Anja Wolde Väter im Aufbruch?
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Anja Wolde Väter im Aufbruch?
Geschlecht & Gesellschaft Band 39 Herausgegeben von Ilse Lenz Michiko Mae Sigrid Metz-Göckel Ursula Müller Mechtild Oechsle Mitbegründet von Marlene Stein-Hilbers (†)
Anja Wolde
Väter im Aufbruch? Deutungsmuster von Väterlichkeit und Männlichkeit im Kontext von Väterinitiativen
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. . 1. Auflage Januar 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Monika Mülhausen / Marianne Schultheis Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15341-4
7050_book.fm Page ii Wednesday, July 12, 2006 3:27 PM
Es lohnt sich doch Es lohnt sich doch, ein wenig lieb zu sein, Und alles auf das Einfachste zu schrauben. Und es ist gar nicht Großmut zu verzeihen, Daß manche ganz anders als wir glauben. Und stimmte es, daß Leidenschaft Natur Bedeutete im guten und im bösen, Ist doch ein Knoten in dem Schuhband nur Mit Ruhe und mit Liebe aufzulösen. Ringelnatz
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ..................................................................................................11 1
Geschlecht, Männlichkeit und Vaterschaft .................................23 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
2
Väterinitiativen: ein neues soziales Phänomen ...........................53 2.1 2.2
3
‚Geschlechterverhältnisse’ und ‚Geschlechterarrangements’.........................................................................24 Die Konstitution sozialer Ordnung und Prozesse der Differenzierung und Hierarchisierung von Geschlecht .........27 Konzeptualisierung von Männlichkeit(en) ............................33 Kulturelle Deutungsmuster von Männlichkeit.......................40 ‚Vaterschaft’ und ‚Väterlichkeit’...........................................45 Wechselseitige Ausblendungen in der Männer- und Vaterforschung.......................................................................47
Kollektive Zusammenschlüsse von Vätern............................54 Untersuchungsperspektive und Fragestellungen ...................59
Method(olog)ische Überlegungen und methodische Umsetzung.......................................................................................67 3.1 3.2
3.3
Das Deutungsmusterkonzept .................................................67 Grundannahmen und Vorgehensweise der Grounded Theory ....................................................................................76 3.2.1 Offenheit mit Methode: Bezugnahme auf die Grounded Theory .......................................................80 3.2.2 Methodische Umsetzung der Arbeit mit der Grounded Theory .......................................................81 Gründe für die Wahl eines sequenzanalytischen Verfahrens ..............................................................................84 3.3.1 Spielarten der Sequenzanalyse: Grundannahmen und Vorgehensweisen ................................................88
3.4
4
‚Geschlechterkampf’ und ‚männliche Autonomie in Geschlechterkooperationen’....................................................... 117 4.1
8
3.3.2 Bezugnahme auf sequenzanalytische Ansätze .......... 98 3.3.3 Methodische Umsetzung der Arbeit mit sequenzanalytischen Ansätzen ................................ 102 Die Datenbasis..................................................................... 105 3.4.1 PAPS. Zeitschrift für Väter ..................................... 107 3.4.2 Das ausgewählte Textkorpus................................... 112 3.4.3 Darstellungsweise.................................................... 115
Kampf zwischen den Geschlechtern ................................... 118 4.1.1 Väter heute: Überflüssig, ausgeschlossen und entwertet .................................................................. 119 4.1.1.1 Der entsorgte Vater ................................. 120 4.1.1.2 Kränkung, Wut und ‚Konfliktlösung’ durch Polarisierung ................................. 130 4.1.2 Neue Differenzierungen? Von allmächtigen Müttern und ohnmächtigen Vätern ......................... 135 4.1.2.1 Die Allmacht der Mütter ......................... 136 4.1.2.2 Differenzierungen zwischen Frauen: Feministinnen, Klammermütter und Supermütter ............................................. 143 4.1.2.3 Väter als Opfer im Geschlechterkampf... 152 4.1.2.3.1 Die Distanzierung vom Opfer.................................... 159 4.1.2.3.2 Archaische Vaterliebe ......... 163 4.1.2.3.3 ‚Auch der abwesende Vater ist ein guter Vater’..... 166 4.1.2.4 Ausdeutungen, Umschrift und Reinszenierung der Geschlechterdifferenz ..... 168 4.1.3 Konzeptualisierungen von Familie, Paarbeziehung und Elternschaft......................................... 176 4.1.3.1 Widersprüche und Ambivalenzen in gesellschaftlichen Transformationsprozessen....................... 176 4.1.3.2 Das Auseinanderfallen von Paarbeziehung und Eltern-Kind-Beziehung....... 184 4.1.3.3 Kinder als Garanten für eine lebenslange Bindung ......................................... 187
4.1.4
4.2
Väter: Modernisierungsverlierer und Akteure der Modernisierung ........................................................191 4.1.4.1 Die Politisierung intimer Beziehungen....192 4.1.4.2 Partnerschaft oder romantische Liebe – Gleichheit oder Differenz ........................194 Männliche Autonomie in Geschlechterkooperationen ........200 4.2.1 Bewegungen in Widersprüchen ...............................202 4.2.2 Das ‚Väterproblem’: zwischen alten Gewissheiten und neuen Unsicherheiten .............................202 4.2.2.1 Fremdheit, Unsicherheit und Funktionsverlust: ambige Verortungen in Zeiten des Wandels..............................203 4.2.2.2 Abhängigkeitsszenarien und Autonomiewünsche: Suchbewegungen nach neuen Entwürfen von Vaterschaft und Väterlichkeit.............................................207 4.2.3 Divergente Orientierungen.......................................211 4.2.3.1 Neuorientierungen zwischen Zwang und Wunsch .............................................212 4.2.3.2 Konkurrenz und Kooperation ..................214 4.2.3.3 ‚Allein unter Müttern’: Familie als fremdes Terrain........................................218 4.2.3.4 Ambivalente Bezugnahme auf die Familie .....................................................220 4.2.4 Differenz und Gleichheit..........................................228 4.2.4.1 Frauenwelten – Männerwelten.................229 4.2.4.2 Die Konstitution männlicher und weiblicher Identitäten durch gleichgeschlechtliche Identifikation......................231 4.2.4.3 Naturalisierung von Differenz versus Angleichung der Geschlechter.................235 4.2.4.4 Gleichheit, Differenz und Hierarchie.......241 4.2.4.5 Geschlechterpolitisches Ziel: Angleichung ohne Gleichheit ..................243 4.2.5 Neue Väter, neue Mütter? Von Autonomie- und Machtkonflikten in- und außerhalb der Familie ......245 4.2.5.1 Mächtige ‚Strukturen’ und ohnmächtige Liebe.........................................245 4.2.5.2 Neue Väter – traditionelle Mütter? ..........250 9
4.2.5.3
4.2.6
5
Schwache Väter und mächtige Mütter: Über die Verfügbarkeit von Machtchancen in familialen Beziehungen ........ 255 4.2.5.4 Exkurs: Konstellationen der Macht......... 258 4.2.5.5 Kampf um Hausarbeit ............................. 263 Konzeptualisierungen von Familie, Paarbeziehungen und Elternschaft ..................................... 268 4.2.6.1 Familie und Partnerschaft: nachholende Individualisierung’ von Vätern? ............. 269 4.2.6.2 Ambivalente Akteure der Modernisierung .................................................. 273 4.2.6.3 Konzeptualisierungen der Vater-KindBeziehung................................................ 276
Widersprüchliche Veränderungen in den Geschlechterarrangements und Geschlechterbeziehungen – Konflikte in den Selbstdeutungen von Vätern: Ein Resümee .................. 279 5.1 5.2
Sozialer Wandel als Machtkampf oder Identitätskonflikt... 283 Differente Deutungen von Gleichheit, Differenz und Hierarchie ............................................................................ 289
Literatur ................................................................................................. 295
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Einleitung
In den vergangenen Jahrzehnten hat ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden, der direkt und indirekt auch die überkommene Geschlechterordnung erfasst. Ausdruck dieses Prozesses sind unter anderem die erhöhte Bildungspartizipation und der Anstieg der Erwerbsarbeit von Frauen, insbesondere von Müttern. Damit verbunden sind Veränderungen in den ‚privaten’ Arrangements der Geschlechter: Der Rückgang der Eheschließungszahlen und -quoten, die Zunahme von Scheidungen, die sinkende Geburtenrate, der Anstieg der Zahl alleinerziehender Mütter (und überproportional auch der Zahl alleinerziehender Väter) und die Herausbildung neuer Formen von Paar- und Familienbeziehungen. Zwar ist die Ehe nach wie vor das dominante Familienmodell. Sie beginnt aber ihre regulative Bedeutung einzubüßen (vgl. Krüger 1997). Die hier skizzierten Entwicklungen wurden vielfach auch von Frauen initiiert und haben zu grundlegenden Veränderungen ihrer Lebenssituationen geführt. Aber auch an Männern sind sie nicht spurlos vorübergegangen. Vielmehr haben sie Verunsicherungen und Komplexitätssteigerungen in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern hervorgerufen, die mit neuen Konfliktlagen einhergehen. Diese neuen Problem- und Konfliktlagen auf sozialstruktureller Ebene, auf der Ebene intersubjektiver Deutungs- und Legitimationsmuster, von Handlungspraxen und auf Seiten der Individuen auszuleuchten, ist ein zentrales Anliegen sozialwissenschaftlicher Frauen- und Geschlechterforschung. In diesem Zusammenhang wurden jedoch Männer, kulturelle Vorstellungen von Männlichkeiten und das Selbstverständnis von Männern bislang nur selten explizit zum Gegenstand empirischer Forschung gemacht. Dies gilt besonders im Hinblick auf die private Seite des MannSeins. Hier sind noch viele Fragen offen: Wie reagieren Männer auf Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen und -beziehungen? Inwieweit sind sie selbst Akteure eines Wandels, sowohl in Richtung der Auflösung als auch der Verfestigung von Hierarchien und Machtbeziehungen? Was sind die Bedingungen und in welchen sozialen Kontexten zeigen sich Tendenzen der Veränderung von Männlichkeiten? Lässt sich gar von einer ‚Krise von Männlichkeit’ sprechen und – darauf zielt zumindest die popu-
lärwissenschaftliche Verwendung der Krisenmetapher ab1 – drückt sich darin eine grundlegende Verunsicherung des Selbstverständnisses von Männern aus? Um diese und ähnliche Fragen wird es auch in der hier vorliegenden Untersuchung gehen. Als ein Indiz dafür, dass auch auf Seiten von Männern etwas in Bewegung geraten ist, wird die seit den 80er Jahren erfolgende Diskursivierung von Männlichkeit gesehen (vgl. Meuser 1998a; Knijn 1995). In den öffentlichen Auseinandersetzungen in den Medien, in Kirchen, Parteien, in der Literatur – vor allem der sog. ‚Männerverständigungsliteratur’ – aber auch in der Wissenschaft, werden neue kulturelle Deutungsmuster von Männlichkeit bereitgestellt, in denen Stereotype von Männlichkeit (und Weiblichkeit) tradiert, aber auch gebrochen werden. ‚Vaterschaft’ und ‚Väterlichkeit’ nehmen in diesen Diskursen einen großen Raum ein (vgl. Stein-Hilbers 1999, 273). Dies wundert nicht, sind Vaterschaft und Väterlichkeit doch zentrale Aspekte des Mann-Seins bzw. von Männlichkeit. Gleichzeitig wird in den Diskursen über Vaterschaft nicht nur Geschlecht, sondern auch die Ausgestaltung der biologischen, rechtlichen und sozialen Eltern-Kind-Beziehung verhandelt. Im Schnittpunkt von ‚Geschlecht’ und ‚Elternschaft’ geht es auch um Fragen der Kontrolle und Regulation von Generativität (Ott 1998; vgl. auch Holtrust 1987). Die öffentlichen Diskurse von Vätern und über Väter sind für Trude Knijn (1995) Ausdruck eines Macht- und Kontrollverlustes und zugleich Anzeichen dafür, dass neue Machtbalancen ausgehandelt werden (vgl. Knijn 1995, 174; Stein-Hilbers 1999, 273). Sie konstatiert eine ‚Krise der Vaterschaft’, für die sie im Wesentlichen zwei Gründe angibt: Der „ (…) erste Grund besteht darin, daß heute alle bisherigen Bedeutungen der Vaterschaft zur Diskussion stehen. Die Fundamente der Vaterschaft – der Status und die Position des Vaters, beide eng verbunden mit der männlichen Geschlechtsidentität – sind nicht länger unumstritten. Der zweite Grund, von einer Krise der Vaterschaft zu sprechen, besteht darin, daß gerade wegen der Änderung der Fundamente von Vaterschaft viele individuelle Väter den Blick dafür verlieren, was Vaterschaft bedeuten könnte und was von ihnen als Vater erwartet wird.“ (Knijn 1995, 173)
1 Zur kritischen Diskussion des Krisenbegriffs vgl. Meuser 1998a, 305; Connell 1987, 158ff, 1999, 105ff.
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Es sei dahingestellt, ob wir es wirklich mit eine Krise der Vaterschaft zu tun haben oder ob krisenhafte Erscheinungen nur einzelne Gruppen von Männern bzw. Vätern betreffen (vgl. Meuser 1998a), jedoch verweist die starke Resonanz auf die Krisenmetapher darauf, dass der überlieferte Zusammenhang von Väterlichkeit und Männlichkeit an Selbstverständlichkeit verloren hat. Empirische Untersuchungen, deren Gegenstand Einstellungs- und Verhaltensweisen von Männern und Vätern waren2 oder die die häusliche Arbeitsteilung3 bzw. die Ausgestaltung von Paarbeziehungen4 in den Blick genommen haben, weisen darauf hin, dass seit den 80er Jahren ein Wandel in den normativen Orientierungen von Männern bzw. Vätern der jüngeren Generation stattgefunden hat. Dieser betrifft im Wesentlichen die Akzeptanz der Erwerbsarbeit von Ehefrauen bzw. Lebenspartnerinnen sowie die Betonung des Engagements von Vätern gegenüber ihren Kindern. Die Orientierung von heute 30- bis 40jährigen Männern an Vorstellungen der Gleichheit und Partnerschaftlichkeit der Geschlechter spricht nach Krüger (1997) sogar für einen grundlegenden ‚normativen Wandel’ gegenüber ihrer eigenen Vätergeneration. Auf der Ebene des faktischen Verhaltens setzen sich ihr zufolge jedoch in dem Moment, in dem Kinder hinzukommen, nach wie vor eher traditionelle Formen der Arbeitsteilung durch. Zwar kann die Frau weiterhin einer Erwerbsarbeit nachgehen, die Last der Vereinbarkeit liegt aber wesentlich auf ihren Schultern. Nur sehr wenige Männer – die so genannten ‚Neuen Väter’ – reduzieren von sich aus ihre Erwerbstätigkeit bzw. nehmen Erziehungsurlaub in Anspruch (vgl. z. B. Strümpel u. a. 1989). Und die Beteiligung von Vätern an der Hausarbeit ist in den vergangenen Jahrzehnten nur geringfügig gestiegen. Allein im Bereich der Kinderbetreuung zeigen Männer heute ein etwas stärkeres Engagement (vgl. Matzner 1998, 45ff). Wenn auch durchaus umstritten ist, ob wir es hier mit einem grundlegenden oder nur tendenziellen normativen Wandel (z. B. Nave-Herz 1994, 1997) zu tun haben, so wird zur Erklärung der Diskrepanz zwischen normativer Orientierung und faktischem Verhalten von Männern zumeist auf die unveränderten bzw. einem nur geringen Wandel unterliegenden institutionellen Rahmenbedingungen verwiesen. So haben Claudia Born,
2 Vgl. Pross 1978; Metz-Göckel/Müller 1986; Zulehner/Volz 1998. 3 Vgl. hier die Forschungsübersicht Matzner 1998. 4 Z. B. Hochschild 1989; Born/Krüger/Lorenz-Meyer 1986; Krüger 1987; Koppetsch/Burkart 1999.
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Helga Krüger und Dagmar Lorenz-Meyer (1996) aufgezeigt, dass die sich auflösenden Normen vom Mann als Familienernährer und der Frau als Hausfrau zwischenzeitlich tief in die Anliegerinstitutionen der Familie – z. B. Bildungseinrichtungen, sozialstaatliche Regelungen – selbst eingelassen sind (Born/Krüger/Lorenz-Meyer 1996, 294). Ähnlich argumentiert auch Francois de Singly (1995), bezogen auf ein Argument von Knijn5. Sie relativiert Knijns These einer ‚Krise der Vaterschaft’ und geht davon aus, dass wir es hinsichtlich der Vaterschaft mit einer Gleichzeitigkeit von Kontinuität und Diskontinuität zu tun haben. So sei zwar das Ideal der väterlichen Autorität nicht mehr maßgeblich für Vorstellungen von Vaterschaft. Väter würden stattdessen immer stärker auch eine emotional und körperlich nahe Beziehung zum Kind suchen. Die Funktion des Vaters als Familienernährer existiere aber faktisch nach wie vor, wie ein Blick auf die Strukturen der Arbeitsteilung in der Familie und in der Erwerbssphäre zeige (vgl. de Singly 1995, 22/23). De Singly kommt zu dem Schluss: „The definition of the new role of the father is not blurred, it is more the question of making this role compatible with the function of the breadwinner.” (de Singly 1995, 25) Beziehen wir in die bisherigen Überlegungen Ergebnisse der Untersuchung ein, die Cornelia Koppetsch und Günter Burkart (1999) über Paarbeziehungen in differenten Milieus vorgenommen haben, wird das dargestellte Bild von Kontinuität und Wandel in den Geschlechterarrangements und -beziehungen noch komplexer. Koppetsch und Burkart blicken bei ihrer Frage nach Kontinuität und Veränderung weniger auf widersprüchliche institutionelle Rahmenbedingungen, sondern werfen einen vertieften Blick darauf, an welchen Normen sich die Individuen in ihren sozialen Praxen orientieren. Dabei haben sie festgestellt, dass entgegen der öffentlich dominant erscheinenden Diskurse der Geschlechtergleichheit nach wie vor latente Geschlechtsnormen die sozialen Praxen der Individuen leiten und sich darüber traditionelle Muster der Verteilung von Arbeit und Anerkennung zwischen den Geschlechtern reproduzieren.6 Die
5 Den Vortrag hielt Knijn im Mai 1994 auf einer internationalen Tagung an der Tilburg University, Niederlande. Er ist im Original veröffentlicht in: van Dongen/Frinking/Jacobs 1995. 6 Mit dem Begriff ‚traditionell’ rekurriere ich auf Vorstellungen und Ausformungen der Geschlechterverhältnisse und -beziehungen, die sich seit 1800 in der bürgerlichen Gesellschaft zunächst für das Bürgertum herausgebildet und dann verallgemeinert haben. Die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts lassen sich vielleicht als der Zeitraum betrachten, in dem Vorstellungen komplementärer, hierarchischer ‚Geschlechtscharaktere’ (Hausen) die Strukturen der
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gilt auch für die Paare im als fortschrittlich geltenden ‚individualisierten Milieu’. Obgleich sich dort Frauen wie Männer bewusst an egalitären Normen orientieren, wird ihr Alltagshandeln von latenten, traditionellen Geschlechtsnormen bestimmt: „Ein Grundkonflikt, der sich durch das individualisierte Milieu zieht, ist die Diskrepanz zwischen diskursiven und praktischen Normen: Während auf der diskursiven Ebene beide Partner glauben, die Regeln des Zusammenlebens selbst zu bestimmen und eine Gleichverteilung der Hausarbeit vorzunehmen, verläuft die Praxis der Paarbeziehung in den bewährten Bahnen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung: eine Gleichverteilung der häuslichen Pflichten wird nicht einmal ansatzweise erreicht. Die Nachhaltigkeit, mit der sich traditionelle Muster reproduzieren, beruht auf der latenten Wirksamkeit von Geschlechtsnormen und geschlechtsspezifischen Gewohnheiten, die sich unabhängig von den verbalen Formen partnerschaftlichen Aushandelns entwickelt haben, und durch rationale Entscheidungen kaum zu beeinflussen sind.“ (Koppetsch/Burkart 1999, 197)
Es ergibt sich also folgendes Bild: Im Bewusstsein vieler jüngerer Männer und Frauen steht – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Frauenbewegung –heute das Postulat der (formalen) Gleichheit der Geschlechter im Vordergrund7. Vor allem hierin drückt sich auch der ‚normative Wandel’ von einer Männergeneration zur anderen aus. Gleichzeitig sind jedoch alltagspraktisch nach wie vor polari-sierende Grundannahmen über die Geschlechterdifferenz und damit verbundene Arbeits- und Aufgabenteilungen wirksam. Neben der Spannung zwischen strukturellen bzw. institutionellen Rahmenbedingungen einerseits und den diskursiven Normen von Geschlechtergleichheit und Gerechtigkeit andererseits lässt sich somit auch eine spezifische Spannung feststellen zwischen einem nun auch von Männern vertretenen Anspruch auf gleiche Chancen und Geltungen der Geschlechter und zugleich nach wie vor im Alltagswissen verankerten, hierarchisierenden Vorstellungen der Geschlechterdifferenz. Letztere sind eng mit Selbstbildern und Identitätskonstruktionen von Männern und Frauen verwoben und gewinnen daraus ihre besondere Beharrlichkeit. Diese Spannung kann – kontextabhängig – zu Transformationen über-
Arbeits- und Aufgabenteilung und der Über- und Unterordnung zwischen den sozialen Geschlechtsgruppen schichtübergreifend am stärksten geprägt haben. 7 Koppetsch/Burkart (1999) haben gezeigt, dass dies durchaus nicht durchgehend so ist, sondern vor allem für Angehörige des individualisierten Milieus zutrifft.
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kommener Deutungsgehalte der Geschlechterdifferenz ebenso führen, wie zu neuen Festschreibungen von Unterschieden. Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die sozialen Prozesse der Veränderung in den Geschlechterverhältnissen und -beziehungen auf unterschiedlichen Ebenen und zwischen diesen Ebenen durch Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche geprägt sind. Diese Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche, davon gehe ich in meiner Arbeit aus, erleben die Individuen als konflikthaft und ambivalent. Dabei ist es unterschiedlich, wie die Individuen mit Konflikten und Ambivalenzen umgehen; dies gilt auch für soziale Gruppen. Davon und vom sozialen Umgang mit den skizzierten gesellschaftlichen Entwicklungen hängt es ab, inwieweit sie zu egalitäreren Geschlechterarrangements und -beziehungen oder aber zu einer Verfestigung bestehender Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern beitragen. Vor dem Hintergrund der dargestellten Dynamiken gesellschaftlichen Wandels wird in der folgenden Studie ein bisher kaum untersuchter Ausschnitt in den Blick genommen: Die kollektiven Orientierungen von Vätern, die sich in Väterinitiativen zusammengeschlossen haben.
Väterinitiativen: Kollektive Deutungsmuster von Vaterschaft und Väterlichkeit und übergreifende Diskurse In meiner Arbeit nehme ich eine Analyse von Publikationen vor, die im Kontext von Väterinitiativen in der Bundesrepublik entstanden sind. Mit ‚Väterinitiativen’ meine ich die Vereine und Verbände, in denen sich Väter zusammengeschlossen haben, um gemeinsam ihr Interesse an einer Umgestaltung des Sorge- und Umgangsrechts zum Ausdruck zu bringen und in denen sie generell um mehr Möglichkeiten für die Aufrechterhaltung und Ausgestaltung der Vater-Kind-Beziehung nach der Trennung oder Scheidung von ihren Partnerinnen ringen. Väterinitiativen verstehen sich einerseits als Selbsthilfegruppen, andererseits auch als politische Gruppierung. Die Motivation einzelner Männer, sich diesen Gruppen anzuschließen, gründet häufig darin, Hilfe in einer persönlichen Problemsituation zu finden, z. B. beim Ausschluss vom Sorge- und Umgangsrecht oder bei Rechtsstreitigkeiten mit der ehemaligen Partnerin. Damit ist davon auszugehen, dass die sich dort engagierenden Väter zu den ca. zehn
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Prozent der hochstrittigen Fälle von Sorgerechts- und Umgangsregelungen gehören.8 Als ‚hochstrittig’ werden in der Regel die Fälle bezeichnet, in denen in einem oft jahrelangen Rechtsstreit das Jugendamt, psychologische Gutachter oder andere Institutionen hinzugezogen werden müssen, um den Scheidungskonflikt zu ‚lösen’. Nehmen wir exemplarisch die Zahl der Scheidungsverfahren mit Kindern im Jahr 2000, dann waren von den 87.630 Verfahren immerhin ca. 8.750 hochstrittig. Von daher wundert es nicht, dass Väterinitiativen, die Vätern in hochstrittigen Fällen Beratung und Deutungsmuster der Konflikte anbieten können, kontinuierlich Zulauf haben. Die öffentlichen Aktivitäten dieser Gruppen sind Bestandteil eines Diskurses, an dem neben den Medien, Vereinen, Verbänden und Parteien vor allem unterschiedliche Professionen bzw. Disziplinen – Rechtswissenschaften, Psychologie, Sozialpädagogik, Soziologie – sowie insbesondere der Staat als Gesetzgeber beteiligt sind. Die seit nahezu 20 Jahren geführten Diskussionen ranken sich um Fragen der Ausgestaltung der Geschlechter- und Generationenbeziehungen und deren rechtlicher Regulierung. Dreh- und Angelpunkt waren die Novellierungen des Kindschaftsrechts, dessen letzte Reform am 1. Juli 1998 in Kraft trat. Marlene SteinHilbers hat in ihrem 1994 erschienen Buch „Wem ‚gehört’ das Kind?" diese Debatten ausführlich beschrieben. Ein zentraler Themenschwerpunkt dieser Auseinandersetzungen betraf die Gestaltung von Sorge- und Umgangsrechten verheirateter und nicht verheirateter Eltern. Besonders umkämpft war hier die Einführung der gemeinsamen elterlichen Sorge als Regelfall nach einer Scheidung. Dabei spielte die Interpretation des Begriffs des ‚Kindeswohls’ eine entscheidende Rolle. Das ‚Kindeswohl’ ist ein grundsätzlich auslegungsbedürftiger Begriff, der die Verpflichtung enthält, bei allen rechtlichen Eingriffen in die Eltern-Kind-Beziehung kindzentriert zu denken (vgl. Coester 1983, 218; Stein-Hilbers 1999, 278). Somit ist dieser Begriff „offen gegenüber sich historisch, kulturell und situativ wandelnden Auffassungen über Rechte und Bedürfnisse des Kindes." (Stein-Hilbers 1999, 278) Durch die Verpflichtung, kindzentriert zu denken, wurden in den Diskussionen „(…) die Interessen von Vätern und Müttern nicht mehr öffentlich als solche benannt, sondern ausschließlich als dem Wohl des Kindes dienend präsentiert." (Stein-Hilbers 1999, 281) Mit der Verabschiedung des Kindschafts-
8 Diese Zahl findet sich in der gesamten Literatur zu Sorge- und Umgangsrechtsverfahren wieder.
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rechtsreformgesetz 1998 wurde die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall eingeführt und dabei der Gedanke des Kindeswohls wesentlich als Recht des Kindes auf beide biologischen Eltern interpretiert. Damit wurde „die rechtliche und soziale Privilegierung der Mutter-Kind-Zuordnung zur Disposition gestellt" (Stein-Hilbers 1999, 281), die Relevanz des Vaters für das Kind wurde dagegen stark aufgewertet, ohne dass dies mit einer tatsächlich größeren Zunahme der konkreten Personensorge von Vätern für das Kind einhergeht. 9 Dass mit der Neuinterpretation des Kindeswohls auch eine Revision des bisherigen gesetzlichen Familienleitbildes erfolgte, hat Jutta EckertSchirmer (1996) herausgearbeitet: Durch die Berücksichtigung neuer psychologischer Konzepte, d. h. der Abkehr von der Orientierung des Gesetzgebers an bindungstheoretischen Ansätzen zugunsten systemischer Ansätze, hat sich ihr zufolge beim Gesetzgeber ein neues Familienbild durchgesetzt. Zur Grundlage sozialrechtlicher Normen wurde die „Entkoppelung“ von Ehe und Elternschaft (Tyrell/Herlth 1994) gemacht (vgl. Eckert-Schirmer 1996, 210). Eltern sollen heute ihre Partnerkonflikte so weit von ihren Beziehungen zu den Kindern trennen können, dass sie die gemeinsame Elternverantwortung fortführen können (vgl. 211). Anders als Stein-Hilbers geht sie damit davon aus, dass in dem neuen Kindschaftsrecht nicht allein die biologische Elternschaft zentral ist, sondern Elternschaft überhaupt: Beratungsangebote richten sich dem gemäß auch an Stiefeltern. Ein Blick darauf, bei welchem Elternteil die Kinder im Fall der gemeinsamen Sorge ihren Lebensmittelpunkt haben, zeigt allerdings,
9 Betrug die Zahl der Fälle, in denen die elterliche Sorge beiden Elternteilen gemeinsam belassen wurde, im Erhebungszeitraum vom 1. Juli 1994 bis 30. Juni 1995 im Bundesgebiet 17,07% (74,64% alleinige Sorge der Mutter, 8,26% alleinige Sorge des Vaters), wobei die Zahlen nach Bundesländern sehr stark variierten (vgl. Mühlens/Kirchmeier/Greßmann 1998), stieg nach der Kindschaftsrechtsreform der Anteil der Fälle der Entscheidung für die gemeinsame Sorge (ohne Antrag) im Jahr 2000 auf 69,35%, zu denen man noch die 6,19% der Fälle hinzurechen muss, die auf Antrag erteilt wurden. Nur auf die Mutter übertragen wurde die elterliche Sorge in 21,62% der Fälle, nur auf den Vater in 1,52% der Fälle (vgl. Proksch 2002, 51). Väter scheinen also nur in sehr seltenen Fällen Interesse an der alleinigen Sorge zu haben. Sie engagieren sich vor allem für die Beteiligung an der Sorge. Betrachtet man die Zahlen über den Lebensmittelpunkt der Kinder bei den Eltern mit gemeinsamer Sorge, die Roland Proksch aus seiner Elternbefragung gewonnen hat, zeigt sich, dass insgesamt nur 12,6% der ersten und 9,9% der zweiten Kinder bei den Vätern wohnen. Alter und Geschlecht der Kinder spielen dabei eine Rolle: Kinder, die älter sind als 12 Jahre, leben häufiger bei dem Vater als jüngere, Jungen mehr als Mädchen (vgl. Proksch 2002, 60/61). Vergleicht man die Zahlen mit denen von 1995, dann lässt sich vermuten, dass sich die Zahl der Kinder, die vorrangig beim Vater leben, insgesamt nicht stark geändert hat.
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dass es nach wie vor Mütter sind, die vorrangig die konkrete Sorge für die Kinder tragen. In Richtung einer stärkeren Verantwortung von Vätern für die konkrete Personensorge hat das neue Kindschaftsrecht also kaum Erfolg gehabt. Frühere Untersuchungen zur Praxis des gemeinsamen Sorgerechts (vgl. Macoby/Mnookin 1995; Limbach 1989) haben dies bereits erwarten lassen. Sie haben gezeigt: Physical custody und legal custody fallen meist auseinander. Gleichwohl wird mit dem neuen Kindschaftsrecht die Erwartung an beide Elternteile gerichtet, auch nach der Trennung eine gemeinsame Elternverantwortung zu übernehmen. Dies erfordert von allen Beteiligten eine große Fähigkeit des Konfliktmanagements sowie einen sozialen Rahmen, der es ermöglicht, über auftretende Konflikte reflektieren zu können. Die vielgestaltigen Diskurse um das Kindschaftsrecht und die Regelung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach der Scheidung als Regelfall wurden in den vergangenen Jahren auch in geschlechtertheoretischer Perspektive untersucht. In Deutschland hat vor allem Stein-Hilbers (1991, 1993, 1994a, 1994b, 1999) ana-lysiert, wie Geschlechterbeziehungen und Elternschaft in den Diskursen um das Kindschaftsrecht verhandelt werden. Die meisten Untersuchungen sind aber in englischsprachigen Ländern und den Niederlanden vorgenommen worden, in denen die politischrechtliche Entwicklung hin zu einer neuen Auslegung des Kindeswohlgedankens, welche mit größeren Rechten von Vätern verbunden wird, bereits früher eingesetzt hat (vgl. z. B. Sevenhuijsen 1986, 1992; Verheyen 1987; Bönnekamp 1987; Fineman 1991).10 In den meisten der vorliegenden englischsprachigen Untersuchungen geht es um die rechtlichen und politischen Konsequenzen, welche die Diskurse, die sich um Scheidung, Kindeswohl bzw. Sorge- und Umgangsrechte ranken, mit sich bringen. In geschlechtertheoretischer Sicht fokussiert wurde insbesondere die Diskrepanz einer Rhetorik der Gleichheit von Vätern und Müttern als Eltern und empirisch nach wie vor vorhandenen sozialen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen, Vätern und Müttern (z. B. Fineman 1991). Eine Diskrepanz, die auch in meiner Untersuchung Bedeutung haben wird.
10 Auch wenn es nationale Besonderheiten in der Verrechtlichung der elterlichen Sorge und des Umgangs bei Trennung und Scheidung gibt, zeigen sich in den Diskursen der westlichen Industrienationen große Ähnlichkeiten. Dies betrifft auch die Argumentationen der Väter, die sich in Väterinitiativen zusammengeschlossen haben und die international vernetzt sind.
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Ich konzentriere mich in meiner Arbeit auf die öffentlichen Auseinandersetzungen bundesrepublikanischer Vätergruppen, die sich im Kontext der skizzierten rechtspolitischen Auseinandersetzungen abspielen. Die Debatten um Sorge- und Umgangsrechte bei Trennung und Scheidung bilden allerdings nur den Hintergrund meiner Untersuchung. Vielmehr fokussiere ich Vätergruppen als diskursiven Raum, in dem Vorstellungen über Vaterschaft, Väterlichkeit und Männlichkeit neu interpretiert oder reinterpretiert werden. Durch die Trennung oder Scheidung von ihrer Partnerin und den damit zumeist einhergehenden Verlust des selbstverständlichen Umgangs mit ihren Kindern scheinen diese Männer in eine Verunsicherung geraten zu sein, die einen zentralen Aspekt ihres MannSeins betrifft: ihre Vaterschaft. Der Versuch, Öffentlichkeit für ihr Anliegen herzustellen, zwingt sie zugleich, sich öffentlich als Väter darzustellen. Ob sie nun neue Vorstellungen von Vaterschaft und Väterlichkeit konstruieren oder alte Deutungsmuster fortschreiben, in jedem Fall handelt es sich bei ihren Äußerungen um Resultate von Selbstreflexion und Formen der Selbst-Legitimierung, an denen sich Facetten der Sinngebung von Vaterschaft, Väterlichkeit und Männlichkeit unter Bedingungen eines Konflikts studieren lassen. Ich gehe davon aus, dass wir in den Argumentationen der Vaterrechtsgruppen eine spezifischen Verzahnung historisch neuer mit überkommenen Vorstellungen und Interpretationen von Vaterschaft, der Geschlechterbeziehungen und der Geschlechterdifferenz vorfinden werden, die auch über diese Gruppen hinaus gesellschaftliche Relevanz hat. Meine hermeneutische Untersuchung von Publikationen, die im Kontext von Väterinitiativen entstanden sind, zielt auf die Analyse solcher neuen und alten Ausdeutungen von Vaterschaft, Väterlichkeit, Männlichkeit, der Geschlechterarrangements und -beziehungen. Dabei ermöglicht mir die hermeneutische Interpretation einzelner Texte, nicht nur den manifesten, sondern auch den latenten Sinngehalt der Texte auszuloten. Damit lassen sich auch eventuelle Widersprüche und Unstimmigkeiten zwischen manifesten und latenten Sinngehalten der betrachteten Teste erkennen. Durch diese Perspektive unterscheidet sich die vorliegende Arbeit auch von der einzigen mir bekannten Untersuchung, welche sich ebenfalls auf Väterinitiativen konzentriert. Carl E. Bertoia und Janice Drakich (1993, 1995) haben sowohl öffentliche Verlautbarungen kanadischer Väterrechtgruppen untersucht, als auch Mitglieder dieser Gruppen interviewt. Ziel ihrer Untersuchung war es, Widersprüchen zwischen der kollektiven, öffentlichen Rhetorik der Väterinitiativen und den privaten Artikulationen einzelner Mitglieder aufzudecken. Die Frage nach Widersprüchen zwi20
schen dem manifesten und dem latenten Sinngehalt ihres jeweiligen Materials, die nur durch einen hermeneutischen Ansatz zu erfassen ist, war aber sowohl vom methodischen Zugriff her als auch inhaltlich bei ihnen nicht angelegt. So blieb die sehr interessante Arbeit bei der Analyse der manifest geäußerten Vorstellungen der Väter und der auf dieser Ebene erkennbaren Widersprüche stehen.11 Ich gehe davon aus, dass unter dem systematischen Einbezug des latenten Sinngehaltes des Materials Deutungsmuster in einer tieferen Schicht analysiert werden können und damit auch ein schärferer Blick auf die Konflikte der Väter möglich wird, die sich in Väterinitiativen engagieren. Ich denke, dass die oben angesprochene Spannung zwischen der manifesten Orientierung an einem Gleichheitsanspruch und der (latenten) Bezugnahme auf Unterschiede und Hierarchien zwischen den Geschlechtern in den Argumentationen von Väterinitiativen in besonderer Weise zum Ausdruck kommen. Als politische Gruppierung stellen sie die Forderung nach Gleichberechtigung mit Frauen in Bezug auf die Umgangs- und Sorgerechte mit bzw. für ihre(n) Kinder(n). Inhaltlich, so ist anzunehmen, werden von ihnen dabei Gleichheit und Differenzen zwischen den Geschlechtern in unterschiedlicher Weise ins Spiel gebracht. In welcher Weise, mit welchen Inhalten dies geschieht, ist eine Frage, die ich untersuchen möchte. Dabei interessiert mich, ob und wie in den Selbstkonstruktionen von Vätern als Vätern bürgerlich-traditionelle Deutungsmuster von Männlichkeit und Väterlichkeit bzw. Weiblichkeit und Mütterlichkeit in Frage gestellt und aufgebrochen bzw. verstärkt und befestigt werden. Wie weit reflektieren die Väter dabei Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen und Geschlechterarrangements? Wie deuten sie diese aus? Welche Normalitätsvorstellungen von den Arrangements und Beziehungen zwischen den Geschlechtern werden entworfen? In einem ersten Kapitel diskutiere ich Konzeptualisierungen von Geschlecht und Männlichkeit und nehme auf dieser Basis einige für die Ar-
11 Die AutorInnen machen im Wesentlichen zwei Widersprüche aus: Der erste liege in der Rhetorik der Väterinitiativen, hinsichtlich der Möglichkeit der alleinigen Sorge auf Gleichheit zwischen Vätern und Müttern zu pochen. In den Interviews kam aber zum Ausdruck, dass viele der Väter gar nicht das alleinige Sorgerecht wollten, sondern vorrangig die Möglichkeit nach einem freien Zugang zu den Kindern anstrebten. Der zweite Widerspruch bestehe zwischen der von den Väterinitiativen öffentlich proklamierten Beteiligung an der Fürsorge für die Kinder und an der Hausarbeit und den in den Interviews verwandten Vorstellungen von ‚Helfen’ im Haushalt. Die grundlegende Kinderbetreuung werde so weiter an die Mutter delegiert (vgl. Bertoia/Drakich 1995).
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beit relevante begriffliche Klärungen vor. Im zweiten Kapitel gehe ich genauer auf Väterinitiativen als ein neues soziales Phänomen ein und spezifiziere meine Forschungsperspektive und meine Fragestellungen. Im dritten Kapitel stelle ich methodologische und methodische Überlegungen und ihre Umsetzung in meiner Studie dar. Das große vierte Kapitel ist ganz der Darstellung der Analyse und ihrer Ergebnisse gewidmet, die in den Betrachtungen zum Schluss noch einmal gebündelt werden.
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1 Geschlecht, Männlichkeit und Vaterschaft
Unter der Leitfrage, wie eine bestimmte Gruppe von Männern gesellschaftliche Veränderungen, insbesondere Veränderungen der Geschlechterarrangements- und -beziehungen, interpretiert und wie sie darauf reagiert, untersuche ich also Deutungsmuster und kollektive Orientierungen von Vätern, die sich im Kontext von Väterinitiativen engagieren. Mit dieser Fragestellung sieht sich die Arbeit im ‚interpretativen Paradigma’12 einer soziologischen Geschlechterforschung verortet, die einen Beitrag leisten möchte zu einer ‚Soziologie der Männlichkeit’, wie Meuser sie benennt: „Einer Soziologie der Männlichkeit stellt sich die Aufgabe, vor dem Hintergrund der skizzierten Veränderungen im ‚Arrangement der Geschlechter’ (Goffman 1994a) in herrschaftskritischer Perspektive sowohl die Strukturen männlicher Hegemonie zu entschlüsseln als auch Möglichkeiten einer nicht hegemonialen Männlichkeit zu erkunden.“ (Meuser 2000, 49)
Zwei Aspekte möchte ich von diesen von Meuser benannten Aufgaben einer ‚Soziologie der Männlichkeit’ herausgreifen: Zum einen sieht er eine Soziologie der Männlichkeit eingebettet in eine Theorie sich wandelnder Geschlechterarrangements und Geschlechterverhältnisse (vgl. Meuser 1995). ‚Geschlecht’ wird damit als eine soziale Kategorie ver-
12 Das interpretative Paradigma lässt sich mit Matthes „als grundlagentheoretische Position bezeichnen, die davon ausgeht, daß alle Interaktion ein interpretativer Prozeß ist, in dem die Handelnden sich aufeinander beziehen durch sinngebende Deutungen dessen, was der andere tut oder tun könnte“ (Matthes 1973, 201; zit. n. Lamnek 1988, 43). Soziale Realität wird also als durch Interaktionshandlungen konstituiert begriffen. Die methodologische Konsequenz, die das interpretative Paradigma aus diesem Verständnis sozialer Wirklichkeit zieht, ist nach Siegfried Lamnek folgende: „Wenn Deutungen konstitutiv sind für die ‚gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit’ (vgl. Berger/Luckmann 1966), dann muss auch die Theoriebildung über diesen Gegenstandsbereich als interpretativer Prozess angelegt sein.“ (Lamnek 1988, 43) Oder konkreter mit Matthes: Die „(…)Prozesse der Interpretation, die in den jeweils untersuchten Interaktionen ablaufen, müssen interpretierend rekonstruiert werden“ (Matthes 1973, 202; zit. n. Lamnek 1988, 43).
standen, entlang der sich soziale Grenzziehungen formieren und Strukturen ausbilden. Ich teile diese Perspektive. Wie bereits in der Einleitung deutlich wurde, bieten Vorstellungen von sich verändernden Arrangements und sozialen Verhältnissen zwischen den Geschlechtern die Folie, von der aus ich die Publikationen analysiere, die im Kontext von Väterinitiativen entstanden sind. In einem ersten Abschnitt möchte ich daher mein Verständnis der Begriffe ‚Geschlechterverhältnisse’ und ‚Geschlechterarrangements’ darlegen. Danach wende ich mich der von Meuser eingeforderten ‚(herrschafts)kritischen Perspektive’ zu. Sie zielt auf eine Analyse der Herausbildung und Reproduktion der mit den sozialen Grenzziehungen zwischen den Geschlechtern verbundenen Machtgefällen zwischen Frauen und Männern. Während es aus einem gesellschaftstheoretischen Blickwinkel heraus relativ klar erscheint, wie nach Phänomenen der Macht, Herrschaft und Gewalt gefragt werden kann, liegt dies bei den Arbeiten, an denen ich mich orientiere, nicht unmittelbar auf der Hand. Gemeint sind eher interaktionstheoretische und wissenssoziologische Ansätze, die vor allem Prozesse der (Re-)Konstruktion von ‚Geschlecht’ fokussieren. Im zweiten Abschnitt werde ich daher diskutieren, ob und inwieweit in dieser Perspektive kritisch nach Dimensionen von Herrschaft und Macht, nach Hierarchien gefragt werden kann, und dabei zugleich den theoretischen Hintergrund meiner Untersuchung konturieren. Im dritten Abschnitt stelle ich ein Konzept von Männlichkeit vor, an dem ich mich in der Studie orientiere: das von Robert W. Connell in die Diskussion gebrachten Konzept „hegemonialer Männlichkeit“ (Connell 1987, 1995, 1999). Im Anschluss werde ich Ergebnisse von Meusers empirischer Untersuchung kultureller Deutungsmustern von Männlichkeit darstellen und wende mich darüber dem Verhältnis von Männerforschung und Vaterforschung zu.
1.1 ‚Geschlechterverhältnisse’ und ‚Geschlechterarrangements’ Die in den von mir analysierten Publikationen vorgenommenen Ausdeutungen der sozialen Beziehungen zwischen Männern und Frauen verweisen auf Veränderungen, die in den vergangenen Jahrzehnten in den Geschlechterverhältnissen und den Arrangements zwischen den Geschlechtern erfolgt sind. Unter ‚Geschlechterverhältnissen’ verstehe ich in Anlehnung an Regina Becker-Schmidt, Gudrun-Axeli Knapp, Irene Dölling u. a. die Art und Weise, wie in einer Gesellschaft Frauen und Männer als soziale 24
Gruppen, als Genus-Gruppen, kulturell und strukturell zueinander ins Verhältnis gesetzt sind (vgl. Becker-Schmidt/Knapp 1995, 7; Dölling 2003, 76). Von Genus-Gruppen zu sprechen bedeutet dabei nicht, dass es sich um sozial homogene Einheiten handele (vgl. Becker-Schmidt 2000, 37). Die Relationen zwischen den Geschlechtern stehen in Wechselbeziehungen mit anderen Kategorien sozialer Strukturierung. Wichtige Felder der Analyse von Geschlechterverhältnissen sind die Vergesellschaftungsformen von Arbeit, Generativität und Sexualität (vgl. Knapp 1992, 295) und damit verbundene Strukturen der Exklusion und Inklusion, der Überund Unterordnung. Ich verwende diesen Begriff, wenn ich auf einer eher abstrakten Ebene über Veränderungen gesellschaftlicher Verhältnisse spreche und damit z. B. Veränderungen von Strukturen der Arbeitsteilung, der Institution Familie, der Regulation von Generativität fokussiere. Der in dieser Arbeit zentrale Begriff ist allerdings der des ‚Geschlechterarrangements’. Durch ihn rückt das Verhältnis zwischen kulturellen Deutungsmustern und Verhaltensmustern individueller und kollektiver Akteure in den Vordergrund (vgl. Gottschall 2000, 222). Karin Gottschall geht in Anlehnung an Arbeiten von Birgit Pfau-Effinger von einem Begriff des Geschlechterarrangements aus, der auf die „(…) komplexen und raum-zeitlich variierenden Wechselbeziehungen zwischen den kulturellen Werten und Leitbildern, den Institutionen und dem Handeln sozialer Akteure“ (Gottschall 2000, 222) abhebt. „Diese Wechselbeziehungen markieren den Rahmen, in dem sich Geschlechterarrangements konstituieren. Dabei können Geschlechterarrangements je nach sozialhistorischer Konstellation mehr oder weniger konflikthaft, durch Kohärenz oder aber durch Widersprüche und Ungleichzeitigkeiten gekennzeichnet sein. Sozialer Wandel ergibt sich demnach daraus, dass sich innerhalb von bestehenden Geschlechterarrangements, auf der Ebene von Institutionen oder kulturellen Werten, oder aber in den Beziehungen der sozialen Gruppen Spannungen herausbilden, die unter bestimmten Bedingungen dazu führen, dass soziale Akteure das überkommene Arrangement in Frage stellen und neue Aushandlungsprozesse herausfordern.“ (Gottschall 2000, 222 Hervorh. d. Verf.; vgl. Dölling 2003, 75/76)13
13 Nach Dölling entfaltet der Begriff des ‚Geschlechterarrangements’ seine analytische Kraft nur, wenn er in einen theoretischen Erklärungsrahmen eingebettet ist, „(…) der die Strukturiertheit von Geschlechterarrangements durch das Geschlechterverhältnis gesellschaftstheoretisch bestimmt.“ (Dölling 2003, 76) In meiner Arbeit kann dieser gesellschaftstheoretische Erklärungsrahmen allerdings nur einen heuristischen Hintergrund meiner Über-
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Die Gruppe der Väter, die sich in Väterinitiativen engagieren und in diesem Kontext publizieren, mischt sich ein in die komplexen Aushandlungsprozesse über die soziale Regulation von Generativität und damit verbundene Fragen der (Ver-)Teilung von Arbeit und Einkommen zwischen den Geschlechtern. Dabei ist noch offen, ob und in welcher Weise sie bestehende Arrangements zwischen den Geschlechtern in Frage stellen oder ob sie durch ihre Interpretation der sozialen Prozesse und der mit ihnen einhergehenden Konflikte eher zu ihrer Verfestigung beitragen. Wichtig für meine Überlegungen ist, dass ‚Geschlechterarrangements’ als in sich widersprüchlich und ungleichzeitig gedacht werden können und der Begriff eine Öffnung erlaubt, nach Konflikten der in diese Arrangements eingebundenen Individuen zu fragen. Im konzeptionellen Horizont des Begriffs des ‚Geschlechterarrangements’, der auf eine interaktions- bzw. im weiteren Sinne intersubjektivitätstheoretische Perspektive verweist, werden Konflikte als interindividuelle oder Intergruppenkonflikte erfassbar. Um meine Analysemöglichkeiten im Sinne einer Einbeziehung intraindividueller Konflikte erweitern zu können, werde ich auch auf (sozial)psychologische Ansätze zurückgreifen, die z. B. den Begriff der ‚Ambivalenz’ zur Verfügung stellen.14 Dabei gehe ich davon aus, dass die thematisierten Konflikte selbst Interpretationen der widersprüchlichen Anforderungen sind, denen sich die Individuen ausgesetzt fühlen. Ein weiterer Begriff, den ich häufig verwende, ist der Begriff der ‚Geschlechterbeziehungen’. Er hebt auf die ganz konkreten individuellen Beziehungen von Frauen und Männer ab. Dieser Begriff ermöglicht den Blick auf die Art und Weise, wie individuelle Aushandlungsprozesse in den Beziehungen verlaufen, und wie die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Geschlechtern sich dabei verändert oder auch nicht.
legungen abgeben, aus meinem Material und durch meinen theoretischen und methodischen Zugriff kann ich keine Aussagen über die Verfasstheit der Geschlechterverhältnisse treffen. 14 Goffman, der den Begriff des ‚Geschlechterarrangements’ ins ‚Spiel’ gebracht hat (Goffman 1994a) und ein zentraler Vertreter interaktionstheoretischer Ansätze ist, hat zwar in seinen theoretischen Überlegungen deutlich gemacht, dass „(…) der eigentliche Gegenstand der Interaktion nicht das Individuum und seine Psychologie’ sei, sondern eher die syntaktischen Beziehungen zwischen den Handlungen verschiedener gleichzeitig anwesender Personen.“ (Goffman 1971, 8; zit. n. Knobloch 1994, 12). In seinen Arbeiten kommt allerdings auch immer wieder eine eingenommene subjektive Perspektive des Individuums zum Tragen, welches gesellschaftliche Probleme bewältigen muss (vgl. Knobloch 1994; Hitzler 1992).
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1.2 Die Konstitution sozialer Ordnung und Prozesse der Differenzierung und Hierarchisierung von Geschlecht Kritische Geschlechterforschung richtet sich auf Phänomene sozialer Ungleichheit, auf Herrschaft, Hierarchien, Macht und Gewalt zwischen den Geschlechtern. Knapp, die in ihrer mit Regina Becker-Schmidt verfassten Einführung in feministische Theorien (2000) verschiedene ‚Facetten der Sex-Gender-Debatte’ diskutiert, macht deutlich, wie in einer eher gesellschaftstheoretisch ausgerichteten Perspektive nach diesen Phänomenen gefragt werden kann: „Wie kommt es zu ungleichen Verteilungen von materiellen, politischen und symbolisch-kulturellen Ressourcen zwischen den Geschlechtern? Wie sind Strukturen der Geschlechtersegregation zu erklären, warum kommt es zur Abwertung und Deklassierung von Frauen, in welchem Zusammenhang stehen Geschlechtertrennungen, hierarchische Verhältnisse zwischen den Genus-Gruppen und spezifische Vorstellungen von Geschlechterdifferenz?“ (Knapp 2000, 65)
In diesen Fragen wird allerdings die Existenz von zwei Geschlechtern noch vorausgesetzt, wenn auch im Sinne eines historisch-kulturellen Konstitutions- bzw. Vermittlungszusammenhangs, zu dem letztlich auch die kulturelle Zweigeschlechtlichkeit, die biologisch begründete Unterscheidung zweier Geschlechter zählt. Der Blickwinkel, in dem diese Fragen verfolgt werden, reicht – im Sinne der konventionellen soziologischen Unterscheidungen – von der Mikro- über die Meso- bis zur Makro-Ebene der Gesellschaft. Zumindest programmatisch setzt dabei die Untersuchung der Geschlechterverhältnisse den Blick auf deren Einbindung in den gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang voraus. Lässt sich aber eine ‚herrschaftskritische Perspektive’ einnehmen in interaktionstheoretischen und wissenssoziologischen Ansätzen, die die Prozesse des ‚doing gender’, der sozialen Herstellung von Geschlecht, in einer stärker mikro- bis meso-analytischen Perspektive fokussieren? Kann man in diesem theoretischen Kontext überhaupt von einer ‚herrschaftskritischen Perspektive’ sprechen? Um diese Fragen zu beantworten, skizziere ich zunächst die Ausgangspunkte dieser Forschungsausrichtungen15: 15 Die Grundprämissen dieser Ansätze sind bereits in vielen Arbeiten zusammenfassend dargestellt worden. Da es mir hier darum geht, eine analytische Perspektive zu kennzeichnen, die ich in meiner Arbeit einnehme, und nicht darum, sie grundsätzlich zu diskutieren,
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Ansätze, die seit Beginn der 90er Jahre16 unter dem Label des ‚Konstruktivismus’ Einzug auch in die bundesdeutsche Geschlechterforschung erhalten haben, stellen die selbstverständliche Annahme, dass es zwei Geschlechter (und nur zwei) Geschlechter ‚gibt’, in Frage. Den unter diesem Label erschienenen verschiedenen Untersuchungen, die sich immanent von der theoretischen Anlage her stark unterscheiden, ist gemeinsam, dass sie die Frage „(…) nach der Relationierung von Natur und Kultur in Bezug auf die Kategorie Geschlecht neu aufwerfen. In dem Maße, in dem ‚Geschlecht’ zu einem Gegenstand sozialwissenschaftlicher Analyse wird, wird die Aufmerksamkeit zudem systematisch darauf gelenkt, dass dieser Gegenstand in ganz grundsätzlichem Sinn sinnhaft strukturiert ist. Sie sind sich auch in dem Punkt einig, dass eine säuberliche Trennung von Natur und Kultur unmöglich ist und folgern daraus, dass das so genannte ‚biologische Geschlecht’ (‚sex’) der Analyse nicht vorgelagert werden kann.“ (Gildemeister 2001, 69; Hervorh. d. Verf.)
Der Blick ethnomethodologisch-interaktionstheoretischer sowie wissenssoziologischer Ansätze in der Geschlechterforschung, richtet sich auf die soziale Konstruktion von Geschlecht, bzw. genauer, von Geschlechtsbedeutungen. In Anknüpfung an die Arbeiten von Harold Garfinkel (1967), Suzanne Kessler/Wendy McKenna (1978), Candance West/Don Zimmermann (1987) und anderer soll „(…) die Art und Weise erforscht werden, in der Gesellschaftsmitglieder auf soziokulturell institutionalisierte Wissensbestände, auf kulturelle Deutungs-
verzichte ich in diesem Fall auf die Bezugnahme auf Primärliteratur und orientiere mich im Weiteren vor allem an den Darstellungen von Knapp (2000) und Gildemeister (2001). 16 Im deutschsprachigen Raum tauchten erste konstruktionstheoretische Ansätze in der Geschlechterforschung in den 80er Jahren auf (vgl. Carol Hagemann-White 1984; 1989). Regine Gildemeister und Angelika Wetterer, die Anfang der 90er Jahre mit ihrem Aufsatz „Wie Geschlechter gemacht werden. Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung“ interaktionstheoretisch-wissenssoziologische Ansätze in den Diskurs eingebracht haben, haben allerdings recht, wenn sie von einer bis zu dieser Zeit bestehenden „Rezeptionssperre“ gegenüber solchen Ansätzen sprechen (vgl. Gildemeister/Wetterer 1992, 203). U. a. dieser Aufsatz hat nach 1992 einen wahren ‚Rezeptionsboom’ konstruktionstheoretischer Ansätze ausgelöst, so dass Gildemeister knapp zehn Jahre später eine „inflationäre Begriffsverwendung“ des Konstruktionsbegriffs (Gildemeister 2001, 67) konstatieren konnte.
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muster von ‚Geschlecht“ zurückgreifen, sie situationsspezifisch anwenden und dabei reinterpretieren.“ (Knapp 200, 74)
Gefragt wird danach, „(…) wie es zu der binären, wechselseitig exklusiven Klassifikation von zwei Geschlechtern kommt und wie diese Klassifikation mit Bedeutungen aufgeladen wird“ (Gildemeister 2001, 71; vgl. Knapp 2000, 74). Analysiert werden soll der Prozess der Herstellung von ‚Geschlecht’, der Prozess der Geschlechterdifferenzierung: „Das ‚doing gender’, wie dieser Prozess genannt wurde, ist (...) eine permanente, andauernde Praxis von Zuschreibungs-, Wahrnehmungs- und Darstellungsroutinen, die sich lebensgeschichtlich niederschlägt, verfestigt und identitätswirksam wird“. (Gildemeister 2001, 74)
Der mikrologische Blick auf die Prozesse der Konstruktion von Geschlecht, so wird schnell deutlich, lässt sich mit gesellschaftstheoretischen, herrschaftskritischen Konzepten nicht unmittelbar verbinden. Insbesondere die im engeren Sinne ethnomethodologisch-interaktionstheoretische Sicht bringt das Problem mit sich, dass sie die Konstruktion von Geschlecht, das ‚doing gender’, als mehr oder weniger ‚lokale’ Angelegenheit begreift. Sie richtet ihren Blick auf den situativen Kontext des Handelns (vgl. Meuser 2000). Nach Meuser (2000, 52) muss sich der Blick aber auch auf die situationsübergreifenden Einbindungen des Handelns ausdehnen, da das ‚doing gender’ auch in transsituativen Kontexten stattfinde. Dabei, so betont er, „(…) muß dies in einer Weise geschehen, dass rekonstruiert wird, wie solche Einbindungen im Handeln bedeutsam werden.“ (Meuser 2000, 52; Hervorh. d. Verf.)17 Auch Gildemeister setzt an dem Problem der Begrenztheit der Analyse der unmittelbaren Interaktion an, da auf dieser Ebene nicht zu verstehen sei, warum sich die „(…) streng binäre Klassifikation und die darin eingelagerte Asymmetrie im Geschlechterverhältnis trotz des vielfach aufgedeckten brüchigen Charakters über lange Zeitreihen hinweg als stabil erwiesen hat und immer noch erweist“ (Gildemeister 2001, 74).
17 Auf die Vorstellungen Meusers, wie dies konzeptionell zu bewerkstelligen sei, gehe ich weiter unten ein.
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Ihr zufolge ist es dazu notwendig, mit der Analyse von Institutionen eine andere Analyseebene zu beschreiten.18 Möglich sei dies unter Rückgriff auf eine im engeren Sinne wissenssoziologische Perspektive, die unter anderem in der Wissenssoziologie Berger/Luckmann begründet sei, aber auch Anregungen durch die Arbeiten Goffmans oder von der Institutionentheorie von Mary Douglas (1991) erhalte (vgl. Gildemeister 2001, 76). Anders als in der Ethnomethodologie liege bei Berger/Luckmann (1996) der Schwerpunkt der Arbeit nicht in der Frage, wie soziale Wirklichkeit methodisch erzeugt werde. Vielmehr gehe es darum, „(…) wie soziale Ordnung als kollektiv produzierte zustande kommt und wie sie Menschen als objektiv erfahrbare Ordnung gegenüber tritt“ (Gildemeister 2001, 76). Damit würden die Prozesse anvisiert, die zu einer Objektivierung sozialer Ordnung führen, dazu, dass eine widerständige Außenwelt empirisch erfahrbar wird. Diese Prozesse sind Prozesse der Institutionalisierung und der Legitimation (vgl. Gildemeister 2001, 76). Dies impliziert, dass jede Handlung in dieser objektivierten gesellschaftlichen Wirklichkeit immer schon eine soziale Vorgabe findet. „Zugleich muß in jeder Handlung diese Vorgabe situationsangemessen und kontextsensibel ausgedeutet werden. Das dazu erforderliche ‚Wissen’ ist (...) kein Abdruck, keine Wiederspiegelung einer unabhängig existierenden äußerenWirklichkeit. Es ist selbst das Ergebnis eines spezifischen gesellschaftlichen Konstruktionsprozesses.“ (Gildemeister 2001, 81)
Um die hier dargestellten Prozesse der Institutionalisierung und Legitimation und ihrer Reproduktion zu analysieren, müsse allerdings wieder auf die Ebene der Interaktion zurückgegangen werden, da sich auf dieser Ebene soziale Wirklichkeit reproduziere.19 Der Ansatz von Berger/Luckmann, so Gildemeister zusammenfassend, ziele also „auf die Konstitution sozialer Ordnung als einem sinnhaften Handlungszusammenhang und seiner Reproduktion“ (Gildemeister 2001. 76). Darin eingeschlossen sei auch die Analyse sozialer Hierarchisierungen und sozialer Ungleichheit. Exemplarisch weist Gildemeister hier auf Untersuchungen, die den Zusammenhang der sozialen Konstruktion von Geschlecht mit Arbeitsteilungen fokussieren. Arbeitsteilungen 18 Vgl. dazu auch Wetterer (2002). 19 In dieser Auffassung liegt auch die wesentliche Differenz zu gesellschaftstheoretischen Ansätzen. Die Frage, die bestehen bleibt, lautet: Von wo aus ist ein Zugang zur gesellschaftlichen Realität möglich? (Vgl. Gildemeister 2001, 81/82)
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zwischen den Geschlechtern, die ‚Vergeschlechtlichung’ von Arbeit, so zeigen diese Untersuchungen, sind eng mit der differenten Wertung von Geschlechtern verbunden und haben in der Regel die Benachteiligung von Frauen zur Folge. Die geschlechtsdifferenzierende Arbeitsteilung sei somit eine der zentralen Ressourcen der Herstellung von zwei Geschlechtern und ihrer ungleichen sozialen Lagen. Dieses Beispiel verweist auf einen wichtigen Streitpunkt, der für die Frage, inwieweit mit interaktionstheoretischen und wissenssoziologischen Ansätzen Prozesse der (Re)produktion sozialer Ungleichheit zwischen den Geschlechtern fokussiert werden können, zentral ist und deshalb hier zuletzt dargestellt werden soll: Es ist das Problem der Omnirelevanz und Omnipräsenz von ‚Geschlecht’. „Can we ever avoid doing gender?” haben West/Zimmermann (1987) gefragt, und dabei selbst das fortlaufende ‚doing gender’ als simultane Hervorbringung von Differenz und Hierarchie, von binärer Geschlechterklassifikation und männlicher Herrschaft konzeptualisiert (vgl. Eickelpasch 2001, 59; Knapp 2000, 78). Ausgangspunkt für diese Auffassung war die Vorstellung der Unhintergehbarkeit von Geschlecht in Face-to-Face-Interaktionen. In dem Augenblick jedoch, in dem das ‚doing gender’ nicht mehr nur als lokale Angelegenheit begriffen wird, sich der Blick auf die situationsübergreifenden Einbindungen des Handelns ausdehnt und Formen der Institutionalisierung und deren Rückwirkungen auf das Handeln der Individuen betrachtet werden, hätten wir es mit einem erweitertem Verständnis sozialer Interaktion zu tun und könnte auf die – erkenntnistheoretisch auch nicht zu begründende20 – Vorstellung einer Gleichursprünglichkeit von Differenz und Hierarchie verzichtet werden. Die von Gildemeister und Wetterer getroffene Feststellung, dass „sich (...) in ein hierarchisches Verhältnis nur setzen lässt, was vorher unterschieden wurde“ (Gildemeister/Wetterer 1992, 228) verweist dann nur noch auf einen möglichen Zusammenhang von (binären) Klassifikationen und Prozessen der Hierarchisierung. Dieser Zusammenhang wird aber nicht als zwangsläufig gesehen. So sagt auch Gildemeister über die Ansätze von Kessler/McKenna und Goffman:
20 Die reine Logik des Unterscheidens, so Knapp, mache es ebenso möglich „in der Vielfalt zu differenzieren und zwei unterschiedene Kategorien gleichwertig nebeneinander stehen zu lassen“ (Knapp 2000, 80; vgl. auch Eickelpasch 2001, 59/60). Die Geschichte rassistischer Klassifikationsmuster und Rangordnungen mache zudem deutlich, dass eine Vervielfältigung von Kategorien nicht vor Hierarchisierungen schütze.
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„Weder in der einen noch in der anderen Variante aber findet das Theorem der ‚Gleichursprünglichkeit von Hierarchie und Differenz’ eine theoretische Begründung – zwar muß man erst etwas unterscheiden, um es zu hierarchisieren, aber eine andere Frage ist, ob jede Unterscheidung eine Hierarchisierung in sich trägt – auch hier wäre der Vorschlag, sich dem durch empirische Analysen prozessual-interaktiver Wirklichkeitsproduktion zu nähern und nicht in Form einer Setzung.“ (Gildemeister 2001, 76 FN; Hervorh. d. Verf.)
Die hier dargestellte wissenssoziologische Perspektive bildet eine Orientierungsfolie für meine Arbeit. Die Publikationen, die im Kontext von Väterinitiativen entstanden sind, begreife ich als eine Form der Interaktion, auch wenn die Rezipienten nicht in eine direkte, wechselseitige Beziehung zu den Autoren treten. Es ist aber eine Interaktion innerhalb eines größeren Diskurses, in dem in einer wechselseitigen Bezugnahme kulturelle Deutungsmuster von Geschlecht, Männlichkeit und Vaterschaft (re)konstruiert werden. In Relation zu anderen interaktionstheoretischen Ansätzen ist für meine Untersuchung an der wissenssoziologischen Perspektive wichtig, dass mit dem Ansatz von Berger/Luckmann (1996) eine objektivierte, gesellschaftliche Realität gedacht werden kann, die den Individuen als widerständige gegenüber tritt, von ihnen wahrgenommen und interpretiert werden kann. Ausgehend davon, dass diese gesellschaftliche Realität als in sich höchst widersprüchlich und ungleichzeitig gedacht werden kann (vgl. z. B. Wetterer 2003), stellt sich die Frage, in wie weit die Individuen diese Widersprüchlichkeit wahrnehmen, wie sie sie interpretieren und darauf reagieren. Eine besondere Aufmerksamkeit kommt in meiner Untersuchung der Frage zu, ob und in welcher Weise in den betrachteten Publikationen, die sich vor dem Hintergrund der skizzierten Diskussionen um Sorge- und Umgangsrechte um Fragen von Vaterschaft ranken, Differenzierungen zwischen den Geschlechtern vorgenommen werden oder eher Perspektiven einer Geschlechtergleichheit ver-treten werden. Gehen die vorgenommenen Differenzierungen mit Auf- und Abwertungen und sozialen Platzanweisungen einher? In der genauen Analyse dieses Zusammenhangs lässt sich zwar keine im engen Sinne „herrschaftskritische“, wohl aber eine kritische Perspektive einnehmen, die sich auf die Analyse der Hervorbringung und Reproduktion von Beziehungen der Über- und Unterordnung zwischen Frauen und Männern richtet.
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1.3 Konzeptualisierung von Männlichkeit(en) Werfen wir noch einmal einen Blick zurück auf die am Anfang dieses Kapitels skizzierten Aufgaben einer ‚Soziologie der Männlichkeit’. In einer (herrschafts)kritischen Perspektive, so heißt es bei Meuser, sollen sowohl „die Strukturen männlicher Hegemonie“ entschlüsselt, „als auch Möglichkeiten einer nicht hegemonialen Männlichkeit“ erkundet werden (Meuser 2000, 49). Das von Robert W. Connell (1987) entwickelte Konzept der ‚hegemonialen Männlichkeit’, auf das sich Meuser mit dem Begriff der ‚männlichen Hegemonie’ bezieht, und das ich auch in meiner Untersuchung verwende, soll im Folgenden diskutiert werden.21 Konnten die Autoren des Männerforschungskolloquiums Tübingen noch 1995 konstatieren, dass Connells Konzept der ‚hegemonialen Männlichkeit’ im deutschsprachigen Raum bislang nur wenig aufgegriffen worden sei (vgl. Männerforschungskolloquium Tübingen 1995, 48), so existiert heute kaum eine Untersuchung über Männer und Männlichkeit(en), in der nicht auf diesen Begriff rekurriert wird. Dabei ist er in diesem Rezeptionsprozess „(...) schon fast zu einer inhaltsleeren Formel geworden, denn in den verschiedensten Untersuchungen folgt der Anwendung des Begriffs keine inhaltliche Bestimmung“ (Scholz 2004, 36). Scholz zufolge ist dieses Phänomen allerdings auch darauf zurück zu führen, dass Connells Arbeiten selbst einige Unschärfen bei der Verwendung des Begriffs aufzeigen (vgl. Scholz 2004, 36; Rudlof 2002, 47). Ich werde weiter unten auf dieses Problem eingehen und zunächst herausarbeiten, wie Connell den Begriff der ‚hegemonialen Männlichkeit’ fasst. ‚Männlichkeit’ ist nach Connell „(…) eine Position im Geschlechterverhältnis; die Praktiken, durch die Männer und Frauen diese Position einnehmen, und die Auswirkungen dieser Praktiken auf die körperliche Erfahrung, auf Persönlichkeit und Kultur“ (Connell 1999, 91). ‚Männlich-
21 Pierre Bourdieus Konzeption eines männlichen Geschlechtshabitus und der damit verbundenen Vorstellung männlicher Herrschaft (vgl. Bourdieu 1997, 1997a, 1997b), welche in letzter Zeit in verschiedenen Untersuchungen zu Männlichkeit(en) rezipiert wird, greife ich in meiner Arbeit nicht auf. Vor allem Michael Meuser hat in seinen Veröffentlichungen (vgl. z. B. 1998a, 2000, 2000b, 2001) versucht, Bourdieus Habituskonzept systematisch für die Analyse von ‚Männlichkeit’ fruchtbar zu machen und damit zugleich eine Möglichkeit zu finden, die Sichtweise von ‚Geschlecht’ als sozialer Konstruktion mit einem strukturtheoretischen Ansatz zu vereinbaren. Die vorliegende Deutungsmusteranalyse, die anhand von Publikationen von Väterinitiativen durchgeführt wurde, kann jedoch von dem zur Verfügung stehenden Material her keinen Aufschluss über Habitusformen geben.
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keit’ und weitergehend auch ‚Geschlecht’ werden damit als Struktur sozialer und individueller Praxis begriffen. An anderer Stelle spricht Connell von ‚Männlichkeit’ (‚Geschlecht’) als einer ‚Konfiguration von Praxis’22 (Connell 1999, 94), die in Industriegesellschaften in drei zentralen Beziehungsstrukturen zu verorten sei, in denen das Geschlechterverhältnis sich reproduziert und manifestiert: a) Machtbe-ziehungen; b) Produktionsbeziehungen; c) emotionale Bindungsstruktur (Kathexis). Diese drei Beziehungsstrukturen sieht er durch jeweils differente Prinzipien organisiert: ungleiche Integration durch Über- und Unterordnungsverhältnisse, Trennung im Sinne von Arbeitsteilung sowie emotionale Bindung (vgl. Meuser 1998a, 98; Scholz 2004, 36/37). In einer neueren Veröffentlichung benennt Connell (2000) ‚Symbolisierung’ als eine vierte Struktur. Damit fasst er die globalen Zirkulationen von Geschlechterbildern durch die Massenmedien; insbesondere Geschlechterbilder, die über sportliche Wettkämpfe vermittelt werden, aber auch Bilder des „kämpferischen, individualistischen Geschäftsmanns“ (Connell 2000, 85). Jede einzelne dieser Strukturen sei Krisentendenzen und Veränderungen ausgesetzt und kann in Widerspruch zu den anderen geraten (vgl. Connell 1995, 66). Zudem seien alle Strukturen durch ‚Klasse’ und ‚Ethnie’ sozial differenziert und hierarchisiert.23 Bei der theoretischen Konzeptualisierung dieser Strukturen, so Meuser, würde allerdings die Struktur der Macht die anderen Strukturen überlagern. Insofern sei Macht die primordiale Kategorie in Connells Geschlechtertheorie (vgl. Meuser 1998a, 98). Der aus den Arbeiten von Antonio Gramsci entlehnte Begriff der ‚Hegemonie’ bildet den Kern von Connells Maskulinitätstheorie. Der Begriff bezieht sich auf die „(…) Dynamik, mit welcher eine Gruppe eine Führungsposition im gesellschaftlichen Leben einnimmt und aufrechterhält“ (Connell 1999, 98). Unter Hegemonie versteht Gramsci „(…) die Vorherrschaft einer Gruppe, die ihre Herrschaft nicht allein auf die direkte Durchsetzung ihrer Interessen und ökonomischer Abhängigkeit, son-
22 Connell betont mit Rekurs auf Sartre das Prozesshafte an der konfigurierenden Praxis. Generell orientiert sich sein Praxisbegriff stark an Sartre. Dies hat insbesondere Konsequenzen für das Verständnis seiner Vorstellung von ‚Körperpraxen’ (Connell). Eine Diskussion von Connells Bezugnahme auf die Theorie Sartres würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, erschließt aber ein tieferes Verständnis der Konzepte und Überlegungen von Connell. 23 Meuser (1998a, 98) betont, dass die drei Strukturen von Connell empirisch gewonnen und nicht als notwendige Strukturen konzipiert seien. Vielmehr seien sie historisch und kulturell kontingent.
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dern auch auf Bündnisse und Konsensbildung mit den Beherrschten aufbaut. Zur Aufrechterhaltung der Hegemonie wird eine Ideologie und Kultur aufgebaut, die die Beherrschten mittragen“ (Höyng/Puchert 1998, 102; zit. n. Scholz 2004, 38).
Nach Gramsci muss Herrschaft nicht mit Hegemonie einhergehen. In modernen Gesellschaften kann Herrschaft aber nur durch Hegemonie auf Dauer gestellt werden. Umgekehrt geht auch Hegemonie nicht unbedingt mit Herrschaft einher, sondern ist immer Resultat von politischen und kulturellen Aushandlungsprozessen (vgl. Scholz 2004, 38).24 Hegemoniale Männlichkeit wird nach Connell also nicht den Individuen durch Herrschaft aufgezwungen, sondern in sozialen und politischen Kämpfen und Aushandlungsprozessen produziert und reproduziert, wobei die Akzeptanz und das Einverständnis der meisten Männer mit dieser Männlichkeit grundlegend sind. Die Akzeptanz wiederum liege darin begründet, dass die meisten Männer von der Unterdrückung und Abwertung von Weiblichkeit profitierten. Connell fasst diesen Gewinn mit dem Begriff der „patriarchalen Dividende“ (Connell 1999, 103). Aber auch das Einverständnis von Frauen mit der eigenen Position innerhalb der Geschlechterordnung wird mit dem Begriff der Hegemonie erfasst.25 Als wichtigstes Kennzeichen derzeitiger hegemonialer Männlichkeit sieht Connell Heterosexualität, eng verknüpft mit der Institution Ehe. Nach Meuser26 ist die Ehe „(…) der Ort, an dem dem Mann die dominante Position zugewiesen ist, so dass er – idealiter – zumindest in einem Lebensbereich die Suprematie erfährt, die dem Ideal hegemonialer Männlichkeit zufolge seine kulturelle Bestimmung ist.“ (Meuser 1998a, 100)
Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass Trennung bzw. Scheidung mit Verunsicherungen von Männern einhergehen können. Hegemoniale Männlichkeit, und das macht den Begriff für viele so attraktiv, zielt jedoch nicht nur auf die Relation beider Genusgruppen
24 Mit der starken Betonung von sozialen Praxen und interaktiven Aushandlungsprozessen durch Connell, dem es insgesamt um eine Vermittlung von sozialer Struktur und Praxis geht, ergeben sich Anknüpfungspunkt für interaktionstheoretische und wissenssoziologische Ansätze. 25 Die Motivlage von Frauen wird von Connell aber m. E. nur ungenügend geklärt. 26 Meuser bezieht sich hier wiederum auf Goffman.
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zueinander, sondern auch auf die sozialen Beziehungen von Männern untereinander. ‚Männlichkeit’ gewinnt also in einer doppelten Relation Kontur: In Relation zum eigenen und zum anderen Geschlecht. ‚Männliche Hegemonie’, Über- und Unterordnungsverhältnisse kennzeichnen demnach nicht nur das Verhältnis von Männer und Frauen als soziale Gruppen, sondern auch das Verhältnis zwischen verschiedenen Gruppen von Männern. Es gibt nach Connell daher nicht nur eine Ausformung von Männlichkeit, sondern verschiedene Männlichkeiten, die allerdings in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Sind Heterosexualität und Ehe bestimmend für hegemoniale Männlichkeit, dann ist eine Schlüsselform der untergeordneten Männlichkeit entsprechend Homosexualität (Connell 1999, 99). Untergeordnete Männlichkeiten seien jedoch häufig nur vage definiert. Connell vermutet, dass die Dominanz hegemonialer Männlichkeit gleichzeitig mit einer Blockade ihrer Gegenmodelle verbunden sei. Indem Alternativen keine kulturelle Definition erlangen könnten, seien sie gesellschaftlich als Alternativen auch nicht oder nur schwer erkennbar (vgl. Connell 1987, 186; Männerforschungscolloquium Tübingen 1995, 50/51). Connell geht davon aus, dass nur eine sehr kleine Anzahl von Männern das Ideal hegemonialer Männlichkeit vollständig verwirklichen kann. Hegemoniale Männlichkeit lässt sich vielmehr verstehen als ein gesellschaftlich dominantes, identitätsstiftendes Orientierungsmuster, zu dem sich Männer in einer Gesellschaft in Beziehung setzen müssen und das dem ‚doing gender’ der meisten Männer zugrunde liegt (vgl. Meuser 1998a, 98). Die Tatsache, dass sich eine Mehrzahl der Männer an hegemonialer Männlichkeit orientieren, fasst Connell mit dem Begriff der ‚Komplizenschaft’ von Männern. „Als komplizenhaft verstehen wir in diesem Sinne Männlichkeiten, die zwar die patriarchale Dividende bekommen, sich aber nicht den Spannungen und Risiken an der vordersten Frontlinie des Patriarchats aussetzen.“ (Connell 1999, 100)
Meuser weist darauf hin, dass hegemoniale Männlichkeit eine „Normalitätsorientierung“ (Meuser 1998a, 101) impliziert, auf deren Basis durch Typisierungen Grenzziehungen vorgenommen werden. Diese Normalitätsorientierung wirkt nach Meuser auch im Sinne einer Ausschließung, deren allgemeines Merkmal es ist, dass der oder die Andere als das ganz Andere definiert wird. Bezogen auf (untergeordnete) Männer bedeutet dies, dass sie vor dem Horizont der Zweigeschlechtlichkeit als weiblich, 36
effimiert wahrgenommen und abgewertet werden (vgl. Meuser 1998a, 101). Diese vor dem Hintergrund der Orientierung an hegemonialer Männlichkeit erfolgende Abwertung von Männern, die als ‚weiblich’ wahrgenommen und inszeniert werden, spielt, wie sich zeigen wird, in den von mir analysierten Publikationen eine große Rolle. Während Hegemonie, Unterordnung und Komplizenschaft von Connell als interne Relationen der Geschlechterordnung gefasst werden, betrachtet er mit dem Begriff der „marginalisierten Männlichkeit“ die „Interaktion des sozialen Geschlechts mit anderen Strukturen“ (Connell 1999, 101), wie Klassen- bzw. Schicht- oder Milieuzugehörigkeit und Ethnie. Diese Interaktion schaffe weitere Beziehungsmuster zwischen verschiedenen Formen von Männlichkeit. Auch zwischen untergeordnete Männlichkeiten könne es zu Marginalisierungen und Ermächtigungen kommen. In seinen empirischen Arbeiten, darauf verweist Scholz, legt Connell zudem dar, dass sich auch innerhalb einzelner Milieus unterschiedliche, in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehende Männlichkeiten konstituieren könnten (vgl. Scholz 2004, 39). Die „beiden Typen von Relationen – Hegemonie, Dominanz/Unterordnung und Komplizenschaft einerseits, Marginalisierung/Ermächtigung andererseits –“, so Connell zusammenfassend, „bilden einen Rahmen, mit dessen Hilfe wir spezifische Formen von Männlichkeit analysieren können“ (Connell 1999, 102). Wenig gesagt wurde bislang darüber, was den Inhalt hegemonialer Männlichkeit ausmacht. Connell macht in seinen Arbeiten deutlich, dass es historisch und kulturell variiert, welche Praxen, institutionellen Arrangements und Beziehungsformen hegemonial sind (vgl. Connell 1995a).27 Er vertritt die These, dass wir es gegenwärtig mit sich neu herausbildenden Formen hegemonialer Männlichkeit zu tun hätten (vgl. Connell 1995a, 33ff). Die Bedingungen für männliche Hegemonie hätten sich im Zuge der Modernisierungsprozesse, die in westlichen Industrieländern erfolgt sind, geändert. Connell fügt hier insbesondere die Ausweitung des Bildungssystems, Prozesse einer zunehmenden Professionalisierung von Berufen sowie die steigende Bedeutung von Technologien und der Informationsindustrie an. Hegemoniale Männlichkeit gruppiere sich damit
27 Meuser weist beispielhaft darauf hin, dass in autoritär-nationalistischen Gesellschaften die Welt des Militärs mit ihren soldatischen Tugenden von Ehre, Pflichterfüllung, Aufopferung und Kameradschaft der institutionelle Ort hegemonialer Männlichkeit sei, und deren „prototypische Verkörperung“ der General (vgl. Meuser 2000, 59).
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einerseits zunehmend um Expertentum und technisches Wissen. Andererseits falle heute mit der Globalisierung der Finanzpolitik, verbunden mit der Deregulierung von Märkten, z. B. durch die fortschreitende (Macht-) Konzentration multinationaler Konzerne, auch dem neoliberalen Management die Funktion der Verkörperung hegemonialer Männlichkeit zu. Connells Einbezug einer symbolischen Struktur öffnet zudem den Blick auf weitere mögliche Repräsentanten hegemonialer Männlichkeit: Ihm zufolge können vermittelt über global präsente Massenmedien Sportler oder berühmte Schauspieler ebenfalls als kulturelles Ideal für Männlichkeit dienen. Diese Orientierung junger Männer insbesondere an berühmten männlichen Sportlern findet sich auch auf einer eher mikrologischen Ebene in den Ergebnissen seiner empirischen Untersuchungen wieder. Connell nimmt also inhaltliche Bestimmungen von hegemonialer Männlichkeit vor, indem er aus einer eher globalen Perspektive auf Überund Unterordnungsverhältnisse und auf Strukturen der Macht blickt. Oder er betrachtet in einer mikrologischen Perspektive, an welchen Idealen von Männlichkeit sich junge Männer orientieren. Den aus diesen beiden Blickwinkeln vorgenommenen inhaltlichen Konzeptualisierungen von hegemonialer Männlichkeit ist wiederum gemein, dass sie tendenziell eher auf Hierarchien und auf Machtrelationen zwischen Männern verweisen. Wenn es um Macht zwischen Frauen und Männern geht, dann werden jedoch noch andere Aspekte hegemonialer Männlichkeit wichtig, wie z. B. die Orientierung am Modell des Familienernährers. Meuser (2000a) hat exemplarisch an einem Interviewausschnitt verschiedene dort enthaltene ‚Elemente’ hegemonialer Männlichkeit herausgearbeitet, die sich auf das private Zusammenleben zwischen Mann und Frau beziehen: Erstens die Dominanz des Mannes gegenüber der Frau, die in Termini von Verantwortung gefasst wird; zweitens wird das Anrecht auf diese Position aus der Biologie abgeleitet; drittens wird der Mann als Familienernährer gesehen; viertens und fünftens werden die heterosexuelle Orientierung vorausgesetzt und die Beziehung von Mann und Frau als in der Form der Ehe institutionalisiert gesehen, die dazu dient, Kinder zu zeugen (vgl. Meuser 2000a, 48). Es zeigt sich, dass Connell bisher nur sehr globale, schlaglichtartige Bilder vorgelegt hat, wie hegemoniale Männlichkeit inhaltlich zu fassen ist. So fragt auch Scholz, ob sich mit dem – bisher auch nur wenig ausformulierten – Leitbild des Managers, „(…) die Reproduktion von männlicher Herrschaft angesichts der Pluralisierung von Lebensformen und kultureller Deutungsmuster von Geschlecht angemessen untersuchen lässt“ (Scholz 2004, 42; Hervorh. d. Verf.). Sie geht dagegen davon aus, 38
dass wir in verschiedenen sozialen Organisationen auch verschiedene kontextgebundene Versionen hegemonialer Männlichkeit vorfänden, die innerhalb einer Gesellschaft miteinander konkurrierten und in einem hierarchischen Über- und Unterordnungsverhältnis stehen, wodurch sich insgesamt männliche Hegemonie reproduziere. Scholz kommt bei ihren Überlegungen zu dem Schluss, hegemoniale Männlichkeit als einen Konstruktionsmodus von Männlichkeit zu begreifen.28 Dies würde ihr zufolge bedeuten, nicht mehr nach dem Gehalt oder einer Substanz einer historisch konkreten globalen oder nationalen hegemonialen Männlichkeit zu suchen. „Stattdessen ist von jeweils unterschiedlichen Versionen von Männlichkeit, die in konkreten sozialen Praxen hegemonial sind, auszugehen. Zu untersuchen ist, ob und in welchen Wechselverhältnis sie zueinander stehen.“ (Scholz 2004, 47)
Hinsichtlich der Analyse von Männlichkeit würde dies bedeuten, dass nicht im Vorfeld festgelegt werden kann, was Männlichkeit im konkreten Untersuchungsfeld bestimmt. Dies könne erst Ergebnis der Untersuchung sein. Ich kann den Überlegungen von Scholz bezüglich der Kontextualisierung hegemonialer Männlichkeit weitgehend zustimmen29. So ist es wahrscheinlich, dass in den kollektiven Orientierungen der von mir in den Blick genommenen Vätergruppen, in denen vor allem die privaten Beziehungen von Männern, Frauen und Kindern, verhandelt werden, andere ‚Elemente’ hegemonialer Männlichkeit ins Spiel gebracht werden, als sie im Ideal des Managers anklingen. Insgesamt mache ich mir von Connells Konzeption von Männlichkeit für die empirische Analyse insbesondere folgende Einsichten zu Nutze: a) dass Männlichkeit in sozialen Praxen und Interaktionen produziert wird und historisch variabel ist; b) dass wir 28 In Anlehnung an Meuser geht sie davon aus, dass durch die Konstruktion eines spezifischen kulturellen Ideals (von Männlichkeit) eine Gemeinschaft hergestellt wird, die sich nach Außen abgrenzt und die nach Innen hierarchisch strukturiert ist (vgl. Scholz 2004, 46; Meuser 2001, 16). 29 Um konzeptuell den Begriff ‚hegemoniale Männlichkeit’ allerdings nicht in viele ‚Männlichkeiten’ aufzulösen, wäre es wirklich wichtig, die verschiedenen empirisch vorfindbaren ‚Versionen’ (Scholz) hegemonialer Männlichkeit theoretisch wieder aufeinander zu beziehen und hinsichtlich gemeinsamer Aspekte, Verdichtungen und Wechselwirkungen zu analysieren. Dies ist allerdings eine Arbeit, die nicht in den einzelnen empirischen Studien vorgenommen werden kann, sondern eher sekundäranalytisch erfolgen müsste.
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es mit verschiedenen Formen von Männlichkeit zu tun haben, die kulturell nebeneinander bestehen, aber sich in einem hierarchischen Verhältnis untereinander befinden; c) dass hegemoniale Männlichkeit für die meisten Männer ein zentrales Orientierungsmuster ist, dass aber in verschiedenen sozialen Kontexten auf verschiedene Elemente hegemonialer Männlichkeit zurückgegriffen werden kann; d) die doppelte Relation hegemonialer Männlichkeit; e) den Gedanken, dass Hegemonie ein Einverständnis der Subordinierten voraussetzt. Den Terminus ‚hegemoniale Männlichkeit’ verwende ich in meiner Untersuchung trotzdem eher selten. Um zu betonen, dass es in meiner Analyse vor allem um die Ebene der Ausdeutungen von Männlichkeit und Väterlichkeit geht, spreche ich z. B. stärker von ‚Orientierungen an Vorstellungen von männlicher Hegemonie’ oder auch von ‚Vorstellungen einer dominanten Männlichkeit’.
1.4 Kulturelle Deutungsmuster von Männlichkeit Nachdem ich bislang weitgehend meine theoretischen Bezugnahmen diskutiert habe, möchte ich nun eine Untersuchung darstellen, an deren inhaltlichen Fragestellungen und empirischen Ergebnissen ich mich in meiner Arbeit orientiere. Dies ist die empirische Untersuchung kultureller Deutungsmuster von Männlichkeit, die Michael Meuser vorgelegt hat. Diese Studie gehört zu den grundlegenden Arbeiten soziologischer Männerforschung im deutschsprachigen Raum.30 Im Folgenden stelle ich seine empirische Arbeit relativ ausführlich dar. Nicht nur, weil seine Ausgangsfragen Ähnlichkeit mit meiner Untersuchung aufweisen, sondern auch, weil ich mich in meiner Arbeit an einzelnen Stellen auf Ergebnisse der Arbeit von Meuser zurück beziehe. Michael Meuser hat in seiner 1998 erschienen Untersuchung "Geschlecht und Männlichkeit" in einer wissenssoziologischen Perspektive Gruppendiskussionen mit Männergruppen aus unterschiedlichen sozialen Kontexten analysiert und die darin zum Ausdruck kommenden Deutungsmuster von Männlichkeit und die alltagsweltlichen Orientierungen
30 Neben den verschiedenen Arbeiten von Meuser sind aus dem Kontext des Forschungsprojekte auch Veröffentlichungen erschienen von den drei ProjektmitarbeiterInnen Cornelia Behnke (u. a. 1997), Peter Loos (u. a. 1999) und Rainer Hoffmann (1998).
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von Männern rekonstruiert.31 Im Hintergrund seiner Untersuchung stand die Frage nach Veränderungen in den Orientierungen von Männern: Orientieren sie sich nach wie vor an einer traditionellen Geschlechterordnung und nehmen ihr Mann-Sein als etwas fraglos Gegebenes? Oder wird von den Männern der eigene Geschlechtsstatus reflektiert und zeigt sich eine grundlegende Veränderung hin zu Deutungsmustern, die sich eher an egalitären Geschlechterarrangements orientieren? Lassen sich Anzeichen einer ‚Krise der Männlichkeit’ ausmachen? Als Erhebungsmethode wurde in dem Projekt ein Gruppendiskussionsverfahren gewählt. Die Auswahl der Gruppen erfolgte anhand der vermuteten Fraglosigkeit bzw. Reflexivität der Orientierungen (Meuser 1998a, 177) der Mitglieder. Vor diesem Hintergrund wurden sowohl bestehende Gruppen gesucht, die sich als männerbündisch strukturierte Zusammenschlüsse verstehen lassen – Stammtische, Herrenklubs, Vereine, Footballklubs, Wohngemeinschaften – als auch Gruppen, in denen sich Männer explizit als Männer zusammengefunden haben, also ‚männerbewegte’ Gruppen. Weiterhin wurden Alter und soziales Milieu als Selektionskriterien herangezogen, so dass auch die Bedeutung von Milieuzugehörigkeit und Generationslagerung für die Ausbildung männlicher Orientierungen mit erfasst werden konnte. Die Gruppen wurden an den für sie üblichen Treffpunkten aufgesucht. Nach einer strukturierenden Eingangsfrage32 verhalten sich der Interviewer bzw. die Interviewerin neutral. Die thematische Steuerung soll den Gruppenmitgliedern überlassen werden. Durch die thematische Offenheit können die Selbstdeutungen und kollektiven Orientierungen der Männer zum Tragen kommen.33 Bei der Auswertung der transkribierten Gruppendiskussion orientierte sich die Untersuchung an dem Verfahren der dokumentarischen Methode der Interpretation nach Ralf Bohnsack (vgl. z. B. 1991), wobei die Beiträge mit Karl Mannheim (1979, 104 ff) als Ausprägungen und Repräsentanten einer kollektiven Sinnstruktur begriffen wurden. Die Transkripte wurden zunächst immanent sequenziell analysiert und dann mit dem Verfahren der
31 Zudem hat Meuser Ergebnisse einer Untersuchung medienvermittelter Diskurse über ‚Männlichkeit’ am Beispiel der Männerverständigungsliteratur dargestellt, auf die ich hier aber nicht eingehe. 32 Die Eingangsfrage lautete: „Was heißt es oder was bedeutet es für Sie/Euch, ein Mann zu sein?“ 33 Vergleichend sind es in meiner Forschung die in einer Subszene entstandenen oder durch sie angeregten Publikationen, in denen Selbstdeutungen von Vätern zum Ausdruck kommen.
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maximalen und minimalen Kontrastierung miteinander verglichen. Auf diese Weise wurden mehr als 30 Gruppendiskussionen geführt und ausgewertet. Als Resultat seiner Analyse stellt Meuser (1998a) vier Gruppierungen dar, die für spezifische kollektive Orientierungen von Männlichkeit stehen: In der ersten Gruppierung finden sich ihm zufolge Männergruppen wieder, deren Mitglieder sich völlig ungebrochen an traditionellen Normen orientieren und ihr Mann-Sein für eine fraglose Gegebenheit halten. Dazu gehören Mitglieder der Herrenklubs und auch ältere Facharbeiter. Auch jüngere Männer bis Mitte 20, so zeigt die Untersuchung von Meuser, orientieren sich an traditionellen Vorstellungen von Geschlecht und geschlechtsdifferenzierter Arbeitsteilungen. Allerdings nicht mehr ganz so bruchlos wie die Männer, „deren Verankerung in der Tradition im Modus der Fraglosigkeit erfolgt“ (Meuser 1998a, 203). Zu dieser zweiten Gruppierung gehören nach Meuser z. B. Mitglieder einer studentischen Football-Gruppe oder einer studentischen Wohngemeinschaft. Meuser spricht in Bezug auf diese studentisch geprägten Gruppen von einer ‚prekären Sicherheit’ über den eigenen Geschlechtsstatus. Die jungen Männer erlebten den für ihre Lebensphase entscheidenden öffentlichen Raum, die Hochschule, „(…) als einen potentiell konfliktträchtigen Raum (...), in dem gleichaltrige Frauen sie mit Ansprüchen konfrontieren, die sie mitunter als eine Bedrohung des eigenen Geschlechtsstatus erfahren.“ (Meuser 2001, 11).
Im Gegenzug zögen sie sich zurück in eine homosoziale Männerwelt, in der sie ein Gegengewicht gegen die im öffentlichen Raum zum Teil erfahrenen Verunsicherungen bilden und eine männliche Hegemonie vehement verteidigen würden. Die dabei gewonnen „habituelle Sicherheit“ bleibt nach Meuser aber prekär, „weil sie nur im Binnenraum der Männergemeinschaft gewiss ist.“ (Meuser 2001, 11) Die dritte Gruppierung, die Meuser in seiner Untersuchung herausgearbeitet hat, sind ‚männerbewegte’ Gruppen, die zusammen kommen, um sich über ihr Mann-Sein und Vorstellungen von Männlichkeit auseinander zu setzen. Meuser spricht hier auch von einer in der Gestalt der Gruppe institutionalisierten „Dauerreflexion“ über Männlichkeit (vgl. Meuser 1998a, 230). Dabei befinden sich ihm zufolge diese Männer, für die Männlichkeit nicht etwas fraglos Gegebenes ist, in einem Dilemma: Einerseits müssten sie, um sich als Mann zu definieren, auf die gegebene kulturelle Ordnung beziehen, andererseits würden sie an den Erwartungen 42
und Normen leiden, die ihnen durch die kulturelle Ordnung vorgegeben sind. Mögliche ‚Grenzüberschreitungen’ zwischen als ‚männlich’ und ‚weiblich’ definierten sozialen Räumen und Verhaltensvorgaben würden von ihnen nicht positiv im Sinne eines erweiterten Handlungsspielraums erfahren, sondern erzeugten eher starke Ängste. Die Diskurse der Frauenbewegung würde für diese Männer einerseits einen Bezugspunkt für die eigenen Reflexionen bilden. Gleichzeitig zeige sich eine deutliche Distanzierung vom Feminismus: Ein neues männliches Selbstbild solle selbst bestimmt werden. Neben der Tendenz, zu einem offensiv vertretenen männlichen Selbstbewusstsein zu gelangen, deute sich „(…) ein Übergang bzw. die Rückkehr zu einem Deutungsmuster an, das das Verhältnis der Geschlechter im Modus einer unhintergehbaren, essentiellen Differenz wahrnimmt.“ (Meuser 1998a, 241). Eine Ablösung von traditionellen Männlichkeitsmustern, so resümiert Meuser für diese Gruppe, scheint nur um den Preis einer fundamentalen Verunsicherung möglich und ein Wiedererlangen von „habitueller Sicherheit“ nur in Gestalt eines „backlash“ (vgl. Meuser 1998a, 246). Die vierte Gruppierung, die sich durch „pragmatische Arrangements jenseits von Tradition und Verunsicherung“ (Meuser 1998a, 246) auszeichne, setze sich ebenfalls aus Gruppen mit Männern der jüngeren Generation zusammen. Es seien aber keine Studenten, sondern junge Facharbeiter, die dem Unterschied zwischen den Geschlechtern nahezu jede Bedeutung absprechen. Geschlechtszugehörigkeit sollte in ihrer Perspektive auch keine Basis für eine differente Behandlung der Geschlechter bieten. Mit ihren Vorstellungen egalitärer Verhältnisse und der Akzeptanz einer gleichrangigen Partnerin repräsentieren diese Männern Meuser zufolge „eine modernisierte Form der Männlichkeit“, die sich jedoch nicht „der Reflexion über den eigenen Geschlechtsstatus verdankt noch unmittelbare Reaktion auf lebensweltlich wirksame feministische Forderungen ist.“ (Meuser 1998a, 260) Diese in Relation zu den anderen Männergruppen ‚modernisierte Männlichkeit’ ist nach Meuser vielmehr die Folge eines pragmatischen Arrangements, das auf der Folie einer individualistischen Leistungsorientierung entstanden ist. Geschlechterpolitische Motive hätten hierbei keine Bedeutung – es gelte das Primat der Leistung, und dieser Maßstab würde an beide Geschlechter gleichermaßen angelegt. Im Ergebnis stellt Meuser fest, dass in unserer derzeitigen Gesellschaft zwar von einer Krise der Geschlechterordnung zu sprechen sei, eine "Krise des Mannes oder der Männlichkeit" aber nur bei den Männern auszumachen sei, die sich explizit als Männer in Männergruppen zusammengeschlossen haben (vgl. Meuser 1998b, 306). Also bei den so genann43
ten ‚bewegten Männern’, die vorrangig aus dem bürgerlich-akademischen Milieu kommen. Bei den Männern in den anderen Gruppen ließe sich hinsichtlich ihrer Positionierung in den Geschlechterbeziehungen allenfalls eine leichte Verunsicherung feststellen. Sie knüpften in ihren Beschreibungen – wenn auch mit unterschiedlichen Bezugspunkten (Sexualität, Familienvater) – durchgängig an das Muster ‚hegemonialer Männlichkeit’ an (vgl. Meuser 1998a, 295). Dabei nähmen die meisten Männer an ihrem eigenen Handeln nichts Geschlechtliches wahr, während Frauen nach wie vor als Geschlechtswesen beschrieben würden. Die einzige Ausnahme bilden hier die Gruppen der jungen Facharbeiter, deren Egalitarismus jedoch nicht auf geschlechterpolitische Einsichten zurückzuführen sei. Gleichwohl könnte diese Gruppe einen Beitrag zur Herausbildung modernisierter Arrangements zwischen den Geschlechtern leisten.34 Die Ergebnisse führen Meuser zu dem Schluss: „Das Geschlechterverhältnis scheint wie keine andere Organisationsform sozialer Beziehungen resistent zu sein gegen eine allgegenwärtige Individualisierung. (...) Zumindest auf der das Geschlechterverhältnis dominierenden Seite gibt es ein beachtliches Beharrungsvermögen, welches tradierten Ligaturen zu immer wieder neuem Leben verhilft." (Meuser 1998a, 303/304)35
Auch in meiner Analyse von Deutungsmustern und kollektiven Orientierungen von Männern kommt der Frage der Reflexion des Mann-Seins (und auch des Partner- und Vater-Seins) sowie der damit verbundenen Konflikte, ein besonderer Stellenwert zu. Der ‚Grad’ der Reflexion der eigenen Stellung in den Geschlechterverhältnissen und -beziehungen lässt Aussagen darüber zu, ob die untersuchten Männer Akteure moderner, egalitärer Arrangements zwischen den Geschlechtern sind oder eher an tradierten, hierarchischen Geschlechterarrange-ments festhalten. Im Vergleich zu der Untersuchung Meusers nehme ich allerdings nur eine relativ kleine und exzeptionelle Gruppe von Männern in den Blick.36 Dabei stellt 34 Es wäre sehr interessant, die sozialen Praxen dieser Gruppe einer vertiefenden Untersuchung zu unterziehen. 35 Mit dem Begriff ‚Ligaturen’ bezieht sich Meuser auf Ralf Dahrendorf. Dahrendorf zufolge sind Ligaturen "tiefe kulturelle Bindungen, die Menschen in die Lage versetzen, ihren Weg durch die Welt der Optionen zu finden" (Dahrendorf 1994, 423; zit. n. Meuser 1998a, 304). Zur Verwendung des Begriffs siehe auch Born/Krüger/Lorenz-Meyer 1996, 286. 36 Dies hängt damit zusammen, dass es kaum gesellschaftliche Räume gibt, in denen Väter als Väter zusammen treffen. Auch methodisch finden sich trotz des gemeinsamen
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meine Studie jedoch eine Facette in den Vordergrund, die in der Untersuchung Meusers erstaunlicherweise weitgehend ausgeblendet blieb: die Frage, wie Männer Vaterschaft und Väterlichkeit thematisieren und in welcher Relation ihre Vorstellungen von Väterlichkeit zu denen von Männlichkeit stehen. Warum diese Frage nicht in den Blick gekommen ist, darüber lässt sich im konkreten Fall der Untersuchung von Meuser nur spekulieren: Vielleicht waren gar nicht viele Väter mit kleinen Kindern in dem Sample? Vielleicht ha-ben die Väter im Sample ihre Vaterschaft nicht angesprochen? Vielleicht haben die Forschenden Aspekte von Vaterschaft in der Analyse nicht aufgegriffen? Interessant ist aber, dass nicht nur in der Untersuchung Meusers, sondern in nahezu allen Untersuchungen von Männern und Männlichkeit(en) Vaterschaft und Väterlichkeit gar nicht oder nur am Rande thematisiert wird. Bevor ich mich diesem Phänomen zuwende, möchte ich zunächst kurz meine Verwendung der Begriffe ‚Vaterschaft’ und ‚Väterlichkeit’ erläutern.37
1.5 ‚Vaterschaft’ und ‚Väterlichkeit’ Der Begriff ‚Vaterschaft’ zielt auf ein Verständnis von Vaterschaft als Institution, an die gesellschaftlich und kulturell spezifische soziale Funktionen und Positionierungen gebunden sind. Die Verantwortlichkeiten des Vaters sind sozial und rechtlich geregelt. Die Institution Vaterschaft ist nicht unbedingt an die biologische Vaterschaft gebunden; die Institution Vaterschaft kann auch von nicht-leiblichen Vätern (Stiefväter, Adoptivväter) ausgefüllt werden, indem sie rechtlich mit den gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet werden wie ein biologischer Vater. Zu den Pflichten gehören unter anderem Unterhaltszahlungen für das Kind. Weitere Pflichten und Rechte sind davon abhängig, ob der Vater auch das Sorgerecht innehat: Zu den Pflichten gehören dann die Pflicht der täglichen Versorgung und die (rechtliche) Verantwortung für das Kind. Zu den Rechten vor allem die Bestimmung über den Aufenthaltsort und die Erziehung des Kindes. Weitere zentrale Verantwortlichkeiten, die mit der Institution Vaterschaft verbunden werden, sind die Weitergabe von Besitz. Wie be-
hermeneutischen Zugriffs Differenzen. Ich werde mein methodisches Vorgehen noch ausführlich erläutern. Ausgiebiger noch als Meuser analysiere ich den latenten Sinngehalt der Texte. 37 Zur Unterscheidung von ‚Vaterschaft’ und ‚Väterlichkeit’ siehe auch Scholz 2004.
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reits oben deutlich wurde, wird Vaterschaft durch sozialrechtliche Regulierungen in unserer Gesellschaft noch immer mit der Funktion des Familienernährers verbunden, d. h. nicht nur mit der Sicherung des Unterhalts für das Kind, sondern weitgehend auch für die Frau, auch wenn faktisch diese Funktion in vielen Familien dem Vater nur noch für einzelne Jahre, zumeist direkt nach Geburt eines Kindes, zufällt. Unter ‚Väterlichkeit’ hingegen verstehe ich die soziale Zuweisung von Eigenschaften, Fähigkeiten und Aufgaben an den Vater, die gesellschaftlich und kulturell stark variieren kann. In diesem Sinne haben wir es eigentlich auch nicht mit ‚Väterlichkeit’ sondern mit ‚Väterlichkeiten’ zu tun, wobei es immer auch kulturell dominante Ausdeutungen von ‚Väterlichkeit’ gibt. Lothar Böhnisch (2000) z. B. zitiert Stählin, einen Autor, der über die Jugendbewegung in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts geschrieben hat. Stählin nimmt eine spezifische Ausdeutung von Väterlichkeit vor: „Gesunde Männlichkeit ist Väterlichkeit: Väterlichkeit, die sich wahrhaftig nicht nur in der Art zeigt, wie der Mann, dem es vergönnt ist, eigene Kinder zu zeugen, diese seine Kinder betreut, sondern Väterlichkeit als eine aus dem tiefsten Wesen des Mannes geborene und all seine Lebensbeziehungen durchdringende Art: die Art des Menschen, (...) die nicht durch Gewalt herrschen, sondern durch Stärke helfen wollen.“ (Stählin 1923, 50; zit. n. Böhnisch 2000, 108)
‚Väterlichkeit’ wird hier nicht vorrangig z. B. als fürsorgliche Betreuung des Kindes durch den Vater gefasst, sondern vor allem moralisch verstanden als soziale Verantwortlichkeit und Stärke, die auf der Anerkennung der menschlichen Hilflosigkeit gründet. Väterlichkeit und Männlichkeit werden in dieser Konzeption als identisch gedacht. Nun müssen Vorstellungen von Väterlichkeit nicht immer mit Vorstellungen von Männlichkeit zusammen fallen. Je mehr allerdings Deutungsmuster von Väterlichkeit und Männlichkeit auseinander klaffen, desto konflikthafter wird dies für die Männer, die sich an den divergenten Deutungsmustern orientieren.38 Wir finden heute ein zunehmend verbreitetes Verständnis von Väterlichkeit vor, das bislang als ‚neue Väterlichkeit’ diskutiert wird und welches das Alltagsleben mit Kindern, die Auf38 Böhnisch weist z. B. darauf hin, dass Walter Hollstein (1988) in seinem Männerbuch „Nicht Herrscher, aber kräftig“ ein ähnliches Motto wie Stählin (1923) setzt. Dies lässt sich als ein Versuch betrachten, heute Männlichkeit und Väterlichkeit zusammen zu denken.
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gaben der Kinderbetreuung und die emotionale Bindung an das Kind fasst (vgl. Scholz 2004, 236)39. Nehmen wir die Ergebnisse der Untersuchung von Meuser (1998a) ernst, dann würde diese Vorstellung von Väterlichkeit für viele Männer mit ihren Vorstellungen von Männlichkeit sowie mit den Funktionen von Vaterschaft konfligieren. Diese Konflikthaftigkeit beträfe sowohl die Ebene der Orientierungen, als auch die soziale Praxis von Vätern. Darauf wies bereits de Singly (1995) hin, als sie auf die Probleme aufmerksam machte, die Väter damit haben können, wenn sie versuchen, die ihnen als Mann und Vater zugewiesene Funktion als Familienernährer zu erfüllen und gleichzeitig eine nahe emotionale und körperliche Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen. Auf einen solchen Konflikt weisen auch die Ergebnisse der Untersuchung von Scholz (2004). Sie hat in ihrer biografischen Interviewstudie mit ostdeutschen Männern die Erfahrung gemacht, dass nur wenige der interviewten Männer bei dem Versuch der Rekonstruktion ihrer Biografie ihre Vaterschaft ausführlicher erwähnt haben. Einen Grund dafür sieht auch sie darin, dass von den von ihr interviewten Männern ‚Väterlichkeit’ – im Sinne einer emotionalen fürsorglichen Beziehung zum Kind – als mütterlich und weiblich konnotiert wird und damit in Gefahr gerät, als nicht männlich an-gesehen zu werden (vgl. Scholz 2004, 236). Aus diesem Grund würde ‚Väterlichkeit’ nicht zum Bezugpunkt der Thematisierung des eigenen Selbstverständnisses als Mann genommen.
1.6 Wechselseitige Ausblendungen in der Männer- und Vaterforschung Gehen wir zurück zu dem Phänomen, dass Forschungen, die sich explizit mit Männern und Männlichkeiten auseinandersetzen, Fragen von Vaterschaft und Väterlichkeit nicht oder nur marginal behandeln. Dies gilt nicht nur für den deutschsprachigen Raum, sondern findet sich auch in der angloamerikanischen Forschung über ‚Männlichkeit’, wie Deborah Lupton 39 Problematisch an der Begriffsbestimmung von ‚Väterlichkeit’, die Scholz vornimmt, ist, dass sie eine spezifische Vorstellung von Väterlichkeit, die bislang eher mit den ‚Neuen Vätern’ in Verbindung gebracht wird, als allgemeine setzt. Wenn sich diese auch zunehmend verbreitet und z. B. Einzug in familienrechtliche Regulierungen erhält, geht sie damit nur von einer ‚Väterlichkeit’ aus und kann nicht in den Blick nehmen, dass auch das Verständnis von Väterlichkeit immer Resultat kultureller Aushandlungsprozesse ist und auch verschieden Ausdeutungen von Väterlichkeit kulturell nebeneinander stehen.
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und Lesley Barclay (1997) festgestellt haben: „Many influential booklength academic works that feature extended discussions of masculinity (...) either ignore fatherhood altogether or mention it only briefly.“ (Lupton/Barclay 1997, 3) So wird Vaterschaft auch in Connells Arbeiten kaum thematisiert. Wenn überhaupt, wird Vaterschaft in der Männerforschungsliteratur40 vor allem im Zusammenhang mit der Funktion als Familienernährer reflektiert. Man könnte auch sagen, Vaterschaft als Institution wird in manchen Texten der ‚Männerforschung’ noch aufgriffen, Väterlichkeit im Sinne von Eigenschaften und Fähigkeiten von Vätern wird aber nicht thematisiert. „It appears that for many of the growing number of academics who have written on men and masculinities over the past decade, issues dealing with sporting prowess, schooling, work and sexual activity are far more central to masculinities than the experience of fatherhood.” (Lupton/Barclay 1997, 4)
Einen Vermutung, warum dies so sein könnte, habe ich oben bereits angedeutet: Sowohl auf Seiten der Beforschten als auch der Forscher scheint ‚Väterlichkeit’, wenn sie als eine fürsorglich emotionale und körperliche Zuwendung zu Kindern gedacht wird, aus dem Bestimmungshorizont von ‚Männlichkeit’ herausfallen oder mit ‚Männlichkeit’ in Konflikt geraten. Anders gesagt: Eher weiblich konnotierte Eigenschaften wie Emotionalität, Fürsorglichkeit, Verletzlichkeit sind mit ‚Männlichkeit’ scheinbar nur schwer zu vereinbaren und werden deshalb ausgeblendet. Nicht weit entfernt von diesem Versuch einer Erklärung ist der, den Lupton und Barclay vornehmen:
40 Ich verwende den Begriff ‚Männerforschung’ für Forschungen in denen die Geschlechtlichkeit von Männern reflektiert und sie soziale Konstruktionen verschiedener Formen von Männlichkeit untersucht wird. Die Diskussionen über Abgrenzungen von ‚kritischer Männerforschung’ (Walter 1996; Lange 1996, Beier 1996) bzw. ‚reflexiver Männerforschung’ (Gehden/Loes 2001) von einer allgemeinen Männerforschung lasse ich hier außen vor. Männerforschung in dem genannten Sinn ist für mich Teil der Geschlechterforschung, ebenso wie die meisten Forschungen, die in der Bundesrepublik historisch zunächst als ‚Frauenforschung’ tituliert wurden. Zentrales Kriterium für Geschlechterforschung ist für mich die Reflexion der Kategorie Geschlecht, nicht ob in der jeweiligen Arbeit mehr Männer oder mehr Frauen im Vordergrund stehen. Mit dem Begriff ‚kritische Geschlechterforschung’ grenze ich die Arbeiten der Geschlechterforschung auf diejenigen ein, die soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern reflektieren und nach Möglichkeiten der Veränderung suchen.
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„In its neglect of fatherhood this literature, particularly as written by men, tends to reproduce a limited notion of the problematic of masculinities. Masculinities, this absence implies, revolve around bodily power and action, physical strength and engagement in education and paid labour. As such, much academic writing on masculinities tends to support the notion that men’s lives and senses of self care are centrally located in the ‘public’ rather than in the ‘domestic’ or ‘private’ sphere.” (Lupton/Barclay 1997, 4)
Die mangelnde Thematisierung von Vaterschaft und Väterlichkeit innerhalb der Männerforschung verdeutlicht auch, dass von Seiten der Männerforschung Ergebnisse der Vaterforschung41 kaum rezipiert werden. Dies ist allerdings wechselseitig. Wird in der Männerforschung Vaterschaft und Väterlichkeit unterbelichtet, so wird in der Vaterforschung ‚Geschlecht’ nur selten als reflexive Kategorie verwandt und das Verhältnis von Männlichkeit und Väterlichkeit kaum in den Blick genommen. Vermuten lässt sich, dass auch hier implizit vermieden wird, die mit Beziehung, Bindung, Emotionalität in Verbindung stehende Seite von Vaterschaft bzw. Väterlichkeit, mit Männlichkeit in einen Zusammenhang zu bringen. Zudem werden in unserem androzentrischen Alltagsdenken Frauen und Mütter in der Regel als Geschlechtswesen gedacht, während der Mann und Vater geschlechtslos zu sein scheint. Eine Ausnahme von der wechselseitigen Rezeptionssperre bzw. der Getrenntheit der verschiedenen Forschungsrichtungen42 bilden die seit Mitte der 80er Jahre verstärkten Diskussionen über eine ‚neue Väterlichkeit’, die sowohl innerhalb der Geschlechterforschung43 als auch der Vaterforschung44 geführt wurden. Die Untersuchungen zu ‚Neuen Vätern’45
41 Den Begriff ‚Vaterforschung’ hat Wassilios E. Fthenakis mit dem zweibändigen Werk „Väter“ (1988; 1985 i. Orig.) in die deutschsprachige Diskussion gebracht. ‚Vaterforschung’ versteht er als einen spezifischen Teil der Familienforschung. Fthenakis hat hier insbesondere psychologische, aber auch sozialwissenschaftliche Theorien und Untersuchungen über die Vater-Kind-Beziehung diskutiert und damit auch einen Anschluss an die US-amerikanische Diskussion hergestellt. 42 Eine andere Ausnahme bilden auch die eher psychoanalytisch motivierten Forschungen, die sich z. B. mit den Vater-Tochter- oder Vater-Sohn-Beziehungen auseinander gesetzt haben (vgl. z. B. Blos 1985; Kutter 1986; Grieser 1998; King 2002). 43 Vgl. z. B. Hochschild 1989; Rerrich 1989; Stein-Hilbers 1991. 44 Allgemeinere Überblicke über den neueren Stand der (deutschsprachigen) Vaterforschung und zur Diskussion über Vaterschaft liegen vor von Fthenakis/Minsel 2001; Fthenakis/Textor 2002; Walter, H. 2002a; Walter, W. 2002; Baader 2000. Eine interessante und ausführliche Diskussion hat Matzner (2004) vorgelegt.
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und ‚neuer Väterlichkeit’ sind ein Forschungsstrang der Vaterforschung, in dem Veränderungen von Vaterschaft mit Veränderungen in den Arrangements und Beziehungen der Geschlechter zusammen gedacht werden. Die Arbeiten, die die Frage nach ‚Neuen Vätern’ oder einer ‚neuen Väterlichkeit’ stellen, fokussieren zum einen Veränderungen in der Vater-KindBeziehung, zum anderen geht es um die Partizipation des Vaters an den haushalts- und kindbezogenen Aufgaben in der Familie. Betrachtet man jedoch die Ergebnisse der verschieden Studien im deutschsprachigen Raum (aber auch in anderen westlichen Industrienationen), so verweisen sie auf die diskrepanten Entwicklungen, die von mir bereits in der Einleitung diskutiert wurden: Mit dem Begriff der ‚neuen Väterlichkeit’ werden Veränderungen in den normativen Orientierungen von Vätern reflektiert, die sich dahingehend äußern, dass Väter heute mehr als früher bereit sind, sich aktiv und mit großem Einsatz im Alltag für ihre Kinder zu engagieren und damit an der Alltagssorge und Erziehung mitzuwirken. Allerdings, so zeigen alle Untersuchungen, gelingt es nur einem kleinen Teil der Väter, dies im Familienalltag zu verwirklichen (vgl. Petzold 2004). Die größten Einbrüche zeigen sich bereits bei dem Übergang zur Vaterschaft. Erklären sich vor den Geburt noch viele Väter für eine partnerschaftliche Arbeitsteilung und für ein Engagement für ihre Kinder bereit, so zeigt sich bereits kurz nach der Geburt eine ‚Traditio-nalisierung’ der Praxis als Vater, die sich nach der Geburt eines zweiten Kindes noch weiter verstärkt. Für diese Diskrepanz zwischen den Orientierungen und Wünschen der Väter und der väterlichen Praxis finden sich in der Vaterforschung je nach theoretischem Zugriff verschiedenen Erklärungen, wobei die meisten Arbeiten auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen verweisen (vgl. Fthenakis 2000). Auch das Ausmaß der Diskrepanz ist umstritten und steht in einem engen Zusammenhang mit der jeweiligen Konzeptualisierung von Vaterschaft (vgl. Fthenakis 2000). In beiden Fällen könnte eine noch stärkere
45 Matzner (2004) weist darauf hin, dass in den meisten empirischen Studien mit ‚Neuen Vätern’ diejenigen Väter gemeint seien, „die zum ‚primär betreuenden Vater’ oder ‚allein verantwortlichen Vater’ (Fthenakis 1999) werden“ (Matzner 2004, 151). Dies würde dann nur die sehr kleine Zahl von Vätern in Elternzeit oder Teilzeit, bzw. die Gruppe alleinerziehender Väter treffen (vgl. Strümpel u. a. 1988; Peinelt-Jordan 1996; Matzner 1998). Matzner (2004) spricht daher eher von ‚neuer Väterlichkeit’ und kann damit die Orientierung von Vätern an dem Ideal eines ‚neuen Vaters’ kennzeichnen, der sich stark in der Beziehung zum Kind engagiert und im Haushalt mehr Aufgaben übernimmt. Damit kommt die weit größere Gruppe der in der Literatur als ‚aktive Väter’ (vgl. Schmidt-Denter 1984) oder ‚engagierte Väter’ (Fthenakis 1999) bezeichneten Väter in den Blick.
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Bezugnahme auf Diskussionen der Geschlechterforschung eventuell neue Aspekte in die Vaterforschung einbringen. Zum Beispiel wird die Diskussion über implizite, inkorporierte (Geschlechts)Normen, die zu den manifesten geäußerten Orientierungen in einen Widerspruch treten können, bislang innerhalb der Vaterforschung nicht aufgegriffen, und m. E. damit eine Möglichkeit der weitern Dynamisierung von Erklärungen der Diskrepanz zwischen Einstellung und Handlung verfehlt. Allerdings zeichnet sich in der deutschsprachigen Vaterforschung aktuell eine Veränderung in Richtung einer vorsichtigen Annäherung der Forschungsrichtungen ab46. Diese Veränderung drückt sich z. B. in dem Titel des von Heinz Walter (2002) herausgegebenen Sammelbandes „Männer als Väter“ aus, auch wenn in den Buchbeiträgen noch eher vereinzelt auf die Kategorie ‚Geschlecht’ verwiesen wird.47 Ansätze der Geschlechterforschung diskutiert hat Matzner (2004) in seiner neuen Studie „Vaterschaft aus der Sicht von Vätern“. Auch die bereits zitierte Arbeit von Drinck (2005) lässt sich zu diesen neuen Ansätzen in der Vater- bzw. Geschlechterforschung rechnen. Interessant ist, dass diese Bewegung einer Öffnung der Vaterforschung zur Geschlechterforschung mit einer gleichzeitigen Öffnung hin zu qualitativen Forschungsansätzen und der Suche nach differenzierteren Konzeptualisierungen von Vaterschaft zusammenfällt. In meiner Arbeit wende ich mich aus einer geschlechtertheoretischen Perspektive kollektiven Deutungsmustern von Vaterschaft und Väterlichkeit zu und leiste damit ebenfalls einen Beitrag, die verschiedenen Forschungsrichtungen zusammen zu bringen. Im folgenden Kapitel werde ich Väterinitiativen als ein neues soziales Phänomen diskutieren und meine Fragestellungen konkretisieren.
46 In der angloamerikanischen Forschung zu Vaterschaft zeigt sich diese Tendenz zur Veränderung schon länger. 47 Z. B. in den Beiträgen von Born/Krüger; King; Schon.
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2 Väterinitiativen: ein neues soziales Phänomen
Wie einleitend dargestellt, geht es in meiner Arbeit um kollektive Orientierungen von Männern, die sich im Kontext von Väterinitiativen bewegen. In der bundesdeutschen Forschung ist dem Phänomen des Zusammenschlusses von Vätern in Interessengruppen bislang noch keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden. Die wenigen Arbeiten, die eine Existenz dieser Gruppen zur Kenntnis genommen haben, sind im Zusammenhang der Auseinandersetzung um die Neugestaltung von Sorge- und Umgangsrechten anzusiedeln. So wurde die mit der Reform des Kindschaftsrechts verabschiedete Regelung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach der Scheidung als Regelfall sowie die damit verbundene Aufwertung der Relevanz biologischer Vater- und Mutterschaft in der feministischen Diskussion scharf kritisiert (vgl. Ott 1998: 189ff; Stein-Hilbers 1999). Dabei wurden auch Vätergruppen zum Ziel der Kritik. Insbesondere Autorinnen der feministischen Juristinnen-Zeitschrift „Streit“ haben Vätergruppen als ‚Backlash-Bewegung’ interpretiert, die überwunden geglaubte vaterrechtliche Regulierungen reinstitutionalisieren wollen (Bahr-Jendges 1983, 1987, 1988, 1993, 1995; Breithaupt 1998; Flügge 1991; Maltry 1997; Schewe 1990). Diese politisch inspirierte Sichtweise greift meines Erachtens analytisch zu kurz. Zum einen, weil hier ein schlichtes ‚Zurück’ zu früheren Regulierungen von Geschlechterbeziehungen angenommen wird, ohne die spezifische Verzahnung historisch neuer mit überkommenen Vorstellungen und Interpreta-tionen von Vaterschaft, der Geschlechterdifferenz und der Geschlechterbezieh-ungen zu berücksichtigen. Zum anderen wird hier unterschiedslos den einzelnen Mitgliedern von Vätergruppen, den politischen Gruppierungen und Parteien, den Medien, den Wissenschaften sowie dem Staat als Gesetzesgeber ein einheitliches Interesse unterstellt: die Stärkung väterlicher Macht- und Kontrollbefugnisse. Differenzen und Widersprüche in den Argumentationen der Individuen, der einzelnen beteiligten sozialen Gruppen und Institutionen und zwischen ihnen werden hingegen kaum thematisiert. Dafür müssten allerdings erst einmal die Argumentationen und Interessenskonfigurationen der jeweiligen Prota-gonistInnen und Institutionen herausgearbeitet werden. Meine
Arbeit leistet hierzu einen Beitrag, auch wenn die explizit politischen Interessen und Ziele der Väterinitiativen nicht im Zentrum stehen.
2.1 Kollektive Zusammenschlüsse von Vätern Da es bislang in der Forschung kaum Kenntnisse über bundesdeutsche Väterinitiativen gibt, werde ich diese Gruppen zunächst kurz beschreiben. Danach lege ich dar, warum sie ein geeignetes Untersuchungsobjekt sind, um nach Antworten auf Fragen der Reproduktion und Transformation von ‚Männlichkeit’ und ‚Väterlichkeit’ zu suchen. Im Anschluss daran entwickele ich dann meine spezifischeren Forschungsfragen. Die Bildung von Vätergruppen ist ein historisch neues Phänomen, das sich in allen westlichen Industrienationen finden lässt. Ihre Herausbildung lässt sich als Reaktion auf die skizzierten Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen und -beziehungen sowie der Familie begreifen. Die sich dort artiku-lierenden Männer sind durch ihr publizistisches und politisches Engagement zugleich selbst Akteure sozialen Wandels. Neben den eigenen Veröffentlich-ungen in Form von Flugblättern, kleinen Zeitschriften und Infoblättern sowie im Internet, ist es den Initiativen in den vergangenen Jahren gelungen, ihren Anliegen ein großes Echo in den Medien zu verschaffen und Einfluss auf die rechtspolitischen Diskussionen zur Kindschaftsrechtsreform und die Debatten um die Veränderung von Vaterschaft zu nehmen. In einem großen Teil der Berichterstattung werden die sich in Väterinitiativen engagierenden Väter als ‚neue’ Väter dargestellt und die Argumente der Lobbyarbeit der Väter-initiativen ohne Kritik übernommen. Einzelne Filmbeiträge oder Artikel be-trachten Väterinitiativen hingegen als Teil einer maskulistischen Bewegung. In der Bundesrepublik gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Zusammenschlüsse von Vätern, die insgesamt wahrscheinlich ein- bis zweitausend Mitglieder zählen. Zu einer der ersten bundesweiten Gründungen gehört die "Interessen- und Schutzgemeinschaft unterhaltspflichtiger Väter und Mütter - Verbund der Unterhaltspflichtigen e.V." (ISUV/VDU e.V.). Dieser Verein wurde bereits 1975 im Zusammenhang mit den Diskussionen über die 1977 erfolgte Reform des Familienrechtes gegründet. Im Zentrum der Aktivitäten dieser Gruppierung stehen vor allem Fragen des Unterhaltsrechtes, zunehmend auch des Sorge- und Umgangsrechtes. In ähnlicher Richtung – also ebenfalls vorrangig um Probleme des Unterhalts- und Sorgerechtes – haben sich andere Verbände zusammengeschlossen wie etwa der "Bürgerbund gegen Scheidungsunrecht" (BUR) 54
oder der "Verband Scheidungsgeschädigter, Bürgerinitiative gegen Kindesentzug und Unterhaltsmissbrauch" (USB). Alle diese Vereine und Verbände führen (oder führten) rechtliche Beratungen im Falle der Trennung und Scheidung durch und haben sich politisch engagiert für eine neue Reform des Familienrechtes, welche die aus ihrer Sicht bestehenden Härten des Unterhaltsrechtes vermeidet und Rechte von Vätern insgesamt stärkt. Die hier genannten Gruppen eint mit den Vereinen und Verbänden, die in einem wahren Gründungsboom Ende der 80er bzw. Anfang der 90er Jahre entstand, das Interesse an der Stärkung der rechtlichen Position von Vätern. Dennoch sind sie nicht als ‚Väterinitiativen’ in einem engeren Sinne zu verstehen; dies würde auch nicht ihrem Selbstverständnis entsprechen. In den Publi-kationen der genannten Gruppierungen werden die Rechtsforderungen kaum in einen Zusammenhang gebracht mit einer Diskussion der sozialen Position, der Funktion, Aufgaben und der Bedeutung von Vaterschaft. Dies ist jedoch bei den Gruppen und Verbänden, auf die ich im Folgenden eingehen werde, der Fall. Zu den seit Ende der 80er Jahre gegründeten Verbänden48 gehören der "Väteraufbruch für Kinder e.V." (1988), das "Bündnis für Kinder und Menschenrechte – Parents FOREVER Germany e.V.", die Initiative "DIALOG zum Wohle des Kindes e.V." (1990), der "VfK – Väter für Kinder – Initiative für Kind, Familie, Menschenrechte e.V." und viele andere. Während die zuvor genannten Verbände durch ihre Namensgebung ausdrücken, dass sie Interessenverein-igungen von sich durch unterhalts- und sorgerechtlichen Regelungen benachteiligt fühlenden Elternteilen sind, scheint es bei den neuen Initiativen auf den ersten Blick so, als ob es gar nicht um eigenständige, deutlich umgrenzte Interessen von Vätern ginge, sondern sich diese stellvertretend für ihre Kinder engagieren würden. Die Interessen von Vätern scheinen in den Namen dieser Gruppen als vorrangig dem Wohl des Kindes dienend bzw. als Interessen des Kindes auf. Dies ist erklärungsbedürftig: Welche Bedeutung kommt dieser spezifi-
48 Diese Gründungen liefen parallel zur verstärkten Herausbildung von Männergruppen. Es gab jedoch zwischen Väterinitiativen und Männergruppen keine Berührungspunkte, oder wenn, dann eher Abgrenzungsbewegungen auf Seiten der Männergruppen, die sich vor allem auf die rechtlichen Forderungen der Väter bezogen. Heute hat sich das Verhältnis dieser Gruppierungen zueinander insofern geändert, als es zumindest auf der Ebene von Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen zu Kooperationen zwischen männerbewegten Männern und einzelnen Mitgliedern von Väterinitiativen kommt.
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schen Bezugnahme auf Kinder zu?49 In den Vereinssatzungen und öffentlichen Selbstdarstellungen der verschiedenen Gruppierungen kommt das gemeinsame Interesse der in diesen Verbänden zusammengeschlossenen Männer im Allgemeinen darin zum Ausdruck, bessere Möglichkeiten für die Aufrechterhaltung und Ausgestaltung der Vater-Kind-Beziehungen nach einer Trennung oder Scheidung einzufordern und auch verwirklichen zu wollen. In diesem Sinne sind die sich dort engagierenden Väter Lobbyisten und Diskursstifter zugleich. Wie sieht nun die soziale Zusammensetzung dieser Gruppierungen aus? Das Gros der Mitglieder dieser Verbände sind Männer im Alter zwischen 30 und 50.50 Die intensive Medienarbeit der einzelnen Gruppierungen, die inhaltliche Gestaltung von Veranstaltungen sowie der hohe Grad der Vernetzung und der aktuellen Informationen im Internet deuten darauf hin, dass der überwiegende Teil der politischen Aktivisten eher dem akademisch-bürgerlichen Milieu zugehört. Für die Herausbildung der Vereine aus dem akademisch-bürgerliche Milieu spricht auch die ausgesprochen schnell institutionalisierte Vergemeinschaftung auf Bundesebene. Hier drückt sich ein auf Institutionen, auf den Gesetzgeber, die Rechtsprechung, Parteien und Verbände bezogenes Politikbewusstsein aus, das typisch ist für die sozialen Bewegungen der 70er und 80er Jahre und das die Vereine von reinen Selbsthilfegruppen unterscheidet. Die Treffen der einzelnen Ortsgruppen werden jedoch von Männern aus durchaus unterschiedlichen sozialen Milieus besucht. Das Spektrum reicht von Arbeitern und Facharbeitern über einfache und höhere Angestellte hin zu selbstständigen Akademikern. Die soziale Zusammensetzung dieser Gruppen ist damit heterogener als z. B. die Zusammensetzung von Männergruppen im Kontext der ‚Männerbewegung’, die sich relativ einheitlich aus dem bürgerlich-akademischen Milieu rekrutiert (vgl. Meuser 1998a). Das Selbstverständnis der Väterinitiativen auch als Selbsthilfegruppen bringt es mit sich, dass auf Ortsebene eine hohe Fluktuation herrscht. Viele Männer verlassen die Gruppen wieder, sobald sie für sich einen Umgang mit ihren individuellen Konflikten gefunden haben. Dies ist wahrscheinlich ein Grund, dass die Anzahl der organisierten Väter insgesamt in den vergan-
49 Ein Grund dafür könnte sein, dass alle am Diskurs über die Veränderung von Sorgeund Umgangsrechten beteiligten Institutionen und wissenschaftlichen Disziplinen vom Primat des Kindeswohls ausgehen. Genuine Interessen eines Elternteils müssen dahinter zurücktreten bzw. können nur anerkannt werden, sofern sie dem Kindeswohl dienen. 50 Es gibt auch vereinzelt Frauen, die sich dort engagieren.
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genen Jahren relativ stabil geblieben ist. Den stetig neu hinzukommenden, Rat suchenden Vätern stehen viele entgegen, die sich wieder aus den Gruppen entfernen. Es ist anzunehmen, dass es nur eine kleinere Anzahl durchgängig über Jahre politisch aktiver Väter gibt. Diese gehören dann in der Regel zu den tragenden Personen in den Vereinen und Verbänden. Dafür spricht, dass in den Medien, in Flugblättern, offenen Briefen etc. einzelne Namen immer wieder auftauchen. Obwohl alle Initiativen das Anliegen einer Verbesserung der rechtlichen und sozialen Position von Vätern vereint, lassen sich immanent doch verschiedene politische Richtungen ausmachen. Da gibt es zum einen Gruppen oder Teile von Gruppen, deren Angehörige direkt aus ihrer persönlichen, affektgeladenen Betroffenheit heraus Politik machen. Kennzeichnend ist die starke Emotionalisierung der Diskussion und dabei die Konzentration auf die rechtliche Situation von Vätern in Trennungssituationen. Diese Richtung wird am deutlichsten durch eine kleine Gruppe präsentiert, die sich „Radikale Väter" nennt und vor allem in Berlin vertreten ist. Die Internetseite dieser Gruppe ist Ende der 90er Jahre gesperrt worden, da dort auch Aufrufe zur Kindesentführung erfolgten. Schriftliches Material dieser Gruppe steht seither öffentlich kaum zur Verfügung. Die andere Richtung wird vertreten von Vätern, die aktiv für bessere soziale Möglichkeiten für eine Vereinbarkeit von Elternschaft und Berufstätigkeit eintreten, sowie eine gesellschaftliche Aufwertung von Vaterschaft herbeiführen wollen. Für diese Richtung lässt sich keine feste Gruppierung ausmachen.51 Die meisten öffentlichen Verlautbarungen von Väterinitiativen – egal, ob es sich um größere, bundesweit organisierte Verbände handelt oder um kleine regionale Gruppen – sind in dem durch diese beiden Richtungen vorgegebenen Rahmen einzuordnen. Dabei kommt es zu wechselseitigen Abgrenzungen, wobei diejenigen, die dem ersten Flügel zuzurechnen sind, durch ihre starke Fokussierung der Trennungssituation von den anderen manchmal als ‚Trennungsväter’ bezeichnet werden, die anderen von diesen als ‚moderate Väter’. Wenn ich im Weiteren über die Gruppierungen und politischen Flügel spreche, greife ich diese wechselseitigen Bezeichnungen manchmal auf. Sie sind also nicht als Typisie-
51 Ein Verein, der sich in dieser Richtung positioniert, ist EFAV e.V. Da EFAV e.V. sich jedoch vom eigenen Selbstverständnis her heute nicht (mehr) als Väterinitiative, sondern als Elterninitiative versteht und die Publikationen der vergangenen Jahre fast nur noch von einer Person stammen, habe ich diese Gruppe in meiner Analyse nach längerem Überlegen nicht berücksichtigt.
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rungen zu verstehen, die aus der Analyse gewonnen wurden. Als solche verwende ich später die Ausdrücke ‚kämpfende Väter’ und ‚ambivalente Väter’. Ein bundesweiter Verein, in dem nahezu das ganze Spektrum der unterschiedlichen politischen und inhaltlichen Positionen vertreten ist und der zugleich hinsichtlich des Organisationsaufbaus und Arbeitsweise typisch ist für bundesweite Vereine, ist der 1988 gegründete „Väteraufbruch für Kinder e.V.“. Dieser Verein gehört heute mit ca. fünfzig im ganzen Bundesgebiet verteilten Ortsgruppen und Kontaktstellen zu den größten Väterinitiativen. Die Anzahl der Mitglieder ist von 1988 bis 1994 auf ca. 500-600 angestiegen; heute sind es trotz der beschriebenen Fluktuation wahrscheinlich noch mehr.52 Die politischen Aktivitäten des ‚Väteraufbruch’ sind vielfältig: auf regionaler Ebene dominieren Beratungsgruppen sowie die Organisation von einzelnen Veranstaltungen und Seminaren zur Väterthematik. In einzelnen Städten wie Berlin und Köln war ‚Väteraufbruch’ auch an der Errichtung von Väterzentren maßgeblich beteiligt. Der Bundesverein setzt seinen Schwerpunkt vor allem in der Durchführung von Kampagnen und in der Öffentlichkeitsarbeit in Form von Petitionen, offenen Briefen, Verhandlungen mit Parteien und Verbänden, Teilnahme an Talkshows und Fernsehdokumentationen, Herstellen von Medienkontakten. Zum anderen liegt die Arbeit des Bundesvorstandes in der internen Vernetzung: Dazu gehören die jährlich abgehaltenen Bundesversammlungen ebenso wie die Herausgabe von Infos, die Errichtung und Betreuung einer Homepage und die Vernetzung von Diskussionsgruppen über das Internet. Neuerdings gibt es auch Zusammenschlüsse auf Landesebene, um die Politiken der Bundesländer gezielter zu beeinflussen. Der Verein „Väteraufbruch für Kinder e.V.“ ist für mich von besonderem Interesse. Nicht nur, weil er als ‚typisch’ gelten kann und wohl auch eine der öffentlich bekanntesten Väterinitiativen ist, sondern vor allem auch, weil aus diesem Verein heraus 1994 PAPS gegründet wurde, die bundesweit erste und bis heute einzige ‚Zeitschrift für Väter’, auf die sich meine Analyse wesentlich stützt. Auf die Geschichte, den Aufbau und den Inhalt der Zeitschrift, die heute unabhängig von dem Verein besteht, gehe ich ausführlicher ein, wenn ich mein Material darstelle.
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Es liegen mir keine Angaben für spätere Zeiträume vor.
2.2 Untersuchungsperspektive und Fragestellungen Die Analyse von Publikationen aus dem Kontext von Väterinitiativen ist meines Erachtens besonders geeignet, um exemplarisch Fragen nach der Reproduktion und Transformation von ‚Männlichkeit’, ‚Vaterschaft’ und ‚Väterlichkeit’ zu beantworten. Im Folgenden werde ich verschiedene Gründe hierfür erläutern. Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt: Die Transformationen in den Geschlechterverhältnissen und -beziehungen machen Veränderungen auch auf Seiten von Männern notwendig. Untrennbar verwoben mit diesen Transformationen sind die erfolgten Veränderungen familialer Lebensformen und Generativität. Diese Wandlungsprozesse finden ihren Ausdruck nicht zuletzt in den heftigen Auseinandersetzungen um die rechtliche Regulierung von Elternschaft und Kindschaft, die nahezu ununterbrochen seit Mitte der siebziger Jahre andauern. Wie einleitend aufgezeigt, haben sich diese Debatten in einer ‚Dauerreform’ des Familienrechts manifestiert, deren wohl vorläufiger Höhepunkt 1998 die Verabschiedung des Kindschaftsrechtsreformgesetzes (KindRG) war. Der erfolgte familiale Wandel und die veränderten Bedingungen und Möglichkeiten der generativen Reproduktion sowie deren zunehmende Diskursivierung haben auch bei Vätern zu zunehmender Verunsicherungen über ihre Position und Funktion in der Familie geführt. Diese Verunsicherungen werden in den ‚Rechtskämpfen’ von Vätern besonders deutlich. Die persönlichen Erfahrungen von Trennung und Scheidung und die sich darum rankenden familienrechtlichen Diskussionen bieten sich an als ein Kristallisationspunkt für die öffentlichen Reflexionen von Vätern über das scheinbar Selbstverständliche, nämlich, was es bedeutet, Vater zu sein.53 Im Normalfall, wenn sich keine individuellen Krisen oder sozialen Umbrüche ereignen und kein großer Legitimationsdruck besteht, ist ‚Vaterschaft’ kein Konzept, das der Reflexion unterliegt. ‚Vater’ ist man(n). Dass man Vater ist, liegt nicht – oder nur sekundär – in der Biologie begründet, sondern darin, dass wir es bei der Eltern-Kind-Beziehung wie bei der Paarbeziehung mit einer Intimbeziehung zu tun haben, bei der strukturell ‚das Personal’ (Oevermann) weder zeitlich noch von den Tätigkeiten
53 Die Reformen selbst lassen sich einerseits als Reaktionen auf den skizzierten familialen Wandel und im weiteren Sinne der Reproduktionsweisen begreifen, setzen andererseits aber auch selbst neue Bedingungen für die Ausgestaltung sozialer Beziehungen zwischen Kindern und Eltern und zwischen den Geschlechtern.
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her einfach ausgetauscht werden kann.54 Vater-Sein betrifft immer die Person des Vaters in ihrer Ganzheit und damit Einzigartigkeit. Weil man ‚Vater’ einfach ist, greift auch die in der Literatur häufig zu findende Rede von der ‚Rolle’ des Vaters nicht. Vaterschaft und Väterlichkeit erscheint vielmehr als etwas quasi naturwüchsiges, etwas so ‚normales’, dass es individuell eigentlich keiner besonderen Reflexion darüber bedarf. Die sozialen Veränderungen haben aber nicht nur zu einer Verunsicherung von Vätern geführt, sondern sind zugleich damit verbunden, dass Elternschaft eine neue Bedeutung bekommen hat. Eigene Kinder, so betonen vor allem modernisierungstheoretische Ansätze, seien heute zu einem Medium der Suche nach Lebenssinn und persönlicher Entfaltung geworden (vgl. Beck 1986; Beck/Beck-Gernsheim 1990; Stein-Hilbers 1994b). Sie würden von ihren Eltern „mit der Hoffnung auf langfristige persönliche Beziehungen und der Authentizität emotionaler Erfahrungen“ verbunden und vermittelten ihnen „das Gefühl, gebraucht zu werden und an der Entwicklung einer anderen Persönlichkeit beteiligt zu sein.“ (SteinHilbers 1994b, 11) Dieses Interesse an den emotionalen Erfahrungen im Zusammenleben mit Kindern sei auch auf Seiten von Männern gewachsen.55 Diese These lässt sich sicherlich nicht ungebrochen für Angehörige aller Schichten und Milieus aufrechterhalten und hat zudem immer auch etwas mit den jeweils biografischen Erfahrungen der Frauen und Männer zu tun. Von den Vätern, die sich in Väterinitiativen zusammengeschlossen haben, wird allerdings ein explizites emotionales Interesse am Kind formuliert und es lässt sich fragen, wie dieses Interesse in den Publikationen zur Sprache gebracht und selbst gedeutet wird.56
54 So ist auch ein sozialer Vater, z. B. Stiefvater oder neuer Lebensgefährte der Mutter, ‚Vater’, sofern er alle Rechte und Pflichten als Vater übernimmt. Ein männlicher Familienhelfer, der acht Stunden am Tag mit den Kindern verbringt, würde sich nicht ernsthaft als ‚Vater’ bezeichnen. 55 Diese Entwicklung ist historisch nicht neu: So wird im sich herausbildenden Bürgertum des 18. Jahrhundert die emotionale Bindung des Vaters zum Kind betont (vgl. Trepp 1996a, 1996b; Habermas 2000, Schmid 2000). Erst im 19. Jahrhundert verebbte die Thematisierung der emotionalen Seite von Vaterschaft und Väter bekamen vorrangig die Funktion des Familienernährers und strengen Erziehers zugewiesen (vgl. u. a. Schütze 1988). Seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts gerät die emotionale Bindung zwischen Vater und Kind in den Wissenschaften, den Medien und der Politik wieder in den Blick und wird zunehmend auch von Vätern selber thematisiert. 56 Mit der Betonung des individuellen Interesses an dem Zusammenleben oder kontinuierlichen Kontakt mit einem eigenen Kind heben sich die Diskussionen von Väterinitiativen auch von den Debatten um die Kindschaftsrechtsreform ab, in denen die ‚Sorge’ der Eltern
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Väterinitiativen sind aufgrund der dort erfolgenden Reflexion von Vaterschaft also eine exzeptionelle Gruppe, in deren Publikationen sich Konflikte um Veränderungen von Vaterschaft und Väterlichkeit und ihrer Interpretation exemplarisch verfolgen lassen. Dabei wird indirekt auch das Verhältnis verhandelt, in dem ‚Väterlichkeit’ und ‚Männlichkeit’ zueinander stehen. Die Mitglieder von Väterinitiativen sind allerdings nicht die einzigen, die in den vergangenen Jahren zu einer Diskursivierung von Vaterschaft und Väterlichkeit beigetragen haben. Neben deren Verlautbarungen gibt es, wie bereits angedeutet, eine breite (populär)wissenschaftliche Debatte über die Veränderung von Vaterschaft und auch in den Medien lässt sich nahezu jeden Tag ein Beitrag in diese Richtung finden. Anders aber als die meisten JournalistInnen oder (populär)wissenschaftlich Arbeitenden fühlen sich die publizierenden Angehörigen und Sympathisanten von Vätergruppen von den sozialen und rechtlichen Veränderungen selbst betroffen. Sie sind durch eine persönliche Krise in innere und äußere Konflikte mit ihrem Selbstverständnis als Vater und Mann gekommen und bewegen sich zugleich in dem Kontext eines sozialen Zusammenschlusses, deren Angehörige sich erst auf Interpretationen und Handlungsanleitungen einigen müssen, um ihre besondere Situation zu bewältigen. Da sich die Gruppierungen als Pressuregroups verstehen, um das (Selbst)Verständnis von Vaterschaft und Väterlichkeit zu diskutieren, und sich so gegenüber der Öffentlichkeit unter einem Aufklärungs- und Legitimationsdruck befinden, versuchen sie ihre kollektiven Reflexionen einer Öffentlichkeit zu unterbreiten. Damit fädeln sie sich in bestimmter Weise in die gegenwärtigen Debatten über ‚Geschlecht’, ‚Männlichkeit’ und ‚Elternschaft’ ein. In diskursanalytischer Perspektive ließe sich sagen, dass die in diesem Kontext veröffentlichten Texte einen spezifischen Diskursstrang (Jäger 1999a; 1999b) im Diskurs über ‚Geschlecht’, ‚Männlichkeit’ und ‚Elternschaft’ bilden. Hier ist interessant, welche Deutungsmuster relevant gemacht werden: Worauf können sich die dort engagierten Männer einigen? Die Begrenzung meiner Analyse auf die Publikationen von Väterinitiativen folgt neben den bereits genannten Aspekten im Wesentlichen zwei Gedanken. Zum einen ist es ein wichtiges Ziel meiner Arbeit, an diesem Diskursstrang die Analyse in die Tiefe führen und exemplarisch zu
für ihre Kinder vor allem als Pflicht betont wird. Dies spricht dafür, dass wir es gesellschaftlich mit einer Spannung von Pflicht und Recht bzw. Interesse zu tun haben.
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zeigen, wie diese Väter an der Kategorie Geschlecht arbeiten: In den Publikationen von Väterinitiativen interpretieren Väter aus individueller Betroffenheit heraus Konflikte, die aus Veränderungen in den Geschlechterbeziehungen und -verhältnissen resultieren. Diese Interpretationen werden aber nur sichtbar, wenn sich das Augenmerk auch auf den latenten Sinngehalt der Texte richtet, und vorgefundene Deutungsmuster und Argumentationsfiguren insbesondere hinsichtlich der ihnen immanenten Widersprüche und Unstimmigkeiten beleuchtet werden. Aus diesem Grund orientiere ich mich methodisch an hermeneutischen Interpretationsverfahren. Die Analyse der Publikationen erlaubt nicht nur exemplarisch zu Aussagen darüber zu kommen, wie Väter spezifische Konfliktlagen ausdeuten, mit denen sie in der heutigen Gesellschaft konfrontiert sind. Sie eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, differenziertere Aussagen über Väterinitiativen zu erhalten, die bislang öffentlich eher als monolithischer Block – je nach geschlechterpolitischer Ausrichtung einseitig positiv oder negativ konnotiert – wahrgenommen werden. Zum anderen folgt meine Entscheidung für eine Begrenzung auf Publikationen von Väterinitiativen einer allgemeinen Überlegung zur erfolgreichen Analyse von eventuell neuen Deutungsmustern. Sowohl Lüders/Meuser (1997, 73) als auch Plaß/Schetsche (2001, 518) heben hervor, wie sinnvoll es ist, Deutungsmuster in Zeiten des sozialen Umbruchs zu analysieren, da hier die Gültigkeit alter und neuer Deutungsmuster ausgehandelt wird. Plaß und Schetsche betonen dabei noch einen weiteren Aspekt: „Wenn die gesellschaftliche Fraglosigkeit eines Deutungsmusters davon abhängt, wie viele soziale Gruppen und Subkulturen es teilen, lassen sich dessen Elemente und Konturen noch am ehesten an seinen Grenzen identifizieren, also da, wo es zu abweichenden, subkulturellen Deutungsmustern kommt, welche die dominierenden Deutungen in Frage stellen.“ (Plaß/Schetsche 2001, 518)
Exzeptionelle Gruppen wie die von mir betrachteten Väterinitiativen können sich demnach für eine Analyse, die nach Neubestimmungen und Modifikationen von Vorstellungen über Geschlecht und Elternschaft sucht, als besonders geeignet erweisen. Dafür spricht auch das zur Verfügung stehende Material: Generell lässt sich sagen, dass ‚neue’ Deutungsmuster heute vor allem durch ihre mediale Verbreitung soziale Gültigkeit erhalten. Aus diesem Grund konzentriere ich mich auch auf Publikationen. ‚Netzwerkmedien’, zu denen auch die von mir ausgewählten Veröffentlichungen zu rechnen sind, konturieren sich nach Plaß und Schetsche je62
doch stärker als Massenmedien als Quelle alternativer Deutungsmuster (vgl. Plaß/Schetsche 2001, 524). „Da es die für Massenmedien konstitutive Trennung von Produzenten und Konsumenten dort nicht gibt, hat jede Deutung (mag sie für die Mehrheit des Publikums noch so absurd erscheinen) eine Chance zur Verbreitung. Und weil die Deutungsmuster hier nicht nach einer ökonomischen beherrschten Selektionslogik prozessiert werden, können auch ungewöhnliche, nicht in die Medienschemata passende Deutungsmuster erfolgreich sein.“ (Plaß/Schetsche 2001, 524) 57
Zu den Besonderheiten von Väterinitiativen gehört, dass in den öffentlichen Selbstthematisierungen dieser Gruppen die Vorgabe des Gesetzgebers strukturierend wirkt. Der Gesetzgeber hat bei Entscheidungen über das Sorge- und Umgangsrecht das Kindeswohl an erste Stelle gesetzt und mit der Reform ein geschlechtsindifferentes Umgangs- und Sorgerecht vorgegeben. In unserem Alltagsdenken ist aber noch immer die Vorstellung dominant, dass die Mutter für Kinder, zumindest für Kinder im Vorschulalter, ‚das Beste’ sei. Solche im Alltagsdenken tief eingelassenen geschlechtsdifferenzierenden Muster lassen sich auch in der Rechtssprechung finden und können – müssen aber nicht – vor allem in den strittigen und hochstrittigen Fällen zum Tragen kommen (Scheid u.a. 2001; Gildemeister/Maiwald/Scheid/Seyfarth-Konau 2002)58. Die um ihr Sorgerecht
57 Ein anderes geeignetes Material für eine Analyse der Deutungsmuster der sich in Väterinitiativen engagierenden Väter hätten auch Transkripte von Daily Talks mit diesen Vätern sein können. Diese hätten den Vorteil, dass wir es dort mit einer freien, nicht permanent reflektierbaren Interaktion zu tun haben. Gleichzeitig werden aber die Art und Weise (also z. B. ob konfrontativ vorgegangen wird, oder ob einzelne Interviews geführt werden) und die Zeiträume für Thematisierung sehr von dem Verhalten des Moderators bzw. der Moderatorin bestimmt (vgl. Herrmann 2002, 86), was ebenfalls die Inhalte tangieren kann. 58 Latente Geschlechterdifferenzierungen, die der in den vergangenen dreißig Jahren gängigen Alltags- und auch Rechtsvorstellung eines ‚Mutter-Primats’ folgen, sind auch nach der Kindschaftsrechtsreform in der Rechtssprechung zu finden. Das ‚Mutter-Primat’ ist allerdings nicht das einzige geschlechterdifferenzierende Muster, das sich ausmachen lässt. In ihrem Forschungsprojekt „Geschlechterdifferenzierungen im Horizont der Gleichheit. Exemplarische Analysen zu Berufskarrieren und beruflicher Praxis im Familienrecht“ (2002) haben Gildemeister/Maiwald/Scheid und Seyfarth-Konau latente Geschlechterdifferenzierungen im professionellen Handeln von Familienrechtlern ausgemacht und dabei vier Mustervarianten rekonstruieren können, die interessanterweise von dem Geschlecht der Interviewten unabhängig sind: a) das ‚Mutter-Primat’, b) das ‚Frauenemanzipationsmuster’, c) das ‚Männerschutzmuster’, d) das ‚Vätersympathie-Muster’. Anzunehmen ist, dass sich bei der Frage der Sorge- und Umgangsrechtverteilung die alltagsweltliche Orientierung am
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kämpfenden Väter gehen allerdings generell davon aus, dass die Vorstellung eines ‚Mutterprimats’ in der Rechtsprechung stark, sogar zu stark, handlungsleitend sei.59 Sie sehen sich daher gezwungen, die Rechtsprechung und die öffentliche Meinung davon zu überzeugen, dass Väter ebenso gut für ihre Kinder sorgen können, und damit über die gleichen Fähigkeiten verfügen wie Mütter.60 D. h., sie meinen zeigen zu müssen, dass sie über die an Vorstellungen von Mütterlichkeit geknüpften Eigenschaften und Fähigkeiten, die für eine geregelte Sozialisation von Kindern für bedeutsam betrachtet werden, verfügen: Empathiefähigkeit, Emotionalität, Fürsorge etc. Dies sind Eigenschaften, die nicht gerade dem Repertoire der Männlichkeitsstereotype entspringen.61 Traditionell als ‚weiblich’ geltende Fähigkeiten könnten so als ‚männliche’ umgedeutet werden, was zu einer Nivellierung der Differenz führen könnte. Es könnte jedoch auch zu einer verstärkten Betonung von Geschlechterdifferenzen kommen. Fokussiert wird von mir die Weise, wie hier ‚Neues’ und ‚Altes’ in Beziehung zueinander gesetzt wird. Angelehnt an Gudrun-Axeli Knapp (1995) frage ich danach, wie Prozesse der Veränderung in den Geschlechterverhältnissen auf der Ebene der Legitimation und der kulturellen Sinngebung einher gehen „mit sich verändernden Auslegungen von Geschlechtsadäquanz und -eignung" (Knapp 1995, 173). Die damit verbundenen Aushandlungsprozesse, was jeweils als ‚männlich’ und als ‚weiblich’ gilt, die Angelika Wetterer und Regine Gildemeister als "Umschrift der Differenz"62 (Gildemeister/Wetterer
Primat der Mutter nur langsam verändert und damit nach wie vor häufig in der Rechtssprechung vorkommt. Die alltagsweltlichen, latenten Orientierungen, so ließe sich sagen, hinken hier den rechtlichen Normierungen hinterher. 59 Dies gilt auch für die Zeit nach der Reform des Kindschaftsrechts. 60 Die Vorstellung, dass Frauen von der Rechtssprechung bei der Sorgerechtsvergabe ‚bevorzugt’ werden, hat sich in den Väterinitiativen weitgehend auch nach der neuen Reform des Kindschaftsrechts gehalten. 61 Da die mit der Kinderversorgung verknüpften Tätigkeiten und Fähigkeiten als ‚mütterlich’ assoziiert werden, war der Druck für Väter, nachzuweisen, dass sie über die notwendigen Kompetenzen verfügen, unter der früheren Gesetzgebung vor der Kindschaftsrechtsreform noch größer. Langfristig könnte mit dem KindRG dieser Legitimationsdruck nachlassen. 62 Der Ausdruck ‚Umschrift der Differenz’ orientiert sich an dem von Regina BeckerSchmidt (1990; 1994) in dem Rahmen der Analyse biographischer Interviews entwickelten Terminus der ‚Umschrift von Erfahrungen’. Becker-Schmidt zielt damit auf die Neuinterpretation zurückliegender Erfahrungen von einem biographisch späteren Zeitpunkt aus – angelehnt an den Freudschen Begriff der ‚Nachträglichkeit’. „Umschrift der Differenz“, so Gil-
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1992, 223) bezeichnen, sind in Bezug auf die Vergeschlechtlichung von Tätigkeiten in verschiedenen Berufen bzw. dem Phänomen des Geschlechtswechsel von Berufen verschiedentlich untersucht worden. Knapp verweist in diesem Zusammenhang auf Robin Leidner (1991), die davor warnt, "(…) die Rigidität der kulturellen Geschlechtstypisierung zu übertreiben und damit die Beweglichkeit von Interpretationsmöglichkeiten zu unterschätzen" (Knapp 1995, 175). So kann Leidner in ihrer Untersuchung routinisierter Dienstleistungstätigkeiten zeigen, dass Männer selbst in nach herkömmlichem Verständnis ‚weiblichen’ Tätigkeiten Aspekte finden, die es ihnen erlauben, diese mit ihrem männlichen Selbstverständnis zu vereinbaren. Ähnliche Flexibilisierungen der Vorstellungen geschlechtsadäquaten Verhaltens durch partielle Umdeutungen und Neubestimmungen erwarte ich in den öffentlichen Äußerungen der Väter zu finden. Es könnten z. B. durch das Interesse dieser Väter zu zeigen, dass sie über ähnliche Fähigkeiten verfügen wie Mütter, traditionell ‚weiblich’ konnotierte Fähig- und Tätigkeiten als ‚männliche’ umgedeutet werden, ohne dass damit die Hierarchisierung in Frage gestellt wird. Es kann aber auch zu Brüchen in den Männlichkeitsvorstellungen und zu aktiven Versuchen führen, ein anderes Verständnis von ‚Männlichkeit’ und damit auch ‚Väterlichkeit’ zu finden, das egalitärere Beziehungen ermöglicht. Um die Verhältnisse von Reproduktion und Transformation der tradierten Geschlechterordnung in den Diskursen von Väterinitiativen zu rekonstruieren, konzentriere ich mich in der Untersuchung des empirischen Materials auf folgenden Fragen: Wie werden in den von mir betrachteten Publikationen Veränderungen in den Geschlechterbeziehungen und in den Geschlechterverhältnissen thematisiert? Welche Vorstellungen von Geschlechterdifferenz, insbesondere von Männlichkeit und Väterlichkeit, aber auch von Weiblichkeit und Mütterlichkeit werden von diesen Männern vertreten? In welche Relation werden dabei Vorstellungen von Männlichkeit und Väterlichkeit zueinander ge-
demeister/Wetterer (1992, 234 FN), will die Aufschlüsselung ähnlicher Prozesse erfassen. „Im einen wie im anderen Fall geht es darum, zurückliegende Deutungen (hier der Geschlechterdifferenz) und neue Erfahrungen kompatibel zu machen, also um eine ‚Synthetisierungsleistung’ eigener Art, die nicht bloß als ‚sekundäre Harmonisierung’ oder – bezogen auf historische Prozesse – als ideologische Verschleierung begriffen werden kann.“ (Gildemeister/Wetterer 1992, 224 FN)
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stellt? Werden herkömmliche Vorstellungen der Geschlechterdifferenz und damit einhergehende Hierarchisierungen verabschiedet oder relativiert oder werden diese beibehalten und/oder sogar noch verstärkt? Welche Funktion nimmt in diesem Zusammenhang der Rekurs auf Kinder ein? Lassen sich die vorgefundenen Deutungsmuster als Interpretationen spezifischer Konflikte der sich in Väterinitiativen engagierenden Väter verstehen? Wenn ja, um welche Konflikte handelt es sich? In welcher Richtung versuchen die sich in Vätergruppen engagierenden Väter einzugreifen in Veränderungen der Geschlechterarrangements und -beziehungen? Tragen sie bei zu einer Restauration von Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern? Oder sind sie Akteure der Modernisierung sozialer Verhältnisse und Beziehungen in Richtung einer Enthierarchisierung der Arrangements zwischen den Geschlechtern? Ist das eindeutig oder eher durch Konflikte und Widersprüche gekennzeichnet? Bevor ich mein Datenmaterial vorstelle, anhand dessen ich diesen Fragen nachgehen werde, möchte ich mein methodisches Vorgehen erörtern. Dabei werde ich durch eine ausführliche methodologische Diskussion die Wahl meiner Methode begründen, welche auf einer forschungspragmatischen Kombination unterschiedlicher Verfahren beruht, sowie die konkreten Schritte meiner Forschung beschreiben.
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3 Method(olog)ische Überlegungen und methodische Umsetzung
Mit Christian Lüders und Michael Meuser (1997) begreife ich Deutungsmusteranalysen als „eine Variante der interpretativen Soziologie und als ein Verfahren der qualitativen, rekonstruktiv verfahrenden Sozialforschung“ (Lüders/Meuser 1997, 57). Für meine Untersuchung, die auf die Analyse kollektiver Deutungsmuster zielt, sind somit ein qualitatives, hermeneutisch-rekonstruktives Verfahren der Dateninterpretation und entsprechende Überlegungen zur Datengenerierung vorgegeben. Auf das Problem, ein für meine Fragestellung angemessenes methodisches Verfahren zu finden und umzusetzen, gehe ich gleich sehr genau ein. Zunächst möchte ich aber einen Blick auf die theoretische Auseinandersetzung um die Kategorie des Deutungsmusters selbst richten.
3.1 Das Deutungsmusterkonzept In die Diskussion gebracht wurde das Deutungsmusterkonzept 1973 von Ulrich Oevermann (vgl. Oevermann 1973/2001, 1976).63 Der Begriff wurde und wird seither in der Forschung häufig aufgegriffen und debattiert. In diesem Zusammenhang sind auch immer wieder Bestandsaufnahmen der Begriffsverwendung erfolgt.64 Ich orientiere mich in meiner Darstellung vor allem an den Ausführungen von Plaß und Schetsche (2001). Sie haben in ihrem Versuch, Grundzüge einer wissenssoziologischen Theorie sozialer Deutungsmuster zu bestimmen, wesentliche Strän-
63 Der Begriff des Deutungsmusters ist allerdings bereits zuvor in der soziologischen Diskussion verwandt worden. Oevermann selbst verweist auf Emerich K. Francis und Reiner M. Lepsius, von denen er den Begriff gehört hat (vgl. Oevermann 2001, 37). 64 So z. B. von Michael Meuser und Reinhold Sackmann (1991a), Christian Lüders (1991), Lüders und Meuser (1997) und von Christine Plaß und Michael Schetsche (2001). Schließlich hat Oevermann (2001) eine erneute Auseinandersetzung mit dem Deutungsmusterkonzept geführt.
ge der Genese des Konzepts aufgezeigt und sich dabei vor allem mit den Arbeiten Oevermanns auseinander gesetzt. Oevermann ging in seinem 1973 angefertigten und seither viel rezipierten Manuskript davon aus, dass im Zentrum jeder Theorie menschlichen Handelns die „Analyse der Subjektivität von Interpretationen der Umwelt und damit die Rekonstruktion mentaler Strukturen“ stehe (Oevermann 1973/2001, 4). Der Soziologie sei damit die Aufgabe gestellt, Sinnzusammenhänge und Interpretationsmuster zu rekonstruieren, „die dem konkreten Handlungssubjekt als objektive Strukturen gegenübertreten“ (Oevermann 1973/2001, 4). Unter Sinnzusammenhängen und Interpretationsmustern verstand Oevermann „Konzepte wie die sozialer Normen, sozialer Erwartungssysteme, von Wertorientierungen, kulturellen Traditionen und sozialen Deutungsmustern“ (Oevermann 1973/2001, 4). Bereits die Reihung zeigt auf, das Oevermann in Deutungsmustern eine weitere spezifische Form objektiver symbolischer Strukturen sah (vgl. Plaß/Schetsche 2001, 513 FN 6).65 Dabei ging er von zwei Grundannahmen aus: „1. Unter Deutungsmustern sollen nicht isolierte Meinungen oder Einstellungen zu einem partikularen Handlungsobjekt, sondern in sich nach allgemeinen Konsistenzregeln strukturierte Argumentationszusammenhänge verstanden werden. Soziale Deutungsmuster haben also je ihre eigene ‚Logik’, ihre je eigenen Kriterien der ‚Vernünftigkeit’ und ‚Gültigkeit’, denen ein systematisches Urteil über ‚Abweichung’ korreliert. Insofern sind sie durchaus wissenschaftliche Hypothesensystemen als Argumentationszusammenhängen mit spezifischen Standards der Gültigkeit vergleichbar. 2. Soziale Deutungsmuster sind funktional immer auf eine Systematik von objektiven Handlungsproblemen bezogen, die deutungsbedürftig sind.“ (Oevermann 1973/2001, 5).
Hierbei seien beide Gesichtspunkte empirisch zirkulär miteinander verknüpft: Objektive Handlungsprobleme würden immer schon als kulturell interpretierte Probleme in das Handlungsfeld des Subjekts treten. Andererseits ließen sich Deutungsmuster ohne Rückbezug auf die objektiven Handlungsprobleme nicht erklären. Oevermann, so Plaß/Schetsche, beschrieb hier ein „Konstitutionszusammenhang zwischen einer objektiven 65 Der Begriff ‚soziale Deutungsmuster’ bezieht sich nach Oevermann zunächst auf das gesamte ‚Ensemble’ sozial kommunizierbarer Interpretationen der physikalischen und sozialen Umwelt. Soziale Normen und Wertorientierungen sind daher auch Elemente sozialer Deutungsmuster (vgl. Oevermann 1973/2001, 5/6).
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äußeren Realität und deren – kollektiver – Deutung durch die Subjekte“ (Plaß/Schetsche 2001, 13). Dabei könnten soziale Handlungsprobleme „(…) sowohl aus den äußeren Bedingungen selbst als auch aus ihrer spezifischen Deutung resultieren. Verknüpft ergeben die beiden Grundannahmen eine vorläufige definitorische Bestimmung der Kategorie Deutungsmuster als kollektiv geteilte Argumentationsstrukturen, die auf objektive Handlungsprobleme bezogen sind.“ (Plaß/Schetsche 2001, 13/14, Hervorh. i. Orig.)
Weiterhin zentral für das Oevermannsche Verständnis des Deutungsmusterkonzepts ist der Begriff des „regelgeleiteten Handelns“ (vgl. Oevermann 1973/2001, 6). Eine Analyse sozialen Handelns müsse nach Oevermann „(…) immer das vermittelnde Element der Handlungsregel oder der Begründung, der das Handlungssubjekt praktisch folgt, einschließen. Insofern muss sie empirisch über die Beobachtung äußerer Tatsachen hinausgehen und das durch sprachliche Kommunikation operierende Erfragen der Handlungsregel beim Subjekt ins Zentrum (...) rücken.“ (Oevermann 1973/2001, 6)
Entscheidend sei, dass das Handlungssubjekt die Handlung generierende Regeln zwar nicht explizit benennen, aber aufgrund dieser Regel ein „systematisches Urteil über die Angemessenheit eines konkreten Handelns abgeben“ könne (Oevermann 1973/2001, 7). Deutungsmuster werden also in der von Oevermann eingenommenen eher strukturalen Perspektive als „(…) soziales Handeln erzeugende Regelstruktur (begriffen), mit deren Hilfe Akteure ihren Alltag deuten, ordnen, organisieren bzw. ihre Deutungs- und Handlungsprobleme lösen.“ (Lüders/Meuser 1997, 60) Diese Regelstrukturen werden als eine eigene Realität neben den konkreten empirisch beobachtbaren Phänomen verstanden (vgl. Oevermann 1973/2001, 2001; Lüders/Meuser 1997). Oevermann hat schließlich auf Basis der skizzierten Prämissen in seinem Manuskript 1973 verschiedene theoretische Implikationen des Konzepts formuliert, die Plaß/Schetsche in ihrem Aufsatz noch einmal klar benannt haben: „1. Deutungsmuster lassen sich bezüglich ihrer Geltung historisch-zeitlich und synchronisch unterscheiden. Je weiter die Verbreitung und je länger die Geltung, desto selbstverständlicher erscheinen die Muster den Subjekten und desto weniger explizierbar sind sie.“ (Plaß/Schetsche 2001, 514)
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An diese Auffassung knüpft die oben angeführte Überlegung an, dass eine Deutungsmusteranalyse da ansetzen sollte, wo es zu abweichenden, subkulturellen Deutungsmustern kommt, welche dominierende Deutungen in Frage stellen. Als weitere Implikationen von Oevermanns Deutungsmusterkonzept stellen Plaß/Schetsche heraus: „2. Deutungsmuster stellen eine Art lebensweltliches Gegenstück zu wissenschaftlichen Theorien dar; sie sind jedoch weniger stark formalisiert und besitzen keine institutionelle Verankerung von Geltungsstandards. 3. Deutungsmuster verändern sich entsprechend der Entwicklung der ‚objektiven Probleme’, auf die sie ‚antworten’. 4. Deutungsmuster stellen eigenständige Formen sozialer Realität dar, die sich – insbesondere in Zeiten sozialen Wandels – verselbstständigen und von ihrem strukturellen Ursprungskontext ablösen können. 5. Deutungsmuster müssen von neuen Gesellschaftsmitgliedern nicht ‚explizit noch Element für Element gelernt werden’; vielmehr reicht allein die Beobachtung der Umwelt aus, um zentrale Regeln zu erfassen, aus denen die Muster eigenständig rekonstruiert werden können.“ (Plaß/Schetsche 2001, 514)
In seiner Aktualisierung der Diskussion der Struktur sozialer Deutungsmuster 2001 geht Oevermann weiterhin von den skizzierten Prämissen aus. Er konkretisiert jedoch einzelne Aspekte des Konzeptes vor dem Hintergrund der in den 80er und 90er Jahren erfolgten Debatten, insbesondere der wissenssoziologischen Auseinandersetzung mit dem Konzept. „Deutungsmuster“, so benennt er in diesem Aufsatz noch einmal den Kern des Konzeptes, seien „Krisen bewältigende Routinen, die sich in langer Bewährung eingeschliffen haben und wie implizite Theorien verselbstständigt operieren, ohne dass jeweils ihre Geltung neu bedacht werden muß.“ (Oevermann 2001, 38) Sie müssten als solche „(i) vor allem einen hohen Grad der situationsübergreifenden Verallgemeinerbarkeit besitzen, (ii) sich in der Unterdrückung bzw. Auflösung potenzieller Krisen bewährt haben und (iii) angesichts der von daher erforderlichen Anwendbarkeit auf eine große Bandbreite konkret verschiedener Handlungssituationen einen hohen Grad von Kohäsion und innerer Konsistenz aufweisen. Sie sind demnach einerseits historisch epochale Gebilde, die jeweils den Zeitgeist gültig ausdrücken, andererseits aber auch Gebilde, die universellen Bedingungen der Gültigkeit genügen müssen.“ (Oevermann 2001, 38)
Zu den universellen Bedingungen gehört nach Oevermann z. B. „Widerspruchfreiheit nach der Logik des besseren Arguments“ (Oevermann 2001, 38). Die Vorstellung universeller Strukturlogiken bezieht Oever70
mann aber auch auf andere Bereiche. So sieht er in der Geschlechter- und Generationendifferenz basale Probleme, die allerdings historisch und kulturell spezifisch gedeutet werden. Um das Konzept zu konkretisieren, grenzt Oevermann heute Deutungsmuster explizit gegenüber anderen Begriffen für Bewusstseinsformationen wie Meinungen, Einstellungen, Ideologien, Interessen, Motiven, Habitusformationen, Sozialcharakteren und Lebensstilen ab. Weiter unterscheidet er strikt zwischen ‚latenten Sinnstrukturen’ und ‚Deutungsmustern’, eine Differenz, die seiner Ansicht nach in den bisherigen Diskussionen zum Deutungsmusterkonzept verschwamm. So sieht er den Begriff der ‚latenten Sinnstruktur’ ausschließlich als methodologischen und damit ausdrücklich nicht auf gegenstandstheoretische Inhalte bezogen. Ihm zufolge sei der methodologische Begriff der latenten Sinnstruktur paradigmatisch für eine strukturalistische Grundposition. Mit ihm würden im Unterschied zum nachvollziehend paraphrasierbaren subjektiv gemeinten Sinn die objektiven Sinnzusammenhänge zur Geltung gebracht, „(…) die als eigenlogische, auf nichts anderes reduzierbare Realität auf eine das Prinzip der Objektivität erfüllende Weise methodisch explizit mit der Berufung auf die algorithmischen Regeln ihrer Erzeugung erschlossen werden können.“ (Oevermann 2001, 39)
Die latenten Sinnstrukturen aus dem empirischen Material zu rekonstruieren, sei demnach die Vorbedingung einer Deutungsmusteranalyse: „Deutungsmuster sind bestimmte Gegenstände der Sozialwissenschaften, latente Sinnstrukturen bezeichnen eine Realitätsebene in der Erscheinung aller dieser Gegenstände, die als erste methodisch explizit erschlossen werden muß, bevor wir weitere spezifisch gegenstandstheoretische Schlüsse, u. a. auch über Deutungsmuster ziehen können.“ (Oevermann 2001, 41)
Deutungsmuster seien ein bestimmter Typus eines ‚tacit knowledge’, eines impliziten Wissens. Unter ‚impliziten Wissen’ versteht Oevermann neben dem in Gegenständen oder bearbeiteter Natur objektivierten Wissen ein Wissen, das faktisch handlungsleitend, jedoch nicht bewusst repräsentiert sei. Der Status von Unbewusstheit könne dabei reichen von einem psychodynamisch bestimmten Unbewussten über habituelle Absedimentierungen bis hin zum ‚stummen Wissen’ eines universalen Regelbewusst-
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seins, zu dem er die Universalgrammatik und kognitive Urteilsstrukturen zählt.66. Plaß/Schetsche begrüßen die Differenzierungen, die Oevermann in seiner erneuten Diskussion des Deutungsmusterkonzepts einführt, kritisieren aber aus wissenssoziologischer Perspektive Oevermanns Konzept an entscheidenden Punkten. Im Zentrum steht die Kritik von Oevermanns Auffassung, dass Deutungsmuster immer in einem unmittelbaren Zusammenhang zu objektiven Handlungsproblemen stünden. Diese Auffassung wird von Plaß/Schetsche (2001) in verschiedener Hinsicht problematisiert: Zum einen sehen die Autoren jenes Wissen vernachlässigt, das in keinem Zusammenhang mit lebensweltlichem, milieuspezifischem Wissen steht. Sie zielen dabei auf massenmedial vermitteltes Wissen ab, das von den Akteuren aufgenommen und vertreten würde, ohne dass die Individuen selbst entsprechende Erfahrungen gemacht hätten bzw. vor entsprechenden Handlungsproblemen stünden. Dieser Einwand impliziert auch eine Kritik an Oevermanns Verständnis von Authentizität, das er im Zuge der Abgrenzung des Deutungsmuster- vom Lebensstilbegriff formuliert. Während nach Oevermann Deutungsmuster und Habitusformationen authentischer Ausdruck einer historisch-kulturell konkreten Lebenswelt seien, wären Lebensstile kulturindustriell erzeugte Tätigkeits- und Situationsmuster. In diesen erfolge der Gegenstandsbezug nicht mehr sachhaltig, ausgehend von konkreten Handlungsproblemen, sondern sei allein an erkaufter Exklusivität orientiert und damit pseudo-authentisch. Durch die Vorstellung, dass Deutungsmuster von kulturindustriellen Einflüssen frei seien, verenge Oevermann den Deutungsmusterbegriff, so Plaß/Schetsche. Beide Autoren plädieren im Gegensatz dazu für einen Deutungsmusterbegriff, der Deutungsmuster als Ergebnis intersubjektiver Konstruktionsleistungen versteht, in die das „vielschichtige Wissen der Lebenswelt“ (Plaß/Schetsche 2001, 521) eingeht. Ein weiteres Problem in Oevermanns Deutungsmusterkonstruktion sehen Plaß und Schetsche in seinem universalistischen, ahistorischen Verständnis von Handlungsproblemen.67 Sie verdeutlichen ihren Einwand
66 Oevermann geht also davon aus, dass implizites Wissen heterogen ist. Plaß/Schetsche ergänzen die von Oevermann vorgenommene Differenzierung noch um in Interaktionen gewonnenes Wissen um soziale Regeln und Konventionen (vgl. Plaß/Schetsche 2001, 517). 67 Auf das Problem der Annahme universaler Regeln des Sozialen komme ich später noch einmal zurück.
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an Oevermanns Blick auf Differenzen zwischen den Geschlechtern. Oevermann setze die Geschlechterdifferenz als gegeben voraus und würde in dieser Perspektive danach fragen, wie Probleme im Umgang mit der Geschlechterdifferenz historisch, kultur- oder milieuspezifisch mit Hilfe handlungsleitender Deutungsmuter gelöst werden. Aus wissenssoziologischer Sicht hingegen dränge sich die Frage auf, wie es dazu kommt, dass im Alltagsbewusstsein und in verschiedenen sozialen Bereichen die Problematisierung von Geschlechterdifferenzen eine so große Rolle spielt. Diese Sichtweise schließt die Frage nach der sozialen Konstruktion von Differenz und den Prozess der Bedeutungszuweisung mit ein und öffnet damit das zu untersuchende Feld. Die dargestellte Auseinandersetzung mit dem Deutungsmusterkonzept von Plaß und Schetsche bildet sowohl die große Relevanz der Arbeiten Oevermanns zu diesem Begriff ab und zeigt zugleich aus einer wissenssoziologischen, interaktionstheoretischen Perspektive Grenzen seines Ansatzes auf. Der von Plaß/Schetsche geübten Kritik an Oevermanns Konzeption schließe ich mich in meiner Arbeit weitgehend an. Dabei gebrauche ich den Begriff der Latenz anders als das Oevermann herausgearbeitet hat, weiterhin eher gleichsinnig mit dem Begriff des impliziten Wissens68. Oevermanns Verständnis von Latenz ist mir zu sehr mit seiner strukturalen Perspektive verknüpft. Die Unschärfe des Begriffs erscheint mir bezogen auf meine Fragestellung weniger problematisch als die Schwierigkeiten, die durch die Annahme universaler anthropologischer Regeln aufkommen können. Dabei liegt das Problem der Vorstellung von universalen, eigenmächtigen Strukturen, die dem Handeln der Subjekte vorausgehen, meines Erachtens nicht nur darin, dass theoretisch die generierende und gestaltende Rolle der Handlungssubjekte in den Hintergrund tritt, so wie dies Lüders/Meuser (1997) und Plaß/Schetsche (2001) hervorheben. Betonen möchte ich stärker die Konsequenz, dass Oevermanns theoretische Prämissen natürlich seine methodologischen und methodischen Überlegungen mitbestimmen und damit der Blick der Forschenden auf ihren Forschungsgegenstand potenziell verengt ist: Sie wissen letztlich immer schon, was die (universellen) Gesetzmäßigkeiten sind, denen das Handeln der Subjekte folgt. Ich gehe auf dieses Problem weiter unten noch ausführlicher ein, wenn ich den Regelbegriff der objektiven Hermeneutik diskutiere.
68 Auch in den Arbeiten Soeffners (siehe unten) werden diese Begriffe eher synonym verwandt.
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Die Diskussion der unterschiedlichen Auffassungen des Deutungsmusterkonzeptes innerhalb des interpretativen Paradigmas69 macht deutlich, dass, obgleich Oevermann das Deutungsmusterkonzept entscheidend geprägt hat, die Methode der „objektiven Hermeneutik“ nicht als das „allein gültige Verfahren zur empirischen Rekonstruktion von Deutungsmustern gelten“ kann (Lüders/Meuser 1997, 67). Ein kurzer Blick auf abgeschlossene empirische Untersuchungen, die sich am Konzept des Deutungsmusters orientieren (vgl. z. B. Schütze 1986, Meuser 1989, 1997, Pensè 1994, Neureiter 1996, Schlüter 1999) zeigt, dass ein eigenständiges anderes methodisches Verfahren der Deutungsmusteranalyse bislang noch nicht entwickelt wurde (vgl. Lüders/Meuser 1997, 67).70 Auch die von Plaß/Schetsche (2001) vorgeschlagenen Schritte für eine Deutungsmusteranalyse bleiben aus methodischer Sicht eher allgemein.71 So lässt sich zunächst nur wieder auf Lüders` und Meusers grundlegende Aussage zurückgreifen, dass Deutungsmusteranalysen immer rekonstruktive Verfahren sind, sich dafür jedoch verschiedene Varianten einer rekonstruktiv verfahrenden Sozialforschung anbieten, welche der Stellung von Deutungsmustern zwischen Determination und Emergenz Rechnung tragen (vgl. Lüders/Meuser 1997, 67).72 Für die Wahl rekonstruktiver Verfahren spricht ihrer Auffassung nach, dass diese „(…) mittels einer interpretativen Rekonstruktion der Handlungen, Orientierungen und Deutungen der handelnden Subjekte in ihrem wechselseitigen Verweisungszusammenhang und in ihrer wechselseitigen Steigerung das interaktiv erzeugte kollektive Sinngebilde genetisch, d. h. in seiner sozialen Gewordenheit und damit aber auch in seiner den einzelnen Akteuren vorausgesetzten und dennoch von ihnen (re-)produzierten Intersubjektivität nachvollziehen.“(Lüders/Meuser 1997, 68)
69 Lüders/Meuser (1997) weisen darauf hin, dass Oevermanns Schriften zwischen einer interaktionistischen und einer strukturalen Perspektive anzusiedeln sind, d. h., dass seine Arbeiten auch dem interpretativen Paradigma zuzurechnen sind. 70 Plaß/Schetsche (2001) haben sogar feststellen müssen, dass zehn von 17 von ihnen betrachtete Studien völlig auf Reflexionen über den für sie zentralen analytischen Begriff des Deutungsmusters verzichten. 71 Die Vorschläge von Plaß/Schetsche (2001, 532) zeigen große Ähnlichkeit mit den Überlegungen von Keller (1997) für eine Diskursanalyse. 72 Weder lassen sich Handlungen der Individuen einfach rein sozialstrukturell determiniert erklären noch rein situativ oder gar aus subjektiver Beliebigkeit. Die Deutungsmusterkategorie soll in beiden Richtungen Engführungen in der Analyse vermeiden (vgl. Lüders/Meuser 1997, 59).
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Innerhalb des interpretativen Paradigmas machen die Autoren die Wahl des Interpretationsverfahrens wesentlich von der Erhebungsmethode und damit von der konkreten Gestalt des zur Verfügung stehenden Datenmaterials abhängig.73 Ich orientiere mich in meinen methodologischen und methodischen Überlegungen an der Grounded Theory, die von Anselm L. Strauss und Barney Glaser in der Tradition des Symbolischen Interaktionismus (Blumer, Mead) und des amerikanischen Pragmatismus (James, Peirce, Dewey) begründet wurde. Zudem beziehe ich mich auf Ausführungen der hermeneutischen Wissenssoziologie74 (vgl. u. a. Soeffner 1989; 1999; Schröer 1994; Hitzler/Reichertz/Schröer 1997), die an die Arbeiten von Alfred Schütz (1932), Georg Herbert Mead (1934), Peter L. Berger und Thomas Luckmann (1996) anknüpfen. Die theoretischen Grundannahmen und methodologischen Prämissen beider Zugänge geben einen geeigneten Rahmen für mein empirisches Vorgehen.75 Methodisch kombiniere ich das Vorgehen der Grounded Theory mit einem sequenzanalytischen Verfahren, wobei ich mich vor allem auf die Arbeiten von Hans-Georg Soeffner beziehe, aber auch die konkreten methodischen Überlegungen von Ulrich Oevermann reflektiere.76
73 Plaß/Schetsche (2001) sprechen dagegen für den Versuch einer Vereinheitlichung der Analyse, um vergleichbare und anschlussfähige Analysen von Deutungsmustern zur Verfügung zu haben. Dies bedeutet aber auch eine Eingrenzung des Deutungsmusterbegriffs. 74 Der Begriff ‚hermeneutische Wissenssoziologie’ hat sich in der neueren Diskussion herausgebildet. Zuvor wurde etwas unspezifischer von ‚sozialwissenschaftlicher Hermeneutik’ gesprochen. ‚Sozialwissenschaftliche Hermeneutik’ wird nun eher als Oberbegriff verwandt, unter den Ansätze gezählt werden wie die hermeneutische Wissenssoziologie, die objektive Hermeneutik, die Konversationsanalyse etc. (vgl. Hitzler/Honer 1997; Hitzler 2002). Manchmal bleibt aber bei der Verwendung des Begriffs ‚sozialwissenschaftliche Hermeneutik’ unklar, ob es hier um einen Oberbegriff oder um die Bezeichnung eines konkreten Ansatzes geht. Dies betrifft insbesondere die Arbeiten Soeffners, der diesen Begriff in die Diskussion gebracht hat und bis heute daran festhält. Hier, so der Eindruck, handelt es sich um einen bestimmten Ansatz, der dann von Hitzler, Schröer, Reicherts u. a. in ‚hermeneutische Wissenssoziologie’ umgewandelt wurde. Ich verwende den Begriff ‚hermeneutische Wissenssoziologie’ im Folgenden für die Arbeiten, die in enger Bezugnahme auf bzw. in Zusammenarbeit mit Soeffner entstanden sind. 75 Die Grounded Theory ist eine in den USA und zunehmend auch in der Bundesrepublik verbreitete Methode, die vor allem im Kontext des Symbolischen Interaktionismus sowie der hermeneutischen Wissenssoziologie systematisch genutzt wird. 76 Bezüglich der Methodenkombination greife ich auf Gedanken von Jörg Michael Kastl (1999a; 1999b) und von Bruno Hildenbrand (1999) zurück. Hildenbrand nimmt mit seiner fallrekonstruktiven Forschung eine spezifische Kombination zwischen Grounded Theory und dem sequenzanalytischem Vorgehen der objektiven Hermeneutik vor (vgl. Hildenbrand
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Bevor ich nun auf Fragen der Kombination der in der einschlägigen Literatur doch sonst eher getrennt verhandelten Methoden der Textanalyse eingehe und mein eigenes methodisches Vorgehen darstelle, werde ich die zentralen theoretischen Annahmen und die Vorgehensweise der ‚Grounded Theory’ darlegen. Erst auf dieser Basis kann ich Modifikationen und Abweichungen diskutieren.
3.2 Grundannahmen und Vorgehensweise der Grounded Theory Bei der Ausarbeitung der Grounded Theory ging es Glaser und Strauss wesentlich darum, Wege zu bestimmen, formale Theorien mittlerer Reichweite77 aus der Empirie heraus zu entwickeln. Die Entwicklung von Theorien verstehen sie als die grundlegende Aufgabe der Soziologie. Damit wenden sie sich gegen das Theorieverständnis quantitativer Methodologien, denen ein logisch-deduktives Modell zugrunde liegt, nach dem die Daten nur herangezogen werden, um eine Theorie zu belegen oder zu widerlegen und nicht, um sie zu generieren. In ihren Grundannahmen orientiert sich die Grounded Theory an den drei methodologischen Prämissen, die Blumer für den Symbolischen Interaktionismus formuliert hat (vgl. Lamnek 1988, 47). Lamnek zitiert diese Prämissen folgendermaßen: „1. Menschen handeln ‚Dingen’ gegenüber auf der Grundlage der Bedeutung, die diese Dinge für sie besitzen. (...) 2. Die Bedeutung dieser Dinge ist aus sozialen Interaktionen ableitbar. (...) 3. Die Bedeutungen werden in einem interpretativen Prozeß, den die Person in der Auseinandersetzung mit den ihr begegnenden Dingen benutzt, gehandhabt und abgeändert.“ (Lamnek 1988, 47/48)
Die Grounded Theory geht weiterhin mit dem Symbolischen Interaktionismus davon aus, dass sich soziale Sinnstrukturen als Produkte menschli-
1999). Sein Vorgehen war für mich anregend, lässt sich aber von mir nicht direkt auf meinen Forschungsgegenstand übertragen. Ich konzentriere mich auf die Rekonstruktion kollektiver Deutungsmuster innerhalb einer bestimmten Diskursgemeinschaft – Väterinitiativen – und begrenze dabei meinen zu untersuchenden ‚Fall’ nur auf die mir vorliegenden Texte. Ich arbeite also im engen Sinne textanalytisch. Bei Hildenbrand hingegen wird, wie Soeffner ausgeführt hat (1989b, 78), ein Fall in seinem spezifischen Interaktions- und Milieunetz untersucht. Er ist nicht ausschließlich Text, sondern schließt nichtsprachliche Modi ein. 77 Hier grenzen sie sich gegenüber Gesellschaftstheorien ab (vgl. Lamnek 1988, 120).
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chen Handelns objektivieren und den Individuen als Bedingungsrahmen menschlichen Handelns gegenüber treten, der aber wieder einem Interpretationsprozess zugänglich und damit veränderbar ist. Demnach wird das Bestehen struktureller Bedingungen des Handelns anerkannt, aber das Handeln der Individuen nicht als dadurch vollkommen determiniert betrachtet. ‚Wandel’ wird so auch von Hildenbrand in Anschluss an Strauss und Corbin als ein Schlüsselthema der Methodologie der Grounded Theory identifiziert: „(…) es geht um die Entdeckung grundlegender Prozesse, die Wandel bewirken. Diese Prozesse betreffen soziale Einheiten vom Individuum bis hin zur Organisation; sie werden von Wandel beeinflusst und beeinflussen ihrerseits Wandel, sie bringen ihn also hervor.“ (Hildenbrand 2000, 32)78
Nicht zuletzt durch ihre Bezugstheorien haben die theoretischen Grundannahmen von Strauss und Glaser viele Nähen zu den Überlegungen von Berger/Luckmann (1996) und sind daher auch mit theoretischen und methodologischen Annahmen der hermeneutischen Wissenssoziologie zusammen zu bringen. Soweit eine kurze theoretische Einordnung der Grounded Theory. Im Folgenden wird ein (ideal)typischer Verlauf eines Forschungsprozesses mit der Methode der Grounded Theory aufgezeigt. Vor diesem Hintergrund kann ich mein eigenes abgewandeltes Vorgehen begründen und darstellen. Obgleich sie sich als ‚Kunstlehre’ versteht, deren Qualität stark von der Kreativität der Forschenden abhängt, stellt die Grounded Theory den Forschenden charakteristisches Handwerkszeug bereit. Der ‚typische’ Analyseprozess beginnt damit, dass die Forschenden eine geringe Menge Datenmaterial erheben oder auswählen. Das Material kann jede Form von Text sein: verschriftlichte Interviews, Beobachtungsprotokolle, Feldnotizen, Dokumente, veröffentlichte Texte. Bei der Betrachtung des Materials werden nun die theoretischen Vorannahmen, die überprüft werden sollen, zurückgestellt. In die Interpretationsarbeit fließt zwar immer auch theoretisches Wissen ein, dies geschieht aber unsystematisch, denn die Arbeit besteht ja gerade darin, an den Daten theoretische Konzepte zu entwi-
78 In Anlehnung an Soeffner (1995, 30) lassen sich auch vier Grundbegriffe ausmachen, die für die Arbeit von Anselm L. Strauss und damit für die Grounded Theory leitend sind: „Interaktion, Zeitlichkeit, Prozesshaftigkeit, Strukturiertheit“ (vgl. auch Hildenbrand 2000, 33).
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ckeln, die sich an den Daten auch bewähren müssen (vgl. Hildenbrand 2000, 33). Im ersten Schritt werden an die erhobenen Daten Fragen gerichtet79, d. h., der Text wird codiert, wobei das ‚Kodierparadigma’ unterstützt. Das ‚Kodierparadigma’ beinhaltet, dass „(…) Daten nach der Relevanz für die Phänomene, auf die durch eine gegebene Kategorie verwiesen wird, kodiert werden, und zwar nach: den Bedingungen, der Interaktion zwischen den Akteuren, den Strategien und Taktiken, den Konsequenzen.“(Strauss 1998, 57)
Die erste Art des Codiervorgangs wird ‚offenes Kodieren’ genannt und soll die Forschungsarbeit eröffnen. Das offene Codieren geht so vor sich, dass der vorliegende Text sehr genau, zunächst Zeile für Zeile oder sogar Wort für Wort analysiert wird. Die Daten sollen „mikroskopisch untersucht“ werden (Strauss 1998, 61), so dass alle auftauchenden Indikatoren80 gefunden und in Konzepten81 erfasst werden können. Haben die Konzepte eine relative Sättigung erfahren, weil nichts Neues mehr hinzukommt, können die Forschenden die Daten schneller durchgehen. Immer neues Codieren von Daten führt dazu, dass immer dichtere konzeptionelle Zusammenhänge gebildet und schließlich eine – zunächst erst mal gegenstandsbezogene – Theorie formuliert werden kann. Dabei tritt zu dem offenen Codieren im fortschreitenden Verlauf der Untersuchung das axiale und das selektive Codieren hinzu. Mit dem Verfahren des axialen Codierens wird eine bestimmte Kategorie, eine ‚Achsenkategorie’, im Rahmen des Codierparadigmas intensiver analysiert, indem ein ‚Beziehungsnetz’ um sie herum gewoben wird. Dieses besteht aus den Beziehungen, welche die Konzepte zu dieser Ach79 Fragen, die helfen sollen aus der bloßen Paraphrasierung heraus zu kommen, sind z. B. „- Was? Worum geht es hier? Welches Phänomen wird angesprochen? - Wer? Welche Personen, Akteure sind beteiligt? Welche Rollen spielen sie dabei? Wie interagieren sie? Wie? Welche Aspekte des Phänomens werden angesprochen (oder nicht angesprochen) Wann? Wie lange? Wo? Wie viel? Wie stark? - Warum? Welche Begründungen werden gegeben oder lassen sich erschließen? – Wozu? In welcher Absicht? Zu welchem Zweck? Womit? Welche Mittel, Taktiken und Strategien werden zum Erreichen des Ziels verwendet?“ (Böhm 2000, 478) 80 Indikatoren sind Informationen über Ereignisse, Verhaltensweisen etc. Der Abstraktionsvorgang der Benennung der Indikatoren und des Bündelns verschiedener Indikatoren unter einem Konzept, ist der Prozess des Kodierens. 81 Konzepte lassen sich verstehen als „in Begriffe gefasste Hypothesen“ (Hildenbrand 2000, 36).
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senkategorie haben. Damit wird die Achsenkategorie verfeinert und differenziert und gewinnt eigentlich erst wirklich den Status einer Kategorie (vgl. Böhm 2000, 479). Fragen, die die Wahl einer Achsenkategorie erleichtern sind z. B.: „Worauf beziehen sich meinen Daten? Um was drehen sich Handlungen und Interaktionen in den Daten eigentlich?“ (Böhm 2000, 480) Selektives Codieren schließlich meint, dass systematisch nach Schlüsselkategorien codiert wird. Die anderen Codes werden einem als Schlüsselkategorie angenommenen Code untergeordnet. Der Codierprozess ist damit auf Variablen begrenzt, die „(…) einen hinreichend signifikanten Bezug zu den Schlüsselcodes aufweisen, um in einer auf einen spezifischen Bereich bezogenen Theorie verwendet zu werden“ (Strauss 1998, 63). Eine Schlüsselkategorie, ein zentrales Phänomen, wird gefunden, indem die vorhandenen Codes und die Memos immer wieder gesichtet werden. Selektives Codieren erfolgt in der Regel erst, wenn bereits kontrastierendes Material erhoben wurde. Sowohl axiales als auch selektives Codieren kann quer zu dem unterschiedlichen Datenmaterial erfolgen. In allen Phasen des Codierens werden Theorie-Memos geschrieben, Berichte, in denen die Forschenden ihr Vorgehen, theoretische Fragen, Hypothesen etc. festhalten und diskutieren. Diese Memos sollen weitere Codiervorgänge anregen und helfen, zu einer integrierten Theorie zu kommen. Wenn die ersten Konzepte und Kategorien gefunden und Memos geschrieben worden sind, wird von den damit verbundenen Überlegungen und Hypothesen aus neues Datenmaterial erhoben. Wichtig ist, dass das Heranziehen von neuen Beispielen von Handlungen, Ereignissen, Vorkommnissen, Gruppen etc. von der sich entwickelnden Theorie geleitet und zum Vergleichen eingesetzt wird. Neue Daten werden ausgewählt nach dem Prinzip des minimalen und des maximalen Vergleichs; die entstehende Theorie wird stets über den Weg des Kontrastierens von Fällen überprüft. Dieses Verfahren der aus den ersten Ergebnissen des Auswertungsprozesses heraus sukzessiv erfolgenden Datenerhebung wird von Strauss und Glaser ‚theoretical sampling’ genannt. Zusammenfassend lässt sich der Analyseprozess der Grounded Theory als triadischer Prozess beschreiben. Die Triade: Daten erheben, Codieren, Memo schreiben, ist nach Strauss (1998, 46) für die Methode der Grounded Theory zentral. Nach der ersten Datenerhebung und dem ersten Codieren soll ein permanenter Wechsel von Codieren, Memo schreiben und Daten erheben erfolgen. Dabei kann jederzeit wieder auf altes, bereits erhobenes und analysiertes Material zurückgegriffen werden. Der vorgesehene Wechsel ist hier eher idealtypisch zu verstehen. Es kann auch 79
einmal sinnvoll sein, nach dem offenen Codieren des gerade bearbeiteten Materials gleich weiter zu codieren oder nach dem Schreiben eines Memos direkt ein weiteres zu verfassen. Die oberste Prämisse ist die Verdichtung des Materials. Der analytische Prozess basiert dabei ganz wesentlich auf einem permanenten Vergleich. Zunächst werden die im Prozess des offenen Codierens gefundenen empirischen Indikatoren (Verhaltensweisen oder Ereignisse) untereinander verglichen und durch den Vergleich gebündelt in einem Konzept, einer Kategorie. In einem weiteren Schritt werden Indikatoren mit den bereits gefundenen Codes verglichen und dadurch die Codes verfeinert in dem Sinn, dass sie den Daten angemessen sind. Strauss nennt diesen Vorgang des Vergleichs das „Konzept-IndikatorModell“. Daneben ist eine weitere zentrale Vergleichsebene eingebaut: Die durch das Theoretical Sampling sukzessive erhobenen Fälle und die jeweils in der Interpretation gewonnenen Kategorien werden untereinander verglichen. Die Vergleiche ermöglichen einen fortschreitenden Abstraktionsvorgang, an dessen Ende die Ausarbeitung einer aus den Daten begründeten formalen Theorie stehen soll.
3.2.1 Offenheit mit Methode: Bezugnahme auf die Grounded Theory Die dargestellte theoretische Orientierung, die Methodologie und das methodische Vorgehen sind charakteristisch für die Grounded Theory. Gleichwohl ist die Grounded Theory ihrem Selbstverständnis nach methodologisch sehr offen und kann, soll sogar, auch methodisch modifiziert werden. So ist Strauss zufolge „(…) methodologisch gesehen (...) die Analyse qualitativer Daten nach der Grounded Theory auf die Entwicklung einer Theorie gerichtet, ohne an spezielle Datentypen, Forschungsrichtungen oder theoretische Interessen gebunden zu sein. In diesem Sinn ist die Grounded Theory keine spezifische Methode oder Technik. Sie ist vielmehr als ein Stil zu verstehen, nach dem man Daten qualitativ analysiert und der eine Reihe von charakteristischen Merkmalen hinweist: Hierzu gehören u. a. das Theoretical Sampling und gewisse methodologische Leitlinien wie etwa das kontinuierliche Vergleichen und die Anwendung eines Codierparadigmas, um die Entwicklung und Verdichtung von Konzepten sicherzustellen.“ (Strauss 1998, 30)82
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Die von Strauss hier genannten Leitlinien sind eher als methodisch zu verstehen.
Strauss führt fort, dass die von ihnen vorgeschlagenen Methoden „(…) auf keinen Fall als starre Regeln zu verstehen sind, nach denen Datenmaterialien in eine effektive Theorie umgewandelt werden können. Sie sind lediglich Leitlinien, die den meisten Wissenschaftlern bei ihren Forschungen Orientierungshilfen geben können. Dafür muss man als Wissenschaftler (...) nicht nur die Eingeschränktheit und Herausforderungen von Forschungssituationen und -zielen klar erkennen können, sondern auch das Wesen des zu bearbeitenden Datenmaterials.“ (Strauss 1998, 32)
Es ist diese gegenüber anderen interpretativen Zugängen relative methodologische und methodische Offenheit, die meine Wahl der Grounded Theory als Orientierungsrahmen bestimmt. Die Entscheidung für ein rein sequenzanalytisches Verfahren, die meine Fragestellung nahe legt, würde jeweils methodologische Implikationen beinhalten, die ich nicht übernehmen möchte. Darauf werde ich weiter unten eingehen. Die Grounded Theory stellt dagegen einen Rahmen für die Entwicklung meines Forschungsdesigns zur Verfügung und erlaubt es zugleich, eine meinem Gegenstand angemessene Methode – ein sequenzanalytisches Verfahren – begründet als Instrument einzuführen. Solch eine Verknüpfung von Grounded Theory und Sequenzanalyse ist unter forschungspragmatischen Gesichtspunkten und mit theoretischen Annahmen mittlerer Reichweite möglich.83
3.2.2 Methodische Umsetzung der Arbeit mit der Grounded Theory In welcher Weise beziehe ich mich nun in meiner Untersuchung auf die Grounded Theory? Mit der Grounded Theory verstehe ich den Analyseprozess als triadischen Prozess, mit einem steten Wechsel von Datenerhebung bzw. Datenauswahl, konkreter Analyse des Materials und Verfassen von Memos. Damit diente mir also in meinem Forschungsprozess das
83 Methodologisch bzw. in Bezug auf grundlagentheoretische Annahmen gibt es zwischen Grounded Theory und Sequenzanalyse – vor allem den Prämissen der objektiven Hermeneutik – Unvereinbarkeiten. So sieht z. B. die objektive Hermeneutik in strukturalistischer Perspektive Subjekte in letzter Konsequenz nur als Träger der Struktur. Der Symbolische Interaktionismus als wichtige Bezugstheorie der Grounded Theory sieht dagegen wesentlich mehr Handlungsmöglichkeiten auf Seiten der Individuen. Dies teilt sie mit eher phänomenologisch-wissenssoziologisch inspirierten sequenzanalytischen Verfahren.
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Theoretical Sampling zur Orientierung. Allerdings habe ich das zur Verfügung stehende Datenmaterial in einem ersten Schritt bereits mehrfach eingegrenzt: Auf Publikationen aus dem Kontext von Väterinitiativen, daraus im Wesentlichen auf Artikel der Zeitschrift PAPS, auf die ich unten ausführlich eingehen werde, und auch hier habe ich bewusst erst mit einigen Editorials begonnen.84 Die für das Theoretical Sampling notwendige Offenheit in der Suche nach kontrastierenden Fällen war daher eingeschränkt. In dem abgesteckten Rahmen bin ich dann allerdings bei der Materialauswahl Schritt für Schritt vorgegangen. D. h. ich habe die Editorials erst ausgewählt, wenn die Analyse des vorangegangenen abgeschlossen war. Bei ihrer Auswahl ging es mir darum, möglichst eine maximale Differenz in den inhaltlichen Thematisierungen vorliegen zu haben. Erst nachdem sich über die Analyse der Editorials nichts Neues mehr ergab, bin ich zur Analyse einzelner Artikel übergegangen. Deren Auswahl war ebenfalls davon geleitet, eine möglichst große Differenz in den inhaltlichen Positionierungen im Spektrum von Väterinitiativen zu erfassen. Es ging also gerade nicht darum, welches Thema am häufigsten erwähnt wird, wie z. B. der Komplex Trennung und Scheidung, sondern die inhaltlichen Kontraste waren entscheidend.85 Ein schwer zu lösendes Problem blieb, Kriterien für die Differenz zu bestimmen. Ob der neu ausgewählte Artikel wirklich ‚Neues’ oder ‚Anderes’ zur Sprache bringt, zeigte sich erst im Laufe der Analyse. Hier war ich weitgehend auf meine Intuition angewiesen. Zwei Interpretationen habe ich nach der Analyse der Eingangssequenz abgebrochen, da hier bereits ‚bekannte’ Argumentationskonfigurationen vorlagen. Eine Hilfe für die Bildung von Auswahlkriterien fand ich in den ‚Memos’, die ich nach der Analyse eines jeden Artikels/Editorials verfasst habe. Diese sind von mir als eine Art Thesenpapier verfasst, das darauf abzielt, die empirischen Ergebnisse kategorial zu verdichten und in Ansätzen bereits theoretisch zu reflektieren. Manchmal habe ich auch bereits während der Analyse kleinere Memos angefertigt, mit denen ich die Bedeutung einzelner empirischer Phänomene genauer zu erfassen versuchte. Für die Analyse der einzelnen Texte habe ich, wie angedeutet, statt des von Glaser und Strauss eingeführten Verfahrens des offenen Codie-
84 Meine Entscheidung für diese Auswahl und Eingrenzung der Datenbasis werde ich später begründen. 85 Es wurden so lange neue Editorials und Artikel ausgewählt, bis in dem Kontext keine genuin neuen Deutungsmuster und Argumentationskonfigurationen mehr zu finden waren.
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rens ein sequenzanalytisches Vorgehen gewählt. Damit wurde das für die Grounded Theory wichtige Prinzip des Vergleichens jedoch nicht aufgegeben. Allerdings gewinne ich meine Kategorien und Konzepte eben nicht durch die oben beschriebenen Codiervorgänge, sondern ersetze mit der sequenziellen Analyse die Vergleiche nach dem Konzept-IndikatorModell durch eine andere Form des Vergleichs, welche die sequenzielle Analyse bestimmt: die gedankenexperimentelle Kontrastierung.86 In der zweiten Phase der Interpretation ging es mir um die zunehmende Verdichtung der Lesarten und Begrifflichkeiten, welche durch die Suche nach Verbindungen quer zu den einzelnen Texten erfolgte. Für diese Verdichtung von Bedeutungsgehalten war es hilfreich, während der Sequenzanalyse immer wieder das ‚Ergebnis’ einer interpretierten Sequenz begrifflich zu fassen und zu dem Text zu setzen. Wenn ich zum Beispiel in der Interpretation erkannte, dass hier manifest oder latent auf Konstruktionen der Geschlechterdifferenz Bezug genommen wird, habe ich hinter der Analyse dieser Sequenz in Klammern ‚Differenz’ vermerkt. In der Queranalyse ließ sich später betrachten, in welchen Zusammenhängen und auf welche Weise ‚Differenz’ stark gemacht wurde. Ziel dieser kontrastierenden Queranalyse war es, die bereits in der Analyse herausgearbeiteten Kategorien wechselseitig zu konturieren, aufeinander zu beziehen bzw. voneinander zu unterscheiden und so umgrenzte Deutungsmuster herauszuarbeiten. Zugleich ging es mir darum, durch eine verdichtende Beschreibung Argumentationskonfigurationen, in die diese Deutungsmuster eingebettet sind, darstellen zu können. Erst bei der Betrachtung dieser Konfigurationen wird sichtbar, ob in den Argumentationen von Vätergruppen neue Deutungsmuster entstehen oder ob hier ‚alter Wein in neue Schläuche’ gepackt wurde. Soweit zur konkreten Anknüpfung an die Arbeitsweise der Grounded Theory. Offen geblieben ist jetzt noch, warum die Grounded Theory allein nicht hinreicht, um meine Forschungsfragen zu bearbeiten. Zudem ist noch unklar, auf welches sequenzanalytische Verfahren ich zurückgegriffen und wie ich dies methodisch umgesetzt habe. Dies werde ich in den folgenden zwei Abschnitten erörtern. Dabei hole ich bei der Diskussion der verschiedenen sequenzanalytischen Ansätze weiter aus. Mir geht es in dem Abschnitt zu verschiedenen sequenzanalytischen Ansätzen darum,
86 Die methodologischen und vor allem methodischen Überlegungen zur Auswahl und Durchführung meines sequenzanalytischen Vorgehens werde ich im nächsten Abschnitt beschreiben.
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die Hintergründe meiner Überlegungen zu der Wahl einer geeigneten Methode transparent zu machen. Eine zentrale Schwierigkeit besteht darin, dass sich die unterschiedlichen theoretischen und methodologischen Implikationen einzelner Ansätze in den jeweiligen Vorschlägen für das methodische Vorgehen niederschlagen. Auch wenn es in letzter Konsequenz möglich ist, forschungspragmatisch von den theoretischen Implikationen abzusehen, ist doch wichtig darzulegen, wovon man absieht. Zum Abschluss des Kapitels werde ich ganz konkret mein Material darstellen und die Auswahl der einzelnen Texte begründen.
3.3 Gründe für die Wahl eines sequenzanalytischen Verfahrens In den Forschungsprojekten, die sich mit der Rekonstruktion von Deutungsmustern beschäftigen, hat sich heute fast durchgängig das Verfahren der Sequenzanalyse durchgesetzt (vgl. Lüders/Meuser 1997).87 Dies ist im Wesentlichen auf zwei Gründe zurückzuführen, die auch für meine Entscheidung ausschlaggebend waren, dieses Verfahren mit der Grounded Theory zu verbinden. Zum einen hängt die Entscheidung, für die Analyse von Deutungsmustern sequenzanalytisch vorzugehen, mit spezifischen Annahmen über die Konstitution und Genese von Sinn zusammen, die von allen hermeneutischen Ansätzen grundsätzlich geteilt werden. Sinn, so lässt sich diese allgemeine Annahme fassen, „(…) konstituiert und aktualisiert sich (...) im zeitlichen Prozess des SichVerhaltens in Vor- und Rückverweisen, zum anderen sind in jeder sinnhaften Erfahrung allgemeine Verweisungshorizonte über das Hier und Jetzt der Situativität hinaus gleichsam ‚kondensiert’“ (Kastl 1999, 10/11).
Dieses Verständnis wird von sequenzanalytisch vorgehenden Ansätzen ernst genommen, wie z. B. Hans-Georg Soeffner (1989) deutlich macht. Da uns ein direkter Zugriff auf soziale Realität wissenschaftlich nicht möglich ist, sind ihm zufolge Texte der Gegenstand wissenschaftlicher Interpretationen: transkribierte Interviews, Feldbeobachtungen, natürliche
87 Allerdings wird dabei ebenso, wie der Deutungsmusterbegriff häufig nicht expliziert wird, das gewählte sequenzanalytische Verfahren nicht immer begründet und dargestellt.
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Texte wie Dokumente, Zeitschriftenartikel, Tagebücher, Briefe.88 Texte wiederum sind generell Interaktionsprodukte. Dies gilt nach Soeffner (1989b) selbst für den Grenzfall eines Monologes. Texte „werden in Interaktionen produziert, sind Bestandteile der Interaktion, haben dementsprechend Handlungscharakter und bilden Handlungsreihen ab, die als Aktions- und Reaktionsgefüge irreversibel sind“ (Soeffner 1989b, 67).
Wie Oevermann geht Soeffner davon aus, dass aufgezeichnete Texte sich als ‚Protokolle’ von abgeschlossenen Handlungen begreifen lassen und eine „feststehende, unumkehrbare Sequenz von Aktion und Reaktion“ darstellen (Soeffner 1989, 67), wobei jede Äußerung immer Aktion und Reaktion zugleich ist. Wenn Texte als Protokolle irreversibler Interaktions- und Interpretationssequenzen gesehen werden, so Soeffner, geht darin die Prämisse ein, „(…) daß diese Sequenzen einen Handlungszusammenhang repräsentieren, innerhalb dessen die Einzeläußerungen grundsätzlich über sich selbst hinausweisen und immer den Handlungsrahmen als Ganzen (...) mit in Rechnung stellen.“ (Soeffner 1989b, 69)
Nach diesem Verständnis gibt es also keine Einzeläußerung innerhalb eines Textes, die als einzelne, für sich stehende interpretierbar wäre.89 Aus diesen Gründen spricht Soeffner mit Bezug auf Dilthey (1958, 214) vom Interpretieren als „Rekonstruktion der Textbedeutung ‚in der Linie des Geschehens’“(Soeffner 1989b, 69) und kommt damit zu dem etwas apodiktischem Schluss: „Interpretieren ist Sequenzanalyse.“ (Soeffner 1989, 69) Für meine Arbeit haben diese Überlegungen Konsequenzen: Wenn sich Be-Deutungen aus den vorausgehenden und nachfolgenden Äußerun88 Daneben können natürlich auch alle anderen menschlichen Äußerungsformen wie Mimik, Gestik, Kleidung etc. interpretiert werden sowie alle von Menschen geschaffenen Produkte wie Bilder und Filme etc. (vgl. z. B. Müller-Doohm 1997). 89 „Jede der Äußerungen ist interaktionstheoretisch in folgende Bezüge eingebettet: sie bezieht sich (1) auf die ihr vorausgehenden Äußerungen und den Handlungskontext insgesamt, (2) auf die unmittelbar vorangehende Äußerung, sei es des Gegenübers oder des Sprechers selbst, (3) auf die erwarteten oder erwartbaren Nachfolgeäußerungen, (4) auf den Handlungs- und Sinnhorizont des Interaktionszusammenhanges als Ganzen. (...) (5) Gleichzeitig repräsentiert und reproduziert jeder Interaktionsprozess eine ihm zugrunde liegende Interaktionsstruktur in einer historisch konkreten, die historischen Rahmenbedingungen mitbeinhaltenden Textform.“ (Soeffner 1989b, 69)
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gen ergeben, dann muss für die Rekonstruktion von Deutungsmustern die sequenzielle Abfolge der Textpassagen beachtet werden (vgl. auch Lüders/Meuser 1997, 69). Es ist daher nicht zufällig, dass Deutungsmusteranalysen in der Regel Sequenzanalysen sind. Die Grounded Theory dagegen folgt typischerweise nicht der polythetischen Konstitution von Sinn in der Zeit, sondern „(…) versucht von vorneherein, die polythetische Mannigfaltigkeit aktueller Verweisungen und Implikationen begrifflich zu organisieren, einen monothetischen Zugriff zu ermöglichen und sich damit von Anfang an von der Konkretionsebene der Daten zu lösen“ (Kastl 1999a, 8).
Zwar schlägt Strauss vor allem für die Anfangsphase Zeile-für-ZeileAnalysen vor, die sehr genau durchgeführt werden sollen. Dieses Vorgehen hat jedoch die Funktion, „möglichst schnell viele Vergleichsmöglichkeiten und Fragestellungen an den Details des Materials zu entwickeln.“ (Kastl 1999, 17). Es setzt also punktuell an einzelnen Details an, buchstabiert deren Implikationen aus und trägt die daraus erwachsenden Konzepte in einem kontinuierlichen Prozess der sukzessiven Verdichtung zusammen. Diese Differenz zwischen Grounded Theory und Sequenzanalyse ist der zentrale Grund, warum ich statt des offenen Codierens ein sequenzanalytisches Verfahren einsetze.90 Der zweite Grund für meine Entscheidung, für die Analyse von Deutungsmustern das Instrument der Sequenzanalyse mit Arbeitsweisen der Grounded Theory zu verbinden, hängt mit dem ersten zusammen. Er beruht darauf, dass sequenzanalytische Verfahren geradezu darauf zielen, in der Interpretation latente Sinngehalte zu erfassen. So spricht z. B. die objektive Hermeneutik von „latenten Sinnstrukturen“ (Wernet 2000, 18), die Konversationsanalyse von „’stillschweigenden’ Basisregeln des Interagierens und Kommunizierens“ (vgl. Hitzler 2002, FN 10), Soeffner von einem „latenten“ oder „impliziten Wissen“, das wir von den Strukturen
90 Da hier eine zentrale Differenz zwischen Grounded Theory und sequenzanalytischem Vorgehen (vgl. Kastl 1999a, 8/9) liegt, ist es irritierend, dass Reichertz einerseits Soeffner als Gewährsmann für die Herausbildung und Entwicklung der hermeneutischen Wissenssoziologie nennt, sich in der Beschreibung des methodischen Vorgehen der hermeneutischen Wissenssoziologie jedoch nicht auf Soeffners konkreten Vorschläge für eine Sequenzanalyse bezieht, sondern ohne Diskussion als ersten Analyseschritt die Zeile-für-Zeile-Analyse der Grounded Theory benennt, wörtlich das offene Kodieren, und dieses dann als sequentielle Analyse verstanden wissen will (vgl. Reichertz 2000, 523). Dem liegt meines Erachtens ein verkürztes Verständnis von Sequentialität zugrunde.
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und Handlungspotenzialen unseres Alltags haben (vgl. Soeffner 1989a, 12). Da sich Deutungsmuster, wie gezeigt, auf einer latenten, tiefenstrukturellen Ebene befinden und nur begrenzt reflexiv verfügbar sind (vgl. Lüders/Meuser 1997, 59), ist es wichtig, dass die angewandte Methode über einen Begriff der Latenz verfügt und auch den Zugang zu dieser Sinnebene öffnen kann. Hier erweist sich die Grounded Theory als nicht besonders gut geeignet. Sie hat keinen expliziten Begriff von Latenz. Ihr Anliegen ist es vielmehr, am manifesten Text Kategorien, Bedeutungseinheiten herauszuarbeiten und durch kontrolliert zunehmende Abstraktion am Material neue Modelle zu entwickeln. Sie geht dabei interpretativ vor, bewegt sich aber nicht entlang der Frage nach latenten Sinngehalten. Neben diesen beiden Gründen, ein sequenzanalytisches Verfahren mit dem methodischen Vorgehen der Grounded Theory zu verbinden, gibt es noch einen dritten, allerdings für meine Wahl des Verfahrens nicht zwingend notwendigen: Sequenzanalytische Verfahren problematisieren in der Regel wie zu verhindern ist, dass in der Interpretation nur subjektive, biografisch geprägte Auslegungen einer Person zum tragen kommen. Ein durchgängiges Prinzip, um dieses zu vermeiden, ist die künstlich eingenommene naive Einstellung der Forschenden, die durch bewusst herbeigeführtes ‚Nicht-Wissen’ den Gegenstand auf Distanz halten und den Raum für Gedankenexperimente öffnen sollen. Anselm Strauss geht dagegen davon aus, dass bei der Interpretation alles Kontextwissen mit einzubeziehen sei. Ein anderes Prinzip der Sequenzanalyse besteht darin, die Interpretation – insbesondere der Eingangssequenzen bis zu den ersten Hypothesen – in einer Gruppe zu leisten und damit Intersubjektivität in der Interpretation zu gewährleisten. Anselm Strauss empfiehlt zwar auch die Arbeit in Forschungsgruppen. Diese ist aber nicht systematisch für die Interpretation vorgesehen. Die Kombination einer sequenziellen Analyse mit dem methodischen Vorgehen der Grounded Theory halte ich für die Analyse von Deutungsmustern für sehr fruchtbar, weil hiermit der einzelne Text in seiner Tiefenschicht erfasst werden und latente Sinnstrukturen herausgearbeitet werden können, andererseits mit der Kontrastierung der Fälle bzw. Einzelanalysen und der in diesem Schritt erfolgenden Verdichtung des Materials durch die Zuspitzung von Kategorien ein Verfahren zur Verfügung steht, das hilft, allgemeine Sinnstrukturen zu erfassen. Nachdem ich nun dargestellt habe, warum ich ein sequenzanalytisches Verfahren als forschungspragmatisches Instrument in der Kombination mit der Grounded Theory methodisch nutzen möchte, geht es mir im Folgenden darum, mit welchem sequenzanalytischen Verfahren ich meine 87
Fragestellung am besten bearbeiten kann. Von welchen theoretischen und methodologischen Prämissen eines einzelnen Ansatzes sehe ich ab, wenn ich die Sequenzanalyse pragmatisch als Instrument nutze? Und wie führe ich sie dann methodisch durch?
3.3.1 Spielarten der Sequenzanalyse: Grundannahmen und Vorgehensweisen Es gibt verschiedene Spielarten sequenzanalytischen Vorgehens, die mehr oder weniger gut begründet sind. Wirklich ausformulierte methodische Konzepte sind die objektiven Hermeneutik, die ethnomethodologische Konversationsanalyse und die phänomenologisch inspirierte hermeneutische Wissenssoziologie.91 Die jeweiligen Variationen begründen sich aus den theoretischen und methodologischen Prämissen, die in das Instrument der Sequenzanalyse eingehen. Mir geht es hier nun nicht um eine ausführliche methodologische Auseinandersetzung92. Da aber die jeweiligen theoretischen Annahmen das methodische Vorgehen mitbestimmen und ich keine der theoretischen und methodologischen Prämissen meiner Analyse ungebrochen zugrunde legen kann bzw. möchte, stelle ich im folgenden sehr komprimiert die wichtigsten Differenzen und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Ansätze dar. Das Ziel ist, die Reichweiten und Grenzen der verschiedenen Ansätze für eine methodische Umsetzung meiner Forschungsfragen auszuloten. Bezüglich der objektiven Hermeneutik und der Konversationsanalyse hat bereits Jörg R. Bergmann (1985) wichtige methodologische und methodische Differenzen und auch Übereinstimmungen festgehalten. Als grundsätzliche Differenzen zwischen beiden Konzepten benennt er, dass der „Ordnungszusammenhang“, in dem die verschiedenen Interaktionsphänomene jeweils interpretativ lokalisiert werden, sich unterscheidet
91 Dazu gehören auch tiefenhermeneutische Verfahren, die ich aber für eine Analyse von Zeitschriftentexten problematisch finde. 92 Hitzler (2002, Absatz 6) sieht die grundsätzlichsten theoretischen Differenzen innerhalb der interpretativen Soziologie im Hinblick auf die Frage nach der Konstitution von Sinn. Die methodologische Frage, wie sich Sinn rekonstruieren lässt, erscheint ihm demgegenüber nachrangig, erst recht dann die methodische Frage, nach den möglichen Verfahren der Sinnrekonstruktion. Grundsätzlich würde ich ihm hier folgen, das Problem ist jedoch, dass diese drei Ebenen bei der Suche nach einer Methode nicht wirklich voneinander zu trennen sind.
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(vgl. Bergmann 1985, 312). Für die objektive Hermeneutik bildet die spezifische Fallstruktur den Ordnungszusammenhang, in dem ein einzelnes Textelement als nicht-zufälliges Produkt beschreibbar wird. Dies gilt auch für das sequenzanalytische Verfahren, das Soeffner (vgl. 1989b; 1989d; Soeffner/Hitzler 1994) vorschlägt. Demgegenüber bilden für die Konversationsanalyse die „(…) fallunabhängigen Organisationsprinzipien den Ordnungszusammenhang, in dem ein singuläres Ereignis als methodisch hervorgebrachtes Objekt bestimmt werden kann und damit seinen Charakter des Zufälligen verliert“ (Bergmann 1985, 312).
Im engen Zusammenhang mit der unterschiedlichen Bestimmung des Ordnungszusammenhangs steht die zweite von Bergmann identifizierte Differenz. Diese zeigt sich ihm zufolge im Hinblick auf das Sequenzialitätskonzept. Von der Konversationsanalyse wird Sequenzialität als „universelles Organisationsprinzip von Verständigung“ (Bergmann 1985, 313) gesehen.93 Anders als die objektive Hermeneutik oder die phänomenologisch orientierte Sequenzanalyse zielt die Konversationsanalyse in ihrem sequenzanalytischen Vorgehen darauf ab, „fallunspezifische, ‚anonyme’ Prinzipien der interaktiven Abfolgeorganisation zu bestimmen“ (Bergmann 1985, 314), d. h., sie versucht die formalen Mechanismen zu erfassen, die den Interagierenden eine sinnhafte Interpretation der Handlung ermöglichen (vgl. Bergmann 2000, 533).94 Das methodische Vorgehen der Konversationsanalyse besteht daher darin, „für ein beobachtbares, gleichförmiges Phänomen die generativen Prinzipien (...) zu rekonstruieren.“ (Bergmann 2000, 532). Als erstes wird im Transkript eines Interaktions-
93 In der Perspektive der Konversationsanalyse lässt sich von einer Sequenz dann sprechen, wenn eine initiierende Äußerung eine normative Erwartung auf eine vom Rezipienten zu wählende Nachfolgeäußerung erzeugt (vgl. Bergmann 1985, 313/314). Beispielhaft lassen sich hier ‚Gruß-Gegengruß’ oder ‚Frage-Antwort’ nennen. Aber auch allgemeiner bildet der Erwartungsrahmen, den eine Äußerung generiert, „einen sich fortwährend aktualisierenden, lokalen Interaktionskontext, in den jede nachfolgende Äußerung eingebettet ist und mit dessen Hilfe sich deren Sinn und Handlungscharakter bestimmen lassen.“(Bergmann 1985, 313) 94 Die formalen Prinzipien müssen allerdings die doppelte Eigenschaft der Kontextunabhängigkeit und der Kontextsensitivität aufweisen, weil die Interagierenden ihre Äußerungen immer auch auf den jeweiligen Kontext zuschneiden (vgl. Eberle 1997, 256).
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geschehens ein ‚Ordnungselement’ isoliert.95 Dies kann nach Bergmann eine bestimmte Interaktionssequenz, eine Äußerung, eine Kopfbewegung oder nur ein Räuspern sein. Dabei ist für die weitere Interpretation die Annahme leitend, dass dieses Element „ein Bestandteil einer von den Interagierenden methodisch erzeugten Geordnetheit ist“ (Bergmann 2000, 532), wobei das Element in seiner Geordnetheit als „Resultat der methodischen Lösung eines strukturellen Problems“ (Bermann 2000, 533) verstanden wird. Das Problem selbst ist der Gegenstand der Untersuchung und es wird versucht, entlang von Fragen die Methoden zu rekonstruieren, die den Handelnden zur Lösung ihrer interaktiven Probleme dienen. Ganz praktisch bedeutet dies, dass von Beginn an konkret gefragt wird, für welches ‚Problem’ ein Element die ‚Lösung’ darstellt. Z. B.: „Für welches ‚Problem’ ist etwa das übliche Sich-Melden zu Beginn eines Telefonats eine ‚Lösung’? (Bergmann 2000, 533) Über solche Fragen sollen sukzessive formale Prinzipien identifiziert werden, welche reale Orientierungsgrößen für die Akteure darstellen. Anders als der Konversationsanalyse dient der objektiven Hermeneutik das Prinzip der Sequenzanalyse dazu, die jeweils spezifische Struktur eines Falles zu bestimmen. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich diese nur bestimmen lässt, wenn man die falltypische Selektivität verfolgt, die im Interaktionsverlauf zutage tritt (vgl. Bergmann 1985, 314). Dieser Unterschied führt auch zu Differenzen beim methodischen Vorgehen. Methodisch versucht die objektive Hermeneutik kontrolliert zu einer Bestimmung der Fallstruktur zu kommen, indem zunächst Schritt für Schritt in der Textfolge unabhängig von dem faktischen Kontext ‚passende’ Kontexte formuliert werden, in denen die interpretierte Sequenz einen Sinn ergibt. Für die Umsetzung dieses Prinzips der Kontextfreiheit ist es zum einen wichtig, dass sich die Forschenden künstlich naiv stellen, um ihren Gegenstand auf Distanz bringen zu können und zum anderen, dass sie die Äußerungen ‚wörtlich’ nehmen, d. h. nicht als ironisch oder metaphorisch verstehen oder als Äußerung eines psychisch kranken Menschen. Erst nachdem möglichst viele Kontexte gedanklich vorgestellt wurden, wird der wirkliche Kontext einbezogen. Die nun stattfindende gedankenexpe-
95 Bergmann beschreibt nicht genau, wie dieses Ordnungselement gefunden wird. Aus allem bisher gesagten ist jedoch klar, dass das erste Ordnungselement aus dem ersten Interakt entnommen werden muss und nicht irgendwo im Transkript begonnen werden kann. Welches Objekt für relevant gehalten wird, hängt sicherlich vom jeweiligen Kontext ab sowie von der Erfahrung und Intuition des Forschers.
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rimentelle Kontrastierung möglicher Kontexte mit dem konkreten Kontext ermöglicht es, die Äußerungskontexte unter Rekurs auf allgemein geltende Regeln zu „typologisch zu geltenden ‚Lesarten’ der Äußerung“ (Maiwald 2002) zu verdichten. So versuchen die Forschenden, nach und nach kumulativ zu einer Hypothese einer Fallstruktur kommen. Diesem ersten Vergleich gedankenexperimentell gebildeter Kontexte mit dem wirklichen Kontext folgt ein zweiter, indem nun die mögliche Fortschreibung der aktuell interpretierten Sequenz überlegt wird und diese mit der real erfolgenden Fortschreibung verglichen wird. „Beide Kontrastoperationen zielen darauf, sukzessive die spezifische Selektivität, die die Fallstruktur ausmacht, vor dem Horizont des allgemeinen Möglichkeitsraumes herauszuarbeiten.“(Maiwald 2004, 68) Andere wichtige Prinzipien der Sequenzanalyse der objektiven Hermeneutik sind noch das der Extensivität, d. h., dass kein Textelement als unbedeutend ausgeschlossen werden darf (vgl. Wernet 2000, 91; Maiwald 2004, 66), und das Sparsamkeitsprinzip, was im Wesentlichen bedeutet, dass nur Lesarten erlaubt sind, die einem der Text auferlegt, dass beim Interpretieren nicht vorschnell auf Regelverletzungen geschlossen werden soll, und dass sich die gebildeten Fallstrukturhypothesen alle textlich überprüfen lassen müssen (vgl. Wernet 2000, 91). Diese beiden Prinzipien werden mit der Konversationsanalyse und auch mit der phänomenologisch orientierten Sequenzanalyse Soeffners geteilt. Den von Bergmann (1985) explizierten Differenzen zwischen dem sequenzanalytischen Vorgehen der Konversationsanalyse und der objektiven Hermeneutik möchte ich noch eine weitere hinzufügen, die sich auf den Regelbegriff der objektiven Hermeneutik bezieht. In der objektiven Hermeneutik zielt die Fallanalyse darauf ab, entlang allgemein geltender Regeln die latente Sinnstruktur des Textes zu rekonstruieren (vgl. Wernet 2000, 18). Wie bereits im Kontext der Diskussion des Deutungsmusterkonzeptes herausgearbeitet, wird mit der Vorstellung latenter Sinnstrukturen davon ausgegangen, „(…) dass ein Text Bedeutungsstrukturen generiert, die jenseits von Selbstverständnis und Selbstbild einer sozialen Praxis liegen, und die sich nicht in Meinungen, Intentionen oder Wertorientierungen dieser Praxis erschöpfen“ (Wernet 2000, 18).
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Über den konkreten Fall hinaus soll mit der Analyse latenter Sinnstrukturen Auskunft gegeben werden über „objektive Bedeutungsstrukturen“ sozialen Handelns (Wagner 1999, 44).96 Oevermann nimmt nun mit diesem Vorgehen einerseits in Anspruch, dass den Gegenständen nicht subsumtiv eine Theorie bzw. vorgefertigte Kategorien übergestülpt werden, sondern theoretische Erkenntnisse nur aus den Fällen selber gewonnen werden. Andererseits aber arbeitet er mit Sozialtheorien, durch die ein Wissen über allgemein geltende Regeln der Bedeutungsgenerierung bereits gesetzt ist. So knüpft die objektive Hermeneutik an die zur strukturalistischen Tradition gehörende Frage an, wo sich im Übergang von Natur zu Kultur Regeln konstituieren (vgl. Wagner 1999). Mit solchen Regeln sind z. B. Heiratsregeln (Inzesttabu) gemeint. Diese stellen nach Wagner allerdings nur einen Typ dar „innerhalb eines Spektrums emergierender Regeltypen. Es sind u. a. diese Regeltypen, die hinter der Konstitution objektiver Sinnstrukturen stehen.“ (Wagner 1999, 44) Diese verschiedenen Regeln werden als sowohl universal und historisch invariant (wie z. B. das Inzesttabu oder die ödipale Konstellation) als auch als historisch und variabel gesehen. In Anlehnung an die Arbeiten von Marcel Mauss und Claude Levi-Strauss spricht die objektive Hermeneutik von der Grundregel der Sozialität „in der Gestalt der zweckfrei sich reproduzierenden Reziprozität“ (Wagner 1999, 44). Damit wird von der objektiven Hermeneutik eine anthropologische Ebene eingeführt. Anknüpfend an die Grundregel der Sozialität „(…) ist von einem ganzen Geflecht von die objektive Sinnstruktur generierenden Regeltypen auszugehen. Zu diesen zählen u. a. die universellen Regeln der Grammatik, Pragmatik, Logik und Moral, die universellen Normen der Ethik, historisch-gesellschaftlich und lebensweltlich spezifische Normen. Es handelt sich um eine hierarchisch geordnete Architektonik von relativ autonomen und dialektisch sich einander bedingenden Strukturierungsebenen.“ (Wagner 1999, 45)
96 Maiwald zufolge bezeichnet Oevermann den Sinn, den eine Äußerung kontextunabhängig hat als ‚objektive Bedeutungsstruktur’, den Sinn, den eine Äußerung in ihrem faktischen Kontext hat als ‚latente Sinnstruktur’ (vgl. Maiwald 2004, 67 FN). Maiwald hält diese Bezeichnung der Sinnebenen für unglücklich, „da sie die von der Sache her klar markierte Differenz der beiden Sinnebenen nicht klar zum Ausdruck bringt“, denn „’Sinn’ und ‚Bedeutung’ seien äquivalente Begriffe und beide Sinnebenen seien soweit ‚objektiv’, als sie allgemein geltende Regeln der Bedeutungsgenerierung implizieren“ (Maiwald 2002). Als dritte Sinnebene ließe sich noch der subjektiv-intendierte Sinn unterscheiden.
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Das Problem bei der Bezugnahme auf anthropologische Annahmen besteht darin, dass nach der objektiven Hermeneutik die Geltung allgemeiner Regeln einerseits am konkreten Fall rekonstruiert werden soll, doch kann sie andererseits nicht überprüft und widerlegt werden, wenn die Geltung allgemeiner Regeln der Konstitution der Fälle und dem rekonstruktiven Verfahren vorausgesetzt wird (vgl. Sutter 1999, 229). Tilmann Sutter führt zu dem Widerspruch, in dem sich die objektive Hermeneutik bewegt, aus: „Wie kann etwa die grundlegende Regel der Reziprozität der Sozialität überprüft werden, wenn wir aus methodisch und methodologischen zwingenden Gründen von einer textförmig beschriebenen, im Modell sprachlicher Kommunikation gefassten Wirklichkeit ausgehen? Möglich ist dies nur, wenn wir aus konstitutionstheoretischer Sicht diese Annahme in Klammern setzen und damit ihre geltungstheoretische, Objekttheorie und Methodologie verbindende Zirkularität aufbrechen. Die Regelontologie darf nicht als ein äußeres, objekttheoretisch begründetes Kriterium für die Gültigkeit hermeneutischer Interpretationen eingesetzt werden, denn das wäre eine subsumtionslogische, dem methodologischen Selbstverständnis der objektiven Hermeneutik widersprechende Absicherung.“ (Sutter 1999, 229; Hervorh. d. Verfass.)
Die von Oevermann mit dem Regelbegriff eingeführte anthropologische Ebene findet sich weder bei der Konversationsanalyse noch bei der hermeneutischen Wissenssoziologie Soeffners, die forschungspragmatisch der Methode der objektiven Hermeneutik sehr nahe steht, sich aber von deren Strukturtheorie abgrenzt. Beide, Konversationsanalyse und hermeneutische Wissenssoziologie, bleiben streng wissenssoziologisch, d. h. gehen davon aus, dass Bedeutungen, auf deren Basis Menschen handeln, in Interaktionen entwickelt und verändert werden. Soziale Sinnstrukturen können sich zwar als Produkte menschlichen Handelns objektivieren und den Individuen als soziale Wirklichkeit gegenübertreten, sie werden aber generell als historisch geworden und immer wieder dem Interaktionsprozess zugänglich und damit veränderbar betrachtet. Der Regelbegriff bezieht sich hier immer auf Interaktion. Der Ausgangspunkt, dass wir nur von einer textförmig beschriebenen Wirklichkeit ausgehen können, wird konsequent durchgehalten. Auch Oevermann geht es um Sozialität: Die von ihm angenommenen ‚Grundregeln der Sozialität’ stehen an der Schnittstelle von Natur und Kultur, da, wo Natur in Kultur und damit Sozialität übergeht. Da diese sozialen „Grundregeln“ zwar als historisch und kulturell in differenter Weise überformbar, im Kern aber als invariant gelten, gehen sie theoretisch dennoch immer dem Handeln der Individuen 93
voraus. Der theoretische Bezug auf solche dem Handeln vorausgehenden generativen Regeln kann sich auch im konkreten Interpretationsprozess niederschlagen. Dies insofern, als damit vor allem im Zuge der gedankenexperimentellen doppelten Kontrastierung Normen an das Material herangeführt und kategorial gefasst werden können, die, da man ja schon immer ‚weiß’, worum es sich handelt, in Gefahr geraten, nicht mehr weiter aus dem Material expliziert zu werden. Der Rekurs auf universelle, invariante Regeln kann so dazu beitragen, dass die konkrete Historizität der Konstitution von Bedeutung und Handlung nicht mehr gesehen, überdeckt wird. Dies wird von Soeffner sehr scharf kritisiert97: „Eine Folge dieses an universalen Annahmen orientierten Denkens und Interpretierens ist – folgerichtig – die Konstruktion eines universellen Kontextes zum gegebenen Ausgangstext. In letzter Konsequenz bedeutet dies – (...), daß der historische Kontext (die Situation und das ‚Milieu’), in dem der Ausgangstext entstand, nicht bloß relativiert wird, (...), sondern daß er letztlich verschwindet zugunsten des in der ‚Welt 3’ angesiedelten ahistorischen Bedeutungspotentials (Oevermann et al. 1979, 382; Popper 1972, 172)“ (Soeffner 1989c, 133/134).98
Soeffner, so wird deutlich, teilt also Oevermanns theoretische und methodologische Prämissen nur eingeschränkt. Da sich Soeffner methodisch zugleich stark an Oevermann orientiert hat, gibt es auf dieser Ebene jedoch viele Ähnlichkeiten. In seiner – sich auch von der Konversationsanalyse unterscheidenden – Perspektive, die vor allem durch die in der Tradition der Phänomenologie Schütz’ stehende Idee der Lebensweltanalyse geprägt ist, muss nicht auf historisch invariante allgemeine Regeln zurückgegriffen werden, um Handeln verstehen zu können. Relevant wäre ‚nur’, wie Hitzler argumentiert, „dass Menschen in einen historisch konkreten Interaktionsraum und in ein sprachlich repräsentiertes System sozialer Kategorien und Typisierungen hineingeboren sind.“ (Hitzler 2002, Absatz 32) Nach Hitzler und Eberle (2000) lautet eine Grundprämisse der lebensweltanalytisch orientierten Soziologie, dass, „(…) da Erleben, Erfahren, Handeln eine ursprüngliche, nur dem erlebenden, erfahrenden, handelnden Subjekt selber ‚wirklich’ zugängliche Sphäre ist, (...) sog.
97 Zur ausführlichen Kritik vgl. Soeffner (1989c, 132ff). 98 Inwieweit im Interpretationsprozess wirklich der Rekurs auf universelle Regeln die historischen Konkretionen überdeckt, hat auch viel mit dem theoretischen und methodischem Gespür und der Ausbildung der jeweiligen Forschenden zu tun.
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objektive Faktizitäten nur als subjektive Bewusstseinsgegebenheiten überhaupt empirisch evident“ sei (Hitzler/Eberle 2000, 114). Die Analyse ziele daher darauf ab, so Hitzler, „(…) die – zwangsläufig typisierten – subjektiven Perspektiven, d. h. die Lebenswelten anderer Akteure zu rekonstruieren. In eben dem Maße aber, in dem die Lebenswelt eines anderen Menschen zum Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses wird, wird methodologisch-methodisch das Problem virulent, inwieweit und wie es überhaupt gelingen kann, die Welt mit den Augen dieses anderen Menschen zu sehen, seinen subjektiv gemeinten Sinn seiner Erfahrung zu verstehen – und dadurch sein Handeln und im weiteren die Folgen seines Handelns im (durchaus nicht nur harmonischen) ‚Zusammenspiel’ mit den Handeln anderer (im WEBERschen Sinne) zu erklären.“ (Hitzler 2002, FN 4, Hervorh. i. Orig.)
Folgt man dieser Darstellung, wie geht dann Soeffner in seinen Überlegungen zum methodischen Vorgehen mit diesem Problem um? Pragmatische methodische Vorschläge hat Soeffner vor allem in einer 1989 veröffentlichten Arbeit am Beispiel einer Interviewinterpretation herausgearbeitet (vgl. Soeffner 1989d). Diese Vorschläge haben auch in seinen neueren Veröffentlichungen (Soeffner/Hitzler 1994; Soeffner 2000) keine nennenswerten Modifikationen erfahren. In seinem früheren Text differenziert er zunächst in einer Skizze seines theoretischen Rahmens allgemeine Bedingungen symbolischer Interaktion von den historischen, sozialisatorischen und ‚individuellen’99 Vorgaben, die in konkreten Interaktionsabläufen strukturell wirksam werden. Die historisch-individuellen ‚Interaktionsprodukte’100 wiederum repräsentieren nach Soeffner zweierlei: Zum einen den von den Akteuren „‚subjektiv’ intendierten und ‚subjektiv’ erschließbaren ‚Sinn’ als individuell-relativen und historisch bedingten“ (Soeffner 1989d, 188). Dabei ist Soeffner zufolge zu beachten, dass weder in den alltäglichen Interaktionen selber noch in ihrer wissenschaftlichen Interpretation erschlossen werden kann, was das Individuum ‚eigentlich’ gedacht hat, was es ‚wirklich’ meint. In Anlehnung an Mead und Schütz geht er vielmehr davon aus, dass Fremdverstehen in ‚Auffas99 Diese sind natürlich historisch vermittelt. 100 „Sozialwissenschaftliche Hermeneutik als methodologisches Fundament von Interaktionstheorie zielt ab auf die Interpretation des ‚Sinnes’ von Interaktionsbedingungen, Interaktionsabläufen und Interaktionsrepertoires (...): ‚Sinn’ wird hierbei verstanden als Interaktionsprodukt.“ (Soeffner 1989d,186, Hervorh. i. O.)
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sungsperspektiven’ geschieht und damit – im Gegensatz zum Selbstverstehen101 – nur diskontinuierlich und partiell möglich und prinzipiell zweifelhaft ist. „Fremdverstehen basiert auf meinen Erlebnissen und Erfahrungen vom Alter Ego. Jeder Sinn, den ich ihm unterstelle, kann abweichen von einem Sinn, den Alter Ego selber seinen Erfahrungen verleiht. Ich erfasse stets nur Fragmente seines tatsächlichen Erlebens. Und ich verstehe stets nur möglicherweise den von ihm subjektiv tatsächlich gemeinten Sinn.“ (Soeffner 2000, 165/166, Hervorh. i. Orig.).
Das Verstehen fremden Sinns kann demnach nur näherungsweise gelingen. Möglich ist es Soeffner zufolge nur, indem die Perspektive des anderen typisiert und – im Sinne von Webers Verständnis von ‚idealtypisch’ – idealisiert wird und damit auch seine Handlungen und der subjektive Sinn, der diesen unterstellt wird. „Interpretierend rekonstruiert wird also nicht einen Individualität ‚an sich’, sondern eine bereits in ihren Handlungen sinnhaft typisierte Individualität.“ (Soeffner 1989d, 188) Zum anderen repräsentieren „historisch-individuelle Interaktionsprodukte“ den „’objektiven Sinn’ von in der Sozialisation erworbenen Interaktionsrepertoires, d. h. von Verhaltensmustern (habits sets) und Handlungsplänen (habit plans) (vgl. Mead 1934).“ (Soeffner 1989, 188). Interpretationsziel ist es, den ‚objektiven Sinn’ durch das Ausformulieren der alltagssprachlichen Kompetenz und des Regelwissens am konkreten Interaktionsfall zu erschließen.102 „Methodisch“, so Soeffner und Hitzler, „geht es um die Rekonstruktion der von den Interaktionspartnern während des Interaktionsprozesses vorgenommenen Konstruktion von Sinnkonsistenz.“ (Soeffner/Hitzler 1994, 45) Dabei gliedert Soeffner (1989d, 2000; Soeffner/Hitzler 1994) die Interpretation in drei Analyseschritte oder auch -ebenen: 1. Die egologisch-monothetische Rekonstruktion; 2. Die polythetisch-interaktionsbezogene Rekonstruktion; 3. Die Rekonstruktion der einheitlichen Sinnstruktur.
101 „Selbstverstehen ist prinzipiell kontinuierlich und vollständig möglich, denn Erlebnisse und Erfahrungen tragen zunächst keinen Sinn in sich. Vielmehr konstituiert das subjektive Bewußtsein Sinn dadurch, dass es die Erfahrung auf anderes bezieht.“ (Soeffner 2000, 165) 102 Bei dem Versuch, in der Fallspezifik das Allgemeine auszumachen, zeigen sich Übereinstimmungen mit der objektiven Hermeneutik Oevermanns. Das dabei in Anschlag gebrachte Regelverständnis unterscheidet sich allerdings grundlegend (s.o.).
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Auch in einem anderen frühen Text, dem ebenfalls in dem 1989 erschienen Sammelband veröffentlichten Aufsatz „Prämissen eine sozialwissenschaftlichen Hermeneutik“ (1989b), geht Soeffner zunächst von diesen drei Schritten aus. Im Anschluss daran stellt er jedoch sein ganz konkretes Vorgehen dar und nimmt dabei eine differierende Reihung und Akzentuierung der Arbeitsschritte vor, die methodisch dem sequenzanalytischem Vorgehen der objektiven Hermeneutik sehr nah kommt (vgl. Soeffner 1989b, 71ff). Danach würde die Interpretation des ersten Interakts mit der Rekonstruktion möglicher sinnvoller Kontexte dieser Äußerung beginnen. Dabei dürfe nicht auf Informationen aus nachfolgenden Interakten zurückgegriffen werden. Dann würden die gebildeten möglichen Kontexte mit dem faktischen Kontext – soweit er bekannt ist – konfrontiert. Ist der faktische Kontext in den interpretativ konstruierten enthalten, sollten Ausschlusskriterien für die anderen Konstruktionen analysiert werden. Ist der faktische Kontext nicht enthalten, spräche dies bereits für eine fallspezifische Abweichung allgemeiner Normen, die das Alltagshandeln bestimmen. Warum es zu dieser Abweichung kommt, muss dann weiter interpretiert werden. Das so oder so gewonnene Interpretationsergebnis wird zum ‚inneren Kontext’ für den nächsten Interakt, der als Reaktion hierauf analysiert würde. Die herausgearbeiteten Grundannahmen oder ‚Lesarten’, wie Oevermann sie nennt, gälten so lange, bis sie durch den Text selbst widerlegt werden. Wie Oevermann geht auch Soeffner davon aus, dass durch die sehr genaue Interpretation der ersten Interakte der Erwartungshorizont und der Handlungsrahmen sowie die diesen zugrunde liegende Interaktionsstruktur und Erzeugungsmechanismen für die nachfolgenden Handlungszüge erschlossen werden und damit Prognosen für den weiteren Textverlauf ausgesprochen werden können (vgl. 1989b, 72). ‚Prognose’ ist allerdings ein etwas vorsichtigerer Begriff als ‚Fallstrukturhypothese’, von der Oevermann spricht. Entsprechend betont Soeffner als weitere Aufgabe der Interpretierenden, die bisherigen Deutungen den im Text enthaltenen Widersprüche und Inkonsistenzen auszusetzen und sie daran beständig zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern.103 Auffällig ist, dass in dieser Darstellung der zuvor formulierte Arbeitsschritt, die egologischmonothetische Rekonstruktion, gar nicht vollzogen und auch systematisch nicht relevant gemacht wird. Vielmehr beginnt die Analyse hiernach so-
103 Die Differenz zu Oevermann ist hier eher eine graduelle, denn eine generelle.
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fort mit der polythetisch-interaktionsbezogenen Rekonstruktion.104 Insgesamt bleibt das beschriebene dreischrittige Vorgehen in den Arbeiten Soeffners praktisch letztlich unausgeführt bzw. nur sehr schwer nachvollziehbar, wie in seinem Versuch der Darstellung einer Interviewinterpretation.
3.3.2 Bezugnahme auf sequenzanalytische Ansätze Der Vergleich der Vorgehensweise der drei dargestellten sequenzanalytischen Ansätze hat Ähnlichkeiten und Differenzen in methodologischer und methodischer Hinsicht gezeigt. Dabei hat sich bereits angedeutet, dass keines der einzelnen Verfahren uneingeschränkt für meine Untersuchung übernommen werden kann. So wird bei genauerer Betrachtung deutlich, dass die Konversationsanalyse, obgleich sie in ihren Bezugstheorien eine große Nähe zur Grounded Theory hat, sich methodologisch und methodisch für die Bearbeitung meiner Fragestellung nicht als besonders vorteilhaft erweist. Zwar geht die Konversationsanalyse wie die objektive Hermeneutik und die phänomenologisch orientierte Sequenzanalyse der Frage nach, aufgrund welcher Sinnbezüge soziale Akteure handeln, und sie geht davon aus, das diese Sinnbezüge den Akteuren nicht explizit bewusst sind. Anders aber als die anderen beiden Ansätze zielt die Konversationsanalyse von Beginn an auf fallunspezifische formale Prinzipien, welche es den Akteuren ermöglichen, Handlungen sinnhaft zu interpretieren. Damit einher geht, dass sie sich in der Analyse auf formale Mechanismen der Sequenzierung und damit idealiter auch auf die Interaktion zwischen nur zwei Akteuren konzentriert – die Analyse größerer Einheiten, bzw. die Mensch-MaschineInteraktion bei der Analyse von Arbeitsprozessen benötigen bereits ein 104 Ein wieder etwas anderes der hermeneutischen Wissenssoziologie zuzurechnendes Interpretationsverfahren, die „Konzentrische Erarbeitung des inneren Kontextes“, formuliert Norbert Schröer (1997, 290). Die von ihm genannten Schritte sind die a) „Feinanalytische Entfaltung des relativ unproblematisch rückfragbaren Vorwissens“, indem zunächst aus dem Vorwissen des Interpreten heraus eine ad hoc-Interpretation vorgenommen wird, die dann am Text ausdifferenziert werden und durch die Suche nach anderen anschlussfähigen Lesarten ergänzt werden soll. (vgl. Schröer 1997, 291). Im weiteren Verlauf erfolgt dann die b) „Verdichtung der feinanalytischen Beschreibung auf Fallbesonderheiten hin“, die c) „Bestimmung der strukturalen Problemlage“ und schließlich die d) „Überprüfung und ggf. Überarbeitung der explizierten Strukturhypothese in der abschließenden Bestimmung der Fallspezifik“ (Schröer 1997, 292/293).
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modifiziertes methodisches Vorgehen (vgl. Eberle 1997, 268, FN 15). Diese Konzentration lässt die Konversationsanalyse für meine Untersuchung, in der ich kollektive Deutungsmuster und inhaltliche Argumentationskonfigurationen herausarbeiten will und dabei als Datenmaterial keine Interaktionstranskripte, sondern Zeitschriftenartikel zugrunde lege, nicht besonders gut geeignet erscheinen. Um es konkreter zu machen: In Forschungen, in denen ‚Geschlecht’ die zentrale Kategorie ist, würde mit der Konversationsanalyse z. B. analysiert werden, wie, über welche formalen Prinzipien, sich (wechselseitig) ‚Männer’ und ‚Frauen’ in einer Interaktion als ‚Männer’ und ‚Frauen’ hervorbringen. Relevant sein könnten hier z. B. die Redelänge oder Unterbrechungen. In meiner Forschung dagegen setze ich das ‚Geschlecht’ der Sprecher schon voraus und frage nicht, wie sie sich (und ihr Gegenüber) als ‚Mann’ oder ‚Frau’ in die Welt setzen und positionieren, sondern danach, wie die Geschlechterdifferenz und Geschlechterbeziehungen inhaltlich ausgedeutet werden und in welchem Zusammenhang Geschlechterdifferenz relevant gemacht wird. Letztere Fragen lassen sich nicht trennen von Prozessen des ‚doing gender’, weil es natürlich auch dabei immer um inhaltliche Ausdeutungen geht, sie sind aber nicht identisch mit der Frage, wie in lokalen Interaktionen ‚Geschlecht’ (re-)produziert wird. Die anderen beiden ausgeführten Varianten der Sequenzanalyse geben mir mehr Anknüpfungsmöglichkeiten. Da das Deutungsmusterkonzept durch die objektive Hermeneutik stark geprägt worden ist, stellt diese alle Voraussetzungen, um Deutungsmuster in ihrer Latenz herausarbeiten zu können. Unproblematisch ist es zudem, Zeitschriftenartikel als Datenbasis heranzuziehen. Zwar sind Zeitschriftenartikel keine Interaktionstranskripte, an denen sich das beschriebene methodische Vorgehen der objektiven Hermeneutik primär orientiert. Die objektive Hermeneutik nimmt jedoch für sich in Anspruch, mit den gleichen Grundoperationen auch andere Dokumente in ihrer sequenziellen Abfolge analysieren zu können. Schwer zu vereinbaren mit dem von mir gewählten wissenssoziologischen Zugang ist der bereits diskutierte Rekurs der objektiven Hermeneutik auf universelle, historisch invariante Regeln. Auf ein zweites Problem der Arbeit mit der Methode der objektiven Hermeneutik hat Schröer (1997) aufmerksam gemacht.105 Das von ihm benannte Verfahrensprob-
105 Die von ihm formulierte Kritik klingt aber bereits in den Arbeiten Soeffners an, wenn er insistiert, ‚Prognosen’ bei der Interpretation eines Textes sehr vorsichtig zu entwickeln und permanent zu überprüfen.
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lem setzt an einem zentralen Interpretationsprinzip der objektiven Hermeneutik an, dem Prinzip der sukzessiven Selektivität. Gelingensbedingung der schrittweisen Rekonstruktion des Fallspezifischen sind – so legt Schröer Oevermann aus – InterpretInnen, denen es von vornherein annäherungsweise möglich ist „(a) das handlungsleitende strukturale Regelwissen, (b) die denkbaren fallspezifischen Selektionsprinzipien (das Typenrepertoire) und (c) die denkbaren Varianten (‚singulären’ Fälle), in denen diese Prinzipien/Typen ausgelebt werden können, in Anbetracht eines vertexteten Interaktionsprotokolls sukzessive zu explizieren. Der Interpret muß mithin über ein am Text mehr oder weniger mühelos explizierbares allgemeingültiges Regelwissen verfügen“ (Schröer 1997, 288/289).
Schröer kritisiert nun, dass Oevermann die Standortgebundenheit der jeweiligen Interpreten und die damit verbundenen Verkürzungen und Verzerrungen in der Interpretation, welche besonders zu Anfang auftreten, zu wenig reflektiert: „Für kein Mitglied einer Sprachgemeinschaft kann davon ausgegangen werden –(...) -, daß es sein implizites Wissen um die relevanten Regeln mehr oder weniger ohne weiteres am Text reflexiv zu explizieren vermag. Die alltägliche Differenz zwischen intersubjektiv gültigem Sinn von Handeln und subjektiv reflexiver Explikation dieses Sinns muß auch für den wissenschaftlichen Interpreten in Rechnung gestellt werden.“ (Schröer 1997, 289)
Für Schröer heißt dies, dass stärker als von der objektiven Hermeneutik selbst Verzerrungen und Verkürzungen bei der Lesartenbildung systematisch als unausweichlich begriffen werden sollten. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass sich die InterpretInnen zu früh auf fallspezifische Selektionsprinzipien und strukturale Handlungsregeln festlegen und damit sich im weiteren Textverlauf anbietende fallrelevante Bedeutungsbesonderheiten von Details unbeachtet lassen (vgl. Schröer 1997, 289f). Für das methodische Vorgehen fordert Schröer die Entwicklung eines Verfahrens, das die Forschenden zwingt, ihre eigenen Überzeugungen zu überprüfen und in Frage zu stellen. Für meine Arbeit bedeuten die dargelegten Kritikpunkte an dem Vorgehen der objektiven Hermeneutik, dass ich nur mit einigen Einschränkungen an diese Methode anknüpfen kann. So ist für mich in der methodischen Umsetzung zentral, die Hintergrundtheorien der objektiven Hermeneutik bewusst außer Acht zu lassen und mich bei der Suche nach 100
allgemeinen Regeln auf keinen ontologischen Status der gefundenen Muster festzulegen (vgl. Kastl 1999a, 11). Des Weiteren knüpfe ich an Schröers Kritik an, indem ich aus seiner Beschreibung einer Feinanalyse einen Unterschied zu dem Vorgehen Oevermanns herausgreife, der für meine Analysen wichtig geworden sind: Ich nehme Schröers Gedanken auf, dass die ersten ad hoc gebildeten Interpretationen als Ausdruck eigener standortgebundener Interpretationsgewohnheiten und einem eingeschränktem Vorwissen reflektiert werden sollten. Diese Reflexion ermöglicht nach und nach ein bewussteres Brechen mit vertrauten Perspektiven und Orientierungen. Das Bewusstsein möglicher Verkürzungen und Verzerrungen schlägt sich methodisch konkret darin nieder, dass divergierende Lesarten so lang wie möglich nebeneinander stehen gelassen und die explizierten Lesarten erst in einem zweiten Schritt auf ihre Hauptlinien verdichtet werden. Wenn man die Bezugstheorien der objektiven Hermeneutik unbeachtet lässt und die Standortgebundenheit des eigenen (Vor)Wissens zumindest im Ansatz zu reflektieren versucht, dann werden die methodischen Parallelen zu dem von Soeffner vorgeschlagenem sequenzanalytischen Verfahren noch deutlicher. Allerdings kann ich mich in meiner Arbeit eher an den konkret formulierten Vorschlägen zum methodischen Vorgehen orientieren, die sich auch mit dem Vorgehen der objektiven Hermeneutik verbinden lassen, als an den von ihm formulierten drei Arbeitsschritten. Mir erscheint der von Soeffner vorgeschlagene erste Analyseschritt, die „idealisierte egologische Perspektive“ des Sprechers zu ermitteln, aus der dann dessen typisierten Intentionen rekonstruiert werden, für die Interpretation von Zeitschriftentexten nicht besonders sinnvoll. Zwar sind natürlich auch AutorInnen von Zeitschriften biographischperspektivisch gebunden106, gleichwohl müssen sie stärker als in alltäglichen Kommunikationen mit konkreten Individuen ihre Perspektivität überwinden und um sich einem größtmöglichen Publikum mitzuteilen – mehr oder weniger bewusst – auf Typisierungen zurückgreifen.107 Zudem lassen sich an diesem Material keine Aussagen über mögliche Anschlusshandlungen von InteraktionspartnerInnen machen, wie Soeffner intendiert. 106 Dies gilt erst recht für die semi- oder unprofessionellen AutorInnen kleiner Netzwerkzeitschriften wie PAPS. 107 Dies ist ein Grund, warum in medialen Vermittlungen so viel mit Stereotypen gearbeitet wird. Medien tragen erheblich dazu bei, den in alltäglichen Kommunikationen ständig stattfindenden Typisierungsprozess anzutreiben und zu einer relativ stabilen Übereinstimmung von Deutungsmustern zu kommen.
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Aus den beschriebenen Überlegungen heraus habe ich mich methodisch also einer Kombination des Vorgehens der objektiven Hermeneutik und den von Soeffner vorgeschlagenen sequenzanalytischem Verfahren bedient,108 wobei ich beide Ansätze nur in einer in ihren theoretischen Gehalten verkürzten Fassung aufgreifen konnte.
3.3.3 Methodische Umsetzung der Arbeit mit sequenzanalytischen Ansätzen Konkret bin ich bei meinen Sequenzanalysen folgendermaßen vorgegangen: Die Eingangssequenzen aller Artikel habe ich in verschiedenen Interpretationsgruppen, zumindest aber gemeinsam mit einer zweiten Sozialwissenschaftlerin109 analysiert. Mit der Interpretation in Gruppen wird Intersubjektivität gewährleistet und damit das eingeschränkte Vorwissen der einzelnen Interpretinnen und Interpreten reflexiv zugänglich gemacht und zugleich erweitert. Das gemeinsame Ziel besteht darin, so lange zu diskutieren, bis sich die Gruppe auf eine Lesart begründet einigen kann bzw. wenn nicht, gemeinsam unterschiedliche Lesarten zu entwickeln, die im weiteren Verlauf überprüft werden. Die Interpretationsgruppen haben aus organisatorischen Gründen von Artikel zu Artikel immer wieder gewechselt. Dies stellte sich im Laufe der Arbeit als fruchtbar heraus, weil bei den in verschiedenen Artikeln vorgefundenen Ähnlichkeiten im manifesten Text nicht vorschnell Rückgriffe auf bereits explizierte Lesarten erfolgten, sondern wirklich immer wieder neu ‚gedacht’ wurde. Die Diskussionen wurden auf Kassette aufgezeichnet und anschließend von mir sehr genau protokolliert. Die so entstandenen Interpretationsprotokolle, aber auch die von mir allein durchgeführten Interpretationen, bei denen ebenfalls jeder Argumentationsschritt von mir schriftlich gefasst wurde, sind sehr umfangreich.110 Hinzu kommen die Memos, die ich zum Abschluss jeder Interpretation verfasst habe, um die Ergebnisse zu bündeln und bereits theoretisch zu reflektieren. Das aufwendige Ver-
108 Wobei diese methodische ‚Kombination’ in weiten Zügen eher der objektiven Hermeneutik entspricht, weil auch Soeffner sich hier an Overmanns Arbeiten orientiert hat. 109 Dazu gehörten: das Kolloquium von Kai-Olaf Maiwald, ein privat organisiertes Promotionskolloquium mit Friederike Herrmann, Susanna Jäger, Susanne Weitbrecht, Heidi Reinl und Dagmar Fahner und insbesondere die längere Zusammenarbeit mit Ina Jekeli sowie mit Petra Krüger. 110 Zum Ende lagen Interpretationsprotokolle in einem Umfang von ca. 600 Seiten vor.
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fahren führt dazu, dass entsprechend wenige Texte interpretiert werden. Vollständig analysiert habe ich zehn Editorials bzw. Artikel. Von zwei weiteren Artikeln wurden zusätzlich die Eingangspassagen interpretiert. Begonnen wurde bei allen Artikeln mit der Analyse der Eingangssequenz, – in der Regel die Überschrift eines Artikels – indem zu der Sequenz sinnvoll passende Kontexte gewählt wurden. Dabei haben wir in der Interpretationsgemeinschaft versucht, wie in der objektiven Hermeneutik empfohlen, unser vorhandenes Kontextwissen zu ‚vergessen’ und uns gegenüber dem Text künstlich naiv zu stellen. Bei der Rekonstruktion passender Kontexte war es zudem wichtig, zu ‚wissen’, dass diese unserem standortgebundenen (Vor-)Wissen entspringen111 und nicht die einzig möglichen sind. In der Konsequenz bedeutete dies, gemeinsam ein Bewusstsein über die ‚bevorzugten’ Lesarten herzustellen und gezielt so viel wie möglich von dem ersten Zugriff abweichende Lesarten zu finden.112 Bei dem nun folgendem Schritt, die gefundenen Lesarten mit dem faktischen Kontext zu konfrontieren, haben wir Lesarten nur ausgeschlossen, wenn sie sich als unhaltbar erwiesen, begründete divergierende Lesarten blieben aber nebeneinander stehen. Die gedankenexperimentelle Kontrastierung der möglichen Kontexte mit dem faktischen Kontext war die wichtigste Form des Vergleichs, die wir vorgenommen haben und durch die wir zu Konzepten und Kategorien gekommen sind.113 Da wir es jedoch bei Publikationen nicht mit Interaktionsprotokollen zu tun haben, in denen eine Abfolge von Interakten vorliegt, gibt es keine faktischen Äußerungskontexte, die durch die Interaktionsabfolge bestimmt sind. Methodisch geht es daher stärker darum, wie die Äußerungen kategorial gefasst sind (vgl. Maiwald 2004, 68). Inhaltlich ziele ich mit der Untersuchung ja auch nicht darauf ab, Aussagen über Interaktionsstrukturen zu machen, sondern auf die Rekonstruktion potentiell handlungsleitender Deutungsmuster – wobei letztlich auch keine Aussagen über die Handlungen der Akteure in dem untersuchten Feld gemacht werden können. Ich gehe davon aus, dass die Ebene der Deutungen eine eigenständige Realitätsebene darstellt (vgl. Maiwald 2002). Das faktische Handeln orientiert sich an den Deutungen, dem expliziten und
111 Auch in einer Interpretationsgruppe ist das vorhandene Wissen eingeschränkt, da z. B. alle TeilnehmerInnen aus dem akademischen Milieu kommen. 112 Dies konnte nicht in allen Gruppen systematisch umgesetzt werden. 113 Damit wird das Prinzip des ‚permanenten Vergleichens’, das in der Grounded Theory eine zentrale Rolle spielt, eingehalten.
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impliziten Wissen, muss dies aber nicht und kann im Einzelfall auch davon abweichen. Ähnlich wie bei dem ersten verhält es sich bei dem zweiten von der objektiven Hermeneutik vorgenommenen gedankenexperimentellen Vergleich zwischen den möglichen an eine Äußerung anschließenden Operationen und den faktischen Anschlüssen. Auch hier habe ich es in dem Text nicht mit Anschlusshandlungen zu tun, sondern mit dem sprachlichen Ausdruck eines Problems. Diese zweite Kontrastoperation habe ich nicht durchgängig systematisch durchgeführt, sondern nur nach Überschriften, Zwischenüberschriften oder Absätzen angewandt bzw. dann, wenn in einem Abschnitt bereits im manifesten Text Inkonsistenzen auftauchten. In diesem Fall wurden dann für die nächsten Sequenzen Anschlussmöglichkeiten gebildet. Es ist anzunehmen, dass in so einem Abschnitt stärker als sonst etwas zur Sprache gebracht wird, das nicht der Kontrolle des Autors unterworfen ist. Der Entschluss, diese Kontrastoperation nur in begrenztem Maße durchzuführen, hängt damit zusammen, dass Zeitschriftenartikel mehrfach überarbeitete, von einem Autor durchkomponierte Texte sind. Zwischen Alltagsinteraktionen und vorkonstruierten, verschrifteten Texten besteht ein großer Unterschied. Verschriftlichte, auf ein größeres Publikum zugeschnittene Texte „konstruieren gegenüber alltäglichen Interaktionen durch das Explikationsmedium der Sprache eine relativ große Situationsunabhängigkeit“ (Soeffner 1989b, 77, FN 3). Damit werden sie überhaupt erst für beliebige RezipientInnen verfügbar. Aufgrund dieser Differenz zu einem alltagssprachlichen Text kommt meines Erachtens methodisch der zweiten Kontrastierung weniger Relevanz zu, weil wir hier nicht eine situativen ‚Reaktion’ auf einen Interakt vorliegen haben. Der Autor strukturiert zwar die Interaktion in spezifischer Weise und interagiert dabei mit imaginierten Anderen, von daher hielte ich es für falsch, ganz auf diese Operation zu verzichten. Aber sie muss nicht nach jeder Sequenz durchgeführt werden, zumal ich durchgehend Satz-für-Satz-Analysen gemacht habe, oft sogar nur Wort-für-Wort vorgegangen bin. Die Differenz zwischen der Analyse eines alltagssprachlichen und eines bereits verschrifteten, für ein größeres Publikum erstellten Textes hat auch Konsequenzen für die Verwendung des Fallbegriffs. Was also ist mein ‚Fall’? Väterinitiativen selbst sind nicht mein ‚Fall’114, da es mir nicht darum geht, die Arbeits- und Funktionsweise 114
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Hier im Sinne eines umfassenderen Fallbegriffs.
dieser Gruppierungen und ihrer einzelnen Mitglieder zu klären. Sofern der Fallbegriff überhaupt zu verwenden ist, lässt sich sagen, dass mein ‚Fall’ die im Kontext von Väterinitiativen vertretenen Deutungsmuster und die darin zum Ausdruck kommenden Konflikte sind, welche sich in den in den Texten verwandten Argumentationsmustern reproduzieren. Aufgrund der großen Situationsunabhängigkeit von publizierten Texten erscheint es mir allerdings schwierig, bei der Analyse einzelner Texte begründet von ‚Einzelfällen’ zu sprechen. Ich mache also keine Fall-, sondern Textanalysen. Gleichwohl gehe ich davon aus, dass die einzelnen Texte wie Einzelfälle zu behandeln sind: Durch detaillierte Sequenzanalysen können spezifisch strukturierte Deutungsmuster rekonstruiert werden115. Bevor ich nun zu den Ergebnissen meiner Untersuchung komme, werde ich noch darstellen, welches Datenmaterial mir zur Verfügung stand, wie ich meine Auswahl getroffen habe und mit welchem Datenkorpus ich dann letztendlich gearbeitet habe.
3.4 Die Datenbasis Da es ausreichend viele Veröffentlichungen gibt, die aus dem Kontext von Väterinitiativen heraus entstanden sind und ihren Mitgliedern zur Selbstverständigung dienen, habe ich mein Material vorrangig aus diesen Texten und nicht aus den internen Papieren heraus ausgewählt. Die publizierten Texte sehe ich bereits als Ausdruck einer intersubjektiven Verständigung, welche in den Initiativen und deren Umfeld stattgefunden hat. Zusätzlich zu der Sichtung von Publikationen habe ich ein umfangreiches Interview mit einem der Gründer des „Väteraufbruch für Kinder e.V.“ geführt, der zugleich auch Herausgeber der aus diesem Verein heraus entstandenen Zeitschrift PAPS ist. Von ihm habe ich Hintergrundinformationen zur Geschichte der Väterinitiativen und der Zeitschrift erhalten. Zudem konnte ich dadurch, wie auch durch den Besuch eines ‚Väterfrühstück’ in einer süddeutschen Großstadt und in verschiedenen Einzelgesprächen mit in Väterinitiativen engagierten Vätern einen tieferen und lebendigeren Einblick in die inhaltlichen Auseinandersetzungen und Arbeitsweisen dieser Gruppierungen gewinnen, als es die alleinige Konfrontation mit Texten je
115 Wenn ich von Strukturierung spreche, meine ich hier ganz bildlich gesprochen die je bestimmte Verkettung von Argumenten, die zu einem ‚Muster’ führt.
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ermöglicht hätte. Diese Begegnungen, die ich protokollierend reflektiert habe, waren für meine Analyse sehr wichtig. Auch wenn die individuellen Erzählungen nicht meinen Forschungsgegenstand bildeten, haben mich die konkreten Kontakte und vor allem die Auseinandersetzungen mit den subjektiven Krisenerfahrungen einzelner Männer davor bewahrt, in dem Umgang mit den Texten vorschnell zu scheinbaren ‚Klarheiten’ über die Bedeutung von Aussagen zu kommen. Insgesamt also hatten die Zusammentreffen den paradox wirkenden Effekt, durch mehr Nähe zu einer größeren Differenziertheit und damit zu mehr Distanz gegenüber meinem Material zu kommen, welches Teil eines politisch und emotional hoch aufgeladenen Diskurses ist. Mit der Entscheidung, mich auf Publikationen aus dem Zusammenhang von Väterinitiativen zu konzentrieren, galt es in einem ersten Schritt, mir einen Überblick zu verschaffen, welche Materialien überhaupt zur Verfügung stehen, und welche sich davon für mein Anliegen als besonders geeignet erweisen. Über das Internet zugänglich sind Vereinssatzungen und Selbstdarstellungen der einzelnen Gruppierungen. Darüber hinaus finden sich dort vielfältige Texte, wie Artikel aus Tageszeitungen und größeren Zeitschriften, Veranstaltungsankündigungen, Aufrufe zu Aktion und Berichte darüber, Fachartikel von JuristInnen, PsychologInnen und PädagogInnen, Buch- und Fernsehbesprechungen, Anfragen nach Hilfe zur Selbsthilfe etc.116 Die meisten dieser Texte waren als Kontextwissen interessant und wichtig, aber als Datenbasis für die Untersuchung nicht besonders geeignet: Entweder sind sie nicht aus dem Zusammenhang von Väterinitiativen selbst heraus entstanden, oder sie haben einen eher parolenhaften Charakter.117 Vielversprechender als Datenbasis im Hinblick auf die von mir verfolgten Fragestellungen erwiesen sich Informationsblätter und kleinere Vereinszeitschriften118. Aus diesem Spektrum sticht ein Projekt besonders
116 Hier ist die Webseite von „paPPa.com e.V.“ zentral, die neben regelmäßig neu ins Internet gestellten Texten links zu nahezu allen deutschsprachigen Väterinitiativen enthält. 117 Auch die Vereinssatzungen erwiesen sich als wenig geeignet für eine Analyse, da sie eine eigene Textgattung bilden, die stark den Vorgaben des Vereinsrechts folgt und den Verein als juristische Person präsentiert. 118 Mir bekannt sind die kontinuierlich erschienene „Vater und Kind“ von „EfaV e.V“ sowie das frühere „Väteraufbruchinfo“, das bis 1994 heraus kam. „Vater und Kind“ habe ich aus verschiedenen Gründen nicht in die Analyse aufgenommen: Zum einen versteht sich „EfaV e.V.“ wie bereits oben gesagt als Elterninitiative, vor allem aber setzt sich die Zeit-
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hervor: Es ist die 1994 gegründete „Zeitschrift für Väter“, PAPS119, die zunächst als Zeitschrift des Vereins „Väteraufbruch für Kinder e.V.“ erschien. Diese Zeitschrift bildet eine sehr gute Grundlage für meine Untersuchung. Bis heute ist sie neben dem Internet das wichtigste, trotz einiger Um- und Einbrüche kontinuierlich erscheinende Medium aus dem Umfeld von Väterinitiativen, in dem sich Vorstellungen über Vaterschaft und implizit Ausdeutungen der Geschlechterbeziehungen und der Geschlechterdifferenz artikulieren können. Bereits der Anspruch, eine ‚Zeitschrift für Väter’ zu sein, setzt voraus, dass Vaterschaft oder Vater-Sein nicht als etwas verstanden wird, was ‚Mann’ mit Geburt eines Kindes einfach ‚ist’. Vielmehr beinhaltet das Zeitungsprojekt als solches bereits ein reflexives Verhältnis zu Vaterschaft. Da neun der zwölf von mir bearbeiteten Texte aus dieser Zeitschrift stammen, gehe ich hier auf ihre Geschichte, ihren Aufbau und ihre Inhalte ausführlicher ein. Dabei stütze ich mich auf Angaben aus der Zeitschrift, auf Informationen aus dem von mir geführten Interview mit einem der Mitbegründer und -herausgeber sowie bereits auf Ergebnisse meiner Interpretationen. Letztere habe ich vor allem aus der Analyse der Editorials gewonnen, aber auch aus der Analyse eines Titelblatts einer der ersten Ausgaben von PAPS, die ich ganz zu Anfang meiner Forschungen durchgeführt hatte, um einen deutlicheren Eindruck von der Zeitschrift zu gewinnen.
3.4.1 PAPS. Zeitschrift für Väter 1994 kamen einige Mitglieder des „Väteraufbruch für Kinder e.V.“, die zum Teil bereits die Vereinszeitschrift „Väteraufbruch-Info" gestalteten, auf die Idee, eine professionelle Zeitschrift zu erstellen, die über die Vereinsmitglieder hinaus eine größere Öffentlichkeit erreichen sollte. Dem Anspruch nach sollte sich diese Zeitschrift an alle Väter richten, die nach einem neuen Selbstverständnis von Vaterschaft suchen. Also nicht nur an Väter im Trennungskonflikt, sondern auch an allein erziehende Väter, Hausmänner, Väter im Erziehungsurlaub und an den ‚ganz normalen’
schrift vorwiegend aus den Beiträgen eines einzelnen Autors – dem langjährigen Vorstandsmitglied des Vereins – und einigen übernommenen Fremdbeiträgen zusammen. Das „Väteraufbruchinfo“ war der Vorläufer der Zeitschrift PAPS. 119 Seit 1999 erscheint die Zeitschrift unter dem Titel „PaPS. Die Welt der Väter“.
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Familienvater, der bewusst mehr Zeit für seine Kinder und die Familie haben will. Dieses Projekt wurde zunächst von der Mehrheit der Bundesversammlung des ‚Väteraufbruch’ unterstützt. Von Beginn an gab es aber auch Gegenstimmen, die sich vorrangig auf die Frage der Finanzierung solch einer Zeitschrift bezogen, aber auch Ausdruck von Flügelkämpfen innerhalb des Vereins waren. Im Frühjahr 1995 erschien dann die erste Ausgabe von „PAPS. Zeitschrift für Väter“. Im Sommer 1995 folgte unter großem Medienecho die zweite Ausgabe mit einer Auflage von 4000 Exemplaren. Die Anfangs geplante zweimonatige Erscheinungsweise wurde nach der dritten Ausgabe auf eine dreimonatige umgestellt. Bei der Auflagenstärke und bei den Verkaufszahlen gab es in der Geschichte von PAPS immer wieder Schwankungen. Bis Ende 1998 erschien sie regelmäßig mit einer Auflage von zumeist 3000 Exemplaren, von denen ca. 1500 verkauft wurden.120 Erstellt wurde die Zeitschrift zunächst durch eine 4- bis 5-köpfige Redaktionsgruppe, die sich überwiegend aus dem Väteraufbruch rekrutierte. Keiner der Mitglieder der Redaktion war professionell journalistisch tätig. In den Jahren ihres bisherigen Bestehens verlief die Geschichte der Zeitschrift wechselhaft; sie lässt sich in verschiedenen Phasen einteilen. In der ersten Zeit, 1995/96, war PAPS die Mitgliederzeitschrift des „Väteraufbruch e.V.“, die versuchte, sich auch an interessierte Väter über den ‚Väteraufbruch’ hinaus zu wenden. Die bereits zu Anfang bestehenden Konflikte zwischen dem Bundesvorstand und einem Teil der Mitglieder des ‚Väteraufbruch’ einerseits und der Redaktionsgruppe andererseits verschärften sich in dieser Zeit zunehmend. Diese Konflikte lassen sich als Ausdruck von Richtungskämpfen verstehen zwischen einem eher ‚moderaten’ Flügel und den ‚Trennungsvätern’. Zugleich resultierten sie aber auch aus dem von Anbeginn vorhandenen inneren Widerspruch des Zeitschriftenprojektes, Mitgliederzeitschrift und publikumswirksame Zeitschrift zugleich sein zu wollen. Ein Widerspruch, der sich, wie die Analyse der Editorials hervorgebracht hat, in den Zeitschriften selbst als Vermeidung von Eindeutigkeit in den Orientierungen und Zielsetzungen zeigt.
120 Davon gingen 400 Abonnements an Mitglieder von Ortsgruppen in München und Stuttgart, 600 waren Einzelabonnements, vorrangig von Männern, die sich mit aller Wahrscheinlichkeit großenteils im Spektrum von Väterinitiativen bewegen, 400 weitere Exemplare wurden bei Veranstaltungen im Handverkauf unter die Leute gebracht.
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Ein Beispiel hierfür findet sich gleich in der Überschrift der Editorials. Bis auf eine Ausnahme sind alle Editorials der Zeitschrift PAPS mit der gleichen Überschrift versehen: ‚Zeit für PAPS’.121 Ein genaueres Hinsehen zeigt, dass ‚Zeit für PAPS’ äußerst vieldeutig ist. Eine Lesart zielt darauf, dass die Zeitschrift selber wichtig gemacht wird. Eine Langfassung könnte etwa heißen: ‚Es ist an der Zeit für eine Zeitschrift wie PAPS.’ Eine andere: ‚Ich nehme mir Zeit für die Zeitschrift PAPS.’ Gleichzeitig lässt sich die Überschrift so interpretieren, dass hier Väter, ‚Papse’, wichtig gemacht werden. In diesem Fall zeichnen sich weitere Lesarten ab: Zum einen lassen sich Väter als Population denken, für deren Probleme, Interessen etc. man sich Zeit nehmen sollte. Damit werden sie als Gruppe wahrgenommen, die auf Hilfe von anderen angewiesen ist. Die Lesart von Vätern als hilfsbedürftiger Gruppe wird dadurch verstärkt, dass es nicht z. B. heißt, ‚Zeit für Väter’, sondern ‚Zeit für PAPS’. ‚Paps’ ist die Ansprache von Jugendlichen für den Kumpelvater, den Gefährten und damit tendenziell Gleichen. PAPS markiert so Ähnlichkeit mit Jugendlichen: ein Vater, der so ist wie sie. Damit werden Väter in die Nähe von noch bedürftigen Jugendlichen gerückt, denen man sich zuwenden muss. Zum anderen kann die Überschrift auch so gelesen werden, dass hier auf den Erwachsenenstatus von Vätern rekurriert und Vaterschaft als Gestaltungsaufgabe formuliert wird: Vater ist man nicht einfach, man muss etwas dafür tun, sich Zeit nehmen. Zeit, um sich mit der Bedeutung von Vaterschaft auseinander zu setzen, und Zeit, die man Kindern zur Verfügung stellt. Die Überschrift ‚Zeit für PAPS’ lässt also keine zwingende Interpretation zu. Allenfalls lassen sich Konnotationen, Bedeutungshorizonte ausmachen. Ihre Pragmatik bleibt aber unklar: An welchen Handlungsproblemen, Zielsetzungen etc. orientiert sie sich? Die Richtung, in die gedacht wird, bleibt undeutlich, verschwommen. Diese sich abzeichnende Uneindeutigkeit der Zeitschrift ist mit der Eindeutigkeit, die Politik erfordert, auf lange Sicht nicht zu vereinbaren. Von daher erscheint es nicht verwunderlich, dass die Konflikte zwischen dem Verein und der Redaktionsgruppe sich weiter zuspitzten. Sie eskalierten 1996 durch den Wechsel der Herausgeberschaft von ‚Väteraufbruch’ zu einem neu gegründeten eigenständigen Verein „PAPS e.V.“. Drei Monate später kündigte der ‚Väteraufbruch’ die Abnahme von PAPS als Mitgliederzeitschrift des Vereins und stellte seinen Mitgliedern anheim, ob sie PAPS zusätzlich zum Mitgliedsbeitrag abonnieren. Damit war die 121
Bis Winter 1998.
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Zeitschrift auf einen Schlag fast die Hälfte seiner Abnehmer los und stand am Rande ihrer Existenz. Durch neue Abonnements einzelner Ortsgruppen und einiger Einzelmitglieder konnte sie sich weiter halten. Trotz der gewonnenen Eigenständigkeit gegenüber dem ‚Väteraufbruch’ blieb so jedoch der innere Widerspruch der Zeitschrift bestehen, auf eine politische Bewegung ausgerichtet zu sein und zugleich ein breites Publikum erreichen zu wollen. Gerade dieser Widerspruch macht diese Zeitschrift aber besonders geeignet für eine Analyse kultureller Deutungsmuster, denn es gilt für die Herausgeber und Autoren, das eigene Selbstverständnis im Spagat zwischen politischer Bewegung und professioneller publikumswirksamer Zeitschrift ständig neu zu klären und zugleich nach außen zu vermitteln. Abweichende subkulturelle Deutungsmuster können so zum Tragen kommen, stehen aber durch die Absicht, ein größeres Publikum erreichen zu wollen, stärker unter Explikationszwang, als wenn sich die Zeitschrift nur an Vereinsmitglieder wenden würde. Mit dem Wechsel der Herausgeberschaft wechselte auch das äußere Erscheinungsbild der Zeitschrift. Während man den ersten Ausgaben der Zeitschrift den Übergang von einer Vereinszeitschrift zu einer übergreifenden ‚Publikumszeitschrift’ noch ansieht (Wechsel von Schwarz-WeissDruck zu Farbdruck, häufige Veränderung des Layouts), gibt es seit der sechsten Ausgabe im Herbst 1996 bis zur vierzehnten Ausgabe im Winter 1998 bezüglich des Titelbildes, des Layouts der Artikel und der Rubrikenbildung eine relative Konstanz. Die Aufmachung lehnt sich an die Gestaltung von publikumswirksamen, themenzentrierten Zeitschriften an. Die Zeitschrift erscheint durchgängig im Din-A4-Format mit einem Umfang von ca. 30-40 Seiten. Jede Ausgabe hat nun ein Schwerpunktthema, z. B. die Familienrechtsreform, Beruf und Familie, das Vaterbild im Kinderbuch, Mütter, Vaterschaft und Sexualität, Jungen und Gewalt, Vater und Tochter, Väter in der Werbung. Neben Artikeln zu den genannten Schwerpunktthemen, die sowohl von der Redaktion als auch von freien Autoren und Autorinnen stammen, finden sich Berichte von bzw. Interviews mit Psychotherapeuten, Juristen, Sozialwissenschaftlern, PolitikerInnen und BuchautorInnen zum Thema Vaterschaft bzw. der Veränderung des ‚Vaterbildes’. Zugleich gibt es Erfahrungsberichte von prominenten und weniger prominenten Vätern über ihr Zusammenleben mit Kindern. Zudem verfügt jedes Heft über einen ‚Serviceteil’, in dem Bücher, Filme, aber auch Familienautos, besondere Fahrradmodelle, ‚gutes’ Kinderspielzeug, Möglichkeiten von Vater-Kind-Urlauben etc. vorgestellt und empfohlen werden. Unter diese Rubrik fällt auch eine Kinderseite mit Geschichten, Rätsel, Gedichten etc. für Kinder, von Kindern und über 110
Kinder. Weiterhin finden sich in allen Heften regelmäßig Meldungen, Kurzinfos, Terminankündigungen und Leserbriefe. Seit Herbst 1996 wurde eine Gliederung in verschiedenen Rubriken vorgenommen, die bis Winter 1998 in allen folgenden Heften weitgehend beibehalten wird: Väter, Schwerpunktthema, Familie, Trennung & danach, Spaß & Freizeit, Tipps & Tests, Regelmäßig. Nach wie vor wurden alle Ausgaben von ehrenamtlichen Redakteuren erstellt, denen die Arbeit allerdings zunehmend über den Kopf wuchs. Dies verschärfte sich noch zusätzlich dadurch, dass einige die Redaktion verließen. Zum Schluss bestand das Redaktionsteam nur noch aus zwei Personen. 1998 wurde daher auf der Basis eingeworbener Mittel ein professionelles Medienbüro mit der Redaktion beauftragt.122 Mit diesem Schritt veränderte die Zeitschrift ihr Gesicht: Orientiert wurde sich nun eher an Lifestyle-Zeitschriften wie „Mens Health“. Der Titel und auch der inhaltliche Teil wandelte sich in Layout und Wortlaut und heißt nun: „PaPS. Die Welt der Väter“. 2001 schließlich begann eine Zusammenarbeit mit Velber im OZ Verlag. Der Verein „PAPS e.V.“ fungiert weiterhin als Herausgeber und sorgt für die inhaltlichen Beiträge. Es gibt zudem einen festen Redakteur für die Zeitschrift. Die Schreibweise des Titels verändert sich nochmals in: „paps. Die Welt der Väter“. Die Ausrichtung an einer Lifestyle-Zeitschrift wurde wieder fallen gelassen. Bestehen blieb der Versuch, sich stärker zu professionalisieren; inhaltlich knüpft die Zeitschrift dabei wieder mehr an die Phase zwischen 1996 und 1998 an. Die Übergabe der Zeitschrift an ein Medienbüro lässt sich als eine Zäsur in der Geschichte der Zeitschrift begreifen. Der beschriebene Widerspruch der Orientierung an der Väterinitiativenbewegung einerseits und an einer möglichst breiten Leserschaft andererseits sollte dadurch zur letztgenannten Seite gelöst werden. Damit ist die Zeitschrift immer weniger als Netzwerkzeitschrift zu verstehen, in der sich eher subkultureller Deutungsmuster artikulieren können. Aus diesem Grund habe ich für meine Untersuchung nur Editorials und Artikel ausgewählt, die aus dem Zeitraum vor 1999 stammen, als die Zeitschrift noch eindeutiger als Medium der Selbstverständigung für einen Teil der Mitglieder aus Väterinitiativen und für deren Umfeld fungierte.
122 Beauftragt war das Medienbüro von Katrin Rohnstock. Damit lag eine zentrale Verantwortung für die Zeitschrift kurzfristig in den Händen einer Frau. Der zuständige Redakteur für PAPS war zwar männlich, aber die Hauptredaktion lag bei Karin Rohnstock.
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3.4.2 Das ausgewählte Textkorpus Da mein methodisches Vorgehen nur die Analyse sehr weniger Texte erlaubt, ging es auch nach der Entscheidung, mich im Wesentlichen auf Artikel der Zeitschrift PAPS zu konzentrieren, darum, den großen Umfang der zur Verfügung stehenden Texte sinnvoll zu begrenzen. Nach einer ersten Sichtung der in der Zeitschrift PAPS vertretenen Inhalte und der Machart der verschiedenen in der Zeitschrift vertretenen Textsorten, habe ich mich entschieden, mit der Analyse von Editorials zu beginnen. Editorials sind in Zeitschriften der Ort, an dem der ‚Editor’, der Herausgeber bzw. die Redaktionsleitung das Wort direkt an die LeserInnen richtet. Sie repräsentieren den ‚Geist’ der Zeitschrift: Sie enthalten sehr komprimiert Hinweise auf Redaktionsinterna, Veränderungen der Zeitschrift, redaktionelle Überlegungen zur Wahl und Präsentation einzelner Themen, Vorstellungen von Schwerpunktthemen und einen kurzen Überblick über den Inhalt des Heftes. Neben der Vorbereitung der LeserInnen auf den Inhalt der Zeitschrift dient die Vorstellung einzelner Artikel dazu, den Kontext, aus dem heraus sie entstanden sind und die Motivation, die zu den Artikeln geführt hat, zu erläutern. Dabei werden weniger diffizile Argumentationen entwickelt, als vor allem Grundpositionen der Herausgeber und Redakteure abgesteckt. Es zeigte sich, dass der typische Charakter von Editorials, synopsenartig einen kurzen Ein- und Überblick in die Themenwahl eines Heftes zu geben, sich sehr gut eignet, die in diesem Feld vorhandenen, mit den inhaltlich verschiedenen Thematisierungen verbundenen grundlegenden Deutungsmuster rekonstruieren zu können. Nach der Analyse von fünf Editorials, die ich vor allem aufgrund ihrer unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen ausgesucht habe123, ließen sich keine grundlegend neuen Perspektiven in den Thematisierungen von Vaterschaft und von der Ausgestaltung der Geschlechterbeziehungen mehr entdecken. Damit konnte ich davon ausgehen, das in diesem Diskurs wesentliche Spektrum der Deutungsmuster und Argumentationen erfasst zu haben. Im nächsten Schritt habe ich einzelne Artikel hinzugenommen. Zum einen konnte ich dadurch die bisher gefundenen Deutungsmuster an längeren, stärker argumentierenden Texten überprü-
123 PAPS 1/95 (Schwerpunkt: Väteraufbruch und PAPS); 2/96 (Schwerpunkt: Männer zwischen Beruf und Familie); 1/97 (Schwerpunkt: Mütter); 4/97 (Schwerpunkt: Kindschaftsrecht); 2/98 (Schwerpunkt: Väter in der Werbung).
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fen. Zum anderen konnte ich mit der Interpretation der Artikel die feinen Argumentationskonfigurationen, in welche die Deutungsmuster eingelassen sind, besser herausarbeiten. Bei der Auswahl der Artikel spielte weiterhin die inhaltliche Differenz zu den bisher untersuchten Editorials eine Rolle, wie auch, dass es Texte sind, in denen es möglichst um die Reflexion des Selbstverständnisses von Vätern als Väter geht. Die von mir interpretierten Artikel von PAPS, erfüllen diese Kriterien. Im ersten Artikel geht es vor dem Hintergrund der historischen Figur des ‚abwesenden Vaters’ um die Bedeutung von Vaterschaft heute und um Fragen von väterlicher und männlicher Identität. Im zweiten Artikel wird das Problem der Besonderung von Vätern diskutiert, die Aufgaben übernehmen, die gesellschaftlich eher Frauen zugewiesen werden und die sich damit in einer weiblich konnotierten Welt bewegen. Einen dritten Artikel wählte ich aus, weil hier explizit auch Veränderungen auf Seiten von Müttern diskutiert werden – eine absolute Ausnahme in dieser Zeitschrift. Es zeigte sich allerdings, dass die dort vorgefundenen Ausdeutungen die bereits herausgearbeiteten zwar bestätigten, der Text aber kaum andere Argumentationen aufwies. Der letzte PAPS-Artikel, den ich zur Interpretation herangezogen habe, war ein Interview mit dem Spiegel-Redakteur Matthias Matussek, der im November 1997 mit dem DER SPIEGEL-Artikel „Der entsorgte Vater. Über feministische Muttermacht und Kinder als Trümpfe im Geschlechterkampf“ bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte. Bei der Analyse des Interviewartikels deuteten sich neue Deutungsmuster an, die für eine spezifische Ausdeutung der Geschlechter- und Eltern-KindBeziehungen stehen. 124 Allerdings erwies sich der Text für eine Sequenzanalyse schwer zugänglich, da es sich um einen Interviewtext handelte, dessen einzelne Passagen stark durchgekürzt und redaktionell bearbeitet waren. Der sequentielle Verlauf des Interviewtextes war damit durchbrochen und es blieb ständig unklar, wer dort eigentlich ‚spricht’. Ich entschloss mich daher, in diesem Fall das Feld der Publikationen, die direkt aus dem Kontext von Väterinitiativen stammen zu überschreiten, und den erwähnten DER SPIEGEL-Artikel selbst zu analysieren. Da Matussek öffentlich als betroffener Vater auftritt und auch dem Verein
124 Der erste Titel lautet „Präsenz und Vaterschaft“ (PAPS 5/6 1995); der zweite „Allein unter Müttern“ (PAPS 7/8 1995), der dritte „Auch Mütter müssen umdenken. Partnerschaft und gemeinsame Verantwortung für Kinder“ (PAPS 1/97). Das Interview von Mathias Matussek schließlich trägt den Titel: „;Überfällige Anmerkungen’ oder ‚überflüssige Anregungen’ zum Geschlechterkampf. Diskussion mit Matussek“ (PAPS 2/98)
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„Väteraufbruch für Kinder e.V.“ sehr nahe steht, lässt er sich in den von den Väterinitiativen geführten Betroffenheitsdiskurs einreihen.125 Auch darüber hinaus ist davon auszugehen, dass Deutungsmuster, die im Zusammenhang von Väterinitiativen zentral sind, in seinen Texten enthalten sind: Der DER SPIEGEL-Artikel und auch die anschließend erfolgten Buchveröffentlichungen von Matussek, aus denen ich ergänzend einzelne Passagen interpretiert habe, werden von vielen Vätern, die sich in Vätergruppen zusammengeschlossen haben, als öffentlicher Ausdruck ihres Selbstverständnisses verstanden und haben zugleich zu ihrer Orientierung gedient. Innerhalb der Zusammenschlüsse von Vätern ist seit der DER SPIEGEL-Veröffentlichung sogar von einem ‚Matussek-Flügel’ die Rede, der weitgehend identisch gesetzt wird mit denen, die zuvor von den eher ‚moderaten’ Vätern als ‚Trennungsväter’ bezeichnet wurden.126. Die Argumentationen Matusseks finden sich so denn auch fast wortgetreu in vielen Leserbriefen, Flugblättern, Zeitungsinterviews aber auch Fernsehauftritten von Vätern aus Väterinitiativen wieder. Durch die umfassende Interpretation des DER SPIEGEL-Artikels von Matussek und die Auseinandersetzung mit den weiteren Veröffentlichungen von ihm habe ich zugleich auch eine Schnittstelle von den Artikulationen der Väterinitiativen zu einer größeren medialen Öffentlichkeit in den Blick genommen. Der Artikel steht exemplarisch für eine Verbindung zwischen dem von mir analysierten Teildiskurs der Väterinitiativen und den allgemeineren (massenmedialen) Diskursen zu Vaterschaft und der Ausgestaltung von Geschlechter- und Generationenbeziehungen. Dass der Artikel von Matussek nicht nur innerhalb der Väterinitiativen, sondern auch in dem allgemeinen Diskurs eine wichtige Funktion einnimmt, zeigt sich zudem darin, dass er eine der größten Leserbriefreaktionen in der
125 Matussek schreibt allerdings vor allem auch als professioneller DER SPIEGEL-Autor. Der Artikel von Matussek ist damit zugleich als Ausdruck eines für den DER SPIEGEL – der sich seit den achtziger Jahren zunehmend einseitig an eine männlich Politik- und Wirtschaftselite richtet – typischen gewordenen Stils zu lesen. Dieser Stil ist durch kurze Absätze gekennzeichnet, die in ihrer Kürze den Eindruck vermitteln, Fakten wiederzugeben. Bei genauerem Lesen zeigt sich, dass viele Absätze eher unvermittelt aneinander anschließen. Einzelne Gedankengänge werden nicht weiter verfolgt oder differenziert, Zusammenhänge zwischen den einzelnen Aussagen großenteils suggeriert. Dieser sich an ein tendenziell männlich akademisches Publikum richtende reißerische Stil lässt sich relativ problemlos mit der emotionalen Aufladung eines selbst betroffenen Autors (hier ist die Geschlechtszugehörigkeit des Autors wichtig) vereinbaren. 126 Vgl. Interview mit dem Mitbegründer des “Väteraufbruch für Kinder e.V.” und Herausgeber von PAPS.
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Geschichte des DER SPIEGEL hervorgerufen hat. Dies lässt annehmen, dass in dem Kontext von Väterinitiativen kollektive Deutungsmuster hervorgebracht und verwandt werden, die auch in anderen sozialen Kontexten wirksam sind oder werden können.
3.4.3 Darstellungsweise Für die folgende Darstellung der Ergebnisse meiner Analyse habe ich mich für eine komparatistisch-chronologische Vorgehensweise entschieden. Ich beginne mit den Ergebnissen der Analyse des Artikels von Matussek, in dem ein Pol des Diskurses in Väterinitiativen um die Veränderung von Geschlechterbeziehungen und von Vaterschaft deutlich zum Ausdruck kommt. Davon abgrenzen werde ich die Deutungsmuster und Argumentationskonfigurationen, die ich bei den Interpretationen der Texte der Zeitschrift PAPS herausgefunden habe. Dabei werde ich vergleichend Ähnlichkeiten und Differenzen der dort vertretenen Argumentationen herausarbeiten. Bei der Darstellung meiner Forschungsergebnisse halte ich mich an ein Basisprinzip für die Ergebnisdarstellung qualitativer Sozialforschung: Danach ist zu gewährleisten, dass die gebildeten Lesarten und ihre Begründungen überprüfbar sind (vgl. Reichertz/Schröer 1994, 81). Eine Minimallösung dafür wäre, die Forschungsergebnisse darzustellen sowie den Datenkern, an dem diese Ergebnisse gewonnen wurden. Eine maximale Lösung bestünde darin, sukzessive jeden einzelnen Interpretationsschritt an einem Interpretationsprotokoll zu diskutieren und so möglichst nahe an der Ergebnisgewinnung im Forschungsprozess zu bleiben.127 Ich habe eine ‚mittlere’ Lösung gewählt, indem ich meine Forschungsergebnisse darstelle und diese an einzelnen Abschnitten aus gekürzten und z. T. überarbeiteten Interpretationsprotokollen materialhaltig erörtere. Zudem werde ich einzelne Textpassagen als Beleg für bestimmte inhaltliche Zentrierungen zitieren. Der Forschungsgang selbst lässt sich durch diese Darstellungsweise nicht abbilden und ist damit auch ein Stück der Überprüfung entzogen. Die Entscheidung für dieses Vorgehen hat in erster Linie mit der ‚Quantität’ zu tun: Die umfangreichen Interpretationsprotokolle, in denen alle interpretatorischen (Irr)Wege enthalten sind, würde wohl kaum jemand lesen. So findet mit der Darstellung notwendig eine Verkür127 Zur Minimal- und Maximallösung vgl. Reichertz/Schröer (1994, 81/82).
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zung statt. Dies bedeutet, dass von mir die kumulativen Schritte der sequentiellen Interpretation nur andeutungsweise sichtbar gemacht werden können. Außerdem kann ich entgegen den Prinzipien sequenzanalytischen Vorgehens bei der Präsentation der Ergebnisse subsumtionslogische Schlüsse nicht vermeiden. Eine weitere Schwierigkeit den Forschungsgang darzustellen, hängt damit zusammen, dass der Prozess der Bedeutungsrekonstruktion durch sequenzanalytische Interpretationen in letzter Konsequenz nicht wirklich operationalisiert werden kann. Bei der Rekonstruktion von Bedeutungen haben wir es immer mit Konstruktionen zu tun, welche die Interpretierenden vornehmen, und deren ‚Qualität’ hängt nicht nur von Interpretationsregeln ab, sondern auch von den soziologischen Kenntnissen und biographischen Erfahrungen der InterpretInnen (vgl. Reichertz/Schröer 1994, 80ff; Matt 2000). Ich hoffe, dass die LeserInnen mit diesem unhintergehbaren subjektiven Faktor wohlwollend umgehen werden.
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4 ‚Geschlechterkampf’ und ‚männliche Autonomie in Geschlechterkooperationen’
In den von mir untersuchten Publikationen finden sich Ausdeutungen der Geschlechterverhältnisse und -beziehungen, die sich bündeln lassen in der Vorstellung eines Geschlechterkampfes auf der einen Seite und der von männlicher Autonomie in Kooperation mit Frauen zur anderen. Diesen Vorstellungen können verschiedene Spektren innerhalb der Väterinitiativen zugeordnet werden. Die ‚Trennungsväter’ oder ‚kämpfenden Väter’ orientieren sich an dem Deutungsmuster eines Geschlechterkampfes, wobei die Vorstellung leitend ist, dass dieser Kampf nur mit Sieg oder Niederlage enden kann. Entsprechend formieren sich diese Väter geschlechterpolitisch. Die als ‚moderat’ bezeichneten Väter thematisieren hingegen eher Möglichkeiten von Kooperationen zwischen den Geschlechtern, die allerdings als ambivalent erfahren werden, da sie mit Wünschen nach mehr Autonomie als Mann und Vater kollidieren – ich werde diese Gruppe daher im weiteren als ‚ambivalente Väter’ bezeichnen. In diesem Zusammenhang kommt dem Spannungsverhältnis von konstatierten Differenzen und Vorstellungen von Gleichheit zwischen den Geschlechtern eine zentrale Rolle zu. Eine ungebrochene Orientierung an einer Kooperation zwischen den Geschlechtern, und damit auch an gleichberechtigter Partnerschaft, lässt sich im Spektrum der Väterinitiativen nicht finden. 128 Den zentralen Deutungsmustern ‚Geschlechterkampf’ und ‚männliche Autonomie in Geschlechterkooperationen’ lassen sich wiederum unterschiedliche Deutungsmuster von Männlichkeit und Weiblichkeit, von Vaterschaft und Mutterschaft und der Geschlechterbeziehungen zuordnen.129 Während innerhalb der Männerverständigungsliteratur vor allem
128 ‚Geschlechterkampf’ und ‚Geschlechterkooperation’ können als Pole eines Kontinuums betrachtet werden, zwischen denen die Argumentationen zirkulieren. 129 Die Kategorien ‚Geschlechterkampf’ und ‚männliche Autonomie in Geschlechterkooperationen’ lassen sich als Schlüsselkategorien im Sinne der Grounded Theory verstehen.
die Art und Weise fokussiert wird, wie Männer und Frauen sich zueinander in ein soziales und individuelles Verhältnis setzen bzw. gesetzt werden (vgl. Meuser 1998a, Hoffmann 1998), diskutieren Väterinitiativen Männer und Männlichkeit in einer triadischen Beziehungskonstellation. Es geht nicht nur um die Beziehungen der Geschlechter zueinander, sondern darin auch um die Beziehung des Vaters oder der Mutter zum Kind. Da sozial und psychodynamisch die Bindung des Mannes an seine Partnerin eine andere ist als die an sein Kind und die Familie ein Ort ist, an dem es besonders um individuelle, nicht austauschbare emotionale Beziehungen geht, betont der Blick auf Geschlechterbeziehungen in der Familie andere Aspekte von Mann-Sein und Männlichkeit, als es z. B. in den von Meuser analysierten Texten der Männerverständigungsliteratur der Fall ist. Damit erfolgen zum Teil auch andere Interpretationen der Geschlechterdifferenzen und der Geschlechterbeziehungen und diese werden auf andere Weise aufeinander bezogen. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang, ob und wie Vorstellungen von Männlichkeit und Vaterschaft bzw. Väterlichkeit zueinander in Beziehung gesetzt werden.
4.1 Kampf zwischen den Geschlechtern Typisch und grundlegend für die Ausdeutung der Geschlechterverhältnisse und -beziehungen als Geschlechterkampf sind zwei Texte von Matthias Matussek: der im November 1997 veröffentlichte DER SPIEGEL-Artikel „Der entsorgte Vater. Über feministische Muttermacht und Kinder als Trümpfe im Geschlechterkampf“ sowie seine Buchveröffentlichung “Die vaterlose Gesellschaft. Überfällige Anmerkungen zum Geschlechterkampf” von 1998. Typisch, weil hier von Matussek in geschlossenen Texten Argumentationen zusammengeführt werden, die sich bis dahin in vielen Leserbriefen, Fernsehinterviews und Flugblättern betroffener Väter finden ließen und bis heute finden lassen. Grundlegend, weil durch diese Bündelung in den breit veröffentlichten Texten Deutungsmuster bereitstellt werden, die innerhalb der Väterinitiativen und auch in den Medien wieder aufgegriffen werden.130 Ich beziehe mich daher bei der Darstellung
130 So wird die alltagssprachlich eher unübliche Wortkombination ‚entsorgter Vater’ oder ‚entsorgte Väter’ vom Suchdienst „Google“ im Jahr 2002 ca. 300 Mal aufgeführt. Der ‚entsorgte Vater’ wird verwandt sowohl als Titel eines Dokumentarfilms als auch in vielen
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dieser Perspektive allein auf Ergebnisse der Analyse dieser Texte, insbesondere des DER SPIEGEL-Artikels. Im ersten Abschnitt frage ich, wie in den analysierten Texten die Stellung des Vaters in der Familie und in der heutigen Gesellschaft gedeutet wird. Welche Probleme von Vätern werden beschrieben, wie werden sie begründet und welche Schlüsse werden aus der Problemdiagnose gezogen? Im zweiten Abschnitt zeige ich auf, wie die sozialen und individuellen Beziehungen von Vätern und Müttern zueinander als Kampf zwischen den Geschlechtern interpretiert werden und untersuche genauer, welche Ausdeutungen der Geschlechterdifferenz damit einhergehen. Im dritten Abschnitt schließlich arbeite ich die im Text vorgefundenen Konzeptualisierungen von Familie, Paarbeziehungen und Eltern-KindBeziehungen heraus und diskutiere, welche Vorstellungen von sozialem Wandel, aber auch von Kontinuität im Verhältnis der Geschlechter damit einhergehen. Durch diese verschiedenen inhaltlichen Perspektiven wird am Material die Variationsbreite des Deutungsmusters ‚Geschlechterkampf’ herausgearbeitet. Der kumulative Erkenntnisprozess am Material bringt es mit sich, dass sich Wiederholungen nicht ganz vermeiden lassen.
4.1.1 Väter heute: Überflüssig, ausgeschlossen und entwertet Bereits in der Überschrift des analysierten DER SPIEGEL-Artikels, „Der entsorgte Vater“, finden sich verschiedene Vorstellungen über die soziale und politische Situation von Vätern in heutigen westlichen Industriegesellschaften gebündelt, die im engen Zusammenhang stehen mit der Perspektive eines Kampfes zwischen Männern und Frauen. Diese Bündelung ist kein Zufall, da eine Überschrift immer den Versuch einer Verdichtung des Themas eines Textes bildet. Wie bei der sequenzanalytischen Untersuchung des Materials beginne ich daher auch bei der Darstellung meiner Ergebnisse mit der Überschrift des Artikels. Die verschiedenen Bedeutungsinhalte, die in der eigentümlichen Wortkombination ‚entsorgt’ und ‚Vater’ enthalten sind, werden entfaltet, indem ich Ausschnitte der Interpretation des Titels sowie einer in diesem Kontext zentralen Passage des Artikels von Matthias Matussek darstelle.
Zeitungsartikeln über Scheidung und Sorgerechtskonflikte sowie als Selbstbezeichnung ‚ich bin ein entsorgter Vater’ in Homepages einzelner Väter.
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4.1.1.1 Der entsorgte Vater Betrachtet man den Haupttitel „Der entsorgte Vater“ genauer, ist zunächst augenfällig, dass hier zwei Begriffe zusammengebracht werden, die aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten stammen und verschiedene Bedeutungen transportieren. ‚Entsorgung’, ‚entsorgen’ ist ein moderner Begriff, der alltagssprachlich im Zusammenhang mit dem Sammeln, Sortieren und der Beseitigung oder Deponierung von nicht mehr verwertbarem Müll, insbesondere von Problemabfällen, verwandt wird. Seit den 70er Jahren wurde der Begriff in der Diskussion um die Beseitigung von Atommüll gebräuchlich.131 ‚Müll’ verweist wiederum auf Überfluss, Masse, auf das Problem eines ‚zu viel’. Müll und Abfall sind die überflüssigen Reste von Dingen, die man gebraucht hat; ihre ‚Entsorgung’ erfordert rationales Kalkül und technische Lösungen. Betrachtet man den Begriff ‚entsorgen’ genauer, zeigt sich allerdings eine Unklarheit in seiner Verwendung: ‚Sorge’ sagt eigentlich nichts über die Sache aus, auf die der Begriff bezogen wird, sondern zielt auf eine Wahrnehmung und den Affekthaushalt eines Subjekts. In der Verwendung des Begriffs werden beide Bedeutungsdimensionen angesprochen: die Beseitigung eines überflüssigen, gefährlichen Gegenstandes und die Beseitigung der Sorge eines Individuums oder eines Kollektivs, im Sinne von ‚die Sorge für etwas abgenommen bekommen’. Dabei wird wie in einem Kippbild mal die eine, mal die andere Dimension erfasst. Mit seiner relativ neuen Verbreitung und der ihm eigenen schillernden Bedeutung ist ‚entsorgen’ ein Begriff, der besonders einlädt zu Wortspielen und ironischen Übertreibungen.132 Letzteres ist darauf zurückzuführen, dass ‚entsorgen’ ein Euphemismus ist: es wird so getan, als sei die Sorge nicht mehr notwendig, obgleich der Grund zur Sorge noch besteht. Auch in dem hier betrachteten Artikel wird mit dem Wort gespielt und mit den wechselnden Bedeutungen korrespondieren verschiedene Lesarten der Wortkombination ‚entsorgter Vater’.
131 Vgl. „entsorgen“ in: Brockhaus. Die Enzyklopädie (1996, 20. akt. Aufl.); Kluge (1995, 23. erw. Aufl.): Etymologisches Wörterbuch. 132 Als ein Beispiel zu nennen ist der Buchtitel von Hans-Ulrich Wehler: „Entsorgung der deutschen Vergangenheit?“ Dieses Buch ist im Übrigen ähnlich wie Matusseks DER SPIEGEL-Artikel als „polemischer Essay“ gekennzeichnet.
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Man könnte die Wendung ‚der entsorgte Vater’ so verstehen, dass ‚der Vater’ allgemein in seinen bisherigen Funktionen überflüssig oder sogar zum Problem geworden sei und aus seiner Position beseitigt würde. Dass hier die Funktionen und die Position des Vaters angesprochen sind, wird durch den bestimmten Artikel ‚der’ betont. ‚Wer’ den Vater ‚entsorgt’ bleibt zunächst unklar, ebenso, in welcher Intention dies geschieht. Deutlich wird, dass ‚entsorgen’ ein aktiver Akt ist, den eine Person gegenüber einem Gegenstand oder anderen Personen gegenüber ausübt. Der Vater, seine Position und Funktionen, verschwinden nicht einfach, sondern werden aktiv beseitigt. Der Vater taucht in dieser Perspektive als ein überflüssiges, potenziell schädliches Objekt auf, das be-sorgt und nach Gebrauch ent-sorgt, unschädlich gemacht wird. Stellt man dagegen die Bedeutung heraus, dass jemanden mit der ‚Entsorgung’ des Vaters eine Sorge abgenommen wird, dann drängen sich Fragen auf: In welcher Hinsicht oder für wen könnte ‚der Vater’ ein Problem sein, das Sorge bereitet? Was könnte es sein, das den Vater so brisant macht, dass man ihn gerne loswerden möchte? Warum kann er, können seine sozialen Funktionen als überflüssig und unbrauchbar betrachtet werden? Es bleibt abzuwarten, ob diese Dimensionen angesprochen werden. Der Begriff ‚Sorge’ aus dem Wort ‚ent-sorgen’ lässt sich nicht nur als Emotion verstehen, sondern wird im Kontext der Diskussionen um Trennung oder Scheidung auch als Kürzel für ‚Sorgerecht’ verwandt. Die ‚Ent-sorgung’ des Vater würde in diesem Zusammenhang auf den Entzug des Sorgerechtes verweisen, den Entzug der väterlichen ‚Sorge’ für das Kind durch einen Dritten. Der Entzug des Sorgerechts ist mit dem Verlust bestimmter Funktionen als Vater verbunden, wie z. B. die (Mit)Entscheidung über die Belange des Kindes. Im Rahmen der Sorgerechtsdebatte verweist also der Begriff ‚entsorgt’ auf zweierlei: auf die ‚Sorge’ als Abkürzung für das ‚Sorgerecht’ und auf ein Gefühl der ‚Sorge’133. Durch diese implizite Verschränkung rechtlicher und emotionaler Sorge wird vermittelt, dass mit dem Verlust des Sorgerechtes des Vaters auch der affektive Gehalt der Sorge sowie
133 ‚Sorge’ muss nicht unbedingt für Empathiefähigkeit sprechen, sondern kann auch aus einem Motiv eines befürchteten Kontrollverlustes heraus entstehen. Diese Ambivalenz der Motivation zu einem Gefühl der ‚Sorge’ ist nicht unwichtig in den Diskussionen um das Sorgerecht, in denen es immer auch um Kontrolle geht – über das Kind und über den/die PartnerIn.
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Aufgaben und Möglichkeiten der faktischen Versorgung des Kindes verloren gingen. Der ‚entsorgte Vater’ verfügt dem Wortsinn nach über keine Dimension der Sorge mehr. Diese Zweideutigkeit, die im Begriff angelegt ist, muss empirisch aber nicht vorhanden sein: Auch der Elternteil, der nicht das Recht der Personensorge für sein Kind hat, kann sich emotional um das Kind sorgen und muss sich in der Regel zumindest über Alimentation auch an der Versorgung des Kindes beteiligen. Anders als der Begriff ‚Entsorgung’ ist ‚Vater’ ein sehr alter, emotional stark besetzter Begriff. Er steht in unserer abendländisch-christlichen Kultur bis heute für soziale Fähigkeiten und Eigenschaften wie Fürsorge und Schutz, Autorität, Macht und Potenz.134 Wenn heute von dem ‚Vater’ gesprochen wird, ist im Allgemeinen der leibliche Vater gemeint. Die Möglichkeit einer rein sozialen Vaterschaft, z. B. die Stiefvaterschaft, ist aber rechtlich berücksichtigt und im Alltagswissen präsent.135 Neben dem alltäglichen stereotypen Wissen um spezifische Funktionen, Eigenschaften und Fähigkeiten ‚des Vaters’ in der bürgerlichen Gesellschaft ist der Begriff ‚Vater’ zugleich für alle Menschen aufgeladen mit Bildern und Erfahrungen von dem jeweils persönlichen, leiblichen und/oder sozialen Vater. Diese emotional hochbesetzten biographisch erworbenen Vaterimagines und Erfahrungen mit dem konkreten Vater können in einen Widerspruch geraten mit den kulturell vorherrschenden Stereotypen und diese in die eine oder andere Richtung verändern. In der Kombination beider Begriffe ‚entsorgt’ und ‚Vater’ entsteht ein Widerspruch, der Aufmerksamkeit erregt und neugierig macht. Wird der Vater gemeinhin als aktives, mächtiges und potentes Subjekt imagi134 Diese Fähigkeiten und Eigenschaften wurden sowohl dem ‚Hausvater’ des Mittelalters und der frühen Neuzeit zugesprochen als später auch dem bürgerlichen Vater als Familienvorstand und Familienernährer. Mit der Durchsetzung der bürgerlichen Ehe als allgemeinem Modell fällt die Funktion des Familienvorstands und Familienernährers in der Regel mit der leiblichen Vaterschaft zusammen. Dies war zuvor nicht unbedingt so, da zum einen die Position des ‚Hausvaters’ durch die Erbfolge bestimmt war, also z. B. auch der Großvater der im Haushalt lebenden Kinder der ‚Hausvater’ sein konnte. Zum anderen fielen auch das Gesinde und deren Kinder unter die ‚Hausvaterschaft’. Den ärmeren Schichten war die Heirat durch vielfältige Heiratsbeschränkungen verwehrt. In welchem sozialen Verhältnis die unverheirateten leiblichen Väter zu ihren Kindern standen, darüber gibt es bislang keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse. 135 Obgleich Trennungen und Scheidungen von Eltern zunehmen und wir es heute öfter als in den vergangenen fünfzig Jahren mit sog. ‚Patchworkfamilien’ zu tun haben, ist es noch immer der Regelfall, dass Kinder mit ihren leiblichen Eltern aufwachsen (vgl. Nave-Herz 1994, 1997). Deutlich geändert hat sich aber die Selbstverständlichkeit, mit der heute andere familiale Lebensformen als die lebenslange Ehe gesellschaftlich akzeptiert werden.
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niert, so verweist das Adjektiv ‚entsorgt’ darauf, dass dieses Subjekt jetzt passiviert und entmachtet wurde. Der Vater wird als problematisches, überflüssiges Objekt dargestellt, das beseitigt wird. Diese Beseitigung erfolgt durch rationales Kalkül, ohne emotionalen Aufwand: technisch, kalt. Zusammen gefasst ist ‚Der entsorgte Vater’ ein zunächst mehrdeutig erscheinender Titel. Zum einen kann er so gelesen werden, dass ‚der Vater’ selbst zu einem Objekt wird, das beseitigt wird. Verstanden werden kann dies so, dass Vaterschaft symbolisch einen Verlust erfährt, denn als ‚Entsorgter’ ist ‚der’ Vater von seinen bisherigen väterlichen Funktionen entkleidet und von einer eigentlich aktiven, mächtigen in eine ohnmächtige, passivierte Position gesetzt worden. Zum anderen lässt sich der Titel auch so lesen, dass dem Vater ‚die Sorge’ für sein Kind genommen wurde, was nicht nur die juristische Seite, sondern auch die emotionale wie die faktische Versorgungsseite betrifft – und damit alles, was Vater-Sein letztlich ausmacht. Aus den Bestimmungen von ‚Vater’ bleibt dann nur noch die leibliche Verbindung als Erzeuger bestehen. Die verschiedenen Lesarten schließen sich zusammen: Thematisiert wird ein genereller Verlust der bisherigen Funktionen und der Position des Vaters, wobei der Vater hier als ohnmächtig und passiv gesetzt wird. Er hat seinen Subjektstatus und damit seine Handlungsmöglichkeit verloren. Tangiert ist damit auch das bürgerliche Verständnis von Männlichkeit, das durch Vorstellungen von männlicher Autonomie und Handlungsfähigkeit bestimmt ist. Nicht nur das bisher selbstverständlich erscheinende Verständnis von Vaterschaft wird demnach als brüchig wahrgenommen, sondern – so lässt sich schließen – auch von ‚Mann-Sein’ und ‚Männlichkeit’. Soweit zur Analyse des Haupttitels. Ergänzend dazu greife ich eine Textpassage heraus, in der das Bild der Entsorgung des Vaters direkt wieder aufgenommen wird. In dem Artikel wird zuvor einleitend ein Vater beschrieben, Herr Gempp, der vor einem Familiengericht in den Hungerstreik getreten sei, um dagegen zu protestieren, dass die Mutter der gemeinsamen Kinder ihm den Umgang mit ihnen verwehrt. Am Beispiel dieses Vaters wird in dramatischer Weise das Problem von Vätern dargelegt, die nach einer Trennung das Sorge- oder Umgangsrecht für ihre Kinder haben wollen und es nicht ausüben können, weil ihnen das Familiengericht das Sorgerecht nicht zugesprochen hat. Nach einem Ebenenwechsel von der Darstellung des Einzelfalls zu einer statistischen Verallgemeinerung, wonach 60 Prozent der Väter nach einer Trennung oder Scheidung ihre Kinder nicht wiedersehen würden, folgt ein Absatz, den 123
ich zum besseren Verständnis im Zusammenhang zitiere. An einzelnen Sequenzen dieses Absatzes führe ich dann die Interpretation weiter. „Sicher, es sind verantwortungslose Männer darunter, die sich nicht kümmern wollen. Doch daneben wächst, unbemerkt, ein Heer von verzweifelten Vätern, die als abgeliebter und ausgemusterter Beziehungs-Restmüll allenfalls alimentieren dürfen und ansonsten aus dem Leben ihrer Kinder gelöscht werden wie Unpersonen. Entsorgt von Müttern, die die Kinderliebe der Väter, laut einer Umfrage des „Deutschen Jugend Instituts“, als Einmischung in die Erziehung mehrheitlich ablehnen.“ (Matussek 1997, 90, Spalte 1)
Werfen wir zunächst einen Blick auf den Begriff ‚abgeliebt’136: Ein populärer Kontext, in dem dieser Ausdruck verwandt wird, ist das Lied von Herbert Grönemeyer: „Was soll das?“ In diesem Lied geht es im Kern um den Ausdruck eines bestimmten Affekts, um eine Kränkung, die durch eine Trennung eines Beziehungspartners in einer (heterosexuellen) Paarbeziehung hervorgerufen wird. Es geht um die Kränkung, nicht mehr gebraucht zu werden, sondern eher ‚verbraucht’, ‚ausgenutzt’ und ‚abgelegt’ worden zu sein, für den anderen keinen Wert mehr zu haben. Dabei betont die Rede von ‚abgeliebte(n) Vätern’, dass es Frauen sind, die ihre Partner verlassen, nicht umgekehrt. Mit dem Ausdruck ‚abgeliebt’ tritt also Wut und Empörung über das Scheitern einer Paarbeziehung in den Vordergrund, wobei hier ausdrücklich Frauen die Aktivität der Trennung zugeschrieben wird. Frauen werden damit als diejenigen betrachtet, die Kontinuität in den familialen Beziehungen in Frage stellen, während Männer dieser Entwicklung nur ausgesetzt erscheinen, sich als entwertet und überflüssig wahrnehmen und vom Ausschluss bedroht sehen. Dies wird mit der folgenden Wortwahl ‚ausgemusterter BeziehungsRestmüll’ noch deutlicher. ‚Ausgemustert’ ist ein Begriff, der im militärischem Kontext verwandt wird. Dabei handelt sich um den formalen Akt, dass einzelne Wehrpflichtige nachdem sie nach bestimmten Kriterien bewertet wurden, als ‚untauglich’ für den Militärdienst erklärt und aus diesem ausgesondert werden. ‚Ausmustern’ wird alltagssprachlich aber auch auf Gegenstände bezogen, wie z. B. auf Kleidung, die unbrauchbar geworden ist und aussortiert wird. Der Begriff ‚Ausmusterung’ impliziert, dass es eine Gruppe, eine Menge gibt, aus der jemand oder etwas aus
136 Kurz vor dem Erscheinen des DER SPIEGEL-Artikels taucht das Wort ‚abgeliebt’ bereits in einer Veröffentlichung von Karin Jäckel: „Der gebrauchte Mann. Abgeliebt und abgezockt – Väter nach der Trennung“ (1997) auf, auf die sich Matussek positiv bezieht.
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bestimmten Gründen als Unzureichend heraus sortiert wird. Überträgt man dies auf den Textinhalt, dass der Vater ausgemustert würde, dann wird damit nicht nur die Trennung von dem Kind thematisiert, wie manifest von den Vätern immer wieder betont wird, sondern der Ausschluss aus einer Gruppe – aus der Familie, konkreter, aus der Beziehung zwischen Mutter und Kind. ‚Ausgemustert’ schließt sich hier mit ‚abgeliebt’ zusammen, indem beide Begriffe darauf verweisen, dass der Partner und Vater ‚unbrauchbar’ geworden sei. Dieser Blick auf Geschlechterbeziehungen setzt sich fort in dem Wort: ‚Beziehungs-Restmüll’. ‚Restmüll’ besteht aus dem, was übrig bleibt, wenn alles Wertvolle und Verwertbare von einem Gegenstand genommen ist. Frauen würden sich demnach alles Wertvolle aneignen, was ein Mann, ein Vater, zu bieten hat – übrig bleiben unbrauchbar gewordene und ausgeplünderte Geschöpfe. Das Thema des Ausschlusses und der Entwertung von Männern wird auch in der Fortsetzung des Absatzes mit Variationen weitergeführt. So betont der Satz, dass Väter ‚aus dem Leben ihrer Kinder gelöscht werden wie Unpersonen’ noch einmal den Ausschluss des Vaters aus der Familie, der von der Mutter vorgenommen wird. Dabei wird mit den Wörtern ‚gelöscht’ und ‚Unperson’ eine existentielle Bedrohung zum Ausdruck gebracht: die Angst, als Person vernichtet zu werden. Mit der Formulierung, dass der Vater ‚aus dem Leben der Kinder gelöscht’ wird, bekommt die Mutter eine absolute Macht sowohl über den Vater als auch über die emotionalen Bindungen der Kinder zugesprochen. Eine Macht, die nach Matussek von dem Mann als gewaltsam empfunden wird. Den Kindern selbst wird hier, ganz unabhängig von ihrem Alter, keine eigene Aktivität und Fähigkeit zugetraut, die Erfahrungen mit ihrem Vater in sich bewahren und eine innere Bindung erhalten zu können. Die Ausblendung einer möglichen eigenständigen Aktivität des Kindes macht auch die Fälle unsichtbar, in denen Kinder selbst ambivalente Gefühle gegenüber ihrem Vater ‚lösen’, indem sie einem Kontakt zu ihm ausweichen. Auch Kinder werden also als Objekte dargestellt, die von ihren Müttern beliebig instrumentalisiert und manipuliert werden können. Mit dieser Sichtweise wird eine Gemeinsamkeit von Vater und Kind hergestellt: Väter werden in die Nähe von Kindern gerückt – sie erscheinen ohnmächtig wie wehrlose Kinder, die von allmächtigen Müttern kontrolliert und unterdrückt werden. Vater und Kind bilden in dieser Perspektive eine Art Solidargemeinschaft gegenüber der Mutter, die darüber – zumindest imaginär – zur Ausgeschlossenen wird. Beide Positionen – die des ausgeschlossenen Vaters und die der mächtigen, potenziell gewaltsamen Mutter – werden hier verallgemeinert: 125
Es wird zwar gesehen, dass es unter den Vätern, die nach einer Trennung keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben, eine Gruppe gibt, die sich von sich aus zurückzieht. Dass die Existenz dieser Gruppe angeführt wird, wirkt jedoch eher legitimatorisch, da inhaltlich keinerlei Überlegungen zu diesem Phänomen angestellt werden.137 Auch die große Gruppe derjenigen, die mit ihren Partnerinnen trotz vieler konflikthafter Auseinandersetzungen zu einer gemeinsamen Lösung in Fragen des Umgangs- und Sorgerechts kommen, wird nicht weiter betrachtet. So erweckt der Text den Anschein, dass die Gruppe von Vätern, die von ihren früheren Partnerinnen aktiv ‚aus dem Leben der Kinder gelöscht’ würden, die dominierende sei und immer größer würde. Der von den ehemaligen Partnerinnen und Müttern der gemeinsamen Kinder aus der Familie ausgeschlossene und entwertete Vater wird als verallgemeinerter Fall dargestellt. Konflikte auf der Paarebene werden stellvertretend für einen Großkampf, einen Krieg zwischen den Geschlechtern behandelt. Die Metapher des ‚Heeres’ unterstützt diese Vorstellung. In dem Satz ‚Entsorgt von Müttern, die die Kinderliebe der Väter (...) als Einmischung in die Erziehung mehrheitlich ablehnen’ werden nun die Akteure der ‚Entsorgung’ explizit benannt. Es seien Mütter, die die Erziehungskompetenz für sich allein beanspruchten und ‚mehrheitlich’ die Kinderliebe der Väter als ‚Einmischung in die Erziehung’ ansehen würden. Müttern allgemein wird unterstellt, dass sie die Kontrolle über das Kind behalten wollten und nicht bereit seien, ihren ‚Hoheitsraum’ Kindererziehung abzugeben, sei es auch nur partiell. Aus welcher Motivation heraus Mütter so handeln sollten, bleibt jedoch weitgehend offen. Die Betonung von ‚Müttern’ als Akteurinnen im Kampf gegen die Väter der gemeinsamen Kinder weist darauf hin, dass die Empörung, die in der hier diskutierten Passage zum Ausdruck kommt, zwei Quellen haben kann. Zum einen zeigt Matussek Empörung darüber, dass Väter ‚entsorgt’, also dass sie aus der Familie ausgeschlossen und ihre Funktionen weitgehend als überflüssig betrachtet würden, und dass ihr Handeln gegenüber ihren Kinder von Müttern als Einmischung wahrgenommen würde. ‚Entsorgt von Müttern’ kann aber auch so gelesen werden, dass das Empörende vor allem darin gesehen wird, dass es Mütter seien, welche
137 Letzteres macht gleichzeitig noch einmal deutlich, dass hier nicht aus der Perspektive von Kindern geschrieben wird, die nach einer Trennung mit dem Verlust eines Elternteils konfrontiert sind, sondern aus der Perspektive von Männern, die in einem Konflikt mit ihrer ehemaligen Partnerin stehen.
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Väter aus der Familie löschen oder entsorgen würden. ‚Mutter’ steht kulturell nach wie vor für Emotionalität, Fürsorge, Empathievermögen; ‚entsorgen’ für das rationale Kalkül, für instrumentelles Handeln, für Machtinteressen. Die Empörung, mit der in der Formulierung gespielt wird, könnte daher auch lauten: Was ist das für eine Gesellschaft, in der Mütter nicht ver-, sondern entsorgen, in der sie nicht mehr lieben und den Kindern auch noch die väterliche Liebe entziehen. Den ‚entsorgenden’ Müttern wird in dem zitierten Satz die ‚Kinderliebe’ der Väter entgegen gestellt. ‚Kinderliebe’ ist ein Begriff, der verschiedene Bedeutungen transportiert. Gemeint sein kann die Liebe von Kindern ebenso wie die Liebe zwischen Kindern sowie die Liebe für Kinder. In der letztgenannten Bedeutung bezieht sich der Ausdruck gemeinhin weniger auf eigene Kinder als auf Kinder im Allgemeinen, da Kinderliebe in Bezug auf eigene Kinder für selbstverständlich gehalten wird. Der in dieser Textstelle verwandte Begriff ‚Kinderliebe’ könnte somit dafür stehen, dass eine grundsätzliche Haltung von Vätern ausgedrückt werden soll, nach der das Leben mit Kindern für Männer bzw. Väter allgemein einen eigenständigen positiven Wert darstellen würde. Die Empörung, dass diese ‚Kinderliebe’ behindert würde, ließe sich dann folgendermaßen übersetzen: Jetzt gehen Väter so weit, dass sie ein eigenständiges Interesse an Kindern zeigen und sich auf die Belange und Bedürfnisse von Kindern einstellen; jetzt stellen sie zu ihren eigenen Kindern aktiv eine emotionale Bindung her und machen sich in der Bindung an das Kind abhängig – und dann wird diese Bindung von den Müttern gar nicht gewollt und sogar unterbunden. Da der Begriff ‚Kinderliebe’ in der Regel nicht auf die eigenen Kinder bezogen wird, lässt die Formulierung ‚Kinderliebe der Väter’ zudem schließen, dass die Liebe von Vätern zu ihren Kindern hier nicht als etwas einfach Gegebenes betrachtet, sondern für etwas Betonungswürdiges und Besonderes gehalten wird138. Dies ist erklärungsbedürftig, da kulturgeschichtlich die Liebe eines Vaters zu seinen Kindern keine neue Entwicklung ist. Eine mögliche Erklärung kann ein Blick auf die mit der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft erfolgte Entwicklung von Vaterschaft und Mutterschaft liefern. Nach dem kurzen Zeitraum der Romantik haben die zunehmende Ausdifferenzierung der Mutter- und Vaterrolle in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts und die gleichzeitige Ver138 Es könnte ja sonst z. B. auch einfach ‚Engagement’ von Vätern heißen.
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allgemeinerung des bürgerlichen Familienmodells dazu geführt, dass der Vater in seiner Funktion als Familienernährer und Oberhaupt der Familie bis heute nicht für die konkrete Versorgung der Kinder zuständig erklärt wurde und auch selten daran beteiligt war. Auch wenn es zärtliche Regungen von Vätern für ihre Kinder gegeben hat und diese im Zuge der Aufklärung auch zunehmend öffentlich dargestellt wurden (vgl. Knibiehler 1996, 199), waren Fürsorglichkeit, Zärtlichkeit, Bindung mit den kulturell dominanten Vorstellungen von ‚Männlichkeit’ nur schwer zu vereinbaren. Erst seit Ende der siebziger Jahre wurden mit dem Diskurs über ‚Neue Väter’ einerseits und mit der Ablehnung von Frauen, sich auf ‚Mütterlichkeit’ festlegen zu lassen andererseits, die emotionalen Bindungen zwischen Vater und Kind in einer breiteren Öffentlichkeit thematisiert. Der Versuch, Väter stärker zu konkreten Versorgungsleistungen für ihre Kinder zu animieren, eröffnete neue Möglichkeiten, sie wieder in die emotionale Mutter-Kind-Beziehung zu integrieren. Vor diesem historischen Hintergrund wird deutlich, dass zwar die Liebe eines Vaters zu seinem Kind im Alltagverständnis als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Eine Thematisierung einer fürsorglichversorgenden Emotionalität des Vaters und ein bewusstes, aktives Herstellen dieser emotionalen Bindung stehen und standen jedoch im Widerspruch zum bürgerlich-traditionellen Bild des Vaters. Dieses ist geprägt durch das historische Konstrukt einer männlichen Geschlechtsidentität, die auf Rationalität und Autonomie basiert. Wird in dem Text die ‚Kinderliebe’ von Vätern hervorgehoben, könnte dies also als eine bewusste Reflexion und Abweichung von dem einseitigen Stereotyp des Vaters als Ernährer, Autorität und Vertreter der Außenwelt gegenüber dem Kind gelesen werden. Die öffentliche Betonung der Liebe von Vätern zu (ihren) Kindern könnte für einen Versuch sprechen, starre Geschlechtszuschreibungen aufzulösen und die Vorstellungen darüber, was als ‚weiblich’ oder ‚männlich’, als ‚väterlich’ oder ‚mütterlich’ gilt, einander anzunähern. Kinderliebe wäre dann ein Ausdruck von ‚Elterlichkeit’ und unabhängig vom Geschlecht. Die Thematisierung der Liebes- und Bindungsfähigkeit von Vater und Mutter wird jedoch auch von Matussek nicht von ihrem Geschlecht gelöst. Vielmehr wird in dem zitierten Absatz ebenfalls eine komplementäre Rollendifferenzierung zwischen den Geschlechtern gezeichnet. Diese ähnelt den traditionellen Zuschreibungen – nur wird das Geschlecht der Protagonisten vertauscht. Nach dem hier entworfenen Bild sind es Väter, die (ihre) Kinder lieben, eine fürsorgliche emotionale Bindung aufbauen und aufrecht erhalten wollen, während Frauen sich als allein verantwortli128
che Erzieherinnen der Kinder verstünden und dabei Autorität nicht nur gegenüber den Kindern, sondern auch gegenüber den Vätern verträten. Während die ‚Kinderliebe’ von Vätern sehr positiv dargestellt wird, wird die ‚Rollenumdrehung’ bei Frauen negativ bewertet und als instrumentelles Machtinteresse von Frauen dargestellt. Mit dieser Betonung der Kinderliebe von Vätern wird zugleich die Angst vor dem Verlust des Kindes thematisiert. Kinderliebe von Vätern wäre demnach ein äußerst ambivalentes Gefühl: ambivalent, weil mit der starken emotionalen Bindung an ein Kind im Moment der Trennung auch Abhängigkeitsgefühle und der Verlustschmerz gesteigert werden. Werden die konkreten Beziehungen von Vätern zu ihren Kindern durch Entscheidungen des Familiengerichtes bzw. der Mutter des Kindes eingeschränkt, scheint dies wie eine Strafe für die emotionale Bindung von Vätern an das Kind zu wirken. Die von Matussek konstatierte Bereitschaft vieler Väter, Kinder aktiv zum Bezugspunkt in ihrem Leben zu machen, sich emotional an sie zu binden und damit Autonomie einzubüßen, wird ihm zufolge von Müttern oder von der Öffentlichkeit nicht wertgeschätzt und enthält eine hohe Gefahr psychischer Verletzung. In der im Text geäußerten Vorstellung, Väter würden entsorgt ‚von Müttern, die die Kinderliebe der Väter (...) als Einmischung in die Erziehung mehrheitlich ablehnen’,139 drückt sich jedoch nicht nur Empörung über die individuellen Probleme betroffener Väter aus. Mit ihr wird zugleich auf einen Diskurs reagiert, der ursprünglich von der Frauenbewegung ausging, sich aber heute verallgemeinert hat.140 Im Zentrum dieser Auseinandersetzung steht die Forderung nach größerem väterlichem Engagement in der Familie. Diese Forderung wird im Text angezweifelt. Dort heißt es, dass Mütter in Wirklichkeit gar kein größeres Engagement von Vätern in Bezug auf ihre Kinder wollten, die Liebe von Vätern sogar ablehnen würden. Anders gesagt: Es seien die Mütter selbst, die an beste-
139 Matussek greift hier auf wissenschaftliche Autorität zurück, um seine Aussage zu untermauern. Die angeführte DJI-Studie wird allerdings nicht genannt, so dass seine Aussage nicht überprüft werden kann. Mir selber ist keine familiensoziologische Untersuchung bekannt, die zu einem solchen Ergebnis gekommen ist. Vielmehr zeigen verschiedene Untersuchungen auf, z. B. Born/Krüger/Lorenz-Meyer (1996); Krüger (1997), dass von Paaren mit kleinen Kindern heute eher betont wird, dass beide Elternteile die Möglichkeit haben sollten, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen und die damit verbundenen Aufgaben zu übernehmen. 140 Bis hin zu der Kampagne „Mehr Spielraum für Väter“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ (BMFSFJ), die für mehr familiales Engagement von Vätern wirbt.
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henden Funktions- und Aufgabenteilungen festhielten und damit einer Veränderung von Vaterschaft im Wege stünden. Diese Haltung lässt sich nicht nur auf die konflikthafte Situation einer Trennungsfamilie beziehen, sondern berührt auch Vorstellungen von der Verteilung der Aufgaben in der Familie allgemein. Das Argument, die Mütter wollten eigentlich gar nicht, dass Väter sich stärker um ihre Kinder kümmern, weist die Schuld an ungleichen Arbeitsteilungen in der Familie einseitig Müttern zu und trägt mit dazu bei, öffentlich formulierte Anforderungen an Väter, sich stärker in der Familie zu engagieren, abzuwehren. Mit der neuen Polarisierung von väterlichen und mütterlichen Fähigkeiten und Interessen wird dem innerhalb der Sorgerechtsdebatte zentralen Argument begegnet, dass bei der Vergabe des Sorgerechts die emotionalen Bindungen der Kinder besonders zu berücksichtigen seien. Hier wird nun gesagt, dass es Väter sind, die ihre Kinder lieben, aber von den Müttern in den Möglichkeiten behindert werden, ihre Liebe auszudrücken. Fiele diese Behinderung weg, würde sich die starke Anbindung an das Kind erweisen. Die starke Betonung der Kinderliebe der Väter hat also auch legitimatorischen Charakter in dem rechtlichen Streit um Sorge- und Umgangsrechte. Der erste Zugriff auf Matusseks Texte, die als Schlüsseltexte für das Spektrum der Väter betrachtet werden können, welche sich in ihrer geschlechter-politischen Orientierung an dem Deutungsmuster ‚Geschlechterkampf’ ausrichten, hat vor allem eine starke Kränkung und die Empörung dieser Väter darüber gezeigt, dass Väter von Müttern für überflüssig gehalten und aus der Familie ausgeschlossen würden. Dies lässt weiter fragen, welche Gründe sich herausarbeiten lassen, dass die individuell erfahrenen Kränkungen in einem Trennungsprozess so andauernd und heftig sein können, dass sie die kollektiven Selbstdeutungen einer Gruppe von Vätern, ihren Blick auf die Geschlechterbeziehungen und – arrangements derartig stark beeinflussen. Diese Frage werde ich im Folgenden diskutieren.
4.1.1.2 Kränkung, Wut und ‚Konfliktlösung’ durch Polarisierung ‚Der entsorgte Vater’ lässt sich als eine Variante des Deutungsmusters eines ‚Verschwinden des Vaters’ lesen, welches seit Ende der 50er Jahre in unterschiedlichen Ausprägungen immer wieder in der Diskussion ist. So kommt es nach Alexander Mitscherlichs Diagnose der ‚vaterlosen Gesellschaft’ zu einem Verschwinden des Vaters durch die spezifische 130
Form industriekapitalistischer Arbeitsteilung, welche eine Entfremdung der Männer/Väter von ihrer eigenen Tätigkeit hervorbringt und damit auch ihre familiale Autorität entleert (vgl. Mitscherlich 1955, 1996/1963). Matussek hingegen führt das Verschwinden des Vaters, den Verlust seiner Autorität und schließlich seinen Ausschluss aus der Familie vor allem auf die Aktivität von Müttern zurück. Werden bei Mitscherlich also die kapitalistische Produktionsweise und die damit verbundenen Arbeitsteilungsstrukturen zum Ausgangspunkt eines Autoritätsverlustes des Vaters gemacht, büßt Matusseks Vater Autorität durch Veränderungen in den Geschlechterbeziehungen ein, welche die soziale Position von Müttern gestärkt haben, wobei diese sozialen Prozesse vom Autor weitgehend individualisiert werden. Den einzelnen Frauen und Müttern wird ein instrumenteller, vorrangig materiell motivierter Zugang zu ihrem Partner zugeschrieben. Vätern scheint in dieser Perspektive von Müttern nur im Rahmen einer reinen Kosten-Nutzen-Kalkulation eine Stellung in der Familie eingeräumt zu werden. Von der ehemaligen Position und den Funktionen des Vaters in der traditionellen westdeutschen Kleinfamilie der 1950er Jahre, vor deren Hintergrund die Veränderungen von Vaterschaft im allgemeinen diskutiert werden141, ist nach der hier vorgenommenen Diagnose letztlich nur die Funktion des Vaters als Zahlender und als Erzeuger geblieben und auch diese – so ließe sich ergänzen – wird durch die Weiterentwicklung von Reproduktionstechnologien unsicherer. Der Vorwurf gegenüber Müttern, durch ihr Handeln Väter zu Objekten zu machen und somit einen massiven Bedeutungsverlust von Vaterschaft herbeizuführen, wird von Matussek hochpolemisch eingebracht. Nun wird Polemik einerseits als ein journalistisches Stilmittel verwandt. Durch die einseitige Zuspitzung bei der Darstellung bestimmter Phänomene sollen Emotionen aufgerührt werden. Polemik ist zudem ein zentrales Mittel politischen Schlagabtausches. Polemisch wird man im Alltag aber auch, wenn man sich angegriffen, ungerecht behandelt, gekränkt fühlt. Matussek nutzt hier Polemik eindeutig als Stilmittel – in politischer
141 Die 50er Jahren des 20. Jahrhunderts waren vielleicht die Zeit, in der sich das Modell der bürgerlichen Familie mit dem Vater als Familienoberhaupt und der Frau als Hausfrau und Mutter am stärksten verallgemeinern konnte. Aber allein die Verwerfungen in vielen Familien durch die Kriegsereignisse sprechen dafür, dass es real auch viele andere Familienkonstellationen gegeben haben muss. In den Diskursen dieser Zeit, war aber das Deutungsmuster der bürgerlichen Kleinfamilie dominant. Zu der Differenz zwischen Diskurs und historischer Realität vgl. u. a. Drinck (2005, 26ff).
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Absicht142. Dabei rekurriert er auch auf Erfahrungen der Kränkung, die wahrscheinlich viele der Väter gemacht haben, welche sich nach einer Trennung von ihrer Partnerin und der ungewollten Trennung von ihren Kindern in Initiativen zusammengeschlossen haben. So kommen in den interpretierten Textauszügen verschiedene Emotionen zum Ausdruck, die sich als Anzeichen einer narzisstischen Kränkung lesen lassen. Deutlich werden das Gefühl der Selbstentleerung (von Vätern), während das Gegenüber (Mütter) über alle gewünschten Attribute zu verfügen scheint; das Gefühl, als Person wertlos zu sein, sich aufzulösen, während die andere Person immer mächtiger wird; das Gefühl einer ohnmächtigen Wut, die mit einer Spaltung in ‚gut’ und ‚böse’ einhergeht und die keine Übergänge und Differenzierungen kennt. Anders gesagt: Matussek knüpft in dem Text an real bestehende individuelle Kränkungserfahrungen einzelner Väter an. Durch seine Polemik gibt er den damit verbundenen Emotionen eine Stimme und schafft gleichzeitig einen kollektiven Erfahrungsraum für die Väter, die sich betroffen fühlen. Die starke, zustimmende Resonanz von vielen in Trennung lebenden Vätern und die seither bestehende Bezeichnung eines Flügels der Väterinitiativen als Matussek-Flügel sprechen dafür.143 Worin liegt dem Autor zufolge nun der Grund für die Kränkung und Wut der Väter? Auf der manifesten Textebene werden vor allem die Trennung der Väter von ihren Kindern und die damit einhergehenden Emotionen problematisiert. Verantwortlich gemacht für die Probleme eines Vaters wird das konkrete Handeln der Mutter, die den weiteren Kontakt des Vaters zu dem gemeinsamen Kind verweigert. Auf der latenten Ebene, so wurde deutlich, geht es jedoch vorrangig um den Ausschluss des Mannes und Vaters aus der familialen Triade. Noch konkreter ausgedrückt: Es geht um den Ausschluss des Vaters aus der Beziehung zwischen Mutter und Kind. Die Ohnmacht des Vaters, seine Kränkung, wird aus dieser Ausschlusserfahrung begründet, wobei vom Autor die Ohnmachtserfahrungen einzelner Väter zu Aussagen über die generelle Machtverteilung zwischen den Geschlechtern verallgemeinert werden. Die Konstellation, um die es in dem latenten Text geht, ist somit keine dyadische, sondern 142 Polemik ist auch, wie unten bereits angedeutet, ein Stilmittel, das häufig im Spiegel verwandt wird. 143 Allerdings bleibt Matussek nicht dabei stehen, Sprachrohr für bestimmte Gruppen von Vätern zu sein. Vielmehr verallgemeinert er die Aussagen über individuelle Konflikte in einzelnen Trennungsfamilien zu Aussagen darüber, wie Frauen und Männer heute generell ihre Beziehungen zueinander gestalten (können).
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eine trianguläre: es geht nicht nur um die Trennung vom Kind, sondern auch um den Schmerz, um Kränkung über die Trennung von der Partnerin und die damit verbundenen Gefühle von Ohnmacht und Kontrollverlust. Manifest jedoch wird dieser Ausschluss und der Schmerz über die Trennung von der Partnerin negiert, indem die ehemalige Partnerin einseitig als ‚böse’ dargestellt und alle anderen Anteile von ihr, die darüber hinaus weisen könnten, ausgeblendet werden. Die Kränkung, aus der MutterKind-Beziehung ausgeschlossen zu sein, erscheint so auf der manifesten Ebene nur noch als Wunsch nach der Aufrechterhaltung der Vater-KindBeziehung. Die Mutter taucht allein als Konkurrentin auf und als Zerstörerin der Familie, der Beziehung des Vaters zum Kind.144 Konflikte in den Paarbeziehungen werden vorrangig über das Medium Kind thematisiert, das Paar ist nur repräsentiert in der Kampfmetaphorik, in der Vorstellung eines Krieges, in dem Väter absolut machtlos und Mütter allmächtig zu sein scheinen.145 Dadurch bleibt der Reflexion entzogen, dass an Konflikten auf der Paarebene häufig beide Partner beteiligt sind. Der Blick auf die Anteile von Vätern an der festgefahrenen Situation, dass Mütter ihnen den Kontakt zum gemeinsamen Kind verweigern, ist jedoch verstellt. Eine ‚Lösung’ des Problems der Gestaltung der Eltern-Kind-Beziehung nach der Trennung der Eltern könnte es jedoch nur geben, wenn sie im Rahmen einer triadischen Beziehung betrachtet würden. Die in dem Text vom Matussek zum Ausdruck kommende Kränkung über den Ausschluss öffnet diesen Raum und schließt ihn sofort wieder, da diese Kränkung zwar latent ständig präsent ist, aber unreflektiert bleibt. Dass der Prozess der Trennung vom Vater als Ausschluss erfahren und von ihm keine Möglichkeit mehr gesehen wird, sich zu beiden anderen Personen – Mutter und Kind – weiter in eine Beziehung setzen zu können, kann sehr unterschiedliche Gründe haben. So wird es sicher Mütter geben, die mit Trennungskonflikten nicht umgehen und Trennung nur als absoluten Schnitt gestalten können. Wahrscheinlich ist aber, dass oft beide Beteiligte im Trennungsprozess mit dazu beitragen, dass eine Verständigung zwischen den ehemaligen Partnern irgendwann nicht mehr möglich ist. Die Bedeutung, die in dem Text der Kränkung des Vaters 144 Die formulierte Schärfe der Konkurrenz von Vätern mit der Mutter um die emotionale Bindung zum Kind weist darauf hin, welche hohe Bedeutung der emotionalen Beziehung des Vaters zum Kind zugemessen wird. Ich gehe auf diesen Aspekt, wie auf das Bild der Mutter als ‚Zerstörerin’ der Familie, weiter unten noch ausführlicher ein. 145 Damit wird die Auseinandersetzung zwischen zwei sich scheinbar ausschließenden Dyaden angesiedelt: der Mutter-Kind-Dyade und der Vater-Kind-Dyade.
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über die Trennung der Partnerin und den Ausschluss aus der Mutter-KindBeziehung zukommt und vor allem die stark narzisstische Komponente dieser Kränkung, welche sich in Matusseks Texten zeigt, könnten darauf hinweisen, dass in den Konflikten der Trennungsfamilie frühere unbewältigte Erfahrungen des Ausschlusses und der Trennung146 wiederbelebt werden und zu einer Dramatisierung der Situation beitragen. Diese Interpretation böte auch eine Erklärung dafür, warum trotz ähnlicher sozialer Lagerung in einigen Familien die Betroffenen beständig um Ausschluss und Kontrolle kreisen – dies werden dann viele der so genannten ‚hochstrittigen Fälle’ –, während in anderen Familien Kompromisse eingegangen und Lösungen gefunden werden können. Inwieweit dieser eher auf die psychodynamische Konfliktebene abstellende Ansatz einer Erklärung trägt und welche weiteren aus der jeweiligen Biographie resultierenden Gründe es bei den von einer Trennung von Partnerin und Kind betroffenen Vätern geben mag, warum sie die erfahrene Kränkung durch den Ausschluss nicht oder nur sehr schwer bewältigen, wären wichtige Fragen für weitere Forschungen. In der von mir eingenommenen Perspektive reicht es festzuhalten, dass in dem Text von Matussek Kränkungen von Vätern artikuliert werden, die auf Erfahrungen der Trennung der Partnerin und des Ausschlusses aus der MutterKind-Beziehung sowie der heftigen Konkurrenz mit der Mutter um die Beziehung zum Kind basieren. Für mich schließt sich hier die Frage an, welche Relevanz diesem unreflektierten Kreisen um Kränkungserfahrungen auf der Ebene der (Re)Produktion von Bedeutungen zukommt. Um diese Frage zu beantworten ist es hilfreich, das Augenmerk auf die Bewegung der Argumentation zu richten, die mit der latenten Thematisierung von Kränkung einhergeht. Ich meine damit vor allem die Spaltung in ‚gut’ und ‚böse’ und die damit verbundene Verweigerung von Differenzierung, welche die Auseinandersetzung kennzeichnet. Durch die Mittel der Spaltung und Polarisierung wird eine Art ‚Schließungswissen’147 produziert, dem zugleich Legitimationsfunktion zukommt. Indem
146 Wenn hier jetzt die Väter hervorgehoben sind, heißt dies nicht, dass bei Müttern nicht ebenfalls der Verlauf der Trennung davon abhängen kann, wie sie mit früheren Trennungskonflikten umgehen können. Wenn es zu derartigen Dramatisierungen kommt, wie in den von Matussek vorgestellten Fällen, lässt sich annehmen, dass zumeist beide Beteiligten mit Kränkung und Wut umgehen müssen, die aus der Angst vor einem Ausschluss resultieren. Im Text wird aber die Kränkung von Vätern thematisiert. 147 Mit dem Terminus ‚Schließungswissen’ beziehe ich mich auf das polarisierende Denken, das das Verhalten von Vätern und Müttern in ‚gut’ und ‚böse’ teilt und auf diese
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Mütter einseitig als mächtige, böswillige Akteurinnen verstanden werden, welche Männer in eine passive Position bringen und entwerten wollen, wird der gegenwärtige Wandel in den Geschlechterbeziehungen und verhältnissen als Angriff gegenüber Männern und insbesondere Vätern wahrgenommen. Väter sind in dieser Perspektive diesen Angriffen ohnmächtig ausgesetzt und tragen als ‚Opfer’ keine Schuld und damit auch keine Verantwortung für die Situation. In dieser sich aus dem Text schließenden Wahrnehmung der gegenwärtigen sozialen und individuellen Situation zwischen den Geschlechtern wird wieder die grundlegende Verunsicherung der sich in dieser Perspektive artikulierenden Väter deutlich. Diese Verunsicherung geht einher mit einem sich Verschließen vor einem kreativen Nachdenken über sozialen Veränderungen, die zu egalitären Beziehungen zwischen den Ge-schlechtern führen könnten, sowie ganz konkret über Veränderungen, die dazu beitragen könnten, eine bessere Kommunikation und Kooperation mit der Mutter der Kinder zu gestalten.
4.1.2 Neue Differenzierungen? Von allmächtigen Müttern und ohnmächtigen Vätern Im Folgenden betrachte ich die im Text dominierenden Ausdeutungen von Müttern als ‚mächtig’ und Vätern als ‚Opfer’ genauer und untersuche, ob durch die Perspektive einer Veränderung der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern Neuformulierungen stereotyper Vorstellungen von ‚Weiblichkeit’ und ‚Männlichkeit’, von ‚Mütterlichkeit’ und ‚Väterlichkeit’, erfolgen. Wird durch die Umschriftung von Differenzen die bisherige Geschlechterordnung in Frage gestellt oder tragen sie eher dazu bei, diese zu bestätigen? Dabei stelle ich die im Text vorgefundenen Entwürfe von ‚Weiblichkeit’ und ‚Mütterlichkeit’ zunächst weitgehend getrennt von denen von ‚Männlichkeit’ und ‚Väterlichkeit’ dar, und schließe dann eine zusammenfassende Diskussion an.
Weise Differenzierungsmöglichkeiten und damit die Möglichkeit von Kompromissen und Kooperationen ‚ausschließt’.
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4.1.2.1 Die Allmacht der Mütter Dass die Zuweisung von Macht an Mütter in der hier untersuchten Argumentation eine zentrale Stellung einnimmt, wird bereits dadurch sichtbar, dass ‚Muttermacht’ schon im Untertitel des Artikels benannt wird. Ich beginne daher mit der Interpretation des Untertitels und greife dann wieder einzelne Textpassagen heraus, an denen ich diese Interpretation vertiefen und ergänzen kann. „Über feministische Muttermacht und Kinder als Trümpfe im Geschlechterkampf“, so lautet der Untertitel des DER SPIEGEL-Artikels. Mit dem einleitendem ‚Über’ erfolgt eine nähere Bestimmung des Gegenstands des Artikels. Dabei wird das ‚Subjekt’ des Haupttitels, der ‚entsorgte Vater’, nicht mehr aufgegriffen, sondern es werden Mutter und Kind eingeführt. Im Gesamttitel wird so die familiale Triade entfaltet und jeder bzw. jedem Beteiligte(n/m) eine Position zugewiesen: Väter sind ausgeschlossen und entwertet, Mütter sind mächtig und Kinder ‚Trümpfe’, die von den Müttern für sich reklamiert und gegen Väter ausgespielt werden. Der Begriff ‚Trumpf’ ist ursprünglich eine volkstümliche Vereinfachung von ‚Triumph’148. Mit dieser Herkunft verweist der Begriff immer schon auf Sieg in einem konkreten oder symbolischen Kampf. Die Verwendung des Begriffs ‚Trumpf’ ist gebräuchlich geworden im Kartenspiel und es gibt viele Redewendungen, die sich aus diesem Kontext heraus entwickelt haben. Heute verbindet man mit ‚Trumpf’ insbesondere das Skat- und Doppelkopfspiel, Spiele, die nahezu schichtenübergreifend mit Männerstammtischen assoziiert werden. Auch hier gilt: Wer die meisten Trümpfe hat, hat die besten Karten und wird wahrscheinlich gewinnen in einem Spiel, in dem es eindeutig um Gewinner und Verlierer geht. Beim Skat wie beim Doppelkopf kann man mit einem Trumpf stechen, d. h., die anderen Karten für sich gewinnen oder entwerten. Nimmt man den Ausdruck „stechen“ oder „ausstechen“ wörtlich, erinnert er an ritterliche Wettkämpfe – Kämpfe zwischen Männern. So lassen sich die Kartenspiele auch als eine Art von institutionalisiertem Agon interpretieren. Das Trumpfbild lebt von seiner Eindeutigkeit von Sieg und Niederlage: Es gibt keine Vermittlung, keine Kooperationsmöglichkeit, kein aufeinander zugehen.
148 Vgl. Grimm (1952, 1363ff); Duden (1995, 3462).
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Kinder werden demnach als Macht-Instrument in einem Kampf zwischen den Geschlechtern gesehen, als ‚Trümpfe’, über die beide Geschlechter verfügen wollen, um den Kampf zu gewinnen, einen Triumph zu erzielen. Mütter oder Väter brauchen die Kinder, um eine größere Macht gegenüber dem anderen Geschlecht zu haben. Obgleich explizit kritisiert wird, dass Mütter ihre Kinder in den Auseinandersetzungen mit den Vätern instrumentalisieren, macht der hier eingenommene Blick implizit selbst die Kinder zu Objekten. Dies drückt sich auch darin aus, dass, wie oben gezeigt, Kindern in dem Konflikt zwischen den Eltern keine eigene Aktivität zugestanden wird. Der Verweis auf ‚feministische Muttermacht’ legt nahe, dass die so gewonnene Macht der Mütter in einem Zusammenhang gesehen wird mit den politischen Kämpfen der Neuen Frauenbewegung. Ohne die Frauenbewegung, so lässt der Zusatz ‚feministisch’ schließen, würden Mütter nicht über die Macht verfügen, die ihnen im Text zugeschrieben wird. Da diese Macht im Zentrum der Auseinandersetzung steht, ist der Text auch als eine Reaktion auf die Neue Frauenbewegung zu verstehen. Das Attribut ‚feministisch’, auf dessen alltagssprachliches Verständnis ich noch eingehe, zielt in der Perspektive der Frauenbewegung auf die im Interesse von Frauen betriebenen politischen und sozialen Auseinandersetzungen um eine gleichrangige Verteilung von Macht und Selbstverwirklichungs-Chancen zwischen Männern und Frauen. In der bundesdeutschen Frauenbewegung war von Beginn an der Kampf um Autonomie zentral, wobei initial die Auseinandersetzung um die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, insbesondere die Entscheidungsmacht über die eigene Generativität war. Mit dem Ausdruck ‚feministische Muttermacht’ wird daher auch angesprochen, dass es hier um Auseinandersetzungen über die Kontrolle der generativen Reproduktion und um einen Konflikt um Autonomie geht. Die Wortschöpfung ‚feministische Muttermacht’ lässt sich also so deuten, dass davon ausgegangen wird, dass Mütter durch den politischen Einfluss der Frauenbewegung mehr Möglichkeiten erhalten haben, über Schwangerschaft, Geburt und auch über die gemeinsamen Kinder zu bestimmen und dies nun als Druckmittel gegenüber Männern verwenden. Die rechtlich abgesicherte Verfügung über die Kinder nach einer Trennung der Eltern wird als das entscheidende Machtmittel von Frauen gegenüber Männern dargestellt. ‚Kinder als Trümpfe’ erscheinen als eine Art ‚Geisel’, durch die ein eigentlich schwächerer oder gleichstarker Part dem anderen die Bedingungen diktieren will und kann. Diese Interpretation lässt sich verdichten durch eine weitere Ausdeutung der alltagssprach137
lichen Verwendung des Begriffs ‚Trumpf’. So spricht man auch davon, ‚noch einen Trumpf aus dem Ärmel zu ziehen’, wenn man eigentlich ‚schlechte Karten’ hat. In der genaueren Betrachtung des Begriffes ‚Trumpf’ scheint einen Augenblick lang auf, dass auch der Autor konzediert, dass die soziale Machtverteilung zwischen den Geschlechtern eigentlich nicht zu Gunsten von Frauen verläuft. Manifest wird dies jedoch negiert. Der ‚Trumpf’, den Mütter nach Matussek im Ärmel haben, besteht ihm zufolge darin, dass sie sozial und juristisch größere Chancen hätten, im Falle einer Trennung und Scheidung das (Sorge-)Recht für die Kinder zugesprochen zu bekommen. Der von Matussek beschworene Kampf zwischen den Geschlechtern kommt daher als ein Kampf um das Recht zu Ausdruck. Das Konstrukt der ‚mächtigen Mutter’ basiert auf der Vorstellung, dass die Mutter unter dem Einfluss einer feministischer Macht (auch) auf das Rechtssystem149 mehr Rechte in Bezug auf die gemeinsamen Kinder zugesprochen bekäme, als der Vater. Die hier als feminisiert betrachtete Rechtssetzung wird als Ungleichheit zu Ungunsten von Männern wahrgenommen und wird zugleich als Legitimation verwandt, Männer aufzufordern, um ihre Macht zu kämpfen. Es zeigt sich deutlich, dass der Kampf von Männern um das Sorgerecht für ihre Kinder in der hier eingenommenen Perspektive nicht für sich allein steht, sondern stellvertretend für den Kampf, bestehende Machtrelationen zwischen den Geschlechtern erneut zu Gunsten von Vätern auszubauen. Noch deutlicher drückt dies die Verwendung des Schüsselbegriffs ‚Geschlechterkampf’ aus. Schon der Begriff ‚Geschlechterkampf’ selbst zeigt eine enorme emotionale Spannung an, mit der soziale Konflikte zwischen Männern und Frauen wahrgenommen werden: ‚Geschlecht’ ist eigentlich kein Alltagsbegriff; aber dort, wo er im Alltag verwandt wird, verweist der Begriff auf Sexualität. In diesem Sinne ist ‚Geschlecht’ ein gefühlsmäßig hoch besetzter Begriff. Auch ‚Kampf’ ist ein emotional aufgeladener Begriff. Er verweist auf einen Konflikt, der gewaltsam ausgetragen wird. In letzter Konsequenz geht es um Leben und Tod. Die Selbstverständlichkeit, mit der von einem bestehendem ‚Geschlechterkampf’ ausgegangen wird, suggeriert, dass es ‚normal’ sei, sich in diesem Kampf zu positionieren. Der Kampf zwischen den Geschlechtern, in dem sich Frauen und Männern als feindliche Lager gegenüberstehen und der als Kampf um
149 Die Vorstellung von einer ‚feministischen Hegemonie’ wird später noch deutlicher werden.
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Gewinn und Verlust von Macht gedacht wird, ist die Folie, auf der Matussek das Handeln von Frauen und Männern interpretiert. Als Arena dieses Kampfes wird die Familie gesehen. Die Familie ist im Normalfall der soziale Raum, in den sich Individuen relativ geschützt sowohl in Beziehungen der Abhängigkeit und Bindung begeben können, als auch in ihren Autonomiepotenzialen gestützt werden. In dem Text wird Familie, spätestens im Moment des Auseinanderbrechens des familialen Gefüges, allein als Ort des Machtkalküls, des Kampfes, der Rivalität um das Kind dargestellt. Wie gezeigt, erfolgt diese Darstellung aus der Perspektive einer Kränkung über den Ausschluss aus der Mutter-Kind-Beziehung, die Väter durch ihre ehemaligen Partnerinnen erfahren haben. Aus diesem Blickwinkel heraus wird Abhängigkeit in Bindungen von Matussek nur noch als Ohnmacht gegenüber dem Anderen wahrgenommen, das Ringen um Autonomie als Ringen um Macht. Die aus dieser Wahrnehmung resultierende Heftigkeit erschwert es, eine Perspektive einzunehmen, in der Verantwortung für die Krisensituation thematisiert und damit auch Räume für eine Kommunikation und Kooperationsbeziehungen nach der Trennung eines Paares geschaffen werden könnten.150 Wie stark der ‚Geschlechterkampf’ mit Ohnmacht auf Seiten der Männer in Zusammenhang gebracht wird, wird in der Verbindung mit dem Begriffspaar ‚feministische Muttermacht’ besonders deutlich. Im Alltagsdenken wird ‚feministisch’ häufig sowohl mit männerverachtend als auch mit vermännlicht gleich gesetzt und mit Orientierung auf Berufsarbeit und Karriere statt Familie, mit Machtbewusstsein und emotionaler Kälte in Zusammenhang gebracht. ‚Muttermacht’ dagegen verweist zunächst auf Mutterschaft. Die Stereotype, die mit dem Ideal von Mutterschaft verbunden sind – Dasein für die Familie, Liebe und Fürsorge, emotionale Wärme – stehen konträr zu denen, die mit dem Wort ‚feministisch’ aufgerufen werden. Diese scheinbare Opposition löst sich auf durch das Wort ‚Macht’, das in ‚Muttermacht’ enthalten ist. ‚Macht’ ist ein Begriff, der alltagssprachlich eher mit als ‚männlich’ verstandenen Fähigkeiten, Tätigkeiten und Kontexten assoziiert wird, was dann auch zu den mit ‚feministisch’ verbundenen Stereotypen passt. Bei ‚Muttermacht’ handelt es sich um einen alltagssprachlich selten verwandten, fast tabuisierten Begriff. Er scheint sich dem gängigen Katalog mütterlicher Eigenschaften nicht zu fügen. Gleichwohl ruft ‚Muttermacht’ eine Fülle von Assoziatio-
150 Wahrscheinlich gilt dies ebenso für viele Frauen und ihr Verhalten Männern gegenüber.
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nen und archaisch anmutenden Bildern hervor, die kulturell tradiert und heute, untrennbar verbunden mit psychoanalytischen Deutungen dieser Bilder, Teil unseres Alltagswissens sind: die omnipotente, überwältigende und kastrierende Mutter. Mit der Wortschöpfung ‚feministische Muttermacht’ wird die Mutter also mit einem großen Machtpotential ausgestattet. Nicht nur, dass damit auf die herkömmlichen, eher negativ besetzten Vorstellungen von weiblicher Macht rekurriert wird. Zugleich werden Müttern und allgemein Frauen mit dem Rekurs auf das Substereotyp151 ‚Feministin’ (vgl. Eckes 1997, 80ff) hier auch männlich konnotierte Attribute der Macht zugesprochen. Bei genauerer Betrachtung wird also deutlich, dass in dem Text für die nähere Bestimmung von ‚Mutter’ sehr bedrohlich erscheinende Attribute verwandt werden: die feministische, emotionslose, konkurrierende, berechnende und die mächtige, verschlingende, überschwängliche, irrationale Mutter. Vorstellungen von der kalten, rationalen, instrumentellen Frau und der irrationalen, unberechenbaren werden so miteinander verknüpft und in dem Deutungsmuster der ‚allmächtigen Mutter’ amalgamiert. Das Bild einer guten, liebevollen, sorgenden Mutter hingegen verschwindet völlig. Ein Beispiel für die dadurch erzeugte Hermetik des negativen Bildes der übermächtigen Mutter, findet sich in der folgenden Passage, in der der Autor weiterhin das Schicksal von Herrn Gempp beschreibt:
151 Thomas Eckes (1997), differenziert aus der Perspektive der kognitiven Stereotypenforschung im Hinblick auf Geschlechterstereotype zwischen ‚Globalstereotypen’ und ‚Substereotypen’. Unter ‚Globalstereotypen’ versteht er die Merkmalszuschreibungen, die sich in der Gleichung „Frauen = expressiv, Männer = instrumentell“ bündeln lassen. Diese Merkmalsbündel, so Eckes, erweisen sich über die Zeit hinweg als sehr stabil und weisen zudem im Kulturvergleich eine hohe Invarianz auf. Nun werden die Geschlechter nach Eckes aber nicht nur durch die beiden Globalkategorien unterschieden, sondern sie werden auch in jeweils spezifischere Kategorien unterteilt, die den Globalstereotypen untergeordnet sind. Solche Substereotype sind in Bezug auf Frauen zum Beispiel die Feministin, die Karrierefrau, die Tussie, das Mauerblümchen etc., bei Männern der Softie, der Bürokrat, der Prolo etc. Ich nehme in meiner Arbeit weiter die offenere Perspektive kultureller Deutungsmuster ein, denke aber, dass über den Begriff der Substereotype gut verstanden werden kann, dass das Vorhandensein von im traditionellen Sinne eher männlich konnotierten Eigenschaften und Fähigkeiten bei Frauen in den Alltagswahrnehmungen nicht (nur) als irritierend erlebt, sondern als Teil eines bestimmten Musters (Substerotyps) z. B. ‚Karrierefrau’ wahrgenommen und damit als mit ‚weiblich’ vereinbar verstanden wird -–wenn auch zumeist negativ gewertet.
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„Seine Ex-Freundin lebt ihre Allmacht übers Kind, die ihr das geltende Familienrecht praktisch in die Hand drückt, als kindischen Machtrausch aus. Sie verlangt ihrem Ex-Partner Demut ab und nimmt ihn mit auf ihrer Höllenfahrt aus Rache und Gutwetterlaune, in irrationale Loopings, aus denen es kein Ausstieg gibt, solange er an seinen Kindern hängt und sie den goldenen Schlüssel zu ihnen verwaltet. Gempps Grundgefühl: das der kompletten Ohnmacht.“ (Matussek 1997, 91,Spalte 2)
In dieser Sequenz wird zunächst von einer uneingeschränkten Macht von Müttern über ihre Kinder ausgegangen, die ihnen durch das Recht gegeben sei. Mit diesem Verständnis wird mit dem in der bürgerlichen Gesellschaft herausgebildeten und bis heute noch wirksamen Deutungsmuster gebrochen, nach dem ein Kind von Natur aus vor allem zur Mutter gehört und diese auch weiß, was für das Kind am Besten ist.152 Die Macht der Mütter über ihre Kinder wird hier als eine sozial gegebene Macht gedacht, die Müttern von staatlicher Seite unter dem Einfluss von Feministinnen bekommen hätten, aber ihnen auch wieder genommen werden könnte. Dabei wird mit der Verwendung des Begriffs ‚Allmacht’ die Kritik deutlich, dass Mütter über diese Macht verfügen können, und der Appell, ihnen diese Macht zu entziehen oder sie zumindest einzuschränken. Thematisiert wird hier also nicht im engen Sinne die Machtausübung einer Mutter gegenüber ihrem Kind. Vielmehr wird der Vater des Kindes als derjenige dargestellt, der dadurch, dass die Mutter Macht über das Kind hat, zum Opfer der Mutter wird. Das Kind selbst verschwindet aus dem Blick. Ausgegangen wird von einem Machtkonflikt zwischen Müttern und Vätern um Entscheidungsbefugnisse und Rechte in Bezug auf die Kontrolle der generativen Reproduktion, in dem Väter sich Müttern unterlegen fühlen.153 Die Möglichkeiten der Verfügung über das Kind werden als zentraler Umschlagpunkt der Machtbeziehungen zwischen den Geschlechtern wahrgenommen.
152 In den vergangenen Jahrzehnten sind neben dieses in der bürgerlichen Gesellschaft dominante Deutungsmuster verstärkt auch andere getreten, die stärker den sozialen Charakter der Bindung betonen. Die Vorstellung einer naturgegebenen grundlegenden Bindung zwischen Mutter und Kind, die nicht von einer anderen Person ersetzt werden kann, ist aber n Deutschland vor allem in Bezug auf Kleinkinder noch wirksam. 153 In der von mir zu Grunde gelegten wissenssoziologischen Perspektive stellt sich die nahe liegende Frage, ob Frauen wirklich über die ihnen zugeschriebene Macht verfügen, nicht. Vielmehr geht es darum, welche Vorstellungen über Geschlechterbeziehungen und Differenzen zwischen den Geschlechtern mit dieser Deutung hervorgebracht werden und auf welche vorhandenen symbolischen Sinnwelten sich dabei bezogen wird.
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Die Macht von Müttern wird dabei als gefährlich und unmittelbar dargestellt: Matussek spricht von einem ‚kindischen Machtrausch’, dem der Vater ausgeliefert sei. Mit dem Wort ‚kindisch’ weist er Mütter in einen Bereich der Irrationalität und des Affekts, was durch das Wort ‚Rausch’ noch unterstrichen wird: In einem Rausch ist man sich seiner selbst nicht mehr sicher, kann seine Impulse und Affekte nicht mehr kontrollieren. Mütter bekämen demnach eine Macht übertragen, mit der sie nicht vernünftig umgehen könnten. Die in anderen Textstellen dominierende Konstruktion der Mutter als emotionslos und berechnend tritt dagegen zurück. Die Zuweisung bringt mit sich, dass Väter zugleich latent als das Gegenteil konstruiert werden, nämlich als rational, berechenbar, reif. Gerade dies scheint Väter gegenüber dem Irrationalen, Ungebändigten in eine unsichere Position zu bringen, macht sie aber auch zu denjenigen, die scheinbar besser in der Lage wären, souverän mit ihnen übertragener Macht umzugehen. In der betrachteten Passage wird also an traditionellen, dichotom konstruierten Stereotypen von Weiblichkeit und Männlichkeit festgehalten. Auffällig ist, dass jetzt in Bezug auf Frauen Stereotype verwandt werden, die eindeutig für ‚Weiblichkeit’ stehen, kulturell aber eher negativ bewertet sind. Dieses Bild der unberechenbaren, emotionsgesteuerten Frau wird jetzt verknüpft mit der Vorstellung einer instrumentell handelnden Mutter, die den ‚goldenen Schlüssel’ zum Kind ‚verwaltet’. Der Vater wird in Relation zur instrumentellen Mutter als der dem Kind emotional zugewandte, aber ohnmächtige Elternteil konstruiert. In Relation zur emotionalen, unbeherrschten Mutter erscheint er durch seine ‚Vernunft’ und ‚Reife’ besser dazu geeignet, Macht auszuüben. Klarer noch als bei der Interpretation der Überschrift zeigt sich, dass hier ein Mutterbild konstruiert und verallgemeinert wird, das geradezu die Kehrseite des herkömmlichen Ideals der Mutter als liebevoller, fürsorglicher Frau bildet und das kritisiert und abgelehnt wird. Dies geschieht, indem sowohl auf eine kulturell eher negativ bewertete Seite von ‚Weiblichkeit’ zurückgegriffen wird, als auch auf eher männlich konnotierte Eigenschaftszuschreibungen, die in Bezug auf Frauen kulturell ebenfalls negativ gewertet werden154.
154 Diese Zuschreibungen aus dem Repertoire von Männlichkeit werden kulturell – je nach sozialem Kontext – auch in Bezug auf Männer nicht unbedingt positiv gewertet. So gilt zwar die Verbindung von Männlichkeit und Macht bzw. Stärke generell eher als positiv. Zweckrationales, instrumentelles Handeln dagegen wird nur in bestimmten sozialen Räu-
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4.1.2.2 Differenzierungen zwischen Frauen: Feministinnen, Klammermütter und Supermütter Gehen wir der Frage nach, ob und in welchem Ausmaß in den analysierten Texten eine Umschrift von Vorstellungen von Weiblichkeit bzw. Mütterlichkeit erfolgt, geraten dort neben dem dominanten Deutungsmuster der ‚allmächtigen Mutter’ auch Unterscheidungen zwischen verschiedenen Gruppen von Frauen in den Blick. Zugleich können Vorstellungen von Mutterschaft herausgearbeitet werden, die sich als ein positiv gewerteter Gegenentwurf zur ‚allmächtigen Mutter’ verstehen lassen. Diesen Differenzierungen zwischen Frauen, welche die Vorstellung mütterlicher Allmacht sowohl relativieren als auch bestätigen, gehe ich im Folgenden nach. Dabei greife ich aus den zitierten Passagen einzelne Aspekte besonders heraus. Eine erste Differenzierung führt Matussek ungefähr in der Mitte des Artikels ein. Zuvor wurde von ihm weiterhin die ‚Skrupellosigkeit’ von Müttern im „Löwinnenkampf ums Kind“ (Matussek 1997, 96, Spalte 3) herausgestellt sowie die in seiner Perspektive einseitige Rechtspraxis verurteilt, welche solche Mütter unterstützt. Hatte Matussek im Titel programmatisch mit der Wortkombination ‚feministische Muttermacht’ das Handeln von Müttern als gleichsinnig mit dem von Feministinnen interpretiert, unterscheidet er nun zwischen Müttern und Feministinnen: „Es ist ein Kontrollwunsch [der Mütter, A.W.] der sich aus der Angst speist, das Kind könne sich dem Vater zuwenden und die Existenzgrundlage gefährden. Und er äußert sich in einem kalkuliert aufgerührten „Mutterkult“, der die feministischen Kritikerinnen der ersten Stunde auf die Palme bringt. Haben sie nicht gekämpft gegen das ‘reaktionäre’ Muttergebrumme und für eine gerechte Verteilung der Erziehungslasten? Haben sie nicht gestritten für die Freistellung von Kindern und Küche, um eigene Karrieren verfolgen zu können?“ (Matussek 1997, 98, Spalte 2)
Die sich durch den ganzen Text hindurch stetig wiederholende Aussage, Mütter instrumentalisierten ihre Kinder, um ihre Existenzgrundlage über den Unterhalt des früheren Ehemannes zu sichern, bildet die Grundaussage des ersten Absatzes. Um ihre Interessen gesellschaftlich durchzusetzen,
men, z. B. der Geldwirtschaft positiv anerkannt. Der zweckrationale Mann ist in gewisser Weise die schon etwas verdrehte Variante des Ideals des vernünftigen, sachlichen, selbstbeherrschten Mannes. Dies gilt insbesondere für den Mann als Vater.
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so ergänzt Matussek, würden Mütter einen ‚kalkuliert aufgerührten Mutterkult’ betreiben.155 ‚Mutterkult’ lässt sich verstehen als eine übertriebene Verehrung, eine Überhöhung von Müttern. Diese übertriebene Mutterverehrung würde nach Matussek von Müttern bewusst herbeigeführt. Das Wort ‚aufgerührt’ wird alltagssprachlich verwandt, wenn etwas Altes, Früheres, das sich in einem Zustand der Ruhe befindet, wieder in Bewegung gebracht wird. Eine alte Geschichte, frühere Gefühle werden wieder ‚aufgerührt’. Wenn ein Mutterkult ‚aufgerührt’ wird, wird also auf etwas Vergangenes zurückgegriffen. In der jüngeren deutschen Geschichte lässt sich der Begriff ‚Mutterkult’ vor allem assoziieren mit der Idealisierung von Mutterschaft, die mit der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft einherging156. Weist ‚Mutterkult’ auf den Umgang mit Mutterschaft, wie er bis in die 60er Jahre in Deutschland vorherrschend war, rückt mit der Rede von ‚reaktionärem Muttergebrumme’, gegen das sich ‚Feministinnen der ersten Stunde’, also Feministinnen in den 70er Jahren, gewandt haben, eine anderer Zeitraum in den Blick. Das Wort ‚reaktionär’ verweist auf ‚Reaktion’. ‚Reaktion’ verweist auf eine politische Haltung, die historisch überholte und überwundene soziale Zustände wieder herstellen möchte und sich gegen revolutionäre Bewegungen und soziale Neuerung wehrt, weil sie die Verhältnisse in der Vergangenheit positiver bewertet.157 Als ‚reaktionäres Muttergebrumme’ lassen sich in den 70er Jahren die Versuche konservativer politischer Kräfte verstehen, den emanzipativen Vorstellungen der 68er-Bewegung und vor allem der Frauenbewegung bürgerlich-traditionelle Konzeptionen von Mutterschaft entgegen zu stellen, welche in den 50er Jahren den normativen Rahmen bildeten und die wesentlich von der Alleinzuständigkeit der Mutter für Kindererziehung und Haushaltsführung ausgehen. Heute seien es die Mütter selber, die das ‚reaktionäre Muttergebrumme’ wieder aufrührten und auf traditionelle Werte zurückgreifen würden, indem sie ‚Mütterlichkeit’ als etwas Besonderes propagierten und Väter aus der Familie ausschließen würden. Hiermit grenzt sich Matussek gegen Vorwürfe von Feministinnen gegenüber Vätern, die um ihr Sorgerecht kämpfen, ab. Die feministische Klage, dass
155 Hinter dieser Argumentation wird allerdings noch ein weiteres, den Müttern zugeschriebenes Motiv sichtbar: Konkurrenz mit dem Vater um die emotionale Bindung des Kindes. Hier geht es dann nicht mehr um materielle Interessen, sondern die Bindung zum Kind wird eigenständiger ‚Wert’ betrachtet, um den Mütter mit Vätern konkurrieren müssen. 156 Auch mit dem nationalsozialistischen Mutterbild – eine Assoziation, die dem Vorwurf einen ‚Mutterkult’ zu betreiben, noch eine andere Schärfe gibt. 157 Vgl. Beck (1977).
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diese Väter zurück zu früheren, eindeutig patriarchalen Verhältnissen wollten158 wendet er gegen die Mütter und Frauen selbst: Sie seien die wirklichen Reaktionäre, insofern sie eine neue Mütterlichkeit zelebrierten und für Veränderungen der Geschlechterordnung nicht offen seien. Dieses Umdrehen von Vorwürfen, die in den gesellschaftlichen Diskursen über Geschlechtergleichheit von Feministinnen gegenüber Männern erhoben werden, ist eine Argumentationsstrategie Matusseks, die in seinen Texten immer wieder auftaucht. Dabei nutzt er Ambivalenzen innerhalb der feministischen Diskurse selbst und greift selektiv die Aspekte heraus, die in seine Argumentation passen. Indem er sich auf einzelne Stimmen bezieht, sie aus ihrem Kontext löst und für den ganzen feministischen Diskurs ausgibt, kommt es zu einer eingeengten Darstellung von Positionen von Feministinnen. In der Ablehnung bürgerlich-traditioneller Vorstellungen von Mutterschaft zeigt Matussek allerdings überraschend einen Schulterschluss mit feministischen Positionen. Jedem Denken einer Besonderung und Überhöhung von Mutterschaft erteilt er eine Absage. Feministinnen nimmt er nun als Gewährsfrauen, um gegen Mütter zu argumentieren, die sich, in seiner Sicht, die Aufgaben der Kindererziehung mit ihren ehemaligen Partnern nicht teilen wollten. Er bezieht sich auf einen von Feministinnen artikulierten Gleichheitsanspruch, wonach die Erziehungsarbeit gerecht zwischen Frauen und Männern verteilt werden sollte und auch Frauen für eine mögliche Karriere von der Erziehungs- und Hausarbeit freigestellt werden sollten. Damit scheint die Möglichkeit eines politischen Bündnisses auf: Eines Bündnisses zwischen Vätern, die für ihre Kinder Sorge tragen wollen, und Feministinnen, die für die Gleichverteilung von Arbeit und Anerkennung zwischen den Geschlechtern kämpfen. In dem polemischen Ton der Passage sowie ihrer inhaltlich singulären Stellung im Gesamttext deutet sich jedoch an, dass eine Orientierung an Geschlechtergleichheit in der von Matussek eingenommenen Perspektive kaum möglich ist. Vielmehr zeigt sich in seinen Texten insgesamt eine widersprüchliche Orientierung am Gleichheitsgedanken: Einerseits haben in der Wahrnehmung Matusseks Forderungen nach Geschlechtergleichheit bislang einseitig nur die soziale und rechtliche Position von Frauen gestärkt und damit Männer in eine ohnmächtige Position gegenüber Frauen gebracht. Andererseits kommt er aufgrund der familienrechtlichen Bestimmungen nicht umhin, auf den Gleichheitsgedanken Bezug 158 Vgl. hierzu z. B. Beiträge aus der Zeitschrift „Streit“.
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zu nehmen, wenn er dafür eintritt, die soziale und vor allem die rechtliche Position von Vätern zu stärken. Sein Umgang mit diesem Konflikt besteht darin, rhetorisch Gleichheitsforderungen zu stellen, diese dann aber zeitlich und räumlich gleich wieder einzuschränken. Sie werden begrenzt auf die Privatsphäre, dort auf den Umgang mit dem Kind und vor allem auf die Zeit nach der Trennung einer Paarbeziehung. Die Zeit vor einer Trennung wird unter dem Aspekt Geschlechtergleichheit von Matussek nicht thematisiert und ist auch in dem gesamten Teildiskurs der ‚kämpfenden Väter’ kein Thema. Es geht also im Wesentlichen darum, gleiche Rechte auf die Sorge für das Kind einzuklagen und Bedingungen zu schaffen, in denen getrennt lebende Frauen für ihren Unterhalt alleine aufkommen können. Vor diesem Hintergrund entsteht der Eindruck, dass die Bezugnahme auf Gleichheit, und damit auch die positive Anerkennung der Haltung von Feministinnen, eher instrumentell erfolgt. Die kurz eingeführte Differenzierung zwischen Müttern, die in einer Differenz betonenden Perspektive Mutterschaft überhöhen, und Feministinnen, die für Geschlechtergleichheit in allen sozialen Bereichen eintreten, sowie die partielle Annäherung an politische Positionen dieser Gruppe, dienen daher eher der Legitimation der eigenen Argumentation als einer Einschränkung des Geschlechterkampf-Gedankens. Dennoch ist die von Matussek – wenn auch nur vorübergehend – getroffene Trennung zwischen ‚allmächtigen Müttern’ und Feministinnen wichtig, weil sie einen Berührungspunkt aufzeigt, der eine Basis für Veränderungen in Richtung von mehr Geschlechtergleichheit bilden könnte, die von beiden Ge-schlechtern getragen werden: das Interesse an einem größeren Engagement von Vätern für ihre Kinder und die Ablehnung einer Besonderung und Überhöhung von Mutterschaft. In dem direkt an die eben diskutierte Passage anschließenden Text differenziert Matussek weiter zwischen Feministinnen und emanzipierten Müttern einerseits und anderen Müttern. Die Vorstellung einer ‚Allmacht’ von Müttern wird dabei von Matussek noch weiter relativiert, indem er die Motive von Müttern unterscheidet, die in seiner Sicht ihre ‚Macht’ skrupellos nutzen. Im ‚Windschatten’ emanzipierter Mütter, so Matussek, machten sich „(...) die Heulsusen der Spaßgesellschaft breit (...), für die Muttermacht ein teils lebensängstlich, teils zynisch genutztes goldenes Ticket geworden ist.“ (Matussek 1997, 98, Spalte 1+2)
Demnach seien die ‚bösen’ Mütter die aus Geldgier, Rache und Verach146
tung ihre ehemaligen Partner aus der Familie, dem Umgang mit dem gemeinsamen Kind ausschließen, nicht nur stark und übermächtig, sondern teilweise einfach zu ängstlich, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Sie wollten weiterhin von ihrem ehemaligen Partner versorgt werden. Das Wort ‚Spaßgesellschaft’ unterstreicht das von ihm unterstellte Interesse dieser Frauen, nicht für ihren Lebensunterhalt arbeiten zu wollen, sondern egozentrisch nur an ihrem Vergnügen interessiert zu sein. Mit dem Wort ‚Heulsuse’ wird darüber hinaus das Bild einer jammernden, weinerlichen Frau gezeichnet, die sich nichts zutraut und auf den Stand eines kleinen Mädchens regrediert. Diese Frauen, so die Botschaft von Matussek, wollen sich gar nicht emanzipieren. ‚Emanzipation’ diene ihnen nur als Legitimation für die eigene Bequemlichkeit und ihrer Weigerung, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen.159 ‚Feministinnen der ersten Stunde’ haben da in Matusseks Sicht scheinbar ein anderes Emanzipationsverständnis vertreten, da sie zumindest die Verantwortung für ihr Leben tragen. Allerdings sind Feministinnen weit davon entfernt, für kämpfende Väter als ‚positives’ Frauenbild dienen zu können. Vielmehr, wie deutlich wurde, dient der plötzlich positive Rekurs auf diese Gruppe von Frauen eher dazu, Inkonsistenzen im Diskurs der ‚Gegnerinnen’ aufzuzeigen, diese zu diskreditieren und zugleich die eigene Position inhaltlich untermauern zu können. Dieser Umgang mit der Bezugnahme auf feministische Positionen und Unterscheidungen zwischen Frauen wird im folgenden Absatz besonders deutlich: „Auch die jungen Klammermütter sind zum großen Teil Opfer. Sie sind Gefangene des Systems, Geiseln eines ideologischen Trends, Verführte im falschen Sirenengesang des Scheidungsrechts. Sie sind eingebettet in eine florierende Beratungsindustrie von Frauenbüros und Frauenbeauftragten. Sie verlieren ihre eigene Sprache in der funkelnden Egoismus-Theologie von Modetherapeuten und der eingeschliffenen Kampfmechanik von Anwälten, Rächerinnen und Leidenden, die ihren Verzicht auf Ausgrenzung und Drangsalierung des Mannes als Verrat an der eigenen ‘Emanzipation’ brandmarken würden.“ (Matussek 1997, 102, Spalte 1)
159 So schreibt er auch an anderer Stelle: „Dreißig Jahre Frauenbewegung haben nicht die Emanzipation gefördert, sondern vielfach zu einer schmollenden Infantilisierung geführt.“ (Matussek 1998, 108)
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Hat Matussek die Mütter der jüngeren Generation als Angehörige der Spaßgeneration bezeichnet, die ihren Egoismus unter dem Deckmantel einer neuen Mütterlichkeit auslebten, und Feministinnen positiv dagegen abgegrenzt, weil sie diese Vorstellungen von Mütterlichkeit nicht teilten, dreht er jetzt dieses Bild wieder um. Danach seien nicht nur Väter Opfer, auch junge Mütter, die ‚Heulsusen der Spaßgesellschaft’ seien eigentlich hilflos. Sie hingen in den Beratungs-Netzen von frustrierten, sich an Männern rächenden Frauen, Feministinnen und Frauenbeauftragten, die große Macht zu haben scheinen: Sie bringen nach Matussek junge Mütter dazu, ihren früheren Partner auszugrenzen und zu drangsalieren und dies als ‚Emanzipation’ zu verstehen. Matussek skizziert hier eine kulturelle Hegemonie von Feministinnen, die sich nicht nur gegenüber Männern zeige, sondern auch innerhalb der Gruppe von Frauen wirksam sei. Die hier dargestellten ‚jungen Mütter’ erscheinen gegenüber Feministinnen völlig unerfahren, hilflos und manipulierbar. Die Bezeichnung als ‚Klammermütter’ lässt sich in zwei Richtungen interpretieren: Zum einen kann man an Mütter denken, die sich an ihre Kinder klammern, diese als Stütze ihrer sonst schwachen Identität benutzen. Zum anderen könnten ‚Klammermütter’ auch junge Mütter sein, die sich wie Kleinkinder, an Ratschläge und Vorstellungen von anderen Frauen „klammern“, weil sie selbst zu unsicher sind. Beiden Perspektiven ist gemeinsam, dass diese jungen Mütter als infantil dargestellt werden, als Frauen, die über eine unsichere Identität verfügen, welche sie zu stabilisieren versuchen, indem sie ihre Identität als Mutter überbetonen. Dass sich Mütter so verhalten, hat nach Matussek mit dem Handeln von Männern nichts zu tun, sondern sei wesentlich auf ihre Abhängigkeit gegenüber der relativ kleinen, aber übermächtig wirkenden Gruppe der Feministinnen zurückzuführen. Dieser Gruppe wird ein so großer gesellschaftlicher Einfluss zugesprochen, dass sie es mit Hilfe des Scheidungsrechtes schaffe, eigentlich Versöhnung suchende Frauen nur noch egoistisch handeln zu lassen. Mal sind es egozentrische junge Frauen, die aus reiner Bequemlichkeit einen ‚Mutterkult’ betreiben, von dem sich gestandene Feministinnen abgrenzen. Mal sind es junge, unsichere Mütter, die von Feministinnen zu egoistischem Handeln verführt werden. Matussek legt sich hier nicht fest. Die offenen Widersprüche bei den Schuldzuschreibungen an Frauen schaffen den Eindruck, Matussek reflektiere die der Alltagserfahrung offenkundigen Differenzen zwischen Frauen. Zugleich aber konzipiert er Frauen als nahezu monolithischen Block unter der Hegemonie von Feministinnen, der sich gegen die Interessen von Männern und insbesondere Vätern wendet. Dabei verwendet Matussek eine Rhetorik, die es mit sich 148
bringt, dass nach der Beteiligung von Männern nicht gefragt wird: nach der Beteiligung von Männern als einer in sich ebenfalls heterogenen sozialen Gruppe, die in spezifische Arbeitsteilungsstrukturen, Strukturen der Über- und Unterordnung involviert ist, und von konkreten Männern, die als Partner von Frauen am Konfliktgeschehen in der Familie beteiligt sind. Frauen werden als kleine Kinder dargestellt, welche die Konsequenzen ihrer Handlungen noch nicht selbst bedenken können. Sie seien unsicher und nicht zur Übernahme ihrer Verantwortung bereit: den Erhalt der Familie oder zumindest den Erhalt einer familialen Struktur durch das praktizierte gemeinsame Sorgerecht. Matussek knüpft mit diesen Bildern wieder an traditionelle Weiblichkeitsklischees an. Wenn junge Mütter derartig verunsichert sind, brauchen sie auch nicht ernst genommen zu werden in ihren Artikulationen. Durch eine Inszenierung, die sich das Klischee weiblicher Konkurrenz zu Nutze macht, dividiert Matussek hier Frauen auseinander und wertet einen Teil der Frauen als infantil und verführbar ab, während er einem anderen, Feministinnen, die kulturelle Hegemonie zuspricht und sie als ‚allmächtig’ zeichnet. Der Feminismus habe mit Unterstützung der durch ihn beeinflussten Institutionen junge Frauen ‚verdorben’ und verhindert, dass diese ihre Verantwortung zum Erhalt der Familie tragen. Obgleich die bisher erfolgten Zuschreibungen von Weiblichkeit und Mutterschaft nur negativ bestimmt waren, kristallisiert sich ex negativo ein positives Mutterbild heraus. Dieses lässt sich exemplarisch an Matusseks Darstellung der Buchautorin Karin Jäckel herausarbeiten. Karin Jäckel ist eine erfolgreiche Autorin, die in den vergangenen Jahren auch mehrere Bücher über Väter im Trennungskonflikt verfasst hat160, welche aus der Perspektive von Vätern geschrieben sind. Welches Bild zeichnet Matussek nun von dieser Frau?
160 Ihr erstes Buch zu diesem Thema lautet: „Der gebrauchte Mann. Abgeliebt und abgezockt – Väter nach der Trennung“ (1997). Danach erschienen weitere Publikationen, in denen Jäckel sich als Anwältin von Vätern versteht: „Mein Kind gehört auch zu mir. Handbuch für Väter nach der Trennung“ (1999); „Ein Vater gibt nicht auf. Die Geschichte eines gebrauchten Mannes“ (2001); „Der kleine Väterberater“ (2003). Bereits die Titel lassen erahnen, dass die Argumentation der Bücher der von Matussek sehr nah ist. Dies spricht dafür, dass die hier herausgearbeiteten Deutungsmuster und Argumentationsfiguren nicht geschlechtsgebunden und über die im engen Sinne betroffenen Väter hinaus weiter verbreitet sind.
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„Karin Jäckel ist eine starke Frau, in jeder Hinsicht. Sie hat drei Kinder großgezogen, 60 Bücher verfaßt und einen Mann, den sie noch nach 25 Ehejahren zu Liebesgedichten inspiriert. Sie ist opulent, eine Zigeunerin in der braven Provinz von Oberkirch, ein kreatives Kraftwerk mit schweren Granatringen und rasselnden Goldarmbändern und einem Hang zur Bauernkeramik. An ihrem Arbeitszimmer hängt das Schild ‘Schuld abladen verboten’. Seit 25 Jahren verheiratet? Was ist da faul? ‘Ehe ist Arbeit’, sagt sie trocken, ‘aber eine, die sich lohnen kann.’ Die Familie ist so gut eingespielt, daß Karin Jäckel mehrere Stunden am Tag Zeit für ihre schriftstellerische Arbeit findet.“ (Matussek 1997, 104, Spalte 3)
Matussek entwirft das Bild einer Frau, die es in seiner Perspektive richtig macht: Sie hat drei Kinder großgezogen, sie ist eine sehr erfolgreiche Berufsfrau und sie ist noch immer attraktive Geliebte für ihren Mann. Kurz, eine ideale Frau. Die Metapher einer „Zigeunerin in der Provinz“ provoziert jedoch so ziemlich das Gegenbild zur Karrierefrau in Kostüm und Stöckelschuh, aber auch zur biederen Hausfrau und Mutter. Die als „opulente Zigeunerin“ dargestellte Frau wird hierdurch vielmehr exotisiert, sexualisiert und als sinnlich-starke Frau und Mutter zwar auf-, in ihrer intellektuellen Potenz jedoch zugleich auch auf subtile Weise abgewertet. Die Exotisierung durch die Metapher der „Zigeunerin“ kennzeichnet diese Frau als Besondere, Andere gegenüber dem Mann und betont damit die Geschlechterdifferenz, wobei sie als Unterlegene gedacht ist.161 Selbst die in seiner Perspektive äußerst positiv gedachte Frau, die sogar konkret auf dem Gebiet der Veröffentlichungen viel Gemeinsamkeiten mit ihm hat, wird von Matussek nicht als gleichrangig beschrieben. Die Konkurrenz mit Frauen scheint eine Betonung von Differenz und die Bezugnahme auf klassische Weiblichkeitsstereotype selbst da noch hervorzutreiben, wo eine „Verschwisterung“ im Geiste ungebrochen möglich wäre. Das Bild, das Matussek hier zeichnet, ist also nicht das der beruflich erfolgreichen Superfrau, die morgens ins Büro geht, mittags nach Hause hetzt, Tagesmutter und Putzfrau hat, um alles zu bewältigen. Sondern es ist eher das Bild einer starken ‚Supermutter’, die sich allen Schicksals-
161 Knapp (1987) spricht in ihrer Auseinandersetzung mit Prozessen der Stereotypisierung davon, dass Weiblichkeitsstereotype in allen sozialen Bereichen, in denen über Macht und den Zugang zu Ressourcen entschieden wird, eine Doppelfunktion haben: „vereinnehmende Unterwerfung von Frauen (als inhaltlich besetztes ‚Zeichen’, auf das angespielt, über das verbrüdert wird) und Ausgrenzung bzw. Stauszuweisung von Frauen über die vertrackte Trias als das ‚Besondere-Mindere-Andere’.“ (Knapp 1987, 257) Auch Matussek bedient sich hier dieses Mechanismus der Abwertung und Differenzsetzung.
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schlägen stellen kann, die ihre Familie immer schützen kann, immer da ist ohne zu ‚übermuttern’, ihren Mann sexuell stimuliert, nebenbei beruflich noch höchst erfolgreich ist und, als ‚Zigeunerin in der Provinz’ allen Anfeindungen gewappnet ist. Obgleich Matussek sie vor allem als sinnlichlebendige Frau und Mutter zeichnet, ist es nicht die Emotionalität, die hier in den Mittelpunkt gestellt wird. In Abgrenzung zu den ‚jungen Müttern’, die nicht durchhalten würden, die es bequem wollten in der Partnerschaft, zitiert er Karin Jäckel: ‚Ehe ist Arbeit’. Mit dieser hier positiv gewerteten Einstellung zur Ehe und Partnerschaft, wird einerseits antizipiert, dass es heute nicht selbstverständlich ist, dass Paarbeziehungen Jahrzehnte überdauern. Andererseits wird die Möglichkeit einer zeitlichen Begrenztheit der Partnerschaft nicht akzeptiert. Eine Trennung wird als unreif, launenhaft, unverantwortlich und pubertär angesehen – und als vermeidbar, wenn man bereit ist, ‚Arbeit’ zu investieren. Was ‚Arbeit’ in diesem Kontext meint, bleibt allerdings verschwommen. Andere Textstellen vermitteln einen Eindruck, in welche Richtung der Arbeitsbegriff hier zielen könnte. Die Welt, so schreibt Matussek zum Schluss seines Artikels, braucht „reife Partner, die kapieren, dass Frustration und Streit zum Leben gehören – und die Beständigkeit, sie auszutragen, zur Liebe, zur Ehe – und erst recht zur Familie.“ (Matussek 1997, 107, Spalte 3)
Vor dem Hintergrund, dass die Beteiligung von Männern an Konflikten innerhalb der Familie in dem gesamten Text ausgeblendet und junge Mütter ausdrücklich als unreif und nicht konfliktfähig bezeichnet wurden, lässt sich der an beide Partner gerichtete Appell, Konflikte auszutragen, sich als ‚reife’, erwachsene Menschen zu verhalten, letztlich als einseitige Aufforderung an Mütter verstehen. Die Welt in seiner Perspektive braucht vor allem andere, ‚neue’ Frauen und Mütter. Mütter, die den Herausforderungen der Modernisierung etwas entgegen setzen und die Familie vor dem Zusammenbrechen bewahren. Betrachten wir Matusseks Beschreibung der Autorin Jäckel weiter, dann wird noch deutlicher, welche Art Mütter er als positiven Entwurf im Sinn hat: Zunächst spricht er davon, dass es Karin Jäckel war, die ihre ‚Kinder großgezogen’ hat. Der Vater, dessen Ausgrenzung Matussek allgemein kritisiert, kommt in seinen eigenen Formulierungen nicht vor. So könnte es zum Beispiel auch heißen: ‚Zusammen mit ihrem Mann hat sie drei Kinder großgezogen.’ Ob sich der Vater Jäckel nun real beteiligt hat oder nicht, deutlich wird, dass hier die Erziehung der Kinder in der 151
bestehenden Familie vorrangig als Aufgabe der Mutter betrachtet, und dies auch als selbstverständlich dargestellt wird. Auch daran, dass die Familie schon ‚gut eingespielt’ sein muss, damit Karin Jäckel einige Stunden am Tag ‚Zeit findet’ für ihre schriftstellerische Tätigkeit, wird deutlich, dass es für Matussek eigentlich die Frau ist, die für die familialen Aufgaben zuständig ist. Sie soll es schaffen, sich Zeit für ihre Erwerbstätigkeit abzuzwacken, indem sie die anderen Familienmitglieder einbezieht. Matussek affirmiert damit eine klassische geschlechtliche Arbeitsteilung in der Familie, wobei in dem konkreten Fall dunkel bleibt, welche familialen und außerfamilialen Tätigkeiten von dem Vater ausgeführt wurden. Aber auch, wenn der Mann sich an der familialen Arbeit beteiligt: Die zentrale Zuständigkeit der Frau für die Familie wird von Matussek nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil, diese Form des Zusammenlebens wird von ihm als positives Modell formuliert. Das Beispiel Karin Jäckel zeigt ja: Wenn eine Frau wirklich will, wenn sie nicht zu bequem ist, dann lassen sich die Zuständigkeit für die Familie, das Großziehen von drei Kindern und kreative Erwerbsarbeit durchaus vereinbaren. Frauen sollen sich wieder auf ihre Verantwortung für die Familie besinnen und nicht gleich weglaufen, wenn es schwierig wird mit den verschiedenen Ansprüchen – so Matusseks klare Botschaft. Bevor ich resümierend die vorgefundenen Ausdeutungen von Weiblichkeit und Mutterschaft diskutiere, möchte ich mich den im Text entworfenen Vorstellungen von Männlichkeit und Vaterschaft zuwenden.
4.1.2.3 Väter als Opfer im Geschlechterkampf Väter, so zeigte sich bereits im ersten Abschnitt, werden von Matussek wesentlich als Opfer im Geschlechterkampf betrachtet. Als Opfer übermächtiger Mütter, denen sie mehr oder weniger hilflos ausgeliefert seien, wobei die Kontrolle über die Generativität, die durch die Verfügung über die Sorge- und Umgangsrechte für das Kind zum Ausdruck käme, als Scharnier der Machtverteilung zwischen den Geschlechtern verstanden wird. Im Folgenden gehe ich der Konstruktion des Vaters als ohnmächtiges ‚Opfer’ genauer nach. In diesem Konstruktionsprozess spielen Körpermetaphern eine wichtige Rolle. Ich beginne mit einer ausführlicheren Interpretation und konzentriere mich dabei auf den ersten Absatz des DER SPIEGEL-Artikels, der für die Konstruktion des Vaters als Opfer zentral ist. Der erste unvermittelt in das Thema springende Satz des Artikels lautet: 152
„Am vierten Tag des Hungerstreiks vor dem Kreuzberger Familiengericht kommt der erwartete Zusammenbruch.“ (Matussek 1997, 90, Spalte 1)
Hungerstreik ist ein politisches Mittel der Ohnmacht, in der die einzige Macht, die man noch hat – die Kontrolle und Verfügung über das eigene Leben – eingesetzt wird, um die Entscheidung von Verantwortungsträgern in Institutionen zu beeinflussen. Hungerstreik wird als Mittel des Protestes gewählt, wenn keine anderen Handlungsspielräume mehr vorhanden sind, bekanntermaßen z. B. im Gefängnis. ‚Hungerstreik’ verweist also auf einen dramatischen, existentiellen Vorgang. Die Verbindung eines Hungerstreiks mit dem Ort des Familiengerichtes irritiert daher. In einer westlichen Industriegesellschaft ist ein Familiengericht nicht der Ort, von dem man annimmt, dass Menschen dort in ihrer Existenz bedroht sein könnten oder an dem ihre Handlungsspielräume extrem eingeschränkt werden162. Es ist auch keine Institution, die Sanktionen aufheben könnte. Im Gegenteil, wenn es nicht um das Kindeswohl geht, schreitet das Familiengericht nur ein, wenn es von mindestens einer der streitenden Parteien angerufen wird. Der Anlass des Hungerstreiks, über den im Text berichtet wird, erscheint also zunächst offen. Bezieht man das bereits gewonnene Kontextwissen mit ein, lässt sich annehmen, dass hier der Hungerstreik eines Vaters beschrieben wird, der gegen das von ihm erlebte Unrecht der Einschränkung oder des Verlusts seines Sorge- oder Umgangsrechts im Zusammenhang einer Trennung von der Mutter der gemeinsamen Kinder kämpft. Mit dem öffentlichen Kampf um das Sorgerecht werden von Vätern zugleich auch intime Beziehungen politisiert. In dieser Politisierung des Privaten zeigen sich Nähen zur Frauenbewegung. Ich komme darauf zurück. Hungerstreik ist allerdings ein selbstdestruktives politisches Mittel und übt in demokratischen Gesellschaften einen enormen Druck aus, der von den Akteuren strategisch genutzt wird. Die Äußerung, bereits nach vier Tagen des Hungerstreiks sei ein Zusammenbruch des Akteurs nicht nur zu erwarten, sondern träte auch ein, spricht dafür, dass es sich bei dem beschriebenen Hungerstreik eher um eine Inszenierung handelt, mit der die Ohnmacht und der Opferstatus der ‚Streikenden’ öffentlich gemacht werden soll. Diese von Matussek zugespitzte Darstellung des Mannes als Opfer wird in dem nächsten Satz noch weiter deutlich:
162 Z. B. durch Gefängnisstrafe, Abschiebung etc.
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„Dem Mann mit der Glatze wird schwarz vor den Augen, sein Blutdruck sackt ab, auf seiner Haut bilden sich Ausschläge, eine Welle der Verzweiflung schlägt über ihm zusammen.“ (Matussek 1997, 90, Spalte 1)
Der Opferstatus des Mannes wird hier über den Körper symbolisiert. Die Einführung des Satzes, ‚Mann mit der Glatze’, kommt dabei überraschend. Von den bisherigen Stichworten wie Hungerstreik, Familiengericht, Zusammenbruch ist diese erste Beschreibung der Person verwirrend, denn ‚Glatze’ scheint in diesem Zusammenhang keine wichtige Charakterisierung zu sein. Eine ‚Glatze’ ist in unserer Gesellschaft allerdings ein hochambivalentes Zeichen der Repräsentation von ‚Männlichkeit’. Von daher ist es interessant, sich den Bedeutungshof des Wortes genauer anzusehen: Kopf- und Barthaare werden in unserer und anderen Kulturen als Symbol von Stärke, Macht und Schönheit gesehen. Volles Haar ist an den jungen, starken und reproduktiven Körper gebunden. Während langes oder kunstvoll frisiertes Haar in unserer Kultur Weiblichkeit symbolisiert, ist volles Kopf- und Barthaar ein Zeichen für männliche (Körper)kraft, für Potenz und Regenerationsfähigkeit, für Virilität. Der Verlust des Haares wird denn auch gleichgesetzt mit einem Verlust der jugendlichen Kraft, einem Nachlassen der Potenz. Zugleich ist aber die Glatze von Männern auch ein wesentliches körperliches Unterscheidungsmerkmal zwischen den Geschlechtern und markiert damit Männlichkeit. Aktuell bekommt die ‚Glatze’ vor allem bezüglich neonazistischer Skins größere Aufmerksamkeit. Neben der Skin- und rechten Bewegung, in der die Glatze freiwillig getragen wird, ist das Abrasieren der Haare auch Kennzeichen von absoluten Institutionen wie dem Militär oder Gefängnis. Dabei ist die rasierte Glatze verbunden mit Demütigung, Unterordnung und Vereinheitlichung. Die Glatze hat im Militär, aber auch in der Skin-Kultur, allerdings eine eigenartige Ambivalenz: Einerseits symbolisiert der radikale Kurzhaarschnitt die Unterwerfung unter die Gruppe, indem ein Stück Individualität aufgegeben wird. Damit werden auch bestimmte Zuschreibungen von Männlichkeit in Frage gestellt: Beschädigt werden vor allem Vorstellungen männlicher Autonomie. Andererseits wird sie selbst zum Männlichkeitssymbol, das für Entschlossenheit und Kampfkraft steht163. Der Verlust der Haare als Zeichen von Männlichkeit wird durch die Betonung von männlicher Kraft durch Körperkultur, Klei-
163 Vgl. Burkart (2000), 76ff.
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dung und Waffen etc. und durch die Einbindung in die Männerwelt mehr als ausgeglichen. ‚Glatze’ erhält in dieser Betrachtung also verschiedene Bedeutungen: Als Gruppenphänomen dient sie der Entindividualisierung, der Uniformierung, der Abstützung einer homosozialen Männerwelt, die ihre Bindungskraft dadurch erhält, dass so wenig wie möglich, bzw. so viel als nötig, emotionale Bindungen zur Außenwelt bestehen. Im Prinzip finden wir ein Paradox vor: Der Verzicht auf ein Signum männlicher Potenz, die Haare, trägt dazu bei, eine dominante Männlichkeit zu (re)produzieren. Nun lässt der Kontext hier nicht vermuten, dass es sich bei dem hungerstreikenden Mann um einen Skin oder Neofaschisten oder um einen Soldaten handelt. Bezieht man das Kontextwissen ein, dass es sich hier um die Beschreibung eines Mannes handelt, der nach einer Trennung von seiner Partnerin das Sorge- bzw. Umgangsrecht verloren hat, dann ruft die Formulierung von dem ‚Mann mit der Glatze’ weitere Assoziationen auf. So verweist die Glatze als Zeichen des Zölibats auf den ‚Verzicht’ auf Ehe und Kinder. Dem Mann mit der Glatze ‚fehlt’ buchstäblich etwas und nicht nur die Familie. Eine Glatze symbolisiert eben auch Unterordnung, den Verlust von Individualität und damit potenziell den Verlust individueller Rechte. Anders als beim Militär, bei rechten Jugendlichen oder in Skin-Kreisen ist allerdings nicht klar, wodurch bei dem Mann, von dem hier die Rede ist, das Moment fehlender Virilität ausgeglichen werden könnte. Die Weiterführung des Satzes spricht auch dagegen, dass dies geschieht: Beschrieben wird der körperliche Zusammenbruch des Mannes. Damit wird ‚Glatze’ noch in einen anderen Kontext als den bisher diskutierten gestellt: ‚Glatze’ als Symbol für eine schwere Krankheit, zum Beispiel für die Behandlung einer Krebserkrankung. In diesem Zusammenhang drückt eine Glatze starke Verletzlichkeit und Schwäche aus. Die Ambiguität der Glatze hinsichtlich der Symbolisierung von Männlichkeit wird von Matussek in eine Richtung aufgelöst: Hier geht es um den Verlust von Virilität, von körperlicher Stärke und Individualität. Der beschriebene Mann scheint mit dem Verlust seiner Haare seiner Kraft beraubt, wie einst Leila Samson des Nachts mit den Haaren seine Kraft raubte. Auch hier, sagt uns der Autor, haben wir es mit einer beschädigten Männlichkeit zu tun, die durch den ‚Raub’ einer Frau hervorgerufen wurde. Frauen ‚rauben’ in der hier eingenommenen Perspektive Männern Fähigkeiten und Eigenschaften, die als ‚männlich’ attributiert sind und die insbesondere mit väterlichen Funktionen in einen Zusammenhang gebracht werden, um sich diese selbst anzueignen. Das im doppelten Sinn. 155
So würden sich Mütter die gemeinsamen Kinder aneignen und damit über den Ausdruck der Zeugungsfähigkeit des Mannes verfügen. D. h., ein Mann könne zwar mit seinem Samen Kinder zeugen, doch darüber, ob und wie das Kind ausgetragen wird, über die Möglichkeit und Art des Umgangs des Vaters mit seinem Kind würde letztlich die Mutter bestimmen. Frauen hätten sich also die Macht über die reproduktiven Fähigkeiten des Mannes gesichert. Im Zusammenhang mit dieser Macht werden Frauen als mit männlich konnotierten Eigenschaften ausgestattet gezeichnet: als mächtig, einflussreich, rational, technisch, strategischinstrumentell, nicht beziehungsorientiert, sondern eher materiell eingestellt. Frauen würden immer ‚männlicher’, gleichzeitig würden Männer immer ärmer, sie scheinen etwas zu verlieren, ohne etwas anderes hinzu zu gewinnen. Mit dem Bild der Ausbeutung von Männern durch Frauen erfährt ein Deutungsmuster der Geschlechterdifferenz eine Umdrehung, das in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft bis heute dominant ist, – die symbolische Gleichsetzung von Frauen und Natur sowie Männern und Kultur. Von Matussek werden Männer der ausbeutbaren ‚Natur’ zugeschlagen, während Frauen kritisch als Prototypen des zweckinstrumentellen Unternehmers dargestellt werden, die ihre Umwelt bestimmen und vorrangig unter Verwertungsaspekten betrachten würden. In der Fortführung des Satzes erfährt dieses Bild des schwachen, beschädigten Mannes noch eine Zuspitzung: Dem Mann ‚wird schwarz vor Augen’; hier drückt sich die Verzweiflung der Situation, Depressivität und Zukunftslosigkeit aus. Sein absackender ‚Blutdruck’ st Synonym für die Kraftlosigkeit. Die Ausschläge ‚uf seiner Haut’ – welche medizinisch in keinen Zusammenhang mit dem Hungerstreik gebracht werden können – lassen ihn als Aussätzigen erscheinen, den keiner mehr haben will, wie einen Leprakranken. Ausschläge auf der Haut führen nicht nur dazu, dass man nach außen abstoßend wird, sondern auch, dass man sich selbst nicht wohl in seiner Haut fühlt. Ein Ausnahmezustand. Die ‚Welle der Verzweiflung’, welche nach Matussek über dem Mann zusammenschlägt, unterstreicht noch einmal dessen Hilflosigkeit und Handlungsunfähigkeit. Die von Matussek dramatisierte Verzweiflung zeigt einen Mann, der ohne Rechte, ohne Schutz des Gesetzes, passiv seiner ehemaligen Partnerin ausgeliefert ist. Einen Mann, der keiner Fliege etwas zuleide tun könnte. Einen, der seine Aggressionen eher gegen sich selbst wendet, als gegen andere. Dieser Mann wird als Gegenbild gängiger Vorstellungen von Männlichkeit konstruiert: körperlich schwach, selbstdestruktiv, ohnmächtig, emotional. Er wird als jemand gezeichnet, der mit dem Rücken an der Wand steht, dessen Position als Opfer absolut ist. Unterstrichen wird dies 156
noch dadurch, dass der Mann in den betrachteten Sätzen nicht als grammatikalisches Subjekt auftaucht. Dadurch wird er eher als Typus dargestellt, nicht als einzelne Persönlichkeit. Als Typus, der an einem Einzelschicksal entwickelt wird, welches stellvertretend stehen soll für ‚ein Heer von verzweifelten Vätern’ (Matussek 1997, 90, Spalte 1) Matusseks Darstellung der Ohnmacht und des Opferstatus eines Mannes über die Beschreibung des körperlichen Zusammenbruchs eines verzweifelten Vaters, setzt sich noch weiter fort: „So ist das, wenn der Körper zum Schlachtfeld wird.“ (Matussek 1997, 90, Spalte 1)
Die Vorstellung des von Frauen bedrohten männlichen Körpers, der selbst zu einem ‚Schlachtfeld’ wird, hat etwas Befremdliches. Ein zentraler Gegenstand der Diskurse der Neuen Frauenbewegung sind Macht- und Gewaltverhältnisse zwischen den Geschlechtern, die vor allem an dem weiblichen Körper ausgetragen werden und wurden. Im Text wird gleichzeitig mit der Umdrehung der Zuordnung der Geschlechter zur ‚Kultur’ bzw. ‚Natur’ auch das durch die Frauenbewegung hervorgebrachte Wissen über Macht und Gewalt in den Geschlechterbeziehungen auf den Kopf gestellt. Nicht Frauen sind hier Opfer männlicher Gewalt, die durch Vergewaltigung, sexuellen Missbrauch oder durch Schläge an ihrem Körper ausgeübt wird, sondern am männlichen Körper wird der Kampf zwischen den Geschlechtern ausgetragen. Frauen werden zu Täterinnen gegenüber Männern. Mit der Betonung des geschwächten, verletzten männlichen Körpers und der damit erfolgenden impliziten Gleichsetzung von Männern mit Frauen wird vom Autor aber nicht nur das Täter-Opfer-Bild umgedreht. Vermittelt wird zudem, dass der Verlust des alltäglichen Umgangs mit dem eigenen Kind von Vätern wie ein körperlicher Einriss empfunden wird. In der hier eingenommenen Perspektive wird das Kind dem Vater ‚entrissen’, „aus dem Leben gerissen“, wie es an anderer Stelle heißt (Matussek 1997, 91, Spalte 1), und hinterlässt eine tiefe Wunde. Mit dem Bild des verletzten Körpers wird symbolisch eine leibliche Verbindung zwischen Vater und Kind eingebracht. Die leibliche Vaterschaft wird dadurch relevant gemacht und implizit vermittelt, dass nicht nur die Mutter durch Schwangerschaft, Geburt und Stillen eine körperliche Beziehung zum Kind hat. Dass der ‚Körper zum Schlachtfeld’ wird, unterstreicht die Interpretation, dass es hier um den Vorwurf geht, der eigenen reproduktiven Fähigkeiten und damit der körperlichen Verbindung zum Kind beraubt zu 157
werden, und dass es in dem ‚Geschlechterkampf’ um die Frage des Umgangs mit und der Kontrolle von Generativität geht. Der zusammenbrechende Körper des Mannes wird zugleich zum Sinnbild der von Matussek wahrgenommenen und heftig kritisierten Position von Männern im Geschlechterkampf: Der Mann ist geschlagen, hilflos. Die Verbindung ‚Körper’ und ‚Schlachtfeld’ lässt auch an kriegsversehrte männliche Soldaten denken. Der zuvor beschriebene ‚Zusammenbruch’ des Mannes lässt sich somit auch als Resultat eines Krieges zwischen Männern und Frauen lesen, in dem sich Männer als die Schwächeren erwiesen hätten. Das durch die Wortverbindung ‚Körper’ und ‚Schlachtfeld’ assoziierte Bild kriegsversehrter Soldaten, ist kein Einzelfall, sondern wird von Matussek in verschiedenen Variationen wieder aufgegriffen. So spricht er an einer anderen Stelle von ‚Veteranen’ (1997, 91, Spalte 1) und die in den folgenden Absätzen beschriebenen Männer werden dargestellt, wie heimkehrende Frontsoldaten eines verlorenen Krieges: „Die Männer, die sich nach und nach um die Hungerstreikenden vor dem Kreuzberger Familiengericht sammeln, wirken wie eine düstere Sekte im Untergrund sozialen Dschungelkampfes. Männer in Lederjacken, Studenten in Anzügen, Alternative in Latzhosen. Sie verheddern sich im gewundenen Deutsch von Schriftsätzen, ziehen Behördenbescheide aus der Tasche und zerknitterte Fotos von ihren Kindern, und sie sind vor allem eines: von einer merkwürdigen Sprachlosigkeit. Sie brechen aus in lächerliche misogyne Tiraden, brechen ab, zweifeln. Merkwürdige Stadtwüstenprediger vor den adrett gestutzten Rasen, zwischen pünktlich ratternden U-Bahnen und bepflanzten Betonkübeln, stammelnd, als könnten sie immer nur den Zipfel einer verborgenen Wahrheit erwischen: Sie stemmen sich gegen einen öffentlichen Diskurs, in dem sie chancenlos sind. Fest steht immer nur eines: Sie lieben ihre Kinder und dürfen sie nicht sehen. Sie sind schrill und sie sind sanft. Einer, ein Schrank von Kerl, betreibt aus einem Neuköllner Hinterzimmer den Internet-Service „paPPa.com“, der sich um Gegenöffentlichkeit bemüht. Ein anderer, schmaler Diplomchemiker mit Nickelbrille, engagiert sich in der Zeitschrift PAPS, wo sich sanfte Väter im Naturgestricktem als bessere Mütter erweisen wollen. Doch über all den Versuchen steht dick und fett: NIEDERLAGE.“ (Matussek 1997, 92, Spalte1)
Hier wird ein Bild von Männern gezeichnet, die bis zur Verausgabung gekämpft haben. Diese Männer scheinen damit konfrontiert zu sein, dass um sie herum das Leben normal weitergegangen ist, während sie etwas Entsetzliches erlebt haben. Diese – privaten – Erfahrungen von Vätern seien aber im öffentlichen Diskurs nicht repräsentiert. Sie könnten von 158
den Vätern nicht vermittelt werden, weil sie keine Sprache für ihre Erfahrungen finden und weil diese von dem öffentlichen Diskurs wieder überdeckt würden. Erneut wird das Bild einer kulturellen Hegemonie des Feminismus gezeichnet, welcher den öffentlichen Diskurs bestimmt. Dabei kann Matussek zufolge jeder Mann in diese Position der Sprachlosigkeit, der Nicht-Präsenz, kommen. Selbst die stärksten Männer seien gekennzeichnet von ihrer Niederlage im Kampf gegen „feministische Muttermacht“. Aber auch diejenigen, die sich den Frauen anzupassen versuchten, die bereit seien, ihr Mann-Sein zur Disposition stellen, indem sie ‚die besseren Mütter sein wollen’, hätten keinen Erfolg.164 Matusseks Beschreibung von Männern, die um ihr Sorgerecht kämpfen, zeigt allerdings eine Ambivalenz von Bezogenheit, Distanzierung und Abwertung. Diese Männer werden von Matussek als bemitleidenswert und zugleich als lächerlich dargestellt. Ihnen ist die Niederlage ins Gesicht geschrieben. Sie wirken ‚entmännlicht’, gefangen in ihren Emotionen und ihrer Liebe zu ihren Kindern. Der Autor überspitzt die Darstellung der hilflosen Situation derartig, dass sich neben der Empathie mit den Opfern auch eine Distanz zu ihnen herstellt. Mitleid und Wut entsteht darüber, dass jemand in eine Position gebracht wird, in der er sich lächerlich macht und verspottet werden kann. Damit aber kann sich mit diesen Männern niemand positiv identifizieren. Sie haben nichts mehr an sich, was mit einem traditionellen Verständnis von Männlichkeit assoziiert werden könnte. Vor allem in der Beschreibung des körperlichen Zusammenbruchs des zentralen Protagonisten wird von Matussek gezeigt: (männliches) Opfer-Sein ist abstoßend. Die von dem Autor vorgenommene Überdramatisierung fällt auf das Opfer zurück.
4.1.2.3.1
Die Distanzierung vom Opfer
Die sich hier andeutende Distanzierung des Autors von den von ihm beschriebenen Vätern durch eine übertriebene Dramatisierung ihres OpferStatus sowie durch die karikaturhafte Repräsentation dieser Männer, wird in der kommenden Passage noch deutlicher:
164 Hier deutet sich auch an, dass es in den Deutungsmustern der Väter, die sich als ‚kämpfende Väter’ verstehen, und denen, die eher dem „moderaten“ Spektrum um die Zeitschrift PAPS angehören, deutliche Unterschiede gibt.
159
„Mehr noch – die Ranküne der Mutter bleibt nicht nur juristisch, sondern auch sozial ungeächtet: Frauenpower! Also streikt Gempp doch: gegen den Staat, gegen das Recht, gegen Gott und die Welt, ein düsterer Freak wie Michael Kohlhaas, allein gegen alle.“ (Matussek 1997, 90, Spalte 1)
In dem von Matussek gewählten Bild steht ein einzelner Mann stellvertretend für andere dem Schulterschluss von Frauen gegenüber, die ihre Interessen in allen gesellschaftlichen Bereichen durchsetzen können: ‚Frauenpower!’ Dieses Bild: ‚allein gegen alle’ macht die Metapher ‚Streik’, die ja wesentlich durch den Zusammenschluss von Menschen zur Durchsetzung der ihrer Interessen bestimmt ist, unstimmig. Sachlich unangemessen und in das Lächerliche abgleitend ist dann auch die Aufzählung, wogegen sich der Streik des Mannes richtet: ‚gegen den Staat, gegen das Recht, gegen Gott und die Welt, ein düsterer Freak wie Michael Kohlhaas, allein gegen alle.’ Die Formulierung ‚streiken gegen’ wird alltagssprachlich selten verwandt, vielleicht, weil im Arbeitsstreik der Gegner – die jeweilige Unternehmensgruppe – feststeht. Das ‚Streikziel’ von Gempp hat Matussek benannt: Gempp ‚streikt’ für die Möglichkeit, seine Kinder wieder zu sehen. Es ist aber nicht unmittelbar zu erkennen, wer in diesem Fall die Streikgegner von Gempp sein sollen. Gegnerin ist eigentlich seine frühere Partnerin. Mit der Art der Auseinandersetzung wird jedoch der private Konflikt verlassen und zum öffentlichen Anliegen erklärt. ‚Gegnerin’ ist nicht Gempps ehemalige Partnerin, sondern sind allgemein Frauen und Mütter. Der These einer feministischen Hegemonie folgend werden von Matussek explizit der Staat und das Justizsystem als die ‚Streikgegner’ ausgemacht. Institutionen, die ihm zufolge Interessen von Müttern vertreten. Mit der Verdrehung des Streikziels von dem Streik um das Wiedersehen mit den Kindern zum Streik gegen die Macht von Frauen, gegen Staat und Justiz, geraten die Kinder erneut aus dem Blick. Die Aussage steht zugleich auf der manifesten Ebene in einem Widerspruch zu dem bisherigen Text: Wurde zuvor herausgestellt, dass es Gempp allein um sein Interesse ginge, seine Kinder wieder zu sehen, er nicht etwa als Fanatiker zu betrachten sei, bekommt er nun durch das Bild eines Allein-gegen-Alle Streikenden doch fanatische Züge zugesprochen. Gempp wird hier gezeichnet als einer, der unter dem Druck der Verhältnisse in eine für ihn schier ausweglose Situation gebracht wird, in der er nicht mehr Herr seiner selbst ist. Der Streik gegen ‚Gott und die Welt’ betont die Aussichtslosigkeit, die Matussek Gempp zuschreibt. Diese Formulierung relativiert aber zugleich den Inhalt, die Zielrichtung des 160
Streiks, die Matussek selbst zuvor betont hat. Matussek stellt Gempp also zum einen als Opfer von Machtverhältnissen dar, die Frauen privilegieren und kritisiert diese Verhältnisse. Zum anderen überzeichnet er Gempp als Opfer so stark, dass er als politischer Akteur nicht mehr ernst genommen werden kann. Das Bild des ‚Kohlhaas’ gibt dieser Interpretation noch eine weitere Wendung: ‚ein düsterer Freak wie Michael Kohlhaas, allein gegen alle’. Ein ‚Freak’ ist ein Ausgeflippter, ein Verrückter, ein in seinen Lebensäußerungen extremer, launischer und unberechenbarer Mensch, damit auch ein potenziell gefährlicher gesellschaftlicher Außenseiter. Kleists „Kohlhaas“ ist eine tragische Gestalt, die durch ein widerfahrenes Unrecht und durch sein stures Wahrheits- und Rechtsdenken selbst zu einer gefährlichen, unberechenbaren, rachsüchtigen Figur wird. In dem Bild des ‚Freak Kohlhaas’ taucht also sowohl Gempp als Opfer (der Justiz) auf, gleichzeitig erfolgt die Distanzierung von dem aus reinen Rechtsdenken (Kohlhaas) oder Leiden (Gempp) heraus hilflos und unberechenbar Gewordenen. Ins Spiel gebracht wird damit aber auch eine latente Drohung: Wenn Frauen weiterhin solche Macht haben und von dieser Gebrauch machen, werden Männer in eine Position getrieben, in der sie gefährlich und unberechenbar werden. Wenn die Konflikte nicht schnell zu einer juristischen Lösung führen, Väter wie Gempp nicht ihr Recht, ihre Kinder sehen zu können, zugesprochen und durchgesetzt bekommen, dann haben wir es eines Tages mit Ausgeflippten zu tun, denen alles egal ist, wenn sie nur ihr ‚Recht’ erlangen. Durch den Vergleich mit ‚Kohlhaas’ stellt Matussek also Männer wie Gempp als Opfer dar, distanziert sich aber zugleich von deren Hilflosigkeit und Leiden und wendet sich damit von dem Opfer als Opfer ab. Die überzeichnete Darstellung von Gempp als Opfer von Frauen, insbesondere Müttern, von Justiz und Politik, gilt als Mahnung und Warnung: als Mahnung an Väter, sich zusammenzuschließen und zu wehren, wenn sie nicht in eine ähnlich Position kommen wollen, und als Warnung an Frauen, dass Väter unberechenbar werden können, wenn sie ihre Rechte nicht erhalten, in eine wehrlose Position gedrängt würden. Die zentrale Botschaft Matusseks, die er durch die überspitze Darstellung von Männern als Opfer von Frauen verbreitet, lautet: Männer sollten nicht in einer schwachen, wehrlosen Position verharren, die mit dem, was ‚Männlichkeit’ sein soll nichts mehr gemein hat, sondern sich kollektiv wehren. So heißt es auch in einem anderen Text des Autors:
161
„Natürlich wird sich der Geschlechterdiskurs auch weiter radikalisieren. Männer werden die Bandagen ablegen und sich – ohne die Hemmungen von Tradition und Galanterie – zur Wehr setzen. Sie haben einen mächtigen Gegner. (...) Da die Dämme gebrochen sind, da sich zunehmend mehr Frauen ‚im Zustand des Hasses’ und im Schutze von Behörden, Medien und Gesetzen einspruchsfrei austoben, müssen Männer selber beginnen, neue Grenzen zu ziehen.“ (Matussek 1998, 108/109)
Männer sollen aus ihrer Opfer-Position heraus treten. Sie sollen zu aggressiven Akteuren im ‚Geschlechterkampf’ werden. Die von Matussek beschriebenen Männer scheinen im Kampf mit Frauen der Fähigkeiten beraubt worden zu sein, die traditionell als ‚männlich’ verstanden werden, wie Durchsetzungsvermögen, Aggressivität, Sachlichkeit, körperliche Stärke, Macht, Verfügung über materielle Güter. Dieser Verlust von ‚Männlichkeit’ lässt sie als ‚weiblich’ erscheinen. Sie werden als ohnmächtig, sanft, auf die Familie zentriert, ihren Gefühlen ausgeliefert, unberechenbar dargestellt. Die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern erscheinen in Matusseks Perspektive als verdreht und sollen wieder gerade gerückt werden. Im latenten Text zeigt sich der Rückgriff auf essentielle, polarisierende Vorstellungen von Geschlecht. Auf der manifesten Ebene allerdings versucht Matussek nicht offen an traditionelle Geschlechterstereotype anzuknüpfen. Vielmehr unterstellt er dies gerade den sozialen und politischen Kräften, die für die derzeitige Regulierung des Sorgerechts verantwortlich sind. Sie würden die Väter, welche sich emotional an ihre Kinder gebunden und sich ihren Partnerinnen gegenüber ohnmächtig fühlen, als schwache Männer ablehnen. Nicht die ‚kämpfenden Väter’, sondern die Mütter selbst, die Justiz und die Politik seien letztlich an traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit orientiert. So legt er Angehörigen der Justiz folgende Gedanken in den Mund: „Ein Mann, der unter der Trennung von seinen Kleinen leidet? Krumme Nummer, hart am Rande des Versagertums, kein Handlungsbedarf.“ (Matussek 1997, 90, Spalte 1)
Der Staat als Gesetzgeber und seine ausführende Organen würden ein Männerbild vertreten, in dem Väter, die eng emotional an ihre Kinder gebunden sind, keinen Platz finden. Die Verantwortlichen würden sich nicht mit Männern solidarisieren, die eine enge Beziehung zu ihren Kindern haben wollen und denen der Kontakt weitgehend verweigert wird, 162
sondern sie blickten aus der Perspektive eines stereotypen, traditionellen Männerbildes auf diese herab. Sie würden sich ihrerseits eher mit Müttern verbünden, die festhalten an der traditionellen Zuordnung: Die Kinder gehören zur Mutter.
4.1.2.3.2
Archaische Vaterliebe
Eine Differenz, die Matussek gegenüber Stereotypen hegemonialer Männlichkeit markiert, bildet die Wichtigkeit, die er der emotionalen Bindung des Vaters zum Kind beimisst, und der öffentlichen Präsenz dieser Bindung. „Gempp war Vater, da war plötzlich etwas überraschend Archaisches im Spiele, da ist das Herz altmodischer. Und er wußte, dass seine Kinder ihn vermissen werden, wie er sie vermißt.“ (Matussek 1997, 91, Spalte 1)
Der Begriff ‚archaisch’ steht alltagssprachlich in der Nähe von ‚ursprünglich’, ‚naturhaft’, ‚instinkthaft’.’„Archaisches’ ist der Vernunft nicht unmittelbar zugänglich, sondern bleibt im Bereich des Unkontrollierbaren. Dabei scheint die Erfahrung, dass es da etwas ‚Archaisches’ gibt, für die betroffenen Väter ‚überraschend’ zu kommen. Sie ist etwas, was unter einer Trennungsdrohung erst spürbar wird. ‚Überraschend’ und ‚plötzlich’ kann bedeuten, dass die betroffenen Väter selbst nicht erwartet hatten, dass ihre emotionale Bindung an ihre Kinder so tief sei. Archaische Gefühle, die sich der Vernunft entziehen, sind etwas, was traditionell eigentlich eher Frauen in Bezug auf ihre Kinder zugeschrieben wird. Die ‚natürlich’ vorhandene Mutterliebe, die Mütter wie Löwinnen um ihre Kinder kämpfen lässt, wenn man sie ihnen wegnehmen will. Diese Zuschreibung wird jetzt umgedreht: Es sind Väter, die mit ihren Kindern in einer archaischen (Vater)Liebe verbunden sind, die um sie kämpfen wollen. Den modernen Müttern, insbesondere Feministinnen, wird dagegen ein eher instrumenteller Bezug zu ihren Kindern unterstellt. Parallel zum Deutungsmuster ‚Mutterliebe’ wird ein Muster ‚Vaterliebe’ konstruiert. Allerdings wird hier ‚Vaterliebe’ nicht im engen Sinne naturalisiert bzw. psychologisiert165, sondern eher mystifiziert als plötzlich auf165 Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein wurde ‚Mutterliebe’ in der deutschen bürgerlichen Gesellschaft immer wieder als Naturkonstante begriffen. Eine Veränderung kam auf mit der Zunahme psychologischer Forschung. Wurde zunächst betont, das die Mutter eher
163
tretende, riesige Kraft, gegen die man nichts machen kann. Vaterliebe ist in diesem Sinn letztlich nicht durch soziales Handeln beeinflussbar. Sie existiert einfach. Weil die emotionale Bindung zwischen Vater und Kind als archaisch und damit auf Dauer gestellt konzipiert wird, ist ein Auseinandergehen von Vater und Kind ohne Zwang von außen nicht denkbar. Die ‚archaische’ Liebe zwischen Vater und Kind wird als gegenseitige konzipiert. Nicht nur der Vater liebt einfach sein Kind und kann sich in seine Wünsche hinein versetzen, es wird auch davon ausgegangen, dass ein Kind grundsätzlich seinen Vater liebt und ‚vermissen’ wird. Ein Vater ‚weiß’, dass sein Kind ihn vermissen wird, so wie er das Kind vermisst. Hier wird keine Differenz in der Angewiesenheit gesehen zwischen den Gefühlen des Vaters und den Gefühlen des Kindes. Damit wird negiert, dass die emotionale Abhängigkeit des Kindes von den Eltern eine andere ist, als die emotionale Bindung des Elternteils an das Kind. Zugleich wird damit eine Eigenständigkeit des Kindes nicht zugelassen. Ein Kind kann seinen Vater ganz anders ‚vermissen’ als der Vater sein Kind. Es kann durch seine Liebe zu Vater und Mutter ganz anderen Ambivalenzen ausgesetzt sein, als sein Vater und verfügt je nach Alter über weit begrenztere Möglichkeiten, mit solchen Ambivalenzen umzugehen. Die als ‚archaisch’ verstandene emotionale Verbindung zwischen Vater und Kind wird durch die Rede vom ‚altmodische(n) Herz’ zugleich romantisiert.166 Die Steigerungsform ‚ist das Herz altmodischer’ irritiert jedoch: ‚altmodischer’ als was? Die Steigerung könnte meinen, dass das Herz ‚altmodischer’ ist als der Verstand. Damit würde durch sie der Rückgriff auf etwas Archaisches noch einmal markiert werden. ‚Altmodisch’ wäre allerdings in diesem Zusammenhang ein merkwürdiger Begriff, da ‚Archaisches’ eher auf der Grenze zwischen Natur und Kultur liegt und es sich damit sowohl historisch als auch in der individuellen Entwicklung um sehr frühe Formen des Sozialen handelt. Das Wort ‚altmodisch’
‚wissenschaftlich’ als gefühlvoll mit ihrem Kindern umgehen soll, folgte dann die Forderung an die Mutter, bestimmte Gefühle gegenüber dem Kind zu erzeugen d. h., sich selber einer ständigen Affektkontrolle zu unterziehen (vgl. Schütze 1991). 166 Das Anklingen romantischer Töne in der Darstellung von Vaterschaft ist historisch nicht neu: Bereits in der Romantik gab es im Bürgertum Vaterschaftskonzeptionen, die die emotionale Verbindung zwischen Vater und Kind sehr betont haben (vgl. u. a. Habermas 2000; Trepp 1996a, 1996b; Schmidt 2000).
164
trägt hingegen das Wort ‚Mode’167 in sich, und verweist auf historisch vorgängige, aber sozial bereits stark ausdifferenzierte Sitten und Gebräuche. Die Steigerung ‚altmodischer’ könnte aber auch ausdrücken, dass die Gefühle gegenüber dem Kind ‚neue Moden’, wie Trennungen von Partnerschaften, soziale und emotionale Flexibilität und Mobilität, nicht mitmachen. Das ‚Herz’ will Kontinuität, will eine Verlässlichkeit, welche die Vater-Kind-Bindung im Gegensatz zur Paarbeziehung noch zu bieten verspricht. Ich komme auf diesen Aspekt im nächsten Abschnitt zurück. Gerade weil die enge Bindung des Vaters an sein Kind hier besonders hervorgehoben und von der Paarbeziehung hinsichtlich der Tiefe und der Kontinuität der Bindung positiv abgegrenzt wird, wird sie zugleich auch als ambivalent empfunden. Der Vater, so wurde bereits oben deutlich, wird nach Matussek vor allem durch die enge Bindung an sein Kind von der Mutter des Kindes erpressbar: „Vaterliebe ist zur Goldader geworden.“ (Matussek 1997, 93, Spalte 1)
Vaterliebe erweist sich somit als Falle im ‚Geschlechterkampf’. Wäre der Vater nicht so an seine Kinder gebunden, wäre er dem unterstellten Machtrausch von Müttern nicht hilflos ausgesetzt. Entgegen traditionellen Deutungsmustern von Männlichkeit wird hier Vätern ein hohes Maß an Emotionalität zugesprochen. ‚Väterlichkeit’ und ‚Männlichkeit’ werden damit in eine widersprüchliche Span-nung zueinander gestellt: Zum einen wird Vaterliebe als durchweg positiver Wert dargestellt und es geht zum Teil genau darum, dass die Einschränkung der emotionalen Beziehung des Vaters zum Kind durch die Mutter beklagt wird. Zum anderen ist es gerade der Wunsch, die emotionale Beziehung zum Kind aufrecht zu erhalten, welcher die Position von Vätern in den Geschlechterbeziehungen – oder, um mit Matussek zu sprechen, im Geschlechterkampf – ihre ‚Männlichkeit’ schwächt und sie zum willfährigen Opfer von Frauen werden lässt. Dieses Bild, durch das Vorhandensein und den Ausdruck emotionaler Bindungen in Gefahr zu geraten, die eigene ‚Männlichkeit’ in Frage zu stellen, gehört wiederum zu der herkömmlichen Stereotypisierung von Männlichkeit, über die hegemoniale Männlichkeit abgestützt wird. In der Betonung der emotionalen Bindung an das Kind und des Eingeständnisses
167 Das Wort ‚Mode’ hat im 15. Jahrhundert die Bedeutung ‚zeitgemäße Kleidertracht’ erlangt und wurde im 17./18. Jahrhundert zur Bezeichnung einer ‚Zeitsitte’ im Allgemeinen (vgl. Kluge 1963, 483).
165
von Hilflosigkeit erfolgt zwar eine Veränderung der gängigen Stereotypen von ‚Männlichkeit’. Gleichzeitig zeigt sich in der Gefahr, die durch die Bindung an das Kind heraufbeschworen wird, eine Ambivalenz auch gegenüber diesen Emotionen und eine große Angst vor Abhängigkeit in Bindungen überhaupt.
4.1.2.3.3
‚Auch der abwesende Vater ist ein guter Vater’
Wurden die Männlichkeitsvorstellungen von Vätern, die sich am Deutungsmuster ‚Geschlechterkampf’ orientieren, bislang vor allem in der negativ konnotierten Bestimmung des Mannes als Opfer deutlich, möchte ich im Folgenden zeigen, welche positiven Vorstellungen von ‚Männlichkeit’ in den analysierten Texten deutlich werden und in welches Verhältnis diese Männlichkeitsvorstellungen zu denen von ‚Väterlichkeit’ treten. Eine Passage aus einem Aufsatz in dem 1998 von Matussek veröffentlichtem Buch lautet: “’Für ihn war die Arbeit immer wichtiger als die Familie’, so etwa lautete das Lamento der Frauen, nachdem sie sich von ihrem Mann trennten und ihn ganz aus der Familie verbannten, mit der merkwürdigen Logik: Gar kein Vater ist besser als wenig Vater. Professor Petri hält dieses Argument für besonders abwegig. Erst die Arbeit, dann die Familie? Er hofft, daß dies der Fall sei, denn männliche Identität bilde sich wesentlich durch die Berufsausübung. Der Beruf ist ein ‘innerer Auftrag’, ist Sublimierung und Transformation einer Triebwelt. Gerade seine außerhäusige Erfüllung kann Kindern ein gutes Beispiel geben. Eine starke Berufsidentität ist geradezu Voraussetzung der Vaterrolle. Fazit: Auch der abwesende Vater ist ein guter Vater – und ein besserer bisweilen als der ständig anwesende. Väter können nicht Mütter sein. Sie sollen es auch gar nicht.” (Matussek 1998, 77)
Diese Argumentation entspricht dem Familienideal der 50er Jahre. Auch wenn in anderen Passagen die emotionale Bindung des Vaters an das Kind stärker betont wird als es in den 50er und 60er Jahren üblich war, wird die Funktion des Vaters und Familienmannes eindeutig in der außerhäusigen Tätigkeit, in der materiellen Absicherung der Familie und seiner Vorbildfunktion für das (männliche) Kind gesehen. In dem zitierten Abschnitt wird ein ‚guter Vater’ zu sein damit in Verbindung gebracht, Repräsentant des männlichen Geschlechts zu sein, für das Kind die Differenz zwischen den Geschlechtern zu markieren und ihm so Orientierung zu geben. Der dargestellte Konflikt zwischen ‚Väterlichkeit’ und ‚Männlichkeit’ wird 166
auf diese Weise gelöst: Um ein guter Vater zu sein, sollten sich Männer weitgehend an traditionellen Männlichkeitsvorstellungen ausrichten und das Modell des Familienernährers leben. Damit kann er ein klares geschlechtliches Vorbild und Identifikationsobjekt für das Kind sein.168 Die konkrete Zeit, die der Vater mit dem Kind verbringt, sowie die Qualität der gemeinsam verbrachten Zeit tritt dahinter zurück. Letztlich wird die Qualität der Vaterschaft polar dadurch bestimmt, dass er Nicht-Mutter ist. Deutlich wird jetzt, warum ein ‚Softie’, ein Vater, der die ‚bessere Mutter’ sein will und damit eine Orientierung an hegemonialer Männlichkeit in Frage stellt, abgelehnt wird. Nun reicht es allerdings nicht aus, dass es einfach ein ‚männlicher’ Mann ist, der für das Kind als Identifikationsobjekt zur Verfügung steht. Angenommen wird eine grundsätzliche, archaische Liebe zwischen leiblichem Vater und Kind – vor allem dem männlichen. Die Beziehung des Vaters zum Kind und des Kindes zum Vater wird als konfliktfrei dargestellt. Eigenständige Interessen des Kindes – vielleicht auch gegenüber dem Vater – oder Probleme werden nicht thematisiert oder allein als Ergebnis einer negativen Beeinflussung durch die Mutter nach der Trennung (Parental Alienation Syndrome169) dargestellt. Die Vater-Kind-Beziehung wird auf diese Weise romantisiert und als unbegrenzt und harmonisch betrachtet. Der Wunsch nach einer emotionalen, auf Kontinuität angelegten und hinsichtlich der Machtverteilung im Konfliktfall eindeutigen Beziehung verspricht scheinbar eher durch die Beziehung zum Kind befriedigt zu werden, als durch eine Partnerschaft mit einer Frau, bei der die Gefahr der Trennung besteht.
168 Die Probleme, die mit diesem Identifikationsmodell verbunden sind, werden im nächsten Kapitel diskutiert. 169 Parental Alienation Syndrome (PAS) lässt sich übersetzen als ‚Eltern-KindEntfremdungs-Syndrom’. Es beinhaltet im Wesentlichen, dass sich das Kind durch subtile oder gar direkte Beeinflussung durch einen Elternteil von dem anderen feindlich abwenden würde. PAS wird vor allem von Vätern in die Diskussionen über Sorge- und Umgangsrechtkonflikte eingebracht. Das Syndrom wurde erstmals 1984 von dem us-amerikanischen Kinderpsychiater Richard A. Gardner beschrieben. In Deutschland fand PAS Mitte der 90er Jahre Eingang in die Debatte um die Verteilung des Sorge- und Umgangsrechts: 1995 veröffentlichte Wolfgang Klenner einen Artikel über „Rituale in der Umgangsvereitelung“ in der „Zeitschrift für das gesamte Familienrecht“ (FamRZ). Vorangetrieben wurde die Diskussion in der Bundesrepublik seither vor allem durch verschiedene Veröffentlichungen von Ursula O. Kodjoe und Peter Koeppel (vgl. u. a. 1998), auf deren Arbeiten auch in den Auseinandersetzungen der Väterinitiativen zurückgegriffen wird.
167
4.1.2.4
Ausdeutungen, Umschrift und Reinszenierung der Geschlechterdifferenz
Fassen wir die bisherige Analyse der Ausdeutungen von Differenzen zwischen den Geschlechtern zusammen: Die Vorstellung von Männern, insbesondere von Vätern als Opfer im Geschlechterkampf ist eingelagert in Vorstellungen der Geschlechterdifferenz, nach der Männer eher traditionell weiblich konnotierte Eigenschaften und Fähigkeiten zugeschrieben werden, Frauen tendenziell die traditionell eher als männlich geltenden. Väter werden nicht als selbstbewusste Akteure dargestellt, sondern als passiviert, ohnmächtig, schwach, emotional. Weil sie emotional so stark an ihre Kinder gebunden seien, so wird argumentiert, seien sie ihren ExPartnerinnen hilflos ausgesetzt. Mütter und feministisch orientierte Frauen werden dagegen mit stark divergierenden Eigenschaften ausgestattet dargestellt. Zum einen wird bei diesen Zuschreibungen zurückgegriffen auf eher männlich konnotierte Eigenschaften und Fähigkeiten, die in Bezug auf Mütter negativ bewertet werden. Zum anderen werden auch Attribute des traditionell Weiblichen bzw. Mütterlichen aufgerufen, in deren Zentrum ‚Irrationalität’ und ‚Hilflosigkeit’ stehen und die ebenfalls als negativ betrachtet werden. Alle herkömmlich positiv gewerteten Attribute des Mütterlichen, wie Empathie und Fürsorglichkeit, fehlen. Die hier vorgefundenen Ausdeutungen der Geschlechterdifferenz erinnern an einen Gedanken von Gudrun-Axeli Knapp (1995). Ihr zufolge besteht das Feld der Eigenschaften, mit denen die Geschlechterdifferenz ausgemalt ist, nicht nur aus den zwei komplementären wechselseitig exklusiven Hälften, sondern lässt sich in ein Vierfelderschema übertragen, das auch – ebenfalls binär organisierte – Differenzbestimmungen innerhalb der Geschlechtergruppen aufnimmt. Ein Beispiel dafür wären die Vorstellungen von der Heiligen und der Hure. Ihre These ist, „daß diese geschlechtsimmanente Polarisierung eine doppelte Funktion hat: Sie stützt – nehmen wir das auf Frauen bezogene Feld – das normative Ideal des Weiblichen als Legitimationsgrundlage männlicher Dominanz, indem ein davon abweichendes ‚anderes’ konstruiert und negativ konnotiert wird; zugleich macht die immanente Polarisierung Zugeständnisse an die ‚Empirie der wirklichen Verhältnisse’ (Negt). Das heißt: Sie erlaubt es, vorfindliche Abweichungen vom normalen Weiblichkeitsideal zur Kenntnis zu nehmen, sie aber zugleich im Rahmen des binären Schemas als Negation des Ideals differenzverstärkend zu vereinnahmen. Damit stützt diese Konstruktion bestimmte Normalitätsvorstellungen.” (Knapp 1995, 178)
168
In den analysierten Texten zeigen sich insgesamt vor allem in Bezug auf Frauen sehr variationsreiche, sich teilweise offen widersprechende Zuschreibungen, die je nach Kontext flexibel aufgerufen werden können. Gerade dadurch jedoch, dass ein in sich differierendes Set von Eigenschafts- und Fähigkeitszuschreibungen aufgerufen wird, können sich Matusseks Interpretationen von Müttern und feministisch orientierten Frauen nahezu durchgängig im Negativen bewegen. Die Verknüpfung der Zuschreibung von negativ besetzten, kulturell weiblich konnotierten Eigenschaften mit eigentlich kulturell geschätzten männlichen, bringt ein insgesamt negativ konnotiertes Frauenbild hervor: Eine Art ‚Mannweib’, das als Bild bereits sehr verdichtet in dem Titel des Artikels von Matussek in der Wortkombination ‚feministische Muttermacht’ hervorscheint. Die irrationale, verantwortungslose Mutter amalgamiert hier mit der maskulinisierten, kastrierenden Feministin zur ‚allmächtigen Mutter’. Auf den ersten Blick könnte man denken, dass Matussek mit der Umkehrung von Geschlechtsstereotypen klassische Weiblichkeitsklischees durchkreuzt und damit – wenngleich davon das Denken der Zweigeschlechtlichkeit nicht grundlegend berührt ist – Öffnungen für eine größere Variabilität und Vielfalt von Deutungen der Geschlechterdifferenz herstellt. Auf den zweiten Blick zeigt sich, dass dies keinesfalls zutrifft, denn das negativ konnotierte ‚Mannweib’ ist letztlich nur eine Negation des traditionellen Ideals von Weiblichkeit, der guten Mutter. Dass Matussek auch ein Ideal der ‚guten Mutter’ vertritt, das an traditionellen Vorstellungen des Mütterlichen orientiert ist, wurde in der Analyse deutlich. Anders allerdings als in den 50er und 60er Jahren wird hier die Mutter als beruflich erfolgreich gedacht, und damit als potenziell selbstverantwortlich für ihre materielle Absicherung. Gleichzeitig werden aber die traditionellen Arbeitsteilungsstrukturen in der Familie nicht in Frage gestellt. Die Zuständigkeit der Frau für die Familie wird festgeschrieben. Der Partner und Vater wird allenfalls als unterstützend dargestellt. Vor allem soll die Frau ihre Funktion als Bewahrerin der Familie einnehmen. Matusseks Diagnose der gegenwärtigen ‚vaterlosen’ Gesellschaft beinhaltet die Befürchtung, dass es immer weniger Frauen gibt, die sich an dem von ihm gezeichneten Ideal einer Mutter orientieren.170 Durch die Darstellung der Dominanz von Frauen werden Männer zunächst in eine Opferposition gebracht, die in keiner Weise dem kulturellen
170 Die Vorstellungen von Familie und Partnerschaft werde ich im nächsten Abschnitt genauer aufzeigen.
169
Deutungsmuster hegemonialer Männlichkeit entspricht. Dennoch wird die Vorstellung einer dominanten Männlichkeit nicht negiert, auch kein wirklicher Gegenentwurf entwickelt. Vielmehr dient die Darstellung der Dominanz von Frauen im ‚Geschlechterkampf’ der Legitimation eines ‚Backlash’. Wenn Frauen derartig dominant sind, dürfen, ja müssen Männer ‚zurückschlagen’ und ihre bisherige Macht verteidigen. Damit korrespondiert das Ergebnis, dass die konstruierte Abweichung vom traditionellen Weiblichkeitsideal als Negation eben dieses Ideals differenzverstärkend eingesetzt wird. Sie stützt so bestehende Normalitätsvorstellungen über Fähigkeiten, Handlungspotentiale und -räume der Geschlechter und legitimiert damit bestehende Hierarchien zwischen den Geschlechtern. Die herausgearbeitete Umkehrung der Zuschreibungen an die Geschlechter, durch die weiter an Vorstellungen einer dominanten Männlichkeit festgehalten werden kann, wird komplizierter und deutlicher zugleich, wenn hinzugezogen wird, wie dabei Männlichkeit konstruiert wird. Wie gezeigt, können Männer mit Matussek die Wut und Empörung darüber, dass Männer in Trennungssituationen ihren ehemaligen Partnerinnen ausgeliefert seien, teilen, ohne dass die Gefahr besteht, selbst in die Position des schwachen, passiv leidenden Mannes zu geraten und damit zentrale Attribute von Männlichkeit einzubüßen. Letzteres ist das, was Matussek am Beispiel von Gempp beschreibt: der Verlust herkömmlicher Attribute von Männlichkeit. Ähnlich wie bei Matusseks Konstruktion des ‚Mannweibs’, der übermächtigen Frau und Mutter, wird exemplarisch Gempp in einer Umkehrung der Geschlechtsstereotype mit Zuschreibungen versehen, die aus dem Repertoire der Darstellung von Weiblichkeit stammen. Auch hier werden sowohl Stereotype aufgerufen, die aus der Differenzierung zwischen den Geschlechtern gewonnen werden, als auch Stereotype, die der Differenzierung im geschlechtsimmanenten Bezugsrahmen entspringen. Doch negative Männlichkeitsvorstellungen verschwimmen fast mit bestehenden normativen Vorstellungen von ‚Weiblichkeit’. Dies könnte daran liegen, dass im Allgemeinen geschlechtsimmanente Differenzkonstruktionen im Bezug auf Männer geringer ausfallen als in Bezug auf Frauen, bei denen die Palette zugeschriebener Eigenschaften und Fähigkeiten sehr weit und in sich auch widersprüchlich ist.171 Negativ konnotierte Vorstellungen von Männlichkeit sind vor allem mit
171 Je größer die Variabilität und Vielfalt von Deutungsmustern der Geschlechterdifferenz ist, desto geringer der Identitätszwang der auf Frauen und vor allem auf Männern lastet.
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Homosexualität assoziiert und diese Assoziationen wiederum teilweise identisch mit Vorstellungen von Weiblichkeit.172 So sind auch hier nahezu alle Gempp zugeschriebenen Eigenschaften und Tätigkeiten mit ‚Weiblichkeit’ und durch die Betonung der emotionalen Bindung an Kinder auch mit ‚Mütterlichkeit’ verbunden. Explizit negative Männlichkeitsklischees, z. B durch Bezeichnungen und Umschreibungen wie ‚krumme Nummer’ oder ‚am Rande des Versagertums’, werden den Akteuren in den Mund gelegt, die von Matussek als ‚GegnerInnen’ im Geschlechterkampf ausgemacht wurden.173 Staat, Juristen und Feministinnen, denen ja einerseits vorgeworfen wird, Frauen einseitig zu unterstützen und Männer zu entmachten, werden so paradoxerweise zu VertreterInnen eher traditioneller Männlichkeitsstereotype gemacht und damit zu denen, die keine Veränderungen herbeiführen wollten oder könnten, weil sie sich ja doch den ‚starken’ Mann wünschten. Es passiert hier also zweierlei: Zunächst werden Ängste und Schwächen, Hilflosigkeit, seelisches und körperliches Leiden mit viel Empathie bei Männern festgestellt, um sich dann von dem Bild des mit eher weiblichen Attributen ausgestatten Mannes zu distanzieren. Dabei bleibt die Beschreibung des Mannes als Opfer in ihrer Larmoyanz und durch ihre karikaturhafte Übersteigerung bezogen auf die Vorstellung, dass Männer eigentlich das „starke“ Geschlecht sein sollten. Andererseits gelingt aber auch gegenüber traditionellen Klischees von Männlichkeit eine Distanzierung, die aber vor allem rhetorischer Art ist: Vorstellungen von ‚Männlichkeit’, die sich am Modell des Familienernährers ausrichten, werden als leitendes Ideal des Staates dargestellt, der unter dem Einfluss feministischer Politik stünde und keine ‚neuen’ Männer und Väter wolle. Das Interesse des Staates und des Feminismus seien dieser Perspektive nicht Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen und –beziehungen in Richtung von Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit der Geschlechter, sondern bestehe einfach nur darin, Männer in Relation zu Frauen möglichst klein zu halten und sie der Bestimmung über ihre Generativität zu berauben. Die Vorstellung einer kulturellen feministischen Hegemonie, der zufolge der Feminismus alle zentralen gesellschaftlichen Bereiche besetzt hält, zieht sich durch. Sie steht im Einklang damit, dass erst gar nicht weiter
172 Z. B. Stereotype, die mit der „Tunte“ zusammengebracht werden. Daneben existieren auch andere Varianten von Stereotypen von männlicher Homosexualität. 173 Knapp (1995) weist darauf hin, dass die Spannbreite negativer Attribute von Männlichkeit weit geringer ist, als die von Weiblichkeit.
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thematisiert wird, durch welche Überlegungen und Interessen sich staatliche Politik leiten lässt. In der Abgrenzung Matusseks von den verschiedenen Männlichkeitsvorstellungen – dem Mann als Opfer als auch dem ‚starken’ Versorger der Familie – zeigt sich allerdings eine deutliche Gewichtung. Er distanziert sich in den analysierten Texten von dem tendenziell verweiblichten, schwachen Mann, der auch synonym zu den ‚neuen Vätern’ verstanden wird. Auch gegenüber dem traditionellen Familienernährermodell, also gegenüber dem Mann, der vornehmlich auf seinen Beruf und die materielle Absicherung der Familie ausgerichtet ist und der in dieser Verantwortung nie ‚versagen’ darf, erfolgt eine Abgrenzung. Zurückgewiesen wird aber im Wesentlichen nur die Funktion des Ehemannes und Vaters als Versorger der Familie auch nach der Trennung. Diese Funktion wird nur noch akzeptiert, wenn damit eine kontinuierliche emotionale Bindung und emotionaler Rückhalt garantiert würde. Stärker betont wird zudem die emotionale Bindung zwischen Vater und Kind. Schaut man die Argumentation noch einmal genauer an, wird deutlich, dass sich die Distanzierung von dem traditionellen Männlichkeitsmodell vorrangig strategisch verstehen lässt. Es findet ein gekonntes Spiel mit Gleichheit und Differenz statt. Durch die Umdrehung stereotyper Zuschreibungen bleibt das Denken einer fundamentalen, essentiellen Differenz zwischen den Geschlechtern erhalten. Dabei gleichen sich zwar die Beschreibungen von Männlichkeit zunächst den traditionellen ‚positiven’ Vorstellungen von Weiblichkeit an, gewinnen Männer ‚mütterliche’ Züge. Männer könnten also ebenso sein wie Mütter – müssen und sollen es aber nicht. Im Gegenteil – so die nächste Drehung –, Frauen hätten letztlich ebenso wenig wie der Staat ein Interesse an schwachen Männern. Es bestünde vielmehr ein Interesse daran, dass Männer ihre Funktion als Familienernährer übernehmen, dass sie sich als Männer, als Andere, Differente gegenüber ihren Kindern positionieren. Die Aussage, dass Frauen und auch der Staat letztlich selbst festhalten an Vorstellungen traditioneller Männlichkeit, legitimiert ein eigenes Bestreben, sich aus der ohnmächtigen Position wieder heraus zu bewegen, und mit den genannten Einschränkungen die Position des Familienernährers inne zu haben, Vater sein zu können, der nicht „mütterliche“ Funktionen übernehmen muss, dies aber tun könnte, wenn er will. An dieser Stelle wird die Widersprüchlichkeit der Männlichkeitsund Weiblichkeitskonzeptionen sichtbar. Einerseits werden Frauen, die ‚bösen’ wie die ‚guten’, als omnipotent konstruiert. Andererseits werden sie als Frauen dargestellt, die sich einen starken Mann wünschen, keine 172
Verantwortung übernehmen wollen und sich aushalten lassen. Ähnlich verhält es sich mit den Männlichkeitsvorstellungen. Männer werden zunächst als unterdrückt, entmächtigt und schwach wahrgenommen, dadurch aber als ‚weiblich’ qualifiziert. Andererseits wird die Position der Schwäche zurückgewiesen und der Wunsch artikuliert, das Modell des Familienernährers als Orientierung zu nehmen, wenn auch nicht mehr mit der Verantwortung gegenüber der Partnerin verbunden, wie dies das Leitbild der 50er und 60er Jahre noch vorgesehen hat. In der Reaktion auf die Angst, aus ihrer angestammten dominanten Position verdrängt zu werden, und in der Verunsicherung darüber, was denn die Funktionen und die Position des Vaters heute noch ist, orientieren sich Väter, die wie Matussek argumentieren, also weitgehend an den in der bürgerlichen Gesellschaft dominanten Deutungsmustern von Männlichkeit. Dies geschieht vor allem dadurch, dass die dramatisierte Umkehrung der Zuschreibung geschlechtlicher Eigenschaften und Fähigkeiten, Funktionen und Positionen in einem zweiten Schritt wieder negiert wird. Dabei zeigen sich gleichwohl – wenn auch geringe – Modifikationen gegenüber herkömmlichen Vorstellungen von Männlichkeit. Diese beziehen sich, wie deutlich wurde, vor allem auf die Position und Funktion des Vaters innerhalb der Privatsphäre. Neu ist, dass die emotionale Beziehung zum Kind eine weit eigenständigere Bedeutung zugesprochen bekommt als noch vor 30 Jahren, und dass auch über die Trennung der Partnerschaft hinaus ein Recht auf die konkrete Beziehung zum Kind formuliert wird. ‚Vaterliebe’ wird als archaische Kraft interpretiert, durch die die Beziehung zum (leiblichen) Kind auf Dauer angelegt ist. ‚Väterlichkeit’ im Sinne einer emotionalen Bindung an das Kind wird zu einem wichtigen Aspekt des ‚Mann-Seins’, der aber in einem widersprüchlichen Spannungsverhältnis zu ‚Männlichkeit’ steht. Die Konstruktion des emotionalen Vaters schwächt allerdings die Vorstellung des Vaters als Familienernährer nur wenig. Gleichzeitig wird der Vater als emotionale Bezugsperson nicht als austauschbar, sondern als komplementär zur Mutter, als wichtiger Anderer, konzipiert. Damit wird die Vorstellung essentieller Differenzen zwischen den Geschlechtern wieder fixiert, Hierarchien werden nicht in Frage gestellt. Wie Vaterschaft im positiven Sinne konkret gelebt werden könnte und sollte, wird jedoch kaum thematisiert. Durch die Betonung des Archaischen in der Liebe zwischen Vater und Kind, wird scheinbar irrelevant, wie der Vater die Beziehung zum Kind inhaltlich und zeitlich ausfüllt. Das gilt vor allem für die Zeit vor der Trennung. Dies spricht erneut dafür, dass es in diesem Teildiskurs weniger um Veränderung von Vaterschaft, 173
die Gestaltung der Beziehung zwischen Vater und Kind geht, als um die Machtverteilungen zwischen den Geschlechtern. Unterstützt wird dieser Eindruck dadurch, dass in den Texten, in denen ‚Geschlechterkampf’ die zentrale Kategorie ist, die konkreten Beziehungen zu den Kindern immer wieder in den Hintergrund treten. Das Kind, die Vater-Kind-Beziehung, verschwindet hinter den Auseinandersetzungen um Macht in den Geschlechterbeziehungen. Dennoch lässt sich festhalten: Es geht in den rechtlichen Forderungen der Väter nicht nur um eine formale Rechtsposition des Vaters gegenüber dem Kind wie in der vaterrechtlichen Tradition des 19. und auch noch 20. Jahrhunderts174, sondern um die Möglichkeit der ganz konkreten Personensorge des Vaters für das Kind, die allein aus der emotionalen Bindung zwischen Vater und Kind begründet wird. Der biologischen Vaterschaft wird als Basis der emotionalen Beziehung eine hohe Bedeutung zugesprochen. In den Texten von Matussek finden sich insgesamt nur wenige Formulierungen, in denen ‚Männlichkeit’ und ‚Väterlichkeit’ positiv bestimmt werden. Gleichwohl lässt sich erkennen, dass das Modell des Familienernährers zentral für das hier zum Ausdruck kommende Verständnis von Männlichkeit ist. So wird zwar eine Erwerbstätigkeit von Frauen antizipiert, für die geschiedene Frau sogar gefordert, da sie sonst vom ehemaligen Mann alimentiert werden müsste. Dabei wird die Vorstellung einer erreichten Gleichstellung von Frauen in der Erwerbssphäre zugrunde gelegt, die verdeckt, dass es nach wie vor in den meisten Familien Frauen sind, die sich beruflich einschränken, um die Kinder zu versorgen, und dass sie zugleich weit mehr Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben. Abgesehen von diesen Konstruktionen der Aufgabenteilung und den Funktionen des Vaters nach einer Trennung sind es in Matusseks Modell vorrangig Frauen, die für die familialen Arbeiten zuständig gesehen werden. Dem zugrunde liegt ein Differenzdenken, welches von vornherein unterstellt, dass Mütter und Väter über verschiedene Fähigkeiten verfügen und daher verschiedene Aufgaben wahrnehmen. Die Vorstellung differenter Fähigkeiten und Aufgaben wird allerdings weniger biologisch begründet – es wird deutlich davon ausgegangen, dass Männer Tätigkeiten ausführen könnten, die traditionell Frauen zugewiesen werden und vice versa. Als sozial wünschenswert und besser für alle Beteiligten wird jedoch die
174 Wie dies z. B. innerhalb der feministischen Auseinandersetzung immer wieder betont wird (vgl. u. a. Bahr-Jendges 1987, 1993, 1995).
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mehr oder weniger traditionelle Aufgabenteilung zwischen den Geschlechtern gesehen. Mehr oder weniger, weil Frauen ja ihr Aufgabenfeld er-weitern könnten um eine Berufstätigkeit, die mit den familialen Aufgaben vereinbar ist. Bei Männern erfährt das traditionelle Modell des Familienernährers insofern eine Weiterung, als bewusst mehr Wert auf die emotionale Bindung zwischen Vater und Kind gelegt wird. Diese Arbeitsteilung gibt Männern den Rahmen zur Wahrung einer Identität, die nicht ständig Verunsicherungen ausgesetzt ist. Sie ist Garant von Stabilität und Klarheit über die eigene Funktion und dient Matussek zufolge Kindern zur klaren Orientierung. Die im Text zum Ausdruck kommende Spannung zwischen ‚Männlichkeit’ und ‚Väterlichkeit’ wird durch die Vorstellung ‚gelöst’, dass ein ‚guter Vater’ zu sein daran geknüpft wird, Repräsentant des männlichen Geschlechts zu sein, für das Kind eine Differenz zwischen den Geschlechtern zu markieren und ihm so Orientierung zu geben. Zugespitzt lässt sich über das hier eingenommene Verständnis von Vaterschaft sagen: Egal, wie die Vaterschaft gestaltet wird, solange der leibliche Vater kontinuierlich als männliches Identifikationsobjekt zur Verfügung steht und die Liebe zwischen Vater und Kind besteht, ist das gut für das Kind. Wie dieses zur Verfügung Stellen aussieht, bleibt vor allem auf der Seite eines gelebten Alltags des Vaters mit dem Kind offen. Frauen, die sich von dem leiblichen Vater des Kindes trennen und keine gemeinsame Sorge anstreben, handeln nach diesem Verständnis immer gegen das Wohl des Kindes. Dabei werden inhaltlich keine Modelle diskutiert, wie berufstätige Väter ihr Sorgerecht ausüben wollen und können. Vielmehr beschränkt sich die Argumentation darauf, Veränderungen auf Seiten von Frauen, ihr Streben nach anderen Lebensentwürfen als der klassischen Familie, mit Bezug auf das Wohl des Kindes abzuwehren. Die Abwehr von Veränderungen in der Lebenssituation wird in einer ritterlichen Geste als Schutz Schwächerer legitimiert. Der Kampf von Männern wird also nicht nur durch das Unrecht begründet, das Männer erfahren, sondern auch durch das Unrecht, das Kindern dadurch widerfahren würde. Das ‚Kindeswohl’ wird in Zeiten eines erodierenden Geschlechterarrangements als zentraler Begriff verwandt, um eine vormoderne Ordnung weitgehend wieder herzustellen (vgl. Ott 1998, 189/190).
175
4.1.3 Konzeptualisierungen von Familie, Paarbeziehung und Elternschaft In diesem Abschnitt, der die Darstellung der Interpretationsergebnisse der Texte von Matussek abschließt, gehe ich der Frage nach, wie in den untersuchten Texten Familie und hier vor allem das Verhältnis von Paarbeziehung und Vater-Kind-Beziehung zueinander, verstanden werden. Dazu stelle ich zunächst einige theoretische Vorüberlegungen zu gesellschaftlichen Veränderungsprozessen und der Notwendigkeit der Herausbildung von Ambivalenztoleranz auf Seiten der Individuen an, um vor diesem Hintergrund dann einzelne Passagen zu interpretieren und weiter zu diskutieren.
4.1.3.1
Widersprüche und Ambivalenzen in gesellschaftlichen Transformationsprozessen
Ulrich Beck hat Mitte der achtziger Jahre den derzeitigen Strukturwandels westlicher Industriegesellschaften als ‚zweite Moderne’ bzw. ‚reflexive Moderne’ gefasst, welche durch neue globale Risiken und durch starke Individualisierung gekennzeichnet sei. Folgt man dieser und anderen (z. B. Giddens 1995, 1996) Theorien reflexiver Modernisierung, gehört auch das Geschlechterverhältnis zu den „Basisinstitutionen der ersten Moderne, die sich im Zuge ihrer Radikalisierung von innen her auflösen und den Epochenbruch zwischen erster und zweiter Moderne kennzeichnen“ (Wetterer 2003, 286). So seien wir laut Beck alle Augenzeugen eines Gesellschaftswandels, innerhalb dessen „die Menschen aus den Sozialformen der Gesellschaft – Klasse, Schicht, Familie, Geschlechtslagen von Männern und Frauen – freigesetzt werden" (Beck 1986, 115). In einem ‚historischen Kontinuitätsbruch’ lösten sich die Individuen aus ihren familiären und traditionalen Bindungen, Frauen würden aus der Ehe und der Hausarbeitsversorgung freigesetzt und jonglierten zwischen ‚Mehrfachambitionen’ wie Berufserfordernissen, Bildungszwängen und Kindverpflichtungen (vgl. Beck 1986, 118). Im Kontext dieser Veränderungen sei das Aufrechterhalten von Beziehungen „kein selbstverständlicher Akt mehr, sondern eine freiwillige Handlung“, so Beck-Gernsheim, die die grundsätzlichen Prämissen des Ansatzes von Beck teilt und insbesondere deren Auswirkungen auf die Institution Familie und die Geschlechterbeziehungen fokussiert (Beck-Gernsheim 1994, 133). Dieser Modernisierungsschub, mit dem wir es nach Beck und Beck-Gernsheim seit Ende der 60er Jahre 176
zu tun haben, ist ihnen zufolge ambivalent. Die Kehrseite der Freisetzung aus Traditionen bildeten „riskante Freiheiten“ (1994), die Entroutinisierung des Alltags der Individuen, ein Zwang zur Entscheidung, zur Flexibilität. „Wo man früher auf eingespielte Regeln und Rituale zurückgreifen konnte, beginnt heute eine Inszenierung des Alltags, eine Akrobatik des Abstimmens und Ausbalancierens. Im Ergebnis wird der Familienverbund fragil, vom Auseinanderbrechen bedroht, wenn die Abstimmungsleistungen nicht gelingen.“ (Beck-Gernsheim 1994, 134)
Die modernisierungstheoretische Reflexion der hier genannten sozialen Phänomene durch Beck, Beck-Gernsheim, Giddens u. a., die innerhalb der Soziologie in vielen empirischen Untersuchungen aufgegriffen wurde, ist in den neunziger Jahren vor allem von Seiten feministischer Theorien als zwar geschlechtssensibilisiert, in ihrem Kern jedoch als geschlechtsblind kritisiert worden.175 Innerhalb der sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung hingegen werden dagegen die Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche der Prozesse der Modernisierung hervorgehoben, die die Geschlechterverhältnisse tangieren und zugleich durch sich neu herausbildende Geschlechterarrangements auch hervorgebracht werden (vgl. u. a.
175 Z. B. Beer 1992; Aulenbacher/Siegel 1993; Becker-Schmidt 1996a; Bereswill/Wolde 1996; Negt 1999; Gottschall 2000; Aulenbacher 2001. Es wird unter anderem kritisiert, dass Individualisierungsphänomene, die in bestimmten Milieus zu beobachten sind (vor allem bei Akademikerpaaren), zu stark verallgemeinert werden. Dies trifft insbesondere auf die These der Pluralisierung von Lebensformen zu, die von Beck und Beck-Gernsheim gleichgesetzt wird mit der Tendenz zur Auflösung der traditionellen Familie. Auch Becks Vorstellung einer ‚halbierten Moderne’ wird für problematisch gehalten, nach der alle in den Geschlechterverhältnissen diagnostizierten Ungleichheitslagen und Widersprüche letztlich als vormodern angesehen werden. Die mit dieser Vorstellung verbundene These einer ‚nachholenden Individualisierung’ von Frauen, die Frauen als Akteurinnen von Modernisierung weitgehend ausblendet, kann die Ungleichzeitigkeiten zwischen traditionellen und modernen Prozessen nicht fassen (vgl. Bereswill/Wolde 1996). Systematisch wurde insbesondere von Aulenbacher (2001) eingewandt, dass Beck und auch Giddens in ihren Theorien zwar zahlreiche Hinweise auf Phänomene sozialen Wandels gäben, „die für sich genommen auch betrachtenswert sind“ (Aulenbacher 2001, 213). Die Verallgemeinerung dieser Phänomene im Sinne einer zeitdiagnostischen Interpretation trüge jedoch nicht, „da die Autoren keinen Aufschluss über die gesellschaftliche Relevanz der identifizierten Phänomene geben“ (Aulenbacher 2001, 213) könnten. Durch die Unterbelichtung von Kategorien sozialer Strukturierung gelänge es Beck und Giddens nicht, gesellschaftliche Widersprüche und Ungleichzeitigkeiten systematisch in den Blick zu bekommen, auch wenn sie auf der Ebene der Phänomene Aporien des Modernisierungsprozesse aufzeigten.
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Beer 1990; Gerhard 1991; Becker-Schmidt 1991; Wolde 1995; Bereswill/Wolde 1996; Knapp 1996; Gottschall 2000). Dies gilt in besonderem Maße auch für die derzeitigen Prozesse sozialen Wandels. So formuliert z. B. Wetterer (2003) in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse: „Der soziale Wandel, die Modernisierung des Geschlechterverhältnisses hat gegenwärtig einen Stand erreicht, der vor allem durch Widersprüche, Brüche und Ungleichzeitigkeiten gekennzeichnet ist: Brüche zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen und – sobald man genau hinschaut – auch innerhalb einzelner Bereiche; Ungleichzeitigkeiten zwischen verschiedenen Regionen und sozialen Milieus; Widersprüche zwischen den verschiedenen Ebenen und Medien der Herstellung und Institutionalisierung geschlechtlicher Differenzierungen und Hierarchisierungen.“ (Wetterer 2003, 288)
Mit den hier diagnostizierten gesellschaftlichen Ungleichzeitigkeiten und Widersprüchen ist verbunden, dass Modernisierungsprozesse gegenläufige soziale Entwicklungen hervorbringen. Die divergierenden Anforderungen176, die aufgrund dieser Komplexität sozialen Wandels zunehmend an die Individuen gerichtet werden und sich nach Geschlecht und Klassenbzw. Milieuzugehörigkeit unterscheiden, rufen auf Seite der Individuen Ambivalenzen gegenüber sozialen Veränderungen hervor, mit denen diese – abhängig von ihren biographischen Erfahrungen sowie sozialen und materiellen Ressourcen – sehr unterschiedlich umgehen können. Da sich in meiner Analyse zeigt, dass die verschiedenen Deutungsmuster, auf welche die Akteure in Väterinitiativen zurückgreifen, etwas mit ihrer Ambivalenztoleranz zu tun haben, möchte ich hier kurz genauer auf diesen Begriff eingehen und dann meine Überlegungen wieder auf die Argumentation Matusseks beziehen. Dabei orientiere ich mich an der Arbeit von Ina Jekeli (2002), die eine grundlegende Auseinandersetzung darüber geführt hat, inwieweit die Begriffe der Ambivalenz und der Ambivalenztoleranz für soziologische Fragestellungen zu nutzen sind. Jekeli zufolge können die Akteure die sie umgebende soziale und physische Welt gar nicht voll durchschauen, verarbeiten und dabei zu
176 Ein Beispiel für widersprüchliche Anforderungen wäre die an Frauen gerichtete Erwartung, dass sie Kinder bekommen und diese die ersten Jahre vorrangig versorgen sollen – was sich auch in den institutionellen Rahmenbedingungen niederschlägt –, welche mit der gleichzeitig bestehenden Anforderung konfligiert, dass sie einer qualifizierten Erwerbstätigkeit nachgehen sollen.
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eindeutigen Lösungen kommen, weil sie kontingent, unwägbar und oft widersprüchlich oder paradox ist und von den Individuen zudem nur unter einem begrenztem Blickwinkel wahrgenommen werden kann. In solchen Konstellationen reagieren sie mit Ambivalenz: „Sie sind hin- und hergerissen zwischen verschiedenen Handlungsalternativen, die gleichermaßen attraktiv oder nachteilig erscheinen; sie hegen widersprüchliche Gefühle gegenüber einem Menschen, einer Handlungsoption oder auch den eigenen Empfindungen; sie schwanken zwischen Angst und Neugier, Unsicherheit und Zuversicht. All das ist Ambivalenz: das gleichzeitige Vorhandensein widersprüchlicher Gefühle, Einschätzungen und Reaktionsweisen gegenüber Objekten der äußeren Welt, aber auch gegenüber eigenen Wahrnehmungen, Empfindungen, Deutungen und Handlungen. Ambivalenz läßt sich also auf affektiver ebenso wie auf kognitiver und evaluativer Ebene verorten und wird vor allem – (...)– durch Neuheit, Komplexität und Widersprüchlichkeit einer für den Akteur relevanten Situation oder Problematik ausgelöst.“ (Jekeli 2001, 6)
Werden die Individuen mit ihrer Ambivalenz konfrontiert, bestimmt ihre jeweilige Ambivalenztoleranz, in welcher Weise sie die Ambivalenz bewusst wahrnehmen, verarbeiten und darauf reagieren können „und dadurch wiederum Sozialität weiterführen und prägen“ (Jekeli 2001, 6). Ambivalenztoleranz ist aus ihrer Sicht deshalb soziologisch relevant, weil sie an der Schnittstelle liegt zwischen (sozialen) Phänomenen, die Ambivalenz hervorbringen, und den durch die Reaktion der Akteure wieder geschaffenen sozialen Strukturen. Zudem sei Ambivalenztoleranz selbst kein innerpsychisch vorgegebenes Datum177, sondern „im Wechselspiel der je biographisch relevanten sozialen Erfahrungen entstanden“ (Jekeli 2001, 6). Anders gesagt: Die Art und Weise, mit Ambivalenzen umzugehen, sie wahrzunehmen und zu Integrationen zu kommen oder sie abzuwehren, sie bedrohlich oder interessant zu finden, ist individualisiert, aber sozial erzeugt und hat wieder Auswirkungen auf die Akteure selbst, auf ihre Interaktionen, ihr Handeln in allen sozialen Bereichen (Jekeli 2001, 232). Zurück zu den Texten von Matussek. Er sieht die sozialen Veränderungen in den Geschlechterarrangements und -beziehungen, die im (semi) wissenschaftlichen Diskurs als Ausdruck von Modernisierungsphänome-
177 Wie dies in einigen psychoanalytischen Konzeptualisierungen wie z. B. von Melanie Klein verstanden wird.
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nen diskutiert werden, kritisch. Deutlich wird dies in der folgenden Passage, in der er seinen Blick auf gesellschaftliche Veränderungen lenkt: „Gempp durchlebt die Nachtseite einer Gesellschaft, die das langfristige Projekt Familie durch die kurzfristige Spaßbeziehung abgelöst hat. Die Leidtragenden dieses amourösen Schichtwechsels sind die Kinder – immer öfter wird auch von ihnen verlangt, den abgeliebten Elternteil als verflossene Null zu vergessen.“ (Matussek 1997, 91, Spalte 1)
Nehmen wir zunächst Matusseks Formulierung in den Blick, dass es die ‚Nachtseite einer Gesellschaft’ sei, die ‚das langfristige Projekt Familie (...) abgelöst’ habe. Hier zeigt sich, dass der Modernisierungsprozess von ihm einseitig negativ erfahren wird; widersprüchliche und ungleichzeitige Phänomene der gesellschaftlichen Entwicklungen werden nicht thematisiert, obgleich Diskussionen über solche Phänomene dem Autor bekannt sein müssten, da er ja z. B. auf feministische Diskurse auch Bezug nimmt. Dass sich familiale Beziehungen verändern, wird nicht als Chance für mehr individuelle Spielräume und als Gefahr der Anomie zugleich gewertet. Vielmehr wird einer eindeutig als schlecht empfundenen Entwicklung, der ‚Ablösung’ der traditionellen Familie, eine ebenso eindeutig positive Variante entgegengestellt, nämlich zu den Strukturen der traditionellen Kernfamilie zurück zu kehren. Das Modell der traditionellen Kernfamilie wird idealisiert und damit eine Auseinandersetzung mit den Folgen von Transformationen in den Geschlechterarrangements verhindert, die deren Für und Wider für alle Beteiligten austarieren und damit angemessene Lösungsmöglichkeiten für die Akteure bereitstellen könnte. Matusseks Formulierungen blenden mögliche Handlungskonflikte von Männern und Frauen weitgehend aus. Bestehende Ambivalenzen werden negiert, indem scheinbar eindeutige Verhältnisse postuliert und entsprechende Veränderungsvorschläge gemacht werden. Propagiert wird ein Zurück zur traditionellen bürgerliche Kleinfamilie, in der eine Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern weitgehend vorgegeben und die auf Kontinuität angelegt ist. Eindeutigkeit wird auch in der Frage hergestellt, auf wessen Verhalten der gesellschaftliche Übergang zu ‚Spaßbeziehungen’ zurückzuführen sei: Frauen werden hier einseitig als Akteurinnen der Veränderung dargestellt; Männer seien dieser Entwicklung passiv ausgeliefert. 178 178 Anders als in den bisher interpretierten Passagen werden Frauen als Akteurinnen hier nicht explizit benannt, sondern es ist abstrakter und damit offener von „Gesellschaft“ und
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Mit dem Wort ‚Nachtseite’ wird außer dem Tag-Nacht-Bild auch noch eine andere Bedeutung aufgerufen. ‚Nachtseite’ lässt Vorstellungen von ‚Nachtleben’ assoziieren. Diese Assoziation wird in dem nächsten Satz durch die Rede vom ‚amourösen Schichtwechsel’ bestätigt. In dem Wort ‚Schichtwechsel’ steckt eine Anspielung auf Erwerbsförmigkeit. Konkreter ist damit die in einem bestimmten Rhythmus ohne zeitliche Lücken stattfindende Auswechselung des Personals gemeint. ‚Schichtwechsel’ hätte in dem hier angedeuteten Kontext von Liebschaft und Erotik dann sowohl die Bedeutung, dass Frauen ihre Partner in bestimmten Rhythmen einfach von einem anderen ablösen lassen, als auch, dass Frauen hier eine bestimmte Schicht erledigen und dann gehen – mit langfristigen Bindungen hat beides nichts zu tun. Das Bild wiederholt sich: Frauen nehmen sich ihren Spaß, zocken die Männer dabei ab und wenn es dann reicht, oder nichts mehr zu holen ist, kommt der nächste dran. Die Frauen, die die mit dem Bild des ‚amourösen Schichtwechsel’ in den Blick geraten, werden in die Nähe von Prostituierten gerückt. Das Empörende ist demnach, dass Frauen sich einfach trennen und anderen zuwenden könnten und dass in diesem Rahmen Ehemänner und Väter Verpflichtungen gegenüber ihren Ehefrauen hätten, die sich ungleichzeitig zum Abbruch der emotionalen Verbindung verhalten. Ein Mann wie Gempp – den Matussek exemplarisch für alle Väter vorstellt – muss dies ‚durchleben’, kann es nicht beeinflussen, wenn die Beziehung von der Frau aufgelöst wird. Obwohl in der betrachteten Sequenz manifest vor allem die Kinder als Leidtragende der Trennung bezeichnet werden, zeigt sich, dass es auch bei der hier erhobenen Anklage letztlich weniger um die Kinder als um die Kränkung der Verlassenen geht. Die Assoziation von Frauen, die sich trennen, mit Prostituierten, lokalisiert die Auseinandersetzung vorrangig auf der Erwachsenenebene, disqualifiziert allerdings zugleich diese Frauen auch als Mütter. Auch die Ausdrücke ‚abgeliebt’, ‚verflossene Null’, zielen auf die Paarbeziehung und verweisen, wie oben deutlich wurde, auf die Kränkung, nicht mehr gebraucht zu werden, für den anderen keinen Wert mehr zu haben. Dies heißt natürlich nicht, dass Kinder unter einem Verlust des Kontakts zu ihren Vätern nicht leiden bzw. Väter nicht an dem
„Eltern“ die Rede. Diese Offenheit wird allerdings sofort wieder eingeschränkt, da in dem Satz weiter exemplarisch das Einzelschicksal Gempps dargestellt und damit aus dem bisherigen Kontext heraus das Geschlecht der Handelnden feststeht, die das ‚langfristige Projekt Familie durch die kurzfristige Spaßbeziehung abgelöst’ hätten.
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Verlust des Kontakts zu ihren Kindern. Diese Problematik wird hier aber nicht wirklich thematisiert. Im Zentrum der Thematisierung steht der Ausschluss des Vaters aus der Beziehung von Mutter/Partnerin und Kind. Der Mann fühlt sich aus der triadischen Struktur gedrängt, getrennt von Partnerin und Kindern und nun einer Dyade gegenüber gestellt. Das Leiden der Kinder unter einer Trennung des Elternpaares und des Verlustes bzw. der starken Einschränkung des Kontaktes zu einem Elternteil wird hier an die Stelle des Leidens und der Kränkung der Väter gesetzt. Dadurch wird eine Trauer über den Ausschluss und den damit verbundenen Verlust von den Vätern nicht zugelassen und damit eine Anerkennung der Situation erschwert, die grundlegend wäre für Möglichkeiten eines kreativen Umgangs mit den Konflikten. Die positiv besetzte Vorstellung, die dagegen von Matussek vertreten wird, ist die auf Dauer angelegte Familie, für deren Aufrechterhaltung Frauen verantwortlich gemacht werden. Gewünscht wird eine Frau, die sich nicht trennt, eine emotionale Bindung, um die man nicht fürchten muss, auf die man sich verlassen kann, egal, wie man sich selbst verhält. Matussek, so lässt sich zusammenfassen, artikuliert über den exemplarisch konstruierten Fall Gempp latent eine Erfahrung, die zumindest für diejenigen Männer zu gelten scheint, für die wie für Matussek ‚Geschlechterkampf’ eine zentrale Kategorie darstellt: Die Erfahrung der Überforderung durch gesellschaftliche Widersprüche. Diese Männer begreifen sich selbst als Verlierer, als Opfer, derzeitiger gesellschaftlicher Transformationsprozesse und damit einhergehender Veränderungen in den Geschlechterarrangements – die von ihnen als deutlicher Zerfall traditioneller Arrangements wahrgenommen werden. Auch meine Analyse lässt die Gruppe ‚kämpfender Väter’ als ‚Modernisierungsverlierer’179 erscheinen, wenn auch in einem anderen Sinn als von ihnen selbst thematisiert. Die an der Darstellung des Falles Gempp zum Ausdruck kommenden grundlegende Verunsicherungen und Ohnmachtgefühle auf Seiten von Männern deuten darauf hin, dass viele der Väter, die sich an dem Deu-
179 Wenn ich hier von ‚Modernisierungsverlierern’ spreche, verstehe ich das nicht als wertende Aussage, sondern als Darstellung eines objektiven Problems, das diese Akteure selbst als eines wahrnehmen, aber anders interpretieren. Keinesfalls möchte ich damit den Eindruck erwecken, dass die mit ‚Modernisierung’ verknüpften zunehmenden Anforderungen z. B. von Flexibilisierung und Mobilisierung oder die verstärkte Ökonomisierung sozialer Prozesse als einseitig positiv betrachtet werden könnten. Vielmehr komme ich zu meiner Aussage ja gerade auf Grundlage meiner Auffassung, dass ‚Modernisierung’ einen in sich höchst widersprüchlichen und ungleichzeitigen Prozess bezeichnet.
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tungsmuster ‚Geschlechterkampf’ orientieren, biographisch eine unzureichende Ambivalenztoleranz ausgebildet haben, um den widersprüchlichen und komplexen Anforderungen und Problemen des Modernisierungsprozesses – die individuell auch nicht gelöst werden können – reflektierend begegnen zu können.180 Der zu beobachtende Versuch, eine Eindeutigkeit in den Orientierungen zu erzwingen, lässt sich als Antwort auf divergierende soziale Anforderungen lesen. Eindeutigkeit wird versucht herzustellen durch einerseits die klare Zuordnung von Frauen als Modernisierungsgewinnerinnen und Männern als Modernisierungsverlierer, wobei die in diesem Zusammenhang konstatierte Entwicklung einer zunehmenden Maskulinisierung von Frauen und einer Feminisierung von Männern weitgehend negativ beurteilt wird. Andererseits, indem auf Basis dieser Diagnose positiv wieder auf das traditionelle Familienmodell mit einer klaren geschlechtlichen Verteilung und Zuweisung von Aufgaben, Funktionen und Positionen rekurriert wird, während andere familiale Lebensformen in Frage gestellt werden. 181 Der Rückgriff auf die traditionelle Kleinfamilie erfolgt damit in der Reaktion auf soziale Veränderungen, und ist also nicht traditionelles Relikt, sondern Ausdruck des Modernisierungsprozesses selbst. Der sich im gesamten Text zeigende Hang zur Vereindeutigung und Polarisierung wird, so möchte ich weiter zusammenfassen, durch die Schwierigkeit hervorgerufen, mit Verunsicherung umzugehen, die aus zwei verschiedenen Bewegungen resultiert. Zum einen sind es gesellschaftliche Veränderungen, insbesondere die Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen und der Geschlechterarrangements, welche zu einer Verunsicherung von Männern, insbesondere Vätern, über ihre Funktionen und Position gegenüber Frauen und ihren Kindern führen. Zum anderen sind es, wie oben deutlich wurde, die individuell erfahrenen Veränderungen, Kränkungen und Konflikte durch Trennung von der Partnerin
180 Widersprüchliche Verhaltensanforderungen liegen z. B. darin, dass zum einen von Männern heute erwartet wird, dem Gleichheitsanspruch von Frauen Rechnung zu tragen und mehr Aufgaben in der Familie zu übernehmen. Zugleich ist nach wie vor in weiten Teilen der Erwerbssphäre und in den Anliegerinstitutionen von Familie das Modell des Mannes als Familienernährer eingeschrieben und wird heute mehr denn je Flexibilität und Mobilität von Erwerbstätigen verlangt. 181 Mir geht es hier nicht darum, ob wir heute wirklich von einer Entwicklung ausgehen können, die zu einer Ablösung der bisherigen Kleinfamilie durch andere Lebensformen führt. Zu den Polen der Kontroverse vgl. z. B. Nave-Herz (1994, 1997) und Beck-Gernsheim (1994).
183
und Streit um das Sorgerecht, die verunsichern und mit Ambivalenzen verbunden sind. Die Wünsche und Bedürfnisse nach konstanten, konfliktarmen Beziehungen zur Partnerin und zum Kind auch über die Trennung von der Partnerin hinaus konfligieren mit der Wut und dem Hass auf die Partnerin, die einen verlässt und emotionale Abhängigkeiten von der Beziehung zur Partnerin und zum Kind damit deutlich werden lässt. Diese Ambivalenz scheint nicht aushaltbar zu sein. Es wird nicht nach Lösungen gesucht, wie trotz der Wut noch eine konfliktbegrenzende Beziehung zur Partnerin ermöglicht werden kann. Vielmehr erfolgt eine Spaltung in die ‚böse’ Mutter und den ‚guten’ Vater, der Opfer der Mutter geworden ist. Können Deutungsmuster generell „als eine Form alltäglicher konventionalisierter Ambivalenzreduktion“ betrachtet werden, die „in den sozialen Bereichen, in denen sie Geltung haben, normativ stabilisiert (werden) (Jekeli 2001, 103) und (...) in einem funktionalen Bezug zu Handlungsproblemen (stehen)“ (Jekeli 2001, 103), dann gilt dies für das Deutungsmuster ‚Geschlechterkampf’ in einem besonderen Maße. Das Deutungsmuster ‚Geschlechterkampf’ bietet sich zur Orientierung für soziale Akteure an, die nicht über genügend Ambivalenztoleranz verfügen, um reflexiv mit den nicht einfach aufzulösenden Konflikten umzugehen, die aus gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen resultieren. Ambivalenzen entstehen bei dem Versuch der Bewältigung der widersprüchlichen Anforderungen, welche sich aus den Veränderungen in den Geschlechterarrangements und der erlebten Trennungskrise ergeben. Das Deutungsmuster ‚Geschlechterkampf’ trägt dazu bei, Ambivalenzen abzuwehren, indem es polarisiert und scheinbar klare Problemlösungen anbietet: den Weg der juristischen und sozialen Konfrontation, der Kompromisslosigkeit, des Ringens um Dominanz in den Geschlechterbeziehungen. Da es auf Spaltung und Negation der Ambivalenz beruht, besteht jedoch die Gefahr, dass die weitere Kollision mit der von Widersprüchen und Ungleichzeitigkeiten durchzogenen sozialen Realität immer rigidere Abschottungen hervorbringt und zu einer Verzerrung der Wahrnehmung der Verhältnisse führt (vgl. Jekeli 2001, 103).
4.1.3.2
Das Auseinanderfallen von Paarbeziehung und Eltern-KindBeziehung
Die Vorstellung, dass wesentlich Frauen die Ablösung der traditionellen Kernfamilie durch andere Formen des Zusammenlebens vorangetrieben hätten, zieht sich durch die gesamten analysierten Texte Matusseks. Ent184
gegen dem traditionellen Stereotyp einer stärkeren Bindung von Frauen an die Familie werden Frauen als ‚Zerstörerinnen’ der Familie gezeichnet, die die Kontinuität der Partnerschaft nicht mehr garantierten. Im Gegenzug wird eine Haltung vertreten, nach der an der Familie festzuhalten sei, auch wenn sie hoch konflikthaft ist. Die Paarbeziehung tritt in dieser Perspektive hinter die Eltern-Kind-Beziehung zurück. Die nächste Sequenz bringt dies deutlich hervor. „Heute sind es die Männer, die an ihren Ehen kleben und selbst Xanthippen eher ertragen, als sich zu trennen. Die Frauen dagegen, einst Bewahrer der Familie, sind heute diejenigen, die sie auflösen.“ (Matussek 1997, 96, Spalte 1)
Während es früher Frauen gewesen seien, die für den Zusammenhalt der Familie gesorgt hätten, seien heute Männer die ‚Bewahrer der Familie’. Sie würden sich selbst dann nicht trennen, wenn sie mit ‚Xanthippen’ zusammenlebten. ‚Xanthippen’ sind dem Klischee nach bösartige, zänkische Ehefrauen, die Männer durch ihre Sprachgewalt klein halten. Hier zeigt sich, dass Matusseks Vorstellung des Erhalts der Kernfamilie in sich widersprüchlich ist: Einerseits gilt es ihm als höchstes Ziel, die Familie zu bewahren, selbst wenn die Partnerschaft nicht mehr stimmt. Im Zentrum des familialen Zusammenlebens wird also nicht die Verbindung des Paares gesehen, sondern vielmehr die Elternschaft. Andererseits wird durch die Formulierung, dass die Männer an der Ehe ‚kleben’, dieses Festhalten an der problematischen Paarbeziehung auch kritisch gesehen. ‚Kleben’ hat immer etwas mit Abhängigkeit zu tun, mit geringer Autonomie, Bewegungslosigkeit. Demnach müsste es im Interesse von Vätern selbst liegen, dieses Abhängigkeitsgefüge – die Partnerschaft – aufzulösen. Die Spannung zwischen beiden Bewegungen – dass es eine Bewegung aus der Paarbeziehung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des gesamten familialen Gefüges nicht geben kann – wird nicht weiter problematisiert. Die bisherige Analyse hat gezeigt, dass die ‚Lösung’ dieses Dilemmas vor allem darin gesehen wird, dass Frauen wieder die ihnen einstmals zugedachten Funktionen als ‚Bewahrer’ der Familie übernehmen, also in einem Zurück zu einem traditionellem Arrangement der Geschlechter in der Familie. Da gleichzeitig anerkannt werden muss, dass die Beziehung zwischen Männern und Frauen heute eine Beziehung zwischen zwei gleichrangigen und gleichwertigen Individuen ist, die eine Beziehung auch ‚kündigen’ können, wird als Lösung auch anvisiert, dass sich das Paar trennen kann, die Eltern aber zusammen bleiben müssen. Wird in 185
der einen Variante versucht, Machtverhältnisse zugunsten von Männern durch einen Rückgriff traditionelle Geschlechterarrangements zu reetablieren, wird in der zweiten Variante über die Institution Elternschaft versucht, Frauen weiter an ihre ehemaligen Partner zu binden (vgl. Ott 1998, 190). Konfliktlösungen, die versuchen, den für den sich trennenden Part ergebenden Spagat – Trennung und gemeinsame Versorgung der Kinder – zu konkretisieren und zu mildern, werden nicht überlegt. Der Wunsch nach einem Versprechen von Kontinuität, das Frauen geben sollen, zeigt sich auch in folgender Passage: „Es sei Zeit für einen neuen Ruck, einen Paradigmenwechsel, sagt Karin Jäckel. Und der müsse auch von Frauen ausgehen. Es geht darum, ‚daß wir aufstehen, um das zu schützen, was Emanzipation meint, nämlich praktizierte Partnerschaft und Liebe jenseits von Ex-und-hopp’. Damit liegt sie nicht gerade im Trend. Wie wenig, das spürt sie jetzt mit ihrem neuen Buch. Es kommt mit einem ketzerischem Vorschlag: Wie wäre es, fragt Jäckel, mit ein bißchen mehr Anerkennung für jene Frauen, die sich entschließen, ihre Kinder innerhalb der Familie, gemeinsam mit dem Vater großzuziehen?“ (Matussek 1997, 107, Spalte 1+2)
‚Emanzipation’, wie sie ‚die Frauenbewegung’ versteht, so zitiert Matussek zu-stimmend Jäckel, richte sich gegen Männer und gegen Verantwortung in der Beziehung. Gegen dieses so definierte Emanzipationsverständnis soll nun ein ‚richtiges’ Verständnis von ‚Emanzipation’ geschützt werden: das Leben einer Partnerschaft von Mann und Frau und die Beständigkeit einer Beziehung. Da Männer einen ‚Paradigmenwechsel’ bereits vollzogen hätten, wird Veränderung nur auf Seiten von Frauen thematisiert. Wie der Paradigmenwechsel von Männern aussieht, bleibt dabei offen. Aus dem Kontext heraus ist anzunehmen, dass, neben der stärkeren Orientierung von Männern zu den Kindern, es ihr Festhalten an einer Partnerschaft ist, welches als Paradigmenwechsel verstanden wird.182 Was ‚Partnerschaft’ als Leitbild für Männer heißen soll, wird jedoch nicht inhaltlich gefüllt.
182 Dabei wird nicht angesprochen, dass diese Bewegung von Männern auch aus einer tiefen Verunsicherung heraus erfolgt, frühere Privilegien aufgeben zu müssen, die viele durch die Sicherheit einer Frau im ‚Hintergrund’ hatten. Damit könnten die Motivationen von Frauen und Männern an einer Partnerschaft festzuhalten, sehr unterschiedlich sein.
186
4.1.3.3 Kinder als Garanten für eine lebenslange Bindung In dem Widerspruch, den Zusammenhalt der Familie zu bewahren und sich zugleich aus einer empfundenen Abhängigkeit gegenüber der Partnerin zu lösen, wird zugespitzt ein Kernproblem deutlich, um das sich die Auseinandersetzungen von Väterinitiativen gruppieren lassen: das Auseinandertreten von Paar- und Eltern-Kind-Beziehung. Partnerschaften werden in unserer Gesellschaft zunehmend auf Zeit eingegangen, ElternKind-Beziehungen nicht. Diskontinuität und Kontinuität in den Beziehungen geraten in Spannungen. Das Auseinanderfallen von Paarbeziehung und Eltern-Kind-Beziehung kennzeichnet den Trennungsprozess und es müssen von beiden Elternteilen Möglichkeiten gefunden werden, mit den damit verbundenen Konflikten umzugehen. Es zeigt sich aber, dass die Protagonisten, welche die Perspektive eines ‚Geschlechterkampfes’ einnehmen, offenbar nicht über die subjektiven Ressourcen und Fähigkeiten verfügen, diese Konflikte zu reflektieren und zu bewältigen. Wie oben herausgearbeitet, gibt es in ihrer auf Eindeutigkeit drängenden Sicht keine Möglichkeit mehr, als Elternpaar über die Konflikte in Verbindung zu treten, sondern eine Vater-Kind- und eine Mutter-Kind-Dyade werden einander gegenüber gestellt. Dies erschwert es, damit umzugehen, dass die Antwort auf die Frage, wo das gemeinsame Kind nach einer Trennung weiterleben soll, heute nur in geringem Maße von außen vorgegeben wird, sondern gemeinsam von beiden Elternteilen auszuhandeln ist. Auch hier tritt hervor, dass die sich hier artikulierenden Väter, und vermutlich auch ein großer Teil ihrer ehemaligen Partnerinnen, in ihren individuellen Fähigkeiten – nämlich aushandeln zu können, Ambivalenzen auszuhalten – mit gesellschaftlichen Prozessen der Modernisierung insofern nicht mithalten können, als sie die Spannung nicht aushalten, die aus divergierenden Anforderungen resultieren, welche sie individuell nicht auflösen können. Die mit einer Trennung erfolgenden ‚schmerzlichen Zugehörigkeitsverluste’ des ‚ausscheidenden Elternteils’ (Tyrell/Herlth 1994) werden hier dadurch ‚bewältigt’, dass das Paar ‚beseitigt’, nicht betrauert wird. Agiert wird nur noch aus der Elternposition, in einer Kampfmetaphorik, die davon ausgeht, dass nur eine(r) gewinnen kann. Die Vater-Kind-Beziehung erfährt gegenüber der Paarbeziehung eine starke Aufwertung. Sie wird als auf Dauer gerichtete, ‚archaische’’ und nicht wirklich in Frage zu stellenden Bindung präsentiert. Kinder werden als verlässlich wahrgenommen. Stärker als die Partnerin scheinen sie Garanten für eine lebenslange Beziehung zu sein. Dadurch, dass ein Kind zumindest bis zur Pubertät weitgehend auf seine Eltern angewiesen ist, 187
befinden sich die Eltern gegenüber dem Kind in einer klaren Position – eine Klarheit, die in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern nicht mehr vorhanden ist. Zumindest für die Väter, die sich in Matusseks Texten wiederfinden, gilt, was Beck und andere schon vor einigen Jahren als allgemeine Entwicklung festgehalten haben: „Das Kind wird zur letzten verbliebenen, unaufkündbaren, unaustauschbaren Primärbeziehung“ (Beck 1986, 193). Differenzierter noch lässt sich auf sie übertragen, was Dagmar Hosemann (1994) für viele heutige Väter formuliert: „Die Zuwendung und die emotionale Anerkennung durch die Kinder, erscheinen ihnen aufgrund des abhängigen Status wahrscheinlich sicherer als die Emotionalität der Partnerin. Aufgrund der erbrachten Versorgungsleistungen glauben Männer, die Anerkennung der Kinder besser kalkulieren zu können. Wenn die emotionale Bedeutung für die Partnerin aufgrund ihrer höheren Autonomie nachlässt und die Partnerschaft brüchig wird, gewinnt die Bedeutung gegenüber den Kindern an Gewicht.“ (Hosemann 1994, 88)
Dabei figurieren Kinder nicht einfach als Partnersubstitut, sondern haben vor allem Bedeutung für die Sicherung der Identität des Vaters oder der Mutter, sind „Sinnbeschaffer“ und „Quelle emotionaler Bedürfnisbefriedigung“ (vgl. Schütze 1994, 94). Es wird davon ausgegangen, so zeigt sich, dass beide Geschlechter heute den Wunsch und ein Interesse haben, nach einer Trennung der Partnerschaft die Bindung zu ihren Kindern aufrecht zu erhalten und mit ihnen zusammen zu leben. Zu dieser Interpretation passt, dass in Matusseks Texten eine Konkurrenz beider Eltern um die emotionale Bindung des Kindes thematisiert wird, die allerdings erst mit einer Trennung des Paares explizit wird. Dies wird z. B. deutlich in folgender Sequenz, die ich bereits an anderer Stelle zur Interpretation herangezogen habe: „Es ist ein Kontrollwunsch, der sich aus der Angst speist, das Kind könne sich dem Vater zuwenden und die Existenzgrundlage gefährden.“ (Matussek 1997, 98, Spalte 2)
Es ist vor allem das Wort ‚zuwenden’, das ich hier betonen möchte. Zuwendung, zuwenden, drückt eine bewusste, tendenziell fürsorgliche und damit erwachsene Haltung aus, die man einnehmen kann. Wenn ich mich einem Menschen, einer Tätigkeit, einem Ding zuwende, meint dies, dass ich dem Menschen/dem Ding jetzt meine ganze Aufmerksamkeit, Fürsorge schenke. Wenn von einem Kind gesagt wird, dass es sich dem einen oder dem anderen Elternteil zuwendet, dann wird hier das Kind entweder 188
als quasi erwachsener Mensch betrachtet, welcher der einen oder der anderen Person seine volle Aufmerksamkeit gibt, was gleichgesetzt wird damit, dass er sie zugleich von anderem abzieht. Die Eltern sind in dieser Perspektive davon abhängig, wem sich das Kind jetzt zuwendet. Oder das Kind wird als leicht manipulierbares Wesen betrachtet, indem man davon ausgeht, dass Zuwendung des Kindes zu einem Elternteil durch ‚Kontrolle’ über das Kind gesteuert werden kann. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die in den Väterinitiativen breit geführte Diskussion über das „Parental Alienation Syndrome“ (PAS), wonach durch Beeinflussung des Kindes durch einen Elterteil sich das Kind vom anderen Elternteil abwendet. Die Vorstellung von einem Kind, das die Liebe zum Vater verliert, wenn es sich der Mutter zuwendet, ist dem Anspruch der Ausschließlichkeit einer sexuellen Liebesbeziehung zwischen Erwachsenen entlehnt: Wenn das Kind bei der Mutter lebt, so die Angst, wird es sich der Mutter zu- und damit vom Vater abwenden (die umgekehrte Variante wird nicht thematisiert). Dies ist, sieht man mal von den Konstellationen ab, in denen das Kind noch zu klein ist, um bereits eine eigenständige Beziehung zu den einzelnen Elternteilen entwickelt zu haben, ein Modell, das den vielfältigen Liebesmöglichkeiten eines Kindes nicht entspricht. Außerdem werden hier Kontrolle und Liebe bzw. Zuwendung aneinander gekoppelt. Kontrolle wird gleichgesetzt mit alltäglicher Anwesenheit und Entscheidungsgewalt, also dem, was das Sorgerecht ausmacht. Die Zuwendung des Kindes erhält demnach der- oder diejenige, welcher das Sorgerecht für das Kind hat. Frauen werden dementsprechend kritisiert, dass sie das Kind als ‚Besitzstand’ (Matussek 1997, 98, 1. Spalte) betrachten und es nicht – rechtlich durch das gemeinsame Sorgerecht – mit dem Mann ‚teilen’ würden. Dies ist eine Perspektive, die das Kind selbst zum ‚Besitzstand’ deklariert. Matussek konzipiert eine archaisch anmutende, aus sich selbst heraus dauerhafte Bindung zwischen Vater und Kind, die nur durch Zwang von außen, durch die Macht einer Mutter in Frage gestellt werden kann. Dieses Verständnis einer Vater-Kind-Beziehung, die trägt, egal, wie sich Vater und Kind real verhalten, erhöht die Bereitschaft, eine emotionale Bindung zuzulassen. Dies scheint den sich an dem Deutungsmuster ‚Geschlechterkampf’ orientierenden Vätern in Bezug auf eine Partnerschaft, die ständig durch Trennung bedroht ist, nur noch begrenzt möglich. Die Vater-Kind-Beziehung bietet so Raum für einen Männlichkeitsentwurf, der einschließt, dass Männer offen Gefühle thematisieren und ausleben können. Dies bleibt aber auf die Beziehung zum Kind begrenzt. Heterosexuelle Paarbeziehungen scheinen diesen Raum gerade nicht mehr zu las189
sen. Im Gegenteil, die sozialen Entwicklungen, die eine von Frauen ausgehende Trennung der Paarbeziehung eher wahrscheinlich machen, verengen für die sich hier artikulierenden Männer und Väter die Möglichkeit, emotionale Bindungen und damit auch einen gewissen Grad emotionaler Abhängigkeit zum Bezugspunkt männlicher Identität zu machen. Diese Seite wird als bedrohlich abgewehrt, und dies umso stärker, je größer das Risiko eines Freiraums und damit – aus ihrer Perspektive – auch der Trennung der Partnerin erscheint. Das Problem der Abhängigkeit von der Partnerin bringt aber auch die bereits oben beschriebene Ambivalenz hervor, die im Hinblick auf die emotionale Bindung an das leibliche Kind formuliert wird, die Angst, durch die Liebe zum Kind der (ehemaligen) Partnerin ausgeliefert zu sein. Kinder, um deren Wohl – glaubt man dem manifesten Text – es in den Auseinandersetzungen der Väter mit den Müttern vor allem geht, bleiben in den hier betrachteten Texten weitgehend eine ‚Leerstelle’. Sie tauchen durchgängig nur als Objekte des ‚Geschlechterkampfes’ auf. Mit der Aussage, dass für das Kindeswohl gekämpft wird, wird der Kampf um Macht in den Geschlechterbeziehungen reduziert auf ein ritterliches Motiv und damit auch legitimiert. Dass Kinder so objekthaft erscheinen, keine eigenständigen Interessen, Probleme und Konflikte von Kindern formuliert werden, lässt sich auch so interpretieren, dass sie auf diese Weise stärker als Projektionsfläche für den utopischen Selbstentwurf von Männern für eine lebenslange Beziehung dienen. Die ‚Leerstelle’ Kind stünde dann für die Sehnsucht nach Kontinuität, die in den Paarbeziehungen nicht mehr gewährleistet gesehen wird. In Bezug auf ihre Beziehungen zu Frauen ist eine Veränderung von Vorstellungen von Männlichkeit bei den Männern, die Matussek im Blick hat, nicht zu erwarten. Das Risiko einer Veränderung männlicher Identität vor allem in Richtung eines stärkeren Zulassens von Gefühlen der Unsicherheit und von Abhängigkeit, erscheint vor dem Hintergrund einer zunehmenden Individualisierung von Frauen zu groß. Damit ist aber auch Partnerschaft, die wechselseitige Abhängigkeit impliziert, nur eingeschränkt möglich. Der Vaterschaftskonflikt, der sich in der Überbetonung einer archaischen, der Vernunft nicht zugänglichen, dauerhaften Liebe und im Gegenzug in einer enormen Angst vor der Trennung von dem eigenen Kind zeigt, wird auch zu einem Container für Identitätskonflikte von Männern bei Paarbeziehungen und dabei bei Trennung und Verlust. Im Folgenden werde ich die Ergebnisse meiner Analyse zusammenführen und im Hinblick auf die in dem Text von Matussek hervortretenden geschlechterpolitischen Zielsetzungen, auf sein Verständnis von Ge190
schlechterbeziehungen und die Einordnung seiner Argumentation in den Modernisierungsdiskurs weiterdiskutieren.
4.1.4 Väter: Modernisierungsverlierer und Akteure der Modernisierung Veränderte Anforderungen an beide Geschlechter z. B. durch die erhöhte Erwerbstätigkeit von Frauen machen häufige Aushandlungen in den Paarbeziehungen notwendig und erfordern von beiden Partnern ein hohes Maß an Ambivalenz- und Frustrationstoleranz. Die Ehe garantiert nicht mehr eine kontinuierliche, lebenslang haltende emotionale Bindung. Die steigende Rate von Scheidungen und Trennungen von Beziehungen zeigt u. a., wie schwierig es ist, Konflikte miteinander zu bewältigen. Matusseks Texte stehen exemplarisch für eine bestimmte Gruppe von Vätern, die auf Widersprüche, die durch grundlegende soziale Veränderungen in den Geschlechterarrangements und -beziehungen hervorgerufen werden, mit starker Verunsicherung und Ambivalenz reagieren. Die untersuchten Texte geben jedoch keinen Hinweis darauf, dass diese Gruppe von Vätern über eine abgesicherte Ambivalenztoleranz verfügt, die benötigt wird, um mit den bestehenden Konflikten produktiv umzugehen. In dem Umgang mit Ambivalenzen zeigen sich in den analysierten Texten vielmehr starke Tendenzen der Negation durch Vereindeutigung und Polarisierung. Besonders verunsichert in ihrem bisherigen Status und ihrer Position als Vater sind diese Väter durch Konflikte, die im Kontext der Trennung einer Partnerschaft und Familie entstehen und die die Aushandlungen des Sorge- und Umgangsrechts für die Kinder betreffen. Diese Konflikte werden als Ausdruck eines allgemeinen Geschlechterkampfes verstanden. Veränderungen in den Arrangements und Beziehungen der Geschlechter werden auf eine Akteursperspektive reduziert, in der zugleich nur Frauen als Akteure wahrgenommen werden, Männer nur ‚re’-agieren können und dies auch sollen. In diesem Kontext wird Frauen vorgeworfen, dass sie einerseits ihre Emanzipationsinteressen verfolgen würden, andererseits aber selbst diejenigen seien, die an einer Versorgungsmentalität und was den Umgang mit den Kindern betrifft, an traditionellen Strukturen festhalten würden. Dieser Vorwurf ist, wie oben ausgeführt, vor allem strategisch zu verstehen und wird polemisch formuliert: Entweder sollen Frauen sich emanzipieren, wenn sie unbedingt möchten. Dann sollen sie auf Versorgungsleistungen ihrer Ehemänner ebenso verzichten, wie auf einen alleinigen Anspruch auf die Kinder. Oder sie sollen in der Familie bleiben und ihre bisherigen Funktionen dort erfüllen. 191
Es zeigt sich, dass Matussek – obgleich er Daten und Diskurse über soziale, in die Institutionen des Arbeitsmarktes, der Bildung, des Rentensystems, der Familie etc. eingelassene Ungleichheiten zu Ungunsten von Frauen kennt – von diesen Ungleichheiten absieht. Korrespondierend damit ist dann auch der Blick verstellt auf Konflikte der Individuen, von Männern und von Frauen. Bestehende Konflikte werden als Konflikt negiert und durch Eindeutigkeiten ersetzt. Wie herausgearbeitet, machen die Schwierigkeiten dieser Vätern im Umgang mit Ambivalenzen sie zu ‚Verlierern’ der Modernisierung. Man kann auch sagen, die Modernisierung eilt diesen Männern voraus. Die Art und Weise, wie sie sich in den Auseinandersetzungen um Veränderungen in den Geschlechterarrangements und -beziehungen positionieren, weist darauf hin, dass die Ambivalenztoleranz dieser Individuen nicht ausreicht, um in einer Hin- und Herbewegung zwischen reflexiver Distanz und Anpassung mit den sich ändernden gesellschaftlichen Bedingungen und Erfordernissen umgehen zu können. Sie spüren zwar den Modernisierungsdruck und können nicht mehr ungebrochen traditionelle Geschlechterarrangements aufrechterhalten. Aber sie können und/oder wollen die Kosten der Modernisierung nicht tragen und versuchen dem Modernisierungsdruck durch eine beharrliche und starre Orientierung an traditionelle Familienstrukturen, durch Vereindeutigungen von sozialen Konflikten zwischen den Geschlechtern und durch die Negation der eigenen Beteiligung an individuellen Konflikten etwas entgegen zu setzen.
4.1.4.1 Die Politisierung intimer Beziehungen Gleichwohl sind die Väter, die wie Matussek argumentieren und die sich in Väterinitiativen zusammengeschlossen haben, auch Akteure sozialen Wandels. Dies in verschiedener Hinsicht: Diese Väter sind zum einen politische Akteure, die im klassisch bürgerlichen Sinne Öffentlichkeitsarbeit machen, um Veränderungen in den Geschlechterarrangements und der Gestaltung der Geschlechter- und Eltern-Kind-Beziehungen herbeizuführen. Zudem artikulieren sie sich politisch, indem sie Intimbeziehungen in einen gesellschaftlich-politischen Zusammenhang stellen. Dies möchte ich abschließend noch ausführlich diskutieren. Die Selbstverständlichkeit, mit der in den Texten von Matussek von einem ‚Geschlechterkampf’ ausgegangen wird, suggeriert, dass es ‚normal’ sei, sich in diesem Kampf zu positionieren. Kooperationen oder Partnerschaft zwischen den Geschlechtern sind nach diesem Verständnis 192
kaum möglich. Männer und Frauen werden dabei nicht allein als konkrete Individuen, sondern als Angehörige politischer Großgruppen ‚Männer’ und ‚Frauen’ gesehen, die sich kriegerisch gegenüberstehen. Private Geschlechterbeziehungen und die mit einer Trennung verbundenen privaten Konflikte erfahren so eine ‚politische Codierung’ (Meuser 1998b). Indem diese Väter davon ausgehen, dass Männer und Frauen in ihren privaten Beziehungen als Angehörige einer sozialen Gruppe interagieren,183 vollziehen sie nach, was gesellschaftlich wesentlich die Neue Frauenbewegung eingeleitet hat: eine Politisierung des Privaten. Mit ihrem zentralen Slogan ‚Das Private ist politisch’ hat die Neue Frauenbewegung auf die Bedeutung von Ungleichheit, von Macht und Gewalt auf Kosten von Frauen in den privaten Geschlechterbeziehungen aufmerksam gemacht. Auch Matussek verweist auf Dimensionen von Ungleichheit und auf ein Machtgefälle in heterosexuellen Intimbeziehungen, genauer in der Familie. Auch er sieht die Beziehungen zwischen den Geschlechtern potenziell als Macht- und Gewaltbeziehungen – aber zu Ungunsten für Männer. Die Frauenbewegung und die Frauen- und Geschlechterforschung haben in ihren Diskussionen aufgezeigt, dass Privatheit und Öffentlichkeit wechselseitig miteinander verschränkte184 Sphären sind und sich in diesem Spannungsfeld in allen sozialen Bereichen beständig hierarchische Strukturen und Machtungleichheiten reproduzieren, die Männer bevorteilen. Nach Matussek entspringen die Machtungleichheiten zu Ungunsten von Männern im Wesentlichen dem privaten Bereich, der Kontrolle von Frauen über die generative Reproduktion, und sind Ausdruck intentionaler Handlungen von Frauen. Diese Macht von Frauen wird dem Autor zufolge zwar über familienrechtliche Regelungen abgesichert, Machtrelationen zwischen den Geschlechtern in den anderen sozialen Bereichen, vor allem institutionell verfestigte Ungleichheiten, werden aber darüber hinaus – wie ich oben bereits angedeutet habe – nicht aufgegriffen. Man kann sagen, dass das, was die Frauenbewegung betont, die wechselseitige Verbundenheit funktional differenzierter gesellschaftlicher Bereiche, hier gerade ausgeblendet wird. D. h., die Machtrelationen in der Familie werden nicht in Beziehung gesetzt dazu, welche Macht Männer und Frauen in 183 Indem Matussek Frauen und Männern als Angehörige sozialer ‚Geschlechtsklassen’ darstellt, scheint die reine Akteursperspektive zu verlassen. Bei genauerer Betrachtung geht Matussek aber davon aus, dass Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen als sozialen Gruppierungen aus dem intentionalen Handeln insbesondere von Frauen resultieren. 184 Z. B. indem rechtliche Regulierungen wie das Familienrecht in den Bereich der Familie eingreifen.
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anderen gesellschaftlichen Bereichen haben. Dies trägt dazu bei, dass das Bild entsteht, Frauen verfügten über mehr Ressourcen, als Männer.185 Ähnlich wie Texte der westdeutschen Frauenbewegung stellt Matussek also private Beziehungen in einen gesellschaftlich-politischen Kontext. Die von ihm und anderen Vätern geführten Auseinandersetzungen, in denen sie auf eine Betroffenheitsrhetorik zurückgreifen, reihen sich ein in einen Diskurs über die intimen Beziehungen zwischen Männern und Frauen, der als ‚Dauerdiskurs’ vor allem im intellektuell-akademischen Milieu geführt wird (vgl. Meuser 1998a). In dieser Hinsicht lassen sie sich im Anschluss an Beck (1986), Beck und Beck-Gernsheim (1990) sowie Giddens (1993) als Teil eines Prozesses reflexiver Modernisierung begreifen. Inhaltlich jedoch stehen die Vorstellungen über die Geschlechterverhältnisse und -beziehungen den von der Frauenbewegung und -forschung publik gemachten Konzepten nahezu diametral gegenüber.
4.1.4.2 Partnerschaft oder romantische Liebe – Gleichheit oder Differenz Meuser hat in seinem Aufsatz „Vergesellschaftete Intimität. Geschlechterpolitik und Liebe“ (1998b) feministische Blicke auf intime Beziehungen ausführlicher betrachtet. Er zeigt, dass Feministinnen die auf dem Code ‚romantischer Liebe’ gründenden Beziehungen dahingehend kritisieren, dass in ihnen Ausbeutungsverhältnisse herrschten. Diese seien in dem Muster romantischer Liebe strukturell angelegt, welches sie zugleich auch verschleiere (Meuser 1998a, 222). Mit dieser Diagnose wird ‚Liebe’ in den intimen Beziehungen zwischen den Geschlechtern in einen politischen Kontext gestellt. Meuser kommt zusammenfassend zu dem Schluss, dass diese Sichtweise „(…) zu einer expliziten Politisierung der intimen Beziehung (führt). Zu einer Politisierung in dem Sinne, dass die intime Beziehung zum Ort oder Schauplatz intentionalen geschlechterpolitischen Handelns wird. (...) Die Politisierung der Liebe wird zu einer feministischen Strategie im Kampf gegen die Männerherrschaft.“ (1998b, 222)
185 Zum Zusammenhang der Polarisierung von sozialen Gruppen sowie der gesellschaftlichen Bereiche und der Ausblendung von Hierarchien vgl. Regina Becker-Schmidt (1998).
194
Gegenüber einer solchen Politisierung von Intimbeziehungen gerät Matussek in einen Widerspruch: Wie herausgearbeitet, lässt sich sein Verständnis von Geschlechterbeziehungen als Kampf zwischen Männern und Frauen selbst als Teil eines Prozesses der Politisierung intimer Beziehungen begreifen. Und in dieser Hinsicht lassen sich die Väter, die dieses Verständnis teilen, auch als Akteure von Modernisierung verstehen. Andererseits wirft er (feministisch beeinflussten) Müttern gerade vor, dass sie in den Beziehungen nicht Liebe und Vertrauen walten ließen, sondern für sie geschlechterpolitische Ziele und ökonomisches Kalkül handlungsbestimmend seien. Damit wendet sich der Autor vehement gegen eine Politisierung der intimen Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Die Analyse hat gezeigt, dass er hinsichtlich der Gestaltung von Geschlechterbeziehungen an traditionelle Vorstellungen anknüpft und sich tendenziell gegen das Reflexivmachen von Selbstverständlichkeiten in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern wendet. Nun propagieren auch feministische Diskurse nicht, dass ökonomisches Kalkül die Basis von Liebesbeziehungen sein sollte (vgl. Meuser 1998b, 222). In kritischer Haltung gegenüber dem Code der romantischen Liebe wird aber nach einem Konzept von Liebe gesucht, das einen Beitrag zur Gleichheit der Geschlechter leisten kann (vgl. Meuser 1998b, 228). Dieses politisierte Verständnis von Liebe korrespondiert mit einer stärkeren Orientierung am Partnerschaftscode, dessen Kernelemente Gleichheit und Symmetrie sind (vgl. Meuser 1998b, 230; Burkart 1997, 33). 186
186 Kontrastiert man den feministischen und den in der Geschlechterkampfperspektive geführten Diskurs hinsichtlich ihrer jeweiligen Bezugnahmen auf die Beziehungs-Muster der ‚romantischen Liebe’ und der ‚Partnerschaft’, lässt sich die Spezifik des hier analysierten Diskurses besser verstehen: Nach Andrea Leupold (1983) sind „romantische Liebe und Partnerschaft zu Normen verdichtete Denkzusammenhänge“ (297), die heute beide als Code für den Kommunikationsprozess in Intimbeziehungen fungieren. Als inhaltlich unterschiedliche Codes haben sich romantische Liebe und Partnerschaft historisch in zwei verschiedenen Phasen herausgebildet: „Während romantische Liebe im Übergang von 18. zum 19. Jahrhundert Probleme der Bildung ‚höchstpersönlicher’ Beziehungen auffängt, dient Partnerschaft – als neues Konzept des 20. Jahrhunderts, das jetzt vorhandene Erfahrungen mit über Liebe gebildete Beziehungen und neue sozialstrukturell generierte Probleme aufnimmt – als Muster der Regelung von Beziehungen.“ (Leupold 1983, 298, Hervorh. d. Verf.) Der Code der Partnerschaft löste jedoch den der romantischen Liebe historisch nicht ab. Vielmehr sind seit seiner Entstehung beide normativen Vorgaben handlungsorientierend. Partnerschaft wird aber zunehmend wichtiger für den Umgang mit Problemen in intimen Beziehungen. Koppetsch fokussiert in ihrem Aufsatz insbesondere die Frage der Gerechtigkeit in Paarbeziehungen und zeigt auf, dass Liebe in dieser Beziehung wenig trägt: Liebe kann ihr zufolge „nur eine freiwillige, spontane, d. h. völlig unbedingte, unbegründete Gabe sein, vollkommen
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Bei dem von Matussek repräsentiertem Teil-Diskurs sieht dies anders aus. Betrachtet man den DER SPIEGEL-Artikel oder die in seinem Buch veröffentlichten Texte, zeigen diese zwar in einzelnen Passagen einen manifesten Bezug auf den Gleichheitsgedanken. Dieser wird aber, so zeigte sich, nur vor dem Hintergrund relevant, dass sich heute die Verhältnisse zu Ungunsten von Männern verändert hätten.187 Das eigentliche von Matussek propagierte geschlechterpolitische Ziel und das ihm inhärente Paarkonzept ist aber ein anderes. Um dies abschließend auszuführen, wird hier noch einmal in das Material zurückgegangen. Ein längeres, wieder sehr polemisches Zitat aus Matusseks Buchveröffentlichung von 1998 macht seine geschlechterpolitische Zielsetzung exemplarisch deutlich: „Erst wenn sich die Frauen in gleichem Maße den Anforderungen und Repressionen des Arbeitsalltags stellen, und erst, wenn Titelgeschichten über den alleinerziehenden, berufstätigen Mann geschrieben werden, ist Gleichheit hergestellt. Auch dann erst, wenn Väter die gleichen Rechte wie Mütter haben, wenn ihnen im gleichen Maße die Sorge für die Kinder zugesprochen wird. Und erst wenn die Männerbewegung genauso als politische Bewegung etabliert sein wird wie die Frauenbewegung, gibt es Gleichheit. Und dann? Dann kann man den ganzen Kram abschaffen, die Frauen- wie die Männerhäuser, die Gleichstellungsbeauftragten und all die anderen finsteren Bürokratien. Den ganzen Schwindel in die Luft jagen und da neu anfangen, wo man einmal aufgehört hat: sich in der Andersartigkeit zu achten und zu lieben.“ (Matussek 1998, 110)
unabhängig von etwaigen Vorleistungen, vernünftigen Argumenten und moralischen Verpflichtungen. (...) In einer vom romantischen Liebeskode her ausgelegten Beziehung gibt es (...) kein Recht, keine Satzung, kein Verfahren und damit auch: kein Unrecht.“ (Koppetsch 1998, 112/113). Genau gegensätzlich verhält es sich nach Koppetsch mit der Partnerschaft. Partnerschaft legt „den Akzent auf die unmittelbare Reziprozität und den Primat individueller Interessen gegenüber der blinden Investition in die gemeinsame Bindung.“ (Koppetsch 1998, 113) Die Möglichkeit einer Trennung wird in der Partnerschaft miteinbezogen. Das Primat der Individualität bringt es mit sich, dass „Geschlechtsrollen“ abgelehnt werden (vgl. Leupold 1983, 321; Koppetsch 1998, 113). „Den Partnern wird daher zugemutet, geradezu voraussetzungslos und ohne Rückgriff auf Geschlechtsrollenstereotype über die Gestaltung der Paarbeziehung, die Verteilung von häuslichen Pflichten, die Freizeitgestaltung rational und offen zu verhandeln.“ (Koppetsch 1998, 113) Die Paarbeziehung wird als Beziehung zweier Individuen gedacht, die in ihren Rechten und Möglichkeiten gleich sind und sich in einem permanenten Aushandlungsprozess befinden. Konflikte werden dabei positiv bewertet (vgl. Leupold 1983, 315ff). 187 Zudem erfordert die politische Orientierung auf rechtliche Veränderungen ein Bezug auf Gleichheit.
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Matussek greift das Ziel, Gleichheit zwischen den Geschlechtern herzustellen, in sehr spezifischer Weise auf. So bezieht er sich hier in seiner Forderung einer Gleichstellung von Männern nur auf den öffentlichen Raum – Erwerbssphäre, Medien, Recht, Politik. Dies ist insofern interessant, weil sonst sein Blick vorrangig auf die Privatsphäre gerichtet ist, öffentliche Bereiche im Bezug auf die Thematisierung der Geschlechterarrangements und -beziehungen eine Leerstelle blieben. Wird diese Leerstelle einmal gefüllt, wird sichtbar, dass Matusseks Vorstellungen von Machtverhältnissen zu Ungunsten von Männern von ihm auch auf diese gesellschaftlichen Bereiche übertragen werden. Dies verweist noch einmal darauf, dass wir es nach seiner Diagnose nicht nur mit einer Krise von Vaterschaft, sondern mit einer Krise von Männlichkeit überhaupt zu tun haben. In seiner Diagnose werden inhaltlich aber die vielen wissenschaftlichen und medialen Verweise auf institutionell verfestigte Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu Lasten von Frauen negiert. Der Bezug auf Gleichheit, vor allem auf Gleichheit im öffentlichen Raum, erfolgt bei Matussek nur als Reaktion auf die Forderungen der Frauenbewegung und die – in seiner Perspektive – in den vergangenen Jahrzehnten von ihr beeinflusste Politik. Es handelt sich hier mehr um eine Gleichheitsrhetorik, derer er sich bedient, als dass es tatsächlich um einen Anspruch auf Gleichheit geht, der formuliert wird. Das von ihm anvisierte geschlechterpolitische Ziel lautet vielmehr, ‚da neu anfangen, wo man einmal aufgehört hat: sich in der Andersartigkeit zu achten und zu lieben.’ Die sozialen Verhältnisse zwischen den Geschlechtern werden hier wieder auf die intimen Beziehungen zwischen den Geschlechtern verkürzt und nur in Bezug auf die Privatsphäre, die Familie, für wirklich relevant erklärt. In Bezug auf die Familie wird die individuelle Anerkennung der Differenz zwischen den Partnern als zentrales Ziel formuliert, wobei an dieser Stelle inhaltlich offen bleibt, worin diese Andersartigkeit besteht. Gerade aber dass Matussek keine Notwendigkeit sieht, die ‚Andersartigkeit’ zu begründen, verweist auf die Vorstellung, dass allgemein bekannt sei, was mit dieser gemeint ist. Damit ist augenscheinlich, dass er von einer essentiellen Differenz zwischen den Geschlechtern ausgeht, die sich an gesellschaftlich dominante Zuschreibungen anlehnt. In wieweit diese Differenz im engen Sinn als ‚naturhaft’ verstanden wird, bleibt in den Texten unklar. Mit dem Blick auf Frauen wird ein naturalisiertes Verständnis von Mutterschaft deutlich abgelehnt, ‚Väterlichkeit’ hingegen wird als etwas vorsozial Angelegtes konzipiert. Mit der Formulierung, da neu anzufangen, ‚wo man einmal aufgehört hat’, scheint Matussek sich einer Zeit zuzuwenden, bevor sich die Neue 197
Frauenbewegung formierte und bevor infrage gestellt wurde, was ein Mann und eine Frau ist, welche Funktionen, welche Positionen ihm oder ihr zukommen. Dass dies keine völlige Rückwendung zu den Funktionen, dem Status und der Position von Vaterschaft in der ‚guten alten Zeit’ der 50er und 60er Jahre bedeutet, ist in der Analyse der Konstruktionen von ‚Männlichkeit’ und ‚Väterlichkeit’ deutlich geworden. Different ist, dass die emotionale Beziehung zum Kind eine eigenständigere Bedeutung zugesprochen bekommt. ‚Väterlichkeit’ im Sinne einer fürsorglichen Beziehung zum Kind wird trotz aller Ambivalenzen zu einem wichtigen Aspekt von ‚Männlichkeit’. Es ist augenfällig, dass Matussek sich mit der Bezugnahme auf Differenz, Achtung und Liebe als Leitmotive für die Ausgestaltung der privaten Beziehungen zwischen den Geschlechtern, eher am Code romantischer Liebe orientiert, als an dem Partnerschaftscode.188 Wenn damit, wie die Hervorhebung von ‚Andersartigkeit’ noch unterstreicht, die Orientierung an traditionellen Geschlechtsstereotypen verbunden ist, dann lässt sich hier ein weiterer wichtiger Widerspruch in Matusseks Argumentation festhalten: Einerseits sollen Mütter sich grundsätzlich ändern und dem Vater mehr Raum für eine eigenständige Beziehung zum Kind geben. Das hieße, dass Mütter die ihnen zugeschriebene zentrale Zuständigkeit für das Kind aufgeben sollten. Andererseits schreibt Matussek, wie deutlich wurde, nach wie vor Müttern die alltägliche Zuständigkeit für die Versorgung zu. Unter Gesichtpunkten der Modernisierung lässt sich zusammenfassend von Matusseks Texten als einer ‚antimodernen’ Auseinandersetzung mit Phänomenen der Modernisierung sprechen, oder in Beckscher Terminologie von ‚Gegenmoderne’. Als Akteur der Modernisierung erweist sich Matussek, indem er einen Diskurs repräsentiert, der von Vätern geführt wird, die sich in Väterinitiativen zusammengeschlossen haben und sich damit als soziale Bewegung konstituieren, die Privates als politisch thematisiert. Matussek reflektiert dabei einerseits Veränderungen in den Familien im Hinblick auf eine Veränderung der Position und der Funktionen des Vaters, sowie eine zunehmende Konflikthaftigkeit in den Paarbe188 Anknüpfungen an die Vorstellung von Partnerschaft finden sich nur sehr spärlich in Matusseks Texten. Sie kommen dort zum Ausdruck, wo es ihm um den Erhalt der Familie insgesamt geht. So wird die Fähigkeit, Konflikte auszuhalten, trotz Konflikten zusammen zu bleiben, von ihm als wichtig für das Zusammenleben hervorgehoben. Aber es hat sich gezeigt, dass diese Fähigkeit vor allem Frauen abverlangt wird, während in den Texten selbst systematisch die Beteiligung von Männern an Beziehungskonflikten negiert wird.
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ziehungen. Damit sieht er die Anforderungen an das Paar steigen, mit Konflikten umgehen zu können. Für einen kurzen Augenblick erscheint in der manifesten Orientierung auf Gleichheit sogar ein Schulterschluss möglich mit den Interessen vieler Frauen an mehr praktizierter Partnerschaft in den Beziehungen. Des Weiteren wird deutlich, dass der von Matussek repräsentierte Diskurs auf soziale Veränderungen reagiert, indem er eine allgemein zu konstatierende Bewegung – das Auseinandertreten von Partnerschaft und Elternschaft – weiter mit vorantreibt: Gegenüber der Partnerschaft wird von den ‚kämpfenden Vätern’ die emotionale Beziehung zum Kind aufgewertet. Erweist sich die Paarbeziehung aufgrund eines Autonomiegewinns der Partnerin nicht mehr als verlässlich, sollen nun die Kinder eine lebenslange Bindung garantieren. Der Wunsch nach der Sorge für das Kind erweist sich dabei als ‚modern’ und ‚antimodern’ zugleich: Einerseits ist er Ausdruck der Aufwertung der emotionalen Beziehung zum Kind und zeigt damit Öffnungen für Veränderungen traditioneller Konzepte von Männlichkeit an. Andererseits aber wird über die Verfügung über das Sorgerecht auch versucht, Kontrolle über die generative Reproduktion wieder zu erlangen und frühere Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse zu Gunsten des Mannes wieder herzustellen. Zudem wird durch die Betonung einer in Relation zur Mutter differenten Bedeutung des Vaters zum Kind die Vorstellung einer essentiellen Differenz zwischen den Geschlechtern fixiert. Die analysierten Texte lassen sich schließlich als Reaktion auf die Frauenbewegung lesen. In ihnen sind, wenn auch in einer Verkehrung von Opfer und Täter und in der Negation feministischer Argumente, letztere trotzdem aufgehoben. Gleichzeitig legitimieren sie aus der Perspektive einer „Geschlechtsverkehrung“ (Meuser) den Rückgriff auf Vorstellungen traditioneller Arrangements zwischen den Geschlechtern. Vormoderne Orientierungen werden so reaktiv wieder ins Spiel gebracht. D. h. es gibt kein ungebrochenes Anknüpfen an überkommene Deutungsmuster von Geschlecht und gelebte Arrangements zwischen den Geschlechtern, vielmehr sind die Texte selbst Ausdruck von Modernisierung und einer ‚Gegenmoderne’ zugleich. So bringen sie zum Ausdruck, dass es gerade die an diesem Teildiskurs beteiligten Väter sind, die mit den Kosten der Modernisierung überfordert sind, nicht genügend Ambivalenz- und Frustrationstoleranz aufweisen, um mit den vermehrten Konflikten zwischen Männern und Frauen umzugehen, und die einen zunehmenden Machtverlust in der Familie, in Bezug auf die Partnerin befürchten. Väter werden von Matussek als schwer verunsicherte Männer gezeichnet, die Autonomie und Selbstvertrauen eingebüßt haben und sich in einer Krise befinden. 199
Ausgehend von dieser Diagnose wird nicht ‚Gleichheit’ zum geschlechterpolitischen Leitbild, sondern ‚Differenz’, wobei die Notwendigkeit einer Aufwertung von ‚Männlichkeit’ betont wird.
4.2 Männliche Autonomie in Geschlechterkooperationen In diesem Teil des Empiriekapitels stelle ich die Ergebnisse der Analysen verschiedener Beiträge der Zeitschrift PAPS vor, deren Autoren, wie oben ausgeführt, dem eher dem Spektrum ‚ambivalenter Väter’ innerhalb der Väterinitiativen zuzurechnen sind. Wie Matussek gehen auch diese von einer Krise der Vaterschaft aus, die Umorientierungen von Männern und Frauen notwendig werden lässt. Anders als in den bisher betrachteten Texten treten in der Zeitschrift PAPS jedoch Ausdeutungen der Geschlechterbeziehungen hervor, die auf eine Angleichung der Funktionen und Tätigkeiten von Vätern und Müttern zielen. Gleichzeitig geht es darum, im Rahmen der Beziehungen zur Partnerin und zu den Kindern Autonomie zu erhalten oder wieder zu gewinnen. In diesem Zusammenhang werden traditionell-bürgerliche Vorstellungen von Männlichkeit und Väterlichkeit und damit korrespondierend von Weiblichkeit und Mütterlichkeit sowohl in Frage gestellt als auch weiterhin als Bezugspunkt gewählt. Diese widersprüchlichen Orientierungen sollen vergleichend zu den Ergebnissen der Interpretationen der Texte herausgearbeitet werden, in denen das Deutungsmuster ‚Geschlechterkampf’ zentral ist. Trotz der vergleichenden Perspektive unterscheidet sich der Aufbau dieses Kapitels von dem vorangegangenen, da ich den unterschiedlichen Argumentationen folge, die beide Spektren der Väterinitiativen vornehmen. Bereits in den Auseinandersetzungen der im Kontext von Väterinitiativen engagierten Väter selbst wird deutlich, dass es Differenzen gibt in den geschlechterpolitischen Argumentationen und Zielsetzungen der ‚kämpfenden Väter’ und der ‚ambivalenten’ Väter.189 In den Texten von Matussek werden die Väter um die Zeitschrift PAPS herum als „sanfte Väter in Naturgestricktem“ dargestellt, die sich „als bessere Mütter beweisen wollen“ (Matussek 1997, 92). Nimmt man diese ironisch abgrenzende Beschreibung ernst, klingt damit bereits an, dass diese Gruppe aus einer ähnlich definierten Konfliktsituation einen anderen Weg eingeschlagen
189 Z. B. auch in dem Interview, welches der PAPS-Redakteur Werner Sauerborn mit Matthias Matussek in PAPS 4/98 geführt hat, sowie in dem Editorial von PAPS 4/97.
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hat als die Männer, für deren zornig-ohnmächtige Kampfbereitschaft Matussek eintritt. ‚Sanft’ sein, ‚Naturgestricktes’ tragen und sich als ‚bessere Mütter beweisen’ charakterisiert dem Klischee nach Männer aus einem alternativ-ökologischen Spektrum, die aus dem Blickwinkel hegemonialer Männlichkeit als ‚Softies’ abgewertet werden.190 In Matusseks Darstellung werden diese Väter mit kulturell in Bezug auf Frauen eher positiv konnotierten weiblichen Attributen belegt191, die hegemonialer Männlichkeit geradezu entgegengesetzt sind. Damit erscheinen sie nicht als geeignete Protagonisten für das von Matussek anvisierte Ziel, aus einer Opferposition von Vätern heraus wieder zu einer wehrhaften, dominanten ‚Männlichkeit’ zu gelangen. In der Perspektive eines Mannes wie Matussek droht vielmehr bei diesen Vätern zu verschwimmen, was ‚männlich’ und was ‚weiblich’ ist. Die Konsequenzen, die sie aus der konflikthaften Trennung von Partnerin und Kindern ziehen könnten, würden demnach in andere Richtungen weisen, als ein nur leicht modifiziertes Modell des Vaters als Familienernährer zu propagieren. Im Folgenden werde ich die Differenzen, aber auch die Ähnlichkeiten in den Argumentationen genauer bestimmen.
190 Diese Abwertung und Problematisierung ‚sanfter’ Väter findet sich in vielen Medienberichten über veränderte Vaterschaft wieder. Jüngst auch in dem „Väter-Spezial“ in der DIE ZEIT (21/2004). Unter dem Titel „Haltungs-Schwäche“ werden dort ‚neue Väter’ als konturund autoritätslos, als schwach und harmoniesüchtig, als Unisex-Latzhosen-Väter dargestellt, die als Vorbild und Erzieher ihrer Kinder – insbesondere der männlichen Kinder – nicht taugten. Konsequent werden in diesem Artikel zwei Diskurse ineinander geschoben: Die Diskussion darüber, dass vielen Kindern heute fester Halt und Grenzen durch Erwachsene fehlen würde, wird gleichgesetzt mit dem Verlust eines Vatertyps, der für seine Kinder ein ‚Fels in der Brandung’ sei. Ähnlich wie bei Matussek wird auch in diesem Artikel eine liebevolle Nähe zu den Kindern für wichtig gehalten und sich damit von dem Stereotyp des autoritär-abwesenden Vaters abgegrenzt. Gleichwohl wird aber auf die Notwendigkeit einer väterlichen Autorität rekurriert, die sich u. a. positiv in der Berufstätigkeit des Vaters ausdrücke sowie darin, dass er seinen Kindern zeige, was richtig und was falsch sei, und dass er sich auch gegen ‚weibliche Ansprüche’ durchsetzen könne. 191 Sanftheit, Subsistenzproduktion durch kreatives Bearbeiten von natürlichen Produkten, Naturnähe und ‚Mütterlichkeit’.
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4.2.1 Bewegungen in Widersprüchen Bereits ein erster Blick auf die Texte der Zeitschrift PAPS lässt eine Gemeinsamkeit zwischen diesen erkennen: Sie sind gekennzeichnet durch häufige Widersprüche in ihren Argumentationen und durch Uneindeutigkeiten in den sich herauskristallisierenden Orientierungen und Zielsetzungen. Einige dieser Widersprüche und Uneindeutigkeiten mögen der journalistischen Laienhaftigkeit einzelner Verfasser geschuldet sein. Andere der Unschärfe vieler Begrifflichkeiten, welche aus sozialwissenschaftlichen Kontexten in die Alltagssprache überführt werden.192 Ich gehe jedoch davon aus, dass ihr Vorkommen systematisch ist. Die Widersprüchlichkeiten könnten auf einen anderen Umgang mit Ambivalenz weisen, als wir bei der Analyse der Texte von Matussek vorgefunden haben. Im Folgenden werde ich zunächst die Interpretation einer Schlüsselpassage aus den Texten der ‚ambivalenten Väter’ vorstellen. Ausgehend von den dabei materialnah gebildeten Kategorien werde ich dann die ‚Bewegungen in Widersprüchen’ an weiteren Textstellen vertiefend verfolgen.
4.2.2 Das ‚Väterproblem’: zwischen alten Gewissheiten und neuen Unsicherheiten Eine der Schlüsselpassagen der analysierten Texte ist der Vorspann des Artikels „Präsenz und Vaterschaft. Von der Funktion zur Beziehung“, der in einer der ersten Ausgaben von PAPS erschienen ist.193 Hier finden sich viele Vorstellungen der ‚ambivalenten Väter’ gebündelt, die für deren Ausdeutung der Veränderungen in den Geschlechterarrangements- und – beziehungen zentral sind. Die Passage, die im Weiteren Satz für Satz analysiert wird, lautet: „Viel Neues kommt auf uns Väter zu, viel Fremdes, viel Auseinandersetzung in Gebieten, in denen wir es nicht gewohnt sind, wofür wir selbst keine Vor-
192 Wie z. B. die Begriffe der ‚Funktion’, der ‚Rolle’ oder der der ‚Identifikation’. Die häufige Verwendung sozialwissenschaftlicher Begriffe und Konzepte zeigt, dass die in PAPS geführten Auseinandersetzungen weitgehend auf ein akademisch geprägtes Milieu ausgerichtet sind. 193 Der Artikel erschien unter der Rubrik ‚Diskussion’ bzw. ‚Väterbilder’, die sich über einige Nummer fortsetzt.
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bilder hatten. Mit dem Verlust von Funktion geht Unsicherheit einher. Häufig sehen sich Väter nur noch als Erfüllungsgehilfen der Mütter. Ein neues Vaterbild finden heißt, für sich selber Vaterschaft zu definieren.“ (Ruhl, PAPS 5/6 1995, 17)
4.2.2.1 Fremdheit, Unsicherheit und Funktionsverlust: ambige Verortungen in Zeiten des Wandels Betrachten wir die erste Sequenz der zitierten Passage genauer: „Viel Neues kommt auf uns Väter zu (...)“.(Ruhl, PAPS 5/6 1995, 17)
‚Neues’ hebt sich ab von ‚Alt, von dem Althergebrachten und fraglos Gewissen. Dabei ist es in der Regel ein positiv besetzter Begriff und wird im Alltagsdenken mit modern, fortschrittlich, ungebraucht assoziiert, aber auch mit unbekannt, unvertraut, unsicher, fremd. Wenn es heißt, ‚Neues kommt auf uns zu’, dann kennzeichnet dies einen Prozess. Es besteht die Erwartung, dass man mit diesem Neuen konfrontiert werden wird, es ist aber noch nicht so, dass man bereits direkt mit dem Neuen umgehen kann oder muss. ‚Viel’ Neues deutet darauf hin, dass hier Veränderungen gedacht werden, die eher grundlegenden Charakter haben. Die Redewendung, dass etwas ‚auf einen zu kommt’, drückt zudem eine Spannung aus, die sowohl einer freudige Erwartung ausdrücken kann, als auch die Unsicherheit, eventuell hohe Anforderungen bewältigen zu müssen. Was das Neue ist, bleibt in dem Satz unbestimmt. Dieser Eindruck des Unbestimmten wird noch dadurch verstärkt, dass der Autor hier im Plural spricht und damit über Väter als einer homogenen Gruppe. Das kollektive ‚wir’ findet sich in Politik und Kultur immer dort, wo es um den Versuch einer Konstruktion einer (kollektiven) Identität geht. Die damit einhergehende Rhetorik der Betroffenheit weist Parallelen zu frühen Texten der westdeutschen Frauenbewegung, aber auch anderer sozialer Bewegungen auf. Stärker noch als die Texte von Matussek lassen sich die Artikel der Zeitschrift PAPS durch ihre Rhetorik kollektiver Betroffenheit als Teil einer öffentlichen Diskursivierung privater Beziehungen und Probleme begreifen, und damit eines Prozesses reflexiver Modernisierung. Wovon in der gewählten Passage Väter kollektiv betroffen gesehen werden, ist, dass etwas Neues auf sie zukomme. Wenn sich ‚Neues’ auf potentiell alle Väter bezieht, dann könnte der Begriff aus dem bisherigen Kontext heraus allgemein auf neue Anforderungen und Möglichkeiten verweisen, die durch gesellschaftliche Veränderungen auf Väter zukämen. 203
Dieses Neue scheinen Väter selbst nicht direkt beeinflussen zu können. Sie sehen sich ihm vielmehr ausgesetzt. Sie sind in dieser Perspektive also nicht Akteure gesellschaftlichen Wandels, sondern werden mit diesem konfrontiert und müssen reagieren. Diese Konfrontation, so zeigt die Fortsetzung des Satzes, wird mit Angst vor Fremdheit und Unvertrautem verbunden: „(...) viel Fremdes, viel Auseinandersetzung in Gebieten, in denen wir es nicht gewohnt sind, wofür wir selbst keine Vorbilder hatten." (Ruhl, PAPS 5/6 1995, 17)
Das Neue, das auf Väter zukommt, wird als etwas Fremdes dargestellt, das mit der Anforderung verbunden wird, sich in bislang ungewohnten Gebieten auseinander zu setzen. ‚Gebiet’ ist etymologisch im 13. Jahrhundert als ‚gebiet(e)’ im Sinne von ‚Befehl’ neben das Wort ‚Gebot’, die alte Ableitung zu ‚gebieten’, getreten. Über ‚Befehlsbereich’ hat sich dann die umfassende Bedeutung von ‚Bereich’ bzw. ‚Gebiet’ entwickelt (vgl. Kluge 1963, 237). ‚Gebiet’ ist also ein Begriff, der die Abgrenzung eines Raumes gegen einen anderen kennzeichnet, wobei sich der Raum nicht nur geographisch bestimmt, sondern ebenso sozial als Machtsphäre. Auch heute noch ist ‚Gebiet’ ein Ausdruck, der in militärischen Kontexten in Bezug auf eroberte ‚Gebiete’ verwandt wird. Zugleich wird ‚Gebiet’ aber alltagssprachlich allgemein räumlich synonym zu Bereich, Sphäre, Sektor verwandt sowie auch auf einen inhaltlichen Topos, ein Fachgebiet, bezogen.194 Im letzten Fall ist von dem alten Wort noch enthalten, dass es einen relativ fest umgrenzten Raum meint, zu dem es ein bestimmtes Wissen braucht, man könnte auch sagen eine ‚Macht’ über das Gebiet als Experte, um sich in dem Gebiet aufzuhalten und es gestalten zu können.195 Gebiet, so lässt sich zusammenfassen, ist also nicht nur ein räumlicher Ausdruck, sondern kennzeichnet auch Machtsphären. Wie man sich in Gebieten bewegen kann, hat daher etwas mit den eigenen Macht- und Einflusschancen zu tun. Das in dem hier diskutierten Satz entworfene Bild umfasst also mehrere Facetten: Es geht um verschiedene soziale Räume, es geht um Macht und es geht um Auseinandersetzungen. Dabei heißt es, dass sich Väter ‚in’
194 Z. B.: das Gebiet der Krankenpflege. 195 Vgl. z. B. auch die Redewendung: „dies ist nicht mein Gebiet“ und die mögliche Weiterführung: “da kann ich nichts bestimmen, nichts ausrichten“.
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ungewohnten Gebieten, nicht ‚mit’ diesen Gebieten auseinander setzen müssten. ‚In’ ein Gebiet zu gehen, bedeutet, sich ein Gebiet anzueignen, dort Verantwortung zu übernehmen, es (mit) zu gestalten, sich mit denen auseinander zu setzen, die bislang die ‚Befehlsgewalt’, die Macht in diesen Gebieten hatten. Während bei Matussek ‚Kampf’ die zentrale Kategorie ist, wird hier offener und weit vorsichtiger von ‚Auseinandersetzung’ gesprochen. ‚Auseinandersetzung’ ist ein Begriff, der eine Spannung zwischen verschiedenen Parteien anzeigt, die eher als gleichrangig zu denken sind. Im Alltag geht man in der Regel mit dem Ziel in eine Auseinandersetzung, eine Lösung für einen Konflikt herbeizuführen; es geht nicht wie im Kampf vorrangig um Sieg oder Niederlage. Die ‚Auseinandersetzung in Gebieten’ wird hier aber mit dem Begriff der Fremde, und des ‚nicht gewohnten’ zusammen gebracht. Diese Verbindung deutet auf einen inneren Konflikt. Gegenüber Fremdem verhalten wir uns ambivalent: Es erweckt Angst und fasziniert; es stößt ab und lockt an zugleich (vgl. Erdheim 1992, 734). ‚Fremdes’, kann sich hier auf die ‚Auseinandersetzungen’ beziehen und auf ‚Gebiete’. Beides, das Betreten der Gebiete, sowie die Auseinandersetzungen würden dann gesucht und gefürchtet zugleich. Die Formulierung, ‚wofür wir selbst keine Vorbilder hatten’, unterstützt die Perspektive des Bedrohlichen, weil demnach Väter heute völlig auf sich selbst gestellt seien, sich nicht an den Vorstellungen und der Praxis ihrer Väter orientieren könnten. In dieser Perspektive würden Väter keine Unterstützung erhalten, sondern wären auf sich allein zurückgeworfen. Die Orientierungen an den eigenen Vätern trügen nicht. Väter müssten sich selbst neu erfinden. Diese Wahrnehmung ist aller Wahrscheinlichkeit nach mit Angst vor dem Alleinsein und mit Unsicherheit verbunden. Allerdings lässt sich ein Aufbruch in neue Gebiete, welche die eigenen Väter noch nicht betreten haben, auch als Herausforderung betrachten, etwas Neues zu entwickeln.196 Väter würden sich in dieser Lesart nicht nur passiv gesellschaftlichen Veränderungen ausgesetzt sehen, sondern sich auch anders als ihre eigenen Väter zu Aktivitäten herausgefordert fühlen und sich dabei selbst als ‚neu’, im Sinne von fortschrittlich und modern, entwerfen können.
196 Dieses Aufbruchmotiv ist in dem Namen des Vereins "Väteraufbruch für Kinder e.V." enthalten, aus der heraus sich die Zeitschrift PAPS gegründet hat.
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Die Begegnung mit dem ‚Neuen’ wäre also von vornherein ambivalent besetzt: als etwas Fremdes, das Angst macht, Ansprüche stellt, die Gefahr von Verlusten und von Allein sein bereit hält und als etwas Modernes, Aufregendes, als ein Möglichkeitsraum, der sich für eigene Aktivitäten öffnet. Man könnte aus dem bisher Gesagten auch schließen, dass sich die hier artikulierenden Väter sowohl mit Anforderungen konfrontiert als auch als Pioniere empfinden, die bewusst ‚Neuland’ betreten. Dass die Ängste vor den zu bewältigenden Anforderungen nicht durch Negation oder lächerlich machen abgespalten werden, wie es in den Texten Matusseks zum Ausdruck kam, sondern bei aller Unbestimmtheit in ihrer Ambivalenz auch stehen bleiben dürfen, spricht dafür, dass das ‚Neue’ auch positiv konnotiert ist. Welches sind nun die ‚Gebiete’, aus den Vätern Neues und Fremdes entgegen tritt, aber die Väter selbst auch neu besetzen wollen? Aus dem gesamten Kontext ist zu schließen, dass mit den ‚Gebieten’, in denen Väter bislang keine Macht und Einfluss hätten, die Familie und die auf sie bezogenen Institutionen wie Kindergarten, Schule etc. gemeint sind.197 Die Familie und ihre Anliegerinstitutionen werden von den Vätern als sozialer Raum gesehen, in dem sie mit neuen Anforderungen konfrontiert werden, in dem sie sich aber selbst dem ‚Neuen’ auch stellen wollen. Was das Beängstigende ist an diesen neuen Anforderungen, welche Auseinandersetzungen erwartet werden, bleibt offen. Unklar ist aber auch, welche positiven Erwartungen sich auf das ‚Neue’ richten. Der Blick auf die nächste Sequenz der Passage lässt spezifizieren, was denn das Neue und Fremde sei, dem sich Väter ausgesetzt fühlen, und damit einkreisen, was als Beängstigend empfunden wird. „Mit dem Verlust von Funktion geht Unsicherheit einher“ (Ruhl, PAPS 5/6 1995, 17)
Dieser Satz überrascht: Ging es bislang um ‚Neues’, was auf die Väter zukomme, also darum, dass es etwas Zusätzliches, Anderes kommt, wird hier plötzlich ein Verlust thematisiert. Der Verlust einer Funktion, welcher verunsichere. ‚Verlust’ ist ein passiver Vorgang. Es wird nicht etwas Altes abgelegt, sich von Altem getrennt, sondern es geht einem etwas verloren. Der Verlust wird also als ein Ereignis gedeutet, das von außen
197 Dies entspricht auch dem verbreiteten Deutungsmuster des ‚abwesenden Vaters’, wonach die Familie ein unvertrauter Ort für väterliches Engagement sei.
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kommt und nicht als Ausdruck einer eigenen Entscheidung für eine Veränderung, für etwas ‚Neues’. Etwas Altes geht verloren, etwas Neues kommt auf einen zu, ist aber noch nicht da. Stärker als bisher wird jetzt die verunsichernde, beängstigende Seite der Bewegung betont. Der Kontext legt nahe, dass es die Funktion des Vaters ist, die obsolet geworden sei. Als Funktion des Vaters wird mit der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft weitgehend die Funktion des Familienernährers und Familienoberhaupts verstanden. An die Stelle der als verloren betrachteten Funktion des Vaters als ‚Familienernährer’ träte demnach heute ein Vakuum, eine Leerstelle, die Väter verunsichere und dazu zwinge, ihnen aber auch die Möglichkeit eröffne, sich neu zu orientieren. Das Gefühl der ‚Unsicherheit’ bezöge sich also auf ein Verlustgefühl und ein damit einhergehendes Gefühl der Orientierungslosigkeit. Doch was geht mit der Funktion des Familienernährers für Väter verloren? Der manifeste Inhalt des Verlustes wird von den Vätern selbst zunächst nicht thematisiert. Ginge die Funktion des Familienernährers verloren, dann wäre dies verbunden mit dem Verlust von deutlichen normativen Erwartungen und Zuschreibungen an Väter und von einer klar konturierten sozialen Position, die mit Privilegien verbunden ist: Verloren gingen vor allem Machtund Einflusschancen nicht nur in der Familie, sondern auch in der Erwerbssphäre, in der Aufstiegs- und Einkommenschancen bislang an das Modell des Familienernährers gebunden sind. Dieser Verlust ginge verständlicherweise mit Verunsicherung und Ängsten einher. Was bleibt, wenn der Vater seine bisherige Funktion in der Familie verloren hat? Inwieweit kann der Vater dann bisherige Funktionen der Mutter übernehmen? Oder kommt eine neue, andere Funktion auf sie zu?
4.2.2.2 Abhängigkeitsszenarien und Autonomiewünsche: Suchbewegungen nach neuen Entwürfen von Vaterschaft und Väterlichkeit Gehen wir weiter und betrachten die nächste Sequenz des oben zitierten Vorspanns des Artikels von Ruhl: „Häufig sehen sich Väter nur noch als Erfüllungsgehilfen der Mütter. Ein neues Vaterbild finden heißt, für sich selbst Vaterschaft zu definieren.“ (Ruhl, PAPS 5/6 1995, 17)
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Hier spricht der Autor nicht mehr aus der Perspektive eines Kollektivsubjekts, sondern von Vätern in dritter Person und schließt damit sich und die Rezipienten von PAPS tendenziell aus dieser Gruppe aus. Indirekt wird wieder auf die Vorstellung eines Funktionsverlustes von Vätern Bezug genommen. Mit dem Begriff ‚Erfüllungsgehilfe’ wird deutlich gemacht, dass viele Väter Angst hätten, mit einem Verlust der Funktion des Vaters keine eigenständige Entscheidungsmacht, keine Autonomie mehr zu haben, sondern der Mutter der gemeinsamen Kinder untergeordnet zu sein. Hier zeigt sich die Angst, mit dem Verlust der eigenen Funktion als Vater in der Familie auf die bisherigen Tätigkeitsfelder und die Funktion der Mutter zurückgeworfen zu sein. Mit der Übernahme der typischerweise von Müttern ausgeübten Aufgaben würden sie jedoch in eine Art ‚Lehrlingsverhältnis’ rücken, könnten nicht mit den Müttern ihrer Kinder auf einer Augenhöhe verhandeln. Das Bild des ‚Erfüllungsgehilfen’ ist ein Gegenbild von Potenz und Macht. Mütter werden auch hier als starke und mächtige Personen dargestellt, denen gegenüber sich Väter schwach und ohnmächtig fühlen würden. Anders als bei dem von Mattusek dargestellten Konflikt geht es hier aber nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um Selbstbestimmung. 198 Indem der Autor die dritte Person einführt, signalisiert er zudem, dass die Position des ‚Erfüllungsgehilfen’ oder eine abhängige Position von Vätern nicht zwangsläufig eingenommen werden müsste. Er sieht vielmehr auch die Chance für Väter, das konstatierte Vakuum zu füllen und aktiv nach einem neuen Selbstverständnis von Vaterschaft und Väterlichkeit zu suchen. Ein neues Vaterbild soll bestimmt, eine neue väterliche Funktion gefunden werden. Das ‚Gebiet’, in dem Väter eine neue Funktion finden wollen, wurde in der hier eingenommenen Perspektive bisher durch Mütter definiert. Väter würden einen Raum betreten, der bislang der Definitionsmacht von Müttern unterlag – jetzt sollen sie selbst bestimmen, welche Aufgaben sie übernehmen wollen, welche Funktion sie einnehmen möchten, und sich dabei nicht der ‚mütterlichen’ Kontrolle unterwerfen müssen. Väter werden nun konkret als Akteure von Veränderung angesprochen, die ihre passive Haltung im Umgang mit den sozialen Veränderungen in den Geschlechterarrangements und -beziehungen aufgeben sollen.
198 Die Macht von Müttern wird z. B. nicht als so unmittelbar psychisch und physisch bedrohlich konstruiert, wie wir es in den Texten Matusseks vorgefunden haben. Das zeigt sich auch darin, dass Ruhl hier die Selbstwahrnehmung einer Gruppe von Vätern darstellt und nicht sagt, Väter würden von Müttern zu Erfüllungsgehilfen gemacht.
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Aktivität wird dabei nicht vorrangig in der politischen und individuellen kämpferische Behauptung von Männern gegenüber Frauen gesehen. Vielmehr wird angeregt, dass Väter selbst zu einem neuen inhaltlichen Verständnis von Vaterschaft kommen. Dies wird als subjektive Aufgabe und Identitätsfrage verstanden. Während Matussek höchst aggressiv auf den Selbstbestimmungsdiskurs des westdeutschen Feminismus reagiert und diesen als Egoismus von Frauen anprangert, geht es hier darum, dass bewusst Selbstbestimmung auch für Väter zum positiven Bezugspunkt genommen wird. Die Wünsche nach einer eigenen Bestimmung von Vaterschaft erfolgen damit zwar in Abgrenzung zu Müttern, es wird aber kein Kampf zwischen den Geschlechtern konstruiert. Dennoch wird hier von einer Hierarchie zwischen Müttern und Vätern innerhalb der Familie ausgegangen, in der Väter ohne eigene Machtressourcen gedacht werden. Der Verlust der Funktion des Familienernährers scheint auch als ein Verlust von Macht wahrgenommen zu werden. Angenommen wird damit eine Ungleichheit in den Geschlechterbeziehungen, die nun zu Ungunsten von Männern bestehe. Der Aufruf, Vaterschaft neu zu definieren und sich dabei auch neue Funktionen und Aufgaben anzueignen, kann denn auch unterschiedlich gemeint sein. Aus Ergebnissen der Geschlechterforschung wissen wir, dass dies nicht zuletzt davon abhängt, in welcher Weise auf Gleichheit und auf Differenzen zwischen den Geschlechtern Bezug genommen wird. So könnte eine neue ‚Väterlichkeit’ verstanden werden als Übernahme von bislang vorrangig von Müttern wahrgenommenen Aufgaben, bei gleichzeitiger Aufgabe z. B. des Privilegs der durchgängigen Vollzeiterwerbstätigkeit.199 Der Versuch einer Angleichung in den jeweiligen Funktionen und im konkreten Handeln könnte dann Differenzen und Hierarchien nivellierend wirken. Es könnte sich aber auch um einen Aufruf handeln, in Abgrenzung zu Müttern zu einem neuen, explizit väterlichen Selbstverständnis zu kommen und damit – ähnlich wie bei Matussek – Differenzen und auch Hierarchien verstärkend einzusetzen. Denkbar wäre auch, dass mit der Suche nach einem neuen Selbstverständnis von Vaterschaft beide Bestrebungen miteinander einhergehen, wir es also mit ein-
199 Dieses Privileg wird durch die enormen Veränderungen in der Erwerbssphäre faktisch auch für Männer immer mehr eingeschränkt. Gleichwohl bleiben die meisten Männer, aber auch die Anliegerinstitutionen der Familie an diesem Modell männlicher Erwerbstätigkeit orientiert (vgl. Born/Krüger/Lorenz-Meyer 1996; Krüger 1997; Meuser 1997).
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ander widersprechenden Bewegungen, sowohl mit einer Minimierung als auch mit einer Betonung von Differenzen zu tun haben. Was dies bezüglich der Frage der (Re)produktion von Hierarchien bedeutet, ist dann genauer zu betrachten. Bevor ich diese und andere Fragen weiter verfolge, möchte ich die bisherigen Ergebnisse kurz zusammenfassen: Im Zentrum der analysierten Passage steht die Aussage, dass die Funktion des Vaters als Familienernährer verloren gegangen sei. Dieser Funktionsverlust wird als Ausdruck allgemeiner gesellschaftlicher Veränderungen gedeutet und nicht, wie bei Matussek, als Resultat einer feministischen Hegemonie. Väter seien gezwungen, sich mit dem Verlust ihrer Funktion auseinander zu setzen. Dies, so zeigt die Analyse, bringe zum einen Gefühle der Fremdheit, Unsicherheit und Angst hervor, aber auch ein eigenes Interesse an neuen Wegen. Mit dieser Spannung zwischen Ängsten und der Suche nach einem neuen Selbstverständnis von Vaterschaft gehen Autonomie- und Machtkonflikte einher. In den Bewältigungsversuchen dieser Konflikte kann in unterschiedlicher Weise auf Differenzen und auch auf Gleichheit zwischen den Geschlechtern Bezug genommen werden. Auf der manifesten Ebene des Textes bleiben beide Pole der Spannung, die eigene Verunsicherung sowie das eigene Interesse an Veränderung, inhaltlich unbestimmt und vage. Diese Vagheit zieht sich durch alle Texte der Zeitschrift PAPS hindurch. Etwas offen zu lassen, nicht konkret zu werden, scheint ein Argumentationsprinzip dieser Väter zu sein: etwas wird be- und entnannt zugleich. Die bereits sichtbar gewordenen Widersprüchlichkeiten auf der manifesten und latenten Ebene des Textes sowie die inhaltlichen Unbestimmtheiten einzelner Aussagen können als Ausdruck eines anderen Umgangs mit Ambivalenzen gelesen werden, als in den Texten von Matussek zu sehen war. Dort hat sich gezeigt, dass die Väter aus dem Kontext von Vätergruppen, die von einem Kampf zwischen den Geschlechtern ausgehen, nicht über genügend Ambivalenztoleranz zu verfügen scheinen, um Konflikte auszuhalten und mit den Erfordernissen und Konsequenzen von Modernisierungsprozessen reflektierend umzugehen. Bestehende Ambivalenzen werden durch Spaltungen und Polarisierungen negiert. Auf der Textebene kommt dies dadurch zu Ausdruck, dass sich widersprechende Wahrnehmungen, Gefühle und Deutungen manifest selten hervortreten. Sie können nur rekonstruiert werden. In den Artikeln der Zeitschrift PAPS hingegen deutet sich ein Umgang mit Ambivalenzen an, den man als ‚Bewegungen in Widersprüchen’ bezeichnen kann. Dieser andere Um210
gang mit Ambivalenzen wird allerdings erst bei einem gründlichen Durchgang durch verschiedene Textpassagen greifbar. In den bisherigen Interpretationsergebnissen sind bereits alle Kategorien benannt, die, auch wenn sie auf verschiedenen Ebene liegen, für die weiteren Analysen zentral sind: Funktionsverlust, Fremdheit, Unsicherheit, Differenz, Gleichheit, Autonomie, Macht, Ambivalenz und Unbestimmtheit. In den folgenden Abschnitten werden diese Kategorien vertiefend betrachtet, überprüft und weiter ergänzt. Dabei arbeite ich zugleich Schritt für Schritt die für die Gruppe der ‚ambivalenten Väter’ typischen Konzeptualisierungen von Geschlecht, von Paarbeziehungen, Familie und Elternschaft und die in diese Ausdeutungen eingehenden Konflikt- und Problemkonstellationen heraus. 200
4.2.3 Divergente Orientierungen Die ‚ambivalenten Väter’ im Spektrum von Väterinitiativen sehen sich von Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen und -beziehungen tangiert bzw. wollen Veränderungen herbeiführen, die für sie mit Verunsicherung und Ängsten verbunden sind. Um diese Ängste besser verstehen zu können, soll in diesem Abschnitt zunächst der Vorstellung von einem Funktionsverlust weiter nachgegangen werden. Dabei untersuche ich weitere Textstellen im Hinblick darauf, was mit dem ‚Neuen’ gemeint ist, das so verunsichernd wirkt. Aus den sich zum Teil auch widersprechenden Aussagen zur Veränderung der sozialen Funktion des Vaters – es ist nicht nur von einem Verlust, sondern auch von einem Wandel und sogar von einer nach wie vor bestehenden Festlegung auf die Funktion des Familienernährers die Rede – lassen sich Vorstellungen über eine neue Bestimmung von Vaterschaft herauslesen. Vor diesem Hintergrund gehe ich anschließend der Frage nach, worauf sich dabei die dargestellten Ängste beziehen.
200 Die Fragen, die mich hierbei leiten, sind die gleichen wie schon bei der Interpretation der Texte von Matussek: Welche Probleme und Konflikte von Vätern werden beschrieben und wie werden sie begründet? Wie werden die individuellen und sozialen Beziehungen der Geschlechter zueinander interpretiert? Welche Ausdeutungen der Geschlechterdifferenz, der Familie und der Eltern-Kind-Beziehung lassen sich finden? Welche Vorstellungen von sozialem Wandel gehen damit einher?
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4.2.3.1 Neuorientierungen zwischen Zwang und Wunsch In einem manifesten Widerspruch zu dem konstatierten Verlust der Funktion des Familienernährers steht die in einem anderen Text der Zeitschrift PAPS getroffenen Aussage, dass Väter heute nach wie vor durch gesellschaftliche Strukturen auf ihre traditionelle Funktion festgelegt würden. So heißt es in dem Editorial von PAPS 2/96: „Erst langsam entsteht ein Bewusstsein, daß viele sehr unterschiedliche Probleme gemeinsame Ursachen haben, nämlich ein gesellschaftliches Bild vom Vater, das dessen Bedeutung für Kinder immer noch sträflich unterschätzt und gesellschaftliche Strukturen, die Väter einmauern, auf das festlegen, was schon immer so war.“ (Editorial, PAPS 2/1996)
Wurde in dem Artikel von Ruhl gesagt, dass durch gesellschaftliche Transformationsprozesse die bisherige gesellschaftliche Funktion des Vaters in der Familie verloren gegangen sei und Väter sich dadurch einem Zwang zu einer Neuorientierung ausgesetzt sähen, wird hier eine andere Perspektive eingenommen. Verantwortlich für Probleme, die Väter heute hätten, sei vor allem die gesellschaftliche Festlegung des Vaters auf althergebrachte Funktionen, d. h., auf die Funktion des Familienernährers. Statt dieser Festlegung sei eine aktive Neuorientierung erforderlich, die stärker die Bedeutung des Vaters für das Kind bzw. die emotionale Beziehung zwischen Vater und Kind hervorhebe. Einmal sieht sich die Gruppe der ‚ambivalenten Väter’ also Prozessen gesellschaftlicher Veränderung ausgesetzt, die sie zu Umorientierungen zwingen. Das andere Mal sieht sie sich institutionellen Zwängen ausgesetzt, die sie nach wie vor auf althergebrachte Funktionen festlegen würden. Diese Festlegung kritisieren sie jedoch und streben von sich aus Veränderungen an. Eine Notwendigkeit zu einer Neuorientierung von Vätern wird in beiden Fällen gesehen – jedoch einmal von außen induziert, einmal von den Individuen erwünscht. Dieser Widerspruch lässt sich noch einmal aus einem anderen Blickwinkel formulieren: So kommt in den Texten von PAPS zum Ausdruck, dass Väter einerseits eine gesellschaftliche Infragestellung der eindeutigen Funktion des Vaters als Familienernährer als Verlust wahrnehmen würden. Zugleich wird die Zuschreibung, Familienernährer sein zu sollen, als ein einschränkendes Korsett für Väter dargestellt. Aus dieser Perspektive wird aktiv für ein neues Verständnis von Vaterschaft geworben, das sich stärker auf die Bedeutung des Vaters für das Kind konzentriert. 212
Gesellschaftliche Veränderungen und sozialer Fortschritt sind immer zugleich auch mit Verlusten verbunden. Im analysierten Text wird ein damit verbundener Konflikt offensichtlich: Die Furcht vor dem Verlust klarer Verhaltensanforderungen und der mit der Funktion des Familienernährers verbundenen Privilegien einerseits und das Gefühl, auf diese Funktion festgelegt und dadurch eingeschränkt zu werden andererseits, reiben sich bei der Gruppe der ‚ambivalenten Väter’ aneinander, wobei mal die eine, mal die andere Seite betont wird. Dieser Konflikt lässt sich als Teil eines Prozesses betrachten, dessen Ausgang noch offen ist: Können die Verluste akzeptiert werden? Ungeklärt ist, worin für diese Väter der Antrieb liegt, die traditionelle Funktion des Familienernährers als problematisch zu empfinden, worin sie sich eingeschränkt sehen, bzw. umgekehrt, warum der potentielle Verlust dieser Funktion mit Ängsten verbunden ist. Halten wir uns vor Augen, dass diese Väter sich aus einer persönlichen Trennungssituation heraus äußern, in der sie Schwierigkeiten haben, einen kontinuierlichen Kontakt zu ihren Kindern aufrecht zu erhalten, dann lässt sich verstehen, dass die Funktion des Familienernährers für sie nicht mehr wirkliche Befriedigung mit sich bringt. Als ‚Familienernährer’ sind sie nun im Wesentlichen Zahlende. Dies macht einen Antrieb denkbar, neue Vorstellungen von Vaterschaft und von Paarbeziehungen entwerfen zu wollen. Die sich in der Zeitschrift PAPS artikulierenden Väter können ihre Verunsicherungen scheinbar anders bewältigen als die Väter, die aus der tiefen Kränkung und Verunsicherung über die Trennung ihrer Partnerschaft heraus einen Geschlechterkampf beschwören und gegen Veränderungen in den Geschlechterarrangements und -beziehungen votieren. Sie reflektieren traditionelle Vorstellungen von Vaterschaft als ein Hindernis für eine befriedigendere Beziehung zu Partnerin und Kind – vor und nach der Trennung – und können die daraus resultierende Unsicherheit, welche Funktion und Position sie nach dem Abschied von dem Althergebrachten noch haben, zumindest zeitweise aushalten. Letzteres allerdings auch deshalb, weil der Scheidungskonflikt einen möglicherweise viel weitgehenderen Verlust vor Augen führt: den Verlust des regelmäßigen Kontaktes zum Kind. In welche Richtung die von diesen Vätern anvisierten neuen Vorstellungen von Vaterschaft gehen, hat sich bereits angedeutet: Es wird betont, dass der Bedeutung, die der Vater für sein Kind hat, mehr Beachtung zukommen sollte. In diesem Appell, der sich an potentiell alle Gesellschaftsmitglieder richtet, rückt die individuelle Beziehung des Vaters zum Kind in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Anders als bei Matussek 213
wird in den Texten der Zeitschrift PAPS auch über die Ausgestaltung der Beziehung zu den Kindern nachgedacht. Die Beziehung zu den Kindern verschwindet hier nicht hinter einem propagierten Kampf zwischen den Geschlechtern. Dass der konkreten Beziehung zum Kind mehr Relevanz zukommen soll, als es das Familienernährermodell impliziert, wird auch in dem Untertitel des Artikels von Ruhl deutlich, aus dem die Eingangs interpretierte Passage stammt. Dieser lautet: „Von der Funktion zur Beziehung.“ (Ruhl, PAPS 5/6 1995, 17)
‚Von der Funktion zur Beziehung’ deutet einen Prozess an, in dem ein Wechsel erfolgt: Es gibt einen zeitlichen Verlauf von der ‚Funktion’ zur ‚Beziehung’, wobei auf der Zeitachse ‚Beziehung’ das ‚Neue’ markieren würde, das die ‚Funktion’ ablöst. In diesem Bild wird jetzt nicht mehr nur ein Funktionsverlust beschrieben, sondern ein Funktionswandel. Ein solcher unterscheidet sich von dem Bild des Funktionsverlustes dadurch, dass bereits etwas Neues vorhanden ist, was sich an die Stelle der alten Funktion setzt. Das Neue wäre hier die weit größere Bedeutung der emotionalen Beziehung zum Kind, als die Funktion des Familienernährers dies beinhaltet. So heißt es auch am Ende des Artikels von Ruhl, die Grundlage für eine neue, von Vätern selbst vorgenommene Definition von Vaterschaft sei „in jedem Fall Beziehung und Kommunikation; Beziehung zur Mutter, Beziehung zum Kind“ (Ruhl, PAPS 5/6 1995, 19). Welche Position und Funktion der Vater in der Familie dann einnimmt, ob ihm überhaupt eine besondere Funktion noch zufällt, bleibt bei diesem Versuch einer Neubestimmung von Vaterschaft noch offen.
4.2.3.2 Konkurrenz und Kooperation Mit der Vorstellung, dass Vaterschaft stärker als bisher durch die emotionalen Beziehungen bestimmt sei bzw. sein soll, rückt die inhaltliche Bestimmung von Vaterschaft jetzt deutlich in eine Nähe zu der Funktion, die in der bürgerlichen Gesellschaft traditionell Müttern in der Familie zugeschrieben wurde: für die Emotionalität und die Pflege der sozialen Beziehungen zuständig zu sein. Mit dem ‚Verlust von Funktion’ wird eine Neuorientierung von Vätern innerhalb der Familie verbunden, die auf eine Angleichung der Position und der bisherigen Funktionen von Müttern hinausläuft. Diese Nähe neuer Vorstellungen von Vaterschaft zu traditionell mütterlichen Funktionen zeigt sich auch in der folgenden Passage: 214
„Offensichtlich haben sich das Bild und die Funktion – und damit die Wertbestimmung – des Vaters in nur drei Generationen auffällig gewandelt. Sie ist weniger durch gesellschaftliche Notwendigkeiten bestimmt als durch familiäre Erfordernisse und persönliche Wünsche der Eltern und Kinder“ (Ruhl, PAPS 5/6 1995, 17)
In dieser Passage beschreibt der Autor den Wandel der Funktion und der normativen Vorstellungen201 von Vaterschaft als einen Prozess zunehmender Individualisierung. Dieser wird von ihm positiv gewertet. Danach könnten Väter heute weit mehr als ihre Väter und Großväter selbst entscheiden, wie sie Vaterschaft bestimmen und leben wollen.202 Die Nähe der Funktion, die zum neuen Selbstverständnis dieser Väter gehört, zu der Funktion, die traditionell Müttern zugewiesen wird, liegt darin, dass Väter jetzt stärker als zuvor auf die Bedürfnisse der Familienmitglieder ausgerichtet gesehen werden. Dieses ‚Dasein für die Familie’ wird jedoch eher als individuelle Option begriffen: Während Mütter bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts normativ auf das ‚Dasein für andere’ (BeckGernsheim) festgelegt wurden, besteht in der hier eingenommenen Perspektive für Väter eine Wahlmöglichkeit, inwieweit sie auf die Bedürfnisse der Anderen eingehen wollen. Zudem wird die Wichtigkeit, die Erwerbsarbeit grundsätzlich für sie hat, nicht in Frage gestellt. Gleichwohl deutet sich in der Angleichung der Beschreibung der Funktionen, die Väter und Mütter heute innerhalb der Familie übernehmen (sollen), nicht nur der Wunsch nach einer intensiveren Beziehung zu den eigenen Kindern an, sondern auch eine Orientierung an einer partnerschaftlichen Beziehung, die auf Gleichheit beruht.203 Mit dieser Orientierung auf Gleichheit innerhalb der Familie kommt aber zugleich auch ein Konkurrenzverhältnis zwischen Vätern und Müttern auf, das in Bezug auf die Familie historisch neu ist. Welche Aufgaben werden jeweils von Vater und Mutter übernommen, wer definiert die Bedürfnisse der Familie, wel-
201 Ich stelle die Interpretation der Begriffe ‚Bild’ und ‚Wertbestimmung’ nicht weiter dar, weil es mir hier um einen anderen Punkt geht. Vor allem der Begriff ‚Wertbestimmung’ weist darauf hin, dass es diesen Vätern auch um ein positives Vaterbild, um die gesellschaftliche Anerkennung von Vätern als Vätern geht. 202 Worin die gesellschaftliche Notwendigkeit für die Übernahme der Funktion des Familienernährers früher gelegen haben soll, und warum diese nicht mehr besteht, wird nicht ausgeführt. 203 Diese Interpretation wird dadurch abgestützt, dass in den untersuchten Texten davon ausgegangen wird, dass beide Elternteile sowohl berufstätig sein als auch eine Zeit ganz zuhause bleiben können (vgl. z. B. Litz, PAPS 8/9 1995).
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chen Platz nehmen beide in welcher Situation im Beziehungsgefüge mit den Kindern ein? Wenn beide Eltern die gleiche Funktion übernehmen können, sind Vater und Mutter dann noch gleichermaßen wichtig? Oder könnte heute, wenn Mütter sich in ihrer Orientierung auf Aufgaben- und Kompetenzbereiche Vätern angleichen, und Väter weiblich konnotierte Aufgaben übernehmen, auf Väter auch ‚verzichtet’ werden? Könnten Mütter alle Aufgaben, die mit dem gesellschaftlichen Bestanderhalt verbunden sind, weitgehend alleine erfüllen? Welche Relevanz hat dann Vaterschaft heute noch? Dieses konstatierte historisch neue Konkurrenzverhältnis bezüglich der Funktionen und Aufgaben innerhalb der Familie könnte bei den Vätern, die Veränderungen in diese Richtung anstreben, auch neue Ängste erwecken. Z. B. die Angst, dass sie, wenn sie Vaterschaft heute vorrangig auf die Erfüllung der emotionalen Bedürfnisse der Familienmitglieder ausrichten, als ‚Gleiche’ in der Konkurrenz mit Müttern um Funktion und Position und damit auch um Macht unterliegen könnten,204 und sie so keine Aussicht auf eine eigenständige Funktion als Vater in der Familie hätten. Durch diese Angst, im Konkurrenzkampf zu unterliegen und zum ‚Erfüllungsgehilfen’ der Mutter zu werden, könnte auch die Scheu vor Auseinandersetzungen mit den Partnerinnen bestimmt sein. Aber auch die Furcht, dass ein Mann in einer Gesellschaft, in der nach wie vor Väter auf die Funktion des Familienernährers festgelegt werden, als Außenseiter wahrgenommen wird, wenn er Aufgaben in der Familie übernimmt, die traditionell eher von Müttern ausgeführt werden, könnte zur Erklärung beitragen, dass eine Orientierung auf egalitäre Zuständigkeiten innerhalb der Familie mit Ambivalenz einher geht. Dass in der Zeitschrift PAPS Konkurrenz zwischen den Geschlechtern latent immer wieder Thema ist, hängt selbstverständlich auch damit zusammen, dass aus der Perspektive erfolgter Trennungen und Scheidungen argumentiert wird, in denen rechtlich mit den Müttern um den Umgang und um das Sorgerecht für die Kinder gerungen wird. Sofern es keine gütliche Entscheidung der Eltern bezüglich des Sorgerechts gibt, müssen sich beide Elternteile vor Gericht als ‚gute’ Väter und Mütter erweisen, die beide sowohl ‚mütterlich’ als auch ‚väterlich’ konnotierte Fähigkeiten und Eigenschaften aufweisen sollten. Wie ich oben aufgezeigt habe, gehen die Väter, die sich in Vätergruppen organisiert haben, davon
204 Ähnlich wie bei Matussek geht es auch in den Texten von PAPS um die Angst, aus der Familie herauszufallen.
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aus, dass Familiengerichte vor allem in Bezug auf kleinere Kinder gemeinhin als ‚mütterlich’ verstandene Qualitäten des sorgeberechtigten Elternteils erwünschen. Sie befürchten, dass es Müttern eher als Vätern zugetraut wird, „versorgend und nährend“ (Ruhl, PAPS 5/6 1995, 19) zu sein. Väter geraten dadurch in ihrem Selbstverständnis unter Druck, sowohl ‚mütterlich’ sein zu sollen, als auch ihre Wichtigkeit als Väter gerade in Differenz zu Müttern herausstellen zu müssen. Die Suchbewegungen der ‚ambivalenten Väter’ nach einer neuen väterlichen Funktion nur als Kalkül in der juristischen Auseinandersetzung zu verstehen, wäre allerdings überzogen. Für diese Väter, welche die Funktion des Vaters als Familienernährer als verloren gegangen wahrnehmen und die nach einer Trennung nur eingeschränkt am Alltag ihrer Kinder teilnehmen können, drängt sich stärker als für andere die Frage auf, welche Bedeutung Vaterschaft noch haben kann. So fragt auch Ruhl in PAPS in Bezug auf seine Situation als ‚Besuchsvater’: „Wozu wird ein Vater dann noch gebraucht?“ (Ruhl, PAPS 5/6 1995, 17). Die Väter, die von einem Geschlechterkampf ausgehen, beantworten diese Frage, indem sie generell die Position des Vaters als Familienernährer wieder stärken wollen. Eine inhaltliche Diskussion über die Ausgestaltung von Vaterschaft wird dagegen weder für die Zeit vor noch die nach einer Trennung geführt. Zwar mag die erfahrene Trennungskrise auch dieser Väter individuell sogar zu einer Intensivierung der inneren Beziehung zu ihren Kinder beigetragen haben.205 In der Diskursivierung dieser Gefühle geht es jedoch nicht darum, zu einem neuen Verständnis von Vaterschaft zu gelangen. Die Konkurrenz, die dort zwischen Vätern und Müttern gesehen wird, ist eine Konkurrenz um die Verfügung über das Kind, um Macht und Einfluss in der Familie. An eine Annäherung väterlicher und mütterlicher Funktionen und Aufgaben ist dabei nicht gedacht. In den Texten von Vätern, welche die Frage der Gestaltung von Vaterschaft nicht im Kampf gegen, sondern eher in Annäherung an und in Kooperation mit Müttern lösen wollen, wird ähnlich Vaterschaft heute im Wesentlichen über ihre emotionale Beziehung zum Kind definiert. Und es
205 Nach Sieder (2001, 2003) zeigen neuere Forschungen entgegen der Annahme, dass Scheidungen und Trennungen beschleunigt zum Verschwinden von Vätern führen würden, ein differenzierteres Bild. Tatsächlich verschwänden zwar viele Väter aus dem Leben ihrer Kinder, die anderen setzten aber ihre Vaterarbeit fort und intensivierten sie sogar, indem sie oft erstmals längere Zeit mit ihren Kindern allein verbrächten. Psychoanalytisch orientierte Forschungen hätten zudem deutlich gemacht, dass Väter nach einer Trennungskrise oftmals bewusster ihre Vaterschaft gestalteten (vgl. Sieder 2001, 542/543).
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wird auch für mehr Rechte von Vätern an den Kindern nach einer Trennung von der Mutter der Kinder gestritten. Die Auseinandersetzungen über die Verfügungsmacht über die Kinder sind hier aber nur ein – wenn auch innerhalb der Vätergruppen insgesamt zentraler – Aspekt der Diskussionen über die Ausgestaltung von Vaterschaft. Den Ausgangspunkt der Auseinandersetzungen bilden die grundlegenden Verunsicherungen durch den konstatierten Verlust der eigenständigen Bedeutung von Vätern und ihrer generativen Potenz sowie die daraus resultierenden Reflexionen über die eigene Identität als Vater und als Mann. Diese Väter suchen konkret nach Möglichkeiten, selbstbestimmt ihre Vaterschaft fortzusetzen und dabei – bei aller Ambivalenz – auch neue Wege zu gehen, die eine tendenzielle Angleichung an mütterliche Funktionen und Eigenschaften erlauben.
4.2.3.3 ‚Allein unter Müttern’: Familie als fremdes Terrain Die Väter, die sich um die Zeitschrift PAPS zusammenfinden, wollen sich also stärker dem Gebiet zuwenden, das sie als den „angestammte(n) Machtbereich“ (Editorial, PAPS 1/1997) von Frauen wahrnehmen – der Familie und den sie umgebenden Institutionen wie Kindergärten, Schulen etc. Zugleich werden der konstatierte Verlust der bisherigen Funktion als Familienernährer und die vorsichtigen Annäherungen an Aufgaben und Tätigkeiten, die bislang eher Müttern zugewiesen waren, von diesen Vätern als Verunsicherung erfahren. Einige Gründe für diese Verunsicherung haben sich in den bisherigen Diskussionen bereits angedeutet: Die Unsicherheit ist mit der Wahrnehmung des Verlustes einer klaren Funktion und Positionierung in den Verhältnissen und Beziehungen der Geschlechter verbunden. Vorherrschend ist ein Gefühl der Orientierungslosigkeit, die durch den geringen Konkretionsgrad der eigenen Vorstellungen und Ziele noch verstärkt wird. Als ein Hintergrund für die starke Ambivalenz in den Selbstentwürfen der Väter wurde das potentiell neue Konkurrenzverhältnis zu Müttern herausgearbeitet, in das sich Väter begeben, wenn sie sich als fürsorglich definieren und die emotionale Beziehung zu ihren Kindern, aber auch zur Partnerin, als Mittelpunkt ihres Vaterseins sehen. Für die damit gleichzeitig verbundenen Ängste sollen im Folgenden weitere Erklärungen gesucht werden. Ich ziehe hier die Analyse eines Artikels heran, der die Problematik von Vätern thematisiert, die sich entscheiden, für eine Zeit Hausmann sein zu wollen. Sie müssen sich damit konkret in verschiedene soziale Kontex218
te begeben, die ‚weiblich’ kodiert und empirisch in der Regel mehrheitlich von Müttern geprägt sind. Der Titel lautet: „Allein unter Müttern. Noch fristen Väter in Krabbelgruppen ein recht einsames Dasein – Leben mit der Rolle als Außenseiter“ (Litz, PAPS 8/9 1995)
Die Überschrift ‚Allein unter Müttern’ markiert eine Differenz: Es gibt eine Gruppe Mütter ‚unter’ denen sich eine ‚Nicht-Mutter’ befindet. Wenn man sich ‚allein’ unter einer Gruppe Anderer bewegt, lässt dies Gefühle assoziieren wie: allein gelassen, verlassen, ausgeschlossen, fremd. Der Ort, an dem sich Väter „allein unter Müttern“ befinden, wird im Untertitel als ‚Krabbelgruppe’ konkretisiert. Nun ist es verständlich, dass sich Väter in einer Krabbelgruppe, die zumeist von Müttern gegründet und besucht wird, als ‚Außenseiter’ fühlen, da der soziale Raum ‚Krabbelgruppe’ weiblich konnotiert ist und Väter dort insofern tatsächlich eine Besonderung erfahren, als sie mit ihrem Engagement dort, kulturell bisher dominante Arbeits- und Aufgabenzuweisungen an die Geschlechter durchbrechen. Es ist daher davon auszugehen, dass sie und die Mütter der Gruppe zunächst mit einer Situation umgehen müssen, welche die Annahme von ‚Normalität’ geschlechtlicher Arbeitsteilungen und Befähigungen durchbricht. Die sprachlichen Wendungen wie ‚Allein unter Müttern’ und ‚ein einsames Dasein (fristen)’ sowie ‚Leben mit der Rolle als Außenseiter’ weisen jedoch darauf hin, dass die faktische Erfahrung von Besonderung ironisch überdramatisiert wird. Dadurch passiert etwas, was eigentlich dem Interesse der Väter widersprechen müsste, die sich stärker für ihre Kinder engagieren und Betreuungs- und Erziehungsaufgaben übernehmen wollen: Differenzen zwischen Vätern und Müttern werden überbetont, nicht verringert. Mütter werden dabei als relativ machtvolle geschlossene Gruppe konstruiert, zu der Väter den Zugang als gleichberechtigter Teilnehmer nicht finden können.206 Betrachten wir diese Bewegung auf einer etwas abstrakteren Ebene, dann wird sie noch deutlicher: Väter, die größere elterliche Verantwortung übernehmen, unterlaufen einerseits die Grenzziehungen zwischen geschlechtlich markierten Orten. Damit werden die Trennlinien zwischen den Geschlechtern brüchiger. Mit der Betonung von Geschlechterdiffe-
206 Wenn hier die Dramatisierung von Differenzen auf Seiten von Männern betont wird, bedeutet dies nicht, dass nicht auch Frauen in dem Moment, in dem sich Grenzziehungen auflösen, ebenfalls auf vertraute Differenzsetzungen zurückgreifen.
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renzen in einer Situation der Verunsicherung beim ‚Betreten’ eines neuen Terrains greifen diese Väter wieder auf vertraute Differenzsetzungen zurück und versuchen durch die leicht ironisierende Sprache Gefühle der Fremdheit, des Ausschlusses zu unterlaufen. Anders gesagt: Der faktischen Minimierung von Grenzen zwischen den Geschlechtern durch eine Angleichung von Tätigkeiten zwischen Müttern und Vätern wird mit einer Betonung von Differenz begegnet und damit eine tendenzielle Normalisierung der Situation angestrebt. Indem der Ausgangszustand einer grundlegenden Unterscheidung von Männern und Frauen wieder hergestellt wird, wird versucht, die Grenzüberschreitung von Vätern hin zu einem weiblich konnotierten und gesellschaftlich nicht so hoch bewerteten Raum sozial akzeptierbar zumachen.207
4.2.3.4 Ambivalente Bezugnahme auf die Familie Väter empfinden soziale Räume, die auf Kinderbetreuung und -erziehung ausgerichtet sind, zunächst als fremde Räume. Auch die Familie wird mit dem konstatierten Verlust der Funktion als Familienernährer als potentiell fremder Raum, als Machtsphäre von Frauen, wahrgenommen, in der ein eigener Platz neu gesucht und gefunden werden muss.208 Im Folgenden gehe ich weiter der Frage nach, warum die Verunsicherung der sich hier artikulierenden Väter so groß ist, dass sie entgegen ihren eigenen Interessen faktisch vorhandene Grenzziehungen zwischen den Geschlechtern, und vergeschlechtlichten sozialen Räumen überbetonen müssen, statt sie z. B. kritisch zu reflektieren.
207 Diese Bewegung der gleichzeitigen Minimierung und Maximierung von Differenzen zwischen den Geschlechtern ist auch in Untersuchungen deutlich geworden, die sich mit der Überschreitung von geschlechtlichen Grenzlinien im beruflichen Bereich auseinandergesetzt haben (vgl. z. B. Heintz/Nadai/Fischer /Ummel 1997). Vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Studie ist zu überlegen, dass dort, wo Väter durch ihre Präsenz in Elterngruppen Trennlinien zwischen den Geschlechtern überschreiten, ‚Geschlecht’ von Vätern und Müttern verstärkt relevant gemacht werden wird. Es könnten z. B. spezifische neue Rituale, Aufgabenregelungen oder Interaktionen geschaffen werden, um eine Akzeptanz der Grenzüberschreitung von Vätern zu ermöglichen, die aber wieder neue Differenzierungen und auch Hierarchisierungen hervorbringen (vgl. Heintz/Nadai/Fischer/Ummel 1997, 10). 208 Dass die Familie in den Texten als Machtsphäre von Frauen konzipiert und damit auch als ein ‚fremder Raum’, in dem sich Väter verunsichert und als Außenseiter fühlen, wird an den folgenden Textpassagen noch deutlicher werden.
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In Anknüpfung an Erdheim (1992) lässt sich überlegen, ob die Betonung der Familie und ihrer Anliegerinstitutionen als für Väter ‚fremde’ Räume, in denen sie sich als Außenseiter bewegen, nicht als eine Angst zu denken ist, dem ausgesetzt zu sein, was dort zugleich als faszinierend und aneignungswert empfunden wird (vgl. Erdheim 1992, 734). In einer psychodynamischen Perspektive lässt sich die Angst vor dem Fremden als Angst vor der Konfrontation mit dem ‚inneren Fremden’ lesen, dem eigenen Unbewussten (vgl. u. a. Bielefeld 1991a, 99). Die in dem Text betriebene Inszenierung der Familie als Gebiet, in dem der Vater seine bisherige Funktion verloren hat und das ihm nun fremd gegenübersteht, könnte in diesem Verständnis als Ausdruck einer Furcht vor der inneren Konfrontation mit den eigenen Anteilen dessen, was Familie repräsentiert, gelesen werden: nämlich ein ‚weiblich’ konnotierter Ort zu sein. Die empfundene Anforderung und der Wunsch, sich stärker als bisher einzulassen auf intime Bindungen und damit verbundene wechselseitige Abhängigkeiten, sowie auf fürsorglich-versorgende, also als ‚weiblich’ kodierte Tätigkeiten, kann die fraglose Sicherheit einer männlichen Geschlechtsidentität und damit verbundene Vorstellungen von Autonomie und Abgegrenztheit in Frage stellen. 209
209 Eine weitere Lesart der Betonung der Familie als fremder Ort, die durch den Text nicht ganz abgesichert ist, mir aber dennoch sinnvoll erscheint, ist, dass es den ‚ambivalenten Vätern’ durch die Deutung der Familie als ‚Fremde’ gelingt, ein Bild von der Familie als einem idyllischen Ort aufrecht zu erhalten, welcher Intimität, Geborgenheit und mütterliche Fürsorglichkeit verspricht. Das ‚Fremde’ kann – wie dies Mario Erdheim (1988) für den „Exotismus“ beschreibt – durch projektive Verkennungen verklärt und so zum Ort regressiver Wünsche und Sehnsüchte werden (vgl. Bereswill/Ehlert 1996). Diese Idealisierung der Familie könnte mit dem Gefühl des Ausschlusses aus der Familie korrespondieren, das von den ‚ambivalenten Vätern’ immer wieder benannt wird und dessen Rückseite das Begehren bildet, aufgenommen zu werden, einen eigenen, väterlichen Platz zu finden. Je stärker die Familie an ‚Fremdheit’ verlieren würde, desto stärker würde jedoch auch der profane familiale Alltag in den Blick rücken, in dem sich Geborgenheit in Enge verwandeln kann, Intimität in Übergriffe, Tradition in Zwang. Ein Alltag, der Konflikte, die Notwendigkeit von Aushandlungen, Arbeit und Verantwortung mit sich bringt. Dieser Gedanke legt den Blick frei auf einige ambivalente Gefühlsregungen, die ich bei dieser Gruppe Väter sehe: Einerseits wollen sie für sich die Vorstellung der Familie als idealen Ort der Harmonie und Geborgenheit erhalten. Andererseits wollen und müssen sie sich in Konflikten um Autonomie und Abhängigkeit, Macht- und Einflussmöglichkeiten auseinandersetzen, und Arbeit und Verantwortung als Eltern übernehmen. Einerseits wünschen sie sich mehr emotionale Nähe und Geborgenheit, gleichzeitig bestehen Ängste, sich tiefer auf das ‚Gebiet’ Familie einzulassen, und durch die Konfrontation mit eigenen Nähe-, Abhängigkeits- und Regressionswünschen wieder in eine abhängige Position gegenüber der Partnerin (z. B. als ‚Erfüllungsgehilfe’ der Mutter) zu geraten.
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Diese Angst, durch eine Angleichung an Eigenschaften und Tätigkeiten, die traditionell Frauen zugedacht sind, in der eigenen Identität als Mann verunsichert zu werden und Autonomie einzubüßen, verdeutlicht die Interpretation der folgenden Passage des Artikels „Allein unter Müttern“ (Litz, PAPS 8/9 1995). Die äußere Rahmung dieser Passage: Peter und Birgit Schuberth210 haben sich gemeinsam entschieden, dass, nachdem Birgit Schuberth zwei Jahre die Tochter versorgt hat, nun Peter Schuberth zu Hause bleiben und sich um die Tochter kümmern wird. Eine Orientierung beider an einer gleichberechtigten Partnerschaft ist nach außen offensichtlich. Gewählt haben sie ein Modell, nach dem die Aufteilung von Haus- und Erwerbsarbeit in einem Wechsel erfolgt. Danach wäre also immer eine Person voll für Haushalt und Kind zuständig und eine ist erwerbstätig. „Sie haben sich entschieden, sind sich ganz sicher ... Nur: Peter Schuberth hat so ein komisches Gefühl. Es ist dieses eine Wort, das ihn so nervös macht: Hausmann.“ (Litz, PAPS 8/9 1995, 6)
Die Entscheidung eines Paares, dass der Vater für eine gewisse Zeit die volle Betreuung des Kleinkindes und des Haushalts übernimmt, wird im Text positiv gewertet. Aber während in Bezug auf Frau Schuberth keine Probleme hinsichtlich der Veränderung des Arrangements, des Wechsels von der Familienarbeit zur Familienernährerin, thematisiert werden, wird der Wechsel von der Erwerbsarbeit zur Familienarbeit für den Mann als beunruhigend dargestellt. Beunruhigend, dies wird durch das Wort ‚nervös’ und die Redewendung ein ‚komisches Gefühl haben’ signalisiert, sei für Peter Schuberth das Wort ‚Hausmann’.211 Die Beunruhigung resultiert demnach nicht aus erwarteten Problemen bei der ungewohnten Ausführung der Haushaltstätigkeiten. Beunruhigend scheint vielmehr die mit dem Wort ‚Hausmann’ antizipierte Besonderung als Mann zu sein, der Arbeiten ausführt, die traditionell Frauen zugeschrieben werden und die gesellschaftlich nur mit geringem Status 210 Die Situation von Vätern, die Hausmann werden, diskutiert Christian Litz in dem Artikel ‚Allein unter Müttern’ anhand der Fallgeschichte von Peter Schuberth. Ob dieser Fall fiktiv oder authentisch ist, ist offen. 211 Der Begriff ‚Hausmann’ wird alltagssprachlich synonym zu dem Begriff ‚Hausfrau’ verwendet. Hausmann oder Hausfrau zu sein, ist gleichgesetzt mit der nahezu vollen zeitlichen Verfügbarkeit für die häuslichen Tätigkeiten, d. h. umgekehrt damit, nicht oder nur sehr eingeschränkt erwerbstätig zu sein und einer anderen Instanz zu bedürfen, die für den Lebensunterhalt aufkommt.
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und Prestige ausgezeichnet sind. Wie werde ich als Hausmann von Frauen und Männern wahrgenommen? Welches Gefühl verbindet sich für mich damit, Hausmann zu sein, und mich als Mann in Bereichen zu bewegen, die als ‚weiblich’ gelten? Das Bild, das hier entsteht, ist doppeldeutig: Zum einen wird die Tatsache, dass auch der Vater des Kindes für einige Zeit zuhause bleibt und die Betreuung des Kindes und die anfallenden Tätigkeiten im Haushalt übernimmt, als völlig unproblematisch und ‚normal’ dargestellt. Zum anderen wird es als ebenso ‚normal’ dargestellt, dass ein Mann verunsichert ist, der Tätigkeiten verrichten will, die gesellschaftlich weiblich konnotiert sind. ‚Normal’ ist diese Verunsicherung jedoch nur vor dem Hintergrund eines nach wie vor kulturell dominanten Deutungsmusters des Vaters als Familienernährers, das fester Bestandteil ‚hegemonialer Männlichkeit’ ist. Diesem entspricht der fürsorgliche, emotionale gebundene Vater nicht. Die noch bestehende Dominanz des Deutungsmusters des Vaters als Familienernährer wird hier aber nicht als Grund für die Verunsicherung reflektiert. Unreflektiert bleibt damit auch der eigentliche Konflikt: Der Anspruch auf Gleichheit und die Übernahme von weiblich konnotierten Tätigkeiten, konfligiert mit der (latenten) Angst, den gesellschaftlich dominanten Vorstellungen von Männlichkeit nicht mehr zu entsprechen. Da die Gründe für die Verunsicherung im Dunkeln bleiben, stützt aber die Betonung der empfundenen Besonderung das Deutungsmuster des Vaters als Familienernährer, statt es zu durchbrechen. Der hier genannte Konflikt wird durch die Analyse der nächsten Sequenz bestätigt: „Also ist er zu einem Freund gegangen, um sich zu informieren über das Hausmanndasein. Daß Peter Schuberth einen echten Hausmann kennt, ist schon etwas Besonderes, weil es so wenig davon gibt.“
Das Wort ‚Hausmann’ macht Peter Schuberth nervös, also ist er zu einem Freund gegangen, um sich über das Hausmanndasein zu informieren. Der Begriff ‚Hausmanndasein’ zielt weniger auf konkrete Tätigkeiten, die ein Hausmann auszuführen hätte, sondern auf die Art und Weise, wie man als Hausmann existiert: Wie lebt es sich als Hausmann, wie fühlt man sich als ‚Außenseiter’? ‚Informieren’ ist im Bezug auf solch eine existenzielle Frage jedoch ein ungewöhnlicher Begriff. Man ‚informiert’ sich auf einer Beratungsstelle, bei einer Behörde, einem Verkäufer etc. ‚Informieren’ ist sehr sachlich, formal. Die emotionale Bewältigung des ‚Daseins’ als Hausmann, die Befürchtungen, die damit verbunden sind, können dagegen 223
durch reine Informationen nicht erleichtert werden. Ginge es wirklich allein um Informationen über die Tätigkeiten als Hausmann, dann wäre es folgerichtiger, dass Peter Schuberth seine Frau Birgit fragen würde, welche konkret die Arbeiten in den vergangenen zwei Jahren erledigt hat, die er jetzt übernehmen will. Im Vordergrund steht also nicht die Frage, was in der Familie zu tun ist und wie neue Aufgaben zu bewältigen sind, sondern es geht um die Bewältigung der Besonderheit, als Mann Tätigkeiten auszuüben, die weiblich konnotiert sind und sich in Räumen aufzuhalten, in denen sonst vorrangig Frauen sind. Deutlich zeigt sich die Gleichzeitigkeit einer pragmatischen Orientierung auf eine Angleichung von Müttern und Vätern einerseits und einer Angst, dadurch in der männlichen Identität verunsichert zu werden, andererseits. Zum einen erscheint der Schritt zum Hausmann als die Übernahme einer Tätigkeit, für die die nötige Routine problemlos gewonnen werden kann, zum anderen erscheint er als gefährliche Grenzüberschreitung. Für die Bewältigung dieser Grenzüberschreitung wird Unterstützung bei anderen Männern gesucht. Der dargestellte Konflikt wird aber nicht weiter hinterfragt. D. h., die eigenen Verunsicherungen können thematisiert und damit auch ein Stück ausgehalten werden. Die Gründe für die eigenen Ängste und Verunsicherungen werden aber wenig reflektiert und damit zum Teil affirmiert und wieder reproduziert. Die Hin- und Herbewegung zwischen einem Pragmatismus, durch den die Auflösung von Grenzziehungen zwischen bislang geschlechtlich kodierten Räumen, Arbeiten und Aufgaben als relativ problemlos und selbstverständlich dargestellt wird, und einer unreflektierten Dramatisierung von Grenzüberschreitungen von Vätern, welche die Grenzen zwischen geschlechtlich kodierten Räumen wieder verstärkt, prägt die gesamten von mir analysierten Texte der Zeitschrift PAPS. Während in der pragmatischen Perspektive Differenzen zwischen den Geschlechtern tendenziell negiert werden, werden in der dramatischen Zuspitzung Geschlechterdifferenzen betont. Während in der einen Perspektive eine Auflösung der Grenzziehungen zwischen geschlechtlich segregierten Welten anvisiert wird, werden sie in der anderen gleichzeitig wieder hergestellt, wobei noch unklar ist, ob damit neue Hierarchisierungen einhergehen. Die Angst vor einer Infragestellung der eigenen männlichen Identität, die sich als ein Kernkonflikt dieser Väter andeutet, aus dem heraus sich die ‚Bewegungen in Widersprüchen’ erklären, lässt sich in der Auseinandersetzung mit dem nächsten Satz noch schärfer fassen. So lässt der Autor seinen Protagonisten fragen: 224
„Bin ich jetzt ein Exot?“ (Litz, PAPS 8/9 1995, 6)
Das Wort ‚Exot’ umfasst Bedeutungen wie fremd, selten, unbekannt, etwas besonderes sein, oder von farbig-schillernd, interessant, faszinierend sein. Thematisiert wird also wieder die Befürchtung einer Besonderung als Mann, als Mann, der ‚fremd’ unter Frauen sein könnte. Die deutliche Differenz, die damit zwischen Frauen und Männern gesetzt wird, wird allerdings nicht inhaltlich ausformuliert. Die Maximierung der Differenzen zwischen den Geschlechtern, die als Reaktion auf eine potentielle Nivellierung von Differenzen ja schon bekannt ist, verdeckt eine weitere, eventuell noch tiefer liegende Verunsicherung. Der Begriff ‚Exot’ lässt sich nicht nur in der Differenzsetzung gegenüber Frauen lesen.212 Hinter der Frage kann sich auch die Unsicherheit verbergen, sich mit dem Schritt in ‚weiblich’ kodierte Räume als Mann von anderen Männern zu unterscheiden, in der kulturellen Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit als ‚weiblich’ identifiziert zu werden. Die Frage kann also auch folgendermaßen verstanden werden: Bin ich noch ein ‚richtiger’ Mann, wenn ich Hausmann werde? Das Wort ‚bin’ verweist wie zuvor der Begriff ‚Hausmanndasein’ auf die Befürchtung, dass mit der Übernahme ‚weiblich’ kodierter Tätigkeiten nicht nur das Tun des Mannes als typisch ‚weiblich’ identifiziert würde, sondern von diesem auf die ganze Person geschlossen würde. Ausgehend von Connells Konzept einer ‚hegemonialen Männlichkeit’ stünde damit die ‚Männlichkeit’ von Hausmännern auf dem Prüfstand. Eine Verunsicherung der eigenen Identität als Mann würde also nicht nur durch die betroffenen Männer selbst erfolgen, die sich nun anders gegenüber Frauen in Relation setzen müssten, als bisher. Befürchtet wird die Infragestellung von Seiten anderer Männer und damit auch ein Absinken innerhalb der männlichen Hierarchie.213 Dass diese Angst nicht unbegründet ist, hat die Eingangs zitierte Darstellung der Gruppe der ‚ambivalenten Väter’ durch Matussek (1997) anschaulich gemacht. 212 Wie auch schon z. B. der Begriff des Außenseiters im Titel des Artikels. 213 Dabei stellt engagierte Vaterschaft Männlichkeit nicht nur durch die Gefahr der Verweiblichung in Frage, sondern bereits die Betonung von Vaterschaft lässt andere, dominante Aspekte des Mann-Seins zurücktreten: z. B. die Zentrierung auf Erwerbstätigkeit, Betonung von sexueller Potenz und Muskelkraft. In diesem Zusammenhang sind die in den letzten Jahren kursierenden fotographischen Abbildungen von halbnackten Muskelmännern in Jeans und einem – meist ebenfalls nackten – Kind auf dem Arm interessant. Diese Präsentation von Männern als Vätern könnte dem Verlangen entgegenkommen als Vater, der Intimität, Vertrauen und Bindung zeigt, und als erotisch interessanter Mann zugleich anerkannt zu sein (vgl. Knijn 1995).
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Knapp (1995) spricht von einem ‚Identitätszwang’, der heute stärker auf Männern laste als auf Frauen214 und mit sich bringe, dass Abweichungen von dem Maskulinitätsideal in Richtung ‚Feminität’ hochgradig tabuisiert und sanktioniert werden. Schon Hartmann Tyrell (1989) hat darauf aufmerksam gemacht, „daß die männliche Seite vielfach das stärkere Unterscheidungsbedürfnis hat, also stärker auf die Differenz zum Weiblichen drängt, und diese damit teils stimuliert, teils dramatisierend verstärkt“ (Tyrell 1989, 68; vgl. Knapp 1995, 181). Gayle Rubin (1975) hat die Angst vor geschlechtlichen Grenzverwischungen als ‚sameness taboo’ bezeichnet. Wo es Angleichungen gibt, wie bei der Übernahme versorgender, als ‚weiblich’ geltender Tätigkeiten von Männern in der Familie oder auch im Beruf, „werden symbolische oder räumliche Markierungen eingesetzt, um die Differenz trotzdem sichtbar zu machen“ (Heintz u. a. 1997, 36). An dieser symbolischen Errichtung neuer Grenzmarkierungen sind in der Regel beide Geschlechter beteiligt, bei Frauen scheint allerdings der Abgrenzungszwang geringer ausgeprägt zu sein (vgl. Heintz u. a. 1997, 36). Auch Regine Gildemeister und Günther Robert stellen bei ihrer Diskussion von Studien über das Verhältnis von Profession, Arbeit und Geschlecht fest, dass es Männern weit mehr Probleme bereite „traditionell als ‚weiblich’ klassifizierte Aufgaben und Funktionen in das ‚männliche’ Selbstbild zu übernehmen“ (Gildemeister/Robert 1998, 68), als es Frauen schwer falle, umgekehrt Aufgaben in ‚männlich’ konnotierten Berufsfeldern zu übernehmen. Dies hängt damit zusammen, dass, so Knapp, in unserer Kultur ‚Weiblichkeit’ – bei allen Differenzen auch zwischen Frauen – durchgängig mit einem ‚Mangel’ versehen sei. Für Männer sei es wahrscheinlich wichtiger, nicht mit dem Makel des Weiblichen behaftet zu sein. Frauen hingegen könnten eher „etwas von den kulturell hochgeschätzten Konnotationen von Männlichkeit“ (Knapp 1995, 180) übernehmen – obgleich dies auch für sie nicht konfliktfrei sei. Auch Connell (1987) sieht ein stärkeres Differenzierungsbedürfnis von Männern, deutet dies aber eher psychodynamisch. In Anknüpfung an die Arbeiten von Nancy Chodorow (1985; 1978 i. Orig.) interpretiert er das ‚Differenz-Tabu’ (Knapp) als Ausdruck einer prekären geschlechtlichen Identität. Chodorow geht davon aus, dass in westlichen Industriegesellschaften, in denen die Mütter die primären Bezugspersonen der Kinder
214 Heintz u. a. (1997) weisen darauf hin, dass noch im 19. Jahrhundert die Geschlechtsvorgaben für Frauen rigider waren als für Männer (vgl. hierzu auch Honegger 1991).
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und Väter in der Familie wenig anwesend seien, Jungen ihre Geschlechtsidentität nur in Abgrenzung zu Frauen entwickeln könnten. ‚Männlich’ zu sein heißt anders zu sein als die Mutter. Positiv könnten sich Jungen nur mit dem gesellschaftlich vorherrschenden Ideal von Männlichkeit identifizieren, wodurch wiederum eine Orientierung an hegemonialer Männlichkeit reproduziert würde.215 Den differenten Zugängen gemein ist die Aussage, dass männliche Identitätskonstruktionen fragil sind, Männer noch stärkeren ‚Identitätszwängen’ ausgesetzt sind, als Frauen. Vor diesem Hintergrund lassen sich die vorliegenden Textpassagen so interpretieren, dass die Ambivalenz gegenüber der Aneignung des familialen Raums von Vätern durch die Furcht aufrecht erhalten würde, die Orientierung an zentralen Vorstellungen von ‚Männlichkeit’ und von Vaterschaft zur Disposition stellen zu müssen und damit möglicherweise Privilegien zu verlieren, die an herkömmliche Vorstellungen von Männlichkeit, im Kern an das Modell des Familienernährers, gebunden sind.216 Die Frage, die in den von mir untersuchten Texten der Zeitschrift PAPS immer wieder auffindbar ist, lautet denn auch: Wie kann sich ein Mann in einem ‚weiblich’ besetzten Raum bewegen, ohne gravierend von dem nach wie vor gesellschaftlich dominanten Deutungsmuster hegemonialer Männlichkeit abzuweichen? Oder anders formuliert: Wie kann ein Verständnis von ‚Väterlichkeit’, das mit
215 Mädchen dagegen könnten sich mit der konkreten Person der Mutter in all ihrer Brüchigkeit und Konflikthaftigkeit identifizieren. Chodorow unterscheidet hier zwischen einer positionalen und einer personellen Identifikation (vgl. Chodorow 1985, 227/228). Carol Hagemann-White (1984) hat die Überlegungen von Chodorow noch weiter entwickelt. Ihr zufolge wird ‚Männlichkeit’ vermittelt durch ‚doppelte Negation’. Zum einen würden Frauen im symbolischen System der Zweigeschlechtlichkeit durch das Fehlen des Penis definiert, also dadurch, nicht Mann zu sein. Wenn ein Junge seine männliche Identität zunächst in Abgrenzung von der Mutter entwickelt, dann wird sein Geschlecht als ‚Nicht-Nicht-Mann’ bestimmt (vgl. Hagemann-White 1984, 92) Deutlich wird, wie prekär die Herausbildung einer männlichen Geschlechtsidentität ist. Allerdings liegt dem Modell von Chodorow m. E. eine verkürzte Vorstellung von Identifikationsprozessen zugrunde, die noch auszudifferenzieren wäre. 216 Es scheint eine Art Verstärkung der Unsicherheit zu geben: Gesellschaftliche Veränderungen haben dazu geführt, dass traditionelle Vorstellungen von ‚Männlichkeit’ infrage gestellt werden, durch die vermittelt Vaterschaft bislang mit Macht, Autorität, mit der Position und Funktion des Familienoberhauptes und -ernährers verbunden wurde. Viele Väter reagieren darauf mit Verunsicherung und manche versuchen einen anderen Platz in der Familie zu finden, indem sie vor allem die Beziehung zum Kind intensivieren. Diese Bewegung scheint jedoch nicht nur zu stabilisieren, sondern kann wiederum zu einer weiteren Verunsicherung der Identität als Mann beitragen.
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Fürsorge und Engagement für die Kinder verbunden wird, mit einem Verständnis von ‚Männlichkeit’ einhergehen, dass auf Erwerbstätigkeit ausgerichtet ist, auf Autonomie, nicht auf Bindung. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass durch das Zugleich allgemeiner Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen sowie persönlicher Krisen Angst vor einer Verunsicherung der eigenen ‚männlichen’ Identität entsteht. Der zentrale Konflikt für diese Väter liegt in dem Wunsch nach einem ‚Einschluss’ in die Familie, der für sie eine Angleichung an Fähigkeiten und Tätigkeiten der Mutter und eine intensivere Beziehung zum Kind und zur Partnerin impliziert, und zugleich der Angst, in ihrem Selbstverständnis als Mann verunsichert zu werden, Autonomie zu verlieren und aus der Gruppe der Männer ‚herauszufallen’. Unsicherheit besteht auch darüber, ob man es schafft, die Position und die Funktionen des Vaters neu zu füllen, oder ob man sich in Gefahr begibt, innerhalb der Familie zum ‚Erfüllungsgehilfen’ zu werden, und der ‚mächtigen Mutter’ zu unterliegen. Die sich andeutenden Ambivalenzen bezüglich der Vorstellungen von Männlichkeit und Väterlichkeit und der sozialen und individuellen Positionierung als Vater bestimmen auch die Vorstellungen von Geschlechterbeziehungen und von Geschlechterdifferenzen. Im Folgenden greife ich Diskussionen und Ergebnisse dieses Abschnitts noch einmal auf und gehe dabei vertiefend der herausgearbeiteten Bewegung zwischen einer Orientierung auf Gleichheit und der Betonung von Geschlechterdifferenzen nach.
4.2.4 Differenz und Gleichheit Bei dem Versuch, das Spannungsverhältnis zwischen einem veränderten Verständnis von Vaterschaft und von Männlichkeit zu lösen, bewegen sich die Argumentationen zwischen den Polen ‚Differenz’ und ‚Gleichheit’. Wie Geschlechterdifferenzen und Gleichheit zwischen den Geschlechtern hierbei ausgedeutet werden, wird jetzt weiter konkretisiert. Dabei werde ich mich zunächst vor allem darauf konzentrieren, wie Differenzen zwischen den Geschlechtern im Spannungsfeld zu Gleichheitsansprüchen konstruiert werden. Zur besseren Orientierung möchte ich vorwegnehmen, dass in den Texten aus dem ‚ambivalenten’ Spektrum der Väterinitiativen Differenzen zwischen den Geschlechtern und vor allem innerhalb der Geschlechtsgruppen nicht in gleichem Maße inhaltlich benannt und stereotypisiert 228
werden wie in den Texten, in denen das Deutungsmuster ‚Geschlechterkampf’ dominant ist. Dies bringt zum Ausdruck, dass Ambivalenzkonflikte nicht so rigide abgewehrt werden müssen wie von den ‚kämpfenden Vätern’. Diese Unterschiede erfordern auch eine andere Darstellungsweise der Thematisierungen von Geschlechtergleichheit und -differenzen als bei der Diskussion von Texten von Matussek.
4.2.4.1 Frauenwelten – Männerwelten Die Darstellung der Familie als ein für Väter fremder Raum ist verbunden mit einer Vorstellung zweier getrennter Welten: Einer Frauen- und einer Männerwelt. Diese Konzeption geschlechtsdifferenter Welten findet sich in nahezu allen Texten der Zeitschrift PAPS wieder. Für ihre differenziertere Betrachtung zitiere ich einige längere Passagen aus dem Artikel von Ruhl (1995). Die erste Sequenz schließt inhaltlich an einen Abschnitt an, in dem Ruhl die Möglichkeiten, aber auch die Begrenzungen der Bezugnahme eines ‚Besuchsvaters’ auf die eigene Tochter thematisiert. Aus Ruhls Sicht ist es problematisch, dass seine Tochter aufgrund dieser Konstellation keine kontinuierliche männliche Bezugsperson hat. „Zuhause und in Kindergarten und Grundschule sind die Erwachsenen um sie herum Frauen. Von ihnen hat sie viel gelernt (...)“ (Ruhl 1995, 17)
Kinder – konkret hier die Tochter von Ruhl als Kind getrennt lebender Eltern – seien vorrangig von Frauen umgeben. Diese Feststellung wird hier aber nicht negativ gewertet. Im Gegenteil, der Anfang des zweiten Satzes ‚Von ihnen hat sie viel gelernt’ drückt Anerkennung aus. Er lässt allerdings auch eine Einschränkung erwarten. Zunächst folgt jedoch eine genauere Beschreibung dessen, was das Kind – die Tochter – von Frauen gelernt habe: „(...) nicht nur Schreiben und Rechnen und Plumpsack Spielen; sie hat von ihnen gelernt, was Frauen heute in dieser Gesellschaft tun. Sie sieht Frauen autofahren, Fahrkarten kontrollieren, Rechnungen kassieren. Sie sieht Frauen kochen und Babys wickeln.“ (Ruhl 1995, 17)
Kinder würden von Frauen lernen, ‚was Frauen heute in dieser Gesellschaft tun"’ Der Autor wirft hier einen Blick auf unsere Gesellschaft und beschreibt typische Arbeitsteilungen zwischen Frauen und Männern. Tätigkeiten von Frauen werden von ihm sowohl in der Privatsphäre als auch 229
in der Sphäre der Öffentlichkeit verortet und dabei vor allem im reproduktiven Bereich bzw. im Dienstleistungsbereich gesehen. Obgleich seine Darstellung Überschneidungen dessen impliziert, was Frauen und was Männer tun, unterscheidet er im Weiteren zwischen einer Frauen- und einer Männerwelt: „Sie sieht, welchen Stellenwert all das in der Welt der Frauen hat und wie Frauen das bewältigen.“ (Ruhl 1995, 17)
Seine Tochter, so Ruhl, sieht ‚welchen Stellenwert all das in der Welt der Frauen hat’. Der etwas verschwommene Ausdruck ‚all das’ kann zum einen als Verweis auf eine Vielgestaltigkeit der Tätigkeiten von Frauen gelesen werden. Zugleich lässt sich das Unspezifische in der Umschreibung ‚all das’ in diesem Kontext auch als Einschränkung und tendenzielle Abwertung der Tätigkeiten verstehen: ‚all das’ eben, was Frauen so machen. Die Tochter würde also sehen, welchen ‚Stellenwert’ alles, was Frauen tun, ‚in der Welt der Frauen’ habe. Der ‚Stellenwert’ oder die Bedeutung einer Handlung oder eines Gegenstandes wird immer in Relation zu einer bzw. einem anderen bestimmt. Die Tochter erführe also nicht nur, welche Tätigkeiten Frauen ausüben und welche Männer, sondern wie verschiedene Tätigkeiten, die Frauen und Männer ausüben, im Leben einer Frau oder eines Mannes zueinander in Beziehung gesetzt werden und welche Bedeutung und Wertschätzung ihnen zugesprochen wird. Wie lässt sich nun das Bild einer ‚Welt der Frauen’ verstehen? Unter einer ‚Welt der Frauen’ lässt sich ein mehr oder weniger in sich geschlossener Kosmos mit eigenen Regeln und Gesetzmäßigkeiten denken, der ausschließlich durch Frauen bestimmt wird. Der Autor konstatiert also, dass wir es in unserer Gesellschaft mit geschlechtsseparierten Welten zu tun hätten. In diesem Bild durchgängig separierter Welten – und ‚Welt’ ist sowohl als räumlicher, als auch als inhaltlicher Begriff zu sehen – übersteigert er die soziale Realität der Geschlechtertrennung, die zugleich als soziale nicht weiter hinterfragt wird. Wie bereits oben deutlich wurde, kann es jetzt auf der manifesten Ebene für diese Väter eigentlich nicht darum gehen, dass Frauen und Männer als grundlegend different betrachtet und ihnen damit bestimmte Räume und Tätigkeiten zugeschrieben werden. Schließlich formulieren sie ja gerade ihr Interesse, bei ihrer Suche nach einem neuen Verständnis von Vaterschaft Trennlinien zwischen den Geschlechtern zu überschreiten, welche sich in der bürgerlichen Gesellschaft herausgebildet haben. Die 230
Analyse des latenten Sinngehalts macht allerdings deutlich, dass die affirmative Konstruktion von Frauen- und Männerwelten die Annahme basaler Differenzen zwischen den Geschlechtern reproduziert und damit Trennlinien zwischen den Geschlechtern eher verfestigt, als auflöst. Dieser Widerspruch ist als wiederholter Ausdruck der oben beschrieben Spannung zu interpretieren: Der Spannung zwischen dem manifesten Wunsch, Veränderungen für Väter in Richtung einer Angleichung an Tätigkeiten und Fähigkeiten von Frauen herbeizuführen, und der latenten Angst, diese Angleichung würde die Akteure in ihrer Männlichkeit infrage stellen und zu einer Einbuße von Privilegien führen. Die ‚ambivalenten Väter’, so lässt sich erneut festhalten, bewegen sich in ihren Argumentationen hin und her zwischen dem Versuch, Geschlechterdifferenzen auf Seiten von Männern zu minimieren, und der Maximierung von Differenzen. Ob und wie der dargestellte Widerspruch zwischen dem Wunsch der Auflösung von Differenzen bei gleichzeitig erneuter Festschreibung von Geschlechtsunterschieden gelöst wird, bleibt offen.
4.2.4.2 Die Konstitution männlicher und weiblicher Identitäten durch gleichgeschlechtliche Identifikation Gehen wir zurück zum Text und erinnern uns, dass Ruhl hier über seine Tochter berichtet: “Sie kann sich identifizieren und das muss sie auch, schließlich soll und will sie einmal Frau werden.“ (Ruhl 1995, 17)
Nach der vorangegangenen Betonung von Differenzen zwischen den Geschlechtern wundert es nicht, wenn jetzt plötzlich auch das Geschlecht des Kindes relevant gemacht wird. Ein Mädchen, so wird nun betont, kann und muss sich mit den Frauen, die sie umgeben, identifizieren, um selbst eine Frau zu werden. Anders gesagt, der Tochter wird nur eine Chance zur Entwicklung zugesprochen, wenn sie sich der Welt der Frauen zuwendet. Väter, so ließe sich hier schließen, wären für Töchter dann auch nicht so relevant. Mit dem Verweis auf Identifikationen geht es jetzt nicht mehr um soziale Strukturen und um soziales Handeln, sondern um psychologische Prozesse und damit inter- und intrasubjektive Dynamiken, wobei die Differenz zwischen Frauen und Männern, Mädchen und Jungen betont wird. 231
‚Identifikation’ ist in seiner heutigen Verwendung ein der Psychoanalyse entlehnter Begriff. Danach wird Identifikation als ein weitgehend unbewusster psychischer Vorgang aufgefasst wird, in dem ein Individuum bedeutsame Aspekte eines anderen in sich aufnimmt und sich damit teilweise oder ganz nach dem Vorbild des anderen wandelt (vgl. Psychologische Grundbegriffe 1987). Alltagssprachlich wird der Begriff der Identifikation so verstanden, dass man sich nach dem Vorbild eines anderen ausrichtet und Aspekte desselben auch für sich in Anspruch nimmt. Dabei ist es im Alltagsverständnis gleich, ob dieser Vorgang bewusst oder unbewusst ist, ob es sich eher um eine Imitation oder im psychoanalytischen Sinne um eine Identifikation handelt. Ruhl greift in seiner Argumentation auf sozialwissenschaftliche und tiefenpsychologische Wissensbestände zurück, verwendet den Identifikationsbegriff aber eher im alltagssprachlichen Sinn. Folgen wir dem Satz, so ist davon auszugehen, dass sich ein Mädchen mit den Frauen, die sie umgeben, identifizieren könne, weil sie Frauen sind. Frauen seien ihr Vorbild, und sie ‚kann’ und ‚muss’ sich mit ihnen identifizieren. Es wird also nahe gelegt, dass Identifikationsprozesse gleichgeschlechtlich verlaufen müssen, um zu einer geglückten Geschlechtsidentität zu führen. Dabei wird eine eindeutige Reihe gezeichnet: gleichgeschlechtliches konkretes Vorbild, Identifikation mit gleichgeschlechtlicher Person und deren Tätigkeiten, Ausarbeitung einer gesicherten (Geschlechts)identität. Identifikation erscheint so als gerichteter, weitgehend kognitiver Akt der Ausrichtung nach dem gleichgeschlechtlichen Vorbild. Identifikationen auch mit gegengeschlechtlichen Personen sowie Brüche und Widersprüche in Identifikationsprozessen sind in dieser Vorstellung nicht vorgesehen. Veränderungen dessen, was Frau-Sein und Mann-Sein individuell und kollektiv bedeutet, können mit derartig eindimensional konstruierten Konzepten von Identifikation und Identität kaum gedacht werden. „In dieser Hinsicht haben es Mädchen leichter, zu einer Identität als Frau zu gelangen. Schließlich ist die Welt der Frauen sehr eng mit der der Kinder verknüpft. Durch beständiges Vorbild und Erleben von Frauenwelten bekommen Mädchen eine deutliche Einführung in das Frauenleben heute. Jungen haben es in dieser Hinsicht schwerer. Ständig sind Frauen um sie herum, sie müssen die riesige Leistung vollbringen, sich zu desidentifizieren.“ (Ruhl 1995, 17/18)
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Neben der Frauen- und der Männerwelt wird noch eine Welt der Kinder konstruiert, die aber sehr eng mit der Welt der Frauen verknüpft sei. Mädchen würden daher ohne Probleme in eine Frauenwelt eingeführt, könnten sich ganz konkrete Frauen zum Vorbild nehmen und fänden durch soziale Lernprozesse und Identifikationen zu ihrer Geschlechtsidentität. Damit hätten Mädchen es leichter, zu einer Geschlechtsidentität zu kommen. Jungen würden ebenfalls in eine Frauen-, nicht aber in eine Männerwelt eingeführt. Sie können sich jedoch Frauen scheinbar nicht zum Vorbild nehmen, nicht von ihnen lernen, sondern müssten sich ‚desidentifizieren’, könnten ihre männliche Identität nur in der Abgrenzung von Frauen erlangen. Jungen werden also im Hinblick auf die Ausbildung ihrer Geschlechtsidentität als gegenüber Mädchen benachteiligt dargestellt.217 Warum Jungen Frauen nicht auch zum Vorbild nehmen können, sie nicht ebenso an der sie umgebenden sozialen Welt lernen können wie Mädchen, bleibt unklar. Allerdings setzt die Vorstellung, dass Jungen sich ‚des-identifizieren’ müssten, voraus, dass sie sich wie Mädchen zunächst auch mit Frauen identifiziert haben. Während aber für Mädchen die Identifikation mit konkreten Frauen als notwendig und gut angesehen wird, erscheint sie für Jungen als negativ. Eine Identifikation von Jungen mit Frauen führt nach Auffassung des Autors zu einer Überforderung in ihrer Identitätsfindung als Mann. Jungen brauchen Männer, um Männer werden zu können, so lässt sich die Kernaussage formulieren, die in der folgenden Sequenz noch deutlicher wird: „Sie lernen viel von Frauen, aber sie lernen, welchen Stellenwert dies alles in der Welt der Frauen hat. Wo können sie sich identifizieren, wo finden sie Männer, die ihnen vorleben, was Mann-Sein heute in dieser Gesellschaft ganz alltäglich heißt? Wo können Mädchen die andere Seite kennen lernen, das Gegenüber, die innerer Abgrenzung, die Desidentifikation? (Ruhl 1995, 17/18)
Auch Jungen lernen von Frauen, aber sie würden nur lernen ‚welchen Stellenwert dies alles in der Welt der Frauen hat’ – und dies scheint für sie
217 Diese Auffassung lässt sich eingliedern in die aktuellen Diskurse über die Benachteiligungen von Jungen in den verschiedenen Sozialisationsinstitutionen: Jungen insbesondere in den Kindergärten und Grundschulen könnten weniger Fähigkeiten wie auf andere achten etc. herausbilden, weil ihre Erzieherinnen und Lehrerinnen fast durchgängig Frauen sind und sie sich diese nicht in gleicher Weise zum Vorbild machen könnten wie Mädchen.
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wenig hilfreich zu sein. ‚Dies alles’ verweist auf die zuvor getroffene Aufzählung: sie lernen von Frauen Schreiben und Rechnen und sie bekommen mit, wie Frauen Auto fahren, Rechnungen kassieren, Babys wickeln etc. Was aber meint es, wenn es heißt, dass Jungen nur lernen können ‚welchen Stellenwert dies alles im Leben von Frauen hat’? Auto fahren und Rechnungen kassieren sind doch z. B. Tätigkeiten, die auch Männer ausführen. Wie bereits angedeutet, impliziert der Verweis auf den Stellenwert, den eine Tätigkeit in der Frauenwelt hat, dass hier von dem Autor ein und derselben Tätigkeit eine andere Bedeutung zugesprochen wird, je nach dem, ob die Tätigkeit von Männern oder von Frauen ausgeführt wird. Wenn Frauen und Männer Hausarbeiten verrichten, so sei es nicht das gleiche. Wenn Männer gesellschaftlich als ‚weiblich’ definierte Aufgaben übernehmen, hätte dies einen anderen Stellenwert, als wenn Frauen dies tun. Jungen, so ist der Text zu lesen, könnten die Wertangebote von Frauen nicht ungebrochen übernehmen, weil sie weiblich konnotiert sind. Die affirmierende Einteilung der sozialen Welt in eine Männer- und eine Frauenwelt korrespondiert, wie sich bereits angedeutet hat, mit einer ebenso klaren Vorstellung geschlechtlicher Differenzen bei den inter- und intrapsychischen Dynamiken von Identifikationsprozessen. Im bisher diskutierten Modell müssen sich Jungen von Frauen und Mädchen von Männern ‚desidentifizieren’. Um Frau werden zu können, zu einer weiblichen Geschlechtsidentität zu gelangen, müssten sich Mädchen von Männern abgrenzen, so wie Jungen von Frauen. Zur geschlechtlichen Subjektwerdung gehört demnach nicht nur die Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Anderen, sondern auch, dass man ein konkretes, essentiell anders geschlechtliches Gegenüber braucht, von dem man sich abgrenzen kann.218 Insgesamt wird ein unflexibles Bild von der Konstitution männlicher und weiblicher Identitäten gezeichnet, in dem gegengeschlechtliche Identifikationen als potentielle Gefährdung geschlechtlicher Identitäten dargestellt werden. Dabei werden die Möglichkeiten der Geschlechter zu einer eindeutigen Geschlechtsidentität zu kommen, unterschiedlich bewertet: Jungen werden als ‚Loser’, als Opfer in diesem Prozess betrachtet. Sie sind ‚allein unter Müttern’, und werden von ihren Vätern im Stich gelassen. Der Widerspruch zwischen dem manifest geäußerten Wunsch, Trenn-
218 Es könnte ja auch einfach eine andere Person notwendig sein, um den inneren Umgang mit Aus- und Abgrenzungen auszubilden und zu erfahren.
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linien zwischen den Geschlechtern eher aufzulösen und der gleichzeitigen Festschreibung von Differenzen tritt erneut deutlich hervor.
4.2.4.3 Naturalisierung von Differenz versus Angleichung der Geschlechter Neben den Textpassagen, in denen Konstruktionen von Differenzen zwischen den Geschlechtern eher auf der latenten Ebene vorzufinden sind, finden sich in dem Text auch Passagen, in denen auch auf der manifesten Ebene von einer essentiellen, naturhaften Differenz zwischen den Geschlechtern ausgegangen wird. So geht Ruhl an einer anderen Stelle des bereits zitierten Artikels der Frage nach, warum es nach wie vor gesellschaftlichen Realität ist, dass viele Männer trotz selbstformulierter Gleichheitsansprüche nach der Geburt eines Kindes nur wenig Aufgaben im häuslichen Bereich übernehmen und sich sogar zunehmend absentieren. Ruhl nennt viele Gründe für den ‚Entzug’ von Vätern, wobei er einen leicht ironisierenden und belehrenden Ton einnimmt.219 Einer dieser Gründe lautet nun: „Die kleine süße Maus will von Papa nichts wissen. Oder jedenfalls gefällt es ihr auf Mamas Arm viel besser und wenn sie schreit, schafft Mama es schneller, sie zu beruhigen. Das ist echter Frust! Aber bitte nicht persönlich nehmen. Nach neuesten Untersuchungen ist die stärkere Bindung an die Mutter in den ersten Lebensjahren natürlich. Das heißt: je älter das Kind, desto wichtiger wird der Vater. Also: kein Grund, um sich zuhause rar zu machen!“ (Ruhl, PAPS 05/06, 18)
Der Autor verwendet eine Sprache, die Erwachsene eigentlich nur in Anwesenheit von Kindern bzw. in der Intimität der Familie kommunizieren. Indem er von ‚Papa’, ‚Mama’ und der ‚kleine(n) süße(n) Maus’ spricht, verhandelt er eine intime Familiensituation öffentlich. Auffällig ist, dass dies in einem Augenblick geschieht, in dem es inhaltlich um Distanz zum Kind und um einen empfundenen Ausschluss aus der Mutter-KindBeziehung geht. Mit der Verwendung der kindlich-intimen Sprache verortet er sich quasi in einer Gegenbewegung als väterlicher Elternteil und kennzeichnet damit seine Zugehörigkeit zum Kind und zur Mutter.
219 Einige seiner Argumente werde ich weiter unten noch aufnehmen (Kap IV 2.5.5).
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Selbstverständlich – und das ist irritierend – wird jetzt davon ausgegangen, dass Mütter in den ersten Lebensjahren des Kindes über mehr Kompetenzen im Umgang mit dem Kind verfügten, als Väter. Bislang ging es eher darum, Kompetenzen und ‚Macht’ der Mutter in der Familie auch für Väter zu beanspruchen, nun werden Mütter die größeren Kompetenzen und Fähigkeiten zugeschrieben – und Väter damit auch ein Stück aus der Zuständigkeit für das Kind herausgehalten. Blicken wir noch einmal zurück auf die Angst, innerhalb der Familie zum ‚Erfüllungshilfen’ der Mutter zu geraten, so ist dies bei der Konstruktion größerer Kompetenzen von Müttern im Umgang mit dem Kind allerdings wahrscheinlicher als wenn sich Väter bisher Müttern zugeschriebene Kompetenzbereiche aneignen würden. Die Suche nach mehr Eigenständigkeit als Vater scheint sich wieder entlang der ‚gewohnten’ (Trenn)-linien zu bewegen. Vielleicht steht diese Bewegung im Zusammenhang damit, dass der Autor hier als Ratgeber mit anderen Vätern spricht und dabei auf deren auf Gefühle von Eifersucht rekurriert: Eifersucht auf die Mutter, die den Vater als Vater aus der Beziehung zum Kind ‚verdrängt’, und Eifersucht auf das Kind, das zwischen Vater und Mutter steht und in der Darstellung des Autors nun die volle Aufmerksamkeit der Mutter bekommt. Denn auch dies wird als ‚Grund’ für den Rückzug von Vätern aus der Familie aufgeführt: Männer würden sich zurückziehen, weil sie nicht wissen, „was sie zuhause eigentlich zu suchen haben. Die Frau ist nicht mehr in dem Maße ihnen zugewandt, wie früher, erst kommen die Bedürfnisse des Kindes, dann des Mannes. Von Sexualität ganz zu schweigen.“ (Ruhl, PAPS 5/6, 18)
Wünsche von Vätern nach einer exklusiven Beziehung zur Mutter des Kindes sowie nach dem gleichzeitigen Aufbau einer symbiotischen VaterKind-Beziehung und scheinbar bestehende Kränkungen, sich mit einer symbiotischen Beziehung zwischen Mutter und Kind konfrontiert und ausgeschlossen zu sehen, können nur negativ thematisiert werden. Die aus diesen unangesprochenen und anscheinend nicht erfüllten Wünschen sowie aus den Kränkungserfahrungen resultierenden Aggressionen kommen in einer ironisch gefärbten Infantilisierung der Väter zum Ausdruck, denen er zu versprechen scheint: ‚Keine Angst Jungs, ihr kommt schon noch dazwischen’. Eine andere Weise, die eigenen Wünsche nach exklusiven Beziehungen und die Kränkungen über das Gefühl, aus der Mutter-Kind-Dyade ausgeschlossen zu sein, zu übergehen, ist der dargestellte Schritt zur Naturalisierung der Mutter-Kind-Symbiose. Damit wird wieder der ‚feste’ Boden 236
kulturell dominanter Differenzierungen betreten. Wird bislang im manifesten Text die Auffassung vertreten, dass sich Väter stärker in der Beziehung zu ihrem Kind engagieren sollten und Kinder einen anwesenden, engagierten Vater für eine gute Entwicklung auch brauchen, wird jetzt eine Einschränkung formuliert: In den ersten Lebensjahren sei die stärkere Bindung des Kindes an die Mutter ‚natürlich’. Die Vorstellung der Naturhaftigkeit einer stärkeren Mutter-Kind- als Vater-Kind-Bindung in den ersten Lebensjahren wird durch den Verweis auf wissenschaftliche Untersuchungen noch unterstrichen. Väter könnten also noch so präsent sein, egal wie sie sich verhalten, sie werden in den ersten Lebensjahren nie den gleichen Stellenwert für das Kind haben, wie die Mutter. Indem eine stärkere Beziehung zwischen Mutter und Kind in den ersten Lebensjahren des Kindes als Naturgesetz und damit unveränderbar formuliert wird, kann vielleicht die Kränkung über die Erfahrung einer größeren Intensität in der Beziehung zwischen Mutter und Kind relativiert und bewältigt werden. Und schließlich erfolgt das Versprechen, dass der Vater eines Tages ebenso natürlich als Vater wichtig werden wird. Mit der These der Naturhaftigkeit einer Mutter-Kind-Symbiose wird zugleich gesagt, dass die Mutter in den ersten Lebensjahren wichtiger für das Kind sei als der Vater. Argumentiert aus der Perspektive des Kindeswohls heißt dies, dass in den ersten Lebensjahren die Mutter auch präsenter für das Kind sein müsse als der Vater. Die hier zugrunde gelegte Annahme einer natürlichen Differenz der Mutter- bzw. Vater-Kind-Bindung untermauert somit auf subtile Weise Arbeitsteilungsstrukturen zwischen Frauen und Männern, nach denen im Wesentlichen Mütter in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder für den häuslichen Bereich zuständig erklärt werden. Der folgende Aufruf: ‚kein Grund, sich zuhause rar zu machen!’ entkräftet dies nur halbherzig. Die tendenzielle Festschreibung von bestehenden Arbeitsteilungsstrukturen zwischen den Geschlechtern durch eine Naturalisierung von Differenzen gerät in Widerspruch zu den gleichzeitig in verschiedenen Artikeln vorfindbaren deutlichen Aussagen hinsichtlich eines angestrebten größeren familialen Engagements von Vätern, das auch Veränderungen bezüglich der Verteilung von Arbeit beinhaltet. Insbesondere widerspricht diese Bezugnahme auf ‚Natur’ auch dem unter dem Aspekt der Sorgerechtvergabe wichtigen Argument, dass Väter als Betreuungspersonen ebenso wichtig für ihre Kinder seien, wie Mütter. Worin liegt diese widersprüchliche Argumentation begründet? Diese Frage kann man nur beantworten, wenn man sich noch einmal die Ambivalenzen dieser Gruppe von Vätern vergegenwärtigt. Wünschen, die 237
darauf abzielen, befreit zu werden von Einschränkungen des bürgerlichen Modells des Familienernährers, stehen vielfache Ängste entgegen:
Wünsche x
x
x
Der Wunsch nach einer intensiven emotionalen Beziehung zum Kind, aber auch zur Partnerin. Dabei soll insbesondere die Beziehung zum Kind auf Kontinuität angelegt sein. Der Wunsch nach Familie, insbesondere einem familialen Zusammenleben mit den eigenen Kindern. Die Möglichkeiten, Teilzeit zu arbeiten oder vorübergehend als Hausmann tätig zu sein, gehören dazu. Der Wunsch, hinsichtlich der zur generativen Reproduktion gehörenden Fähig- und Tätigkeiten, weitgehend unabhängig zu sein von der Partnerin und Mutter des Kindes, bzw. ihr ebenbürtig.
Ängste x
x
x
x
Die Furcht, die bisherige Funktion und Position als Vater und damit klare Verhaltensvorgaben und Privilegien zu verlieren. Die Furcht vor der Infragestellung einer selbstverständlich erscheinenden männlichen Identität und die damit verbundenen Vorstellungen des Verlustes von Autonomie und Abgegrenztheit. Die Furcht, durch die Übernahme weiblich konnotierter Fähig- und Tätigkeiten in der Hierarchie zwischen Frauen und Männern, aber auch innerhalb der Gruppe von Männern, abzusinken. Die Furcht, innerhalb der Familie in der Konkurrenz zu den Müttern diesen unterlegen zu sein, wenn sich der Vater in seiner Funktion und in seinen Tätigkeiten den bisher Mütter zugewiesenen Aufgaben und Fähigkeiten zu sehr annähert.
Die Gruppe der ‚ambivalenten Väter’ im Spektrum der Väterinitiativen bewegen sich also in ihren Argumentationen ständig hin und her zwischen 238
dem Wunsch, überkommene Strukturen von Arbeits- und Aufgabenverteilungen durch eine stärke Angleichung von Männern an Frauen aufzulösen und dem Drang, entlang dieser Arbeitsteilungsstrukturen Differenzen zwischen den Geschlechtern festzuschreiben. Diese Bewegung zeigt, wie schwierig es ist, Ambivalenzkonflikte in Richtung einer Integration der widerstrebende Wünsche und Ängste zu lösen. Wie deutlich wurde, wird in dem Augenblick auf vertraute Ausdeutungen von Differenzen zwischen den Geschlechtern zurückgegriffen, in dem Verunsicherungen und Ängste bei dem Überschreiten von Trennlinien zwischen den Geschlechtern überhand nehmen. In der hier betrachteten Passage wird mit dem manifesten Bezug auf Natur wieder ein Sicherheit gebendes Wissen darüber geschaffen, wie und was Frauen und Männer sind. Der Rekurs auf natürliche Differenzen stabilisiert also die Vorstellung einer gesicherten männlichen Identität. Paradoxerweise scheint erst diese Vergewisserung wieder die Basis zu schaffen, von der aus die ‚ambivalenten Väter’ Veränderungen im Verhalten und in den Einstellungen anstreben können. Allerdings: Auch wenn nicht von einer gelungenen Integration der ambivalenten Bestrebungen gesprochen werden kann, bleiben Wünsche und Ängste in den Texten der Zeitschrift PAPS doch ständig virulent. Sie werden nicht völlig gegeneinander abgespalten, wie in den Veröffentlichungen aus der Gruppe der ‚kämpfenden Väter’. Vielmehr zeigen sich auch immer wieder Versuche, Verbindungen herzustellen, die Wünsche und Befürchtungen für kurze Zeit in Kontakt miteinander geraten zu lassen. Auffällig ist, dass es sowohl auf Seiten der Wünsche als auch auf Seiten der Ängste latent um Autonomie bzw. um Unabhängigkeit geht. Einerseits wird Autonomie als ein wesentlicher Aspekt männlicher Identität betrachtet, der emotionale Anhänglichkeit und Abhängigkeit und damit verbundene Entgrenzungen sowie familiale Verantwortlichkeit für Pflege und Zuwendung nur sehr bedingt zulässt. Andererseits geht es um Autonomie im Sinne konkreter Unabhängigkeit von der Frau und Mutter der Kinder, indem Fähig- und Tätigkeiten die bislang Frauen zugeschrieben werden, auch als von Männern zu übernehmende gesehen werden. Autonomie bedeutet hier vor allem, auch im Bereich der generativen Reproduktion möglichst nicht auf Frauen angewiesen zu sein. Wird im ersten Fall Autonomie als Gegenbegriff zu Abhängigkeit und Bindung verwandt, geht es bei der Vorstellung einer väterlichen Autonomie darum, gegen institutionelle Zwänge und individuelle Interessen von Müttern zu einem eigenen Verständnis von Vaterschaft zu gelangen, das entgegen dem tradi239
tionellen Familienernährermodell emotionale Beziehung und die von Frauen unabhängige Übernahme reproduktiver Fähig- und Tätigkeiten umfasst. Der Wunsch nach dieser Autonomie wird vor allem durch die Erfahrungen in der Trennungssituation angestoßen, in denen bei dieser Gruppe Väter das Gefühl, den ehemaligen Partnerinnen im Konflikt um das Kind hilflos ausgeliefert zu sein, groß ist. Letzteres Verständnis von Autonomie führt zu einem anderen Männlichkeitsentwurf als das Konstrukt des männlichen autonomen bürgerlichen Subjekts, indem es zugleich Männer in große Nähe zu Frauen bringt. In beiden Männlichkeitsentwürfen bilden Autonomie und Unabhängigkeit die zentralen Kategorien. Die Art und Weise aber, wie Autonomie inhaltlich verstanden wird, unterscheidet sich. Mit dieser Erkenntnis lässt sich auch der beschriebene Ambivalenzkonflikt noch besser verstehen: Man könnte sagen, dass im Zentrum des diskutierten Ambivalenzkonfliktes der Wunsch nach völliger Unabhängigkeit und Selbstbestimmung steht. Völlige Autonomie heißt, auf nichts verzichten zu müssen, in dem betrachteten Kontext also sowohl alles zu können, was Frauen können – oder zumindest darüber zu verfügen – und gleichzeitig auch weiterhin all das machen zu können und so zu sein, wie es das Deutungsmuster hegemonialer Männlichkeit gesellschaftlich vorgibt. Real sehen sich diese Väter aber bereits auf der Ebene von Orientierungen – in ihrer manifesten Orientierung an sozialer, politischer und rechtlicher Gleichheit zwischen den Geschlechtern – Verzichtsanforderungen und Grenzen ausgesetzt. Dies produziert Versagungen und Kränkungen. Eine Lösung des Konfliktes wäre nur möglich, wenn Verzicht geleistet, ein Verlust hingenommen werden kann. Verzicht geleistet werden müsste auf die Kontrolle der Generativität der Frau, die der Autonomiewunsch impliziert. Zugleich müssten bei einer stärkeren Übernahme reproduktiver Tätigkeit schlechtere Karrierechancen hingenommen werden sowie materielle Einbußen und eine schlechtere Position in der bestehenden Hierarchie zwischen Männern und zwischen den Geschlechtern. Diesen Verzicht bewusst und auch innerlich überzeugt zu erbringen, dazu sind scheinbar viele der sich in der Zeitschrift PAPS artikulierenden Väter (noch) nicht bereit. Allerdings wird ihnen dieser Schritt gesellschaftlich auch nicht besonders erleichtert. So kommt es in den Momenten, in denen Stellung bezogen werden muss, immer wieder zu einer Bewegung zu der jeweils anderen Seite und zu den damit verbundenen Widersprüchen.
240
4.2.4.4 Gleichheit, Differenz und Hierarchie Bislang habe ich mich auf die Diskussion von Textpassagen konzentriert, in denen manifeste oder latente Orientierungen an Vorstellungen von Geschlechterbeziehungen und -verhältnissen überwiegen, die durch eine Perspektive der Differenz geprägt sind. Nun möchte ich meinen Blick auf eine längere Sequenz richten, in der explizit die Perspektive einer Veränderung von Männlichkeit durch die Übernahme weiblich konnotierter Tätig- und Fähigkeiten eingenommen wird: „Das Kind verbringt den größten Teil seiner Zeit zuhause. Wenn der Vater mit ihm zusammen sein will, muß er in der Wohnung präsent sein. Sonst erlebt ihn das Kind nur als weggehenden oder nur für das Besondere zuständigen Mann. Wenn er seinen Teil an der Hausarbeit erledigt, erfährt das Kind, dass ein Mann versorgend und nährend sein kann. Daß ein Mann seinen Dreck wegmacht, sich für seinen Müll zuständig zeigt, dass er für den Bereich, den das Kind ständig vor Augen hat, Verantwortung übernimmt. Für ein Kind – und insbesondere für einen Jungen – ist ein Mann immer Vorbild in Sachen Männlichkeit, denn er sucht eine Möglichkeit, sich positiv zu identifizieren. Übernimmt der Vater Reproduktionsarbeit zeigt er damit dem Jungen, dass es Männersache ist, sich um sein Heim zu kümmern, nicht Weiberkram. Und in der Art, wie er es tut, zeigt er, welchen Stellenwert diese Basisaufgaben in der Männerwelt haben. Das ist eminent politische Arbeit, denn sie führt zu einer Erweiterung und Neubewertung des Männerbilds in dieser Gesellschaft.“ (Ruhl 1995, 19)
Wenn ein Vater mit seinem Kind zusammen sein will und seine Funktion als Identifikationsobjekt (insbesondere für Jungen) übernehmen will, muss er Räume betreten und die Tätigkeiten ausführen, die bislang weiblich konnotiert waren. Er muss zu Hause präsent sein, sonst ‚erlebt ihn das Kind nur als weggehenden oder nur für das Besondere zuständigen Mann.’ Das Bild des abwesenden Vaters wird von dem Autor als Gegenbild für die von ihm propagierte Auffassung von Vaterschaft und Väterlichkeit verwandt. Zu dieser Auffassung gehört die Vorstellung eines Vaters, den das Kind als versorgend und nährend erfahren kann, also mit Eigenschaften ausgestattet, die herkömmlich vor allem Müttern zugesprochen werden. Blicken wir zurück auf die zuvor analysierten Ausdeutungen von Identifikationsprozessen und der Herausbildung geschlechtlicher Identitäten, ist allerdings zu fragen, woher die vielen Männer kommen sollen, die ihren Söhnen ein neues Vorbild in Sachen ‚Männlichkeit’ sein können? Wer waren ihre Vorbilder, mit welchen Männern konnten sie sich identifizieren? Hier zeigen sich deutlich die Grenzen des eindimensi241
onalen Identifikationsmodells: Wenn Jungen zu einer männlichen Identität nur, oder vorrangig, nach dem Modell des Vaters gelangen, bleibt offen, wie es historisch zu Veränderungen kommen kann. Auffallend ist, dass in dem Gedanken, dass der Vater ‚seinen Teil’ der Hausarbeit übernimmt, die Partnerin gar nicht auftaucht. Das dem Text zugrunde liegende Familienmodell ist das der Trennungsfamilie. Die skizzierte Wohnung erscheint als Wohnung eines Alleinerziehenden, in der der Vater seinen Dreck wegmacht, seinen Müll herunterträgt. Nur kurz scheint auf, dass es darum geht, Verantwortung für einen sozialen Zusammenhang, die Familie, zu übernehmen. Dabei lässt sich der Wunsch einer Übernahme tendenziell weiblich konnotierter Hausarbeiten auch als Wunsch nach Autonomie verstehen. Die Frage, wozu ein Vater noch gebraucht wird, würde so gewendet: Wenn ein Vater nährend und versorgend sein kann, ein Mann seinen Dreck alleine wegmachen kann, wozu wird dann eine Mutter noch gebraucht? Deutlich wird, dass es in dieser Passage bei dem Gedanken, eher als mütterlich verstandene Tätigkeiten zu übernehmen, nur peripher um die Frage einer gleichberechtigten Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern geht. Es geht vor allem darum, unter dem Eindruck gesellschaftlicher Veränderungen einerseits und der besonders aufgewerteten Beziehung zum Kind andererseits zu einem veränderten Selbstverständnis von Vaterschaft und Männlichkeit zu finden. Aus der Verunsicherung männlicher Identität erklärt sich die Wichtigkeit, die es für den Autor hat, zu betonen, dass Väter Jungen als ein positives Identifikationsobjekt für einen in seiner Perspektive neuen Entwurf von Männlichkeit dienen sollten. Der neue Männlichkeitsentwurf umfasst die wertschätzende Übernahme reproduktiver Tätigkeiten auch von Jungen, die allerdings, folgt man dem Autor, nur gelingen kann, wenn die Arbeit auch von Männern verrichtet würde, Männer zum Vorbild genommen werden könnten. Werden die gleichen Tätigkeiten von Frauen ausgeführt, könnten sie nicht in das Selbstbild von Jungen integriert werden, wäre es ‚Weiberkram’, keine Männersache. Mit dieser Feststellung wird unter der Hand sofort wieder eine Differenzierung vorgenommen. Arbeiten, die von Frauen erbracht werden, hätten danach für Jungen bzw. Männer generell einen geringeren Wert, als die, die von Männern erbracht werden, weil – so wird argumentiert – sie sich damit nicht identifizieren könnten. Kurz gesagt: Männer sollen reproduktive Arbeiten übernehmen, damit Jungen sie anerkennen und wertschätzen können. Die sich hier artikulierenden Väter entwerfen damit nicht ein Modell, nach dem sie sich dafür verantwortlich fühlen würden, dass ihre Söhne die gesellschaftlich vorherrschende soziale und individu242
elle Abwertung und Geringschätzung von Frauen und der von ihnen ausgeführten Tätigkeiten nicht weiter übernehmen. Vielmehr werten sie selbst Frauen und ihre Arbeit ab, wenn sie in einer fast ‚männerbündischen’ Manier davon ausgehen, dass reproduktive Tätigkeiten erst dann von Jungen Anerkennung finden können, wenn Männer sie ausführen. Die Beobachtung einer Auf- und Abwertung gleicher Tätigkeiten, je nach dem, welches Geschlecht sie ausführt, wird nicht kritisch reflektiert, sondern als Strategie einer Veränderung von Männlichkeit affirmiert. Die manifest auf Angleichung zwischen Vätern und Müttern zielende Textpassage reifiziert so auf einer latenten, nicht intendierten Ebene unterschiedliche Wertigkeiten der Geschlechter und damit Hierarchien. Die anvisierte Gleichstellung von Männern mit Frauen, indem Väter Tätigkeiten übernehmen und in Bereiche gehen wollen, die in der bürgerlichen Gesellschaft eher weiblich konnotiert sind, bricht sich an diesem unreflektierten Spiel mit der Abwertung von Frauenarbeit. Der hier vorgebrachte Entwurf eines neuen Männerbildes, das Unabhängigkeit verspricht durch eine Übernahme als mütterlich oder weiblich verstandener Qualitäten, trägt nur auf der Basis entweder einer Negation der Relevanz von Müttern oder, häufiger, einer Essentialisierung von Differenzen, sowie der Aufrechterhaltung einer Hierarchisierung von Tätigkeiten, die von Frauen und Männern ausgeführt werden. Herkömmliche Männlichkeitsentwürfe werden so in Frage gestellt und erweitert, ohne dass Geschlechtertrennungen und –hierarchien zu Ungunsten von Frauen wirklich hinterfragt werden.
4.2.4.5 Geschlechterpolitisches Ziel: Angleichung ohne Gleichheit In dem letzten Satz der im Abschnitt zuvor betrachteten Sequenz wird betont, welche ‚eminent politische Arbeit’ es sei, wenn Väter von ihren Jungen als ‚nährend und versorgend’ wahrgenommen werden können. Damit könne ‚eine Erweiterung und Neubewertung des Männerbilds in dieser Gesellschaft’ erfolgen. Diese Betonung fällt insofern auf, als das hinter einer Neubewertung des Männerbildes stehende politische Ziel der ‚ambivalenten Väter’ letztlich unklar bleibt. Zwar scheinen sich die Väter hier anders als die Gruppe der „kämpfenden Väter“ eine stärkere Angleichung zwischen Männern und Frauen zu wünschen, was Veränderungen in den Geschlechterarrangements und -beziehungen notwendig mit einschließt. Die Analyse zeigt jedoch, dass dieser Wunsch nach einer Angleichung an Positionen, Tätig- und Fähigkeiten von Frauen nicht gleichbe243
deutend damit ist, auf eine Nivellierung von sozialen Differenzen und Hierarchien hinzuwirken. So heißt es denn auch in einem der Editorials von PAPS: „Vater und Mutter sind nicht gleich, aber gleich wichtig fürs Kind sind sie und gleichberechtigt sollen sie werden.“ (Editorial 1/97). Das politische und private Engagement für eine Veränderungen von Vaterschaft scheint vorrangig durch den Wunsch einer Verbesserung der Beziehung zu dem Kind motiviert zu sein, dem Wunsch, in der Beziehung zum Kind gleiche Rechte und Möglichkeiten zu haben, wie Mütter. Kurz: Der zentrale Maßstab, an dem soziale ‚Gleichheit’ gemessen wird, ist vor allem das Recht auf eine gleiche Beziehung zum Kind.220 Andere soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern fallen dagegen immer wieder aus dem Blick dieser Väter. Im Vergleich mit den Texten der Gruppe der „kämpfenden Väter“ ist es aber wichtig zu betonen, dass bei den ‚ambivalenten Vätern’ das politische Ringen um eine bessere Rechtsstellung des Vaters nach einer Trennung und Scheidung verbunden ist mit der Vorstellung, ein verändertes, ‚neues’ Selbstverständnis von Vätern herbeizuführen, das eine engere Beziehung zum Kind umfasst. Im Gegensatz dazu fasst Matussek die emotionale Bindung zwischen Vater und Kind als archaische und entzieht sich damit einer Diskussion um die Bedingungen der Ausgestaltung der Vater-Kind-Beziehung und der Veränderung von Vätern. In den Texten der ‚ambivalenten Väter’ wird deutlich, dass eine veränderte Beziehung zu den Kindern nur zu erreichen ist, wenn Väter den Kindern mehr Zeit widmen und weit stärker als bisher zu Hause anwesend und tätig sind. Dies öffnet Möglichkeiten auch für Veränderungen in den Geschlechterbeziehungen in Richtung einer partnerschaftlichen Orientierung. Der Wunsch nach einer Neubestimmung des Männer- und Vaterbildes, der, so zeigt die Analyse des latenten Textes, auch durch eine starke Verunsicherung der eigenen ‚Männlichkeit’ resultiert, schließt ein, dass die ‚ambivalenten Väter’ ihre Position und Funktion als Mann und Vater in den Geschlechterbeziehungen hinterfragen. In ihrem manifesten Wunsch, auf der Ebene der Beziehung zum Kind gleich Rechte und Möglichkeiten zu erhalten, wie Mütter, versuchen sie durch die Übernahme
220 Innerhalb der Frauen- und Geschlechterforschung wurde die Diskussion um das Verhältnis von Gleichheit und Differenz in den 80er Jahren heftig geführt. Vgl. u. a. die Dokumentation der Tagung „Differenz und Gleichheit. Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht“ (Gerhard, Ute/ Jansen, Mechthild/ Maihofer, Andrea/ Schmid, Pia/ Schultz, Irmgard (Hg) 1990).
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von Tätig- und Fähigkeiten, die herkömmlich Frauen zu-gesprochen und überlassen wurden, Unabhängigkeit gegenüber Frauen insbesondere im Bereich der generativen Reproduktion zu gewinnen. Ein Ausweg aus den durch gesellschaftliche Veränderungen und Trennungskrise erfahrenen Verunsicherungen wird also in der zusätzlichen Übernahme weiblich konnotierter Tätig- und Fähigkeiten gesehen, die jetzt als männliche umdefiniert und neu bewertet werden sollen. Die rigide Trennung zwischen Frauen- und Männerwelten, bei gleichzeitiger Erweiterung dessen, was die Männerwelt umfassen soll, soll vor Konflikten und weiteren Verunsicherungen durch das Handeln von Frauen schützen.
4.2.5 Neue Väter, neue Mütter? Von Autonomie- und Machtkonflikten inund außerhalb der Familie Die Abschnitte des vorangegangenen Kapitels haben zentrale Aspekte der Suche der ‚ambivalenten Väter’ nach einem neuen Selbstverständnis als Vater und Mann zeigen können, die sowohl mit Orientierungen an Geschlechtergleichheit als auch an Differenzen zwischen den Geschlechtern einhergehen. In diesem Kapitel werde ich die inhaltliche Dimension dieser Ausdeutungen von Vaterschaft und Väterlichkeit bzw. auch von Mutterschaft und Mütterlichkeit vertiefen. Dabei konzentriere ich mich jetzt vor allem darauf, wie in diesem Zusammenhang Macht und Ohnmacht thematisiert werden. Politische Zielsetzungen und Verortungen der Gruppe der ‚ambivalenten Väter’ bleiben damit weiterhin im Blick.
4.2.5.1 Mächtige ‚Strukturen’ und ohnmächtige Liebe Beginnen möchte ich mit einem Phänomen, das in der Zeitschrift PAPS nahezu durchgängig zu beobachten ist und sich bereits bei der Diskussion des Vaters als „Erfüllungsgehilfen“ zugespitzt gezeigt hat: Väter, insbesondere Väter, die sich für ihre Kinder engagieren, werden als Problemgruppe und als Opfer ihres eigenen Engagements und ihrer Emotionen dargestellt. Diese Zuschreibung von ‚Problemen’ an Väter, die einhergeht mit einer Konzeptualisierung von Vätern als ‚ohnmächtig’, wird nun genauer ausgeleuchtet. Hierzu greife ich noch einmal kurz zurück auf eine bereits oben betrachtete Sequenz: 245
„Erst langsam entsteht ein Bewusstsein, daß viele sehr unterschiedliche Probleme gemeinsame Ursachen haben, nämlich ein gesellschaftliches Bild vom Vater, das dessen Bedeutung für Kinder noch immer sträflich unterschätzt und gesellschaftliche Strukturen, die Väter einmauern, auf das festlegen, was schon immer so war.“ (Editorial, PAPS 2/96)
Väter, so wird in der Zeitschrift PAPS häufiger betont, seien zwar keine homogene Gruppe, ihre jeweiligen Probleme hätten aber etwas gemeinsam: Sie resultierten daraus, dass Väter durch gesellschaftliche Strukturen noch immer auf das traditionell-bürgerliche Modell des Familienernährers festgelegt würden.221 Diese Festlegung wird kritisiert und als Einengung erfahren. Eingeklagt wird dagegen eine Vorstellung von Vaterschaft, die der Vater-Kind-Beziehung mehr Bedeutung zuspricht. Um Probleme von Vätern, die sich in jeweils sehr unterschiedlichen Lebenssituationen befinden, geht es auch in der folgenden Passage: „Der Vater der fantastischen Vierlinge, den PAPS in Schwarzwald besuchte, und die Väter, die in diesen Tagen mit Hungerstreiks und Aktionen vor Familiengerichten die Öffentlichkeit wachrütteln wollen, sie stecken jeweils so in ihren Problemen, daß ihnen kaum bewußt sein dürfte, daß sie eigentlich eine Gemeinsamkeit haben: die große Liebe zu ihren Kindern und das große Engagement für sie.“ (Editorial, PAPS 4/97)
Auch hier wird eine Spannung von Differenzen zwischen der Lebenssituation einzelner Väter und von Gemeinsamkeiten betont. Während sich Unterschiede zeigen würden in den Problemen, in denen die genannten Väter ‚stecken’, gäbe es Gemeinsamkeiten in der Liebe und dem Engagement für ihre Kinder. Wurden zuvor die Gemeinsamkeiten von Vätern negativ darin gesehen, dass Väter institutionell auf das Modell des Familienernährers festgelegt würden, werden jetzt Gemeinsamkeiten formuliert, die eher subjektiv und positiv konnotiert sind: Liebe und Engagement für die eigenen Kinder sind höchst individuelle, kulturell sehr positiv besetzte Haltungen eines Vaters. Nimmt man den manifesten Inhalt beider Textpassagen zusammen, lässt sich in etwa folgende Aussage zu den Problemen von Vätern identifizieren: Väter lieben ihre Kinder und wollen sich für sie engagieren. Dem
221 Welche ‚Strukturen’ es seien, die Väter auf das Modell des Familienernährers festlegen, bleibt relativ unbestimmt. Angesprochen werden rechtliche Regelungen der Elternzeit oder der Scheidung, aber auch Politiken der Arbeitsgeber.
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väterlichen Engagement für die Kinder wird aber gesellschaftlich keine Bedeutung zugemessen, Väter werden im Gegenteil durch gesellschaftliche Strukturen nach wie vor auf das Familienernährermodell festgelegt. Wollen bzw. müssen sie beides miteinander vereinbaren, die bisherige Funktion des Familienernährers und ‚die große Liebe und das große Engagement für ihre Kinder’, hätten sie ein Problem. Nun wissen wir bereits, dass die in dieser Problembeschreibung relativ deutlich ausgedrückte Haltung der ‚ambivalenten Väter’ so eindeutig nicht ist. Die Interpretation hat gezeigt, dass die Zurückweisung des Familienernährerkonzepts mit Ängsten einhergeht. Auch in der zuletzt betrachteten Textpassage werden unterschwellige Ängste sichtbar, durch welche die scheinbare Klarheit des formulierten Vereinbarkeitsproblems ins Wanken gerät. Der Autor spricht von ‚großer’ Liebe und ‚großem’ Engagement. Demnach würden vor allem die Väter, die sich mehr als andere ihren Kindern zuwenden, in ‚Problemen stecken’, die jedoch je nach Lebenssituation verschieden ausfallen könnten. Die Formulierung ‚in Problemen stecken’ impliziert eine Unbeweglichkeit und damit eine Schwierigkeit, sich den Problemen gegenüber als Handelnder zu positionieren. Es gibt auch den Ausdruck, dass jemand ‚bis zum Hals in Problemen steckt’, d. h., er oder sie droht in den Problemen unterzugehen, ist vollkommen von den Problemen okkupiert. Die ‚große Liebe’ und das ‚große Engagement’ für ihre Kinder würde also Väter in eine Situation bringen, der sie passiv oder gar ohnmächtig ausgesetzt sind. Diese Ausdeutung wird durch die Bezugnahme auf hungerstreikende Väter bestätigt. Bei der Analyse des Artikels von Matussek wurde herausgearbeitet, dass Hungerstreik ein Mittel ist, das bei Erfahrungen existentieller Bedrohung und Ohnmacht eingesetzt wird. Inwieweit bzw. warum soll sich aber der Vater der Vierlinge als ohnmächtig erfahren? Die folgende Sequenz gibt darüber etwas mehr Aufschluss: „Die Kinder haben sowohl für den hungerstreikenden Vater Gempp aus Berlin wie für den Vierlings-Vater Müller aus Obereschach das Leben komplett umgekrempelt. Der eine kämpft bis zum Rand seiner Kräfte um den Erhalt der Beziehung zu seinen Kindern Sarah und Fabian. Auch für den anderen gibt es seit Jahren nur noch eins: Julia, Florian, Verena und Lisa. Arbeit, Wohnung, Leben und auch die Beziehung zu seiner Frau – alles ist ausgerichtet auf die Vierlinge. Auch Matthias Müller fühlt sich von Staat und Gesellschaft im Stich gelassen.“ (Editorial, PAPS 4/97)
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In Bezug auf den hungerstreikenden Vater erinnert die Formulierung stark an die Argumentation Matusseks. Er ‚kämpft bis zum Rande seiner Kräfte’ um den Erhalt der Beziehung zu seinen Kindern. Ob die potentielle Gefährdung des eigenen Lebens durch einen Hungerstreik ein probates Mittel ist, um auf die Trennung von den eigenen Kindern zu reagieren, wird hier nicht in Frage gestellt. Allerdings beziehen sich die ‚ambivalenten Väter’ auf die Väter, die mit einem Hungerstreik politisch auf sich aufmerksam machen möchten, nur als eine Gruppe von vielen Vätern, die ‚Probleme’ haben. Sie stehen nicht wie bei Matussek paradigmatisch für alle Väter, die mit Konflikten im Trennungsprozess oder Scheidungsverfahren umgehen müssen oder zukünftig davon bedroht sein könnten.222 Beiden Vätern gemein sei, dass die Kinder ihr Leben ‚komplett umgekrempelt’ hätten. ‚Komplett umgekrempelt’ meint mehr als eine kleine Veränderung, einen einfachen Richtungswechsel. Vielmehr würde ihr Leben kaum mehr ihrem Leben gleichen, bevor sie Väter wurden. Dabei geht in der Formulierung die Aktivität nicht von den Vätern aus. Die Väter erführen allein durch ihre Vaterschaft einen tiefgreifenden Wandel in ihrem Leben, dem sie wie einer Naturgewalt ohne eigenes Zutun ausgesetzt seien. So sei das Leben von ‚Vater Müller’ ‚nur noch’ auf seine vier Kinder ausgerichtet. Alle anderen Lebensbereiche würden den Kindern untergeordnet. Dieser Veränderung gegenüber wird der Vater der Vierlinge als ohnmächtig und latent überfordert dargestellt. Er fühle sich ‚von Staat und Gesellschaft im Stich gelassen’. In welcher Weise Staat und Gesellschaft hier tätig werden sollten, wird im Editorial nicht benannt. In dem dazugehörigen Artikel wird deutlich, dass es im Wesentlichen darum gehe, materielle und personelle Unterstützungsleistungen zur Verfügung zu stellen, um mit der besonderen Situation der Betreuung von Vierlingen umzugehen. Irritierend ist die Formulierung, dass Herr Müller sich ‚im Stich gelassen’ fühle. Wenn man sich im ‚Stich gelassen’ fühlt, fühlt man sich einer schwierigen Situation ausgesetzt, in der man allein gelassen wird. Es sollte also eigentlich jemand dabei sein, der weggegangen ist. Auch das Bild des hungerstreikenden Vaters, mit dem der Vater der Vierlinge verglichen wird, verweist auf ein großes Leiden an der Lebenssituation. Nun ist Herr Müller aber nicht allein. Er wird jedoch in dieser Situation als
222 Auf diese Gruppe Väter, die von PAPS den ‚Trennungsvätern’ zugerechnet würde, wird in den Ausgaben von PAPS insgesamt nur wenig, an einzelnen Stellen auch eher abgrenzend Bezug genommen.
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einzige verantwortliche Person thematisiert. Wie bereits in dem Text von Ruhl taucht die Partnerin und Mutter der Kinder nicht weiter auf. Es scheint keine Partnerin zu geben, die sich gleichermaßen für die Kinder verantwortlich fühlt und deren Leben gleichermaßen eingeschränkt ist. Vielmehr wird mit zweierlei Maß gemessen: Die Geburt von Vierlingen stellt nicht ganz besondere Anforderungen an die Eltern der Kinder, sondern es wird so dargestellt, als wäre vor allem der Vater dieser Situation ohne Unterstützung ausgesetzt. Die Verluste von Autonomie und Selbstbestimmung, die engagierte Väter mit der Geburt ihres Kindes erfahren, werden betont. Einschränkungen, die auch die Partnerin und Mutter der Kinder hat hinnehmen müssen (und die oft weit gravierender sind), kaum erwähnt. Ein Blick in den im Editorial angekündigten Artikel zeigt z. B., dass es in dem dargestellten Fall der Vierlinge die Frau war, die ihre Erwerbstätigkeit aufgeben musste. 223 Es zeigt sich, dass die sich in der Zeitschrift PAPS artikulierenden Väter Schwierigkeiten haben, von ihrer eigenen Situation einer getrennten Partnerschaft abzusehen, selbst wenn sie Modelle für väterliches Engagement auch in einer intakten Familie entwerfen. Die Ohnmacht und die Abhängigkeit der dargestellten Väter wirkt so stark dramatisiert. Es scheint nicht möglich zu sein, die Belastungen, die mit der Geburt von Kindern, insbesondere von Vierlingen, verbunden sind, als geteilte Belastungen zu thematisieren. Belastungen zu teilen, ist aber eine wichtige Aufgabe einer Partnerschaft, die auf Gleichrangigkeit beruht. Die im manifesten Text häufig schlaglichtartig anvisierte Beziehung zwischen zwei gleichberechtigten Partnern verlieren die Autoren, sobald sie konkreter werden, immer wieder aus dem Blick. Eine Partnerschaft, in der beide Partner Auge in Auge miteinander kommunizieren und miteinander handeln, kommt – obgleich als Ziel formuliert – inhaltlich in den Texten kaum vor. Entweder werden die Väter als allein Verantwortliche dargestellt oder als klein und ohnmächtig, den Müttern unterlegen, und oft auch als beides zugleich. Beides lässt sich in Ansätzen aus der besonderen Situation einer erlebten Trennung von der Partnerin und dem Gefühl, sich ihr in dem Ringen um das Sorgerecht unterlegen zu fühlen, erklären. Das 223 Die sich hier artikulierenden Väter begreifen sich als Lobbygruppe für Väter. Von daher ist es einerseits folgerichtig, dass Probleme von Frauen und Müttern von ihnen nicht so stark thematisiert werden. Allerdings gehen sie von einem Modell egalitärer Partnerschaft aus, so dass es auffällt, wenn in den Situationen, wo es deutlich um partnerschaftliches und familiäres Engagement geht, die bestehenden Probleme nicht als gemeinsam zu lösende thematisiert werden.
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Leben nach einer Trennung wird hier aber generalisiert und auf allgemeine Vorstellungen von Vaterschaft übertragen. Die Betonung von Problemen von Vätern, ihrer Ohnmacht und Abhängigkeit, lässt sich zudem als ein politisch motivierter Versuch lesen, einen gemeinsamen Bezugspunkt für Väter zu schaffen und sie darüber zu einer aktiven sozialen Gruppe zusammen zu schließen. Väter sollen in einem selbstbewussten Zusammenschluss zu Akteuren von Veränderungen werden, die dazu beitragen, neue Orientierungen zu entwickeln und die ‚Väterprobleme’ (Editorial, PAPS 2/96) zu lösen. Dem Bild von passiv der Beharrungskraft der Institutionen ausgesetzten Vätern wird so die Möglichkeit einer Aktivität entgegen gesetzt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass hier ein strukturell bedingtes Vereinbarkeitsproblem formuliert wird, das Väter hätten, die sich für ihre Kinder engagieren und eine starke emotionale Bindung zu ihnen eingehen wollen und die gleichzeitig den Anforderungen als Familienernährer genügen sollen. Ausgehend davon wird ein Bild gezeichnet, nach dem das Leben dieser Väter grundsätzlichen Veränderungen und Einschränkungen ausgesetzt sei, denen sie individuell ohnmächtig gegenüber stünden. Die ‚große Liebe und das große Engagement’ für Kinder erscheinen für die sich in PAPS artikulierenden Vätern somit ambivalent. Konkreter sichtbar als bisher wird hier die Angst vor dem Verlust von Selbstständigkeit und vor Abhängigkeit, die entsteht, wenn die emotionale Bindung an das Kind zum Bezugspunkt des Handelns wird. Während die Ohnmacht von Vätern gegenüber dieser Situation dramatisiert wird – ein Ausdruck ihrer Ambivalenz – werden die Einschränkungen, die auch für Frauen mit der Elternschaft verbunden sind, nicht benannt.
4.2.5.2 Neue Väter – traditionelle Mütter? Nicht nur in den bereits zitierten Passagen – insgesamt werden in den Texten der Zeitschrift PAPS Frauen bzw. Mütter wenig erwähnt. Während in den Texten Matusseks ein Kaleidoskop stereotyper Vorstellungen von Frauen und Müttern zu finden ist, die auf das gespaltene Bild der bösen übermächtigen, feministischen Trennungs-Mutter und der guten Supermutter, die für die Familie sorgt und gleichzeitig materiell unabhängig ist, zuzuspitzen sind, scheinen in PAPS die Frauen und Mütter der Kinder eher marginal zu sein. Fokussiert wird vor allem die Vater-KindBeziehung. Nur vereinzelt finden sich inhaltliche Auseinandersetzungen mit dem, was Frauen bzw. Mütter tun oder ‚sind’. Auch wenn sich die 250
Zeitschrift als Zeitschrift ‚von Vätern für Väter’ versteht, müsste diese Aussparung nicht sein. Vaterschaft könnte vielmehr in Relation zu Mutterschaft verhandelt werden und es könnte Überlegungen zu einer befriedigenderen Gestaltung von Paarbeziehung und Elternschaft aufgestellt werden. Im Folgenden werde ich Textstellen genauer betrachten, in denen Frauen und Mütter thematisiert werden. „PAPS wollte es wissen. Wie steht es eigentlich mit den Müttern? Neue Väter gibt es. Noch viel zu wenige, sagen nicht nur die Frauen. Man kann sich immerhin etwas darunter vorstellen. Aber brauchen wir auch neue Mütter? Oder sind die Mütter längst ‚neu’?“ (Editorial, PAPS 1/97)
‚PAPS wollte es wissen. Wie steht es eigentlich mit den Müttern?’ Diese Formulierung klingt kämpferisch: ‚Schaut nicht immer nur auf die Väter, schaut auch mal auf die Mütter. Sind die wirklich besser?’ Das wiederholte Attribut ‚neu’ kündigt an, in welcher Hinsicht hier Mütter betrachtet und mit Vätern verglichen werden sollen. Das Wort ‚neu’ oder ‚Neues’ tauchte bislang als Synonym für modern, fortschrittlich224 sowie unbekannt, fremd, bedrohlich auf und wurde entsprechend ambivalent besetzt. Dabei bezog sich bislang das ‚Neue’ auf gesellschaftliche Veränderungen, die von außen auf Väter zukämen. Nun wird ‚neu’ als Beschreibung von Müttern und Vätern selbst verwandt. Das in der Bundesrepublik seit Ende der 70er Jahre diskutierte populärwissenschaftliche Konzept des ‚neuen Vaters’, das in den 80er Jahren auch Eingang in die soziologische Familien- und Vaterforschung gefunden hat (vgl. z. B. Schneider 1989), zielt ab auf eine Veränderung von Vaterschaft und Väterlichkeit in Richtung einer größeren Partizipation des Vaters am innerfamilialen Leben, insbesondere an der emotionalen und tatsächlichen Fürsorge für ihre Kinder – auch und gerade für Kleinkinder.225 Im Text wird der Ausdruck ‚neue Väter’ als Schlagwort verwandt, dessen Inhalt als bekannt voraus gesetzt und nicht weiter expliziert wird. ‚Neue Väter’, so der Autor des Editorials, ‚gibt es’ – wenngleich auch ‚viel zu wenige’. Insbesondere Frauen, darauf weist dieser Einschub,
224 Fortschrittlich wird hier verstanden im Sinne von Veränderungen in den Geschlechterarrangements und -beziehungen, die auf Gleichheit zwischen Frauen und Männern, Mütter und Vätern beruhen. ‚Fortschritt’ wird hier also in der Tradition der Aufklärung auf das Ziel ‚Gleichheit’ ausgerichtet verwendet. 225 Vgl. Kapitel II.
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würden sich mehr ‚neue Väter’ wünschen, Väter, die sich stärker an den familialen Aufgaben und der Sorge für die Kinder beteiligen. Aber nicht nur für Frauen, auch für Männer wäre das, was als neue Vaterschaft und Väterlichkeit verstanden wird, ein angestrebtes Ziel. Veränderung von Vaterschaft wird jetzt nicht als Funktions- und Bedeutungsverlust von Vätern thematisiert oder als Problem. Vielmehr gehört eine Entscheidung, eine Aktivität dazu, wenn man ‚neuer Vater’ wird. Ein „neuer Vater“ zu sein, bestimmt sich durch das Handeln als Vater. „Neu“ wird hier also als positiv, als ein aktiver Schritt von Vätern zu einer Veränderung von Vaterschaft diskutiert. Von der oben dargestellten Ambivalenz gegenüber dem ‚Neuen’ wird jetzt die Seite des Aufbruchs, des Modernen betont. Die zugleich mit ironischem Unterton aufgeworfene Frage, ob ‚wir’ auch ‚neue Mütter’ bräuchten, ist dagegen eher rhetorisch. Anders als der Begriff ‚neue Väter’ wird der Begriff ‚neue Mütter’ nicht selbstverständlich in der öffentlichen Diskussion verwandt und ist inhaltlich nicht konturiert. Aus dem Kontext heraus lässt sich die Frage, ob ‚wir’226 neue Mütter bräuchten oder ob es sie schon gäbe, als Aufforderung übersetzen, dass sich nicht nur Väter, sondern auch Mütter verändern sollten. Deutlich wird ein Kokettieren in der Konkurrenz mit Müttern: Wer ist weiter entwickelt, fortschrittlicher, moderner – die Mütter oder die Väter? Reagiert wird mit diesem Aufrechnen wahrscheinlich auch auf Vorwürfe aus der westdeutschen Frauenbewegung, die Männern bzw. Vätern – und gerade auch den Vätern, die um ihr Sorgerecht ringen – entgegenhalten, dass sie traditionelle Geschlechterarrangements beibehalten wollten. Mütter, so lässt sich die Argumentation zusammenfassen, sollten erst einmal schauen, inwieweit sie selbst bereit sind, traditionelle Geschlechtsvorgaben zu verwerfen und sich auf neue Arrangements mit den Vätern ihrer Kinder einzulassen. Diese Deutung bestätigt sich, wenn der Autor des Editorials ein wenig weiter unten im Text in dem Zusammenhang der Auseinandersetzungen um die Kindschaftsrechtsreform hervorhebt, dass Frauen, Feministinnen, ‚manchmal’ mit eher traditionellen Männern am ‚gleichen Strick’ zögen: „Muß man beziehungsweise frau nicht staunend feststellen, daß Kämpferinnen für die Sache der Frau und die Gleichberechtigung, und Männer, die das traditionelle Familienbild mit letzter Kraft aufrecht erhalten wollen, manchmal am gleichen Strick ziehen? Echte Gleichstellung der Geschlechter und
226 Ob ‚wir’ auf die Gesellschaft oder nur auf Väter zielt, bleibt offen.
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die Anliegen der „Neuen“ haben gegen diese Allianz einen schweren Stand.“ (Editorial, PAPS 1/97)
Auffällig ist an dieser Textpassage zunächst die Schreibweise ‚man’ beziehungsweise ‚frau’. Diese Schreibweise lässt sich in frühen Schriften der westdeutschen Frauenbewegung finden und ist bis heute im Wesentlichen auf die Kommunikation innerhalb frauenpolitischer und linksalternativer Gruppen begrenzt. Sie soll den mit dem Wort ‚man’ (Mann) verbundenen Androzentrismus kritisieren bzw. relativieren. Mit dieser Schreibweise reiht sich der Autor des Editorials in ein frauen- und linkspolitisches Spektrum ein und gibt sich als guter ‚Feminist’. ‚Gibt’ sich als Feminist, denn die Übernahme dieser Schreibweise lässt sich auch ironisch verstehen, eingesetzt als eine Art Angriffswitz. Es zeigt sich also eine diffus-ironische und brüchige Nähe zu einem Teil der Frauenbewegung, die auch darin zum Ausdruck kommt, dass sich in vielen Artikeln der Zeitschrift PAPS ähnliche Argumentationen wie in Texten der westdeutschen Frauenbewegung finden lassen. Häufig werden in der Zeitschrift Argumente aufgegriffen, die durch die Frauenbewegung an die Öffentlichkeit getragen wurden – nur werden diese jetzt auf das männliche Geschlecht bezogen. Auch die ‚ambivalenten Väter’ nehmen für sich in Anspruch, sich aus traditionellen Geschlechtsvorgaben befreien zu wollen. Auch in ihren Texten kommt den Begriffen ‚Autonomie’, ‚Selbstbestimmung’, ‚Identität’ ein hoher Stellenwert zu. Auch sie sehen sich betroffen von ungleichen Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern. Doch schon die Umkehrung, die einige Argumente erfahren, weil sie auf das jeweils andere Geschlecht bezogen werden, zeigt, dass wir es hier wieder mit einer zwiespältigen Bewegung zu tun haben: Neben der Übernahme von Argumenten mit dem Ziel, mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern herzustellen, vor allem im Sinne der Möglichkeit einer Angleichung der Tätig- und Fähigkeiten von Männern an Frauen, wird eine deutliche Abgrenzung gegen geschlechterpolitische Diskussionen der Frauenbewegung sichtbar. In dem Umdrehen von Argumenten aus dem Kontext der Frauenbewegung und in dem sich hier andeutendem Feindbild feministischer ‚Kämpferinnen’ lässt sich eine Nähe zu der Argumentation Matusseks ausmachen, die allerdings durch die gleichzeitig artikulierte Nähe zu geschlechterpolitischen Zielen der Frauenbewegung – d.h. vor allem die Ablehnung des traditionellen Familiemodells – wieder relativiert wird. In diesem Punkt besteht eher eine Differenz zwischen den sich in der Zeitschrift PAPS artikulierenden Väter und Matussek. Wäh253
rend Feministinnen in Matusseks Perspektive gefährliche und übermächtige Gegnerinnen seien, weil sie das von ihm propagierte Modell des Vaters als Familienernährers und wichtiger Bezugsperson der Kinder torpedierten, indem sie Frauen zur Trennung von Männern animieren würden, werden sie hier aus einer anderen Perspektive verurteilt: ‚Kämpferinnen für die Sache der Frau und die Gleichberechtigung’ würden mit dazu beitragen, dass das traditionelle Modell des Mannes als Familienernährer weiter aufrechterhalten würde und der Vater-Kind-Beziehung damit weiterhin geringe Bedeutung zukommen würde.227 Die Beibehaltung des traditionellen Familienmodells könne jedoch nach Auffassung der ‚ambivalenten Väter’ auch nicht Ziel feministischer Politik sein – dafür steht auch die Aussage, dass ‚man beziehungsweise frau’ über diese von Feministinnen betriebene Politik ‚staunen’ müsse. Der Autor unterscheidet damit verschiedene Gruppen von Feministinnen. Die ‚neuen’ Frauen und Mütter, mit denen ‚neue Väter’ sich zusammenschließen und ‚echte Gleichstellung der Geschlechter’ befördern können und die, die eher für ‚die Sache der Frau’ kämpfen würden.228 ‚Echte Gleichstellung’ wird unterschieden vom Kampf ‚für die Sache der Frau und Gleichberechtigung’. Inhaltlich wird auf diese Unterscheidung nicht weiter eingegangen. Die Betonung auf ‚für die Sache der Frau’ lässt vermuten, dass ein Kritikpunkt der ‚ambivalenten Väter’ dahin geht, dass nicht gleichzeitig Interessen von Männern in die geschlechterpolitischen Zielsetzungen mit einbezogen werden. Aus dem bisherigen Kontext sind diese Interessen als Interessen von Vätern zu verstehen, gegenüber den Müttern der gemeinsamen Kinder mehr Rechte innerhalb der Familie und in der Beziehung zum Kind zu erlangen. Frauen, so wird gesagt, seien nicht per se politisch fortschrittlicher als Männer. Vielmehr würden sie verhindern, dass Väter sich stärker in der Familie engagieren, indem sie ebenso wie auch einige Männer beharrlich an traditionellen Geschlechterarrangements festhalten. Es zeigt sich, dass hier um die Frage der ‚Schuld’ an der Beständigkeit überkommener Arbeits- und Aufgabenteilungen zwischen den Geschlechtern gerungen wird. So wird hervorgehoben, dass es nicht nur Männer, sondern auch Frauen gebe, die am traditionellen Familienbild
227 Diese Perspektive scheint allerdings auch bei Matussek kurz auf. 228 Dies erklärt auch den textimmanenten Widerspruch, dass Frauen sich einerseits ‚neue Väter’ wünschen würden, andererseits aber an traditionellen Geschlechterarrangements festhalten wollten.
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festhalten wollen. Und es gebe Männer und Frauen, die Veränderungen in den Geschlechterbeziehungen herbeiführen wollen. Dabei scheinen die Kräfte unterschiedlich verteilt zu sein. Frauen werden hier zu starken Akteurinnen, die für den Erhalt des traditionellen Familienbildes kämpfen und damit zu Gegnerinnen von den an Veränderung interessierten Männern werden. Diese Darstellung kann entlastend wirken auf die Gruppe der ‚ambivalenten Väter’ in ihrem Konflikt zwischen dem Wunsch nach Veränderung der Vater-Kind-Beziehung durch die Übernahme reproduktiver Aufgaben und der Furcht, damit klare Verhaltensvorgaben und Orientierungen als Vater zu verlieren und in der Geschlechterhierarchie abzusinken. Eine Entlastung, die, so lässt sich denken, den Wunsch nach Veränderung stabilisieren könnte. Die ‚Schuld’ an der Beharrlichkeit bestehender Arbeits- und Aufgabenteilungen wird so eher Frauen zugewiesen. Der eigene Anteil an der Reproduktion eines ‚traditionellen Familienbildes’ wird abgespalten und bleibt damit unreflektiert. Ganz aus dem Blick geraten bei der Diskussion, dass die ungleichen Verteilungen von Arbeiten und Aufgaben, die mit dem traditionellen Familienbild einhergehen, eher zu Ungunsten von Frauen verlaufen. Die Frage, inwieweit Frauen diese Arbeitsteilungsstrukturen mit stützen und reproduzieren – eine Frage, die auch in vielen Publikationen der Geschlechterforschung aufgeworfen wird229 – bekäme dann noch einmal eine andere Bedeutung.
4.2.5.3 Schwache Väter und mächtige Mütter: Über die Verfügbarkeit von Machtchancen in familialen Beziehungen Betrachtet man die Texte der Zeitschrift PAPS insgesamt, tritt zunächst eine klar konturierte Grundfigur der hier vorgenommenen Konstruktion von Machtverteilungen zwischen den Geschlechtern hervor. Demnach wäre früher die Familie der Machtbereich von Frauen gewesen, die Erwerbssphäre der Machtbereich von Männern.230 Ruhl (1995), der in seinem Artikel exemplarisch an seiner eigenen Familie einen allmählichen Wandel von Vaterschaft beschreibt, der von einer Generation zur anderen erfolgt sei, stellt z. B. seinen Großvater als einen Patriarchen ‚bürgerli-
229 Z. B. Hochschild 1989; Gildemeister/Wetterer 1992; Frerichs/Steinrücke 1997; Heintz u. a. 1997; Koppetsch/Burkart 1999, Wetterer 2003 – um hier nur einige zu nennen. 230 Wahrscheinlich wird dabei an den Zeitraum des ausgehenden 19. bis zu den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gedacht.
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chen Stils’ dar. Er sei ein abwesender Vater gewesen, der sich den Kindern gegenüber als züchtigende Autorität exponiert und alles Weitere seiner Frau überlassen habe, während er seine Arbeitskraft in der Firma verausgabte. Der Vater des Autors, der in den 60er Jahren Vater war, hätte dagegen bereits versucht, sich stärker in die Familie einzubringen und wenigstens „am Wochenende mehr Zeit mit der Familie zu verbringen“ (Ruhl, PAPS 5/6 1995, 17). Dass dies nicht einfach so umzusetzen gewesen sei, führt Ruhl nicht nur auf institutionelle Anforderungen und normative Erwartungen an den Vater als Familienernährer zurück, wie die folgende Textpassage zeigt: „Seine Funktion war nicht so eindeutig. Er hatte die Ernährungsgrundlage sicherzustellen, sorgte dafür, dass Sohn und Tochter eine Ausbildung bekamen (...), aber er sollte und wollte auch – zumindest in der Ideologie – für die Familie da sein. Das führte zu verschiedenen Auseinandersetzungen mit der Frau, die um ihren Machtbereich – und damit um ihre Wertbestimmung als Hausfrau und Mutter – fürchtete.“ (Ruhl, PAPS 5/6 1995, 17)
Die Familie wird hier exemplarisch als Machtbereich von Frauen definiert, der von Frauen auch verteidigt worden sei: Hätten Väter versucht, diese ‚Gebiete’ zu betreten, und für die Familie ‚da’ zu sein, seien sie in Auseinandersetzungen mit den Müttern geraten, die um ‚ihren Machtbereich’ fürchteten. Die Mütter befürchteten, dass sie dadurch, dass Väter ihnen Fähigkeiten und Kompetenzen streitig machten, ihren ‚Wert’, der sich aus ihren Tätigkeiten als Hausfrau und Mutter bestimmen würde, und damit ihre soziale Anerkennung verlieren. Frauen, die in den 50er und 60er Jahren Mütter waren, hätten demnach die damals gesellschaftlich dominante Norm der Bestimmung der Frau als Hausfrau und Mutter überwiegend geteilt und auch danach gehandelt, indem sie aktiv an den ihr zugewiesenen Funktionen in der Familie festhielten, die sie in der Familie einseitig mit Macht ausgestattet hätten. Seit den 70er Jahren hätten sich die Verhältnisse dahingehend geändert, dass Frauen sich zunehmend mehr in der Erwerbssphäre bewegten, Männer ihnen immer mehr Macht in ‚ihrem’ Bereich abgeben müssten. Nun sollten auch Frauen ‚Macht’ in ‚ihrem’ Bereich, der Familie, teilen: „Da tut sich die Frau genauso schwer, traditionelle Rollen aufzugeben und den an-gestammten Machtbereich in der Familie zu teilen, wie es Männern schwerfällt, Frauen in der Berufswelt voll zu akzeptieren.“ (Editorial, PAPS 1/1997)
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An dieser Passage fällt zunächst auf, dass ‚Macht’ völlig unbestimmt bleibt. Wenn Frauen ‚teilen’ sollen, wird ihre Macht als etwas gedacht, worüber sie individuell verfügen könnten, wovon sie etwas abgeben könnten oder nicht. ‚Macht’ wird also als etwas thematisiert, worüber die einzelnen Akteure konkret verfügen können, als eine persönliche Ressource. Auffällig ist, dass hier von Frauen eine Aktivität erwartet wird, sie sollen ‚teilen’, während das, was von Männern erwartet wird, gemessen an ‚teilen’ eine weit passivere Haltung ist: Sie sollen ‚akzeptieren’, dass Frauen sich vermehrt im Berufsbereich bewegen. Während von Frauen also erwartet wird, dass sie von sich aus Macht, über die sie verfügten, aktiv aufgeben, wird dies von Männern nicht gefordert. Sie müssen in der hier eingenommenen Perspektive ‚nur’ bereits erfolgte, vorrangig von Frauen in Gang gebrachte Veränderungen ‚akzeptieren’. In beiden Fällen wird Frauen die Aktivität zugewiesen; Männer werden dagegen in einer eher passiven Position gesehen. Diese erneut formulierte Vorstellung von Frauen, die aktiv und mächtig, und Männern, die passiv und schwach seien, könnte für eine Unentschlossenheit auf Seiten der sich hier artikulierenden Väter sprechen, was Mütter in der Familie mit den Vätern eigentlich teilen sollen231, und andersherum, was Männer denn selbst abzugeben bzw. auch anzunehmen bereit sind. Auch wenn unklar bleibt, was mit ‚Macht’ eigentlich gemeint ist, lässt sich weiter festhalten, dass in dem Text die Verfügung über ‚Macht’ innerhalb der Erwerbssphäre der Verfügung über ‚Macht’ innerhalb der Familie gleichgesetzt wird. Hier sollen Männer Macht abgeben, dort Frauen: Quid pro quo. Diese Darstellung scheint unter dem Aspekt einer angestrebten Geschlechtergleichheit nur auf einen ersten Blick einleuchtend. Bei genauerer Betrachtung offenbart sich, dass bei dieser Konstruktion mit ungleichem Maß gemessen wird. In der in der Textpassage eingenommenen Vergleichsperspektive (Frauen fällt es genauso schwer wie Männern) wird nahe gelegt, dass die Macht, die Frauen in der Familie innehaben, genau die gleiche wäre, wie die die Männer in der Erwerbssphäre haben. Und als hätten Frauen heute im Beruf inzwischen nahezu ebenso viel Macht wie Männer, Männer dagegen in der Familie keine
231 Diese Frage stellt sich umso mehr, wenn man die konkrete Auseinandersetzung über Sorge- und Umgangsrechte nach einer Trennung einmal ausblendet.
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Macht.232 Ähnlich wie bei Matussek wird jetzt in den vorgefundenen Formulierungen völlig außer Acht gelassen, dass verschiedenen Tätigkeiten unterschiedliche soziale Bedeutung und Wertigkeit zugemessen wird, und damit auch unterschiedliche Machtpotentiale mit ihnen verbunden sind. So bestehen grundlegende Differenzen in der sozialen Bewertung von entgeltlichen und unentgeltlichen Tätigkeiten, aber auch der verschiedenen Tätigkeiten innerhalb der Erwerbssphäre bzw. innerhalb der Familie. Dieser Gedanke wird im Folgenden in einem Exkurs unter Bezug auf Arbeiten soziologischer Geschlechterforschung vertiefend betrachtet. Hierbei rekurriere ich auch auf gesellschaftstheoretische Ansätze und verlasse damit kurzzeitig die eher wissenssoziologische Perspektive, die aus dem Blickwinkel der Konstruktionsprozesse und nicht der aus diesen Prozessen ‚geronnenen Struktur’ schaut.
4.2.5.4 Exkurs: Konstellationen der Macht Regina Becker-Schmidt hat die Minderbewertung der Hausarbeit gegenüber Erwerbsarbeit damit in Zusammenhang gebracht, dass die gesellschaftlichen Sphären selbst in einem Verhältnis der Über- und Unterordnung zueinander stehen. Obgleich die verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren – Familie, Erwerbsbereich, staatliche Einrichtungen – alle gleich wichtig für die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Lebens und auch wechselseitig voneinander abhängig sind, hat sich im Zuge der industriekapitalistischen Entwicklung eine Dominanz der Erwerbssphäre gegenüber der Institution Familie herausgebildet. So sei die private Lebenswelt zwar „(...) einerseits ein separater Bereich. Das erfordert die Eigenlogik von Prokreation, Regeneration, Haushaltung und Kindererziehung. Andererseits ist die private Lebenswelt in der Sicherung ihrer materiellen Ressourcen, in der Beachtung von Zeitstrukturen, in der Kontrolle von Alltagsverhalten an der marktvermittelten Arbeitswelt ausgerichtet – deren Gesetze (Verfügbarkeit, Arbeitsfähigkeit, Anpassungsbereitschaft, Disziplinierung der Sinne) setzen sich im Privaten fort. In wirtschaftlicher Perspektive ist der unmittelbare Le-
232 Auch z. B. schicht- und milieubedingte Unterschiede innerhalb der Geschlechtsgruppen werden bei der Thematisierung von Macht in der Familie bzw. in der Erwerbssphäre nicht wahrgenommen.
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bensprozess in der Konkurrenz mit dem marktvermittelten Arbeitsprozess nachrangig.“ (Becker-Schmidt 1996b, 16)
Die Formbestimmtheit der gesellschaftlichen Reproduktion, die Dominanz der Erwerbssphäre gegenüber der Familie, geht Becker-Schmidt zufolge einher mit einer Hierarchisierung der Geschlechter: Marktvermittelter Arbeit von Männern wird mehr Wert (Geldwert und soziale Bewertung) zugemessen als den vorrangig von Frauen erbrachten unentgeltlichen Versorgungsleistungen. Deren marktvermittelte Arbeit wiederum wird geringer bewertet als die von Männern (vgl. Wolde 1995, 304). Obgleich prozentual die Erwerbsarbeit von Frauen, vor allem von Müttern, in den vergangenen drei Jahrzehnten zugenommen hat – wobei vor allem die Anzahl Teilzeit arbeitender Frauen gestiegen ist – lässt sich nach wie vor ein horizontal und vertikal hochgradig segregierter Arbeitsmarkt konstatieren, in dem Frauen in der Relation zu Männern noch immer die schlechter bezahlten Stellen mit geringerem sozialen Prestige besetzen. Verändert hat sich, dass wir es bei den gegenwärtigen Segregationsprozessen hierzulande weniger mit einfachen Schließungsverfahren gegenüber Frauen zu tun haben, sondern eher mit subtilen Mechanismen der Grenzziehung (vgl. Knapp 1992, 295). Strukturelle Grenzen sind heute kaum noch in formalen Zulassungsbedingungen zu finden, sondern in geschlechtsneutral formulierten betrieblichen Regelungen und Anforderungen, die aber vor allem aufgrund der konkreten differenten familialen Belastungen Frauen und Männer unterschiedlich treffen (vgl. Heintz u. a. 1997, 217). Die „strukturelle Unvereinbarkeit von Beruf und Familie“ (Heintz u. a. 1997, 221) geht einher mit dem nach wie vor dominanten kulturellen Deutungsmuster der ‚Normalfamilie’, wonach der Mann als Familienernährer und die Frau als primär für den Haushalt und die Kinderbetreuung zuständige gedacht wird. Bereits die potentielle Mutterschaft der Frau bzw. die potentielle Versorgungsfunktion des Mannes wird daher zum beruflichen Planungsfaktor auf Seiten der Betriebe wie auf Seiten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Neben den strukturellen Grenzen wird die Separierung der Geschlechter zunehmend über symbolische und kommunikative Mittel hergestellt, wie verschiedene Studien zeigen (z. B. Heintz u. a. 1997, Wilz 2002). Wie dies geschieht, differiert nach Geschlecht und Kontext233. Insgesamt haben Heintz u. a. (1997) festgestellt,
233 So haben z. B. Heintz u. a. (1997, 228ff) festgestellt, dass Frauen in typischen Männerberufen mit ihrer „token“-Situation (Kanter 1977) so umgingen, dass sie die Geschlech-
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dass Frauen eine höhere Bereitschaft hätten, geschlechtliche Differenzen im Beruf zu akzeptieren und sich geschlechtlich konnotierten Berufsnormen anzupassen, als Männer. Wie schon Knapp (1995) und andere vermuten sie ein ausgeprägteres Differenztabu bei Männern, also eine größere Tendenz der Männer, Geschlechtergrenzen zu betonen. In dem Zusammengreifen der verschiedenen Mechanismen – des strukturellen Wettbewerbsvorteils von Männern, die weit weniger von der Vereinbarkeitsproblematik betroffen sind, der noch immer kulturell dominanten Orientierung am Modell des Familienernährers und der zuverdienenden Hausfrau, der symbolischen, interaktiv vermittelten Prozesse der Grenzziehung in Berufen – werden trotz leichter Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt Geschlechtergrenzen und Hierarchien zwischen den Geschlechtern (re-)produziert. Weil die berufliche Arbeit, der damit verbundene Status und das Einkommen, die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern in der Erwerbssphäre und in der Familie bestimmen, haben Männer nicht nur innerhalb der Erwerbssphäre sondern auch innerhalb der Familie einen dominanten Status, der bis zur Familienrechtsreform 1977 sogar rechtlich abgesichert war. Der in dem PAPS-Artikel vorgeschlagene einfache Tausch, Männer sollen Frauen in der Erwerbssphäre akzeptieren, Frauen ihre Macht in der Familie teilen, erweist sich also bei genauerem Hinsehen als nicht stimmig. Strukturell verfügen auch diejenigen Männer bzw. Väter über objektiv größere Machtpotentiale in der Erwerbssphäre und in der Familie, die sich selbst nicht am Modell des Familienernährers orientieren wollen und eine partnerschaftliche Beziehung anstreben.234 Gerade, wenn die Paarbeziehung partnerschaftlich gedacht wird, also als Austauschprozess zwischen zwei gleichberechtigten Individuen, ist es problematisch, wenn unreflektiert Asymmetrien in den Austauschprozess eingehen. Die interne Machtverteilung zwischen den Individuen ist davon abhängig, auf welche Ressourcen die Beteiligten in dem Austauschprozess zurückgreifen können (vgl. Cyba 2000, 166ff).
terdifferenz herunterspielten, ohne sie ganz verschwinden zu lassen. Allerdings fänden sich auch Fälle, in denen Frauen die ihnen zugewiesenen ‚weiblichen’ Rollen aktiv übernehmen und zu einer Extra-Qualifikation ausbauen. Der männliche Umgang mit der token-Situation ist einheitlicher und läuft darauf hinaus, die Differenz zu akzentuieren, indem auf Männlichkeitsstereotype zurückgegriffen wird, also z. B. die Betonung von ‚männlicher’ Körperkraft und von ‚coolness’ im Krankenpflegeberuf. 234 Im Einzelfall können natürlich Männer innerhalb der Familie auch über geringere Ressourcen verfügen, als ihre Partnerinnen.
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Thomas Held (1978) geht im Anschluss an die us-amerikanische Ressourcentheorie davon aus, dass die Ungleichverteilung häuslicher Arbeiten dadurch zustande komme, dass Männern aufgrund ihres besseren Status in der Erwerbssphäre einen Machtvorsprung in der Ehe hätten. Diese ‚externen Ressourcen’ könnten durch ‚interne Ressourcen’ – Übernahme häuslicher Pflichten, emotionale Bindungen – etwas ausgeglichen werden. Während der Grad der Macht durch ‚interne Ressourcen’ von Held als relativ konstant gedacht wird, seien die ‚externen Ressourcen’ abhängig von dem jeweiligen Erwerbsstatus. Nach Held hängt das Machtgefälle in Beziehungen daher letztlich vom Erwerbsstatus des Mannes ab: Bei einem niedrigen Erwerbsstatus des Mannes könnte demnach von einem Statusdefizit des Mannes ausgegangen werden, in der Mittelschicht sei das eheliche Machtverhältnis ungefähr ausgewogen und nur in der Oberschicht zeige sich ein deutliches Statusdefizit der Frau (Held 1978; vgl. auch Koppetsch/Burkart 1999, 204). Was Held nicht gesehen hat, ist das oben beschriebene Moment, dass marktvermittelter Arbeit generell ein höherer Status zugewiesen wird, als unentgeltlicher Arbeit.235 Bezieht man die grundsätzlich ungleiche Bewertung der verschiedenen Tätigkeiten in der Erwerbssphäre und innerhalb der Familie mit ein, dann ist davon auszugehen, dass Väter in der Regel mit den größeren externen Ressourcen in partnerschaftliche Aushandlungen gehen können. Durch ihre zumeist bessere Stellung innerhalb der Erwerbssphäre können sich Väter von einer anderen Position her in die Auseinandersetzungen um die Verteilung der innerfamilialen Arbeiten begeben: Familienarbeit wird von ihnen auf der Basis von Freiwilligkeit erbracht, sie ist eine Zusatzleistung neben der Erwirtschaftung des zumeist größeren Teils des Familieneinkommens, „mit deren Hilfe sie ihre emotionale Verbundenheit und ihre spezifische Fachkompetenz zum Ausdruck bringen, nicht jedoch eine einzufordernde Leistung“ (Cyba 2000, 175). Dafür wünschen sie sich Anerkennung, die sie von den Frauen, die selbst an einer gleichberechtigten Partnerschaft orientiert sind, auch oft erhalten. Dieses Moment der Freiwilligkeit trifft auch noch auf die Väter zu, die sich bereit erklären, für eine Zeit ihre Erwerbstätigkeit ganz aufzugeben und Hausmann zu sein, und kommt auch in den Artikeln der Zeitschrift PAPS zum Ausdruck.
235 Für einen weiteren Überblick über Ansätze, die versuchen, eheliche Machtverhältnisse zu fassen, vgl. Stalb (2000).
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Die nahezu durchgängig größere Verfügung von Männern über externe Ressourcen bedeutet nicht, dass es nicht zwischen verschiedenen Paaren auch Differenzen in der Verteilung von Machtressourcen gäbe. Koppetsch/Burkart gehen z. B. davon aus, dass die konkrete Verteilung von Machtressourcen innerhalb der Paarbeziehungen auch von den milieugültigen Vorstellungen über den Wert von Hausarbeit und Berufsarbeit abhängen, sowie von den Möglichkeiten des Einzelnen auf diese Vorstellungen Bezug zu nehmen und die eigenen Interessen zu verfolgen (vgl. Koppetsch/Burkart 1999, 204/205) Auch Frauen willigen zum Teil freiwillig ein in die ungleichen Verhältnisse und teilen Vorstellungen, die ihre Zuständigkeit für die Hausund Familienarbeit rechtfertigen (vgl. Cyba 2000, 171; Koppetsch/Burkart 1999). Es ist unter anderem ein Resultat der doppelten Sozialisation von Frauen (Becker-Schmidt), dass viele die Verantwortung und Sorge für andere wichtiger nehmen als Männer. Arlie Hochschild z. B. hat in ihrer Untersuchung (1989) dargestellt, dass viele Frauen trotz Gleichheitsanspruch und Kritik an bestehenden Arbeitsteilungen innerhalb der Familie ihre eigenen Ziele zurückstellen, um ihrem Interesse an einer harmonischen Beziehung und dem Wohl der Familie nachzugeben. Diese Orientierung hindert Frauen daran, formal gleiche Maßstäbe anzulegen und einzuklagen (vgl. Cyba 2000, 172f). Und – auch dies haben verschiedene Untersuchungen gezeigt (vgl. Hochschild 1989; Kaufmann 1994; Koppetsch/Burkart 1999236) – es gibt eine Gruppe von Frauen, die ohne Rücksicht auf persönliche Kosten versuchen, Hausarbeit und Kinderbetreuung zu monopolisieren und möglichst perfekt zu erledigen, um darüber eine Kontroll- und Machtposition in der Familie zu erlangen. Diese Frauen vertreten häufig die Ansicht, dass ihnen diese Arbeit mehr liege als Männern, dass sie mit dieser Arbeit ihren Bedürfnissen folge und sie ihnen auch Macht und Status innerhalb der Familie gebe. Gleichwohl ist die Tatsache, dass nach wie vor familiale Arbeiten vorrangig von Frauen geleistet werden, nicht einfach als Ergebnis ihrer eigenen (Macht-)Interessen zu werten, wie dies in den Texten der Zeitschrift PAPS dargestellt wird. Frauen ‚entscheiden’ sich aus einer sozialen Position für die Übernahme familialer Arbeiten, die vor allem in den institutionellen Rahmenbedingungen und normativen Vorgaben liegt, durch die die Arbeitskraft beider Geschlechter noch immer kanalisiert wird (vgl.
236 In der Arbeit von Koppetsch/Burkart sind dies insbesondere Frauen, die dem traditionalen oder familistischen Milieu zuzuordnen sind.
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Krüger 1997). Studien, die sich mit den alltäglichen Aushandlungsprozessen auch in den Paarbeziehungen auseinandergesetzt haben, in denen beide Geschlechter sich an einer partnerschaftlichen Beziehung und die im Partnerschaftsmodell enthaltene Gleichheitsidee beziehen, haben sichtbar gemacht, wie subtil bestehende Asymmetrien in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern im Alltag wirksam und erneut hervorgebracht werden (vgl. Hochschild 1989; Kaufmann 1994; Koppetsch/Burkart 1999).
4.2.5.5 Kampf um Hausarbeit Vor dem Hintergrund der Diskussion über Konstellationen von Machtbeziehungen zwischen den Geschlechtern gehe ich jetzt zurück zu einer langen Textpassage, von der ich oben bereits einzelne Sequenzen interpretiert habe. Es handelt sich um den Abschnitt in dem Artikel von Ruhl (1995), in dem er den Widerspruch thematisiert, dass heute die meisten Männer und Frauen zwar eine partnerschaftliche Beziehung anstreben würden, kaum ein Mann jedoch die Hälfte der Hausarbeit übernehmen würde. Zum besseren Verständnis zitiere ich zunächst die gesamte Passage. Einzelne Sequenzen dieser Passage, auf die ich tiefer eingehe, greife ich dann an den entsprechenden Stellen wieder auf. „Im ersten Lebensjahr des Kindes übernimmt kaum ein Mann die Hälfte der Hausarbeit. Im Gegenteil. Er arbeitet mehr und länger als vorher. Sicher wegen des Geldes. Und wegen des Aufbaus der Karriere, der sonst nicht möglich wäre. Und sicher auch, weil es die Frau nicht fordert. Aber sicher auch, weil Männer nicht wissen, was sie zuhause eigentlich zu suchen haben. Die Frau ist nicht mehr zugewandt wie früher, erst kommen die Bedürfnisse des Kindes, dann die des Mannes. Von Sexualität ganz zu schweigen. Mit dieser Zurücksetzung werden viele Männer nicht fertig. Also entziehen sie sich. Und die Frau schimpft, weil sie so lange fort sind und sie mit dem Kind allein lassen und sie zu wenig unterstützen. Und überhaupt tun sie zu wenig im Haushalt. Wenn er dann mal was tut, dann nicht richtig. Noch ein Grund, sich zu entziehen. Oder zu kämpfen und den Haushaltsvertrag neu auszuhandeln. Es muss ja nicht immer 50/50 sein. Und wenn sie lieber bügelt, als die Dachrinne zu reinigen, warum nicht?
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Allerdings ist der Haushalt das traditionelle Terrain der Frau. Und sie wird nicht so einfach auf die Definitionsmacht, wie denn nun ein richtig sauberes Weinglas aussieht, verzichten.“ (Ruhl, PAPS 5/6 1995, 18)
Zunächst werden Überlegungen angestellt, wie es dazu kommt, dass Männer sich so wenig an den familialen Aufgaben beteiligen. Dabei drückt das Wort ‚sicher’ im ersten Absatz aus, dass der Autor Verständnis für die Orientierungen und Handlungen der Männer zeigt: Geld verdienen und Karriere aufbauen. Er übernimmt die Position des Trostspenders: ‚Ihr habt es schon schwer!’ Die damit einher gehende Dramatisierung führt aber wieder zu einer Affirmation der Verhältnisse, wie die folgende Analyse zeigt. Beschrieben wird, dass Männer nach der Geburt ihrer Kinder fast automatisch die klassischen Aufgaben des Familienernährers übernähmen. Die hohe Orientierung auf Erwerbsarbeit von Vätern wird aber auch als Resultat der Einstellung ihrer Partnerinnen verstanden, die trotz gemeinsam geteilter Vorstellungen von partnerschaftlicher häuslicher Arbeitsteilung diese nicht von ihren Männern einfordern würden. Allgemeiner formuliert: Die stärkere Erwerbstätigkeit des Mannes wird an dieser Stelle als Produkt von Aushandlungsprozessen in den Paarbeziehungen gesehen, und damit als individuelle Entscheidung und weniger als Ausdruck der sozialen Funktion des Familienernährers begriffen. Es deutet sich allerdings schon an, dass die Erwirtschaftung des Familienunterhalts nicht der einzige Grund zu sein scheint, den der Autor für die Absenz des Vaters im häuslichen Bereich sieht. Durch die Einleitung ‚aber sicher auch’ wird die angeführte Begründung für die häufige Abwesenheit von Vätern in der Familie durch ein weiteres, eher vages Argument ergänzt und relativiert: Männer wüssten nicht, was sie zuhause zu suchen hätten. Die Formulierung, nicht zu wissen, was man an einem Ort zu suchen hat, wird im Alltag verwandt, wenn sich jemand an einem Ort aufhält, wo er nicht gebraucht wird, überflüssig ist, nicht erwünscht ist. Mit der Wendung z. B., ‚Du hast hier nichts zu suchen’, verwehrt man jemanden den Zutritt zu einem bestimmten Raum und schickt ihn weg. Warum nun sollte der Vater zuhause unerwünscht, überflüssig sein? Weiter oben im Text hieß es noch, dass sowohl Frauen als auch Männer
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von einer partnerschaftlichen Beziehung ausgingen.237 Demnach müsste der Vater von seiner Partnerin zumindest als jemand erwünscht sein, der sich an der Hausarbeit beteiligt. Auch sonst ist in der Regel anzunehmen, dass in einer heterosexuellen Partnerschaft Frau und Mann Zeit miteinander verbringen wollen. Die Formulierung, Männer wüssten nicht, ‚was sie zuhause eigentlich zu suchen haben’, ist daher merkwürdig. Sie impliziert sowohl, dass sich Väter ‚zuhause’ nicht besonders erwünscht sehen würden, als auch, dass es zuhause nichts gibt, was für Väter interessant wäre, woran sich ihre Emotionen binden könnten. Nicht erwünscht, so der Autor, fühlten sich Väter, weil die Partnerin die Bedürfnisse des Kindes an erste Stelle setzen würde und ihrem Partner gegenüber nicht mehr so zugewandt sei. Ich habe diese Stelle bereits oben interpretiert. Die Möglichkeit, dass Männer ihre Anwesenheit in der Familie auch so verstehen könnten, dass sie sich ebenso um die verschiedenen Bedürfnisse ihrer Partnerinnen und ihrer Kinder kümmern, wie sich die Partnerin um die Bedürfnisse des Mannes und die des Kindes kümmern soll, wird mit der Vorstellung sehr unterschiedlicher Mutter- und Vater-Kind-Beziehungen systematisch ausgeblendet. „Also entziehen sie sich. Und die Frau schimpft, weil sie so lange fort sind und sie mit dem Kind allein lassen und sie zu wenig unterstützen. Und überhaupt tun sie zu wenig im Haushalt. Wenn er dann mal was tut, dann nicht richtig. Noch ein Grund, sich zu entziehen.“
In den bisher betrachteten Passagen des Artikels von Ruhl zeigte sich bereits ein Widerspruch zwischen der Aussage, dass Mütter eine stärkere Betätigung von Vätern im Haushalt nicht einfordern bzw. sogar verhindern würden einerseits und der Aussage, dass Frauen sich ein stärkeres Engagement von Männern in der Familie wünschten andererseits. Dieser Widerspruch spitzt sich nun innerhalb einiger Zeilen zu. Die grundlegende Argumentation, dass Mütter ihren angestammten Machtbereich nicht teilen wollten, erweist sich als brüchig. Jetzt wird behauptet, dass Mütter ein stärkeres Engagement von Vätern in der Familie gar nicht verhindern. Im Gegenteil, sie forderten es sogar ein. Die geringe, nicht die zu starke Beteiligung von Vätern am Haushalt sei Gegenstand von Konflikten, die
237 „Die meisten Männer streben eine Beziehung zu einer Frau an, die auf Partnerschaft basiert. Das bedeutet selbstverständlich, auch Aufgaben im häuslichen Bereich zu übernehmen, viele junge Paare sprechen von 50/50 Aufteilung.“ (Ruhl, PAPS 5/6 1995, 18)
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wiederum dazu führen würden, dass Väter sich weiter zurückzögen. In allen Fällen allerdings wird die Verantwortung für die Absenz von Vätern von der Familie und für die Aufrechterhaltung einer traditionellen Arbeits- und Aufgabenteilung Müttern zugeschrieben: Frauen schimpften, wenn ihr Mann so lange fort ist, sie schimpften, wenn er sich nicht am Haushalt beteiligt und, wenn er sich beteiligt, weil er alles verkehrt mache. Letztlich hätten Frauen es sich selbst zu zuschreiben, wenn sich ihre Partner aus dem Familiengeschehen zurückziehen. Männer fühlten sich ausgegrenzt und in Beschlag genommen zugleich und würden sich dem Druck der unterschiedlichen Erwartungen entziehen, die an sie herangetragen werden und die ihnen keinen Raum für eigenständige Entscheidungen ließen. Für Mütter ergibt sich aus der hier vorgenommenen Beschreibung eine paradoxe Situation: Fordern sie keine höhere Beteiligung von Vätern am Haushalt und in der Kinderbetreuung ein, bleiben Väter weg, fordern sie sie ein, dann auch. Im Folgenden wechselt der Autor die Perspektive. Er zeigt nun die Möglichkeit einer Aktivität von Vätern auf, aus der beschriebenen ‚machtlosen’ Position innerhalb der Familie heraus zu kommen: „Noch ein Grund, sich zu entziehen. Oder zu kämpfen und den Haushaltsvertrag neu auszuhandeln. Es muss ja nicht immer 50/50 sein. Und wenn sie lieber bügelt, als die Dachrinne zu reinigen, warum nicht?“
‚Noch ein Grund sich zu entziehen. Oder zu kämpfen ...’ Die Alternative scheint hier nur Entzug oder Kampf um die Verteilung von Hausarbeiten zu sein. Die Formulierung ‚Oder zu kämpfen’, unterstellt noch einmal, dass Väter von Müttern gehindert würden, Hausarbeiten zu übernehmen. Wie schon bei Matussek werden Väter als Unterlegene dargestellt, die sich in ihrem Interesse, sich stärker an den familialen Aufgaben zu beteiligen, gegenüber Müttern passiv ausgesetzt sehen. Die einzige Chance, die Ruhl hier – anders als Matussek – für Väter sieht, ist, für einen neuen Haushaltsvertrag ‚zu kämpfen’. Die Vertragsmetapher deutet an, dass es um Aushandlungsprozesse zwischen zwei gleichen Individuen geht. Die eher ironisch verwandte Kampfmetapher wiederum verweist darauf, dass die Verhandlungspartner auch mit unterschiedlichen Interessen ausgestattete Gegner sind. Ausgehandelt werden soll neu, wer welche Hausarbeiten übernimmt. Hausarbeit scheint hier zu einem begehrten Gut zu werden. Die Formulierung, ‚Es muss ja nicht immer 50/50 sein’ suggeriert eine gönnerhafte Geste von Seiten von Vätern: Wenn Frauen unbedingt wollten, könnten sie auch 70 Prozent der Hausarbeit übernehmen. Ebenso 266
erscheint es als Zugeständnis, dass die Wahl der Arbeiten auch nach Interessen gehen kann – und wenn da Frauen lieber bügeln, dann können sie das auch tun. Die unterstellte Freiwilligkeit der Aufteilung der Arbeit erinnert wieder an die Bewegung, die Koppetsch/Burkart (1999) für das Partnerschaftsverständnis im individualisierten Milieu herausgearbeitet haben: Arbeitsteilungen im Haushalt werden von Paaren innerhalb des individualisierten Milieus nicht mehr auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen und geschlechtstypische Sozialisation zurückgeführt, sondern „dem Individuum, seinen privaten Vorlieben und Interessen (...) angelastet“ (Koppetsch/Burkart 1999, 191). Dieser Individualismus verkehrt die ursprüngliche Absicht, konventionelle geschlechtstypische Arbeitsteilungen aufzulösen, in das Gegenteil. Das faktische Ungleichgewicht in der inner- und außerfamilialen Arbeitsteilung wird nun als Ergebnis individueller Neigungen interpretiert und damit fortgeschrieben. „Wer mehr macht, ist selber schuld.“ (Koppetsch/Burkart 1999, 192) In dem Artikel von Ruhl (1995) werden auf ironische Weise die dem Autor bekannten realen Verhältnisse – dass viele Frauen seit Jahrzehnten für eine gerechter Verteilung der Hausarbeit streiten – verdreht und damit sozial eingeschliffene ungerechte Arbeitsteilungen letztlich wieder akzeptiert. Die Vorstellung von Möglichkeiten einer gleichberechtigten Kooperation von Väter und Müttern in der Familie und die Vorstellung einer Gegnerschaft, eines Ringens um Macht, um Einflussmöglichkeiten und Anerkennung inner- und außerhalb der Familie, stehen in einer Spannung zueinander und es scheint unklar zu sein, welche Richtung eingeschlagen werden soll. Die ironische Wendung macht deutlich, dass es den Vätern hier im engeren Sinne nicht um das Ziel der partnerschaftlichen Teilung von Hausarbeit geht, wenn Frauen aufgefordert werden, ihre Macht in der Familie zu teilen. Worum sich der eigentliche Konflikt dreht, wird im folgenden Absatz deutlicher: „Allerdings ist der Haushalt das traditionelle Terrain der Frau. Und sie wird nicht so einfach auf die Definitionsmacht, wie denn nun ein richtig sauberes Weinglas aussieht, verzichten.“
Die ‚Macht’ die Frauen innerhalb der Familie zugeschrieben wird, wird hier zum ersten Mal benannt. Es geht weniger um die Hausarbeit an sich als um die ‚Definitionsmacht’, die Frauen in ihrem ‚traditionellen Terrain’ – im Haushalt und in der Kindererziehung – innehätten, welche mit Män 267
nern geteilt werden soll. Wie sich schon im Begriff des ‚Erfüllungsgehilfen’ angedeutet hat, rankt sich der Machtkonflikt um die Eigenständigkeit, die Selbstbestimmung von Männern innerhalb der Familie. Es geht um Autonomie und um Anerkennung. Auch die ‚ambivalenten Väter’, so wird erneut sichtbar, argumentieren aus einer Perspektive der Machtlosigkeit gegenüber Müttern. Anders als in den Texten Matusseks, in den die Ohnmacht von Vätern so stark dramatisiert wird, dass nur noch die Chance eines ‚Gegenschlags’ offen zu bleiben scheint, verharren die ‚ambivalenten Väter’ in einer eher larmoyanten Haltung, da sie den Konflikt, in dem sie sich bewegen, nicht zu einer Seite ‚auflösen’ können und wollen. Sie kreisen zwischen verschiedenen Möglichkeiten des Umgangs mit ihren Ambivalenzen: Versuche der Integration der verschiedenen Wünsche und Ängste finden sich ebenso wie Tendenzen von Harmonisierung in der Paarbeziehung durch Verkleinerung des Selbst sowie Polarisierungen und Spaltungen, die ähnlich wie bei Matussek in Richtung eines Geschlechterkampfes weisen.
4.2.6 Konzeptualisierungen von Familie, Paarbeziehungen und Elternschaft Anders als die Gruppe der ‚kämpfenden Väter’ sehen die ‚ambivalenten Väter’ Modernisierungs- und Individualisierungsprozesse nicht vorrangig negativ. Vielmehr nehmen sie Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen und in der Familie sowohl als Gefahr der Auflösung bisher tragender Institutionen und Normen wahr – als Infragestellung der traditionellen Kleinfamilie und der mit ihr verbundenen Arbeitsteilungen, als Verlust klarer Verhaltensanforderungen als (Ehe)mann und als Vater und damit verbunden als Verunsicherung ihrer Identität als Mann – als auch als eine Chance, andere Konzepte von Partnerschaft und Elternschaft zu leben und mehr individuelle Spielräume für die Ausgestaltung insbesondere ihrer Vaterschaft zu erhalten. In diesem abschließendem Abschnitt werden die aus dieser Perspektive resultierenden Konzeptualisierungen von Familie, Paarbeziehungen und Vaterschaft gebündelt.
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4.2.6.1 Familie und Partnerschaft: ‚nachholende Individualisierung’ von Vätern? In den Texten Matusseks, so hat sich gezeigt, wird die auf Kontinuität angelegte Kleinfamilie mit traditioneller Arbeitsteilung angestrebt und idealisiert, wobei der Vater-Kind-Beziehung ein größerer Raum zugesprochen wird, als es noch in den 50er Jahren der Fall war. Dieser bewusste Bezug und Rückgriff auf traditionelle Geschlechterarrangements resultiert sowohl aus dem objektiven Modernisierungsdruck durch gesellschaftliche Transformationsprozesse als auch aus den individuellen Kränkungen und Konflikten, die durch die Trennung der Partnerin hervorgerufen und die nicht verarbeitet wurden. Frauen, so Wunsch und Vorstellung, sollten sich nicht trennen, sondern ihre Verantwortung in der Familie wahrnehmen. Kränkungen durch eine Trennung der Partnerin kommen dagegen in den Texten von PAPS manifest kaum zum Ausdruck. Die Tatsache, dass Paarbeziehungen heute nicht mit der Garantie der Dauerhaftigkeit eingegangen werden, scheint von dieser Gruppe Väter besser akzeptiert zu sein. Auch wenn individuell Verlustgefühle und Kränkungen wegen des Endes einer Partnerschaft vorhanden sind, werden sie nur wenig artikuliert und vor allem werden diese Gefühle – zumindest auf der manifesten Ebene der Texte – weit weniger zur Legitimation hierarchischer Geschlechterarrangements und -beziehungen herangezogen. Dies spricht sowohl dafür, dass diese Gruppe Väter individuell über mehr Möglichkeiten der Konfliktverarbeitung verfügt als die ‚kämpfenden Väter’238 als auch dafür, dass wir es hier mit Männern zu tun haben, die einer eher individualisierten Vorstellung von Partnerschaft folgen, welche die Möglichkeit einer Trennung impliziert.239 Dadurch, dass die Trennung (von) der Partnerin eher respektiert wird, kann der Umgang mit dem Konflikt des Auseinandertretens der Paar-Beziehung und der Eltern-Kind-Beziehung reflektierter erfolgen als bei der Gruppe der ‚kämpfenden Väter’. Dies erhöht die Chance, im Falle einer Trennung trotz aller Schwierigkeiten mit der ehemaligen Partnerin im Dialog zu bleiben und gemeinsam mit ihr Lösungen für die nun auf-
238 Schon dass innerhalb der Väterinitiativen diese Gruppe von den ‚ambivalenten Väter’ als ‚Trennungsväter’ bezeichnet wird, verweist auf den hohen Stellenwert, den die Tatsache der Trennung –die Trennung von der Partnerin, die Trennung von dem Kind – für die Argumentation und die Aktionen dieser Väter hat. 239 Die positive Betonung einer zunehmenden Individualisierung von Vätern wurde bereits weiter oben deutlich.
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tauchenden Konflikte zu finden, vor allem für die Regelung des Sorgeund Umgangsrechtes.240 Der unterschiedliche Umgang mit Trennungen auf der Ebene von Paarbeziehungen, der in den Texten zum Ausdruck kommt, markiert eine Differenz zwischen den ‚ambivalenten Vätern’ und den ‚kämpfenden Vätern’. Wie sich bereits angedeutet hat, sind damit auch differente Konzepte von Partnerschaft und Familie verbunden. So lassen sich auf der manifesten Ebene der Texte in der Zeitschrift PAPS Vorstellungen einer individualisierten Paarbeziehung finden, in der sich beide Partner an der Idee der Gleichheit orientieren und die auf individuellen Aushandlungen beruht. Beispielhaft sei hier an die Auseinandersetzung um das Hausmann-Sein erinnert, bei der die Aushandlungsprozesse in der Paarbeziehung sehr pragmatisch dargestellt wurden. Normative Geschlechtsrollenzuweisungen, wie die Zuweisung der Funktion des Familienernährers an Männer, werden als gesellschaftliche Zwänge abgelehnt: Frauen sollen erwerbstätig sein, können sich Räume außerhalb der Familie aneignen. Männern sollen Aufgaben in der Familie übernehmen können, die traditionell Frauen zugeschrieben werden. Verschiedene Möglichkeiten von Arbeits- und Aufgabenteilungen zwischen den Geschlechtern werden diskutiert: Teilzeitarbeit für Männer und Frauen oder Hausmann sein. Die ‚ambivalenten Väter’ orientieren sich also anders als die Gruppe der ‚kämpfenden Väter’ eher am egalitären Partnerschaftscode mit dem Primat der freien Aushandlung individueller Interessen (vgl. Leupold 1983, 321; Koppetsch 1998, 113). Allerdings wird in den Artikeln auch deutlich, jedoch nicht weiter problematisiert, dass in der Realität dann doch oft das ‚rationale Kalkül’ (Krüger) greift und auf klassische Arrangements der Organisation von Beruf und Hausarbeit zurückgegriffen wird. Frau Müller z. B., die Mutter der Vierlinge, gibt ihre Erwerbstätigkeit auf, weil – so die Begründung im Artikel – ihr Mann das höhere Einkommen erzielt.
240 Dabei ist der Konflikt um Sorge- und Umgangsrechte bei dieser Gruppe von Vätern sogar insofern noch einmal zugespitzt, als die Analyse den Schluss zulässt, dass sie – insbesondere für die Zeit des familialen Zusammenlebens mit der Mutter der Kinder – der Beziehung zu ihren Kindern einen noch höheren Stellenwert zumessen, als die ‚kämpfenden Väter’ es tun.
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Claudia Born und Helga Krüger, die die Lebensläufe auch junger Frauen und Männer hinsichtlich ihrer Institutionenstrukturiertheit untersucht haben, halten dazu fest: „Die jungen Paare kalkulieren diesbezüglich sehr realistisch, mit dem Ziel, die beste Balance zwischen Erwerbseinkommen und Familienleben zu finden. Mit der Rationalität dieses Kalküls aber öffnet sich das Einfallstor für neu entstehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern auch bei der jungen Generation.“ (Born/Krüger 2000, 216)
Angelika Wetterer kommentiert diese Ausführung von Born/Krüger: „Die jungen Väter haben die besseren Karriere- und Einkommensmöglichkeiten, nur deshalb sind sie es, die im Beruf bleiben, das wurde vorher genau diskutiert und gemeinsam so beschlossen. So jedenfalls will es die Logik des Diskurses von Gleichberechtigung und Partnerschaft, die heute das Reden bestimmt. Der Ungleichheit, die umso größer wird, je länger die Paare zusammenbleiben, ist so gleichsam die Spitze genommen; sie verschwindet ebenso aus den Diskursen wie ‚die Verhältnisse’, denen die Schuld bemerkenswerterweise auch nicht in die Schuhe geschoben wird.“ (Wetterer 2003, 309)
Einen Weg, wie die Ungleichheit aus dem Diskurs verschwindet, haben Koppetsch/Burkart (1999) in ihrer Untersuchung ausgemacht. Wie bereits aufgezeigt, haben sie festgestellt, dass Paare, die dem ‚individualistischen Milieu’ zugerechnet werden, bestehende Ungleichheiten als Resultat individueller Entscheidungen interpretieren.241 Anders gesagt: Soziale Ungleichheiten werden von beiden Partnern nicht z. B. auf institutionelle Rahmenbedingungen oder auf die Orientierung des eigenen Verhaltens an traditionellen Geschlechtsvorgaben zurück bezogen, sondern als jeweilige persönliche Vorliebe oder Abneigung wahrgenommen, und damit reproduziert. Auch in der Zeitschrift PAPS, werden bestehende Ungleichheiten bei der Arbeits- und Aufgabenteilung zwischen den Geschlechtern weitgehend242 auf individuelle Entscheidungen zurückgeführt und die Verantwortung dafür letztlich vor allem Frauen zugeschrieben. Während das
241 Die Orientierung der ‚ambivalenten Väter’ am egalitären Partnerschaftscode lässt davon ausgehen, dass sie ebenfalls dem ‚individualistischen Milieu’ zuzuordnen wären. 242 Es gibt immer wieder kurze Verweise auf strukturelle Ungleichheiten, die aber vor allem in Bezug auf Ungleichheiten zu Ungunsten von Frauen nicht weiter diskutiert werden.
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Handeln von Männern noch gesellschaftlichen Zwängen unterläge, folgten Frauen in ihrem Handeln vor allem ihren individuellen Präferenzen. Anders als in den zitierten Studien werden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, wenn sie thematisiert werden, zu Ungunsten von Vätern ausgelegt. Frauen könnten durch ihre individuelle Entscheidung diese Ungleichheiten beseitigen, indem sie z. B. ihre Macht in der Familie teilten und sich Bereiche außerhalb der Familie erschließen würden. Wenn es nicht so recht gelingt, haben sie es wahrscheinlich nicht genug gewollt. Von hier aus wird auch die in einem Editorial aufgeworfene Frage deutlicher, ob Frauen schon ‚neu’ seien oder es noch werden müssten. Die Verhältnisse erscheinen in PAPS merkwürdig verdreht: Während in Bezug auf Frauen davon ausgegangen wird, dass sie sich bereits von ‚geschlechtsständischen Vorgaben’ (Beck) befreit hätten, bzw. sie dies ohne soziale Barrieren tun könnten, scheinen Väter in diesem Bereich noch etwas nachzuholen zu haben. Indem – wie sich bereits bei der Diskussion um ‚Macht’ gezeigt hat – radikal von den Arbeits- und Aufgabenteilungen und den Rechten und Pflichten innerhalb der Familie her geschaut wird, wird der herkömmliche Modernisierungs- und Individualisierungsdiskurs konterkariert. ‚Nachgeholte Individualisierung’ (Beck) wäre hier etwas, was auf Seiten der Väter zu erfolgen hat. Sie müssten sich nun von normativen Vorgaben des ‚Familienernährers’ lösen, sich die Familie als ‚neues’ Gebiet aneignen, selbstbestimmt neue Vorstellungen von Vaterschaft und eine neue Flexibilität entwickeln, um ‚Beruf und Kind’ besser vereinbaren zu können. Mit dieser Zielsetzung zeigen sich auf den ersten Blick Ähnlichkeiten zur feministischen Kritik des Individualisierungsdiskurses in der Soziologie. So wird dort der von Beck und anderen vertretenen These der ‚nachgeholten Individualisierung“’ von Frauen entgegen gehalten, dass Frauen nicht erst seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in den Arbeitsmarkt eingebunden seien – allerdings auf prekäre Weise – und dass daher für sie in dem Hin- und Herbewegen zwischen Beruf und Familie Phänomene der Flexibilisierung, ein Indikator für Individualisierungsprozesse, nicht neu wären. Neu seien sie hingegen für Männer, die heute nicht mehr selbstverständlich von einer lebenslangen Vollzeitberufstätigkeit ausgehen können (vgl. z. B. Becker-Schmidt 1996a) und die sich mehr als zuvor in der Familie engagieren wollen und müssen. In dieser Perspektive hätten also Männer durchaus etwas nachzuholen. Der Vergleich beider Argumentationen hinkt aber, weil, wie sich gezeigt hat, die Einbindung von Frauen und Männern in den Arbeitsmarkt und damit verbundene Ungleichheiten von den ‚ambivalenten Vätern’ ausgeblendet werden. 272
4.2.6.2 Ambivalente Akteure der Modernisierung Die Gruppe der ‚ambivalenten Väter’ kommt den sozialen Akteuren nahe, die Angelika Wetterer im Blick hat, wenn sie von einer ‚rhetorischen Modernisierung’ spricht. Für die ‚rhetorische Modernisierung’ ist nach Wetterer eine Widerspruchs-Konstellation kennzeichnend, die unter anderem darauf beruhe, dass sich „Kultur- und Strukturzusammenhang gegeneinander verschoben haben“ (Wetterer 2003, 289). Ihr zufolge hat das zeitgenössische alltagsweltliche Wissen über die Geschlechterdifferenz durch die Diskurse der Geschlechtergleichheit eine Modernisierung erfahren und ist damit den Strukturen des Geschlechterverhältnisses und der sozialen Praxis der Individuen vorausgeeilt. Auch auf der Ebene sozialer Strukturen und Institutionen sei zwar ein Wandel erfolgt. Diese Veränderungen seien jedoch von Ungleichzeitigkeiten und Widersprüchen geprägt: Durch sie hindurch zeige sich insgesamt ein großes Beharrungsvermögen bezüglich der Konservierungen hierarchischer Geschlechterverhältnisse und -arrangements. Es zeige sich also einen Kluft zwischen den Veränderungen des alltagsweltlichen Wissens über Geschlecht und den Veränderungen sozialer Strukturen und Institutionen. Eine zweite Kluft bestünde zwischen ‚diskursivem Wissen’ und der sozialen Praxis, die einem ‚inkorporierten Wissen’ folge. Die Kluft würde insbesondere in der Praxis der Haushaltsführung im ‚individualistischen Milieu’ (Koppetsch/Burkart 1999) sichtbar, wie Wetterer am Beispiel der Paar-Studien von Jean-Claude Kaufmann (dt. 1994) und Koppetsch/Burkart (1999) aufzeigt. Hier würden sich beide Partner einerseits an der Idee der Gleichheit orientieren und damit in ihrem alltagsweltlichen Wissen dem inzwischen breiten gesellschaftlichen Diskurs über Geschlechtergleichheit folgen. Andererseits folge die soziale Praxis von Frauen und Männern in starkem Ausmaß einem vergeschlechtlichten inkorporierten Wissen, über das sich ohne Absicht der Individuen im Handeln Differenzierungen und Hierarchisierungen entlang der Trennlinie Geschlecht (re-)produzieren. Unter dem Vorzeichen ‚rhetorischer Modernisierung’, so Wetterer, bestünden Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche also nicht nur zwischen den Individuen und den sozialen Verhältnissen. Vielmehr steckten die Ungleichzeitigkeiten jetzt auch in den Individuen selbst (Wetterer 2003, 302). Über die soziale Praxis der von mir in den Blick genommenen Väter, die sich in Väterinitiativen engagieren, kann ich aus meinem Material heraus zwar keine Aussagen treffen. Die sehr detaillierte hermeneutische Interpretation, die auch den latenten Sinngehalt der Texte erfasst, lässt 273
dennoch etwas sichtbar werden von dem, das Wetterer unter dem Begriff der ‚rhetorischen Modernisierung’ diskutiert. So zeigt sich einerseits, dass sich insbesondere die Gruppe der ‚ambivalenten Väter’ in ihrem Denken stark am Diskurs der Geschlechtergleichheit orientiert. In einem zum Teil manifesten, in der Regel aber latenten Widerspruch dazu greifen sie in ihren Argumentationen aber auch auf biologische und psychologische Konstruktionen der Geschlechterdifferenz zurück, wobei sie darin eingelassene Auf- und Abwertungen übernehmen und so zugleich zur Reproduktion von Hierarchien zu Ungunsten von Frauen beitragen. Gleichzeitig werden bestehende soziale Ungleichheiten zu Ungunsten von Frauen dethematisiert. Wetterer unterscheidet, zumindest hinsichtlich der Individuen, die sich im ‚individualistischen Milieu’ bewegen, deutlich zwischen zwei Wissensformen: Zum einen das diskursive Wissen über ‚Geschlecht’, das sie gleichsetzt mit versprachlichten alltagsweltlichen Wissen, in welchem sich der seit vielen Jahren geführte Gleichheitsdiskurs niederschlägt. Zum anderen ein ‚inkorporiertes Wissen’ und damit nichtsprachliches alltagsweltliches ‚Wissen’, das durch latente, der Reflexion nicht zugängliche Geschlechtsnormen das Handeln bestimmt.243 Im Hinblick auf die von mir untersuchten Texte der ‚ambivalenten Väter’ lässt sich diese scharfe Trennung der Wissensformen und -inhalte nicht durchgängig nachvollziehen. Vielmehr zeigen sich in ihnen eklatante Widersprüche auch auf der Ebene des diskursiven Wissens selbst, auch wenn diese Widersprüche nur wenig reflektiert werden. Sie geben aber Hinweise darauf, dass die Individuen auch manifest über die Differenzen zwischen ihren Orientierung an Gleichheit und dem ‚eigensinnigen Beharrungsvermögen des praktischen Handelns’ sowie den Beharrungskräften der Institutionen ‚stolpern’. Nach Wetterer würden diese Widersprüche nicht zur Sprache gebracht. Zum einen, weil die inkorporierten Praktiken mit dem Gefühl verbunden seien, mit sich im Einklang zu sein. Zum anderen, weil die offenen Aushandlungen über Arbeitsteilungen verbunden sind mit einer prekären Machtbalance in den Paarbeziehungen. Meine Ergebnisse sprechen dafür, dass Widersprüche auch manifest zur Sprache kommen können. Damit wird ein Möglichkeitsraum für die Reflexion
243 Hier zeigen sich in der Argumentation große Nähen zu Bourdieu (dt. 1997). Bourdieu geht davon aus, dass sich die Beharrungskräfte des Habitus (des inkorporierten Wissens) „sich nicht durch eine einfache, auf die befreiende Bewusstwerdung gegründete Willensanstrengung aufheben (lassen)“ (Bourdieu 1997, 171).
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derselben eröffnet, der allerdings von den ‚ambivalenten Vätern’ nur wenig genutzt wird. Ich stimme Wetterers präzisier Diagnose des derzeitigen Modernisierungsprozesses weitgehend zu und finde ihre Unterscheidung der Wissensformen und ihrer Ungleichzeitigkeit heuristisch sehr hilfreich. Gleichwohl ist in ihrer Perspektive letztlich nur ein Ausgang möglich: Das inkorporierte Wissen setzt sich durch, soziale Praxen folgen dem Muster des immer schon so Gewesenen und reproduzieren damit Hierarchien zwischen den Geschlechtsgruppen. Obgleich ich derzeit keinen Optimismus verbreiten würde, was den Abbau von Hierarchien in den Geschlechterverhältnissen betrifft und auch ich davon ausgehe, dass über latente Geschlechtsnormen nicht intentional verfügt werden kann, so finde ich doch den Gebrauch des Begriffs des ‚inkorporierten Wissens’ ein wenig zu eng. Wenn unbewusst von den Akteuren – Männern wie Frauen – immer wieder nur das bereits Gewesen reproduziert wird, woher können dann Impulse für Veränderung kommen? Vor dem Hintergrund meiner Ergebnisse würde ich daher stärker als Wetterer an den Konflikten ansetzen, denen die Individuen ausgesetzt sind. Solange diese bestehen und nicht abgespalten werden, können sie auf Seiten der Individuen auch Motor für Veränderungen sein. Ich würde daher zu Seiten der Individuen nicht von ‚Ungleichzeitigkeiten’ sprechen, die ‚in ihnen’ zum Ausdruck kämen. Die in sich hoch widersprüchlichen Aussagen im manifesten Text und auch zwischen manifesten und latenten Sinngehalt der von mir analysierten Artikel, lassen sich meines Erachtens mit dem Begriff der ‚Ambivalenz’ in ihrer Konflikthaftigkeit besser begreifen. ‚Ambivalenz’ lässt sich, wie oben diskutiert, auch als individuelle Reaktion auf soziale Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche in den Geschlechterverhältnissen und den Arrangements zwischen den Geschlechtern verstehen. Als Konfliktkategorie ist ‚Ambivalenz’ eine Kategorie der Vermittlung, die hilft zu erkennen, wie eine in sich widersprüchliche und hierarchische soziale Realität mit den sozialen Praxen und Orientierungen der Individuen in einem Zusammenhang stehen. In Wetterers Perspektive kann nur unzureichend gefasst werden, wie die ‚Ungleichzeitigkeiten’ in die Individuen gelangen und welche vielleicht auch differenten (individuellen) Möglichkeiten diese haben, damit umzugehen. Auf der Basis der derzeit vorliegenden Paar-Studien würde ich vermuten, dass sich die Widersprüche, die in den Texten der ‚ambivalenten Väter’ auf der Ebene des sprachlichen Wissens zum Ausdruck kommen, sich auch in den sozialen Praxen dieser Gruppe Väter niederschlagen – je nach sozialem Kontext, biographischen Entwicklungen und individueller 275
Situation. Während Wetterer vorrangig den Widerspruch zwischen Diskurs und sozialer Praxis fokussiert, würde ich von meinen Ergebnissen her den Blick noch einmal stärker auch auf die Widersprüche innerhalb des Diskurses und für weitere Forschungen auch innerhalb der sozialen Praxen lenken. Dies hebelt die von Wetterer angesprochen Widerspruchkonstellation nicht aus, sondern verweist nur auf die Komplexität und Konflikthaftigkeit der derzeitigen sozialen Prozesse. Der gleichzeitig von Wetterer beschriebene Widerspruch zwischen nach wie vor bestehenden sozialen Ungleichheiten und Hierarchien und einem Gleichheitsdiskurs, der so tut, als wäre Gleichheit zwischen den Geschlechtsgruppen bereits hergestellt, lässt sich dagegen ganz konkret auch bei der Gruppe der „’ambivalenten Väter’ zeigen. Nicht thematisiert werden von ihnen allerdings Ungleichheiten nur zu Ungunsten von Frauen. Ungleichheiten zu Ungunsten von Männern, insbesondere Vätern, werden dagegen hervorgehoben. Die Dethematisierung bestehender Hierarchien in den Geschlechterverhältnissen und -beziehungen bei gleichzeitiger Betonung von Ungleichheiten zu Ungunsten von Männern bildet ein ‚Einfallstor’ für Argumentationen, die von einem ‚Geschlechterkampf’ ausgehen und damit die Ambivalenzen durch Polarisierung ‚lösen’. Bestehende Konflikte und Widersprüche könnten dann nicht mehr reflektiert werden. Gerade aufgrund der starken Widersprüchlichkeit dieser Gruppe, ist aber noch offen, in welche Richtung sie sich entwickeln wird.
4.2.6.3 Konzeptualisierungen der Vater-Kind-Beziehung Ähnlich wie bei den ‚kämpfenden Vätern’ steht auch bei den ‚ambivalenten Vätern’ die große Relevanz, die die Beziehung zum Kind für sie hat, im Vordergrund. Wie oben deutlich wurde, befürchten sie, aus der Symbiose zwischen Mutter und Kind ausgeschlossen zu werden und insbesondere im Falle der Trennung von der Mutter und dem Kind nicht im gleichen Maße eine eigenständige Beziehung zum Kind aufbauen zu können. Diese große Bedeutung, die der Vater-Kind-Beziehung in allen Texten zugemessen wird, lässt annehmen, dass sich auch auf diese Gruppe von Vätern die von Beck konstatierte These anwenden lässt, dass das Kind heute zur letzten unaufkündbaren und unaustauschbaren Primärbeziehung werde (vgl. Beck 1986, 193). Anders als die ‚kämpfenden Väter’, von den die Vater-Kind-Beziehung als archaische stilisiert wird, die unabhängig vom Tun des Vaters besteht, betrachten jedoch die ‚ambivalenten Väter’ die Qualität der Vater-Kind-Beziehung als abhängig von der Aktivität und 276
Emotionalität des Vaters – und dies hat, wie deutlich wurde, auch Konsequenzen für ihr Verständnis von ‚Männlichkeit’. Das Kind ist in den Texten der Zeitschrift PAPS nicht nur ein Platzhalter, der für Sehnsucht nach Kontinuität und Unveränderbarkeit steht, die in der Paarbeziehung nicht gewährleistet werden kann. Die VaterKind-Beziehung erscheint in den Texten insgesamt vielmehr als ein – wenn auch leicht idealisiertes –- lebendiges Gefüge, in dem es Konflikte, Verweigerungen und Annäherungen, Liebe und Abgrenzung geben kann. Wie sich oben bereits andeutete, wechselt sich jedoch der Wunsch, ein nährender und fürsorglichen Vater sein zu können, mit dem Wunsch nach einer kameradschaftlichen Beziehung zum Kind ab, in der Vater und Kind als Gleiche oder Ähnliche konzipiert sind. Beide Blicke auf die Beziehung zum Kind sind dynamisch miteinander verbunden: Beim Wunsch ein nährender und fürsorglicher Vater zu sein, geht es vor allem darum, den Handlungsspielraum als Mann in Bezug auf das Kind zu erweitern und damit um die Frage nach einer neuen Funktion und Position des Vaters innerhalb der Familie, die sich der der Mutter annähern soll und zugleich die Mutter weitgehend verzichtbar macht. Diesem Wunsch ist also bereits die Vorstellung der Möglichkeit einer Trennung von der Mutter implizit. Mit dem Wunsch nach einer egalitären, kameradschaftlichen Beziehung zum Kind stellt sich der Vater mit dem Kind auf eine Stufe und steigt damit tendenziell aus der elterlichen Bezugnahme auf das Kind aus. Mit der Perspektive des Vaters als Spielkameraden der Kinder machen sich die Väter selbst ‚klein’. So vermeiden sie eine Konkurrenz mit der Partnerin. Dafür bleiben sie aber in einer ohnmächtigen Position, die nur durch die Negation der Relevanz der Partnerin für sich und als Mutter für das Kind kompensiert werden kann. Gleichzeitig kann die Darstellung des Vaters als ‚Kumpelvater’ auch als Versuch gelesen werden, in der Beziehung zum Kind etwas anderes als die Mutter auszudrücken. Dies trifft insbesondere für die Vater-Sohn-Beziehung zu, die in den Texten als stark identifikatorische Beziehung konzipiert ist. Beide Positionierungen in der Beziehung des Vaters zum Kind, die des versorgenden und die des kameradschaftlichen Vaters, sind wiederum mit Konflikten verbunden, bei denen die Väter hin und her schwimmen zwischen der Chance zur Erweiterung ihrer Handlungsspielräume als Mann – insbesondere im Hinblick auf die Intensität der Beziehungen zum Kind – und dem Zwang zur Aufgabe männlicher Privilegien und der Infragestellung ihrer Identität als Mann.
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5 Widersprüchliche Veränderungen in den Geschlechterarrangements und Geschlechterbeziehungen – Konflikte in den Selbstdeutungen von Vätern: Ein Resümee
Rufen wir uns noch einmal in Erinnerung: In der vorliegenden Arbeit habe ich Texte analysiert aus dem Kontext von Väterinitiativen, welche als Selbsthilfegruppen und politische Pressuregroups zugleich agieren. Die sich dort engagierenden Väter sind also Akteure einer politischen Öffentlichkeit. Sie sind in der Lage, geschlechterpolitisch nach wie vor ungelöste Fragen wie z. B. das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder die Verteilung von Arbeit, Macht und Anerkennung zwischen den Geschlechtern, die Funktion und Position von Vätern und Müttern unter spezifischen Blickwinkeln öffentlich (neu) zu artikulieren, Debatten zu initiieren und damit gesellschaftliche Meinungsbildungsprozesse mit zu beeinflussen.244 Die Texte, die ich analysiert habe, entstanden alle in der zweiten Hälfte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts und stammen von Vätern, die sich auch individuell von den von ihnen thematisierten Phänomenen betroffen sehen. Die Publikationen aus dem Kontext von Väterinitiativen bilden einen Strang eines größeren Diskurses über ‚Geschlecht’ und ‚Elternschaft’. Dies sieht man daran, dass sich einerseits in beiden Spektren der Väterinitiativen Deutungsmuster und Argumentationsfiguren aus psychologischen, pädagogischen und rechtlichen (semi)wissenschaftlichen Publikationen wiederfinden, auf welche sich die in Väterinitiativen engagierten Väter beziehen und die zum Teil in ihr Alltagswissen übergegangen sind. Gleichzeitig haben aber auch in den letzten Jahren Deutungsmuster und Argumentationsfiguren, wie sie in den jeweiligen Spektren der
244 Was nicht heißt, dass sie diese Fragen auch reflektieren.
Väterinitiativen vertreten werden, immer mehr Eingang in den massenmedialen Diskurs gefunden.245 Auch neuere Analysen der Diskurse über Vaterschaft (Drinck 2005) legen nahe, dass sich die zentralen Deutungsmuster des ‚Geschlechterkampfes’ und der ‚männlichen Autonomie in Geschlechterkooperationen’, die als Ausdeutungen des derzeitigen Geschlechterarrangements mit spezifischen Deutungsmustern von Vaterschaft und Männlichkeit einher gehen, in wissenschaftlichen Texten und massenmedialen Produktionen wiedererkennen lassen. Dort konkurrieren sie jedoch auch mit anderen, die innerhalb der Väterinitiativen irrelevant sind. Ich möchte dies kurz beispielhaft anhand der Ergebnisse der diskursanalytischen Untersuchung von ‚Vaterbildern’ von Barbara Drinck (2005) konkretisieren. Drinck kommt bei ihrer diskursanalytischen dia- und synchronen Untersuchung von Vatertheorien insbesondere in der Pädagogik, aber auch in der Psychologie und Soziologie zu dem Schluss, dass sich am Ende des 20. Jahrhunderts eine Vielfalt von Vaterbildern erkennen lassen. Dies war nicht immer so. Ihr zufolge dominierten im späten 19. und vor allem im 20. Jahrhundert Theorien über den ‚demontierten Vater’: Der Vater wurde eher negativ beschrieben, die väterlichen Aufgaben wurden immer mehr auf seine Funktion als Familienernährer reduziert. Mit der 68er-Bewegung schließlich seien dem Vater auch die Autoritätsrechte abgestritten worden und es entstand nach Drinck ein Bild des ‚abgelehnten Vaters’, der für sein Kind nicht förderlich sei (vgl. hierzu auch Lenzen 1991). In den vergangenen Jahren allerdings hätten sich die Vaterbilder ausdifferenziert: Mit einer Destruktion oder Demontage des Vaters ließen sich nur noch zwei Vaterbilder in Verbindung bringen, der ‚abgelehnte Vater’ und der ‚neue Verlierervater’, der Vater, dem seinen Rechte immer wieder streitig gemacht würden. Das Bild des ‚traditionellen Vaters’, mit dem auf traditionelle Vorstellungen väterlicher Macht zurückgegriffen wird, erfahre dagegen eine starke Aufwertung. Dieses ‚hegemoniale Konzept’ des traditionellen Vaters identifiziert Drinck als Leitprinzip der heutigen Vaterforschung (vgl. Drinck 2005, 230). Zeitgleich würde aber auch die Vorstel-
245 Vgl. z. B. in jüngerer Zeit: Mangold, Ijoma (2005): Der kaltherzige Ernährer, die liebende Verlassene; Lau, Jörg (2004): Perfekte Mannsbilder. Muskulös und mütterlich: Boulevardpresse und Kino preisen den sorgenden Superpapa; Caspary, Esther (2004): Väter oder nur Erzeuger; Plewina, Ulrike (2003): Väter an die Front. Interessant ist, dass viele dieser Artikel auch von Journalistinnen verfasst werden.
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lung des ‚neuen, engagierten Vaters’246, also des Vaters, der sich emotional stark in die Beziehung zu seinem Kind einbringt und sich an den Erziehungsaufgaben beteiligt, verstärkt Anerkennung erfahren. Daneben existiert noch ein Bild des ‚neuen, gespaltenen Vaters’, der eine Auflösung seiner Rolle als Vater erlebe und aus dieser Unsicherheit heraus einerseits auf traditionelle Konzepte von Vaterschaft Bezug nehme, sich andererseits aber auch stark emotional für das Kind engagiere (vgl. Drinck 2005, 223 ff). Ich will auf die Ergebnisse von Drinck nicht ausführlicher eingehen. Es zeigt sich allerdings, dass sich ein Teil der von ihr herausgearbeiteten ‚Vaterbilder’ in den Publikationen der Väterinitiativen wiederfinden: So lässt sich in den Selbstbeschreibungen der ‚kämpfenden Väter’ unschwer die Ausdeutung des Vaters als ‚Verlierervater’ wiedererkennen. Diese Selbstdarstellung als Opfer und ‚Verlierer’ ist aber nur eine Seite. Im Gegenzug zu dieser Selbstzuschreibung orientieren sich diese Väter am Bild des traditionellen Vaters. Die ‚ambivalenten Väter’ würde ich aufgrund ihrer schwankenden Orientierung zwischen einem traditionellen Vaterbild und Vorstellungen einer engagierten Vaterschaft als die ‚neuen, gespaltenen Väter’ identifizieren. Dieser kurze Exkurs macht deutlich, dass die von mir herausgearbeiteten Deutungsmuster von Vaterschaft zu einem neuen Set von Deutungsmustern von Vaterschaft und Väterlichkeit gehören, die auch über den Diskurs der Väterinitiativen hinaus relevant sind. Die Existenz gleicher Ausdeutungen von Vaterschaft in verschiedenen Diskurssträngen eines größeren Diskurses über ‚Geschlecht’ und ‚Elternschaft’ legt nahe, dass sich die neuen Ausdeutungen von Vaterschaft wechselseitig abstützen und verfestigen können, wobei offen ist, welche Ausdeutungen in welchen sozialen Kontexten sich als die dominanten erweisen werden. Selbst in dem einzelnen Diskursstrang der Publikationen der Väterinitiativen, so zeigt sich, stehen verschiedene Ausdeutungen von Vaterschaft nebeneinander. Dabei ist davon auszugehen, dass sich im Feld der Väterinitiativen die Vorstellungen von heutigen Vätern als ‚Verlierervätern’ und die damit einher gehenden Orientierungen am ‚traditionellen Vater’ allein durch die Masse und Massivität ihres Auftretens als dominant erweisen werden. Zudem findet sich die für ‚kämpfenden Väter’ typische Orientierung am traditionellen Familienernährermodell in der Koppelung mit der Vorstellung eines emotional engagierten Vaters, den das Kind als
246 Nach Drinck eine zeitgenössische Variante des Bildes des ‚neuen’ Vaters, das in der Romantik vom Bürgertum aufgegriffen wurde.
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Komplement zur Mutter braucht, auch in den heutigen rechtlichen, familien- und arbeitsmarktpolitischen Diskursen.247 Anzunehmen ist, dass damit das von den ‚kämpfenden Vätern’ innerhalb der Väterinitiativen vertretene Deutungsmuster von Vaterschaft auch über diese hinaus gestärkt wird, selbst wenn das Deutungsmuster ‚Geschlechterkampf’ nicht geteilt wird. Ich habe in einem ersten Schritt gezeigt, dass sich die von mir herausgearbeiteten Deutungsmuster von Vaterschaft und Väterlichkeit in den Publikationen von Väterinitiativen in einen übergreifenden Diskurs einordnen lassen. Stärker als um die Frage der Verbreitung dieser Deutungsmuster ging es mir in der vorliegenden Fallstudie jedoch darum, die Tiefenstruktur der vorfindbaren Deutungsmuster herauszuarbeiten und exemplarisch die Arbeit dieser Väter an der Kategorie ‚Geschlecht’ zu zeigen. Ungelöste Konflikte um Veränderungen von Vaterschaft, von Väterlichkeit und Männlichkeit in den derzeitigen Arrangements und Beziehungen zwischen den Geschlechtern und ihre Interpretationen lassen sich anhand der aus dem Kontext von Väterinitiativen entstandenen Texte wie unter einem Brennglas betrachten. Darauf zielte meine Arbeit und unter dieser Perspektive möchte ich im Folgenden die zentralen Ergebnisse zusammenfassend reflektieren. Dabei werden in einem ersten Schritt kurz die Gemeinsamkeiten in der Bezugnahme auf gesellschaftliche Veränderungen ge-nannt, soweit sie sich durch die Ergebnisse der Textanalyse konkretisiert haben: Welchen Prozessen sozialen Wandels sehen sich die Väter gegenüber gestellt? In einem zweiten Schritt wird dargestellt, wie die konstatierten Veränderungen unterschiedlich interpretiert und gewichtet werden: Welche Unterschiede, aber auch Ähnlichkeiten, zeigen sich in den Deutungsmustern und Argumentationen der sich in Väterinitiativen engagierenden Väter? In dem dritten und letzten Schritt wird der damit verbundene Umgang mit Gleichheit, Differenz und Hierarchie zusammengefasst: Kommt es in den verschiedenen Publikationen zu einer ‚Um247 Wiebke Kolbe, die Vaterschaftskonstruktionen im Wohlfahrtsstaat untersucht hat, zeigt auf, dass mit der Einführung des Erziehungsurlaubs 1986 sowie der Reform des Erziehungsgeldgesetzes 1993 die Funktion von Vätern als Familienernährer zwar eingeschränkt wurde, da jetzt 98% der Leistungsempfänger Frauen geworden sind, aber nicht außer Kraft gesetzt wurde. Auch die Umwandlung des Erziehungsurlaubmodells in Elternzeit im Januar 2001 habe die Konstruktion des Vaters als Familienernährer zwar weiter abgeschwächt, aber nicht aufgehoben. Diese letzte Novellierung legt ihr zufolge zudem die Lesart nahe, dass durch das dort eingelassene Ideal einer gemeinsamen Betreuung des Kindes, in der beide Geschlechter ihren spezifischen Beitrag leisten, die Geschlechterspezifik und Komplementarität der deutschen Elternschaftskonstruktion noch verstärkt werden (vgl. Kolbe 2001, 194/195).
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schrift der Differenz’? Erfolgt dabei eine Maximierung oder Minimierung von Differenz? Ist dies mit der Auflösung oder Festschreibung bestehender Hierarchien verbunden?
5.1 Sozialer Wandel als Machtkampf oder Identitätskonflikt Meine Arbeit zeigt, dass sich die Angehörigen der beiden Spektren der Väterinitiativen, die ‚kämpfenden Väter’ und die ‚ambivalenten Väter’, an differenten Deutungsmustern orientieren, die sich auch in ihrer Tiefenstruktur unterscheiden. Vor allem der Umgang mit der von den Vätern geteilten Verunsicherung, welche Funktion und Position ihnen als Vater und Mann heute – gesellschaftlich und individuell – noch zukommt und die Interpretation der damit verbundenen Konflikte erweisen sich als verschieden. Dies gilt, obgleich die Väter in beiden Spektren aus gleichen Milieus stammen,248 in gleicher Weise Prozesse der Modernisierung der Geschlechterverhältnisse und -beziehungen zum Ausgangspunkt ihres Engagements nehmen sowie ähnliche individuelle Erfahrungen in Bezug auf eine konflikthafte Trennung und/oder Scheidung gemacht haben.249 Wie Meuser für ‚Männergruppen’ der ‚bewegten’ Männer festgestellt hat, bilden auch für die Väterinitiativen die „vom feministischen Diskurs vorgegebenen Themen und Thesen (...) den Rahmen“ (Meuser 1998a, 223), in dem die Auseinandersetzungen mit Vaterschaft und Väterlichkeit stattfinden.250 Dies betrifft zum einen auf einer generellen Ebene die Übernahme zentraler Themen der westdeutschen Frauenbewegung wie Gleichheit und Differenz, Autonomie und Identität – Konzepte und Begriffe, die jetzt auf die soziale Situation von Vätern bezogen und damit zum Teil inhaltlich verdreht werden. Zum anderen sind die von den Vätern
248 Es hat sich in allen von mir bearbeiteten Texten und Hintergrundinformationen kein Hinweis darauf gefunden, dass mit den unterschiedlichen Spektren auch verschiedene Milieus verbunden sind. 249 Väterinitiativen in der Bundesrepublik sind also nicht nur als die ‚väterliche Seite der Maskulistenbewegung’ zu betrachten, wie es z. B. in einem jüngst gesendeten Dokumentarfilm gesagt wurde („In Nomine Patris. Die Interessen der Väterbewegung“, ARTE, 22.03.05). Aber sie sind auch nicht einfach eine Gruppe ‚neuer Väter’, die von Frauen behindert werden, ihr väterliches Engagement auszuleben, wie es andere Medien zum Ausdruck bringen. 250 Letzteres bedeutet nicht, dass damit gleichzeitig eine Beschäftigung mit der eigenen Geschlechtlichkeit verbunden ist. Hier wurden große Unterschiede zwischen den ‚kämpfenden Vätern’ und den ‚ambivalenten Vätern’ deutlich.
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angeführten neuen Problem- und Konfliktlagen als Ausdruck der von der Frauenbewegung angestoßenen rechtlichen, familien- und arbeitsmarktpolitischen Veränderungen zu sehen, mit denen auch neue normative Interpretationen von Geschlechter- und Eltern-Kind-Beziehungen einhergehen. Von besonderer Relevanz ist hierbei die widersprüchliche Entwicklung der zunehmenden zeitlichen Begrenztheit heterosexueller Paarbeziehungen einerseits und der weiterhin auf Kontinuität angelegten Beziehungen zwischen Elternteil und Kind andererseits.251 Diese Spannungen zwischen Diskontinuität und Kontinuität in den familialen Beziehungen können von den Individuen nicht einfach aufgelöst werden, sie müssen aber Modelle und individuelle sowie gesellschaftliche Räume finden, damit umzugehen. Ein weiterer zentraler Konflikt, den diese Väter thematisieren, sind die widersprüchlichen Anforderungen, die sich auf Vaterschaft beziehen: So nehmen sie wahr, dass das Modell des Vaters als Familienernährer in den Anliegerinstitutionen der Familie, im Recht, in den sozialstaatlichen Sicherungen, auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor das dominante Deutungsmuster ist. Andererseits sehen sie sich aufgefordert, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, Betreuungs- und Sorgeleistungen für ihre Kinder zu übernehmen. Diese widersprüchlichen Anforderungen werden aber sowohl von ihnen selbst als auch gesellschaftlich nicht genügend reflektiert. Neben diesen Konflikten werden von den Vätern auch soziale Veränderungen problematisiert, in denen es explizit um Verschiebungen von Macht und Handlungssicherheiten geht: Problematisiert wird zum Beispiel die verbesserte Sicherung der Selbstständigkeit von Frauen im Falle einer Trennung und Scheidung, welche durch ihren Unterhaltsanspruch bzw. Anspruch auf wohlfahrtsstaatliche Leistungen besteht, sowie durch ihr gewachsenes ökonomisches Potential vermittels Erwerbstätigkeit. Der zunehmenden Einbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt steht eine gleichzeitige Verschlechterung der Stellung von Männern auf dem Arbeitsmarkt gegenüber. Auch für Männer ist heute eine ungebrochene Erwerbsbiographie nicht mehr selbstverständlich. Beides, die größere Autonomie von Frauen gegenüber Männern durch eine verbesserte ökonomische Absicherung wie die gleichzeitige Verschlechterung der ökonomischen Position von Männern, wird als verunsichernd wahrgenommen.
251 Bei gleichzeitigem Sinken der Geburtenrate.
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Ein weiterer von der Frauenbewegung umkämpfter und von Vätern – in den von mir analysierten Texten eher subtil252 – aufgegriffener Bereich ist die größere Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper und ihre Generativität.253 Rechtliche und normative Veränderungen, die diesen Bereich tangieren und die Möglichkeiten des männlichen und staatlichen Zugriffs auf den Körper der Frau in Fragen der Schwangerschaft und Geburt verringert haben, scheinen als Kontrollverlust wahrgenommen zu werden und Verunsicherungen über die Relevanz des Anteils von Männern an der generativen Reproduktion hervorzubringen. Die Versuche, mit den – zum Teil widersprüchlichen – Anforderungen und sozialen sowie politischen Veränderungen umzugehen, sind für die Väter mit Konflikten und Ambivalenzen verbunden, welche durch die Trennung (von) der Partnerin und Mutter der gemeinsamen Kindern noch eine Zuspitzung erfahren. Die Prozesse gesellschaftlicher Veränderungen werden aber sehr unterschiedlich gewertet und auch die daraus resultierenden Konflikte werden sehr verschieden wahrgenommen. Von den ‚kämpfenden Vätern’ werden die skizzierten Veränderungen in den Geschlechterarrangements und -beziehungen vorrangig negativ als Resultat einer feministischen Hegemonie interpretiert. Modernisierung ist in ihrer Perspektive bislang auf Kosten von Männern erfolgt, insbesondere von Vätern, die ihre herkömmliche Position in der Familie eingebüßt hätten. Von der bisherigen Funktion und Position des Vaters als Familienernährer sei Vätern nur noch der Zwang geblieben, für den Unterhalt von Frau und Kind zu zahlen. Gerade letzteres wird aber abgelehnt, während die Orientierung an der herkömmlichen Funktion und Position des Vaters als Familienernährer bestehen bleibt. Das Deutungsmuster ‚Geschlechterkampf’ verweist auf die Annahme eines grundlegenden Machtkampfes zwischen den Geschlechtern. Dieser rankt sich in der Perspektive dieser Väter wesentlich um die Entscheidungsbefugnisse und Rechte über die Kontrolle der generativen Reproduktion, um sozialstaatliche Leistungen und Gesetze, welche Frauen im Falle einer Trennung eine selbstständige Lebensführung sichern, sowie um die Kontrolle über das Kind. Insbesondere hier nehmen sich diese Väter als Opfer von Politiken der Frauenbewegung wahr: Dass Frauen in diesen Bereichen für sich Verbesserungen
252 Dieses Thema wird vor allem im Internet und in Flugblättern deutlicher hervorgehoben. 253 Eine politische und rechtliche Auseinandersetzung, die vor allem – aber nicht nur – über den § 218 geführt wurde.
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haben, Männer Machtpotentiale einbüßen mussten, soll rückgängig gemacht werden. Auch der Konflikt um das Sorge- und Umgangsrecht für die Kinder nach einer Trennung oder Scheidung wird vor allem als Machtkonflikt gewertet. Die Thematisierung von ‚Kontrolle’ über das Kind als Synonym für das Sorgerecht zeigt an, dass sich für diese Väter der Macht- und Kontrollkonflikt bezüglich der Mutter vor die Frage der Ausgestaltung der Vater-Kind-Beziehung vor und nach einer Trennung stellt. Die Gruppe der ‚ambivalenten Väter’ steht hingegen dem sozialen Wandel der vergangenen Jahrzehnte eher aufgeschlossen gegenüber und definieren diesen für sich als zwiespältige Bewegung, die mit Verlusten, aber auch neuen Handlungsräumen und -möglichkeiten für Väter verbunden ist. Sie gehen ebenfalls davon aus, dass die Funktion des Vaters als Familienernährer weitgehend verloren gegangen sei. Dieser Verlust wird von ihnen aber anders gedeutet. Zum einen wird er kommuniziert als Verlust von klaren Verhaltensanforderungen, von Privilegien und – ähnlich wie von Matussek – von Entscheidungsbefugnissen und Rechten bezüglich der generativen Reproduktion und des Kindes. Auch die ‚ambivalenten Väter’ sehen sich als ‚Opfer’ von Müttern und Teilen der Frauenbewegung. Während Matussek allerdings Frauen in ‚gute’ und ‚böse’ Mütter spaltet, die bösen, feministischen Mütter als ‚allmächtig’ und vernichtend darstellt und damit den Machtkonflikt betont, geht es in dem in der Zeitschrift PAPS dargestellten Konflikt um Selbstbestimmung: Mütter hätten bislang die ‚Definitionsmacht’ zu sagen, wie Vaterschaft zu leben sei. Sie würden über Kompetenzen verfügen, die Väter zum Teil erst erwerben müssten und um die sie meinen, mit Müttern konkurrieren zu müssen. Zum anderen wird der Verlust bisheriger Funktionen als Vater aber auch als Chance für Veränderungen wahrgenommen, als Möglichkeit, ein neues Selbstverständnis als Vater zu finden, selbst zu bestimmen, wie Vaterschaft und Väterlichkeit verstanden werden soll, eine eigenständige Beziehung zum Kind aufzubauen. Die Konzeption von Müttern als ‚mächtig’ geht einher mit dem gleichzeitigen Wunsch, dass es ohne Konflikte zu einer Annäherung von Fähigkeiten und Tätigkeiten von Vätern und Müttern kommen kann und einer damit verbundenen egalitären partnerschaftlichen Orientierung. In diesem Sinn erleben sich die Väter auch als Akteure von Veränderung. Das Vakuum zwischen ‚nicht mehr selbstverständlich Familienernährer sein können’ und ‚noch kein selbstbestimmtes Modell von Vaterschaft und Männlichkeit leben können’ erfahren die ‚ambi286
valenten Väter’ als individuelle Krise, die mit Autonomie- und Identitätskonflikten einhergeht. Die ‚ambivalenten Väter’ schwimmen also zwischen der Chance zur Erweiterung eigener Handlungsspielräume und des eigenen Lebensentwurfes als ‚Mann’ und der Anforderung, damit bestehende männliche Privilegien aufzugeben und ihre ihnen bislang als gesichert erscheinende männliche Identität in Frage zu stellen. So thematisieren sie in ihren Publikationen auch weniger Handlungsprobleme, für die sie dann konkrete Lösungen auf der Handlungsebene anvisieren. Im Vordergrund steht vielmehr die Suche nach neuen Orientierungen, nach einer neuen Ordnung. Solange diese nicht definiert ist, kann es von ihrer Seite auch keine klaren Handlungsaufforderungen geben. Die Aktivität, zu der Väter aufgerufen werden, liegt in erster Linie darin, für sich zu bestimmen, was Vaterschaft und Väterlichkeit heißt. Dabei, so zeigte sich, stehen sie vor dem Problem, dieses mit gesellschaftlich dominanten Vorstellungen von männlicher Autonomie und Identität, von Männlichkeit, vereinbaren. Die ‚kämpfenden Väter’ hingegen reagieren auf die Verunsicherungen durch Vereindeutigung und Polarisierung. Das Deutungsmuster ‚Geschlechterkampf’ spaltet Frauen und Männer in zwei sich feindlich gegenüber stehende Lager und bietet durch die Metapher des ‚Kampfes’ scheinbar klare Problemlösungen auf einer Handlungsebene an: Väter sollen ‚zurückschlagen’ und traditionelle Geschlechterarrangements – die in der Perspektive Matusseks zerstört wurden – wieder einrichten. Vormoderne Orientierungen werden reaktiv wieder ins Spiel gebracht. Väter werden von Matussek einerseits als ohnmächtige, schwer verunsicherte Männer gezeichnet, die Autonomie und Kontrolle eingebüßt haben und sich in einer Krise befinden. Durch die dramatisierende Darstellung von Vätern als Opfer und die damit einhergehenden Spaltungen und Polarisierungen werden jedoch krisenhafte Erfahrungen gleichzeitig abgewehrt. Die Identitätsfrage wird erst gar nicht gestellt. Verunsicherungen und Ambivalenzen werden also ferngehalten, Konflikte einseitig als Machtund Kontrollkonflikte gedeutet. Die ‚kämpfenden Väter’ thematisieren für sich keine subjektive Krise der Vaterschaft, befinden sich aber stärker als die ‚ambivalenten Väter’ in einer objektiven Krise: Die von ihnen artikulierten Deutungsmuster und Argumentationsfiguren weisen darauf hin, dass sie mit vermehrten gesellschaftlichen Spannungen und daraus resultierenden Konflikten zwischen Frauen und Männern als Individuen und als soziale Gruppen konfrontiert sind, für deren Bewältigung sie eine größere Ambivalenz- und Frustrationstoleranz bräuchten, als ihnen zur 287
Verfügung steht. Die von ihnen selbst geschaffenen Räume, die einzelnen Väterinitiativen, werden als mögliche Reflexionsräume nur wenig genutzt. Beide Spektren der Väterinitiativen eint, dass sie populärwissenschaftlich gewendete modernisierungstheoretische Zeitdiagnosen aufgreifen, in der Hoffnung, die Individuen könnten einen strukturell und institutionell angelegten Konflikt individuell lösen. Strukturelle und institutionelle Ungleichheiten in den Geschlechterverhältnissen und –arrangements zu Ungunsten von Frauen werden, obgleich sich die Väter auf Diskurse der Frauenbewegung beziehen, nicht thematisiert und sind damit der Reflexion kaum zugänglich. Bei den ‚ambivalenten Vätern’ werden institutionelle Ungleichheiten zu Ungunsten von Frauen weitgehend durch den Gleichheitsdiskurs verdeckt, bei der Gruppe der ‚kämpfenden Väter’ durch individuelle und kollektive Schuldzuschreibungen an Frauen. Blicken wir zurück auf die in der Einleitung aufgeworfene Frage nach einer ‚Krise der Vaterschaft’, lässt sich für die hier untersuchten Gruppen von Vätern eine differenzierte Antwort formulieren. Die ‚ambivalenten Väter’ befinden sich in einer Krise bezüglich ihrer Vaterschaft sowohl in einem individuellen als auch einem gesellschaftlichen Sinn. Die gesellschaftliche Dimension der Krise, besteht darin, dass Vorstellungen einer Kontinuität von (Paar)Beziehungen, aber auch hinsichtlich von Arbeit und Einkommen, nicht mehr tragen, Grenzziehungen zwischen den Geschlechtern in Bewegung geraten. Planungshorizonte sind damit erschüttert, eingespielte Handlungsmuster und Problemlösungsstrategien greifen nicht mehr.254 Die individuelle Dimension der Krise drückt sich hier in der Verunsicherung der Identität als Vater aus: Wer bin ich als Vater? Wird ein Vater noch gebraucht? Wie unterscheide ich mich als Vater von der Mutter? Wie kann ich ‚väterlich’ sein, ohne dass meine ‚Männlichkeit’ und herkömmliche Hierarchien in der Familie in Frage gestellt werden? Ob sich für diese Väter auch von einer ‚Krise der Männlichkeit’ sprechen lässt, wie Meuser dies für die Gruppe der männerbewegten Männer festgestellt hat, ist für mich nicht eindeutig zu beantworten. Einerseits sind sie durch ihre Suche nach neuen Vorstellungen von Vaterschaft gezwungen, sich auch mit ‚Männlichkeit’ kritisch auseinander zu setzen. Ihre Vorstellungen von Männlichkeit und Väterlichkeit kollidieren zum Teil und müssen miteinander vereinbart werden. Andererseits versuchen sie immer wieder einer Reflexion von Männlich-
254 Meuser fasst in Anlehnung an Otthein Rammstedt „Krise“ als Vernichtung „erwartbarer Zukunft“ (Rammstedt 1978; zit,. n. Meuser 1998a, 306).
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keit auszuweichen und orientieren sich weiterhin ‚selbstverständlich’ an komplementären Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit und einer damit verbundenen männlichen Hegemonie. Gerade diese Hin- und Herbewegung kennzeichnet diese Gruppe. Im Vergleich zu den ‚ambivalenten Vätern’ befindet sich die Gruppe der ‚kämpfenden Väter’ ebenfalls in einer individuellen Krise. Allerdings weniger in einer ‚Krise der Vaterschaft’ als in einer ‚Trennungskrise’. Eine Infragestellung ihrer Identität als Vater wird geradezu abgewehrt. Dies verweist zwar darauf, wie labil die selbstverständliche Bezugnahme von (traditionellen) Vorstellungen von Vaterschaft geworden ist, darf aber gerade nicht thematisiert werden. Indem man sich (re)aktiv auf traditionelle Vorstellungen von Vaterschaft und männlicher Hegemonie bezieht, die im Kern auf das Modell des Familienernährers ausgerichtet sind, soll auch abgewehrt werden, dass bewährte Handlungsroutinen und bislang selbstverständliche Problemlösungsstrategien als Vater zumindest für eine kurze Zeit unmittelbar nach einer Trennung objektiv in Frage gestellt sind. Je größer die Unsicherheit, desto größer die Anstrengung, scheinbar ‚Selbstverständliches’ einzuklagen und damit eine neue Sicherheit über das Selbstverständnis als Mann und als Vater zu erlangen, das sich gleichsinnig am Modell des Familienernährers orientiert. Einen Anlass, über Vaterschaft oder auch Männlichkeit zu reflektieren, gibt es für diese Väter daher nicht.
5.2 Differente Deutungen von Gleichheit, Differenz und Hierarchie Wie sich gezeigt hat, werden in beiden Spektren der Väterinitiativen sowohl Gleichheitsvorstellungen geäußert als auch herkömmliche Vorstellungen von Geschlechterdifferenzen aufgegriffen und reproduziert. In beiden Spektren geht die je spezifische Bewegung zwischen Gleichheit und Differenz mit der (Re)Produktion bestehender Machtverhältnisse und -beziehungen einher. Die Prozesse der Differenzierung und damit verbundene Über- und Unterordnungen erweisen sich dabei als Teil der Bewältigung der jeweils von den Vätern unterschiedlich wahrgenommenen Konflikte: Je nachdem ob Widersprüche und Ungleichzeitigkeiten in den sich verändernden Geschlechterarrangements als Macht- und Kontrollkonflikte oder als Autonomie- und Identitätskonflikte interpretiert und erfahren werden, zeigt sich ein unterschiedlicher Umgang mit Gleichheit, Differenz und Hierarchie: 289
In den Texten von Matussek haben wir ein komplexes Spiel mit Gleichheit und Differenz zwischen den Geschlechtern vorgefunden, das hauptsächlich von der Umdrehung und Überdramatisierung traditioneller Geschlechtsstereotype lebt. Scheinen auf den ersten Blick herkömmliche Zuschreibungen an die Geschlechter aufgelöst zu werden, indem z. B. Frauen als machtvoll, Männer als schwach dargestellt werden, erweist sich dies bei genauerer Betrachtung als Schritt zu einer Verfestigung der Konstruktion von Geschlechterdifferenzen. Zwar wird dabei nicht auf biologische Differenzen zwischen den Geschlechtern rekurriert, Differenzen werden aber als unvermittelt gegeben dargestellt und damit essentialisiert. Das Spiel mit Gleichheit und Differenz in den Eigenschafts- und Tätigkeitszuschreibungen dient im Resultat der Reproduktion traditioneller, hierarchischer Geschlechterarrangements und -beziehungen. In den analysierten Publikationen wird Macht und Hierarchie manifest thematisiert. Dabei wird der Wunsch nach einer Reproduktion und Verfestigung männlicher Hegemonie, männlicher Macht und Kontrolle insbesondere in Bezug auf die Familie und die Reproduktionsfähigkeit der Frau für selbstverständlich gehalten und bedarf in der Perspektive der „kämpfende Väter“ kaum einer Legitimation. Seine ‚Rechtfertigung’ findet der Anspruch von Vätern auf mehr Macht in einem Verdeckungsverhältnis: Die NichtThematisierung sozialer Ungleichheiten zu Ungunsten von Frauen in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen ‚verdeckt’ die bestehenden Asymmetrien in den Verteilungen von Macht und Ressourcen zwischen den Geschlechtern und reproduziert sie damit zugleich. Ungleichheiten zu Ungunsten von Männern dagegen werden überbetont. Mit dem Drang zur Verfestigung und Sicherung von Hierarchien und Macht zu Gunsten von Männern lassen sich die Väter, die sich am Deutungsmuster ‚Geschlechterkampf’ orientieren, wirklich als Teil einer maskulistischen BacklashBewegung einordnen. Veränderungen in Richtung egalitärer Verhältnisse und Beziehungen zwischen den Geschlechtern sind von ihnen nicht zu erwarten. In Bezug auf die Vater-Kind-Beziehung erweisen sich diese Väter nicht als die engagierten Väter, die möglichst viel Zeit mit ihrem Kind – für ihr Kind – verbringen wollen. Zwar wird die emotionale Bindung an das Kind stark betont, das Kind wird dabei aber eher als Platzhalter für den Wunsch des Vaters nach einer kontinuierlichen Beziehung genommen und die Vater-Kind-Beziehung damit idealisiert. Das lässt wenig Raum für eine lebendige und auch einmal konflikthafte Auseinandersetzung mit den eigenen Kindern. Die ‚ambivalenten Väter’ hingegen zeigen sich als Akteure, die einerseits auf Gleichheit rekurrieren, andererseits Differenzierungen vor290
nehmen, die mit dazu beitragen, bestehende Hierarchien und Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern zu stützen und zu reproduzieren. Diese Väter können und wollen aus ihrer Krise als Vater in einer Trennungssituation und ihren Suchbewegungen nach einem neuen Verständnis von ‚Väterlichkeit’ heraus nicht ungebrochen an Vorstellungen einer hegemonialen Männlichkeit anknüpfen, erfahren dies gleichzeitig aber als Verlust einer gesicherten Identität als ‚Mann’ in dieser Gesellschaft und der daran geknüpften Wertungen und Privilegien.255 Diese Verunsicherung führt zu einer paradox erscheinenden Bewegung: Zum einen wird versucht, aktiv gesellschaftliche Trennlinien zwischen den Geschlechtern und gegebene Strukturen der Arbeitsteilung zu überschreiten. So finden sich in vielen Textstellen klare Tendenzen zu einer Minimierung von Differenzen zwischen den Geschlechtern. In dem Augenblick, in dem die Verunsicherungen und Ängste überhand nehmen, wird von den ‚ambivalenten Vätern’ jedoch auf vertraute Ausdeutungen von Differenzen zwischen den Geschlechtern zurückgegriffen, wobei sie darin eingelassene Auf- und Abwertungen übernehmen und somit zur Reproduktion von Hierarchien zu Ungunsten von Frauen beitragen. Diese Hin- und Herbewegungen prägen insbesondere auch die Haltung der ‚ambivalenten Väter’ zu Partnerschaft und Familie. Einerseits zeigen die Väter eine manifeste Orientierung an egalitärer Partnerschaft. Gleichzeitig greifen sie vor allem hinsichtlich der Interpretation der Möglichkeiten der Ausgestaltung der Beziehung zum Kind auf Vorstellungen von ‚natürlichen’ Differenzen zwischen den Geschlechtern zurück, über die differente Arbeitsteilungen und -bereiche zwischen den Geschlechtern wieder legitimiert werden können. Zur Legitimation geschlechtshierarchischer Arbeitsteilungen trägt auch bei, dass ähnlich wie von den ‚kämpfenden Vätern’ bestehende soziale Ungleichheiten zu Ungunsten von Frauen weitgehend ausgeblendet werden. Strukturell angelegte Arbeitsteilungen zwischen den Geschlechtern werden als vermeintlich ‚individuelle Optionen’ der Akteure dargestellt. Erst diese Rück-Vergewisserungen dessen, was als ‚Normalität’ gilt in den Arrangements zwischen den Geschlechtern, scheint erneut eine Basis zu schaffen, von der aus die ‚ambivalenten Väter’ Veränderungen in den Einstellungen und in ihrem Verhalten anstreben können. Trotz oder gerade aufgrund dieser in sich hoch widersprüchlichen Orientierungen erweisen sich diese Väter als offener für Suchbewegungen
255 Das Identitätsmodell dieser Väter geht davon aus, dass es eine (einheitliche) männliche Identität gibt, und nicht verschiedene Identitäten.
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nach einem anderem Verständnis von ‚Männlichkeit’ und ‚Väterlichkeit’ und egalitären Geschlechterarrangements und -beziehungen als diejenigen, die mit widersprüchlichen Verhaltensanforderungen und individuellen Krisen- und Verlusterfahrungen nur umgehen können, indem sie den Gleichheitsdiskurs polemisch wenden und durch die positive Bezugnahme auf eine männliche, am Familienernährermodell orientierte Hegemonie ungebrochen an traditionellen Geschlechterarrangements festhalten. Inwieweit die ‚ambivalenten Väter’ ihre Verunsicherungen aushalten und Akteure in Richtung egalitärer Geschlechterarrangements und beziehungen sein können oder, wie Meuser es für die männerbewegten Gruppen darstellt, „eine Revitalisierung vermeintlich abgelegter Orientierungen anstreben“ (Meuser 1998a, 246), ist für mich offen. Die analysierten Texte haben deutlich gemacht, wie stark die sich hier artikulierenden Väter mit Ambivalenzkonflikten ringen, die sie individuell nicht lösen können. Anzunehmen ist daher, dass sie in ihren Hin- und Herbewegungen bleiben. Dies hängt zum einen davon ab, ob die Individuen über ausreichend Ambivalenztoleranz verfügen, um weiterhin mit den individuellen Konflikten und sozialen Widersprüchen umzugehen, mit denen sie konfrontiert sind. Wie ich herausgearbeitet habe, besteht die Gefahr, dass die ‚ambivalenten Väter’ entweder in einer larmoyanten Haltung verharren und sich in einer kindlich abhängigen Position gegenüber ihren Partnerinnen langfristig einrichten. Oder sie beginnen wie die Gruppe der ‚kämpfenden Väter’ zu polarisieren und in den ‚Geschlechterkampf’ zu treten. Vielleicht gelingt es ihnen aber auch, ihre Wünsche und Ängste zur Sprache zu bringen, bewusster nebeneinander stehen zu lassen, und sich weiter in den Konflikten um Autonomie und Abhängigkeit, Macht- und Einflussmöglichkeiten auseinander zu setzen, mit dem Ziel einer veränderten, nicht hegemonialen Vaterschaft und Männlichkeit. Dazu müssten sie es schaffen, den von Wetterer dargestellten Verdeckungszusammenhang der ‚rhetorischen Modernisierung’ zu durchbrechen und soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern (auch) zu Ungunsten von Frauen zu reflektieren. In welche Richtung die Entwicklung geht, hängt jedoch nicht nur von den Fähigkeiten der in der Gruppe zusammengeschlossenen Individuen ab. Die Spannungen, die aus den mit dem sozialen Wandel verbundenen Ungleichzeitigkeiten und Widersprüchen resultieren, werden für die Individuen immer größer. Daher bedarf es gesellschaftlicher Räume, die offen sind für Reflexionen der widersprüchlichen Anforderungen und für die Entwicklung von Modellen, die Möglichkeiten schaffen, mit den veränderten Gegebenheiten so umzugehen, dass Konflikte reduziert werden und 292
neue Räume für Aushandlungsprozesse entstehen. Die Publikationen insbesondere der ‚ambivalenten Väter’ – aber auch der ‚kämpfenden Väter’ – zeigen, dass diese nach solchen Reflexionsräumen suchen. Sie können die divergenten Anforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, nicht individuell auflösen. Die intensive Auseinandersetzung mit der gesellschaftlich kleinen Gruppe der Väterinitiativen verweist damit auf ein allgemeines Problem: Unter dem derzeitigen Druck der Ökonomisierung, von dem Geschlechterpolitiken direkt betroffen sind (vgl. Bereswill 2004), scheinen sich die sozialen Räume, die nötig wären, um über die Zuspitzung von Widersprüchen in den Geschlechterverhältnissen und arrangements und die daraus resultierenden Konflikte zu reflektieren, momentan eher zu schließen als öffnen. Diese Entwicklung leistet Verdeckungsverhältnissen, wie sie Wetterer (2003) konstatiert hat, Vorschub. Hier bewusst Reflexionsräume zu öffnen und Polarisierungen und Spaltungen in Differenzierungen aufzulösen ist eine Aufgabe für die sozialwissenschaftliche Forschung ebenso wie für das soziale und politische Handeln.
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7050_book.fm Page ii Wednesday, July 12, 2006 3:27 PM
Literatur
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