenden Variablen pi mit U und mi mit V Komponenten sowie durch deren Interaktionseffekte mit si und wi , so erhält man als Vektor x∗i von allen erklärenden Variablen den Vektor: x∗ i = (si , w i , mi , pi , si pi , si mi , w i pi , w i mi )
(3.70)
Dabei bedeutet si mi , dass zur Bildung der Interaktionseffekte alle Komponenten von si mit allen Komponenten von mi multipliziert werden. Ein einfaches Beispiel hierfür ist für si = (S2i , S3i , S4i ) und mi = (M1i , M2i ) gegeben durch si mi = (S2i M1i , S2i M2i , S3i M1i , S3i M2i , S4i M1i , S4i M2i ). Die dazugehörigen Komponenten lassen sich am leichtesten anhand der folgenden Summenschreibweise erkennen:
µ∗i
=
α1 +
J
αj Sji +
j=2
+
U
+
β1u Pui +
V
γ1v Mvi
v=1
βju Sji Pui +
j=2 u=1
+
(πj αj + (1 − πj )αk )Wjki
j=1 k=j
u=1 J U
J J
J V
γjv Sji Mvi
j=2 v=1
U J J
(πj βju + (1 − πj )βku )Wjki Pui
j=1 k=j u=1
+
V J J
(πj γjv + (1 − πj )γkv Wjki Mvi
(3.71)
j=1 k=j v=1
Als Regressionskoeffizienten für die einzelnen Komponenten von x∗i ergeben sich daher:
68
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
• αj , j = 2, . . . , J für si . • πj αj + (1 − πj )αk , j = 1, . . . , J, k = 2, . . . , Jundj = k für wi . • β1u , u = 1, . . . , U für pi . • γ1v , v = 1, . . . , V für mi . • βju , j = 2, . . . , J; u = 1, . . . , U für si pi . • γjv , j = 2, . . . , J; v = 1, . . . , V für si mi . • πj βju + (1 − πj )βku , j = 1, . . . , J, k = 2, . . . , Jundj = k, u = 1, . . . , U für wi pi . • πj γjv + (1 − πj )γkv , j = 1, . . . , J, k = 2, . . . , Jundj = k, v = 1, . . . V für w i mi . Verallgemeinert man dieses Modell dahingehend, dass die Anteile, mit denen der Einfluss der Koeffizienten gewichtet werden, sowohl nach Herkunftsposition und Zielposition gemeinsam variieren können, lässt sich allgemein der bedingte Erwartungswert der Zufallsvariablen yi einer zufällig ausgewählten Person i aus einer beliebigen Zelle der Mobilitätstabelle formulieren als:
µ∗i
=
α1 +
J
αj Sji +
j=2
+
U
β1u Pui +
J U
V
γ1v Mvi
v=1
βju Sji Pui +
j=2 u=1
+
(ωjk αj + (1 − ωjk )αk )Wjki
j=1 k=j
u=1
+
J J
J V
γjv Sji Mvi
j=2 v=1
U J J
(ωjk βju + (1 − ωjk )βku )Wjki Pui
j=1 k=j u=1
+
V J J
(ωjk γjv + (1 − ωjk )γkv Wjki Mvi
(3.72)
j=1 k=j v=1
mit ωjk =
φpj φpj + pk
(3.73)
3.1 Allgemeine Modellspezifikation für metrische abhängige Variable
69
Als Regressionskoeffizienten für die einzelnen Komponenten in x∗i ergeben sich dann: • αj , j = 2, . . . , J für si . • ωjk αj + (1 − ωjk )αk , j = 1, . . . , J, k = 1, . . . , J und j = k für wi . • β1u , u = 1, . . . , U für pi . • γ1v , v = 1, . . . , V für mi . • βju , j = 2, . . . , J; u = 1, . . . , U für si pi . • γjv , j = 2, . . . , J; v = 1, . . . , V für si mi . • ωjk βju + (1 − ωjk )βku , j = 1, . . . , J, k = 1, . . . , Jundj = k, u = 1, . . . , U für wi pi . • ωjk γjv + (1 − ωjk )γkv , j = 1, . . . , j = 1, . . . , J, k = 1, . . . , J und j = k, v = 1, . . . V für wi mi . Damit sind x∗i und γ ∗ , Π∗ für das allgemeine Modell in den Gleichungen (3.1) und (3.2) für eine abhängige Variable definiert. 3.1.5 Modellbildung für latente abhängige Variablen In den bisher behandelten Modellen wurde vorausgesetzt, dass die abhängige Variable yi einer direkten Beobachtung zugänglich ist. Im allgemeinen muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die abhängige Variable ein theoretisches Konstrukt ist, das erst durch beobachtbare Indikatoren gemessen werden kann. Ein Beispiel hierfür ist das theoretische Konstrukt Lebensstil. Um solche Konstrukte in der Modellierung zu berücksichtigen, werden die bisher betrachteten Modelle durch Einbeziehung eines faktorenanalytischen Messmodells für die latente abhängige Variable erweitert. Zunächst wird eine latente abhängige Variable ηi definiert, die an Stelle der beobachtbaren abhängigen Variablen yi tritt. Das Modell wird im allgemeinen Fall wie in Gleichung (3.71) im Erwartungswert parametrisiert. Um die Notation des Regressionsmodells der Gleichungen (3.1) und (3.2) verwenden zu können, wird folgende Notation eingeführt: ηi = τ + δx∗i + ζi mit E(ζi ) = 0 und V (ζi ) = ψ
(3.74)
70
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
Der Vektor der erklärenden Variablen x∗i ist wiederum aufgebaut aus den Subvektoren si , wi , mi , pi bzw. ihren Interaktionen. Der Skalar τ und der 1 × q Zeilenvektor δ sind die Regressionskonstante und der Vektor der Regressionskoeffizienten der reduzierten Form von η als abhängige Variable auf x∗i . Die nicht-lineare Abhängigkeit von τ und δ von den strukturellen Parametern des jeweiligen Mobilitätsmodells („diagonal mobility“ Modell, „diagonal mobility 1“ Modell, „diagonal mobility 2“ Modell oder das Weakliem-Modell) ist identisch wie die Abhängigkeit von γ ∗ und Π∗ von den strukturellen Parametern in dem oben dargestellten Modell für den Fall einer abhängigen Variablen. Wenn die latente Variable ηi nicht der direkten Beobachtung zugänglich ist, wird sie durch beobachtbare Indikatoren y i gemessen. Zu diesem Zweck wird ein Messmodell eingeführt, in dem die Faktorladungsmatrix Λ den Zusammenhang zwischen den beobachtbaren und der latenten Variablen herstellt. Die Modellgleichung des faktoranalytischen Messmodells ist dann: y i = ν + Ληi + i
mitV (i ) = diagΘ,
(3.75)
wobei y i der p × 1 Vektor der beobachteten Indikatoren und Λ die p × 1 Matrix der Faktorenladungen ist. Es ist zu beachten, dass Λ hier ein Vektor ist, da nur eine latente Variable betrachtet wird. ν ist der p × 1 Vektor der Regressionskonstanten und Θ die Varianz-Kovarianzmatrix der Messfehler i mit E(i ) = 0 und Cov(i , ηi ) = 0. Das Einsetzen der Gleichung (3.74) in Gleichung (3.75) führt nun wiederum auf die reduzierte Form des Regressionsmodells (3.1) und (3.2): yi
=
ν + Ληi + i
=
ν + Λ(τ + δx∗i + ζi ) + i
=
ν + Λτ + Λδx∗i + Λζi + i
(3.76)
Aus dieser Gleichung lässt sich erkennen, dass in ν und Λτ nicht alle Parameter identifiziert sind. Daher wird τ = 0 gesetzt, d.h. die latente Variable hat einen Erwartungswert von 0, wenn x∗i = 0 ist. Der konditionale Erwartungswert von y i gegeben x∗i ist dann gegeben durch: E(y i |xi ) = µ∗i = ν + Λδxi
(3.77)
Die konditionale Kovarianzmatrix des zusammengesetzten Fehlers ∗i = Λζi + i
(3.78)
3.2 Schätzung der Modellparameter
71
ist gegeben durch V (∗i ) = Σ∗ = ΛψΛ + Θ .
(3.79)
Insgesamt erhält man mit den Bezeichnungen γ ∗ = ν, Π∗ = Λδ und Σ∗ = ΛψΛ + Θ das Regressionsmodell y ∗i = γ ∗ + Π∗ x∗i + ∗i
(3.80)
mit E(∗i ) = 0 und V (∗i ) = Σ∗ . In diesem Modell sind wiederum die Parameter der reduzierten Form γ ∗ , Π∗ und Σ∗ nicht-lineare Funktionen der strukturellen Parameter des jeweiligen Mobilitätsmodells und des Messmodells. Zur Identifikation von ν ist zusätzlich zu beachten, dass α1 = 1 als Restriktion zu setzen ist. Ebenso muss λ1 auf 1 gesetzt werden, um die Skalierung von ηi auf das erste Item zu ermöglichen. Insgesamt werden damit alle theoretisch relevanten Modelle in das Regressionsmodell der Form y i = γ ∗ + Π∗ x∗i + ∗i eingebettet, wobei γ ∗ , Π∗ und V (∗ ) = Σ∗ nicht-lineare Funktionen der theoretisch relevanten Modellparameter ϑ sind, die selbst wiederum aus den Parametern ν, Λ, Θ für das Messmodell und den Parametern für das jeweilige Modell („diagonal mobility“ Modell, „diagonal mobility 1“ Modell, „diagonal mobility 2“ Modell oder das WeakliemModell) bestehen.
3.2 Schätzung der Modellparameter Zur Schätzung der strukturellen Paramerter aus den oben genannten Mobilitätsmodellen und der Parameter des Messmodells, die alle im Vektor ϑ zusammengefasst sind, wird ein dreistufiges Schätzverfahren verwendet. Dieses Verfahren wurde zunächst für unkonditionale Mittelwert- und Kovarianzstrukturmodelle von Browne (1974, 1984) eingeführt und für konditionale Mittelwertund Kovarianzstrukturmodelle von Muthen (1979, 1983, 1984) im Rahmen der Modellbildung für nicht-metrische beobachtete abhängige Variablen weiterentwickelt. Wir folgen hier der Darstellung von Küsters (1987) und Schepers (1991) für allgemeine hierarchische Mittelwert- und Kovarianzstrukturmodelle. Einen Überblick über das Schätzverfahren sowie die Implementation in ein Computerprogrammsystem geben Arminger, Wittenberg und Schepers (1996) in ihrer Einführung in das Programmsystem MECOSA 3. In der ersten Stufe des Schätzverfahrens werden die Parameter der reduzierten Form, also die Regressionskonstanten im Vektor γ ∗ , die in der Matrix Π∗
72
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
enthaltenen Regressionskoeffizienten und die Kovarianzmatrix Σ∗ der Residuen unter der sukzessiven Anwendung der Methode der kleinsten Quadrate (OLS) geschätzt. Die Schätzer der Parameter der reduzierten Form werden in einen r×1 ˆ = (γ1∗ , . . . , γp∗ , Π∗11 , . . . , Π∗1q , Π∗21 , . . . , Π∗2q , . . . , Π∗p1 , . . . , Π∗pq , Σ∗11 , Σ∗21 , Vektor κ ∗ ∗ Σ22 , Σ31 , Σ∗32 , . . . , Σ∗pp ) zusammengefasst. Es kann gezeigt werden (Küsters 1987), ˆ asymptotisch einer Nordass dieser unrestringiert geschätzte Parametervektor κ malverteilung mit dem Erwartungswert κ(ϑ) und der Kovarianzmatrix W n folgt, wobei ϑ die strukturellen Parameter sind, von denen die Parameter κ der reduzierten Form abhängen. Nach der Schätzung der Parameter wird in der zweiten Stufe die asymptotiˆ geschätzt. Der sche Kovarianzmatrix W n des geschätzten Parametervektors κ Schätzer der asymptotischen Kovarianzmatrix wird mit Wˆ n bezeichnet. Der Index n kennzeichnet die Abhängigkeit des Schätzers von der Fallzahl. Die asymptotische Kovarianzmatrix W n bzw. deren konsistente Schätzung Wˆ n ist erforderlich, um die zu minimierende Distanzfunktion zur Schätzung der Strukturparameter ϑ in der dritten Stufe der Schätzung zu bilden. Dabei wird die asymptotische Kovarianzmatrix der Schätzer der reduzierten Form zur Sicherung der Effizienz (vgl. Shapiro 1986) der Minimum-Distanz-Schätzung als Gewichtsmatrix benötigt. Eine Schätzfunktion von W n wurde für den unkonditionalen Fall von Browne (1984) und für den konditionalen Fall von Küsters (1987) hergeleitet. Dieser Schätzer Wˆ n ist ein konsistenter Schätzer für die wahre Koˆ der reduzierten Form. Details varianzmatrix W n der geschätzten Parameter κ zur Herleitung findet man in Küsters (1987) und Schepers (1991). In der dritten Stufe wird der Parametervektor ϑ, der die spezifische Struktur für die Regressionskoeffizienten γ ∗ und Π∗ sowie für die Kovarianzmatrix Σ∗ ˆ , Wˆ n geschätzt. Ein Beispiel für die nichtlineare erzeugt, aus den Schätzern κ Abhängigkeit der Parameter in κ von ϑ ist die Darstellung der Regressionskoeffizienten Π als multiplikative Funktion von den Diagonalgewichten πi und den Regressionskoeffizienten β in dem „diagonal mobility“ Modell mit Regressoren. Zusätzlich zu der Aufgabe, die Nichtlinearität von κ als Funktion von ϑ zu berücksichtigen, kommt das Problem, dass die Strukturparameter selbst bestimmten Restriktionen, z.B. 0 ≤ πi ≤ 1 erfüllen müssen. Zur Bewältigung dieser Aufgabe werden die Strukturparameter ϑ des Modells in den Gleichungen (3.1) und (3.2) als eine beliebige stetige differenzierbare ˜ von unrestringierten Fundamentalparametern ϑ ˜ formuliert. Funktion ϑ = ϑ(ϑ) Dadurch ist es möglich, ungewöhnliche Parameterrestriktionen zu formulieren. Einige wichtige Beispiele sind Gleichheitsrestriktionen zwischen zwei oder mehreren Parametern der Form ϑi = ϑ˜k , Restriktionen auf Konstanten der Form
73
3.2 Schätzung der Modellparameter
ϑi = c; Restriktionen der Form ϑi = ϑ˜j ϑ˜k sowie Grösser/Kleiner Restriktionen der Form ϑi ≥ c mit der Reparametrisierung ϑi = c + ϑ˜k . Für die Schätzung der Modellparameter aus den Gleichungen (3.1) und (3.2) sind vor allem folgende Reparametrisierungen von Interesse: Erstens ist im „diagonal mobility“ Modell die Restriktion zu berücksichtigen, dass die Gewichte π, die den Einfluss der Diagonalen der Mobilitätstabelle angeben, zwischen 0 und 1 liegen müssen. Das wird durch die Einführung des Fundamentalparameters π ˜ und Verwendung des Logit-Modells in der Form π=
exp(˜ π) 1 + exp(˜ π)
(3.81)
erzielt. Damit ist π die Funktion des unrestringierten Logits π ˜ und liegt im Intervall [0,1]. Zweitens ist im Weakliem-Modell die Restriktion zu berücksichtigen, dass die Anteilswerte ωjk im Intervall [0,1] liegen müssen. Da nur positive Zahlen für pj sinnvoll sind, muss die Restriktion pj > 0 eingehalten werden. Weiters wurde bereits darauf hingewiesen, dass Weakliem zusätzliche Identifikationsrestriktionen gefordert hat. Zur Erzeugung derartiger Restriktionen wird ein Vorschlag von Hendrickx, De Graaf, Lammers und Ultee (1993) aufgegriffen, der lautet, dass ΠJj=1 pj = 1 und φ im Intervall [0,1] liegen soll. Diese Restriktionen werden wiederum durch die Einführung von Fundamentalparametern φ˜ und p˜j erzeugt: φ=
pj =
˜ exp(φ) ˜ 1 + exp(φ)
exp(p˜j ) 1 + exp(p˜j ) pJ =
,
j = 1, . . . J − 1, 1
ΠJj=1 pj
(3.82)
(3.83)
(3.84)
Drittens handelt es sich um die Restriktion ϑi = c + ϑ˜2k , die benutzt wird, um Heywood-Gleichungen (vgl. Harman 1976) wie z.B. negative Varianzen in Faktorenanalysen auszuweichen. Zur Schätzung der strukturellen Parameter und der Parameter des Messmodells ϑ in der dritten Stufe der Schätzung wird die Minimum-Distanz-Schätzmethode verwendet. Die technischen Einzelheiten des Verfahrens sind allgemein in Arminger (1995, Kapitel 3.4) dargestellt.
74
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
Mit Hilfe der Minimum-Distanz-Schätzung wird der Parametervektor ϑ, der ˆ enthaltenen geschätzdie restringierten Strukturparameter enthält, aus den in κ ten Parametern der reduzierten Form geschätzt, in dem die Distanz zwischen ˆ und der durch ϑ indizierten parametrischen Struktur κ(ϑ) minimiert wird. κ Dabei ist zu beachten, dass in κ(ϑ) der Vektor der Strukturparameter selbst ˜ der unrestringierten Fundamentalparametern beals Funktion von ϑ = ϑ(ϑ) ˜ formuliert. Der Vektor trachtet wird. Deshalb wird κ als Funktion κ = κ(ϑ) ˜ wird durch Minimierung der Distanzfunktion der Fundamentalparameter ϑ −1
˜ ˜ = (ˆ ˜ W ˆ (ˆ Q(ϑ) κ − κ(ϑ)) n κ − κ(ϑ))
(3.85)
ˆ −1 die Inverse der geschätzten asymptotische Kovarianzberechnet, wobei W n ˆ ist. Nach Konvergenz des Minimierungsverfahrens erhält man den matrix von κ ˆ ˜ Minimum-Distanz-Schätzer ϑ. ˜ ist zentral χ2 verteilt mit p − q FreiheitsgraDie quadratische Funktion Q(ϑ) den, falls das Modell korrekt spezifiziert und der Stichprobenumfang hinreichend ˆ n und q die Anzahl der groß ist. Dabei bezeichnet p die Anzahl der Elemente in κ ˜ Daher kann Q als ein Anpassungsmaß für die Übereinstimmung Elemente in ϑ. zwischen der gewählten Parametrisierung und den Parametern der reduzierten Form betrachtet werden. ˆ ˜ ist wiederum asymptotisch normalverteilt Der Minimum-Distanz-Schätzer ϑ ˜ mit dem Erwartungswert ϑ und der d × d geschätzten asymptotischen Kovarianzmatrix ⎡
ˆ ˜ ˆ ˜ = ⎣ ∂κ (ϑ) V (ϑ) ˜ ∂ϑ
Wˆ n
−1
ˆ˜ ∂κ (ϑ) ˜ ∂ϑ
⎤−1 ⎦
(3.86)
ˆ ˜ an der Stelle ϑ = ϑ. ˆ˜ Die asymptotische Normalverteilung von ϑ bildet die Basis zur Berechnung der in der Mittelwert- und Kovarianzstrukturanalyse üblichen Teststatistiken wie Likelihood-Ratio-Test-Statistik, Wald- und Lagrange-Multiplikator-TestStatistiken, um spezifische Hypothesen über ϑ zu testen. Eine allgemeine und ausführliche Analyse dieser Teststatistiken findet man in Godfrey (1988). Die Minimum-Distanz-Schätzung ist äquivalent zu der ADF (AsymptoticallyDistribution-Free) - Schätzung (vgl. Browne 1984), falls alle endogenen Variablen metrisch und das Modell als unkonditionales Modell formuliert ist. In dem Fall entspricht die ADF-Schätzung einer Minimum-Distanz-Schätzung zwischen theoretischer und empirischer vektorisierter Kovarianzmatrix unter Verwendung
3.3 Modellspezifikation für nicht metrische abhängige Variable
75
ˆn der Mahalanobisdistanz. Setzt man für die positiv definite Gewichtsmatrix W die Einheitsmatrix I ein, erhält man konsistente, aber nicht asymptotisch effi˜ ziente Schätzer für ϑ. Die erforderlichen Berechnungen erfolgen mit dem Computerprogramm MECOSA 3 (Arminger, Wittenberg und Schepers 1996), in dem die MinimumDistanz-Schätzung als dritte Stufe implementiert ist. Zur Minimierung der quadratischen Funktion unter Restriktionen wird dabei das Davidson-FletcherPowell Verfahren verwendet. Dieses Verfahren ist ausführlich in Schepers (1991: Kapitel 3.2.1) beschrieben. Da jedoch die analytischen ersten Ableitungen eine äußerst komplexe Struktur aufweisen (siehe Küsters 1987) und zu ihrer Berechnung sehr großen Matrizen benötigt werden, die enorm viel Speicherkapazität benötigen und darüberhinaus für jedes zu schätzende Modell die ersten Ableitungen der Funktionen angegeben werden müssen, damit die Restringierungsund Parametrisierungsmöglichkeiten nicht eingeschränkt werden müssen (vgl. Schepers 1991), werden die ersten Ableitungen durch numerische Differentationen der zu minimierenden Funktion berechnet (vgl. hierzu ausführlich Arminger, Wittenberg und Schepers 1996).
3.3 Modellspezifikation für nicht metrische abhängige Variable Wie in Abschnitt 2.1 gezeigt wurde, lässt sich das verallgemeinerte „diagonal mobility“ Modell für metrische abhängige Variable als multivariates Regressionsmodell schreiben. Dieses Regressionsmodell selbst ist ein Spezialfall der verallgemeinerten Mittelwert- und Kovarianzstrukturmodelle, wie sie von Muthen (1984); Küsters (1987); Schepers (1991); Browne und Arminger (1995) entwickelt wurden. Aufgrund dieser Einbettung lassen sich an Stelle der metrischen abhängigen Variable auch dichotome und ordinale Variable als abhängige Variable in einem multivariaten Probit Modell verwenden. Damit ist die unmittelbare Erweiterung aller vorgeschlagenen „diagonal mobility“ Modelle auf dichotome und ordinale sowohl auf direkte abhängige Variable als auch als Indikatoren latenter abhängiger Variablen gesichert.
3.4 Illustration des dreistufigen Schätzverfahrens durch Simulation Zur Veranschaulichung der vorgeschlagenen Modelle und des dreistufigen Schätzverfahrens werden die Ergebnisse einfacher Simulationen vorgestellt. Im Folgen-
76
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
den wird anhand verschiedener Simulationen illustriert, dass die in der Simulation benutzten Modellparameter, mit denen ein bestimmter Datensatz generiert wurde, durch das gewählte Schätzverfahren repliziert werden. Die Simulationsstudien wurden ebenfalls unter Verwendung von GAUSS 3.35 und MECOSA 3 durchgeführt. 3.4.1 Weakliem-Modell In der ersten Simulationsstudie wird ein Weakliem-Modell für sechs Statusgruppen mit einer manifesten abhängigen Variablen ohne weitere erklärende Variablen verwendet. Die die einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle indizierenden Dummy-Variablen werden in dem Vektor x∗i zusammengefasst. Dieser besteht aus zwei Subvektoren si und wi . Für n = 1000 Personen werden die Regressorvariablen x∗i mit den Subvektoren si und wi erzeugt. si besteht aus den Komponenten (S2i , S3i , . . . , S6i ). Die in si enthaltenen Dummy-Variablen weisen jeweils einen Anteil von 7% Einsen auf. Damit wird eine stärkere Besetzung der Zellen in der Hauptdiagonalen simuliert. wi besteht aus den Komponenten (W12 , W13 , . . . , W16 , W21 , . . . , W26 , W31 , . . . , W64 , W65 ). Die verbleibenden Einsen verteilen sich gleichmäßig auf die im Vektor wi zusammengefassten DummyVariablen. Zur Erzeugung der abhängigen Variablen yi wird das Regressionsmodell y i = γ ∗ + Π∗ x∗i + ∗i
(3.87)
verwendet. Die Parameter γ ∗ , Π∗ und V (∗i ) = σ 2∗ der reduzierten Form werden entsprechend den Gleichungen des Weakliem-Modells erzeugt. • α1 ist der Koeffizient der Regressionskonstanten • αj , j = 2, . . . , 6 sind die Koeffizienten des Vektors si • ωjk αj + (1 − ωjk )αk , j = 1, . . . , 6, k = 1, . . . , 6 und j = k sind die Koeffiφpj ist zienten des Vektors wi , wobei ωjk = φpj +p k Die strukturellen Parameter sind daher α1 , α2 , . . . , α6 , φ, pj = 1, . . . , 6 mit den Restriktionen φ ∈ [0, 1]], pj > 0 und ΠJj=1 pj = 1 und ψ als Varianz des Fehlers. In Tabelle 3.1 sind in der ersten Spalte die Bezeichnungen der strukturellen Parameter, in der zweiten Spalte die vorgegebenen („wahren“) und in der dritten Spalte die Schätzwerte aufgeführt.
3.4 Illustration des dreistufigen Schätzverfahrens durch Simulation
77
TABELLE 3.1 Simuliertes Weakliem-Modell Parameter α1 α2 α3 α4 α5 α6 φ p1 p2 p3 p4 p5 p6 ψ
vorgegeben 1.500 2.000 3.000 2.500 1.500 1.200 0.500 1.000 2.000 1.500 0.500 1.333 1.000 3.000
geschätzt 1.500 2.000 3.000 2.500 1.500 1.200 0.500 1.000 2.000 1.500 0.500 1.333 1.000 3.000
Die Simulation zeigt, dass durch das Schätzverfahren die wahren Parameter exakt repliziert werden. 3.4.2 „Diagonal mobility 1“ Modell mit latenter Variable Als zweites Modell wird ein „diagonal mobility 1“ Modell mit latenter abhängiger Variablen η und sieben Indikatoren y1 , y2 , . . . , y7 für sechs Statusgruppen simuliert. Die Daten werden für ein „diagonal mobility 1“ Modell vom Umfang n = 2000 generiert. Die Dummy-Variablen, die anzeigen, dass der Status nicht gewechselt wurde, werden in den Vektor si zusammengefasst. si besteht aus den Komponenten (S2i , S3i , . . . , S6i ). Die einzelnen Komponenten von si weisen jeweils einen Anteil von 0.05 Einsen auf. Im Unterschied zur ersten Simulation wird damit eine schwächere Besetzung der Zellen in der Hauptdiagonalen simuliert. Die DummyVariablen, die den Statuswechsel anzeigen (W12 , W13 , . . . W16 , W21 , W23 , . . . W26 , W31 , . . . , W65 ) werden in den Vektor wi zusammengefasst. Die verbleibenden Einsen verteilen sich gleichmäßig auf die einzelnen Komponenten von wi . si und wi werden in den Vektor x∗i zusammengefasst. Die manifesten abhängigen
78
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
Variablen y1 , y2 , . . . , y7 werden in den Vektor y i zusammengefasst. Zur Erzeugung der abhängigen latenten Variable ηi wird das Modell ηi = τ + δxi + ζi
(3.88)
verwendet. Die Parameter τ und δ der reduzierten Form für die latente Variable ηi sind nicht-lineare Funktionen der Modellparameter und ihrer Restriktionen. τ wird zur Identifikation des Modells auf den Wert 0 restringiert. ζi ist die Residualvariable der latenten Variablen mit dem Erwartungswert 0 und der Varianz ψ. Die Parameter der reduzierten Form δ werden entsprechend den Gleichungen des „diagonal mobility 1“ Modells erzeugt: • αj , j = 2, . . . , 6 sind die Koeffizienten des Vektors si • πj αj +(1−πj )αk , j = 1, . . . , 6, k = 1, . . . , 6 undj = k sind die Koeffizienten des Vektors wi Die Variable η wird durch ein faktorenanalytisches Messmodell mit den in dem Vektor y i enthaltenen manifesten Variablen y i = ν + Ληi + i
(3.89)
verbunden, wobei ν der Vektor der Regressionskonstanten für y ist, Λ ist die p×1 Matrix der Faktorenladungen und ist der Messfehler mit dem Erwartungswert 0 und Kovarianzmatrix Θ ( ∼ N (0, Θ)). Zur Identifikation des Vektors der Regressionskonstanten ν wird α1 = 1 als Restriktion gesetzt. Durch Einsetzen von ηi aus Gleichung (3.87) erhält man: y i = ν + Λτ + Λδx∗i + Λζi + i
(3.90)
Wie in Abschnitt 2.1.5 dargestellt, wird aus Identifikationsgründen τ = 0 gesetzt. Die im Vektor der Regressionskonstanten ν und in der Matrix der Faktorladungen Λ enthaltenen Parameter des Messmodells, die im Vektor δ enthaltenen Strukturparameter sowie die in der Kovarianzmatrix der Residuen Θ zusammengefassten Parameter und die Varianz des Fehlers ψ sind in Tabelle 3.2 aufgeführt. Die erste Spalte enthält die Bezeichnungen der strukturellen Parameter. In der zweiten Spalte sind die Werte, die für die Simulation verwendet wurden, aufgeführt. In der dritten Spalte sind die Schätzwerte aufgeführt. Zur Identifikation von ν wird die Restriktion α1 = 1 gesetzt. Ferner wird λ1 = 1 gesetzt,
3.4 Illustration des dreistufigen Schätzverfahrens durch Simulation
TABELLE 3.2 Simuliertes „diagonal mobility 1“ Modell mit latenter abhängiger Variable Parameter α1 α2 α3 α4 α5 α6 π1 π2 π3 π4 π5 π6 ν1 ν2 ν3 ν4 ν5 ν6 ν7 λ1 λ2 λ3 λ4 λ5 λ6 λ7 ψ θ11 θ22 θ33 θ44 θ55 θ66 θ77
vorgegeben 1.000 2.000 3.000 2.500 1.700 3.500 0.200 0.300 0.500 0.300 0.500 0.700 2.000 3.500 3.500 2.000 2.500 3.500 3.500 1.000 0.500 0.500 0.500 0.600 0.400 0.500 2.000 0.000 3.000 4.000 3.000 3.000 3.000 4.000
geschätzt — 2.369 2.924 2.538 1.789 3.539 0.210 0.325 0.563 0.291 0.543 0.786 2.324 3.479 3.554 2.118 2.597 3.505 3.466 — 0.560 0.507 0.540 0.577 0.450 0.561 2.342 0.000 2.908 4.462 3.311 3.421 2.701 4.057
79
80
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
um die Skalierung von ηi auf den ersten Indikator zu ermöglichen. Aus diesem Grund entfallen die Schätzwerte für α1 und λ1 . Die Simulation zeigt, dass durch das Schätzverfahren die wahren Parameter ziemlich genau repliziert werden können. 3.4.3 „Diagonal mobility 2“ Modell mit latenter Variable und Interaktionseffekten Als drittes Modell wird ein „diagonal mobility 2“ Modell mit latenter abhängiger Variablen und explanatorischen Variablen sowie Interaktionseffekten zwischen der explanatorischen Variablen und den Modellvariablen simuliert. Es werden drei Statusgruppen mit einer zusätzlichen erklärenden Variablen pi und drei abhängigen Variablen y1 , y2 , y3 verwendet. Die Daten dieser Simulation werden für ein „diagonal mobility 2“ Modell vom Umfang n = 1000 generiert. Die Dummy-Variablen, die anzeigen, dass der Status nicht gewechselt wurde, werden in dem Vektor si zusammengefasst. si besteht aus den Komponenten S1i , S2i und S3i . Die Dummy-Variablen enthalten jeweils einen Anteil von 0.15 Einsen. Die Dummy-Variablen, die den Statuswechsel anzeigen, werden in dem Vektor wi zusammengefasst. wi besteht aus den Komponenten W12i , W13i , W21i , . . . , W32i . Die Dummy-Variablen enthalten jeweils einen Anteil von 0.09 Einsen. Die metrische erklärende Variable pi hat die Ausprägungen 1, 2, 3, 4, 5, die gleich verteilt über die 1000 Fälle sind. Die Interaktionen der einzelnen Komponenten von si und wi mit pi werden in dem Vektor v i zusammengefasst. si , wi , pi und v i werden in den Vektor x∗i zusammengefasst. Die abhängigen Variablen y1 , y2 , y3 bilden einen Vektor y i . Die Daten dieser Simulation werden unter Verwendung eines „diagonal mobility 2“ Modells für eine latente Variable ηi erzeugt: ηi = τ + δx∗i + ζi
(3.91)
Die Parameter τ und δ der reduzierten Form für die latente Variable ηi sind nicht-lineare Funktionen der Modellparameter und ihrer Restriktionen: τ wird aus Identifikationsgründen auf 0 gesetzt. Der Vektor δ ist eine Funktion der Parameter des „diagonal mobility 2“ Modells und der Regressionskoeffizienten. Für die einzelnen Komponenten von x∗i lauten die Koeffizienten: • αj , j = 2, 3 für si • πj αj + (1 − πj )αk , j = 2, 3; k = 1, 2, 3 und j = k für wi
3.5 Anwendungsbereiche des Modells
81
• β1 für pi • πj βj + (1 − πj )βk , j = 2, 3; k = 1, 2, 3 und j = k für v i ζi ist die Residualvariable der latenten endogenen Variable mit dem Erwartungswert 0 und der Varianz ψ. Die Variable ηi wird genau wie in der zweiten Simulation durch ein faktorenanalytisches Messmodell mit den in dem Vektor y i enthaltenen manifesten Variablen y i = ν + Ληi + i
(3.92)
verbunden, wobei ν der Vektor der Regressionskonstanten für y ist, Λ ist die p × 1 Matrix der Faktorenladungen und ist der Messfehler mit dem Erwartungswert 0 und Kovarianzmatrix Θ ( ∼ N (0, Θ)). Zur Identifikation des Vektors der Regressionskonstanten ν wird α1 = 1 als Restriktion gesetzt. Das Einsetzen der Gleichung (3.90) in Gleichung (3.91) führt wiederum auf die reduzierte Form des Regressionsmodells y i = γ ∗ + Π∗ x∗i + ∗i ,
(3.93)
wobei γ ∗ = ν, Π∗ = Λδ und Σ∗ = ΛψΛ + Θ ist. Die Parameter in ν, Λ, δ, Θ sowie ψ, die für die Simulation verwendet werden, werden in der zweiten Spalte der Tabelle 3.3 aufgeführt. In der dritten Spalte werden die Schätzwerte aufgelistet. Wie in Kapitel 2.1.5 dargestellt, wird zur Identifikation von ν die Restriktion α1 = 1 gesetzt. Ferner wird λ1 = 1 gesetzt, um die Skalierung von ηi auf den ersten Indikator zu ermöglichen. Daher entfallen die Schätzwerte für α1 und λ1 . In Tabelle 3.3 sind in der ersten Spalte die Bezeichnungen der strukturellen Parameter, in der zweiten Spalte die Werte, die für die Simulation verwendet wurden und in der dritten Spalte die Schätzwerte aufgeführt. Bei einem Vergleich der geschätzten Werte mit der Parameterspezifikation der simulierten Daten ist festzustellen, dass die Werte sehr ähnlich sind.
3.5 Anwendungsbereiche des Modells Ausgehend von dem „diagonal mobility“ Modell von Sobel (1981, 1985) wurde in diesem Kapitel ein allgemeines Modell entwickelt und eine Möglichkeit zur Lösung der schätztechnischen Probleme aufgezeigt. Ein Anwendungsbereich ist die
82
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
TABELLE 3.3 Simuliertes „diagonal mobility 2“ Modell mit latenter Variable und Interaktionseffekten Parameter α1 α2 α3 β1 β2 β3 π1 π2 π3 ν1 ν2 ν3 λ1 λ2 λ3 ψ θ11 θ22 θ33
vorgegeben 1.000 2.000 3.000 0.300 0.200 0.500 0.500 0.700 0.300 3.000 4.000 4.500 1.000 0.700 0.400 1.000 2.000 3.000 4.000
geschätzt — 2.108 3.019 0.301 0.203 0.501 0.492 0.671 0.298 2.892 3.866 4.419 — 0.650 0.387 0.900 2.033 3.146 3.796
3.5 Anwendungsbereiche des Modells
83
Analyse von Effekten intra- und intergenerationeller Mobilität auf Einstellungen und Verhaltensweisen. Die Spezifikation der Effekte unter Verwendung des Modells ermöglicht im Unterschied zu Sobel die Einbeziehung von theoretischen Konstrukten, die erst durch Indikatoren unter Verwendung eines faktorenanytischen Messmodells messbar gemacht werden, als abhängige Variablen in die Modellierung. Darüber hinaus erlaubt das allgemeine Modell die Integration des Weakliem-Modells, so dass die Effekte auf- und absteigender Mobilität in einer gegebenen sozialen Klasse sinnvoller modelliert werden können als unter Verwendung des „diagonal mobility“ Modells. Ferner berücksichtigt das Modell die unterschiedlichen Ausbildungen von Klassenidentitäten, die Mitglieder der jeweiligen sozialen Klassen insgesamt bezüglich Einstellungen und Verhaltensweisen unterschiedlich stark prägen können. Auch die Unterscheidung von Klassen entlang ihrer Fähigkeit, neue Mitglieder zu sozialisieren und permanente Loyalitäten ihrer ehemaligen Angehörigen zu prägen, lässt sich im Rahmen des Modells in der Spezifikation der Effekte berücksichtigen. Das allgemeine Modell ermöglicht nicht nur die voneinander abhängigen Einflüsse sozialer Herkunft und gegenwärtiger Position zu ermitteln, sondern darüber hinaus auch die soziale Herkunft der Eltern zu berücksichtigen und somit die Einflüsse der dritten Generation auf die Effekte der sozialen Herkunft des Befragten zu modellieren. So kann die Prägung von Verhalten und Einstellungen in größeren Zeithorizonten analysiert werden, so zum Beispiel Unterschiede in Lebensstilen von Personen aus Aufsteigerfamilien gegenüber Absteigerfamilien. Voraussetzung dafür ist eine Datengrundlage, die Aufschlüsse über die Herkunftsfamilien der Eltern des Befragten liefert. Viertens erlaubt das allgemeine Modell die Einbeziehung der Einflüsse der Karrieremobilität sowie Interaktionseffekte der Karrieremobilität mit den Modellvariablen. Hierfür sind Daten zum Lebensverlauf des Befragten notwendig. Fünftens ermöglicht das Modell, die Zeit, die Personen in sozialen Positionen verbracht haben, in der Modellierung zu berücksichtigen. Die Länge an Zeit, die sich eine Person bereits in der gegenwärtigen Statusgruppe befindet, könnte für die Veränderung des in der Primärsozialisation entwickelten Habitus bzw. die Generierung von Einstellungs- und Verhaltensmuster eine wichtige Rolle spielen. Es ist denkbar, dass der Einfluss der sozialen Herkunft umso schwächer wird, je länger eine Person bereits der Statusgruppe, in die sie gewechselt ist, angehört. Dieser Prozess kann unter der Voraussetzung, dass Längsschnittdaten vorliegen, abgebildet werden. Der Anteilswert, mit dem der Erwartungswert der abhängigen Variablen durch die soziale Herkunft gewichtet wird bzw. der Anteilswert, mit dem er durch die
84
3. Verallgemeinerung, Spezifikation und Schätzung
berufliche Position gewichtet wird, ist abhängig von der Zeit, die ein Individuum bereits die jetzige Position im Raum sozialer Positionen einnimmt. Dies kann als Logit modelliert werden πi = π(ti ) =
exp(γti ) 1 + exp(γti )
,
(3.94)
wobei ti die Zeit ist, die ein Individuum im Zielzustand verbracht hat und γ der Koeffizient der Zeit ist. Ist γ > 0, dann nimmt das Gewicht im Laufe der Zeit zu. Die Anwendung des allgemeinen Modells ist jedoch nicht nur für die Erforschung von Mobilitätseffekten geeignet, sondern eignet sich immer dann, wenn das substanzwissenschaftliche Interesse darauf gerichtet ist, Einflüsse zweier oder mehrerer Parteien, die gemeinsam ein Ergebnis erzielen müssen, zu ermitteln. Die Besonderheit des Modells liegt darin, die soziale Situation, in der die Entscheidung getroffen wird, durch die Modellierung von Entscheidungsoder Verhandlungsprozessen zwischen zwei oder mehreren Parteien zu berücksichtigen. Beispiele hierfür sind Tarifverhandlungen, Koalitionsverhandlungen und Entscheidungen, die im Bundestag getroffen werden. Die Positionen der beiden oder mehreren Partner gehen mit unterschiedlichen Gewichten in die Verhandlung ein, die Positionen nähern sich im Prozess an, wobei in der Regel sich die schwächere Position eher der stärkeren annähert als umgekehrt. Weitere Anwendungsgebiete sind die Sozialisierung eines Kindes sowie allgemeine Entscheidungen, die in einer Familie getroffen werden (siehe hierzu die Analyse von Sørensen 1989), so zum Beispiel der Entscheidungsprozess, der in der Veranschlagung eines Kaufpreises für ein neues Auto mündet. Die Preisvorstellungen zwischen Mann und Frau unterscheiden sich zunächst. Die wechselseitigen Vorstellungen nähern sich im Verlauf des Verhandlungsprozesses an. Der realisierte Kaufpreis ist das Ergebnis der gewichteten Vorstellungen von Mann und Frau.
4 Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung Zur Illustration des im dritten Kapitel entwickelten allgemeinen Modells wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit das Modell zur Analyse von Effekten intergenerationeller Mobilität auf alltagsästhetische Präferenzen in der Lebensstilforschung eingesetzt. Eine sinnvolle Analyse setzt voraus, dass zunächst das geeignete Modell vertikaler Gliederung der Gesellschaft gefunden wird, die als Strukturebene dient, um den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft, sozialer Mobilität und aktuell eingenommener sozialer Position auf der einen sowie Lebensstilen auf der anderen Seite zu analysieren. Die Kategorisierung der beruflichen Positionen bzw. die Wahl des geeigneten Klassen- oder Schichtkonzepts, das zur Modellierung der Effekte zugrundegelegt wird, bestimmt einerseits, welche und wie viele Bewegungen als Mobilität gelten, andererseits die Erklärungskraft für Lebensstile. Aus diesem Grund wird zunächst der Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung vorgestellt und daraufhin untersucht, ob – und wenn ja, welche – Klassen- oder Schichtkonzepte mit Lebensstilen zusammenhängen bzw. welche Merkmale vertikaler sozialer Ungleichheit einen Einfluss auf Lebensstile ausüben. Damit soll ein möglicher Anhaltspunkt für die Kategorisierung von Statusgruppen gefunden werden, die einem Modell zur Analyse von Mobilitätseffekten als Basis zu Grunde gelegt wird. Die Lebensstilforschung entwickelte sich in Anschluss an die deutsche Übersetzung von Bourdieus „La distinction“ (1982) und die im Gegenzug von Beck vertretene Individualisierungsthese (1983) zu einem regelrechten Modethema in der deutschen Soziologie, das bis weit in die 1990er Jahre hineinreichte. Der Vorschlag einer Rekonzeptualisierung der traditionellen Klassen- und Schichtanalyse durch Lebensstilmodelle zählte zu einem der Hauptthemen in der deutschen Soziologie. Im Zuge der Auseinandersetzungen über die Rolle des Lebensstils innerhalb der Sozialstruktur einer fortgeschrittenen Gesellschaft sind eine Vielzahl empirischer Studien entstanden. Diese lassen sich unterteilen in Studien, die zum einen an Fragen der klassischen Sozialstruktur orientiert sind und analysieren, inwieweit Lebensstile Ausdruck fortbestehender Klassenstrukturen
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
sind und ob Klassen- oder Schichtunterschiede über verschiedene Lebensstilgestaltungen zum Ausdruck kommen. Denen stehen andere Studien gegenüber, die die prädiktive Leistung von Lebensstiltypologien für Einstellungen und Verhalten thematisieren und die Erklärungskraft einer Lebensstiltypologie testen. Im Zentrum steht hier die Frage, ob die Bildung eigenständiger soziokultureller Klassen Verhaltensweisen, Einstellungen und Wertorientierungen gegenüber herkömmlichen Klassen- und Schichtmodellen besser erklären können. Im Folgenden werden ausgewählte empirische Lebensstilstudien in ihrer methodischen Vorgehensweise und mit ihren wesentlichen Erkenntnissen dargestellt. Es werden zum einen die Forschungen ausgewählt, die die Lebensstildiskussion nachhaltig geprägt haben, zum anderen insbesondere neuere Lebensstiluntersuchungen. Mit der Darstellung der Ergebnisse sollen Erkenntnisse über das Verhältnis von Sozialstruktur und Lebensstil gewonnen werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob Lebensstile weiterhin Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen sind und damit Klassen- oder Schichtunterschiede über verschiedene Lebensstilgestaltungen zum Ausdruck kommen oder ob Lebensstile als eigene Kategorie sozialer Ungleichheit herkömmliche Klassen und Schichten abgelöst haben. Die Ergebnisse der Lebensstiluntersuchungen sollen auch Auskunft darüber erteilen, ob und wie stark Lebensstile mit vertikalen sozialstrukturellen Merkmalen wie Beruf, Einkommen und Bildung zusammenhängen bzw. welche demographischen und sozioökonomischen Merkmale die Zugehörigkeit zu einem Lebensstiltypus erklären. Damit könnten mögliche Anhaltspunkte gewonnen werden, um einen strukturellen Bezugsrahmen zur Analyse der Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft, gegenwärtiger sozialer Position und Lebensstile zu spezifizieren. Die Ergebnisse der bisherigen Lebensstilforschung sollen darüber hinaus noch weitere Erkenntnisse liefern: Dies sind erstens Erkenntnisse über die Stärke der Zusammenhänge von Lebensstilen und horizontalen Merkmalen der sozialen Ungleichheit. Damit sollen Hinweise gefunden werden, um welche Variablen das hier entwickelte Modell zur Erklärung von Lebensstilen ergänzt werden könnte. Zweitens sollen die Ergebnisse Auskunft darüber erteilen, ob Lebensstile einen eigenständigen Erklärungsfaktor zur Ermittlung von Unterschieden bezüglich der Lebensqualität, sozialer Verhaltensweisen und Einstellungen aufweisen. Damit soll der Frage nachgegangen werden, ob Lebensstile einen eigenständigen Beitrag zur Erklärung sozialer Differenzierung liefern und ob dieser höher ist als bei herkömmlichen Klassen- und Schichtmodellen. Lebensstile stellen nur dann, wenn sie sich als Explanans bewähren können, wenn sie also in der Lage sind, einen eigenständigen Beitrag zur Erklärung sozialer Differenzierung beizusteu-
4.1 Strukturierung versus Differenzierung
87
ern, eine sinnvolle Erweiterung der traditionellen Sozialstrukturanalyse dar (vgl. Müller 1992). Drittens sollen die Ergebnisse der bisherigen Lebensstiluntersuchungen Aufschluss darüber geben, ob sich in den empirischen Untersuchungen anhand der Lebensstilausprägungen von Personen ähnliche Dimensionen von Lebensstilen herauskristallisieren, die als alltagsästhetische Muster, Verhaltensmuster, Geschmackspräferenzmuster oder allgemein als lebensstilgenerierende Muster identifiziert werden können.
4.1 Strukturierung versus Differenzierung Der Begriff Lebensstil erfuhr in den 1980er Jahren eine Renaissance, nachdem herkömmliche Klassen- und Schichtkonzepte1 zunehmend kritisiert wurden. Die Hauptgründe für die Infragestellung traditioneller Konzepte wurden den in den 1960er Jahren verstärkt einsetzenden sozialen Wandlungsprozessen zugeschrieben, die dazu geführt hätten, dass der Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Situation, Beruf und Schichtzugehörigkeit auf der einen und lebensweltlicher Erfahrungen und kultureller Orientierungen auf der anderen Seite aufgebrochen seien (Mooser 1983: 306; Kreckel 1990: 51; H.P. Müller 1992: 37; Schulze 1992: 184ff). Mit dem Wandel der Erscheinungsformen und Ursachen sozialer Ungleichheit hätten die traditionellen Schicht- und Klassenkonzepte an Bedeutung verloren, da sie an dem Versuch, die Folgen des strukturellen Wandels noch angemessen beschreiben zu können, scheitern würden. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Diskussion um die Auflösung der vertikal strukturierten Gesellschaftsordnug ausschliesslich in Deutschland geführt wurde.2 Darauf macht vor allem Geißler an verschiedenen Stellen aufmerksam, der 1 In
den weiteren Ausführungen wird nicht zwischen Klasse und Schicht unterschieden. Der Grund dafür liegt darin, dass die ehemaligen Kontrahenten in dem in den 1960er und 1970er Jahren währende Streit zwischen den marxisitischen Klassentheoretikern und funktionalistischen Schichttheoretikern innerhalb der Debatte um Entstrukturierung eine Position vertreten. Es besteht zunächst nur der Anspruch, eine Klassifikation sozialer Ungleichheit vorzulegen, um die Unterschiede der sozialen Lagen zu analysieren. Es ist nicht das Ziel, die Art und das Ausmaß sozialer Ungleichheit und deren Reproduktion auch zu erklären. Der Begriff Klasse wird hier neutral verwendet. Dies geschieht in Anlehnung an die angelsächsische Literatur, in denen der Begriff sehr viel weniger vorbelastet ist. Wenn dort von „class“ oder „class structure“ die Rede ist, wird in der Regel ohne politischen Hintergedanken schlicht auf ökonomische Ungleichheiten in der Gesellschaft Bezug genommen (vgl. Kreckel 1998: 46). 2 So ergab z.B. eine in Wisconsin durchgeführte Mobilitätsstudie über drei Generationen (Warren und Hauser 1997) keine Anzeichen für die Unzweckmäßigkeit des zugrundegelegten Schichtmodells.
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
„die weitgehende Abwendung der Sozialstrukturanalyse von den Fragestellungen der Ungleichheitsforschung“, als eine “westdeutsche Besonderheit“ (1994: 7) oder – noch kritischer formuliert – als einen „westdeutschen Sonderweg“ (1996: 324) bezeichnet (siehe hierzu auch Geißler 2000: 134ff). Defizite der Klassen- und Schichtmodelle wurden insbesondere von Beck (1983, 1986) und Hradil (1987) herausgestellt. Bemängelt wurde die den klassischen Klassen- und Schichtkonzepten implizierte Unterstellung, dass Menschen gleicher Klassen- oder Schichtzugehörigkeit auch gleiche bzw. ähnliche Denk- und Verhaltensmuster aufweisen. Gesellschaftliche Entwicklungen wie gewachsener Wohlstand, bessere soziale Absicherung, Bildungsexpansion, Zunahme an Freizeit, veränderte Lebensläufe sowie höhere inter- und intragenerationelle Mobilität, abgeschwächte Alltagsnormen und die steigende Optionsvielfalt des Denkens und Handelns haben auf soziokultureller Ebene eine „Pluralisierung der Lebensstile“ (Beck 1983, 1986) zur Folge, die nicht mehr unmittelbar mit sozioökonomischen Merkmalen zusammenhängen. Beck (1986: 124ff) macht die gleichzeitige Verbesserung der Lebensbedingungen aller Klassen und Schichten („Fahrstuhleffekt“) für die geringere Strukturierungskraft der Klassen- und Schichtkonzepte verantwortlich. Der „Fahrstuhleffekt“ unterstützt bei weitgehend stabil gebliebenen Ungleichheitsrelationen in Verbindung mit mehr Freizeit den Gestaltungsspielraum der Menschen auf einem höheren Niveau. Das materielle Wohlergehen wird von den Menschen als ein individueller Aufstieg erlebt, so dass auch das Bewusstsein individualisiert wird. Diese Niveauverschiebungen haben „Prozesse der Diversifizierung und Individualisierung ausgelöst“, die auf der Ebene der Mentalitäten zur Enttraditionalisierung von Klassenidentitäten geführt hat und die damit den Realitätsgehalt der vertikal hierarchischen Konzepte in Frage stellen (vgl. Beck 1983). Weitreichende Entkoppelungsprozesse subjektiver Lebensweisen von objektiven Lebensbedingungen hätten Entstrukturierungsprozesse in Gang gesetzt, die zu einer Auflösung traditioneller klassen- und schichttypischer Mentalitäten, Einstellungen und Verhaltensweisen und damit zu einer Auflösung von Klassenidentitäten im Bewusstsein der Menschen und letztlich zur Auflösung von Klassen und Schichten führen (Beck 1983, 1986; Hradil 1987). Deshalb sei die Strukturierung der Gesellschaft in Bezug auf Wahrnehmung, Deutung, Identität, Bewusstsein und Lebensführung nicht mehr durch klassische Modelle vertikaler sozialer Ungleichheit erklärbar. Soziale Ungleichheit schien nicht mehr aus der ungleichen Verteilung der aus der Sphäre der Erwerbstätigkeit abgeleiteten individuellen Ressourcen bestimmbar zu sein. Hradil (1992) vermutet, dass die Sozialstruktur stets komplexer war,
4.1 Strukturierung versus Differenzierung
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als sie in den klassischen Modellen sozialer Ungleichheit verstanden wurde und dass die soziale Differenzierung seit den 1970er Jahren dermaßen zunahm, womit diese Konzepte unzweckmäßig wurden. Bertram und Dannenbeck (1990) zeigen, dass bereits in den 1970er Jahren eine überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung im Sinne der klassischen Schichtdimensionen nur als statusinkonsistente Fälle klassifiziert werden konnten und schließen daraus, dass die soziale Ungleichheit immer schon komplexer strukturiert war als die Schichtungsmodelle der 1960er Jahre postuliert haben. Eine Reihe von Autoren sehen ein Auseinanderdriften zwischen der objektiven Schichtung und der soziokulturellen Bedeutung dieser Schichtung, ohne objektive Ungleichheitsrelationen infrage zu stellen: So geht Berger (1986: 252) von einem Fortbestehen objektiver Ungleichheitsrelationen bei gleichzeitig nachlassender sozio-kultureller Bedeutung dieser Relation aus. Geißler (1990: 94f) stellt eine schwächer gewordene Beziehung zwischen Ökonomie, Politik und Kultur und dem sozialen Bereich fest, die zu einem Verlust an Bedeutung der sozialen Schichtung an der lebensweltlichen Oberfläche der Gesellschaft bezüglich Bewusstseins- und Verhaltensunterschiede führt. Geißler (1996: 333) sieht durch einen Anstieg an Wohlstand einen Verlust an distinktiven Wert von Statussymbolen und damit zusammenhängenden Verhaltensweisen. Folglich sind nach Geißler Statusunterschiede schwerer wahrnehmbar, er betont aber, dass diese nur an der „lebensweltlichen Oberfläche“ verblassen, jedoch in der „Tiefenstruktur“ der Gesellschaft weiter leben. Kreckel (1990, 1992, 1998) geht von der Prämisse aus, dass vertikale Strukturen nicht ohne weiteres als das dominante Strukturmerkmal moderner Gesellschaften angesehen werden können und grenzt sich gegen die Vorstellung sozialer Klassen als vertikal verortbaren sozialen Großgruppen mit eigener Subkultur ab. Die Gesellschaft sei zwar weiterhin durch ein Klassenverhältnis strukturiert, jedoch verschwinde die lebensweltliche Bedeutung sozialer Klassen. Kreckel (1998) schlägt vor, am Klassenbegriff festzuhalten, die Klassentheorie aber derart umzubauen, dass sich der Klassenbegriff lediglich auf die strukturtheoretische Ebene bezieht.3 Von einer Zuweisung des Begriffes der sozialen Klasse zu sozialen Großgruppen oder sozialen Milieus auf Grund lebensweltlicher Ähnlichkeiten sollte sich die Klassentheorie jedoch lösen. Die lebensweltliche Handlungswirklichkeit sei vielmehr geprägt von einem komplexen Mischungsverhältnis klassenspezifischer, milieuspezifischer und atomisierter Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit. 3 Der
Begriff sollte nach Kreckel darüber hinaus auf nicht-vertikale Ungleichheiten ausgeweitet werden, damit auch diese Merkmale in die Strukturtheorie sozialer Ungleichheit Eingang finden.
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
Die radikale Kritik der Vertreter des sogenannten „Differenzierungsparadigmas“ (Berger 1987) hat zu einer Umorientierung der deutschen Sozialstrukturanalyse geführt. Verschiedene Autoren der Differenzierungsthese vertreten die Position, dass die Multidimensionalität sozialer Ungleichheit nur noch mit Konzepten zu bewältigen sind, die auf die Idee einer Strukturierung durch vertikale Merkmale sozialer Ungleichheit verzichten. Damit wurde der Blick auf neue oder bisher weniger beachtete Aspekte und Dimensionen sozialer Ungleichheit (Hradil 1987) gelenkt. Auf der Grundlage weitreichender Entkoppelungsbefunde4 konstatieren die Autoren, dass das primär vertikal strukturierte Gefüge sozialer Ungleichheit durch horizontal ausgeprägte Differenzierungen abgelöst wurde und fordern die Einbeziehung horizontaler sozialer Ungleichheit in die Strukturtheorie und die Analyse sozialer Ungeichheit (Berger 1986; Berger und Hradil 1990; Hradil 1987; Kreckel 1987, 1992, 1998; H.P. Müller 1992). Eine Begrenzung der Ungleichheitsanalyse auf die „meritokratische Triade“ (Kreckel 1998) von Bildung, Haushaltseinkommen und beruflicher Stellung bezöge nur solche Ungleichheiten mit ein, die dem Leistungsprinzip entsprächen, sie würden somit außerhalb der Erwerbstätigkeit angesiedelte Dimensionen sozialer Ungleichheit wie die askriptiven Merkmale Geschlecht oder ethnische Zugehörigkeit ausklammern (Kreckel 1987: 85; 1992: 212ff). So wurden in den 1980er Jahren verstärkt horizontale Dimensionen wie regionale Disparitäten (Bertram 1991: 652; Bertram und Dannenberg 1990: 223ff), insbesondere die Unterteilung in neue und alte Bundesländer (Geißler 1992: 165ff) nach dem Beitritt der neuen Länder zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Geschlecht, Alter bzw. Kohortenzugehörigkeit in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt. Dagegen gehen Vertreter des klassischen Strukturansatzes5 nach wie vor von der Dominanz vertikaler Strukturierungsprinzipien aus. Sie vertreten die Auffassung, dass durch klassische Modelle nach wie vor sehr viel Ungleichheit abgebildet würde und ein Verzicht dieser Modelle einen wesentlichen Teil vertikaler Ungleichheit aus dem soziologischen Diskurs ausschließen würde. In der Konzeption der traditionellen Sozialstrukturanalyse sind die sozioökonomischen Lagebedingungen Beruf, Bildung und Einkommen weiterhin ursächlich für die Ausbildung spezifischer subjektiver Handlungsorientierungen oder Einstellun4 Siehe
hierzu insbesondere den Sonderband der Sozialen Welt 1983 „Soziale Ungleichheiten“ von Kreckel (1983) sowie den 1990 erschienen Sonderband der Sozialen Welt “Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile“ von Berger und Hradil (1990). 5 Als Vertreter dieses Ansatzes sind insbesondere Giddens (1979); Wright (1982, 1985); Haller (1986); Strasser (1987); Erbslöh u.a. (1988); Holtmann (1990); Mayer und Blosfeld (1990); Noll und Habich (1990); Geißler (1990, 1992, 1994, 1996, 2000); W. Müller (1997); Dangschat (1998); Klocke (1998) und Vester (1998) zu nennen.
4.1 Strukturierung versus Differenzierung
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gen, Alltagshandlungen, Bewusstseinsformen und Verhaltensweisen der Menschen verantwortlich. Die sozialstrukturellen Wandlungserscheinungen und die dadurch wachsende Bedeutung horizontaler Ungleichheiten werden zwar nicht bestritten, jedoch wird weiterhin an der vorrangigen Bedeutung des vertikalen Paradigmas festgehalten. Ein Vertreter dieses Ansatzes ist Geißler (1996, 1990), der die Ungleichheitsstruktur einer komplexen Gesellschaft mehrdimensional betrachtet. Er geht davon aus, dass vertikale Strukturen neben horizonalen Ungleichheiten nur eine Dimension bilden, die die Alltagshandlungen, Verhaltensweisen und Bewusstseinsformen wesentlich bestimmen, jedoch in diesem mehrdimensionalen Ungleichheitsgefüge die vertikale Struktur dominant ist. Nach Geißler existieren Berufs- und Bildungsschichten mit typisch unterschiedlichen Lebenschancen, sodass Klassen und Schichten die Chancen stärker als andere soziale Gruppierungen prägen. Er sieht jedoch Klassen und Schichten nicht als Gruppierungen, die klar voneinander abgegrenzt sind. Nach Geißler verbinden sich mit bestimmten Kombinationen von Beruf und Qualifikationsniveau eine typische Ressourcenausstattung, ein typischer Habitus und typische Lebenschancen. Diese Zusammenhänge sind probabilistisch, sodass Personen mit ähnlicher Kombination auch über untypische Ressourcenausstattung, einen untypischen Habitus oder untypischen Lebenschancen verfügen. Nach diesem Verständnis wird, trotz der Existenz horizontaler Disparitäten, soziale Ungleichheit hierarchisch vorstrukturiert. Die unterschiedliche Verteilung von Ressourcen und Lebenschancen sind zu einem nicht zu vernachlässigenden Teil von der Stellung des Individuums im Beruf, dem sozio-ökonomischen Status und der Bildung abhängig. Horizontale Merkmale sozialer Ungleichheit wie Alter und Geschlecht spielten für die Bestimmung der Lebensverhältnisse eine wichtige, aber im Vergleich zu Beruf und Bildung lediglich eine untergeordnete Rolle (vgl. W. Müller 1986; Strasser 1987; Mayer 1989; Geißler 1990; Mayer und Blossfeld 1990). Infolge der Kritik an der etablierten Klassen- und Schichtsoziologie wurde von einigen Autoren nicht nur eine Perspektivenerweiterung in Hinblick auf horizontale Ungleichheiten, sondern gänzlich ein Paradigmenwechsel angestrebt. Seit Mitte der 1980er Jahre wird zunehmend die Auffassung vertreten, dass sich im Zuge der Modernisierung Klassen und Schichten aufgelöst haben und Klassen- und Schichtkonzepte keine geeigneten Analyseinstrumente mehr darstellen.6 Neben Begriffen wie „Nachklassengesellschaft“ (Beck 1986), „entstrukturierte Klassengesellschaft“ (Berger 1986) oder „pluraldifferenzierte Wohlstandgesellschaft“ (Bolte 1990) wurden als Problemlösung zur theoretischen Erfas6 Zur
Vertikalitätsdebatte siehe auch Kreckel (1989, 1992, 1998) und Geißler (1994, 2000).
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
sung des Wandels sozialer Ungleichheit auch „soziale Milieus und Lebensstile“ als neues Paradigma betrachtet. Lebensstil- und Mileumodelle werden entweder als Substitute für Klassen und Schichten angesehen oder von einer gemäßigteren Variante als soziokulturelle Ergänzung zu Schichtmodellen vorgeschlagen (vgl. H.P. Müller 1986, 1992; Lüdtke 1989, 1990, 1992; Schulze 1990, 1992; Vester u.a. 1993). Damit soll die Sozialstrukturanalyse stärker die Perspektive des Akteurs mitberücksichtigen, um die subjektive Handlungsdimension nicht weiterhin zu vernachlässigen. Ohne die wachsende Vielfalt der Lebensbedingungen und die gestiegene Bedeutung soziokultureller Erscheinungen zu bestreiten, halten Vertreter des klassischen Schichtansatzes (vgl. etwa Strasser 1987; Mayer und Blossfeld 1990; Geißler 1994, 2000) weiterhin an dem Fortbestehen vertikal strukturierter sozialer Ungleichheit und an der Dominanz schicht- und klassenspezifischer Merkmale wie Bildung, Beruf und Einkommen fest. Zwar hätten infolge der Erhöhung des materiellen Lebensstandards sowie der Bildungsexpansion die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten insbesondere in der Privatsphäre zugenommen; die zunehmende Vielfalt der Lebensstile und Lebensformen haben jedoch nicht zur Auflösung vertikaler Strukturen geführt, sondern die alltäglichen Handlungen, Verhaltensweisen und Bewusstseinsformen seien weiterhin von klassischen Merkmalen sozialer Ungleichheit abhängig. Ausgegangen wird von einem deutlichen Kausalzusammenhang zwischen den sozioökonomischen Lagebedingungen und den Alltagshandlungen, kulturellen Präferenzen und politischen Einstellungen (Strasser 1987). Darüber hinaus wird auf die Gefahr hingeweisen, dass die Umorientierung der deutschen Sozialstrukturanalyse bezüglich Erkennnisinteressen und Theorien zu Einseitigkeiten führt, die weiterhin bestehende Ungleichheiten unterschätzt und letztlich verschleiert (vgl. Geißler 1996). Geißler warnt davor, dass sich von einer Forschung zu Ungleichheit von Lebensbedingungen das Erkenntnisinteresse auf eine Vielfalt von Lebensstilen richtet und dazu neigt, vertikale Ungleichheiten zu unterschätzen. Statt Zusammenhänge zwischen Handlungsmuster und objektiven Ressourcen zu erforschen, fixiere sich das Interesse auf die „bunte Vielfalt“ der Lebensstile. Empirische Nachweise für das Fortbestehen von Klassen und Schichten lassen sich in einer Vielzahl von Untersuchungen finden und auch Ergebnisse neuerer Untersuchungen unterstützen dies.7 Schroth (1999) gelangt anhand einer Ana7 Die
Dominanz der vertikalen Ungleichheitsstruktur findet sich als empirischer Befund auch bei Haller (1986); Strasser (1987); Geißler (1987, 1990, 1992, 1994, 1996); Erbslöh u.a. (1990); Holtmann (1990); Mayer und Blossfeld (1990); Noll und Habich (1990); Dangschat (1995); Emmert und Roth (1995); Zapf und Habich (1996); Klocke (1998) und Ves-
4.2 Die Rolle der Lebensstile in der Sozialstruktur
93
lyse von Daten der Wohlfahrtssurveys aus den Jahren 1978 bis 1993 zu dem Befund, dass sich im Vergleich zu früheren Querschnittserhebungen keine bedeutenden Veränderungen bezüglich des Zusammenhangs der Soziallagen und der Mentalitäten erkennen lassen. Eine Entkoppelung von objektiven Lebensbedingungen und sozialen Haltungen lässt sich sowohl auf der Basis der Querschnittserhebungen als auch im zeitlichen Rahmen von 15 Jahren nicht bestätigen. Geißler (1996) verdeutlicht anhand verschiedener empirischer Beispiele (der Bildungschancen, der Chancen zur politischen Teilhabe sowie der Gefahren von Kriminalisierung), dass Lebenschancen weiterhin mit den traditionellen Schichtungskriterien zusammenhängen und daher auch in der modernen Gesellschaft Klassen und Schichten nicht obsolet geworden sind, sondern Modernisierungsprozesse überlebt haben. Nach Geißler wird der Prozess der Modernisierung durch vertikale Ungleichheiten an einigen Stellen zwar aufgebrochen, die Chancen, aus der Vielfalt der Lebensstile einen bestimmten Lebensstil zu verwirklichen, werden jedoch weiterhin durch die bestehende vertikale Ungleichverteilung der Lebensbedingungen begrenzt, wobei diese Grenzen in den einzelnen Schichten höchst unterschiedlich sind. Das Ergebnis des Modernisierungsprozesses sei nicht die Auflösung von Klassen und Schichten, sondern die Herausbildung einer dynamischeren und pluraleren Schichtstruktur. W. Müller (1998) ermittelt unter Verwendung einer modifizierten Version des CASMIN-Klasssenschemas8 (Goldthorpe 1980; Erikson und Goldthorpe 1992) eindeutige klassengebundene Parteipräferenzen. Die klassische Klassenspaltung im Wahlverhalten trifft weiterhin zu. Auf Grund dessen sowie aus der Tatsache, dass sich seit 1976 keine systematischen Unterschiede in den Effekten einzelner Variablen auf die Parteipräferenz finden lassen, konstatiert Müller deutliche Hinweise gegen Individualisierungsannahmen. Für weitere Aspekte der politischen Sozialisation gelangen Hopf und Hopf (1997) ebenfalls zu einer kritischen Einschätzung der Individualisierungsthese. Damit lässt sich die Entstrukturierung der Klassengesellschaft durch die vorliegende empirische Forschung nicht bestätigen.
4.2 Die Rolle der Lebensstile in der Sozialstruktur Die Stellung der Lebensstile innerhalb der Sozialstrukturanalyse ist nach wie vor umstritten. In der Diskussion innerhalb der Sozialstrukturanalyse der 1990er ter (1993, 1995, 1998). Modifikation besteht in der Zusammenfassung der Dienstklassen I und II sowie der Aufteilung der zusammengefassten Gruppe in erstens Experten, zweitens soziale und kulturelle Dienste sowie drittens administrative Dienste und das Mangagement.
8 Die
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
Jahre lassen sich zwei Hauptströmungen unterscheiden, die sich idealtypisch in den beiden Extrempositionen des Bourdieu’schen Ansatzes der Strukturierung von Lebensstilen durch spezifische Klassenlagen (Bourdieu 1982) und der Individualisierungthese von Beck (1983, 1986) verankern lassen. Die Bedeutung seiner These der „Individualisierung von Lebenslagen und Lebenswegen“ für die Lebensstilanalyse liegt in erster Linie darin, die Analyse sozialer Ungleichheit von allen übergeordneten Kategorien abzutrennen. Beck wollte mit der Individualisierungsthese vor allem auf das Verblassen „lebensweltlicher Realität“, d.h. der alltäglichen Wahrnehmbarkeit und Wirksamkeit sozialer Klassen und Schichten in der alten Bundesrepublik, aufmerksam machen. Im Zuge der Auseinandersetzung mit der Individualisierungsthese hat sich auf der einen Seite der phänomenologische Ansatz herauskristallisiert, der Milieus und Lebensstile als genuine Gebilde der sozialen Ungleichheit und der Sozialstrukturanalyse auffasst (Beck 1983; Berger 1987, 1996; Hradil 1987, 1992; Lüdtke 1989, 1990, 1995; Hörning und Michailow 1990; Schulze 1992; MüllerSchneider 1996). Zentrales Merkmal dieser Ansätze ist die Konzeption sozialer Ungleichheit auf der soziokulturellen Ebene der Lebensstile. Lebensstile werden hier als neue Gesellschaftsform aufgefasst, die sich im Zuge der Individualisierung sozialer Ungleichheit und Subjektzentrierung der Lebensführung heraus gebildet haben. Aus der Perspektive dieser Ansätze wird Lebensstil als eine eigenständige Dimension betrachtet, losgelöst von sozialstrukturellen Merkmalen. Diese Position fordert, die vertikalen Strukturmerkmale durch neue nichtvertikale Ungleichheitsmerkmale zu ersetzen, die außerhalb der Klassen- und Schichtanalysen stehen, um soziale Ungleichheit als jenseits der objektiven Ressourcenverteilung zu definieren. Aus der Perspektive dieser Ansätze haben soziokulturell definierte Gruppierungen den Status von Gesellschaftformen in der Nachfolge ressourcendefinierter Klassen und Schichten. Lebensstile und neue soziale Milieus hätten soziale Schichten und Klassen abgelöst, da diese neuen Kategorien nicht mehr an bestimmte Klassenlagen gebunden seien, sondern vielmehr ein postindustrielles Gesellschaftbild verkörpern. Lebensstile stellen somit ein grundlegend alternatives Analysekonzept sozialer Ungleichheit dar. Klassenanalyse und Lebensstilannalyse werden als historisch aufeinanderfolgende Konzepte sozialer Ungleichheit konzipiert. Das theoretische Spektrum der Ansätze, die Lebensstile als eine tendenzielle Verselbständigung soziokultureller Prozesse betrachten, bewegt sich zwischen „radikalen“ Ansichten einer Individualisierung und gemäßigteren Varianten der Differenzierung sozialer Ungleichheit. Ein Vertreter des Differenzierungsparadigmas ist Hradil (1987), der sich mit seiner handlungstheoretisch ausgelegten Modellkonzeption gegen die determi-
4.2 Die Rolle der Lebensstile in der Sozialstruktur
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nistischen Vorstellungen der herkömmlichen Sozialstrukturanalyse wendet. Mit seinem Modell „sozialer Milieus“ versucht Hradil (1987: 162ff) die Subjektivität in ein Sozialstrukturmodell zu intergrieren. Mit dem Begriff soziale Milieus zielt er auf die Ebene, auf der bereitstehende Handlungsvoraussetzungen zu Handlungsmitteln werden, aus denen sich ein gemeinsamer Lebensstil für Gruppen von Menschen herausbildet. Gemeinsam mit dem Konzept der „sozialen Lage“ (Hradil 1987: 145ff), das er auf einer handlungstheoretisch fundierten Basis „allgemein anerkannter Lebensziele“ (Hradil 1987: 143) konzipiert, will er verallgemeinerbare Struktur- und Differenzierungsbedingungen bis in das Alltagsleben der Menschen hinein nachzeichnen. Das Lagenmodell basiert auf drei hauptsächlichen Dimensionen ungleicher Lebensbedingungen, nämlich der ökonomischen, wohlfahrtsstaatlichen und sozialen Dimension. Diese bestimmen die ungleichen Handlungsbedingungen. Das Milieukonzept ergänzt das Lagenkonzept um die Komponente des subjektiven Umgangs von Individuen mit ungleichen Handlungsbedingungen. Begründet wird es „durch eine wachsende Loslösung der Lebensweisen von äußeren Lebenslagen“ (Hradil 1987a: 122), bei der es über die Differenzierung sozialer Lagen hinaus auch zu einer Pluralisierung von Lebensstilen kommt. Lebensstile werden dabei unabhängig von sozialen Lagen definiert (Hradil 1987a: 136). Soziale Lage und Milieus sind analytisch voneinander getrennt. Theoretische Ansatzpunkte über eine Verbindung werden nicht thematisiert. Im Gegensatz zu den Ansätzen des Differenzierungsparadigmas halten Vertreter des „vertikalen Paradigmas“ weiterhin an den deterministischen Vorstellungen der herkömmlichen Sozialstrukturkonzeption von Klassen und Schichten fest (siehe Mayer und Blossfeld 1990; Geißler 1990). Aus dieser Perspektive werden Lebensstile als periphere Phänomene sozialer Ungleichheit betrachtet. Die Vertreter des strukturellen Ansatzes gehen davon aus, dass der Lebensstil weiterhin mit der Klassenzugehörigkeit zusammenhängt und betrachten die Ausbildung von Lebensstilen in Abhängigkeit von sozialstrukturellen Merkmalen. Mit dem Lebensstilkonzept wird im Gegensatz zur ersten Position der Hinweis für den Fortbestand schicht- und klassenspezifischer Soziallagen, Lebenschancen und Verhaltensweisen gesehen (Strasser 1988). Aus der Perspektive dieser Ansätze wird die Lebensstilanalyse nicht als Ablösung sondern als Ergänzung der objektiven Sozialstrukturanalyse angesehen. Der Wandel der lebensweltlichen Bedeutung objektiver Lebensbedingungen wird dabei nicht in Frage gestellt. Die Richtung dieses Ansatzes zeichnet sich dadurch aus, dass zusätzlich zu den objektiven Ressourcenausstattungen auch die subjektive Ressourcennutzung zum Gegenstand der Sozialstrukturanalyse wird. Dem geht die theoretische Annah-
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
me voraus, Lebensstile seien als die individuelle Verarbeitung der objektiven Soziallagen zu betrachten. Der bedeutenste, aber auch konservativste Vertreter des strukturellen Ansatzes ist Bourdieu (1982). Er betrachtet Lebensstile als ein durch den sozialen Kontext geprägtes Produkt der Geschichte eines Individuums und hält an der traditionellen Vorstellung fest, dass Lebensstile direkter symbolischer Ausdruck von Klassenlagen sind. Nach Bourdieu sind Lebensstile ausschließlich an einem klassentheoretischen Rahmen orientiert. Als ein weiterer Vertreter dieses Paradigmas ist Müller (1992) zu nennen, der sich mit Lebensstilen jedoch nur auf der Ebene der Theorie sozialer Ungleichheit auseinandergesetzt und keine empirischen Forschungen unternommen hat. Müller stellt Lebensstile als ein allgemeines Konzept einer komplexen Analyse sozialer Ungleichheit vor. Er plädiert für die Zusammenführung der Lebensstilforschung mit der Analyse sozialer Ungleichheit in dem Sinne, subjektive Handlungsmuster in der an objektiven Soziallagen orientierten traditionellen Sozialstrukturanalyse ergänzend einzusetzen. Müller sieht einen Ausweg aus der Diskussion konkurrierender, vertikaler versus horizontaler Sozialstrukturansätze, in dem er durch die Aufnahme der Lebensstile in die vertikal orientierte Sozialstrukturanalyse den Zusammenhang zwischen sozialstrukturellen Entwicklungen und individueller Lebensführung zum Gegenstand der Ungleichheitsforschung macht. In Auseinandersetzung mit dem sozialstrukturellen Ansatz von Blau, dem sozialpolitischen Ansatz von Giddens und der sozialkulturellen Klassentheorie von Bourdieu versucht Müller zu einem eigenen Konzept der Lebensstile zu gelangen, welches der Klassen-, Schichtungsund Mobilitätsforschung als fruchtbare Ergänzung dienen soll, in dem durch die Hinzunahme von Lebensstilen in die sozialstrukturelle Forschung neben der Strukturebene auch die Praxisebene abgedeckt werden soll. Mit dieser Forderung richtet sich Müller gegen einen zentralen Mangel der traditionellen Analyse von Klassen und Schichten, bei der die Mikroebene der Handelnden und ihrer Lebensführung zunehmend ausgeklammert wird. Nach Müller erfährt die herkömmliche Sozialstrukturanalyse durch die Lebensstile eine Verfeinerung. Die Auseinandersetzung innerhalb der deutschen Sozialstrukturanalyse darüber, ob die Lebensstile den Fortbestand von Klassenstrukturen indizieren oder vielmehr ausgeprägte Differenzierungserscheinungen widerspiegeln, wurden überwiegend konzeptionell geführt und durch eine Reihe empirischer Untersuchungen, die verstärkt in den 1990er Jahren folgten, ergänzt. Systematische sozialwissenschaftliche empirische Studien zu Lebensstilen sind allerdings immer noch eine Ausnahme. Im wesentlichen sind hier die Studien von Lüdtke (1989) und Schulze (1992) zu nennen, die im Unterschied zu den meisten anderen Untersu-
4.2 Die Rolle der Lebensstile in der Sozialstruktur
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chungen auf einer theoretischen Grundlage basieren. Im Folgenden werden ausgewählte empirische Lebensstilstudien in ihrer methodischen Vorgehensweise und in ihren wesentlichen Erkenntnissen dargestellt. Das methodische Vorgehen wird möglichst genau dokumentiert, da einmal die Ergebnisse sehr stark von methodischen Entscheidungen abhängen und zudem die Anwendung der hauptsächlich in der Lebensstilforschung verwendeten statistischen Verfahren (Clusteranalyse und Korrespondenzanalyse) mit einer Reihe methodischer Probleme behaftet sind, die die Angemessenheit der Anwendung für die Analysezwecke innerhalb der Lebensstilforschung in Frage stellen. Die Lebensstilstudien haben zu einer großen Anzahl an Lebensstil- und Milieutypologien geführt, die äußerst heterogen sind. Die Verschiedenartigkeit der theoretischen Konzeptualisierungen, der Definitionen des Lebensstilbegriffs, der Dimensionen sowie deren Operationalisierungen und die empirischen Vorgehensweise haben zu einer Vielzahl von Milieu- und Lebensstiltypologien9 geführt, die insgesamt zunächst den Eindruck eines disparaten Nebeneinanders hinterlassen.10 Es ist nicht das Anliegen der folgenden Auflistung des Forschungsstandes, die einzelnen Lebensstil- und Milieutypen gänzlich aufzuzeigen, sondern Erkenntnisse über das Verhältnis von Sozialstruktur und Lebensstil zu gewinnen. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob Lebensstile weiterhin Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen sind und damit Klassen- oder Schichtunterschiede über verschiedene Lebensstilgestaltungen zum Ausdruck kommen oder ob Lebensstile als eigene Kategorie sozialer Ungleichheit herkömmliche Klassen und Schichten abgelöst haben.
9 Einen
Überblick geben u.a. Georg (1999); Hartmann (1999) und Endruweit (2000). Grund der Vielzahl der Ergebnisse gibt es mitlerweile eine Reihe von Metaanalysen, die sich mit einem Vergleich zwischen den Lebensstiltypen oder den Dimensionen, die als Basis der Lebensstilkonstruktionen zugrundeliegen, verschiedener Studien beschäftigen (siehe z.B. Schulze 1992; Spellerberg 1996: 76; Hölscher 1998: 223). Schulze (1992) zeigt in einer synoptischen Zusammenstellung der Sinus-Studie (Becker und Nowak 1985), der Studie von Gluchowski (1987) und seiner eigenen, dass trotz unterschiedlicher konzeptioneller Anlagen diese Studien in einer Grobstruktur der Milieuverteilung konvergieren. Auch Georg (1999) zeigt anhand einer Synopse der Lebensstilstudien von Bourdieu (1982), Lüdtke (1989) und Schulze (1992), dass nicht die Lebensstiltypen alle nebeneinander stehen, sondern sich auf verschiedenen Ebenen der „Segmentierungshierarchie“ gleiche Muster wiederholen.
10 Auf
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
4.3 Lebensstile als Ausdruck fortbestehender Klassenund Schichtstrukturen? Die Vielzahl der empirischen Studien zum Bereich Lebensstil können in zwei Kategorien unterschieden werden: Erstens in Studien, die analysieren, ob Klassenoder Schichtunterschiede weiterhin über verschiedene Lebensstilgestaltungen zum Ausdruck kommen oder ob Lebensstile die Differenzierungserscheinungen einer Gesellschaft widerspiegeln oder als eigenständige Kategorie sozialer Ungleichheit die traditonellen Konzepte abgelöst hat. Im Folgenden werden diese Ansätze genauer beleuchtet. Zunächst werden die Ergebnisse des handlungstheoretischen Ansatzes von Lüdtke (1989) dargestellt. Anschließend werden Ergebnisse von Studien aufgezeigt, die den Wandel von Klassenmilieus zu Erlebnismilieus thematisieren und die Konstruktion von Erlebnismilieus ins Zentrum ihrer Untersuchung stellen (Schulze 1992; Müller-Schneider 1994). Es folgen dann die Ergebnisse zur Rekonstruktion der Erlebnismilieus in den neunziger Jahren. Thematisiert wird hier ein Ausschnitt von Ergebnissen, die im Rahmen einer umfassenden Analyse von Hartmann (1999) ermittelt wurden. Im Anschluss daran werden die Ergebnisse einiger neuerer Untersuchungen vorgestellt, die explizit die Beziehungen zwischen sozialer Lage und Lebensstile thematisieren (Klocke 1993; Spellerberg 1996; Konietzka 1995; Georg 1996, 1999; Otte 2004; Wahl 1997 und Schroth 1999). Dies sind zum großen Teil Studien, die sich an Fragen der klassischen Sozialstrukturanalyse orientieren und untersuchen, inwieweit Lebensstile Ausdruck fortbestehender Klassenstrukturen sind und ob sich Klassen- oder Schichtunterschiede über verschiedene Lebensstilgestaltungen erkennen lassen.11 In diesen Untersuchungen wird primär davon ausgegangen, dass der Lebensstil durch vertikale Ungleichheitsmerkmale gesteuert wird. Diese Forschungen beschäftigen sich entsprechend mit dem Zusammenhang zwischen objektiven Lebensbedingungen und der Wahl der Lebensstile. Hier werden entweder Lebensstilmerkmale oder zuvor gebildete Lebensstilaggregate durch eine Vielzahl soziodemographischer und sozioökonomischer Variablen erklärt. Die zweite Kategorie von Studien innerhalb der Lebensstilforschung sind Studien, die die Rolle der Lebensstile als eigenständigen Erklärungsfaktor zur Ermittlung von Unterschieden bezüglich der Lebensqualität, sozialer Verhaltensweisen und Einstellungen ermitteln. In diesen Studien werden Lebensstile bzw. Lebensstiltypologien als erklärende Variablen für Einstellungen und Verhalten 11 Eine
Ausnahme hiervon ist die Untersuchnung von Konietzka (1995), bei dem – auf Grund des von ihm unterstellten sozialen Wandels – nicht Klassen und Schichten, sondern Lebensformen als Trägergruppen von Lebensstilen im Zentrum des Interesses stehen.
4.3 Lebensstile als Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen?
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verwendet. Studien, die die prädiktive Leistung von Lebensstiltypologien thematisieren, stehen entweder in der Tradition von Forschungen, die überprüfen, ob Lebensstile die traditionellen Klassen und Schichten abgelöst haben oder ob Lebensstile als ein tragfähiges Konzept zur Ergänzung von Klassen und Schichten in der Sozialstrukturanalyse Eingang finden sollte. Zentral ist hierbei die Frage, ob die Bildung eigenständiger soziokultureller Klassen Verhaltensweisen, Einstellungen und Wertorientierungen gegenüber herkömmlichen Klassen und Schichten besser erklären kann. In diesem Rahmen werden die Ergebnisse der Untersuchungen von Spellerberg (1996); Otte (1997); Hartmann (1999) und Schroth (1999) vorgestellt.
4.3.1 Lebensstile als bewusste Gestaltung Der handlungstheoretische Lebensstilansatz von Lüdtke (1989, 1990, 1991) kann als das erste deutsche empirische Lebensstilmodell mit umfassender theoretischer Fundierung betrachtet werden. Dieser Ansatz ist eine Adaption des Rational-Choice-Ansatzes. Im Zentrum des Lebensstilansatzes steht die bewusste Gestaltung des Lebensstils eines Akteurs. Durch die Betonung des Entscheidungsspielraums der Akteure richtet sich Lüdtke mit seinem Ansatz gegen die Tradition der klassischen Schicht- und Klassenmodelle, in dem die deterministische Zuweisung von vertikalen Strukturmerkmalen zu Lebensstilen durch eine „stochastische Perspektive“ (Lüdtke 1989: 49) ergänzt wird. Lüdtke (1989: 40) definiert Lebensstil als „unverwechselbare Struktur und Form eines subjektiv sinnvollen, erprobten (...) Kontextes der Lebensorganisation (...) eines privaten Haushalts, (...), den dieser mit einem Kollektiv teilt und dessen Mitglieder deswegen einander als sozial ähnlich wahrnehmen und bewerten“. Nach Lüdtke konstituiert sich der Lebensstil einer Person aus den vier theoretischen Dimensionen „Performanz“, „Kompetenz“, „Motivation“ und „sozioökonomische Situation“ (vgl. Lüdtke 1989: 42ff). Unter Performanz versteht Lüdtke die Gesamtheit der relevanten Handlungs- und Interaktionsäußerungen des Individuums, also die lebensstilrelevanten Praktiken. Unter Kompetenz die kognitiven, sprachlichen und sozialen Qualifikationen sowie - in der Terminologie Bourdieus - das kulturelle Kapital (inkorporiertes kulturelles als auch institutionalisiertes kulturelles Kapital) und soziale Kompetenzen. Unter Motivation versteht er die im Sozialisationsprozess erworbenen Handlungsdispositionen (kulturell geformte Bedürfnisse, Einstellungen, Wertorientierungen und Ziele) und unter sozio-ökonomischer Situation - in der Terminologie Bourdieus - das ökonomische
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
und zum Teil das soziale Kapital, die Bedingungen der Arbeitsorganisation, die Haushaltsstruktur und die Wohnumwelt. Diese den Rahmen der Lebensorganisation bestimmenden Dimensionen werden als „Systemaspekte“ betrachtet, die durch rekursive dynamischer Wechselbeziehungen miteinander verbunden sind. In diesem Rahmen werden innerhalb der alltäglichen Versuchs- und Irrtumsprozessen bewährte Praktiken generalisiert und habitualisiert. Im Kern seines Lebensstilmodells steht die Herausbildung bewährter Alltagsroutinen, die in den Habitus mit aufgenommen werden. Diese betrachtet Lüdtke als „Ergebnis biographischer Versuchs- und Irrtumsprozesses sowie selektiver und verallgemeinerter Alltagserfahrung des Akteurs“ (Lüdtke 1992: 2f). Es handelt sich dabei um Praktiken, die sich im Alltag bezüglich der Erreichung von Zielen, unter der Vorraussetzung der gegebenen Ressourcen, bewährt haben. Für die Definition der Ziele ist die Dimension der Einstellungen und Wertorientierungen verantwortlich. In diesem Zusammenhang wird persönliche Identität als ein „Gleichgewicht zwischen personaler und sozialer Identität“ verstanden. Dies bezeichnet nach Lüdtke „die Spezifität und Konsistenz eines erworbenen Sinn-, Handlungs-, Erfahrungs- und Interaktionsmusters, der die individuelle Möglichkeit begrenzt, sich Situationen beliebig und in immer neuer Weise anzueignen.“ (Lüdtke 1992: 3). Den Erwerb des Lebensstils betrachtet Lüdtke in einer Sequenz von Wahlhandlungen: Lebensstile sind das Resultat bewusster Wahlentscheidungen zwischen Handlungsalternativen. Auf jede lebensstilspezifische Handlung wirken zwei Mechanismen, die für die Wahl einer Alternative entscheidend sind. Dies ist zum einen die „Restriktivität der Situation“ (Lüdtke 1992: 2), worunter er die ungleiche Verteilung stilisierungsrelevanter Ressourcen und damit die objektiven Merkmale sozialer Ungleichheit fasst. Der zweite Mechanismus befindet sich auf der subjektiven Ebene des Akteurs und aktiviert die vorhandenen Ressourcen in Bezug auf die jeweiligen Ziele und Muster subjektiver Sinnhaftigkeit. Voraussetzung für die Gestaltung eines Lebensstils ist eine Vielzahl hintereinandergeschachtelter Wahlhandlungen, innerhalb derer sich bewährte Handlungen und Lebensstilelemente, die bereits Ressourcen des Akteurs verbraucht haben, verfestigen. Die jeweilige Struktur der Dimensionen „Performanz“, „Kompetenz“, „Motivation“ und „sozioökonomische Situation“ ergibt den individuellen Lebensstil einer Person. Lüdtke fasst dabei die Beziehungen zwischen den Dimensionen als ein „Fließgleichgewicht“ (Lüdtke 1989: 44) auf, das Veränderungen des Lebensstils in Abhängigkeit von den sozio-ökonomischen Bedingungen und der Bereitschaft der Individuen, sich in der Motivation, Kompetenz und Performanz anzupassen,
4.3 Lebensstile als Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen?
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erlaubt. Bei veränderter Ressourcenausstattung oder gewandelter Wertorientierungen werden die Beziehungen dann neu austariert. Zur empirischen Bestimmung der Lebensstiltypen wählt Lüdtke ein mehrstufiges Verfahren, das sowohl Faktorenanalysen, eine Clusteranalyse als auch Diskriminanzanalysen beeinhaltet. Datengrundlage ist eine nicht repräsentative und hauptsächlich regional begrenzte Stichprobe mit geringem Umfang aus den Jahren 1986/87. Da Lüdtke den Lebensstil als ein vierdimensionales Konstrukt betrachtet, das nicht unmittelbar beobachtbar ist, leitet er zunächst für alle Dimensionen beobachtbare Indikatoren ab, die jedoch nicht alle aktiv in die Klassifizierung der Lebensstiltypen einbezogen werden. So wird die Komplexität seines theoretischen Modells auf der empirischen Ebene reduziert, in dem in der ersten Stufe mit Hilfe der größtenteils auf Faktorwerte angewendeten Clusteranalyse Lebensstiltypen nur auf der Basis der Performanzdimension und damit auf der Basis der lebensstilrelevanten Praktiken klassifiziert werden. Entsprechend definiert Lüdtke Lebensstile auf der operationalen Ebenen durch Konfigurationen von Merkmalsausprägungen in den einzelnen Performanzfeldern, wie Freizeitverhalten, Wohnungsausstattung, Kleidungspräferenzen und Speisegewohnheiten. Die extrahierten Lebensstilcluster werden zunächst anhand der Performanzvariablen beschrieben. Insgesamt erhält Lüdtke damit Performanztypen. In einem weiteren Schritt werden die zwölf verhaltensdefinierten Lebensstilcluster unter Verwendung verschiedener Diskriminanzanalysen mit Kontextbedingungen in Beziehung gesetzt, die zur Erklärung der Entstehung und Differenzierung von Lebensstilen herangezogen werden. Von den verschiedenen Merkmalen der sozialen Lage erweist sich das ökonomische und kulturelle Kapital als am prädiktiv bedeutsamsten. Die Lebensstilcluster werden dann schrittweise als Kombinationen von Kontextmerkmalen, Performanzmustern und Mentalitätseigenschaften interpretiert (vgl. Lüdtke 1989: 126ff). Da Lüdtke gemäß seiner theoretischen Konzeption die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Dimensionen innerhalb der alltäglichen Versuchs- und Irrtumsprozesse als Fließgleichgewicht zu erfassen versucht, innerhalb dessen bewährte Praktiken habitualisiert werden, bestehen komplexe Wechselbeziehungen zwischen zum Teil latenten Dimensionen des Lebensstils, die der Autor jeweils wieder als multivariate Komplexe versteht. Auf Grund des Fehlens von Längsschnittdaten und eines geeigneten statistischen Analyseverfahrens kann Lüdtke jedoch den theoretisch von ihm vorgeschlagenen Gesamtprozess nicht abbilden und überprüfen. Lüdtke gelangt zu dem Ergebnis, dass sich keiner der Lebensstiltypen in Bezug auf eine einzige Kontextebene oder in Bezug auf das sozioökonomische Schicht-
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
kontinuum als völlig determiniert bzw. abgegrenzt erwiesen hat und sieht damit deutlich Indizien dafür, dass die Wahl eines Lebensstils statusübergreifend ist (Lüdtke 1989: 140). Betont wird von ihm auch, dass sich aus seinen Ergebnissen noch kein Nachweis dafür ergibt, dass sich die Sozialstruktur entsprechend der Individualisierungsthese in die Richtung einer Differenzierung der Lebensstile mit einem klassen- oder schichtübergreifenden Charakter entwickelt (Lüdtke 1989: 154). Abschließend werden von ihm als Konsequenz seiner Analyse und der Diskussion über Differenzierungen sozialer Ungleichheit zwei Hypothesen formuliert (Lüdtke 1989: 155): In der ersten geht er davon aus, dass der Prozess der Pluralisierung der Lebensstile hauptsächlich in gehobeneren Schichten vonstatten geht und nicht automatisch mit einer Angleichung der Lebenschancen verbunden ist. In der zweiten Hypothese bezieht Lüdtke sich auf die wachsende Bedeutung der horizontalen Ungleichheitsdimension der Lebensstile, die nicht nur mit einer Aufrechterhaltung, sondern sogar mit einer Verschärfung der vertikalen Grenzen sozialer Ungleichheit einhergehen. Seine Hypothese zielt auf die Eigenständigkeit und geringe Wechselwirkung zwischen den wachsenden kollektiven Präferenzspielräumen auf der einen und der Reproduktion von Klassengrenzen auf der anderen Seite. Lüdtke führte in den darauf folgenden Jahren eine größere Anzahl empirischer Lebensstilstudien durch (vgl. die Aufstellung in Lüdtke 1994: 319ff). Dabei ergaben sich jeweils ganz unterschiedliche Lebensstiltypologien, so dass Lüdtke zusätzlich Meta-Analysen der eigenen Erhebungen durchführte. In diesem Rahmen entwickelt Lüdtke (1995) ein Modell zur Identifikation grundlagender Eigenschaften von Lebensstiltypen. Zur Aufdeckung allgemeiner „latenter“ Lebensstildimensionen wählt er eine Kombination aus Cluster- und Korrespondenzanalysen. Er entwickelt ein Modell für die Herstellung der Beziehungen zwischen den Dimensionen der sozialen Lage, der Mentalität und der Performanz. Zur Spezifikation des Modells führt er zunächst drei getrennte Clusteranalysen für die einzelnen Dimensionen durch und ordnet in jeder Dimension einer Person einem extrahierten Cluster innerhalb einer Dimension zu. Auf der Basis der Clusterzugehörigkeit der Befragten, die als Ausgangsdaten auf den drei Dimensionen gewählt werden, führt Lüdtke eine univariate Korrepondenzanalyse durch. Dabei bilden die Demographiecluster die Spaltenvektoren und die Mentalitäts- sowie Performanzcluster die Zeilenvektoren. Durch die Korrespondenzanalyse werden Cluster in den drei Dimensionen auf Grund ihrer räumlichen Nähe zu Lebensstildimensionen zusammengeführt. Lüdtke rekonstruiert dabei im Kern die theoretischen Lebensstildimensionen des Orientierungsrau-
4.3 Lebensstile als Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen?
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mes nach Richter (1994): Modernität (bewegen) versus Traditionalismus (bewahren), Gestalten (aktiv) versus Rezipieren (passiv) und Aussengerichtet (Gesellschaft, Öffentlichkeit) versus Innengerichtet (Privatheit). Zusätzlich erhält er eine weitere Achse, die als Ressourcenausstattung im Sinne von ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital als Voraussetzung für die Aktivierung der Orientierungsdimensionen nach Richter (1994) interpretiert wird. Wegen eines relativ geringeren Erklärungsanteils an der Gesamtvariation dieser Achse sowie auf Grund der Ergebnisse vorgeschalteter Diskriminanzanalysen, nach denen die Ressourcen nur eine geringe Prädiktorkraft bezüglich der Zuordnung zu einer Lebensstilgruppierung aufweisen, schliesst Lüdtke auf deutliche Indizien für Individualisierungs- und Pluaralisierungserscheinungen. In einer weiteren Untersuchung analysiert Lüdtke (1992a) den Wandel der Muster manifesten Verhaltens über die Zeit bzw. den Wandel der Abhängigkeit der Performanzmuster von strukturellen Variablen und sonstigen Bedingungskontexten, um somit die Mikroperspektive sozialstrukturellen Wandels aufzuzeigen. Lüdtke (1992a) zeichnet anhand ausgewählten sekundäranalytischen Materials mittels Daten über Freizeitverwendung und Zeitverwendung einige jüngere Wandlungstendenzen in den Lebensstilen der alten Bundesrepublik nach. So gelangt der Verfasser zu dem Ergebnis, dass die zwei Freizeitmuster „Sport und Aktivität“ und „Museen, Kultur, Bildung“ seit 1953 relativ invariante Strukturen aufweisen. Diese beiden Kernbestandteile von Lebensstilen weisen daher auf generationsübergreifende, historisch konstante Performanzmuster hin. Bei dem ersten Freizeitmuster hat sich die strukturelle Abhängigkeit vom Alter leicht erhöht, die Bedeutung der Schulbildung, des Einkommens und des Status ist dagegen gesunken. Beim zweiten Freizeitmuster hat sich die strukturelle Abhängigkeit in Bezug auf den Beruf verstärkt. Relativ konstant geblieben sind die Abhängigkeiten von Alter, Bildung und Status. Daraus ist zu schließen, dass offensichtlich die Partizipation an dem Freizeitmuster „Museen, Kultur, Bildung“ nach wie vor von der Verfügbarkeit kulturellen Kapitals im Sinne Bourdieus abhängt. Des Weiteren gelangt Lüdtke zum Ergebnis, dass der wohlbekannte Trend einer weiteren Privatisierung der Lebensführung sich zugunsten der Zeitverwendungen für Freizeit und Massenkommunikationen verschiebt.
4.3.2 Wandel der Gesellschaftsstruktur von der sozialen Schichtung zu den Erlebnismilieus Die Untersuchung von Schulze (1992) ist neben der von Lüdtke (1989) die einzige deutsche Untersuchung, die auf einem theoretischen Hintergrund über Funkti-
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
on und Struktur von Lebensstilen basiert. Schulzes Ansatz steht explizit im Kontrast zu dem Bourdieu’schen. Im Zentrum des Ansatzes von Schulze steht im Unterschied zu Bourdieu keine Homologie zwischen objektiver Klassenlage und sozio-kultureller Lebensstilpraxis, sondern eine konstruktivistisch und wissenssoziologisch beeinflusste individualisierte Perspektive. Zentrale Hintergrundannahme Schulzes ist der Übergang von einer Knappheitsgesellschaft zu einer Überflussgesellschaft und die damit verbundene Auflösung der sozioökonomisch strukturierten Klassenmilieus. Nach Schulze verändern sich im Zuge der Vermehrung individueller Möglichkeiten die Existenzformen, wobei er unter Existenzformen „relativ dauerhafte Verbindungen von Subjekt und Situation“ (Schulze 1992: 198) versteht. Die Beziehung des Subjekts zur Situation hat sich von einer Begrenzung der Handlungsmöglichkeit durch materielle Knappheit zu einer Abnahme strukturdeterminierten Handelns und eine Erweiterung der Handlungsautonomie des Subjekts gewandelt. Das Verhältnis von Subjekt und Situation hat sich somit von einer Beziehungsvorgabe zu einer Beziehungswahl verändert. In der Erlebnisgesellschaft wird das Subjekt nicht mehr auf Grund seiner beruflichen Position und seiner sozialen Herkunft in einer sozialen Großgruppe verortet, sondern es wählt auf Grund ähnlicher Präferenzstrukturen seine Gruppe. Die Gestaltungsleistungen des Subjekts sind - so Schulze - nicht mehr durch die äußere Situation vorgegeben, sondern zeichnen sich durch das aktive Handeln des Subjekts aus. Für die Erlebnisgesellschaft sind subjektorientierte Existenzformen relevant und damit verbunden die Erlebnisorientierung des Handelns (vgl. Schulze 1992: 37f, 58f). Die existentielle Problemdefinition hat sich zu einer Erlebnisorientierung und Ästhetisierung des Alltagslebens gewandelt. Gleichzeitig werden die Individuen im Rahmen der Erlebnisorientierung vor systematische Orientierungsprobleme gestellt. Das existentielle Problem besteht darin, dass die „psychophysischen“ Erlebnisse im Sinne einer Verarbeitungstheorie des Erlebens ständig Reflexionsleistungen des Individuums erfordern. Schulze geht des Weiteren davon aus, dass die Handlungsfreiheiten gleichzeitig überfordern und Unsicherheiten hervorrufen, mit denen wiederum die individuellen Orientierungsbedürfnisse steigen. In diesem Rahmen versteht er soziale Milieus und alltagsästhetische Schemata als Konstruktionen, die Sicherheit vermitteln sollen. Kollektive Schematisierungen des Erlebens helfen den Akteuren, bereits gelebte Erlebnismuster zu übernehmen. Die alltagsästhetischen Schemata sind grobe Muster, die die Komplexität singulärer Wahlakte reduzieren. Gleichzeitig bilden Unsicherheiten, Enttäuschungen und Überforderungen bei den Individuen den Kern für die Konstitution der Erlebnisgesellschaft.
4.3 Lebensstile als Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen?
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4.3.2.1 Konzeption der alltagsästhetischen Schemata Zentral ist in Schulzes Ansatz die Konzeption der alltagsästhetischen Schemata. Der Begriff des alltagsästhetischen Schemas lässt sich über den Begriff des persönlichen Stils explizieren, der von Schulze (1992) übernommen wird. Bei Müller-Schneider (1994: 102 ff) wird dieser stichpunktartig definiert als die „Gesamtheit der ästhetischen Wiederholungstendenzen“, der den „Geschmack eines Menschen“ zum Ausdruck bringt. Schulze (1992) unterscheidet zwei Ebenen des persönlichen Stils. Dies ist einmal die Zeichenebene: Auf dieser Ebene tritt der persönliche Stil durch Verhaltensweisen nach außen und wird damit wahrnehmbar. Zum anderen werden auf der Bedeutungsebene des persönlichen Stils die drei Eigenschaften Genuss, Distinktion und Lebensphilosophie unterschieden. Bei den Schemata handelt es sich um alltagsästhetische Präferenzstrukturen, in denen sich der persönliche Stil widerspiegelt und auf der Zeichenebene sichtbar wird. Die alltagsästhetischen Präferenzen werden dabei von Kollektiven gemeinsam geteilt. Auf der Bedeutungsebene verbinden sich Genuss, Distinktion und Lebensphilosophie zu einem kollektiven Syndrom, das auf der Zeichenebene in Form von homogenen Gruppen alltagsästhetischer Zeichen zum Ausdruck kommt. Nach Schulze (1992: 128) bestehen die alltagsästhetischen Schemata in der Zuordnung von intersubjektiv geteilten Bedeutungen zu den Zeichengruppen. Die alltagsästhetischen Schemata generieren Lebensstile. Genuss, Distinktion und Lebensphilosophie werden für Schulze durch Lebensstile verbunden. Schulze (1992) unterscheidet drei alltagsästhetische Schemata im Sinne von Dimensionen der ästhetischen Orientierung. Die kulturhistorisch älteste Dimension ist das Hochkulturschema. Die ästhetische Orientierung ist an der traditionellen bürgerlichen Kulturtradition angelehnt und wird auf der Zeichenebene durch die Wahrnehmung anspruchsvoller und als kulturell wertvoll definierter ästhetische Angebote wie dem Besuch von Museen und Ausstellungen, der Lektüre gehobener Literatur und dem Hören von klassischer Musik sichtbar. Im Hochkulturschema stellt sich Genuss über Kontemplation ein. Distinktion bezieht sich auf die antibarbarische Orientierung. Auf der Bedeutungsebene der Lebensphilosophie äußert sich das Hochkulturschema durch das Streben nach Perfektion. Das zweite alltagsästhetische Schema ist das Trivialschema, dessen Wurzeln bereits in die Mitte des 19ten Jh. zurückreichen. Die ästhetische Orientierung ist auf Harmonie gerichtet. Typische Zeichen für das Trivialschema sind das Hören von Volksmusik, das Interesse an Heimatfilmen sowie Shows und Quizsendun-
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
gen im Fernsehen. Genuss wird im Trivialschema auf Gemütlichkeit bezogen. Distinktion bezieht sich vor allem auf exzentrische Gruppen, die Individualität betonen. Auf der Bedeutungsebene der Lebensphilosophie äußert sich das Trivialschema durch das Streben nach Harmonie. Das dritte Schema ist das Spannungsschema, das seinen Ursprung in der entstehenden Jugendkultur der 1950er Jahre hat. Die ästhetische Orientierung bezieht sich hierbei auf Vorlieben, die durch Spannung, Abwechselung und Bewegung charakterisiert werden können. Auf der Zeichenebene lässt sich das Spannungsschema durch das Hören von Rockmusik, der Besuch von Kneipen, Diskotheken und Kino sowie den Konsum von Actionfilmen im Fernsehen beschreiben. Genuss wird innerhalb dieses Schemas auf der Spannungsebene erlebt. Das Distinktionsmuster ist antikonventionell und äußert sich in der Abgrenzung gegenüber etablierten Gruppen. Müller-Schneider (1994) zeichnet die Entwicklung der drei alltagsästhetischen Schemata im Rahmen einer Trendanalyse auf der Basis von Querschnittsuntersuchungen aus drei Jahrzehnten12 nach. Auf der empirischen Ebene bildet Müller-Schneider die alltagsästhetischen Schemata auf Skalen ab, deren Indikatoren ähnliche Präferenzen messen. Die Entwicklung der drei alltagsästhetischen Schemata rekonstruiert Müller-Schneider unter Verwendung von Homogenitätskoeffizienten aus der klassischen Testheorie auf der Basis der sozialhistorisch angesammelten Datensätzen. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass die Homogenität der Skalen sich seit den 1950er Jahren erhöht haben und interpretiert daraus die Entfaltung der alltagsästhetischen Schemata als sozialstrukturelles Ordnungsprinzip. Demnach hat es die strukturelle Ordnungsfunktion der alltagsästhetischen Schema zu Beginn der 1950er Jahre noch nicht gegeben. Erst die Vervielfältigungen der Erlebnismöglichkeiten haben zu einer Kollektivierung von Stilmustern in Gestalt der drei alltagsästhetischen Schemata geführt. Unter Einbeziehung der Variablen Alter und Bildung wird von ihm die sozialhistorische Entfaltung der alltagsästhetischen Schemata hermeneutisch rekonstruiert. Die historische Entfaltung des Trivialschemas sieht Müller-Schneider auf dem Hintergrund des Zeitgeistes der 1950er Jahre, der sich in der Lebensphilosophie der Harmonie äußerte. Diese Lebensphilosophie manifestierte sich in einer Vielzahl alltagsästhetischer Zeichen (z.B. Heimatfilme, Regenbogenpresse, Schnulze, Fernsehen und Gartenzwerg), die als Vorläufer des Trivialschemas betrachtet werden können. Das eigentliche Trivialschema begann sich erst in den 1960er Jahren durch die bildungsspezifische Abwertung der trivialen Kultur her12 Siehe
hierzu die ausführliche Beschreibung in Abschnitt 4.3.2.4
4.3 Lebensstile als Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen?
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auszubilden. Während es in den 1950er Jahren kaum gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der harmoniebeladenen Alltagsästhetik gab und auch die Inhalte durch gebildete Kreise konsumiert wurden, entzündete sich in den 60er Jahren die linke Kulturkritik an diesen Zeichen. Diese bildungsspezifische Abwertung der trivialen Kultur sieht Müller-Schneider als Auslöser der Schematisierung trivialer Alltagsästhetik. Durch die Popularisierung der linken Kulturkritik distanzierten sich die gebildeten Kreise zunehmend von den ästhetischen Zeichen und der Lebensphilosophie der Harmonie; ihnen erschienen diese in Anbetracht der kulturellen Umwälzungen zunehmend untragbar. Es entstand eine sozial wirksame Stigmatisierung des trivialen Geschmacks. Gleichzeitig identifizierten sich viele Menschen mit der Trivialkultur. Dieses Wechselspiel von Distanzierung und Identifikation erklärt den ersten Schematisierungsschub des trivialen Geschmacks. Die Identifikation mit der trivialen Kultur sieht Müller-Schneider als Immunisierung gegen die Verunsicherungen des kulturellen Umbruchs. Diese soziale Abgrenzung wurde in den 1960er Jahren zum Kern der distinktiven Bedeutungsebene des trivialen Geschmacks bzw. der ästhetischen Zeichen. In den achtziger Jahren begann ein zweiter Schematisierungsschub des Trivialschemas, wobei das Genussmuster der Gemütlichkeit in den Vordergrund trat. Dieses Genussmotiv wird für ältere und wenig gebildete Menschen zum Kristallationskern einer expandierenden trivialen Alltagsästhetik, von der sich immer mehr junge Menschen abwenden, da sie ihre Erlebnisabsichten zunehmend im Rahmen des Spannungsschemas verwirklichen können. Das Entstehung des Spannungsschema sieht Müller-Schneider im Rahmen des Generationskonfliktes der späten 1960er und frühen 1970er Jahre. Das Spannungsschema ist das Ergebnis der Entstehung und Ausdehnung jugendkultureller Freiräume, es wird durch die Orientierung am Genussmotiv der „Action“ geprägt. Müller-Schneider erklärt das Zustandekommen vor dem Hintergrund der Ver- und Gebotskultur der 1950er Jahre, die das jugendliche Dasein begleitete und in den 1960er Jahren in eine ästhetische Opposition der Jugendlichen mündete. Die 68er Bewegung schuf die Handlungsspielräume für das actionorientierte Erlebnismuster, welche das heutige Spannungsschema hervorgebracht hat. In den 1980er Jahren findet eine Schematisierung jugendlicher Alltagsästhetik statt, die sich allmählich von der sozialkategoriellen Gebundenheit an die Jugend löst und sich zur Erlebniswelt der „Action“ verdichtet. Das Hochkulturschema entwickelte sich als Ordnungsschema durch Delegitimation der traditionellen Hochkultur als sozial privilegierte Stellung. MüllerSchneider beschreibt eine Verschiebung des Handlungsmotivs von der hierarchischen Distinktion zur Erlebnisorientierung bzw. zum Genuss. Nach Müller-
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
Schneider habe die kollektive Schematisierung hochkulturspezifischer Zeichen erst in den letzten Jahren stattgefunden. Vor der kollektiven Schematisierung war die Hochkultur distinktiver Ausdruck einer privilegierten Gesellschaftsschicht. Dieses Verschwinden der hierarchischen Distinktion aus der Hochkultur sieht Müller-Schneider als ein Resultat des Verlusts ihrer gesellschaftlichen Exklusivität, die sich durch die Einkommensnivellierung und den Verlust des Legitimitätscharakters durch den gesellschaftlichen Angriff der Studentenbewegung auf die Hochkultur auszeichnet. Mit dem Bedeutungswandel der Hochkultur trat die Bedeutungsebene des Genussmusters hochkultureller Aktivitäten zunehmend in den Vordergrund. Durch die Einkommensnivellierung der Hochkultur verliert diese ihre hierarchische Distinktionskraft und der Genuss setzt sich als Handlungsmotiv durch.
4.3.2.2 Konstitution der sozialen Milieus Einzelne Personen partizipieren in mehr oder weniger starkem Masse an jedem der drei alltagsästhetischen Schemata und unterscheiden sich gemäß ihrer Nähe und Distanz zu den drei Schemata. Das gleiche gilt auch für Gruppierungen von Personen (Personenaggregate), die bezüglich ihrer Nähe und Distanz zu den einzelnen Schemata untereinander homogen sind und die als Stiltypen dargestellt werden können. Stiltypen verdichten sich wiederum zu milieuspezifischen Existenzformen. Die Erlebnismilieus lassen sich dabei als soziale Milieus beschreiben, die sich in ihrer Alltagsästhetik voneinander unterscheiden. Bei Schulze (1992: 169ff) werden soziale Milieus als gruppenspezifische Existenzformen subjektiver und situativer Art konzeptualisert. Dieses Konzept geht von der Annahme aus, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft in eine überschaubare Anzahl von sozialen Großgruppen segmentiert ist. Soziale Milieus haben eine Ordnungsfunktion, die die soziale Orientierung der Gesellschaftsmitglieder und deren Identitätsbildung stabilisiert. In Schulzes Definition von sozialen Milieus als „Personengruppen, die voneinander durch erhöhte Binnenkommunikation abgegrenzt sind und typische Existenzformen aufweisen“ (Schulze 1992: 171f), wird deutlich, dass neben gruppenspezifischen Existenzformen auch die erhöhte Binnenkommunikation als konstituierendes Element relevant ist. Die Bildung von sozialen Milieus erfolgt nach dem Modus der Beziehungswahl, die von den Subjekten ausgeht. Das wahrnehmungssteuernde Interesse an anderen Personen ist dabei vorrangig an den Maßstäben der individuellen Erlebnisqualität orientiert und damit letztlich auf eine Ästhetisierung der All-
4.3 Lebensstile als Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen?
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tagsinteraktion ausgelegt. Das dominante Kriterium der Beziehungswahl ist das der Ähnlichkeit. Die Akteure orientieren sich in der sozialen Interaktion mit anderen Personen vorrangig an sogenannten evidenten und signifikanten Zeichen. Während früher die berufliche Position und der Lebensstandard signifikante und evidente Zeichen darstellten, werden diese in der bundesrepublikanischen Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts durch Zeichen des persönlichen Stils abgelöst. Dieser Stil markiert die Position im Raum alltagsästhetischer Schemata und signalisiert die individuellen Erlebnisansprüche. Signifikante und evidente Zeichen der Erlebnispräferenz sind Lebensalter und Bildung der Person. Alter und Bildung sind in diesem Ansatz nicht als Merkmale der Sozialstruktur zu betrachten, sondern werden als wahrnehmbare Zeichen aufgefasst, anhand von denen die Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit zu anderen festgestellt werden kann. Empirisch bildet Schulze die Erlebnismilieus auf der Datengrundlage einer in der Mitte der 1980er Jahre durchgeführten repräsentativen Erhebung der Einwohner Nürnbergs. Die Milieustruktur wird dabei von Schulze auf der Grundlage von 1014 Befragten hermeneutisch rekonstruiert. Zunächst extrahiert er die drei alltagsästhetischen Schemata unter Anwendung der Faktorenanalyse auf der Basis von Indikatoren zur Messung des Interesses an Fernsehsendungen, Präferenzen für Musikarten, bevorzugte Freizeitaktivitäten, Interesse an Zeitungsinhalten und Besuch kultureller Einrichtungen. In einem weiteren Schritt konstruiert Schulze aus der Kombination der Merkmale Alter (dichotomisiert) und Schulbildung (mit den Ausprägungen „Hauptschulabschluss“, „mittlere Reife“ und „Abitur“) das sozialstrukturelle Basismodell, das aus fünf Gruppen besteht. Unter Verwendung der Korrespondenzanalyse werden die Beziehungen von Stiltypen zu den Alters- und Bildungsgruppen hergestellt. Dazu werden die Indikatoren zur Messung der drei alltagsästhetischen Schemata den fünf aus den Merkmalen Alter und Bildung zusammengesetzen Gruppen zugeordnet und anhand der Nähe und Distanz zu den alltagsästhetischen Schemata als Erlebnismilieus interpretiert. Zur Interpretation der einzelnen Milieus bedient sich Schulze eines komplexen Kategorienschemas, anhand dessen er die Milieus wissenssoziologisch interpretiert. Dazu entwickelt der Autor sogenannte Wirklichkeitsmodelle, die er als „ganzheitlich zusammenhängende Komplexe von Vorstellungen über die Welt und die eigenen Beziehungen zur Welt“ (Schulze 1992: 220) definiert. Diese dienen als Filter für die Wahrnehmung der sozialen Welt und zur Reproduktion der Milieustruktur. Eine spezifische Form davon sind „existentielle Anschauungsweisen“ (Schulze 1992: 231ff). Diese setzen sich aus den Komponenten „normale existentielle Problemdefinition“, „Ich-Welt-Bezug“ und der „primären Perspek-
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
tive“ zusammen. Der Ich-Welt-Bezug unterteilt sich in „weltverankert“ (Welt stellt sich dem Subjekt als gegeben dar) und „ichverankert“ (Welt wird aus der Strukturiertheit des Subjekts erschlossen). Die weltverankerte Sichtweise wird unterteilt in die primären Perspektiven „Hierarchie“, „sozialen Erwartungen“ und “Bedrohung“. Diese drei Perspektiven gehen mit den jeweiligen Varianten der normalen existentiellen Problemdefinition einher: dem Streben nach Rang, nach Konformität und nach Geborgenheit. Die ichverankerte Weltsicht unterteilt Schulze in die primären Perspektiven der Persönlichkeitsenfaltung und der Befriedigung von Bedürfnissen. Diesen beiden Perspektiven entsprechen jeweils die Varianten der normalen existentiellen Problemdefinition „Streben nach Selbstverwirklichung“ und „Streben nach Stimulation“. Diese existentiellen Anschauungsweisen stehen in einem übergeordneten Zusammenhang mit der objektiven Wirklichkeit, die durch Existenzformen und Milieustruktur gebildet wird. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Milieus: • Niveaumilieu: Das Niveaumilieu zeichnet sich durch eine starke Affinität zum Hochkulturschema und einer Ablehnung sowohl des Trivialschemas als auch des Spannungsschemas aus. Personen dieses Erlebnismilieus streben nach Perfektion. Diese Lebensphilosophie ist der normative Kern der hochkulturellen Praxis, der Niveaugefühle vermittelt. Die Präferenz für das Hochkulturschema zeigt sich sowohl passiv in Form von Konzert-, Opern-, Theater- sowie Museen- und Ausstellungsbesuchen als auch aktiv durch kulturelle Praktiken wie Sprachen lernen, Fortbildung und Lesen anspruchsvollerer Lektüre. Das Niveaumilieu setzt sich aus Personen über 40 Jahren zusammen, die mindestens über einen Fachhochschulabschluss verfügen. Betrachtet man die Angehörigen dieses Milieus anhand ihrer beruflichen Position, so wird deutlich, dass überwiegend Personen aus freien akademischen und pädagogischen Berufen in diesem Milieu vorzufinden sind. • Harmoniemilieu: Das Erlebnismuster dieses Milieus wird von der Nähe zum Trivialschema und der Distanz zum Hochkultur- und Spannungsschema bestimmt. Es besteht aus Personen über 40 Jahren und weniger formal Gebildeten (Hauptschulabschluss). Die berufliche Tätigkeit der Angehörigen zeichnet sich hauptsächlich durch manuelle Tätigkeiten aus. Bezüglich der beruflichen Position besteht das Milieu primär aus Arbeitern und Verkäufern. • Integrationsmilieu: Im Bereich alltagsästhetischer Zeichen lässt sich in die-
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sem Milieu sowohl eine Nähe zum Hochkulturschema als auch zum Trivialschema bei gleichzeitiger Ablehnung des Spannungsschemas erkennen. Das Erlebnismuster kann mit der Lebensphilosophie der Integration in Zusammenhang gebracht werden. Das dominante Muster dieses Milieus ist die Konformität, wobei die Anpassungsorientierung dabei als Sicherheit empfunden wird. Bei gleicher Altersstruktur wie beim Niveau- und Harmoniemilieu nimmt das Integrationsmilieu bezüglich des Bildungsabschlusses ihrer Mitglieder eine mittlere Stellung ein. Im Bereich beruflicher Positionen lassen sich hauptsächlich Angestellte und Beamte auf mittlerer Ebene finden. • Selbstverwirklichungsmilieu: Für das Selbstverwirklichungsmilieu ist das Erlebnismuster des Hochkultur- und Spannungsschemas bei gleichzeitiger Ablehnung des Trivialschemas charakteristisch. Es umfasst Personen unter 40 Jahren mit Bildungsabschlüssen oberhalb der mittleren Reife. Im Bereich der beruflicher Positionen nehmen sie gehobenere Stellungen ein. Sie sind insbesondere in sozialen und pädagogischen Berufen als auch im Bereich Werbung und Marketing anzutreffen. • Unterhaltungsmilieu: Das Unterhaltungsmilieu ist durch seine Nähe zum Spannungsschema bei gleichzeitiger Distanz zum Hochkultur- und Trivialschema charakterisierbar. Dem Unterhaltungsmilieu werden Personen unter 40 Jahren mit niedrigeren Schulabschlüssen zugeordnet. Bezüglich der beruflichen Position besteht das Milieu ebenfalls primär aus Arbeitern und Verkäufern. Bei der Betrachtung der Erlebnismilieus von Schulze wird deutlich, dass diese sozialen Strukturierungen vertikaler Art entsprechen, denn die Milieus können auf einer vertikalen Achse sozialer Ungleichheit angeordnet werden. Dies wird nicht nur anhand der Bildungsunterschiede sichtbar, sondern auch in der Verteilung der beruflichen Positionen. In jedem Milieu lassen sich Schwerpunkte spezifischer Berufsgruppen finden, wie z.B. eine Konzentration von manuell Tätigen innerhalb des Harmoniemilieus. Ferner sind Merkmale der beruflichen Tätigkeit sowie der Berufsstatus stark mit der Milieuzugehörigkeit assoziiert. Das Integrationsmilieu beispielsweise besteht überwiegend aus Mitgliedern der Mittelschicht. Die Angehörigen des Harmoniemilieus ordnen sich bezüglich der subjektiven Schichteinstufung überwiegend der Unterschicht zu. Die Korrespondenz der Milieus zu den sozialen Schichten bestätigt eher die Vermutung, dass die vertikale Struktur der Gesellschaft nicht vollständig aufgelöst ist als dass
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Schichten durch soziale Milieus abgelöst wurden. Georg (1999) zeigt, dass die hermeneutische Analyse der Milieustrukturen auch andere Lesarten zulässt, die mit denen von Schulze erhobenen Daten kompatibel sind. Dies gilt insbesondere für den Paradigmenwechsel beim Übergang von der durch ökonomische Knappheit charakterisierten zur psychophysischen Semantik. Der Autor veranschaulicht, dass sich die Milieus entlang der von Vester (1993) konstruierten Taxonomie „lebensweltlicher Sozialmilieus in der pluralisierten Klassengesellschaft“ beschreiben lässt, in deren Rahmen modernisierter, teilmodernisierter und traditioneller Klassenhabitus nach Unter-, Mittelund Oberschicht differenziert wird. Das Niveaumilieu und das Selbstverwirklichungsmilieu können in diesem Schema als traditionelle (Niveaumilieu) und modernisierte (Selbstverwirklichungsmilieu) Variante eines Oberschichtshabitus interpretiert werden. Harmoniemilieu und Unterhaltungsmilieu repräsentieren Varianten des Unterschichtshabitus und das Integrationsmilieu die teilmodernisierte Variante des kleinbürgerlichen Habitus. Auch wenn sowohl der theoretische Ansatz als auch die empirische Vorgehensweisen von Schulze (1992) der Bourdieuschen Perspektive (1982) diametral gegenübersteht, so lässt sich aus den unterschiedlichen Befunden doch eine gemeinsame Schnittmenge bilden: So lassen sich Ähnlichkeiten bei Schulzes Harmoniemilieu mit dem „Notwendigkeitsgeschmack“ der Arbeiterklasse bei Bourdieu finden. Weitere Ähnlichkeiten lassen sich zwischen dem Niveaumilieu und der kulturellen Fraktion der herrschende Klasse in dem Ansatz von Bourdieu (1982) identifizieren. Auch das Integrationsmilieu zeigt durch seine Assimilation an das Hochkultur- und Trivialschema zur Aufrechterhaltung seiner gesellschaftlichen Normalität deutliche Parallelen mit der Bourdieuschen Kategorie des Kleinbürgers auf (Bourdieu 1982: 500ff). Insgesamt kann resümiert werden, dass in der empirischen Konstruktion der Erlebnismilieus von Schulze (1992) deutliche Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Merkmalen der Sozialstruktur und lebensstilgenerierenden Mechanismen vorgefunden werden können.
4.3.2.3 Reproduktion der Erlebnismilieus in den neunziger Jahren Hartmann (1999) gelangt im Rahmen einer Erhebung von 129 Einwohnern der Stadt Köln im Jahre 1995 zum Ergebnis, dass die Struktur der alltagsästhetischen Schemata, so wie sie von Schulze (1992) für die achtziger Jahre postuliert wurde, auch Mitte der neunziger Jahre reproduziert werden konnte. Hartmann orientiert sich in seiner Lebensstiluntersuchung an den alltagsästhetischen Schemata von Schulze (1992). In einem ersten Schritt werden die Items zur Messung
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alltagsästhetischer Schemata13 standardisiert und für jedes Schema getrennt ein additiver Index gebildet. Parallel dazu unterzieht Hartmann die Items einer Hauptkomponentenanalyse und interpretiert die drei extrahierten Faktoren inhaltlich als Hochkultur-, Trivial- und Spannungsschema. Im weiteren Verlauf werden unter Verwendung der multiplen Regression die Abhängigkeiten der drei alltagsästhetischen Schemata von Alter und Bildung analysiert. Die Ergebnisse der multiplen Regression zeigen, dass das Trivialschema eher bei älteren und das Spannungsschema eher bei jüngeren Befragten vorzufinden ist. Die Neigung zum Hochkulturschema nimmt mit zunehmenden Alter zu. Des Weiteren nimmt die Neigung zum Hochkulturschema mit dem Besuch weiterführender Schulen und dem Besuch einer Universität zu. Die Abneigung gegen das Trivialschema korreliert noch stärker als die Zuneigung zum Hochkulturschema mit dem Hochschulbesuch. Um die Zusammenhänge von Alter, Schulbildung und alltagsästhetischen Episoden graphisch deutlich zu machen, verwendet Hartmann eine multiple bivariate Korrespondenzanalyse. In Anlehnung an Schulze (1992) bildet er die Spaltenvariable aus einer Kombination der Merkmale Alter und Schulbildung. Um die Existenz ähnlicher Personenaggregate in Bezug auf die alltagsästhetischen Schemata empirisch nachzuweisen, verwendet Hartmann die Clusteranalyse. Mit Ausnahme des Integrationsmilieus konnte Hartmann die Milieus von Schulze sehr gut nachzeichnen. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt auch Lechner (1998) in seiner ostdeutschen Untersuchung in Chemnitz. Im Unterschied zu der Nürnberger Studie von Schulze (1992) ist die Substanz des Hochkulturschemas hier stärker um den Bereich der repräsentativen Kultur gruppiert. Darüber hinaus ergibt sich, im Unterschied zu den westdeutschen Studien von Schulze (1992) und Hartmann (1999) bezüglich der Zuordnung von Stiltypen zu AltersBildungsgruppen ein verändertes Muster. Dies ist hier auf die unterschiedliche Bedeutung der Bildung zurückzuführen. Das Hochkulturschema ist in Chemnitz noch etwas bildungsbürgerlicher ausgelegt. 4.3.2.4 Rekonstruktion des Wandels Die Rekonstruktion des Strukturwandels sozialer Milieus in der Bundesrepublik Deutschland steht im Zentrum der Analyse Müller-Schneiders (1994). Seine Arbeit ist in die Tradition der Konzepte, die eine Auflösung von Klassen- und Schichtkonzepte proklamieren, einzuordnen. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht 13 Als
Items zur Identifikation der Schemata verwendet er Musik- und Fernsehpräferenzen, darüber hinaus werden Elemente des Freizeit- und Konsumverhaltens verwendet.
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die empirische Rekonstruktion des von ihm unterstellten Wandels der gesamten Gesellschaftsstruktur von der sozialen Schichtung zu den Erlebnismilieus nach Schulze (1992). Die Besonderheit der Untersuchung von Müller-Schneider liegt in der empirischen Vorgehensweise: Der Wandel der Milieustruktur wird im Rahmen einer Trendanalyse auf der Datenbasis von Querschnittsuntersuchungen aus den Jahren 1954 bis 1987 untersucht, Datengrundlage ist ein Datensatz der Media-Analyse 1987 mit ca. 18000 Befragten. Müller-Schneider untergliedert die Zeitachse in verschiedene Phasen, die mit historisch bedeutenden Perioden korrespondieren. Dies sind erstens die 1950er Jahre, zweitens die Phase des kulturellen Umbruchs in den 1960er und beginnenden 1970er Jahren und drittens die Phase nach dem kulturellen Umbruch. Nach Müller-Schneider sind die drei alltagsästhetischen Schemata das vorläufige Ergebnis einer neuen Definition von sozialer Ungleichheit. Im historischen Zeitablauf hat sich eine neue sozialstrukturelle Ordnung empirisch bemerkbar gemacht, wobei er den Ausgangspunkt dieses sozialstrukturellen Wandels in der Ästhetisierung des Alltagslebens sieht. Die Menschen nehmen ihre Unterschiedlichkeit nicht mehr primär als Prestigeunterschiede wahr, sondern als Unterschiede ihrer Denk- und Handlungsweisen, die alltagsästhetisch als Geschmacksunterschiede sichtbar werden. Einschränkend betont der Autor, dass sich nicht die klassischen sozialen Ungleichheiten vollständig aufgelöst, jedoch ihre Sichtbarkeit weitgehend verloren haben. Nach Müller-Schneider wurde das Prestige als alltägliches Distinktionsschema durch alltagsästhetische Erlebnisorientierungen abgelöst. Die Auflösung der geschichteten Milieukonfiguration zeichnen sich bei ihm durch drei Entwicklungen aus: Zum ersten durch die seit den 1970er Jahren zunehmende Statusinkonsistenz. Das für die ehemalige Schichtung typische Muster von Bildung, Einkommen und Beruf löst sich zunehmend an der Nahtstelle zwischen Einkommen und Bildung auf: Während der Bildungs- und Berufsstatus sowie der Einkommens- und Berufsstatus zu Beginn der 1990er Jahre eine ähnliche Konsistenz aufweisen wie zu Beginn der 1950er Jahre, entsprechen sich die Rangordnungen der beiden Statusdimensionen Bildung und Einkommen immer weniger. Als zweiten Faktor sieht Müller-Schneider den existentiellen Bedeutungsverlust des Einkommens, der durch die allgemeine Anhebung des Lebensstandards bedingt ist sowie als dritten Faktor das Verblassen von Statussymbolen. Dass die einkommensspezifische Angleichung subjektiver Existenzformen für die abnehmende Schichtausprägung verantwortlich ist, verdeutlicht er an der Hochkultur, die ihre soziale Exklusivität endgültig verloren hat und in einkom-
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mensschwächere Bevölkerungskreise diffundiert. Auf der empirischen Ebene verwendet Müller-Schneider die Korrespondenzanalyse, um die Strukturänderungen von der sozialen Schichtung zu den Erlebnismilieus graphisch darzustellen. Den historischen Wandel der Milieustruktur zeigt er durch die korrespondenzanalytische Projektion von Milieuprofilen früherer Zeitpunkte auf. Die Korrespondenzanalyse wird dabei nicht zur Datenanalyse eingesetzt, sondern zur graphischen Darstellung von strukturellen Änderungen, die Müller-Schneider bereits im Vorfeld durch explorative Datenanalyse aufgefunden hat. Die Ergebnisse seiner Studie werden von ihm mit sozialgeschichtlichen Ereignissen in Beziehung gebracht. Das Unterhaltungsmilieu ist, sozioökonomisch betrachtet, aus der Unterschicht hervorgegangen. Wesentliche Bedingungen für die Entstehung dieses Milieus sieht er in den generationsspezifischen Erfahrungen der um 1940 geborenen Kindern von Arbeitern, Landwirten und einfachen Angestellten, die bei einem ähnlichen Berufsbild auf Grund gestiegener Löhne ein wesentlich höheres Einkommen als die Elterngeneration hatte. Die sozioökonomische Basis des Selbstverwirklichungsmilieus liegt in der ehemaligen Ober- und Mittelschicht, deren Kinder einen leichteren Zugang zur weiterführenden Bildung hatten. Mit der im wesentlichen von Studenten getragenen 68er Bewegung ist es zu einem generationstypischen lebensphilosophischen und alltagsästhetischen Ablösungsprozess von der Herkunftsschicht gekommen, deren zentrale Lebensentwürfe abgelehnt wurden. Der sozioökonomische Ursprung des Niveaumilieus liegt in der ehemaligen Oberschicht. In der Phase der kulturellen Auseinandersetzungen gesellschaftlicher Gruppen begann ein soziokultureller Transformationsprozess der ehemaligen Oberschicht. Sozioökonomisch gesehen hat sich das Harmoniemilieu vorwiegen aus älteren Angehörigen der Unterschicht heraus entwickelt. Das Integrationsmilieu ist aus der Mittelschicht hervorgegangen: Die älteren Mitglieder der Mittelschicht wollten ihren Status der gesellschaftlichen Normalität durch Assimiliation an das Trivial- und Hochkulturschema erhalten. Die Ergebnisse der Untersuchungen Schulzes und Müller-Schneiders verweisen auf den engen Zusammenhang zwischen sozialstrukturellen Merkmalen und alltagsästhetischen Geschmackspräferenzen. Als milieustrukturierendes vertikales Merkmal wird dabei „Bildung“ identifiziert. Darüber hinaus weisen die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen übereinstimmend darauf hin, dass die berufliche Position (mehr oder weniger) eindeutig spezifischen Milieustrukturen zuzuordnen ist. Dies ist insofern erstaunlich, als dass beide Ansätze die Ablösung tradierter Klassen- und Schichtmodelle durch Erlebnismilieus als wesentliches Strukturmerkmal sozialer Ungleichheit postulieren. Diese theoretische Grundan-
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nahme fließt jedoch nur insofern in die Interpretation der empirischen Ergebnisse ein, als dass die stabile Zuordnung der beruflichen Position zu einer spezifischen Milieustruktur als historischer Restbestand überkommener vertikaler Strukturmuster zu werten sei. Auf diese Art und Weise lasse sich die „Entstehungsgeschichte“ der Milieustrukturen aus herkömmlichen Klassen- und Schichtmustern nachzeichnen. Die Korrespondenz zwischen Milieu- und Schichtmodellen lässt sich jedoch auf der empirischen Ebene nicht zwingend als Hinweis für historisch aufeinanderfolgende Konzepte interpretieren. Es zeigt lediglich, dass zwischen Milieu- und Schichtmodellen ein enger Zusammenhang besteht. Weiterhin bestätigt sich die Bildung als eigenständiges Merkmal sozialer Ungleichheit. Sowohl Bildung als auch berufliche Position wirken somit als milieukonstituierende Elemente – allerdings verweist die heterogene Korrespondenz mit alltagsästhetischen Präferenzen darauf, dass zwischen Bildung (kulturellem Kapital) und Einkommen (ökonomischen Kapital) konzeptionell zu unterscheiden ist. Neben diesen beiden vertikalen Elementen kristallisiert sich das Lebensalter als entscheidende horizontale Einflussgröße im Hinblick auf die Milieustruktur und den entsprechenden Präferenzordnungen aus. Die Ergebnisse von Schulze und Müller-Schneider zeigen auch, dass es zu einer Zunahme der Ästhetisierung des Alltags gekommen ist. Die ästhetische Einstellung ist zu einem Grundzug der bundesrepublikanischen Gesellschaft am Ende des 20sten Jahrhundets geworden. Der Alltag bietet immer mehr Freiräume, die mit Handlungen gestaltet werden, die schön, interessant und spannend sein können. 4.3.3 Beziehung zwischen sozialer Lage und Lebensstil 4.3.3.1 Darstellung neuerer Lebensstiluntersuchungen Im Folgenden werden ausgewählte neuere empirische Lebensstiluntersuchungen, die explizit die Beziehungen zwischen sozialer Lage und Lebensstil thematisieren, in ihrer methodischen Vorgehensweise und in ihren wesentlichen Erkenntnissen dargestellt. Im einzelnen handelt es sich dabei um die Untersuchungen von Klocke (1993); Spellerberg (1994, 1995, 1996); Konietzka (1995); Georg (1995, 1996, 1999); Otte (2004); Wahl (1997) und Schroth (1999). Klocke (1993) definiert Lebensstile als umfassende Lebenspraxis, die über die Dimensionen des expressiven, evaluativen und interaktiven Verhaltens im Sinne H.P. Müllers (1992) bestimmt ist. Hierzu zählt der Autor Alltagsästhetik, das Freizeit- und Konsumverhalten und die Wertorientierungen (Klocke 1993: 172, Kapitel 5). Seine Konzeption von Lebensstilen lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass Lebensstile sowohl als individuelle, aber gleichzeitig auch als
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sozial präformierete und kollektiv geteilte Verarbeitungs- und Aneignungsweisen gesellschaftlicher Lebensumstände gefasst werden. Die Wirkungsweise des Lebensstils wird in der gegenseitigen Abgrenzung (Distinktion) und Erkennung (Zugehörigkeit) gesehen. Klocke fasst Lebensstile als freigewählte Arrangements des eigenen Lebens auf, die gleichzeitig – in Anlehnung an Bourdieu – eine alltagsweltliche Verarbeitung der eigenen sozialen Lage und zugleich ein Konstitutionsprinzip derselben sind. Diesen Lebensarrangements sind allerdings durch materielle Ressourcen und kulturelle Fähigkeiten Grenzen gesetzt. Die Freiwilligkeit der Lebensführung ist somit begrenzt. Klocke unterstellt somit eine Koppelung von sozialen Lebensumständen und individuellen Lebensäußerungen. Auf der Datengrundlage einer eigenen Studie zum Gebrauchtwarenmarkt in Berlin/West aus dem Jahre 1989 extrahiert Klocke unter Verwendung der Clusteranalyse Lebensstiltypen14 , die er mit Hilfe der aktiv in die Clusteranalyse einbezogenen Variablen interpretiert und anhand soziodemographischer Variablen unter Verwendung einfacher Zusammenhangsmaße charakterisiert. So gelangt Klocke zu dem Ergebnis, dass die Lebensstiltypen in einem engen Zusammenhang mit den klassischen Variablen der Sozialstruktur stehen, die vertikalen Merkmale sozialer Ungleichheit weisen einen signifikanten Zusammenhang zur Lebensstiltypologie auf. Seine Ergebnisse machen deutlich, dass die alten Konzepte von Schicht15 , Berufsstatus16 und Einkommen entweder zu heterogen sind (Schicht) oder für die Ausbildung von Lebensstilen nicht die nötige Relevanz besitzen (Einkommenshöhe und Berufsstatus). Die beiden Variablen mit den stärksten Einzeleffekten auf den Lebensstil sind bei ihm Bildung und Alter. Unter Verwendung der Diskriminanzanalyse analysiert er die gemeinsamen Effekte aller soziodemographischen Merkmale auf den Lebensstil. In der Diskriminazanalyse erweisen sich auch hier die Variablen Alter und Bildung als die besten Deskriptoren eines Lebensstils. Es folgen die soziodemographischen Merkmale Berufsstatus, Geschlecht und Einkommen. Insgesamt gelangt der Autor zu dem Ergebnis, dass ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Raum der Lebensstile und dem Raum der sozialen Positionen besteht. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt auch Spellerberg (1995, 1996) im Rahmen einer Analyse über den Zusammenhang von objektiver Lebenslage und subjektiven Wohlbefinden unter Verwendung des Lebensstilkonzeptes als intervenieren14 Die
Lebensstiltypologie erfolgt auf der Basis folgender Dimensionen: alltagskulturelle Präferenzen, Freizeitverhalten, Wertorientierungen und Konsumverhalten der Befragten. 15 Klocke lehnt sich dabei an die klassischen Vorgaben von Scheuch und Daheim (1970) an. 16 Es ist anzumerken, dass Klocke aus forschungspragmatischen Gründen den Berufsstatus nur sehr einfach über fünf Ausprägungen (Arbeiter, Facharbeiter usw.) konstruiert hat.
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de Variable. Die Besonderheit bei dieser Untersuchung besteht darin, dass es die erste Lebensstilstudie innerhalb der deutschen Sozialforschung ist, die auf einer repräsentativen Befragung basiert. Spellerberg (1996: 57) definiert Lebensstile als „gruppenspezifische Formen der Alltagsorganisation und -gestaltung, die auf der Ebene des kulturellen Geschmacks und der Freizeitaktivität zum Ausdruck kommen“. Auf der Datenbasis des Wohlfahrtssurvey 1993 ermittelt Spellerberg Lebensstiltypen mit Hilfe iterativer Clusteranalysen, die sie für Ost- und Westdeutschland getrennt durchführt. Die extrahierten Lebensstilcluster werden zunächst mit den in die Analyse einbezogenen Variablen17 beschrieben und anschließend in Anlehnung an Schulze (1992) dem Hochkulturschema, dem Trivialschema und dem Spannungsschema zugeordnet. Nach erfolgter Klassifizierung werden die Lebensstilgruppen mit soziodemographischen Variablen wie Alter, Bildung, Geschlecht, Lebensphase, sozioökonomischer Status und subjektiver Schichteinstufung in Beziehung gesetzt. Sowohl unter Verwendung einfacher Zusammenhangsmaße als auch einer Diskriminanzanlyse gelangt die Autorin zum Ergebnis, dass das Alter die wichtigste Determinante der Zugehörigkeit zu einer Lebensstilgruppierung darstellt. Weitere Prädiktoren der Gruppenzugehörigkeit sind Bildung und Geschlecht, gefolgt von den klassischen vertikalen Merkmalen sozialer Ungleichheit wie sozioökonomischer Status, subjektive Schichteinstufung und Einkommen. Obwohl sich die Untersuchungen Klockes und Spellerbergs konzeptionell von dem Ansatz Schulzes unterscheiden, sind im Ergebnis dennoch deutliche Gemeinsamkeiten festzustellen. Während Schulze die Merkmale Bildung und Alter als die besten milieuindizierenden Zeichen herausstellt und entsprechend die sozialen Milieus auf Grund von Alter-Bildungsgruppen konzipiert, zeigen die Ergebnisse von Klocke und Spellerberg, dass die Merkmale Alter und Bildung wichtige Determinante für die Zugehörigkeit zu einem Lebensstiltypus darstellen. Die Ergebnisse zeigen auch, dass klassische vertikale Merkmale sozialer Ungleichheit und Lebensstile in Zusammenhang stehen, wobei der Zusammenhang der einzelnen Merkmale zu Lebensstilen unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Eine Untersuchung, die Beziehungen zwischen strukturell definierten Lebensformen und soziokulturellen Kategorien in den Mittelpunkt einer Lebensstilana17 In
Anlehnung an Müller (1992) unterscheidet sie die interaktive, expressive und evaluative Lebensstilebene. Das interaktive Verhalten wird durch verschiedene Variablen zu „Freizeitaktivitäten“, „Mediennutzung zur Information“ und „Interesse an Zeitungsinhalten“, die expressive Dimension durch Variablen zu „Musikgeschmack“, „Lektüregewohnheiten“ und die evaluative Ebene durch Items zu „Lebenszielen“ und „Wahrnehmung des Alltags“ operationalisiert.
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lyse stellt, ist die von Konietzka (1995). Nach Konietzka sollte sich die empirische Lebensstilanalyse gemäß ihrem theoretischen Anspruch, die Beziehungen von Struktur, Kultur und Handeln zu analysieren, auf die Beziehungen zwischen soziokulturellen Merkmalen und auf Grund von sozialstrukturellen Merkmalen konstruierten Gruppen richten, die die „Trägergruppen“ von Lebensstilmerkmalen darstellen. Auf der Grundlage des von ihm unterstellten sozialen Wandels vertritt der Autor allerdings die Auffassung, dass soziale Klassen nicht mehr die geeigneten Träger der Lebensstilanalyse darstellen. Obwohl er sich massiv gegen die sogenannten Entstrukturierungsansätze18 wendet und den „Strukturierungsansätzen“ der Lebensstilforschung deutlich den Vorzug gibt, wendet Konietzka sich gegen die von Bourdieu (1982) vollzogene Verbindung von sozialen Klassen mit Lebensstilen und damit auch gegen die Konstruktion des sozialen Raumes. Anstelle der sozialen Klassen schlägt er das Konzept der Lebensformen zur Analyse der Lebensstile in Relation zur Ebene der Sozialstruktur vor. Eine überzeugende Begründung für die Ersetzung der klassenbezogenen Lebensstilanalyse durch die der lebensformbezogenen Lebensstilanalyse – und damit verbunden eine Revision der Bourdieuschen Theorie – gelingt ihm nicht (siehe hierzu auch Georg 1999: 135). Analog zu Hradil (1992: 10f) betrachtet Konietzka Lebensformen - definiert als „Struktur des unmittelbaren Zusammenlebens mit anderen Menschen“ - unter handlungstheoretischen Gesichtspunkten als Voraussetzungen für Handlungen, die eindeutig von der Ebene der Ausführung von Handlungen, auf denen die Lebensstile angesiedelt sind, getrennt sind (Konietzka 1995: 170). Die „sozialstrukturellen Konstruktionen der Lebensformen“ versteht er als „potentiell lebensstilstrukturierende Kontextmerkmale“ (Konietzka 1995: 169). Damit wird in der Analyse der Frage nachgegangen, inwieweit Kontexte der Lebensform eine soziokulturell bedeutsame und zugleich handlungsrelevante Ebene der Differenzierung sozialer Ungleichheit darstellen. Konzeptionell trennt Konietzka drei Ebenen: Dies sind erstens die Strukturebene der Ressourcen, zweitens die kulturelle Ebene der Werthaltungen und Lebensziele als soziokulturelle Bedingungen des Handelns und drittens die Handlungsebene der Lebensstile. Auf der Datengrundlage der Studie „Dialog 3“ des STERN (Gruner und Jahr 1990) verbindet Konietzka mittels Korrespondenzanalysen die strukturelle Ebene sozialer Ungleichheit mit den Ebenen soziokultureller Grundorientierungen einerseits und Lebensstil- und Handlungsorientierungen andererseits. Die Korrespondenzanalyse wird als ein „Strukturfin18 Dazu
zählt Konietzka insbesondere Lüdtke, Gluchowski und die Sinus-Studie.
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dungsverfahren“ (Konietzka 1995: 203) angewendet, das im explorativen Sinn die Beziehung zwischen den zu beschreibenden Lebensformen und den diese beschreibenden Variablen der Wertorientierungen bzw. der Lebensstilmerkmale untersucht. Die Trägergruppen von Lebensstilen, die über die Lebensformen definiert sind, bildet Konietzka in verschiedenen Konstruktionsschritten durch spezifische Konfigurationen aus Haushaltsstruktur, Elternschaft, Geschlecht, Alter, Stellung zur Erwerbsarbeit und durch klassische Statuskriterien wie Einkommen und Bildung ab. Die sozialstrukturell definierten Untersuchungsgruppen fungieren als Merkmalsausprägungen des mehrdimensionalen Merkmals „Lebensform“ als zu beschreibendes Merkmal für die Korrespondenzanalyse. Entsprechend seiner Konzeption erfolgt die empirische Analyse in zwei aufeinanderbezogenen Schritten: In einem ersten Schritt wird unter Verwendung einer einfachen Korrespondenzanalyse der Zusammenhang zwischen Lebensformen und der Ebene der Wertorientierungen19 analysiert. In einem zweiten Schritt wird ebenfalls unter Verwendung der einfachen Korrespondenzanalyse die Praxisebene der Lebensstile20 in Bezug zu den Lebensformkontexten untersucht. Ein auffälliges Ergebnis der beiden Korrespondenzanalysen besteht darin, dass die Struktur der Verteilung der Untersuchungsgruppen im Feld der Lebensstile weitgehend derjenigen im Bereich der Wertorientierungen gleicht. Insgesamt gelangt er zu dem Ergebnis, dass die Ebene der Lebensformen den Bereich der Lebensstile auf spezifische Weise strukturiert. Lebensstilorientierungen werden wesentlich durch die Dimensionen des Alters und der familialen versus nichtfamilialen Lebensform differenziert. Eine Untersuchung, die explizit den Zusammenhang zwischen sozialer Lage bzw. objektiven Handlungsressourcen und Lebensstil zum Thema macht, ist die Analyse von Georg (1995, 1996, 1999). Im Zentrum seiner Untersuchung steht die Frage, in welchem Maße sich Lebensstile verschiedener Klassen unterscheiden und wie eng der Zusammenhang zwischen Lebensstilen und objektiven Merkmalen der sozialen Lage ist. Dabei geht er insbesondere der Frage nach, ob Lebensstile symbolischer Ausdruck der Differenzen zwischen vertikal unter19 Konietzka
zieht qualitativ geordnete Variablen in die Analyse ein. Es handelt sich hierbei um Items zu „Selbstverwirklichung“, „Lebensgenuss“, „Leistungsbewusstsein“, „Sicherheit“ sowie zur Bedeutung zentraler Lebensbereiche“ (Beruf, Freizeit, Familie), die auf einer dreistufigen Beurteilungsskala gemessen wurden. 20 Konietzka bezieht die Items, die im Datensatz unter der Rubrik „Lebensstil/Lebensgestaltung“ gefasst sind sowie Indikatoren aus dem Bereich „Freizeit/Urlaub“ und Indikatoren zur Messung von „Stilisierungs- und Distinktionsneigungen“ in die Analyse ein (vgl. Dialoge 3: Codebuch: 115ff, 118ff; Konietzka 1995: 224f). Die Items wurden auf einer drei- bzw. vierstufigen Beurteilungsskala gemessen.
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schiedenen Statusgruppen sind oder ob sie stärker eine horizontale Abgrenzung repräsentieren. Georg bezieht Lebensstile auf alltagsästhetische Gestaltung, wobei der Moment der Wahloption des Einzelnen mitberücksichtigt wird, in dem er die alltagsästhetische Gestaltung über rein strukturelle Determinanten hinausgehend begreift. Der Autor fasst Lebensstile als „relativ stabile, ganzheitliche und routinisierte Muster der Organisation von expressiv-ästhetischen Wahlprozessen“ (Georg 1999: 13). Analytisch werden dabei drei Dimensionen von Lebensstil unterschieden: Erstens die soziale Lage, zweitens die subjektiven Sinnstrukturen und drittens die Ebene der manifest-expressiven Stilisierungsebenen. Die Dimension der subjektiven Sinnstrukturen bezieht sich auf zwei Funktionen von Lebensstilen, nämlich Identitätsstiftung und Distinktion. Nach Georg stiften Lebensstile dadurch Identität, dass sie ein gemeinsames Zeichenreservoir bei Mitgliedern eines Lebensstilkollektivs kodieren und somit symbolische Zugehörigkeit befestigen. Auf der anderen Seite impliziert Zugehörigkeit zugleich Distinktion zu anderen Gruppen. Die auf Identität und Distinktion beruhende Funktion von Lebensstilen findet ihren Ausdruck in gemeinsamen Wertorientierungen, Einstellungen und Lebenszielen sowie in der Ablehnung der Orientierungen anderer Gruppen. Als manifest-expressive Stilisierungsebene bezeichnet Georg die Ebene, die Ausdruck der expressiv-ästhetischen Wahlprozesse ist. Es handelt sich um solche Bereiche, die Lebensstile konstituieren und sie empirisch klassifizierbar machen. Auf der Datengrundlage der SINUS-Studie „Lifestyle 1990“, einer für die alten Bundesländer repräsentativen Lebensstilstudie extrahiert Georg in einem ersten Schritt unter Verwendung der Clusteranalyse Lebensstiltypen. Diese interpretiert er zunächst mit Hilfe der aktiv in die Clusteranalyse eingegangenen Variablen der manifest-expressiven Stilisierungsebene21 sowie der zugehörigen sozialen Lage und den stiltypischen Mentalitäten. Bei der Interpretation der einzelnen Cluster orientiert er sich an der Vorgehensweise von Lüdtke (1989), der zunächst Cluster durch die aktiv einbezogenen Variablen der „Performanzebene“ charakterisiert und dann mit den den Clustern zugrundeliegenden Merkmalen der sozialen Lage und den Mentalitäten verbindet. In einem zweiten Schritt untersucht Georg die Bedeutsamkeit unterschiedlicher Merkmale der sozialen Lage für die Lebensstilzugehörigkeit mit Hilfe der multinomialen logistischen 21 In
die Clusteranalyse gehen Faktorwerte der Dimensionen Freizeitaktivitäten, Wohnstil, Kleidungsstil, Konsumstil, Präferenzen im musikalischen Bereich, Leseinteressen, Vorlieben im Bereich des Essens und Trinkens ein.
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Regression.22 Georg gelangt zu dem Ergebnis, dass das Alter sowohl als einzelne Variable als auch bezüglich des partialisierten Effekts die größte Bedeutung für die Zugehörigkeit zu einem Lebensstiltypus hat, gefolgt von Geschlecht und der Familienform „verheiratet und zusammenlebend mit Kind“. Die Bildung steht als einzelne Variable an dritter Stelle, als partialisierte Variable sogar nur auf dem vierten Platz. Dies führt Georg darauf zurück, dass Bildung und Berufsstatus hoch miteinander korrelieren und die Netto-Effekte beider Variablen im multivariaten Modell sich deshalb verringern. Diese Ergebnisse interpretiert Georg dementsprechend, dass Lebensstile durchaus von vertikal verteilten Handlungsressourcen beeinflusst werden, diese jedoch durch horizontale Merkmale der sozialen Lage, die sich auf eine zeitliche Perspektive sowie auf eine Strukturierung durch das Geschlecht beziehen, erweitert werden müssen. Auf die Bedeutung horizontaler Merkmale der sozialen Lage für die Generierung unterschiedlicher Lebensstile weisen auch die Ergebnisse der Untersuchung von Wahl (1997) hin. In der Lebensstiluntersuchung von Wahl geht es explizit um die Frage, ob Lebensstile den Fortbestand von Klassenstrukturen indizieren oder vielmehr ausgeprägte Differenzierungserscheinungen der Gesellschaft widerspiegeln. Unter Lebensstile fasst sie beobachtbare, alltägliche Verhaltenssyndrome der Menschen. Zur Beantwortung der Frage, ob unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen mit der vertikalen Klassen- und Schichtstruktur typische Verhaltensweisen korrespondieren, verwendet sie, genauso wie Georg, eine sequentielle Vorgehensweise. In einem ersten Schritt extrahiert Wahl auf der Datenbasis des Media-Mikrozensus 1989 unter Anwendung der Clusteranalyse sechs Lebensstilgruppen.23 In einem zweiten Schritt geht sie dann der Frage nach, ob die ermittelte Pluralität von Lebensstilen den Fortbestand von Klassenstrukturen indiziert oder vielmehr als Beleg für ausgeprägte Differenzierungserscheinungen gewertet werden kann. Dazu verwendet die Autorin die logistische Regression, wobei als Prädiktorvariablen die berufliche Stellung, Bildung, Haushaltseinkommen, weitere sozialstrukturelle Merkmale sowie Indikatoren für Wertorientierungen in die Analyse eingehen. Wahl gelangt zu dem Ergebnis, dass der Lebensstil sowohl von vertikalen als auch horizontalen Dif22 Die
multinomiale logistische Regression ist ein Spezialfall der multivariaten nicht-linearen Regressionsanalyse. Die Koeffizienten lassen sich daher in Analogie zur herkömmlichen linearen Regression interpretieren. Andererseits lässt sich die multinomiale logistische Regression als logistische Diskriminanzanalyse auffassen, womit die Ähnlichkeit dieses Ansatzes zu der statistischen Vorgehensweise von Lüdtke (1989) deutlich wird. 23 Das Lebensstilkonzept wird operationalisiert durch Items zur Messung alltäglicher Handlungen wie Nahrungsmittelkonsum, Freizeitverhalten sowie Präferenzen bei der Wohnungsausstattung.
4.3 Lebensstile als Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen?
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ferenzierungsfaktoren bestimmt ist: In vertikaler Richtung kommt der Bildung und dem Einkommen und in horizontaler Richtung der Stellung im Lebenslauf eine zentrale Differenzierungswirkung zu. Es lassen sich zum einen Lebensstilgruppierungen hierarchisch anordnen, die sich in Anlehnung an Bourdieu auf die drei Klassen des sozialen Raumes verteilen. Darüber hinaus existieren auf den drei hierarchisch angeordneten Ebenen des sozialen Raumes Lebensstilgruppen nebeneinander, die sich nicht in einer klaren Rangordnung in Bezug auf Bildung und Einkommen anordnen lassen, obwohl sie sich voneinander unterscheiden. Zwischen diesen vertikal auf gleichen Stufen stehenden Lebensstilgruppierungen verläuft eine Grenze in Abhängigkeit von der Stellung im Lebenslauf. Insgesamt resümiert Wahl, dass trotz horizontaler Differenzierungen, die durch die Stellung im Lebenslauf ausgedrückt werden, weiterhin sozioökonomische Merkmale mit spezifischen Verhaltensmustern einhergehen. Lebensstile sind nach wie vor typischer Ausdruck der sozioökonomischen Verhältnisse und belegen den Fortbestand der Klassenstrukturen. Otte (1997, 2004) belegt, dass Klassen und Lebensstil nicht unabhängig voneinander, aber auch nicht deckungsgleich sind. Auf der Datengrundlage des Wohlfahrtssurveys 1993 extrahiert er unter Verwendung clusteranalytischer Verfahren Lebensstilgruppierungen24 für Westdeutschland, die auffällig stark mit den Erlebnismilieus von Schulze (1992) korrespondieren. Die Lebensstilgruppen werden mit der bereits oben ausgeführten Modifikation des Klassenschemas von Goldthorpe (Erikson und Goldthorpe 1992) durch W. Müller (1996) kreuztabelliert und die Verteilung der Lebensstile innerhalb der Klassen dargestellt. Als Ergebnis ist Folgendes festzuhalten: In den drei Dienstklassenfraktionen leben mehr als zwei Drittel der Mitglieder Lebensstile, die im Bereich Niveau, Selbstverwirklichung und Sport anzusiedeln sind, während in diesen Klassen Integrations- und Harmoniestile stark unterrepräsentiert sind. Als besonders markant stellt sich dabei der Zusammenhang der sozialen Dienstklasse mit dem Selbstverwirklichungsstil heraus. Ferner leben überproportional viele „ausführende Nichtmanuelle“ einen passiven Unterhaltungs- oder einen Harmoniestil; Arbeiter leben nur selten einen Niveau- oder Selbstverwirklichungsstil, und das Kleinbürgertum ist überdurchschnittlich hoch beim Niveaustil vertreten. Die Untersuchungen von Wahl (1997) und Otte (2004) machen deutlich, dass Unterschiede in Verhaltens- und Geschmacksäußerungen weiterhin mit Merkmalen vertikaler Ungleichheit korrespondieren. Die Zusammenhänge von sozia24 Otte
führt die Clusteranalysen auf der Basis der Geschmacks- und Verhaltensindikatoren wie Freizeitaktivitäten, Interesse an Inhalten der Tageszeitung, Musikgeschmack, Fernsehinteressen, Literaturpräferenzen, Kleidungsstil und Einrichtungsstil der Wohnung durch.
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
len Schichten und Lebensstilen sind jedoch zwischen den einzelnen Schichten unterschiedlich stark ausgeprägt. Darauf weisen insbesondere die Ergebnisse einer Untersuchung von Schroth (1999) hin. Die theoretische Grundlage dieser Untersuchung bildet das mehrdimensionale Konzept sozialer Schichtung von Theodor Geiger (1932). Dieses Konzept vertritt in der Diskussion um die Auflösung von Klassen und Schichten eine Position, die an der vertikalen Struktur sozialer Ungleichheit festhält, ohne aber horizontale Disparitäten auszuklammern. Datengrundlage der Analysen sind der Wohlfahrtssurvey 1993 sowie der ALLBUS 1998. Schroth ermittelt unter Verwendung von Korrespondenzanalysen die Beziehung zwischen sozialstrukturellen Merkmalen und Lebensstilen.25 Als Ergebnis stellt sie einen Zusammenhang zwischen Geschlecht, Alter, Schulbildung und Soziallage auf der einen und Lebensstilmerkmalen auf der anderen Seite fest, wobei Alter und Bildung mit Lebensstilmerkmalen deutlich stärker im Zusammenhang stehen als das Geschlecht. Es können lediglich bei Personen mit mittlerer und niedriger Bildung geschlechtsspezifische Lebensstilunterschiede ermittelt werden. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf alltägliche Verhaltensweisen und Geschmacksmustern sind bei Personen mit höheren Bildungsabschlüssen nicht mehr erkennbar. Insgesamt tritt der Einfluss der Bildung auf die Lebensstildifferenzen am deutlichsten hervor. Der Zusammenhang zwischen Bildung und den Lebensstilmerkmalen wird durch die Hinzunahme der Schichtungsvariablen dahingehend abgeschwächt, dass lediglich zwischen gehobenen und hohen gegenüber unteren Soziallagen Lebensstildifferenzen ermittelt werden. Personen der unteren Schichtungskategorien siedeln dabei überdurchschnittlich oft ihre Geschmacksvorlieben im spannungs- und populärkulturellen Bereich an, während Personen, die den oberen Schichtungsmerkmalen angehören, bezüglich ihres alltagsästhetischen Geschmacks und ihrer Freizeitaktivitäten zum gehobenen, kulturell elaborierten Bereich neigen. In den breiten Mittelschichten sind die Zusammenhänge zwischen objektiven Soziallagen und Lebensstilen nicht so stark ausgeprägt. Unter Verwendung von Mittelwert- und Kovarianzstrukturmodellen analysiert Schroth den Einfluss des latenten Konstrukts „vertikale Ungleichheit“ auf verschiedene Konstrukte zum Bereich „Lebensstilgestaltung“, die über zuvor gebildete additive Indizes zu Freizeitverhalten, Lektüregewohnheiten und Fernsehgewohnheiten erfasst werden. Die „vertikale Ungleichheit“ bildet sie durch eine in geordnete Kategorien zusammengefassten Skala zur Messung des sozioöko25 Die
Zeilenausprägungen werden aus den Lebensstilmerkmalen und die jeweiligen Spaltenausprägungen durch die Kombinationen von erstens Geschlecht mit Alter, zweitens Geschlecht mit Bildung und drittens den Schichtungsvariablen gebildet.
4.3 Lebensstile als Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen?
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nomischen Status nach Hoffmeyer-Zlotnik (1993) sowie durch eine in geordnete Kategorien zusammengefasste Skala des berufsbezogenen kulturellen Kapitals nach Bohrnhard und Voges (1995) ab. Sie ermittelt einen Einfluss der vertikalen Ungleichheit auf die Lebensstilausprägungen der gehobenen Kultur und der einfachen Unterhaltungskultur. Je höher die Positionen im vertikalen Ungleichheitsgefüge der befragten Personen ausfallen, desto eher liegen die Lebensstilausprägungen der befragten Personen im Bereich der gehobenen Kultur. Je niedriger die sozialstrukturellen Positionen sind, desto eher liegen die alltäglichen Verhaltensweisen im Bereich der einfachen Unterhaltungskultur. Der Zusammenhang zwischen vertikaler Ungleichheit und dem Spannungsschema ist nicht besonders hoch. Schroth resümiert aus diesen Ergebnissen, dass eindeutig die Individualisierungsthese zurückgewiesen werden kann, da sich ein deutlicher Einfluss des Konstruktes vertikaler Ungleichheit auf die Form der Lebensstilgestaltungen in den beiden Hauptdimensionen nachweisen lässt.
4.3.3.2 Trennung zwischen ökonomischen und kulturellen Ressourcen Aus den Ergebnissen der bisher vorgestellen Lebensstiluntersuchungen ist zu schließen, dass die einzelnen vertikalen Merkmale sozialer Ungleichheit in unterschiedlicher Weise mit Lebensstilen zusammenhängen. In fast allen aufgezeigten Untersuchungen wird dem kulturellen Kapital eine größere Bedeutung als dem ökonomischen Kapital zugeschrieben. Schroth (1999) zeigt auf, dass sich Lebensstilunterschiede sowohl auf kulturelle als auch auf ökonomische Ressourcen zurückführen lassen. Sie gelangt im Rahmen ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Lebensstilausprägungen zwar in deutlichem Zusammenhang mit verfügbaren ökonomischen Ressourcen stehen, jedoch stärker von der kulturellen Ressource der Schulbildung und den soziodemographischen Merkmalen des Alters und des Geschlechts geprägt werden. Daraus zieht sie die Schlussfolgerung, dass durch die Übermittlung der kulturellen Kompetenzen der schulischen Bildung alltagsästhetische Verhaltensweisen maßgeblicher beeinflusst werden. Lebensstile sind hauptsächlich von kulturellen Ressourcen abhängig, wobei die ökonomischen zwar von geringerer, aber keineswegs zu vernachlässigender Bedeutung sind. Schroth sieht darin eine Bestätigung der von Bourdieu betonten Rolle der Bildung als ein neben dem ökonomischen Kapital hauptsächliches Medium zur Reproduktion sozialer Differenzierungen und zur Reproduktion der Klassenstruktur. Georg (1999) zeigt unterschiedliche Einflüsse anhand von Skalen zur Messung des beruflichen Prestiges und zur Messung des kulturellen und ökonomischen
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
Kapitals auf lebensstilgenerierende Mechanismen. Im Rahmen seiner Untersuchung spezifiziert er zwei Modelle, die sich lediglich in der Operationalisierung des beruflichen Status unterscheiden. Im ersten Modell kodiert er den beruflichen Status bezüglich der Autonomie beruflichen Handelns nach einem Vorschlag von Hoffmeyer-Zlotnik (1993). Im zweiten Modell wählt er eine Skalierung, die auf Grund von Bourdieus Berufsgruppenzuordnung entwickelt wurde und kulturelle und ökonomische Dimensionen des beruflichen Status unterscheidet (De Graaf u.a. 1989). In Anlehnung an die Unterscheidung in „asketischen Aristrokratismus“ und „Sinn für Luxus“ von Bourdieu (1982) entwickelt er zwei Messmodelle zur Messung von Kulturkonsum und Neigung zum Luxuskonsum. Unter Verwendung von Mittelwert- und Kovarianzstrukturmodellen spezifiziert er zunächst ein Modell, in denen die o.g. prestigebezogene Berufseinteilung auf einer Skala als unabhängige Variable fungiert. Als zweites Modell ersetzt er diese Variable durch die zwei Skalen, die auf Grund von Bourdieus Berufsgruppenzuordnung entwickelten wurden. Auf einer Skala wird der kulturelle Berufsstatus und auf der zweiten Skala der ökonomische Berufsstatus gemessen. Georg gelangt zu dem Ergebnis, dass auf Grund der Anpassungsindizes das zweite Modell vorzuziehen ist. Daraus schließt er dann, dass eine Kategorisierung von Berufen unter Berücksichtigung des ökonomischen und kulturellen Kapitals zumindest mit der Neigung zum Hochkulturkonsum und der Neigung zum Luxuskonsum in einem stärkeren Zusammenhang steht als mit einer Einteilung bezüglich der Autonomie des beruflichen Handelns, das diese Unterscheidung nicht vornimmt. Die Ergebnisse der Mittelwert- und Kovarianzstrukturanalyse von Georg zeigen, dass die Bildung den stärksten Effekt auf kulturelle Orientierungen ausübt. Unabhängig von der Bildung hat der nach der Autonomie des beruflichen Handelns kodierte Berufsstatus einen Einfluss auf die Ausübung kulturbezogener Freizeitaktivitäten. Betrachtet man jedoch den Effekt des Berufs in dem Modell, das eine ökonomische und kulturelle Statusdimension enthält, so wird deutlich, dass dieser Effekt nur festzustellen ist, wenn der Beruf mit hohen kulturellen Ressourcen verbunden ist. Berufe mit hohen ökonomischen Ressourcen haben keinen Einfluss auf die Ausübung dieser Freizeitdimension. Innerhalb der Berufskodierung entlang der Autonomie des Handelns wurde somit verdeckt, dass ein hoher beruflicher Status nur dann eine Neigung zu kulturbezogenen Freizeitaktivitäten unabhängig von der Schulbildung entfaltet, wenn dieser Beruf mit hohem kulturellen Kapital verbunden ist. Die Neigung zum Luxuskonsum hängt in beiden Modellen am stärksten vom Einkommen ab. Während jedoch im ersten Modell der berufliche Status nur einen geringen Einfluss ausübt, differenziert sich das Bild wiederum bei der Zerlegung in eine kulturelle und ökonomische
4.3 Lebensstile als Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen?
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Statusdimension dergestalt, dass sich der Effekt der ökonomischen Dimension im Vergleich zum ersten Modell erhöht. Anhand der Ergebnisse wird deutlich, dass die Verwendung nur einer Statusdimension differentielle Effekte verdeckt, die entweder auf kulturelle oder ökonomische Ressourcen zurückzuführen sind. Nachdem Georg die Wirkung spezifischer Merkmale für alle Lebensstile beschreibt, geht er in einem weiteren Schritt auf die Erklärung dieser Merkmale für einzelne Entscheidungsalternativen ein. Die Bedeutung der Prädiktoren für die einzelnen Lebensstilalternativen wird anhand der Effektkoeffizienten26 interpretiert. Zu interessanten Ergebnissen gelangt er bei den Gegenüberstellungen von Lebensstilalternativen, die am Rande des von Bourdieu beschriebenen sozialen Raumes liegen, wie bei der Gegenüberstellung der beiden Lebensstile mit dem höchsten Status. Es handelt sich dabei um die Alternativen „kulturbezogener asketischer Lebensstil“ gegenüber dem Lebensstil „Selbstdarstellung, Genuss und Avantgardismus“. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass für den kulturbezogenen Lebensstil insbesondere eine höhere Schulbildung charakteristisch ist, während Protagonisten des Lebensstils „Selbstdarstellung, Genuss und Avantgardismus“ über höheres Einkommen verfügen (vgl. Georg 1999: 223f). Bei einer Gegenüberstellung des auf Selbstdarstellung, Genuss und Avantgardismus abzielenden Lebenstils und dem zurückhaltend-passiven Lebensstil lassen sich deutlich Unterschiede entlang der klassischen Statusmerkmale erkennen, da der zuerst genannte Lebensstil mit höheren Bildungsabschlüssen, höherem Berufsstatus und höherem Einkommen verbunden ist (vgl. Georg 1999: 224f). Diese Unterschiede verdeutlichen, dass Gegensätze zwischen einzelnen Lebensstilen klar als Ressourcenunterschiede interpretiert werden können. Jedoch zeigen die Ergebnisse von Georg auch, dass sich in den breiten mittleren Statuslagen horizontale Differenzierungen ergeben, die teilweise quer zu diesen vertikalen Unterschieden verlaufen. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass bei der Ermittlung von Zusammenhängen zwischen vertikalen Merkmalen sozialer Ungleichheit und Lebensstilen nicht die soziale Schicht als eindimensionale Kategorie verwendet, sondern eine Trennung zwischen den einzelnen Schichtdimensionen vorgenommen werden sollte. Ökonomische und kulturelle Ressourcen sollten also zur Erklärung von Lebensstilunterschieden getrennt behandelt werden.
26 Die
Effekte sind Multiplikatoren für das in der Referenzgruppe beobachtete Verhältnis (odds-ratio), die erste unnd nicht die zweite Alternative im jeweiligen Lebensstilkontrast zu wählen.
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
4.3.3.3 Zusammenfassende Ergebnisse der neueren Untersuchungen Bei der Betrachtung der hier vorgestellten Befunde wird sichtbar, dass Lebensstile nicht das Produkt unabhängiger Subjekte sind. Lebensstile sind nicht losgelöst von den sozialen Positionen und den objektiven Lebensbedingungen zu verstehen, sondern werden innerhalb von sozialen Strukturen hervorgebracht, die nicht überschritten werden können. Insbesondere die Ergebnisse der neueren Lebensstiluntersuchungen von Otte (1997, 2004), Wahl (1997), Georg (1999) und Schroth (1999) belegen, dass Unterschiede in Verhaltens- und Geschmacksäußerungen von Merkmalen vertikaler Ungleichheit bestimmt werden. Nach Wahl (1997) kommt dem kulturellen Kapital (Bildung) und dem ökonomischen Kapital (Einkommen) zentrale Differenzierungswirkung zu. Darüber hinaus zeigt Wahl (1997), dass sich Lebensstile in Anlehnung an Bourdieu auf die drei Klassen des sozialen Raums verteilen. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt Klocke (1993), der in dieser Anordnung eine Bestätigung für den Klassenhabitus sieht. Bei Schroth (1999) entspricht die Anordnung der Lebensstile entlang der Kultursegmente „etablierte Kultur“, „Spannungskultur“ und „populäre, traditionelle Kultur“ in grober Weise der sozialen Rangordnung. Eine hierarchische Anordung von Lebensstilen lassen sich auch in älteren Lebensstiluntersuchungen finden. So verortet Gluchowski (1987) die zuvor extrahierten Milieutypen graphisch in ein Koordinatensystem, deren vertikale Achse das Merkmal Schichtzugehörigkeit bildet. Auch die qualitative Untersuchung des SINUS-Instituts, die auf den Bereich der Marktsegmentierung abzielt, gelangt auf der Datenbasis aus dem Jahre 1982 zu Milieus, die sich entlang einer Schichtdimension hierarchisch anorden lassen. Insgesamt belegen die Befunde der Lebensstilforschung, dass klassische Schichtfaktoren, insbesondere die Bildung (Schulze 1992; Hartmann 1999), aber auch der Beruf (Spellerberg 1996) und die ökonomischen Ressourcen (Schroth 1999) Lebensstile signifikant beeinflussen (siehe hierzu auch die hier nicht weiter explizit aufgeführten Beiträge von Blasius und Winkler (1989); Abel und Rütten (1994); Kleining (1995); Pickel (1995) und Steinrücke (1996)). Die Befunde zeigen aber auch, dass klassiche Schichten bezüglich der Lebensstile ebensowenig wie Lebensstilgruppierungen bezüglich der Schichtindikatoren keine homogenen Gebilde sind. Vielmehr können einzelne Lebensstile sich über mehrere Schichten verteilen und in einer Schicht verschiedene Lebensstile gelebt werden (Klocke 1993; Otte 2004; Wahl 1997). Dies betrifft insbesondere die breite Mittelschicht. So zeigt die Untersuchung von Schroth (1999), dass die Unterschiede im Lebensstil lediglich zwischen Personen festzustellen sind, die sich an den beiden Endpolen der Schichtungsdimension befinden, also zwischen
4.3 Lebensstile als Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen?
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denjenigen mit niedriger Bildung, niedrigem sozio-ökonomischem Status, geringem kulturellem Kapital und niedrigem Einkommen auf der einen Seite und den Personen, denen bei den genannten Merkmalen die höchsten Ausprägungswerte zukommen. In einer Reihe weiterer Lebensstiluntersuchungen lassen sich für die mittleren Statuslagen ebenfalls keine typischen Lebensstilmuster, die in einem direkten Zusammenhang mit vertikalen Merkmalen stehen, ermitteln. So scheint in diesen Gruppen eine Pluralität der Lebensstile bei ähnlicher Ressourcenausstattung zu herrschen (Klocke 1993; Abel und Rütten 1994; Kirchberg 1994; Spellerberg 1996; Steinrücke 1996; Otte 2004; Wahl 1997; Georg 1999). Auch nach den Ergebnissen von Wahl (1997) existieren auf den drei hierarchisch angeordneten Ebenen des sozialen Raumes Lebensstilgruppen nebeneinander, die sich nicht in einer klaren Rangordnung in Bezug auf vertikale Merkmale sozialer Ungleichheit anordnen lassen, obwohl sie sich voneinander unterscheiden. Zwischen diesen vertikal auf gleichen Stufen stehenden Lebensstilgruppierungen verläuft eine Grenze in Abhängigkeit von der Stellung im Lebenslauf. Insgesamt resümiert Wahl, dass trotz horizontaler Differenzierungen, die durch die Stellung im Lebenslauf ausgedrückt werden, weiterhin sozioökonomische Merkmale mit spezifischen Verhaltensmustern einhergehen. Nach Wahl sind Lebensstile nach wie vor typischer Ausdruck der sozioökonomischen Verhältnisse, worin sie den Fortbestand der Klassenstrukturen belegt sieht. Bei der Betrachtung der Ergebnisse von Lebensstiluntersuchungen wird deutlich, dass der Einfluss vertikaler Merkmale sozialer Ungleichheit auf Lebensstile davon abhängig ist, welches Klassen- oder Schichtkonzept als erklärende Variable verwendet wird, wie Klasse bzw. Schicht operationalisiert wird oder ob Merkmale vertikaler Ungleichheit einzeln in die Analyse einfließen. Klocke (1993) zeigt, dass die alten Konzepte von Schicht, Berufsstatus und Einkommen entweder zu heterogen sind (Schicht) oder für die Ausbildung von Lebensstilen nicht die nötige Relevanz besitzen (Einkommenshöhe und Berufsstatus). In allen Lebensstiluntersuchungen wird von den vertikalen Dimensionen sozialer Ungleichheit dem kulturellen Kapital (Bildung) ein stärkerer Einfluss als dem ökonomischen Kapital (Einkommen) zugeschrieben. Georg (1999) zeigt Unterschiede bezüglich des Einflusses des beruflichen Prestiges sowie des kulturellen und ökonomischen Kapitals auf lebensstilgenerierende Mechanismen. Auf Grund seiner Ergebnisse kann geschlossen werden, dass eine Kategorisierung von Berufen unter Berücksichtigung des in einer Berufsposition enthaltenen ökonomischen und kulturellen Kapitals zumindest mit der Neigung zum Hochkulturkonsum und der Neigung zum Luxuskonsum in einem stärkeren Zusammenhang steht als mit einer Einteilung nach dem Berufsprestige, die diese Unterscheidung nicht
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
vornimmt. Schroth (1999) zeigt, dass sich Lebensstilunterschiede sowohl auf kulturelle als auch auf ökonomische Ressourcen zurückführen lassen. Lebensstile sind hauptsächlich von kulturellen Ressourcen abhängig, wobei die ökonomischen Ressourcen zwar von geringerer, aber keineswegs zu vernachlässigender Bedeutung sind. Fast alle hier vorgestellten Lebensstilstudien weisen einen starken Einfluss der Bildung auf den Lebensstil nach: In der Untersuchung von Schulze (1992) ist die Bildung von großer Bedeutung für die Milieuzugehörigkeit. Klocke (1993) gelangt zu dem Ergebnis, dass die Bildung den stärksten Einfluss auf den Lebensstil ausübt. In der Untersuchung von Georg (1999) steht das Bildungsniveau als einzelne Variable an dritter Stelle, während es als partialisierte Variable an die vierte Stelle zurückfällt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Variablen Bildung und Berufsposition hoch korrelieren und damit in einem multivariaten Modell der Effekt beider Variablen verringert wird. Bei der Untersuchung von Spellerberg (1996) stellt die Bildung die zweitwichtigste Determinante von Lebensstilen dar. Schroth (1999) zeigt, dass der Zusammenhang zwischen den Lebensstilmerkmalen und Bildung dahingehend abgeschwächt wird, dass lediglich zwischen hohen und niedrigen Soziallagen Lebensstildifferenzen ermittelt werden konnten. In den großen gesellschaftlichen Mittelschichten sind die Zusammenhänge zwischen Bildung und Lebensstil nicht allzu stark. Mit Blick auf die Ergebnisse der empirischen Lebensstilstudien wird deutlich, dass neben der Bildung dem Lebensalter sowohl als einzelne Variable als auch bezüglich des partialisierten Effekts eine hohe Bedeutung für die Erklärung des Lebensstils bzw. der Zugehörigkeit zu einer Lebensstilgruppe zukommt. Dem Lebensalter kommen in Bezug auf die Lebensstilwahl zwei Bedeutungen zu: Zum einen gibt das Alter Auskunft über Unterschiede in Bezug auf den Wandel der Verfügung über Ressourcen in den verschiedenen Phasen des Lebensszyklus. Zum anderen kommt dem Lebensalter in seiner Dimension als Indikator für die Kohortenzugehörigkeit eine besondere Bedeutung zu. Einerseits wirken bestimmte Lebensstile auf Grund kultureller Zeitströmungen nicht auf jedes Alter ansprechend, andererseits werden bestimmte Lebensstile aus physischen Gründen nicht für alle Altersgruppen in Frage kommen (vgl. H.P. Müller 1989: 57). So stellt z.B. Schulze (1992) für verschiedene Generationen unterschiedliche alltagsästhetische Schemata heraus. In seiner Untersuchung steht das Alter – neben der Bildung – in einem starken Zusammenhang mit der Milieuzugehörigkeit. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt auch Hartmann (1999). Die Ergebnisse der multiplen Regression zeigen ebenfalls, dass das Trivialschema eher bei den älteren Befragten, das Spannungsschema eher bei den jüngeren Befragten zu
4.3 Lebensstile als Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen?
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finden ist und die Neigung zum Hochkulturschema mit zunehmendem Alter zunimmt. In der Untersuchung von Spellerberg (1996) stellt im Rahmen eines diskriminanzanalytischen Modells das Alter die bedeutenste Determinante der Lebensstilzugehörigkeit dar. Auch in der Untersuchung von Georg (1999), ebenso wie in der hier nicht explizit aufgeführten Hamburger Lebensstilstudie von Giegler (1994), ist das Alter der bedeutsamste Indikator der sozialen Lage für die Vorhersage des Lebensstils. Im Unterschied zu den Merkmalen Bildung und Alter wird dem Geschlecht in den Lebensstiluntersuchungen eine untergeordnete Rolle zur Erklärung von Lebensstilunterschieden zugestanden. Eine Ausnahme hiervon bildet die Untersuchung Gieglers (1994), der das Geschlecht zur Milieusegmentierung auf Grund der noch stärkeren Wahrnehmbarkeit im Vergleich zu den Merkmalen Alter und Bildung als ähnlich bedeutend erachtet. Empirische Lebensstiluntersuchungen, die das Geschlecht als eine Determinante für die Zugehörigkeit zu einer Lebensstilgruppe einbezogen haben wie beispielsweise Georg (1999), gelangen zu dem Ergebnis, dass das Geschlecht als Determinante von Lebenstilen nicht zu vernachlässigen ist. Bei Klocke (1993) stehen die Merkmale Alter und Geschlecht in einem etwa gleich starken Zusammenhang mit den Lebensstilgruppen. In Georgs Untersuchung steht das Geschlecht bezüglich der Erklärungskraft für unterschiedliche Lebensstile als einzelne Variable an vierter Stelle, als partialisierte Variable sogar an zweiter Stelle. Damit scheinen geschlechtsspezifische Erfahrungen eine strukturierende Bedeutung für Lebensstile zu besitzen, die teilweise quer zu den klassischen Merkmalen sozialer Ungleichheit liegen. Die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht stellt eine Grundlage für homogene Lebenserfahrungen sowie für Handlungspotentiale dar, die in die Ausbildung eines Lebensstils mit einfließen. Schroth (1999) konnte allerdings lediglich bei Personen mit mittlerer und niedriger Bildung geschlechtsspezifische Lebensstilunterschiede ermitteln. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf alltägliche Verhaltensweisen und Geschmacksmustern sind bei Personen mit höheren Bildungsabschlüssen nicht mehr erkennbar. Erwähnt werden muss aber auch, dass die Erklärungskraft der einzelnen unabhängigen Variablen für die Zugehörigkeit zu einer Lebensstilgruppierung zwischen den einzelnen Clustern sehr stark differiert. Die Interpretation der Ergebnisse bezieht sich auf die Erklärungskraft der einzelnen Merkmale über alle Lebensstilgruppen. Daher ist davon auszugehen, dass die einzelnen extrahierten Lebensstilcluster durch eine Vielzahl verschiedener sozialstruktureller Merkmale in unterschiedlichem Maße determiniert werden, sodass nicht zu erwarten ist, ein einheitliches Bild über die Strukturierung des Raumes der Lebenssti-
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
le zu erhalten. Georg (1999) verdeutlicht anhand einer Gegenüberstellung des Lebensstils „Selbstdarstellung, Genuss und Avantgardismus“, der zu den statushöchsten Lebensstilen zählt, und des statusniedrigsten „zurückhaltend-passiven Lebensstils“, dass sich bei der Betrachtung der Regressionskoeffizienten für die einzelnen Alternativen die Interpretation der Erklärungskoeffizienten insgesamt deutlich relativiert. Die Ergebnisse der Lebensstiluntersuchungen zeigen auch, dass die Lebenstilgestaltung keine reine Reflexion der sozialen Lage ist. Ohne die Merkmale objektiver Lebensbedingungen zu vernachlässigen, weisen die Ergebnisse auch auf einen Raum individueller Wahlmöglichkeiten hin. Die Möglichkeit, individuelle Präferenzen auszubilden, führen auch bei gleicher Ressourcenausstattung zu unterschiedlicher Ressourcennutzung und zu entsprechend unterschiedlichen Lebensstilen. Die Ergebnisse weisen einerseits darauf hin, dass sich insbesondere in den mittleren Statuslagen Lebensstile bei ähnlicher Ressourcenlage nicht decken müssen, sondern in realisierter Form und als spezifisches Ergebnis subjektiver Präferenzen in einer Fülle von Wahlmöglichkeiten zum Ausdruck kommen (siehe Schroth 1999). Damit weisen die Ergebnisse darauf hin, dass der Lebensstil zwar einerseits von Restriktionen und Ressourcen der sozialen Position abhängig ist, auf der anderen Seite aber auch subjektiven Wertvorstellungen und Valenzen eines Akteurs bei der Wahl eines Lebensstils eine entscheidende Bedeutung zukommt (siehe Klocke 1993, Georg 1999). Lebensstile sind durchaus nicht Ausdruck einer mechanistischen Übersetzung von Ressourcen in Präferenzen, sondern sie sind im starken Maße auch präferenzgesteuert (siehe Lüdtke 1989).
4.4 Lebensstile als Ergänzung der Sozialstrukturanalyse
133
4.4 Lebensstile als Ergänzung der traditionellen Sozialstrukturanalyse Im Folgenden werden Studien, die die Rolle der Lebenssstile als eigenständigen Beitrag zur Erklärung sozialer Differenzierungen thematisieren, vorgestellt. In diesen Studien werden Lebensstile bzw. Lebensstiltypologien als erklärende Variable für Einstellungen und Verhalten behandelt. Im Zentrum steht dabei die Frage, ob die Bildung eigenständiger soziokultureller Klassen Verhaltensweisen, Einstellungen und Wertorientierungen gegenüber herkömmlichen Klassen und Schichten besser erklären können. Studien, die die prädiktive Leistung von Lebensstiltypologien thematisieren, stehen entweder in der Tradition von Forschungen, die überprüfen, ob Lebensstile die traditionellen Schichten und Klassen abgelöst haben oder ob Lebensstile eine sinnvolle Ergänzung der traditionellen Klassen- und Schichtmodelle darstellen. Lebensstile stellen nur dann, wenn sie sich als Explanans bewähren können, wenn sie also in der Lage sind, einen eigenständigen Beitrag zur Erklärung sozialer Differenzierung beizusteuern, eine sinnvolle Erweiterung der traditionellen Sozialstrukturanalyse dar (vgl. H.P. Müller 1992). Eine Untersuchung, die das Lebensstilkonzept auf ihren empirischen Erklärungsverhalt hin untersucht, ist die bereits zuvor schon erwähnte Analyse von Otte (1997, 2004). Dieser testet die auf der Basis des Wohlfahrtssurveys 1993 extrahierten Lebensstilcluster gegenüber den Klassen, die er auf Grund der modifizierten Variante des Goldthorpe’schen Klassenschemas durch W. Müller (1996) erstellt, bezüglich ihrer Erklärungskraft in Hinblick auf die individuelle Parteipräferenz.27 Dabei verwendet Otte die logistische Regression, bei der sowohl die Lebensstiltypen als auch die Klassen als unabhängige Variablen fungieren, die Parteipräferenz als abhängige kategoriale Variable. Otte gelangt zu dem Ergebnis, dass das Lebensstilkonzept bei der Erklärung der Präferenz für die Partei DIE GRÜNEN sowie der Wahlenthaltung dem Klassenkonzept überlegen ist. Deutlich stärkere Erklärungskraft hat das Klassenkonzept bei den Präferenzen für SPD und CDU. Insgesamt ist festzuhalten, dass die beiden Sozialstrukturkonzepte durchaus eigenständige Erklärungsbeiträge für die individuelle Parteipräferenz erbringen. Auch die Untersuchung von Schroth (1999) zielt auf die Frage, ob Lebensstile eine sinnvolle Ergänzung der traditionellen Sozialstrukturanalyse darstellen. Schroth untersucht, ob Lebensstile die sozialen Differenzierungen besser 27 Parteipräferenz
wird dabei als Parteiidentifikation operationalisiert.
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
prognostizieren können als traditionelle Sozialstrukturschemata. Unter Verwendung von Mittelwert- und Kovarianzstrukturmodellen analysiert Schroth die Eigenständigkeit der Lebensstile für die Erklärung von sozialen Verhaltens- und Einstellungsunterschieden. Dazu spezifiziert sie den Einfluss des latenten Konstruktes „vertikale Ungleichheit“ auf die abhängigen Konstrukte „Parteipräferenz“, „Mentalität“ und „Lebensstilgestaltung“, wobei gleichzeitig die Lebensstilgestaltung als unabhängige Variable für die Parteipräferenz und die Mentalität fungiert. Durch diese Spezifikation kann Schroth sowohl den Einfluss der vertikalen Ungleichheit auf die abhängigen Variablen und zusätzlich den eigenständigen Einfluss der Lebensstilgestaltung auf die zwei restlichen abhängigen Konstrukte schätzen. Wie bereits zuvor ausführlich dargestellt, ermittelt Schroth einen Einfluss der vertikalen Ungleichheit auf Lebensstilgestaltungen. Darüber hinaus gelangt sie zu dem Ergebnis, dass die Lebensstildimensionen einen eigenständigen und besonders starken statistischen Effekt auf die Parteipräferenz CDU versus DIE GRÜNEN aufweisen, der stärker als der Einfluss der vertikalen Ungleichheit ist. Die Lebensstilhauptdimension „einfache Unterhaltung“ erweist sich dabei bezüglich der Parteipräferenz als aussagekräftiger als die Dimension „gehobene Kultur“. Daraus wird ersichtlich, dass die Hauptdimensionen der Lebensstile, obwohl sie wesentlich durch traditionelle Ungleichheitsmerkmale beeinflusst werden, auch einen eigenständigen statistischen Effekt auf die Parteipräferenz aufweisen. Auch Spellerberg (1996) interessiert sich im Rahmen ihrer Untersuchung für die Ermittlung von Unterschieden in der Lebensqualität und von Bewertungsmaßstäben der Lebensumstände auf Grund von Lebensstilen. In der Wohlfahrtsforschung wird unter „Lebensqualität“ zum einen der Lebensstandard, zum anderen das subjektive Wohlbefinden bzw. die damit zusammenhängende Bewertung von Lebensumständen verstanden (vgl. Zapf 1984). Nach Spellerberg können Lebensstile auf den Zusammenhang von objektiver Lebenslage und subjektiven Wohlbefinden intervenierend wirken. Den Zusammenhang von Lebensstilen und Lebensqualität stellt Spellerberg in zwei Schritten her: Im ersten Schritt analysiert sie den Zusammenhang von Lebensstil und Lebensstandard28 mit bivariaten Zusammenhangsmaßen. Im zweiten Schritt überprüft sie mit multiplen linearen Regressionsanalysen inwieweit, nach Lebensstilen differenziert, die Zufriedenheit in verschiedenen Lebensbereichen29 das allgemeine Wohlbe28 Lebensstandard
ist im Wohlfahrtssurvey 1993 durch Einkommen, Wohnverhältnisse und Freizeitumfang operationaisiert. 29 Als Regressoren werden die einzelnen im Wohlfahrtssurvey 1993 erhobenen Bereichszufriedenheiten verwendet wie z.B. die Zufriedenheit mit dem Familienleben, Arbeitsplatz,
4.4 Lebensstile als Ergänzung der Sozialstrukturanalyse
135
finden30 erklärt. Dabei ergaben sich im allgemeinen in Westdeutschland höhere Erklärungsbeiträge der Lebensstilgruppenzugehörigkeit als in Ostdeutschland, da hier Einkommen und Haushaltsgröße eine größere Rolle spielen. Auch Hartmann (1999) widmet sich in seiner Untersuchung der Erklärungsleistung des Lebensstilansatzes. Im Rahmen seiner zuvor dargestellen Untersuchung geht er der Frage nach, ob die Erklärungskraft von Lebensstilen im Vergleich zu sozio-demographischen Variablen mit der Zeit zugenommen hat. Zur Beantwortung dieser Frage wählt er Items aus verschiedenen Lebensbereichen aus, wobei es sich um Items handelt, die nicht zur Bildung der bereits in einem vorhergehenden Schritt gebildeten alltagsästhetischen Schemata herangezogen worden sind.31 Er vergleicht die Erklärungskraft alltagsästhetischer Schemata mit denen sozioökonomischer und demographischer Variablen in Bezug auf die Items aus verschiedenen Lebensbereichen unter Verwendung von Determinationskoeffizienten. So gelangt Hartmann erstens zum Ergebnis, dass die Erklärungsleistung vertikal skalierter beruflicher Merkmale im Vergleich zu den alltagsästhetischen Schemata, Alter, Familienstand und Schulbildung geringer ist; zweitens ergibt sich, dass die Erklärungsleistung der Lebensstilbestandteile im Vergleich zu sozio-demographischen Merkmalen nicht höher ist. Die Variablen Alter und Schulbildung haben in etwa die gleiche Leistungskraft wie die einzelnen alltagsästhetischen Schemata. Unter Verwendung der multivariaten Regression vergleicht er die Erklärungskraft der drei Schemata, der fünf Milieus und der Gesamtheit der demographischen und sozioökonomischen Variablen. Dabei gelangt der Autor zum Ergebnis, dass alltagsästhetische Schemata erklärungskräftiger sind als die soziale Milieuzugehörigkeit und dass Alter und Schulbildung ungefähr genauso erklärungskräftig sind wie die alltagsästhetischen Schemata. Konzeptionell ist ein Erklärungsmodell von Verhalten durch den Lebensstil allerdings problematisch, da Verhaltensprognosen auf der Basis von Lebensstilen dem Problem eines möglichen Zirkelschlusses unterliegen (vgl. Lüdtke 1989: 81). Es besteht die Gefahr, Variablen, die hoch mit Lebensstilen korrelieren als zu erklärende Variablen zu verwenden. So ist nicht verwunderlich, dass Lebensstile Einstellungen und Verhalten aus verschiedenen Lebensbereichen, die wiederum in einem engen Zusammenhang mit den Lebensstilvariablen stehen, besser erklären können als herkömmliche Klassen- und Schichtkonzepte. Dies wird insbesondere in der Untersuchung von Klocke (1993) sichtbar. Im Rahmen Freizeit, Wohnung. Indikator wird die „allgemeine Lebenszufriedenheit“ verwendet. 31 Siehe hierzu die ausführliche Darstellung in Abschnitt 4.3.2.3. 30 Als
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
seiner oben dargestellen Untersuchung behandelt er auch die Erklärungskraft der Lebensstiltypologie, in dem Klocke überprüft, inwieweit die Lebensstilkategorie zur Erklärung der Verhaltensweisen auf dem Second-Hand-Markt geeignet ist. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass die Erklärungskraft der Lebensstilkategorie stärker als die der klassischen Kategorien der Sozialstrukturanalyse ist. Lebensstiltypologien erklären sowohl die Motive, Second-Hand-Artikel zu kaufen als auch den Kaufort für gebrauchte Sachen besser als soziodemographische Variablen. Anhand dieser Ergebnisse wird erkennbar, dass die objektive Perspektive der Sozialstrukturanalyse nicht durch eine Phänomenologie der Lebensstile abgelöst werden sollte. Allerdings liefert das Lebensstilkonzept in bestimmten Fällen einen Beitrag zur Erklärung sozialer Differenzierungen, der höher als der herkömmlicher Klassen- und Schichtkonzepte ist. Damit wird deutlich, dass Lebensstile eine sinnvolle Ergänzung der objektiven Sozialstruktur sind.
4.5 Methodische Probleme in der Lebensstilforschung Betrachtet man die Vorgehensweise in den oben aufgeführten Lebensstiluntersuchungen, so ist festzustellen, dass sie sich in zwei Bereiche unterteilen lassen. Der erste Bereich von Lebensstilanalysen nutzt statistische Klassifikationsverfahren zur Identifikation von Lebensstiltypen. Üblicherweise werden zunächst Klassifikationsverfahren in Form von explorativen clusteranalytischen Verfahren eingesetzt, mit deren Hilfe eine Population von Personen derart in Teilmengen zerlegt wird, dass die Personen innerhalb einer Teilmenge bezüglich der in die Klassifikation einbezogenen Lebensstilvariablen eine homogene Subpopulation bilden. Die Subpopulationen sind untereinander heterogen. Inhaltlich werden die homogenen Subpopulationen als Typen mit gleichem Lebensstil oder als Lebensstilgruppen aufgefasst. Ziel ist es, mit Hilfe der Clusteranalyse und entsprechend gewählter Variablen, Subpopulationen als Träger komplexer Milieu-, Verhaltens- und/oder Einstellungsmuster möglichst eindeutig zu identifizieren. Darüber hinaus richtet sich das Interesse der Lebensstilforschung auf die Erklärung der Genese unterschiedlicher Lebensstile sowie auf die Erklärung abgeleiteter Verhaltensweisen als Folge der Zugehörigkeit zu einer Lebensstilgruppe. Aus statistischer Sicht lässt sich daher der Lebensstiltypus sowohl als abhängige, als intervenierende und auch als unabhängige Variable in soziologischen Erklärungsansätzen auffassen. Nach erfolgter Klassifikation werden die Lebensstilcluster in nachfolgenden Analysen, in der Regel unter Verwendung von (logistischen) Regressions- oder Diskriminanzanalysen, mit externen Variablen wie
4.5 Methodische Probleme in der Lebensstilforschung
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sozialstrukurellen Merkmalen in Verbindung gebracht. Im zweiten Bereich der Lebensstilanalysen erfolgt die Identifikation sozialer Gruppen nicht durch Klassifikationsverfahren, sondern durch theoretisch vorgegebenen Kriterien. In diesen Ansätzen werden soziale Gruppen durch sozialstrukturelle Kriterien definiert und durch Lebensstilmerkmale charakterisiert. Ziel dieser Ansätze ist primär die Erkennung von Zusammenhängen zwischen Merkmalen der Sozialstruktur und Merkmalen des Lebensstils. Als statistisches Verfahren wird hier traditionell die Korrespondenzanalyse verwendet. Die Ergebnisse der empirischen Lebensstilforschung sind auf Grund methodischer Probleme eher skeptisch zu betrachten. Diese Probleme betreffen zum einen die Anwendung clusteranalytischer Verfahren zur Identifikation von Subpopulationen und zum anderen die Anwendung der Korrespondenzanalyse zur Aufdeckung struktureller Beziehungen zwischen Lebensstilen und sozialstrukturellen Variablen. Die Korrespondenzanalyse ist - wie die explorative Faktorenanalyse - ein exploratives statistisches Verfahren, das eine Struktur in einem hochdimensionalen Raum auf einen niedrigdimensionalen Raum abbildet. Eine ausführliche Beschreibung des zugrundegelegten geometrischen Modells und der verwendeten numerischen Verfahren lässt sich in Greenacre (1984) sowie in Blasius (2001) finden. Im Unterschied zur Faktorenanalyse, die primär für metrische Variablen geeignet ist, wird die Korrespondenzanalyse hauptsächlich zur Analyse von qualitativen Variablen eingesetzt. Die Korrespondenzanalyse kann als eine Skalierungstechnik angesehen werden, welche insbesondere zur Strukturierung nominalskalierter Variablen verwendet wird. Dabei wird jeder Ausprägung einer qualitativen Variablen ein metrischer Wert zugeordnet, d.h. es wird eine Skalierung der qualitativen Variablen vorgenommen. Im einfachsten Fall werden die Zeilen und Spalten einer zweidimensionalen Kontingenztabelle als Synonyma für die Ausprägungen der Variablen analysiert. Den einzelnen Zeilen und Spalten werden durch die Korrespondenzanalyse numerische Werte, die als Ausprägungen eines metrischen Merkmals aufgefasst werden, zugeordnet. Das wichtigste Charakteristikum der Korrespondenzanalyse ist die graphische Darstellung von Zeilen und Spalten von zwei- und mehrdimensionalen Kontingenztabellen. Hierbei gibt es zwar eine eindeutige Distanzfunktion zwischen den Zeilen und zwischen den Spalten, nicht aber zwischen Zeilen und Spalten. Betrachtet man die Skalierung mehrerer Variablen gleichzeitig, so lassen sich Konstellationen von Merkmalsausprägungen in einem niedrigdimensionalen Raum (ein-, zweioder dreidimensional) verorten. Diesem räumlichen Konzept entspricht die in der Korrespondenzanalyse üblicherweise gewählte graphische Darstellung.
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
In der Lebensstilforschung wird die Korrespondenzanalyse eingesetzt, wenn Strukturen in mehrdimensionalen Kontingenztabellen gefunden werden sollen, d.h. sie wird in erster Linie als hypothesengenerierendes Verfahren verwendet. Setzt man in einer zweidimensionalen Kontingenztabelle als Zeilenvariable einen Indikator zur Messung des Lebensstils und als Spaltenvariable ein sozialstrukturelles Merkmal ein, so ist das Ergebnis der Korrespondenzanalyse die Verortung der Assoziation von Lebensstil und Sozialstruktur in einem zweidimensionalen Raum. Erweiterungen auf drei oder mehr qualitative Variablen werden in der multiplen Korrespondenzanalyse betrachtet. Wenn in einer Korrespondenzanalyse eine zu beschreibende Variable aufgenommen werden soll, die mehrdimensional ist, müssen für diese Variable Kombinationen von Merkmalsausprägungen gebildet werden. Ein Beispiel für die Analyse einer mehrdimensionalen zu beschreibenden Variable findet sich in Konietzka (1995). Die sozialstrukturell definierten Untersuchungsgruppen, die über Lebensformen definiert und in verschiedenen Konstruktionsschritten durch spezifische Konfigurationen aus Haushaltsstruktur, Elternschaft, Geschlecht, Alter, Stellung zur Erwerbsarbeit, Einkommen und Bildung gebildet werden, fungieren als Merkmalsausprägungen des mehrdimensionalen Merkmals „Lebensform“ als zu beschreibendes Merkmal für die Korrespondenzanalyse. Bei der Anwendung der Korrepondenzanalyse in der Lebensstilforschung ergeben sich Probleme, die die Angemessenheit der Anwendung dieses Verfahrens für die Analysezwecke innerhalb der Lebensstilforschung in Frage stellen. Betrachtet man die Verwendung der Korrespondenzanalyse in der Lebensstilforschung, so zeigt sich, dass der theoretische Anspruch, Beziehungen zwischen verschiedenen Konstrukten zu analysieren, nur bedingt eingelöst werden kann. Die Korrespondenzanalyse weist gravierende Mängel auf, die ihre Verwendung als Analyseinstrument komplexer Beziehungen erheblich einschränkt. Fehler bei der Anwendung der Korrespondenzanalyse findet man insbesondere darin, dass fälschlicherweise die Distanzen zwischen Zeilen und Spalten interpretiert werden, obwohl es nur eine eindeutige Distanzfunktion zwischen den Zeilen und zwischen den Spalten, nicht aber zwischen Zeilen und Spalten gibt. Dadurch können Zusammenhänge zwischen Zeilenmerkmale und Spaltenmerkmale fälschlicherweise interpretiert werden. Weitere Probleme bei der Anwendung der Korrespondenzanalyse sind in Stein (1997) dargestellt und werden im Folgenden stichpunktartig zusammengefasst: Ein Problem liegt in der Einschränkung auf eine geringe Anzahl von qualitativen Variablen, da für hochdimensionale Kontingenztabellen in aller Regel zu kleine Stichproben vorliegen. Dies trifft insbesondere auf die Verwendung ei-
4.5 Methodische Probleme in der Lebensstilforschung
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nes mehrdimensional zu beschreibenden Merkmals zu, bei dem die Zahl der Merkmalsausprägungen sehr groß werden kann. Eng damit verbunden ist das Problem der Abgrenzung einzelner Merkmalskombinationen in einem hochdimensionalen zu beschreibenden Merkmal. Da unterschiedliche Merkmalskombinationen mit den zugeordneten Trägergruppen durchaus gleiche Lebensstile aufweisen können, besteht die Frage, ob und in welchem Ausmaß sich die Lebensstile unterschiedlicher Trägergruppen unterscheiden. Dies kann mit Hilfe der Korrespondenzanalyse nur explorativ untersucht werden. Eine weitere zentrale Schwäche der Korrespondenzanalyse ist darin zu sehen, dass die Assoziation von nur wenigen Variablen dargestellt werden kann. Aus diesem Grund ist der Forscher gezwungen, Kombinationen von Merkmalen zu bilden. Damit verbunden ist die Schwierigkeit, mit einer großen Zahl von Merkmalskombinationen umzugehen. Versucht man nämlich, erklärende sozialstrukturelle Variablen in die Korrespondenzanalyse einzubeziehen, ist man auf eine Variable beschränkt. Diese Variable wird in der Regel aus allen Merkmalskombinationen der in die Analyse eingehenden sozialstrukturellen Variablen gebildet. Dies führt nicht nur zu Problemen, die auf geringe Stichprobenumfänge zurückzuführen sind, wie bereits oben gezeigt, sondern auch auf die Schwierigkeit, eine große Zahl unterschiedlicher Merkmalsausprägungen zu beschreiben. Daher ist man gezwungen, Merkmalsausprägungen zusammenzufassen. Derartige Zusammenfassungen zu sozialen Gruppen können entweder anhand der jeweiligen Untersuchungsperspektive aus theoretischen Überlegungen heraus oder mit Hilfe statistischer Ähnlichkeitskriterien erfolgen. Derartige Ähnlichkeitsmaße stehen jedoch innerhalb der Korrespondenzanalyse nicht zur Verfügung. Ein weiteres Problem besteht darin, dass zwar sozialstrukturelle Variablen in die Analyse eingehen können, die der Forscher als „erklärende“ Variablen für Lebensstilausprägungen deklarieren kann, dass jedoch die Beziehung zwischen den beschreibenden und den zu beschreibenden Variablen nur in assoziativer Form möglich ist. Es ist bei der Korrespondenzanalyse nicht möglich, Konditionierungen auf erklärende Variablen vorzunehmen. Spezifische Probleme, die sich bei der Anwendung der Clusteranalyse ergeben, sind ausführlich in Stein (1997) dargestellt und werden im Folgenden stichpunktartig zusammengefasst: Ein Problem liegt in der generellen Schwierigkeit der Berechnung von statistischen Kennzahlen für die einzelnen Cluster: Werden in der Clusteranalyse mit Hilfe eines nicht überlappenden Zuordnungsverfahrens Individuen einem Cluster zugeordnet, kann es zu Fehlklassifikationen kommen, die umso häufiger auftreten, je schlechter die Cluster voneinander getrennt
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
sind.32 Sollen nun Verteilungskennzahlen wie Erwartungswerte und Varianzen der Cluster nach erfolgter Klassifikation aus den Daten der einzelnen Cluster geschätzt werden, so kann es auf Grund der Fehlklassifikationen zu inkonsistenten Schätzungen dieser Kennzahlen kommen. Diese fehlerhaften Schätzungen führen dann bei nachfolgenden Analysen wiederum zu fehlerhaften Schätzungen. Ein weiteres Problem ist darin zu sehen, dass bei der Bestimmung der Cluster keine Konditionierung auf erklärende Variablen vorgenommen werden kann. Erst nach erfolgter Klassifikation können die extrahierten Cluster mit Variablen in Beziehung gesetzt werden, die als Prädiktoren für die Zugehörigkeit zu einem Cluster fungieren (z.B. durch Diskriminanz- oder Regressionsanalysen). Das nächste Problem ist die Bestimmung der Anzahl der Cluster, da es keinen formalen Test auf die Anzahl der Cluster gibt und damit die angemessene Clusterzahl nur auf explorativen Weg ermittelt werden kann. Problematisch ist weiter, dass die Clusteranalyse ein exploratives Verfahren ist, das keine Schätzung der asymptotischen Kovarianzmatrix der univariaten und multivariaten Kennzahlen eines Clusters liefert.
4.6 Bilanz der empirischen Lebensstilforschung Die Darstellung der Ergebnisse der bisherigen Lebensstilforschung sollte u.a. Aufschluss darüber geben, ob sich in den empirischen Untersuchungen anhand der Lebensstilausprägungen von Personen ähnliche Dimensionen von Lebensstilen herauskristallisieren, die als alltagsästhetische Muster, Verhaltensmuster, Geschmackspräferenzmuster oder allgemein als lebensstilgenerierende Muster identifiziert werden können. Bei der Sichtung der Ergebnisse zu den empirischen Lebensstiluntersuchungen wird deutlich, dass sich Vorlieben und Geschmacksäußerungen zu drei allgemeinen kulturellen Bereichen zuordnen lassen: Die unterschiedlichen Interessen sowie alltägliche Verhaltensweisen und Geschmacksäußerungen lassen sich verallgemeinernd in die von Schulze (1992) populär gemachten Bereiche der etablierten Kultur (Hochkulturschema), dem Spannungsschema und einem an leichter Unterhaltung und populärer Kultur orientierten Bereich (Trivialschema) zuordnen. Tendenziell lassen sich diese drei unterschiedlichen Richtungen in den meisten Arbeiten zu Lebensstilen und sozialen Milieus finden (Müller-Schneider 1994; Spellerberg 1996; Otte 1997, 2004; Hartmann 32 Auf
das Problem der „Relativität der Clusterlösung als operationales Kriterium der StilAbgrenzung“ und die Möglichkeit, „mehrere annähernd konkurrierende Clusterlösungen“ zuzulassen, weist Lüdtke (1989: 140) explizit bei seiner Entscheidung für die von ihm extrahierten Cluster im Rahmen seiner Lebensstiluntersuchung hin.
4.6 Bilanz der empirischen Lebensstilforschung
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1999; Schroth 1999). Im Mittelpunkt des Kapitels stand die Frage, ob Lebensstile weiterhin Ausdruck fortbestehender Klassen- und Schichtstrukturen sind oder vielmehr die sozialen Differenzierungserscheinungen und postulierte Individualisierung in fortgeschrittenen Industriegesellschaften begründen. Die Betrachtung der hier vorgestellten Befunde verdeutlichen, dass Lebensstile nicht das Produkt unabhängiger Subjekte sind. Lebensstile sind nicht losgelöst von den sozialen Positionen und den objektiven Lebensbedingungen zu verstehen, sondern werden innerhalb von sozialen Strukturen hervorgebracht, die nicht überschritten werden können. Insbesondere die Ergebnisse der neueren Lebensstiluntersuchungen von Wahl (1997), Georg (1999) und Schroth (1999) belegen, dass Unterschiede in Verhaltens- und Geschmacksäußerungen von Merkmalen vertikaler Ungleichheit bestimmt werden. Die Ergebnisse der Lebensstiluntersuchungen zeigen aber auch, dass die einzelnen vertikalen sozialstrukturellen Merkmale völlig unterschiedliche Effekte auf Lebensstile ausüben. Das Berufsprestige ist insgesamt zu heterogen angelegt und besitzt für die Ausbildung von Lebensstilen nicht eine so starke Relevanz. Lebensstilunterschiede lassen sich hauptsächlich auf kulturelle Ressourcen zurückführen. Die ökonomischen Ressourcen sind zwar von geringerer, aber keineswegs zu vernachlässigender Bedeutung. Daraus wird deutlich, dass der Einfluss der vertikalen sozialen Ungleichheit davon abhängig ist, welches Klassenoder Schichtkonzept als erklärende Variable verwendet, wie Klasse bzw. Schicht operationalisiert wird oder ob Merkmale vertikaler Ungleichheit einzeln in die Analyse eingehen. Anhand der Befunde wird deutlich, dass die Erklärungskraft von Beruf als Determinante für Lebensstile steigt, wenn das in einer beruflichen Position vorhandene ökonomische und kulturelle Kapital getrennt oder wenn bei einer Klassifizierung von Berufen ihre Ressourcenstruktur beachtet wird. Fast alle hier vorgestellten Studien weisen einen starken Einfluss der Bildung auf den Lebensstil nach. Der Zusammenhang zwischen Lebensstilmerkmalen und Bildung kann dahingehend abgeschwächt werden, dass lediglich zwischen hohen und niedrigen Soziallagen Lebensstildifferenzen ermittelt werden können. In den großen gesellschaftlichen Mittelschichten sind die Zusammenhänge nicht allzu stark. Die Ergebnisse der Lebensstiluntersuchungen liefern auch Erkenntnisse über Zusammenhänge von Lebensstilen und horizontalen Merkmalen sozialer Ungleichheit. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass neben der Bildung insbesondere dem Lebensalter eine große Bedeutung für die Erklärung des Lebensstils bzw. der Zugehörigkeit zu einer Lebensstilgruppe zukommt.
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
Die Ergebnisse der Lebensstiluntersuchungen zeigen auch, dass die Lebenstilgestaltung keine reine Reflexion der sozialen Lage ist. Ohne die Merkmale objektiver Lebensbedingungen zu vernachlässigen, weisen die Ergebnisse auch auf einen Raum individueller Wahlmöglichkeiten hin. Die Möglichkeit, individuelle Präferenzen auszubilden, führen auch bei gleicher Ressourcenausstattung zu unterschiedlicher Ressourcennutzung und zu entsprechend unterschiedlichen Lebensstilen. Die Ergebnisse weisen einerseits darauf hin, dass insbesondere in den mittleren Statuslagen Lebensstile bei ähnlicher Ressourcenlage nicht identisch sein müssen, sondern in realisierter Form und als spezifisches Ergebnis subjektiver Präferenzen in einer Fülle von Wahlmöglichkeiten zum Ausdruck kommen (vgl. z.B. Schroth 1999). Zum anderen weisen die Ergebnisse darauf hin, dass der Lebensstil zwar einerseits von Restriktionen und Ressourcen der sozialen Position abhängig ist, auf der anderen Seite aber auch subjektive Wertvorstellungen und Valenzen eines Akteurs bei der Wahl eines Lebensstils eine entscheidende Bedeutung bekommt (vgl. Klocke 1993; Georg 1999). Lebensstile sind durchaus nicht Ausdruck einer mechanistischen Übersetzung von Ressourcen in Präferenzen, sondern im starken Maße auch präferenzgesteuert (siehe Lüdtke 1989). Eng mit der Frage, ob Lebensstile weiterhin Ausdruck fortbestehender Klassenund Schichtstrukturen oder vielmehr die sozialen Differenzierungserscheinungen und postulierten Individualisierungserscheinungen in einer fortgeschrittenen Industriegesellschaft widerspiegeln, ist die Frage verbunden, ob Lebensstile als eigene Kategorie sozialer Ungleichheit herkömmliche Klassen und Schichten abgelöst haben. Die Ergebnisse zeigen, dass Lebensstile herkömmliche Klassenund Schichten keineswegs abgelöst haben. In bestimmten Fällen (z.B. Wahl der Partei DIE GRÜNEN) liefern Lebensstile einen Beitrag zur Erklärung sozialer Differenzierung, der höher ist als herkömmliche Klassen- und Schichtkonzepte. In diesem Zusammenhang muss auf die Gefahr eines Zirkelschlusses hingewiesen werden, der darin besteht, dass Lebensstile sehr gut Einstellungen und Verhalten aus verschiedenen Lebensbereichen erklären können, die wiederum selbst in einer starken Beziehung zu den Lebensstilvariablen stehen. So wird anhand der Ergebnisse deutlich, dass Lebensstile eine sinnvolle Ergänzung der objektiven Sozialstruktur sind, jedoch die Perspektive der Sozialstrukturanalyse nicht durch eine Phänomenologie der Lebensstile abgelöst werden soll. Zu ähnlichen Einschätzungen gelangte kürzlich auch Endruweit (2000), der Milieus und Lebensstiltypologien nicht als Ablösung des Schichtkonzepts, sondern als eine „nützliche Ergänzung“ des Konzepts proklamiert. Insgesamt kann auf Basis der Ergebnisse der Lebensstiluntersuchungen re-
4.6 Bilanz der empirischen Lebensstilforschung
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sümiert werden, dass trotz horizontaler Differenzierungen, die hauptsächlich in Form von Alter bzw. der Stellung im Lebenslauf ausgedrückt werden, weiterhin vertikale Merkmale sozialer Ungleichheit mit spezifischen Geschmacks- und Verhaltensmustern einhergehen. Vertikale Schichtungsmerkmale scheinen allgemein nicht in dem Maße an Handlungsrelevanz verloren zu haben, wie es die Befürworter der sogenannten Entstrukturierungsansätze sehen. Den empirischen Ergebnissen folgend, kann im Gegenteil eher davon ausgegangen werden, dass Lebensstile sehr deutlich als Ressourcenunterschiede interpretierbar sind. Die Untersuchung von Schroth (1999) zeigt auch, dass die subjektive Wahrnehmung vertikaler Ungleichheit sowie die subjektive Verortung durch die Schichteinstufung nicht in dem von Schulze (1992) und Müller-Schneider (1994) postulierten Maße abgenommen hat. Nach Wahl (1997) sind Lebensstile nach wie vor typischer Ausdruck der sozioökonomischen Verhältnisse und belegen den Fortbestand der Klassenstrukturen. Strukturelle Bedingungen stellen Restriktionen der Lebensführung dar, die die Grenzen vorgeben, innerhalb derer der Einzelne sein Leben gestalten kann (vgl. Klocke 1993). Auf Grund der vorliegenden Vielzahl empirischer Ergebnisse zur Lebensstilforschung kann von einem Einfluss struktureller Ungleichheit auf Lebensstile ausgegangen werden, in dessen Rahmen sich eine Pluralität an Lebensformen herausbildet. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen jüngst Endruweit (2000) sowie Meyer (2001) in einer Bilanz über die zwei Jahrzehnte Lebensstilforschung. Die Autoren widmen sich insbesondere der Frage, ob Klassen und Schichten als Positionen, in denen sich soziale Ungleichheit wesentlich strukturiert, obsolet geworden sind. Beide Autoren resümieren, dass der Wandel in den Strukturen sozialer Ungleichheit keine Auflösung traditioneller Klassen- und Schichtkonzepte mit sich gebracht hat, sondern es sich bei der Gegenwartsgesellschaft um eine pluralisierte Form einer weiterhin bestehenden Klassen- bzw. Schichtengesellschaft handelt. Endruweit (2000) konstatiert, dass selbst bei einem Auftauchen neuer „Formen der Statuszuweisung“ auch „neue Schichtungskriterien (...) und keine neue Gesellschaftsform“ angezeigt wären: „Wandel im System, nicht des Systems“ (Endruweit 2000: 33) lautet das Motto. Klassen und Lebensstile sollten daher nicht länger als zwei historisch aufeinander folgende Konzepte betrachtet werden. Nach Meyer (2001) steht nicht die theoretische Entscheidung im Vordergrund, ob es sich gegenwärtig um eine Erlebnisgesellschaft oder eine Klassengesellschaft handelt, sondern seiner Ansicht nach ist die Erlebnisgesellschaft vielmehr als eine moderne Variante der Klassengesellschaft zu se-
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4. Erkenntnisstand der empirischen Lebensstilforschung
hen.33 Entsprechend plädieren die Autoren dafür, Lebensstile konsequenter in den Strukturkontext sozialer Ungleichheit einzubinden, in dem beide Konzepte stärker aufeinander bezogen werden sollten. Eine Kritik richtet sich u.a. auch gegen die vorherrschenden Entkoppelungs- und Entstrukturierungstheoreme innerhalb der Lebensstilforschung, die den Zusammenhang zwischen objektiven Lebensbedingungen und subjektiven Lebensweisen auseinanderreissen. Meyer (2001) bemängelt die Kluft zwischen der vorherrschenden Theoriebildung, die an den Prämissen der Entstrukturierungsperspektive orientiert ist und insbesondere den neueren empirischen Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen objektiven Lebensbedingungen und Lebensstilen feststellen. Die gegenwärtige Lebensstilforschung lässt sich daher durch eine deutliche Spannung zwischen Theorie und Empirie charakterisieren. Ein großes Problem innerhalb der Lebensstilforschung besteht nach Meyer in der „unbefriedigenden theoretischen Fundierung“, die darin zu sehen ist, dass eine Vielzahl der Lebensstilansätze, wie beispielsweise der von Schulze (1992), ihren theoretischen Hintergrund nicht in Anknüpfung an Bourdieu (1982), sondern in der Abkehr von Bourdieu formulieren.
33 In
ähnlicher Weise betrachtet Chaney (1996) Lebensstile als eine „modern form of status grouping“ speziell für Großbritannien.
5 Zur sozialstrukturellen Bedeutung von Lebensstilen: Pierre Bourdieu Ausgehend von den Ergebnissen insbesondere der neueren Lebensstilforschung gewinnt der Lebensstilansatz von Bourdieu (1982) erneut Beachtung. Insgesamt hat der Ansatz die Lebensstildiskussion am nachhaltigsten geprägt, wenn auch eher in die Richtung, dass sich die vorherrschende Theorie innerhalb der deutschen Sozialstrukturanalyse von den Vorstellungen Bourdieus gelöst hat. Bourdieu bleibt insofern der klassischen Tradition der Ungleichheitsforschung treu, weil er Lebensstilanalysen und Klassenanalysen miteinander verbindet. Trotz eines häufigen Rückgriffs auf Bourdieu wird nur selten (z.B. Vester 1993, 2000) dem eigentlichen Spezifikum seines Ansatzes gefolgt. Auch wenn sich Bourdieu bezüglich seiner extremen Orientierung an einen klassentheoretischen Rahmen kritisieren lässt, stellt nach wie vor sein Ansatz im Rahmen der Analyse von Lebensstilen die einzige theoretisch fundierte Gesamtkonzeption dar. Bourdieu ist mit Einschränkung (Veblen und Simmel) als der klassische Autor der Lebensstilforschung zu bezeichnen. Vogt (2000: 58) zählt den inzwischen verstorbenen Bourdieu zu den „bekanntesten und einflussreichsten Vertretern der gegenwärtigen Soziologie“, der sowohl einen „Beitrag zur Weiterentwicklung der soziologischen Theorie“ als auch der „empirischen Erforschung sozialer Ungleichheit mit der Lebensstilanalyse eine neue Richtung gegeben“ hat. Bourdieus Anspruch in einem seiner grundlegenden Werke Die feinen Unterschiede1 ist die Entwicklung eines Modells der Beziehungen zwischen den sozioökonomischen Bedingungen der sozialen Klassen bzw. Klassenfraktionen und der Lebensstile. Bourdieu will aufzeigen, dass sich soziale Klassen nicht nur in Bezug auf ihre objektiven Bedingungen, sondern auch bezüglich ihrer Wahrnehmungen und Verhaltensmuster unterscheiden. Dazu entwickelt er ein komplexes theoretisches Gerüst und führt zur Untermauerung auch empirische Untersuchungen durch, deren Ergebnisse jedoch auf Grund der Qualität der Daten, methodischer Probleme bei der Verwendung der Korrespondenzanalyse sowie der Interpretation dieser Ergebnisse, fragwürdig sind. 1 La
Distinktion. Critique sociale du jugement, EA Paris 1979.
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5. Zur sozialstrukturellen Bedeutung von Lebensstilen
Bourdieus Modell weist eine Reihe von Besonderheiten auf, wobei im Rahmen dieser Arbeit zwei ins Zentrum gestellt werden. Die erste liegt in der Kapitaltheorie Bourdieus als eine Ausdifferenzierung der Strukturebene in ökonomisches und kulturelles Kapital. Bei Bourdieu trägt der in einer sozialen Position immanente Anteil kulturellen und ökonomischen Kapitals wesentlich zur Differenzierung von Lebensstilen bei. Nach Bourdieu existieren zwei – wenn auch nur scheinbar – voneinander getrennte Hierarchiestränge, die jeweils einer anderen Logik der Reproduktion sozialer Ungleichheit und Statusvererbung unterliegen.2 Betrachtet man die im letzten Kapitel dargestellten Ergebnisse der neueren empirischen Lebensstilforschung, wird deutlich, dass unterschiedliche Ressourcenkombinationen in den selben Schichten zu unterschiedlichen Lebensstilen führen und dass diese sich auf eine Optimierung der jeweiligen Ressourcen zurückführen lassen können. So zeigt Schroth (1999), dass sich Lebensstilunterschiede sowohl auf kulturelle als auch auf ökonomische Ressourcen zurückführen lassen. Summa summarum gelangt sie zu folgendem Ergebnis: Lebensstilausprägungen stehen zwar in deutlichem Zusammenhang mit verfügbaren ökonomischen Ressourcen, werden jedoch stärker durch kulturelle Ressourcen geprägt. Schroth sieht darin eine Bestätigung der von Bourdieu betonten Rolle des kulturellen Kapitals als ein neben dem ökonomischen Kapital hauptsächliches Medium zur Reproduktion sowohl sozialer Differenzierungen als auch der Klassenstruktur. Georg (1999) belegt, dass im oberen Statusbereich sich zwei Lebensstile gegenüberstehen, wenn eine Aufteilung der Berufsposition nach ökonomischem und kulturellem Kapital vorgenommen wird. Bei einer Differenzierung in die beiden Kapitalsorten kann festgestellt werden: Protagonisten eines kulturbezogenen Lebensstils sind auch vor allem in Berufen mit hohen kulturellen Ressourcen tätig, während ein auf Selbstdarstellung und Genuss ausgerichteter Lebensstil überwiegend von Personen gelebt wird, die in Berufen mit hohem ökonomischen Kapital tätig sind. Im Gegensatz dazu unterscheiden sich die beiden Lebensstile nicht voneinander, wenn eine Klassifizierung des Berufes nach der Autonomie beruflichen Handelns vorgenommen wird. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt auch Ganzeboom (1990). Auf der Grundlage von Bourdieus Unterscheidung in ökonomisches und kulturelles Kapital stellt Ganzeboom eine Reihe von Hypothesen über Dimensionen und Determinanten von Lebensstilen auf, die er unter Verwendung der Mittelwert- und Kovarianzstrukturanalyse 3 auf der Datenbasis verschiedener repräsentativer und nichtrepräsentativer Untersuchungen in den Niederlanden überpüft. Er gelangt zu 2 Siehe
hierzu auch die früheren Arbeiten von Bourdieu und Passeron (1971). handelt es sich um ein MIMIC-Modell.
3 Konkret
147
dem Ergebnis, dass neben der ökonomischen und kulturellen Dimension eine altersbezogene Lebensstildimension existiert. Der kulturelle Faktor wird positiv durch die Bildung und dem in einer beruflichen Position vorhandenen kulturellen Kapital und negativ durch das ökonomische Kapital beeinflusst. Der ökonomische Faktor hingegen wird positiv vom Einkommen und dem Anteil berufsbezogenen ökonomischen Kapitals beeinflusst. Neben der Kapitaltheorie Bourdieus kommt der intergenerationalen Konzeption des Lebensstilansatzes von Bourdieu eine weitere Bedeutung zu. Mit seinem Habituskonzept als dem vermittelnden Element zwischen Struktur und Handeln berücksichtigt Bourdieu auch die diachrone Perspektive der Entwicklung von Lebensstilen. Die Generierung des Lebensstils betrachtet er sowohl kollektiv als auch individuell. Nach Bourdieu ist die ästhetische Einstellung von Menschen durch deren sozialisationsspezifische Entwicklung des Subjekts geprägt. Jede Lebensäußerung ist abhängig von der Position, die ein Individuum im Raum sozialer Positionen einnimmt, die dabei aber, weil sie einen Niederschlag des bisherigen Lebenslaufs darstellt, auch relativ unabhängig von der im fraglichen Zeitpunkt eingenommenen Position sein kann. Die Bedeutung der primären Sozialisation für die Ausbildung alltagsästhetischer Präferenzen, kultureller Orientierungen und Verhaltensweisen wird im Habituskonzept von Bourdieu herausgestellt.4 Habitus ist der Kernpunkt und das grundlegende Theorem seiner Praxistheorie (Bourdieu 1979, 1982). Diese ist ohne Bezug zur allgemeinen Theorie von der Ökonomie der Praxis nicht anwendbar. Aus diesem Grund werden im Folgenden für diese Arbeit wesentliche Bestandteile seiner Praxistheorie vorgestellt, in die das Habituskonzept eingebunden ist. An dieser Stelle kann jedoch keine ausführliche Darstellung des Bourdieuschen Ansatzes folgen und es ist auch nicht das Anliegen dieser Arbeit, die Komplexität der Bourdieuschen Theorie darzustellen. Zu ausführlichen Darstellungen des Bourdieuschen Ansatzes vgl. H.P. Müller (1986); Eder (1989), (1992: 238ff), Konietzka (1995); Georg (1999) und zuletzt Hartmann (1999). Eine präzise Zusammenstellung der Begriffe und Hypothesen lässt sich in Fröhlich (1994) finden.
4 Zum
Habituskonzept als eine implizite Theorie der Sozialisationsprozesse siehe Liebau (1987).
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5. Zur sozialstrukturellen Bedeutung von Lebensstilen
5.1 Die Konstruktion des sozialen Raums Bourdieu stellt die soziale Welt in Form eines mehrdimensional strukturierten Raumes dar, den „sozialen Raum“, in dem Akteure anhand ihrer relativen Stellung innerhalb dieses Raumes definiert werden. Die vertikale Dimension repräsentiert den Stand des Status- und Prestigekampfes der verschiedenen Berufsgruppen, also die gesellschaftlich anerkannte Rang- oder Prestigeskala; die horizontale Dimension stellt die Differenzierung in spezifische soziale „Felder“ dar (vgl. Bourdieu 1982: 752f). Diese können als Teil-Räume des „sozialen Raumes“ verstanden werden.5 Damit werden die Handlungsräume der Akteure, innerhalb derer Kapital akkumuliert und getauscht wird, bezeichnet. Es handelt sich dabei um „historisch konstituierte Spielräume mit ihren spezifischen Institutionen und jeweils eigenen Funktionsgesetzen“ (Bourdieu 1992a: 111; 1998: 148f). Solche Handlungsfelder sind z.B. jenes der Kultur oder das der Bildung. Diese Felder können sich wiederum in einzelne Segmente teilen. So ist beispielsweise dasjenige der Kultur in Unterfelder wie Kunst, Literatur, Musik usw. aufgeteilt. Bourdieu sieht diese einzelnen Felder zum einen als Kraft- bzw. „Gravitationsfelder“, zum anderen auch als „Kampffelder, auf denen um Wahrung oder Veränderung der Kräfteverhältnisse gerungen wird“ (1985: 72ff). Den sozialen Raum unterteilt Bourdieu in einen auf die objektiven, materiellen Lebensbedingungen bezogenen „Raum der sozialen Positionen“ und in einen die Lebensstilausprägungen enthaltenen „Raum der Lebensstile“. Beide Räume stehen zueinander in Beziehung, wobei dies nicht als eine simple Übersetzung materieller Ressourcen in kulturelle Praxis zu verstehen ist. Die Homologie der Räume wird durch eine komplexe Theorie vermittelt, die aus drei Fragmenten besteht. Dies sind erstens die Kapitaltheorie, zweitens die Klassentheorie und drittens das Habituskonzept. Auf die einzelnen Elemente wird im Folgenden näher eingegangen. Bourdieu greift den Kapitalbegriff6 von Marx auf und überträgt ihn auf die verschiedenen Felder. Im Unterschied zu Marx unterscheidet er drei grundlegende Kapitalarten: das ökonomische, das kulturelle und das soziale Kapital.7 Unter 5 Eine
genaue Differenzierung zwischen Raum und Feld erweist sich als problematisch, da Bourdieu die Begriffe – zumindestens in seinen älteren Werken – nicht systematisch verwendet (vgl. zu diesem Problem auch Fröhlich 1994: 52; Blasius und Winkler 1989: 73). 6 Unter Kapital versteht Bourdieu „akkumulierte Arbeit, entweder in Form von Materie oder in verinnerlichter, inkorporierter Form“ (Bourdieu 1983: 183). 7 Neben den drei Hauptformen nennt Bourdieu als weitere Kapitalsorte das symbolische Kapital, als die „wahrgenommene und als legitim anerkannte Form“ (1985: 11) des ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals (vgl. auch 1979: 375). Das symbolische Kapital
5.1 Die Konstruktion des sozialen Raums
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ökonomischem Kapital versteht er Kapital, das „unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar“ ist und sich „besonders zur Institutionalisierung in der Form des Eigentumsrechts“ eignet (1983: 185). Das kulturelle Kapital, in neueren Schriften auch als „Informationskapital“ bezeichnet, unterteilt er in drei Arten: Als inkorporiertes Kulturkapital bezeichnet er das dispositionell verkörperte Potential einer Person, das als Kompetenz im kognitiven Sinne oder als Geschmack im ästhetischen Sinne fungiert und als Distinktion geäußert wird. Das inkorporierte Kapital ist im Prozess der Sozialisation durch Familie und Schule internalisiert und zum festen Bestandteil der Person geworden (vgl. Bourdieu 1983: 187). Das objektivierte Kulturkapital ist charakterisiert durch den Besitz von kulturellen Gütern. Es ist materiell übertragbar, die eigentliche Aneigung erfordert die „Verfügung über kulturelle Fähigkeiten, die den Genuss eines Gemäldes (...) erst ermöglichen“ (Bourdieu 1983: 188). Das institutionalisierte Kulturkapital besteht in Titeln und Auszeichnungen als Nachweis von Bildung und ist damit die offizielle Kompetenz. Als soziales Kapital bezeichnet Bourdieu die „Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind“ (Bourdieu 1983: 190). Es handelt sich hierbei um Ressourcen, die darauf beruhen, einer bestimmten Gruppe anzugehören. Entscheidend für das Volumen von sozialem Kapital sind die Ausdehnung eines mobilisierungsfähigen Netzes sowie der Umfang des Kapitals der bekannten Personen. Im „Raum der sozialen Positionen“ werden soziale Gruppen nach ihrer jeweiligen Ressourcenstruktur, die sich aus dem Gesamtvolumen der Kapitalarten, der Kapitalstruktur sowie der zeitlichen Entwicklung des Kapitalvolumens und der Kapitalstruktur (soziale Laufbahn) zusammensetzt, verortet. Die Ressourcenstruktur wird über die drei unterschiedlichen Dimensionen des ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals bestimmt. Auf der ersten Dimension (vertikale Achse) des Raumes der sozialen Positionen verteilen sich die Akteure nach dem Gesamtumfang an Kapitalien, über das sie verfügen, auf der zweiten Dimension (horizontale Achse) nach der spezifischen Zusammensetzung des Kapitals in ökonomischer und kultureller Hinsicht. Die horizontale Achse wird dabei durch die Entgegensetzung von kulturellem und ökonomischem Kapital bestimmt (Bourdieu 1982: 212 ff; 1985: 11). Die dritte Dimension stellt die zeitliche Entwicklung der beiden erstgenannten Dimensionen dar, die sogenannte gründet auf Bekanntheit und Anerkennung (1992a: 37). In den jüngeren Werken erscheinen weitere Kapitalsorten als Pluralisierungseffekte, allerdings immer in Abhängigkeit des jeweiligen Feldes (z.B. politisches Kapital).
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5. Zur sozialstrukturellen Bedeutung von Lebensstilen
„Laufbahnklasse“ zur Berücksichtigung der diachronen Eigenschaften der sozialen Positionen. Diese Dimension bezieht sich sowohl auf Fragen der intra- und intergenerationellen Mobilität sowie auf historische Verschiebungen. Der „Raum der sozialen Positionen“ wird vertikal in drei Klassen (herrschende, mittlere und untere bzw. Arbeiterklasse) und innerhalb dieser in Klassenfraktionen aufgeteilt. Die herrschende Klasse besteht in ihrer kulturellen Fraktion aus Berufen wie Hochschullehrern oder Kunstproduzenten, während sie sich im Bereich des ökonomischen Kapitals aus Handels- und Industrieunternehmern zusammensetzt. Analog rekrutiert sich die kulturelle Kapitalfraktion der Mittelklasse aus Kulturvermittlern, Hauptschullehrern und mittleren Führungskräften der Verwaltung, während auf der Seite des ökonomischen Kapitals vor allem das Kleinbürgertum (Kleinkaufleute und Handwerker) steht. Die Mittelposition wird hier von medizinisch-sozialen Dienstleistungsberufen, mittleren Führungskräften im Handel, Technikern sowie Angestellten im Bürodienst vertreten. Innerhalb der Arbeiterklasse unterscheidet Bourdieu nicht zwischen kultureller und ökonomischer Fraktion und verwendet die traditionelle vertikale Unterscheidung in Vorarbeiter, Facharbeiter sowie Angelernte und Hilfsarbeiter. Im „Raum der Lebensstile“ sind die spezifischen Lebensstilausprägungen der einzelnen Klassenfraktionen enthalten. Er ist gekennzeichnet durch gemeinsame oder ähnliche Praktiken der Akteure sowie die Aneigung und Verwendung symbolischer Güter auf den unterschiedlichen sozialen Feldern.8
5.2 Der Habitus als Vermittlungsglied Als Vermittlungsglied zwischen dem Raum der sozialen Positionen und dem Raum der Lebensstile fungiert der Habitus. Mit dem Begriff Habitus9 bezeichnet Bourdieu ein System von strukturierten Dispositionen, die im Alltagsleben als Denk-, Wahrnehmungs- und Beurteilungsschemata und als Erzeugungsschemata von klassifizierbaren Praktiken fungieren und zunächst durch die Klas8 Der
„Raum der Lebensstile“ teilt sich nach Bourdieu wie folgt auf: Kunst und Kultur wie z.B. Vorlieben für bestimmte Kunstwerke und -richtungen, Kulturprogramme wie Theater, Oper etc., Freizeitaktivitäten und -gestaltung wie sportliche Aktivitäten, Feriengestaltung, Fernsehverhalten und Lesegewohnheiten, Ess- und Trinkkultur usw. (vgl. Bourdieu 1982: 800ff). 9 In Bourdieus Werken existieren eine Reihe von Umschreibungen des Begriffes. Die wichtigsten sind „System dauerhafter und übertragbarer Dispositionen“ (1987: 98), ein „System von Erzeugungsmustern“ (1982: 278), ein „Erzeugungs- und Strukturierungsprinzip von Praxisformen“ (1979: 164f; 1987: 98), ein „kohärentes System von Handlungsschemata“ (1992a: 101), eine „generative Grammatik der Handlungsmuster“ (Bourdieu 1991: 150).
5.2 Der Habitus als Vermittlungsglied
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senstruktur erzeugt werden. Der Habitus bringt als Erzeugungsschemata von Praktiken eine mögliche Menge von Praxisformen hervor, deren Auswahl durch die Denk-, Wahrnehmungs- und Beurteilungsschemata gesteuert wird. Die Gesamtheit der Praxisformen ergibt einen spezifischen Lebensstil, welche die Klassenstruktur reproduziert. Insoweit stellt der Habitus ein handlungsgenerierendes Dispositionssystem dar, über das die Akteure ihre Lebensbedingungen kulturell reproduzieren. Der Habitus dient der Vermittlung von Struktur und Praxis auf zweifache Weise: Erstens ist er als spezifisches Dispositionsmuster Voraussetzung für die Entwicklung von Interpretationsschemata, die es dem Individuum ermöglichen, sich die Realität anzueignen, Situationen einzuschätzen und ein angemessenes Verhalten zu zeigen. Die diesbezügliche Kreativität ist jedoch begrenzt, da abhängig von den Bedingungen, unter denen der Habitus im Rahmen der Sozialisation hervorgebracht wurde (modus operandi). Zweitens wird der Habitus durch die Existenzbedingungen generiert und durch die Sozialisation internalisert. Die Konstitution des Habitus erfolgt über die spezifische Stellung innerhalb der Sozialstruktur und bildet in Folge dessen klassenspezifische Dispositionen aus. Auf diese Weise ist der Habitus ein inkorporiertes Produkt der existierenden Struktur (opus operatum). Die Internalisierung gesellschaftlicher Strukturen geschieht durch die kontinuierliche Einbindung der Akteure im sozialen Raum. Die Sozialisation findet zunächst als passive und aktive Einpassung in die vorgegebene Lebenswelt durch die Übernahme und Ausbildung des in ihr gültigen Habitus statt. Es vollzieht sich eine unbewusste Ausbildung der Praxisformen, die im Verlauf der kapital- und demnach klassenspezifischen Sozialisation adäquate mentale Prägungen und Praxismuster hervorbringen. Die erworbenen Dispositionen werden zu manifesten Mentalitäten und Identitäten stabilisiert. Die in den sozialen Positionen enthaltenen Denk-, Wahrnehmungs- und Beurteilungsschemata generieren Praxisformen, die an die gesellschaftlichen Strukturen angepasst sind und zur Reproduktion objektiver Strukturen (strukturierende Praxis) beitragen. Das strukturierte Produkt unterliegt wiederum der strukturierenden Struktur (modus operandi). Der Habitus als die Einverleibung der sozialen Welt gibt sozialisierte Handlungsmuster bewusst und unbewusst wieder zurück in die soziale Welt. In dieser strukturierten Welt, der Gesellschaft mit ihren Existenzbedingungen, die den Habitus generieren, der seinerseits die Praxis generiert und diese wiederum die Strukturen generieren (Bourdieu 1979: 157), läuft ein Handlungsschema ab, welches auf die verschiedenen Felder übertragen wird.
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5. Zur sozialstrukturellen Bedeutung von Lebensstilen
Bourdieu stellt dabei den Habitus mit der Eigenschaft als strukturierte und strukturierende Struktur heraus: Der Habitus ist ein generatives Prinzip und damit strukturierende Struktur bzw. opus operandi, insofern er sozial strukturierte Praxisformen hervorbringt, die im Laufe der Zeit durch die Internalisierung gesellschaftlicher Strukturen über die Ausbildung dauerhafter Dispositionen ermöglicht werden. Gleichzeitig ist der Habitus ein reproduktives Prinzip und somit strukturierte Struktur bzw. opus operatum, insoweit die individuellen Praxisformen den sozial strukturierten Dispositionen entstprechend gewählt werden und damit die gesellschaftlichen Strukturen aufrechterhalten. Der Habitus organisiert die Übernahme der strukturierten Strukturen in ein kollektives Gedächtnis, das wiederum als individuell erscheinendes Handlungspotential strukturierende Strukturen reproduktiv hervorzubringen vermag. Dies ist ein prozess von Interiorisierung (Verinnerlichung der äusseren Strukturen) und Exteriorisierung (Veräußerung der inneren Habitusformen). Die Transformation der strukturellen Bedingungen der Sozialwelt in die Handlungsfähigkeit der Akteure in der Lebenswelt wird durch ein habituelles Repertoire an Praxisformen geleistet, die objektive Strukturen und subjektive Vorstellungen verbinden. Der Habitus ist zwar ein „subjektives, aber nicht individuelles System verinnerlichter Strukturen“ (Bourdieu 1979: 188), denn die individuelle Praxis ist in Abhängigkeit von den Dispositionen gewählt. Habitus verbindet somit die kollektive mit der individuellen Dimension. Er generiert sozial strukturierte Praxisformen und dauerhafte Dispositionen und reproduziert diese dadurch, dass die individuelle Entscheidung für eine Praxis auf internalisierten mentalen und kognitiven Mustern basiert. Nach Bourdieu (1982: 730) sind die kognitiven Strukturen inkorporierte soziale Strukturen; den Akteuren mehr oder weniger bewusst. Entsprechend erfolgt die individuelle Praxis relativ automatisch, was auf die Funktionsweise des Habitus zurückgeführt werden kann. Die Reproduktion gesellschaftlicher Strukturen erfolgt nach Bourdieu somit über einen klassenspezifischen Habitus, der aber gleichzeitig auch auf Grund der Einverleibung in die Person mit der Verfolgung individueller Interessen kompatibel ist. Der Habitus ist also ein praktischer Operator, ein Mechanismus, der die Praxis der Struktur anpasst und damit die praktische Reproduktion der Struktur gewährleistet (vgl. Bourdieu 1979: 229). Dennoch sollte Bourdieus Modell nicht als eine „kybernetische Handlungstheorie“ (H.P. Müller 1992: 255) betrachtet werden. Bourdieu (1981: 171f) warnt vor überzogener „Verallgemeinerung des Modells quasi-vollkommener Reproduktion (...), das vollständig nur in den Fällen gilt, in denen die Entstehungsbedingungen des Habitus identisch oder homoethisch mit den Bedingungen sind, unter denen er wirkt.“
5.2 Der Habitus als Vermittlungsglied
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Aus den bisherigen Erläuterungen über das Habituskonzept von Bourdieu wird deutlich, dass das Konzept auf einer wesentlichen Annahme basiert: Der Habitus repräsentiert ein Teil verinnerlichter Gesellschaft, deren Strukturen durch Sozialisation internalisiert wurden. Relevant hierfür ist der Umfang und die Struktur der Kapitalausstattung des Elternhauses und damit verbundenen Ressourcen und Restriktionen (Inkorporationsannahme). Die Grundlagen des Habitus entstehen bereits in der frühen Kindheit, durch präkognitive, nichtintentionale Abstimmungen der Haltungen und des Geschmacks. Da die Grundlagen der frühkindlichen Sozialisation als subtile Muster des Geschmacks und der Haltungen entstehen, sind sie nicht intentional, sondern durch den Geschmack und die Haltungen der Bezugsperson vermittelt und werden nicht durch Konditionierung, sondern durch mehr oder weniger subtile Abstimmungen interaktiv erworben. Es findet eine unbewusste Ausbildung der Praxisformen statt, die im Verlauf der kapital- und klassenspezifischen Sozialisation adäquate mentale Prägungen und Praxismuster hervorbringen (Unbewusstheitsannahme). Diese erlangen ein Eigengewicht und können wieder nur in interaktiven Vergemeinschaftungen und dort nur in den Grenzen der in einem Habitus angelegten Möglichkeiten verändert werden. Die in der primären Sozialisation erworbenen Dispositionen werden zu manifesten Mentalitäten und Identitäten stabilisiert, die Verhaltensmuster in systematischer Weise auf unterschiedliche Bereiche übertragen (Transponierungsannahme). Der Habitus entspricht somit der „inkorporierten Notwendigkeit“ (Bourdieu 1982: 278) einer spezifischen Lage zum Zeitpunkt der primären Sozialisation. In Anlehnung an psychoanalytische Persönlichkeitsmodelle enthält der Habitus ein Beharrungsvermögen, das Bourdieu als „Hysteresis-Effekt“ (Bourdieu 1982: 238) bezeichnet. Demnach bleiben die erworbenen Dispositionen über die Zeit relativ stabil (Stabilitätsannahme). Nach Bourdieu verändert sich ein in der primären Sozialisation ausgebildeter Habitus zeitlebens nicht wesentlich, bei sozialen Aufoder Abstiegen wird er lediglich modifiziert. Durch das umfangreiche und differenzierte Bildungsangebot ist lediglich die Möglichkeit gegeben, sich und den Habitus zu modifizieren. Die Grundmuster des Habitus können zwar in späteren Vergemeinschaftungen des Alltags wie zum Beispiel in den Milieus der Freunde, der Arbeitskollegen oder durch Veränderung der sozialen Lage modifiziert werden, doch auch diese Veränderungen sind so zu verstehen, dass bestimmte, schon vorhandene Züge verstärkt oder abgeschwächt werden. Aufgrund des Hysteresis-Effektes des Habitus sind vollständige Änderungen des Habitus unwahrscheinlich. Die Dispositionen führen auch dann noch zu den individuellen Praxisstrategien, wenn sie auf eine veränderte Gesellschaft treffen.
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5. Zur sozialstrukturellen Bedeutung von Lebensstilen
Habituelle Veränderungen setzen nach Bourdieu spezifische soziostrukturelle Wandlungen voraus, die beispielsweise durch Revolutionen ausgelöst werden. Dennoch räumt Bourdieu auch die Möglichkeit ein, durch Akkumulation von institutionalisiertem kulturellem Kapital (Bildungskapital) sozial aufzusteigen und die soziale Herkunft hinter sich zu lassen. Allerdings hinterlässt dieser Aufstieg Spuren im Habitus, da laut Bourdieu jede biographische Zäsur vom Habitus aufgenommen, in die Persönlichkeit eingeschrieben und wiederum praxisrelevante Dispositionen produziert. Der Habitus wird in späteren Arbeiten von Bourdieu weniger deterministisch gesehen. Bourdieu sieht den Habitus in einem ständigen Wandel begriffen, insoweit, dass er sich verstärkt, besonders dann, wenn die inkorporierten Erwartungsstrukturen auf Chancen stoßen oder er sich aber sogar grundlegend verändert, wenn das Anspruchsniveau entweder steigt oder sinkt (Bourdieu 1987: 406f). 5.2.1 Der Mechanismus der Distinktion Über die Einführung der Kategorie der Distinktion „als symbolischen Transfigurationen faktischer Unterschiede, und generell aller Ränge, Ordnungen, Grade“ (Bourdieu 1985: 22) werden Lebensstile nicht einfach aus sozialen Positionen abgeleitet, sondern als Ausdruck einer aktiv und sinnhaft gestalteten Welt betrachtet. Der Habitus transformiert die materiellen, objektiven Differenzen der Verteilung von Gütern und Eigenschaften zwischen sozialen Positionen innerhalb des sozialen Raumes auf der symbolischen Ebene in Distinktionen. Der soziale Raum und die in ihm vorhandenen Differenzen funktionieren symbolisch als Raum von Lebensstilen, wobei sich Gruppen eben durch diese unterschiedlichen Lebensstile auszeichnen (Bourdieu 1985: 21). Distinktion ist in der Theorie Bourdieus das dynamische Moment, welches das eher statische Konzept - der Habitus generiert den Lebensstil - dynamisiert. Distinktion wird zur Definition des Wertes von Symbolen von der herrschenden Klasse eingesetzt. Distinktion bedeutet auf kognitiver Ebene die Abgrenzung eines Geschmacks von anderen Geschmäckern, auf evaluativer Ebene das Bedürfnis nach Andersartigkeit und auf expressiver Ebene die unbewusste Abgrenzung, die sich durch die Ausgestaltung des Habitus ergibt. Diese „Distinktion ohne Absicht zur Distinktion“ ist im Bourdieuschen Ansatz ein Phänomen innerhalb der herrschenden Klasse, die auf Grund ihrer privilegierten Stellung in der gesellschaftlichen Hierarchie die kulturelle Definitionsgewalt besitzt, sich entsprechend ausleben kann und dennoch stilbildende Distinktionsgewinne erlangt.
5.2 Der Habitus als Vermittlungsglied
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Neben der Distinktion besteht der Mechanismus der Prätention, der im Kleinbürgertum wirkt. Unter Prätention versteht Bourdieu die „Anerkennung der Distinktion, die sich als solche zu erkennen gibt im Versuch, diese sich zu eigen zu machen“ (Bourdieu 1982: 391) und zugleich eine Dimension des Habitus. Das durch ihre Bildungsbeflissenheit charakterisierte aufsteigende Kleinbürgertum orientiert sich an den als legitim anerkannten Gütern und eignet sich diese an. Dadurch entstehen Prozesse der Popularisierung von symbolischen Gütern. Dem dadurch drohenden Distinktionsverlust wird von der herrschenden Klasse durch Neudefinition der Eigenschaften, deren Aneigung als wertvoll erachtet werden, und durch Einrichtung neuer Schulen zur Erlangung kulturellen Kapitals sowie Neudefinition der Bildungsinhalte entgegengewirkt. Dadurch wird Distinktion wieder hergestellt. Distinktion und Prätention haben nach Bourdieu nur wechselseitig Bestand. In der Dialektik von Distinktion und Prätention liegt der Wandel des Geschmacks. 5.2.2 Der Geschmack als Dimension des Habitus Eine wesentliche Dimension des Habitus ist der Geschmack als System von Klassifikationsschemata und praktischer Operator der Lebensstile: „Der Geschmack, die Neigung und Fähigkeit zur (materiellen und/oder symbolischen) Aneignung einer bestimmten Klasse klassifizierter und klassifizierender Gegenstände und Praktiken, ist die Erzeugungsformel, die dem Lebenstil zugrunde liegt.“ (Bourdieu 1982: 283) Die Ausbildung des Geschmacks und seine Bestimmung findet für Bourdieu im Sozialraum und seinen Transformationen statt. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse und Klassenfraktion, das Volumen und die Struktur des Gesamtkapitals (ökonomisches, soziales und kulturelles) sind die Determinanten des Geschmacks. Dabei kann das ökonomische und kulturelle Kapital im umgekehrten Verhältnis zu unterschiedlichen Geschmacksurteilen führen, d.h., ein hohes ökonomisches Kapital muss kein Garant für ein ästhetisches, legitimes Geschmacksurteil sein. Nach Bourdieu bildet sich ein Klassengeschmack heraus, der dem Individuum durch die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze innerhalb einer sozialen Klasse einverleibt werden. Insgesamt unterscheidet er drei Geschmacksdimensionen, mit denen drei Bildungsniveaus und die drei gesellschaftlichen Klassen korrespondieren: der herrschenden Klasse ordnet er den legitimen Geschmack zu, dem Kleinbürgertum den prätentiösen und der Arbeiterklasse den Notwendigkeitsgeschmack.
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5. Zur sozialstrukturellen Bedeutung von Lebensstilen
Geschmacksäußerungen zeichnen sich durch Abhebung von anderen Geschmäckern aus. Der Geschmack ist auch Aversion gegen den anderen Geschmack (Bourdieu 1982: 105f). Jedes Individuum hält seinen Geschmack für legitim und grenzt sich von anderen Geschmäckern ab. Diese Haltung erklärt zum einen die umfangreichen Geschmacksklassifikationen und zum anderen die Grenzen zwischen den Klassen. Bourdieu sieht in dieser Aversion gegenüber dem anderen Geschmack eine der stärksten Klassenschranken.
5.3 Der Lebensstil der Klassenfraktionen Als Lebensstil bezeichnet Bourdieu einen einheitlichen „Gesamtkomplex distinktiver Präferenzen, in dem sich in der jeweiligen Logik eines spezifischen TeilRaums - des Mobilars und der Kleidung so gut wie der Sprache oder der körperlichen Hexis - ein und dieselbe Ausdrucksintention niederschlägt“ (Bourdieu 1987: 283). Lebensstile bilden „systematische Produkte des Habitus, die in ihren Wechselbeziehungen entsprechend den Schemata des Habitus wahrgenommen, Systeme gesellschaftlich qualifizierter Merkmale (wie »distinguiert«, »vulgär «, etc.) konstituieren“ (Bourdieu 1982: 281). Der Lebensstil ist in den unterschiedlichen Formen mit einer eigenen Logik vertreten. Er realisiert sich durch eine spezifische Kombination des Habitus mit der spezifischen Kapitalausstattung und führt auf dem jeweiligen Feld (oder in der passenden Situation) zum spezifischen Handeln.10 Während Bourdieu der herrschenden Klasse (Bürgertum) insgesamt - in Relation zu den unteren Klassen - einen „Sinn für Distinktion“ (Bourdieu 1982: 405) zuschreibt, differenziert er innerhalb der herrschenden Klasse auf der Ebene der Lebensstile in zwei Antipoden, denen er die Prädikate des „asketischen Aristokratismus“ und des „Sinns für Luxus“ zuordnet (vgl. Bourdieu 1982: 447). Der Lebensstil des asketischen Aristokratismus bezieht sich auf die Mitglieder der herrschenden Klasse, die über hohes kulturelles und weniger hohes ökonomisches Kapital verfügen wie z.B. Hochschullehrer. Die Vertreter des Sinns für Luxus sind Personen, die über hohe ökonomische und weniger kulturelle Kompetenzen verfügen, wie z.B viele freiberuflich Tätige. Während sich der asketische Aristokratismus der kulturellen Fraktion durch Lektüre von Gedichten, philosophischen Essays, Zeitschriften über Literatur und Kunst, durch Theaterbesuch vor allem klassischer und avantgardistischer Stücke, durch seinen Faible für Museen und klassische Musik auszeichnet, kommmt der Sinn für Luxus in der Vorliebe 10 Diesen
Sachverhalt drückt Bourdieu (1982: 175) in einer pseudoarithmetischen Formel (Habitus)(Kapital)+Feld=Praxis aus.
5.3 Der Lebensstil der Klassenfraktionen
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für Boulevardtheather und Varietee, Freude an der Jagd, an Messeausstellungen und an Versteigerungen zum Ausdruck (Bourdieu 1982: 442). Das Kleinbürgertum unterscheidet Bourdieu bezüglich des Kapitalvolumens und der Kapitalstruktur nicht so deutlich auf zwei Achsen. Innerhalb des Kleinbürgertums gliedert er in drei Gruppen auf: das absteigende Kleinbürgertum, das exekutive Kleinbürgertum und das neue Kleinbürgertum. Hierbei versteht Bourdieu Abstieg bei der ersten Gruppe nicht im Sinne der Mobilitätsforschung, sondern er bezieht Abstieg auf die durch Modernisierung der Berufsstruktur bedingte Verkleinerung dieser Gruppe. Das absteigende Kleinbürgertum grenzt sich sowohl von den modernisierten Geschmacksorientierungen des neuen Kleinbürgertums wie von dem Nüchternheitsethos der Arbeiter ab und praktiziert eine Ästhetik des Gepflegten. Das exekutive Kleinbürgertum zeichnet sich durch seine Bildungsbeflissenheit aus. Die kulturellen Präferenzen realisieren sich vor allem in sogenannten durchschnittlichen Werken. Das neue Kleinbürgertum umfasst Inhaber von Berufen, die entweder neu geschaffen wurden und sich damit einer traditionellen Bewertung entziehen, wie beispielsweise psychotherapeutische Berufe jenseits der etablierten analytischen und verhaltenstherapeutischen Ausbildungsgänge oder durch alternative Gestaltung umdefiniert wurden wie in den Bereichen Werbung und Marketing. Dies sieht Bourdieu als Reaktion auf die durch die Inflation der Bildungstitel bedingte Entwertung der Abschlüsse. Das neue Kleinbürgertum ist der Träger modernisierter, konsumorientierter und hedonistischer Lebensstile. Der Arbeiterklasse ordnet Bourdieu insgesamt einen Notwendigkeitsgeschmack zu, der auf Grund des strukturellen Zwangs und durch Restriktionen gekennzeichneten Situation der Arbeiterklasse ausgebildet wird. Anhand dieser Ausführungen wird deutlich, dass sich bei Bourdieu zwei Positionen einer Definition von Lebensstilen finden lassen. Zum einen verbindet er mit dem Begriff Lebensstil Wahlfreiheit. Damit zielt Bourdieu auf einen Freiheitsspielraum, der jenseits unmittelbarer Notwendigkeit entsteht. Zum anderen spricht er auch vom „proletarischen Lebensstil“ (Bourdieu 1982: 291) bzw. vom Notwendigkeitsgeschmack der Arbeiter. Dieser Widerspruch lässt sich daraus erklären, dass Bourdieu Lebensstil und Stilisierung des Lebens nicht gleichsetzt. Vielmehr sieht er den Grad der Stilisierung als eine veränderliche Größe, die sich bei zunehmendem Kapitalvolumen erhöht: „Der Lebensstil wird mit steigender sozialer Stufenleiter immer entscheidender durch die von Max Weber so genannte Stilisierung des Lebens charakterisiert.“ (Bourdieu 1987: 283)
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5. Zur sozialstrukturellen Bedeutung von Lebensstilen
5.4 Bourdieus’ Korrespondenzanalysen Auf der empirischen Ebene verbindet Bourdieu die Merkmale des Raumes der sozialen Positionen und des Raumes der Lebensstile in den sozialen Raum unter Anwendung des explorativen statistischen Verfahrens der Korrespondenzanalyse. Er verwendet diese, um den postulierten Zusammenhang zwischen der Position, die der einzelne innerhalb einer Klasse einnimmt, und seinem Lebensstil graphisch darzustellen und zu analysieren. Dabei führt er getrennte Korrespondenzanalysen zur herrschenden Klasse und zur Mittelklasse durch. Die Arbeiterklasse wird von Bourdieu nicht mit Hilfe der Korrespondenzanalyse beschrieben, was auf die mangelnde Differenzierung innerhalb der Arbeiterklasse zurückgeführt werden kann. Operationalisiert werden die sozialen Positionen ausschließlich mit Hilfe der Variablen Berufsposition, obwohl nach Bourdieu es sich bei den sozialen Positionen um ein mehrdimensionales Gebilde handelt. So verbirgt sich laut Bourdieu (1982: 177ff) hinter der Verwendung von Berufsgruppen als Analyseeinheit ein komplexes Wirkungsgeflecht aus Alter, Geschlecht, ethnischer und sozialer Herkunft sowie räumlicher Verteilung. Die Ergebnisse der Korrespondenzanalysen werden hauptsächlich in der Form graphischer Darstellungen präsentiert.11 Wie im letzten Kapitel ausführlich dargestellt, ist die Anwendung der Korrespondenzanalyse mit erheblichen methodischen Problemen verbunden, welche die Angemessenheit der Anwendung des Verfahrens für die Analysezwecke in der Lebensstilforschung - nämlich die Beziehungen zwischen Merkmalen der Sozialstruktur und der Lebensstile graphisch darzustellen und zu analysieren - einschränkt. Von den methodischen Problem abgesehen unterlaufen Bourdieu bei der Anwendung sowie bei der Interpretation gravierende Fehler, welche die Richtigkeit der Ergebnisse anzweifeln lassen. Diese liegen zum einen darin, dass fälschlicherweise die Distanzen zwischen Zeilen und Spalten interpretiert werden und zum anderen Merkmalsausprägungen der beiden Variablen oder Variablengruppen beliebig gruppiert und als zusammenhängend interpretiert werden. Einen weiteren Kritikpunkt stellen Blasius und Winkler (1989) heraus. Die Autoren setzen am methodischen Vorgehen Bourdieus am Beispiel von Bourdieus Korrespondenzanalyse zu den herrschenden Klassen an. Sie bemängeln die unpräzise Vorgehensweise bei der Zuordnung der Lebensstilmerkmale zu den einzelnen sozialen Positionen sowie die Kennzeichnung der Achsen durch die absoluten Anteile der Erklärungskraft der Achsen an dem Gesamtmodell (vgl. Blasius und Winkler 1989: 77, 79). Ferner äußern sie sich irritiert über 11 Siehe
hierzu die Abbildungen in Bourdieu (1982: 409, 533).
5.5 Diskussion der empirischen Begründbarkeit der Bourdieu’schen Theorie
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die Darstellung des ökonomischen und kulturellen Kapitals gemeinsam auf der horizontalen Achse, obwohl diese in der theoretischen Konzeption des sozialen Raums als orthogonale Dimensionen betrachtet wird (vgl. Blasius und Winkler 1989: 80). Insgesamt resümieren sie, dass bei der Anwendung der Korrespondenzanalyse Bourdieu einerseits nicht die Möglichkeiten ausschöpft, die das Verfahren bietet, andererseits zur Interpretation Variablen verwendet, die er nicht in die Analyse mit einbezogen hat (vgl. Blasius und Winkler 1989: 81). Neben den aufgezeigten methodischen Schwierigkeiten bei der Überprüfung des Ansatzes von Bourdieu ist das Problem herauszustellen, dass Bourdieu unter Anwendung der Korrespondenzanalyse nur die assoziative Beziehung zwischen den qualitativen Variablen auf den beiden Seiten (Raum der sozialen Positionen und Raum der Lebensstile) herstellen kann. Damit bleiben auf der empirischen Ebene die auf der theoretischen Ebene postulierten komplexen Wechselwirkungen zwischen den ökonomisch-sozialen Bedingungen und den Lebensstilen, die über den Habitus funktionieren und in der ihm verbundenen Geschmackskonstellationen zum Ausdruck kommen, unberücksichtigt. Damit reduziert sich das „Struktur-Habitus-Praxis-Modell“ Bourdieus auf der empirischen Ebene allein auf statistische Zusammenhänge zwischen Berufsgruppen und Lebensstilausprägungen, die auf explorativem Weg ermittelt und darüber hinaus auch noch fälschlicherweise miteinander verbunden werden. Das Habituskonzept bleibt ein theoretisches Konstrukt, das in der Analyse von Bourdieu empirisch nicht umgesetzt wird.
5.5 Diskussion der empirischen Begründbarkeit der Bourdieu’schen Theorie der Praxis Es ist festzuhalten, dass Bourdieu insgesamt eine theoretisch fundierte Gesamtkonzeption liefert, deren empirische Prüfung aber auf Grund der methodischen Vorgehensweisen sowie der Angemessenheit des Analyseinstruments Zweifel aufwirft. Abgesehen davon prüft er sein komplexes theoretisches Modell empirisch nur rudimentär. Allerdings lassen die kritischen Bemerkungen keinen Rückschluss auf die Qualität und Relevanz der theoretischen Konzeption zu. In der empirischen Lebensstilforschung lassen sich an verschiedenen Stellen Hinweise finden, die im Einklang mit einzelnen Bausteinen aus dem gesamten theoretischen Komplex Bourdieus stehen. Dies sind zum einen Erkenntnisse zur Kapitaltheorie. Wie bereits im letzten Kapitel ausführlich dargestellt, belegen Ergebnisse der empirischen Lebensstiluntersuchungen, dass der in einer sozialen Position immanente Anteil kulturellen und ökonomischen Kapitals wesentlich
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5. Zur sozialstrukturellen Bedeutung von Lebensstilen
zur Differenzierung von Lebensstilen beiträgt. Zum anderen lässt sich in einer Reihe von empirischen Untersuchungen die Bedeutung der primären Sozialisation, theoretisch in dem Ansatz von Bourdieu verankert, nachweisen. In der Untersuchung von Ganzeboom (1990) finden sich Hinweise, die in Übereinstimmung mit Bourdieus Theorie liegen. Diese beziehen sich darauf, wie durch die kulturelle Praxis innerhalb einer Familie unabhängig vom Bildungssystem soziale Ungleichheit reproduziert wird. Ganzeboom ermittelt unter Verwendung der Mittelwert- und Kovarianzstrukturanalyse12 insbesondere bei der kulturellen Lebensstildimension deutliche Effekte der kulturellen Orientierung und des Bildungsabschlusses des Vaters, die als Sozialisationseffekte interpretierbar sind. Die kulturelle Orientierung und der Bildungsabschluss des Vaters beeinflussen den Bildungsabschluss des Befragten. Des Weiteren beeinflussen Bildung und kulturelle Orientierung des Vaters die Auswahl der Freunde des Befragten. Schließlich existiert auch Beeinflussung zwischen Lebensstilen innerhalb des Bekanntkreises des Befragten, unabhängig vom Einfluss sozialer Herkunft. Eine Reihe weiterer empirischer Befunde weisen darauf hin, dass durch primäre Sozialisation innerhalb der Familie Erlebens- und Bewußtseinprozesse in Gang gesetzt werden, die für die Herausbildung von alltagsästhetischen Präferenzen nicht zu vernachlässigen sind. Dollase u.a.(1986) beschäftigen sich in ihrer Untersuchung u.a. mit der Enwicklung musikalischer Präferenzen und betonen (darin) die Bedeutung der Sozialsisation für die Entstehung der Musikpräferenzen. Nach Dollase u.a. lässt sich ein beträchtlicher Teil der Variablilität von musikalischen Präferenzen und Einstellungen durch die jeweilige Sozialisation erklären. Die Bedeutung der sozialen Herkunft für die Generierung von Lebensstilen lässt sich auch aus empirischen Untersuchungen, die sich explizit mit der intergenerationalen Übertragung von Lebensstilen von den Eltern auf die Kinder befassen, ableiten. Insbesondere von Kultursoziologen wurde auf die Bedeutung von kulturellen Veranstaltungen und Einrichtungen, die im Kindesalter gemeinsam mit den Eltern besucht wurden, für die Entwicklung des kulturellen Interesses des Erwachsenen hingewiesen. Die Ergebnisse der Kulturstudie von Frank u.a. (1991) zeigen, dass kulturelle Interessen der Eltern, an denen die Kinder teilnahmen, zu ähnlichen Aktivitäten des Nachwuchses im Erwachsenen12 Das
bereits oben dargestellte Mittelwert- und Kovarianzstrukturmodell erweitert er um die Aufnahme der Variablen Bildung, Anteil kulturellen und ökonomischen Kapitals des Berufes von Freunden und Verwandten, die seiner Generation angehören sowie um die Aufnahme der Variablen Bildungsabschluss des Vaters und die Anteile des in der beruflichen Position des Vaters enthaltenen kulturellen und ökonomischen Kapitals.
5.5 Diskussion der empirischen Begründbarkeit der Bourdieu’schen Theorie
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alter führen. Die Autoren belegen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Veranstaltungsbesuchen, die Kinder mit ihren Eltern unternommen haben, und der Intensität des kulturellen Interesses als Erwachsener. Wer dagegen in der Kindheit oder während der Adoleszenz nie an kulturelle Praktiken herangeführt worden ist, wird auch als Erwachsener kaum noch Zugang zur Kultur entwickeln können. In verschiedenen Einzelbereichsanalysen wie Theater, Konzerte, Museen zeigen die Autoren die Bedeutung der kulturellen Sozialisation als Einflussfaktor für das spätere Interesse an Kultur. Auch für den Bereich des Lesens von Büchern belegen sie, dass Leser in einem insgesamt aktiveren Umfeld aufgewachsen sind als Nicht-Leser. Leser haben häufiger (als Nicht-Leser) mit ihren Eltern das Theater besucht, waren häufiger in Museen und Ausstellungen oder in Konzerten. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen die Autoren auch für den Bereich Spielfilm, demnach die kulturelle Sozialisation bei Cineasten deutlich häufiger und intensiver stattgefunden hat als bei den übrigen spielfilmbezogenen Interessentypen. Die Cineasten sind an Theater, Konzerten und Museen häufiger herangeführt worden als der Durchschnitt der Befragten. Ein gleichsam spiegelbildliches Sozialisationsprofil kennzeichnet die unterhaltungsorientierten Filmfans, die überdurchschnittlich häufig Sportveranstaltungen und Kinos besuchten. Insgesamt bestätigen die Autoren die These, dass Veranstaltungsbesuche in Kindheit und Jugend einen bedeutsamen Einfluss auf die Entwicklung des kulturellen und musikalischen Interesses haben. Der Besuch kultureller Institutionen entscheidet sich in erheblichem Maße bereits in der Kindheits- und Jugendphase, weil hier der Zugang zu kulturellen Praktiken als Bestandteil des Alltagslebens sozialisiert wird. Ist dies nicht geschehen, ist der Besuch kultureller Veranstaltungen eher eine dem Habitus nicht immanente Verhaltensweise, die allenfalls Ausnahmecharakter trägt. Dies gilt abgeschwächt selbst für die Entwicklung populärkultureller Musikinteressen. So zeigen die Befunde auch, dass die Rock- und Popmusikinteressierten von ihren Eltern zwar deutlich seltener als die klassisch Musikinteressierten zu kulturellen Veranstaltungen mitgenommen wurden, jedoch immer noch häufiger als die Desinteressierten. Diese sozialisationsbedingten Hindernisse sind nach der Auffassung der Autoren jedoch zu einem gewissen Teil über Bildung zu überwinden. Daraus wird noch einmal deutlich, welche entscheidende Steuerungsvariable Bildung für kulturelles Interesse darstellt. Im Rahmen einer umfangreichen Studie
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5. Zur sozialstrukturellen Bedeutung von Lebensstilen
identifizieren Andreasen und Belk (1980) in multivariaten Analysen ebenfalls stabile Effekte kultureller Sozialisation in Hinblick auf spätere hochkulturelle Partizipationsformen.13 Nach Sichtung der empirischen Ergebnisse sind zumindest Teile der Theoriearchitektur Bourdieus mit den Befunden kompatibel. Insgesamt steht eine detaillierte empirische Überprüfung des theoretischen Gesamtkomplexes noch aus. Eine sinnvolle Modellierung des Zusammenhanges zwischen sozialen Positionen und Lebensstilen, worin auch der Wirkungsmechanismus der sozialen Herkunft und damit der Prozess der Habitualisierung berücksichtigt wird, steht offen. Die relativen Einflüsse der sozialen Herkunft und der gegenwärtigen Position auf die Entwicklung eines Lebensstils bleiben z.B. empirisch unberücksichtigt. Ebenfalls empirisch ungeprüft ist die Bedeutung der sozialen Herkunft für das inkorporierte Kulturkapital, das im Prozess der Sozialisation durch Familie und Schule internalisiert und zum festen Bestandteil der Person geworden ist. Für die vorliegende Arbeit soll der Habitus als entscheidendes konzeptionelles Bindeglied zwischen Lebensstil und sozialer Herkunft genutzt werden. Allerdings bleiben bis dato zentrale Elemente des Habituskonzeptes wie die relative Stabilität von Präferenz- und Handlungsmustern, die in der primären Sozialisation erworben wurden, sowie der Erwerb von Handlungssmustern in Affinität zu Handlungsressourcen ökonomischer und kultureller Art empirisch unbeantwortet. Bisher ungeprüft ist auch der Anpassungsprozess des Habitus an „biographische Zäsuren“. Nach Bourdieu verändert sich der Lebensstil nicht wesentlich, dennoch besteht die Möglichkeit, den Habitus bei sozialen Auf- oder Abstiegen zu modifizieren. Ein sozialer Aufstieg hinterlässt Spuren im Habitus, da laut Bourdieu jede biographische Zäsur vom Habitus aufgenommen und in die Persönlichkeit eingeschrieben wird und wiederum praxisrelevante Dispositionen produziert. Unklar bleibt aber, wie sich soziale Mobilität auf die Lebensstile auswirkt. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll diese Leerstelle empirisch gefüllt werden.
13 Es
lassen sich auch noch weitere Autoren aufführen, die zu den gleichen Ergebnissen gelangen wie z.B. Bamossy (1982).
6 Entwicklung eines empirisch fundierten Modells zur Analyse von Effekten sozialer Mobilität auf Lebensstile Im Folgenden wird das im dritten Kapitel entwickelte Modell zur Analyse von Effekten sozialer Mobilität auf alltagsästhetische Präferenzen in der Lebensstilforschung eingesetzt. Unter Anwendung des Modells wird der Einfluss der sozialen Herkunft, der sozialen Mobilität und die aktuell eingenommene sozialen Position auf alltagsästhetische Präferenzen, kulturelle Orientierungen und Verhaltensweisen spezifiziert und analysiert. Im Mittelpunkt der Analyse steht die Frage nach der Stabilität lebensstilrelevanter Strukturierungsmuster sowie der Anpassungsleistung der Akteure an veränderte Ressourcenlagen. Die Prägung von Lebensstilen wird aus der diachronen Perspektive betrachtet, in dem in der Modellierung auch die soziale Herkunft sowie der Lebenslauf bzw. Erwerbsverlauf und damit der Prozess der Habitualisierung berücksichtigt werden. Damit soll eine in der bisherigen Lebensstilforschung offenen Fragen geklärt werden: Inwieweit ist die grundsätzliche ästhetische Einstellung durch die soziale Herkunft und die sozialisationsspezifische Entwicklung des Subjekts geprägt und wie verändert sich der Einfluss der sozialen Herkunft durch die biographische Entwicklung des Individuums und der aktuell eingenommenen Position. Der Einfluss sozialer Mobilität auf Lebensstile ist in den bisherigen Lebensstiluntersuchungen nicht berücksichtigt worden, obwohl vereinzelt auf die Abhängigkeit der Lebensstile von sozialen Auf- und Abstiegsprozessen hingewiesen wurde (Schulze 1992: 662). So weist z.B. Wuggenig (1994) im Rahmen einer Befragung über die Objektwahl beim Fotografieren sowohl auf Abhängigkeiten von der aktuell eingenommenen Position als auch von der individuellen Laufbahn hin. Die Bedeutung der sozialen Herkunft für die Generierung von Lebensstilen ist in dem theoretischen Ansatz von Bourdieu (1982) enthalten. Eine Besonderheit seines Ansatzes liegt darin, dass er die Entwicklung von Lebensstilen vorwiegend intergenerational thematisiert. In seinem Habituskonzept berücksichtigt Bourdieu die Generierung von Lebensstilen unter einer diachronen Betrachtung. Wie
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6. Entwicklung eines empirisch fundierten Modells
bereits im letzen Kapitel herausgestellt, belegen zahlreiche Untersuchungen die zentrale Bedeutung der primären Sozialisation für die Ausbildung alltagsästhetischer Präferenzen, kultureller Orientierungen und Verhaltensweisen (z.B. Frank, Maletzke und Müller-Sachs 1991). Eine zentrale Annahme des Habituskonzeptes ist die relative Stabilität von Präferenz-und Handlungsmustern, die in der primären Sozialisation erworben wurden. Eng damit ist eine weitere Annahme des Habituskonzepts verknüpft, nämlich dass die erlernten Handlungsmuster in Affinität zu Handlungsressourcen ökonomischer und kultureller Art gebildet werden. In der Bourdieuschen Theorie bestimmt die soziale Herkunft einer Person das erste Kapitalvolumen und die erste Kapitalstruktur dieser Person. Durch die materiellen und kulturellen Ressourcen, die der Familienstruktur zugrunde liegen und damit durch die ökonomischen und kulturellen Zwänge, die als Identitätsvermittler fungieren, lässt sich - so Bourdieu - der Geschmack als eine Dimension des Habitus identifizieren. Der erworbene Geschmack orientiert sich an dem der primären Sozialisationsinstitution, der Familie. Der dort herrschende Geschmack unterliegt dem Einfluss des Erwerbsmodus und der gesellschaftlichen Verhältnisse. Aufgrund des Hysteresis-Effektes des Habitus, der die Beständigkeit eines in der Primärsozialisation erworbenen und in der Biographie weiter ausgeformten Lebensstils gegenüber den heutigen Strukturmerkmalen eines Individuums betont, sind vollständige Änderungen des Habitus unwahrscheinlich. Er wird nach Bourdieu zeitlebens mitgenommen und modifiziert sich nicht wesentlich durch soziale Auf- und Abstiege. Durch das umfangreiche und differenzierte Bildungsangebot ist lediglich die Möglichkeit gegeben, sich und den Habitus zu modifizieren. In der empirischen Lebensstilforschung sind Forschungen, die sich mit Veränderungen von Lebensstilen befassen nicht oder nur rudimentär vorhanden. Bislang behandeln Forscher Veränderungen von Lebensstilen eher aus der Perspektive des Strukturwandels sozialer Ungleichheit. Sie thematisieren entweder den Wandel der Abhängigkeit der „Performanzmuster“ von strukturellen Variablen (Lüdtke 1992), rekonstruieren den Wandel sozialer Milieus anhand von Querschnittsuntersuchungen aus drei Jahrzehnten (Müller-Schneider 1994) oder erforschen den intergenerationalen Lebensstilwandel retrospektiv (Hartmann 1999). Das Fehlen von Forschungen zu Lebensstilveränderungen im biographischen Zeitraum ist darauf zurückzuführen, dass die Lebensstilforschung noch ein relativ neues Forschungsfeld ist und damit keine Längsschnittuntersuchungen vorliegen, mit denen der Grad der individuellen Stabilität im Kontext der sozialen Mobilität untersucht werden kann. Die Frage, ob Lebensstile oder
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lebensstilgenerierende Mechanismen über die Lebenszeit invariant sind, kann erst nach detaillierten Längsschnittanalysen einzelner Lebensstile beantwortet werden. In der bisherigen Lebensstilforschung impliziert die Betrachtung eines bestimmten Lebensstils die Vorstellung eines relativ stabilen Abgeschlossenen innerhalb der biographischen Entwicklung. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass die Stabilität des Lebensstils, die insbesondere in dem Habituskonzept von Bourdieu zum Ausdruck kommt, implizit in die Forschungen einfliessen. Eine Ausnahme hiervon ist die Analyse von Hartmann (1999), der den intragenerationalen Wandel von Lebensstilen auf der Basis einer retrospektiven Erhebung von Lebensstilindikatoren für verschiedene biographische Zeitpunkte ins Zentrum stellt. In der retrospektiven Erhebung sieht Hartmann einen Ausweg aus dem Dilemma fehlender Panel-Daten zur Analyse von Lebensstilveränderungen. Ein Anliegen seiner Analyse ist die Trennung von Alterseffekten in Kohorteneffekten und Lebenszykluseffekten, um damit zu Aussagen über inter- und intragenerationale Veränderungen zu gelangen. Die Ergebnisse belegen durchaus Lebensstilveränderungen im Lebenslauf einer Person. Einerseits nimmt die Neigung zum Hochkulturschema mit dem Lebensalter deutlich zu, andererseits ist die Neigung zum Hochkulturschema bei den jüngeren Jahrgängen stärker ausgeprägt als bei den älteren Jahrgängen. Die erste Tendenz rechnet er dem Lebenszykluseffekt, die zweite dem Kohorteneffekt zu. Da das Hochkulturschema bei Personen mit höher Schulbildung stärker ausgeprägt ist, führt Hartmann die höheren Werte bei den jüngeren Jahrgängen im Wesentlichen auf deren höhere Schulbildung zurück. Daraus schließt Hartmann, dass die Neigung zum Hochkulturschema eher mit einer „altersmässigen Reifung“ zusammenhängt, während beim Trivial- und Spannungsschema Kohorteneffekte vorzufinden sind. Die Neigung zum Hochkulturschema nimmt damit im Lebensverlauf im Durchschnitt zu. Eine Abnahme der Neigung zum Trivialschema sowie eine Zunahme der Neigung zum Hochkulturschema scheint mit einer Zunahme der Bildung im Lebensverlauf möglich. Dieses Ergebnis steht im Übrigen im Einklang mit Bourdieu (1982). Demnach ist der Lebensstil kein statisches Gebilde. Dies folgt indirekt auch aus den Ergebnissen der bisherigen Lebensstiluntersuchungen. In der neueren Lebensstildiskussion wird auf Grund der Ergebnisse empirischer Untersuchungen von einer Wirkung vertikaler struktureller Ungleichheit auf Lebensstile ausgegangen, in dessen Rahmen sich eine Pluralität an Lebensstilen herausbildet (vgl. Kapitel 4). Unter der Annahme, dass die Stellung im Raum sozialer Positionen einen Einfluss auf Lebensstile ausübt, ist davon auszugehen, dass sich prinzipiell mit einer Veränderung der Lage auch der Lebensstil verändern wird.
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Auslösende Faktoren können sowohl individuell als auch strukturell begründet sein, so z.B. eine Veränderung der beruflichen Situation oder eine Änderung der Familienverhältnisse (individuelle Faktoren). Des Weiteren können Veränderungen der Haushaltsstruktur auf Grund des Wandels der Berufskarrieren und des generativen Verhaltens, des allgemeinen Wachstums von Wohlstand und Lebensqualität in sozialen Lagen oder eines extremen sozialen Wertewandels, Auslöser sein (vgl. Zapf 1987). Im Folgenden sollen zentrale Elemente des Habituskonzeptes wie die Bedeutung der primären Sozialisation für die Ausbildung des Geschmacks, die Inkorporationsannahme sowie die Stabilitätsannahme überprüft werden. Die Effekte sozialer Herkunft, sozialer Mobilität und gegenwärtig eingenommener sozialer Position werden unter Verwendung der im dritten Teil dieser Arbeit entwickelten Modelle spezifiziert und die Parameter unter Verwendung des dreistufigen Schätzverfahrens geschätzt. In der folgenden Modellierung soll dem Anliegen Bourdieus gefolgt werden, auch die „diachronen Eigenschaften jeder sozialen Position“ zu berücksichtigen, da sich doch „zwei unter synchronen Gesichtspunkten offensichtlich identische Positionen als zutiefst verschieden voneinander erweisen“ (Bourdieu:1974, 1982). Damit weist Bourdieu auf die Notwendigkeit hin, die soziale Mobilität im sozialen Raum bei der Erklärung von Lebensstilen zu berücksichtigen. In diesem Kontext stehen vor allem folgende Fragen im Zentrum: • Wie stark wird der Lebensstil durch die soziale Herkunft eines Individuums geprägt und wie stark durch die aktuell eingenommene Position? Diese Frage bezieht sich auf die relativen Einflüsse der sozialen Herkunft und der gegenwärtigen Position zueinander. • Wie verändert sich der Einfluss der sozialen Herkunft auf Lebensstile bei einem Statuswechsel? Unter der Annahme, dass sich der Lebensstil durch eine Veränderung der beruflichen Position ändern kann, ist davon auszugehen, dass der Einfluss, den die berufliche Position auf Lebensstile ausübt, zunimmt, je länger eine Person diese Position einnimmt. Je länger eine Person in der neuen Position ist, desto schwächer müsste der Einfluss der sozialen Herkunft auf Lebensstile sein. • Ist die Prägung von Lebensstilen durch die soziale Herkunft unterschiedlich stark in Abhängigkeit von den jeweiligen materiellen und kulturellen Bedingungen, denen eine Person in ihrer Primärsozialisation ausgesetzt ist? Diese Frage steht im engen Zusammenhang mit der Frage, ob die
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Stärke des Einflusses sozialer Herkunft abhängig von der jeweils spezifischen Herkunftsklasse ist? Diese Fragen beziehen sich darauf, ob Individuen unterschiedlich starken Sozialisationseinflüssen in Abhängigkeit von der jeweils spezifischen Herkunftsklasse ausgesetzt sind. Klärungsbedürftig ist, ob sich die sozialen Klassen in ihrer Fähigkeit unterscheiden, alltagsästhetische Geschmackspräferenzen und Verhaltensweisen zu prägen, die bei einem Statuswechsel beibehalten werden. Wie im letzten Kapitel herausgestellt, weisen empirische Befunde darauf hin, dass die kulturelle Partizipation einer Person als Kind, wie z.B. Theater- und Konzertbesuch mit den Eltern, einen Einfluss auf die kulturelle Partizipation dieser Person als Erwachsener ausübt. Gleichzeitig weisen eine Reihe von Untersuchungen auf eine schichtspezifisch unterschiedliche Verteilung des Besuchs kultureller Veranstaltungen und Einrichtungen sowie auf Unterschiede in der Art der besuchten Veranstaltungen hin. Auf dieser Basis ist zu vermuten, dass die soziale Herkunft einen länger anhaltenden Einfluss auf hochkulturelle Aktivitäten ausübt, wenn ein Individuum aus einer Statusgruppe stammt, in denen hochkulturelle Aktivitäten stattfanden. Zugespitzt formuliert: Ausgehend vom Indivduum soll die Frage geklärt werden, welchen Einfluss die jeweilige soziale Herkunft einer Person innerhalb einer gegebenen sozialen Klasse hat. Ausgehend von der Klassenstruktur gilt es zu klären, ob sich die Einflüsse der sozialen Herkunft auf Lebensstile bei den einzelnen Statuswechslern innerhalb einer sozialen Klasse unterscheiden. • Ist der Einfluss der sozialen Mobilität unterschiedlich stark in Abhängigkeit davon, in welche Klasse eine Person gewechselt ist? Diese Frage bezieht sich darauf, ob sich die sozialen Klassen in der Stärke der Beeinflussung ihrer neuen Mitglieder unterscheiden. • Ist der Einfluss der sozialen Mobilität abhängig davon, in welcher Klasse eine Person aufgewachsen ist und in welche sie gewechselt ist? Diese Fragen beziehen sich auf die unterschiedlich starke Effektivität der Sozialisation einzelner sozialer Klassen in ihrer Fähigkeit, zum einen ihre ehemaligen Mitglieder bezüglich ihrer Lebensstile zu prägen und zum anderen ihre neuen Angehörigen zu sozialisieren. • Eng damit verknüpft ist die Frage, wie sich Effekte vertikaler Mobilität auf den Lebensstil einer Person auswirken. Ist der Effekt der sozialen Herkunft stärker bei Personen, die abgestiegen sind gegenüber den Personen, die aufsteigen? Diese Frage steht im Zusammenhang mit der Frage,
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ob höhere Schichten einen stärkeren Effekt auf Lebensstile ausüben als untere Schichten, unabhängig davon, ob es sich um die jeweilige soziale Herkunftsklasse oder um die soziale Klasse handelt, in der sich das Individuum gegenwärtig befindet. Fokussiert auf das Individuum stellt sich damit die Frage, ob Personen, die sowohl mit höheren als auch mit unteren Schichten in Kontakt stehen, eher dazu tendieren, sich an dem Lebensstil der höheren Schichten zu orientieren. So stellt sich z.B. für Aufwärtsmobile das Problem, von der etablierten Klasse anerkannt zu werden, was zu einer übersteigerten Prätention führt (Wuggenig 1994: 218). Dies würde bedeuten, dass soziale Aufsteiger sich stärker an dem Lebensstil der Statusgruppe orientieren würden, in die sie hineingewechselt sind, und soziale Absteiger den Lebensstil ihrer Herkunftsklasse weitgehend beibehalten. So impliziert z.B. die Musikkapitaltheorie von Stigler und Becker (1977) ein nachhaltiges Interesse für klassische Musik, selbst wenn das Individuum sozial abgestiegen ist. Gleichzeitig impliziert sie, dass das Interesse an klassischer Musik stärker wird, je öfter sie konsumiert wird. Unter der Annahme, dass höhere Statusgruppen stärker klassische Musik konsumieren, bedeutet dieses für Personen, die noch kein Interesse für klassische Musik entwickelt haben und die in diese Statusgruppe aufgestiegen sind, dass sie zunächst durch den Kontakt mit den Personen aus der Statusgruppe an diese Art Musik herangeführt werden und durch den Konsum das Interesse verstärkt wird. • Eng damit verknüpft ist die Frage, ob sich Auf- und Abwärtsmobile in einer gegebenen sozialen Klasse von den Personen unterscheiden, die schon immer dieser Klasse angehörig waren. Bourdieu macht Ausführungen über Personen, die durch Akkumulation von kulturellem Bildungskapital sozial extrem hoch aufgestiegen sind und ihre soziale Herkunft hinter sich gelassen haben. Der Habitus dieser Personen unterscheidet sich nach Bourdieu erheblich von denen, die schon immer ihrer Statusgruppe angehörten. Die soziale „Kletterpartie“ des Aufstiegs hinterlässt zwar deutliche Spuren im Habitus der Akteure. Nach Bourdieu wird jede biographische Zäsur vom Habitus aufgenommen, in die Persönlichkeit eingeschrieben und produziert wiederum praxisrelevante Dispositionen. Der in der Primärsozialisation erworbene Habitus ändert sich jedoch nicht grundlegend. Markant wird diese Differenz im Umgang mit kulturellen Praktiken bei Personen, die gleiche Stellungen im Raum sozialer Positionen einnehmen. Nach Bourdieu lassen sich unterschiedliche kulturelle Praktiken innerhalb
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einer Klasse aus der sozialen Herkunft und dem Bildungskapital erklären. Angehörige einer Klassenfraktion verfügen in etwa über gleich hohes institutionalisiertes kulturelles Kapital. Bildung wird damit eine entscheidende Ressource im sozialen Aufstieg. Empirische Untersuchungen über die Relevanz der Vermittlung kulturellen Kapitals bei der sozialen Aufwärtsmobilität lassen sich in DiMaggio 1982; Mohr und DiMaggio 1995; Aschaffenburg und Maas 1997 und speziell für Deutschland in De Graaf 1988 finden. Aufgrund der Kapitalstruktur des Elternhauses kann dies bei „Aufsteigern“ nicht über die Primärsozialisation, sondern im Rahmen des Bildungssystems erworben werden. Bildungstitel ermöglichen zwar sozialen Aufstieg, die fehlende kulturelle Primärsozialisation begrenzt allerdings die Rate der Akkumulation kulturellen Kapitals in späteren Sozialisationsphasen. Innerhalb der herrschenden Klasse resultieren bei gleich hohem Bildungskapital ästhetische Unterschiede aus unterschiedlichen Erwerbsmodi: Familie versus Schule. Die soziale Herkunft schlägt nach Bourdieu umso stärker durch, je weniger schulisches Wissen gefordert und je mehr natürliche Vertrautheit mit Kultur entstanden ist. Bourdieu sieht eine enge Beziehung zwischen den kulturellen Praktiken und dem Bildungskapital und sekundär der sozialen Herkunft und weist darauf hin, dass unter der Voraussetzung eines gleichwertigen Bildungskapitals mit zunehmender Ferne zu den legitimen Bereichen der Kultur das Gewicht der sozialen Herkunft bei der Erklärung der Präferenzen und Praktiken stärker durchschlägt. • Wie wirken sich Auf- und Abwärtsbewegungen in einem sozialen Raum auf Lebensstile aus? Diese Frage betrifft die Effekte, die von einem Statuswechsel ausgehen. In der bisherigen Lebensstilforschung ist die Frage, ob und inwieweit soziale Mobilität an sich einen eigenständigen Effekt auf Lebensstile ausübt, bisher nicht thematisiert worden. Die Mobilitätsforschung geht davon aus, dass vertikale Mobilität mit speziellen sozialen Erfahrungen verbunden sind wie z.B. konfligierende Erwartungen oder Statusunsicherheit (Berger 1996). Unter Umständen können es jedoch gerade die häufigen Auf- und Abstiege und nicht die konstanten Einflüsse gleichbleibender Lebensbedingungen sein, die bestimmte Muster des Denkens und Handelns erklären. Daher soll die Frage beantwortet werden, ob inter- und intragenerationelle Mobilität an sich einen eigenständigen Effekt auf Lebensstile ausübt. Die Beantwortung der Frage, wie sich die individuelle Bewegung durch den Raum sozialer Positionen, der zwischen den
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zwei Zeitpunkten der Erfassung intergenerationaler Mobilität lag, auf den Lebensstil auswirkt, erfordert Datenquellen, die eine in zeitlicher Hinsicht detaillierte Rekonstruktion von Lebens- bzw. Erwerbsverläufen ermöglichen. Im vorliegenden Fall kann die Prägung von Lebensstilen durch die Karrieremobilität auf Grund fehlender Längsschnittdaten nicht als Prozess modelliert werden. Soweit die Datenlage eine Rekonstruktion zulässt, wird dies im Modell berücksichtigt. • Ist der Einfluss der sozialen Herkunft, der gegenwärtig eingenommenen Position und der sozialen Mobilität abhängig von den individuellen Merkmalen wie z.B. Alter und Geschlecht der Befragten? Ebenso könnte der Einfluss, den die soziale Herkunft auf Lebensstile ausübt, abhängig sein von den gesellschaftlichen Verhältnissen der jeweiligen Zeit, in der das Individuum primär sozialisiert wurde. Empirische Ergebnisse im Bereich Lebensstile weisen darauf hin, dass neben vertikalen Merkmalen sozialer Ungleichheit (Bildung) auch horizontale Merkmale sozialer Ungleichheit (Alter) einen starken Einfluss auf alltagsästhetische Präferenzen und Verhaltensweisen ausüben (vgl. Kapitel 4). Neben direkten Effekten dieser Merkmale ist es denkbar, dass die Einflüsse der sozialen Herkunft, der sozialisationsspezifischen Entwicklung und der gegenwärtigen sozialen Position auf die ästhetische Orientierung entlang dieser Merkmale variieren.
6.1 Datengrundlage Die Modellierung der Einflüsse sozialer Herkunft und aktuell eingenommener Position sowie die Laufbahn durch den Raum sozialer Positionen und damit der Prozess der Habitualisierung setzt Längsschnittdaten zum Bereich Lebensverlauf und Lebensstil über einen sehr langen Zeitraum voraus. Diese Daten sind jedoch nicht erhoben, was unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass die Lebensstilforschung noch ein relativ neues Forschungsfeld ist und damit auch keine Längsschnittuntersuchungen vorliegen. Dennoch können zentrale Aspekte des Habituskonzeptes und damit der Gesamtkomplex Struktur-Habitus-Praxis operationalisiert, in ein Modell überführt und damit einer empirischen Überprüfung zugänglich gemacht werden. Im Folgenden wird die Prägung eines Lebensstils retrospektiv betrachtet. Datengrundlage für die folgende Modellierung ist die Erhebung der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) 1998, in der das Thema „Lebensstile“ ein Schwerpunktthema bildete. Durch das Fehlen von Längs-
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schnittdaten bzw. durch die fehlende retrospektive Erhebung der Zeitdauer, die Personen in einer sozialen Position verbracht haben, kann nicht der gesamte Prozess abgebildet werden. Die Länge an Zeit, die sich eine Person bereits in einer Statusgruppe befindet, könnte für die Veränderung des in der Primärsozialisation entwickelten Habitus bzw. die Generierung von Lebensstilmustern eine wesentliche Rolle spielen. Dieser Prozess kann mit dem hier vorliegenden Datenmaterial nicht modelliert werden. Im folgenden Modell werden die Effekte sozialer Herkunft, sozialer Mobilität und der aktuellen Erfahrungen der sozialen Welt auf Lebensstile auf der Individualebene und nicht auf der Haushaltsebene spezifiziert. Der Haushalt ist nicht als ein nach innen homogenes Gebilde aufzufassen. Die Mitglieder eines Haushaltes verfügen einerseits über unterschiedliche individuelle ökonomische Ressourcen und andererseits über unterschiedliche kulturelle Orientierungsmuster und können demensprechend verschiedene Lebensstile ausbilden. Im Bereich der Sozialstruktur angesiedelte Modelle, die alle Familienmitglieder dem Status des Haushaltsvorstandes zuordnet, genügen den bestehenden Differenzierungen von Haushaltsformen und Lebensverläufen nicht ausreichend (Hradil 1987; Berger und Hradil 1990; Kreckel 1992). In der folgenden Modellierung soll insbesondere vermieden werden, dass berufstätige Frauen nach dem Status des Ehemannes beurteilt werden.
6.2 Spezifikation des Basismodells Die Spezifikation der Einflüsse sozialer Herkunft, sozialer Mobilität und gegenwärtiger Position im sozialen Raum auf Lebensstile setzt voraus, dass zunächst ein geeignetes Modell der Strukturierung der Gesellschaft gefunden wird, die den Bezugsrahmen zur Analyse der Effekte liefert. Die Kategorisierung der beruflichen Positionen bzw. die Wahl des geeigneten Klassen- oder Schichtkonzepts, das zur Modellierung der Effekte zugrundegelegt wird, bestimmt einerseits welche und wie viele Bewegungen als Mobilität gelten, andererseits die Erklärungskraft für Lebensstile. Die Sichtung der empirischen Lebensstilforschung in Kapitel 4 hat verdeutlicht, dass Lebensstile sehr eindeutig als Ressourcenunterschiede interpretierbar sind. Lebensstile sind nicht losgelöst von den sozialen Positionen und den objektiven Lebensbedingungen zu verstehen, sondern werden innerhalb von sozialen Strukturen hervorgebracht, die nicht überschritten werden können. Vertikale Schichtungsmerkmale scheinen allgemein nicht in dem Maße an Handlungsrelevanz verloren zu haben wie es die Befürworter der sogenannten Entstrukturie-
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rungsansätze sehen. Die Befunde zeigen auch, dass traditionelle Schichtkonzepte insgesamt zu heterogen angelegt sind und für die Ausbildung von Lebensstilen entweder als Gesamtkonzeption oder für einzelne Schichtdimensionen nicht geeignet sind. Diese stellen bezüglich der Lebensstile ebensowenig wie Lebensstilgruppierungen bezüglich der Schichtindikatoren homogene Gebilde dar. Vielmehr können sich einzelne Lebensstile über mehrere Schichten verteilen und in einer Schicht verschiedene Lebensstile gelebt werden, was insbesondere die breite Mittelschicht betrifft. Wie die Ergebnisse auch zeigen, erweist sich das Berufsprestige auch nicht als eine geeigente Determinante. Aufgrund dieser Befunde erscheint es sinnvoll, das Mobilitätsmodell auf der Basis von Berufsgruppen und nicht auf der Basis von Schichtmodellen oder Berufsprestigeklassifikationen zu spezifizieren. Dafür spricht auch die größere Alltagsnähe, die Befragte mit beruflichen Stellungen verbinden. So verbinden Personen unter dem Begriff der beruflichen Stellungen „präzise Alltagsvorstellungen im Hinblick auf typische Optionen und Restriktionen, die mit ihnen verknüpft sind“ (Berger 1996: 171). Unter Optionen und Restriktionen fasst Berger u.a. Arbeitsbedingungen, Prestige und Einkommenschancen. Der Autor sieht daher in einer Klassifikation nach beruflichen Stellungen eine sinnvollere Gruppierung als die herkömmlichen Klassen und Schichten (Berger 1996: 171 f). Die Ermittlung unterschiedlicher Effekte von Beruf, Einkommen und Schulbildung ist einer summarischen Analyse von Schichten vorzuziehen (vgl. Schaninger 1981, Wagner und Lucero-Campins 1988, O’Brian und Ford 1988). Die verschiedenen Konstrukte sozialer Schichten (vgl. Hradil 1987), die auf Grund einer Kombination verschiedener Statusdimensionen wie Berufsstatus, Bildung und Einkommen gebildet werden, werden durch heterogene Indikatoren zusammengesetzt. Auf einer Schichtungsskala kann ein Punktwert durch völlig unterschiedliche Kombinationen der oben genannten Indikatoren erreicht werden. So gelangen Bertram und Dannenbeck (1990: 213ff) in Analysen bezüglich der Homogenität der drei Schichtungsdimensionen zu dem Ergebnis, dass diese Indikatoren in den breiten mittleren Schichten sehr heterogen sind, so dass sie im Falle einer Kategorisierung nicht mehr mit dem eigentlichen Gedanken einer homogenen sozialen Gruppe korrespondieren. Gerade in Zeiten der Bildungsexpansion, der hohen Arbeitslosigkeit sowie des Rückgangs des „Normalarbeitsverhältnisses“ auf etwa 70% aller Beschäftigungsverhältnisse erscheint die implizit unterstellte Eindimensionalität der drei Schichtungsmerkmale problematisch (Osterland 1990: 354f). Bereits Lenski (1954) wies auf die Gefahr hin, dass die ungleiche Positionierung auf mehreren Statushierarchien sowohl auf personaler wie auf gesellschaftlicher Ebene eine desintegrierende Wirkung hervorrufen
6.2 Spezifikation des Basismodells
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kann. Aus diesem Grund ist es sinnvoller, von verschiedenen Statusdimensionen auszugehen und die Spezifik einzelner in Bezug auf ihren Effekt auf kulturelle Orientierungen zu analysieren. Die Befunde der empirischen Lebensstilforschung zeigen auch, dass dem kulturellen und dem ökonomischen Kapital zentrale Differenzierungswirkung zukommt. Das Gesamtkapitalvolumen scheint insgesamt nur noch sehr grobe soziale Differenzierungen anzuzeigen. Daher kommt der Information über die Kapitalstruktur wachsende Bedeutung zu. So zeigen die Befunde der empirischen Lebensstiluntersuchungen, dass die Erklärungskraft von Beruf als Determinante für Lebensstile steigt, wenn das in einer beruflichen Position immanente ökonomische und kulturelle Kapital getrennt verwendet bzw. wenn bei einer Berufsklassifizierung von Berufen die Ressourcenstruktur mitbeachtet wird. Aus den Befunden lassen sich Ideen für eine Kategorisierung von Statusgruppen ableiten, die als Basis für die Modellierung der Effekte sozialer Herkunft, sozialer Mobilität und aktuell eingenommener Position auf Lebensstile verwendet wird. 6.2.1 Operationalisierung sozialer Positionen In Anlehnung an Bourdieu (1982) wird im Folgenden die Stellung im Raum sozialer Positionen durch die Berufsposition bzw. durch die berufliche Tätigkeit operationalisiert. Bourdieu definiert die Stellung im Raum sozialer Positionen als ein mehrdimensionales Gebilde. Im empirischen Teil operationalisiert er die Positionen ausschließlich über Berufe und vereinzelt über Berufspositionen, betont dabei aber auch, dass sich hinter der Verwendung von Berufsgruppen als Analyseeinheit des sozialen Raums ein komplexes Wirkungsgeflecht aus Alter, Geschlecht, ethnischer und sozialer Herkunft sowie räumlicher Verteilung verbirgt (Bourdieu 1982: 177ff). Die Operationalisierung der sozialen Positionen erfolgt in dieser Arbeit über die Angaben zur ausgeübten beruflichen Tätigkeit, die im ALLBUS nach der Internationalen Berufssystematik ISCO „International Standard Classification of Occupation“ 1988 vercodet ist sowie nach der jetzigen beruflichen Stellung.1 Aus dieser Konzentration auf die Erwerbssphäre folgt, dass in dem hier entwickelten Modell auch nur Erwerbstätige berücksichtigt werden und damit Stu1
Eine Operationalisierung durch die Berufsangaben allein, wie sie in erster Linie von Bourdieu vorgenommen wurde, ist nicht ausreichend, da bei einer späteren Klassifizierung von Erwerbstätigen nach sozialen Klassen zum Teil Erwerbstätige auf sehr unterschiedliche Qualifikations- und Hierarchiestufen zusammengefasst würden, mit großen Unterschieden in den Tätigkeitsinhalten, Weisungs- und Kontrollbefugnissen sowie Besoldungsstufen und Gehaltsbezügen.
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denten, Rentner und Hausfrauen und -männer und Arbeitslose aus der Analyse herausfallen. Die Bedeutung der Erwerbsarbeit für die Ausbildung von Persönlichkeit und Lebensstil wird u.a. von Klocke (1993) herausgestellt, der in der Zunahme an Arbeitsflexibilisierung, der beruflich-geographischen Mobilität und den zunehmend geforderten extrafunktionalen Kenntnissen ein zunehmendes Hineinwirken der Arbeitssphäre in die Privatssphäre sieht. Nach Klocke (1993) prägen die Stellung im Erwerbssystem sowie die Art der Erwerbstätigkeit (Berufsposition) die individuellen Lebensbedingungen, die Lebenschancen, die Wahrnehmung der sozialen Welt sowie die Lebensäußerungen der Menschen. Unter Berufung auf Beiträge aus der Biographieforschung ebenso wie auf Ergebnisse der empirischen Industriesoziologie und der theoretischen Kultursoziologie belegt er einen zentralen Stellenwert der Erwerbsarbeit im Leben des Menschen. Neben den in Arbeitsverträgen festgelegten Arbeitsleistungen ist zusätzlich eine Nutzung der Arbeitskraft getreten, die auf extrafunktionale Fähigkeiten zielt und sowohl Kompetenz als auch Verantwortungsbewusstsein abverlangt (Kohli 1989: 259; Kern und Schumann 1984; Baethge und Oberbeck 1986). Das Anforderungsprofil an qualifizierte Arbeit führt zu einem neuartigen Einwirken des Erwerbssystems in das soziokulturelle System (Baethge 1991). Zwar sind im Zuge der Einführung neuerer Produktionskonzepte, in der es zu einer Flexibilisierung der Industriearbeit gekommen ist (Kern und Schumann 1984), die kollektiven Erfahrungswelten der Arbeiter aufgebrochen. Gleichzeitig führen der Modernisierungsprozess und die Diversifizierung gesellschaftlicher Wertmuster zu einem neuen Anspruchsdenken der Erwerbstätigen an ihre Tätigkeiten. Neben Einkommen und Sicherheit soll durch die Tätigkeit insbesondere das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, Verantwortung und Spass befriedigt werden. Der Berufsrolle kommt eine integrale Funktion für die persönliche Identitätsbildung zu, da Sinnstiftung im hohem Maße durch den Beruf erfahren wird (Baethge 1991). Klocke (1993) sieht in diesen beiden Entwicklungen die Ursachen für eine Beziehung von Arbeit und privater Lebenssphäre, die durch eine positiv erfahrene Symbiose von Erwerbsarbeit und privater Lebenssphäre gekennzeichnet ist. Nach Klocke (1993: 158) verschmelzen die Privatssphäre und die Arbeitssphäre zunehmend. Die intrinsische Arbeitsorientierung dehnt sich über die hochspezialisierten Berufsgruppen aus. Gleichzeitig gilt die sinnstiftende Symbiose nicht für alle Arbeitnehmergruppen in gleichem Maße. Die qualifizierte Berufsarbeit, die sinnstiftenden Chakakter hat, wird zum allgemein gesellschaftlichen Leitmotiv (vgl. Schumann 1990; Baethge 1991). Insgesamt resümiert Klocke, dass der Berufsarbeit nach wie vor die Schlüsselrolle in der Ausbildung von Verhaltens-
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und Lebensformen zukommt. Die kulturelle Orientierung wird durch die Persönlichkeit geprägt, die durch die konkrete Arbeit ausgeformt wird. Über die Bedeutung der beruflichen Tätigkeit für Ausbildung der Persönlichkeit hinaus ist zu berücksichtigen, dass in der „neuen Arbeitsgesellschaft“, in der Vollzeitarbeit immer seltener, Arbeitsplätze immer mobiler und ein Wechsel von Phasen der Erwerbstätigkeit und der Arbeitslosigkeit immer häufiger werden, die ungleichheitsstrukturierende Bedeutung von Berufen und Berufsgruppen steigt (Strasser und Dederichs 2000: 89).
6.2.2 Kategorisierung beruflicher Positionen Im weiteren Verlauf werden die beruflichen Tätigkeiten und die Berufspositionen klassifiziert. Da die Erklärungskraft des gesamten Modells für Lebensstile entscheidend davon abhängig ist, wie die Berufe und beruflichen Stellungen kategorisiert werden, wurde in Voranalysen verschiedene Konzepte der Spezifikation der Effekte sozialer Herkunft, gegenwärtiger Position als Basis zugrundegelegt und getestet, mit welchem Modell eine bessere Anpassung an die Daten erzielt werden konnte. Erstens wurden die Berufspositionen unter Verwendung des Klassenschemas von Erikson, Goldthorpe und Portocarero (Erikson und Goldthorpe 1992) gruppiert. Diesem Klassenschema liegt eine mehrdimensionale Konzeption zugrunde, das die soziale Klassenlage theoretisch als Resultat der jeweiligen Marktlage und Arbeitssituation der Beschäftigten betrachtet. Das Modell nimmt in der soziologischen Ungleichheits- und Mobilitätsforschung einen wichtigen Stellenwert ein und ist derzeit das international am meisten verwendete Klassenschema moderner Gesellschaften (vgl. Hradil 1999: 363). Das Klassenschema unterscheidet grob zwischen drei Kategorien von Beschäftigten, erstens den Arbeitgebern, zweitens den Selbständigen und drittens den Arbeitnehmern. Es folgt eine weitere Differenzierung innerhalb der ersten und dritten Kategorie, wie der Größe des Unternehmens bei den Arbeitgebern. Bei der Gruppe der Arbeitnehmer ist ein entscheidendes Differenzierungselement die spezifische Art der Regulierung des Beschäftigungsverhältnisses, worunter Goldthorpe (1997) eine soziale Beziehung, in der die gegenseitigen formellen und informellen Verpflichtungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern festgelegt werden, fasst. Bei der Kategorisierung der beruflichen Stellungen wurde auf die aktualisierte Operationalisierung des EGP-Klassenschemas zurückgegriffen, die sich an den ursprünglichen Überlegungen der „Comparative Analysis of Social Mobility in Industrial Nations“ (Müller und Goldthorpe 1988, Erikson und Goldthorpe 1992) orientiert
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und auf der Basis von Datensätzen der 1980er und 1990er Jahre angepasst wurde (vgl. Braun, Steinmann und Haun 2000). Insgesamt wurden sieben Hauptkategorien gebildet. Die scharfe Trennung zwischen ökonomischer und kultureller Fraktion, wie sie Bourdieu insbesondere in der herrschenden Klasse vornimmt, enfällt in diesem Modell. Zweitens wurde eine Klassifizierung der beruflichen Tätigkeiten und beruflichen Stellungen nach Bourdieu (1982) vorgenommen. Wie in Kapitel 5 ausführlich dargestellt, entwickelt Bourdieu einen dreidimensionalen Klassenbegriff. Er erfasst die soziale Klasse durch drei Elemente: erstens das Kapitalvolumen, zweitens die spezifische Zusammensetzung des Kapitals und drittens die soziale Laufbahn bzw. den Werdegang einzelner Berufsgruppen. Die dementsprechend konstruierte Klasse beruht demnach nicht nur auf einer Summe von Merkmalen, wie in der herkömmlichen Schichtungsforschung üblich. Ebensowenig beruht die so konstruierte Klasse auf einer Kette von Merkmalen, die von einem dominanten Merkmal, nämlich der Stellung innerhalb der Produktionsverhältnisse, begleitet ist. Eine soziale Klasse im Sinne Bourdieus ist „durch die Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen, die jeder derselben wie den Wirkungen, welche sie auf die Praxisformen ausübt, ihren spezifischen Wert verleiht“ (Bourdieu 1982: 182) definiert. Die Einteilung der drei Klassen erfolgt dann aber auf der empirischen Ebene bei Bourdieu (1982) durch Definition und orientiert sich dabei an der herkömmlichen Trichotomisierung in Ober-, Mittel- und Unterschicht in der traditionellen Schichtungsforschung. Die Differenzierungen innerhalb der herrschenden und mittleren Klasse ist bei Bourdieu vorrangig an der Bildung und weniger auf die Dimensionen von Macht und Einfluss innerhalb der Gesellschaft bezogen (vgl. Blasius und Winkler 1989: 75). Die herrschende Klasse besteht in ihrer kulturellen Fraktion aus Berufen wie Hochschullehrern oder Kunstproduzenten, während sie sich im Bereich des ökonomischen Kapitals aus Handels- und Industrieunternehmern zusammensetzt.2 Analog rekrutiert sich die kulturelle Kapitalfraktion der Mittelklasse aus Kulturvermittlern, Lehrern der Sekudarstufe 1 und mittleren Führungskräften der Verwaltung, während auf der Seite des ökonomischen Kapitals vor allem das Kleinbürgertum (Kleinkaufleute und Handwerker) steht. Die Mittelposition wird hier von medizinisch-sozialen Dienstleistungsberufen, mittleren Führungskräften im Handel, Technikern sowie Angestellten im Bürodienst vertreten. Innerhalb der Arbeiterklasse unterschei2 Innerhalb
der herrschenden Klasse unterscheidet Bourdieu neun Klassenfraktionen: Handelsunternehmer, Sekundarstufenlehrer, freiberuflich Tätige, Ingenieure, Hochschullehrer, Kunstproduzenten, Industrieunternehmer, staatliche und private Führungskräfte.
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det Bourdieu nicht zwischen kultureller und ökonomischer Fraktion und verwendet die traditionelle vertikale Unterscheidung in Vorarbeiter, Facharbeiter sowie Angelernte und Hilfsarbeiter. Bei der Einteilung der Berufsgruppen wurde eine Berufsgruppenzuordnung von De Graaf, Ganzeboom und Kalmijn (1989) zu Hilfe genommen. Diese entwickelten in Anlehnung an Bourdieu eine Klassifikation, die kulturelle und ökonomische Dimensionen des beruflichen Status unterschieden und auf dieser Basis Skalen zur Messung des kulturellen und ökonomischen Status entwickelten. Da dennoch auf der empirischen Ebene nicht immer eindeutig eine Klassifizierung der beruflichen Tätigkeiten und der beruflichen Stellungen vorgenommen werden konnte, ist es notwendig, bei feineren Differenzierungen auf andere Berufsgruppenmodelle und Klassenschemata auszuweichen. In dieser Arbeit wurde bei der Kategorisierung der beruflichen Positionen das Berufsgruppenmodell von Berger (1996) hinzugenommen. Die beiden Klassifizierungen wurden jeweils als Basis für die Spezifikation der Effekte sozialer Herkunft, sozialer Mobilität und gegenwärtiger Position auf Lebensstile verwendet. Dazu wurden jeweils drei einfache „diagonal mobility“ Modelle (ohne variierende Anteilswerte und ohne latente Variablen) spezifiziert, die sich nur in den abhängigen Variablen unterscheiden. Im ersten Modell wurde als abhängige Variable der Indikator „Lektüre von Büchern“, im zweiten die „Präferenz für klassische Musik“ und im dritten das „Interesse an Weiterbildung“ gewählt. Im Anschluss daran wurde getestet, ob das Modell, das auf der Basis des Erikson, Goldthorpe und Portocarero-Schemas entwickelt wurde, eine stärkere Erklärungskraft für Lebensstile aufweist als das Modell von Bourdieu, das nach Kapitalstruktur und Kapitalumfang in ökonomischer und kultureller Hinsicht unterscheidet. Als Ergebnis kann zusammengefasst werden, dass ein Mobilitätsmodell unter Verwendung des Klassenschemas von Erikson, Goldthorpe und Portocarrero weniger Varianz in einzelnen Variablen erklärt als ein Mobilitätsmodell, dem eine Kategorisierung der Berufsgruppen unter Berücksichtigung der Kapitalstruktur zugrundeliegt. Auch auf Grund der besseren Anpassungen der Modelle, denen eine Berufsgruppenklassifizierung zugrunde liegt, die sich im groben Rahmen an die Aufteilung in Klassen und Klassenfraktionen von Bourdieu (1982) orientiert, ist zu vermuten, dass sowohl der in der aktuell eingenommenen Berufsposition immanente Anteil kulturellen und ökonomischen Kapitals als auch die in der Herkunftsfamilie zugrundeliegende Kapitalstruktur wesentlich zur Differenzierung von Lebensstilen beitragen. Aufgrund dessen wird für die vorliegende Analyse die Kategorisierung beruflicher Tätigkeiten und beruflicher Stellungen, die
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eine Differenzierung in ökonomisches und kulturelles Kapital im Sinne Bourdieus berücksichtigt, verwendet. Die beruflichen Tätigkeiten und Stellungen werden in sechs Kategorien eingeteilt.3 Im Einzelnen handelt es sich dabei um: • Selbständige Akademiker wie Ärzte mit eigener Praxis, Rechtsanwälte und Beamte im höheren Dienst wie Hochschullehrer und Richter. Mit der Bildung dieser Gruppe wird die kulturelle Fraktion der herrschenden Klasse im Sinne Bourdieus repräsentiert. • Selbständige in Handel, Gewerbe, Industrie, Dienstleistung, die keine Akademiker sind (sonstige Selbständige). Diese Einteilung orientiert sich an der Fraktion der herrschenden Klasse in der Theorie Bourdieus, die über hohes ökonomisches Kapital und weniger kulturelle Kompetenzen verfügen. Darunter werden Handelsunternehmer, Industrieunternehmer sowie staatliche und private Führungskräfte ohne Hochschulbildung subsumiert. • Leitende, hochqualifizierte Angestellte: Angestellte mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben (selbständigen Tätigkeiten und Führungstätigkeiten) sowie Beamte im gehobenen Dienst. Hierbei handelt es sich um eine Personengruppe, die zwar der herrschenden Klasse im Sinne Bourdieus zuzurechnen ist, aber auf Grund ihres Kapitalvolumens und ihrer Kapitalstruktur (höheres kulturelles Kapital als die ökonomische Fraktion und niedrigeres ökonomisches Kapital als die kulturelle Fraktion) eine untere Stellung annimmt. • Angestellte mit qualifizierten (schwierigeren) Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst. Bei der Zusammenstellung der „mittleren Klassen“ konnten die Gruppen bezüglich ihrer spezifischen Kapitalzusammensetzung in der Differenz von ökonomischen und kulturellen Kapital nicht eindeutig unterschieden werden. Die auf die Seite der kulturellen Kapitalfraktion der Mittelklasse einzuteilenden mittleren Führungskräfte der Verwaltung und auf der Seite des ökonomischen Kapitals befindlichen Kleinbürgertums und die in den Mittelpositionen befindlichen medizinisch-sozialen Dienstleistungsberufe, mittlere Führungskräfte im Handel und Techni3 Im
ALLBUS 98 wurde eine Einordnung beruflicher Positionen von Terwey vorgenommen. Diese Gruppierungen sind jedoch für diese Analyse nur bedingt brauchbar, da zu den Selbständigen zum Teil auch Landwirte gezählt wurden, obwohl Landwirte eigene Kategorie bilden. Von der Alltagsnähe her betrachtet sowie für die zur Ausbildung des Geschmacks entsprechenden Mechanismen sind diese eher der Arbeiterklasse zuzurechnen.
6.2 Spezifikation des Basismodells
179
ker unterscheiden sich bezüglich ihres Kapitalstruktur nicht so wesentlich. Entsprechend werden sie in einer Gruppe zusammengefasst. • Ausführende Angestellte: Angestellte mit einfachen Tätigkeiten sowie Industrie- und Werkmeister im Angestelltenverhältnis und Beamte im einfachen Dienst. Diese Gruppe ist ebenfalls der mittleren Klasse im Sinne Bourdieus zuzuorden, jedoch unterscheidet sie sich von der vorhergehenden Gruppe durch ihr niedrigeres Kapitalvolumen. • Arbeiter und kleine Landwirte. In Anlehnung an Bourdieu wird innerhalb der „Arbeiterklasse“ nicht zwischen kultureller und ökonomischer Fraktion unterschieden. In dieser Gruppe werden alle Erwerbstätigen mit manuellen Berufen in Handwerk und Industrie (Facharbeiter, Vorarbeiter, Angelernte und Hilfsarbeiter) sowie Erwerbstätige in manuellen Agrarberufen, ausgenommen selbständige Landwirte mit über 20 ha Land, zusammengefasst. Es handelt sich hierbei um Erwerbstätige, die sich im Beschäftigungsverhältnis im Sinne eines klassischen Arbeits- oder Tauschkontakts in idealtypischer Weise befinden. Im weiteren Verlauf werden die sechs Statusgruppen daraufhin analysiert, ob sie sich auf einer vertikalen Achse sozialer Ungleichheit anordnen lassen, wie es bei Bourdieu durch die Vorstellung eines „summarischen Kapitalvolumens“ ausgedrückt wird.4 Im Folgenden wird auf die Merkmale Einkommen und Berufsprestige als Kriterien der Hierarchisierung zurückgegriffen. Dazu werden die Gruppen bezüglich der Höhe ihres Nettoeinkommens, ihres Berufsprestiges sowie ihrer Bildung analysiert. Für jede Statusgruppe wurde das durchschnittliche persönliche Nettoeinkommen (sowie die Standardabweichung) berechnet. Diese Variable wurde durch arithmetische Transformation der Variablen Haushaltsnettoeinkommen und Haushaltsgröße (wobei die einzelnen Haushaltsmitglieder gewichtet werden) berechnet. Dabei stellte sich heraus, dass das Nettoeinkommen eine erhebliche interne Streuung in den Statusgruppen der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten, der Nichtakademischen Selbständigen und der Leitenden Angestellten und Beamte im gehobenen Dienst aufweist. Des Weiteren wurden den Befragten Werte auf der Magnitude-Prestigeskala nach Wegener (1988), dem International Socio-Economic Index nach Ganzeboom 4 Dieser
Begriff wird in Bourdieus Werk nicht eindeutig verwendet. Unklar bleibt erstens, wie die Summe gebildet wird und zweitens, ob und wie das soziale Kapital in die Summe eingeht. Im empirischen Teil bezieht sich dieser Begriff nur auf den Gesamtumfang an ökonomischem und kulturellem Kapital.
180
6. Entwicklung eines empirisch fundierten Modells
(1990) und der Standard International Occupational Prestige Scale nach Treiman (1977) zugeordnet. Auch hierfür wurde für jede Statusgruppe das arithmetische Mittel sowie die Standardabweichung berechnet. Die Werte, die die Statusgruppen im Durchschnitt erzielten, wurden in eine Rangordnung gebracht. Die höchsten Werte sowohl im Nettoeinkommen, Berufsprestige als auch im Anteil der Personen mit Hochschulausbildung erzielt die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamte. Die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen zeichnet sich durch ein geringeres Nettoeinkommen (jedoch verbunden mit einer hohen Standardabweichung), geringeres Berufsprestige und geringerer Bildung aus. Im Unterschied zu der Einteilung der Klassen und Klassenfraktionen bei Bourdieu kann hier nicht so eindeutig in kulturelle und ökonomische Fraktionen unterschieden werden. Die Statusgruppe der Leitenden Angestellten und Beamte im gehobenen Dienst verfügt im Vergleich zu den beiden vorhergehenden Gruppen über ein durchschnittlich geringeres Nettoeinkommen und ein durchschnittlich niedrigeres Berufsprestige. Darüber hinaus verfügt sie über eine geringere Anzahl Hochschulabsolventen im Vergleich zur ersten Statusgruppe. Die Angestellten mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst verfügen sowohl über durchschnittlich weniger Nettoeinkommen, niedrigeres Berufsprestige und niedrigerer Bildung als die Statusgruppe der Leitenden Angestellten und höheren Beamten; die Statusgruppe der Ausführenden Angestellen und Beamten im einfachen Dienst verfügt über durchschnittlich weniger Nettoeinkommen, niedrigeres Berufsprestige und niedrigere Bildung als die Angestellten mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst. Das geringste durchschnittliche Nettoeinkommen, das niedrigste Berufsprestige und die geringste Bildung findet man bei den Arbeitern und Landwirten. Da insgesamt eine hierarchische Struktur vertikaler Ungleichheit bezüglich der aufgezeigten Merkmale zwischen den Statusgruppen gegeben ist, können bei der Modellierung der Effekte sozialer Herkunft und aktuell eingenommenen Berufsposition unter Verwendung der hier betrachteten Modelle auch die Effekte auf- und absteigender Mobilität berücksichtigt werden. Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass sich entsprechende Formulierungen von „Aufsteigern“ und „Absteigern“ und „Aufwärtsbewegungen“ und „Abwärtsbewegungen“ nur auf die hier verwendete Rangordnung beruflicher Tätigkeiten und beruflicher Stellungen beziehen und nicht den Anspruch erheben, den Umfang vertikaler, intergenerationeller Mobilität in vollster Präzision zu erfassen. Die Berufsgruppenkategorisierung in sechs Statusgruppen ist die Basis für ein Modell der Strukturierung der Gesellschaft, das den Bezugsrahmen zur Analyse
6.2 Spezifikation des Basismodells
181
der Effekte sozialer Herkunft, sozialer Mobilität und den durch die Berufsposition vermittelten aktuellen Erfahrungen der sozialen Welt auf den Lebensstil liefert. In einem weiteren Schritt werden die Personen innerhalb der Statusgruppen in Bezug auf ihre soziale Herkunft in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Die soziale Herkunft wird, wie in der klassischen Mobilitätsforschung üblich, durch die Berufsposition des Vaters bzw. der beruflichen Tätigkeit des Vaters, als der Befragte 15 Jahre alt war, operationalisiert. Aus der Inkorporationsannahme des Habitus folgt, dass die Konstitutionsbedingungen für die Generierung des Habitus direkt über die soziale Herkunft bzw. die der Herkunftsfamilie zugrunde liegenden Kapitalstruktur bestimmt werden. Diese Konstitutionsbedingungen gehen indirekt über die Berufsposition des Vaters bzw. der beruflichen Tätigkeit des Vaters in das Modell ein. Die Ausprägungen dieser Variable werden in den zuvor definierten Gruppen zusammengefasst. Auf diese Weise werden 36 verschiedene Personengruppen gebildet. In Tabelle 6.1 wird die Anzahl der Personen in den einzelnen Personengruppen in Form einer Mobilitätstabelle aufgeführt. Da in die Analyse nur Personen eingehen können, die in allen hier verwendeten Variablen vollständige Daten aufweisen, konnten insgesamt nur 2394 Personen in die Analyse aufgenommen werden. Bevor die Effekte spezifiziert werden, ist folgendes zu beachten: Die Modelle implizieren, dass die dem Modell zugrundegelegten sozialen Gruppierungen a) Identität ausbilden und b) diese über die Zeit konstant ist. Um Identität auszubilden, muß die Zugehörigkeit der Mitglieder zu einer sozialen Gruppierung eine gewisse Dauer haben. Mobilitätsstudien (Mayer und Blossfeld 1990) gehen von einer gewissen Dauerhaftigkeit der sozialen Zugehörigkeit zu einer Klasse oder Schicht aus. Auch im vorliegenden Fall kann von einem großen Anteil an Immobilen (intergenerationell) ausgegangen werden. Mit der hier verwendeten Kategorisierung der Berufsgruppen beträgt die Stabilitätsquote 45.2%; d.h. fast die Hälfte der Befragten sind Personen, die entweder ihren Status (bezüglich der Herkunftsposition) nicht gewechselt haben oder wieder in die Statusgruppe zurückgekehrt sind, der sie zu dem Zeitpunkt als sie 15 Jahre waren, angehörten. Insofern kann von einer gewissen Dauerhaftigkeit zu einer Gruppenzugehörigkeit über die beiden Generationen ausgegangen werden. Über einen möglichen Strukturwandel der Statusgruppen kann jedoch keine Aussage gemacht werden, da in beiden Kategorien mehrere Generationen enthalten sind. Wenn man den Dissimilaritätsindex, der ausgehend von Prozentsatzdifferenzen, die Unterschiedlichkeit zweier Verteilungsmuster misst (White 1986), sowie die Abstrom- und Zustromquoten betrachtet, wird deutlich, dass sich die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte quantitativ extrem verringert hat, während
Anmerkung: Selbständige Akademiker = Selbständige Akademiker und höhere Beamte; Sonstige Selbständige = Nichtakademische Selbständige; Leitende Angestellte = Angestellte mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben sowie Beamte im gehobenen Dienst; Qualifizierte Angestellte = Angestellte mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst; Ausführende Angestellte = Ausführende Angestellte und Beamte im einfachen Dienst; Arbeiter = Arbeiter und Landwirte.
Abstrom Zustrom P
soziale Herkunft Selbständige Akademiker Abstrom Zustrom Sonstige Selbständige Abstrom Zustrom Leitende Angestellte Abstrom Zustrom Qualifizierte Angestellte Abstrom Zustrom Ausführende Angestellte Abstrom Zustrom Arbeiter
Bivariate Verteilung der sozialen Herkunft und der gegenwärtigen Position gegenwärtige Position Selbst. Sonstige Leitende Qual. Aus. ArbeiP Akad. Selbst. Ang. Ang. Ang. ter 25 3 18 8 3 4 61 (1.0%) (0.1%) (0.8%) (0.3%) (0.1%) (0.2%) (2.5%) 41% 4.9% 29.9% 13.1% 4.9% 6.6% 100.0% 43.1% 1.8% 4.8% 1.5% 0.8% 0.4% 2.5% 1 51 31 30 19 24 156 (0.0%) (2.1%) (1.3%) (1.3%) (0.8%) (0.2%) (2.5%) 0.6% 32.7% 19.9% 19.2% 12.2% 15.4% 100% 1.7% 29.8% 8.3% 5.7% 5.4% 2.6% 6.5% 13 15 107 63 21 34 253 (0.5%) (0.6%) (4.5%) (2.6%) (0.9%) (1.4%) (10.6 %) 5.1% 5.9% 42.3% 24.9% 8.3% 13.4% 100.0% 22.4% 8.8% 28.7% 12.0% 5.9% 3.7% 10.6% 7 22 73 124 33 46 305 (0.3%) (0.9%) (3.0%) (5.2%) (1.4%) (1.9%) (12.7%) 2.3% 7.2% 23.9% 40.7% 10.8% 15.1% 100.0% 12.1% 12.9% 19.6% 23.6% 9.3% 5.0% 12.7% — 9 14 25 26 22 96 (0.4%) (0.6%) (1.0%) (1.2%) (0.9%) (4.0%) 9.4% 14.6% 26.0% 27.1% 22.9% 100.0% 5.3% 3.8% 4.8% 7.4% 2.4% 4.0% 12 71 130 275 251 784 1523 (0.5%) (3.0%) (5.4%) (11.5%) (10.5 %) (32.7%) (63.6%) 0.8% 4.7% 8.5% 18.1% 16.5% 51.5% 100.0% 20.7% 41.5% 34.9% 52.4% 71.1% 85.5% 63.6% 58 171 373 525 353 914 2394 (2.4%) (7.1%) (15.6%) (21.9%) (14.7%) (38.2%) (100%) 2.4% 7.1% 15.6% 21.9% 14.7% 38.2% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0% 100.0%
TABELLE 6.1
182 6. Entwicklung eines empirisch fundierten Modells
6.3 Ergänzung des Mobilitätsmodells durch soziodemographische Merkmale
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die sogenannten „mittleren“ Statusgruppen enorm gewachsen sind. Die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten hat sich quantitativ nicht verändert. Zu- und Abströme lassen sich insbesondere in die Statusgruppe der Leitenden Angestellten und Beamte im gehobenen Dienst feststellen. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird die Zugehörigkeit zu den Gruppen in Form von Dummy-Variablen kodiert. Diese Variablen fungieren als unabhängige Variablen in dem Modell.
6.3 Ergänzung des Mobilitätsmodells durch soziodemographische Merkmale Der Prozess der Habitualisierung ist ein komplexer Prozess, an dem verschiedene Gegebenheiten wie die soziale Herkunft, Laufbahnen, schulische Sozialisation, berufliche Stellung und peer-groups mit unterschiedlichen Gewichtungen und Variationen nach der sozialen Herkunft und aktuell eingenommenen Positionen in Wechselwirkung beteiligt sind. Die Effekte, die auf die Entwicklung alltagsästhetischer Präferenzen wirken, können wiederum sehr unterschiedlich sein in Abhängigkeit von den jeweiligen Moden, denen ein Individuum zum Zeitpunkt seiner primären Sozialisation ausgesetzt ist. Genauso können die Effekte geschlechtsspezifisch variieren. Ebenso möglich ist es, dass die Bildung einen eigenständigen Effekt auf Lebensstile ausübt. Um solche Gegebenheiten zu berücksichtigen, wird das Modell zur Erklärung des Lebensstils um weitere Variablen ergänzt. Die Auswahl dieser Variablen beruht auf eigenen Voranalysen, in denen die Erklärungskraft soziodemographischer Variablen auf Lebensstilausprägungen berechnet wurde. Dazu wurden Variablen, die sich auf Grund des Erkenntnisstandes der empirischen Lebensstilforschung als besonders erklärungsstark erwiesen haben, aufgenommen. Die einzelnen Befunde sind im vierten Kapitel dezidiert aufgeführt. Ein Teil der Variablen, vor allem Bildung und Alter, korrelieren hoch mit der Variable zur Erfassung der aktuell eingenommenen beruflichen Position. Daher ist zu erwarten, dass zum einen zwar die erklärte Varianz des Gesamtmodells höher wird, zum anderen aber ein Teil der erklärten Varianz von der Variable Berufsposition auf die Ergänzungsvariablen verlagert wird. Trotzdem ist die Variable Berufsposition von hohem inhaltlichen Interesse, da sie den Prozess der Wirkung der Ergänzungsvariablen auf die Lebensstilvariable beschreibt. Darüber hinaus kann in einem derartigen Gesamtmodell abgeschätzt werden, wie hoch der direkte Effekt der Bildungsvariablen und wie hoch der verbleibende Effekt der beruflichen Position ist.
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6. Entwicklung eines empirisch fundierten Modells
Die Variable Bildung ist neben der kulturellen Dimension der beruflichen Position ein weiterer Indikator von kulturellem Kapital im Sinne von kulturellen Ressourcen. Bourdieu weist auf die kognitive Komponente der Bildung hin. Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und spezifische Fähigkeiten entstehen erst infolge langjähriger Bildungsarbeit. Die Bildung ist ein Indikator, wie Personen ihre Lebenswelt gestalten. Allgemein wird der Bildung neben dem Beruf eine große Differenzierungswirkung zugesprochen. Für die Festlegung der Lebenschancen ist das Bildungsniveau gerade im Zuge der Bildungsexpansion zu einer immer notwendiger werdenden aber nicht hinreichenden Bedingung geworden. Wie die umfangreichen Materialien des Max Planck Institus für Bildungsforschung zeigen, hat die Bildungsexpansion insgesamt eher zu einer Differenzierung und Vertiefung als zu einer Nivellierung ihrer hierarchischen Struktur beigetragen. So hat lediglich eine Umgruppierung von Teilen der Bevölkerung von unteren auf mittlere und höhere Niveaus stattgefunden. Auch sind die Zusammenhänge von Bildungsniveau und Beschäftigungssystem nicht entkoppelt, sondern vielmehr die bildungsmäßigen Eintrittspreise in die Berufslaufbahnen erhöht worden. Obwohl die Schulbildung sehr stark mit der oben behandelten Dimension des kulturellen Kapitals, nämlich der Berufsposition, korreliert, ist jedoch der Anteil der Fälle nicht zu vernachlässigen, in denen auf der einen Seite ein hoher Schulabschluss nicht mit den entsprechenden Berufspositionen korrespondiert und auf der anderen Seite auch schlechtere Schulabschlüsse Stellungen mit hohem ökonomischen Kapital aufweisen. Aus diesem Grund wird die Bildung als eigene Variable mit in die Analyse aufgenommen. Die Variable Einkommen ist ein weiterer Indikator des ökonomischen Kapitals. In Voranalysen stellte sich heraus, dass die Variation des Einkommens innerhalb der einzelnen Personengruppen sehr hoch ist, so dass die ökonomische Dimension der beruflichen Stellung im Raum sozialer Positionen allein nicht als Indikator des ökonomischen Kapitals ausreicht. Neben den ressourcenbezogenen Merkmalen der sozialen Lage werden auch horizontale Merkmale sozialer Ungleichheit (Hradil 1987) in das Mobilitätsmodell mit einbezogen. Die Merkmale horizontaler sozialer Ungleichheit sollen die Erklärungskraft des Mobilitätsmodells ergänzen, da erstens Lebensstile keine mechanische Übersetzung der sozialen Herkunft und der beruflichen Position sind und zweitens der Einfluss der sozialen Herkunft und der beruflichen Stellung im Zusammenhang mit den horizontalen Merkmalen sozialer Ungleichheit, je nach Ausprägungen der Merkmale, unterschiedlich sein kann. Im Einzelnen handelt es sich um die Merkmale Lebensalter, Geschlecht, Region.
6.3 Ergänzung des Mobilitätsmodells durch soziodemographische Merkmale
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Das Lebensalter einer Person ist nicht als eine einheitliche Variable zu betrachten. Prinzipiell ist zwischen Kohorten- und Lebenszykluseffekten zu unterscheiden (vgl. Mayer und Huinink 1990; Hartmann 1999). Die individuelle Altersangabe im Zusammenhang mit dem Geburtsjahr kann auch als Indikator für die Kohortenzugehörigkeit dienen. Die Bedeutung der Kohorteneffekte (Generationseffekt) liegt u.a. darin, dass sie im Gegensatz zu Lebenszykluseffekten langfristige und stabile, sich in der Generationsfolge vollziehende soziale Wandlungsprozesse anzeigen (Inglehart 1989). Kohorten können unterschiedliche Geschmäcker aufweisen, die sich im Sozialisationsprozess herausgebildet haben und die für die Zeit, in der das Individuum primären Sozialisationseinflüssen ausgesetzt war, typisch waren und der damaligen Mode entsprachen. Weiterer Gründe für die Einbeziehung des Lebensalters liegen darin, dass die Variable in Interaktion mit den Modellvariablen die Erklärungskraft des gesamten Modells erhöhen könnte. Die oben aufgestellten Statusgruppen könnten sich in der Vermittlung von Werten, die für diese jeweilige Gruppe typisch sind, gewandelt haben. Damit könnte die Sozialisation von Individuen durch die jeweilige soziale Herkunft je nach Zeitepoche unterschiedlich sein. Darüber hinaus ist das Alter bei den Statuswechslern indirekt auch ein Indikator für die Dauer der Zugehörigkeit zu der Statusgruppe, in die das Individuum gewechselt ist. Ein Statuswechsel bzw. berufliche Aufstiege finden hauptsächlich in jüngeren Jahren statt (vgl. Blossfeld 1989; Andreß 1992). In einer Statusgruppe befinden sich sowohl Statuswechsler, die auf Grund ihres fortgeschrittenen Alters der „neuen“ Statusgruppe schon lange angehören als auch Personen, die erst kürzlich in diese Statusgruppe gewechselt sind. Durch Interaktionseffekte der Modellvariablen mit Lebensalter kann der unterschiedlich starke Einfluss der sozialen Herkunft und der gegenwärtigen Position, der sich auf Grund der Dauer an Zugehörigkeit zu einer Statusgruppe ergibt, indirekt berücksichtigt werden. Die Variable Geschlecht als eine Kategorie von Alltagserfahrung ist insgesamt in den bisherigen Lebenstilansätzen, so etwa bei Bourdieu (1982) und Schulze (1992) nur rudimentär behandelt worden. Die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht stellt eine Grundlage für homogene Lebenserfahrungen sowie für Handlungspotentiale dar, die in den Lebensstil mit einfließen. Empirische Lebensstiluntersuchungen, die das Geschlecht als eine Determinante für die Zugehörigkeit zu einer Lebensstilgruppe einbezogen haben, weisen darauf hin, dass geschlechtsspezifische Erfahrungen teilweise quer zu den klassischen Merkmalen sozialer Ungleichheit eine strukturierende Bedeutung für Lebensstile besitzen (Giegler 1994; Georg 1999).
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6. Entwicklung eines empirisch fundierten Modells
In den bisherigen Lebensstiluntersuchungen sind Differenzen im Lebensstil zwischen West- und Ostdeutschen entweder ausgeklammert worden, weil sich die Untersuchung nur auf Westdeutschland (z.B. Lüdtke 1989; Schulze 1992; Hartmann 1999) oder Ostdeutschland (Lechner 1998) bezog oder es wurden Lebensstile getrennt für beide Teile Deutschlands ermittelt (Spellerberg 1996). Die vorliegende Analyse bezieht sich auf die Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Das Leben in der DDR sowie das Leben in dem ehemaligen Gebiet der DDR nach der Wende ist die Grundlage für Lebenserfahrungen und Sichtweisen der Welt, die völlig unterschiedlich zu denen der Bewohner der alten Bundesländern sind (vgl. Brand, Maggioni und Stein 1994). Daher kann davon ausgegangen werden, dass diese sich im Lebensstil widerspiegeln. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Lebensstilunterschiede nicht mehr so extrem sind, wie sie von Spellerberg (1996) in ihrer Analyse des Wohlfahrtssurveys 1993 festgestellt wurden. Des Weiteren ist vor dem Hintergrund, dass die Mobilität an sich in der ehemaligen DDR durch völlig andere Gründe motiviert war und dementsprechend auch die Mobilitätserfahrungen anders wahrgenommen wurden, davon auszugehen, dass es unterschiedliche Einflüsse sozialer Mobilität zwischen Ostund Westdeutschen gibt. Aus diesen Gründen ist die Aufnahme der Variablen Region mit den Ausprägungen Ost- und Westdeutschland unerlässlich.
6.4 Lebensstil: Konzeptualisierung und Operationalisierung 6.4.1 Definition des Begriffs in der bisherigen Forschung Der Begriff Lebensstil wird innerhalb der Lebensstilforschung sehr heterogen verwendet, was zum großen Teil auf die verschiedenen Ansätze der Lebensstilforschung zurückzuführen ist. Die unzureichende Begriffsschärfe bei der Definition des Begriffs sowie die verschiedenen Inhalte, mit denen der Lebensstilbegriff gefüllt wird, zählen zu den Hauptgründen, weshalb die Lebensstilforschung immer noch sehr unübersichtlich ist (vgl. Meyer 2001). Ein weiteres Problem liegt in der Vielzahl von Lebensstildimensionen und deren Operationalisierungen. Eine allgemein verbindlich anerkannte oder theoretisch eindeutig vorgegebene Konzeptspezifikation und Operationalisierung von Lebensstilen existiert bisher nicht. Allgemein wird in der Soziologie unter dem Begriff Lebensstil die Art und Weise der Lebensführung oder Lebensorganisation einzelner Personen oder eines Kollektivs verstanden (vgl. Bourdieu 1982, Zapf u.a. 1987, Lüdtke 1989,
6.4 Lebensstil: Konzeptualisierung und Operationalisierung
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Hradil 1995). Betrachtet man die verschiedenen Definitionen des Begriffs Lebensstil, so fällt auf, dass sich der Begriff aus einer Reihe von Bestandteilen zusammensetzt. In den unterschiedlichen Definitionen ist mindestens ein Definitionselement vertreten. Die meisten Definitionen enthalten jedoch mehrere Elemente. Der erste Bestandteil ist der der Expressivität, demnach Lebensstile etwas sind, wodurch sich Akteure ausdrücken (vgl. Hartmann 1999). Dieses Definitionselement enthält einen weiteren Aspekt, nämlich dass sich Lebensstile in Handlungen (bzw. in passiver Form als Verhalten) äußern. Dies wird bei Bourdieu durch den Ausdruck „Praktiken und Werke“ (Bourdieu 1982: 280) als Ergebnis der Gestaltungsleistungen des Habitus deutlich. Die Handlungen oder das Verhalten sind auf bestimmte Bereiche bezogen: Lebensstile nehmen auf das kulturelle und symbolische Verhalten Bezug (so Zapf u.a. 1987: 30; Diewald 1990: 28; Spellerberg 1994: 4). In Anlehnung an Müller (1989, 1992) unterscheiden eine Vielzahl von Lebensstilansätze, wie beispielsweise Gluchowski (1987), Lüdtke (1989), Klocke (1993) und Spellerberg (1994, 1996) verschiedene Dimensionen, in denen sich Lebensstile in Form von Verhalten oder Handlungen äußern und in denen zugleich Lebensstile identifiziert, analysiert und konstruiert werden können. Müller (1992: 377ff) differenziert Lebensstile in expressives Verhalten (Konsum, Freizeitaktivitäten, Fernsehinteressen, Musikgeschmack und Lektüregewohnheiten), interaktives Verhalten (Form der Geselligkeit und Heiratsverhalten), evaluatives Verhalten (Wertorientierungen, Lebensziele, Einstellungen und subjektive Wahrnehmung des individuellen Alltags) und kognitives Verhalten (bezieht sich auf Selbstidentifikation und Wahrnehmung der sozialen Welt). Der Argumentation Müllers folgend, liegt der Schwerpunkt auf der expressiven, interaktiven und evaluativen Dimension, da sich über diese Dimensionen die umfassende Lebenspraxis bzw. der Lebensstil einer Person bestimmt (z.B. Spellerberg 1994, 1995). Außer den direkt beobachtbaren Verhaltensweisen werden in einigen Definitionen auch Wertorientierungen und Einstellungen und damit latente Dispositionen der Lebensgestaltung explizit mit einbezogen. Ein Beispiel für Vertreter, die die evaluative Dimension im Sinne Müllers in die Definition des Begriffs Lebensstil einbeziehen, ist Klocke (1993), der als Lebensstil das Syndrom der oben genannten Verhaltensfelder bezeichnet. Ein weiterer ist Gluchowski (1987, 1988), der unter Lebensstil einen „Satz aufeinander bezogener Einstellungselemente zu und in den verschiedenen Lebensbereichen des Alltags (...), die in ihrem Zusammenwirken Menschen zu einem typischen Verhalten (...) disponieren“ versteht (Gluchowski 1988: 17). Autoren, die diesen Weg beschreiten, beziehen
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die mentale Ebene in die Definition mit ein, die sich vorrangig auf ein Schema bezieht, welches Verhalten und Handlungen generiert. Es ist zu unterscheiden, ob Werte und Einstellungen ein Bestandteil der nominalen Definition sind oder ob sie auch als analytischer Bestandteil von Lebensstil betrachtet werden. Als Vertreter der Richtung, die Werte und Einstellungen auch als analytischen Bestandteil von Lebensstilen fassen, sind z.B. Mitchell (1984), Gluchowski (1987) und Richter (1989) zu nennen. Als Vertreter der Richtung, die Lebensstile empirisch auf der Ebene, auf der sich Lebensstile äußern, erfassen und den Begriff durch manifeste Verhaltensweisen und Alltagsästhetik opertionalisieren, sind z.B. Sobel (1981a), Bourdieu 1982, Lüdtke (1989, 1990, 1992), Schulze (1992), Klocke (1993), Spellerberg (1996) und Georg (1999) zu nennen. Ein weiterer Bestandteil einer Definition von Lebensstil ist, dass die Handlungen bzw. das Verhalten, in denen sich Lebensstile äußern in einem systematischen Zusammenhang stehen. Dies kommt in den Definitionsaspekten des Begriffs der „Handlungsmuster“ bzw. in passiver Form als „Verhaltensmuster“ (vgl. Zapf 1987, Lüdtke 1989, Hradil 1992) oder „Muster von Verhaltensweisen“ (Lüdtke 1992), „Verhaltenssyndrome“ (Wahl 1999), als „System expressiv orientierter Handlungen“ (Schulze 1992), als „manifeste alltagsästhetische Muster“ (Georg 1999), als „strukturierte Muster der Lebensführung“ (Müller 1989: 66) oder als „System von Handlungen“ (Hartmann 2002:317) zum Ausdruck. Ein weiterer Bestandteil ist die Klassifizierbarkeit von Handlungen. Die Klassifizierbarkeit von Handlungen bezieht sich im Unterschied zu den Handlungsmustern auf die Ebene der Personen und meint die Ähnlichkeit von Personen bezüglich der wahrnehmbaren Handlungs- und Verhaltensmuster. Die Klassifizierbarkeit von Handlungen bedingt, dass sich Personenaggregate „als sozial ähnlich wahrnehmen und bewerten“ (Lüdtke 1989: 40). Dieses Kriterium der Identifizierbarkeit führt dazu, dass Personen mit ähnlichen Handlungsmustern einander als Mitglieder eines Aggregats (Kollektivs) wahrnehmen, von Personen mit anderen Handlungsmustern als solche erkennbar sind und sich von anderen unterscheiden. Die Klassifizierbarkeit von Handlungen bezieht sich auf zwei Funktionen von Lebensstilen, nämlich die Identitätsstiftung und die Distinktion. Lebensstile stiften Identität bei Mitgliedern eines Lebensstilaggregats durch Kodierung eines gemeinsamen Zeichenreservoirs. Dadurch wird die symbolische Zugehörigkeit gefestigt. Gleichzeitig impliziert die Zugehörigkeit Distinktion zu anderen Lebensstilaggregaten. In einer Reihe von Definitionen wird implizit Bezug auf Alltag genommen. Beispielsweise versteht Zapf u.a. (1987: 14) unter Lebensstil ein „relativ stabiles Muster der Organisation des Alltags“. In dem Konzept von Klocke kommt dies
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durch die Sicht von Lebensstilen als eine „alltagsweltliche Verarbeitung der eigenen sozialen Lage“ (Klocke 1993: 143) zum Ausdruck. Hartmann (1999, 2002) nähert sich dem Begriff über die kulturwissenschaftliche Verwendung des Begriffs „Stil“ und überträgt das Konzept auf „Systeme alltäglicher Handlungen“, wodurch er zu dem Begriff der Alltagsästhetik gelangt. Ähnlich bezieht Georg (1999) Lebensstile auf die alltagsästhetische Gestaltung. Die Verbindung zwischen Lebensstilen und Alltagshandeln wird theoretisch insbesondere von Schulze (1992) herausgestellt, der in seinem Ansatz die Struktur der Alltagskultur und Alltagsästhetik sowie die Herausbildung dessen erforscht. Unter alltäglichem Handeln versteht Schulze dabei im Unterschied zu Elias das „Handeln von jedermann zu jederzeit“ (1992: 98) und bezeichnet mit dem Begriff „alltäglich“ etwas „was bei vielen Menschen häufig vorkommt“ (Schulze 1992: 732). Die Verbindung zwischen Alltag und Lebensstil lässt sich auch in dem Ansatz von Bourdieu finden, der als Lebensstil einen einheitlichen „Gesamtkomplex distinktiver Präferenzen, in dem sich in der jeweiligen Logik eines spezifischen Teil-Raums - des Mobilars und der Kleidung so gut wie der Sprache oder der körperlichen Hexis - ein und dieselbe Ausdrucksintention niederschlägt“ (Bourdieu 1982: 283). Ein weiterer Definitionsaspekt bezieht sich auf die Möglichkeit, die individuelle Lebensgestaltung frei zu wählen. Dieser Definitionsaspekt bezieht sich zum einen auf die sozialstrukturelle Verortung von Lebensstilen und zum anderen auf die Möglichkeit einer unterschiedlichen Ressourcennutzung, die bei gleicher Ressourcenausstattung und objektiv ähnlicher sozialer Lage zu einem unterschiedlichen Lebensstil führen kann. In diesem Aspekt wird darauf Bezug genommen, dass individuelle Lebensäußernungen kein reiner Reflex der materiellen Lebensbedingungen sind, sondern dass ein Spielraum zur Verfolgung individueller Präferenzen bei der Organisation des eigenen Lebens gegeben ist, wobei dieser Spielraum in den einzelnen Ansätzen unterschiedlich weit gefasst ist (vgl. Kapitel 4). So berücksichtigt z.B. Georg (1999:92) in seiner Definition die Wahloption des Einzelnen mit, in dem er Lebensstile als „relativ stabile, ganzheitliche und routinisierte Muster der Organisation von expressiv-ästhetischen Wahlprozessen“ sieht. Klocke (1993:143) definiert Lebensstil als „freigewählte Arrangements des eigenen Lebens, denen durch materielle Ressourcen und kulturellen Fähigkeiten Grenzen gesetzt sind“.
190
6. Entwicklung eines empirisch fundierten Modells
6.4.2 Operationalisierung von Lebensstil Bei der operationalen Definition des Begriffs Lebensstil ist von Bedeutung, die Ebene zu erfassen, die Lebensstile konstituieren und sie empirisch fassbar machen. Im letzten Abschnitt wurde deutlich, dass sich Lebensstile auf die alltagsästhetische Gestaltung des Lebens beziehen und sich in der Form alltagsästhetischer Präferenzen äußern. Sie zeichnen sich vorrangig durch ihren Aktivitätsgehalt aus und präsentieren sich dem Beobachter auf der Ebene subjektiven Verhaltens. In Lebensstilen äußern sich die kulturellen Präferenzen der Akteure. Die spezifischen Verhaltensweisen auf verschiedenen Handlungsfeldern des täglichen Lebens fügen sich zu einem gemeinsamen und unverwechselbaren Stilmuster zusammen. Diese Stilmuster sind Lebensstile. Im Lebensstil drücken sich Bündel von Präferenzen aus, mit denen die Individuen ihre Besonderheit bewusst und unbewusst aktiv darstellen. Präferenzen und Verhaltensaspekte sind dabei nicht isoliert zu sehen, sondern stehen in einem systematischen Zusammenhang. Sie sind als Handlungs-, Verhaltens- und Präferenzmuster zu betrachten. Bei der empirischen Erfassung von Lebensstilen ist von Bedeutung, dass Lebensstile sich auf die Dimensionen beziehen, die wahrnehmbare Stilisierungspraxis anzeigen. Daher werden in der folgenden Analyse Lebensstile in der „Performanzdimension“ im Sinne von Lüdtke (1989) erfasst. Dies entspricht auch der Ebene der manifesten, ästhetisch-expressiven Stilisierungspraxis im Ansatz von Georg (1999) bzw. der expressiven und interaktiven Ebene nach H.P. Müller (1992). Bei der Verwendung von Werten und Einstellungen entsteht das Problem, dass Lebensstile nur indirekt erfasst werden, nämlich durch Muster, die eventuell Handlungen oder Verhalten generieren. Einstellungen und Verhaltensäußernungen stehen aber nicht unbedingt in einem Zusammenhang (vgl. Ajzen und Fishbein 1980; Frey, Stahlberg und Gollwitzer 1993). Manifesten Verhaltensäußernungen sind insgesamt eine größere Validität als Wertorientierungen zuzuschreiben (vgl. Otte 2004: 307). Die Begrenzung auf expressive Geschmacksund Verhaltensäußernungen in dieser Arbeit steht im Gegensatz zu Konzeptualisierungen, die Lebensstile empirisch auf der Basis von Einstellungen und Wertorientierungen oder eine Kombination dieser mit soziodemographischen Variablen fassen (z.B. Mitchel 1983; Gluchowski 1988). Lebensstil wird im Folgenden definiert als ein System von Präferenzen, Verhalten und Handlungen im Bereich Alltagskultur und -ästhetik. In diesem Verständnis von Lebensstil ergibt sich eine Begrenzung auf die Dimensionen des Lebensstils, die sich auf expressive Stilisierung und alltägliche Verhaltens- bzw. Geschmacksäußerungen beziehen.
6.5 Auswahl der Modellvariablen
191
Operationalisiert werden Lebensstile im Folgenden erstens durch Indikatoren zu ästhetisch-expressiven Präferenzen und Verhalten. Darunter werden Musikstilpräferenzen zur Erfassung ästhetischer Präferenzen, Fernsehinteressen sowohl zur Erfassung der ästhetischen Präferenzen als auch der Mediennutzung und Interesse an Inhalten der Tageszeitung zur Erfassung der Mediennutzung subsumiert. Zweitens werden Lebensstile durch Indikatoren zum Freizeitverhalten erfasst. Der Freizeitbereich ist ein bedeutendes Feld des Lebensstils, da insbesondere im Nichtarbeitsbereich die symbolischen Formen des Alltags praktiziert und beobachtet werden können. Freizeitaktivitäten zählen zu den zentralen Elementen von Lebensstilen, weil sie Verhaltensweisen in einem relativ gestaltbaren und zentralen Lebensbereich erfassen. Nicht nur der quantitative Anteil der Freizeit an der Lebenszeit hat sich vergrößert (Uttitz 1985), sondern auch die Bewertung dieses Lebensbereiches. Freizeit ist zur subjektiven Lebensorientierung einer großen Anzahl von Menschen geworden. Der Freizeitgenuss ist zum erstrangigen Lebensinhalt und Lebensziel aufgestiegen (Maase 1989: 345). Bei aller Freiwilligkeit kommen in der Auswahl der ausgeübten Tätigkeiten auch materielle und kulturelle Ressourcen zum Tragen.
6.5 Auswahl der Modellvariablen Zur Modellierung der Einflüsse sozialer Herkunft, aktuell eingenommener Position und sozialer Mobilität und der soziodemographischen Variablen auf Lebensstile werden aus der Erhebung der Allgemeinen Bevölkerungsumfragen der Sozialwissenschaften (ALLBUS) 1998 folgende Variablen ausgewählt: • soziale Herkunft: Die Berufsposition des Vaters zum Zeitpunkt als der Befragte 15 Jahre alt war. Die Berufspositionen werden in die oben ausführlich dargestellten sechs Kategorien zusammengefasst. Die Variable ist auch ein Indikator für die Kapitalstruktur und das Kapitalvolumen, das der sozialen Herkunft zugrunde liegt. • gegenwärtige Berufsposition des Befragten: Diese wird aus den Variablen berufliche Tätigkeit und berufliche Stellung gebildet. Die aktuell eingenommene Berufsposition wird ebenfalls in die oben aufgeführten sechs Kategorien zusammengefasst. • Proxy-Variablen zur Erfassung der Karrieremobilität: Durch arithmetische Transformation der Variablen zur Erfassung der „Berufsausbil-
192
6. Entwicklung eines empirisch fundierten Modells
dung(en)“ und „ jetzigen Berufsposition des Befragten“ werden zwei Variablen gebildet, die Auskunft über Auf- und Abstiegsbewegungen im Lebensverlauf einer Person geben. Durch das Fehlen von Längsschnittdaten bzw. durch das Fehlen von Zeitangaben, die eine retrospektive Betrachtung individueller Karrieren ermöglichen könnte, können mit diesen Variablen die individuellen Karrieren der einzelnen Personen zwischen dem Zeitpunkt der Berufsposition des Vaters als der Befragte 15 Jahre alt war und der jetzigen Berufsposition des Befragten nur annähernd abgebildet werden. Beispielsweise wird damit bei Personen mit gleicher Herkunfts- und Zielposition erfasst, ob sie zwischenzeitlich eine andere Position eingenommen (z.B. ein Studium absolviert) haben und wieder in ihre ursprüngliche Statusgruppe zurückgekehrt sind. Darüber hinaus werden die Berufskarrieren von Personen, die mehrere Berufsausbildungen absolviert haben, erfasst. Diese Variablen wurden für jede Person individuell gebildet. In diesen Variablen können auch Personen, die in der „Zwei-Zeitpunkte“- Betrachtung (Berufsposition des Vaters zu dem Zeitpunkt, als die befragte Person 15 Jahre alt war und der jetzigen Berufsposition) als nicht mobil eingestuft werden, Werte annehmen. Es handelt sich zum einen um die DummyVariable LAUFBAHN(+) mit den Ausprägungen 1 für „aufsteigende Mobilität“ und 0 „sonst“. Die Variable zeigt beispielsweise an, dass eine Person bei ihrer Reise durch den Raum sozialer Positionen aufgestiegen ist (obwohl sie intergenerationell abgestiegen ist), wenn der Vater Akademiker war, die befragte Person eine Facharbeiterausbildung absolviert hat und jetzt eine leitende Position einnimmt. Die zweite Dummy-Variable wird als LAUFBAHN(-) bezeichnet. Eine Person ist in dieser Variable abgestiegen (obwohl sie intergenerationell aufgestiegen ist), wenn sie beispielsweise aus der Arbeiterklasse stammt, eine Hochschulausbildung absolviert hat und jetzt eine einfache Angestelltentätigkeit ausübt. • Variablen zur Erfassung von Effekten, die von der Mobilität ausgehen: Durch arithmetische Transformationen der Variablen (1) jetzige Berufsposition des Befragten und (2) Berufsposition des Vaters zum Zeitpunkt, als der Befragte 15 Jahre alt war, werden drei Variablen kreiert, mit denen der Effekt der Mobilität an sich erfasst werden soll. Es handelt sich dabei erstens um die Dummy-Variable MOB zur Erfassung von Mover-StayerKontrasten mit den Ausprägungen 1 für „Mobilität hat stattgefunden“ und 0 „sonst“, zweitens um zwei Dummy-Variablen zur Erfassung der Richtung der Mobilität (DIR(+) für aufsteigend und DIR(-) für absteigend) sowie
6.5 Auswahl der Modellvariablen
193
die metrische Variable STEPS, mit denen die Schritte durch die Mobilitätshierarchie abgebildet werden. • soziodemographische Merkmale: Geschlecht mit den Ausprägungen 0 für männlich und 1 für weiblich, Alter (klassifiziert in 10 Jahresschritten), Region (Erhebungsgebiet: West - Ost) mit den Ausprägungen 0 für Alte Bundesländer und 1 für Neue Bundesländer, Bildung (Allgemeiner Schulabschluss), wobei die ursprünglichen Ausprägungen „keinen Schulabschluss“, „Volks- und Hauptschulabschluss“, „Mittlere Reife, Realschulabschluss“ mit dem Wert 0 kodiert und die Ausprägungen „Fachhochschulreife“ und „Abitur, Hochschulreife“ mit dem Wert 1 kodiert und alle anderen Ausprägungen aus der Analyse ausgeschlossen werden. Nettoeinkommen wurde durch arithmetische Transformation der Variablen Haushaltsnettoeinkommen und Anzahl der Haushaltsmitglieder kreiert. Bei der Erstellung der Variablen wurde nach den unterschiedlichen Mitgliedern (Haushaltsvorstand, Alter der Mitglieder) gewichtet. • Indikatoren zur Messung alltagsästhetischer Präferenzen, kultureller Orientierungen und Freizeitverhalten: (a) bevorzugte Freizeitaktivitäten: Bücher lesen, Zeitschriften lesen, LP, CD, Cassetten hören, Videokassetten anschauen, mit dem Computer beschäftigen, Internet nutzen, sich privat weiterbilden, faulenzen, spazierengehen, Yoga, Meditation, Autogenes Training, Essen oder Trinken gehen, Besuch von Nachbarn, Freunden, Besuch von Familie, Verwandtschaft, Gesellschaftspiele, Ausflüge, Beteiligung in Politik, ehrenamtliche Tätigkeiten, Kirchgang, Kunst, musische Tätigkeiten, aktive sportliche Betätigung, Besuch von Sportveranstaltungen, Kino, klassische Konzerte oder Theater. Die Befragten wurden aufgefordert anzugeben, wie oft sie diese Tätigkeiten ausüben. Die Items wurden auf einer Skala mit 5 Ausprägungen von 1 (täglich) bis 5 (nie) erhoben; (b) Musikgeschmack: Klassische Musik, Jazz, Volksmusik, deutsche Schlager, Pop- und Rockmusik. Die Indikatoren zur Erfassung von Musikpräferenzen wurden auf einer fünfstufigen Skala von 1 (höre ich sehr gern) bis 5 (höre ich sehr ungern) erhoben; (c) Interesse an bestimmten Arten von Fernsehsendungen: Fernsehshows, Quizsendungen, Sportsendungen, Spiel-
194
6. Entwicklung eines empirisch fundierten Modells
filme, Nachrichten, politische Magazine, Kunst- und Kultursendungen, Heimatfilme, Krimis und Krimiserien, Actionfilme sowie Familien- und Unterhaltungsserien; (d) Interesse an verschiedenen Inhalten der Tageszeitung: Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Lokales, Aus aller Welt, Werbung und Kleinanzeigen. Inhaltspräferenzen von Fernsehsendungen und Tageszeitungen wurden anhand einer fünfstufigen Skala (1= interessiert mich sehr stark; 5 = interessiert mich überhaupt nicht) erhoben.
7 Empirische Illustration des verallgemeinerten „diagonal mobility“ Modells Im Folgenden wird zur Veranschaulichung das verallgemeinerte „diagonal mobility“ Modell zur Analyse der Effekte sozialer Herkunft, sozialer Mobilität und gegenwärtiger sozialer Position auf ausgewählte Lebensstilbereiche eingesetzt. Struktureller Bezugsrahmen der Analyse bilden die sechs Statusgruppen, die im letzten Kapitel ausführlich beschrieben wurden. Im ersten Abschnitt werden zunächst die Effekte unter Verwendung eines einfachen „diagonal mobility“ Modells ohne explanatorische Variablen und einer manifesten abhängigen Variablen spezifiziert. Als abhängige Variable wird das Interesse an der Lektüre von Büchern in der Freizeit gewählt. Die Parameter werden unter Verwendung des dreistufigen Schätzverfahrens geschätzt. Im Anschluss daran werden die Effekte unter Verwendung von Modellen, die weniger starke Restriktionen auf die Anteilswerte formulieren, spezifiziert und getestet, mit welchem Modell die beste Anpassung an die Daten erzielt werden kann. Im zweiten Abschnitt wird zur Illustration ein erweitertes Weakliem-Modell mit explanatorischen Variablen vorgestellt. Als abhängige Variable wird die Präferenz für klassische Musik gewählt. Im dritten Abschnitt wird ein komplexeres Modell mit Interaktionseffekten zwischen den Modellvariablen und den explanatorischen Variablen spezifiziert. Zur Veranschaulichung wird ein „diagonal mobility 2“ Modell verwendet. Als abhängige Variable wird das Interesse an privater Weiterbildung gewählt. Im vierten Abschnitt wird ein erweitertes „diagonal mobility 2“ Modell mit latenter abhängiger Variable vorgestellt. In dieses Modell wird ein faktorenanalytisches Messmodell einbezogen. Als Beispiel hierfür werden die Effekte auf das Interesse für informative Medieninhalte spezifiziert und die Parameter geschätzt.
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern Zur Veranschaulichung des vorgeschlagenen Modells und des dreistufigen Schätzverfahrens wird ein einfaches „diagonal mobility“ Modell ohne weitere explanatorische Variablen und manifester abhängiger Variable vorgestellt. Als abhängige
196
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
Variable wird aus den Indikatoren zur Erfassung bevorzugter Freizeitaktivitäten die Variable „Lektüre von Büchern“ gewählt. Empirische Untersuchungen belegen zum einen schichtspezifische Unterschiede im Leseverhalten. Darüber hinaus zeigen sie, dass das Interesse, Bücher zu lesen neben der Bildung auch im erheblichen Maße mit der Sozialisation zusammenhängt. Die kulturelle Sozialisation der Leser ist in Kindheit und Jugend durch generell aktivere Eltern in Form häufiger gemeinsamer Besuche von Veranstaltungen und Einrichtungen gefördert worden. So belegen die Befunde von Frank, Maletzke und Müller-Sachse (1991: 237; 248), dass Leser von Büchern insgesamt in einem aktiveren Umfeld aufwachsen. Sie haben häufiger als NichtLeser mit ihren Eltern das Theater besucht, waren häufiger in Museen und Ausstellungen oder in Konzerten. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, wie stark das Interesse durch die soziale Herkunft beeinflusst wird und welchen Einfluss der Wechsel in eine andere Position auf das Interesse für diese Freizeitaktivität ausübt. Unter Verwendung der in dieser Arbeit entwickelten Modelle werden die Einflüsse der sozialen Herkunft auf das Interesse, Bücher zu lesen, und die Anpassung der Individuen an die Statusgruppe, in die das Individuum hineingewechselt ist, spezifiziert und analysiert. Zur besseren Verständlichkeit des Modells werden die Ausprägungen der klassifizierten Variablen „ jetzige Berufsposition des Befragten“ (Zielposition) und „Berufsposition des Vaters zum Zeitpunkt als der Befragte 15 Jahre alt war“ (Herkunftsposition) in Form einer Mobilitätstabelle aufgestellt, in der die soziale Herkunftsposition in den Spalten und die aktuell eingenommene Position (Zielposition) in den Zeilen abgetragen wird. Da die Anzahl der Kategorien bei beiden Variablen gleich ist, resultiert daraus eine quadratische 6 × 6 Tabelle. In den Zellen der Mobilitätstabelle befinden sich die Werte der Variable „Interesse an der Lektüre von Büchern“ aller Personen, die die jeweilige Kombination aus Herkunftsposition und Zielposition aufweisen. Die beobachteten Mittelwerte der abhängigen Variablen über alle Personen werden in den einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle in Tabelle 7.1 dargestellt. Da in die Analyse nur Personen eingehen können, die in allen hier verwendeten Variablen vollständige Daten aufweisen, konnten insgesamt nur 2394 Personen in die Analyse aufgenommen werden. Die Anzahl der Befragten, die sich auf die einzelnen Zellen aufteilen, wird in Klammern aufgeführt. In der Hauptdiagonalen der Tabelle befinden sich die beobachteten Mittelwerte der Personen, die entweder ihre Statusgruppe nicht verlassen haben oder wieder in die ursprüngliche Statusgruppe zurückgekehrt sind. Bei der Betrach-
3.500 (4) 3.583 (24) 3.515 (34) 3.370 (46) 3.773 (22) 3.780 (784)
Arbeiter
Anmerkung: Selbständige Akademiker = Selbständige Akademiker und höheren Beamte; Sonstige Selbständige = Nichtakademische Selbständige; Leitende Angestellte = Angestellte mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben sowie Beamte im gehobenen Dienst; Qualifizierte Angestellte = Angestellte mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst; Ausführende Angestellte = Ausführende Angestellte und Beamte im einfachen Dienst; Arbeiter = Arbeiter und Landwirte.
soziale Herkunft Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
Interesse an der Lektüre von Büchern: Beobachtete Mittelwerte gegenwärtige Position Selbständige Sonstige Leitende Qualifizierte Ausführende Akademiker Selbständige Angestellte Angestellte Angestellte 1.680 1.333 2.222 2.000 1.333 (25) (3) (18) (8) (8) 2.000 2.980 2.290 2.633 3.158 (1) (51) (31) (30) (19) 2.462 2.733 2.196 2.492 3.286 (13) (15) (107) (63) (21) 2.429 2.864 2.384 2.468 2.606 (7) (22) (73) (124) (33) — 3.778 2.357 2.840 2.808 (9) (14) (25) (26) 2.583 3.324 2.574 3.095 3.269 (12) (71) (130) (275) (251)
TABELLE 7.1
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
197
198
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
tung der Werte in der Haupdiagonalen wird deutlich, dass die Lektüre von Literatur im Durchschnitt am stärksten bei den Personen ausgeprägt ist, die der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten angehören und deren Väter ebenfalls dieser Statusgruppe angehörten. Das Interesse, in der Freizeit Bücher zu lesen, ist ebenfalls im Durchschnitt sehr stark bei Personen ausgeprägt, die aus der Statusgruppe der Leitenden Angestellten sowie Beamte in gehobenem Dienst stammen und in dieser geblieben bzw. wieder in diese zurückgekehrt sind. Etwas schwächer ist im Durchschnitt das Interesse bei den Personen ausgeprägt, die die Statusgruppe der Angestellte mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst nicht verlassen haben. Personen, die die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen sowie die Statusgruppe der Ausführenden Angestellten und Beamte im einfachen Dienst nicht verlassen haben, weisen im Durchschnitt ein geringeres Interesse für die Lektüre von Büchern auf. Sehr schwach ist im Durchschnitt das Interesse bei den Personen ausgeprägt, die die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte nicht verlassen haben. Oberhalb der Hauptdiagonalen der Tabelle befinden sich jeweils die Mittelwerte der Personen, die von einer höheren Statusgruppe in eine niedrigere Statusgruppe abgestiegen sind. Bei der Betrachtung der Mittelwerte der Wechsler, die aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten in die Statusgruppen der a) Nichakademischen Selbständigen, b) Leitenden Angestellten und Beamten im gehobenen Dienst, c) Angestellte mit qualifizierenden Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst und d) Ausführenden Angestellten und Beamten im einfachen Dienst gewechselt sind, fällt auf, dass die Lektüre von Literatur sehr stark ausgeprägt ist. Dies läßt vermuten, dass Absteiger aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten diese Art von Freizeitaktivität, die bevorzugt von dieser Statusgruppe ausgeführt wird und die die Mitglieder im Sozialisationsprozess erworben haben, auch nach einem Statuswechsel fortführen. Im Unterschied dazu ist bei den Absteigern aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte in Relation zu den anderen Wechslern im Durchschnitt ein starkes Desinteresse an der Lektüre von Büchern in der Freizeit zu erkennen. Dies läßt vermuten, dass die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte einen starken Einfluss auf ihre neuen Mitglieder aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten ausübt, so dass diese das für die vorherige Statusgruppe typische Freizeitverhalten nicht mehr fortführen. Die Mittelwerte der Personen, die in die Statusgruppe der Arbeiter und Land-
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
199
wirte abgestiegen sind, zeigen, dass die Personen unabhängig davon, aus welcher Statusgruppe sie stammen, in Relation zu den anderen Statusgruppen ein starkes Desinteresse am Bücherlesen aufweisen. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass der Einfluss der sozialen Herkunft keine oder nur eine geringfügige Rolle spielt und die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte generell im Durchschnitt nicht gerne liest. Die Mittelwerte der Personen, die in eine höhere Statusgruppe aufgestiegen sind, befinden sich in den Zellen unterhalb der Hauptdiagonalen der Tabelle. Bei der Betrachtung der Mittelwerte der Aufsteiger ist insgesamt festzustellen, dass die Lektüre von Literatur am stärksten bei den Aufsteigern in die Statusgruppen mit hohem kulturellen Kapital (Selbständige Akademiker und höhere Beamte und Leitende Angestellte und Beamte im gehobenen Dienst) ausgeprägt ist. Es ist zu vermuten, dass entweder die Statusgruppen mit hohem kulturellen Kapital einen starken Einfluss auf ihre neuen Mitglieder ausüben, so dass Aktivitäten, die für die jeweilige Statusgruppe typisch sind, übernommen werden oder aber die Aufsteiger auf Grund ihrer hochkulturellen Aktivitäten aufgestiegen sind. Bevor die Effekte der sozialen Herkunft und der sozialen Mobilität unter Verwendung der hier vorgeschlagenen Modelle spezifiziert werden, wird zunächst überprüft, ob die Modellierung in dem vorliegenden Fall überhaupt sinnvoll ist. In den Modellen setzt sich der Erwartungswert einer Person i, die von der Statusgruppe j in die Statusgruppe k gewechselt ist aus dem Erwartungswert µ(jj) der Personen, die die j - te Statusgruppe nicht verlassen haben bzw. wieder in diese Statusgruppe zurückgekehrt sind und dem Erwartungswert µ(kk) der Personen, die die k - te Statusgruppe nicht verlassen bzw. wieder in diese zurückgekehrt sind, in Form einer Linearkombination zusammen. Diese Modellierung ist nur sinnvoll, wenn der Erwartungswert µ(jk) einer Person, die ihren Status gewechselt hat, zwischen dem Erwartungswert der Personen, die die j - te Statusgruppe nicht verlassen haben und dem Erwartungswert µ(kk) der Personen, die die k - te Statusgruppe nicht verlassen haben, liegt. Zur Überprüfung dessen wurden zunächst die Mittelwerte der Personen, die ihren Status gewechselt haben mit den Mittelwerten der Personen, die den Herkunftsstatus bzw. der Personen, die den Zielstatus charakterisieren, verglichen. Bei der Betrachtung dieser Werte fällt auf, dass mit wenigen Ausnahmen (Wechsel aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und Beamte im höheren Dienst in die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen oder in die Statusgruppe der Ausführenden Angestellten und Beamten im einfachen Dienst) die Werte der Statuswechsler innerhalb des Intervalls liegen, das aus den beiden jeweiligen Referenzwerten (Werte in den Zellen der Hauptdiagonalen) gebildet wird.
200
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
Damit ist es sinnvoll, die Analyse unter Verwendung der hier vorgeschlagenen Modelle fortzusetzen. Den Einfluss, den die soziale Herkunft, die Stellung im Raum sozialer Positionen sowie die soziale Mobilität auf die Lektüre von Literatur ausübt, wird unter Verwendung verschiedener Modelle spezifiziert und die Parameter des jeweiligen Modells unter Anwendung des dreistufigen Verfahrens geschätzt. Im Anschluss daran wird getestet, mit welchem Modell eine gute Anpassung an die Daten erzielt werden kann. Im folgenden Abschnitt werden die Effekte unter Verwendung des „diagonal mobility“- Modells spezifiziert. In den darauffolgenden Abschnitten werden die Effekte unter Verwendung von Modellen mit weniger starken Restriktionen spezifiziert.
7.1.1 Empirische Spezifikation eines „diagonal mobility“ Modells Wir betrachten zunächst das einfache Modell ohne variierende Gewichte und ohne weitere erklärende Variablen. Die einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle werden in 6×6 Dummy-Variablen Sji und Wjki kodiert. Sji , j = 1, . . . , 6 bezeichnet die Statusvariable der Personen, die zu beiden Betrachtungszeitpunkten derselben Statusgruppe angehörten. S1i ist die Statusvariable der Personen, die zu beiden Zeitpunkten der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten angehörten. Sie ist die Referenzkategorie und wird daher in ihrem Wert in der Regressionskonstanten abgebildet. S2i bezeichnet die Statusvariable der Personen, die zu beiden Zeitpunkten der Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen angehörten, S3i die Statusvariable der Personen, die die Statusgruppe der Angestellte mit Führungstätigkeiten, selbständigen Tätigkeiten sowie Beamte im gehobenen Dienst nicht verlassen haben bzw. wieder zurückgekehrt sind, S4i die Statusvariable der Personen, die zu beiden Zeitpunkten der Gruppe der Angestellte mit schwierigen Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst angehörten, S5i die Statusvariable der Personen, die der Gruppe der Angestellten mit einfachen Tätigkeiten und Meister in Angestelltenverhältnissen angehörten und S6i die der Personen, die zu beiden Zeitpunkten der Gruppe der Arbeiter und Landwirte angehörten. Die Variablen S2i bis S6i nehmen den Wert 1 an, wenn die Person i zu beiden Zeitpunkten der jeweiligen Statusgruppe angehörte. Wjki , j = 1, . . . , 6, k = 1, . . . , 6, j = k bezeichnet eine Variable, die den Wechsel der Statusgruppen angibt. j, k = 1 bezeichnet die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten, j, k = 2 die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen, j, k = 3 die Statusgruppe der Angestellten mit Führungstätigkeiten, selbständi-
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
201
gen Tätigkeiten sowie Beamte im gehobenen Dienst, j, k = 4 die Statusgruppe der Angestellten mit schwierigen Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst, j, k = 5 die Statusgruppe der Angestellten mit einfachen Tätigkeiten und Meister in Angestelltenverhältnissen und j, k = 6 die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte. Die Variablen nehmen jeweils den Wert 1 an, wenn ein Wechsel im Status von j auf k erfolgte. Der bedingte Erwartungswert der abhängigen Variablen „Lektüre von Büchern in der Freizeit“ einer zufällig ausgewählten Person i aus einer beliebigen Zelle der 6 × 6 Mobilitätstabelle lässt sich formulieren als: µ∗i = α1 +
6
αj Sji +
j=2
6 6
(παj + (1 − π)αk )Wjki
(7.1)
j=1 k=j
Betrachten wir zunächst den konditionalen Erwartungswert einer Person, die zu beiden Zeitpunkten der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten angehörte und sich damit in der ersten Diagonalzelle (11) der (11) Mobilitätstabelle befindet. Der Erwartungswert µ∗i läßt sich als µi = α1 schreiben. α1 ist die Regressionskonstante und ist identisch mit dem Erwartungswert der abhängigen Variablen „Lektüre von Büchern in der Freizeit“ in der Diagonalzelle (11). Für eine Person, die zu beiden Zeitpunkten der Statusgruppe der nichtaka(22) mit demischen Selbständigen angehörte (Diagonalzelle (22)), gilt µ∗i = µi (22)
µi
= α1 + α2 .
(7.2)
α2 beschreibt den Unterschied im Erwartungswert der Variablen „Lektüre von Büchern in der Freizeit“ zwischen den Selbständigen Akademikern und höheren Beamten in der Diagonalzelle (11) und den Nichtakademischen Selbständigen in der Diagonalzelle (22). Die konditionalen Erwartungswerte der Personen, die (a) zu beiden Zeitpunkten der Statusgruppe der Angestellten mit Führungstätigkeiten, selbständigen Tätigkeiten sowie Beamte im gehobenen Dienst angehörten und sich in (33) der Diagonalzelle (33) der Mobilitätstabelle befinden (µ∗i = µi ), (b) zu beiden Zeitpunkten der Statusgruppe der Angestellten mit schwierigen Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst und sich in der Diagonalzelle (44) der Mobili(44) tätstabelle befinden (µ∗i = µi ), (c) zu beiden Zeitpunkten der Statusgruppe der Angestellten mit einfachen Tätigkeiten, Meister in Angestelltenverhältnissen angehörten und sich in der Diagonalzelle (55) der Mobilitätstabelle befin(55) den (µ∗i = µi ) und (d) zu beiden Zeitpunkten der Klasse der Arbeiter und
202
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
Landwirte angehörten und sich in der Diagonalzelle (66) der Mobilitätstabelle befinden, läßt sich schreiben als: (33)
= α1 + α3
(7.3)
(44)
= α1 + α4
(7.4)
(55)
= α1 + α5
(7.5)
(66)
= α1 + α6
(7.6)
µi µi µi µi (12)
einer Person, die von der Statusgruppe der Für den Erwartungswert µi Selbständigen Akademiker und höheren Beamten in die Klasse der Nichtakademischen Selbständigen wechselt, gilt (12)
µi
= α1 + (1 − π)α2 .
(7.7) (13)
einer Person, die von Analog dazu erhält man für den Erwartungswert µi der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten in die Statusgruppe der Angestellten mit Führungstätigkeiten, selbständigen Tätigkeiten sowie Beamte im gehobenen Dienst wechselt: (13)
µi
= α1 + (1 − π)α3
(7.8)
Die Erwartungswerte der Personen, die von der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten in die Statusgruppe der Angestellten (14) mit schwierigen Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst µi , in die Statusgruppe der Angestellten mit einfachen Tätigkeiten, Meister in Angestellten(15) (16) sowie in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte µi verhältnissen µi wechseln, ergeben sich als: (14)
= α1 + (1 − π)α4
(7.9)
(15)
= α1 + (1 − π)α5
(7.10)
(16)
= α1 + (1 − π)α6
(7.11)
µi µi µi
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
203
Die Erwartungswerte der Personen, die von der Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und (21) höheren Beamten µi , in die Statusgruppe der Angestellten mit Führungstä(23) tigkeiten, selbständigen Tätigkeiten sowie Beamte im gehobenen Dienst µi , in die Statusgruppe der Angestellten mit schwierigen Tätigkeiten und Beamte (24) im mittleren Dienst µi , in die Statusgruppe der Angestellten mit einfachen (25) Tätigkeiten, Meister in Angestelltenverhältnissen µi , in die Statusgruppe der (26) Arbeiter und Landwirte µi wechseln, sind: µ(21) = α1 + πα2
(7.12)
µ(23) = α1 + πα2 + (1 − π)α3
(7.13)
µ(24) = α1 + πα2 + (1 − π)α4
(7.14)
µ(25) = α1 + πα2 + (1 − π)α5
(7.15)
µ(26) = α1 + πα2 + (1 − π)α6
(7.16)
Die Erwartungswerte der Personen, die aus der Statusgruppe der Angestellten mit Führungstätigkeiten, selbständigen Tätigkeiten sowie Beamte im gehobenen Dienst in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höhere Beam(31) (32) ten µi , in die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen µi , in die Statusgruppe der Angestellten mit schwierigen Tätigkeiten und Beamte im (34) mittleren Dienst µi , in die Statusgruppe der Angestellten mit einfachen Tä(35) tigkeiten, Meister in Angestelltenverhältnissen µi , in die Statusgruppe der (36) Arbeiter und Landwirte µi wechseln, sind: µ(31) = α1 + πα3
(7.17)
µ(32) = α1 + πα3 + (1 − π)α2
(7.18)
µ(34) = α1 + πα3 + (1 − π)α4
(7.19)
µ(35) = α1 + πα3 + (1 − π)α5
(7.20)
204
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
µ(36) = α1 + πα3 + (1 − π)α6
(7.21)
Die Erwartungswerte der Personen, die aus der Statusgruppe der Angestellten mit schwierigen Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst in die Statusgrup(41) pe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten µi , in die Statusgrup(42) pe der Nichtakademischen Selbständigen µi , in die Statusgruppe der Angestellten mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben (43) sowie Beamte im gehobenen Dienst µi , in die Statusgruppe der Angestell(45) ten mit einfachen Tätigkeiten, Meister in Angestelltenverhältnissen µi , in die (46) Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte µi wechseln, sind: µ(41) = α1 + πα4
(7.22)
µ(42) = α1 + πα4 + (1 − π)α2
(7.23)
µ(43) = α1 + πα4 + (1 − π)α3
(7.24)
µ(45) = α1 + πα4 + (1 − π)α5
(7.25)
µ(46) = α1 + πα4 + (1 − π)α6
(7.26)
Die Erwartungswerte der Personen, die aus der Statusgruppe der Angestellten mit einfachen Tätigkeiten und Beamte im einfachen Dienst in die Statusgruppe (51) der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten µi , in die Statusgruppe (52) der Nichtakademischen Selbständigen µi , in die Statusgruppe der Angestellte mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben sowie (53) Beamte im gehobenen Dienst µi , in die Statusgruppe der Angestellten mit (54) schwierigen Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst µi , in die Status(56) gruppe der Arbeiter und Landwirte µi wechseln, sind: µ(51) = α1 + πα5
(7.27)
µ(52) = α1 + πα5 + (1 − π)α2
(7.28)
µ(53) = α1 + πα5 + (1 − π)α3
(7.29)
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
205
µ(54) = α1 + πα5 + (1 − π)α4
(7.30)
µ(56) = α1 + πα5 + (1 − π)α6
(7.31)
Die Erwartungswerte der Personen, die aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höhe(61) ren Beamten µi , in die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen (62) µi , in die Statusgruppe der Angestellten mit hochqualifizierten Tätigkeiten (63) und umfassenden Leitungsaufgaben sowie Beamte im gehobenen Dienst µi , in die Statusgruppe der Angestellten mit schwierigen Tätigkeiten und Beamte (64) im mittleren Dienst µi , in die Statusgruppe der Angestellten mit einfachen (65) Tätigkeiten, Meister in Angestelltenverhältnissen µi wechseln, sind: µ(61) = α1 + πα6
(7.32)
µ(62) = α1 + πα6 + (1 − π)α2
(7.33)
µ(63) = α1 + πα6 + (1 − π)α3
(7.34)
µ(64) = α1 + πα6 + (1 − π)α4
(7.35)
µ(65) = α1 + πα6 + (1 − π)α5
(7.36)
Daraus ergibt sich im Regressionsmodell y i = γ ∗ + Π∗ x∗i + ∗i für den Spaltenvektor x∗i ein Vektor mit den Komponenten Sji , j = 2, . . . , 6 (zusammengefaßt in dem Subvektor si ) und Wjki , j =, j, k = 1, . . . , 6 (zusammengefaßt in den Subvektor wi ). Die Parameter γ ∗ und die Komponenten des Vektors der Regressionskoeffizienten Π∗ der reduzierten Form sind dann als folgende Funktionen der modellrelevanten Parameter α1 , α2 , . . . , α6 , π gegeben: γ ∗ = α1 und Π∗1 = α2
(7.37)
206
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
Π∗2 = α3
(7.38)
Π∗3 = α4
(7.39)
Π∗4 = α5
(7.40)
Π∗5 = α6
(7.41)
Π∗6 = (1 − π)α2
(7.42)
Π∗7 = (1 − π)α3
(7.43)
Π∗8 = (1 − π)α4
(7.44)
Π∗9 = (1 − π)α5
(7.45)
Π∗10 = (1 − π)α6
(7.46)
Π∗11 = πα2
(7.47)
Π∗12 = πα2 + (1 − π)α3
(7.48)
Π∗13 = πα2 + (1 − π)α4
(7.49)
Π∗14 = πα2 + (1 − π)α5
(7.50)
Π∗15 = πα2 + (1 − π)α6
(7.51)
Π∗16 = πα3
(7.52)
Π∗17 = πα3 + (1 − π)α2
(7.53)
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
207
Π∗18 = πα3 + (1 − π)α4
(7.54)
Π∗19 = πα3 + (1 − π)α5
(7.55)
Π∗20 = πα3 + (1 − π)α6
(7.56)
Π∗21 = πα4
(7.57)
Π∗22 = πα4 + (1 − π)α2
(7.58)
Π∗23 = πα4 + (1 − π)α3
(7.59)
Π∗24 = πα4 + (1 − π)α5
(7.60)
Π∗25 = πα4 + (1 − π)α6
(7.61)
Π∗26 = πα5
(7.62)
Π∗27 = πα5 + (1 − π)α2
(7.63)
Π∗28 = πα5 + (1 − π)α3
(7.64)
Π∗29 = πα5 + (1 − π)α4
(7.65)
Π∗30 = πα5 + (1 − π)α6
(7.66)
Π∗31 = πα6
(7.67)
Π∗32 = πα6 + (1 − π)α2
(7.68)
Π∗33 = πα6 + (1 − π)α3
(7.69)
208
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
Π∗34 = πα6 + (1 − π)α4
(7.70)
Π∗35 = πα6 + (1 − π)α5
(7.71)
Zur Schätzung der Modellparameter wird das dreistufige Verfahren verwendet, das im dritten Kapitel ausführlich beschrieben wurde. In der ersten Stufe des Schätzverfahrens werden die Parameter der reduzierten Form γ ∗ , Π∗ und Σ∗ unter Anwendung der Methode der kleinsten Quadrate (OLS) geschätzt. Nach der Schätzung dieser Parameter wird in der zweiten Stufe die asymptotische Kovarianzmatrix der unrestringiert geschätzten Parameter geschätzt. In der dritten Stufe wird der Parametervektor ϑ, der die spezifische Struktur für die Regressionskoeffizienten Π∗ als nichtlineare Funktionen der Strukturparameter ˜ k und Σ ˜ k unter Verwendung ˜k, Π ϑ angibt, aus den unrestringierten Schätzern γ der Minimum-Distanz-Methode geschätzt. Zusätzlich zu der in Π∗ dargestellten multiplikativen Funktion der Gewichte und der Regressionskoeffizienten ist zu berücksichtigen, dass die Strukturparameter selbst die Restriktion π ∈ [0, 1] erfüllen müssen. Dies wird durch die Einführung des Fundamentalparameters π ˜ und Verwendung des Logit-Modells in der Form π=
˜ exp(pi) ˜ 1 + exp(pi)
(7.72)
erzielt. Die Schätzung der Modellparameter erfolgt mit dem Computerprogramm MECOSA 3 (Arminger, Schepers und Wittenberg 1996). Für das numerische Minimierungsverfahren werden Startwerte für den Vektor der Fundamentalparameter benötigt. Da auf Grund der möglichen Komplexität der zu schätzenden Modelle keine optimalen Startwerte innerhalb des Programmsystems generiert werden können (vgl. Schepers 1991), müssen diese festgelegt werden. Das Verfahren ist robust gegenüber der Wahl der Startwerte, wie in einer Reihe von Simulationen festgestellt wurde. Zur Gewinnung der Startwerte wird zunächst ein vereinfachtes Modell geschätzt und die Parameter als Startwerte verwendet. In Tabelle 7.2 werden die Ergebnisse der Parameterschätzungen dargestellt. Da der Vektor der Regressoren ausschließlich Dummy-Variablen enthält und somit die Parameterschätzungen in Π∗ als Abweichungen vom Erwartungswert der Referenzkategorie zu interpretieren sind, werden im folgenden die Erwartungswerte für die einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle aufgeführt und auf die Darstellung der Regressionskoeffizienten verzichtet. Die unter dem Modell
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
209
berechneten Mittelwerte bzw. die restringierten Parameter, aus denen die erwarteten Mittelwerte berechnet werden, dienen der Anpassung an die Parameter der reduzierten Form. Sie werden im folgenden nur der Vollständigkeit wegen aufgeführt und dienen dem Leser zur Überprüfung der Anpassung. Die Interpretation der Werte entfällt, da bereits die beobachteten Mittelwerte interpretiert wurden. Der Anteil der durch das Modell erklärten Varianz an der Gesamtvarianz 2 wird mit rStuf e1 angegeben. Dieser liegt bei 0.149. Inhaltlich bedeutet dies, dass 15% der Varianz der abhängigen Variablen durch die soziale Herkunft und die berufliche Stellung erklärt wird. Zur Beurteilung der Modellanpassung wird die auf der Minimum-Distanz-Schätzung basierende χ2 -Test-Statistik verwendet. Die Minimum-Distanz-Schätzung ergibt eine χ2 - Statistik von 23.43 bei 29 Freiheitsgraden. Daher wird die Nullhypothese, dass die Parameter der reduzierten Form durch das gewählte Modell generiert wurden, auf Grund der Daten dieser Stichprobe auf dem Testniveau von α = 0.05 angenommen. Die Anpassung des restringierten Modells an die beobachteten Mittelwerte wird durch den 2 Determinationskoeffizienten rStuf e3 angegeben. Im Unterschied zu dem oben genannten Determinationskoeffizienten bezieht sich dieser auf den Zusammenhang zwischen den beobachteten und den erwarteten Mittelwerten. Im vorliegenden Fall ergibt sich ein Determinationskoeffizient von r2 = 0.586. Danach erklärt das Modell 59% der Varianz der beobachteten Mittelwerte. Betrachtet man die Güte der Modellanpassung auf Grund der vorgefundenen Werte, ist festzustellen, dass das Modell insgesamt gut an die beobachteten Mittelwerte angepaßt ist, so dass das Modell inhaltlich interpretiert werden kann. Die Gewichte π bzw. 1 − π geben Auskunft darüber, mit welchem Anteil der Erwartungswert der Variablen „Lektüre von Büchern in der Freizeit“ durch die Herkunftsposition und mit welchem Anteil er durch die Zielposition beeinflußt wird. In diesem Modell wird der Parameter auf den Wert π = 0.34 geschätzt. Dies besagt, dass der Erwartungswert der abhängigen Variablen mit einem Anteil von 34% durch den Referenzwert der sozialen Herkunft und entsprechend mit einem Anteil von 66% durch den der Zielposition beeinflußt wird. Daraus kann geschlossen werden, dass die Stellung im Raum der sozialen Positionen in Relation zur sozialen Herkunft einen stärkeren Effekt auf die Lektüre von Büchern ausübt.
3.039 2.755 2.899 3.048 3.238
2.329
2.046
2.190
—-
2.529
2.689
2.499
2.350
2.207
2.490
2.967
2.777
2.628
2.485
2.768
3.256
3.065
2.916
2.773
3.056
3.625
3.434
3.285
3.142
3.425
3.059
Arbeiter
Anmerkung: Selbständige Akademiker = Selbständige Akademiker und höheren Beamte; Sonstige Selbständige = Nichtakademische Selbständige; Leitende Angestellte = Angestellte mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben sowie Beamte im gehobenen Dienst; Qualifizierte Angestellte = Angestellte mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst; Ausführende Angestellte = Ausführende Angestellte und Beamte im einfachen Dienst; Arbeiter = Arbeiter und Landwirte.
soziale Herkunft Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
Interesse an der Lektüre von Büchern: Erwartungswerte („diagonal mobility“ Modell) gegenwärtige Position Selbständige Sonstige Leitende Qualifizierte Ausführende Akademiker Selbständige Angestellte Angestellte Angestellte 1.963 2.673 2.124 2.402 2.690
TABELLE 7.2
210 7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
211
7.1.2 Empirische Spezifikation des „diagonal mobility 1“ Modells Mit der Spezifikation der Effekte der sozialen Herkunft und der beruflichen Stellung auf die Lektüre von Literatur als bevorzugte Freizeitaktivität unter Verwendung des „diagonal mobility“ Modells wurden sehr starke Restriktionen auf die Anteilswerte, mit denen der Erwartungswert durch die soziale Herkunft gewichtet wird, formuliert. Im Folgenden betrachten wir die Erweiterung des „diagonal mobility“- Modells in Bezug auf die Variation der Gewichte nach der sozialen Herkunft (“diagonal mobility 1“ Modell) und wenden dieses zur Spezifikation der Effekte an. In dem Modell läßt sich der bedingte Erwartungswert der abhängigen Variablen einer zufällig ausgewählten Person aus einer beliebigen Zelle der 6 × 6 Mobilitätstabelle formulieren als µ∗i = α1 +
6 j=2
αj Sji +
6 6
(πj αj + (1 − πj )αk )Wjki
.
(7.73)
j=1 k=j
Daraus ergibt sich im Regressionsmodell y i = γ ∗ + Π∗ x∗i + i für den Spaltenvektor x∗ ein Vektor mit dem Subvektor si , bestehend aus den Komponenten Sji , j = 2, . . . 6 und dem Subvektor wi , bestehend aus den Komponenten Wjki , j = k; j, k = 1 . . . , 6. Die Parameter γ ∗ und Π∗ enthalten die nichtlinearen Funktionen der modellrelevanten Parameter α1 , . . . , α6 , π1 , . . . , π6 : • α1 ist die Regressionskonstante • α2 , . . . , α6 für si • πj αj + (1 − πj )αk , j = 2, . . . , 6, k = 1, . . . , 6 und j = k für wi Die Modellparameter werden unter Anwendung des dreistufigen Schätzverfahrens berechnet. Dabei sind die Restriktionen πj ∈ [0, 1], j = 1, . . . , 6 zu beachten. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Parameterschätzungen dargestellt. Da in diesem Fall der Vektor der Regressoren x∗ wieder ausschließlich aus Dummy-Variablen besteht und damit die Parameterschätzungen in Π∗ als Abweichungen vom Erwartungswert der Referenzkategorie zu interpretieren sind, werden genauso wie bei der Darstellung der Ergebnisse des „diagonal-mobility“ Modells nur die Erwartungswerte für die einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle dargestellt. Die unter dem „diagonal mobility 1“ Modell erwarteten bedingten Mittelwerte für jede einzelne Zelle der Mobilitätstabelle werden in Tabelle 7.3 aufgeführt.
soziale Herkunft Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter 3.025 2.963 2.867 3.025 3.264
2.166
2.007
2.208 —–
2.658
2.749
2.292
2.306
2.150
2.295
3.005
2.656
2.585
2.554
2.658
3.264
3.025
2.867
2.963
3.025
Interesse an der Lektüre von Büchern: Erwartungswerte („diagonal mobility 1“ Modell) gegenwärtige Position Selbständige Sonstige Leitende Qualifizierte Ausführende Akademiker Selbständige Angestellte Angestellte Angestellte 1.996 2.603 2.087 2.344 2.603
TABELLE 7.3
3.607
3.512
3.239
3.504
3.510
2.946
Arbeiter
212 7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
213
TABELLE 7.4 Relative Einflussstärken (Anteile) soziale Herkunft Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
(πj ) 0.410 0.166 0.070 0.359 0.162 0.411
Die Minimum-Distanz-Schätzung ergibt eine χ2 Statistik von 16.70 bei 24 Freiheitsgraden. Damit kann das Modell auf dem Testniveau von α = 0.05 nicht zurückgewiesen werden. Die Anpassung der erwarteten Mittelwerte an die 2 beobachteten Mittelwerte liegt bei rStuf e3 = 0, 65. Demnach wird unter der Anwendung des „diagonal mobiliy 1“ Modells mehr Varianz der beobachteten Mittelwerte erklärt als unter der Anwendung des Grundmodells. In Tabelle 7.4 sind die Anteilswerte aufgeführt, die Auskunft darüber geben, mit welchem Anteil der Erwartungswert durch die soziale Herkunft beeinflusst wird. Alle Parameterschätzer sind auf dem 95%-Niveau signifikant von Null verschieden. Die Anteilswerte zeigen an, dass bei allen Statusgruppen der Einfluss, den die Zielposition auf den Erwartungswert der Variablen „Lektüre von Büchern“ ausübt, größer ist als der Einfluss der Herkunftsposition. Im Unterschied zum einfachen „diagonal mobility“ Modell differiert der Einfluss der sozialen Herkunft in Abhängigkeit von der jeweiligen Statusgruppe, aus der das Individuum stammt. Bei der Betrachtung der Anteilswerte wird deutlich, dass diese Werte relativ hoch sind, wenn die Statusgruppen der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten und Arbeiter und Landwirte die soziale Herkunftsklasse eines Individuums ist. Daraus folgt, dass diese Statusgruppen das Interesse an der Lektüre von Büchern in der Freizeit stärker als die anderen Gruppen prägen. Sehr gering ist der Einfluss der sozialen Herkunft bei den Personen, die aus der Statusgruppe der Angestellten mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben sowie Beamte im gehobenen Dienst, aus der Statusgruppe der Ausführenden Angestellten und Beamten im einfachen Dienst und aus der Sta-
214
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
tusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen in eine andere Gruppe gewechselt sind. Der Einfluss, den die gegenwärtige berufliche Position des Individuums auf den Erwartungswert der Variablen “Lektüre von Büchern“ ausübt, ist abhängig von dem Anteil an Einfluss, den die soziale Herkunft ausübt. So ist der Einfluss der gegenwärtigen sozialen Position bei Personen, die aus den Statusgruppen der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten stammen und bei Personen, deren soziale Herkunft die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte ist, geringer als bei den anderen Statuswechslern. Beispielsweise ist der Einfluss sozialer Herkunft bei den Wechslern aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten in die Statusgruppe der Angestellten mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst stärker als bei den Wechslern aus der Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen in die Statusgruppe der Angestellten mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst. Die Parameterschätzungen des „diagonal mobility 1“ Modells lassen darauf schließen, dass der Einfluss, den die soziale Herkunft auf das Interesse bzw. das Desinteresse an der Lektüre von Büchern in der Freizeit ausübt, je nach sozialer Herkunft unterschiedlich ist. Der Einfluss der sozialen Herkunft ist sehr stark, wenn ein Individuum entweder in Familien aufgewachsen ist, in denen kulturelle und ökonomische Ressourcen in sehr hohem Umfang vorhanden waren oder in Arbeiterfamilien. Auch wenn in diesen Fällen der Einfluss der sozialen Mobilität stärker ist, lassen die hohen Anteilswerte der Statusgruppen Selbständige Akademiker und höhere Beamte und Arbeiter und Landwirte darauf schließen, dass diese Statusgruppen das Interesse oder Desinteresse an der Lektüre von Büchern ihrer ehemaligen Angehörigen sehr stark beeinflussen.
7.1.3 Empirische Spezifikation des „diagonal mobility 2“ Modells Im Folgenden wird der Einfluss der sozialen Herkunft und der Stellung innerhalb des Raumes der sozialen Positionen auf die Lektüre von Büchern unter Verwendung des „diagonal mobility 2“ Modells spezifiziert. Im Unterschied zur Spezifikation der Effekte unter Verwendung des „diagonal mobility 1“ Modells können die Anteile, mit denen der Einfluss der Koeffizienten gewichtet wird, je nach der Statusgruppe, in die das Individuum gewechselt ist, variieren. Der bedingte Erwartungswert der abhängigen Variablen einer zufällig ausgewählten Person aus einer beliebigen Zelle der 6 × 6 Mobilitätstabelle läßt sich formulieren als:
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
µ∗i = α1 +
6 j=2
αj Sji +
6 6
(πk αj + (1 − πk )αk )Wjki
215
(7.74)
j=1 k=j
Daraus ergibt sich im Regressionsmodell y i = γ ∗ + Π∗ x∗i + ∗i für den Spaltenvektor x∗ mit den Subvektoren si und wi ein Vektor mit den Komponenten Sji , j = 2, . . . 6 und Wjki , j = k; j, k = 1 . . . , 6. Die Parameter γ ∗ und Π∗ enthalten die nichtlinearen Funktionen der modellrelevanten Parameter α1 , . . . , α6 , π1 , . . . , π6 : • α1 ist die Regressionskonstante • α2 , . . . , α6 für si • πk αj + (1 − πk )αk , j = 2, . . . , 6, k = 1, . . . , 6 und j = k für wi Analog zu dem „diagonal mobility 1“ Modell besteht der Vektor der Regressoren xi aus den Komponenten Sji , j = 2, . . . 6 und Wjki , j = k; j, k = 1 . . . , 6 und die Regressionskoeffizienten Π∗ nehmen die Werte α2 , . . . , αj für Sji , j = 2, . . . , 6 und πj αj + (1 − πj )αk für die Statuswechsler Wjki , j = k, j, k = 1, . . . , 6 an. Im Unterschied zu dem vorhergehenden Modell sind dabei die Restriktionen πk ∈ [0, 1], k = 1, . . . , 6 zu beachten. Diese werden durch die Einführung von 6 Fundamentalparameter π ˜k , k = 1 . . . , 6 und unter Verwendung von Logit-Modellen erzielt. Die Schätzung der Modellparameter erfolgt ebenfalls unter Anwendung des dreistufigen Schätzverfahrens unter Verwendung des Computerprogramms MECOSA 3. Im Folgenden werden die Parameterschätzer dargestellt. Dabei sind die Restriktionen πk ∈ [0, 1], k = 1, . . . , 6 zu beachten. Die unter dem Modell erwarteten bedingten Mittelwerte für jede einzelne Zelle der Mobilitätstabelle werden in Tabelle 7.5 aufgeführt. Die Mittelwerte bzw. die restringierten Parameter, aus denen sie berechnet wurden, dienen wiederum der Anpassung an die Parameter der reduzierten Form und brauchen nicht inhaltlich interpretiert werden. Die Minimum-Distanz-Schätzung ergibt eine χ2 - Statistik von 15.11 bei 24 Freiheitsgraden. Daher wird die Nullhypothese, dass die Parameter der reduzierten Form durch das gewählte Modell generiert wurden, auf Grund der Daten dieser Stichprobe auf dem Testniveau von α = 0.05 angenommen. Danach kann auch das Modell als gut angepaßt betrachtet werden. Die Anpassung der erwar2 teten Mittelwerte an die beobachteten Mittelwerte wird mit rStuf e3 angegeben. Dieser liegt bei 0.66. Vergleicht man diesen Wert mit den aus der Anwendung
soziale Herkunft Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter 3.013 2.670 2.760 3.045 3.297
2.405
2.044
2.139 —–
2.704
2.605
2.483
2.345
2.302
2.468
3.086
2.805
2.488
2.388
2.770
3.255
3.079
2.880
2.817
3.058
Interesse an der Lektüre von Büchern: Erwartungswerte („diagonal mobility 2“ Modell) gegenwärtige Position Selbständige Sonstige Leitende Qualifizierte Ausführende Akademiker Selbständige Angestellte Angestellte Angestellte 1.777 2.417 2.180 2.107 2.639
TABELLE 7.5
3.600
3.533
3.456
3.431
3.524
3.363
Arbeiter
216 7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
217
TABELLE 7.6 Relative Einflussstärke (Anteile) gegenwärtige Position Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
(πk ) 0.508 0.482 0.233 0.537 0.337 0.130
des „diagonal mobility“ Modells und des „diagonal mobility 1“ Modells erzielten Werte der Determinationskoeffizienten, wird deutlich, dass das „diagonal mobility 2“ Modell mehr Varianz in den beobachteten Mittelwerten erklärt als die anderen Modelle. In Tabelle 7.6 werden die Anteilswerte, die angeben, mit welchem Anteil die soziale Herkunft auf den Erwartungswert der Variablen „Lektüre von Büchern in der Freizeit“ wirkt, dargestellt. Alle Parameter sind auf dem 95%-Niveau signifikant von Null verschieden. Aus Tabelle 7.6 ist ersichtlich, dass der Einfluss der sozialen Herkunft in Abhängigkeit davon, welche Position im Raum der sozialen Positionen besetzt wird, unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Der Anteilswert, mit dem der Erwartungswert der abhängigen Variablen durch die soziale Herkunft gewichtet wird, ist extrem niedrig in der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte. Dies bedeutet, dass bei Statuswechslern in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte der Einfluss ihrer jeweils spezifischen sozialen Herkunft nicht besonders hoch und damit verbunden der Einfluss der gegenwärtigen Position sehr hoch ist. Dies könnte ein Hinweis für die besondere Fähigkeit der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte sein, ihre neuen Angehörigen bezüglich des Interesses bzw. Desinteresses an dieser Freizeitaktivität extrem stark zu prägen. An dieser Stelle soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass das Interesse an der Lektüre von Büchern in dieser Statusgruppe nur rudimentär vertreten ist. Es kann vermutet werden, dass Personen, die aus Statusgruppen stammen, die insgesamt gerne lesen, das Interesse an der Lektüre von Büchern entweder verloren haben oder aber schon immer eine für ihre soziale Herkunftsklasse eher untypische Verhaltensweise aufweisen.
218
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Lektüre von Büchern bei leitenden Angestellten und ausführenden Angestellten, die nicht immer diesen Statusgruppen angehörten, sehr gering ist. Gleichzeitig bedeutet dies, dass der Einfluss der gegenwärtigen Position bei den Wechslern in die Statusgruppen der a) Leitenden Angestellten und Beamten im gehobenen Dienst und b) Ausführenden Angestellten und Beamten im einfachen Dienst sehr stark ist. Der Anteil, mit dem der Erwartungswert durch die soziale Herkunft gewichtet wird, ist bei den Wechslern in die Statusgruppen der a) Selbständigen Akademiker und höheren Beamten, b) der Nichtakademischen Selbständigen und c) der Qualifizierten Angestellten und Beamten im mittleren Dienst in etwa genauso groß wie der Anteil, mit dem der Erwartungswert durch die Stellung im Raum der sozialen Positionen gewichtet wird. Insgesamt kann als Ergebnis festgehalten werden, dass der Einfluss der sozialen Herkunft erheblich nach der gegenwärtigen beruflichen Stellung variiert. Dabei ist insbesondere der starke Einfluss der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte herauszustellen. Der extrem niedrige Wert der Herkunftsposition und damit verbunden der extrem hohe Wert der Zielposition läßt sich dahingehend interpretieren, dass Personen, die in diese Statusgruppen gewechselt sind, sehr stark Verhaltensweisen übernehmen, die für diese Gruppe typisch sind bzw. dass die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte einen starken Einfluss auf ihre neuen Mitglieder ausübt. Andererseits kann der Wert auch dahingehend interpretiert werden, dass die Person gerade in diese Statusgruppe abgestiegen ist, weil sie das für diese Statusgruppe typische Desinteresse, in der Freizeit Bücher zu lesen, hat.
7.1.4 Empirische Spezifikation des Weakliem-Modells Nachdem sowohl mit einer Spezifikation der Effekte in Form eines „diagonal mobility 1“ Modells als auch in Form eines „diagonal mobility 2“ Modells eine gute Anpassung an die Daten der reduzierten Form erzielt werden konnte, ist zu vermuten, dass die Anteilswerte, mit denen der Erwartungswert der Variablen „Lektüre von Büchern“ durch die soziale Herkunft und durch die gegenwärtige Position beeinflusst wird, gleichzeitig nach der jeweils spezifischen sozialen Herkunft und der jeweils spezifischen gegenwärtigen Position variieren. Aus diesem Grund wird im folgenden der Effekt der sozialen Herkunft, der Stellung im Raum sozialer Positionen und der sozialen Mobilität auf die Lektüre von Büchern in Form eines Weakliem-Modells spezifiziert. Damit ist es möglich, den Einfluss der sozialen Herkunft und der beruflichen Stellung in Abhängigkeit
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
219
von der Richtung der Mobilität im Sinne von auf- und absteigender Mobilität zu variieren. Formal ist das Modell folgendermaßen definiert: Der bedingte Erwartungswert der abhängigen Variablen „Lektüre von Büchern“ einer zufällig ausgewählten Person aus einer beliebigen Zelle der 6×6 Mobilitätstabelle läßt sich formulieren als µ∗i = α1 +
6
αj Sji +
j=2
6 6
(ωjk αj + (1 − ωjk )αk )Wjki
(7.75)
φpj φpj + pk
(7.76)
j=1 k=j
wobei ωjk =
ist. Das Modell wird ebenfalls in das allgemeine Regressionsmodell der Form y i = γ ∗ + Π∗ x∗i + ∗i integriert. Der Vektor der Regressoren x∗i besteht aus den Subvektoren si mit den Komponenten Sji , j = 2, . . . 6 und wi mit den Komponenten Wjki , j = 1, . . . , 6, k = 1, . . . , 6 undj = k. Die Regressionskonstante der reduzierten Form γ ∗ wird genau wie in den zuvor behandelten Modellen durch α1 gebildet. Die Komponenten von Π∗ sind als folgende Funktionen der modellrelevanten Parameter α1 , α2 , . . . , α6 , φ, pj = 1, . . . , 6 gegeben: • αj , j = 2, . . . , 6 sind die Koeffizienten des Vektors si • ωjk αj + (1 − ωjk )αk , j = 1, . . . , 6, k = 1, . . . , 6und j = k sind die Koeffizienten des Vektors wi Bei der Schätzung der Modellparameter des Modells ist zusätzlich zu der in Π dargestellten multiplikativen Funktion der Gewichte und den Regressionskoeffizienten zu berücksichtigen, dass die Strukturparameter selbst die Restriktion φ ∈ [0, 1], pj > 0 und ΠJj=1 pj = 1 erfüllen müssen. Diese Restriktionen werden wiederum durch die Einführung von Fundamentalparametern φ˜ und p˜j erzielt: ∗
φ= pj =
˜ exp(φ) ˜ 1 + exp(φ)
exp(p˜j ) 1 + exp(p˜j ) p6 =
,
j = 1, . . . , 6 − 1, 1
Π6−1 j=1 pj
(7.77) (7.78) (7.79)
soziale Herkunft Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter 3.020 2.675 2.897 3.027 3.346
2.096
2.072
2.075 —-
2.434
2.665
2.387
2.288
2.258
2.319
3.076
2.703
2.546
2.435
2.626
3.243
3.038
2.973
2.831
3.037
Interesse an der Lektüre von Büchern: Erwartungswerte (Weakliem-Modell) gegenwärtige Position Selbständige Sonstige Leitende Qualifizierte Ausführende Akademiker Selbständige Angestellte Angestellte Angestellte 2.001 2.514 2.201 2.318 2.722
TABELLE 7.7
3.585
3.526
3.518
3.399
3.556
3.320
Arbeiter
220 7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
221
Im Folgenden werden die Ergebnisse des dreistufigen Schätzverfahrens dargestellt. Die Minimum-Distanz-Schätzung ergibt eine χ2 - Statistik von 13.34 bei 24 Freiheitsgraden. Damit kann auch dieses Modell auf dem Testniveau von α = 0.05 nicht zurückgewiesen werden. Die Anpassung des Modells an die beobachteten Mittelwerte liegt bei r2 = 0.655. Die unter dem Modell erwarteten bedingten Mittelwerte für jede einzelne Zelle der Mobilitätstabelle werden in Tabelle 7.7 dargestellt. Eine Auflistung der Parameter der reduzierten Form entfällt auch in diesem Modell. Die unter dem Modell erwarteten Mittelwerte dienen wiederum zur Anpassung und brauchen nicht weiter interpretiert werden. In Tabelle 7.8 sind die Anteilswerte, mit denen der Erwartungswert der Variablen „Lektüre von Büchern“ durch die Herkunftsposition (ωjk ) beeinflusst wird, aufgelistet. Darüber hinaus werden die Koeffizienten pj , j = 1, . . . , 6 und φ, aus denen die Gewichte berechnet werden, aufgeführt. Alle Koeffizienten sind auf dem 95%-Niveau signifikant von Null verschieden. Die Koeffizienten p1 , . . . , p6 geben die relative Stärke an, mit denen die einzelnen Statusgruppen in das Gewicht eingehen. Sie sind als die prägende Kraft, die die Statusgruppen auf bestimmte Werthaltungen, Geschmackspräferenzen und Verhaltensweisen ausüben, die für die jeweilige Statusgruppe typisch sind, zu interpretieren. Dies ist unabhängig davon, ob es sich bei der jeweiligen Statusgruppe um die soziale Herkunftsklasse oder um die gegenwärtige soziale Klasse eines Individuums handelt. Im vorliegenden Fall ist der Einfluss der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte (p6 = 2.14) und der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten (p1 = 1.64) auf die Anteilswerte in Relation zu den anderen Statusgruppen sehr stark. Diese Werte zeigen an, dass diese Statusgruppen an sich einen bedeutenden Einfluss auf die Lektüre von Büchern in der Freizeit ausüben. Im Gegensatz dazu zeigen die niedrigen Werte der Statusgruppen a) Nichtakademische Selbständige (p2 = 0.42) und b) Angestellte mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst (p4 = 0.55) an, dass diese Statusgruppen das Interesse an der Lektüre von Literatur nur sehr wenig beeinflussen. Der Parameter φ gibt das Gewicht an, mit dem die Koeffizienten p1 , . . . , p6 in Abhängigkeit davon, ob es sich bei der jeweiligen Statusgruppe um die soziale Herkunftsklasse oder um die gegenwärtige soziale Klasse eines Individuums handelt, in die Anteilswerte ωjk eingehen. Im vorliegenden Fall weist der Koeffizient einen Wert von φ = 0.268 auf. Dieser Wert weist darauf hin, dass die soziale Herkunft nur einen sehr geringen Einfluss auf die Anteilswerte, mit denen der Erwartungswert der abhängigen Variable durch die soziale Herkunft gewichtet wird, ausübt.
p1 p2 p3 p4 p5 p6
= 1.64 = 0.42 = 1.29 = 0.55 = 0.96 = 2.14
SELB. AKD 1.000 0.064 0.175 0.082 — 0.259
gegenwärtige Position (k) SONST. LEIT. QUAL. SELB ANG ANG 0.512 0.253 0.444 1.000 0.080 0.169 0.453 1.000 0.387 0.260 0.102 1.000 0.340 0.165 0.318 0.577 0.306 0.510 AUS. ANG 0.315 0.150 0.266 0.133 1.000 0.374
0.171 0.050 0.140 0.064 0.107 1.000
ARBEIT
Anmerkung: SELB.AKD = Selbständige Akademiker und höhere Beamte; SONST.SELB = Nichtakademische Selbständige; LEIT.ANG = Angestellte mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben sowie Beamte im gehobenen Dienst; QUAL.ANG = Angestellte mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst; AUS.ANG = Ausführende Angestellte und Beamte im einfachen Dienst; ARBEIT = Arbeiter und Landwirte.
soziale Herkunft (j) φ = 0.268 SELB.AKD AND.SELB LEIT.ANG QUAL.ANG AUS.ANG ARBEIT
Gewichte des Weakliem-Modells
TABELLE 7.8
222 7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
223
Es ist zu beachten, dass der in Relation zur gegenwärtigen Position geringe Einfluss der sozialen Herkunft auf die Anteilswerte ωjk jedoch durch Statusgruppen, die an sich einen sehr starken Einfluss ausüben (dargestellt in hohen Werten in pj ) relativiert werden kann. Diese Beziehung zwischen der sozialen Herkunft und den Statusgruppen spiegelt sich in den Anteilswerten (ωjk ), mit denen der Erwartungswert der abhängigen Variablen durch die soziale Herkunft gewichtet wird, wider. Bei der Betrachtung der Anteilswerte wird deutlich, wie stark die Prägekraft der Arbeiter und Landwirte einerseits und die der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten andererseits auf das Interesse, in der Freizeit Bücher zu lesen, ist. Betrachten wir zunächst die Anteilswerte bei Personen, die in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte abgestiegen sind (letzte Spalte der Tabelle) sowie die Anteilswerte bei den Personen, die aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte in eine andere Statusgruppe aufgestiegen sind (letzte Zeile der Tabelle). Die in der letzten Spalte der Tabelle aufgeführten Werte sind relativ niedrig. Diese niedrigen Anteilswerte zeigen an, dass der Einfluss der sozialen Herkunft auf das Interesse, Bücher zu lesen, sehr gering ist, wenn ein Individuum in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte abgestiegen ist. Diese niedrigen Anteilswerte der sozialen Herkunft und damit verbundenen hohen Anteilswerte der gegenwärtigen Position sind ein Hinweis darauf, dass die Absteiger in diese Statusgruppe das in dieser Statusgruppe vorherrschende Desinteresse an der Lektüre von Literatur übernommen haben. Die Werte können auch dahingehend interpretiert werden, dass die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte einen starken Einfluss auf ihre neuen Mitglieder in Bezug auf ihre Freizeitgestaltung ausübt. Auf der anderen Seite ist der Einfluss der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte ebenfalls sehr stark, wenn ein Individuum aus dieser in eine andere Statusgruppe aufgestiegen ist. Die relativ hohen Werte (letzte Zeile der Tabelle) zeigen an, dass der Anteil, mit dem der Erwartungswert durch die soziale Herkunft eines Individuums gewichtet wird, bei den Personen, die aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte stammen, im Verhältnis zu den anderen Gruppen wesentlich höher ist. Insbesondere sind die Anteile sehr hoch bei den Wechslern in die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen und in die Statusgruppe der Angestellten mit qualifizierenden Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst. Die Erwartungswerte bei den Personen, die aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte entweder in die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen oder in die Statusgruppe der Angestellten mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst aufgestiegen sind, werden
224
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
stärker durch die soziale Herkunft als durch die gegenwärtige Position geprägt. Bei der Betrachtung der Werte bei den Personen, die in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten aufgestiegen sind, wird deutlich, dass diese relativ niedrig sind. Dies ist ein Hinweis darauf, dass der Anteil, mit dem der Erwartungswert durch die soziale Herkunft gewichtet wird, bei den Aufsteigern in diese Statusgruppe gering und – damit verbunden – der Einfluss dieser Statusgruppe sehr hoch ist. Dies gilt jedoch nicht für die Wechsler aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte, da diese Gruppe ebenfalls einen starken Einfluss ausübt. Auf der anderen Seite sind die Anteilswerte, mit denen der Erwartungswert der abhängigen Variablen durch die soziale Herkunft gewichtet werden, relativ hoch bei Absteigern aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten. Diese Anteilswerte sind in der ersten Zeile der Tabelle aufgelistet. Sie weisen darauf hin, dass das Interesse an der Lektüre von Büchern in der Freizeit bei den Personen, deren Väter der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten angehörten und die in eine andere Statusgruppe abgestiegen sind, im Durchschnitt sehr stark durch die soziale Herkunft beeinflußt wird. Die Ergebnisse zeigen, dass einerseits die Statusgruppe, die auf ein hohes Maß an kulturellen und ökonomischen Ressourcen zurückgreifen kann (Selbständige Akademiker und höhere Beamte), und andererseits die Statusgruppe mit den geringsten kulturellen und ökonomischen Ressourcen (Arbeiter und Landwirte) sowohl als soziale Herkunftsklasse als auch als gegenwärtige Klasse eines Individuums einen sehr starken Einfluss auf die Lektüre von Büchern ausüben. Von besonderem Interesse sind daher die Anteilswerte der sozialen Herkunft und der Position im Raum der sozialen Positionen bei den Aufsteigern aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten als auch umgekehrt bei den Absteigern. Die Tabelle zeigt, dass bei den Aufsteigern das Interesse an der Lektüre von Büchern als Freizeitbeschäftigung wesentlich stärker (mit einem Anteil von ca. 75%) durch die gegenwärtige soziale Position als durch die soziale Herkunft (mit einem Anteil von ca. 25%) beeinflusst wird. Der Einfluss, den die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte als soziale Herkunftsklasse auf ihre ehemaligen Angehörigen ausübt, die jetzt der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten angehören, ist sehr gering. Gleichzeitig ist der Anteil, mit dem der Erwartungswert der abhängigen Variable durch die soziale Herkunft gewichtet wird, bei den Absteigern in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte verhältnismäßig hoch. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Personen, die
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
225
insgesamt in einem aktiveren Umfeld aufgewachsen sind, wie es in Familien, die über höheres kulturelles Kapital verfügen, üblich ist (siehe die Eingangs aufgeführten empirischen Befunde), das Interesse an der Lektüre von Büchern auch dann noch beibehalten, wenn sie der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte angehören. Bei der Betrachtung der Anteilswerte, mit denen der Erwartungswert durch die soziale Herkunft gewichtet wird, fällt auf, dass die Werte relativ hoch sind bei den Personen, die aus der Statusgruppe der Angestellten mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben sowie Beamte im gehobenen Dienst in Statusgruppen gewechselt sind, die insgesamt über weniger kulturelle Ressourcen verfügen. Im Einzelnen handelt es sich dabei um die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen, der Angestellten mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst und die Statusgruppe der Angestellten mit einfachen Tätigkeiten und Beamte im einfachen Dienst. Die Anteilswerte können dahingehend interpretiert werden, dass diese Statuswechsler ebenfalls kulturelle Aktivitäten beibehalten, die für ihre soziale Herkunft typisch sind. Im Unterschied dazu sind die Anteilswerte der sozialen Herkunft sehr gering bei den Wechslern aus der Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen. Gleichzeitig sind die Anteilswerte der sozialen Herkunft verhältnismäßig hoch (und damit der Anteil der Zielposition verhältnismäßig niedrig) bei den Personen, die in die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen gewechselt sind. Diese Ergebnisse geben einen Hinweis darauf, dass diese Statusgruppe im Vergleich zu den anderen Statusgruppen ihre Angehörigen insgesamt nicht so stark prägt. Ähnlich verhält es sich bei der Statusgruppe der Qualifizierten Angestellten und Beamte im mittleren Dienst.
7.1.5 Modellanpassung zur Auswahl des Modells In den vorhergehenden Abschnitten wurden die Effekte sozialer Herkunft und der Stellung innerhalb des Raumes sozialer Positionen zunächst unter Verwendung des „diagonal mobility“ Modells spezifiziert und die Parameter des Modells geschätzt. Als Ergebnis konnte festgestellt werden, dass die Stellung im Raum sozialer Positionen einen stärkeren Effekt auf das Interesse, in der Freizeit Bücher zu lesen, ausübt als die soziale Herkunft. In einem weiteren Schritt wurden die Effekte durch Modelle, die nicht so starke Restriktionen auf die Anteilswerte formulieren, spezifiziert. Zunächst wurden die Effekte unter Verwendung des „diagonal mobility 1“ Modells spezifiziert und die Parameter geschätzt. Mit dem Modell konnte eine gute Anpassung an die
226
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
Daten erzielt werden. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die Anteilswerte, mit dem der Erwartungswert der abhängigen Variablen in den einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle durch die soziale Herkunft gewichtet wird, niedriger sind als die Anteilswerte, mit denen der Erwartungswert durch die gegenwärtige Position gewichtet wird. Damit übt insgesamt die Stellung im Raum sozialer Positionen einen stärkeren Effekt auf die Lektüre von Literatur aus. Es lassen sich jedoch unterschiedlich starke Effekte bezüglich der sozialen Herkunft feststellen. So ist insbesonders der in Relation zu den anderen Statusgruppen starke Einfluss der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten und die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte herauszustellen. Im Anschluss an die Spezifikation der Effekte unter Verwendung des „diagonal mobility 1“ Modells wurden die Effekte unter Verwendung des „diagonal mobility 2“ Modells spezifiziert und geschätzt. Dieses Modell konnte ebenfalls gut an die Daten angepaßt werden. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass der Einfluss sozialer Herkunft sehr stark mit der beruflichen Stellung variiert. Herauszustellen ist insbesondere der starke Einfluss, den die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte auf ihre neuen Angehörigen ausübt und der damit verbundene schwache Einfluss der jeweiligen sozialen Herkunft. Nachdem sowohl durch die Spezifikation der Effekte von sozialer Herkunft und gegenwärtiger Position auf die Lektüre von Literatur in Form eines „diagonal mobility 1“ Modells als auch eines „diagonal mobility 2“ Modells eine gute Anpassung an die Daten der reduzierten Form erzielt werden konnte, wurden in einem weiteren Schritt die Effekte unter Verwendung des Weakliem-Modells spezifiziert. Durch die Zulassung variierender Anteilswerte sowohl nach der sozialen Herkunft als auch gleichzeitig nach der gegenwärtigen Position, konnten innerhalb einer gegebenen Statusgruppe auch die unterschiedlichen Effekte bei sozialen Auf- oder Absteigern berücksichtigt werden. Das Modell konnte ebenfalls gut an die Daten der reduzierten Form angepasst werden. Als Ergebnis konnte herausgestellt werden, dass die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten auf der einen Seite und die der Arbeiter und Landwirte auf der anderen Seite einen starken Einfluss auf ihre Angehörigen ausüben. Dies gilt sowohl dann, wenn die Statusgruppen in dem Modell als soziale Herkunftsklasse fungieren als auch dann, wenn sie als die Statusgruppen fungieren, in denen sich das Individuum zum gegenwärtigen Zeitpunkt befindet. Da unter Verwendung aller Modelle eine gute Anpassung an die Daten erzielt werden konnte, bleibt die Frage bisher unbeantwortet, mit welcher Spezifikation die beste Anpassung an die Daten erzielt werden kann. Zur Beantwortung der Frage werden die Test- und Informationskriterien in Tabelle 7.9 zusammenge-
7.1 Modellierung der Effekte auf das Interesse an der Lektüre von Büchern
227
TABELLE 7.9 Modellanpassung Modell „diagonal mobility“ Modell „diagonal mobility 1“ Modell „diagonal mobility 2“ Modell Weakliem-Modell
2 rStuf e3 0.59 0.65 0.66 0.66
chi2 23.43 16.70 15.11 13.34
df 29 24 24 24
BIC 51.46 60.62 59.03 57.22
tragen und gegenübergestellt. Da die χ2 - Test-Statistiken auf Grund der unterschiedlichen Anzahl von Freiheitsgraden nicht direkt miteinander verglichen werden können, wird zusätzlich auch das Baysianische Informationskriterium BIC (Bollen 1989: 279) verwendet.1 Da in den vorliegenden Spezifikationen der Vektor der Regressoren ausschließlich Dummy-Variablen enthält und somit die Parameterschätzungen im Vektor der Regressionskoeffizienten als Abweichungen vom Erwartungswert der Referenzkategorie zu interprtieren sind, wurden als Ergebnisse die Erwartungswerte für die einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle dargestellt. Daher kann als Anpassung der erwarteten Mittelwerte an die beobachteten Mittelwerte der 2 Determinationskoeffizient rStuf e3 verwendet werden. Die Determinationskoeffizienten, die unter dem jeweiligen Modell berechnet wurden, können direkt miteinander verglichen werden. Bei einem Vergleich der Determinationskoeffizienten wird deutlich, dass unter der Spezifikation aller Modelle die errechneten Erwartungswerte mit 59% bis 66% einen sehr hohen Varianzanteil in den beobachteten Mittelwerten aufklären und das „diagonal mobility 2“ Modell sowie das Weakliem-Modell mit 66% geringfügig mehr Varianz in den beobachteten Mittelwerten erklären als das „diagonal mobility 1“ Modell. Zieht man zur Beurteilung der Modellanpassung zusätzlich das Baysianische Informationskriterium (BIC) heran, erkennt man, dass das einfache „diagonal mobility“ Modell die beste Anpassung an die Daten der reduzierten Form aufweist. Hierbei ist jedoch auf das Problem hinzuweisen, dass BIC zu einem Minimum bei Modellen mit wenig zu schätzenden Parametern tendiert. Wenn man alle Kriterien gemeinsam zur Beurteilung heranzieht, weist insgesamt das Weakliem-Modell die beste 1 Es
handelt sich dabei um eine Modifikation des Akaike Kriteriums von Schwarz (1978), bei dem die zu schätzenden Parameter durch den Logarithmus des Stichprobenumfangs gewichtet werden.
228
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
Anpassung an die Daten der reduzierten Form auf. Allerdings sind die Unterschiede in den Test- bzw. Informationsstatistiken nicht so groß, dass die anderen Spezifikationen aus statistischen Gründen abgelehnt werden können.
7.1.6 Zusammenfassende Interpretation Auf Grund der Teststatistiken und Informationskriterien ist davon auszugehen, dass die Effekte angemessener durch das Weakliem-Modell spezifiziert werden können. Deshalb werden im folgenden die Ergebnisse der Parameterschätzung des Modells noch einmal zusammengetragen und im Hinblick auf die Eingangs (bei Betrachtung beobachteter Mittelwerte) aufgestellten Vermutungen interpretiert. Das Interesse an der Lektüre von Literatur in der Freizeit ist im Durchschnitt am stärksten bei den Angehörigen der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten ausgeprägt, deren Väter ebenfalls dieser Statusgruppe angehörten. Ferner ist das Interesse relativ hoch bei Personen, die aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten in eine andere Statusgruppe gewechselt sind. Am schwächsten ist das Interesse im Durchschnitt bei den Arbeitern und Landwirten ausgeprägt, deren Väter bereits Arbeiter oder Landwirte waren. Des Weiteren ist das Interesse sehr schwach bei den Statuswechslern in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte und bei den Wechslern aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte in andere Statusgruppen ausgeprägt. Die Tatsache, dass das Interesse, Bücher zu lesen, zum einen relativ stark bei den Statuswechslern aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten und zum anderen relativ schwach bei den Statuswechslern aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte ausgeprägt ist, läßt vermuten, dass diese Art der sozialen Herkunft das Interesse bzw. Desinteresse, in der Freizeit Bücher zu lesen, beeinflusst. Die Spezifikation der Effekte sozialer Herkunft und gegenwärtiger Position unter Anwendung des Weakliem-Modells bestätigen die Vermutung. Personen, die aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten in andere Statusgruppen abgestiegen sind und Personen, die aus anderen Statusgruppen in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte gewechselt sind, bewahren stärker als andere Statuswechsler die für ihre Statusgruppe typischeren Verhaltensweisen (die Lektüre von Literatur als bevorzugte Freizeitaktivität bei den Selbständigen Akademikern und höheren Beamten und das stärkere Desinteresse bei den Arbeitern und Landwirten). Diese Statusgruppen verfügen über
7.2 Die Präferenz für klassische Musik als Explanandum
229
eine stärkere Prägekraft ihrer ehemaligen Angehörigen als andere Statusgruppen. Die Parameterschätzungen erbrachten auch das Ergebnis, dass insgesamt der Einfluss der sozialen Herkunft in Relation zur Stellung im Raum sozialer Positionen geringer ist. Inhaltlich erklärt das Modell 15% der Varianz der abhängigen Variablen.
7.2 Musikpräferenz für klassische Musik: Empirische Spezifikation eines „diagonal mobility 1“ Modells mit erklärenden Variablen Zur weiteren Illustration des hier vorgeschlagenen Modells wird im folgenden ein Modell mit den sechs Statuskategorien unter der Einbeziehung weiterer explanatorischer Variablen vorgestellt. Als abhängige Variable wird die Vorliebe für klassische Musik gewählt. Eine Vielzahl empirischer Studien belegen Zusammenhänge zwischen Musikpräferenzen und Bildung bzw. sozialer Schichtzugehörigkeit. In der angloamerikanischen musiksoziologischen Literatur wird bereits in dem Bereich seit annähernd einem halben Jahrhundert geforscht2 und seit den 1960er Jahren auch in Deutschland. Dollase, Rüsenberg und Stollenberg (1986) gelangen zu dem Ergebnis, dass Hochkultur nach wie vor hauptsächlich von Hochgebildeten konsumiert wird und Arbeiter dagegen im Bereich der klassischen Konzerte so gut wie gar nicht anzutreffen sind. Die Ergebnisse ihrer Studie belegen indirekt die in der Bourdieuschen Theorie enthaltene Vermutung, dass Geschmacksbildungsprozesse sich aus den Lebensbedingungen reproduzieren. Vereinzelt wird auch in der Literatur darauf hingewiesen, dass gerade im Bereich der Musikpräferenzen auch die Primärsozialisation mitberücksichtigt werden muß. Frank, Maletzke und Müller-Sachse (1991) belegen anhand ihrer Kulturstudie, dass die in jungen Jahren gemeinsam mit den Eltern besuchten kulturellen Veranstaltungen eine große Bedeutung für die Entwicklung des kulturellen Interesses spielen. Die Autoren belegen einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Konzertbesuch mit den Eltern und dem kulturellen Interesse generell sowie dem speziellen Interesse für klassische Musik im besonderen. Für die Entwicklung des Interesses für klassische Musik ist auch die Häufigkeit des Besuchs von Konzerten und Opernaufführungen mit den Eltern relevant. Eine Reihe älterer psychologischer Forschungsbeiträge beschäftigt sich mit der musikalischen Präferenzbildung und zeigen eine Reihe tiefenpsychologischer, 2 Einen
Überblick über die internationale Literatur gibt Lewis (1978).
230
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
lernpsychologischer und kognitionstheoretischer Erklärungen von musikalischen Präferenzen auf (z.B. Kleinen 1975, Moore 1977, Roederer 1977, Abel-Struth und Groeben 1979, Meissner 1979, Shuter-Dyson 1982). Behne (1978) betrachtet verschiedene Phasen der Entwicklung von Hörpräferenzen. Demnach sind Kinder bis zu einem Alter von 10 Jahren für den Einfluss der Eltern offen, danach bekommt die peer-group zunehmend Gewicht und im Erwachsenenalter wird eine Synthese zwischen dem in der Kindheit vorwiegend durch die Eltern vermittelten Musikgeschmack und den gleichaltrigen hergestellt. Von einer besonderen Prägewirksamkeit der Jugendzeit bezüglich der Entwicklung musikalischer Präferenzen geht Reinecke (1982) aus, demnach der verstärkte Musikkonsums in der Jugendzeit verbunden mit den effektiveren Lernprozessen zu dieser Zeit (Gedächtnis- und Erlebnisfähigkeit) zu einer musikalischen Konditionierung führt. Die Musikkapitaltheorie von Stigler und Becker (1977) beschäftigt sich mit der Herausbildung von Lebensstilen. Die Autoren betrachten klassische Musik als ein „gutartiges Suchtgut“. Sie betrachten diese Musikart als Suchtgut, weil die Nachfrage mit der bereits konsumierten Menge steigt. Sie betrachten sie als gutartig, weil der Nutzen pro konsumierter Einheit ebenfalls steigt. Im Laufe des Lebens wird klassische Musik diesem Ansatz zufolge immer effizienter konsumiert, wodurch sich der Liebhaber klassischer Musik herausbildet. Die Musikkapitaltheorie von Stigler und Becker (1977) impliziert ein nachhaltiges Interesse für klassische Musik, wenn das Individuum sozial abgestiegen ist. Gleichzeitig impliziert sie, dass das Interesse an klassischer Musik stärker wird, je häufiger sie konsumiert wird. Unter der Annahme, dass höhere Statusgruppen stärker klassische Musik konsumieren (vgl. Behne 1993)3 , bedeutet dieses für Personen, die noch kein Interesse für klassische Musik entwickelt haben und die in diese Statusgruppe aufgestiegen sind, dass sie zunächst durch den Kontakt mit den Personen aus der Statusgruppe an diese Art Musik herangeführt werden und durch den Konsum sich das Interesse verstärkt. Zur Modellierung dieses Sachverhaltes ist es notwendig, sowohl variierende Anteilswerte nach der sozialen Herkunft als auch nach der gegenwärtigen Position zuzulassen. Es wird der Frage nachgegangen, inwieweit die Vorliebe für klassische Musik durch die soziale Herkunft eines Individuums beeinflußt wird und welche Effekte von der sozialen Mobilität ausgehen. Es ist davon auszugehen, dass kulturelle Sozialisation einen hochkomplexen Prozess darstellt, an dem nicht nur verschiedene Gegebenheiten wie Eltern, peer-goup und berufliche Stellung mit 3 Indirekt
lässt sich diese Annahme in modifizierter Form auch in der „Omnivovre “- Hypothese bei Gebesmair (1998) finden.
7.2 Die Präferenz für klassische Musik als Explanandum
231
unterschiedlichen Gewichtungen und schichtspezifischen Variationen in Wechselwirkung beteiligt sind, sondern darüber hinaus ist davon auszugehen, dass neben den Effekten sozialer Herkunft und sozialer Mobilität auch Effekte von individuellen Merkmalen der Personen ausgehen. Auf Grund des Forschungsstandes sowie Voranalysen werden im folgenden die explanatorischen Variablen Bildung, Geschlecht, Alter und Region in das Modell einbezogen. Darüber hinaus werden die Variablen zur Erfassung von Mobilitätseffekten in das Modell einbezogen, um zu analysieren, ob von der sozialen Mobilität an sich ein Einfluss auf die Musikstilpräferenz für klassische Musik besteht. Ferner wird die individuelle Laufbahn einer Person im Raum der sozialen Positionen mitberücksichtigt und untersucht, welchen Einfluss auf- und absteigende Mobilität zwischen dem Zeitpunkt, in dem das Individuum 15 Jahre alt war, und dem jetzigen Zeitpunkt auf den Musikgeschmack ausübt. Ausgangspunkt der Analyse ist eine Mobilitätstabelle, in der die soziale Herkunft in den Zeilen und die gegenwärtige Position in den Spalten abgetragen wird. In den Zellen der Mobilitätstabelle befinden sich die Werte der Variablen „Präferenz für klassische Musik“ aller Personen, die dieselbe Kombination aus sozialer Herkunft und gegenwärtiger Position aufweisen. Die beobachteten Mittelwerte der Variablen „Präferenz für klassische Musik“ werden in den einzelnen Zellen der Tabelle 7.10 aufgelistet. Bei der Betrachtung der in Tabelle 7.10 aufgeführten Mittelwerte fällt auf, dass die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten insgesamt sehr niedrige Mittelwerte aufweist (siehe erste Spalte der Tabelle). Die Werte zeigen, dass sowohl selbständige Akademiker, Professoren, Richter usw., deren Väter bereits dieser Statusgruppe angehörten, als auch diejenigen, die aus den Statusgruppen der Sonstigen Selbständigen, der Leitenden Angestellten und Beamten im gehobenen Dienst und Qualifizierten Angestellten in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten aufgestiegen sind, eine Vorliebe für klassische Musik aufweisen. Ein geringeres Interesse für klassische Musik zeigen die selbständigen Akademiker und höheren Beamten, deren Väter Arbeiter oder Landwirte waren. Betrachtet man die Werte, die in der letzten Spalte der Tabelle dargestellt sind, wird deutlich, dass Arbeiter und Landwirte im Verhältnis zu den anderen Statusgruppen sich nicht besonders stark für klassische Musik interessieren. Personen, die den mittleren Schichten angehören, differieren in ihrem Interesse für klassische Musik nicht so stark. Insgesamt lassen die durchgehend niedrigeren Mittelwerte in der Statusgruppe der Personen, die über hohes kulturelles Kapital verfügen (dargestellt in der ersten Spalte) sowie die relativ hohen Mittelwerte in der Statusgruppe der
soziale Herkunft Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
Musikpräferenz für klassische Musik: Beobachtete Mittelwerte gegenwärtige Position Selbständige Sonstige Leitende Qualifizierte Ausführende Akademiker Selbständige Angestellte Angestellte Angestellte 1.560 1.333 2.111 2.000 2.667 (25) (3) (18) (8) (8) 1.000 2.961 2.129 2.467 2.895 (1) (51) (31) (30) (19) 1.615 2.200 2.290 2.286 3.143 (13) (15) (107) (63) (21) 1.571 2.318 2.260 2.645 2.879 (7) (22) (73) (124) (33) —3.556 2.714 2.440 2.808 (9) (14) (25) (26) 2.333 2.746 2.362 2.795 3.229 (12) (71) (130) (275) (251)
TABELLE 7.10
3.250 (4) 3.208 (24) 3.091 (34) 3.174 (46) 3.500 (22) 3.567 (784)
Arbeiter
232 7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
7.2 Die Präferenz für klassische Musik als Explanandum
233
Arbeiter und Landwirte (dargestellt in der letzten Spalte) vermuten, dass das Interesse bzw. das Desinteresse für klassische Musik sowohl bei den selbständigen Akademikern und höheren Beamten als auch bei den Arbeitern und Landwirten stärker durch die gegenwärtige Position als durch die soziale Herkunft beeinflusst wird. Diese Vermutung wird dadurch verstärkt, dass Personen, die aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten in eine andere Statusgruppe wechseln ebenso wie Personen, die aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte in eine andere Statusgruppe wechseln, Mittelwerte aufweisen, die denen der Statusgruppe, in die sie gewechselt sind, sehr ähnlich sind (siehe erste und letzte Zeile). Bei den mittleren Statusgruppen läßt sich keine Struktur in den Mittelwerten erkennen, und daher lassen sich auch keine Vermutungen ableiten. In Voranalysen wurden neben den Modellvariablen als zusätzliche explanatorische Variablen die Variablen Laufbahn(+) , Bildung, Geschlecht und Alter ausgewählt. Diese Variablen wurden unter Anwendung des Selektionsverfahrens „Bestimmung aller Untermengen von explanatorischen Variablen“ bestimmt.4 Dieses Selektionsverfahren bestimmt die optimale Kombination von Variablen nach den Kriterien a) Kompatibilität mit der zugrundeliegenden Theorie und b) Anpassung an die Daten. Darüber hinaus werden Regressoren, die von anderen Regressoren linear abhängig sind, eliminiert. Die ursprünglich aus theoretischen Gründen einbezogenen Mobilitätseffekte sowie die Variable Region mußten damit wieder aus der Analyse ausgeschlossen werden. Dieses Modell erklärt 23.9% der Variation der Einzelwerte. In einem weiteren Schritt werden die Effekte der sozialen Herkunft, der Stellung innerhalb des Raumes sozialer Positionen, der sozialen Mobilität sowie der Laufbahn einer Person durch den Raum sozialer Positionen zwischen den zwei Zeitpunkten der Betrachtung und der soziodemographischen Variablen auf die Vorliebe für klassische Musik modelliert. Dazu werden die Effekte unter Verwendung des „diagonal mobility“ Modells, des „diagonal mobility 1“ Modells, des „diagonal mobility 2“ Modells und des Weakliem-Modells spezifiziert und die Parameter des jeweiligen Modells geschätzt. Im Anschluss daran wird getestet, welche Spezifikation die beste Anpassung an die Daten erzielt. Die χ2 Test-Statistik, die Zahl der Freiheitsgrade df sowie das Bayesianische Informationskriterium (BIC) werden in Tabelle 7.11 aufgelistet. Aus Tabelle 7.11 wird deutlich, dass insgesamt die Datenanpassung am besten durch das Weakliem-Modell erfolgt. Nach dem BIC zu urteilen, ist das „diagonal 4 Dieses
Verfahren ist numerisch aufwendiger als die üblichen Verfahren zur Selektion von Variablen, dafür aber das effizienteste (siehe hierzu auch Werner (1997: 192ff)).
234
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
TABELLE 7.11 Modellanpassung Modell „diagonal mobility“ Modell „diagonal mobility 1“ Modell „diagonal mobility 2“ Modell Weakliem-Modell
χ2 25.29 20.79 20.06 16.91
df 29 24 24 24
BIC 65.83 78.23 77.50 74.35
mobility“ Modell zwar besser an die Daten der reduzierten Form angepaßt. Jedoch ist hier wieder die wesentlich geringere Anzahl der geschätzten Parameter zu berücksichtigen. Insgesamt sind die Unterschiede in den Test- bzw. Informationsstatistiken nicht so groß, dass die anderen Spezifikationen aus statistischen Gründen abgelehnt werden können. Auf Grund der besseren Modellanpassung des Weakliem-Modells gegenüber des „diagonal mobility 1“ Modells und des „diagonal mobility 2“ Modells wird im Folgenden das Weakliem-Modell unter Einbeziehung exogener Variablen zur Erklärung der Vorliebe für klassische Musik illustriert. Inhaltlich bedeutet dies, dass der Einfluss der sozialen Herkunft und der gegenwärtig eingenommenen Position auf die Präferenz für klassische Musik sowohl nach der jeweils spezifischen sozialen Herkunft als auch gleichzeitig nach der jeweils spezifischen gegenwärtigen sozialen Position variiert. Formal ist das Modell folgendermaßen definiert: Der bedingte Erwartungswert der Variablen „Präferenz für klassische Musik“ einer zufällig ausgewählten Person aus einer beliebigen Zelle der Mobilitätstabelle läßt sich formulieren als
µ∗i = α1 +
6 j=2
αj Sji +
6 6
(ωjk αj +(1−ωjk )αk )Wjki +
3
βu Pui +γMi (7.80)
u=1
j=1 k=j
mit ωjk =
φpj φpj + pk
.
(7.81)
Der Vektor der Regressoren x∗i setzt sich aus den Komponenten si = (S2i , S3i , . . . , S6i ), wi = (W12 , W13 , W14 , . . . , W21 , W23 , . . . , W64 , W65 ), mi = (Laufbahn(+)) und pi = (Bildung, Geschlecht, Alter ) zusammen. Die Regressionskonstante der reduzierten Form γ ∗ wird durch α1 gebildet.
7.2 Die Präferenz für klassische Musik als Explanandum
235
Als Regressionskoeffizienten Π∗ für die einzelnen Komponenten von xi ergeben sich: • αj , j = 2, . . . , 6 für si • ωjk αj + (1 − ωjk )αk , j = 1, . . . , 6, k = j für wi • βu , u = 1, . . . , 3 für pi • γ für mi Im Folgenden werden die Ergebnisse der Schätzungen der Parameter des Weakliem-Modells unter Einbeziehung der exogenen Variablen dargestellt. Eine Auflistung der Parameter der reduzierten Form, an die die restringierten Parameterschätzer angepaßt sind, läßt sich in Tabelle 7.12 finden. In Tabelle 7.13 werden die Gewichte ωjk aufgeführt. Die einzelnen Gewichte entsprechen dem jeweiligen Anteilswert, mit dem der Erwartungswert der Variablen „Präferenz für klassische Musik“ durch den Erwartungswert, der die soziale Herkunftsklasse repräsentiert, gewichtet wird. Bei der Interpretation der Gewichte werden die beobachteten Mittelwerte, die Auskunft über das Interesse bzw. Desinteresses der einzelnen Personengruppen an klassischer Musik geben, mitberücksichtigt. Da die Anteilswerte aus den Koeffizienten φ, pj , j = 1, . . . , 6 berechnet werden, werden diese ebenfalls aufgeführt. Bei der Betrachtung der Koeffizienten pj , die die relative Stärke, mit denen die einzelnen Statusgruppen in das Gewicht eingehen, angeben, wird deutlich, dass die Statusgruppen, die über einen hohen Grad an kulturellem Kapital verfügen (Selbständige Akademiker und höhere Beamte sowie Leitende Angestellte und Beamte im gehobenen Dienst), in Relation zu den anderen Statusgruppen das Interesse für klassische Musik stärker beeinflussen. Mit abnehmendem kulturellen Kapital nimmt auch die Stärke des Einflusses auf das Interesse für klassische Musik ab. Der Koeffizient φ = 0.268 zeigt an, dass die Statusgruppe, aus der das Individuum stammt, einen geringeren Einfluss auf die Anteilswerte ausübt als die Statusgruppe, in die das Individuum gewechselt ist bzw. anders formuliert, dass die gegenwärtige Stellung ein höheres Gewicht erhält als die soziale Herkunft.
236
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
TABELLE 7.12 Anpassung der restringierten Parameter an die Parameter der reduzierten Form Variablen
Restriktionen
S2 S3 S4 S5 S6 W12 W13 W14 W15 W16 W21 W23 W24 W25 W26 W31 W32 W34 W35 W36 W41 W42 W43 W45 W46 W52 W53 W54 W56 W61 W62 W63 W64 W65 GESCHLECHT BILDUNG ALTER LAUFBAHN(+)
α1 α2 α3 α4 α5 α6 (1 − ω12 )α2 (1 − ω13 )α3 (1 − ω14 )α4 (1 − ω15 )α5 (1 − ω16 )α6 ω21 α2 ω23 α2 + (1 − ω23 )α3 ω24 α2 + (1 − ω24 )α4 ω25 α2 + (1 − ω25 )α5 ω26 α2 + (1 − ω26 )α6 ω31 α3 ω32 α3 + (1 − ω32 )α2 ω34 α3 + (1 − ω34 )α4 ω35 α3 + (1 − ω35 )α5 ω36 α3 + (1 − ω36 )α6 ω41 α4 ω42 α4 + (1 − ω42 )α2 ω43 α4 + (1 − ω43 )α3 ω45 α4 + (1 − ω45 )α5 ω46 α4 + (1 − ω46 )α6 ω52 α5 + (1 − ω52 )α2 ω53 α5 + (1 − ω53 )α3 ω54 α5 + (1 − ω54 )α4 ω56 α5 + (1 − ω56 )α6 ω61 α6 ω62 α6 + (1 − ω62 )α2 ω63 α6 + (1 − ω63 )α3 ω64 α6 + (1 − ω64 )α4 ω65 α6 + (1 − ω65 )α5 β1 β2 β3 γ
Regressionskoeffizienten 2.517 0.667 0.343 0.675 1.213 1.507 0.443 0.276 0.410 0.707 0.836 0.093 0.382 0.673 1.056 1.245 0.087 0.546 0.532 0.815 0.941 0.076 0.669 0.375 1.084 1.288 0.759 0.420 0.785 1.436 0.139 0.796 0.436 0.831 1.273 -0.312 -0.264 -0.122 -0.133
Parameter der reduzierten Form 2.181 1.280 0.713 1.079 1.231 1.871 -0.084 0.623 0.376 1.370 1.534 -0.543 0.620 0.979 1.351 1.611 0.231 0.628 0.745 1.538 1.244 0.076 0.711 0.741 1.350 1.465 1.759 1.061 0.776 1.699 0.808 0.985 0.747 1.221 1.687 -0.333 -0.259 -0.126 -0.139
p1 p2 p3 p4 p5 p6
= 1.70 = 0.96 = 1.99 = 0.75 = 0.68 = 0.60
SELB. AKD 1.000 0.139 0.253 0.113 — 0.093
gegenwärtige Position (k) SONST. LEIT. QUAL. SELB ANG ANG 0.336 0.195 0.392 1.000 0.121 0.267 0.374 1.000 0.432 0.184 0.097 1.000 0.169 0.088 0.205 0.153 0.079 0.187 AUS. ANG 0.471 0.288 0.458 0.241 1.000 0.203
0.445 0.312 0.487 0.263 0.243 1.000
ARBEIT
Anmerkung: SELB.AKD = Selbständige Akademiker und höhere Beamte; SONST.SELB = Nichtakademische Selbständige; LEIT.ANG = Angestellte mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben sowie Beamte im gehobenen Dienst; QUAL.ANG = Angestellte mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst; AUS.ANG = Ausführende Angestellte und Beamte im einfachen Dienst; ARBEIT = Arbeiter und Landwirte.
soziale Herkunft (j) φ = 0.286 SELB.AKD AND.SELB LEIT.ANG QUAL.ANG AUS.ANG ARBEIT
Gewichte des Weakliem-Modells
TABELLE 7.13
7.2 Die Präferenz für klassische Musik als Explanandum
237
238
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
Bei der Betrachtung der Anteilswerte, mit denen die Herkunftspositionen in die Erwartungswerte der abhängigen Variable eingehen, wird deutlich, dass die Werte bei allen Statuswechslern unter dem Wert 0.5 liegen. Die Werte weisen darauf hin, dass das Interesse für klassische Musik bei allen hier betrachteten Statuswechslern stärker durch die jetzige Stellung im sozialen Raum als durch die soziale Herkunft beeinflußt wird. Bei einem Vergleich der Anteilswerte der Personengruppen, die aus höheren Statusgruppen in niedrigere abgestiegen sind mit denen der Personengruppen, die in höhere aufgestiegen sind, ist deutlich zu erkennen, dass die Werte bei den Absteigern höher sind. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Absteiger alltagsästhetische Geschmackspräferenzen, die im Sozialisationsprozess durch ihre soziale Herkunftsklasse vermittelt wurden, stärker bewahren als Aufsteiger. Die höchsten Anteilswerte weisen die Personen auf, die von den Statusgruppen mit hohem kulturellen Kapital (Selbständige Akademiker und höhere Beamte und Leitende Angestellte und Beamte im gehobenen Dienst) in die Statusgruppen a) Angestellte mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst, b) Ausführende Angestellte und Beamte im einfachen Dienst sowie c) Arbeiter und Landwirte abgestiegen sind. Diese Personen sind in Bezug auf ihre Neigung oder Abneigung gegenüber der klassischen Musik stärker durch ihre soziale Herkunft geprägt als andere Personengruppen. Im Unterschied dazu zeigen die extrem niedrigen Anteilswerte der Personen, die in die Statusgruppen der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten sowie der Leitenden Angestellten und Beamten im gehobenen Dienst aufgestiegen sind, dass die soziale Herkunft eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Wenn man berücksichtigt, dass es sich bei den Statusgruppen Selbständige Akademiker und höhere Beamte und Leitende Angestellte und Beamte im gehobenen Dienst generell um die Statusgruppen mit dem größten Interesse für klassische Musik handelt, kann der Befund dahingehend interpretiert werden, dass Aufsteiger sich an diesen Statusgruppen orientieren und die Präferenz für klassische Musik übernehmen. Dies könnte zum Beispiel darauf zurückgeführt werden, dass durch den Kontakt zu Angehörigen aus diesen Statusgruppen die Aufsteiger erst einmal an die Musik herangeführt werden und sich durch den Konsum eine Präferenz für klassische Musik herausbildet. Dies könnte wiederum als eine Bestätigung für die Musikkapitaltheorie von Stigler und Becker (1977) angesehen werden. Nach den Parameterschätzern zur Bestimmung der Gewichte des WeakliemModells werden nun die Schätzer der Regressionskoeffizienten für die („stayer“), die („mover“) und für die erklärenden Variablen Geschlecht, Bildung, Alter und
7.2 Die Präferenz für klassische Musik als Explanandum
239
TABELLE 7.14 Parameterschätzer des Weakliem-Modells (“stayer“) Statusgruppe Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
Regressionskoeffizienten (αj ) 2.517 0.667 0.343 0.675 1.214 1.507
Laufbahn(+) angegeben. Die Effekte α1 , α2 , . . . , α6 der „stayer“ sind in Tabelle 7.14 dargestellt. Die in der Tabelle aufgeführten Regressionskoeffizienten und die Regressionskonstante weisen die Struktur auf, die bereits die deskriptive Analyse der Hauptdiagonalen der Tabelle mit den beobachteten Mittelwerten ergab. Bei der Interpretation der Parameter ist zu beachten, dass sich die Werte auf Grund der Aufnahme weiterer erklärender Variablen auf die Personen beziehen, die in den erklärenden Variablen entweder den Wert 0 (im Fall von Dummy-Variablen) oder die niedrigste Merkmalsausprägung (im Fall von metrischen Variablen) annehmen. Die Regressionskonstante in Verbindung mit den positiven Vorzeichen der Regressionskoeffizienten weist darauf hin, dass das Interesse an klassischer Musik am stärksten bei den Angehörigen der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten, deren Väter ebenfalls dieser Statusgruppe angehörten, ausgeprägt ist. Geringfügig schwächer ist die Vorliebe für klassische Musik bei der ebenfalls mit hohem kulturellen Kapital ausgestatteten Statusgruppe der Leitenden Angestellten und Beamten im gehobenen Dienst. Sehr gering ist das Interesse in der Statusgruppe der Ausführenden Angestellten und Beamten im einfachen Dienst und insbesondere bei den Arbeitern und Landwirten ausgeprägt. Man beachte, dass sich aus diesen Effekten und den vorher interpretierten Gewichten ωjk die Effekte für die jeweilige Zelle der Mobilitätstabelle von Personen, die ihren Status gewechselt haben, ergeben. Die Interpretation ist jedoch völlig analog zur deskriptiven Analyse der Zellenmittelwerte und wird daher nicht ausgeführt.
240
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
TABELLE 7.15 Parameterschätzer (erklärende Variablen) Variable Geschlecht Bildung Alter Laufbahn(+)
β1 β2 β3 γ
Regressionskoeffizienten -0.312 -0.264 -0.122 -0.133
Die Schätzer der Regressionskoeffizienten für die erklärenden Variablen Geschlecht, Bildung, Alter und Laufbahn(+) werden in Tabelle 7.15 aufgelistet. Neben der sozialen Herkunft und der sozialen Mobilität wird das Interesse für klassische Musik von Geschlecht, Bildung, Alter und Laufbahn(+) beeinflusst. Die Regressionskoeffizienten sind alle auf dem 95%igen Signifikanzniveau von Null verschieden. Die negativen Koeffizienten zeigen an, dass Frauen und Personen mit höherer Bildung sich stärker für klassische Musik interessieren als Männer und Personen mit niedrigerer Bildung und dass mit zunehmendem Alter das Interesse für klassische Musik wächst. Der negative Koeffizient von Laufbahn(+) auf das Interesse für klassische Musik weist darauf hin, dass Personen, die in ihrem Lebenslauf zwischen den beiden Zeitpunkten der Betrachtung Aufstiegserfahrungen gemacht haben, mehr Interesse für klassische Musik aufweisen als Personen, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben. Dies bedeutet, dass die zwischenzeitlichen Aufstiegserfahrungen das Interesse an klassischer Musik positiv beeinflussen. Der Wert kann dahingehend interpretiert werden, dass sich die Aufstiegserfahrungen im Lebenslauf positiv auf die Präferenz auswirken, unabhängig davon, ob anschließend auch Abstiegserfahrungen gemacht wurden. Es konnte gezeigt werden, dass die Spezifikation der Effekte der sozialen Herkunft, der Stellung im Raum beruflicher Positionen, der sozialen Mobilität unter Verwendung des Weakliem-Modells in Verbindung mit den exogenen Variablen Geschlecht, Bildung, Alter und Laufbahn(+) eine sehr gute Anpassung an die Daten erzielt. Als Ergebnis ist insbesondere herauszustellen, dass die Statusgruppen, die insgesamt über hohes kulturelles Kapital verfügen, an sich einen sehr starken Einfluss auf das Interesse an klassischer Musik ausüben. Ferner konnte festgestellt werden, dass die Neigung bzw. die Abneigung gegenüber der klassischen Musik in Relation zur sozialen Herkunft in einem stärkeren Zusammenhang mit der jetzigen Stellung im Raum sozialer Positionen steht. Darüber
7.3 Modell zur Erklärung des Interesses an privater Weiterbildung
241
hinaus konnten Effekte des zwischenzeitlichen sozialen Aufstiegs im Lebenslauf auf das Interesse für klassische Musik festgestellt werden. Personen, die aus den Statusgruppen mit hohem kulturellen Kapital in Statusgruppen mit weniger kulturellen Kapital abgestiegen sind, orientieren sich stärker an dem Geschmack ihrer Herkunftsklasse als andere Statuswechsler. Das Interesse für klassische Musik ist bei ihnen noch relativ stark ausgeprägt. Personen, die in die Statusgruppen mit hohem kulturellen Kapital aufgestiegen sind, orientieren sich stärker als andere Statuswechsler an der Klasse, in die sie hineingewechselt sind. Das Ergebnis kann auch dahingehend interpretiert werden, dass die Aufsteiger durch das in ihrer Statusgruppe vorherrschende Interesse an klassischer Musik geprägt werden. Neben den Effekten der sozialen Herkunft und der sozialen Mobilität ist insbesondere auch noch der Einfluss der Schulbildung und des Geschlechts herauszustellen.
7.3 Interesse an privater Weiterbildung: Empirische Spezifikation eines „diagonal mobility 2“ Modells mit Interaktionseffekten In den bisher betrachteten Modellen wurde davon ausgegangen, dass der Einfluss erklärender Variablen wie z.B. soziodemographischer Variablen in allen Zellen der Mobilitätstabelle gleich ist. Es ist jedoch durchaus vorstellbar, dass der Einfluss der sozialen Herkunft nach individuellen Merkmalen wie z.B. Alter, Geschlecht und Bildung variiert. Ebenso denkbar ist, dass der Einfluss soziodemographischer Merkmale auf Geschmackspräferenzen und Freizeitaktivitäten in Abhängigkeit von der gegenwärtigen sozialen Position unterschiedlich sein kann. In diesen Fällen muß die Spezifikation dahingehend erweitert werden, dass die Aufnahme von Interaktionseffekten zwischen den die einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle repräsentierenden Dummy-Variablen und den weiteren erklärenden Variablen ermöglicht wird. Zur Illustration dieses erweiterten Modells wird als abhängige Variable das Interesse, sich in der Freizeit weiterzubilden, gewählt. Auf Grund vorhergehender Analysen dieser Daten werden als unabhängige Variablen die Variablen Geschlecht und Alter in das Modell einbezogen. Der Einfluss, den die soziale Herkunft, die Stellung innerhalb des Raumes sozialer Positionen sowie die soziodemographischen Variablen auf das Interesse an privater Weiterbildung ausüben, wurde in einem ersten Schritt unter Verwendung der „diagonal mobility“ Modelle sowie des Weakliem-Modells spezifiziert
242
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
und die Parameter der Modells geschätzt. In einem zweiten Schritt wurde überprüft, mit welchem Modell die Daten am besten reproduziert werden konnten. Als Ergebnis konnten sowohl das Weakliem-Modell als auch das „diagonal mobility 2“ Modell sehr gut an die Daten angepasst werden. Da jedoch im WeakliemModell die Anteilswerte der sozialen Herkunft nur geringfügig (≤ 0.04) variierten, wurde das „diagonal mobility 2“ Modell augewählt. In einem weiteren Schritt wurde dieses Modell sukzessiv um weitere erklärende Variablen ergänzt und die Modellanpassung unter Verwendung der Teststatistiken überprüft. Im Anschluss daran wurden Interaktionseffekte zwischen den Modellvariablen und den weiteren erklärenden Variablen eingeführt. Anhand der Teststatistiken wurde beurteilt, welche Spezifikation die beste Anpassung an die Daten erzielt. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass das Modell mit variierenden Gewichten nach der gegenwärtigen Position und Interaktionseffekten zwischen den Dummy-Variablen, die die einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle repräsentieren und den erklärenden Variablen Geschlecht und Alter sich als geeignet herausgestellt hat. Durch die Aufnahme der Mobilitätsvariablen DIR(-), die Effekte, die von einem sozialen Abstieg an sich ausgehen, konnte die Anpassung des Modells zusätzlich erhöht werden. Die Minimum-Distanz-Schätzung ergibt eine χ2 - Statistik von 97.358 bei 81 Freiheitsgraden. Daher wird die Nullhypothese, dass die Parameter der reduzierten Form durch das gewählte Modell generiert wurden, auf Grund der Daten dieser Stichprobe auf dem Testniveau von α = 0.05 angenommen. Das Modell ist mit BIC= 185.215 besser an die Daten der reduzierten Form angepaßt als andere Modelle. Das Modell erklärt 27.12% der Variation der zu erklärenden Variablen. Inhaltlich bedeutet das, dass (a) der Anteil an Einfluss, den die soziale Herkunft auf das Interesse, sich privat weiterzubilden, ausübt, unterschiedlich ist in Abhängigkeit davon, in welcher Statusgruppe sich das Individuum gegenwärtig befindet; (b) der Einfluss sowohl des Geschlechts als auch des Alters auf das Interesse, sich in der Freizeit weiterzubilden, innerhalb der einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle variiert und (c) Abstiege innerhalb des Lebenslaufes zusätzlich das Interesse an privater Weiterbildung beeinflussen. Formal ist das Modell folgendermaßen definiert: Der Vektor der Regressorvariablen x∗i setzt sich aus den Subvektoren si mit den Komponenten (S2i , S3i , . . . , S6i ), wi mit den Komponenten (W12 , W13 , . . . W16 , W21 , . . . W26 , W31 , . . . W64 , W65 ), mi mit den Komponenten DIR(−), pi mit den Komponenten Gechlecht und Alter sowie den Interaktionseffekten si pi und wi pi zusammen. Die Regressionskonstante der reduzierten Form γ ∗ wird durch α1
7.3 Modell zur Erklärung des Interesses an privater Weiterbildung
243
gebildet. Die Regressionskoeffizienten Π∗ für die einzelnen Komponenten von x∗i sind dann: • αj , j = 2, . . . , 6 für si • πk αj + (1 − πk )αk , j = 1, . . . , 6, k = j für wi • γ für mi • β1u , u = 1, 2 für pi • βju , j = 2, . . . , 6, u = 1, 2 für si pi • πk βj + (1 − πk )βku , j = 2, . . . , 6, K = j, u = 1, 2 für wi pi Im Folgenden werden die Ergebnisse des dreistufigen Schätzverfahrens dargestellt. Die Gewichte, die Auskunft darüber geben, mit welchem Anteil der Erwartungswert der Variablen „Freizeitinteresse: sich privat weiterbilden“ durch die Statusgruppe beeinflusst wird, aus der das Individuum stammt, werden in Tabelle 7.16 aufgelistet. TABELLE 7.16 Relative Einflussstärken (Anteile) gegenwärtige Position Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
(πk ) 0.001 0.252 0.363 0.442 0.235 0.120
In Tabelle 7.16 ist zu erkennen, dass das Interesse, sich privat weiterzubilden, bei den Personen, die in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten aufgestiegen sind, nicht durch die soziale Herkunft beeinflußt wird. Dieser Wert kann dahingehend interpretiert werden, dass das Interesse an privater Weiterbildung bei Personen, die in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten aufgestiegen sind extrem stark durch ihre berufliche Position beeinflußt wird. Wie im folgenden noch ausführlich dargestellt wird, ist das Interesse, sich in der Freizeit weiterzubilden, jedoch nicht
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7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
sehr stark in der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten ausgeprägt. Des Weiteren ist ersichtlich, dass der Einfluss der sozialen Herkunft sehr gering ist bei Personen, die in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte abgestiegen sind. Zieht man in die Interpretation die in den Tabellen 7.17 und 7.18 dargestellten Parameterschätzungen, die Aufschluss über das Interesse an privater Weiterbildung der einzelnen Personengruppen geben, ein, kann der niedrige Anteilswert auch dahingehend interpretiert werden, dass die Personen in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte abgestiegen sind, weil das Interesse, sich privat weiterzubilden nur schwach ausgeprägt ist. Der Einfluss der sozialen Herkunft auf das Interesse an privater Weiterbildung ist stärker bei Personen, die in die Statusgruppe der Angestellten mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst und in die Statusgruppe der Leitenden Angestellten und Beamte im gehobenen Dienst gewechselt sind. Damit verbunden ist der Einfluss der gegenwärtigen Position in Relation zu den anderen Statusgruppen geringer. Anhand dieser Ergebnisse ist zu schließen, dass sowohl die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten als auch die der Arbeiter und Landwirte einen stärkeren Einfluss auf ihre neuen Mitglieder als die anderen Statusgruppen ausüben. Nach den Schätzern für die Gewichte des „diagonal mobility 2“ Modells werden im folgenden die Schätzer der Regressionskoeffizienten ausgegeben. Die Tabellen 7.17 und 7.18 enthalten die Regressionskoeffizienten der die einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle repräsentierenden Dummy-Variablen auf das Interesse, sich privat fortzubilden. Die Effekte α1 , α2 , . . . , α6 der Personen, die ihre Statusgruppe nicht verlassen haben bzw. wieder zurückgekehrt sind, sind in Tabelle 7.17 dargestellt. Alle Parameterschätzer sind auf dem 0.05 Testniveau signifikant von Null verschieden. Auf Grund der Aufnahme weiterer erklärender Variablen bezieht sich die folgende Interpretation der Werte auf die Personen, die in den erklärenden Variablen den niedrigsten Wert annehmen. Die Regressionskonstante (α1 = 2.666) besagt, dass das Interesse an privater Weiterbildung bei den selbständigen Akademikern und höheren Beamten, deren Väter ebenfalls dieser Statusgruppe angehörten, mittelstark ausgeprägt ist. Bei der Betrachtung der Vorzeichen der Koeffizienten wird deutlich, dass mit Ausnahme der Arbeiter und Landwirte das Interesse, sich in der Freizeit weiterzubilden, bei den anderen Statusgruppen stärker ausgeprägt ist. Deutlich hervorzuheben sind dabei die nichtakademischen Selbständigen, deren Väter dieser Statusgruppe ebenfalls angehörten. Der hohe negative Koeffizient (α2 = −1.06) zeigt an, dass das Interesse an privater Weiterbildung in der Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen sehr stark vorhanden ist. Der einzige positi-
7.3 Modell zur Erklärung des Interesses an privater Weiterbildung
245
TABELLE 7.17 Parameterschätzer des „diagonal mobility 2“ Modells („stayer“) Statusgruppe Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
Regressionskoeffizienten (αj ) 2.666 -1.060 -0.640 -2.430 -0.201 0.483
ve Koeffizient (α6 = 0.483) zeigt an, dass die Arbeiter und Landwirte, deren Väter ebenfalls aus dieser Statusgruppe stammen, ein extrem geringes Interesse zeigen, sich in der Freizeit weiterzubilden. Im Folgenden werden die Effekte der sozialen Mobilität aufgeführt (Tabelle 7.18). Es ist zu beachten, dass sich diese Effekte aus den Effekten der Immobilen und den Anteilswerten, mit dem der Erwartungswert der abhängigen Variable durch die Herkunftsposition gewichtet wird, ergeben. Da der Anteilswert bei den Wechslern in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten den Wert N ull annimmt, folgt daraus, dass die soziale Herkunft bei diesen Wechslern keinen Einfluss hat. Der Effekt der sozialen Mobilität entspricht in dem Fall dem Einfluss, den die Stellung im Raum sozialer Positionen auf den Erwartungswert ausübt. Die restringierten Regressionskoeffizienten bei den Statuswechslern nehmen daher den Wert N ull an. Entsprechend sind die Erwartungswerte der abhängigen Variablen bei den Wechslern identisch mit dem Erwartungswert der Personen, die die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten nicht verlassen haben mit µi = α1 + β11 + β12 . Aus diesem Grund werden in der folgenden Tabelle diese Statuswechsler nicht aufgeführt. Bei der Betrachtung der Koeffizienten wird deutlich, wie stark der Einfluss der Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen auf das Interesse an privater Weiterbildung ist. Die hohen negativen Regressionskoeffizienten, die den Effekt von einem Wechsel in die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen auf das Interesse an privater Weiterbildung anzeigen sowie die Koeffizienten, die den Effekt eines Wechsels aus der Statusgruppe der Nichtakademischen
Koeffizienten -0.793 -0.405 -0.135 -0.154 0.425 -0.794 -0.604 -0.403 0.298 -0.954 -0.418 -0.304 0.348
Statuswechsel QUAL.ANG ⇒ SONST.SELB QUAL.ANG ⇒ LEIT.ANG QUAL.ANG ⇒ AUS.ANG QUAL.ANG ⇒ ARBEIT AUS.ANG ⇒ SONST.SELB AUS.ANG ⇒ LEIT.ANG AUS.ANG ⇒ QUAL.ANG AUS.ANG ⇒ ARBEIT ARBEIT ⇒ SONST.SELB ARBEIT ⇒ LEIT.ANG ARBEIT ⇒ QUAL.ANG ARBEIT ⇒ AUS.ANG
Koeffizienten -0.854 -0.494 -0.211 0.396 -0.844 -0.479 -0.224 0.401 -0.671 -0.227 0.078 -0.041
Anmerkung: SELB.AKD = Selbständige Akademiker und höheren Beamte; SONST.SELB = Nichtakademische Selbständige; LEIT.ANG = Angestellte mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben sowie Beamte im gehobenen Dienst; QUAL.ANG = Angestellte mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst; AUS.ANG = Ausführende Angestellte und Beamte im einfachen Dienst; ARBEIT = Arbeiter und Landwirte.
Statuswechsel SELB.AKD ⇒ SONST.SELB SELB.AKD ⇒ LEIT.ANG SELB.AKD ⇒ QUAL.ANG SELB.AKD ⇒ AUS.ANG SELB.AKD ⇒ ARBEIT SONST.SELB ⇒ LEIT.ANG SONST.SELB ⇒ QUAL.ANG SONST.SELB ⇒ AUS.ANG SONST.SELB ⇒ ARBEIT LEIT.ANG ⇒ SONST.SELB LEIT.ANG ⇒ QUAL.ANG LEIT.ANG ⇒ AUS.ANG LEIT.ANG ⇒ ARBEIT
Restringierte Regressionskoeffizienten („mover“ )
TABELLE 7.18
246 7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
7.3 Modell zur Erklärung des Interesses an privater Weiterbildung
247
TABELLE 7.19 Parameterschätzer (erklärende Variablen) Variable GESCHLECHT ALTER DIR(-)
Regressionskoeffizienten β11 0.04 0.02 β12 γ 0.30
Selbständigen anzeigen, weisen darauf hin, dass das Interesse auch bei den Statuswechslern sehr stark ausgeprägt ist. Des Weiteren sind die positiven Koeffizienten, die den Effekt eines Wechsels in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte anzeigen, interessant. Diese weisen darauf hin, dass das Interesse an privater Weiterbildung bei den Personen, die in die Statusgruppe Arbeiter und Landwirte gewechselt sind, sehr schwach ausgeprägt ist. Dies ist auf Folgendes zurückzuführen: Erstens auf den Effekt, den die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte auf das Interesse an privater Weiterbildung ausübt. Zweitens ist dies auf den niedrigen Anteilswert zurückzuführen, mit dem der Erwartungswert durch die Herkunftsposition gewichtet wird bei den Mobilen in der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte. Entsprechend wird an dieser Stelle die daraus abgeleitete Schlussfolgerung, dass die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte einen starken Einfluss auf ihre neuen Mitglieder ausübt, deutlich. Wie bereits oben ausführlich erläutert, ist davon auszugehen, dass neben den aufgeführten Modellvariablen, das Interesse an privater Weiterbildung auch von Geschlecht und Alter beeinflusst wird. Die Einflüsse von Geschlecht und Alter variieren sowohl mit der sozialen Herkunft als auch mit der gegenwärtigen sozialen Position. Im weiteren Verlauf werden in Tabelle 7.19 zunächst die Einflüsse der erklärenden Variablen Alter und Geschlecht auf das Interesse, sich in der Freizeit privat weiterzubilden, aufgeführt. Darüber hinaus wird der Einfluss der Variablen (DIR(-)), die Effekte der absteigenden Mobilität an sich anzeigt, aufgeführt. Sowohl der Regressionskoeffizient von Geschlecht als auch der Regressionskoeffizient von Alter auf das Interesse, sich in der Freizeit weiterzubilden, zeigen an, dass beide Variablen zwar einen signifikant von Null verschiedenen aber keinen relevanten Einfluss auf das Interesse haben, sich in der Freizeit weiterzubilden. Der Regressionskoeffizient von DIR(-) weist darauf hin, dass Abstiegserfahrun-
248
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
gen (bezüglich seiner Herkunftsfamilie) das Interesse an privater Weiterbildung erheblich verringern. Die Interaktionseffekte der sozialen Herkunft bzw. der sozialen Mobilität mit den soziodemographischen Variablen sind in Tabelle 7.20 aufgeführt. Bei der Betrachtung der Interaktionseffekte wird deutlich, dass alle Koeffizienten positive Vorzeichen aufweisen. Dies weist darauf hin, dass (a) das Interesse an privater Weiterbildung bei Frauen weniger stark ausgeprägt ist als bei Männern und (b) das Interessse an privater Weiterbildung mit zunehmendem Alter abnimmt. Im Einzelnen sind die Koeffizienten im Zusammenhang mit den in den Tabellen 7.17 bis 7.19 dargestellten Koeffizienten zu interpretieren. Da die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und hohen Beamten die Referenzgruppe ist, sind die Interaktionseffekte als Abweichungen von der Referenzgruppe zu sehen. Für die Referenzgruppe sind nur die in Tabelle 7.19 aufgelisteten Koeffizienten zu interpretieren. Im folgenden Abschnitt werden zunächst die Interaktionseffekte für die Personen interpretiert, die ihre Statusgruppe nicht verlassen haben bzw. wieder in die Statusgruppe, aus der sie stammen, zurückgekehrt sind. Das Interesse an privater Weiterbildung erhöht sich bei den selbständigen Nichtakademikern gegenüber den selbständigen Akademikern und höheren Beamten. Dieser Effekt ist bei den nichtakademisch selbständigen Frauen nicht so stark ausgeprägt. Ferner nimmt das Interesse an privater Weiterbildung mit zunehmendem Alter in dieser Statusgruppe ab. Das Interesse an privater Weiterbildung bei den leitenden Angestellten und Beamten im gehobenen Dienst erhöht sich gegenüber den selbständigen Akademikern und höheren Beamten, jedoch ist dieser Effekt bei den Frauen unter den leitenden Angestellten und gehobenen Beamten nicht so stark. Das Interesse an privater Weiterbildung erhöht sich sowohl bei den qualifizierten Angestellten als auch bei den ausführenden Angestellten geringfügig gegenüber den selbständigen Akademikern und höheren Beamten. Jedoch schlägt dieser Effekt bei den Frauen dieser Statusgruppen ins Gegenteil um, so dass die Frauen unter den Angestellten mit qualifizierten und ausführenden Tätigkeiten weniger Interesse an privater Weiterbildung aufweisen als die Referenzgruppe. Ferner weist der hohe positive Koeffizient des Interaktionseffektes von Alter mit der Dummy-Variablen, die die Zugehörigkeit zur Statusgruppe der Ausführenden Angestellten und Beamte im einfachen Dienst anzeigt, darauf hin, dass dieses höhere Interesse an privater Weiterbildung nur für die jungen Angehörigen dieser Statusgruppe gilt. Mit zunehmenem Alter nimmt das Interesse an Weiterbildung in dieser Statusgruppe extrem ab. Das im Verhältnis zur Referenzgruppe starke Desinteresse der Arbeiter an privater Weiterbildung ist
7.3 Modell zur Erklärung des Interesses an privater Weiterbildung
TABELLE 7.20 Interaktionseffekte der Modellvariablen mit soziodemographischen Variablen Statuswechsel SELB.AKD SONST.SELB LEIT.ANG QUAL.ANG AUS.ANG ARBEIT SELB.AKD ⇒ SONST.SELB SELB.AKD ⇒ LEIT.ANG SELB.AKD ⇒ QUAL.ANG SELB.AKD ⇒ AUS.ANG SELB.AKD ⇒ ARBEIT SONST.SELB ⇒ SELB.AKD SONST.SELB ⇒ LEIT.ANG SONST.SELB ⇒ QUAL.ANG SONST.SELB ⇒ AUS.ANG SONST.SELB ⇒ ARBEIT LEIT.ANG ⇒ SELB.AKD LEIT.ANG ⇒ SONST.SELB LEIT.ANG ⇒ QUAL.ANG LEIT.ANG ⇒ AUS.ANG LEIT.ANG ⇒ ARBEIT QUAL.ANG ⇒ SELB.AKD QUAL.ANG ⇒ SONST.SELB QUAL.ANG ⇒ LEIT.ANG QUAL.ANG ⇒ AUS.ANG QUAL.ANG ⇒ ARBEIT AUS.ANG ⇒ SONST.SELB AUS.ANG ⇒ LEIT.ANG AUS.ANG ⇒ QUAL.ANG AUS.ANG ⇒ ARBEIT ARBEIT ⇒ SONST.SELB ARBEIT ⇒ LEIT.ANG ARBEIT ⇒ QUAL.ANG ARBEIT ⇒ AUS.ANG
GESCHLECHT — 0.496 0.301 0.386 0.353 0.316 0.341 0.166 0.193 0.240 0.243 0.000 0.333 0.395 0.347 0.298 0.000 0.407 0.309 0.302 0.274 0.000 0.429 0.293 0.322 0.285 0.420 0.281 0.332 0.281 0.411 0.267 0.315 0.305
ALTER — 0.279 0.089 0.012 0.621 0.178 0.194 0.044 0.005 0.461 0.139 0.000 0.140 0.110 0.522 0.171 0.000 0.212 0.026 0.477 0.148 0.000 0.192 0.041 0.459 0.138 0.346 0.265 0.261 0.212 0.234 0.102 0.065 0.498
249
250
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
bei den Frauen aus dieser Statusgruppe noch stärker ausgeprägt. Im weiteren Verlauf werden die restringierten Interaktionseffekte für die Statuswechsler interpretiert. Bei der Erläuterung der Interaktionseffekte wird sich nur auf die bedeutendsten Koeffizienten beschränkt. Das relativ starke Interesse der Statuswechsler in die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen ist bei den Frauen unter diesen Statuswechslern wesentlich schwächer ausgeprägt. Darauf weisen die relativ hohen Interaktionseffekte zwischen dem Geschlecht und den Dummy-Variablen, die den Statuswechsel in die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen angeben, hin. Die relativ hohen Interaktionseffekte zwischen dem Alter und der Dummy-Variablen, die den Statuswechsel in die Statusgruppe der Ausführenden Angestellten und Beamten im einfachen Dienst angibt, zeigen an, dass das in Relation zur Referenzgruppe stärkere Interesse, sich in der Freizeit weiterzubilden, nur für die ganz jungen Statuswechsler gilt. Das Interesse an privater Weiterbildung nimmt mit zunehmendem Alter bei diesen Statuswechslern rasant ab.
7.4 Interesse für informative Medieninhalte: Empirische Spezifikation eines „diagonal mobility 2“ Modells mit latenter abhängiger Variable In den bisher illustrierten Modellen waren die abhängigen Variablen manifest. Im allgemeinen ist davon auszugehen, dass soziale Herkunft und Mobilität auch Phänomene wie z.B. politische Einstellungen oder Wertorientierungen beeinflussen können. In solchen Fällen handelt es sich auf der Seite der abhängigen Variablen um theoretische Konstrukte, die nicht direkt der Beobachtung zugänglich sind. Für diese Fälle wurde das „diagonal mobility“ Modell um die Einbeziehung latenter abhängiger Variablen erweitert (siehe Kapitel 3). Wie ausführlich geschildert, geschieht dies durch die Einbeziehung eines faktorenanalytischen Messmodells in das „diagonal mobility“ Modell. Zur Illustration des „diagonal mobility“ Modells mit latenten Variablen wird als latente abhängige Variable das Konstrukt „Interesse für informative Medieninhalte im Bereich Politik und Wirtschaft“ gewählt. Es wird der Frage nachgegangen, welche Effekte die soziale Herkunft und die gegenwärtige soziale Position auf das Interesse für informative Medieninhalte im Bereich Politik und Wirtschaft ausüben. Als Indikatoren zur Erfassung des Interesses für informative Medieninhalte werden aus dem Bereich „Interesse für bestimmte Arten von Fernsehsendungen“
7.4 Modell zur Erklärung des Interesses für informative Medieninhalte
251
die Variablen „Interesse an politischen Magazinen“ und „Interesse an Nachrichtensendungen“ und aus dem Bereich „Interesse an verschiedenen Inhalten der Tageszeitung“ die Variablen „Politik“ und „Wirtschaft“ in die Analyse aufgenommen. Die Indikatoren wurden unter Verwendung einer explorativen Faktorenanalyse (Hauptkomponentenverfahren mit anschließender Varimaxrotation) ausgewählt. Die Faktorenanalyse wurde zunächst für alle Lebensstilvariablen und anschließend zur Überprüfung auf Eindimensionalität nur für das Konstrukt „Interesse an informativen Medieninhalten im Bereich Politik und Wirtschaft“ durchgeführt. Es wurden nur die Items beibehalten, die Faktorladungen ≥ 0.6 aufweisen. Zur Veranschaulichung des Modells mit latenten Variablen wird ein einfaches Modell mit den sechs Statusgruppen ohne weitere Variablen gewählt. Die Effekte der sozialen Herkunft, der beruflichen Stellung sowie der sozialen Mobilität auf das Interesse an informativen Medieninhalten werden zunächst unter Verwendung des „diagonal mobility“ Modells, des „diagonal mobility 1“ Modells, des „diagonal mobility 2“ Modells und des Weakliem-Modells spezifiziert und die Parameter des Modells geschätzt. Anschließend wird überprüft, welche Spezifikation die beste Anpassung an die Daten erzielt. Als Ergebnis kann zusammengefasst werden, dass die Datenanpassung am besten durch das „diagonal mobility 2“ Modell erfolgt. Die Minimum-Distanz-Schätzung ergibt eine χ2 - Statistik von 129.175 bei 128 Freiheitsgraden. Daher wird die Nullhypothese, dass die Parameter der reduzierten Form durch das gewählte Modell generiert wurden, auf Grund der Daten dieser Stichprobe auf dem Testniveau von α = 0.05 angenommen. Auf der Grundlage des Bayesianischen Informationskriteriums zu urteilen, ist das Modell mit BIC=237.306 besser an die Daten der reduzierten Form angepaßt als andere Modelle.5 Aus diesem Grund wird im folgenden das Modell mit variierenden Zielparametern unter Einbeziehung von latenten abhängigen Variablen illustriert. Im Anschluss daran werden die Ergebnisse interpretiert. Im Unterschied zu den zuvor behandelten Modellen tritt an die Stelle der beobachtbaren abhängigen Variablen yi des „diagonal mobility 2“ Modells die latente Variable ηi . Diese ist mit den im Vektor x∗i enthaltenen erklärenden Variablen durch ein Strukturgleichungsmodell der Form
5 Das
Weakliem-Modell ergibt ebenfalls eine gute Datenanpassung. Da die Anteilswerte, mit denen die soziale Herkunft in die Erwartungswerte eingehen, nicht wesentlich nach der sozialen Herkunft variieren, ist die Interpretation des „diagonal mobility 2“ Modells sinnvoller.
252
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
ηi = τ + δx∗i + ζi
(7.82)
verbunden. x∗i besteht aus den Subvektoren si = (S2i , S3i , . . . , S6i ) und wi = (W12 , W13 , W14 , . . . , W21 , W23 , W64 , W65 ). τ wird aus Identifikationsgründen auf den Wert 0 gesetzt. δ enthält die nicht-linearen Funktionen der Modellparameter und ihre Restriktionen: • αj , j = 2, . . . , 6 für si • πj αj + (1 − πj )αj , j = 1, . . . , 6, k = j für wi Die Indikatoren zur Messung des Interesses an informativen Medieninhalten werden in den Spaltenvektor y i zusammengefaßt. Die latente Variable ηi wird durch die beobachteten Indikatoren y i unter Verwendung eines faktorenanalytischen Messmodells der Form y i = ν + Ληi + i
(7.83)
messbar gemacht. Zur Identifikation des Vektors der Regressionskonstanten ν wird α1 = 1 als Restriktion gesetzt. Λ enthält die Faktorladungen der Indikatoren auf das Konstrukt „Interesse an informativen Medieninhalten im Bereich Politik und Wirtschaft“. Der Indikator „Interesse an politischen Magazinen“ dient als Referenzvariable für den Faktor. Daher wird die entsprechende Faktorladung λ1 auf den Wert 1 restringiert. Obwohl auch der Indikator „Interesse an Nachrichtensendungen“ fast gleich hoch auf den Faktor lädt, wird diese Variable nicht als Referenzitem verwendet, da das Nachrichteninteresse für einen Teil der Bevölkerung auf die habitualisierte Nutzung dieser Sendung zurückgeführt werden kann (vgl. Brettschneider 1997: 273). Die Parameter der reduzierten Form des Regressionsmodells y i = γ ∗ +Π∗ x∗i + ∗i lassen sich in folgender Weise strukturieren: γ∗ = ν
(7.84)
Π∗ = Λδ
(7.85)
Σ∗ = ΛΨΛ + Θ
(7.86)
Die Schätzung der Modellparameter erfolgt unter Anwendung des dreistufigen Schätzverfahrens. Die auf der ersten Stufe erzielten Parameter der reduzierten
7.4 Modell zur Erklärung des Interesses für informative Medieninhalte
253
TABELLE 7.21 Messmodell für das Interesse an informativen Medieninhalten Indikatoren Fernsehinteresse: pol. Mag. Fernsehinteresse: Nachrichten Zeitungsinteresse: Politik Zeitungsinteresse: Wirtschaft
NU 2.485 (14.632) 2.568 (37.817) 2.667 (45.312) 2.932 (17.564)
LAMBDA 1.000 — 0.553 (19.756) 1.324 (32.386) 1.142 (31.723)
THETA 0.764 (28.751) 0.732 (32.233) 0.269 (11.353) 0.526 (22.811)
Anmerkung: Die in Klammern dargestellten Werte sind die z-Werte für jeden Koeffizienten, die mit Hilfe des MECOSA 3-Programms berechnet wurden.
Form des Regressionsmodells werden im Folgenden nicht dargestellt, da sie nur der Anpassung dienen. Unter Verwendung der auf der zweiten Stufe geschätzten asymptotischen Kovarianzmatrix der geschätzten Parameter der reduzierten Form und der Minimum-Distanz-Schätzung in der dritten Stufe konnte ein „diagonal mobility“ Modell mit latenten Variablen geschätzt werden, dessen Ergebnisse im folgenden interpretiert werden. Dieses Modell erklärt 11% der Variation des Konstruktes „Interesse für informative Medieninhalte im Bereich Politik und Wirtschaft“. In Tabelle 7.21 werden die Parameterschätzungen für das Messmodell (Regressionskonstanten, Faktorladungen sowie Varianzen der Messfehler) dargestellt. Die Regressionskonstanten der Indikatoren im Messmodell sind die Werte, die die Referenzkategorie – also die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höhere Beamten – als Erwartungswerte abzüglich der Konstanten 1 aus dem Strukturmodell für die erste Statusgruppe in den Indikatoren aufweisen. Sie dienen zur Anpassung an die Regressionskonstanten der Parameter der reduzierten Form. Aus Tabelle 7.21 wird deutlich, dass das Konstrukt „Interesse an informativen Medieninhalten im Bereich Politik und Wirtschaft“ unterschiedlich stark mit den verschiedenen Indikatoren zur Messung des Konstruktes assoziiert wird. Wie bereits oben geschildert, ist der Indikator „Fernsehinteresse für politische
254
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
Magazine“ die Referenzvariable für den Faktor, und die entsprechende Faktorladung wurde auf den Wert 1 gesetzt. Je höher der Wert von „Fernsehinteresse für politische Magazine“, desto höher ist der Faktorwert von „Interesse an informativen Medieninhalten“, also die Stärke des Interesses an politischen und wirtschaftlichen Geschehnissen. Die Faktorladung des Indikators „Fernsehinteresse für Nachrichten“ auf den Faktor „Interesse an informativen Medieninhalten“ (λ = 0.553) weist darauf hin, dass das Interesse an informativen Medieninhalten im Verhältnis zu den anderen Indikatoren nur sehr schwach mit dem Interesse an Nachrichtensendungen assoziiert ist. Die schwache Ladung des Indikators könnte darauf zurückgeführt werden, dass ein großer Teil der Bevölkerung Nachrichtensendungen nicht aus Interesse, sondern rein gewohnheitsmäßig anschaut (vgl. Brettschneider 1997). Die Struktur der Ladungen zeigt, dass das Interesse an informativen Medieninhalten stärker mit den Indikatoren zur Erfassung des Interesses an informativen Zeitungsinhalten als mit denen zur Erfassung des Interesses an informativen Fernsehsendungen assoziiert ist. Darauf weisen die relativ hohen positiven Ladungen der Indikatoren „Interesse für politische Zeitungsinhalte“ und „Interesse für den Wirtschaftsteil in der Zeitung“ hin. Der Indikator „Interesse für politische Zeitungsinhalte“ lädt am höchsten auf den Faktor „Interesse an informativen Medieninhalten“ (λ = 1.324), was ein Hinweis darauf ist, dass das Interesse an informativen Medieninhalten am besten durch den Indikator Interesse an politischen Zeitungsinhalte erfasst ist. Die Varianzen der Messfehler können dazu verwendet werden, den durch die latente Variable erklärten Anteil der Varianzen der manifesten Variablen, also die Kommunalität, zu schätzen. Sie sind nur der Vollständigkeit wegen aufgeführt und nicht weiter zu interpretieren. Die Gewichte des „diagonal mobility 2“ Modells werden in Tabelle 7.22 aufgelistet. Die Parameterschätzer der Logitmodelle, die zur Berechnung der Gewichte verwendet werden, sind alle auf dem 95% Niveau signifikant von Null verschieden. Bei der Betrachtung der in Tabelle 7.22 aufgeführten Anteile, mit denen der Erwartungswert der latenten abhängigen Variable „Interesse an informativen Medieninhalten“ gewichtet wird, wird deutlich, dass mit Ausnahme der Personen, die in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte gewechselt sind, die soziale Herkunft keinen Einfluss auf die Nutzung informativer Medieninhalte ausübt. Dabei spielt die jeweils spezifische soziale Herkunft der Personen keine Rolle. Im Unterschied dazu ist der Anteil, mit dem der Erwartungswert der latenten Variablen durch die soziale Herkunft gewichtet wird, relativ hoch bei
7.4 Modell zur Erklärung des Interesses für informative Medieninhalte
255
TABELLE 7.22 Relative Einflussstärke (Anteile) gegenwärtige Position Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
(πk ) 0.007 0.096 0.052 0.029 0.075 0.344
den Wechslern in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte. Der Anteilswert zeigt an, dass Absteiger in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte im Unterschied zu den Wechslern in andere Statusgruppen in ihrem Interesse an informativen Medieninhalten durch ihre jeweilige soziale Herkunft beeinflusst werden. In Relation zur sozialen Herkunft ist der Anteil, mit dem der Erwartungswert der latenten Variable durch die Stellung im Raum sozialer Positionen gewichtet wird, wesentlich höher. Dies zeigt an, dass auch in der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte die jetzige berufliche Position einen stärkeren Einfluss auf das Interesse an informativen Medieninhalten ausübt. Im Folgenden werden die Regressionskoeffizienten, die Aufschluss darüber geben, welchen Effekt die Statusgruppen auf das Interesse an informativen Medieninhalten haben, aufgeführt. In Tabelle 7.23 werden die Effekte für die Statusnichtwechsler dargestellt. Da aus Identifikationsgründen die Restriktion τ = 0 gesetzt wurde, nehmen die Erwartungswerte in der latenten Variablen bei den Personen, die sich in der ersten Zelle der Mobilitätstabelle befinden – also die selbständigen Akademiker und höheren Beamten, deren Väter ebenfalls selbständige Akademiker oder hohe Beamte waren –, den Wert 1 an, da die Regressionskonstante α1 auf diesen Wert fixiert wurde. Alle Parameterschätzer sind auf dem 0.05 Testniveau signifikant von Null verschieden. Die in Tabelle 7.23 dargestellten Regressionskoeffizienten α2 , α3 , . . . , α6 sind als Abweichungen von der Referenzkategorie Selbständige Akademiker und höhere Beamten zu interpretieren. Die positiven Vorzeichen der Koeffizienten sowie der zwar signifikant, aber nur schwach von Null verschiedene Koeffizient von der Statusgruppe der Leitenden Angestellten und Beamten im gehobenen Dienst auf den Faktor zeigen an, dass das Interesse für informative Medieninhalte bei den
256
7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
TABELLE 7.23 Parameterschätzer des „diagonal mobility 2“ Modells (“stayer“) Statusgruppe Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
Regressionskoeffizienten (αj ) 1.000 0.214 0.090 0.369 0.713 0.484
Angehörigen der Statusgruppen, die über hohes kulturelles Kapital verfügen (Selbständige Akademiker und höhere Beamte sowie Leitende Angestellte und Beamte im gehobenen Dienst) und deren Väter ebenfalls diesen Statusgruppen angehörten, im Vergleich zu den anderen Statusnichtwechslern wesentlich stärker ausgeprägt ist. Über die absolute Höhe des Interesses für informative Medieninhalte in der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und hohen Beamten geben die Erwartungswerte der Indikatoren im Messmodell Auskunft. Das Interesse an informativen Medieninhalten ist besonders bei den ausführenden Angestellten, deren Väter bereits dieser Statusgruppe angehörten, sehr schwach ausgeprägt. Der hohe positive Regressionskoeffizient von Ausführende Angestellte weist darauf hin, dass sich diese Personengruppe im Durchschnitt wesentlich weniger den informativen Inhalten in Fernsehen und Zeitungen zuwendet als die anderen Statusgruppen. Der im Verhältnis dazu niedrige Koeffizient von Arbeiter zeigt an, dass das Interesse in der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte im Vergleich zu den ausführenden Angestellten stärker ausgeprägt ist, wenn auch in Relation zu den anderen Statusgruppen sehr gering ist. Da die Anteilswerte – mit Ausnahme der Wechsler in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte – eine Wert von annähernd N ull annehmen, sind die Koeffizienten für die Statuswechsler (fast) identisch mit den Koeffizienten der jeweiligen Personengruppen, die ihre Statusgruppe nicht verlassen haben und werden folglich hier nicht aufgelistet. Dies bedeutet, dass die Wechsler in die Statusgruppen mit hohem kulturellen Kapital über ein höheres Interesse an informativen Themen in den Medien verfügen als die anderen Statuswechsler und
7.4 Modell zur Erklärung des Interesses für informative Medieninhalte
257
TABELLE 7.24 Restringierte Regressionskoeffizienten („mover“) (Statuswechsler in die Gruppe der Arbeiter und Landwirte) Statusgruppe Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte
Parameter 0.318 0.397 0.349 0.444 0.563
dass die Wechsler in die Statusgruppe der Ausführenden Angestellten und Beamten im einfachen Dienst das geringste Interesse an informativen Medieninhalten zeigen. Die Koeffizienten für die Wechsler in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte werden in Tabelle 7.24 dargestellt. Es ist zu beachten, dass sich diese Effekte aus den Effekten der „mover“ und den Anteilswerten, mit denen der Erwartungswert der abhängigen Variablen gewichtet wird, ergeben. Die in Tabelle 7.24 dargestellten Regressionskoeffizienten der Statuswechsler in die Gruppe der Arbeiter und Landwirte unterscheiden sich nicht sehr stark voneinander. Der im Verhältnis zu den anderen Koeffizienten niedrige Koeffizient der Wechsler aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten auf den Faktor weist darauf hin, dass das Interesse an informativen Medieninhalten bei den Arbeitern und Landwirten, deren Väter dieser Statusgruppe angehörten, im Verhältnis zu den anderen Wechslern etwas stärker ausgeprägt ist. Dagegen zeigt der im Verhältnis hohe Koeffizient der Wechsler aus der Statusgruppe der Ausführenden Angestellten und Beamten im einfachen Dienst an, dass das Interesse an informativen Medieninhalten geringer ist. Dieses Beispiel diente der Illustration des “diagonal mobility“ Modells mit latenten Variablen. Es konnte gezeigt werden, dass das Interesse an informativen Medieninhalten am besten durch das Modell mit variierenden Anteilen nach der Zielposition spezifiziert werden konnte. Insgesamt wird durch die Spezifikation des Mobilitätsmodells 11% der Varianz des Konstruktes erklärt. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass die soziale Herkunft mit Ausnahme der Personen, die in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte gewechselt sind, keinen
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7. Empirische Illustration des verallgemeinerten Modells
Einfluss auf das Interesse für informative Medieninhalte hat. Der in diesem Modell aufgeführte Varianzanteil ist fast ausschließlich auf die jetzige Stellung im Raum sozialer Positionen zurückzuführen.
8 Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile Nachdem im letzten Kapitel die Illustration des im dritten Kapitel entwickelten Modells im Vordergrund stand, wird im Folgenden das Modell stärker inhaltlich in der Lebensstilforschung eingesetzt. Auf die Darstellung der technischen Details wird verzichtet. Im Mittelpunkt der Analyse steht die Frage nach der Stabilität von Geschmackspräferenzen, die in der primären Sozialisation ausgebildet wurden sowie die Anpassungsleistung der Akteure an veränderte Ressourcenlagen. Es werden zentrale Elemente des Habituskonzeptes von Bourdieu, wie die Bedeutung der primären Sozialisation für die Ausbildung des Geschmacks, die Inkorporationsannahme sowie die Stabilitätsannahme geprüft. Struktureller Bezugsrahmen der Analyse bilden die sechs Statusgruppen, die im sechsten Kapitel ausführlich beschrieben wurden. Im Unterschied zur Anwendung des Modells im letzten Kapitel werden die Effekte sozialer Herkunft und sozialer Mobilität nicht auf einzelne Merkmale spezifiziert, sondern auf Lebensstilkonstrukte. Wie im sechsten Kapitel herausgestellt, beziehen sich Lebensstile auf die alltagsästhetische Gestaltung des Lebens und äußern sich in Form alltagsästhetischer Präferenzen. Sie zeichnen sich vorrangig durch ihren Aktivitätsgrad aus und präsentieren sich dem Beobachter auf der Ebene subjektiven Verhaltens. Einzelne Präferenzen und Verhaltensaspekte sind dabei nicht isoliert zu betrachten, sondern stehen in einem systematischen Zusammenhang. Der Habitus als lebensstilgenerierendes Dispositionssystem ist eine hypothetische Größe, der für die spezifische Zusammenhangsstruktur der Indikatoren zur Messung von alltagskulturellen Geschmackspräferenzen und bevorzugten Freizeitaktivitäten, verantwortlich ist. Einzelne Präferenzen und Verhaltensaspekte verdichten sich zu Präferenz- und Verhaltensmuster. Lebensstile aus dieser Perspektive betrachtet, stellen die „alltagsästhetischen Schemata“ von Schulze (1992), die ausführlich im vierten Kapitel erläutert wurde, ins Zentrum des Interesses. Diese lassen sich als alltagsästhetische Präferenzstrukturen, die den persönlichen Stil widerspiegelt und den Geschmack eines Menschen zum Ausdruck bringen, definieren. Es handelt sich damit um latente Variablen, die erst durch beobachtbare Indikatoren messbar gemacht werden. Aus den Ergebnissen der bisherigen Lebensstiluntersuchungen kann geschlossen werden, dass sich anhand der Lebensstilausprägungen von Personen ähnliche
260
8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
Dimensionen von Lebensstilen herauskristallisieren lassen, die als alltagsästhetische Muster, Verhaltensmuster, Geschmackspräferenzmuster oder allgemein als lebensstilgenerierende Muster identifiziert werden konnten. Die alltagsästhetischen Verhaltensweisen und Geschmacksäußerungen, die als Lebensstilindikatoren in den meisten Lebensstiluntersuchungen verwendet werden, lassen sich verallgemeinert in die von Schulze (1992) populär gemachten Bereiche des Hochkulturschemas, des Trivialschemas und des Spannungsschemas einordnen. Im Folgenden wird analysiert, ob sich diese oder ähnliche Bündelungen zusammengehöriger alltagsästhetischer Präferenzen, die gemeinsam von Kollektiven geteilt werden, rekonstruieren lassen. Es geht um die Entdeckung von Präferenzmustern und damit um die Aufdeckung der Lebensstildimensionen, die im weiteren Verlauf dieser Arbeit erklärt werden sollen. Im Unterschied zu den meisten Untersuchungen der traditionellen Lebensstilforschung, in der Lebensstiltypologien und damit Personenaggregate erklärt werden, werden Lebensstile in dieser Arbeit damit variablenorientiert betrachtet.
8.1 Reproduktion der alltagsästhetischen Schemata Zur Identifikation der alltagsästhetischen Verhaltens- und Präferenzmuster werden die im sechsten Kapitel ausführlich erläuterten Lebensstilindikatoren herangezogen. Die Variablen werden unter Verwendung einer explorativen Faktorenanalyse nach der Hauptkomponentenmethode reduziert. Nach dem KaiserKriterium (Eigenwerte ≥ 1) konnten 11 Faktoren extrahiert werden, die 58% der gemeinsamen Varianz erklären. Es ist nicht auszuschließen, dass einzelne Geschmacks- und Präferenzmuster miteinander korrelieren, da Personen im unterschiedlichen Ausmaß an verschiedenen Stildimensionen partizipieren. In dem Ansatz von Schulze (1992) kommt dies dadurch zum Ausdruck, dass Personen in mehr oder weniger starkem Maße sowohl am Hochkultur-, Trivial- und Spannungsschema beteiligt sind und sich in ihrer Nähe und Distanz zu den drei Schemata unterscheiden. Das gleiche gilt auch für Personenaggregate, die bezüglich ihrer Nähe und Distanz zu einzelnen Schemata untereinander homogen sind und als Stiltypen dargestellt werden können. Auf Grund der Ergebnisse auf der Basis regional begrenzter Stichproben (Schulze 1992; Lechner 1998; Hartmann 1999) kann von einer – wenn auch nur geringen Interkorrelation der alltagsästhetischen Schemata ausgegangen werden. Aus diesem Grund wurde eine schiefwinklige Rotation nach dem Oblimim Verfahren mit δ = 0 (vgl. Arminger 1979) durchgeführt. Die Ergebnisse der Faktorenanalyse zeigen, dass die drei Dimensionen alltagsästhetischer Orientierung
8.1 Reproduktion der alltagsästhetischen Schemata
261
nach Schulze sehr gut rekonstruiert werden können. Für die nachfolgende Analyse werden aus den insgesamt elf extrahierten Faktoren drei Faktoren ausgewählt, die inhaltlich als Hochkulturschema, Trivialschema und Spannungsschema interpretiert werden. Diese Faktoren besitzen den höchsten Varianzanteil an der Gesamtvarianz. Zur Überprüfung auf Eindimensionalität wurden für die alltagsästhetischen Schemata getrennt Faktorenanalysen durchgeführt. Es wurden jeweils die Items beibehalten, die Faktorenladungen ≥ 0.6 aufweisen. Als Ergebnisse der Faktorenanalyse kann herausgestellt werden, dass die Rekonstruktion der drei zentralen Schemata der Alltagsästhetik mit Hilfe einer relativ geringen Anzahl von Variablen erfolgen kann. Die Reproduktion der alltagsästhetischen Schemata nach Schulze ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Auswahl der im ALLBUS erhobenen Variablen auf Lebensstiluntersuchungen basiert, die mit Hilfe dieser Indikatoren eindeutige Lebensstile bzw. Lebensstiltypologien identifizieren und diese wiederum unter die drei alltagsästhetischen Schemata von Schulze subsumieren konnten (siehe ALLBUS-Codebuch 1998: 23f; vgl. hierzu auch Kapitel 4). Der Faktor Hochkulturschema (Varianzanteil an der Gesamtvarianz 21.96%) wird aus den Indikatoren „Präferenz für klassische Musik“, „Präferenz für Jazzmusik“, „Interesse an Kunst- und Kultursendungen“, „Interesse am Kulturteil in der Zeitung“, „Besuch von klassischen Konzerten oder Theater“, „Kunst und musische Tätigkeiten“ und der „Lektüre von Büchern“ gebildet. Der Faktor Trivialschemata (Varianzanteil an der Gesamtvarianz: 14.10%) wird durch die Indikatoren „Präferenz für Volksmusik“, „Präferenz für deutsche Schlagermusik“, „Interesse an Shows und Quizsendungen“, „Interesse an Heimatfilmen“ und „Interesse an Unterhaltungsserien“ gemessen. Der Faktor „Spannungsschemata“ (Varianzanteil an der Gesamtvarianz: 14.48%) setzt sich aus den Indikatoren „Musikpräferenz für Pop- und Rockmusik“, „Interesse an Actionfilmen“, „Interesse an Kriminalfilmen“, „Interesse an Spielfilmen“ und „Videokassetten anschauen“ zusammen. Die drei Stildimensionen sind statistisch nahezu unabhängig. Trivial- und Hochkulturschema korrelieren schwach negativ miteinander (r = - 0.237). Die anderen Schemata korrelieren fast gar nicht miteinander (r ≤ 0.05). Das Muster der Interkorrelationen zwischen den alltagsästhetischen Schemata entspricht in etwa dem Muster aus den regional erhobenen Daten der Studien von Schulze (1992); Lechner (1998) und Hartmann (1999) mit dem Unterschied, dass in den Untersuchungen von Lechner und Hartmann das Trivial- und Spannungsschema relativ hoch korreliert. In der Untersuchung von Schulze ist die Korrelation nur schwach negativ ausgeprägt.
262
8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
Im weiteren Verlauf werden die einzelnen alltagsästhetischen Schemata getrennt analysiert. Es wird untersucht, ob und wie stark diese durch die soziale Herkunft und der sozialisationsspezifischen Entwicklung einer Person und wie stark sie durch die soziale Mobilität beeinflusst werden. Die drei zentralen lebensstilgenerierenden alltagsästhetischen Schemata werden dabei als latente Variablen aufgefasst. Daher werden im Folgenden die Effekte unter Verwendung von Mobilitätsmodellen unter Einbeziehung eines faktorenanalytischen Messmodells spezifiziert, welches die latenten Variablen mit den beobachteten Indikatoren in Beziehung setzt. Der Vorteil dieser Vorgehensweise gegenüber der Zusammenfassung homogener Indikatoren zu additiven Skalen der Alltagsästhetiken, wie sie beispielsweise von Hartmann (1999) konstruiert werden, liegt erstens darin, dass die einzelnen Indikatoren nicht alle gleichgewichtig in das Konstrukt eingehen und zweitens Messfehler für die einzelnen Indikatoren angegeben werden können.
8.2 Hochkulturschema Im Folgenden werden die Einflüsse der sozialen Herkunft sowie die Anpassung der Individuen an die Statusgruppe, der das Individuum gegenwärtig angehört, auf das Hochkulturschema spezifiziert. Neben den intergenerationellen Mobilitätsvariablen werden zusätzlich Alter, Bildung, Geschlecht sowie eine Variable zur Erfassung der Karrieremobilität (Laufbahn(+)) als explanatorische Variablen in die Analyse aufgenommen. Diese Variablen wurden auf Grund der Ergebnisse bisheriger Lebensstilforschung sowie eigener Voranalysen ausgewählt. Weitere Regressoren wurden auf Grund linearer Abhängigkeit von den Modellvariablen oder wegen mangelnder Erklärungskraft eliminiert. Die Effekte der sozialen Herkunft, der beruflichen Stellung sowie der sozialen Mobilität auf das Hochkulturschema werden zunächst unter Verwendung der vier verschiedenen Mobilitätsmodelle spezifiziert und die Modellparameter unter Anwendung des dreistufigen Verfahrens geschätzt. Als Startwerte für die dritte Stufe der Schätzung werden die Ergebnisse eines unrestringierten Modells und die Ergebnisse der Parameterschätzungen des Messmodells unter Verwendung von LISREL (Jöreskog und Sörbom 1993) eingesetzt. Nach der Schätzung der Parameter wurde überprüft, welche Spezifikation die beste Anpassung an die Daten erzielt. Zur Beurteilung der Modellanpassung wurde die auf der Minimum-Distanz-Schätzung basierende χ2 - Test-Statistik sowie das Bayesianische Informationskriterium BIC herangezogen. Auf Grund des Testergebnisses und des Informationskriteriums wurde deutlich, dass das Weakliem-Modell bes-
8.2 Hochkulturschema
263
ser an die Daten der reduzierten Form angepasst ist als andere Modelle. Die Minimum-Distanz-Schätzung ergibt eine χ2 - Test-Statistik von 187.122 bei 234 Freiheitsgraden. Daher wird die Nullhypothese, dass die Parameter der reduzierten Form durch das gewählte Modell generiert wurden, auf Grund der Daten dieser Stichprobe auf dem Testniveau von α = 0.05 angenommen. Das Informationskriterium BIC = 295.25 ist kleiner als bei den Modellen, die stärkere Restriktionen auf die Anteilswerte formulieren. In einem weiteren Schritt wurde überprüft, ob der Einfluss der sozialen Herkunft und der gegenwärtigen Position nach den individuellen Merkmalen Alter, Bildung, Geschlecht und Laufbahn variiert. Dazu wurden insgesamt vier Modelle spezifiziert, die sich bezüglich der Interaktionen der Modellvariablen und den explanatorischen Variablen unterscheiden. Zur Beurteilung der Güte der Modellanpassung wurde ebenfalls die Teststatistik χ2 bzw. das Informationskriterium BIC herangezogen. Insgesamt konnte die Modellanpassung nicht verbessert werden. Daher werden im Folgenden die Parameterschätzungen des WeakliemModells mit erklärenden Variablen und latenten abhängigen Variablen ohne Interaktionen der Modellvariablen mit den erklärenden Variablen interpretiert. Dieses Modell erklärt 25.7% der Variation des Konstruktes „Hochkultur“. Inhaltlich bedeutet dies, dass erstens das Hochkulturschema sowohl durch die soziale Herkunft als auch durch die gegenwärtig eingenommene Position eines Individuums beeinflusst wird. Zweitens variiert der Anteil an Einfluss, den die soziale Herkunft auf das Hochkulturschema ausübt, sowohl nach der jeweils spezifischen sozialen Herkunft als auch gleichzeitig nach der jeweils spezifischen aktuell eingenommenen Position. Die Parameterschätzungen für das Messmodell sind in Tabelle 8.1 dargestellt. Die Regressionskonstanten der Indikatoren im Messmodell sind die Werte, die die Referenzkategorie (Selbständige Akademiker und höhere Beamte) als Erwartungswerte in den Indikatoren (abzüglich der Konstanten 1 aus dem Strukturmodell) aufweisen. Sie dienen der Anpassung an die Regressionskonstanten der Parameter der reduzierten Form. Bei der Betrachtung der Regressionskonstanten wird deutlich, dass diese – mit Ausnahme des Interesses an dem Besuch klassischer Konzerte sowie die aktive Beschäftigung mit Kunst und musischen Tätigkeiten in der Freizeit – in allen Indikatoren sehr niedrig sind. Dies ist ein Hinweis darauf, dass insgesamt bei den selbständigen Akademikern und höheren Beamten, deren Väter bereits selbständige Akademiker oder höhere Beamte waren, die Neigung zum Hochkulturschema sehr stark ausgeprägt ist. Aus der Struktur der Faktorladungen ist erkennbar, dass das Hochkultur-
264
8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
TABELLE 8.1 Messmodell für das Hochkulturschema Indikatoren Besuch von klassischen Konzerten oder Theater Präferenz für Klassische Musik Präferenz für Jazzmusik Interesse an Kunst- und Kultursendungen Interesse am Kulturteil in der Zeitung Kunst und musische Tätigkeiten Lektüre von Büchern in der Freizeit
NU 3.272 (22.332) 1.561 (14.632) 2.645 (17.817) 2.681 (17.320) 2.223 (21.132) 3.160 (18.627) 1.680 (22.723)
LAMBDA 1.000 . 1.788 (25.140) 1.224 (19.490) 1.533 (24.985) 1.488 (24.716) 1.162 (21.149) 1.474 (21.564)
THETA 0.349 (28.145) 0.908 (26.883) 1.135 (31.119) 0.690 (27.100) 0.650 (27.450) 0.784 (30.353) 1.179 (30.122)
Anmerkung: Die in Klammern dargestellten Werte sind die z-Werte für jeden Koeffizienten, die mit Hilfe des MECOSA 3-Programms berechnet wurden.
schema unterschiedlich stark mit den verschiedenen Indikatoren zur Messung dieses Präferenz- und Verhaltensmusters assoziiert ist. Der Indikator „Besuch von klassischen Konzerten oder Theater“ dient als Referenzitem für das Konstrukt „Hochkulturschema“. Daher wird die entsprechende Faktorladung auf den Wert 1 restringiert. Die Höhe der Faktorladungen zeigt an, dass das Hochkulturschema stärker mit allen anderen Indikatoren zur Messung des Konstruktes als mit dem Referenzitem assoziiert ist. Die relativ hohe positive Faktorladung des Indikators „Präferenz für Klassische Musik“ auf den Faktor Hochkulturschema weist darauf hin, dass das Hochkulturschema in Relation zu den anderen Indikatoren stärker mit dieser Musikstilpräferenz assoziiert ist. Die Ladungen der Indikatoren „Interesse an Kunst- und Kultursendungen“, „Interesse am Kulturteil in der Zeitung“ und die „Lektüre von Büchern in der Freizeit“ unterscheiden sich nur geringfügig. Am schwächsten ist das Hochkulturschema mit dem Interesse an der aktiven kulturellen Beteiligung in Form musischer Tätigkeiten assoziiert.
8.2 Hochkulturschema
265
In Tabelle 8.2 sind die Anteilswerte ωjk , j = 1, . . . , 6, k = 1, . . . , 6 und j = k, mit denen die jeweilige soziale Herkunft in den Erwartungswert des Konstrukts „Hochkulturschema“ eingeht, aufgelistet. Zuzüglich werden die Parameter , pj , j = 1, . . . , 6, die die relative Stärke, mit denen die einzelnen Statusgruppen in das Gewicht eingehen sowie der Parameter φ, der das Gewicht der sozialen Herkunft in Relation zur jetzigen Stellung im Raum der sozialen Positionen anzeigt, angegeben. Es ist zu beachten, dass die Werte aus den Parametern φ und p1 , . . . , p6 berechnet wurden. Bei der Betrachtung der Koeffizienten p1 , . . . , p6 wird deutlich, dass auf der einen Seite die Statusgruppe, die über das höchste kulturelle und ökonomische Kapital verfügt (Selbständige Akademiker und höhere Beamte) und auf der anderen Seite die Statusgruppe, die über den geringsten Umfang an Kapitalien verfügt (Arbeiter und Landwirte) einen starken Einfluss auf die Anteilswerte, die die Einflüsse der sozialen Herkunft auf den Erwartungswert des Konstrukts „Hochkulturschema“ angeben, ausübt. Daraus ist zu schließen, dass sowohl die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und hohen Beamten als auch die der Arbeiter und Landwirte in Relation zu den anderen Statusgruppen einen sehr starken Effekt auf die Zuneigung oder Abneigung zum Hochkulturschema ausüben. Dabei ist es unabhängig, ob es sich um die Statusgruppe handelt, die die jeweilige soziale Herkunftsklasse eines Individuums repräsentiert oder um die Statusgruppe, in die das Individuum gewechselt ist. Die Werte können dahingehend interpretiert werden, dass diese Statusgruppen ihre Angehörigen bezüglich des Interesses oder Desinteresses an der etablierten Kultur stärker prägen als andere Statusgruppen. Im Gegensatz dazu zeigen die niedrigen Werte der Statusgruppe der Angestellten mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst sowie der Statusgruppe der Ausführenden Angestellten und Beamte im einfachen Dienst an, dass diese Statusgruppen hochkulturelle Geschmacks- und Verhaltensmuster weniger beeinflussen. Der Parameter φ gibt das Gewicht an, mit dem die Koeffizienten p1 , . . . , p6 in die Anteilswerte eingehen. Im vorliegenden Fall weist der Koeffizient einen Wert von φ = 0.414 auf. Dieser Wert zeigt an, dass die soziale Herkunft in Relation zu der beruflichen Stellung eines Individuums einen geringeren Einfluss auf die Anteilswerte, die den Einfluss der Herkunftsposition bzw. der Zielposition auf den Erwartungswert des Konstrukts „Hochkulturschema“ angibt, ausübt. Bei der Betrachtung der Anteilswerte, mit denen die soziale Herkunft in den Erwartungswert des Konstruktes „Hochkulturschemata“ eingeht, wird deutlich, dass die Werte bei allen Statuswechslern unter dem Wert 0.5 liegen. Die Werte zeigen an, dass die Zuneigung bzw. Abneigung zum Hochkulturschema bei allen
p1 p2 p3 p4 p5 p6
= 1.200 = 0.999 = 0.999 = 0.757 = 0.807 = 1.364 1.000 0.257 0.257 0.207 — 0.320
0.332 1.000 0.293 0.238 0.250 0.361
0.332 0.293 1.000 0.239 0.251 0.361
0.396 0.354 0.354 1.000 0.306 0.427
0.381 0.339 0.339 0.280 1.000 0.412
0.267 0.233 0.233 0.187 0.196 1.000
ARBEIT
Anmerkung: SELB.AKD = Selbständige Akademiker und höhere Beamte; SONST.SELB = Nichtakademische Selbständige; LEIT.ANG = Angestellte mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben sowie Beamte im gehobenen Dienst; QUAL.ANG = Angestellte mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst; AUS.ANG = Ausführende Angestellte und Beamte im einfachen Dienst; ARBEIT = Arbeiter und Landwirte.
SELB.AKD AND.SELB LEIT.ANG QUAL.ANG AUS.ANG ARBEIT
soziale Herkunft (j) φ = 0.414
Gewichte des Weakliem-Modells gegenwärtige Position (k) SELB. SONST. LEIT. QUAL. AUS. AKD SELB ANG ANG ANG
TABELLE 8.2
266 8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
8.2 Hochkulturschema
267
Statuswechslern stärker durch die gegenwärtige Stellung im Raum sozialer Positionen als durch die soziale Herkunft beeinflusst wird. Der Einfluss der sozialen Herkunft ist jedoch bei den einzelnen Statuswechslern sehr unterschiedlich. Vergleicht man die Anteilswerte untereinander, ist festzustellen, dass diese auf der einen Seite relativ hoch sind bei den Personen, die aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte sowie aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten in andere Statusgruppen wechseln. Auf der anderen Seite sind die Werte ebenfalls relativ hoch bei den Personen, die in die Statusgruppe der Qualifizierten Angestellten und Beamte im mittleren Dienst und in die Statusgruppe der Ausführenden Angestellten und Beamte im einfachen Dienst wechseln. Die relativ hohen Anteilswerte zeigen an, dass diese Personen in Bezug auf ihre Neigung oder Abneigung zum Hochkulturschema stärker durch ihre soziale Herkunft geprägt sind als andere Personengruppen. Im Unterschied dazu zeigen die relativ niedrigen Anteilswerte der Personen, die in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte oder in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und hohen Beamten wechseln, dass die soziale Herkunft bei diesen Personengruppen eine geringere Bedeutung hat. In diesen Werten spiegelt sich zum einen der starke Einfluss der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte sowie der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und hohen Beamten und zum anderen der im Verhältnis dazu schwache Einfluss der Statusgruppen der Qualifizierten Angestellten und Beamte im mittleren Dienst und Ausführenden Angestellte und Beamte im einfachen Dienst auf der anderen Seite wider. Bezieht man die in den folgenden Tabellen 8.3 und 8.4 dargestellten Koeffizienten, die Auskunft über den Grad der Abneigung oder Zuneigung zum Hochkulturschema geben, in die Interpretation ein, lassen sich folgende Schlüsse ziehen: Die relativ hohen Anteilswerte bei den Absteigern aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten und bei den Aufsteigern aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte zeigen an, dass Personen, die aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten in andere Statusgruppen abgestiegen sind, stärker die für ihre soziale Herkunft stärker vorhandene Neigung zum Hochkulturschema bewahren. Personen, die aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte in andere Statusgruppen aufgestiegen sind, bewahren dagegen stärker das in der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte gering ausgeprägte Interesse für die etablierte Kultur. Die relativ niedrigen Anteilswerte bei den Aufsteigern in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten sowie bei den Absteigern in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte weisen darauf hin, dass Personen, die in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und hohen Beamten aufgestiegen sind,
268
8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
stärker das in der Statusgruppe typische Interesse an der etablierten Kultur übernehmen. Personen, die aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte in andere Statusgruppen aufgestiegen sind, bewahren dagegen stärker das in der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte typische Desinteresse für die etablierte Kultur. Im Unterschied dazu halten Statuswechsler in die Statusgruppen der Qualifizierten Angestellten und Beamte im mittleren Dienst und Ausführenden Angestellten und Beamte im einfachen Dienst stärker an dem Interesse bzw. Desinteresse für die etablierte Kultur, das für die Statusgruppe, aus der sie stammen, typisch ist, fest. Statuswechsler aus diesen Statusgruppen übernehmen dagegen stärker als andere Statuswechsler die Zuneigung oder Abneigung zum Hochkulturschema der Statusgruppe, in die sie gewechselt sind. Bei einem Vergleich der Anteilswerte der Personengruppen, die aus höheren Statusgruppen in niedrigere abgestiegen sind (Werte oberhalb der Hauptdiagonalen), mit denen der Personengruppen, die in höhere Statusgruppen aufgestiegen sind (Werte unterhalb der Hauptdiagonalen), ist zu erkennen, dass die Werte bei den Absteigern im Durchschnitt etwas höher sind. Eine Ausnahme hiervon bilden die Aufsteiger aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte, was auf die oben erläuterte starke Prägung dieser Statusgruppe zurückzuführen ist. Bei einem Vergleich der Anteilswerte der Personengruppen, die aus höheren Statusgruppen in niedrigere abgestiegen sind, mit denen der Personengruppen, die in höhere aufgestiegen sind, ist deutlich zu erkennen, dass die Werte bei den Absteigern höher sind. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Absteiger alltagsästhetische Geschmackspräferenzen, die im Sozialisationsprozess durch ihre soziale Herkunftsklasse vermittelt wurden, stärker bewahren als Aufsteiger. Im Folgenden werden die geschätzten Regressionskoeffizienten für die „stayer“ und „mover“ aufgeführt. Die Effekte für die „stayer“ sind in Tabelle 8.3 dargestellt. Die Erwartungswerte in dem Konstrukt „Hochkulturschema“ nehmen bei den Personen, die sich in der ersten Zelle der Mobilitätstabelle befinden (Selbständige Akademiker und höhere Beamte, die den Status nicht gewechselt haben) den Wert 1 an, da die Regressionskonstante α1 auf diesen Wert restringiert wurde. Dies ist auf die Restriktion τ = 0, die aus Identifikationsgründen gesetzt wurde, zurückzuführen (vgl. dazu ausführlich Kapitel 3). Die Regressionskoeffizienten sind daher als Abweichungen von der Referenzkategorie zu betrachten. Die Regressionskonstante in Verbindung mit den positiven Vorzeichen der Regressionskoeffizienten weisen darauf hin, dass die Neigung zum Hochkulturschema am stärksten bei den Angehörigen der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten, deren Väter ebenfalls dieser Statusgruppe
8.2 Hochkulturschema
269
angehörten, ausgeprägt ist.1 Geringfügig schwächer ist die Zuneigung zum Hochkulturschema bei Angehörigen der Statusgruppe der Leitenden Angestellten und Beamten im gehobenen Dienst, deren Väter ebenfalls dieser Statusgruppe angehörten, ausgeprägt. Darauf weist der relativ niedrige positive Koeffizient von Leitende Angestellte auf „Hochkulturschema“ hin. Aus diesen Ergebnissen ist zu schließen, dass die Neigung zum Hochkulturschema im Durchschnitt am stärksten bei Angehörigen der über hohes kulturelles Kapital verfügenden Statusgruppen ausgeprägt ist, die bereits in ihrer Jugend dieser Statusgruppe angehörten. Deutlich niedriger ist das Interesse an der etablierten Kultur bei den Angehörigen der Statusgruppen der Nichtakademischen Selbständigen und der Angestellten mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst, deren Väter ebenfalls diesen Statusgruppen angehörten, ausgeprägt. Der hohe Koeffizient von Arbeiter und Landwirte auf „Hochkulturschema“ weist auf ein stärkeres Desinteresse der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte an der Hochkultur hin. Der ebenfalls relativ hohe Koeffizient von Ausführende Angestellte auf das Konstrukt zeigt an, dass bei Angehörigen der Statusgruppe Ausführende Angestellte und Beamte im einfachen Dienst, die diese Statusgruppe nicht verlassen haben bzw. wieder zurückgekehrt sind, eine relativ starke Abneigung gegen das Hochkulturschema besteht. Anhand dieser Ergebnisse ist zu schließen, dass Angehörige von Statusgruppen, die über sehr wenig kulturelles Kapital verfügen und die bereits in ihrer Jugend diesen Statusgruppen angehörten, eine stärkere Abneigung zum Hochkulturschema aufweisen. Die restringierten Regressionskoeffizienten für die Statuswechsler werden in Tabelle 8.4 aufgeführt. Es ist zu beachten, dass sich diese Effekte aus den oben dargestellten Regressionskoeffizienten und den Anteilswerten, mit denen der Erwartungswert des Konstruktes durch die soziale Herkunft gewichtet wird, ergeben. Die restringierten Koeffizienten sind alle positiv, was darauf hinweist, dass die Neigung zum Hochkulturschema bei allen Statuswechslern im Verhältnis zur Referenzgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten schwächer ausgeprägt ist. Bei einem Vergleich der restringierten Koeffizienten untereinander wird deutlich, dass die Werte bei den Aufsteigern in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten relativ niedrig sind. Dies weist auf eine starke Neigung zum Hochkulturschema bei diesen Personen hin. Insbe1 Über
die absolute Höhe der Ausübung hochkultureller Aktivitäten in der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten geben die Regressionskonstanten im Messmodell Auskunft, die in Tabelle 8.3 aufgeführt sind und in dem Zusammenhang interpretiert wurden.
270
8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
TABELLE 8.3 Parameterschätzer des Weakliem-Modells (“stayer“) Statusgruppe Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
Regressionskoeffizienten (αj ) 1.000 0.774 0.363 0.655 1.015 1.442
sondere ist der extrem niedrige Wert bei den Wechslern aus der Statusgruppe der Leitenden Angestellte und Beamte im gehobenen Dienst hervorzuheben, der anzeigt, das das Interesse an der etablierten Kultur fast genauso groß ist wie in der Referenzgruppe. In diesen Effekten äußert sich zum einen der starke Einfluss der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten sowie der geringe Einfluss der sozialen Herkunft bei den Aufsteigern in diese Statusgruppe. Des Weiteren zeigt ein Vergleich der restringierten Regressionskoeffizienten untereinander, dass die Werte bei allen Wechslern in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte relativ hoch sind. Die Werte weisen darauf hin, dass das Interesse an der etablierten Kultur bei den Personen, die in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte gewechselt sind, nur sehr schwach ausgeprägt sind. In diesen Effekten äußert sich einerseits der starke Einfluss der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte an sich sowie andererseits der geringe Einfluss der sozialen Herkunft bei den Absteigern in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte. Die Schätzer der Regressionskoeffizienten für die zusätzlich im Modell berücksichtigten erklärenden Variablen Geschlecht, Bildung, Alter und Laufbahn werden in Tabelle 8.5 aufgelistet. Die Koeffizienten sind auf dem 95%igen Signifikanzniveau von Null verschieden. Das Hochkulturschema wird neben der sozialen Herkunft und der sozialen Mobilität signifikant von Geschlecht, Bildung, Alter und Laufbahn(+) beeinflusst. Der negative Koeffizient von Geschlecht auf Hochkulturschema weist auf eine stärkere Zuneigung der Frauen zum Hochkulturschema hin. Des Weitern zeigt der ebenfalls negative Koeffizient von Bildung an, dass Personen mit Abitur stärker hochkulturelle Aktivitäten ausüben als Personen ohne Abitur. Dieses
Koeffizienten 0.517 0.246 0.395 0.628 1.057 0.199 0.487 0.697 0.933 1.286 0.094 0.655 0.553 0.795 1.192
Statuswechsel QUAL.ANG ⇒ SELB.AKD QUAL.ANG ⇒ SONST.SELB QUAL.ANG ⇒ LEIT.ANG QUAL.ANG ⇒ AUS.ANG QUAL.ANG ⇒ ARBEIT AUS.ANG ⇒ SONST.SELB AUS.ANG ⇒ LEIT.ANG AUS.ANG ⇒ QUAL.ANG. AUS.ANG ⇒ ARBEIT ARBEIT ⇒ SELB.AKD ARBEIT ⇒ SONST.SELB ARBEIT ⇒ LEIT.ANG ARBEIT ⇒ QUAL.ANG. ARBEIT ⇒ AUS.ANG
Koeffizienten 0.135 0.745 0.436 0.914 1.295 0.834 0.530 0.765 1.358 0.462 1.015 0.756 0.991 1.191
Anmerkung: SELB.AKD = Selbständige Akademiker und höhere Beamte; SONST.SELB = Nichtakademische Selbständige; LEIT.ANG = Angestellte mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben sowie Beamte im gehobenen Dienst; QUAL.ANG = Angestellte mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst; AUS.ANG = Ausführende Angestellte und Beamte im einfachen Dienst; ARBEIT = Arbeiter und Landwirte.
Statuswechsel SELB.AKD ⇒ SONST.SELB SELB.AKD ⇒ LEIT.ANG SELB.AKD ⇒ QUAL.ANG SELB.AKD ⇒ AUS.ANG SELB.AKD ⇒ ARBEIT SONST.SELB ⇒ SELB.AKD SONST.SELB ⇒ LEIT.ANG SONST.SELB ⇒ QUAL.ANG SONST.SELB ⇒ AUS.ANG SONST.SELB ⇒ ARBEIT LEIT.ANG ⇒ SELB.AKD LEIT.ANG ⇒ SONST.SELB LEIT.ANG ⇒ QUAL.ANG LEIT.ANG ⇒ AUS.ANG LEIT.ANG ⇒ ARBEIT
Restringierte Regressionskoeffizienten (“mover“)
TABELLE 8.4
8.2 Hochkulturschema
271
272
8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
TABELLE 8.5 Effekte exogener Variablen auf das Hochkulturschema Variablen Regressionskoeffizienten
GESCHLECHT
BILDUNG
ALTER
LAUFBAHN(+)
-0.346
-0.165
0.022
-0.143
Ergebnis macht deutlich, dass neben der sozialen Herkunft und der sozialen Mobilität noch ein zusätzlicher Effekt von der Schulbildung und damit von einer weiteren Variable, die das kulturelle Kapital repräsentiert, ausgeht. Dieser Effekt ist jedoch im Vergleich zu den Effekten sozialer Mobilität (auf Grund der gleichen Codierung können die Regressionskoeffizienten direkt miteinander verglichen werden) gering. Inhaltlich bedeutet dies, dass Personen mit Abitur eine stärkere Neigung zum Hochkulturschema aufweisen. Dabei gibt es keinen Unterschied zwischen den „movern“ und den „stayern“. Der Effekt von Alter ist zwar signifikant, aber nicht relevant von Null verschieden. Dies unterscheidet sich erheblich von anderen Ergebnissen in diesem Bereich wie z.B. Hartmann (1999). Lebenszykluseffekte ebenso wie Kohorteneffekte sind bezüglich der Neigung zum Hochkulturschema zu vernachlässigen, wenn Mobilitätsprozesse berücksichtigt werden. Neben der intergenerationellen Mobilität ist ein intragenerationeller Effekt auf das Hochkulturschema festzustellen. Der negative Koeffizient von Laufbahn(+) auf das Hochkulturschema zeigt an, dass Aufstiegserfahrungen im Lebenslauf einer Person die Neigung zum Hochkulturschema erhöhen. Das Interesse an der etablierten Kultur wird stärker, wenn im Lebenslauf Aufstiegserfahrungen gemacht wurden. Dies gilt auch dann, wenn wieder in die Herkunftsklasse zurückgekehrt wurde. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass es einen Zusammenhang zwischen der Stellung im Raum sozialer Positionen und der Neigung oder Abneigung gegenüber dem Hochkulturschema gibt. Dieser Zusammenhang ist allerdings nicht so stark, dass von einer deterministischen Zuordnung einer spezifischen Stellung im Raum sozialer Positionen zu einem bestimmten Grad an Neigung zum Hochkulturschema ausgegangen werden kann. Die Neigung zum Hochkulturschema ist bei Inhabern gleicher Positionen unterschiedlich stark ausgeprägt. Ein Teil dieser Variation wird durch die soziale Herkunft erklärt. Aus den Ergebnissen ist
8.2 Hochkulturschema
273
zu schließen, dass die Neigung zum Hochkulturschema sowohl durch die soziale Herkunft und die sozialisationsspezifische Entwicklung eines Subjekts geprägt ist als auch durch die gegenwärtige Stellung, die eine Person im Raum sozialer Positionen einnimmt. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Neigung zum Hochkulturschema nachlässt, wenn ein Statuswechsel vollzogen wurde. Der Einfluss, den die intergenerationelle Mobilität auf die Zubzw. Abneigung zum Hochkulturschema ausübt, ist sehr stark. Die Ergebnisse zeigen, dass die Neigung zum Hochkulturschema stärker durch die gegenwärtige Position als durch die soziale Herkunft beeinflusst wird. Daraus folgt, dass die Anpassungen der Personen an veränderte Ressourcenlagen sehr stark ausgeprägt ist: Personen orientieren sich stärker an der Statusgruppe, in die sie hineingewechselt sind als an ihrer sozialen Herkunftsklasse. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass sich durch einen Statuswechsel auch lebensstilgenerierende Mechanismen verändern und damit der Einfluss der sozialen Herkunft verringert wird. Diese Aussage ist aber relativ: Der Einfluss der sozialen Herkuft auf die Neigung zum Hochkulturschema verringert sich durch die soziale Mobilität, er verschwindet aber nicht gänzlich. Die Frage, ob der Einfluss der beruflichen Position zunimmt und damit verbunden, der Einfluss der sozialen Herkunft abnimmt, je länger eine Person die Position einnimmt, kann leider auf Grund fehlender Längsschnittdaten und Angaben über die Dauer der Zugehörigkeit zu der jeweiligen Statusgruppe nicht abschließend beantwortet werden. Die Stärke des Einflusses sozialer Mobilität ist somit von der jeweils spezifischen Herkunftsklasse als auch gleichzeitig von der Klasse, in die eine Person gewechselt ist, abhängig. Die Primärsozialisation und die damit verbundenen unterschiedlichen kulturellen aber auch materiellen Ausgangsbedingungen prägen also den Grad der Zu- oder Abneigung zum Hochkulturschema, wobei die Stärke der Prägung durch die spezifische Herkunftsklasse wiederum abhängig davon ist, in welche spezifische Klasse eine Person gewechselt ist. Daraus folgt, dass die sozialen Klassen sich sowohl in ihrer Fähigkeit unterscheiden, hochkulturelle Geschmackspräferenzen bei ihren ehemaligen Angehörigen nachhaltig zu prägen, als auch darin, ihre neuen Angehörigen diesbezüglich zu sozialisieren. Die Statusgruppen, die sich jeweils am „oberen“ und „unteren“ Rand des sozialen Raumes befinden – also die Statusgruppe, die über die höchsten kulturellen und ökonomischen Ressourcen (Selbständige Akademiker und höhere Beamte) und die über die geringsten Ressourcen (Arbeiter und Landwirte) verfügen – weisen eine stärkere Prägekraft auf. Die „mittleren“ Klassen hingegen verfügen in beiden Dimensionen über eine geringere Prägekraft.
274
8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
Werden Auf- und Absteiger bezüglich der nachhaltigen Prägung ihrer Herkunftsklasse verglichen, zeigt sich, dass die Absteiger eher dazu tendieren, sich an ihrer sozialen Herkunftsklasse zu orientieren als Aufsteiger. Absteiger bewahren also stärker die Neigung zum Hochkulturschema, die im Sozialisationsprozess durch ihre soziale Herkunftsklasse vermittelt wurde, während Aufsteiger sich stärker von ihrer Herkunftsklasse distanzieren. Dies gilt jedoch nicht für Personen, die aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte aufgestiegen sind. Diese bewahren stärker das für ihre Herkunftsklasse im höheren Ausmaß vorhandene Desinteresse an Hochkultur. Resümierend bleibt festzuhalten, dass sich in einer gegebenen Statusgruppe einerseits die Personen, die Erfahrungen von sozialer Mobilität gemacht haben, von denen, die sie nicht gemacht haben unterscheiden und dass sich andererseits die Auf- und Absteiger in einer gegebenen Klasse voneinander unterscheiden. Allerdings ist hier wiederum die Prägekraft der jeweiligen Statusgruppen in Rechnung zu stellen. So prägt die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte stärker als andere Gruppen das Verhältnis zum Hochkulturschema sowohl ihrer ehemaligen Angehörigen, welche in eine andere Klasse aufgestiegen sind, als auch das der Neumitglieder, die aus einer anderen Statusgruppe abgestiegen sind. Beide Mobilitätsrichtungen werden stark durch das vorherrschende Desinteresse am Hochkulturschema in der Statusgruppe Arbeiter und Landwirte bestimmt. Unter positiven Vorzeichen gilt das ebenso für die Statusguppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten. Der Grad der Zu- oder Abneigung zum Hochkulturschema ist bekanntermaßen klassenspezifisch. Ebenso klassenspezifisch ist die Prägekraft der Primärsozialisation sowie die Fähigkeit, Statuswechsel in die klassenspezifischen Geschmackspräferenzen einzubinden.
8.3 Trivialschema Im Folgenden wird der Einfluss sozialer Herkunft und sozialer Mobilität auf das Trivialschema modelliert. Da das Trivialschema ein theoretisches Konstrukt ist, das erst mit Hilfe eines Messmodells mit den beobachteten Indikatoren in Beziehung gesetzt wird, werden die Einflüsse unter Verwendung der Mobilitätsmodelle mit latenten Variablen spezifiziert. Auf Grund umfangreicher Untersuchungen (Schulze 1992; Lechner 1998; Hartmann 1999) ist bekannt, dass das Trivialschema stark positiv vom Alter und stark negativ von der Bildung beeinflusst wird. Eigene Voranalysen gelangten ebenfalls zu dem Befund starker positiver Effekte von Alter und Bildung. Diese Analysen weisen auch auf hohe Korrelationen der Variablen Alter und Bildung
8.3 Trivialschema
275
mit den Modellvariablen hin. Durch die Aufnahme der Variablen Bildung konnte ein Teil der erklärten Varianz von der beruflichen Position auf die Bildung verlagert werden. Trotzdem ist die Variable Berufsposition von hohem inhaltlichen Interesse, da sie den Prozess der Wirkung der Ergänzungsvariablen auf das Trivialschema beschreibt. Darüber hinaus kann in einem derartigen Gesamtmodell abgeschätzt werden, wie hoch der direkte Effekt der Bildungsvariablen und wie hoch der verbleibende Effekt der beruflichen Position ist. Als zusätzliche explanatorische Variablen werden neben den Variablen Alter und Bildung die Region in das Mobilitätsmodell integriert. Die Variable Region wurde auf Grund vorhergehender Analysen aufgenommen, die zeigten, dass die Modellanpassung durch die zusätzliche Aufnahme von Interaktionseffekten der Variablen Region mit den Modellvariablen verbessert werden konnte. Die Effekte sozialer Herkunft und der gegenwärtigen Stellung im Raum sozialer Positionen auf das Trivialschema wurden zunächst unter Anwendung des „diagonal mobility“ Modells und im Anschluss daran mit den Modellen, die weniger starke Restriktionen auf die Anteilswerte formulieren, spezifiziert, geschätzt und getestet. Als Startwerte für die dritte Stufe der Schätzung werden wiederum die Ergebnisse eines unrestringierten Modells und die Ergebnisse der Parameterschätzungen des Messmodells unter Verwendung von LISREL (Jöreskog und Sörbom 1993) eingesetzt. Nachdem die Schätzergebnisse vorlagen, wurde überprüft, welche Spezifikation die beste Anpassung an die Daten erzielt. Auf Grund der Teststatistiken und des Informationskriteriums werden im Folgenden das „diagonal mobility 1“ Modell zur Spezifikation der Effekte verwendet. Daraus ist zu schließen, dass der Einfluss der sozialen Herkunft und der sozialen Mobilität nach der jeweils spezifischen sozialen Herkunft variiert. Die Modellanpassung konnte durch die Einbeziehung von Interaktionseffekten zwischen den Mobilitätsvariablen und den erklärenden Variablen verbessert werden. Zur Beurteilung der Güte der Modellanpassung wurde die Teststatistik χ2 bzw. das Informationskriterium BIC herangezogen. Die Minimum-Distanz-Schätzung ergibt eine χ2 Statistik von 442.841 bei 484 Freiheitsgraden (BIC = 557.727). Daher wird die Nullhypothese, dass die Parameter der reduzierten Form durch das gewählte Modell generiert wurden, auf Grund der Daten dieser Stichprobe auf dem Testniveau von α = 0.05 angenommen. Auf Grund der Testergebnisse ist zu schließen, dass der Einfluss der erklärenden Variablen Bildung, Alter und Region nach der sozialen Herkunft und der beruflichen Stellung variiert. Deshalb werden im Folgenden die Schätzergebnisse der Spezifikation der Effekte sozialer Herkunft und sozialer Mobilität unter Verwendung des „diagonal mobility 1“ Modells mit latenter abhängiger Variablen und weiteren erklärenden Variablen
276
8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
TABELLE 8.6 Messmodell für das Trivialschema Indikatoren Interesse für Volksmusik Interesse für Schlagermusik Interesse für Shows und Quizsendungen Interesse für Heimatfilme Interesse für Unterhaltungsserien
NU 3.688 (24.232) 2.568 (19.817) 3.528 (26.356) 4.288 (27.963) 3.921 (29.994)
LAMBDA 1.000 — 0.713 (24.295) 0.653 (23.386) 0.982 (28.321) 0.695 (23.392)
THETA 0.965 (23.816) 0.931 (28.565) 0.892 (29.214) 0.804 (22.313) 1.011 (29.209)
Anmerkung: Die in Klammern dargestellten Werte sind die z-Werte für jeden Koeffizienten, die mit Hilfe des MECOSA 3-Programms berechnet wurden.
sowie Interaktionseffekten zwischen den erklärenden Variablen und den Modellvariablen dargestellt und interpretiert. Dieses Modell erklärt inhaltlich 40.2% Varianz des Konstrukts „Trivialschema“. Die Parameterschätzer für das Messmodell sind in Tabelle 8.6 aufgeführt. Die Regressionskonstanten der Indikatoren sind die Erwartungswerte, die die Referenzkategorie – also die Selbständigen Akademiker und hohen Beamten, deren Väter bereits ebenfalls dieser Statusgruppe angehörten – in den Indikatoren (abzüglich der Konstanten 1 aus dem Strukturmodell) aufweisen. Bei der Betrachtung der Regressionskonstanten wird deutlich, dass diese in allen Indikatoren sehr hoch sind. Sie zeigt an, dass insgesamt in dieser Gruppe eine stärkere Abneigung zum Trivialschema besteht. Der Indikator „Präferenz für Volksmusik“ dient als Referenzindikator für das Konstrukt „Trivialschema“. Daher ist die entsprechende Faktorladung auf den Wert 1 restringiert. Die relativ hohe positive Faktorladung des Indikators „Interesse an Heimatfilmen“ auf den Faktor Hochkulturschema weist darauf hin, dass das Trivialschema in etwa gleich stark mit dem Interesse an dieser Form von Unterhaltungssendungen assoziiert ist. Die Struktur der Faktorenladungen zeigt, dass das Trivialschema mit allen übrigen Indikatoren zur Messung des Trivialschemas schwächer assoziiert ist. Die Faktorladungen dieser Indikatoren
277
8.3 Trivialschema
TABELLE 8.7 Relative Einflussstärken (Anteile) soziale Herkunft Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
(πj ) 0.745 0.269 0.567 0.276 0.270 0.689
unterscheiden sich nicht sehr stark voneinander. In Tabelle 8.7 sind die Anteilswerte, die Auskunft darüber geben, mit welchem Anteil der Erwartungswert des Konstrukts „Trivialschema“ durch die soziale Herkunft beeinflusst wird, aufgeführt. Alle Parameterschätzer sind auf dem 95%-Niveau signifikant von Null verschieden. Bei einem Vergleich der Anteilswerte wird deutlich, dass diese extrem stark voneinander abweichen. Der Einfluss der sozialen Herkunft auf das Trivialschema ist sehr hoch bei Personen, die entweder aus Statusgruppen stammen, die über hohes kulturelles Kapital verfügen (Selbständige Akademiker und höhere Beamte oder Leitende Angestellte und Beamte im gehobenen Dienst) oder aus der Statusgruppe, die am wenigsten über Kapitalien verfügt (Arbeiter und Landwirte). Die damit verbundenen relativ niedrigen Anteilswerte, mit denen die Erwartungswerte des Konstruktes „Trivialschema“ durch die jetzige Stellung des Befragten im Raum sozialer Positionen gewichtet werden, zeigen an, dass die Neigung bzw. Abneigung gegenüber volkstümlicher Kulturformen nur schwach durch die berufliche Position eines Individuums beeinflusst wird, wenn das Individuum entweder aus einer Familie stammt, die über hohes kulturelles Kapital verfügt oder aber aus einer Familie, die über sehr geringes kulturelles Kapital verfügt. Es ist dabei unabhängig, welcher Statusgruppe die Untersuchungseinheit zum Zeitpunkt der Befragung angehörte. Daraus ist zu schließen, dass diese Statusgruppen einen starken Effekt bezüglich des Interesses oder Desinteresses an der trivialen Kultur ausüben, der auch dann noch wirkt, wenn die Person bereits in eine andere Statusgruppe gewechselt ist. Im Gegensatz zu diesen Statusgruppen ist der Anteil, mit dem die soziale Herkunft in den Erwartungswert des Konstruktes eingeht, dann gering, wenn
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8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
die soziale Herkunft einer Person in den Statusgruppen der a) Sonstigen Selbständigen, b) Qualifizierten Angestellten oder c) Ausführenden Angestellten zu finden ist. Es ist dabei unabhängig, in welche Statusgruppe das Individuum gewechselt ist. Diese relativ niedrigen Anteilswerte lassen sich dahingehend interpretieren, dass die mittleren Statusgruppen in ihrer Funktion als primäre Sozialisationsinstanz weniger fähig sind, dieses alltagsästhetische Schema nachhaltig zu prägen. Das Interesse oder Desinteresse an der Trivialkultur wird bei diesen Statuswechslern in Relation zur sozialen Herkunft im stärkeren Maße durch die gegenwärtige Stellung im Raum sozialer Positionen beeinflusst. Anhand dieser Ergebnisse ist zu schließen, dass auf der einen Seite die Statusgruppen mit hohem kulturellen Kapital (Selbständige Akademiker und höhere Beamte sowie der Leitenden Angestellten und Beamten im gehobenen Dienst) einen starken Einfluss auf die Abneigung gegenüber der volkstümlichen Kulturform ausüben. Auf der anderen Seite übt die Statusgruppe mit dem geringsten Kapitalumfang (Arbeiter und Landwirte) ebenfalls einen sehr starken Einfluss auf ihre ehemaligen Angehörigen aus. Im Folgenden werden die geschätzten Regressionskoeffizienten, die den Effekt der Zugehörigkeit zu den einzelnen Statusgruppen auf das Trivialschema ausüben, aufgeführt. Tabelle 8.8 stellt die Koeffizienten für die Immobilen dar. Alle Parameterschätzer sind auf dem 0.05 Testniveau signifikant von Null verschieden. Die Erwartungswerte in dem Konstrukt „Trivialschema“ nehmen bei den Personen, die sich in der ersten Zelle der Mobilitätstabelle befinden (Selbständige Akademiker und höhere Beamte) den Wert 1 an, da die Regressionskonstante aus Identifikationsgründen auf diesen Wert restringiert wurde. Genau wie in der vorhergehenden Analyse der Effekte auf das Hochkulturschema, sind die Regressionskoeffizienten daher als Abweichungen von der Referenzkategorie zu betrachten. Auf Grund der Aufnahme weiterer erklärender Variablen ist bei der Interpretation der Koeffizienten zu beachten, dass sie nur für die Personen gelten, die in den erklärenden Variablen den Wert 0 (bei Dummy-Variablen) oder den niedrigsten Wert (bei metrischen Variablen) annehmen. Die Effekte der erklärenden Variablen sowie die zusätzlichen Effekte werden erst im weiteren Verlauf dargestellt. Der nur unwesentlich von Null verschiedene Regressionskoeffizient von Arbeiter auf das Trivialschema zeigt an, dass sich die Personengruppen der Arbeiter und Landwirte, deren Väter ebenfalls diesen Statusgruppen angehörten, in ihrer Neigung zum Trivialschema nicht wesentlich von der Referenzkategorie unterscheidet. Im Unterschied dazu zeigen die relativ hohen Koeffizienten in Verbindung mit den negativen Vorzeichen von Sonstigen Selbständigen, Quali-
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8.3 Trivialschema
TABELLE 8.8 Parameterschätzer des “diagonal mobility 1“Modells (“stayer“) Statusgruppe Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
Regressionskoeffizienten (αj ) 1.000 -0.359 0.100 -0.344 -0.299 0.030
fizierten Angestellten und Ausführenden Angestellten auf das Trivialschema an, dass die Präferenz für volkstümliche Kulturformen bei den Folgenden „Kernstatusgruppen“ relativ stark ausgeprägt ist: a) Nichtakademischen Selbständigen, b) Qualifizierten Angestellten und Beamten im mittleren Dienst und c) Ausführenden Angestellten und Beamten im mittleren Dienst. In Tabelle 8.9 sind die restringierten Regressionskoeffizienten aufgeführt. Bei der Betrachtung der restringierten Koeffizienten wird deutlich, dass sich die Koeffizienten entweder um der Wert 0 oder um den Wert −0.3 gruppieren. Die Werte, die sich innerhalb dieser beiden Gruppen befinden, weichen nur geringfügig voneinander ab. Diese Polarisierung ist zum einen auf den starken Einfluss der sozialen Herkunft (wenn ein Individuum aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten, der Leitenden Angestellten sowie Beamte im gehobenen Dienst oder der Arbeiter und Landwirte stammt) in Verbindung mit den geringen Abweichungen der Leitenden Angestellten sowie Beamte im gehobenen Dienst und der Arbeiter und Landwirte von den Selbständigen Akademikern und höheren Beamten in ihrer Abneigung gegenüber der volkstümlichen Kultur zurückzuführen. Zum anderen ist die Polarisierung zurückzuführen auf den geringen Einfluss der sozialen Herkunft (wenn ein Individuum aus der Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen, Qualifizierten Angestellten und Beamten im mittleren Dienst oder Ausführenden Angestellten und Beamten im einfachen Dienst stammt) in Verbindung mit den stärkeren Abweichungen der „stayer“ dieser Statusgruppen von der Referenzkategorie. Die restringierten Koeffizienten für die Statuswechsler lassen sich entsprechend folgendermaßen interpretieren: Statuswechsler aus den Statusgruppen der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten, Leitenden Angestellten und
Koeffizienten -0.091 0.025 -0.087 -0.076 0.007 -0.097 -0.024 -0.348 -0.315 -0.075 0.057 -0.098 -0.092 -0.073 0.070
Statuswechsel QUAL.ANG ⇒ SELB.AKD QUAL.ANG ⇒ SONST.SELB QUAL.ANG ⇒ LEIT.ANG QUAL.ANG ⇒ AUS.ANG QUAL.ANG ⇒ ARBEIT AUS.ANG ⇒ SONST.SELB AUS.ANG ⇒ LEIT.ANG AUS.ANG ⇒ QUAL.ANG. AUS.ANG ⇒ ARBEIT ARBEIT ⇒ SELB.AKD ARBEIT ⇒ SONST.SELB ARBEIT ⇒ LEIT.ANG ARBEIT ⇒ QUAL.ANG. ARBEIT ⇒ AUS.ANG
Koeffizienten -0.095 -0.355 -0.023 -0.311 -0.073 -0.343 -0.008 -0.332 -0.059 0.021 -0.091 0.052 -0.086 -0.072
Anmerkung: SELB.AKD = Selbständige Akademiker und höhere Beamte; SONST.SELB = Nichtakademische Selbständige; LEIT.ANG = Angestellte mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben sowie Beamte im gehobenen Dienst; QUAL.ANG = Angestellte mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst; AUS.ANG = Ausführende Angestellte und Beamte im einfachen Dienst; ARBEIT = Arbeiter und Landwirte.
Statuswechsel SELB.AKD ⇒ SONST.SELB SELB.AKD ⇒ LEIT.ANG SELB.AKD ⇒ QUAL.ANG SELB.AKD ⇒ AUS.ANG SELB.AKD ⇒ ARBEIT SONST.SELB ⇒ SELB.AKD SONST.SELB ⇒ LEIT.ANG SONST.SELB ⇒ QUAL.ANG SONST.SELB ⇒ AUS.ANG SONST.SELB ⇒ ARBEIT LEIT.ANG ⇒ SELB.AKD LEIT.ANG ⇒ SONST.SELB LEIT.ANG ⇒ QUAL.ANG LEIT.ANG ⇒ AUS.ANG LEIT.ANG ⇒ ARBEIT
Restringierte Regressionskoeffizienten („mover“)
TABELLE 8.9
280 8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
281
8.3 Trivialschema
TABELLE 8.10 Effekte exogener Variablen auf das Trivialschema Variablen Regressionskoeffizienten
BILDUNG -0.023
ALTER -0.216
REGION 0.560
Beamte im gehobenen Dienst und Arbeiter und Landwirte sowie Statuswechsler in diese Statusgruppen weichen in ihrer stärkeren Abneigung gegenüber dem Trivialschema nicht wesentlich von der Referenzgruppe, also den selbständigen Akademikern und höheren Beamten, deren Väter ebenfalls der jeweiligen Statusgruppe angehörten, ab. Dagegen interessieren sich die Statuswechsler, die aus einer der Statusgruppen der Sonstigen Selbständigen, Qualifizierten Angestellten sowie Beamte im mittleren Dienst und Ausführenden Angestellten und Beamte im einfachen Dienst in eine dieser aufgeführten Statusgruppen gewechselt sind, stärker für die volkstümliche Kultur. An dieser Stelle sei noch einmal darauf verwiesen, dass sich die Interpretation auf die jungen, männlichen und in Westdeutschland Lebenden bezieht. Die Schätzer der Regressionskoeffizienten für die zusätzlich im Modell berücksichtigten erklärenden Variablen Bildung, Alter und Region werden in Tabelle 8.10 aufgelistet. Die Koeffizienten sind alle auf dem 95%igen Signifikanzniveau von Null verschieden. Da die Personengruppe der selbständigen Akademiker und höheren Beamten, die ihre Statusgruppe nicht verlassen haben, die Referenzkategorie ist, sind diese Koeffizienten auch nur für diese Gruppe zu interpretieren. Für alle anderen Personengruppen sind die Koeffizienten in Verbindung mit den Interaktionseffekten zu interpretieren. Der relativ hohe Koeffizient von Region auf das Trivialschema weist auf eine stärkere Abneigung der in den ostdeutschen Bundesländern wohnenden selbständigen Akademiker und höheren Beamten, deren Väter ebenfalls selbständige Akademiker oder höhere Beamte waren, hin. Diese stärkere Abneigung der selbständigen Akademiker in den ostdeutschen Bundesländern könnte darauf zurückzuführen sein, dass allgemein ostdeutsche Akademiker homogener in ihren Geschmackspräferenzen sind, während westdeutsche Akademiker heterogener sind. Letzteres könnte wiederum mit der Bildungsexpansion zusammenhängen. Diese unterschiedlichen Präferenzausprägungen lassen sich indirekt auch anhand eines Vergleichs der Ergebnisse von Lechner (1998) für Chemnitz und Hartmann (1999) für Köln herauslesen.
282
8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
Der negative Koeffizient von Alter auf das Trivialschema zeigt an, dass das Interesse an volkstümlichen Kulturformen mit dem Alter zunimmt. Der Koeffizient von Bildung ist zwar signifikant aber nicht relevant von Null verschieden. Dies verwundert nicht weiter, da diese Statusgruppe fast ausschließlich Personen mit diesem Bildungstitel umfasst. In Tabelle 8.11 sind die zusätzlichen Effekte der übrigen Personengruppen (nicht Referenzkategorie) aufgeführt. Bei der Betrachtung der Werte wird deutlich, dass die exogenen Variablen Bildung, Alter und Region in Abhängigkeit von der sozialen Herkunft und der jeweiligen Stellung im Raum sozialer Positionen einen unterschiedlichen Effekt auf die Neigung zum Trivialschema ausüben. In der ersten Spalte sind die Interaktionseffekte der Variablen Bildung mit den die einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle repräsentierenden Dummy-Variablen aufgelistet. Der Effekt der Bildung ist besonders stark bei den sonstigen Selbständigen, deren Väter ebenfalls sonstige Selbständige waren. Personen, die in dieser Personengruppe über ein Abitur verfügen, lehnen die volkstümlichen Kulturformen wesentlich stärker ab als Personen ohne Abitur in dieser Gruppe. Etwas geringer ist der Effekt der Bildung in den Personengruppen der Leitenden Angestellten und Beamten im gehobenen Dienst und Qualifizierten Angestellten und Beamte im mittleren Dienst, die ihre Statusgruppe nicht gewechselt haben bzw. wieder in diese Gruppen zurückgekehrt sind. Auch hier wird das Trivialschema von Personen mit höherer Schulbildung stärker abgelehnt. Bei der Betrachtung der Koeffizienten für die Statuswechsler ist zu erkennen, dass der Effekt der Bildung nur bei den Statuswechslern zwischen den Statusgruppen der Nichtakademischen Selbständigen, Leitenden Angestellten und Beamte im gehobenen Dienst und Qualifizierten Angestellten und Beamte im mittleren Dienst und bei den Wechslern der Statusgruppe der Ausführenden Angestellten und Beamte im einfachen Dienst in die der Nichtakademischen Selbständigen aufzufinden ist. In dieser Gruppe lehnen Personen mit Abitur das Trivialschema ebenfalls stärker ab als Personen ohne Abitur. Bei allen anderen Statuswechslern hat die Bildung keinen relevanten Effekt auf die Neigung zum Trivialschema. In der zweiten Spalte sind die Interaktionseffekte der Variablen Alter mit den die einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle repräsentierenden Dummy-Variablen aufgelistet. Es ist zu beachten, dass die Interaktionseffekte im Zusammenhang mit dem in Tabelle 8.10 aufgeführten Regressionskoeffizienten zu interpretieren sind. Berücksichtigt man zusätzlich die Skalierung der Variablen Alter, ist insgesamt zu schließen, dass in allen Personengruppen das Alter einen starken Effekt auf die Neigung zum Trivialschema ausübt. In allen Personengruppen nimmt das Interesse für volkstümliche Kulturformen mit dem Alter extrem zu. Inner-
283
8.3 Trivialschema
TABELLE 8.11 Interaktionseffekte der Modellvariablen mit ALTER, BILDUNG und REGION Statuswechsel SONST.SELB LEIT.ANG QUAL.ANG AUS.ANG ARBEIT SELB.AKD ⇒ SONST.SELB SELB.AKD ⇒ LEIT.ANG SELB.AKD ⇒ QUAL.ANG SELB.AKD ⇒ AUS.ANG SELB.AKD ⇒ ARBEIT SONST.SELB ⇒ SELB.AKD SONST.SELB ⇒ LEIT.ANG SONST.SELB ⇒ QUAL.ANG SONST.SELB ⇒ AUS.ANG SONST.SELB ⇒ ARBEIT LEIT.ANG ⇒ SELB.AKD LEIT.ANG ⇒ SONST.SELB LEIT.ANG ⇒ QUAL.ANG LEIT.ANG ⇒ AUS.ANG LEIT.ANG ⇒ ARBEIT QUAL.ANG ⇒ SELB.AKD QUAL.ANG ⇒ SONST.SELB QUAL.ANG ⇒ LEIT.ANG QUAL.ANG ⇒ AUS.ANG QUAL.ANG ⇒ ARBEIT AUS.ANG ⇒ SONST.SELB AUS.ANG ⇒ LEIT.ANG AUS.ANG ⇒ QUAL.ANG AUS.ANG ⇒ ARBEIT ARBEIT ⇒ SELB.AKD ARBEIT ⇒ SONST.SELB ARBEIT ⇒ LEIT.ANG ARBEIT ⇒ QUAL.ANG ARBEIT ⇒ AUS.ANG
BILDUNG 0.611 0.357 0.319 0.038 0.077 0.161 0.097 0.087 0.004 0.025 0.171 0.448 0.421 0.159 0.244 0.215 0.489 0.364 0.209 0.259 0.095 0.553 0.369 0.083 0.167 0.458 0.273 0.245 0.068 0.069 0.266 0.187 0.175 0.064
ALTER -0.098 -0.265 -0.166 -0.474 -0.331 0.030 -0.012 0.012 -0.066 -0.029 0.032 -0.004 0.067 -0.157 -0.052 -0.028 0.023 -0.006 -0.139 -0.078 0.013 0.098 -0.022 -0.173 -0.069 0.016 -0.106 -0.034 -0.154 -0.079 -0.043 -0.095 -0.064 -0.159
REGION -1.187 -0.472 -0.468 -0.172 -0.557 -0.446 -0.264 -0.263 -0.187 -0.286 -0.473 -1.229 -1.227 -1.011 -1.292 -0.588 -1.346 -1.035 -0.907 -1.073 -0.286 -1.553 -1.036 -0.819 -1.097 -1.447 -0.955 -0.953 -1.017 -0.773 -1.317 -1.095 -1.095 -1.002
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8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
halb der Personengruppen ist der Effekt von Alter jedoch sehr unterschiedlich. Die Neigung zum Trivialschema steigt besonders bei den Personen mit zunehmendem Alter extrem an, die der Statusgruppe der Ausführenden Angestellten und einfachen Beamten oder der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte angehören und deren Väter ebenfalls diesen Statusgruppen angehörten. In Relation dazu etwas geringer, aber ebenfalls sehr stark steigt das Interesse für die volkstümlichen Kulturformen mit zunehmendem Alter bei den Leitenden Angestellten und Beamten im gehobenen Dienst und den Qualifizierten Angestellten und Beamten im mittleren Dienst, die ihre Statusgruppe nicht verlassen haben. Bei den Statuswechslern steigt die Neigung zum Trivialschema mit zunehmendem Alter bei allen Wechslern in die Statusgruppe der Ausführenden Angestellten und einfachen Beamten stärker an als bei den anderen Statuswechslern. In allen anderen Personengruppen steigt das Interesse für volkstümliche Kulturformen mit zunehmenden Alter nicht stärker als in der Referenzgruppe. In der dritten Spalte sind die Interaktionseffekte der Variablen Region mit den die einzelnen Zellen der Mobilitätstabelle repräsentierenden Dummy-Variablen aufgelistet. Es ist zu beachten, dass die Effekte additiv mit dem relativ hohen positiven Regressionskoeffizienten der Referenzkategorie zu interpretieren sind. Bei der Betrachtung der Vorzeichen der Interaktionseffekte wird deutlich, dass alle negative Vorzeichen aufweisen. Dies ist ein Hinweis darauf, dass der in der Referenzgruppe vorhandene große Unterschied zwischen Personen mit Wohnsitz in den westdeutschen Bundesländern zu denen mit Wohnsitz in den ostdeutschen Bundesländern in den anderen Personengruppen entweder nicht so groß ist oder der Effekt sogar gegensätzlich ist. Der hohe negative Interaktionseffekt der Variablen SONST.SELB und REGION zeigt an, dass der Effekt von REGION auf das Trivialschema sich völlig ins Gegenteil wandelt. Demnach interessieren sich in der Gruppe der Nichtakademischen Selbständigen, die ihre Statusgruppe nicht gewechselt haben, stärker die Bewohner der ostdeutschen Bundesländer für die volkstümlichen Kulturformen als die Bewohner der westdeutschen Bundesländer. Bei den Arbeitern und Landwirten, die ihren Status nicht gewechselt haben, heben sich die Werte gegenseitig auf, so dass es zwischen Ost- und Westdeutschen keinen Unterschied in dem Interesse gibt. Der Unterschied zwischen den Bewohnern der alten und neuen Bundesländer in ihrer Neigung zum Trivialschema ist ebenfalls nicht sehr stark bei den Leitenden Angestellten und Beamten im gehobenen Dienst und bei den Qualifizierten Angestellten und Beamten im mittleren Dienst, die ihren Status nicht gewechselt haben. Lediglich bei den Ausführende Angestellte und Beamten im einfachen Dienst, die ihren Status nicht gewechselt haben, ist das Interesse an volkstümli-
8.3 Trivialschema
285
chen Kulturformen stärker bei den Bewohnern der westdeutschen Bundesländer ausgeprägt. Im Vergleich zu der Referenzkategorie ist der Unterschied jedoch nicht so hoch. Betrachtet man die Werte für die Statuswechsler, zeigt sich, dass die meisten Interaktionseffekte extrem hoch und negativ sind. Dies bedeutet, dass bei den meisten Statuswechslern die Ostdeutschen eine stärkere Neigung zum Trivialschema aufweisen als Westdeutsche. Eine große Ausnahme hiervon bilden die Statuswechsler aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten. Die Bewohner der westdeutschen Bundesländer unter diesen Statuswechslern lehnen das Trivialschema nicht so stark ab wie Ostdeutsche. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Erklärungskraft für das Trivialschema durch eine umfassende Berücksichtigung von Mobilitätsprozessen und Interaktionen zwischen den Modellvariablen zur Erfassung von Mobilitätprozessen und den Variablen Alter, Bildung und Region extrem hoch ist. Das „diagonal mobility 1“ Modell konnte insgesamt am besten an die Daten der reduzierten Form angepasst werden. Dieses Modell erklärt inhaltlich immerhin über 40% Varianz des Konstrukts „Trivialschema“. Die Ergebnisse der Parameterschätzungen sind dahingehend zu interpretieren, dass der Einfluss der sozialen Mobilität entschieden davon abhängt, in welcher Statusgruppe eine Person aufgewachsen ist. Die Stärke des Einflusses der sozialen Mobilität, und damit verbunden auch der Einfluss der sozialen Herkunft, variiert nach der jeweils spezifischen Herkunftsklasse. Im Unterschied zum Hochkulturschema variiert der Einfluss jedoch nicht gleichzeitig mit der Richtung der sozialen Mobilität. Insgesamt ist eine Polarisierung auf zwei Kategorien von Statusgruppen festzustellen: Auf der einen Seite befinden sich die Statusgruppen, die über einen extrem starken nachhaltigen Einfluss bezüglich des Interesses oder Desinteresses an der Trivialkultur auf ihre ehemaligen Angehörigen ausüben. Dazu zählen die Statusgruppen, die über extrem hohes kulturelles Kapital verfügen (Selbständige Akademiker und höhere Beamte und Leitende Angestellte und gehobene Beamte) sowie die über den geringsten Umfang an Kapitalien verfügen (Arbeiter und Landwirte). Diese Statusgruppen verfügen über eine stärkere Fähigkeit, eine Neigung oder Abneigung zur Trivialkultur zu prägen, die auch bei einem Statuswechsel noch beibehalten wird. Auf der anderen Seite befinden sich die „mittleren“ Statusgruppen, die insgesamt über eine geringere nachhaltige Prägekraft bezüglich der Neigung zur Trivialkultur verfügen. Diese unterschiedlich stark ausgeprägte Fähigkeit der Sozialisierung ehemaliger Angehöriger wirkt sich ensprechend bei Mobilitätsprozessen aus. Auf Grund der Vielzahl von Interaktionen zwischen den explanatorischen
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8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
Variablen und den Mobilitätsvariablen kann die Neigung oder Abneigung zum Trivialschema schematisch nicht so einfach aufgezeigt werden wie beim Hochkulturschema. Innerhalb einiger Statusgruppen ist eine starke Variation festzustellen, die zu einem großen Teil durch die Variablen Region, Alter und Bildung erklärt werden kann. So konnte z.B. festgestellt werden, dass sich die „Kernstatusgruppen“ der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten und Arbeiter und Landwirte – also die „mover“, die jung, männlich sind und in den westdeutschen Bundesländern wohnen –, nicht sehr stark in ihrer Abneigung zum Trivialschema unterscheiden und dass das Interesse an der volkstümlichen Kulturform stärker in den „Kernstatusgruppen“ der Nichtakademischen Selbständigen, der Qualifizierten Angestellten und Beamten im mittleren Dienst und den Ausführenden Angestellten und einfachen Beamten ausgeprägt ist. Deutliche Differenzen zwischen den Statusgruppen der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten und der Arbeiter und Landwirte sind dann bei Frauen, Wohnsitz in Ostdeutschland und mit zunehmendem Alter festzustellen. Bei den Statuswechslern ergibt sich ensprechend auch ein differenziertes Bild. Zum einen ist die Neigung gegenüber der trivialen Kultur extrem durch die jeweilig spezifische soziale Herkunft bedingt, zum anderen auch durch die individuellen Merkmale. Der Einfluss der individuellen Merkmale variiert wiederum nach den Mobilitätsvorgängen. So steigt z.B. die Neigung zum Trivialschema besonders stark bei den Personen mit zunehmendem Alter an, die in die Statusgruppe der Ausführenden Angestellten gewechselt sind.
8.4 Spannungsschema Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, ob und inwieweit das Spannungsschema durch die soziale Herkunft einer Person beeinflusst wird und welchen Effekt die soziale Mobilität auf das Spannungsschema ausübt. Da genau wie in den zuvor behandelten alltagsästhetischen Schemata das Spannungsschema ein theoretisches Konstrukt ist, das erst mit Hilfe eines Messmodells mit den beobachteten Indikatoren in Beziehung gesetzt wird, werden die Einflüsse unter Verwendung der Mobilitätsmodelle mit latenten Variablen spezifiziert. Als weitere explanatorische Variablen werden die Variablen Alter, Geschlecht und Bildung in das Modell einbezogen. Die Aufnahme der Variablen Alter und Bildung beruht auf theoretischen Überlegungen von Schulze (1992) sowie empirischen Ergebnissen der Untersuchungen von Schulze und Hartmann (1996). Die Aufnahme der Variablen Geschlecht wurde auf Grund von Ergebnissen vorhergehender Analysen in das Modell einbezogen. Diese zeigten, dass sich die
8.4 Spannungsschema
287
Modellanpassung durch die zusätzliche Aufnahme dieser Variablen verbessern ließ. In einem weiteren Schritt werden die Effekte der sozialen Herkunft und der sozialen Mobilität unter Verwendung des „diagonal mobility“ Modells, des „diagonal mobility 1“ Modells, des „diagonal mobility 2“ Modells und des WeakliemModells spezifiziert und die Parameter des jeweiligen Modells geschätzt. Dabei werden die weiteren explanatorischen Variablen in das Modell einbezogen. Als Startwerte für die dritte Stufe der Schätzung werden wiederum die Ergebnisse eines unrestringierten Modells und die Ergebnisse der Parameterschätzungen des Messmodells unter Verwendung von LISREL (Jöreskog und Sörbom 1993) eingesetzt. Nachdem die Schätzergebnisse vorliegen, wird überprüft, welche Spezifikation die beste Anpassung an die Daten erzielt. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die Daten am besten unter der Verwendung des „diagonal mobility 2“ Modells an die Parameter der reduzierten Form angepasst werden können. Die Minimum-Distanz-Schätzung ergibt eine χ2 Statistik von 182.321 bei 178 Freiheitsgraden. Daher kann die Nullhypothese, dass die Parameter der reduzierten Form durch das „diagonal mobility“ Modell generiert wurde, auf Grund der Daten dieser Stichprobe auf dem Testniveau von α = 0.05 nicht verworfen werden. Das Informationskriterium ist mit BIC = 270.175 kleiner als bei den anderen Modellen. Die Einbeziehung von Interaktionseffekten zwischen den Modellvariablen und den explanatorischen Variablen erzielte keine Verbesserung, so dass auf die Aufnahme von Interaktionseffekten in dem endgültigen Modell verzichtet werden kann. Inhaltlich bedeutet dies, dass der Einfluss der explanatorischen Variablen Alter, Bildung und Geschlecht nicht nach der sozialen Herkunft und der jetzigen beruflichen Position einer Person variiert. Auf Grund der Testergebnisse werden im Folgenden die Schätzergebnisse der Spezifikation der Effekte sozialer Herkunft und sozialer Mobilität unter Verwendung des „diagonal mobility 2“ Modells mit latenten Variablen und den exogenen Variablen Alter, Bildung und Geschlecht dargestellt und interpretiert. Dieses Modell erklärt inhaltlich 24.4% der Variation des zu erklärenden Konstruktes „Spannungsschema“. Dies bedeutet, dass der Anteil an Einfluss, den die soziale Herkunft – und damit verbunden auch der Anteil an Einfluss der sozialen Mobilität – auf das Spannungsschema ausübt, unterschiedlich ist in Abhängigkeit davon, in welcher Statusgruppe sich die Person gegenwärtig befindet. Daraus folgt, dass die Statusgruppen sich in ihrer Fähigkeit, ihre neuen Angehörigen zu sozialisieren deutlich unterscheiden. Im Folgenden werden die Ergebnisse des dreistufigen Schätzverfahrens dargestellt. Die Parameter für das Messmodell sind in Tabelle 8.12 aufgeführt. Die
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8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
TABELLE 8.12 Messmodell für das Spannungsschema Indikatoren Actionfilme Kriminalfilme Spielfilme Rock- und Popmusik Videokassetten anschauen
NU 3.602 (14.632) 3.404 (37.817) 2.920 (25.638) 2.420 (17.564) 2.92 (27.936)
LAMBDA 1.000 — 0.596 (21.193) 0.429 (18.991) 0.663 (19.539) 0.527 (19.633)
THETA 0.617 (13.991) 0.889 (28.330) 0.688 (30.240) 1.482 (29.826) 0.921 (29.760)
Anmerkung: Die in Klammern dargestellten Werte sind die z-Werte für jeden Koeffizienten, die mit Hilfe des MECOSA 3-Programms berechnet wurden.
Regressionskonstanten der Indikatoren sind die Erwartungswerte, die die Referenzkategorie – also die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und hohen Beamten, deren Väter ebenfalls dieser Statusgruppe angehörten – in den Indikatoren (abzüglich der Konstanten 1 aus dem Strukturmodell) aufweisen. Bei der Betrachtung der Regressionskonstanten wird deutlich, dass diese im Vergleich zum Hochkultur- und Trivialschema eine mittlere Stellung einnehmen. Der Indikator „Präferenz für Actionfilme“ dient als Referenzindikator für das Konstrukt „Spannungsschema“. Daher ist die entsprechende Faktorladung auf den Wert 1 restringiert. Die Höhe der Faktorladungen zeigt an, dass das Spannungsschema schwächer mit allen anderen Indikatoren zur Messung des Konstruktes assoziiert ist als mit dem Referenzitem. Die Faktorladungen der anderen Indikatoren unterscheiden sich nur geringfügig voneinander. Die Gewichte, die Auskunft darüber geben, mit welchem Anteil der Erwartungswert des Konstruktes durch die soziale Herkunft beeinflusst wird, werden in Tabelle 8.13 aufgelistet. Aus Tabelle 8.13 ist zu erkennen, dass die Anteilswerte extrem stark voneinander abweichen. Die sozialen Klassen unterscheiden sich hier in der Stärke der Beeinflussung ihrer neuen Mitglieder extrem stark voneinander. Dieser Einfluss bleibt konstant unabhängig von der sozialen Herkunftsklasse. Es lassen
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8.4 Spannungsschema
TABELLE 8.13 Relative Einlussstärken (Anteile) gegenwärtige Position Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
(πk ) 0.769 0.603 0.366 0.422 0.674 0.046
sich damit keine klassenspezifischen Unterschiede bezüglich der Prägekraft der Primärsozialisation feststellen. Die Neigung zum Spannungsschema ist bei Personen, die in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten gewechselt sind, sehr stark durch die soziale Herkunft beeinflusst. Ebenfalls ist der Einfluss der sozialen Herkunft sehr hoch bei den Wechslern in die Statusgruppen der Nichtakademischen Selbständigen und der Ausführenden Angestellten und Beamten im einfachen Dienst. Des Weiteren wird aus der Tabelle ersichtlich, dass der Einfluss der sozialen Herkunft extrem gering ist bei Personen, die in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte abgestiegen sind. Dies bedeutet, dass die soziale Mobilität bei den Statuswechslern in diese Gruppe eine extrem hohe Bedeutung hat. Die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte verfügt über eine ausgeprägte Fähigkeit, neue Mitglieder bezüglich einer Zu- oder Abneigung zum Spannungsschema zu sozialisieren. Nach den Schätzern für die Gewichte des „diagonal mobility 2“ Modells werden im Folgenden die Schätzer der Regressionskoeffizienten ausgegeben. In Tabelle 8.14 werden die Effekte für die Immobilen dargestellt. Die Erwartungswerte in dem Konstrukt „Spannungsschema“ nehmen bei den Personen, die sich in der ersten Zelle der Mobilitätstabelle befinden (Selbständige Arbeiter und höhere Beamte) den Wert 1 an, da die Regressionskonstante aus Identifikationsgründen auf diesen Wert restringiert wurde. Ebenso wie in vorhergehenden Analysen sind die Regressionskoeffizienten daher als Abweichungen von der Referenzkategorie zu betrachten. Auf Grund der Aufnahme weiterer erklärender Variablen ist bei der Interpretation der Koeffizienten zu beachten, dass sie nur für die Personen gelten, die in den erklärenden Variablen den Wert 0 (bei Dummy-Variablen)
290
8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
TABELLE 8.14 Parameterschätzer des „diagonal mobility 2“ Modells („stayer“) Statusgruppe Selbständige Akademiker Sonstige Selbständige Leitende Angestellte Qualifizierte Angestellte Ausführende Angestellte Arbeiter
Regressionskoeffizienten (αj ) 1.000 -0.295 -0.298 -0.687 -0.861 -0.625
oder den niedrigsten Wert (bei metrischen Variablen) annehmen. Die Effekte der erklärenden Variablen werden erst im weiteren Verlauf dargestellt. Bei der Betrachtung der Vorzeichen der Regressionskoeffizienten wird deutlich, dass die Neigung zum Spannungsschema in den anderen Statusgruppen stärker ausgeprägt ist. Deutlich hervorzuheben sind dabei die Angehörigen der Statusgruppe der Ausführende Angestellte und Beamte im einfachen Dienst, deren Väter bereits ebenfalls dieser Statusgruppe angehörten. Die hohen negativen Koeffizienten weisen darauf hin, dass in diesen Statusgruppen die Neigung zum Spannungsschema sehr stark ausgeprägt ist. In Tabelle 8.15 werden die Abweichungen der Statuswechsler von der Referenzgruppe aufgeführt. Es ist zu beachten, dass sich diese Effekte aus den Effekten der „stayer“ und den Anteilswerten, mit denen der Erwartungswert der abhängigen latenten Variablen durch die soziale Herkunft gewichtet wird, ergeben. Bei einem Vergleich der restringierten Koeffizienten untereinander wird deutlich, dass die Neigung zum Spannungsschema bei den einzelnen Statuswechslern sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Dies betrifft auch die Statuswechsler innerhalb einer Statusgruppe. Besonders deutlich wird dies bei den Statuswechslern in die Statusgruppe der Ausführenden Angestellten und Beamten im einfachen Dienst: Die Neigung zum Spannungsschema ist extrem stark bei den Wechslern aus den Statusgruppen der Qualifizierten Angestellten und Beamte im mittleren Dienst und der Arbeiter und Landwirte in diese Statusgruppe ausgeprägt, während sie bei den Statuswechslern aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten deutlich schwächer ausgeprägt ist. In diesen Werten spiegelt sich der relativ hohe Einfluss der sozialen Herkunft deutlich
8.4 Spannungsschema
291
wider. Ähnliche Aussagen lassen sich auch für die Statuswechsler in die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen treffen. Auch bei den Statuswechslern in die Statusgruppe der Qualifizierten Angestellten und Beamte im mittleren Dienst unterscheiden sich die Neigungen zum Spannungsschema deutlich voneinander. Die Werte weichen aber generell nicht so stark voneinander ab wie bei den zuvor betrachteten Statuswechslern, was auf den schwächeren Einfluss dieser Statusgruppe in ihrer Eigenschaft als primäre Sozialisationsinstanz zurückgeführt werden kann. Die Neigung zum Spannungsschema ist sehr stark bei allen Wechslern in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte ausgeprägt. Anhand dieser Koeffizienten wird der starke Einfluss der sozialen Mobilität bei den Wechslern in diese Statusgruppe sichtbar. Es wird deutlich, dass die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte ihre neuen Angehörigen bezüglich des Spannungsschemas extrem stark sozialisieren kann. Am schwächsten ist die Neigung zum Spannungsschema bei den Wechslern aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten in die Statusgruppe der Nichtakademischen Selbständigen und bei den Wechslern aus der Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten in die Statusgruppe der Leitenden Angestellten und Beamten im gehobenen Dienst ausgeprägt. Die niedrigen Koeffizienten verwundern nicht, da in diesen Statusgruppen generell das Interesse schwach ausgeprägt ist. Die Schätzwerte der Regressionskoeffizienten für die zusätzlich im Modell berücksichtigten exogenen Variablen Bildung, Alter und Geschlecht sind in Tabelle 8.16 aufgeführt. Der positive Koeffizient von Bildung zeigt an, dass Personen mit Abitur eine geringere Neigung zum Spannungsschema aufweisen. Die geringere Neigung zum Spannungsschema der höher gebildeten Personen ist dabei unabhängig davon, ob die Personen ihren Status gewechselt haben oder nicht. Der relativ hohe positive Koeffizient von Alter auf das Spannungsschema zeigt an, dass bei einem Anstieg des Alters um eine Einheit (skaliert in 10 Jahresschritten) die Neigung zum Spannungsschema bereits relativ stark abnimmt. Anhand dieses extrem hohen Wertes ist zu erkennen, dass die Neigung zum Spannungsschema in einem erheblichen Ausmaß eine Geschmackspräferenz von jüngeren Personen ist. Dieses Ergebnis ist weitgehend identisch mit den Ergebnissen der regional begrenzten Untersuchungen in diesem Bereich (Schulze 1992; Lechner 1998; Hartmann 1999). Festzuhalten bleibt, dass überwiegend jüngere Personen zu dieser Art alltagsästhetischer Geschmacksmuster neigen. Die Neigung zum Spannungsschema ist besonders stark in den „Kernstatusgruppen“ der Ausführenden Angestellten und
Koeffizienten -0.117 -0.189 -0.397 -0.281 -0.596 -0.227 -0.297 -0.522 -0.479 -0.610 -0.229 -0.297 -0.523 -0.482 -0.610
Statuswechsel QUAL.ANG ⇒ SELB.AKD QUAL.ANG ⇒ SONST.SELB QUAL.ANG ⇒ LEIT.ANG QUAL.ANG ⇒ AUS.ANG QUAL.ANG ⇒ ARBEIT AUS.ANG ⇒ SONST.SELB AUS.ANG ⇒ LEIT.ANG AUS.ANG ⇒ QUAL.ANG AUS.ANG ⇒ ARBEIT ARBEIT ⇒ SELB.AKD ARBEIT ⇒ SONST.SELB ARBEIT ⇒ LEIT.ANG ARBEIT ⇒ QUAL.ANG ARBEIT ⇒ AUS.ANG
Koeffizienten -0.528 -0.531 -0.440 -0.744 -0.628 -0.637 -0.504 -0.760 -0.636 -0.481 -0.494 -0.418 -0.661 -0.702
Anmerkung: SELB.AKD = Selbständige Akademiker und höhere Beamte; SONST.SELB = Nichtakademische Selbständige; LEIT.ANG = Angestellte mit hochqualifizierten Tätigkeiten und umfassenden Leitungsaufgaben sowie Beamte im gehobenen Dienst; QUAL.ANG = Angestellte mit qualifizierten Tätigkeiten und Beamte im mittleren Dienst; AUS.ANG = Ausführende Angestellte und Beamte im einfachen Dienst; ARBEIT = Arbeiter und Landwirte.
Statuswechsel SELB.AKD ⇒ SONST.SELB SELB.AKD ⇒ LEIT.ANG SELB.AKD ⇒ QUAL.ANG SELB.AKD ⇒ AUS.ANG SELB.AKD ⇒ ARBEIT SONST.SELB ⇒ SELB.AKD SONST.SELB ⇒ LEIT.ANG SONST.SELB ⇒ QUAL.ANG SONST.SELB ⇒ AUS.ANG SONST.SELB ⇒ ARBEIT LEIT.ANG ⇒ SELB.AKD LEIT.ANG ⇒ SONST.SELB LEIT.ANG ⇒ QUAL.ANG LEIT.ANG ⇒ AUS.ANG LEIT.ANG ⇒ ARBEIT
Restringierte Regressionskoeffizienten („mover“)
TABELLE 8.15
292 8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
293
8.5 Resümee
TABELLE 8.16 Effekte exogener Variablen auf das Spannungsschema Variablen Regressionskoeffizienten
BILDUNG 0.112
ALTER 0.346
GESCHLECHT -0.070
Beamten im einfachen Dienst, der Qualifizierten Angestellten und Beamte im mittleren Dienst sowie der Arbeiter und Landwirte ausgeprägt. Bei den Statuswechslern in diese Statusgruppen hingegen variiert das Interesse extrem voneinander. Die soziale Herkunft spielt dementsprechend eine völlig unterschiedliche Rolle. Keine Bedeutung hat die soziale Herkunft für die Neigung zum Spannungsschema bei allen Statuswechslern in die Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte.
8.5 Resümee Die Analyse der Effekte sozialer Mobilität auf die drei alltagsästhetischen Schemata haben zu dem Ergebnis geführt, dass die Kenntnisse über Mobilitätsprozesse insgesamt die Erklärungskraft für die Schemata erheblich verbessern können. Bei allen drei Schemata konnte durch die umfassende Berücksichtigung der Mobilitätsvorgänge ein großer Teil der Varianz der Schemata erklärt werden. Die grundsätzliche ästhetische Einstellung ist bei allen drei Schemata in einem mehr oder weniger starken Ausmaß durch die soziale Herkunft und die sozialisationsspezifische Entwicklung eines Individuums geprägt. Die Ergebnisse haben auch deutlich gemacht, dass sich Mobilitätsvorgänge völlig unterschiedlich in den einzelnen Schemata auswirken. Innerhalb der einzelnen Schemata ist der Einfluss der sozialen Mobilität jedoch sehr stark von den jeweiligen Statusgruppen abhängig. So konnte für das Hochkulturschema festgestellt werden, dass der Einfluss der sozialen Herkunft und der sozialen Mobilität sowohl nach der jeweiligen Herkunftsklasse als auch nach der jeweils spezifischen Klasse, in der sich eine Person gegenwärtig befindet, variiert. Die einzelnen Statusgruppen unterscheiden sich sowohl in ihrer Fähigkeit, hochkulturelle Neigungen nachhaltig bei ihren ehemaligen Angehörigen zu prägen als auch in ihrer Fähigkeit, neue Angehörige zu sozialisieren. Für das Hochkulturschema ist insbesondere als Ergebnis die starke Prägekraft der Statusgruppen der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten sowie der Arbeiter und Landwirte herauszustellen.
294
8. Effekte sozialer Mobilität auf Lebensstile
Die Stabilität der hochkulturellen Geschmacksprägung ist allerdings nicht so stark wie die Anpassung der Individuen an veränderte Ressourcenlagen. Hochkulturelle Geschmackspräferenzen modifizieren sich insbesondere bei sozialen Aufstiegen. Während sich intergenerationelle Auf- und Abwärtsbewegungen unterschiedlich stark auf das Hochkulturschema auswirken können, ergibt sich beim Trivialschema ein völlig anderes Bild. Der Einfluss der sozialen Herkunft und der sozialen Mobilität variiert nicht gleichzeitig nach der sozialen Herkunft und der sozialen Mobilität, sondern nur nach der sozialen Herkunft. Der Einfluss der sozialen Mobilität ist abhängig von der jeweils spezifischen sozialen Herkunft, aber nicht von der jeweils spezifischen Statusgruppe, in der sich eine Person gegenwärtig befindet. Die Stabilität volkstümlicher Geschmackspräferenzen ist völlig unterschiedlich nach den jeweiligen Herkunftsklassen. Dabei konnte eine Polarisierung auf zwei Kategorien von Statusgruppen festgestellt werden: Auf der einen Seite befinden sich die Statusgruppen, die einen starken nachhaltigen Effekt in Bezug auf die Neigung oder Abneigung zum Trivialschema ausüben. Dazu zählen insbesondere die Selbständigen Akademiker und höheren Beamten und die Arbeiter und Landwirte. Auf der anderen Seite befinden sich die Statusgruppen, die dieses Geschmackspräfenzmuster nachhaltig nicht sehr stark prägen. In dieser Kategorie befinden sich die „mittleren“ Statusgruppen. Aus den Ergebnissen für das dritte alltagsästhetische Schema, dem Spannungsschema, ist festzuhalten, dass trotz des extrem hohen Einflusses von Alter auch deutlich Effekte der sozialen Mobilität vorgefunden wurden. Im Unterschied zu den zuvor behandelten Schemata variiert der Einfluss der sozialen Herkunft – und damit verbunden der Einfluss der sozialen Mobilität – nach der jeweils spezifischen Statusgruppe, in der sich eine Person gegenwärtig befindet. Die Statusgruppen unterscheiden sich demnach in ihren Fähigkeiten, ihre neuen Angehörigen zu sozialisieren. Hierbei ist insbesondere der extrem starke Einfluss der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte herauszustellen.
9 Schlussbetrachtung In den bisherigen Lebensstiluntersuchungen ist der Einfluss sozialer Mobilität auf Lebensstile nicht berücksichtigt worden, obwohl vereinzelt auf die Abhängigkeit der Lebensstile von sozialen Auf- und Abstiegsprozessen hingewiesen wurde. Mit der vorliegenden Arbeit sollte dieses Defizit behoben werden. Während in Deutschland die Effekte sozialer Mobilität auf Einstellungen, Werthaltungen und Handlungsorientierungen weitgehend unerforscht sind, lassen sich doch in der internationalen soziologischen Forschung eine Reihe von empirischen Studien finden, die sowohl unter mikro- als auch unter makrosoziologischer Perspektive die Auswirkungen intergenerationeller sozialer Mobilität auf Einstellungen und Verhaltensweisen untersucht haben. Dabei wurden zur Spezifikation der vermuteten Einflüsse verschiedene Modelle eingesetzt, die zur Analyse von Effekten sozialer Mobilität entwickelt wurden. Seit Ende der 1980er Jahre wird insbesondere das „diagonal mobility“ Modells von Sobel (1981, 1985) verwendet, welches eine Reihe bemerkenswerter Vorteile aufweist. Die Ergebnisse der Anwendungen sind jedoch auf Grund schätztechnischer Probleme skeptisch zu betrachten. Ausgehend von den zentralen methodischen Problemen wurde in dieser Arbeit das Modell von Sobel verallgemeinert und eine Lösung aller schätztechnischen Probleme aufgezeigt. Dieses Modell wurde zur Analyse von Effekten sozialer Mobilität auf alltagsästhetische Präferenz- und Verhaltensmuster in der Lebensstilforschung eingesetzt. Theoretische Grundlage für die Modellierung der vermuteten Einflüsse der sozialen Herkunft, der sozialen Mobilität und der aktuell eingenommenen sozialen Position ist der Ansatz von Bourdieu (1982). Dabei wurde eine Besonderheit des Bourdieuschen Ansatzes in den Vordergund gestellt, nämlich die intergenerationale Entwicklung von Lebensstilen. In seinem Habituskonzept berücksichtigt Bourdieu die Generierung von Lebensstilen aus einer diachronen Perspektive. Es sollte dem Anliegen Bourdieus gefolgt werden, auch die diachronen Eigenschaften einer sozialen Position zu berücksichtigen. Zentrales Anliegen war es, bei der Erklärung von Lebensstilen den Prozess der Habitualisierung zu berücksichtigen und die Prägung von Lebensstilen aus einer diachronen Perspektive zu analysieren. Insbesondere sollten zentrale Elemente des Habituskonzeptes,
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9. Schlussbetrachtung
wie der Einfluss der klassenspezifischen primären Sozialisation auf die Ausbildung des Geschmacks, die Inkorporationsannahme sowie die Stabilitätsannahme überprüft werden. Auf der empirischen Ebene ist der Habitus als Dispositionssystem zur Generierung von Lebensstilen eine hypothetische Größe, die für die spezifische Zusammenhangsstruktur von Indikatoren, die aus verschiedenen Lebensstildimensionen abgeleitet werden, verantwortlich ist. Unter Verwendung der explorativen Faktorenanalyse ließen sich anhand der Lebensstilausprägungen von Personen ähnliche Dimensionen von Lebensstilen extrahieren, die als alltagsästhetische Muster, Verhaltensmuster, Geschmackspräferenzmuster oder allgemein als lebensstilgenerierende Muster identifiziert werden konnten. Diese lassen sich in Anlehnung an Schulze (1992) als Hochkultur-, Trivialkultur und Spannungsschema charakterisierten. Im weiteren Verlauf wurden die Effekte sozialer Mobilität auf die einzelnen alltagsästhetischen Schemata analysiert. Dabei ergab sich sowohl im Rahmen einzelner Schemata als auch im Vergleich zwischen den Schemata ein heterogenes Bild. Das Hochkulturschema wird sowohl durch die soziale Herkunft und die sozialisationsspezifische Entwicklung einer Person als auch durch die gegenwärtige Stellung im Raum sozialer Positionen beeinflusst, wobei die gegenwärtige Position eine größere Bedeutung zukommt. Die Stabilität von Präferenz- und Handlungsmustern im Bereich der etablierten Kultur, die in der primären Sozialisation erworben wurden, ist nicht so stark, wie es in dem Habituskonzept von Bourdieu zum Ausdruck kommt. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass der Einfluss der sozialen Herkunft nachlässt, wenn ein Statuswechsel vollzogen wurde. Die Anpassung der Personen an veränderte Ressourcenlagen ist sehr stark ausgerprägt. Personen orientieren sich im Bereich hochkultureller Geschmackspräferenzen stärker an die Statusgruppe, in die sie hineingewechselt sind als an ihre sozialen Herkunftsklasse. Diese Aussage ist jedoch relativ: Der Einfluss der sozialen Herkunft verringert sich durch die soziale Mobilität, er verschwindet aber nicht gänzlich. Der Einfluss, den die soziale Herkunft auf das Hochkulturschema ausübt, variiert sowohl nach der jeweils klassenspezifischen sozialen Herkunft als auch gleichzeitig nach der jeweils klassenspezifischen aktuell eingenommenen Position. Die Primärsozialisation und die damit verbundenen unterschiedlichen kulturellen aber auch materiellen Ausgangsbedingungen prägen also den Grad der Zu- oder Abneigung zum Hochkulturschema. Dabei variiert die Stärke der Prägung durch die spezifische Herkunftsklasse nach der jeweils spezifischen Klasse, in die eine Person gewechselt ist. Soziale Auf- und Abstiegsprozesse wirken sich
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entsprechend unterschiedlich auf die Neigung zum Hochkulturschema aus. Die sozialen Klassen unterscheiden sich sowohl in ihrer Fähigkeit, hochkulturelle Geschmackspräferenzen bei ihren ehemaligen Angehörigen nachhaltig zu prägen, als auch darin, ihre neuen Angehörigen diesbezüglich zu sozialisieren. Insbesondere ist die starke Prägekraft der Statusgruppen der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten sowie der Arbeiter und Landwirte herauszustellen, die im Verhältnis zu den „mittleren“ Statusgruppen einen sehr starken Effekt auf die Neigung oder Abneigung zum Hochkulturschema ausüben. Der Einfluss der sozialen Herkunft und der sozialen Mobilität ist jedoch bei den einzelnen Statuswechslern sehr unterschiedlich. Absteiger bewahren alltagsästhetische Geschmackspräferenzen, die im Sozialsisationsprozess durch ihre soziale Herkunft vermittelt wurden, stärker als Aufsteiger. Aufsteiger distanzieren sich hingegen stärker von ihrer Herkunftsklasse. Dies gilt jedoch nicht für die Statuswechsler aus der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte, was an der ausgeprägten Fähigkeit dieser Statusgruppe liegt, ihre ehemaligen Angehörigen nachhaltig zu prägen. Wenn wir zusätzlich noch die individuelle Laufbahn durch den Raum sozialer Positionen betrachten, so ist festzustellen, dass sich intragenerationelle Mobilitätsprozesse ebenfalls auswirken. Es konnten signifikante Einflüsse von Aufstiegserfahrungen während des Lebenslaufes gefunden werden, jedoch keine relevanten Einflüsse von Abstiegserfahrungen. Die Neigung zum Hochkulturschema verstärkt sich, wenn im Lebenslauf Aufstiegserfahrungen gemacht werden, auch dann, wenn wieder in die Herkunftsklasse zurückgekehrt wurde. So ist festzustellen, dass Personen aus den „mittleren“ Statusgruppen, die intergenerationell und darüber hinaus in ihrem Lebenslauf noch einmal aufgestiegen sind, sich sehr viel stärker an die Statusgruppe orientieren, in der sie sich gegenwärtig befinden, als die Personen, die die doppelten Aufstiegserfahrungen nicht gemacht haben. Die Stabilität von Präferenz- und Handlungsmustern und die damit verbundene Anpassungsleistung der Individuuen an veränderte Ressourcenlagen ist bei den verschiedenen alltagsästhetischen Schemata unterschiedlich ausgeprägt. Ebenso wie beim Hochkulturschema variieren beim Trivialschema die Einflüsse sozialer Herkunft und sozialer Mobilität nach der jeweils spezifischen sozialen Herkunft. Der entscheidende Unterschied zum Hochkulturschema liegt darin, dass die Einflüsse nicht nach der gegenwärtig eingenommenen sozialen Position variieren. Die Stärke des Einflusses der sozialen Herkunft und damit verbunden auch der sozialen Mobilität ist nur abhängig von der jeweils spezifischen Herkunftsklasse. Individueen sind also unterschiedlich starken Sozialisationsein-
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9. Schlussbetrachtung
flüssen in Abhängigkeit von der jeweils spezifischen Herkunftsklasse ausgesetzt. Die sozialen Klassen unterscheiden sich hier in ihrer Fähigkeit, alltagsästhetische Geschmackspräferenzen zu prägen, die bei einem Statuswechsel beibehalten werden. Beim Trivialschema ist die Anpassungsleistung an veränderte Ressourcenlagen extrem stark ausgebildet bei Personen, deren soziale Herkunft in den „mittleren“ Statatusgruppen anzusiedeln ist. Die Statusgruppen der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten und Arbeiter und Landwirte dagegen beeinflussen nachhaltig ihre ehemaligen Angehörigen sehr stark. Bei den Angehörigen dieser Statusgruppen kann von einer hohen Stabilität von Präferenz- und Verhaltensmustern, die in der primären Sozialisation erwoben wurden, ausgegangen werden. Diese unterschiedlich stark ausgeprägte Fähigkeit der Sozialisierung ehemaliger Angehörige wirken sich ensprechend bei Mobilitätsprozessen aus. Die Neigung oder Abneigung zum Trivialschema ist insgesamt in den einzelnen Personengruppen sehr heterogen ausgeprägt. Der Einfluss sozialer Herkunft und der Einfluss sozialer Mobilität variiert nach den individuellen Merkmalen, so dass die Auswirkungen von Mobilitätsprozessen auf das Trivialschema innerhalb einer Personengruppe völlig unterschiedlich sein können. Beim Spannungsschema ist der Einfluss der sozialen Mobilität unterschiedlich stark in Abhängigkeit davon, in welche Statusgruppe eine Person gewechselt ist. Die sozialen Klassen unterscheiden sich hier in der Stärke der Beeinflussung ihrer neuen Mitglieder extrem stark voneinander. Dieser Einfluss bleibt konstant unabhängig von der sozialen Herkunftsklasse. Es lassen sich damit keine klassenspezifischen Unterschiede bezüglich der Prägekraft der Primärsozialisation feststellen. Am stärksten ausgeprägt ist die Fähigkeit, neue Mitglieder zu sozialisieren, in der Statusgruppe der Arbeiter und Landwirte. Die soziale Herkunft hat nahezu keine Bedeutung für die Zu- oder Abneigung zum Spannungsschema. Im Gegensatz dazu behalten die Statuswechsler in die Statusgruppe der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten ihr herkunftsspezifisches Verhältnis zum Spannungsschema bei. Abschliessend ist noch einmal auf den starken Einfluss des Alters auf das Spannungsschema hinzuweisen. Mit zunehmendem Alter nimmt das Interesse quer durch alle Statusgruppen deutlich ab. Das Spannungsschema ist ein bevorzugtes Präferenzmuster für junge Leute. Das Lebensalter wirkt generell auf die Zu- oder Abneigung zu den jeweiligen Schemata ein: Bei jüngeren Personen ist eher das Hochkultur- und Spannungsschema und weniger das Trivialschema ausgeprägt. Die Präferenzordnung älterer Leute ist ebenfalls am Hochkultur- aber auch am Trivialschema orientiert,
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während das Spannungsschema an Bedeutung verliert. Zu- oder Abneigung zu diesen Schemata ist generell wiederum je nach sozialer Herkunft und Mobilitätsprozessen unterschiedlich stark ausgeprägt. Resümierend bleibt festzuhalten, dass die Erklärungskraft von sozialen Klassen und Schichten durch die umfassende Berücksichtigung der Mobilitätsprozesse entschieden verbessert werden kann. Damit kann insgesamt belegt werden, dass Lebensstile sich nicht unabhängig von den Lebensbedingungen zu betrachten sind. Die grundsätzliche ästhetische Einstellung ist bei allen drei alltagsästhetischen Schemata in mehr oder weniger starkem Ausmaß durch die soziale Herkunft bzw. die sozialisationsspezifische Entwicklung einer Person geprägt. Bei einem Statuswechsel verringert sich der Einfluss sozialer Herkunft. Die Schulbildung hat einen bedeutenden Einfluss auf die lebensstilgenerierenden Mechanismen, aber erst die berufliche Stellung zeigt die spezifische Wirkung. Der Lebensstil ist kein statisches Gebilde. Prinzipiell modifizieren sich mit einer Veränderung der sozialen Position auch die lebensstilgenerierenden Mechanismen. Die Frage, ob der Einfluss der beruflichen Position zu- und damit der Einfluss der sozialen Herkunft abnimmt, je länger eine Person die Position einnimmt, kann leider auf Grund fehlender Längsschnittdaten und Angaben über die Dauer der Zugehörigkeit zu der jeweiligen Statusgruppe nicht abschliessend beantwortet werden. Zwar darf die Bedeutung der sozialen Herkunft für die Ausbildung von Geschmackspräferenzen nicht vernachlässigt werden; allerdings ist insgesamt die von Bourdieu in seinem Habituskonzept konstatierte Stabilität von alltagsästhetischen Geschmackspräferenzen stark zu relativieren. Die vorliegende Analyse konnte klassenspezifische Sozialisationsmuster sowohl hinsichtlich der Prägekraft in der Primärsozialisation als auch im Kontext sozialer Mobiltät nachzeichnen. Diese Prägekraft unterscheidet sich wiederum je nach Schemata. Die Frage, warum sich die Klassen in ihrer Fähigkeit unterscheiden, alltagsästhetische Schemata ihre ehemaligen Angehörigen bzw. ihrer neuen Mitglieder zu prägen, liegt jenseits des Fokus vorliegender Arbeit und würde weitere theoretische Anschlussarbeiten erfordern. Die abschliessenden Ausführungen haben also eher spekulativen Charakter und verweisen auf einen möglichen Pfad der Hypothesengenerierung: Quer durch alle Schemata lässt sich feststellen, dass die Prägekraft der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten und die der Arbeiter und Landwirte wesentlich stärker ausgeprägt ist als die der „mittleren“ Statusgruppen. Dies lässt sich – jedoch bei den einzelnen Schemata unterschiedlich – sowohl für die nachhaltige Prägekraft der Primärsozialisation in diesen Statusgruppen als auch für die relative Resistenz der Statusgruppen gegen alltagsästhetische Präfernezordnungen anderer Statusgruppen im Kontext sozialer
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9. Schlussbetrachtung
Mobilität feststellen. Die Statusgruppen am „oberen“ und „unteren“ Ende des sozialen Raumes verfügen also über stärkere lebenstilgenerierende Gravitationskräfte. Dies könnte mit dem Anteil der Statuswechsler innerhalb der einzelnen Statusgruppen zusammenhängen. Insgesamt ist der Anteil der Statuswechsler (Auf- und Absteiger) in den „mittleren“ Statusgruppen sehr stark ausgeprägt. Im Zusammenhang mit dem Faktum, das es sich hier un historisch junge Statusgruppen handelt, unterminiert diese hohe Fluktuationsrate möglicherweise die Fähigkeit dieser Gruppen, stabile soziokulturelle Normen auszubilden und zu vermitteln. Dem hingegen ist die Fluktuationsrate in den Statusgruppen der Selbständigen Akademiker und höheren Beamten und die der Arbeiter und Landwirte wesentlich geringer.
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Tabellenverzeichnis Tabelle 3.1: Simuliertes Weakliem-Modell . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 3.2: Simuliertes „diagonal mobility 1“ Modell . . . . . . . . . Tabelle 3.3: Simuliertes „diagonal mobility 2“ Modell . . . . . . . . .
77 79 82
Tabelle 6.1: Bivariate Verteilung der sozialen Herkunft und der gegenwärtigen Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Tabelle 7.1: Interesse an der Lektüre von Büchern: Beobachtete Mittelwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.2: Interesse an der Lektüre von Büchern: Erwartungswerte („diagonal mobility“ Modell) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.3: Interesse an der Lektüre von Büchern: Erwartungswerte („diagonal mobility 1“ Modell) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.4: Relative Einflussstärken (Anteile) . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.5: Interesse an der Lektüre von Büchern: Erwartungswerte („diagonal mobility 2“ Modell) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.6: Relative Einflussstärke (Anteile) . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.7: Interesse an der Lektüre von Büchern: Erwartungswerte (Weakliem-Modell) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.8: Gewichte des Weakliem-Modells . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.9: Modellanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.10: Musikpräferenz für klassische Musik: Beobachtete Mittelwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.11: Modellanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.12: Anpassung der restringierten Parameter an die Parameter der reduzierten Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.13: Gewichte des Weakliem-Modells . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.14: Parameterschätzer des Weakliem-Modells . . . . . . . . Tabelle 7.15: Parameterschätzer (erklärende Variablen) . . . . . . . . Tabelle 7.16: Relative Einflussstärken (Anteile) . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.17: Parameterschätzer des „diagonal mobility 2“ Modells („stayer“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.18: Restringierte Regressionskoeffizienten („mover“) . . . . Tabelle 7.19: Parameterschätzer (erklärende Variablen) . . . . . . . . Tabelle 7.20: Interaktionseffekte der Modellvariablen mit soziodemographischen Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.21: Messmodell für das Interesse an informativen Medieninhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 7.22: Relative Einflussstärke (Anteile) . . . . . . . . . . . . .
197 210 212 213 216 217 220 222 232 232 234 236 237 239 240 243 245 246 247 249 253 255
Tabellenverzeichnis
315
Tabelle 7.23: Parameterschätzer des „diagonal mobility 2“ Modells (“stayer“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Tabelle 7.24: Restringierte Regressionskoeffizienten (“mover“) . . . . 257 Tabelle 8.1: Messmodell für das Hochkulturschema . . . . . . . . . . Tabelle 8.2: Gewichte des Weakliem-Modells . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 8.3: Parameterschätzer des Weakliem-Modells . . . . . . . . Tabelle 8.4: Restringierte Regressionskoeffizienten („mover“) . . . . . Tabelle 8.5: Effekte exogener Variablen auf das Hochkulturschema . Tabelle 8.6: Messmodell für das für das Trivialschema . . . . . . . . Tabelle 8.7: Relative Einflussstärken (Anteile) . . . . . . . . . . . . . Tabelle 8.8: Parameterschätzer des „diagonal mobility 1“ Modells („stayer“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 8.9: Restringierte Regressionskoeffizienten („mover“) . . . . . Tabelle 8.10: Effekte exogener Variablen auf das Trivialschema . . . Tabelle 8.11: Interaktionseffekte der Modellvariablen mit ALTER, BILDUNG und REGION . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 8.12: Messmodell für das Spannungsschema . . . . . . . . . . Tabelle 8.13: Relative Einlussstärken (Anteile) . . . . . . . . . . . . Tabelle 8.14: Parameterschätzer des “diagonal mobility 2“ Modells („stayer“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabelle 8.15: Restringierte Regressionskoeffizienten („mover“) . . . . Tabelle 8.16: Effekte exogener Variablen auf das Spannungsschema .
264 266 270 271 272 276 277 279 280 281 283 288 289 290 292 293