Iris Ruppin Kinderdiakoninnen im Transformationsprozess
VS RESEARCH
Iris Ruppin
Kinderdiakoninnen im Transformatio...
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Iris Ruppin Kinderdiakoninnen im Transformationsprozess
VS RESEARCH
Iris Ruppin
Kinderdiakoninnen im Transformationsprozess Beruflicher Habitus und Handlungsstrategien im Kindergarten
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Ursula Rabe-Kleberg
VS RESEARCH
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Erfurt, 2007
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Christina M. Brian / Britta Göhrisch-Radmacher Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-15920-1
Meinen Eltern
Zum Geleit
Trotz umfangreicher Forschung zu den Prozessen der politischen Vereinigung der beiden deutschen Staaten gibt es Gruppierungen und gesellschaftliche Bereiche von hoher gesellschaftlicher Relevanz, ohne dass diese bis heute nennenswertes Interesse in Politik und Wissenschaft gefunden hätten. Dies galt lange Zeit für die Gruppe der Kindergärtnerinnen und ihrer erzieherischen Praxis in der DDR und nach der politischen Wende. Immerhin haben wir es hier mit einer Berufsgruppe zu tun, die für das Aufwachsen (nahezu) aller Kinder von entscheidender Relevanz war und ist. Über ihre damals ungeliebten Berufskolleginnen, die Kinderdiakoninnen, die in DDR-Zeiten in den evangelischen Kindergärten (und darüber hinaus in anderen sozialen und kirchlichen Einrichtungen) gearbeitet haben, herrschte bis zur Arbeit von Frau Iris Ruppin ein vergleichbares Nichtwissen, ja geradezu ein wissenschaftliches Desinteresse. Dieses ist nur schwer nachzuvollziehen, da die evangelische Kirche im Transformationsprozess wiederholt sozialwissenschaftlich empirisch untersucht wurde. Frau Ruppins Arbeit über Identität, beruflichen Habitus und Handlungsstrategien von Kinderdiakoninnen im Transformationsprozess stellt daher einen wesentlichen Schritt für das Verständnis dieser Frage dar. Die Autorin hat auf dem Hintergrund eines umfangreichen Wissens über Forschungen im Bereich Kirche und Kindergarten in der DDR ihre Fragestellung entwickelt, die nicht lediglich historisch-rekonstruktiven Charakter, vielmehr in ihren Konsequenzen bis heute und in Zukunft Relevanz hat. Sie widmet sich den Kinderdiakoninnen, die in der Zeit der DDR in kirchlichen Einrichtungen ausgebildet wurden und bis heute in den evangelischen Kindertagesstätten wichtige zumeist leitende Positionen einnehmen, die also aktuell für das (religions-)pädagogische Profil vieler Einrichtungen in Ostdeutschland tonangebend sind. Die empirischen Ergebnisse vermitteln erhellende Einblicke in eine spezifische pädagogische Provinz und stellen einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der pädagogischen Profession dar.
Halle/S. im Januar 2008
Prof. Dr. Ursula Rabe-Kleberg
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Vorwort
Diese Untersuchung wurde durch Begegnungen und Diskussionen angestoßen, die ich während meiner Tätigkeit als Dozentin an der Ev. Fachschule für Diakonie und Sozialpädagogik Johannes Falk in Eisenach mit staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen und Kinderdiakoninnen hatte. Aus der Neugier, die Ausbildung und den damit entstehenden Habitus von Kindergärtnerinnen zu erforschen, wurde durch Gespräche mit Prof. Dr. Jürgen Reyer von der Universität Erfurt der Fokus auf Kinderdiakoninnen und damit auch auf die Geschichte von kirchlichen Mitarbeitern in der DDR und im Transformationsprozess gerichtet und ein Promotionsthema entwickelt. Dafür sei ihm herzlich gedankt. Danken für ihre Begleitung und Unterstützung möchte ich vor allem Prof. Dr. Ursula Rabe-Kleberg von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die mir in vielen Fragen zur empirischen Forschung und zum Thema Kindergärtnerinnen im Transformationsprozess zur Seite stand. Einen besonderen Dank an sie auch für die persönlichen Gespräche, die in dieser Begleitung stattfanden, und für die Aufnahme in die Forschungswerkstatt Elementare Bildung an der Martin-Luther-Universität, in der das Thema diskutiert werden konnte, sowie für die vielen Anregungen, die daraus entstanden sind. Ohne die interviewten Kinderdiakoninnen und ihre Bereitschaft, über Ausbildung, Leben und Vorstellungen Auskunft zu geben, wäre dieses Buch nicht möglich gewesen; ihnen allen bin ich sehr dankbar. Gleiches gilt für das Diakonische Werk Mitteldeutschlands, das durch seine Referentin für Kindertagesstätten Maritta Leyh den Kontakt zu den Kinderdiakoninnen ermöglichte. Ein besonderes Dankeschön an Dorothee Schwarze, Maritta Leyh, Gabriele Arlt und Tonimaria Kalkbrenner, die auf meine vielen Fragen zur evangelischen Kirche in der DDR und zur Ausbildung der Kinderdiakoninnen Auskunft und wertvolle Anregungen zum Weiterdenken gaben. Einen herzlichen Dank auch an alle Freunde, die mit Verweis auf die Arbeit immer wieder vernachlässigt und vertröstet worden sind. Für ihre Unterstützung und die guten persönlichen Gespräche sei Andrea Schwalbe gedankt, die es schaffte, Momente der Entspannung einzubringen. Besonderes danke ich meinem Lebensgefährten Thomas Leisner, der Zuspruch gab, ermutigte, redigierte und kluger Ratgeber war.
Karlsruhe im Januar 2008
Iris Ruppin 9
Zusammenfassung
Diese Forschungsarbeit diskutiert gesellschaftliche, soziale, psychische und pädagogische Folgen der staatlichen Wiedervereinigung von 1990 für die Berufsgruppe der Kinderdiakoninnen. Sie ist eingebettet in die sozialwissenschaftliche und erziehungswissenschaftliche Transformationsforschung, die die Folgen des Umbruchs für pädagogische Berufe hier insbesondere staatlich ausgebildete Kindergärtnerinnen - und ihr Handeln im Transformationsprozess untersucht. Auf der Basis der für die Thematik relevanten Untersuchungen zur evangelischen Kirche in der DDR und nach der staatlichen Wiedervereinigung, wird der Orientierungs- und Handlungsrahmen für die Kinderdiakoninnen eingeordnet. In der eigenen qualitativen Untersuchung wird die Grounded Theory (Glaser/Strauss) mit der dokumentarischen Methode (Bohnsack) kombiniert, um die Situation der Kinderdiakoninnen in der DDR und im Transformationsprozess zu rekonstruieren. Zu diesem Zweck wurden 22 narrative Interviews mit Kinderdiakoninnen in Ostdeutschland sowie narrative und leitfadengestützte Interviews mit Experten durchgeführt. Durch die Berücksichtigung aller Neuen Bundesländer können Unterschiede in der Ausbildung der Kinderdiakoninnen an den verschiedenen Seminaren für kirchlichen Dienst herausgearbeitet werden, die den Handlungs- und Orientierungsrahmen bilden und konstitutiv für die Ausbildung des Habitus der Kinderdiakoninnen sind. In der vorliegenden Arbeit werden sieben für Kinderdiakoninnen typische Fallbeschreibungen vorgestellt. In diesen kristallisieren sich die für die einzelne Kinderdiakonin konjunktiven Erfahrungen und die für ihr Alltagshandeln konstitutiven Orientierungen. Ausgehend von der Gegenüberstellung der Fälle werden folgenden Typen rekonstruiert und beschrieben: A B C
Kinderdiakonin mit elitärem Habitus als kirchliche Mitarbeiterin mit überwiegend emotionalen Coping-Strategien Erzieherin ohne Habitus als Kinderdiakonin mit überwiegend emotionalen Coping-Strategien Kinderdiakonin ohne elitären Habitus als kirchliche Mitarbeiterin mit überwiegend problemorientierten Coping-Strategien
Die politischen, gesellschaftlichen, beruflichen und sozialen Veränderungen, die auch die veränderte Situation der evangelischen Kirche und der Christen in Ost11
deutschland impliziert, führt zu Umbruchserfahrungen, die von der Mehrheit der Kinderdiakoninnen mit überwiegend emotionalen Coping- Strategien bewältigt werden. Charakteristisch für diese, ist ein elitärer Habitus als kirchliche Mitarbeiterin, die in der DDR zwar nicht staatlich anerkannt, aber in einer herausgehobenen Rolle im evangelischen Kindergarten arbeitete. Der elitäre Habitus beruht auf der besonderen Position der evangelischen Kirche in der DDR und der westlich orientierten Ausbildung mit religionspädagogischem Schwerpunkt an den Seminaren für kirchlichen Dienst. Kennzeichnend für die Kinderdiakoninnen ist, dass sie die mit der staatlichen Wiedervereinigung eingetretene Individualisierung auch unter Christen bemängeln und von ihnen der Zusammenhalt und die Gemeinschaft in der DDR als wünschenswert dargestellt wurden. Nur 2 von 22 Kinderdiakoninnen fassten den Umbruch und die Veränderungen als Herausforderung und Chance für das private und berufliche Sein. Als Fazit kann formuliert werden, dass Kinderdiakoninnen die Ansprüche und Anforderungen, die in den Kindertagesstätten seitens der Eltern und Kinder herangetragen werden, als problematisch erleben. Es wäre in weiteren Untersuchungen zu erhellen, ob durch gezielte Fortbildung - unter anderem mit biographischem Fokus - die Professionalität der Kinderdiakoninnen weiter ausgebildet werden könnte.
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Inhalt
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Einleitung.......................................................................................... 17
2 2.1 2.2
Theoretischer Rahmen .................................................................... 25 Transformation, Stress und Coping-Strategien .................................. 26 Die vergleichende Perspektive die Kindergärtnerin im Transformationsprozess ..................................................................... 32 Kirche und Religion in der DDR und im Transformationsprozess ..................................................................... 42 Kirche und Religion in der DDR ....................................................... 45 Kirche und Autonomie Kirche als Gegenöffentlichkeit in der DDR............................................................................................. 50 Die Ausbildung zur Kinderdiakonin an den Seminaren für kirchlichen Dienst in der DDR .......................................................... 54 Die Ausbildung und der Rahmenplan zur Kinderdiakonin ................ 61 Die Auswertung der Personalunterlagen am Seminar für kirchlichen Dienst in Eisenach........................................................... 67 Der evangelische Kindergarten der DDR und die Sicht der Kinderdiakoninnen auf die Institution ............................................... 74 Die evangelische Kirche und der evangelische Kindergarten im Transformationsprozess ..................................................................... 80
2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7 3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4
Empirischer Teil .............................................................................. 87 Methodologische Anlage der Studie .................................................. 87 Erhebungsverfahren ........................................................................... 92 Auswertung der Interviews ................................................................ 94 Fallbeschreibungen ............................................................................ 97 Frau A Kinderdiakonin ein bisschen Opposition? Der Stolz und die Freiheit der kirchlichen Mitarbeiterin ................... 98 Habitus als Kinderdiakonin.............................................................. 103 Frau B Manche Leute haben bestimmt das Gefühl, hier laufen immer noch die Schwestern umher .............................. 111 Frau C Wir sind wirklich durch dick und dünn gegangen und es hat jeder Anerkennung gefunden. ....................................... 123
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3.2.5
3.2.6
3.2.7 3.2.8 4 4.1 4.1.1
4.1.2
4.1.3
4.1.4 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3
Frau D Die Möglichkeiten sind vielseitiger geworden, es ist bunter geworden und das finde ich eigentlich gut. Denn diese Möglichkeiten hatten wir nicht.................................... 133 Frau E Hab mein Anerkennungsjahr gemacht und gleichzeitig Leitungstätigkeit in der Einrichtung. Und das war ein hartes Stückchen Arbeit und dann (viel später) habe ich die Leitungstätigkeit abgegeben .................. 143 Frau F die Aussteigerin so ein bisschen Abenteuer brauch ich. ......................................... 152 Frau G Es hat sich nichts verändert, außer dass die Kinder unselbständiger und die Eltern sensibler geworden sind................ 168 Typenbildung und Theoriegenerierung ....................................... 183 Typenbildung ................................................................................... 183 Kinderdiakoninnen vom Typ A: Elitärer Habitus als kirchliche Mitarbeiterin mit überwiegend emotionalen Coping-Strategien .................................. 190 Kinderdiakoninnen vom Typ B: Ohne Habitus als Kinderdiakonin mit überwiegend emotionalen Coping- Strategien....................................................... 197 Kinderdiakoninnen vom Typ C: Ohne elitären Habitus als kirchliche Mitarbeiterin mit überwiegend problemorientierten Coping-Strategien ...................... 200 Ergebnis der Typbildung.................................................................. 204 Theoriebildung................................................................................. 205 Christen und Kirche in der DDR Etablierte und Außenseiter ....... 206 Professionelles Handeln im Transformationsprozess ...................... 213 Ausblick........................................................................................... 216 Literaturverzeichnis ...................................................................... 221 Verzeichnis der Archive ................................................................ 235 Anhang: Transkriptionsregeln und Interviewleitfaden.............. 237
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Abbildungen und Tabellen
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4:
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5:
Kindertagesbetreuung 2002 nach Art des Trägers.................. 41 Anzahl der Absolventinnen am Seminar für kirchlichen Dienst in Eisenach ............................................... 68 Milieuzugehörigkeit der Absolventinnen ............................... 70 Mitgliedschaft der Seminaristinnen in der FDJ ...................... 71
Kindergärten nach der Art der Unterstellung 1989................. 39 Fächer/Bereiche im Rahmenplan für Kinderdiakoninnen (1983) ..................................................... 64 Fächerkatalog der Ausbildung zur Kinderdiakonin im Seminar für kirchlichen Dienst Eisenach .......................... 65 Wichtige Thematiken in den Fallbeschreibungen................. 188 Transkriptionsregeln ............................................................. 237
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1 Einleitung
Mit der staatlichen Wiedervereinigung 1990 begann in Ostdeutschland ein gesellschaftlicher Umbruchs- und Neugestaltungsprozess, der in der sozialwissenschaftlichen Literatur als Transformationsprozess bezeichnet wird. Die Umbruchsituation hatte und hat mannigfaltige Auswirkungen auf den Einzelnen, da gleichzeitig alle Institutionen, seien dies politische, wirtschaftliche und soziale, nachhaltig gewandelt wurden. Transformation bedeutet insofern mehr als einfach sozialer Wandel, dem immer eine gewisse Normalitätserwartung vorangeht, da alle sozialen Bezüge vom Herkömmlichen zum fremden Neuen umzugestalten sind. Dieser Transformationsprozess stellt den Hintergrund dar, vor dem die Auswirkungen der Wiedervereinigung für eine DDR- spezifische Berufsgruppe, die der Kinderdiakonin, untersucht werden soll. Der Beruf der Kinderdiakonin wurde in der DDR aus der spezifischen Situation der evangelischen Kirche und der nach dem zweiten Weltkrieg verbliebenen oder reaktivierten Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft formuliert.1 Die Ausbildung wurde an den dafür eigens gegründeten Seminaren für kirchlichen Dienst vom Beginn der fünfziger Jahre bis zur staatlichen Wiedervereinigung angeboten. Die vorliegende Arbeit ist eingebettet in die sozialwissenschaftliche Transformationsforschung, gleichzeitig greift sie eine zentrale Frage der Sozialpädagogik (Reyer 2002) auf und untersucht die Bewältigung der Transformationskrise und das damit verbundene "prekäre Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft/Gesellschaft" (Reyer 2002: 28). Reyer zeigt auf, dass der Begriff der Sozialpädagogik, der allgemein in der sozialpädagogischen Literatur für institutionelle Handlungsfelder steht, begriffsgeschichtlich bis zur Weimarer Republik als Denkfigur und als Reflexionsgestalt für das vermittelnde Verhältnis vom freien, selbstbestimmten und selbsttätigen
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Siehe dazu ausführlicher Konrad (2004: 155-176), der für die Zeit des Nationalsozialismus, den Versuch von Partei- und Staatsführung alle Kindertagesstätten in NSV-Trägerschaft zu überführen, aufzeigt. Auch die evangelischen Kindergärten konnten sich letztlich erstaunlich gut dem staatlichen Zugriff entziehen, ihre Zahl sank während der gesamten zwölf Jahre nur um einige hundert (am Ende auf weniger als 2.500 Einrichtungen). Völlig verdrängt wurden Ordensschwestern und Diakonissen nur aus den kommunalen Einrichtungen, die an die NSV gingen(Konrad: 2004: 174). Zur Vereinfachung der Schreibweise wird im Text in der Regel der Terminus evangelische Kirche bzw. Kirche verwendet, auch wenn es sich um verschiedene evangelische Landeskirchen handelt.
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Individuum und seiner Einbindung in die Gesellschaft steht (Reyer 2002: 264). Die vorliegende Arbeit greift die sozialpädagogische Forschung in diesem Sinne auf und reflektiert die mit der staatlichen Wiedervereinigung verbundenen Individualisierungswellen und die Bewältigungsformen der Individuen konkret der Kinderdiakoninnen mit ihren Auswirkungen auf die Erziehung und Bildung. Der grundlegende Wandel im Bereich der sozialen Institutionen, insbesondere der der "öffentlichen Kleinkinderziehung" (Rabe-Kleberg 2006: 115) mit seinen tiefgreifenden Veränderungen im Transformationsprozess, wurde bislang unzureichend thematisiert. Während die Bedeutung des Transformationsprozesses auf die Tätigkeit der Kindergärtnerin bereits von Rabe-Kleberg (1994, 1995, 1996, 1999), Höltershinken, Hoffmann und Prüfer (1997) sowie Musiol (1998) untersucht wurde, liegen zur Kinderdiakonin, die das evangelische Pedant zur staatlich anerkannten Kindergärtnerin im Volksbildungssystem darstellte, noch keine Studien vor. Es kann eine Dependenz zwischen dem Beruf der Kindergärtnerin und der Kinderdiakonin konstatiert werden, beide sind von der Verlagerung der Kleinkinderziehung aus dem (Volks-) Bildungssystem in das Sozialsystem betroffen. Hingegen ist die Kinderdiakonin von anderen bedeutsamen Aspekten der Transformation wie der Entwertung des beruflichen Wissens und des Berufsabschlusses nur bedingt oder gar nicht berührt.2 Objektiv gewinnt die Kinderdiakonin mit der Wiedervereinigung sie, die in der DDR nicht staatlich anerkannt war, bekommt die staatliche Anerkennung als Erzieherin zugesprochen, ohne dass sie wie die staatlich ausgebildete Kindergärtnerin an einer Qualifizierung teilnehmen muss (vgl. ausführlich Kap. 1.1.2). Beide, Kinderdiakonin wie auch Kindergärtnerin, sind anknüpfend an sozialpädagogische Fragestellungen von der Modernisierung und den Individualisierungsprozessen in ihrer beruflichen Praxis betroffen und werden durch den mit dem Wandel verbundenen Gewinn an Freiheit und Selbstbestimmung des beruflichen Umfelds (Kinder und Eltern) und ihre eigene Einbindung in die transformierende Gesellschaft herausgefordert. Die demographische Entwicklung in den Neuen Bundesländer, die sich in einer wachsenden Konkurrenz der Kindertagesstätten um die Kinder äußert, wirkt sich für die Erzieherinnen durch wachsende Unsicherheit über den Umfang ihrer Beschäftigung und ihrer Arbeitsplatzsicherheit aus.3
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In den Neuen Bundesländern wurde alleine in Thüringen der Kindergarten wieder in die Zuständigkeit des Kultusministeriums gelegt, allerdings weniger aus politischen Aspekten, sondern aufgrund von Personalzuständigkeiten. Die Entwertung des beruflichen Wissens, ohne dass ein vergleichbares institutionelles berufliches Wissen zur Reduzierung der Ungewissheit genutzt werden kann, betrifft die Kinderdiakonin bedingt, da der verbindliche Kanon des Erziehungs- und Bildungsplanes (1965, 1985) für evangelische Kindergärten keine Relevanz hatte. 3 Zur Vereinfachung der sprachlichen Regelung wird die weibliche Form und Schreibweise genutzt, da überwiegend Frauen den Beruf der Kinderdiakonin und Kindergärtnerin erlernt haben und
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Die Transformation hat nicht nur Auswirkungen auf die soziale Institution der Kleinkinderziehung und auf die dort tätigen Erzieherinnen, sondern auch auf die für die Identität und den beruflichen Habitus der Kinderdiakoninnen bedeutsame Institution die der evangelischen Kirche. Die Kinderdiakonin, als kirchliche Mitarbeiterin im Verkündigungsdienst, befand sich in der DDR im Spannungsfeld zwischen der evangelischen Kirche und dem Staat. Obwohl durch Dähn (1993, 1995, 1998), Kleßmann (1993) Pollack (1994, 1997, 2000a, 2000b, 2003) religionssoziologische Studien zur Situation der evangelische Kirche und der Christen in der DDR vorliegen, stellt die Kinderdiakonin mit ihren lebensgeschichtlichen Motiven für ihre Berufswahl, ihre berufsbiographische Entwicklung und ihre beruflichen Orientierungs- und Handlungsmuster einen noch zu erforschenden Bereich dar. So ist in einem Staat, der die marxistische Ideologie als Fundament begreift und den Einfluss der Religion auf ein Minimum zu begrenzen versucht, alleine die christliche Zugehörigkeit keine Selbstverständlichkeit. Verbunden mit einer beruflichen Tätigkeit in der evangelischen Landeskirche als kirchliche Mitarbeiterin im Verkündigungsdienst ergab sich für die Kinderdiakonin ebenso wie die anderen kirchlichen Mitarbeiter eine besondere Stellung im staatlichen sozialistischen System. Die beruflichen Orientierungs- und Handlungsmuster, die Orientierungsund Handlungsressourcen und der Orientierungsrahmen für die berufliche Biographie der Kinderdiakonin in der DDR und in der Transformation stehen im Fokus der vorliegenden Arbeit. Die (Berufs-) Biographien von Kinderdiakoninnen und die Ausbildung an den Seminaren für kirchlichen Dienst stellen einen noch zur erforschenden Bereich der DDR-Geschichte dar, zu dem die vorliegende Arbeit im Rahmen der qualitativen Forschung einen Beitrag zu leisten sucht. Aufgrund des geringen Erkenntnisstandes über das Forschungsfeld sind die qualitativen Methoden der sozial- und erziehungswissenschaftliche Forschung, insbesondere die Grounded Theory von Glaser und Strauss (1998), die in der Tradition der jüngeren Chicago School of Sociology steht, dazu prädestiniert, methodisch an den Forschungsgegenstand heranzugehen. Glaser und Strauss beschreiben ihr Konzept als idealtypisch geeignet für einen Forschungsprozess, an dessen Beginn ein offenes Problem und ein unbekanntes Forschungsfeld liegen. Nach Alheit, Bast-Haider, Drauschke (2004: 133) eignet sich die Grounded Theory besonders, um Biographien in den Neuen Bundesländer zu erforschen, da das Wissen über die DDR-Gesellschaft teilweise durch die ideologisch besetzte DDR-Soziologie oder durch die möglicherweise unzureichenden westlichen Forschungsmethoden für die Biographien und Mentalitäten in der DDR entstan-
in diesem tätig sind. Dort, wo beide Gruppen behandelt werden, wird im Folgenden die offizielle Berufsbezeichnung Erzieherin genutzt.
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den ist. Charakteristisch für die Methode der Grounded Theory ist die zeitgleiche Erhebung, Kodierung und Analyse der Daten, die als wesentliches Moment für die Theoriegenerierung gesehen werden kann. Orientierungs- und Handlungsmuster bilden sich in spezifischen Milieus heraus, die zur Ausbildung eines persönlichen und kollektiven Habitus führen (Bohnsack 2003), der rekonstruiert werden kann. Die Grounded Theory (Glaser/ Strass 1998) und die dokumentarische Methode (Bohnsack 2003) zeichnen sich durch eine besondere Offenheit des Forschungsprozesses aus. Kennzeichnend für die dokumentarische Methode ist gemeinsam mit der Grounded Theory die komparative Analyse der Fälle. Mit der dokumentarischen Methode können die kollektiven Erfahrungen und Erlebnisse, die typisch für das Milieu sind, erschlossen werden. Die Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster des in sich geschlossenen kirchlichen Milieus, welche die Biographie der einzelnen Mitglieder und deren Erfahrungen strukturieren, können mit diesen Methoden rekonstruiert werden (vgl. Wohlrab-Saar 2000b, Bohnsack 2003). Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, wie Kinderdiakoninnen die staatliche Wiedervereinigung und die damit verbundenen Veränderungen wahrnehmen, mit welchen Coping-Strategien sie die damit verbundene Krise bewältigen und wie sich der persönliche Habitus und das habituelle Handeln der Kinderdiakoninnen äußert. Die Lebenserfahrungen verbinden die biographische Vergangenheit, die biographische Gegenwart und die biographische Zukunft miteinander, wobei nicht notwendigerweise alle Lebenserfahrungen, die in den Lebensentwurf des Einzelnen aufgenommen werden, von diesem selbst gemacht werden müssen (vgl. Hoerning 2000: 4). Prägend sind auch Lebenserfahrungen von signifikant Anderen, dies könnten im vorliegenden Falle Erfahrungen von Bezugspersonen in der Familie oder der Kirchgemeinde sein, die gerade im Spannungsfeld von Kirche und Staat formend sein können. Die Konstruktion einer Biographie, konkreter der beruflichen Biographie, wird durch biographisches Wissen strukturiert. Die Erfahrungen als biographische Ressourcen können nach Hoerning den individuellen Habitus als Produkt sozialer Strukturen verdeutlichen (vgl. Hoerning 2000: 6). Die biographische Vergangenheit (Kindheit und Jugend) kann mit Heinz (Heinz 1995: 42) als Sozialisation für den Beruf bezeichnet werden, wohingegen die eigentliche Sozialisation als Kinderdiakonin durch den Beruf, durch die Ausbildung im Seminar für kirchlichen Dienst und durch die kirchlichen Institutionen, insbesondere die evangelischen Kindergärten, erfolgt, die in Kapitel 2.3.3 und 2.3.6 dargestellt werden. Bammé, Holling und Lempert (1983) verstehen unter beruflicher Sozialisation die Entwicklung der Persönlichkeit in Auseinandersetzung mit den Anforderungen und Bedingungen im Arbeitsprozess, wobei sie unterscheiden in Lernerfahrungen in der Ausbildung als Sozialisation in den Beruf und den Arbeitserfahrungen im Beruf als Sozialisation im Beruf. Wesentlicher Aspekt ist bei
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Bammé, Holling und Lempert (1983) die Interdependenz zwischen der Beziehung des privaten Lebensstils und der Berufstätigkeit.4 In Anlehnung an Heinz (1995) stehen im Fokus der Arbeit die berufliche Sozialisation, der berufliche Habitus und damit die durch das berufliche Handeln in der Institution des evangelischen Kindergartens erworbene soziale Identität.5 Der Habitus kann als ein idealtypisches Konstrukt bezeichnet werden, das den Bezugsrahmen für die Analyse von Vergesellschaftungsprozessen und Sozialisationsprozessen darstellt. Der berufliche Habitus ist nicht nur ein System verinnerlichter Handlungsregeln, sondern dient der Interpretation des Selbst und der Deutung der gesellschaftlichen Verhältnisse sowohl in der DDR als auch während der Transformation. Der Erwerbstätige wird durch Initiationsprozesse in den kulturellen Code der Arbeitsorganisation eingefügt, Umgangsformen, Sprachstil, gemeinsame Denk- und Beurteilungsprozesse und Handlungsschemata, so wird zu zeigen sein, bilden sich im evangelischen Kindergarten der DDR heraus und unterscheiden sich grundlegend von Kindergärtnerinnen in staatlichen Einrichtungen (vgl. Kap. 2.2). Rabe-Kleberg (1999) formuliert ein Manko, in dem sie feststellt, dass es im Gegensatz zur umfangreichen sozialwissenschaftlichen Forschung zum Thema Kindheit und Kinder kaum berufssoziologische Forschungen zum Beruf der Erzieherinnen gibt. Untersuchungen liegen vor über die alltägliche Orientierung und Berufszufriedenheit in evangelischen Kindergärten, über Berufsbiographien in der DDR und im Transformationsprozess sowie über die Probleme der Ausbildung von Erzieherinnen. Die Untersuchungen zur beruflichen Identität von Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen werden insbesondere von Teschner (2004), Netz (1998), Rabe-Kleberg (1995, 1996, 1999, 2006), Dippelhofer-Stiem und Kahle (1995), Dippelhofer-Stiem (1999) und Kahle (Kahle 1999) differenziert aufgezeigt. Untersucht wurde in diesen Studien die berufliche Identität und Handlungskompetenz von Erzieherinnen in verschiedenen Institutionen, insbesondere im Kindergarten. Zentral in den Analysen ist die Frage der Berufsmotivation, der Anerkennung der Tätigkeit und der pädagogischen Handlungsstrategien. Gerade Dippelhofer-Stiem (1999) und Dippelhofer-Stiem/Kahle (1995) haben eine vergleichende Perspektive eingenommen und Ost- und WestErzieherinnen im Kindergarten in Bezug auf deren schulische Ausbildung, ihr Berufsbild und ihre pädagogischen Handlungsstrategien erforscht. Kennzeichnend dabei ist die Ausrichtung der beruflichen Identität auf die pädagogischen Handlungskompetenzen bzw. die Zufriedenheit mit der Tätigkeit, mit dem Trä-
4 Ausführlich bei Lempert, Wolfgang (1988): Soziobiographische Bedingungen der Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 40,1: 62-92. 5 Heinz greift in seiner Ausführung auf Windolf (1981) zurück, der die berufliche Sozialisationsanalyse gewinnbringend mit dem Habitusbegriff von Bourdieu erweitert hat.
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ger und dem beruflichen Engagement. Dippelhofer-Stiem und Kahle (1995) stellen neben dem professionellen Selbstbild der evangelischen Erzieherinnen im Landkreis Hannover auch die Sicht der Eltern sowie die Erwartungen der Kirche dar. Der kirchliche Standpunkt unter anderem vertreten durch die Fachberaterinnen betont die religionspädagogische Arbeit im Kindergarten, die Erziehung zur Toleranz und die Einbindung des evangelischen Kindergartens in die Gemeindearbeit. Dieser Anspruch, der von den Expertinnen erhoben wird, stellt sich als nicht kompatibel mit der Praxis dar, da die Erzieherinnen andere Ansprüche an ihre Professionalität und ihr pädagogisches Profil formulieren (ebd.: 68ff). Gerade diese empirische Studie, die quantitativ angelegt war, bietet sich als Vergleich des professionellen Selbstverständnisses an und stellt eine Möglichkeit der Kontrastierung dar, um die Spezifik des beruflichen Habitus der Kinderdiakoninnen greifen zu können, die gerade diesen Anspruch an die religionspädagogische Arbeit im evangelischen Kindergarten betonen und sich als Mitarbeiterinnen im Verkündungsdienst begreifen. Zur Gliederung und zum Aufbau der Arbeit : Im 2. Kapitel werden zunächst die grundlegenden Fragen der vorliegenden Untersuchung im Kontext wesentlicher Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Transformationsforschung und der erziehungswissenschaftlichen Forschung formuliert. Dabei wird bewusst die Makroebene nur insoweit thematisiert, als sich dies für die Akteursperspektive notwendig erweist. Die theoretische Perspektive wird um die psychologische erweitert, um die Erkenntnisse der Stressund Coping-Theorien zur Transformation zu nutzen und die Bedeutung des Umbruchs für den Einzelnen auf diesem Hintergrund zu analysieren. Die zahlreichen Untersuchungen zur Situation der staatlich ausgebildeten Kindergärtnerin im Transformationsprozess werden angesprochen, da aus dieser Vergleichsperspektive Parallelen und Unterschiede zum Forschungsgegenstand deutlich werden. Das Haupt-Augenmerk dieses Kapitels liegt dann auf einer Zusammenfassung von relevanten Studien zur Situation von Christen und der evangelischen Kirche in der DDR. An dieser Stelle fließen im Sinne der Grounded Theory bereits eigene Recherchen zur Ausbildung zur Kinderdiakonin an den Seminaren für kirchlichen Dienst der DDR ein. Es wird ein Überblick über die Entstehung, Strukturierung und inhaltliche Gestaltung der sechs Seminare für kirchlichen Dienst gegeben. Der Rahmenlehrplan, der der Vereinheitlichung und Professionalisierung der Ausbildung zur Kinderdiakonin dienen sollte, wird ausführlich besprochen, um die Unterschiede zur staatlichen Ausbildung zur Kindergärtnerin fassen zu können und die Bedeutung des Curriculums für die berufliche Sozialisation zu erarbeiten.
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Mittels quantitativer Forschung werden im Kapitel 2 die Personalunterlagen des Seminars für kirchlichen Dienst Eisenach ausgewertet. Durch die Analyse der Lebensläufe, Zeugnisse und der pfarramtlichen Zeugnisse ist es möglich, die besondere Situation von jungen Christinnen, ihre berufliche Motivation und soziale Herkunft zu erforschen und vor dem Hintergrund soziologischer Untersuchungen zur evangelischen Kirche zu betrachten. Deutlich wird die Problematik der Benachteiligung von jungen christlichen Frauen bei der Ergreifung ihres Wunschberufes, ihre Schwierigkeiten mit der sozialistischen Ideologie, aber auch die von der evangelischen Kirche problematisierte Doppelung von Konfirmation und Jugendweihe in vielen Lebensläufen. Die Darstellung des evangelischen Kindergartens in der DDR und im Transformationsprozess, der den Orientierungs- und Handlungsrahmen der Kinderdiakoninnen darstellt, beschließt das erste Kapitel. Aufgrund kaum vorhandener Literatur wurde dieser Prozess anhand der 22 Interviews mit Kinderdiakoninnen und weiterer Experteninterviews mit Fachberatern der Diakonischen Werke Ostdeutschlands und einer ehemaligen Rektorin eines Seminars für kirchlichen Dienst im Rahmen dieser Arbeit rekonstruiert. Im 3. Kapitel wird zunächst die methodologische Anlage der Studie dargestellt. Ausgehend von der Grounded Theory wurde die dokumentarische Methode von Bohnsack zur Interpretation der Interviews herangezogen. Das Verfahren zur Erhebung der berufsbiographischen narrativen Interviews wird dargestellt. In diesem Kontext wird auch auf das Problem der Anonymisierung eingegangen und das Auswertungsverfahren beschrieben. Hauptteil des 3.Kapitels bilden die Fallbeschreibungen. Insgesamt werden 7 Fallbeschreibungen dokumentiert. Ihre Gliederung erfolgt nach einem einheitlichen Schema: Nach der Darstellung der Kindheit und der beruflichen Motivation erfolgt die Beschreibung der beruflichen Sozialisation, die die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst und erster praktischer Erfahrungen impliziert. Danach wird der spezifische Habitus der Kinderdiakonin rekonstruiert und das habituelle Handeln im Transformationsprozess untersucht. Abschließend werden die individuellen Coping-Strategien herausgearbeitet. Die Fallbeschreibungen, die in sich vergleichbar geordnet sind, dienen der komparativen Analyse, die jedoch nur ansatzweise in den einzelnen Fallbeschreibungen geleistet wird. Die einzelne Fallbeschreibung stellt eine Kontrastfolie dar, wobei eine dramaturgische Steigerung von dem in den Interviews häufig anzutreffenden Typus von Kinderdiakonin bis hin zu den selteneren Fällen stattfindet. Die Fallrekonstruktion von Frau F und Frau G stellen Kontrastfälle dar. Im 4. Kapitel wird auf der Grundlage der Fallkontrastierung und der Einbeziehung weiterer Interviews eine Typologie entwickelt, die die Genese der Entwicklungstypik eines individuellen Habitus und des Orientierungs- und Hand-
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lungsrahmens beschreibt. Die Nutzung von emotionalen Coping-Strategien, die mit einem elitären Habitus als kirchliche Mitarbeiterin einhergehen, war in der Typologieentwicklung dominant, während die Bewältigung des Umbruchs im Transformationsprozess mittels problemorientierter Coping-Strategien unter Berücksichtigung aller 22 Interviews nur selten anzutreffen ist. Lediglich Frau D und Frau G begreifen die Wende und die darauf folgende staatliche Wiedervereinigung Deutschlands als Herausforderung und als Chance. Im 4. Kapitel wird darüber hinaus auf dem Hintergrund der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit die Lage von Christen in der DDR vor dem Hintergrund der Theorie Etablierte und Außenseiter von Elias analysiert. Die Kinderdiakonin, die im Kontext ihres situativen Rahmens gesehen werden muss, verliert mit der staatlichen Wiedervereinigung das Besondere ihrer Lebenswelt und bleibt daher mit ihrem elitären Habitus in der Vergangenheit verhaftet. Unter Rückgriff auf die Studien zur Situation der staatlich ausgebildeten Kindergärtnerin im Transformationsprozess werden die vorliegenden Ergebnisse hierzu in Beziehung gesetzt und Parallelen und Unterschiede der beiden Vergleichsgruppen herausgearbeitet, die für die Diskussion der Professionalisierung und des professionellen Handelns von Kinderdiakoninnen im Transformationsprozess genutzt werden.
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2 Theoretischer Rahmen
Im diesem Kapitel werden wesentliche Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen, psychologischen Transformationsforschung und der erziehungswissenschaftlichen Forschung formuliert. Dabei wird der Schwerpunkt in Kapitel 2.1 auf die Erkenntnisse der Stress- und Coping-Theorien zur Transformation gelegt, um die Bedeutung des Umbruches für den Einzelnen auf diesem Hintergrund zu analysieren. Die zahlreichen Untersuchungen zur Situation der staatlich ausgebildeten Kindergärtnerin im Transformationsprozess werden dargestellt, da gerade aus dieser Vergleichsperspektive Parallelen und Unterschiede zum Forschungsgegenstand deutlich werden (vgl. Kap. 2.2). Das Haupt - Augenmerk des Kapitels 2.3 liegt auf einer Zusammenfassung von relevanten Studien zur Situation von Christen und der evangelischen Kirche in der DDR. Es wird ein Überblick über die Entstehung, Strukturierung und inhaltlichen Gestaltung der sechs Seminare für kirchlichen Dienst gegeben. Der Rahmenlehrplan, der der Vereinheitlichung und Professionalisierung der Ausbildung zur Kinderdiakonin, dienen sollte, wird ausführlich besprochen, um die Unterschiede zur staatlichen Ausbildung zur Kindergärtnerin fassen zu können und die Bedeutung des Curriculums für die berufliche Sozialisation zu erarbeiten. Bereits in diesem Rahmen fließen im Sinne der Grounded Theory eigene Recherchen zur Ausbildung zur Kinderdiakonin an den Seminaren für kirchlichen Dienst der DDR ein (vgl. Kap. 2.3.5). Mittels quantitativer Forschung wurden die Personalunterlagen des Seminars für kirchlichen Dienst Eisenachs ausgewertet. Die Darstellung des evangelischen Kindergartens in der DDR und im Transformationsprozess, der den Orientierungs- und Handlungsrahmen der Kinderdiakoninnen darstellt, beschließt die Darstellung des theoretischen Rahmens. Aufgrund kaum vorhandener Literatur wurde dieser Prozess anhand der 22 Interviews mit Kinderdiakoninnen und weiterer Experteninterviews mit Fachberatern der Diakonischen Werke Ostdeutschlands und einer ehemaligen Rektorin eines Seminars für kirchlichen Dienst im Rahmen dieser Arbeit rekonstruiert.
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2.1 Transformation, Stress und Coping-Strategien Gesellschaftliche Transformationsprozesse und die damit einhergehenden politischen, ökonomischen und sozialen Veränderungen implizieren einen grundlegenden Wandel für den Einzelnen. Der Transformationsprozess wird unterschiedlich in seinen Folgekosten bilanziert, als Vertreter für eher gegensätzliche Positionen seien hier Zapf (1994, 1995) und Reißig (2000) genannt. Zapf (1994, 1995) und Geißler (1993, 2000), die in Studien zum Transformationsprozess immer wieder zitiert werden, fassen die Transformation als nachholende Modernisierung und werden in ihrer Analyse insbesondere von Reißig (2000) und Woderich (1996b, 1997) kritisiert, da dadurch bereits die Ungleichheit der Partner konnotiert sei.6 Zur Erforschung des Transformationsprozesses wurden verschiedene Richtungen der Theoriebildung herangezogen. Dominierten zunächst in den Sozialwissenschaften die Modernisierungstheorie und Totalitarismusforschung, verstärkte sich später der akteurstheoretische Diskurs. Der Schwerpunkt der Forschung wurde verstärkt von der Makroebene auf die Mikroebene gelegt, um nach dem Transfer der Institutionen und dessen Implementierung die Gestaltung und Steuerung der Transformation durch individuelle und kollektive Akteure zu
6 Der Umgestaltungs- und Neugestaltungsprozess bedeutete nach Zapf (1994, 1995) für die DDR durch den Beitritt zur BRD im Gegensatz zu den anderen osteuropäischen Staaten ein Privileg, da mit dem Institutionen-, Ressourcen- und Elitentransfer von Westdeutschland nach Ostdeutschland die Risiken des Systemwechsels minimiert werden sollten. Die negativen Folgekosten oder andere Möglichkeiten der Transformation werden vor allem von Reißig (2000) und Woderich (1996b) aufgezeigt, die insbesondere die Aussagen von Zapf und Geisler zur nachholenden Modernisierung kritisieren. Reißig (2000) stellt zwei Aspekte heraus, die seines Erachtens maßgeblich für den ganzen Transformationsprozess sind: erstens das Versprechen für Westdeutschland, dass der Beitritt der DDR keine nachteiligen Folgen für den Einzelnen haben würde, zweitens, dass es in kurzer Zeit zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und Westdeutschland kommen würde. Der Institutionen-, Ressourcen- und Elitentransfer, der sich durch seinen Umfang auszeichnete, um die Risiken des Systemwechsels zu minimieren, ging mit einem Transfer der Eliten einher. Die Rekrutierung der Eliten aus Westdeutschland führte allerdings in Ostdeutschland auch zur (subjektiven) Sichtweise der Fremdbestimmung und des beginnenden Rufs nach Anerkennung der eigenen Kompetenzen und Leistungen. Reißig (2000) unterscheidet zwischen der Systemintegration, die seines Erachtens gelungen ist, und der nicht vollzogenen Sozialintegration der Ostdeutschen. Dies liegt darin begründet, dass der Systemwechsel überwiegend exogen gesteuert wurde, wobei die endogenen Ressourcen unberücksichtigt blieben. Die Asymmetrie in den Lebensverhältnissen (Einkommen, Besitz, Bildung, Erwerbstätigkeit) zwischen Ost- und Westdeutschland führt neben den bereits aufgezeigten Faktoren zu einer kulturellen Differenzierung. Diese These wird unter anderem von Woderich (1996b) aufgegriffen, der ebenso wie Reißig (2000) ein Phänomen postuliert, das im Transformationsprozess entstanden ist die Besinnung auf einen Staat, der nicht mehr existiert, die Entdeckung und Formulierung der Ostidentität.
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untersuchen.7 Entgegen der Erwartung eines schnellen Anpassungs- und Integrationsprozesses traten seit Mitte der 90er Jahre die sozialstrukturellen Problemlagen und die nicht intendierten Folgekosten immer offensichtlicher hervor. Auch 17 Jahre nach der staatlichen Wiedervereinigung zeigt sich, dass die politischen, sozialen und ökonomischen Probleme Ostdeutschlands und die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West eine Herausforderung darstellen, die Politik und Wirtschaft noch geraume Zeit beschäftigen wird. Trotz massivem Finanzund Institutionstransfer werden die neuen Bundesländer weiter auch finanziell von Transferleistungen abhängig bleiben. Der politische und gesellschaftliche Umbruch und die damit einhergehende Ungewissheit (Rabe-Kleberg 2006) werden von Mummendey und Kessler (2000) unter dem Aspekt der sozialen Identität analysiert, die für Ostdeutsche das Phänomen der bedrohten sozialen Identität der Ostdeutschen konstatieren: Die sozial etablierten und geteilten Normen und Werte der ursprünglichen Gruppe stellen eine wichtige Quelle für Konflikte bei der Entstehung einer neuen und umfassenden Identität dar: Zum einen können Konflikte darüber entstehen, welche Inhalte und Werte wesentlich für die neue Gruppe sein sollten (...) und zum anderen kann Wettbewerb um die bessere Repräsentation dieser neuen Werte durch eine der ursprünglichen Gruppen entstehen (Mummendey, Kessler 2000: 278).
Der Umbruch wird durch den Rückgriff auf die gelebte Vergangenheit bewältigt, da nach Mummendey/Kessler die bei der deutsch-deutschen Vereinigung geforderte Assimilation an westdeutsche Verhältnisse, die geforderte nachholende Modernisierung (Zapf 1994) an die Standards der BRD, die soziale und kulturelle Identität bedroht. Die Krise der Identität ist mit Angst und Stress verbunden; so implizieren soziale Veränderungen und Wandel Stress, auf der anderen Seite führt Stress zu Wandel, da sich der Einzelne den Veränderungen anpassen bzw. selbst Änderungen der Situation oder der Umwelt vornehmen muss, um sich wieder im Gleichgewicht zu befinden und den Spannungszustand zu verringern (vgl. Schwarzer 1994, Jerusalem 1994, 1999). Die dazu notwendigen Verände-
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Vielfältige Veröffentlichungen und Untersuchungen, die sich mit dem Transformationsprozess in Osteuropa und dem Sonderfall DDR beschäftigen, liegen heute 15 Jahre nach der Wiedervereinigung von BRD und DDR vor. Reißig spricht in diesem Zusammenhang von 5500 Publikationen, die bislang zum Transformationsprozess verfasst worden sind (vgl. Reißig 2000: 17). Ein Großteil der Untersuchungen wurde durch die Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels (KSPW) getragen. Weitere durch die DFG geförderte Schwerpunktprogramme zur Transformationsforschung sowie Studien des Berliner Wissenschaftszentrums, des Berliner Instituts für Sozialwissenschaftliche Studien (BISS), des Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, des ZUMAMannheim und Sonderforschungsbereiche an einzelnen Universitäten belegen die Intensität der Erhebungen und Untersuchungen.
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rungen und Anpassungen können als Coping-Strategien nach Lazarus/Folkman (1984) gefasst werden. Der hier verwendete Stressbegriff ist nach Jerusalem (1994), Lazarus/Folkman (1984) und Schwarzer (1994) transaktional und kognitiv, da Stress durch die Interdependenz der Prozesse von Person und Situation und deren Wertung entsteht. Die Selbsteinschätzung einer Person (kompetent oder inkompetent) bedingt die kognitive Einschätzung einer Situation, inwieweit sie diese als Stress und daraus folgend als Bedrohung oder als Herausforderung erlebt. Merkmale der Situation, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder Verringerung der Arbeitszeit treten in Wechselwirkung mit Merkmalen der Person wie zum Beispiel der Kompetenz auf, beides wirkt sich auf die kognitive Stresseinschätzung aus. Ausgangspunkt sind Merkmale der Situation (z.B. Schwierigkeit und Klarheit der Anforderungen) und der Person (z.B. Wertvorstellungen, Motivation, Überzeugungen), die Informationsverarbeitungsprozesse, Bewertungen, Handlungen und Gefühle beeinflussen. Ressourcen sind Personmerkmale, die für die Problembewältigung hilfreich sind (z.B. hohe Fähigkeiten, Selbstvertrauen, Ehrgeiz, Geld), da sie vor negativem Stress und Mißerfolgserfahrungen schützen. Persönliche Vulnerabilität liegt hingegen angesichts schwacher Ressourcen oder persönlicher Risikomerkmale vor (z.B. Behinderung, Arbeitslosigkeit, Ängstlichkeit, Selbstzweifel), die negative Stresseinschätzungen und Fehlanpassungen wahrscheinlich machen (Jerusalem 1999: 299).
Nach Lazarus (1991) entsteht Stress, wenn Menschen in persönlich wichtigen Umfeldern unsicher sind, inwieweit sie sich den auftretenden Belastungen gewachsen fühlen. Das kristallisiert sich besonders in persönlich wichtigen Bereichen wie Familie, Beziehung und Beruf heraus, wobei Stresserleben heißt, dass der Einzelne seine Kompetenzen und Fähigkeiten mit den Anforderungen der Problemsituation vergleicht. Nicht objektive persönliche Potentiale sind entscheidend, sondern die subjektive Bewertung durch den Einzelnen. Daraus folgt: je weniger kompetent sich der Einzelne einschätzt, desto größer wird der gestellte Anspruch und Stressfaktor erlebt. Schwarzer (1994) bezeichnet Stress als einen interdependenten Prozess, der auf subjektiver Wahrnehmung basiert. Zu diesem Prozess gehören die folgenden Schritte: (a) vorauslaufende Merkmale der Situation und der Person, (b) die kognitive Einschätzung der kritischen Anforderungen sowie der eigenen Ressourcen, die ihnen entgegengestellt werden können, was wiederum als Herausforderung, Bedrohung, Schädigung/Verlust aufgefaßt wird, (c) Bewältigungsversuche und (d) die kognitiven,
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emotionalen, sozialen und gesundheitlichen Konsequenzen, die man wiederum in kurz- und langfristige unterteilen könnte (Schwarzer 1994: 14).8 Lazarus (1966) bezeichnet Herausforderung, Bedrohung und Verlust als drei idealtypische Stresseinschätzungen. Diese können gleichzeitig auftreten, wobei die jeweilige Akzentuierung einen maßgeblichen Einfluss darauf ausübt, welche Bewältigungsstrategie anschließend bevorzugt wird. Schwarzer und Jerusalem haben anhand der Übersiedlung von ehemaligen DDR-Bürgern in die Alten Bundesländer untersucht, inwieweit der Einzelne dieses als Stress empfunden, welche Ressourcen er besessen hat und welche Bewältigungsstrategien angewendet wurden (vgl. Jerusalem und Schwarzer 1994). Ergebnis dieser Studie war, dass bei Arbeitslosigkeit und der Begegnung mit Neuem entscheidend ist, inwieweit der Einzelne in einer Partnerschaft eingebunden ist, die als Ressource begriffen wird und entlastend wirkt. Bei den gebundenen Personen zeigte sich, dass Stress eher als Herausforderung und Möglichkeit bewertet wurde und daraus folgend eher instrumentelle Bewältigungsmöglichkeiten gewählt wurden. Die Bewertung von Stress zieht deren Strategien zur Bewältigung nach sich. Nach Lazarus und Folkman (1978) umfasst der Begriff der Bewältigung alle Anstrengungen einer Person, mit der stressauslösenden Situation umzugehen. Das Verhalten kann unterschieden werden in Anstrengungen, die darauf gerichtet sind, die Problemlage positiv zu verändern (problemorientierte bzw. instrumentelle Bewältigung), bzw. in Anstrengungen, die die emotionale Befindlichkeit (emotionale Bewältigung) verbessern. Während der Einzelne bei der problemorientierten Bewältigung aktiv versucht, das Problem zu lösen, beinhaltet die emotionale Bewältigung die Beseitigung des unangenehmen Zustandes durch Verleugnung, Ablenkung oder Flucht in Suchtmittel (vgl. Jerusalem 1994: 127). Die Stressbewertung und deren Bewältigung sind nach Jerusalem abhängig von den personalen Ressourcen einer Person. Jerusalem (1999) analysiert die für die Bewältigung des Umbruchs notwendigen Ressourcen. Ausgangspunkt ist die vom DDR-Staat geforderte Internalisierung sozialistischer Wertvorstellungen und die persönliche Identifizierung mit diesen. Daraus erfolgten je nach Identifizierung karriereförderliche und lebenserleichternde wichtige Ressourcen (vgl. Jerusalem 1999: 300).
8 Schwarzer betont die Schwierigkeiten, die bei der empirischen Erforschung und aus diesem erwachsen, da keine eindeutige Ursache-Wirkung-Relation erkennbar ist, wenn die Gleichzeitigkeit der einzelnen Momente unmittelbar zusammenhängt wie dies in Bezug auf die Übersiedlung von Ostdeutschen und die Situation in Ostdeutschland der Fall ist.
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Der ständige Kampf zwischen der Notwendigkeit zu einer ideologie-konformen Einstellung einerseits und möglicherweise völlig anders gelagerten individuellen Werten und motivationalen Einstellungen andererseits führte zu einem zunehmenden Rückzug in die private Welt, da zumindest in den geschützten Räumen wie Familie, Nachbarschaft und Freundeskreis funktionale soziale Netzwerke und Nischen der Gleichgesinnung bestanden und kultiviert wurden, die soziale Unterstützung, Akzeptanz und Geborgenheitsgefühle sicherten (Jerusalem 1999: 301).
Neben den vom Staat geforderten Ressourcen waren andere Ressourcen (Eigeninitiative, Selbstsicherheit, Durchsetzungsvermögen, Eigenverantwortung) weniger bedeutsam und wurden folglich institutionell nicht gefördert. Der Staat übernahm mit den von ihm zur Verfügung gestellten Angeboten (Ausbildung, Arbeitsplatzsicherheit) eine Kompensation, so dass die nach der staatlichen Wiedervereinigung notwendigen Ressourcen nicht ausgebildet waren. Die funktionalen Ressourcen wurden mit dem politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Umbruch dysfunktional, sozialistische Persönlichkeiten wurden nicht mehr honoriert, sondern sanktioniert.9 So war es weiten Teilen der Bevölkerung nicht bewusst, dass die erworbenen Ressourcen in ihrer Bedeutung für die weitere Lebensgestaltung in der BRD gering waren. Zunächst wurden die mit der staatlichen Wiedervereinigung verbundenen Freiheitsrechte und Möglichkeiten in der allgemeinen Stresseinschätzung als Herausforderung und nicht als Bedrohung gesehen. Durch die bis zur staatlichen Wiedervereinigung vorhandene Sicherheit und Absicherung durch den Staat konnte der Einzelne nicht die wirkliche Dimension des Umbruchs und der damit verbundenen anschließenden Herausforderungen und Stressmomente überblicken. In dieser ersten Zeit nach der Wende unterlagen viele Menschen vermutlich einer Kontrollillusion, die auf der Fehleinschätzung der sie erwartenden Verhältnisse bezüglich der bedeutsamen, der verfügbaren und der bedrohten Ressourcen sowie der zentralen Anforderungen im neuen Gesellschaftssystem beruhte (Jerusalem 1999: 302).
Die mit der Wiedervereinigung geforderte Anpassung bedeutete für die meisten Ostdeutschen das Durchlaufen einer zweiten Sozialisationsphase (ebd.: 303). Die vor allem in den Medien erfolgte Stigmatisierung, Entwertung der bisherigen
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Die Internalisierung der sozialistischen Persönlichkeit war notwendiges Moment im beruflichen Handeln der Erzieherin, da von dieser im Kindergarten die Erziehung und Bildung zu sozialistischen Persönlichkeiten verlangt wurde, während gerade Kinderdiakoninnen das Bild der sozialistischen Persönlichkeit nicht verinnerlicht hatten und ihr berufliches Handeln am Evangelium orientiert war.
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Leistungen und die dort geforderte Anpassungsleistung implizierte für die Ostdeutschen erheblichen Stress und warf die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen seiner Bewältigung auf. Vielen Ostdeutschen kann durch den Verlust bzw. die Unsicherheit ihrer Arbeit und damit auch der sozialen Einbindung sowie durch die Entwertung ihrer Berufsbiographie ein Verlust von Ressourcen attestiert werden. Jerusalem zeigt auf, dass statt problemorientierter Bewältigungsstrategien eher emotionszentrierte und vor allem soziale Bewältigungswege vorherrschten und gepflegt wurden (Jerusalem 1999: 304). Es mussten keineswegs nur für die Lebensbewältigung neue funktionale Ressourcen erworben werden, sondern die Transformation führte allgemein zu einer Identitätskrise. Es galt, das bisherige Leben zu akzeptieren und zusätzlich einen neuen Lebenssinn zu finden. Der nachhaltige Einfluss der sozialistischen Ideologie auf die soziale Identität zeigt sich auch in der Untersuchung von Montada und Dieter (1999), die das Erleben von Gewinn und Verlust von DDR-Bürgern analysiert haben. Deren Einschätzung der augenblicklichen und früheren materiellen und immateriellen Situation, der gesellschaftlichen Ordnung und Institutionen, der gesellschaftlichen Werte und Gerechtigkeit zeigt, dass nicht die objektive Situation entscheidend für die subjektive Wertung des allgemeinen und persönlichen Wohlstandes ist, sondern die subjektive Bewertung von früher, in die auch antiwestliche Ressentiments einfließen (vgl. Montada/ Dieter 1999: 28). Es zeigt sich, dass gerade durch die Betroffenheit vieler Ostdeutscher von den negativen Folgekosten der Transformation das Versagen nicht als persönlich, sondern als kollektives Versagen, besser gesagt als Verantwortung westdeutscher Institutionen und Eliten, begriffen wurde. Damit werden die Verantwortung und der Selbstwertverlust des Einzelnen abgemindert und gleichzeitig kollektive Bewältigungsstrategien aktiviert, die Rückbesinnung auf die staatlichen sozialistischen Sicherheiten und Absicherungen implizieren. Erst die immer wiederkehrenden Enttäuschungen (Arbeit, Wohnung, soziale Gemeinschaft) zogen nach der optimistischen Kontrollillusion Stressbewältigungsprozesse mit sich, die auf kollektive Bewältigungsstrategien aufbauten. Die Bewertung der persönlichen Lage ist aus der Sicht ostdeutscher Menschen nicht unabhängig von systemspezifischen Veränderungen. Die Änderung der gesellschaftlichen Werte, des allgemeinen Wohlstandes, Verluste sozialer Errungenschaften, die die DDR-community vorher bereitgestellt hatte, sind wesentliche Bestimmungsgrößen für die persönlich erlebten Belastungen und die Belastungsverarbeitung. Viele Menschen streben inzwischen wieder nach den kollektiven Ressourcen der Vergangenheit und nach kollektiven Bewältigungsstrategien, die vormals persönliche befriedigende Gemeinschaftserlebnisse und soziale Akzeptanz und Sicherheit gewährleistet haben (Jerusalem 1999: 308).
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Die einseitige Anpassung, die Jerusalem als Akkomodation begreift, beinhaltet, dass wesentliche Ressourcen, die in der DDR erworben wurden, als nicht mehr passend erfahren werden, dass das frühere Bild des Westens und des damit verbundenen live-styles nicht mehr erstrebenswert sind und damit die noch im geringen Maße verbleibenden Ressourcen für ein kollektives Coping und die Konstruktion der Ost-Identität und des einhergehenden Wir-Gefühls an Bedeutung gewinnt (vgl. Jerusalem 1999).10 Allerdings verändern die Transformation und die damit einhergehenden Modernisierungs- und Individualisierungsprozesse auch entscheidend die Lebenssituation von Christen in den Neuen Bundesländern. Die für die DDR typische Abgrenzung als Christ, das damit einhergehende Wir-Gefühl, ist mit der staatlichen Wiedervereinigung obsolet geworden, insofern ist deutlich, dass hier eine Situation vorliegt, die Coping-Strategien notwendig macht. Geht man davon aus, dass Christen in der DDR einer spezifischen Situation ausgesetzt und kirchliche Mitarbeiter stark an der BRD orientiert waren, so ist zu erwarten, dass diese sich im Hinblick auf die Stressbewältigungsstrategien von anderen DDR-Bürgern abheben.
2.2 Die vergleichende Perspektive die Kindergärtnerin im Transformationsprozess Transformation, Umgestaltung und Entwertung betrafen insbesondere das einheitliche sozialistische Bildungssystem, das das gesamte Bildungssystem vom Kindergarten bis zur Universität umfasste und das gerade nach der staatlichen Wiedervereinigung unter dem Totalitarismuskonzept und der totalitären politischen Durchdringung diskutiert wurde.11 Fabel-Lamla (2004) untersuchte die Professionalisierungspfade ostdeutscher Lehrer und gibt differenziert einen Überblick über die sich trotz einer Vielzahl von Untersuchungen noch in den Anfängen befindliche Forschung zum Bildungssystem der DDR, den Bewältigungsstrategien und biographischen Belastungen von ostdeutschen Pädagogen. Musiol (1998) untersuchte ebenso wie Fabel-Lamla (2004) eine Berufsgruppe die vom Transformationsprozess in spezifischer Weise betroffen ist die in der DDR ausgebildeten Kindergärtnerinnen, die an den Pädagogischen (Fach-) Schulen ihr 10
Jerusalem benutzt in diesem Zusammenhang die Begrifflichkeit Piaget und geht im Transformationsprozess und den Anforderungen der Ostdeutschen von dem Wunsch der Assimilation aus. Gefordert wird im Veränderungsprozess jedoch die Akkomodation. 11 Begriff des einheitlichen sozialistischen Systems zitiert nach Helwig, Gisela (Hrsg.) (1988): Schule in der DDR, Köln: Dokumentation Verfassung: 189 Interessant im gleichen Band die Darstellung von Helwig zur weltanschaulichen Erziehung im Kindergarten anhand von Beispielen illustriert (vgl. ebd.: 90ff).
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Studium absolviert hatten. Rabe-Kleberg (1994, 1996, 1999, 2006) stellt dar, dass das professionelle Handeln der Erzieherinnen in der Transformation durch Ungewissheit und Unsicherheit geprägt war, da gerade dieser Bereich diskreditiert und entwertet wurde. Zu nennen vor allem die Verschiebung der gesamten Institution Kleinkindererziehung aus dem Bildungs- in das Sozialsystem, die Abwertung des Berufs der Kindergärtnerin zu einem traditionellen Frauenberuf mit seinen gendertypischen strukturellen Beschränkungen, sowie und das interessiert hier vor allem die Entwertung, besser gesagt das zumindest formale Auslöschen des gesamten beruflichen Wissens, ohne dass hier institutionell angeleitet ein anderes berufliches Wissen an die Stelle des vorherigen gesetzt worden wäre (Rabe-Kleberg 2006: 115).
Musiol (1998) zeigt in ihrer Dissertation die Schwierigkeiten im Übergang anhand von Berufsbiographien von DDR-Erzieherinnen auf und stellt deren pädagogische Handlungskompetenzen und Berufsverständnis dar.12 Ausgehend von der Analyse der Rolle der Kindergärtnerin und dem Bild des Kindes in der DDRPädagogik kristallisieren sich wesentliche Momente heraus, die die Spannung, Unsicherheiten, aber auch potentielle Möglichkeiten im pädagogischen Handeln der Erzieherin in der Transformation kennzeichnen. Auch wenn von einigen der Erzieherinnen die Möglichkeit einer pädagogischen Neuorientierung durch die Wiedervereinigung begrüßt wurde, stellte der Wegfall des pädagogischen Programms eine Entwertung ihres beruflichen Wissens und ein krisenhaftes Ereignis dar, welches sie durch individuelle und teilweise ambivalente Strategien zu bewältigen versuchten. Musiol (1998) stellt dar, dass ein Großteil der Erzieherinnen an dem Gewohnten festhalten, dieses allerdings der sozialistischen Inhalte bereinigen (ebd.: 115). Die Sicherheit für das berufliche Handeln, das mit dem Erziehungs- und Bildungsplan verbunden war, fällt weg. Die Unsicherheit wird durch die Beliebigkeit der Konzepte und die gerade in den Medien geführten Diskussionen über die sozialistische Pädagogik verstärkt. Die Beschreibung der Handlungs- und Bewältigungsstrategien der Erzieherinnen durch Musiol (1998) deckt sich mit den Aussagen Jerusalems, dass problemorientierte Bewältigungsstrategien gering ausgeprägt und eher emotionale Bewältigungsstrategien vorherrschend sind (vgl. Kap. 2.1). Die in vielen Fällen eingetretenen Trägerwechsel, Verkürzungen der Arbeitsverträge aufgrund der demographischen Entwicklung beinhalteten zusätzliche Unsicherheiten für die berufliche und private Situation der Einzelnen. Die von Jerusalem (1999) aufgezeigte emotionale Bewältigungsstrategie zeigt sich in der Rückbesinnung auf staatliche Sicherheiten
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Musiol benutzt in ihrer Dissertation den Begriff Erzieherin.
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und im Festhalten am Gewohnten, der starken Skepsis gegenüber neuen pädagogischen Konzepten. Die Skepsis wird häufig von Ablehnung gegenüber Neuerungen unter anderem einer Resistenz gegenüber Fortbildungen begleitet. In der von Hölterhinken, Hoffmann und Prüfer (1997), aber auch von Konrad (2004) dargestellten Geschichte des Kindergartens, der Ausbildung zur Kindergärtnerin und des Einflusses der sowjetischen Entwicklungspsychologie und Vorschulpädagogik wird die Diffusion der beruflichen Identität der Kindergärtnerin in der Umbruchsituation sowie die Entwertung ihres beruflichen Abschlusses und Wissens greifbar.13 Kennzeichnend für den Kindergarten in der DDR war seine Zuordnung zum Ministerium für Volksbildung und damit auf der unteren Ebene zu den Abteilungen für Volkbildung der Räte der 14 Bezirke und 217 Kreise. Konrad (2004: 217) stellt dar, dass die staatliche Aufsicht von den Bezirks- und Kreisschulräten und in deren Vertretung von den Bezirks- und Kreisreferenten für Vorschulerziehung vollzogen wurde. Diese hatten die Aufgabe, die Berufsaspirantinnen auszuwählen, wobei zentrales Kriterium bei der Auswahl neben den herausragenden schulischen Leistungen eine gefestigte und engagierte sozialistische Persönlichkeit war.14 Darüber hinaus wurden von diesen Funktionären die aus-
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Die frühkindliche Erziehung in der DDR wird immer wieder im Hinblick auf Autoritarismus, fehlende Individualität und Kreativität diskutiert. Maaz (1990), der in seinem Buch Der Gefühlsstau aus psychoanalytischer Sicht das Aufwachsen in der DDR und dessen Bedeutung für die Persönlichkeit analysiert, betont die Bedeutung und Schwierigkeiten, die mit dem selbstverständlichen Besuch der Krippe für die meisten Kinder verbunden waren. Diese konnten durch den frühzeitigen (langen) Aufenthalt in der Krippe keine intensiven Liebeserfahrungen mit den Eltern machen, die gerade für die Persönlichkeitsbildung des Einzelnen nach Sicht der Psychoanalyse entscheidend sind. Besonders Maaz hat in seiner Darstellung der repressiven Erziehung in der DDR und der damit verbundenen Charakterbildung von Ostdeutschen kontroverse Diskussionen ausgelöst. Eine weitere psychoanalytische Analyse der Familie und Erziehung in der DDR mit ähnlichem Ergebnis wie Maaz wird von Israel (1990, 1997) formuliert, die ähnlich Thesen zur repressiven Erziehung darstellt. Diese häufig durch die Medien forcierten Diskussionen werden unter anderem von Pfeiffer (1999) aufgegriffen. Die Aussagen von Pfeiffer stellen eine Neuauflage der psychonanalytischen Betrachtung der DDR-Bevölkerung dar, die ausgehend von der psychosexuellen Entwicklung, die frühe Sauberkeitserziehung in der DDR kritisieren. In diesem Zusammenhang ist die von Ahbe (2004: 12) getroffene Aussage der Konstruktion der Ostdeutschen virulent, da insbesondere Thesen von Pfeiffer und Maaz in den Medien aufgegriffen wurden, die die besonderen Sozialisationbedingungen in der DDR hervorgehoben haben, die Erleben und Verhalten als autoritätsgläubig und Ich-Schwäche bezeichneten und die die Fremdheit durch Sozialisation bestätigten. Dass diese sich durch Untersuchungen nicht empirisch belegen ließen, beeinflusste nicht deren populäres Wirken in der Konstruktion des Diskurses um Ostdeutsche und Ostidentität. 14 Dies sei hier so herausgestellt, da viele spätere Kinderdiakoninnen den Berufswunsch der Kindergärtnerin hatten, aber dem Kriterium der engagierten sozialistischen Persönlichkeit nicht entsprachen. Erst durch Ablehnung der Bewerbung für die Aspirantur wurde in der Regel Kenntnis von der Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst genommen. Einigen Bewerberinnen war der Unterschied
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gebildeten Kindergärtnerinnen eingestellt, Kindergartenleiterinnen ernannt oder zum Studium der Pädagogik an die Humboldt-Universität nach Berlin delegiert. Diese Möglichkeit der planmäßigen Weiterqualifizierung mit der Option, an den Pädagogischen Schulen unterrichten zu können, ging mit der staatlichen Wiedervereinigung verloren. Rabe-Kleberg (2006) verweist in ihrem Beitrag auf gendertypische Beschränkungen, die der Beruf der Erzieherin nach der Wiedervereinigung erfuhr und die den vormals durch die vergleichsweise hohe Entlohnung und den hohen Status, der ihnen als Fachfrauen für Vorschulpädagogik zukam, attraktiven Beruf der Kindergärtnerin diskreditierten. Bereits Musiol (1998), Rabe-Kleberg (1994, 1995, 1996, 1999, 2006), Konrad (2004), Hölterhinken, Hoffmann und Prüfer (1997) setzen sich ausführlich und differenziert mit der Berufsbiographie der Kindergärtnerin, ihrem Leitungsverständnis und den Grundsätzen ihres pädagogischen Handelns aufgrund des Erziehungs- und Bildungsplanes von 1965 und 1985 auseinander. Daher soll an dieser Stelle nur auf Aspekte hingewiesen werden, die für die Kindergärtnerin in der DDR galt, für die Kinderdiakonin im evangelischen Kindergarten Bedeutung besaßen und sich mit der Transformation entscheidend wandelten:
Den Eltern kam im Kindergarten der DDR nur eine formalisierte Elternmitsprache zu, die so genannten Elternaktive beschränkten sich auf die Unterstützung bei organisatorischen Dingen, die Mithilfe bei Kindergartenfesten oder fakultative Arbeitseinsätze bei Renovierungen (vgl. Konrad 2004: 218). Kennzeichnend für den staatlichen Kindergarten der DDR waren die altershomogenen Kindergruppen, die bestimmend für die pädagogische Arbeit auf der Grundlage der altersspezifisch festgelegten Ziele und Inhalte der Erziehungs- und Bildungspläne waren.15
zwischen den staatlichen Pädagogischen Schulen für Kindergärtnerinnen und dem Seminar für kirchlichen Dienst unklar, da sie sich auch an den Seminaren für eine Ausbildung zur Kindergärtnerin beworben hatten und ihr Engagement bei den Pionieren und der FDJ betonten. (Archiv Seminar für kirchlichen Dienst Eisenach, Personalunterlagen 1972-1989, in der Evangelischen Fachschule für Diakonie und Sozialpädagogik Johannes Falk) 15 Eindeutig ist, dass die staatliche sozialistische Erziehung kein Einzelsubjekt und seine Meinung förderte, sondern dass dezidiert eine Einordnung in das Gesamtgefüge gefordert wurde. Das Ziel der sozialistischen Persönlichkeit und die Einordnung in das Kollektiv wurden bereits für die Kinderkrippe wie für den Kindergarten formuliert. Der einzelne Pädagoge sollte nicht seinen eigenen pädagogischen Anspruch formulieren und umsetzen, sondern staatlich zentral vorgegebene Orientierungen und Lehrpläne umsetzen. Der allseits gebildete Mensch wurde zu diesem Zweck bereits schon im Kindergarten als erklärtes Ziel betrachtet, da der Kindergarten unter die Zuständigkeit des Ministeriums für Volksbildung fiel. Individuelle Befindlichkeiten und unterschiedliche Entwicklungen konnten durch das Bild vom Kind nicht toleriert werden, die Norm galt als Maßstab und musste mitun-
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Durch die demographische Entwicklung und die damit einhergehende Unsicherheit über die Arbeitplatzsicherheit sowie Diskussionen über die Qualifizierung der Ausbildung der Kindergärtnerin und die notwendigen Qualifikationen für Leiterinnen war die Transformation mit einem hohen Unsicherheitspotential für die Einzelne verbunden.
Neben diesen transformationsbedingten Umstrukturierungen lassen sich Parallelen zum Bereich der Schule finden. Auch dieser war gekennzeichnet durch die Nichtanerkennung von Qualifikationen, gemeinsam ist beiden aber insbesondere der Verlust von Autorität gegenüber den Kindern/Schülern und den Eltern (vgl. Hoyer 1996, Konrad 2004: 235f). Auch wenn Hoyers Studie im Auftrag der Kommission zur Erforschung des Sozialen und Politischen Wandels in den Neuen Bundesländer (KSPW) die Daten schon 1991 gewonnen hat, sind Autoritätsverlust und die Notwendigkeit der Selbstbestimmung bis heute für viele Erzieher und Lehrer zentrale Momente im Transformationsprozess, die mit den einhergehenden Konsequenzen kompensiert und bewältigt werden mussten. Musiol (1998: 115) stellt dar, dass aufgrund der Beliebigkeit der Konzepte ein Großteil der Erzieherinnen in den Neuen Bundesländer an dem Gewohnten (Erziehungs- und Bildungsplan von 1985) festhält, um damit Sicherheit für das professionelle Handeln zu gewinnen. Diskussionen über Bildungskonzepte der frühen Kindheit und zur Qualität der Ausbildung von Erzieherinnen (Reyer 2006: 213) führen einerseits zur Bestätigung über den eigenen Wert der Ausbildung in der DDR, die als Studium begriffen wurde, andererseits aber auch zur weiteren Verunsicherung, da speziell in Thüringen die gesetzlichen Leitlinien für frühkindliche Bildung nicht von Dauer waren.16 Bedingt durch diese fortwährende Verunsicherung und durch die unten genauer dargestellten Anstrengungen aller Bundesländer, für den Elementarbereich Empfehlungen bzw. Bildungs- und Erziehungspläne zu erarbeiten, stellt der Rückgriff der Kindergärtnerinnen auf ihre in der DDR erworbene Praxis mit dem Bildungsplan eine Handlungsstrategie dar, die zum einen Sicherheit garantiert und zum anderen die Entwertung des in der DDR erworbenen beruflichen Wissens relativiert. Die Ergebnisse der PISA Studie und die Erkenntnisse der Hirnforschung führten in der BRD sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf politischer Ebene zu einer
ter auch durch verstärkte Anstrengungen, sprich Förderung oder Relativierung der Norm, erreicht werden. Die Homogenität der Sichtweise der Entwicklung der Kinder findet sich auch im Prinzip der altershomogenen Gruppen im Kindergarten wieder. 16 In Anlehnung an Hessen liegt die Entwurfsfassung des "Thüringer Bildungsplans für Kinder bis 10 Jahre" vor.
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umfassenden Diskussion des Bildungswesens, die die Bildung im Elementarbereich, die Ausbildung der Fachkräfte für diesen Bereich und den Übergang vom Elementar- zum Primarbereich einschloss. Reyer (2006), der in der Geschichte des Kindergartens und der Grundschule als einer der wenigen Erziehungswissenschaftler die Geschichte beider Institutionen betrachtet, sieht die aktuelle Diskussion im historischen Kontext. So wird deutlich, dass die Gestaltung des Verhältnisses von Kindergarten und Grundschule historisch fünf Verdichtungszonen aufwies, während der aktuelle Diskurs von Reyer (2006) als sechste Verdichtungszone formuliert wird, die 2000 mit offenem Ende begann. Allein Hessen und Thüringen haben nach den Diskussionen über den Bildungsnotstand in der BRD (exemplarisch PISA 2001/2002) Elementar- und Primarstufe gemeinsam gedacht und einen Erziehungs- und Bildungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren entworfen (vgl. Reyer 2006, Konrad 2004). Gemeinsam ist allen Bundesländern, dass sie Erziehungs- und Bildungspläne für den Kindergarten erstellen, die trotz konzeptionellen Spielraums in der Vielfalt der Institutionen umgesetzt werden sollen (Reyer 2006: 219). Die einzelnen Bundesländer haben in den letzten Jahren Erziehungs- und Bildungspläne eingeführt, die im Folgenden für die Neuen Bundesländer aufgeführt sind:
Brandenburg Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (2004) Grundsätze elementarer Bildungsarbeit in der Kindertagesbetreuung im Land Brandenburg. Mecklenburg-Vorpommern Sozialministerium MecklenburgVorpommern (2004) - Rahmenplan für die zielgerichtete Vorbereitung von Kindern in Tageseinrichtungen auf die Schule. Sachsen Technische Universität Dresden (2004) Der sächsische Bildungsplan ein Leitfaden für pädagogische Fachkräfte in Kinderkrippen und Kindergärten Entwurf. Sachsen-Anhalt: Ministerium für Gesundheit und Soziales (2004) Bildung elementar Bildung von Anfang an. Bildungsprogramm für Kindertagesstätten in Sachsen-Anhalt. Thüringen Thüringer Kultusministerium (2004) Leitlinien frühkindlicher Bildung (vgl. Reyer 2006: 216-217).17 Die Entwurfsfassung des "Thüringer Bildungsplans für Kinder bis 10 Jahre liegt vor.
17 Für Thüringen gilt insbesondere die Schwierigkeit der Implementierung des Bildungsplanes, da die Leitlinien für frühkindliche Bildung erst 2004 implementiert wurden. In Thüringen wurde mit dem Wechsel der Zuständigkeit für die Kindertagesstätten vom Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit zum Kultusministerium die Notwendigkeit erkannt, als letztes Bundesland einen Erziehungs- und Bildungsplan zu erstellen, da die inhaltlichen Aussagen der Leitlinien für frühkind-
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Das von Musiol (1998) dargestellte pädagogische Handeln, das Festhalten am Gewohnten, der Versuch, Sicherheit durch den alten Erziehungs- und Bildungsplan zu gewinnen, wird durch die Diskussionen zum Bildungsnotstand unterstützt und Differenzen werden weitgehend ausgeblendet. Diskurse zum Bildungsbegriff und das in den Bildungsplänen formulierte Bild vom Kind können von den staatlich ausgebildeten Erzieherinnen in den Neuen Bundesländer nur zum Teil in seiner Differenziertheit und Unterschiedlichkeit im Hinblick auf Bildung im Elementarbereich wahrgenommen und umgesetzt werden. Gründe dafür liegen zum einen in dem von Musiol beschriebenen stark verinnerlichten Bild vom Kind und der führenden Rolle der Kindergärtnerin, die durch Ausbildung und berufliche Tätigkeit in den beruflichen Habitus internalisiert wurde. Die Ungewissheit, die mit der Modernisierung und Individualisierung verbunden ist, kann zudem mangels Sicherheit über den eigenen Arbeitsplatz und durch die aufgezeigten Diskussionen über die elementare Bildung und die damit verbundene Notwendigkeit, sich konzeptionell neu zu verorten, wohl auch auf Dauer nur zum Teil bewältigt werden.18 Konrad (2004: 258) zeigt exemplarisch den massiven Stellenabbau in den Neuen Bundesländern von 72.800 Kindergärtnerinnen am Ende der DDR auf knapp 49.000 im Jahre 1994 auf.19 Grund hierfür war der starke Geburtenrückgang, der sich bereits Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre durch den Pillenknick abzeichnete, der allerdings nach der Wende und der staatlichen Wiedervereinigung mit der anhaltenden Abwanderung von
liche Bildung relativ kurz ausfallen. Zur Implementierung der Leitlinien für frühkindliche Bildung nahmen die Leiterinnen der Kindertagesstätten an einer umfangreichen Fortbildung teil, die vom Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit in Auftrag gegeben wurde. Die vom Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit angekündigte Fortbildung für alle Erzieherinnen fand durch die Debatte über einen Bildungsplan und mangels Finanzen nicht statt. All dieses trägt nicht dazu bei, dass Erzieherinnen, die Sicherheit suchen, Vertrauen in ministerielle Beschlüsse und damit ihr professionelles Handeln gewinnen. 18 Aus den folgenden Zahlen erklärt sich zum einen die anhaltende Unsicherheit am Arbeitsplatz, zum anderen aber auch bedingt durch die Altersstruktur in den Kindergärten die Notwendigkeit, die Anforderungen und Neuerungen als Chance zu begreifen: Im früheren Bundesgebiet war das Personal 2002 fast zu gleichen Teilen in Voll- oder Teilzeit beschäftigt, in den neuen Ländern arbeiteten dagegen 80% als Teilzeitkräfte. Die befristete Beschäftigung hat bundesweit zwischen 1998 und 2002 deutlich zugenommen, und zwar um 55% auf 53 800 Beschäftigte. Mit 17% (48 000 Beschäftigten) war der Anteil der befristet Beschäftigten im früheren Bundesgebiet deutlich höher als in den neuen Ländern (7%; 4 700 Beschäftigte). Unterschiede zeigen sich auch in der Altersstruktur des Personals: Ende 2002 waren im früheren Bundesgebiet 42% der Beschäftigten über 40 Jahre alt (1990: 22%), in den neuen Ländern sogar 69% (1991: 40%) (Statistisches Bundesamt; Pressemitteilung vom 16. März 2004). 19 Die nachfolgende Tabelle zeigt, dass die Zahlen von Konrad ungenau recherchiert, aber hier notwendig sind, um die Relation der Entlassungen fassen zu können.
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jungen Menschen in die Alten Bundesländer sowie der Abmeldung von Kindern arbeitsloser Eltern noch verstärkt wurde. Die hieraus folgende Überbesetzung in den Kindergärten hatte aber zu Zeiten der DDR noch keine Konsequenz. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Relation von staatlichen, betrieblichen und kirchlichen Kindergärten in der DDR (1989). Es befanden sich 1989 nur wenige Kindergärten in konfessioneller Trägerschaft.20 Den 383 konfessionellen Einrichtungen standen 11592 kommunale und 1477 betriebliche Kindergärten gegenüber. Besonders prägnant war diese Relation in Gera, wo auf 5 konfessionelle 573 kommunale und 67 betriebliche Einrichtungen kamen. Deutlich wird in diesem Verhältnis der geringe Einfluss der Kirchen in der Region Gera. Kinderdiakoninnen hatten daher bei einem Wohnortwechsel in den Bezirk Gera kaum Chancen, wieder in einem evangelischen Kindergarten zu arbeiten. Ähnlich dramatisch stellte sich das Verhältnis in Neubrandenburg dar (2 konfessionelle, 100 betriebliche, 674 kommunale Einrichtungen). Deutlich besser war die Relation von konfessionellen und kommunalen bzw. betrieblichen Einrichtungen in Erfurt (87 konfessionelle, 902 kommunale, 121 betriebliche Kindergärten) und Berlin (Ost) (52 konfessionelle, 526 kommunale, 119 betriebliche Kindergärten). Tabelle 1: Kindergärten nach der Art der Unterstellung 1989 Bezirk
EinrichtungenErzieher
Betreute Kinder
Gruppen Insgesamt
Nach der Größe (anwesende Kinder) bis 12 13 bis 18 19 u mehr
Kommunale Einrichtungen Berlin (Ost) Cottbus Dresden Erfurt Frankfurt Gera Halle Chemnitz Leipzig Magdeburg Neubrandenburg Potsdam Rostock Schwerin Suhl DDR
526 706 1093 902 587 573 1 200 993 853 902 674 955 628 545 455
4 925 3 797 6 034 4 687 3 153 2 674 6 383 5 632 4 506 4 469 2 876 4 412 4 057 2 676 2 422
53 077 35 479 65 707 44 626 31 480 28 019 63 133 62 148 47 372 48 785 27 176 44 907 39 497 27 199 21 978
2 998 2 330 4 318 3 064 2 123 1 812 4 322 3 832 3 161 3 138 1 927 3 010 2 379 1 819 1 498
384 711 1 203 1 024 697 492 1 376 824 975 854 684 923 483 546 471
1 069 823 1 816 1 355 780 729 1 772 1 631 1 353 1 189 814 1 236 905 758 637
1 545 796 1 299 685 646 591 1 174 1 377 833 1 095 429 851 991 515 390
11 592
62 703
640 563
41 731
11647
16 867
13 217
20 Nach Kriegsende gelang es evangelischen Kirchgemeinden, ihre Kindergärten wieder zu öffnen, da die Sowjetische Militäradministration 1947 den Befehl 225 erließ, der für die sowjetische Besatzungszone galt und beinhaltete, dass das Fortbestehen von Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft erlaubt, aber Gründungen von kirchlichen Kindergärten ausgeschlossen waren.
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Bezirk
Einrichtungen Erzieher Betreute Kinder
Gruppen Insgesamt
Nach der Größe (anwesende Kinder) bis 12 13-18 19 u.mehr
Betriebliche Einrichtungen Berlin (Ost) Cottbus Dresden Erfurt Frankfurt Gera Halle Chemnitz Leipzig Magdeburg Neubrandenburg Potsdam Rostock Schwerin Suhl DDR
119 87 158 121 46 67 172 133 127 86 100 107 69 45 40
708 614 1 008 819 287 445 1 088 826 779 531 427 680 480 270 286
6 957 5 276 10 688 8 037 2 642 4 150 10 413 8 582 7 896 5 826 4 032 6 610 4 594 2 387 2 504
444 363 707 536 183 285 718 563 542 360 296 455 282 174 175
92 100 157 151 60 82 207 133 157 74 112 138 48 66 50
223 181 364 , 248 72 131 332 275 253 146 123 213 125 65 87
129 82 186 137 51 72 179 155 132 140 61 104 109 43 38
1 477
9 248
90 594
6 083
1 627
2 838
1 618
52 23 24 87 12 5 41 9 22 34 2 40 8 11 13
175 82 101 350 38 23 147 37 93 125 11 131 33 39 47
1 926 964 1 143 4 210 434 237 1 489 431 1 102 1 295 119 1 309 340 384 580
143 68 76 281 32 17 117 28 75 103 8 103 24 28 43
56 27 20 101 11 8 57 7 19 48 4 61 9 15 20
77 26 38 100 17 5 45 14 47 43 32 13 7 17
10 15 18 80 -4 4 15 7 4 12 4 10 2 6 6
383
1 432
15 963
1 146
463
481
202
Konfessionelle Einrichtungen Berlin (Ost) Cottbus Dresden Erfurt Frankfurt Gera Halle Chemnitz Leipzig Magdeburg Neubrandenburg Potsdam Rostock Schwerin Suhl DDR
Statistisches Jahrbuch der DDR 1990: 330
Insgesamt waren in kommunalen und betrieblichen Kindergärten 71951 Kindergärtnerinnen im Gegensatz zu 1432 katholisch und evangelisch ausgebildeten pädagogischen Fachkräften beschäftigt. Die Betreuungsrelation war im staatlichen Bereich nahezu gleich, pro Gruppe wurden 1,5 bzw. 1,52 Betreuer in kommunalen bzw. in betrieblichen Kindergärten eingesetzt. Im Gegensatz hierzu arbeiteten in konfessionellen Kindergärten 1,25 pädagogische Fachkräfte pro Gruppe. Allerdings differierte auch die Gruppengröße zwischen staatlichen und konfessionellen Einrichtungen; die konfessionellen Einrichtungen besaßen in der Regel kleinere Gruppen mit bis zu 18 Kindern und kaum Gruppen von 19 und mehr Kindern. Hingegen gab es in den kommunalen und betrieblichen Kindergärten viel eher Gruppen von 19 und mehr Kindern. Insgesamt fällt auf, dass sowohl die einzelnen Gruppen wie auch die gesamte Einrichtung in konfessio-
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neller Trägerschaft erheblich kleiner waren. In einigen der in dieser Untersuchung geführten Interviews wurde dies als ein Grund benannt, warum nichtchristliche Eltern ihr Kind in einem evangelischen Kindergarten anmeldeten. Mit der Transformation verbunden war ein grundlegender Umbruch in der Trägerschaft der Kindergärten in Ostdeutschland. Während betriebliche Kindergärten teilweise geschlossen wurden, waren kommunale Kindergärten häufig von einem Trägerwechsel betroffen. Abbildung 1: Kindertagesbetreuung 2002 nach Art des Trägers
Statistisches Bundesamt: Kindertagesbetreuung in Deutschland, Einrichtungen, Plätze, Personal und Kosten 1990 bis 2002, 2004, Presseexemplar: 13 Im Vergleich zur hohen Anzahl der betrieblichen und kommunalen Krippen und Kindergärten in der DDR fällt in der aktuellen Statistik von 2002 (vgl. Abbildung 1) die hohe Anzahl der Einrichtungen in freier Trägerschaft auf, wobei das Diakonische Werk einer der großen freien Träger ist. Die Schließung von kom41
munalen bzw. betrieblichen Kindergärten und Krippen bzw. der Wechsel der Trägerschaft stellte für die staatliche Kindergärtnerin ein bestimmendes Moment dar, war aber durch Fusionen mit kirchlichen Einrichtungen auch für die Kinderdiakonin von Bedeutung. Insbesondere die Übernahme staatlicher Einrichtungen durch evangelische Kirchgemeinden bzw. durch die diakonischen Träger, auf die in Kapitel 2.3.7 noch weiter eingegangen wird, machte es notwendig zu kooperieren. Mit der Transformation verbunden war ein grundlegender Wandel der gesellschaftlichen, ökonomischen, sozialen und politischen Bedingungen, der Auswirkungen auf die Erziehung und Bildung hatte, insbesondere in einem Staat, in dem der Kindergärtnerin ein pädagogischer und politischer Auftrag zukam (vgl. Konrad 2004: 227). Den sozialpädagogischen Begriff von Reyer (2002) aufzugreifen bedeutet zu fragen, wie denn ausgehend von einer Grundstruktur des sozialpädagogischen Denkens der antagonistische Charakter des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft gelingen kann, wenn der Erzieherin selbst dies nur problemhaft aufzulösen gelingt? Die sozialpädagogische Reflexion in der Moderne versuchte, den Gemeinschaftsbegriff reaktiv nicht notwendigerweise reaktionär gegen die Individualisierungswellen in Stellung zu bringen. Postmoderne bedeutet, daß der theoretische Spannungsbogen von Individuum und Gemeinschaft zusammenbricht. Und doch, wie die Kommunitarismusdebatte gezeigt hat, läßt sich das Individuum alleine nicht denken und pädagogisch schon gar nicht (Reyer 2002: 273).
Für die Erziehung in der Transformation gilt, dass es der Erzieherin in den Neuen Bundesländer gelingt, ein neues an den gesellschaftlichen Gegebenheiten orientiertes Erziehungsverständnis zu konstruieren, in dem sie die Gesellschaft und Umwelt als wesentliche Variante begreift, die Mitgestalter im Erziehungsprozess sind. Die Verhaftung in der Vergangenheit und das Festhalten an dem Gewohnten waren in diesem Sinne abträglich, da sie es sowohl für die Erzieherin wie auch für die Kinder erschwerten, konstruktiv den gesellschaftlichen Verhältnissen zu begegnen.
2.3 Kirche und Religion in der DDR und im Transformationsprozess Die Transformation und die damit verbundene Modernisierung und Individualisierung stellten insgesamt eine Herausforderung für die ostdeutsche Gesellschaft dar, indem ehemalige DDR-Bürger den Abschied vom sozialistischen Kollektiv zur Individualität bewältigen mussten. Herausgefordert, sich in der veränderten gesellschaftlichen und politischen Lage neu zu verorten, war auch die evangeli42
sche Kirche, der in der DDR eine besondere Rolle zukam.21 Im folgenden Kapitel wird, soweit für die Thematik erforderlich, ein kurzer Überblick über den Stand der Forschung zur evangelischen Kirche in der DDR und im Transformationsprozess gegeben. Insbesondere werden die Gestaltung und der AutonomieSpielraum der evangelischen Kirche hinsichtlich der Ausbildung an den Seminaren für kirchlichen Dienst und die pädagogische/religionspädagogische Arbeit im evangelischen Kindergarten in der DDR beleuchtet. In das Kapitel fließen eigene empirische Ergebnisse der Auswertung der Personalunterlagen des Seminars für kirchlichen Dienst in Eisenach sowie Auswertungen der im Rahmen dieser Untersuchung geführten Interviews ein. Diese geben zum einen Einblick in die familiäre, individuelle und milieuspezifische Situation der Bewerberinnen für die Kinderdiakoninnenausbildung und helfen zum anderen, das Spannungsverhältnis von Kirche und Staat näher zu erhellen. In den beiden einzigen historischen Betrachtungen zur Ausbildung der Kinderdiakoninnen zeigen Waßermann (1994) und Kruse (1994) die für die Seminare für kirchlichen Dienst nach der staatlichen Wiedervereinigung notwendige Umstrukturierung und die damit einhergehenden Veränderungen insbesondere für das Kollegium auf.22
21 Die evangelische Kirche in der DDR entwickelte ihr spezifisches Profil durch die Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem Staat. Die evangelische Kirche bezeichnete sich als Kirche im Sozialismus, was auch von Kirchenvertretern unterschiedlich interpretiert wurde. Die offene Formel Kirche im Sozialismus wurde 1969 zufällig in einer Stellungnahme des Staatssekretärs Seigenwasser formuliert und dann mit der Bundessynode im Mai 1973 inhaltlich konkretisiert. So heißt dies wir wollen nicht Kirche neben, nicht gegen, sondern im Sozialismus sein (Haspel 1997: 129) Haspel weist aber darauf hin, dass dieser Begriff trotzdem unterschiedlich interpretiert wurde und dem Einzelnen Spielräume gab. 22 Kruse, Heike (7/1994): Die Bedingungen der kircheninternen Ausbildungsstätten für Kinderdiakoninnen in der DDR-Erzieherinnenausbildung unter besonderen Gegebenheiten. Universität Frankfurt, Fachbereich Erziehungswissenschaften. Heike Kruse, die selbst nach der staatlichen Wiedervereinigung für 2 Jahre die Evangelische Fachschule für Sozialpädagogik in Greifswald leitete, führte im Rahmen der Diplomarbeit Interviews mit 15 Zeitzeugen durch. Dieses waren in der Regel die ehemaligen Leiter/Leiterinnen der Seminare, die aus dem Dienst ausgeschieden waren, bzw. ehemalige Dozentinnen. Die Diplomarbeit gibt einen Überblick über die Geschichte der Seminare, wobei dieser historischen Darstellung durch den Rahmen des Themas leider nur unzureichend Raum gegeben wird. Beim Lesen der Arbeit fallen problematische Aspekte auf; so wird nicht schlüssig, warum als Erhebungsverfahren das narrative Interview für die Erforschung der Seminare gewählt wurde. In der Diplomarbeit werden chronologisch die Gründung der Seminare, räumliche Bedingungen, die Ausbildungsrichtungen wie auch der Lehrplan und die Stundentafel aufgezeigt. Gerade im Hinblick auf den Lehrplan betont sie die unterschiedliche Ausrichtung der einzelnen Seminare, betrachtet allerdings nicht, dass ab 1983 ein Rahmenlehrplan verabschiedet wurde, der für alle Seminare bindend und somit auch der Fächerkanon verpflichtend war. Genauso offen wie die qualitative Untersuchung und die Auswertung angelegt sind, kann dies in Bezug auf die quantitative Befragung der letzten Absolventen, die unter den DDR-Bedingungen aufgenommen wurden, formuliert werden. 46
43
Das Hauptaugenmerk des Kapitels liegt in der Analyse des evangelischen Kindergartens in der DDR nach Schwerin (1983, 1989), Doye (1989, 1994) und Stengel (1989).23 Dieser wird die Rekonstruktion durch die Kinderdiakoninnen gegenübergestellt, die einerseits auf der Analyse der vorhandenen Literatur, andererseits durch die narrativen Interviews mit den Kinderdiakoninnen erschlossen wird. Wie bereits im Kapitel 2.2 herausgearbeitet wurde, war der Elementarbereich einem grundlegenden Wandel unterworfen, der sich für die evangelischen Kindergärten dadurch auszeichnete,
dass der Bereich der Elementarerziehung in den einzelnen ostdeutschen Bundesländern unterschiedlich den Ministerien für Soziales, Gesundheit und Familie oder den Kultusministerien zugeordnet ist, dass Erziehungs- und Bildungspläne eingeführt werden, die offen gestaltet, aber dennoch verbindlich sind und der Bildungsbereich der religiösen Bildung in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wird. Aus den kontroversen Diskussionen gerade in Thüringen über den Bereich der religiösen Bildung wird allerdings erkennbar, wie stark Vorbehalte und Ängste eines säkularisierten Bildungskonsortiums vor diesem Bereich sind, dass evangelische Kirchgemeinden und diakonische Träger freie Träger sind, die viele Kindergärten übernommen haben, die in einzelnen Fällen mit alten evangelischen Kindergärten zusammengelegt wurden, dass Konkurrenz um die Kinder besteht, da die Belegung maßgeblich für die Finanzierung der Kindergärten ist. Daher ist die Unsicherheit über den Arbeitsplatz bzw. den Umfang der Stelle auch ein charakteristisches Moment für evangelische Einrichtungen, dass durch den Wettbewerb der alternativen Konzepte um die Klientel die evangelischen Kindergärten ihre einmalige Position im Bereich der Kindertagesstätten verloren haben.
junge Frauen wurden mittels Fragebogen zu Berufsmotivation, kirchlicher Gebundenheit, Herkunft, finanzieller Situation- um nur einige Punkte zu nennen befragt. Eine Auswertung der Befragung erfolgt nur im Ansatz; so ist der einzige Punkt, der ausgewertet wird, die Reaktion der Schulkameraden, der Freunde, der Lehrer auf den Entschluss, die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst zu beginnen. Insgesamt gewinnt der Leser den Eindruck, dass versucht wurde, viele Daten zu sammeln, ohne diese allerdings entsprechend analysieren zu können. So trägt die Arbeit einen rein deskriptiven Charakter, ohne konkret einzelne Aspekte zu beleuchten. Dieser Eindruck wird insofern bestätigt, dass gleichzeitig die Ausbildung der Kindergärtnerin an der Pädagogischen Schule für Kindergärtnerinnen exemplarisch an der staatlichen Schule in Magdeburg erhoben wird. 23 Im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der evangelischen Landeskirche in der DDR haben sich Stengel, Doye und Schwerin mit der Ausbildung an den Seminaren für kirchlichen Dienst und der Aufgabe des evangelischen Kindergartens beschäftigt.
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2.3.1 Kirche und Religion in der DDR
Die Säkularisierung in der DDR ausschließlich als Folge von Repressionen und einer Ideologie seitens der SED zu begreifen, wird dem Thema Kirche und Religion in der DDR nicht gerecht. Auch die Junge Gemeinde als Ort des Widerstandes gegen die DDR zu fassen, wie dies von Leo (2003) formuliert wird, kann das Spannungsverhältnis von Kirche und Religion in der DDR nur begrenzt greifen. Es liegen umfangreiche religionssoziologische Studien zu diesen Themen von Pollack (1994, 1997, 2000a, 2000b, 2003), Dähn (1993, 1995, 1998) und Kleßmann (1993) vor. Der Säkularisierungsprozess, der in allen Industrienationen beobachtbar war und ist, wird nach Haspel (1997: 11) innerhalb der DDR durch die atheistische Position der SED noch verstärkt. Pollack (1994) widerspricht dieser These, indem er aufzeigt, dass in Phasen der Entspannung zwischen Kirche und Staat der kirchliche Mitgliederbestand weiter zurückging und nicht wieder anstieg, so dass ein kausaler Zusammenhang zwischen politischer Ideologie und Säkularisierung nicht herstellbar ist. Um Verallgemeinerungen und Vereinfachungen der Analyse der evangelischen Kirche in der DDR zu vermeiden, untersuchte Pollack (1994) die Dynamik der Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche. Kritisiert werden von ihm in diesem Kontext die ungenauen Mitgliederzahlen der einzelnen Landeskirchen, die genaue Aussagen nicht ermöglichen. In seiner Analyse wird deutlich, dass der Rückgang der Kirchenmitgliedschaft nicht durch die Austritte der Mitglieder verursacht wurde, sondern in der geringen Taufbereitschaft lag (vgl. Pollack 1994: 390). Hiernach war die Taufbereitschaft der evangelischen Kirchenmitglieder rückläufig, da viele zwar noch in der Kirche waren, aber zu dieser ein distanziertes Verhältnis besaßen. Besonders ging die Taufbereitschaft bei Paaren zurück, bei denen nur ein Elternteil in der Kirche war; gleiches kann für die unehelich geborenen Kinder evangelischer Mütter festgestellt werden (vgl. Pollack 1994: 385). Nach Pollack bezeichneten sich ab 1970 konstant bis zur Zeit der Wende und der staatlichen Wiedervereinigung 70% der DDR-Bürger als Atheisten. Der Anteil der Konfessionslosen betrug 1991 64,6% (vgl. Pollack 1994: 403). Die Mitgliederzahlen variierten in den einzelnen Landeskirchen, so war Thüringen mit 28,9% evangelischen und 12,6% römisch-katholischen Kirchenmitgliedern und nur 55,7% Konfessionslosen noch vergleichsweise stark konfessionell gebunden, während zum Beispiel Ostberlin mit 20,7% bzw. 3% evangelischen bzw. katholischen Christen stark von den Konfessionslosen geprägt wurde. Frauen stellten den höchsten Anteil der evangelischen Mitglieder dar (vgl. Pollack 1994: 394). Zugleich konnte bei der letzten Volkszählung 1964 eine Überalterung der evan-
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gelischen Mitglieder festgestellt werden.24 Pollack zeigt einen zweiten für die Studie zu den Kinderdiakoninnen interessanten Aspekt die Analyse der Sozialstruktur des protestantischen Milieus in der DDR auf. Danach kamen die Mitglieder der evangelischen Kirche vor allem aus dem Bauernmilieu (13,2%) und dem Arbeitermilieu (70,3%). Das Bürgertum, das heißt private Handwerker, Kleingewerbetreibende, Einzelhändler und kleine Selbständige wie auch Akademiker (die Intelligenz), waren unter den Mitgliedern nur vergleichsweise gering vertreten, wobei deren Anzahl von 1964 bis 1991 leicht stieg (vgl. Pollack 1994: 400-401). Das Bildungsniveau der evangelischen Kirchenmitglieder umfasste 1991 vornehmlich den Abschluss der 8. Klasse (46,0%) und den Abschluss der 10. Klasse (31,0%), hingegen war der Anteil der Abiturienten (10,7%) vergleichsweise gering (Pollack 1994: 396). Interessant in diesem Zusammenhang ist die Diskrepanz zwischen dem Milieu, aus dem sich die Kinderdiakoninnen rekrutierten, und der Milieuzugehörigkeit der Eltern, die ihre Kinder in den evangelischen Kindergarten schickten und die sich stark aus dem Bürgertum oder der Intelligenz rekrutierten. Deutlich wird in der Analyse von Pollack (1994), dass das protestantische Milieu weitestgehend wertkonservativ geprägt war, eine Ausnahme stellten nur die jungen Protestanten dar, die postmaterialische Einstellungen besaßen. Die Mitglieder der evangelischen Kirche beruhten im Wesentlichen auf zwei große Gruppen, neben den Älteren stellten die jungen Protestanten die Hauptgruppe der Kirchenmitglieder dar. Mit der steigenden Kirchlichkeit der Jugendlichen nahmen die Orientierung an Subkulturen und sozialen Bewegungen, die Favorisierung von Selbstverwirklichung, das Interesse an Politik sowie die Protestbereitschaft zu (vgl. Pollack 1994: 423). Gerade aber die Jugend befand sich in einer antagonistischen Situation, da Übereinstimmung mit der herrschenden Ideologie und die entsprechende Lebensführung die Basis waren, nach der der Staat dem Einzelnen bestimmte Leistungen gewährte. Leben im Sinne der sozialistischen Ideologie entschied über Bildungs- und Berufsmöglichkeiten, letztlich Karrierechancen schlechthin. Die Spannung zwischen Kirche, Schule und Staat wird von Reiher (1998) chronologisch aufgezeigt. In seiner Darstellung der Lage christlicher Kinder, Jugendlicher und deren Eltern werden wesentliche Aspekte dieses Spannungsfeldes in verschiedenen Zeitabschnitten skizziert. Die Illustration erfolgt im Hinblick auf die Diskussionen innerhalb der Synoden bzw. auch auf die Einführung von Wehrunterricht und die Haltung der SED gegenüber kirchlichen Rüstzeiten. Gerade für den Zeitraum von 1983-1985 werden für das Spannungsfeld von Kirche und Schule differenziert einzelne Aspekte aufgezeigt, die sich teilweise auch bei Schneider (1995) finden lassen. 24
Die evangelischen Mitglieder werden dominiert auf der einen Seite von den über 60-Jährigen, auf der anderen Seite einem relativ hohen Anteil an jungen Menschen.
46
Es gehörte zu den Erfahrungen christlicher Schüler, daß sie trotz herausragender fachlicher Leistungen Schwierigkeiten bei ihren Bestrebungen haben, die nächsthöhere Bildungsstufe zu erreichen, weil dazu neben fachlichen Leitungen weitere Kriterien für die Aufnahmeentscheidung eine Rolle spielen (politisch-moralische Reife/Verbundenheit mit der DDR - §2 der Aufnahmeordnung aktive Mitwirkung an der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft/Bereitschaft zur aktiven Verteidigung des Sozialismus - §1, Abs.1 der Zulassungsordnung aktive Mitarbeit in der sozialistischen Jugendorganisation) (Schneider 1995: 243).
Der Umstand der Kirchenmitgliedschaft und des kirchlichen Engagements bei dem Einzelnen führte, auch nach Noack (1996), häufig zu deutlichen Entwicklungsbehinderungen und damit zu biographischen Konsequenzen. Gerade für den weiteren Bildungsweg und den Berufswunsch war das Engagement in der Pionierorganisation und der FDJ ein wesentlicher Aspekt in der Beurteilung der Schüler. Jedoch belegen Untersuchungen von Schneider (1995) und Noack (1996), dass der Spielraum für den einzelnen Lehrer und Direktor einer Schule erheblich war. Dies zeigt sich im Umgang der Lehrer mit einzelnen Schülern, so variieren die Chancen oder Repressionen oft auch innerhalb von Familien, da die Akzeptanz der Lehrer hinsichtlich des christlichen Engagements der Eltern und Kinder variabel war. Entgegen der weit verbreiteten Darstellung, dass Christen in der DDR eher oppositionell eingestellt waren (vgl. Leo 2003), verhielt sich die Mehrheit der evangelische Christen in der DDR eher angepasst, wollte nicht auffallen und keine Nachteile für ihre Kinder im Hinblick auf Chancen und Möglichkeiten in der DDR haben (vgl. Griese 2001). So ist es erklärbar, dass entgegen dem Willen der evangelischen Landeskirchen Rituale der sozialistischen Ideologie wie die Jugendweihe häufig auch von Kindern christlicher Eltern vollzogen wurden, aus Angst, die Bildungs- und beruflichen Möglichkeiten der Kinder durch Repressionen zu verlieren (vgl. Griese, 2001). Bereits oben wurde dargestellt, dass gerade für junge Menschen die evangelische Kirche attraktiv war und die Junge Gemeinde als Treffpunkt für christliche und konfessionslose Jugendliche genutzt wurde. An der Protestaktion gegen die atomare Aufrüstung in Ost und West, die von einigen evangelischen Christen geführt wurde und ihren Ausdruck in dem Tragen des Abzeichen Schwerter zu Pflugscharen (Friedensdekade 1981) fand, beteiligten sich auch 2 der insgesamt 22 interviewten Kinderdiakoninnen. Insgesamt muss differenziert werden, so waren wie bereits dargestellt nicht alle Christen oppositionell und politisch interessiert, auch wenn dies von Leo (2003) so dargestellt wird; dies zieht nach sich, dass nicht alle Christen in der Gemeinde unter Repressionen leiden mussten. Die Zahl der evangelischen Christen, die kompromisslos die Mitgliedschaft in den sozialistischen Organisationen wie der Pionierorganisation oder der FDJ ablehnten
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und die Teilnahme an der Jugendweihe verweigerten, war eher gering. Noack (1996) geht davon aus, dass am Ende der DDR die Teilnahme an der Jugendweihe fast 100% betrug. Er bezeichnet das mangelnde Unrechtsbewusstsein von Gemeindemitgliedern als schwierig, die neben der selbstverständlichen Teilnahme an der Jugendweihe diese auch feierlich begingen und für dieses Fest Räume der Gemeinde anfragten (Noack 1996: 165). Die Kirche hatte gegen diese Anpassung an die Staatsräson kaum Möglichkeiten zur Intervention, in den einzelnen Landeskirchen wurde lediglich der Versuch unternommen, zumindest einen zeitlichen Abstand zwischen Jugendweihe und Konfirmation zu erhalten (vgl. Noack 1996: 165). Schwerin, der langjährige Sekretär der Kommission für kirchliche Arbeit mit Kindern und Konfirmanden des Bundes der evangelischen Kirchen, geht in seiner Untersuchung 1989 speziell auf dieses Problem und die verschiedenen Positionen der einzelnen Gliedkirchen ein. Während die offizielle Forderung und Erwartung der Kirche war, nicht an der Jugendweihe teilzunehmen, verhielten sich die Gemeinden in dieser Hinsicht moderater. Sie nahmen das Spannungsfeld, in dem sich die Jugendlichen, Eltern und Familien befanden, in seinem gesamten Umfang für die Lebens- und Bildungssituation wahr, was sich auch in den Bewerbungen zur Kinderdiakonin widerspiegelt. "In den meisten Landeskirchen wurde ein Aufschub der Konfirmation und der Zulassung zum Abendmahl (auch der weiteren Teilnahme am Abendmahl) rechtlich festgelegt und teilweise auch durchgesetzt. Es gab aber auch Kirchen, die sich nicht veranlaßt sahen, sich grundsätzlich der Frage zu stellen, welche Auswirkungen die Teilnahme an der Jugendweihe für Konfirmation, Abendmahlszulassung und teilnahme haben könnten (Evangelische Landeskirche Anhalt; Ev.- Luth. Landeskirche in Thüringen) (Schwerin 1989: 78).
Anders die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, die eine eindeutige Position zur Jugendweihe hatte und in der daher Jugendgeweihte nicht an weiteren Feiern des Hl. Abendmahls teilnehmen durften (vgl. Schwerin 1989: 79). Eine (christliche) oppositionelle Rolle in der sozialistischen Gesellschaft einzunehmen hieß nicht nur, die Einschränkung der Bildung-, Berufs- und Karrieremöglichkeiten in Kauf zu nehmen, sondern auch, sich damit dem Druck der mehrheitlich konfessionslosen Umwelt entgegenzusetzen. Dies konnte den einzelnen Jugendlichen verunsichern und vereinzeln. Angemerkt sei noch, dass konfessionslose Jugendliche durch Freunde aus der Jungen Gemeinde in Kontakt zur evangelischen Kirche kamen und diese als Ort nutzten, in dem sie sich treffen und entfalten konnten, der einen ganz normalen Jugendtreff darstellte. Nichtsdestotrotz führte nicht nur die Zugehörigkeit zur christlichen Minderheit gerade Jugendliche in Konflikte mit der sozialistischen Ideologie, insbesondere
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die sozialistische Schule stellte für Jugendliche ein Konfliktpotential mit ihren Einstellungen, Interessen und Wertorientierungen dar (vgl. Reiher 1998). Als ein Beispiel für eine Studie zur Bedeutung von Weltanschauungen auf die Persönlichkeit eines Kindes sei auf die biographische Studie von Schneider (1998) verwiesen. Schneider untersucht Kinder aus christlichen Familien und arbeitet anhand von Biographien Dilemmata heraus, die Kinder und Eltern aufgrund der konträren Weltanschauungen und der damit verbundenen Konsequenzen bewältigen mussten. Im Blickpunkt der Studie stehen das elterliche Erzieherverhalten, Motive und deren Auswirkungen auf das einzelne Kind. Auch Oertel (2004) untersucht die Bedeutung der Religion für die Identität von Jugendlichen und vergleicht ost- und westdeutsche Jugendliche. In den Interviews, die er mit der objektiven Hermeneutik von Overmann auswertet, lassen sich ergänzende Aussagen finden: In einem gesellschaftlichen Umfeld, das überwiegend nicht-christlich und nach eigenem Verständnis auch nicht-religiös ist, fühlt sich der Religiöse randständig, werden schließlich soziale Rahmenbedingungen auf die Subjektebene transformiert. Die subjektiv empfundene Randständigkeit, die rückblickend festgestellt werden kann, hat den durch das elterliche Zuhause vermittelten Glauben geradezu verstärkt. Die Selbstverständlichkeit, im Familienkreis Christ zu sein und christlich zu leben, ging in der Schule verloren und stellte sich dort als sozial inkompatibel dar. Zwischen diesen spannungsreichen Polen fand zunächst weniger eine Vermittlung statt, sondern eher eine Entscheidung zugunsten der eigenen Herkunft und gegen die Gruppe der Gleichaltrigen (Oertel 2004: 123-124).
Gerade kirchliche Mitarbeiter, die eine exponierte Stellung unter den evangelischen Christen hatten, rekrutierten sich zu einem überwiegenden Teil aus ihrem eigenen Milieu. Kleßmann (1993) hat dies exemplarisch anhand von Interviews bei Pfarrern herausgearbeitet. Deutlich wird bei diesen im Hinblick auf die Berufsmotivation zum einen die christliche Prägung im Elternhaus, eine eher oppositionelle Rolle in der Schulzeit und letztlich die Verwehrung von Berufswünschen, so dass als konsequente Lösung des Dilemmas häufig das Studium der evangelischen Theologie gewählt wurde (vgl. Kleßmann 1993: 13).25
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Deutlich wird bei der Analyse der Personalunterlagen vom Seminar für kirchlichen Dienst, dass sich auch hier ein Teil der Seminaristinnen aus dem kirchlichen Milieu rekrutierte.
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2.3.2 Kirche und Autonomie Kirche als Gegenöffentlichkeit in der DDR Die besondere Stellung und Position der evangelischen Kirche in der DDR wurde in der bisherigen Darstellung noch unzureichend gewürdigt. Da sie ein wesentliches Moment für die Ausbildung, das berufliche Handeln der Kinderdiakoninnen und deren beruflichen Habitus darstellte, soll sie hier gesondert betrachtet werden. Im Folgenden werden verschiedene Aspekte der Autonomieräume der evangelischen Kirche skizziert und anschließend in ihrer Bedeutung für die evangelischen Kindergärten und die Seminare für kirchlichen Dienst zusammengefasst. Noack (1996) bezeichnet die Kirchen als die einzige öffentliche Institution mit gesellschaftlicher Relevanz in der DDR, die weder vom Staat noch der Partei kontrolliert wurden (vgl. Noack 1996: 143).26 Diese Aussage Noacks stellt einen wesentlichen Aspekt in der Betrachtung der evangelischen Kirche dar, so symbolisierte die Kirche in der DDR eine Gegenöffentlichkeit und Nische für selbst bestimmtes Verhalten und Handeln. Aus diesem Grund wurden die Tätigkeiten, die sich innerhalb oder außerhalb der Kirchgemeinde abspielten, seitens des Staates mit besonderem Interesse verfolgt. Einigkeit besteht zwischen Noack (1996) und Schorlemmer (1996) darin, dass sie die Kirche als Ort und Gruppe begreifen, die einzige vom Staat tolerierte Gruppe, in der frei gesprochen werden konnte, ohne dass dies strafrechtliche Konsequenzen nach sich gezogen hat (vgl. Schorlemmer 1996: 235-236). Schorlemmer geht in seiner Betrachtung der evangelischen Kirche besonders auf die Rolle des Pfarrers ein und betont dessen Aufgabe und Möglichkeit, Gegenöffentlichkeit zu schaffen: Kirche in der DDR meinte zwar eine Institution, die in der Staats- und Gesellschaftsorganisation aus historischen Gründen eine besondere Stellung hatte, aber sie bedeutete viel mehr. Ein wesentliches Element bildete darin das evangelische Pfarrhaus als Kern des gemeindlichen Lebens, Träger bestimmter Traditionen und >Bastion geistigen Bürgertum< (F. Schorlemmer), als Ausgangs- und Sammelpunkt von Unangepasstheit, Verweigerung und Dissidenz (Kleßmann 1993: 7).
Gleichzeitig betont Schorlemmer die Notwendigkeit der Differenzierung in der Darstellung der evangelischen Kirche, weil es die evangelische Kirche nicht gegeben hat. Pollack (1994: 371) sieht die Kirchen als die einzigen nicht in den offiziellen Gesellschaftsaufbau integrierten Institutionen in der DDR, die einen
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Eine konkrete Darstellung und historische Betrachtung der Entwicklung der Beziehungen zwischen evangelischer Kirche innerhalb des sozialistischen Staates soll an dieser Stelle nicht erfolgen, da es den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Beispielhaft sei an dieser Stelle verwiesen auf: Heinicke, Herbert (2002): Konfession und Politik in der DDR. Das Wechselverhältnis von Kirche und Staat im Vergleich zwischen evangelischer und katholischer Kirche. Leipzig.
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hohen Umfang an institutioneller Autonomie besaßen. Die Kirchen verfügten über einen eigenen Finanzhaushalt, trafen selbständige Sach- und Personalentscheidungen, rekrutierten ihren eigenen Nachwuchs in den Ausbildungsstätten, unterhielten Krankenhäuser, Altersheime, Pflegeheime für Behinderte, Kindergärten, Verlage, Zeitungen und betrieben selbständige Land- und Forstwirtschaft (Pollack 1994: 371).27 Das bedeutete jedoch auch, dass diese Institutionen und die in ihnen tätigen Mitarbeiter für die SED von besonderem Interesse waren und zum Teil auch unter Geheimdienstlicher Kontrolle standen. Die evangelische Kirche in der DDR versuchte eine Gleichzeitigkeit von Anpassung und Widerstand zu leisten, was ihr sicherlich nicht immer gelang. Ihre Verweigerung gegenüber dem System verschaffte ihnen ein großes Symphatieumfeld und zog gesellschaftskritische Bestrebungen in ihren Raum. Ihre Angepaßtheit sicherte ihnen ihre institutionellen Handlungsmöglichkeiten und damit auch die Fähigkeit, den oppositionellen Gruppen einen Schutz- und Artikulationsraum zu gewähren( Pollack 1994: 372).
Für die Institution des evangelischen Kindergartens galt, dass dieser seine Attraktivität zwar besonders bei evangelischen Christen besaß, aber vor allem daneben von Bürgern der DDR, die für ihre Kinder einen individuellen kleinen Kindergarten wollten, gewählt wurde. Wie von Pollack (1994) betont wird, meldeten all diejenigen Bürger, die sich in irgend einer Weise als regimekritisch verstanden, ihre Kinder im evangelischen Kindergarten an, da sich dieser dezidiert vom staatlichen Erziehungs- und Bildungsplan der DDR abgrenzte. Fast alle der interviewten Kinderdiakoninnen betonen, dass ihre pädagogische Arbeit im evangelischen Kindergarten auch aufgrund der mangelnden Alternative zum staatlichen Kindergarten gewürdigt und nicht hinterfragt wurde. Der Freiraum und die Individualisierung des Einzelnen, die im evangelischen Kindergarten schon in der DDR praktiziert wurden, überzeugten die Eltern als Konzept und wurden in Anlehnung an die pädagogischen Diskussionen zum Kindergarten in der BRD weiterentwickelt. Dies wird in der Darstellung der Seminare für kirchlichen Dienst noch im Detail zu zeigen sein (vgl. Kap. 2.3.3). Der Kontakt der DDR-Kirchenvertreter zu den Westkirchen, deren geistige und materielle Unterstützung, das Festhalten der evangelischen Kirchen an der Gemeinsamkeit mit den Kirchen in der BRD stellte eine Bereicherung dar.
27 Zur Vereinfachung der Schreibweise wird im Text in der Regel der Terminus evangelische Kirche bzw. Kirche verwendet, auch wenn es sich um verschiedene evangelische Landeskirchen handelt.
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In diesen Kontext ordnen sich wesentliche Ergebnisse meiner Untersuchung zum evangelischen Kindergarten und der Ausbildung zur Kinderdiakonin ein, die daher bereits hier zusammengefasst werden sollen, und die im Detail weiter unten dargestellt werden. Es konnten drei Hauptaspekte erarbeitet werden, die den evangelischen Kindergarten, die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst und das Selbstverständnis der Kinderdiakonin in der DDR prägten: 1. Im Gegensatz zu den staatlichen Kindergärtnerinnen der DDR wurden die Seminaristinnen sowohl für die Arbeit mit Kindern wie auch auf die pädagogische Tätigkeit mit geistig Behinderten ausgebildet, darüber hinaus war die Ausbildung altersmäßig weniger eingeschränkt als in der staatlichen Ausbildung. Insbesondere Eisenach und Wolmirstedt standen für eine Ausbildung, die zur pädagogischen Arbeit mit geistig Behinderten befähigte. Der Vergleich mit der Breitbandausbildung der Erzieherinnen in der BRD und die Vergleichbarkeit waren entscheidende Gründe für die Anerkennung der Ausbildung der Kinderdiakonin. Dies konnte durch den Vergleich der Ausbildungsinhalte und Stundentafeln in seiner Entsprechung dokumentiert werden. Die einzelnen Kultusministerien verliehen den Kinderdiakoninnen die staatliche Anerkennung als Erzieherin, ohne dass diese im Gegensatz zu den staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen, Krippenerzieherinnen und Horterzieherinnen an einer Weiterqualifizierung teilnehmen mussten. Der Kontakt zu den Westkirchen schloss für die kirchlichen Ausbildungsstätten den Austausch mit den westlichen kirchlichen Schulen, insbesondere den evangelischen Fachschulen für Sozialpädagogik, ein. Durch diesen Austausch konnten die pädagogisch-psychologischen Diskussionen in der BRD verfolgt und in die Ausbildung bzw. in der pädagogischen Arbeit in den Kindergärten und Behindertenheimen umgesetzt werden. Im Unterrichtsgeschehen konkretisierte sich dies unter anderem auch dadurch, dass im Gegensatz zu den staatlichen Schulen an den Seminaren für kirchlichen Dienst verstärkt mit den Methoden der Erwachsenenbildung gearbeitet wurde. Wesentlich war allerdings, dass für die Gestaltung des Unterrichtes Bücher und Lehrmittel aus dem Westen genutzt wurden. Die Orientierung an der westlichen Ausbildung wurde auch den Seminaristinnen gegenüber von den Dozenten oder Rektoren deutlich gemacht. Die interviewten Kinderdiakoninnen bezeichneten ihre Ausbildung als qualitativ anspruchsvoll und im Gegensatz zu der der staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen als aktuell. Als Beleg für diese Interpretation stellten sie die Umsetzung des Situationsansatzes und das Konzept der altersgemischten Gruppen dar, welches bereits in vielen evangelischen Kindergärten in der DDR angewandt wurde. 2. Einzelne Diakonische Werke in der DDR erhielten von ihren westlichen Partnerkirchen materielle Zuwendungen, die an die evangelischen Kindergärten
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verteilt werden konnten. Auch besaßen evangelische Kindergärten in der DDR in der Regel in der Partnerkirche einen Patenkindergarten, mit denen der Kindergarten im Austausch war und von dem er Materialien (Bastelmaterial, Spielsachen, Kinderbücher und Medien) geschenkt bekam. Diese Materialien, über die der evangelische Kindergarten im Gegensatz zu dem staatlichen Kindergarten verfügte, erhöhte neben dem Konzept der Individualisierung zweifelsfrei seine Attraktivität auch für nicht-christliche Eltern. Dieser Fakt wurde von vielen der interviewten Kinderdiakoninnen gerade im Hinblick auf den Vergleich der Situation des evangelischen Kindergartens in der DDR und heute angesprochen. 3. Die von Pollack (1994) dargestellte finanzielle Unterstützung seitens der Westkirchen wurde für die kirchlichen Mitarbeiter in der Unterstützung der Einrichtung erfahrbar, aber auch in der individuellen finanziellen Unterstützung sichtbar. Die Kinderdiakoninnen hatten ebenso wie die Pfarrer in der DDR einen Paten in der BRD. Dieser Pate war in der Regel ein Mitglied der WestVerwandtschaft des kirchlichen Mitarbeiters, sofern dieser über keine Verwandte in der BRD verfügte, war er ein Mitglied der Partnerkirche. Der Pate hatte die Aufgabe, das Geld, das die westliche Partnerkirche dem kirchlichen Mitarbeiter der DDR zuführte, zu verwalten bzw. ihm dafür die gewünschten Dinge zu kaufen und zu schicken. Die individuelle materielle Unterstützung wird nur von einzelnen Kinderdiakoninnen im Interview thematisiert. Obwohl in der Literatur bislang nicht beschrieben, wurde die direkte finanzielle bzw. materielle Unterstützung der Kinderdiakoninnen in den Interviews angesprochen oder konnte am Ende durch Nachfrage bestätigt werden. Eine Interviewpartnerin erläuterte, dass jede Kinderdiakonin eine finanzielle Unterstützung bekam, da ihr Gehalt weit unter dem Gehalt der staatlich ausgebildeten Kindergärtnerin lag und im Vergleich zum Durchschnittgehalt in der DDR gering ausfiel. Die finanzielle Zuwendung wurde nach einer gewissen Bewährungszeit als Mitarbeiterin im kirchlichen Dienst der Kinderdiakonin zugesprochen.
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2.3.3 Die Ausbildung zur Kinderdiakonin an den Seminaren für kirchlichen Dienst in der DDR Kinderdiakonin ein Verkündigungsberuf ein pädagogischer Beruf, ein Beruf mit Familienbezug - ein schöner Beruf... mit Kindern umgehen, für Kinder verantwortlich sein, zu Kindern vom Glauben reden... ein schwerer Beruf.... der sorgfältige Ausbildung erfordert, da Kinderdiakoninnen im Dienst an Kindern in kirchlichen Kindergärten und -heimen und in Kirchgemeinden stehen" (Seminar für kirchlichen Dienst, Bad Lausick, Merkblatt für die Ausbildung zur Kinderdiakonin, Juni 1990).
Zwischen 1951 und 1957 entstanden fünf Seminare für kirchlichen Dienst. Ihre Gründung basierte auf dem Bedarf, für evangelische Einrichtungen, seien dies Kindergärten, Kindererholungsheime oder Behindertenheime, kirchliche Mitarbeiter zu gewinnen. 28 Die Ausbildung zur Kinderdiakonin erfolgte an den Seminaren für kirchlichen Dienst in Wolmirstedt, Greifswald, Berlin-Weißensee, Bad-Lausick, Dessau und Eisenach.29 Sie befähigte vor allem zur pädagogischen Arbeit im evangelischen Kindergarten, allerdings auch, im Gegensatz zur Kindergärtnerin, zur pädagogischen Arbeit mit Kindern bis zum 10. Lebensjahr. Die Kinderdiakonin hatte in der pädagogischen Arbeit mit getauften und ungetauften Kindern einen Verkündigungsauftrag und sollte sich aktiv in die Arbeit der Kirchgemeinde einbringen (vgl. Doye 1989). Da der berufliche Habitus grundlegend in der Ausbildung an den fünf Seminaren für kirchlichen Dienst und einem Seminar für Kinder- und Gemeindediakonie geprägt wurde, sollen diese in ihrer Geschichte und Ausrichtung zunächst allgemein skizziert werden. Kruse (1994) stellt in ihrem Aufsatz fünf Seminare für kirchlichen Dienst dar, sie übersieht in ihrer Recherche das Seminar für Kinder- und Gemeindediakonie in Dessau,
28 Es wird, obwohl sich auch männliche Absolventen unter den Kinderdiakoninnen befanden, immer die weibliche Form der Berufsbezeichnung benutzt. Dieses Vorgehen liegt in dem hohen Anteil der Frauen von über 90% begründet. 29 Die fünf Seminare für kirchlichen Dienst und das Seminar für Kinder- und Gemeindediakonie stellen einen noch zu erforschenden Bereich der DDR-Geschichte dar. Es existieren in der Regel kaum noch schriftliche Aufzeichnungen außer Personalunterlagen. Durch die Überführung der Seminare in Evangelische Fachschulen und den fast vollständigen Wechsel des Lehrkollegiums sind 15 Jahre nach der Wende auch die wenigen Dokumente, die nicht mehr von Belang waren, aus den schulischen Archiven aussortiert worden. Eine Untersuchung zur Geschichte der Seminare, die als unveröffentlichte Diplomarbeit am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Universität Frankfurt verfasst wurde, liegt von Kruse (1994) vor.
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welches 1964 gegründet und bereits 1984 geschlossen wurde.30 Da zu diesem Seminar kaum Quellen vorliegen und dort nicht viele Absolventinnen ausgebildet wurden, soll dies in der Darstellung und Auswertung nur am Rande berücksichtigt werden. Bedingt durch die dürftige Literaturlage werden die von Kruse (1994) erhobenen und von den einzelnen Seminaren bestätigten Daten genutzt, um allgemein die Ausrichtung der Seminare aufzuzeigen. Die in der vorliegenden Arbeit geführten Interviews mit den Kinderdiakoninnen komplimentieren die Aussagen zu den Seminaren für kirchlichen Dienst von Kruse (1994), die die wesentlichen Charakteristika und Inhalte der jeweiligen Ausbildungsgänge darstellt. Die Geschichte der Seminare und die Unterschiede gerade in der konzeptionellen Gestaltung ihrer Ausbildung stellen ein spannendes Feld ehemaliger DDR-Geschichte dar, das wert wäre, weiter erforscht zu werden. Fünf der acht Landeskirchen der DDR unterhalten ein Seminar für kirchlichen Dienst, an dem Kinderdiakoninnen ausgebildet werden. Hauptziel ist die fachliche Qualifizierung pädagogischer Mitarbeiter für den Verkündigungsdienst im gemeindlichen Kindergarten. Da die Berufsbezeichnung bereits von staatlicher Seite >besetzt< ist, wird in der evangelischen Kirche der Begriff Kinderdiakonin geprägt (Kruse 1994: 26).
Kennzeichnend für alle Seminare war die Verbindung von Lernen und Leben. Dies beinhaltete, dass alle Seminaristinnen, unabhängig von ihrem Wohnort, mit Aufnahme am Seminar für kirchlichen Dienst im Internat des Seminars leben mussten.31 Die verbindliche Gestaltung des Lebens mit der Unterbringung im Internat sollte der Persönlichkeitsentwicklung der Seminaristinnen dienen, die durch die Begleitung einer oder mehrerer Hausmütter gefördert wurde. Das gemeinsame Essen und die gemeinsamen Freizeitaktivitäten hatten unter anderem die Intention, Gemeinschaft herzustellen, die Hausmutter hatte bei den in der Regel 16-Jährigen auch die Funktionen, die sich aus dem Begriff Hausmutter
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1905 Eröffnung eines Seminars zur Ausbildung von Kleinkinderlehrerinnen, Hortnerinnen und Haushaltung. 1964 Wiedereröffnung der Ausbildung des >Seminars für Kinder- und Gemeindediakonie<, Ausbildung zur Kinder- und Gemeindediakonin. Ab 1966 Kurse für Diakonische Kinderhelferinnen (Anhaltische Diakonissenanstalt Dessau, Homepage http://www.ada-dessau.de, Aufruf 10.7.2006). Auch bei der Recherche am Zentralen Archiv der EKD fanden sich vom Seminar in Dessau kaum Dokumente, so das davon ausgegangen werden muss, dass es auch in Ausbildungsfragen eine weniger große Bedeutung hatte als die Seminare, die in der 50er Jahren gegründet wurden. 31 Das gemeinsame Wohnen im Internat war aufgrund der räumlichen Bedingungen nicht immer gegeben, wurde allerdings als Konzept angestrebt. In Greifswald wurden auch innerhalb der Stadt von der Landeskirche Zimmer für die Seminaristinnen angemietet, die sich diese dann zu zweit oder mehr teilen mussten. In Berlin wurde aufgrund der berufsbegleitenden Ausbildung das Konzept von Wohnen und Lernen nicht durchgängig umgesetzt.
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ableiten lassen. Genannt wurde bereits die Reproduktions- und Freizeitfunktion, sie war es aber auch, die die Aufgaben gerade in Bezug auf die Ordnung im Internat sicherstellte und für die Minderjährigen als Ansprechpartnerin fungierte, wenn die jungen Frauen Heimweh oder Probleme hatten. Die Aufnahme an den Seminaren für kirchlichen Dienst erfolgte nach einem aufwändigen Aufnahmeverfahren, das von allen kirchlichen Ausbildungsstätten zur Optimierung der Berufsberatung und der Eignungsprüfung umgesetzt wurde. Parallel zu den Aufnahmekriterien der staatlichen Pädagogischen Schulen, allerdings mit entgegengesetzten Kriterien war für die Aufnahme das pfarramtliche Zeugnis ausschlaggebend, in dem das Engagement der Bewerberin in der Kirchengemeinde, die aktive Beteiligung am Gottesdienst oder in der Jungen Gemeinde im Fokus standen. Den Bewerbungsunterlagen mit der Begründung des Berufswunsches musste ein ausführlicher Lebenslauf beigefügt werden, der einen Bericht enthielt, in dem die Einzelne sich zu der Bedeutung ihrer Familie, der Schule und des eventuell schon erlernten Berufes und der kirchlichen Arbeit äußerte. Gleichzeitig wurde von den Bewerberinnen ein Gemeindegutachten verlangt, in dem der Ortspfarrer sich zur Person der Bewerberin äußern sollte. Dieses Gutachten stellte eine detaillierte Beschreibung und Analyse der Bewerberin dar.32 Mit diesen Hürden wollten die kirchlichen Einrichtungen motivierte Auszubildende bekommen, die kirchlich gebunden waren, über die entsprechenden Kompetenzen verfügten und denen die Bedeutung ihrer Berufswunsches für ihren Lebensweg bewusst war. Mit der Aufnahme am Seminar für kirchlichen Dienst erhielt die Seminaristin ein Stipendium (Taschengeld) von der jeweiligen Landeskirche; die Höhe des Stipendiums war in den einzelnen Seminaren unschiedlich hoch und z.B. in Eisenach abhängig vom Einkommen der Eltern.33
32
Das Gemeindegutachten war unterteilt in die folgenden Unterpunkte: Familie: 1. Familiäre und soziale Herkunft; 2. Jetzige familiäre und soziale Stellung; Bezug zur kirchlichen Arbeit: 3. Kirchliche und geistige Herkunft; 4. Jetzige kirchliche und geistige Verwurzelung. Dabei sollen Aktivitäten in der Gemeinde und besonders ehrenamtliche eigenverantwortliche Arbeit mit Gemeindegruppen dargestellt werden; Person: 5. Intellektuelle Fähigkeiten; 6. Besondere charakterliche Eigenschaften und Lebensführung; 7 Kontakt- und Dialogfähigkeit; 8. Physische und psychische Belastbarkeit; Eignung für den angestrebten Dienst: 9. Eignung für den kirchlichen Dienst im Allgemeinen; 10. Eignung zu dem speziell angestrebten Dienst (Vgl. Archiv der ev. Fachschule für Diakonie und Sozialpädagogik Eisenach. Ordner Personalunterlagen 1981 1984, keine Seitenangabe). 33 Für das Seminar in Wolmirstedt bedeutete dies in den 80er Jahren: 6 Monate Praktikum 126 Mark; 1 Jahr Unterricht 100 Mark; 6 Monate Praktikum - 126 Mark; 1 Jahr Unterricht 50 Mark; Anerkennungsjahr Einstiegsgehalt pro Monat (Experteninterview Maritta Leyh, Referentin Diakonisches Werk Mitteldeutschland, 2. 4. 2005)
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Die Ausrichtung und Inhalte der verschiedenen Seminare für kirchlichen Dienst waren unterschiedlich, so konnte neben der Ausbildung zur Kinderdiakonin an verschiedenen Seminaren der Abschluss zur C- und B-Katechetin erworben werden. Greifswald zeichnete sich dadurch aus, dass hier nicht nur Kinderdiakoninnen, sondern auch Gemeindediakoninnen, Pflegediakoninnen, Verwaltungsdiakoninnen und Wirtschaftsdiakoninnen ausgebildet wurden. Die Vielfalt der Ausbildungen resultierte aus der Größe der Landeskirche, da eine alleinige Ausbildung zur Kinderdiakonin für kleine Landeskirchen ineffektiv war und durch die Breite der Ausbildungseinrichtungen Räumlichkeiten und Kollegium optimal genutzt werden konnten. Die Länge der Ausbildung und deren Struktur variierte selbst an den einzelnen Seminaren, erst ab 1983 wurde nach langjährigen Diskussionen der Rahmenlehrplan für Kinderdiakoninnen verabschiedet, der für alle Seminare die Ausbildungsdauer und Inhalte regelte und damit einen Wechsel innerhalb der Ausbildung für die einzelnen Seminaristinnen möglich machte.34 Gemeinsam war den Seminaren für kirchlichen Dienst die Problematik der Rekrutierung von Fachdozenten und der entsprechenden räumlichen Bedingungen. Die Herausforderung, qualifizierte Dozenten zu gewinnen, wurde von den Seminaren unterschiedlich gelöst; so wurden in Berlin-Weißensee diplomierte Fachkräfte auf Honorarbasis oder in Teilzeitbeschäftigung für Fächer wie Psychologie, Gesundheitslehre, Literatur gewonnen, die damit eine gewisse Fachlichkeit sicherstellten, allerdings auch in staatlichen Institutionen arbeiteten (vgl. Waßermann:1994). Da von den Lehrkräften neben Fachkompetenz und pädagogischer Eignung die aktive Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche gefordert wurde, zog dies in einzelnen Fällen für die Lehrkräfte politische Folgen nach sich. Als Gegenbeispiel zur Rekrutierung von Dozenten können Greifswald und Eisenach gesehen werden, in denen bewusst auf die Rekrutierung von studierten Fachkräften verzichtet wurde, da die Persönlichkeit, die Glaubhaftigkeit in religiösen Fragen und das damit verbundene Menschenbild als entscheidender und als Basis des Unterrichtes betrachtet wurde.35 In diesen beiden Seminaren wurde häufig auf Kinderdiakoninnen zurückgegriffen, die sich in der Ausbildung bereits durch sehr gute Leistungen ausgezeichnet hatten und die nach einigen Jahren der Berufstätigkeit an die Diakonische Akademie in Berlin oder die Jugendleiterausbildung der Caritas zur Weiterqualifizierung delegiert wurden, Kinderdiakoninnen, die in der Lage waren, sich autodidaktisch Wissen zu erarbeiten.
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Vgl. Die Christenlehre, 7/1983 Generell können die Möglichkeiten in Berlin, kritische staatlich ausgebildete pädagogische Fachkräfte zu werben, mit den vergleichsweise geringen Möglichkeiten von Eisenach und Greifswald nicht verglichen werden. 35
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Unterschiede gerade zwischen Berlin-Weißensee und Eisenach ergaben sich durch das bereits beschriebene Prinzip des gemeinsamen Wohnens, Lebens und Unterrichtens, welches sich in Eisenach durch das Wohnen im Internat, das gemeinsame Essen und besonders durch das partnerschaftliche Miteinander mit den Internatsleiterinnen auszeichnete. Dieser Aspekt wurde in Berlin aufgrund der Größe des Seminars und des Aufnahmealters der Bewerberinnen nur bedingt umgesetzt, da die Bewerberinnen teilweise bereits einen Berufsabschluss hatten. Die Unterschiede der Seminare für kirchlichen Dienst resultierten zum Teil aus den äußeren Randbedingungen, zu nennen wäre hier beispielsweise das Bodelschwingh-Haus in Wolmirstedt, dies erzeugte einen spezifischen Bedarf an ausgebildeten Mitarbeiterinnen, der sich in der inhaltlichen Schwerpunktsetzung des Seminars niederschlug. Durch die Interviews mit den Kinderdiakoninnen bestätigt sich die Darstellung der Autonomie der kirchlichen Institutionen von Pollack (1994), die in Kapitel 2.3.2 formuliert wurde. Auf die finanziellen Möglichkeiten wurde dort bereits eingegangen, so soll im Folgenden die pädagogische Gestaltung der Ausbildung an einigen Seminaren anhand der geführten Interviews dargestellt werden. Die Bedeutung der Ausbildung und der individuelle Ausbildungsverlauf für die Seminaristinnen werden in den Fallbeschreibungen noch differenziert betrachtet, daher soll hier nur auf pädagogische Ausrichtung der Seminare für kirchlichen Dienst eingegangen werden. Aufgrund der geführten Interviews kann der im Rahmenlehrplan von 1983 formulierte (vgl. Kap. 2.3.4) partnerschaftliche Umgang zwischen Schülerinnen und Dozenten in den Seminaren für kirchlichen Dienst generell bestätigt werden. So vom Umgang mit den Schülern und vom Zusammenhalt der Lehrkräfte und die ganze Atmosphäre war in der Schule war dieses SKD wunderbar. Und da von daher hab ich auch viele @pädagogische Ansätze@ mitgenommen. Also zum Beispiel gab es zu der Zeit, als ich dort in der Ausbildung war, Schülervertreterversammlung und die Schülervertreter konnten auch also ne Gesamtversammlung einberufen, also es war sehr demokratisch. Und das war das Ansinnen des damaligen Rektors, dass äh die jungen Erzieherinnen oder Kinderdiakoninnen ebend auch pädagogisch richtige Maßstäbe finden und von daher war die Ausbildung auch sehr breit gefächert also nicht einseitig, sondern alle Erziehungsstile wurden durchgenommen, ob nun sowjetische Pädagogen oder Pädagogen äh wie von der antiautoritären Erziehung also alle Stile und das denke ich war auch ein Unterschied zu den Erzieherinnenausbildung, die im staatlichen Bereich gearbeitet haben. Aber wenn man so diesen Ansatz gesehen hat, den die Schule verfolgt hat, dann kann man sich auch vorstellen, dass man demokratisch im Kindergarten arbeiten kann. Und das denke ich habe ich auch von der Ausbildung mit mitgenommen. Vielleicht auch noch äh so wie auf der pädagogischen Seite so frei war auch die christliche Seite ab vom Glauben her. Dass äh da der Rektor Wert darauf gelegt hat, dass das nicht so einseitig ists sondern dass das
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vielseitig und jeder doch mit seinem Glauben so leben kann, da gibt es ja auch ne ganz unterschiedliche Breite (U, 54-75).36
Die Kinderdiakonin, die ihre Ausbildung Anfang der siebziger Jahre am Seminar für kirchlichen Dienst in Greifswald absolvierte, beschreibt den freiheitlichen Umgang mit Glaubenshaltungen aber auch die Umsetzung der antiautoritären Prinzipien von Neill (1965). Schulvollversammlungen sind an diesem Seminar ebenso selbstverständlich gewesen wie die Teilnahme eines Schülervertreters an den Konferenzen des Kollegiums. Mündigkeit und Demokratie zu erproben, zu leben und selbst vorleben zu können, wurden an diesem Seminar als pädagogisches Leitbild formuliert. Die freiheitlichen Vorstellungen des Rektors stießen aber nicht uneingeschränkt auf Zustimmung, es gab kritische Positionen in der Landeskirche, die schließlich zur Absetzung des Rektors und teilweisen Auflösung des Kollegiums führten. Da ich mein ich hat ja schon gesagt, der Rektor hatte so besondere Ansätze, die in der Landeskirche dann nachher auch nicht anerkannt wurden, also nicht gerne gesehen wurden. Jo dass die Schüler zuviel Freiheiten hatten ja das für ihn ebend kein Grund war, wenn eine Schülerin schwanger war, dass sie die Ausbildung abbrechen muss, das war ja in manchen kirchlichen Ausbildungsstätten auch so üblich aber da hatte er ebend eine andere Meinung dazu. Und man hat immer versucht, Wege zu finden, dass beides geht (U, 129-136).
Die Absetzung des Rektors führte zu einer Vakanz in der Leitung und im Dozentenkollegium. Die Seminaristinnen am Seminar für kirchlichen Dienst in Greifswald sollten auf zwei Seminare (Berlin, Eisenach) zur Fortführung ihrer Ausbildung aufgeteilt werden. Die Seminare für kirchlichen Dienst hatten jedoch bis zur Implementierung des Rahmenlehrplans 1983 eine unterschiedliche Struktur der Ausbildung, so dass bei der angekündigten Verteilung die Notwendigkeit bestanden hätte, Ausbildungsabschnitte zu wiederholen. Dies wurde von den Seminaristinnen in Greifswald abgelehnt und mit Streik verhindert. Und das ist ja dann immer Ostern also das ist dann und damit ist dann sind mit ihm von diesen Team einige gegangen. Und dann war in so nem Vierteljahr ganz schön Lehrpause, da wir keine richtigen Dozenten, keinen Rektor hatten. Ja und mit da ist leider auch die Beschäftigungslehredozentin mit weggegangen und da hat man uns gesagt, dass man uns aufteilt, aber da haben wir gesagt, wir gehen nirgends woanders hin. Weil wir hätten neu anfangen müssen in Berlin oder Eisenach, da wollten
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In Klammern steht das Pseudonym für die interviewte Kinderdiakonin sowie die Zeilennummern des transkribierten Interviews.
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die uns hin delegieren. Aber da hätten wir hätten wir zwei Jahre dann schon gehabt, sollten aber wieder neu anfangen und in dem Jahrgang waren wir nicht bereit, das zu tun. Die haben sich komischerweise auch darauf eingelassen. Wurde dann auch (??) Dann hatten wir ebend Blockunterricht, weil die dann eingeflogen, also die kamen dann immer mal und aus Leipzig eine Dame dann. Und so das war dann also ne schwierige Sache aber sonst, zu den anderen hatten sie dann nur ein Rektor, der hatte es dann natürlich nicht mehr leicht, der neue Rektor. Hatte es nicht leicht unter uns Schülerinnen, die schon den alten kannten ne das obwohl der ja gar nichts dafür konnte, ne aber war halt so, der kriegte das ab (V, 478-495).
Auch am Seminar für kirchlichen Dienst in Eisenach wurde von verschiedenen Kursen zur Durchsetzung eigener Interessen in den 70er Jahren gestreikt; Gründe waren Erhöhung des Taschengeldes und Verlegung von Unterricht. Ebenso wie in Greifswald wird den Forderungen bzw. Wünschen der Streikenden entsprochen und es werden entsprechende Kompromisse ausgehandelt. Die pädagogische Ausrichtung der Seminare für kirchlichen Dienst in der DDR differierte stark, so stand auf der einen Seite das Beispiel von Greifswald und seiner freiheitlichen Pädagogik, auf der anderen Seite stand - unter der Leitung von Diakonissen - das Seminar für kirchlichen Dienst in Wolmirstedt, in dem selbst zeitweise die Kleiderordnung und damit das Tragen von Röcken vorgeschrieben war, wie von einer interviewten Kinderdiakonin beschrieben wurde. Insgesamt wurden die Atmosphäre, der partnerschaftliche Umgang und die Methoden der Erwachsenenbildung von den interviewten Kinderdiakoninnen geschätzt. Zur Atmosphäre der Seminare trug die geringe Größe bei; die wenigen Kinderdiakoninnen, die ausgebildet wurden, kannten sich, die Größe der einzelnen Kurse lag bei 10-12 Teilnehmerinnen. Die Überschaubarkeit, aber insbesondere die Anlehnung an die westlichen Methoden der Erwachsenenbildung, hoben die Seminare für kirchlichen Dienst von den Pädagogischen Schulen für Kindergärtnerinnen ab und ließen, auch wenn der Ausbildungsabschluss staatlicherseits nicht anerkannt wurde, die Besonderheit und eventuell die elitäre Nische in der sozialistischen DDR erkennen. Die Konzeption der Ausbildung wird im folgenden Kapitel dargestellt.
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2.3.4 Die Ausbildung und der Rahmenplan zur Kinderdiakonin Die Notwendigkeit für die verbliebenen und reaktivierten evangelischen Einrichtungen in der DDR qualifizierte Mitarbeiterinnen auszubilden, die am Evangelium orientiert sein sollten, führte, wie bereits dargestellt, zur Konzeption der Kinderdiakoninnen-Ausbildung (vgl. Konrad 2004).37 Unter dem Berufsbild der Kinderdiakonin wurde eine sozialpädagogische und religionspädagogische kirchliche Mitarbeiterin im Verkündigungsdienst verstanden, die mit ihrer Person und ihrer täglichen Arbeit dazu beiträgt, den Kindern und ihren Eltern das Evangelium als Lebenshilfe und Orientierung erfahrbar zu machen (Waßermann 1994: 57). Kirchliche Einrichtungen taten sich schwer, staatlich ausgebildete Kindergärtnerinnen einzustellen, da sie dem Profil der Institution und den religionspädagogischen Anforderungen nicht entsprachen. Die Ausbildung an den einzelnen Seminaren war durch die Strukturierung von Praxis und Theorie unterschiedlich angelegt, aber auch einzelne Fächer und ihre inhaltliche Gestaltung waren bis zur Einführung des Rahmenlehrplans 1983 nicht kongruent. Dem Facharbeitskreis für Kinderpflege und der Kommission kirchliche Arbeit mit Kindern und Konfirmanden, dem der Sekretär für Ausbildung, Eckart Schwerin, angehörte, hatte die Aufgabe, die Grundfragen der evangelischen Kindergartenarbeit mit den Schwerpunkten der Aus- und Weiterbildung zu konzipieren und weiterzuentwickeln (Schwerin 1983: 144). Wesentliches Element der Ausbildung war der starke Praxisbezug, der in der Regel beinhaltete, dass neben den Praktika in den evangelischen Kindergärten in der Nähe der Seminare in Praxiskindergärten hospitiert wurde bzw. dass einzelne Seminaristinnen Angebote im Beisein des ganzen Kurses durchführten, um dies im Anschluss daran mit der Praxisdozentin zu reflektieren. Die Ausbildung an den Seminaren zeichnete sich in gerade in den Anfangsjahren durch große Improvisation aus, dies kann sowohl in Bezug auf die räumlichen Gegebenheiten als auch auf den Lehrplan formuliert werden, der mit zunehmender Erfahrung stetig überarbeitet wurde.38 Die Ausbildung wurde zunehmend professioneller gestaltet, wobei immer der direkte Praxisbezug wesentliches Element der Ausbildung war. Der Rahmenlehrplan für Kinderdiakoninnen in der DDR, der eine einheitliche Grundlage und Vergleichbarkeit schuf, wurde als Bereicherung für die Aus-
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Vgl. Doye (1983) bzw. Veröffentlichung des Rahmenplans in der Zeitschrift Die Christenlehre. Hanna Stengel hat entscheidend die Lehrinhalte und das Profil der Ausbildung beeinflusst. Gemeinsam mit Götz Doye (1989) hat sie ein grundlegendes Buch für die Hand der Kinderdiakonin, Glauben erleben, geschrieben, auf welches in der Dissertation noch genauer eingegangen wird.
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bildung an allen Seminaren für kirchlichen Dienst empfunden..39 Dem Rahmenlehrplan von 1983 vorangestellt war eine Analyse der Ausbildungssituation, die sich auf die Ausbildung und die Inhalte auswirkte.40 Da gerade der Persönlichkeit der Kinderdiakonin eine Schüsselfunktion zukam, stellte die Persönlichkeitsbildung und die Entwicklung der Seminaristin einen Schwerpunkt in der inhaltlichen Formulierung des Lehrplans dar. Hintergrund dieses Vorgehens war die Annahme, dass die Kinderdiakoninnen aufgrund ihres Lebensalters noch wenig Erfahrungen gewonnen und Krisen bewältigt hatten. Das Aufnahmealter war unterschiedlich und durch die Beendigung des Schulverhältnisses der POS bedingt (vgl. Kruse 1994). Der Rahmenplan selbst war in verschiedene Punkte untergliedert, an dieser Stelle sollen nur die wesentlichsten herausgegriffen und dargestellt werden: Wesentliches Augenmerk wurde, ausgehend der oben dargestellten Analyse, der Situation der Seminaristin gegeben. Ausgehend von dieser Situation und den Anforderungen an die Kinderdiakonin im evangelischen Kindergarten wurden die Aufgaben der Ausbildung beschrieben. Um die Haltung und Einstellung, die die Kinderdiakonin in ihrer späteren Tätigkeit auszeichnen sollte, zu erwerben, sollte ein partnerschaftliches Miteinander mit den anderen Seminaristinnen und den Dozenten und Dozentinnen praktiziert werden. Werte wie Toleranz, Flexibilität, Kreativität und Bereitschaft zur Kooperation wurden als wesentliche Aspekte der Haltung und Einstellung der Kinderdiakonin begriffen, die es in der Ausbildung zu entwickeln galt (vgl. ebd.: 146).41
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Dem Rahmenlehrplan kam nach der staatlichen Wiedervereinigung entscheidende Bedeutung bei der Anerkennung der Absolventinnen zu. Die Seminare für kirchlichen Dienst erhielten am 01.09.1990 die staatliche Anerkennung als Ausbildungsstätte und des an ihnen erworbenen Abschlusses. Das Modrow-Papier ist die Grundlage für die volle Anerkennung der Ausbildung als Erzieherin, die durch die vereinten Anstrengungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der evangelischen Ausbildungsstätten, in der Frau Kalkbrenner bereits vor der Wende vertreten war, errungen wurde. Die Kultusministerkonferenz erkannte im Gegensatz zur staatlichen Kindergärtnerin die Ausbildung als gleichwertig an, die Absolventen der staatlichen Schulen (Hort, Krippe, Kindergarten) mussten, um der Breitbandausbildung der Fachschulen für Sozialpädagogik in den alten Bundesländern zu entsprechen, ein 100-Stunden-Programm absolvieren. So stimmt die in der Übersicht von Kruse (1994) dargestellte Aussage nur teilweise, dass der Lehrplan selbst erstellt wurde, da ab 1983 der Rahmenlehrplan galt, der die Grundlage für die Ausbildung darstellte (Experteninterview Tonimaria Kalkbrenner, 17. 05. 2005). 40 Zu nennen wären hier die mangelhafte Ausstattung der Ausbildungsstätten; die unzureichende Anzahl der hauptamtlichen Dozenten und damit die hohe Anzahl der nebenamtlichen Dozenten, was die Planungen und den fächerübergreifenden Unterricht erschwerte, die Probleme durch begrenzte Internats- und Raumkapazitäten (vgl. Schwerin 1983: 145). 41 Die Ausbildung dauert nach dem Rahmenlehrplan von 1983 insgesamt 4 Jahre. Bis 1983 dauerte sie drei, in den ersten Jahren nur 2 Jahre (vgl. Kruse 1994).
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(...) die Motivation der Auszubildenden, die Erkennbarkeit gemeinschaftlichen Engagements, die Fähigkeit, die Elternarbeit in erforderlichem Maß aufzunehmen, die geistigen Voraussetzungen im Hinblick auf die Anforderungen der Ausbildung, die mitgebrachten gesellschaftlichen Erfahrungen der Auszubildenden, die Verstärkung des Berufsbildes der Kinderdiakonin als Beruf im Verkündigungsdienst der Kirche (UBN-606/84, S. 4).42
Das partnerschaftliche Verhältnis, welches neben der Ausbildung auch den evangelischen Kindergarten auszeichnete, stand im Gegensatz zu den staatlichen Schulen für Kindergärtnerinnen und den staatlichen Kindergärten und Kinderkrippen. Der Rahmenplan zielte vor allem darauf hin, die Seminaristin zur selbstständigen Arbeit anzuleiten. Im Lehr- und Lernvorgang sind solche Verfahren anzustreben, die einen gemeinsamen Lernprozeß anstreben. Dadurch können auch die Erfahrungen, die sich als Lernbarrieren erweisen, aufgearbeitet und abgebaut werden. (...) Die an Befähigungen und Kenntnissen/Fertigkeiten orientierten Inhalte werden ergänzt durch Kurse, die die Zusammenhänge und Überblicke verdeutlichen und damit Hilfen zur Einordnung von Einzelkenntnissen geben. Projekte machen die Verflochtenheit der 3 Bereiche (Biblisch-theologischer; psychologisch-pädagogischer, musischer) und des Blockes Praxis der Evangelischen Kindergartens erfahrbar (Schwerin 1983: 146).43
Der Rahmenplan griff die gängige Praxis und Erfahrungen in den Seminaren auf. Mit der Verabschiedung und seiner ab 1984 verbindlichen Einführung wurde die Ausbildung einheitlich inhaltlich gefasst und strukturiert. Die Praktika wurden den einzelnen Ausbildungsjahren zugeordnet und mit Zielen unterlegt. Die vierjährige Ausbildung gliederte sich in drei theoretische Studienjahre, in denen Praktika von unterschiedlicher Länge integriert wurden, und das sich anschließende Anerkennungsjahr. Im Anerkennungsjahr wurde die Seminaristin/Praktikantin von einer Mentorin in ihrer Tätigkeit begleitet. Die Gliederung der Ausbildung war wie folgt festgelegt: 1. Jahr Im Vordergrund standen die Förderung der persönlichen Kompetenzen und die Erfahrung von Geborgenheit und Annahme, da dies zentral für die Arbeit mit den 4- bis 7-jährigen Kindern ist. Schwerin bezeichnet dies als Selbstfindungsprozess, der durch das gemeinsame Miteinander und die Anleitung der Internats42 Archiv Ev. Fachschule für Diakonie und Sozialpädagogik Johannes Falk Eisenach, USB-Nr. 606/84; A 4281-1379/84, 94. Tagung der Konferenz der Ev. Kirchenleitungen in der DDR, VorlageNr.1, 4 43 Hervorhebung im Original
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leiterin bzw. der Hausmutter geprägt war. Das dreimonatige Praktikum wurde im Unterricht vorbereitet, im Praktikum selbst sollten kleine Aufgaben übernommen werden. 2. Jahr Zentral war die Erlangung von Sachkenntnissen in verschiedenen Fächern. Die Komplexität und die fächerübergreifende Thematik der Inhalte sollten der Seminaristinnen deutlich werden. Es sollten zwei bis drei Projekte durchgeführt werden, die Fächer Hygiene, Naturkunde und Gesundheitslehre, die elementar für die Tätigkeit im Kindergarten sind, sollten als Komplex unterrichtet und abgeschlossen sein. Die Berufsmotivation wurde durch je zwei Praktika von 6 Wochen in verschiedenen Einrichtungen verstärkt. 3. Jahr Die Ausbildung konnte charakterisiert werden durch die Anleitung zum selbständigen Arbeiten und der Verallgemeinerung und Systematisierung der erworbenen theoretischen Kenntnisse. Projekte zu Elternarbeit und Eltern, Familie, Mitarbeitern und Gemeinde wurden von den Seminaristinnen bearbeitet. 3Monate-Praktikum 4. Jahr, Anerkennungsjahr Das Praktikum war gekennzeichnet durch die eigenverantwortliche Tätigkeit. Die Fähigkeiten und Kenntnisse in ihrer individuellen Bedeutung für die berufliche Tätigkeit sollten erprobt und reflektiert werden. Um dies zu ermöglichen, wurde die Seminaristin von einer Mentorin begleitet. Die Umsetzung in einen konkreten Stundenplan ist in Tabelle 2 und Tabelle 3 dargestellt: Tabelle 2: Fächer/Bereiche im Rahmenplan für Kinderdiakoninnen (1983) Fach Biblisch-theologischer Bereich Psychologisch-pädagogischer Bereich Praxis des evangelischen Kindergartens Musischer Bereich Andere Komplexe Erste Hilfe Fürsorge und Aufsicht Gesundheitslehre Hygiene
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Stunden 504 840 420 504 252 20 10 30 20
Familienrecht Rechtskunde Verwaltungskunde Naturkunde Marxismus Wirtschaftsführung Deutsch Sprecherziehung
15 20 20 15 25 10 40 20
Tabelle 3: Fächerkatalog der Ausbildung zur Kinderdiakonin im Seminar für den kirchlichen Dienst Eisenach 1. Biblisch-theologischer Bereich Kirchl. Unterricht (Dogm. / Glaubenslehre) Gespräch m. d. Bibel (NT/AT) Kirchengeschichte Christ in der Gesellschaft 2. Psychologisch-pädagogischer Bereich Psychologie Pädagogik Geschichte d. Pädagogik Vorschulkatechetik (Theorie) Didaktik/Methodik (Dienstkunde Theorie) Rechtskunde Gesundheitslehre Kinder- und Jugendliteratur Naturkunde Deutsch 3. Praxis des Ev. Kindergartens Didaktik/ Methodik (Dienstkunde Praxis) Vorschulkatechetik Praxiswochen 4. Musischer Bereich Musiktheorie und Praxis (Flöte und Klavier), außerdem Chor als Pflichtveranstaltung Zeichnen Werken Textiles Gestalten (Archiv Ev. Fachschule für Diakonie und Sozialpädagogik Johannes Falk Eisenach, Ordner Seminar für kirchlichen Dienst, Ausbildung 1981-1984, ohne Seitenangaben)
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Exemplarisch wird in Tabelle 3 die Umsetzung des Rahmenplans für das Seminar für kirchlichen Dienst in Eisenach dargestellt. Es wird deutlich, dass das Fach Marxismus, obwohl im Lehrplan aufgeführt, in der Praxis nicht unterrichtet wurde. Dies wurde im Gespräch von einer Fachdozentin bestätigt.44 Der Rahmenplan wurde ergänzt durch eine Rahmen-Prüfungsordnung.45 In dieser war der Zeitpunkt der Prüfungen und deren Prüfungsbereiche geregelt: Die erste Zwischenprüfung erfolgte nach zwei Jahren; die zweite Prüfung erfolgte mit Abschluss des 3. Studienjahres; die letzte Prüfung, die Abschlussprüfung, erfolgte nach dem 4. Ausbildungsjahr, dem Anerkennungsjahr (vgl. USB-Nr.: 132/84).46 Die Grundlage für die Prüfungen bildeten die drei Teilbereiche praktischer, biblisch-theologischer und psychologisch-pädagogischer Bereich. Die Zwischenprüfung hatte zum Ziel, die Kenntnisse und Fähigkeiten der Seminaristin unter Berücksichtigung ihrer Praxiserfahrungen zu ermitteln. Die Prüfung umfasste eine oder zwei schriftliche Arbeiten aus dem biblisch-theologischen und dem psychologisch-pädagogischen Bereich. Um einen Eindruck von dem hier vorgesehenen Miteinander von Dozentenkollegium und Seminaristinnen zu bekommen, soll ein Ausschnitt des Entwurfs zitiert werden. Das Dozentenkollegium erstellt ein Votum zur Einschätzung der Entwicklungstendenzen der Seminaristin. Das Votum ist der Seminaristin zur Einsicht offen. Die Zwischenprüfung eröffnet die Möglichkeit, die Beendigung des Ausbildungsverhältnisses festzustellen. In diesem Fall sollte die Schülervertretung beteiligt sein (USB-Nr.351/84).47
44 Experteninterview Dorothee Schwarze, Dozentin am Seminar für kirchlichen Dienst Eisenach seit 1987, (13.01.2007) 45 Die Rahmen-Prüfungsordnung lag nur im Entwurf vor. Entwurf der Gruppe RahmenPrüfungsordnung (USB-Nr.: 351/84) Archiv, Archiv Ev. Fachschule für Diakonie und Sozialpädagogik Johannes Falk, Eisenach 46 Archiv Ev. Fachschule für Diakonie und Sozialpädagogik Johannes Falk, USB-Nr. 606/84; A 4281-1379/84, 94. Tagung der Konferenz der Ev. Kirchenleitungen in der DDR, Vorlage-Nr.1. In dieser Vorlage wurde den Gliedkirchen von der Evangelischen Kirchenleitung in der DDR die Einführung des Rahmenplans und der Rahmenprüfungsordnung empfohlen. Die Vorlage enthielt konkrete Hinweise zur Gestaltung der einzelnen Studienjahre. 47 In der Vorlage USB-Nr. 351/84 wird von der Schülervertretung gesprochen, die bei Beendigung des Ausbildungsverhältnisses einbezogen werden sollte. Diese Passage findet sich bei späteren Vorlagen bzw. auch der Vorlage der 94.Tagung der Konferenz der Ev. Kirchenleitungen in der DDR nicht mehr. Die Schwierigkeit bei der Nicht-Eignung der Seminaristin war es, eine andere, mögli-
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Wie im Zitat deutlich wird, konnte die Ausbildung nicht in jedem Fall erfolgreich beendet werden. Dies wurde durch die Analyse der Personalunterlagen vom Seminar für kirchlichen Dienst in Eisenach bestätigt. Gleichzeitig wurde durch die Analyse der Personalunterlagen die hohe Zahl der Bewerberinnen für die Ausbildung und dem gegenüber die geringe Anzahl der Ausbildungsplätze sichtbar.
2.3.5 Die Auswertung der Personalunterlagen am Seminar für kirchlichen Dienst in Eisenach Im Fokus dieses Kapitels stehen die Personalunterlagen des Seminars für kirchlichen Dienst in Eisenach, die sich im Archiv der ev. Fachschule für Diakonie und Sozialpädagogik in Eisenach befinden. Ausgewertet wurden die Bewerbungsunterlagen im Zeitraum von 1969-1990 wobei das Seminar für kirchlichen Dienst in Eisenach bis in die frühen siebziger Jahre als Frauenwerk für kirchlichen Dienst firmierte. Leider war es nicht möglich, die 50er und 60er Jahre in die Auswertung einzubeziehen, da die Unterlagen nur noch unvollständig vorlagen. Das Hauptergebnis dieser Untersuchung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Nur einzelne Seminaristinnen wurden in der Schule aufgrund des christlichen Elternhauses benachteiligt. Eine Benachteiligung bei der Ergreifung des Wunschberufes war hingegen oft anzutreffen. Es wurde weiterhin erkennbar, dass nur einzelne Kinderdiakoninnen nicht in der FDJ waren, wohingegen die meisten sowohl in der FDJ waren wie auch an der Jugendweihe teilgenommen hatten. Es zeigte sich weiterhin, dass die meisten Kinderdiakoninnen aus dem Arbeiter- und Bauernmilieu kamen und nicht, wie oft behauptet, junge Frauen aus dem Bürgertum waren, die die Ausbildung zur Kinderdiakonin absolviert haben, weil ihnen aufgrund des Milieus ein Studium verwehrt wurde. Insgesamt lagen der Auswertung 142 Personalunterlagen von Seminaristinnen zugrunde. Diese wurden insbesondere im Hinblick auf die Zugehörigkeit der Schüler zu einem sozialen Milieu und zur FDJ sowie hinsichtlich der schulischen Anforderungen und Leistungen ausgewertet, um dies mit den Aussagen in den Interviews kontrastieren zu können. Aufgrund der Thematik der vorliegenden
cherweise auch staatliche Ausbildungsmöglichkeit zu bekommen, nachdem eine kirchliche Ausbildung angefangen wurde (vgl. Waßerman 1994). Wenn die praktischen Voraussetzungen gegeben waren, es aber an den intellektuellen Anforderungen scheiterte, war die Möglichkeit gegeben, die Ausbildung als Kinderhelferin zu absolvieren. Diese Ausbildung wurde in Dessau am Seminar für Kinder- und Gemeindediakonie und in Radebeul, der Ausbildungsstätte für Frauen zum kirchlichen Dienst, angeboten (vgl. Kommission für Ausbildung, Zentrales Archiv der EKD, Berlin).
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Arbeit können viele andere Aspekte zur Geschichte und Professionalität der Seminare für kirchlichen Dienst nur gestreift werden und bedürften einer tiefer gehenden Analyse. So wäre es beispielsweise wünschenswert, die ehemaligen Dozenten/Dozentinnen, Rektoren/Rektorinnen zu befragen und die Personalunterlagen differenzierter zu untersuchen. Die folgende Abbildung 2 zeigt die Zahl der Seminaristinnen, die von 1971 bis 1990 ihren Abschluss erlangten. Hierbei ist zu beachten, dass die Ausbildungsdauer mit dem Jahrgang 1972 von 2 auf 3 Jahre und mit dem Jahrgang 1984 von 3 auf 4 Jahre verlängert wurde. Abbildung 2: Anzahl der Absolventinnen am Seminar für kirchlichen Dienst in Eisenach 16 14
A bsolventinnen
12 10 8 6 4 2 1 9 9 0 -1 9 9 4
1 9 8 8 -1 9 9 2
1 9 8 7 -1 9 9 1
1 9 8 6 -1 9 9 0
1 9 8 5 -1 9 8 9
1 9 8 4 -1 9 8 8
1 9 8 3 -1 9 8 6
1 9 8 2 -1 9 8 5
1 9 8 1 -1 9 8 4
1 9 8 0 -1 9 8 3
1 9 7 9 -1 9 8 2
1 9 7 8 -1 9 8 1
1 9 7 7 -1 9 8 0
1 9 7 6 -1 9 7 9
1 9 7 5 -1 9 7 8
1 9 7 4 -1 9 7 7
1 9 7 3 -1 9 7 6
1 9 7 2 -1 9 7 5
1 9 7 1 -1 9 7 3
1 9 7 0 -1 9 7 2
1 9 6 9 -1 9 7 1
0
Ausbildungszeitraum
Es fällt auf, dass die Anzahl der Absolventinnen stark variiert, obwohl in der Regel zwölf Schülerinnen pro Jahr ins Seminar aufgenommen wurden.48 Dies erklärt sich dadurch, dass die Anzahl der Schülerinnen, die die Schule ohne Ab-
48
Experteninterview Tonimaria Kalkbrenner, Rektorin des Seminars für kirchlichen Dienst in Eisenach von 1974 1992. (17. 05. 2005)
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schluss verließen, nicht dokumentiert ist. In den Interviews wurde jedoch deutlich, dass auch aufgrund von Schwangerschaften und Erziehungsurlaub die Ausbildung in einigen Fällen nicht beendet wurde. Zusätzlich wurde bei einigen Schülerinnen im Verlauf der Ausbildung die fehlende Eignung für den Beruf festgestellt. Auffällig ist, dass die Zahl der Absolventinnen Mitte der achtziger Jahre stark rückläufig war. Mit der Wende hat ein Jahrgang komplett die Ausbildung in Eisenach abgebrochen und eine andere Ausbildung meist in den Alten Bundesländern aufgenommen. Besonderen Stellenwert wurde bei der Aufnahme ins Seminar auf den Lebenslauf, das pfarramtliche Zeugnis und das Zeugnis der POS gelegt. Das Spektrum reichte von getauft, Teilnahme an der Christenlehre und konfirmiert bis zu sehr aktiven Engagement des Vaters oder der Mutter im Kirchenrat und der Mitgestaltung von Familiengottesdiensten, dem Spielen der Orgel im Gottesdienst und der Mitgliedschaft in der Jungen Gemeinde. Die Zahl der zum Bewerbertag eingeladenen Kandidatinnen und der in die Ausbildung aufgenommenen Seminaristinnen wich stark voneinander ab. Es wurden vom Kollegium teilweise starke Bedenken zu einzelnen Kandidatinnen geäußert, in den Personalunterlagen heißt es beispielsweise, dass der Vorkurs (die zwei halbjährigen Praktika) nicht bestanden wäre und damit die Ausbildung nicht begonnen werden könne. Die Anforderungen, die dann an die Seminaristinnen gestellt wurden, waren durchweg hoch. Beeindruckend an den Personalunterlagen ist bei einigen Seminaristinnen der Briefwechsel zwischen der Leitung des Seminars für kirchlichen Dienst und den Praktikumseinrichtungen. In diesen wird das individuelle Bemühen um die Praktikantinnen deutlich, aber auch die Erwartung von Leistung und Einsatz, der nicht alle Praktikantinnen im Anerkennungsjahr entsprachen. In einzelnen Fällen wurde die Ausbildung seitens des Seminars für kirchlichen Dienst in Übereinstimmung mit den Praxiseinrichtungen als beendet erklärt und gegebenenfalls auf die alternative Ausbildung zur Kinderdiakoniehelferin in Dessau verwiesen. Im Folgenden sollen aus den Möglichkeiten, die vorhandenen Personalunterlagen auszuwerten, nur einige herausgegriffen werden, die im direkten Zusammenhang mit den Interviews zum beruflichen Habitus stehen.49 Soweit nicht anders angegeben, wird die Untersuchung zeitlich nach den siebziger und achtziger Jahren differenziert, da sich so einige wichtige Entwicklungen aufzeigen lassen.
49 Interessant wäre es, sich intensiver gerade mit den Einschätzungen der Praktikumseinrichtungen auseinanderzusetzen. Festzustellen ist eine professionellere Handhabung der Bewerbungsunterlagen ab ca. 1976, in denen ein standardisierter Fragebogen zu Erhebung der personenbezogenen Daten vorliegt. Die Unterlagen sind bis auf Ausnahmen vollständig.
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Aufgrund des Lebenslaufes der Seminaristinnen wurden folgende fünf Milieus nach Vester (1993) vorgefunden: traditionsverwurzeltes Arbeiter- und Bauernmilieu, kleinbürgerlich- materialistisches Milieu, bürgerlichhumanistisches Milieu, linksintellektuell-alternatives Milieu und rationalistisch-technokratisches Milieu. Wie in Abbildung 3 dargestellt, entstammt die Mehrheit der Seminaristinnen dem traditionsverwurzelten Arbeiter- und Bauernmilieu, das häufig auch kirchlich geprägte bürgerlich-humanistische Milieu rangierte erst an dritter Stelle noch nach dem kleinbürgerlich-materialistischem Milieu, welches in den 80er Jahren noch an Bedeutung gewann. Das bürgerlichhumanistische Milieu wurde repräsentiert durch Pfarrer, die häufig mit einer Katechetin verheiratet waren, zum anderen durch einen geringen Anteil an Lehrern. Das kleinbürgerliche Milieu war geprägt von kleinen Angestellten und Selbständigen. Im rationalistischen Milieu waren Ingenieure und Ökonomen vertreten, die in leitender Stellung waren. Im Gegensatz zu den Absolventinnen des Seminars für kirchlichen Dienst in Eisenach schlossen viele der interviewten Kinderdiakoninnen ihre Ausbildung mit dem Zusatz der B- oder C-Katechetik ab. Da in der vorliegenden Arbeit die Kinderdiakonin als Pendant zur Kindergärtnerin in der DDR gesehen wird, die zur so genannten Intelligenz gehörte, wird deutlich, dass der Beruf der Kinderdiakonin für viele mit einem sozialen Aufstieg verbunden war. Diese Interpretation an sich ist sicherlich diskussionsbedürftig, wenn die Hierarchisierung der evangelischen Kirche der DDR mit einbezogen wird. Die Begrifflichkeit des sozialen Aufstieges bezieht sich auf den Status, der der Kinderdiakonin und ihrer pädagogischen Position bei den Eltern der Kindergartenkinder zukam. Abbildung 3: Milieuzugehörigkeit der Absolventinnen 60.00% gesamt
50.00%
siebziger achtziger
Anteil
40.00% 30.00% 20.00% 10.00% 0.00% traditionsverw urzeltes kleinbürgerlichbürgerlich Arbeiter und materialistisches Milieu humanistisches Milieu Bauernmilieu
linksintellektuell alternatives Milieu
rationalistisch technokratisches Milieu
offen Milleu
Die Zugehörigkeit der Seminaristinnen zu der Pionierorganisation bzw. zur FDJ konnte nicht in allen Fällen geklärt werden, sie konnte in einigen Fällen aus dem
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Lebenslauf und häufig, aber nicht immer, aus dem Zeugnis erschlossen werden. Wie in Abbildung 4 deutlich wird, war ein Großteil der Seminaristinnen Mitglied der FDJ.
Abbildung 4: Mitgliedschaft der Seminaristinnen in der FDJ 70.00%
gesamt
60.00%
siebziger achtziger
Anteil
50.00% 40.00% 30.00% 20.00% 10.00% 0.00%
FDJ
nicht FDJ
unbekannt
Ersichtlich wird, dass der Anteil der jungen Frauen, die in der FDJ waren, von den 70er zu den 80er Jahren anstieg, was den steigenden Einfluss des Staates auf den Einzelnen und die gesellschaftliche Aktivität dokumentiert. In den 80er Jahren waren 60% in der FDJ, bei 30% bleibt die Mitgliedschaft offen, diese sind aber eher in der FDJ zu vermuten, nur 10% sind dezidiert nicht in der FDJ.50 Dies deutet darauf hin, dass eine Mitgliedschaft in der FDJ und die Teilnahme an der Jugendweihe in den 80er Jahren eher die Norm waren. Bei einigen wenigen ist die dezidierte Nicht-Mitgliedschaft in der FDJ im Zeugnis vermerkt, wobei dies sich nicht in schlechten Noten spiegelte. Es ist auffällig, dass der Notendurchschnitt dieser kleinen Gruppe sogar signifikant besser war als der der FDJMitglieder. Bei den Interviews, die mit Absolventinnen aller Seminare für kirch-
50 Der hohe Anteil der Kategorie "Offen" ist relativ, da zwar im Lebenslauf und im Zeugnis nicht die Mitgliedschaft in der FDJ vermerkt ist, aber aufgrund der Gesamteinschätzung im Zeugnis die Kategorie offen eher der Mitgliedschaft in der FDJ zuzurechnen ist. Diese Zurechnung ist insofern begründet, da negative Aspekte ausdrücklich im Zeugnis vermerkt sind. Dies heißt auf der anderen Seite auch, dass, wenn keine explizit negative Beschreibung über die Einbindung ins Kollektiv vermerkt ist, eine Mitgliedschaft in der FDJ vorlag.
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lichen Dienst geführt wurden, ist die häufige FDJ-Mitgliedschaft auch feststellbar, ungefähr die Hälfte der interviewten Kinderdiakoninnen war in der FDJ und hatte an der Jugendweihe teilgenommen. Die Jugendweihe wurde in den Interviews in der Regel nicht thematisiert, nur auf Nachfragen wurde dies ersichtlich. In einer christlichen Familie sozialisiert zu werden und sich in der FDJ zu engagieren, hat sich nicht ausgeschlossen. So fanden sich in den achtziger Jahren vermehrt Kinder von Pfarrern als FDJ-Mitglieder. Die Problematik des Nebeneinanders von Jugendweihe und Konfirmation war der evangelischen Kirche der DDR bekannt. Erkennbar wird in den Berechnungen zur Mitgliedschaft in der FDJ, dass sich die gesellschaftliche Säkularisierung und ideologische Durchdringung, die sich in sinkenden Mitgliederzahlen der Kirchen äußerte, auch in dem steigenden Anteil der Bewerberinnen für die Ausbildung zur Kinderdiakonin, die Mitglied in der FDJ waren, spiegelte. In der Position des "Facharbeitskreises Konfirmation" wird in diesem Zusammenhang Verständnis für die Entscheidung der Jugendlichen sichtbar, indem darauf verwiesen wurde, dass Jugendliche eine Entscheidung treffen müssten, deren Bedeutung und Tragweite für sie noch gar nicht absehbar sei (vgl. Schwerin 1989: 80). Die unterschiedliche Sichtweise der Jugendlichen zur Jugendweihe spiegelt sich in den Interviews wider, von der absoluten Ablehnung zum Akzeptieren eines Aktes, der aber nach der Darstellung für die Persönlichkeit der Einzelnen keine/kaum Bedeutung hatte. Der Nicht-Einritt in die FDJ und die Weigerung, an der Jugendweihe teilzunehmen, bedeutete je nach Schule und Lehrer Ausschluss aus dem Klassenverband und Außenseiter-Sein. Insgesamt muss festgestellt werden, dass diese Aussage nur bedingt gilt, da es einen Spielraum der einzelnen Schule gab und die Zeit eine entscheidende Rolle spielte. So ist erkennbar, dass der Druck auf den Einzelnen, aber auch auf die Schule in den 70er und 80er Jahren zugenommen hat, und dass die Selbstverständlichkeit der Mitgliedschaft in der FDJ auch bei den Kindern der Pfarrer gerade in den 80er Jahren dokumentiert ist. Der Anteil der Kinder von Pfarrern an den Auszubildenden war vergleichsweise gering. Auffällig sind bei ihnen die hohen schulischen Leistungen, so wurde der Abschluss in der Regel mit sehr gut oder mit Auszeichnung absolviert. Obwohl die Leistungen der dieser Kinder gut bewertet wurden, waren ihnen häufig weiterführende Bildungsmöglichkeiten verwehrt, das heißt konkret Abitur und Studium, wie es den Noten nach zu erwarten gewesen wäre. Die durch die Lebensläufe ermittelten Ergebnisse decken sich mit den von Vester (1995: 16) dargestellten Bildungsverläufen der Kinder aus dem traditionellen katholischen und protestantischen Arbeitermilieu in der DDR, die durch ihre Ausbildung in die soziale Fachintelligenz aufgestiegen sind. Nach Vester (1995) waren die
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Klassenmileus der DDR horizontal und vertikal deutlich polarisiert, eine schwache Mitte und ein "Wasserkopf einer überdimensionierten Oberschicht und der Arbeiterklasse" (ebd.: 16). Im Gegensatz zur BRD sollte die Herkunft in der DDR keine Bedeutung für die Bildungsmöglichkeiten der Kinder besitzen. Gerade Arbeiter und Bauernkinder sollten für ein Studium bevorzugt berücksichtigt werden. Ab 1971 wurde versucht, die Bildungs- und Arbeitskräfteplanung und insofern auch die Absolventenlenkung immer weiter auszubauen (vgl. Köhler, Stock 2004: 66f). Teilweise schon in der zweiten Klasse, spätestens mit der 6. Klasse, mussten die Schüler ihren Berufswunsch zum ersten Mal nennen.51 Kriterien für die Möglichkeit, das Abitur zu machen oder zum Beispiel das Studium als Kindergärtnerin zu absolvieren, waren neben der schulischen Leistung die gesellschaftliche Aktivität und die soziale Herkunft. Im Amt für Arbeit waren die Schulabgänger der POS registriert, es wurden in Zusammenarbeit mit den Schulen so genannte Schulabgängerverzeichnisse aufgestellt. Diese hatten die Funktion, den entsprechenden Betrieben eine bestimmte Zahl von Auszubildenden, die laut Plan benötigt wurden, zuzuführen.52 So wurde damit für die Ämter für Arbeit deutlich, wie viele Schulabgänger sich für eine kirchliche Ausbildung entschieden hatten, und sie hatten gleichzeitig durch die enge Zusammenarbeit mit der POS und die Rückmeldung an diese die Möglichkeit, auf die Bewerberin Druck auszuüben, wie dies in den Fallbeschreibungen deutlich wird.
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Eingeschränkt wurde dies von den bildungspolitischen Leitideen und damit den verfügbaren Plätzen an Hochschulen und Fachschulen. Wurde die allgemeine Höherqualifizierung bis in den 60er Jahre seitens der DDR proklamiert, erfuhr diese Tendenz in den 70er eine absolute Wende. Bedingt durch die Notwendigkeit, jedem einen seiner Qualifikation entsprechenden Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, kam die DDR an ihre Grenzen, da es keine adäquaten Arbeitsplätze in dem Umfang gab, und dem zufolge auch Stellen unterhalb der Qualifikation mit Hochqualifizierten besetzt werden mussten. Köhler und Stock weisen darauf hin, dass sich die Heranwachsenden, die an die Hochschulen gingen, in den 70er Jahren zunehmend aus den bildungsnahen Schichten rekrutierten, die Bildung an sich als Wert betrachteten und denen eine entsprechende Entlohnung für ihren Bildungsabschluss weniger wichtig war. Hintergrund war das "Prinzip der materialen Gleichheit, dem sich die herrschende Machtelite, auch um die Loyalität der Arbeiter zu sichern, verpflichtet fühlte" (ebd.: 90). 52 Um dies zu kontrollieren und gleichzeitig auszuschließen, dass sich ein Schüler mehrfach bewarb, wurden so genannte Bewerbungskarten an die POS-Absolventen verteilt. Diese Karte musste der Bewerbung beigefügt und bei Abschluss von dem Betrieb an das zuständige Amt für Arbeit zurückgesandt werden. In den Unterlagen der Kinderdiakoninnen finden sich diese Bewerbungskarten wieder, in welchen von der Rektorin vermerkt wurde, dass es sich nicht um eine Lehrstelle, sondern um eine kirchliche Ausbildungsstätte handelte.
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2.3.6 Der evangelische Kindergarten der DDR und die Sicht der Kinderdiakoninnen auf die Institution Die pädagogische und finanzielle Autonomie der evangelischen Kirche in der DDR, die bereits anhand der Seminare für kirchlichen Dienst aufgezeigt wurde, soll für die Institution des Kindergartens aus zwei Perspektiven dargestellt werden: Zunächst werden die Anforderungen, die von Vertretern der evangelischen Kirche, insbesondere von Doye und Stengel (1989) an die kirchlichen Mitarbeiterinnen formuliert wurden, dargestellt.53 Im Anschluss werden Sichtweisen von interviewten Kinderdiakoninnen auf den evangelischen Kindergarten herausgearbeitet, um diese dann im nachfolgenden Kapitel mit dem evangelischen Kindergarten im Transformationsprozess vergleichen zu können. Allgemein war für die pädagogische Arbeit im evangelischen Kindergarten der DDR und später im Transformationsprozess das Bemühen charakteristisch, Kindern den Glauben, das Angenommensein und die Geborgenheit im Miteinander und bei Gott erlebbar und erfahrbar zu machen. Grundlage für das Leben innerhalb der Kindergartengemeinschaft ist das Evangelium von Jesus Christus, das als befreiendes und orientierendes Angebot erfahren und erlebt werden soll. Deshalb ist das Miteinander so zu gestalten, daß jedes Kind in seiner Einmaligkeit gesehen und angenommen wird, seinen Bedürfnissen und seinem Entwicklungsstand Rechnung getragen wird, daß innerhalb der Gruppe Verhaltensweisen entwickelt und Normen gesetzt werden, die sich am Evangelium ausrichten(Doye, Stengel 1989: 108).
Der Kindergarten war in der evangelischen Gemeinde eingebunden und orientierte sich in seinen Aufgaben und Zielen an der kirchlichen Arbeit der Gemein-
53 Wesentliche Vertreter der evangelischen Kirche für Ausbildungsfragen für die Seminare für kirchlichen Dienst in der DDR waren: Eckardt Schwerin, Sekretär der Kommission für kirchliche Arbeit mit Kindern und Konfirmanden, der maßgeblich die Anforderungen für die Arbeit mit Kindern und die Arbeit mit Konfirmanden formulierte, daneben Götz Doye, Bildungsreferent im Bund Ev. Kirchen in der DDR. Obwohl das (Positions-)Buch von Doye und Stengel erst 1989 erschien, wurden die Erkenntnisse durch die diversen Arbeitsgruppen bereits früher diskutiert und in evangelischen Kindergärten umgesetzt. Doye veröffentlichte in Zusammenarbeit mit Hanna Stengel diverse Aufsätze und Ausarbeitungen, die der Arbeit im evangelischen Kindergarten dienten, die unter anderem in der Zeitschrift Die Christenlehre veröffentlicht wurden. Es entstanden des Weiteren in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Arbeitsgruppen des Facharbeitskreises Evangelische Kinderpflege Manuskripte, die Mitarbeitern in der Gemeinde und im Kindergarten Anregungen für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Konfirmanden gaben, die jedoch teilweise nur als graue Literatur veröffentlicht sind (vgl. Doye/ Stengel 1989: 5).
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de.54 Doye und Stengel kritisieren allerdings, dass die Präsenz des Kindergartens in der Gemeinde sich häufig auf solche Anlässe beschränkte, bei denen die Kindergartenkinder erwünscht waren. Gleiches gilt für die Kinderdiakonin, deren Präsenz besonders in der Betreuung von Vorschulkindern bei Rüstzeiten angefragt wurde. Aufgaben und Ziele des evangelischen Kindergartens wurden 1989 wie folgt beschreiben: Die evangelische Kindergartenarbeit ist ein Teil des Auftrages der christlichen Gemeinde, das Evangelium von Jesus Christus allen Menschen auszurichten. Sie geschieht in der Gemeinde und ist am Leben der Gemeinde und der ganzen Kirche eingebunden. Die evangelische Kindergartenarbeit ist ein Teil des Bemühens der Gemeinde um ihre getauften und ungetauften Kinder (Doye, Stengel 1989: 7).
Doye und Stengel beschreiben die verschiedenen Arbeitsebenen der Kinderdiakonin, so werden die einzelnen Bezugsebenen Kind, Eltern, Mitarbeiter, Gemeinde und Gesellschaft in einzelne Zielformulierungen, die als wesentlich galten, aufgeschlüsselt.55 Darüber hinaus geben sie einen Überblick über grundlegende entwicklungspsychologische Aspekte für die Arbeit im Vorschulalter. Die Kinderdiakonin fand durch die Darstellung der Planung und des Tagesablaufs und der konkreten Darstellung von Einzelthemen zur Lebenssituation, dem Beten und Meditieren und der an Fallbeispielen aufgezeigten Elternarbeit Orientierungshilfe. Flexibilität und Individualität des pädagogischen Handels wurden der Kinderdiakonin durch die Darstellung der Vor- und Nachteile verschiedener Handlungsmöglichkeiten für das einzelne Kind, aber auch für die Gruppe gegeben. Beispielhaft sei an dieser Stelle die Gestaltung der Mahlzeiten dargestellt. Die Bedeutung der Freiräume, die dem Kind gegeben werden sollten, wurde hier deutlich und unterschied sich stark von der Praxis der staatlichen Kindergärten.
54 Auffällig ist, dass Autoren, die zum Thema des evangelischen Kindergartens forschen, den evangelischen Kindergarten in Ostdeutschland nur geringfügig streifen (vgl. Schnitzspahn 1999). Ostdeutsche evangelische Kindergärten stellen in ihrer Charakteristik einen kaum erforschten Bereich dar, so findet sich dieser in seiner Besonderheit und in der speziellen Ausbildung seiner Mitarbeiterinnen nur am Rande erwähnt in der sonst ausführlichen Darstellung des Kindergartens von Konrad (2004). 55 Betont wurde in allen Bezugsebenen der partnerschaftliche Dialog als zentrales Moment in der Arbeit mit dem Kind, den Eltern und der Gemeinde. Das partnerschaftliche Miteinander, das hier als zentraler Aspekt in der Arbeit begriffen wurde, fand sich bereits in der Ausbildung zur Kinderdiakonin wieder. Das partnerschaftliche Miteinander führte daher auch dazu, dass auch nicht christliche Eltern ihre Kinder in den evangelischen Kindergarten mangels Alternative zum staatlichen Kindergarten schickten. Das Bild vom Kind, die Möglichkeit der Kreativität, welches die Arbeit im evangelischen Kindergarten auszeichnete, sprach auch andere Eltern an, gerade die, die mit den staatlichen Kindergärten und der führenden Rolle der Kindergärtnerin unzufrieden waren.
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Beginn fließend, Abschluß fließend Die Kinder haben die Möglichkeit, während der Spielzeit bis zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem dafür vorgesehenen Tisch im Gruppenraum zu frühstücken oder zu vespern. Vorteil: Das Kind ißt, wenn es das Bedürfnis hat und mit wem es möchte. Das Spiel der anderen wird nicht unterbrochen. Nachteil: Das Kind kann über das Spiel das Essen vergessen. Der gemeinsame Beginn mit Gebet mit der ganzen Gruppe entfällt (Doye, Stengel 1989: 29).
Aus dieser Darstellung wird deutlich, wie stark sich das pädagogische Handeln der Kinderdiakonin in der DDR von der pädagogischen Führung der Kindergärtnerin unterschieden hat.56 Dies spiegelte sich in den geführten Interviews wider. Differenzen traten besonders in der Rolle der Kinderdiakonin und dem Bild des Kindes hervor. Diskussionen über pädagogische Konzepte wie Situationsansatz oder altersgemischte Gruppen wurden teilweise zeitgleich mit der BRD an den Seminaren für kirchlichen Dienst gelehrt und in den evangelischen Kindergärten der DDR umgesetzt. Förderlich war hier die in der Regel geringe personelle Besetzung der Kindergärten, da so Neuerungen gegen nur geringen Widerstand umgesetzt werden konnten. Der evangelische Kindergarten hatte bedingt durch mangelnde Alternativen zu dem staatlichen sozialistischen Kindergarten eine elitäre Funktion, dies wurde in den Interviews mit den Kinderdiakoninnen immer wieder deutlich. Die Aufgaben des Kindergartens waren nach Sicht der Kinderdiakoninnen die religiöse Erziehung durch Vermittlung des Glaubensbekenntnisses und die Einführung in die christliche Gemeinde. Konkret hieß dies für die religionspädagogische Arbeit beten, biblische Geschichten erzählen und kirchliche Feste gestalten. Zur Frage, ob bei der Aufnahme in die evangelischen Kindergärten zwischen getauften und ungetauften Kindern unterschieden wurde, waren die Angaben der Kinderdiakoninnen uneinheitlich. Die von Doye und Stengel (1989) geforderte Individualisierung hebt sich eindeutig von der Integrierung des einzelnen Kindes in das Kollektiv ab, was viele nicht christliche Eltern zu schätzen wussten und für ihr Kind wünschten. Von christlichen Eltern wurde der Zusammenhalt, die Gemeinschaft, die im Kindergarten ihren Ausdruck fand, geschätzt. Deutlich wird in den Interviews, dass eher oppositionelle Eltern den Kindergarten in seiner Arbeit geschätzt haben. Widersprüchlich sind Aussagen hinsichtlich der Eltern, die ihre Kinder im evangelischen Kindergärten angemeldet haben. Wird von den interviewten Kinderdiakoninnen betont, dass es
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Diese Aussage bezieht sich auf aufgeklärte reformorientierte Kinderdiakoninnen, die die pädagogischen Leitvorstellungen in den Seminaren für kirchlichen Dienst bzw. bei Fortbildungen vermittelt bekamen.
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sich überwiegend um christliche Eltern handelte, stellt Barniske (1994) dieses für evangelische Kindergärten differenzierter dar. Der kleinere Teil waren christliche Eltern, die für ihre Kinder eine christliche Erziehung wünschten. Ein großer Teil Eltern wollten ihren Kindern die ideologische Erziehung so lange wie möglich (wenigstens bis zum Schulalter) ersparen und hofften sich einen freieren Erziehungsstil. Einige wollten eine christliche Erziehung für ihre Kinder, die sie ihnen selbst nicht in der Lage waren zu geben (Barniske 1994: 16).
Die Größe des Kindergartens, der in der Regel sehr viel kleiner als die kommunalen und betrieblichen Kindergärten war, wurde ebenfalls von Eltern als positiv für die Entwicklung ihres Kindes eingeschätzt. Ein weniger ideeller Aspekt der Konkurrenz zu den staatlichen Kindergärten spiegelte sich in den Spiel- und Bastelmaterialien wider, die durch die direkten Beziehungen zu den westlichen Patenkirchen und den Patenschaften bezogen werden konnten. Schön war immer, einmal im Jahr gab es eine Weiterbildung mit jemanden aus dem Westen, der dann immer ganz viele neue Ideen mitbrachte und Anregungen und Bastelmaterial auch, das war sehr schön, das war auch ein Vorteil zu DDR-Zeiten in einem evangelischen Kindergarten, dadurch dass es auch Patenschaften im Westen ja gab. Das wissen sie bestimmt alles schon. Dass wir auch westliches Spielzeug hier hatten und westliches Bastelmaterial, das kam natürlich dem Kindergarten sehr zugute (H, 381-387).
Der Kontakt der evangelischen Kindergärten war jedoch nicht nur auf die Landeskirchen der DDR und der BRD beschränkt. Nach Angaben von Kinderdiakoninnen übernahmen unter anderem Rotarier Patenschaften und erhöhten damit die materiellen und finanziellen Mittel des Kindergartens, was die Attraktivität der evangelischen Kindergärten steigerte.57 So konnten die Kosten relativiert werden, die im Gegensatz zum staatlichen Kindergarten im evangelischen Kindergarten auf die Eltern zukamen. Die Aufnahme im evangelischen Kindergarten fand analog dem staatlichen Kindergarten mit drei Jahren statt, wobei auch hier die Kinder teilweise zuvor in die Kinderkrippe gegangen sind. Aus Sicht vieler Kinderdiakoninnen waren jedoch die ersten drei Jahre des Kindes eher der Mutter vorbehalten, da dies für die Psyche des Kindes positiv ist. Hinsichtlich dieses Sachverhaltes äußerte sich eine Kinderdiakonin über ihre Psychologie-Dozentin:
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Diese Aussage ist strittig, da die Übernahme von Patenschaften durch Rotarier sich nicht verschriftlicht in Dokumenten der Archive wieder findet.
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(...) hat zwar immer zu uns gesagt, also, wer seinem Kind was Gutes tun will und wer sich Kinder anschafft und mit vollem Bewusstsein, der sollte doch zusehen, die drei Jahre zuhause zu bleiben. Dann für das Kind da zu sein. Weil die ganze MutterKind-Bindung und auch das, was das Kind lernt und so, das ist für das Kind vorteilhafter, wenn es nicht in der Krippe ist. Aber es war eben für viele, wahrscheinlich aus finanziellen Gründen oder auch, dass da ne Arbeitsstelle wieder da war oder so, nich möglich. Also viele, die meisten haben schon ihre Kinder in die Krippe gebracht (G, 446-456).
Im Gegensatz zur sozialistischen Psychologie und Pädagogik betonten die Kinderdiakoninnen und Dozentinnen am Seminar für kirchlichen Dienst die besondere Bedeutung der Mutter für die ersten Lebensjahre des Kindes.58 Diese Position entsprach der Lehrmeinung an den ev. Fachschulen für Sozialpädagogik der BRD, wurde jedoch den Bedürfnissen der berufstätigen Frauen in der DDR nicht gerecht.59 Betont wird von der Kinderdiakonin D (vgl. Kap. 3.2.5), dass der Kindergarten eine Nische war, in der die Kinderdiakoninnen in ihrer pädagogischen Arbeit relativ frei agieren konnten. Gerade in Bezug auf die pädagogische Arbeit bezogen sich die Kinderdiakoninnen indirekt auf die Arbeit im staatlichen Kindergarten, in der die Kindergärtnerinnen durch die Fachberaterin vor Ort in ihrer pädagogischen Arbeit aus Sicht der Kinderdiakoninnen kontrolliert wurden. Es handelt sich bei dieser Sichtweise vor allem um Vermutungen, da in der DDR kaum ein direkter Kontakt zwischen Kinderdiakoninnen und Kindergärtnerinnen bestand, zu unterschiedlich waren die Milieus, in denen sich die beiden Gruppen bewegten. Nische meint somit nicht nur den Raum, in dem eine andere Pädagogik gelebt werden konnte, sondern der auch frei von sozialistischer Ideologie und Gegenöffentlichkeit war. (...) es war einfach eine andere Arbeit mit den Eltern auch zu arbeiten. Es war so ein Nischendasein, wir hatten nichts zu befürchten oder so. Uns ließ man in Ruhe,
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Genauso wenig, wie es dem Westen gelingen konnte, den generellen Vorteil ausschließlicher Familienbetreuung empirisch zu belegen, konnte in der DDR der prinzipielle Vorteil der Kombination von familialer und Krippenbetreuung belegt werden(Reyer/Kleine 1997: 139). 59 Reyer und Kleine (1997) beschreiben ausführlich das Dilemma der Krippenforschung in der DDR, durch den ideologischen Anspruch an die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, der Erwerbsarbeit von Frauen, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wie auch die Notwendigkeit der Berufstätigkeit der Mütter für die Volkswirtschaft. Die Krippenpraxis und Krippenforschung war aufgrund der ideologisch-programmatischen Vorgaben zum Erfolg genötigt, auch wenn in der DDR-Gesellschaft Mütter aufgrund des hohen Krankheitstandes in der Krippe Zweifel an der institutionellen Erziehung und Betreuung hatten (vgl. Reyer/ Kleine 1997: 121-148).
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ganz einfach, und wir konnten schon ausprobieren und machen, was eigentlich jetzt in Anführungsstrichen, wir wollten (D, 167- 170).
Die pädagogische Arbeit im evangelischen Kindergarten stellte die einzige Alternative zur sozialistischen Erziehung und Bildung im staatlichen Kindergarten der DDR dar, so dass nicht nur christliche Eltern, sondern auch nichtkonfessionelle Eltern diesen für ihre Kinder wählten. Gründe für die Wahl wurden bereits dargestellt, in der Regel wurde der Kindergarten gerade von bürgerlichen Eltern bevorzugt, wie aus den Interviews mit den Kinderdiakoninnen zu entnehmen ist. Und wenn ich so von Neuruppin sagen kann, also da waren eben viele so Ärztekinder sach ich mal so, dass die Kinder von den Studierten in in den evangelischen Kindergarten gekommen sind. Und in Berlin muss ich sagen, da hatten wir ganz viel Künstler, auch Ärzte und Akademiker aber Künstler waren es Schauspieler, Regisseure alles, was es gibt. (Lachen) Und dass es sich so, also der Arbeiteranteil war wenig, also in den beiden, also in Neuruppin und in Berlin auch. War ja auch so, die evangelischen Kindergärten waren teurer(U, 583-590).
Gefolgert werden kann, dass die Eltern für eine enge Zusammenarbeit aufgeschlossen waren bzw. sich für den Kindergarten engagierten. Allerdings wird von Kinderdiakoninnen in den Interviews auf die prekäre Situation verwiesen, die entstehen konnte, wenn politisch engagierte Eltern oder Militärangehörige ihre Kinder im evangelischen Kindergarten anmeldeten. Unklar war, ob dies im Interesse des Kindes geschah oder ob auf diese Weise versucht wurde, einen Einblick in die Nische evangelischer Kindergarten zu erlangen. Die Unsicherheit darüber wurde von den Kinderdiakoninnen unterschiedlich bewältigt. (...) da war ein Dozent an der Uni, der hat politisch unterrichtet und man mag es nicht glauben, der hatte auch sein Kind in diesem Kindergarten, war auch bewusst. Man weiß nicht, ob diese Leute eingeschleust waren, das weiß man auch nicht bei den Eltern, denn wir haben auch nie da Interesse gehabt, das da zu verfolgen ob der da. Nachher hat man das schon von dem ein oder anderen gehört, aber man hat die Zeit zusammen verbracht mit den Kindern und für die Kinder denke ich zum Wohle und von daher ist das für mich nicht relevant, ob da jemand uns bespitzelt hat oder nicht(U, 607-615).
Frau U formuliert für sich eindeutig, dass sie auch im nachhinein nicht wissen möchte, ob sie im Kindergarten bespitzelt wurde. Sie hörte durch Zufall etwas, ergriff aber nicht die Möglichkeit, dies für sich konkret zu recherchieren. Inwieweit sie bzw. der evangelische Kindergarten von der Stasi bespitzelt worden ist, könnte durch die Einsichtnahme in ihre vermutlich existierende Akte ermittelt 79
werden. Deutlich wird in dem Zitat von Frau U, das stellvertretend für andere Kinderdiakoninnen steht, der Einsatz für ihre pädagogische Arbeit mit den Kindern und gleichzeitig die eher unpolitische Haltung. Durch die Einsichtnahme in die eigene Stasi-Akte bestände die Chance die damalige Unsicherheit zu relativieren, hieße aber, sich mit der eigenen Vergangenheit und den Personen auseinander zu setzen. Das Harmoniebedürfnis wird mit dem Verweis, dass es zum Wohle der Kinder war, legitimiert. Der eindeutig politischen Haltung der Eltern, die ihr Kind im evangelischen Kindergarten anmeldeten und damit eventuell in Kauf nahmen, dass dieses im letzten Jahr des Kindergartens die Vorschule besuchen musste, steht eine eher unpolitische Haltung der Kinderdiakoninnen gegenüber.60
2.3.7 Die evangelische Kirche und der evangelische Kindergarten im Transformationsprozess Es liegen zahlreiche religionssoziologische Untersuchungen zur evangelischen Kirche im Transformationsprozess in Ostdeutschland vor, die die Folgen sozialistische Ideologie und der Repressionen seitens des Staates auf die Säkularisierung bzw. Revitalisierung von Glauben und Religion erforschen. Kirchlichkeit in Ostdeutschland wird zum einen im Vergleich zu Westdeutschland, aber auch zu anderen osteuropäischen Ländern betrachtet.61 Im Gegensatz zur Hoffnung der Revitalisierung des Glaubens nach der staatlichen Wiedervereinigung konnte die evangelische Kirche zwar Eintritte verzeichnen, die aber einer großen Austrittswelle im Jahr 1992 gegenüberstanden (vgl. Pollack 2002: 25). Wohlrab-Sahr betrachtet in ihrer Analyse (2000b) die Institution der evangelischen Kirche in Ostdeutschland und deren Kommunikation nach innen und außen.62 Beispielhaft sei hier auf Pollack (2000a, 2000b) verwiesen, der in seiner Analyse des religiös kirchlichen Wandels in Ostdeutschland aufzeigt, dass entgegen dem nach außen 60
Unterschiedliche Aussagen wurden unter anderem von der Rektorin Kalkbrenner (Seminar für kirchlichen Dienst in Eisenach) und anderen Kinderdiakoninnen hinsichtlich des Status des evangelischen Kindergartens im Bildungssystem der DDR getroffen. So wurde verschiedentlich formuliert, dass Kinder aus konfessionellen Kindergärten im Vorschulalter abhängig vom Bezirk die Vorschule besuchen mussten, da die pädagogische Arbeit im Vergleich zum staatlichen Kindergarten als nicht äquivalent in der Schulvorbereitung angesehen wurde. Diese Aussage wurde von verschiedenen Kinderdiakoninnen bestätigt, von anderen wiederum widerlegt. 61 Vergleiche ausführlicher die Bände von Pollack/Pickel (2000) oder von Ratzmann/ Ziemer (2000). 62 Vgl. Wohlrab-Sahr, Monika (2000b) (Hervorhebung im Original). Dies soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden, da die Analyse Parallelen zu den eigenen Ergebnissen hat und dies sinnvoll erwiesen erst in der Auswertung betrachtet werden kann.
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vermittelten Bild der evangelischen Kirche Ostdeutschlands sich religiöskirchliche Verhaltensweisen wie auch die religiös-kirchlichen Einstellungen in Ost- und Westdeutschland gleichen und beide stark durch ihren traditionellen Charakter und weniger durch Offenheit und individuelle Bindung gekennzeichnet sind.63 Wie bereits in 2.3.1 anhand der Mitgliedzahlen und der Alterstruktur der evangelischen Kirche deutlich wurde, traten junge nach 1975 geborene Gebildete in die evangelische Kirche ein. Nach Pollack wiesen aber allein die Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine höhere Partizipationsbereitschaft auf und unterschieden sich sowohl von den älteren Kirchenmitgliedern wie auch von den entsprechenden Gruppen in Westdeutschland. Sie zeichneten sich dadurch aus, dass sie häufiger Gottesdienste besuchten und auch bereit waren, weitere Aufgaben, die der Selbstverwirklichung dienten, zu übernehmen (vgl. Pollack 2000a: 23). Die Partizipation an kirchlichen Angeboten liegt im Osten prozentual nicht erkennbar höher als im Westen. Die Zustimmungen zu Glaubensaussagen erreichen ebenfalls keine höheren Werte. Die Einstellung zur Kirche trägt zuweilen ein nicht ganz so konventionelles Gewand, unterscheidet sich aber nur graduell von der im Westen. (...) Die engagiertem mündige Schar bewußter Christen war stets mehr das Leitbild der Kirchenleitungen und einiger Pfarrer als eine gelebte Wirklichkeit (Pollack 2000a: 23).
Ihre Position als moralische Institution und als Gegeninstitution, die die evangelische Kirche in der DDR hatte, ging im Transformationsprozess verloren. So zeigen Zulehner und Denz (1993: 13-23), dass der evangelischen Kirche in der DDR nun weniger Kompetenz bei der Lösung individueller Probleme im Alltag des einzelnen zugemessen wurde. Die evangelische Kirche als moralische Instanz, die sich zu sozialen und politischen Fragen äußerte und der man auch nach der Wiedervereinigung zutraute, sich zu Themen wie Abrüstung, Umwelt, Rassendiskriminierung, Arbeitslosigkeit und Regierungspolitik zu äußern, verlor immer mehr an Bedeutung (vgl. Zulehner/Denz 1993: 22).64 Nach dieser Analyse oblag es der Kirche und Religion in der DDR weniger, die Grundfragen des Lebens zu beantworten, als sich als moralische Instanz zu sozialen und politi-
63 Pollack (2000b) nutzt die Theorie Thomas Luckmanns der unsichtbaren Religion, um die Individualisierungstheorie, die er als dessen Kern begreift, empirisch zu untersuchen. Kritik an diesem Vorgehen wird im gleichen Band von Wohlrab-Sahr (2000a) geäußert, die ausführlich auf die Individualisierungs- und Säkularisierungsthese eingeht und die Vergleichsperspektive mit Westdeutschland problematisiert. 64 Zum Teil waren dies Themen, die bereits innerhalb oder unter dem Dach der Kirche in der DDR von einzelnen Gruppen diskutiert wurden.
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schen Problemen zu äußern. Daraus schlussfolgern die Autoren wie auch Pollack (2000a, 2000b, 2000c), dass mit dem Verlust dieser besonderen Position die evangelische Kirche für einige ihre Attraktivität verlor. Gerade diese These scheint im Lichte der vorliegenden Arbeit ein interessanter Gesichtspunkt, da, wie gezeigt werden wird, auch die Attraktivität des evangelischen Kindergartens in der DDR nicht nur auf dem religiösen Bekenntnis beruhte. Im Gegensatz zur Beschreibung des evangelischen Kindergartens in der DDR, der im vorangegangenen Kapitel behandelt wurde, gibt es kaum Veröffentlichungen zum evangelischen Kindergarten im Transformationsprozess.65 Selbst in einer explizit evangelischen Fachzeitschrift findet sich in einem Artikel über den Kindergarten im Transformationsprozess nur am Rande der evangelische Kindergarten.66 So stützt sich dieses Kapitel auf die von Doye (1994) und dem Comenius-Institut herausgegebenen Texte. Daneben liegt der Darstellung ein Extrakt aus den Interviews mit den Kinderdiakoninnen, eigenen Recherchen und den Interviews mit Fachberaterinnen und Referentinnen der Diakonischen Werke in Ostdeutschland für den Bereich Kindertagesstätten zu Grunde. Die Situation des evangelischen Kindergartens nach der staatlichen Wiedervereinigung wurde maßgeblich durch die Ausgangsbedingungen in der DDR bestimmt. In dem vorherigen Abschnitt wurde der evangelische Kindergarten in der DDR beschrieben, ausgehend von diesen Aspekten sollen die Veränderungen nach der staatlichen Wiedervereinigung aufgezeigt werden. Wesentlich war, dass in der DDR keine Neugründungen von evangelischen Kindergärten zugelassen wurden. Dies veränderte sich mit der Wiedervereinigung entscheidend. Alleine in Thüringen gab es 2006 182 evangelische Kindergärten, im Vergleich dazu bestanden in der DDR in den Bezirken Erfurt (87) Gera (5) Suhl (5) 97 katholische und evangelische Kindergärten. Diese Zunahme der kirchlichen Einrichtungen erfolgte, wie in Kapitel 2.2 dargestellt, häufig durch die Übernahme von kommunalen und betrieblichen Kindergärten durch Kirchgemeinden oder diakonische Träger. Teilweise wurden kirchliche mit staatlichen Kindergärten zusammengelegt, durch die Übernahme arbeiten neben den kirchlich ausgebildeten Kinderdiakoninnen staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen in evangelischen Einrichtungen, die über keine religionspädagogische Ausbildung verfügen und häufig atheistisch sind. Die Übernahme, die in der Regel mit Spannungen zwischen den Mitarbeiterinnen, aber auch den Eltern der Kinder verbunden war, stellt ein Moment in der evangelischen Kindertagesstättenarbeit dar, das an die-
65 Lesenswert ist der Sammelband des Comenius-Instituts; Doye, Götz (1994): Evangelische Kindertagesstätten in Ostdeutschland. Kontinuität Neuanfang Übernahme Trägerwechsel eigenes Profil, Materialien + Berichte Nr. 8 66 TPS: Im verflixten siebtem Jahr, 1/97.
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ser Stelle nicht weiter ausgeführt werden soll, da es nur wenige Kinderdiakoninnen berührt, die in ihrer Einrichtung unmittelbar betroffen sind. Insgesamt stellt es jedoch eine Problematik dar, die einer eingehenden Untersuchung wert wäre. Doye (1994) fasst die Übernahme von staatlichen Kindergärten in kirchliche Trägerschaft als Notwendigkeit sowohl für Kinderdiakoninnen wie auch Kindergärtnerinnen, biographisch zu arbeiten, sich zu öffnen, zu vertrauen, um eine gemeinsame Basis des Zusammenarbeitens zu haben. Erst durch die eigene Auseinandersetzung mit dem Geworden-Sein, des biographischen Arbeitens und der Diskussion und Auseinandersetzung mit den anderen Biographien ist es möglich, konstruktiv pädagogisch im gleichen Team zu arbeiten. Ich spüre, daß >sich öffnen< als ein aktives Tun wohl auch immer etwas Passives bei sich hat, etwas ertragen, vielleicht auch erleiden. Und das fällt nicht leicht. Und erst langsam habe ich gelernt, daß sich öffnen einen Prozeß meint, der nicht gelingt, wenn die andere oder der andere sich nicht von alleine auftun. Dies aber geschieht nur in einer Atmosphäre des Vertrauens. Und hier haben manche unserer >altgedienten< Kinderdiakoninnen ihre Probleme. Mit wie viel Mühe mußte der Kindergarten durch die DDR-Zeit bewahrt werden und geschützt gegen gesellschaftliche Bevormundung. Nun sitzen sie z.B. in einer Fortbildung mit den >neuen< Erzieherinnen aus den >übernommenen< Kindergärten an einem Tisch. >Mit denen werden wir nun gleichgestellt?< (Doye 1994: 11).
Daneben traten innerkirchliche Veränderungen durch die staatliche Wiedervereinigung ein. Kirchgemeinden wie Schmalkalden und Steinbach-Hallenberg, die in der DDR zur Landeskirche Thüringen gehörten, wurden mit der staatlichen Wiedervereinigung wieder an die evangelische Landeskirche von KurhessenWaldeck abgegeben. In den geführten Interviews wurde deutlich, dass dies für die evangelischen Kindertagesstätten nicht ganz unproblematisch war, da die gesetzlichen Vorgaben und Finanzierung durch das Land Thüringen vorgegeben werden. Die Zugehörigkeit zu einer westdeutschen Landeskirche stellte sich für die kirchlichen Mitarbeiterinnen insofern als schwierig dar, da durch direkte Kontakte bei Fortbildungen und Beratungen die Fremdheit in der konzeptionellen Ausrichtung der evangelischen Kindertagesstätten und der gesamten Kinderund Jugendarbeit deutlich wurde. In der Aussage von Wiedemann (1997) werden wesentliche Aspekte für die Entwicklung des evangelischen Kindergartens im Transformationsprozess ersichtlich. Meine beiden Kinder haben einen evangelischen Kindergarten in Potsdam besucht. Für mich war damals entscheidend: christliche, antimilitaristische Erziehung, freier Erziehungs- und Entwicklungsplan für Kinder, obwohl ich zeitweise 1/5 meines Einkommens für Kindergartenbeiträge aufgewendet habe. Daß auch die Kirchge-
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meinden und Kirchenleitungen enorme finanzielle Mittel bereitgestellt haben, sollte nicht unerwähnt blieben, ebenso das Engagement einiger gestandener älterer Frauen, die zum Beispiel über einen Freundeskreis Kindergarten unermüdlich bei ehemaligen Kindergarteneltern und -großeltern Spenden für den Kindergarten gesammelt haben (Wiedemann 1997: 40).
Wiedemann thematisiert die wesentlichsten Momente, die den evangelischen Kindergarten vor der staatlichen Wiedervereinigung auszeichneten und die danach nur bedingt verändert wurden. So gehörten/gehören die christliche Erziehung, der freie Erziehungs- und Entwicklungsplan sowie das Bild vom Kind kompetent und Akteur seiner selbst zu den elementaren Grundsätzen evangelischer Kindergartenarbeit. Wichtig ist, dass im Gegensatz zu den staatlichen Kindergärten in den evangelischen Kindergärten der DDR Elternbeiträge erhoben wurden. Diese dienten der Finanzierung, hier hat sich mit der staatlichen Wiedervereinigung lediglich die Höhe der Gebühren verändert. Die Anmeldung in einem evangelischen Kindergarten der DDR war eine bewusste Entscheidung der Eltern. Sie beinhaltete, dass viele Eltern sich zuvor über die pädagogische Arbeit und die Räumlichkeiten informierten, dieses Moment hat sich im Prinzip nicht verändert. Es bestanden nach Auskunft der interviewten Fachberater in allen evangelischen Kindergärten lange Wartelisten, so dass nicht alle Kinder aufgenommen werden konnten. Diese Aussage muss insofern relativiert werden, da dies regional unterschiedlich war. Barniske (1994) stellt im Gegensatz dazu für die evangelischen Kindergärten der Stadt Brandenburg dar, dass die Zahl der Anmeldungen in den 60er, 70er und 80er Jahren variierte. Insbesondere in den 70er Jahren war es für die evangelischen Kindergärten schwieriger, alle Plätze zu belegen, während die Zahl der Anmeldungen in den 80er Jahren wieder anstieg (vgl. ebd.: 16). Die Elternarbeit und der partnerschaftliche Umgang mit diesen war schon im evangelischen Kindergarten der DDR eine Selbstverständlichkeit. Ein Beleg für diese Aussage findet sich neben den geführten Interviews mit den Kinderdiakoninnen und den Fachberaterinnen in der Rahmenkonzeption der Ausbildung für Kinderdiakoninnen von 1983. Die Kinderdiakoninnen profitierten jedoch in der DDR vom Status der staatlichen Kindergärtnerinnen und hatten praktisch eine ähnliche Autorität gegenüber den Eltern, die sich mit der staatlichen Wiedervereinigung und dem wachsenden Selbstbewusstsein der Eltern veränderte. Auch die Kinderdiakonin musste erst nach der Wiedervereinigung ihren Status und ihre Autorität in der Beziehung zu den Eltern erarbeiten. Kennzeichnend für evangelische Kindergärten in der DDR waren die im Vergleich zu den staatlichen Kindergärten weniger professionellen äußeren Bedingungen, die sich durch die eher provisorische räumliche, materielle und personelle Situation auszeichneten. So waren die kirchlichen Einrichtungen in be84
engten Räumen, teilweise Wohnungen, zum Teil auch Erntebaracken untergebracht, da Neugründungen verboten waren. Erst mit der staatlichen Wiedervereinigung war die Möglichkeit gegeben, die räumlichen Bedingungen grundlegend zu verändern und neue moderne Möbel für die Einrichtungen anzuschaffen. Bedingt durch die begrenzten Möglichkeiten in der DDR, die dadurch gekennzeichnet waren, dass der evangelische Kindergarten nur geringe personelle Kapazitäten besaß, weder über eine Reinigungsfrau noch einen Hausmeister verfügte, mussten einfache Arbeiten meist selbst erledigt werden. Die begrenzten Bedingungen, die meistens durch die Leiterin bewältigt werden konnten, stellten sich jedoch nach der staatlichen Wiedervereinigung als Vorteil heraus, da es die Leiterin gewohnt war, eigenverantwortlich für ihren Kindergarten zu handeln und so die neuen Gesetzlichkeiten und Bedingungen aufgreifen und nutzen konnte. Der Verwaltungsaufwand war in der DDR für die evangelischen Kindergärten geringer als für staatliche Kindergärten, da sie für die Volksbildung kaum Statistiken anfertigen mussten und keine öffentlichen Gelder bekamen. Dies veränderte sich mit der staatlichen Wiedervereinigung, so dass die Organisation und Verwaltung nun einen höheren Umfang einnahmen und die Leiterin trotzdem nicht für die Leitung vom Gruppendienst vollkommen frei gestellt werden konnte. Zudem versuchten die Träger (Kirchgemeinden vertreten durch den Pfarrer) nach Auskunft der Fachberaterinnen, stärker auf die inhaltliche und finanzielle Organisation des Kindergartens Einfluss zu nehmen. Dies war ein neuer Aspekt, da die evangelischen Kindergärten in der DDR über eine relativ starke Autonomie verfügten. Mit der Wiedervereinigung wurden das Jugendamt, Landesjugendamt und der Träger für die Einrichtung zuständig, damit verbunden ist eine Rechenschaftspflicht über die Verwendung der öffentlichen Gelder. Gerade die Kontrolle der finanziellen Ausgaben wurde in der DDR weniger stark von den Kirchgemeinden wahrgenommen. Die Bedarfsplanung, die Vorschriften über die Räumlichkeiten, beispielsweise der Flächenbedarf pro Kind, veränderten sich mit der staatlichen Wiedervereinigung und erschwerten die Verwaltungsarbeit. Zur Finanzierung der evangelischen Kindergärten in der DDR kann weiter festgestellt werden, dass die Diakonischen Werke in der BRD als Patengemeinden über das Diakonische Amt den Finanzhaushalt der einzelnen evangelischen Kindergärten ausglichen, da die Finanzierung der Einrichtung nicht über die Elternbeiträge abzusichern war. Mit der staatlichen Wiedervereinigung und der Förderung durch öffentliche Gelder ging diese zusätzliche Geldquelle verloren. Die Breite der Ausbildungen (vom Säugling bis zum behinderten Kind) der Kinderdiakonin spiegelte sich bereits in der DDR in der konzeptionellen Arbeit der Einrichtung wider. Sofern es die räumlichen Bedingungen zuließen, gab es altersgemischte und/oder integrative Gruppen, auch wenn auf der anderen Seite
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in manchen evangelischen Kindergärten eine Orientierung an den altershomogenen Gruppen der staatlichen Kindergärten vorlag. In der Darstellung der Seminare für kirchlichen Dienst wurde bereits deutlich, dass sich diese in der pädagogischen Ausrichtung an den Lehrinhalten der westdeutschen Elementarpädagogik orientierten, was sich in der konzeptionellen Arbeit widerspiegelte. Diese profitierte schon in der DDR von Fortbildungen durch westdeutsche Referentinnen. Die pädagogische und konzeptionelle Arbeit in den evangelischen Kindergärten profilierte sich nach der staatlichen Wiedervereinigung durch die Beziehung der Kindergartenleiterinnen zu den Fachberaterinnen der evangelischen Kirche bzw. des Diakonischen Werkes vor Ort. Diese wurden von den Leiterinnen als Beraterinnen wahrgenommen, die Entscheidung über die konzeptionelle Ausrichtung war aber letztlich den einzelnen Einrichtungen und Leiterinnen überlassen. Die konzeptionelle Ausrichtung der Einrichtungen war heterogen, zentral war die religionspädagogische Arbeit, neben dem Situationsansatz existierten weitere Ansätze, wie z.B. der lebenslaufbezogene Ansatz. Deutlich wurde in den Interviews die von Dippelhofer-Stiem und Kahle (1995) beschriebene hohe Bedeutung der religionspädagogischen Arbeit in den ev. Kindertagesstätten der neuen Bundesländer. Nicht nur die ehemals staatlichen Kindergärten, auch die evangelischen Kindertagesstätten mussten im Transformationsprozess ihre Konzeption stetig weiter entwickeln, da gerade der Anspruch der Eltern an die pädagogische Arbeit gestiegen war und immer wieder kritisch angefragt wurde. Barniske (1994) formuliert dies für die evangelischen Kindergärten in der Stadt Brandenburg: Langsam kommen auch auf die kirchlichen Kindergärten neue Anforderungen zu. Zwar reicht der >Bonus< des freieren Erziehungsstils noch eine Weile aus, um auch kirchenferne Eltern anzuziehen, aber schon ist die Konkurrenz erkennbar. Eltern beginnen zu wählen und prüfen das Angebot genauer. (...) Eltern sind selbstbewußter geworden, nehmen nicht mehr alles als gegeben hin. Auch müssen sie (und wir) Demokratie oft erst lernen und verwechseln manchmal >westliches Niveau< damit, daß allen alle individuellen Wünsche erfüllt werden (ebd.: 17).
Daher war Aufgabe der evangelischen Kindertagesstätten die Erarbeitung einer Balance zwischen den Elternanforderungen, dem eigenen Anliegen und den pädagogischen Überlegungen, einer Balance zwischen dem Festhalten an Traditionen und einer klaren (religionspädagogischen) Konzeption, die offen für Neuerungen ist und die daher auch die Konkurrenz im Transformationsprozess nicht fürchten muss. Inwieweit diese Anforderungen von den interviewten Kinderdiakoninnen als Herausforderung begriffen wurden bzw. wie sie diese bewältigten, ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit und wird in Kapitel 4 dargestellt.
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3 Empirischer Teil
3.1 Methodologische Anlage der Studie Durch die bisherige Darstellung wird deutlich, dass der berufliche Habitus von Kinderdiakoninnen wie auch deren berufliche Sozialisation an den Seminaren für kirchlichen Dienst und in den evangelischen Kindergärten der DDR ein kaum untersuchtes Feld darstellt. Aus diesem Grunde ist die Grounded Theory von Glaser und Strauss (1967), die in der Tradition der jüngeren Chicago School of Sociology steht, prädestiniert, methodisch an den Forschungsgegenstand heranzugehen. Glaser und Strauss begreifen ihr Konzept als ideal für einen Forschungsprozess, welcher durch ein offenes Problem und ein unbekanntes Forschungsfeld gekennzeichnet ist. Auch Mayring (2002) sieht das klassische Anwendungsgebiet der Grounded Theory vor allem in der Feldforschung, die für ihn dadurch gekennzeichnet ist, dass sowohl ein länger anhaltender Kontakt zwischen Forscher und Gegenstandbereich herrscht als auch der Forscher mittels teilnehmender Beobachtung agiert. Wenig geeignet hält er die Grounded Theory für Interviews, trotzdem weist auch er auf die Bedeutung der Methode bei neuen und unerforschten Gegenstandgebieten hin. Mit dem Konzept der Grounded Theory grenzen sich Glaser und Strauss von der eher in der quantitativen empirischen Forschung gängigen Praxis ab, nach ihrer Sicht deduktiv an das Forschungsfeld heranzugehen und ausgehend von der Theorie die aufgestellten Hypothesen zu überprüfen. Ihr Gegenentwurf generiert vielmehr aus den gewonnenen Daten theoretische Ideen. In diesem Sinne kommt der Empirie die Rolle der Basis für die Theoriebildung zu, die in der Lage sein soll, soziales Handeln in Interaktionsfeldern zu erklären. Während die Verifizierung von Theorie darauf zielt, verhältnismäßig wenige die wesentlichen Regelmäßigkeiten und Variationen auf ein und demselben konzeptuellen Niveau festzustellen, meinen wir, daß die Generierung von Theorie darauf zielen sollte, möglichst verschiedene Kategorien zu entwickeln und diese auf möglichst vielen Niveaus zu synthetisieren (Glaser/ Strauss 1998: 47).
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Charakteristisch für die Methode der Grounded Theory ist die zeitgleiche Erhebung, Kodierung und Analyse der Daten, die als wesentliches Moment für die Theoriegenerierung gesehen werden kann. In vielen, wenn nicht in den meisten der mit Beschreibung und Verifizierung befasster Studien wird jedoch eine bestimmte Operation in den Mittelpunkt gerückt, so daß die anderen vernachlässigt oder ignoriert werden. Diese Abtrennung einer Operation behindert die Theoriegenerierung (Glaser/ Strauss 1998: 52).
Weiteres wesentliches Merkmal ist das theoretische Sampling, das im Gegensatz zum statistischen Sampling offen in der Grundgesamtheit angelegt ist. So erfolgt eine Stichprobenziehung nach jeweils neu festzulegenden Kriterien und die Stichprobenzahl ist vorab nicht festgelegt. Das Sampling ist dann beendet, wenn eine theoretische Sättigung erreicht ist. In der vorliegenden Untersuchung ist die Grundgesamtheit nicht eindeutig, so ist zwar die Grundgesamtheit der Absolventinnen der einzelnen Seminare für kirchlichen Dienst bekannt, unbekannt ist jedoch, wie viele der Absolventinnen noch in evangelischen Kindertagesstätten arbeiten und nicht in andere Bereiche wie z. B. die pädagogischen Arbeit mit Behinderten wechselten. Einige der Kinderdiakoninnen fanden Anstellungen innerhalb der Kirchgemeinden als Gemeindehelferin, weitere arbeiten in anderen Bereichen der Diakonischen Werke bzw. haben sich durch ein weiterführendes Studium qualifiziert und arbeiten in Beratungsstellen.67 Der von Glaser und Strauss (1998) empfohlenen Fallauswahl, sich ausgehend vom ersten Interview und dessen Analyse weitere Analysefälle zu suchen, wird nur bedingt entsprochen. Um eine minimale und maximale Variation der Interviewfälle zu berücksichtigen, innerhalb derer möglichst unterschiedliche, aber auch möglichst ähnliche Typen vertreten sein sollten, muss das Sample vorab teilweise festgelegt werden. Mit den unterschiedlichen Lebenswelten und den Kategorien Großstadt/Stadt/Dorf und Alter ist die Erwartung verbunden, dass sich die Lebensund Arbeitssituation unterschiedlich gestaltet. Um die verschiedenen Seminare für kirchlichen Dienst und die berufliche Sozialisation in den Blick zu bekommen, wurden von allen Seminaren Absolventinnen interviewt. Durch die Ausweitung der Untersuchung auf ganz Ostdeutschland können Aussagen zum Transformationsprozess und deren Auswirkung auf Kinderdiakoninnen gemacht werden, die nicht abhängig von einem Bundesland oder einer Landeskirche sind. Allerdings muss betont werden, dass sowohl die Seminare für kirchlichen Dienst
67 Die Informationen wurden aufgrund von Expertenbefragungen und durch den Kontakt und die Nachfragen bei den Interviews gewonnen. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige der Kinderdiakoninnen überhaupt nicht mehr im kirchlichen Bereich arbeiten.
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als auch die unterschiedlichen Landeskirchen und Länderregelungen für die Kindertagesstätten zwar in den Interviews als Aspekt thematisiert wurden, dennoch hier durch die Interviews keine fundierten Aussagen getroffen werden können. Landeskirchliche Aspekte tangieren zwar die berufliche Tätigkeit der Kinderdiakoninnen, für valide Ergebnisse müssten jedoch weitergehende Fragen formuliert werden. Glaser und Strauss betonen, dass die Beschäftigung mit einschlägigen Theorien und Untersuchungen der Forschung vorausgehen kann, allerdings nicht unbedingt muss. Wesentliches Moment der Grounded Theory ist die prinzipielle Offenheit, die beinhaltet, dass eine bestimmte Fragestellung und eine Leitidee am Anfang stehen, in der aber die Form der Datenerhebung offen angelegt ist. Diese Offenheit heißt, dass der Forscher sich ausgehend von seinem Untersuchungsfeld dahingehend belehren lässt, Methoden und Samples zu variieren (vgl. Wiedemann 1991: 443). Die in der Untersuchung genutzte Methode der Grounded Theory eignet sich nach Alheit, Bast-Haider und Drauschke (2004) besonders, um Biographien in den Neuen Bundesländern zu erforschen. Sie begründen dies nicht nur damit, dass es sich um ein nicht erforschtes Feld handelt, sondern gehen in ihrer Untersuchung der Mentalität und Biographie von Ostdeutschen in der Begründung einen Schritt weiter. 68 Was wir über die ostdeutsche Gesellschaft zu wissen glauben, scheint entweder durch den nicht unbedeutenden ideologischen Bias der DDR-Soziologie getrübt oder aber mit vorgeblich >objektiveren<, womöglich jedoch ganz unangemessenen methodischen Instrumenten westlicher Forschung zustande gekommen zu sein (ebd.: 133).
Ebenso wie mit der Grounded Theory, die wie aufgezeigt durch die Offenheit ihres Charakters geeignet ist, die berufliche Identität von Kinderdiakoninnen im
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Bei der Studie konnte eine Dominanz des Persistenz-Typus festgestellt werden, der milieuübergreifend ist. Der Modernisierungs-Typus und Bruch-Typus sind dagegen nur marginal ausgeprägt. Alheit, Bast-Haider und Drauschke sprechen daher von einer intergenerationalen Modernisierungsresistenz (ebd.: 328). Die Symptome einer verspäteten Gesellschaft äußern sich darin, dass den Herausforderungen und den Anforderungen im Transformationsprozess nur bedingt entsprochen werden kann. Die Veränderungen werden nicht aktiv bewältigt, sondern passiv ertragen und stellen damit eine emotionale Coping-Strategie dar. Diese Erkenntnis, dass Ostdeutsche zu emotionalen und nicht problemorientierten Coping-Strategien neigen, wird auch von Jerusalem dargestellt (vgl. 2.1), allerdings neu ist dies im Hinblick auf die Deutung des Mentalitätsprofils, welches als modernisierungsgehemmt und in seinen Reproduktionsstrukturen konservativ angelegt ist (ebd.: 340). Die Ergebnisse der Untersuchung sollen an dieser Stelle nicht an Detail dargestellt werden, wesentlich scheint aber, dass sie dank der gewählten Methode über die bereits im 1. Kapitel dargestellten Thesen hinausgehen, auch wenn es sich nicht um eine repräsentative Studie handelt.
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Transformationsprozess zu untersuchen, kann mit der dokumentarischen Methode (Bohnsack 2003) der (persönliche) berufliche Habitus rekonstruiert werden. Diese Methode wurde von Bohnsack in Anlehnung an Mannheim (1980) zu einem in den Sozial- und Erziehungswissenschaften häufig genutzten und forschungspraktisch und methodologisch durchdachten Verfahren entwickelt. Kennzeichnend für die dokumentarische Methode ist gemeinsam mit der Grounded Theory die komparative Analyse der Fälle. Bohnsack formuliert als Kritik an der Forschungspraxis der Methode von Glaser und Strauss, dass durch die Analyse einzelner Fälle, ohne in deren Tiefe zu gehen, das Problem besteht, dass die Ebene der Typenbildung und Generalisierungspotentiale nicht erarbeitet werden kann (vgl. Bohnsack 2003: 199). Nach Bohnsack bilden sich in den Milieus kollektive Erfahrungen und Erlebnisse mit der ihr eigenen Sozialisationsgeschichte heraus, die die Biographie der einzelnen Mitglieder mit ihren konjunktiven Erfahrungen strukturiert. Die Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster eines Milieus können durch die komparative Analyse von Fällen erschlossen werden. Bohnsack bezieht sich auf Bourdieu (1991), unterscheidet sich jedoch von diesem, der den Habitus an die Soziogenese der Kapitalfiguration bzw. Soziallagen bindet. Somit wird der Habitus nicht primär (negativ) im Medium der Distinktion analysiert, sondern unter dem Gesichtpunkt einer in den konjunktiven Erfahrungen fundierten habituellen Übereinstimmung, d.h. im Medium der Konjunktion(Bohnsack 2003: 68).69
Bohnsack kritisiert Bourdieu, der in seiner Analyse die geschlechts- und generationenspezifische Überlagerung des klassenspezifischen Habitus nicht erklären könne (vgl. Bohnsack 2003: 153). In jedem Milieu bildet sich eine spezifische Abfolge kollektiver Erfahrungen und Erlebnisse, die einer milieuspezifischen Sozialisationsgeschichte und kollektiven Biographien strukturiert sind. (...) Der Individualität des Einzelnen ist das Milieu vorgängig. Der Einzelne wird immer schon in einen bestehenden, wenn auch sich verändernden Raum konjunktiver Erfahrungen hineinsozialisiert und kann erst auf der Basis dieser kollektiver Einbettung seine Individualität entfalten (Nohl 2001: 27).
Kollektive Erfahrungen und Erlebnisse sind für den Einzelnen nicht präsent und müssen erschlossen werden, erst in der Begegnung mit Fremden sind die milieu-
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Hervorhebung im Original.
spezifischen Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster rekonstruierbar. Mannheim bezeichnet dieses intuitive Wissen, das aus unserer Erfahrung resultiert, z.B. das Wissen, wie man Fahrrad fährt oder einen Knoten bindet, als atheoretisches Wissen (vgl. Mannheim 1980). In Anlehnung an Bourdieu wird dieses von Bohnsack als habituelles Handeln bezeichnet, erst dadurch, dass der Einzelne gezwungen ist, dem Außenstehenden etwas zu erklären, können das habituelle Handeln und das atheoretische Wissen theoretisch gefasst werden. Bohnsack unterscheidet zwischen dem kollektiven und dem persönlichen Habitus, wobei der persönliche Habitus über das narrative Interview erschlossen werden kann. Der kollektive Habitus lässt sich durch die Methode der Gruppendiskussion rekonstruieren. Da in der vorliegenden Arbeit der persönliche Habitus, das habituelle Handeln und die Coping-Strategien der Kinderdiakoninnen rekonstruiert werden sollen, wird auf die Methode der Gruppendiskussion verzichtet. Leitidee der Interviews ist die Frage, wie die Kinderdiakoninnen die staatliche Wiedervereinigung und den Umbruch erlebt haben und welche CopingStrategien sie nutzen, um die damit verbundene Krise zu bewältigen. Die Bewältigungsstrategien und die Wahrnehmung des Umbruchs können durch das narrative Interview, in dem die Kinderdiakonin ihre private, aber vor allem ihre berufliche Lebensgeschichte erzählen kann, erschlossen werden. Durch die Gruppendiskussion würden vermutlich der kollektive Habitus und kollektive Bewältigungsstrategien rekonstruierbar, dies würde aber den Charakter der Untersuchung verändern. Die dokumentarische Methode bietet sich an, um die Konstruktionen und das Regelsystem der Erforschten zu fassen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn dazu die Gelegenheit z.B. durch ein offenes Interview gegeben wird (vgl. Bohnsack 2003: 31). Die methodische Kontrolle besagt, dass der Orientierungsrahmen eines Themas in einem Interview am objektivsten rekonstruiert werden kann, wenn andere Interviews zu dem gleichen Thema parallel gesehen werden können. Das heißt, in die Analyse des einzelnen Interviews fließt die Analyse der anderen empirischen Fälle mit ein. Wesentlich für die Analyse sind der nachvollziehbare Vergleichshorizont des Interpreten und der überprüfbare Standort der Interpretation. In der vorliegenden Untersuchung ist die dokumentarische Methode in Bezug auf den Forschungsgegenstand prädestiniert, die Lebenswelt, das habituelle Handeln und die Coping-Strategien zu erforschen. Das methodische Vorgehen nach Bohnsack (2002) sieht vor, dass zunächst die formulierende Interpretation gänzlich innerhalb des einzelnen Falles bleibt und die Themen des narrativen Interviews in neuen Worten formuliert. In der reflektierenden Interpretation wird die Verarbeitung eines Themas rekonstruiert und geklärt, in welchen Rahmen und in welche Problemstellungen es eingebettet ist. Durch die komparative Analyse ist es möglich, den Orientierungsrahmen des einzelnen Falls zu identifizieren und gleichzeitig zu erkennen,
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inwieweit sich dieser bei anderen Fällen finden lässt. Indem die Erfahrungshintergründe und der Orientierungsrahmen herausgearbeitet werden, lassen sich Typen bilden, die nicht spezifisch für den Fall, sondern allgemein sind. Bohnsack stellt fest, dass in dem einzelnen Fall eine Überlagerung verschiedener Typen vorliegen kann. Die mehrdimensionale Typenbildung dient der Generalisierung der Untersuchungsergebnisse und grenzt damit auch die dokumentarische Methode von der Grounded Theory von Glaser und Strauss ab.
3.1.1 Erhebungsverfahren Das Erhebungsverfahren basiert auf narrativen Interviews, die mit einem leitfadengestütztem Nachfrageteil gekoppelt sind. Kennzeichen des narrativen Interviews ist, dass die interviewte Person aus ihrer Erfahrungsperspektive längere Erlebnisabschnitte oder ihre Lebensgeschichte erzählt. Wesentlich ist, dass mittels der Stehgreiferzählung dem Forscher ein bestimmter Ausschnitt aus dem Leben erzählt werden kann. Im narrativen Interview und seinen Varianten werden auf der Grundlage erzählanalytischer Untersuchungen die ereignis- und selbstreferentiellen, erfahrungs- und zeitkonstituierenden sowie interaktionspragmatischen Leistungen der Erzähl-ZuhörInteraktion genutzt (Fischer-Rosenthal 1991: 255).
Das vor allem in der biographischen Forschung genutzte narrative Interview wurde von Schütze ursprünglich im Zusammenhang eines Forschungsprojektes zur Gemeindezusammenlegung in den 1970er Jahren entwickelt. Im Fokus der narrativen Interviews stand Beruf und Politik, so schilderten Gemeindepolitiker unter anderem die Ereignisverkettungen, die sich im Zusammenhang einer Gemeindefusion ergaben (Nohl 2005: 2).70 In der vorliegenden Untersuchung ist das narrative Interview nicht auf die ganze Lebensgeschichte der Kinderdiakoninnen gerichtet, sondern im Fokus stehen die berufliche Sozialisation und die damit einhergehenden Denk-, Wahrnehmungs-, und Handlungsmuster, die kennzeichnend für die berufliche Identität der Kinderdiakoninnen stehen, insofern grenzt sich die Fragestellung von biographischen Interviews ab. Durch die offene
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Nohl, Arnd-Michael (2005): Dokumentarische Interpretation narrativer Interviews. In Bildungsforschung, Jahrgang 2, Ausgabe 2, URL: http://www.Bildungsforschung.org./Archiv/200502/interview (Aktualisierungsdatum 03.02.2007). Bildungsforschung ist interdisziplinäre OnlineZeitschrift, die laut Homepage das Ziel hat, den interdisziplinären Austausch auf dem Gebiet der Bildungsforschung zu pflegen. Die Artikel der Zeitschrift sind im Archivserver der Deutschen Bibliothek archiviert/ ISSN 1860-8213.
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Darstellung und den Erzählimpuls hat die Interviewte die Möglichkeit, ihre Subjektivität des Erlebens, die sich auf die DDR und den Transformationsprozess bezieht, am besten zum Ausdruck zu bringen. Der Vorteil dieser qualitativen Methode liegt darin, dass durch das Interview die Verkettung von persönlichen und beruflichen Lebensereignissen erzählt werden kann. Die Darstellung der Kindheit und beruflichen Entwicklung kann von der Kinderdiakonin offen gestaltet werden. Indem ihr ein entsprechend großer (Zeit-) Raum zum Erzählen eingeräumt wird, können die für sie sinnhaften Elemente der Darstellung in ihrer Geschichte verknüpft werden. Ebenso wie die Grounded Theory (Glaser/Strauss 1998) zählt das narrative Interview zu den wichtigsten Methoden der qualitativen Sozialforschung und folgt gleichfalls nach Heinze (2001) einer abduktiven Forschungslogik im Unterschied zur deduktiven und induktiven und zielt dabei auf die Erzeugung von Theorie, wobei allerdings nicht der einzelnen Fall zur Anwendung einer Theorie oder Belegung einer Hypothese dienen kann (vgl. Heinze 2001: 167). Das narrative Interview kann in vier Phasen gegliedert werden: die Erzählaufforderung, die Haupterzählung und biographische Selbstrepräsentation der Erzählers, die auch von Schütze als Stehgreiferzählung bezeichnet wird, die erzählgenerierenden Nachfragen, in denen offene Fragen bzw. noch nicht angesprochene Bereiche nachgefragt werden können, sowie die Bilanzierungsphase, in der theoretische Erklärungen zum Geschehen gegeben werden können (vgl. Heinze 2001: 171 und Herrmanns 1991: 184). Die hier dargestellten Phasen werden in der vorliegenden Durchführung abgewandelt, indem nach der Erzählaufforderung erzählgenierende Nachfragen und anschließend ein leitfadengestützter Nachfrageteil zu einzelnen Themen folgen, sofern diese noch nicht selbst erzählt wurden. Das induktive empirische Vorgehen basiert darauf, dass durch das narrative Interview für den Forschungsprozess relevante Inhalte angesprochen werden, die im leitfadengestützten Teil aufgegriffen werden können. Wesentlich ist in diesem Kontext, dass die Deutungen zu relevanten Problemen, beruflichen Handlungskompetenzen und veränderten gesellschaftlichen Situation der Kinderdiakoninnen erfragt werden. Da der Forschungsprozess durch das theoretische Sampling offen angelegt ist und zirkulär abläuft, stellen die einzelnen Interviews einen Erkenntniszuwachs dar. Wenn dieser gesättigt ist, werden keine weiteren Interviews mehr geführt. Ziel der leitfadengestützten Nachfragen ist es, weitere Informationen zu erheben, die anschließend mit den bereits erfolgten Untersuchungen zu Kindergärtnerinnen in der DDR von Musiol (1998) in Beziehung gesetzt werden. Dort werden die pädagogische Haltung und die berufliche Handlungskompetenz der ehemaligen DDR-Erzieherin mit der Formulierung Festhalten am Gewohnten charakterisiert. In der Darstellung in Kapitel 2.3.7 wurde bereits deutlich, dass sich mit der staatlichen Wiedervereinigung für die Kinderdiakoninnen in den verschiedensten Bereichen ihrer beruflichen Tä-
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tigkeit Verbesserungen ergaben, sei dies die Bezahlung, die staatliche Anerkennung und die damit verbundene Mobilität, aber auch hinsichtlich der Infrastruktur in den Einrichtungen, die in der DDR aufgrund der geringen finanziellen Mittel der Kirche nicht möglich waren. Insofern stellt sich die Frage, ob diese objektiven Bedingungen von der Kinderdiakonin subjektiv so wahrgenommen wurden und zu ihrer beruflichen Zufriedenheit und Handlungskompetenz beitrugen. Zentrale Untersuchungsfragen der vorliegenden Arbeit sind:
Wie nahmen Kinderdiakoninnen die staatliche Wiedervereinigung und die damit verbundenen Veränderungen wahr und mit welchen CopingStrategien bewältigten sie die Krise? In welchem Zusammenhang stehen Coping-Strategien und biographische Ressourcen? Welche Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster bildeten Kinderdiakoninnen in ihrer beruflichen Sozialisation aus und welche Bedeutung hat dies für ihr Handeln im Transformationsprozess?
3.1.2 Auswertung der Interviews Die insgesamt 22 Interviews wurden im Zeitraum von 2005 bis 2006 durchgeführt. Die Interviewten hatten meist ihre Ausbildung in den 70er und Anfang der 80er Jahre absolviert. Die ursprüngliche Einschränkung auf die 70er Jahre wurde im Erhebungsverfahren verändert, da durch die Erweiterung auf die 80er Jahre neue gesellschaftliche und politische Aspekte, die für die Kinderdiakoninnen Bedeutung hatten, mit aufgenommen werden konnten. Der Kontakt zu den Interviewenden wurde mit Hilfe verschiedener kirchlicher Institutionen hergestellt, so war das Fachreferat für Kindertagesstätten des Diakonischen Werkes Mitteldeutschland eine wesentliche Anlaufstelle, um Kontakt zu den Kinderdiakoninnen in Thüringen zu erhalten, aber auch um Kenntnis darüber zu gewinnen, welche evangelischen Kindergärten schon in der DDR existierten und in welchen Kindergärten Kinderdiakoninnen heute beschäftigt sind. Der Kontakt zu den Kinderdiakoninnen der Seminare für kirchlichen Dienst in Greifswald, Bad Lausick, Wolmirstedt und Berlin-Weißensee wurde ebenfalls durch die Vermittlung des Diakonischen Werks Mitteldeutschland, ferner durch den Kontakt mit den Leiterinnen der ehemaligen Seminare geknüpft. Der zunächst durch die Fachberatung des Diakonischen Werks Mitteldeutschland gewonnene Kontakt wurde durch ein Schneeballsystem erweitert, indem Kinderdiakoninnen weitere Kinderdiakoninnen ansprachen, ob sie bereit wären, an der Untersuchung teilzuneh-
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men. Von den angesprochenen Kinderdiakoninnen wurden oft andere Kinderdiakoninnen zur Teilnahme an der Untersuchung empfohlen, weil diese unter veränderten Bedingungen und damit institutionellen Umständen arbeiteten, die für die Untersuchung relevant waren. Der Kreis der Interviewten hat sich im Verlauf der Untersuchung verändert, so war ursprünglich die Befragung auf Kinderdiakoninnen in Thüringen beschränkt. Diese Einschränkung sollte die Möglichkeit schaffen, die Untersuchung unter vergleichbaren Randbedingungen wie Finanzierung, gesetzlicher Rahmen, Trägerlandschaft, Arbeitslosigkeit von Erzieherinnen usw. durchzuführen, um die Bedeutung gerade dieser Rahmenbedingungen für die Kinderdiakoninnen herauszuarbeiten. Auf der anderen Seite hätten auf diese Weise keine generellen Aussagen im Hinblick auf die CopingStrategien von Kinderdiakoninnen getroffen werden können, daher wurde die Untersuchung auf ganz Ostdeutschland ausgedehnt. Nur so war auch eine wirksame Anonymisierung der Interviewpartner möglich und es konnte gleichzeitig die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Seminare und deren Einfluss auf die berufliche Sozialisation und das Selbstbild der Kinderdiakonin untersucht werden. Die Aussagen zu den Seminaren waren aufschlussreich, da die Unterschiedlichkeit der Seminare bis dato nur durch einzelne Aufsätze bekannt war (vgl. Kruse 1994, Waßermann 1994). Eine Untersuchung der Seminare für kirchlichen Dienst und ein Vergleich dieser wäre allerdings eine eigene Studie wert, die möglichst in den nächsten Jahren durchgeführt werden sollte, da zumindest jetzt noch die Möglichkeit besteht, Zeitzeugen zu befragen und die Archive der einzelnen Seminare zu nutzen. Gerade dies ist besonders wichtig, da die Dokumentenlage im Zentralen Archiv der EKD in Berlin zu den kirchlichen Ausbildungsstätten, insbesondere zu den Seminaren für kirchlichen Dienst, rudimentär ist. Die Interviews fanden in den meisten Fällen am Arbeitsplatz der Kinderdiakoninnen statt. Mit dem Interview war meistens eine Führung durch die Räumlichkeiten der Einrichtung verbunden. Teilweise wurden bereits hier Aussagen gemacht, die für die Untersuchung von Interesse waren. Durch die Räumlichkeiten konnte ein Eindruck der konzeptionellen Arbeit der Einrichtung gewonnen werden, da es sich bei den Interviewpartnerinnen häufig um die Leiterinnen der Kindergärten handelte. Die Interviews fanden während des regulären Kindergartenbetriebs, teilweise auch während der Zeit der Schlafwache, statt und dauerten in der Regel 1,5 bis 2 Stunden. Die narrativen Teile waren zwischen 30 min und 90 min lang, teilweise wurde relativ schnell die Bitte geäußert, Fragen zu stellen, wohingegen es auch Interviews gab, in welchen nicht mehr auf die LeitfadenFragen zurückgegriffen werden musste, da die Fragen schon mit den Erzählungen beantwortet worden waren. Meine eigene berufliche Tätigkeit an einer Nachfolgeeinrichtung des Seminars für kirchlichen Dienst in Eisenach stellt auf der einen Seite eine Nähe zur
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kirchlichen und institutionellen Lebenswelt der Kinderdiakoninnen dar, auf der anderen Seite muss gerade diese Nähe zum Untersuchungsfeld problematisiert werden, da mit dieser die Distanz und die Objektivität möglicherweise ein Stück verloren geht. Die Interpretationen der Fälle wurde aus diesem Grunde immer wieder mit der nicht kirchlich gebunden Forschungsgruppe von Prof. Dr. Jürgen Reyer an der Universität Erfurt besprochen, um kirchlichen Lebens- und Berufswelten mit einem Blick der Fremdheit begegnen zu können und die Untersuchungsergebnisse mit der notwendigen Objektivität zu betrachten. Im Interview selbst stellte sich die Nähe zum Arbeitsfeld nicht direkt nachteilig dar, wobei natürlich unklar ist, inwieweit ein gemeinsames Wissen bei einer Dozentin der Nachfolgeinrichtung eines Seminar vorausgesetzt wird, wo an anderer Stelle mögliche Inhalte weiter ausformuliert worden wären. Unter Umständen ist vorstellbar, dass meine Nähe zu den kirchlichen Institutionen in Thüringen Grund für eine gewisse Zurückhaltung der Gesprächspartnerinnen war, eventuell hätten die Interviews andernfalls einen stärkeren Fokus auf das private Leben bekommen. Allerdings sind in den eher beruflichen Interviews sehr private Dinge erzählt worden, die mit dem Wunsch verbunden waren, dass dieser Teil nicht veröffentlicht werde. Die eigene westdeutsche Sozialisation führt zu einer Fremdheit mit dem Untersuchungsgegenstand, die einerseits förderlich sein kann, andererseits aber auch ein bestimmtes Kontextwissen missen lässt, so dass zum besseren Verständnis der ostdeutschen Spezifika hin und wieder Nachfragen nötig waren. In der Kontaktaufnahme wurde deutlich gemacht, dass der Beruf der Kinderdiakonin, die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst sowie das berufliche und private Leben nach der Wende und staatlichen Wiedervereinigung Thema des Interviews sind. Einzelne Interviews in Thüringen, die Anfang 2006 durchgeführt wurden, standen unter dem Eindruck des neuen KindertagesstättenGesetzes, welches in Thüringen vom Landtag im Dezember 2005 verabschiedet wurde.71 Die Interviews in den anderen Bundesländern fanden Anfang/Mitte
71 Die unterschiedlichen Bundesländer, die nicht identisch mit den entsprechenden Landeskirchen sind, und deren Bedeutung für die berufliche Tätigkeit der Kinderdiakoninnen konnte ebenso wie die Unterschiedlichkeit der einzelnen Seminare nur am Rande in den Blick genommen werden. Das Kindertagesstätten-Gesetz in Thüringen hatte unterschiedliche Auswirkungen auf die einzelnen Einrichtungen. So wurde insgesamt die Gruppengröße auf 20 Kinder pro Erzieherin festgelegt. Die Finanzierung erfolgt kindbezogen und ist somit abhängig von der Anzahl der Kinder in der Einrichtung. Die Richtlinien für Förderkinder und die Unterbringung in nicht integrativen Kindertagesstätten wurden verändert. Unterschiedlich war, inwieweit die einzelnen evangelischen Kindertagesstätten davon betroffen waren. Allerdings stellte sich gerade bei Interviews mit 4 Kinderdiakoninnen einer Einrichtung heraus, dass alle, die zuvor Vollzeit beschäftigt waren, in ihren Stellen radikal gekürzt wurden und damit existenzielle Fragen für die Einzelnen im Vordergrund standen.
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2006 statt. Gerade in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Berlin wurde deutlich, dass sehr viele Kinderdiakoninnen nicht mehr in dem erlernten Beruf arbeiteten, ausgestiegen sind bzw. sich weiterqualifiziert haben und demzufolge nicht mehr zur Untersuchungsgruppe gehörten.
3.2 Fallbeschreibungen Durch den Erzählimpuls sind die Interviews der Kinderdiakoninnen zum Teil vorstrukturiert.72 Unterschiede traten in der Intensität der Erzählung, der Schilderung der Kindheit, der Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst, Christ zu sein in der DDR, der religionspädagogischen Arbeit im Kindergarten und den Nachwende-Erfahrungen auf. In den folgenden Fallbeschreibungen wurden aus Gründen der Vergleichbarkeit die Themen generalisiert, die von den meisten Kinderdiakoninnen aufgegriffen wurden, um die Fälle in ihrer Unterschiedlichkeit betrachten zu können. Im Zuge der Anonymisierung wurden sowohl Orte verändert bzw. Namen ausgelassen, da sich bei den Interviews herauskristallisierte, dass der Kreis der Kinderdiakoninnen in den evangelischen Kindertagesstätten klein ist und diese sich von der Ausbildung oder von Fortbildungen her kennen, so dass durch die Darstellung von unveränderten Informationen die Einzelne identifizierbar würde.73 Auch die Initialen der Nachnamen wurden verändert, sie schreiten in den Fallbeschreibungen nach dem Alphabet fort. Sehr private Erzählungen wurden, wenn sie nicht für die Darstellung des Falles notwendig waren, aus dem genannten Grund ebenfalls nicht in die Fallbeschreibung aufgenommen, allerdings in der Interpretation berücksichtigt. In der Regel haben die interviewten Kinderdiakoninnen ihre Ausbildung in den 70er und 80er Jahren absolviert. Durch die Interviews wird deutlich, dass die staatliche Wiedervereinigung, der damit einhergehende Transformationsprozess und der Umbruch im politischen, gesellschaftlichen, beruflichen, wirtschaftlichen und privaten Leben unterschiedlich in seiner Intensität wahrgenommen wurden. Die Bewältigung des Wandels erfolgte mit mannigfacher Schwerpunktsetzung von Coping-Strategien, überwiegend emotionale Coping-Strategien, weniger die Nutzung von problemorientierten Coping-Strategien. Beispielhaft werden für diese verschiedene Lebensläufe bzw. Fallbeschreibungen dargestellt, um zu verdeutlichen, wie die DDR, der Umbruch und die heutige Situation wahrgenommen werden und wie es gelingt, die Herausforderungen zu bewältigen. Insgesamt werden 7 Fallbe72 73
Der InterviewLeitfaden ist im Anhang wiedergegeben. Die verwendeten Transkriptionsregen sind im Anhang aufgeführt.
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schreibungen dokumentiert, die hohe Anzahl resultiert daher, dass jeder dieser Fälle stellvertretend für ein typisches Problem von Kinderdiakoninnen in der Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst oder im evangelischen Kindergarten der DDR steht. Die individuellen Wege in die Ausbildung werden hierbei nur teilweise betrachtet, auch wenn gerade die Schilderung der Kindheit und das Verhältnis zu den Lehrern in der Schule ein weiterer Aspekt der Darstellung gewesen wäre. Die Gliederung der Fallbeschreibungen erfolgt nach einem einheitlichen Schema: Nach der Darstellung der Kindheit und der beruflichen Motivation erfolgt die Beschreibung der beruflichen Sozialisation sowie der Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst und erster praktischer Erfahrungen. Danach wird der spezifische Habitus der Kinderdiakonin rekonstruiert und das habituelle Handeln im Transformationsprozess untersucht. Abschließend werden die individuellen Coping-Strategien herausgearbeitet. Die Fallbeschreibungen sind mit einem charakteristischen Moment für den rekonstruierten Habitus und das habituelle Handeln überschrieben.
3.2.1 Frau A Kinderdiakonin ein bisschen Opposition? Der Stolz und die Freiheit der kirchlichen Mitarbeiterin Der Fall steht exemplarisch für viele Kinderdiakoninnen, die bereits in der Kindheit stark religiös sozialisiert wurden, mit Kindern arbeiten wollten und für die die Ausbildung an einer kirchlichen Schule eine konsequente Folge ihrer persönlichen Haltung war. Frau A ist Leiterin einer evangelischen Kindertagesstätte in einem Ort mit ca. 3000 Einwohnern.74 Der Ort besitzt durch die Fusion des kommunalen und evangelischen Kindergartens nach der staatlichen Wiedervereinigung nur noch eine Kindertagesstätte.
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In den Fallbeschreibungen wird in Anlehnung an die Interviews in der Regel der Begriff Kindergarten verwendet, da dieser von den Kinderdiakoninnen in den Interviews fast durchgängig benutzt wurde. Die Darstellung in den Fallbeschreibungen erfolgt analog den Interviews. Im Transformationsprozess zeichneten sich die evangelischen Kindergärten dadurch aus, dass häufig auch 2 jährige Kinder (Krippenkinder) aufgenommen werden wurden, in der Einleitung wird um dieses zu verdeutlichen der Begriff Kindertagesstätte benutzt.
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3.2.1.1 Kindheit und berufliche Motivation Frau A (42) wurde in ihrer Kindheit stark durch den Besuch des evangelischen Kindergartens vor Ort geprägt. Bestimmend für die Erinnerungen an den Kindergarten sind die dort geschlossenen Freundschaften, die teilweise noch heute existieren und das Engagement der Kindergartentanten, das die Interviewte mit Aktivitäten wie Gesang und Tanz verbindet. Bereits während ihrer Schulzeit absolvierte Frau A verschiedene Ferienpraktika im örtlichen evangelischen Kindergarten und betreute die Kinder von Diakonen und Gemeindehelfern. Bezahlt wurde sie dafür entweder mit einem geringen Geldbetrag oder in Form von Gitarrenunterricht. Frau A war musikalisch und bereits als Kind im Kinderchor und im Flötenchor der Schule aktiv. Frau A formuliert für sich, dass sie den Eindruck habe, ihr Lebenslauf sei vorgezeichnet gewesen: Konfirmation; die Ausbildung zur Kinderdiakonin am Seminar für kirchlichen Dienst; die Arbeit in ihrem heimatlichen evangelischen Kindergarten; die Übernahme der Leitung des Kindergartens. Sie erbrachte sehr gute schulische Leistungen, erfuhr für diese in der Schule Anerkennung, da sie zu den Besten gehörte. Durch die Zugehörigkeit zu der Pionierorganisation und der FDJ wurde die kirchliche Mitgliedschaft für die Interviewte in der Schule wenig spürbar. Die starke christliche und kirchliche Sozialisation wurde erst durch Berufswahl zur Kinderdiakonin deutlich. So versuchten in der Schule sowohl der Lehrer wie auch der Rektor, Frau A und ihre Freundin, die auch die Ausbildung anstrebte, zu beeinflussen, eine andere Ausbildung zu ergreifen. Wie kann man nur Kinderdiakonin werden? Wie kann man nur in einen kirchlichen Beruf gehen? Das ist doch eh nicht anerkannt! Was soll denn das! Und das ist doch kein Beruf, wo man sein Brot verdienen kann, und solche Sachen kamen dann eben einfach. Bis dahin dass wir dann, meine Freundin und ich, die wir zusammen angefangen haben zu lernen, beim Direktor eben eingeladen waren zu Gesprächen, wo er uns eben einfach nur den Kopf waschen wollte, und uns dann irgendwo zwar nicht untersagen durfte und konnte, aber uns da beeinflussen wollte, dass wir das eben nicht machen. Da gabs Gespräche mit den Eltern, wo das eben dann auch noch mal kam, aber trotzdem muss ich sagen, dass der Direktor jetzt nicht so uns verdonnern wollte, dass wir das nicht dürfen, oder dass er das total verbieten wollte, er wollte ins Gewissen reden, aber ich denke mal oder wir haben den eigentlich auch als gerechten Mann erlebt, also der war eben auch andere Ideologien nebenher also wahrgenommen hat, und auch akzeptiert hat, dann im Endeffekt. Na ja und was mir noch so bewusst war ist eben dann, dass ich eben ausgerechnet in Staatsbürgerkunde in die mündliche Prüfung noch mal musste und da mir natürlich ne vier gefangen habe, wo ich bis jetzt eigentlich Einsen und Zweien hatte, weil das ja für mich nur ein Lernfach war. Das war Lernen und Aufgaben und mehr war das für mich nicht. Und das hat geklappt, und die Einsen standen eigentlich immer da, na ja, und da musste
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ich eben dann meine Vier reingebrockt kriegen, so dass ich auf dem Zeugnis dann halt ne Drei hatte (A, 66-88).75
In dieser Passage wird eine gemeinsame Erfahrung vieler Kinderdiakoninnen deutlich: Dem Wunsch, an einer kirchlichen Schule eine Ausbildung zu absolvieren, wurde mit der Intervention der Schule begegnet. Frau A musste nach ihrer Berufswahl mit den Lehrern und dem Rektor Gespräche führen, die die Schülerin dazu bewegen sollten, ihren Berufswunsch aufzugeben. Die Schule wurde unmittelbar durch die zentrale Berufsberatung der DDR, die die Berufslenkung und den Überblick über die Bewerbungskarten hatte, informiert. Der Rektor zeichnete sich jedoch dadurch aus, dass er den Berufswunsch zwar nicht positiv bewertete, jedoch im Endeffekt akzeptierte. Dafür wurde er von Frau A als jemand, der andere Weltanschauungen kennt, respektiert. Nachdem durch die Gespräche mit der Schülerin und den Eltern die Aufgabe des Berufswunsches seitens der Lehrer nicht erreicht werden konnte, fand durch eine (zusätzliche) Abschlussprüfung im Fach Staatsbürgerkunde die nicht konforme ideologische Haltung in die Urteilsfindung der Leistung Niederschlag. Also die Eltern haben mich losgelassen, oder haben auch, also Christenlehre war schon wichtig, aber was dann darüber so hinaus war, jetzt Konfirmandenunterricht, das wollte ich schon, und auch junge Gemeinde und so was, da haben mich meine Eltern jetzt nicht mehr beeinflusst, irgendwie(A, 272-276) I: Wärs für Sie so in Frage gekommen, parallel zur Konfirmation auch Jugendweihe zu machen? A: Oh Gott, dass habe ich gemacht, natürlich, das war doch bei uns irgendwie, wir haben beides gemacht, wir haben Konfirmation (??) mit gemacht. Da war ich nicht stark genug, oder da waren wir alle nicht stark genug, wahrscheinlich. Da haben nur die Pfarrerskinder, die haben sich da rausgeklinkt, alle anderen haben alle mitgemacht (A, 279-285).
Neben der christlichen Erziehung im Elternhaus, der Christenlehre und dem Konfirmandenunterricht waren Freunde, die ebenfalls aus dem christlichen Umfeld kamen und gemeinsam mit ihr in der Jungen Gemeinde engagiert waren, prägend für ihre Persönlichkeit und ihre Interessen. Sie resümiert, dass sie nicht stark genug gewesen sei, sich der sozialistischen Ideologie zu verweigern. Sie hat gemeinsam wie ihre Freunde die Möglichkeit gewählt, sowohl an der Konfirmation als auch an der Jugendweihe teilzunehmen, gleichwohl für sie die Jugendweihe nur die Anpassung an die staatliche Ideologie darstellte und keine Bedeutung hatte. Die Jugendweihe wurde nur aufgrund einer Nachfrage über-
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Die Zahlenangaben beziehen sich auf die Zeilennummern des Interviews.
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haupt thematisiert. In der Passage wird deutlich, dass sie diesem Ereignis ambivalent gegenübersteht, da sie ihre Teilnahme mit dem Hinweis, dass nur die Kinder von Pfarrern dies verweigert hätten, quasi legitimiert und verteidigt. Die Jugendweihe als Akt zu verweigern wird von ihr als nicht möglich für ihre Person, desgleichen für ihre Freunde bezeichnet, da dieses Repressionen nach sich gezogen hätte. Im Interview darauf angesprochen zu werden ist ihr eher peinlich. Durch die Anpassung an die staatlich-ideologischen Vorgaben und durch ihr schulisches und außerschulisches Engagement standen Frau A viele schulische und berufliche Optionen offen, daher die Irritation der Lehrer wegen ihrer Berufswahl. Die Motivation, einen Beruf in einer kirchlichen Institution zu ergreifen, wurde allerdings bereits durch die Praktika im evangelischen Kindergarten während der Schulzeit deutlich. Frau A wollte trotz guter Noten keine weiterführende Schule besuchen und Angebote, andere Berufe zu ergreifen, wurden bewusst abgelehnt. Sie betont, dass sie die Anerkennung vom Staat nicht haben wollte und sich mit dieser beruflichen Entscheidung bewusst abzugrenzen versuchte. Diese Abgrenzung stellte einen zentralen Aspekt der Persönlichkeit von Frau A dar. Zunächst, in der Kindheit und Jugend, wurde die ideologische Ausrichtung des Staates als nicht problematisch für ihre christliche Einstellung gesehen. Mit fortschreitendem Jugendalter und der damit verbundenen Identitätsfindung scheint ein Wandlungsprozess angebrochen zu sein, der Auswirkungen auf das ganze Leben hatte. Durch die Nähe zu kirchlichen Mitarbeitern war ihr die berufliche und kirchliche Lebenswelt vertraut, vertrauter als anderen Kinderdiakoninnen, die interviewt wurden, so dass der Eintritt in das Seminar für kirchlichen Dienst eine bewusste Entscheidung für das Leben als kirchliche Mitarbeiterin war. Als kirchliche Mitarbeiterin trat sie für ihre christliche Überzeugung ein und stellte einen Teil der Gegenöffentlichkeit in der DDR dar. Dies ist für Frau A von besonderer Bedeutung, es wird deutlich in der Tatsache, dass sie sich persönlich der Opposition zurechnet.
3.2.1.2 Berufliche Sozialisation die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst und erste praktische Erfahrungen Nach bestandener Aufnahmeprüfung und mit der Annahme am Seminar für kirchlichen Dienst erfolgte die erste Trennung von zuhause. Viele angehende Seminaristinnen klagten über Heimweh und den Verlust der elterlichen Sicherheit. Auch Frau A litt darunter, getrennt von ihren Eltern leben zu müssen. Zum ersten Mal verließ sie die heimatliche Kleinstadt und damit die Sicherheit und Geborgenheit, die sie dort erfahren hat.
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Und in () wars dann auch für uns erst mal ein bisschen Überwindung, weil wir waren eigentlich immer im Ort, also ich muss eben sagen ich war immer im Ort, ich war im Kindergarten, ich war in der Schule, ich musste nicht irgendwie mit dem Zug fahren, nicht mit dem Bus fahren, irgendwas, und () musste ich eben dann gleich zack ab und Praktikum machen, und dann gleich noch (). Gleich ins Grenzgebiet. Und das war für mich total ich war da ein bisschen überfordert, muss ich ehrlich sagen. Weil ich das ja so noch nicht kannte, wir waren ja so richtig schön heimelig, immer unter uns, und dann musste ich da eben den Ausweis beantragen, dass ich da ins Grenzgebiet kann und mit dem Bus der Bus wurde angehalten und die Ausweise wurden untersucht also angekuckt, jedes Mal jeden Früh, obwohl man eigentlich jeden Früh immer das gleiche Gesicht ist, was vor einem gegenübersitzt. Und das war schon eine Umstellung für mich, und dann die ganz vielen Soldaten, die da eben alle, das hat mich dann schon ein bisschen beängstigt, aber irgendwie hat es einen auch stark gemacht, weil man irgendwie man konnte da rein und andere durften das nicht wir durften das eben, weil wir bei Kirche waren, die durften eben dann in der Richtung da ein bisschen mehr (A, 107-124).
Im Nachhinein stellte die Erfahrung, im Grenzgebiet arbeiten zu müssen, ein besonderes Erlebnis für Frau A dar.76 Hier wurden zum ersten Mal die Grenzen und Grenzbefestigungen der DDR sichtbar und damit verbunden wurde das Leben in der DDR in einem anderen Sinne reflektiert. Befremdlich war es für Frau A, dass sie jeden Morgen aufs Neue überprüft wurde. Der Grenzer, der sie kannte, wollte damit Vertrautheit unterbinden. Mit der Kontrolle wurde die Macht der Grenzer und des Staates erfahren. Gleichzeitig erlebte sie in diesem Praktikum, dass sie als kirchliche Mitarbeiterin Freiheiten hatte, die andere normale DDRBürger nicht besaßen, da nicht allen der Zutritt ins Grenzgebiet gestattet wurde. Durch das Praktikum im Grenzgebiet erfuhr sie die Bedeutung und den Aufwand für die Grenzsicherung nach außen und innen. Frau A machte die Erfahrung, dass sie aufgrund ihrer Tätigkeit bei der Kirche in bestimmten Dingen privilegiert war. So konnte sie, im Gegensatz zu ihrer Mutter, bereits im 3. Lebensjahrzehnt als Taufpatin in die BRD einreisen. Sie interpretiert dies damit, dass es dem Staat egal war, ob kirchliche Mitarbeiter in der DDR blieben oder ausreisten.77
76 Im Grenzgebiet brauchte der Einzelne eine Erlaubnis, um dort einreisen bzw. arbeiten zu können. Charakteristisch für das Leben im Grenzgebiet war unter anderem auch die Schwierigkeit, Besuche von Freunden und Familienangehörigen zu empfangen, da dafür ein Passierschein notwendig war. 77 Lockerung der Ausreisebestimmungen in den achtziger Jahren, von der gerade kirchliche Mitarbeiter profitierten.
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3.2.2 Habitus als Kinderdiakonin Deutlich wird, dass im Interview der persönliche Habitus von Frau A immer wieder Thema ist, dies bedeutet insbesondere, stolz auf den Status als Seminaristin oder Kinderdiakonin zu sein und parallel sich als Opposition in der DDR zu begreifen. "Wir haben uns so ein bisschen als na ja so ein bisschen oppositionell schon gefühlt, ne weil es war eben etwas anderes, macht eben nicht jeder. Aber in () war das SKD war bekannt (A, 130-132).
Die evangelische Kirche, die Kirchgemeinde und das christliche Leben und Arbeiten stellten den Orientierungsrahmen für die Persönlichkeit von Frau A dar. Als kirchliche Mitarbeiterin hatte sie Freiheiten, aber auch das Gefühl, sich irgendwie durchboxen zu müssen, jedoch immer unter dem Schutz der Kirche. Dies könnte für sie bedeutet haben, durch die Kirche Sicherheit vor Repressionen und Freiheiten zu besitzen. Dieser Schutz wird in einem anderen Kontext erläutert, so betont Frau A wie fast alle Kinderdiakoninnen, dass sich das Seminar für kirchlichen Dienst durch eine familiäre Atmosphäre auszeichnete. Eine mögliche Interpretation wäre, dass die Kirche sinnbildlich für eine große Familie stand. Diese Deutung soll an einer anderen Stelle noch einmal aufgegriffen werden, wo sie wegen den mit der staatlichen Wiedervereinigung einhergehenden politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, sozialen und familialen Veränderungen den Verlust von Gemeinschaft und Zusammenhalt in der evangelischen Kirche kritisiert. Das Gemeinschaftsgefühl und die Geborgenheit, die nach der Wiedervereinigung vermisst werden, finden sich in den Erzählungen wieder und wurden grundlegend am Seminar für kirchlichen Dienst und in der Kirchgemeinde ausgebildet. Dieser Verlust wurde von vielen der befragten Kinderdiakoninnen festgestellt. Bedeutung kommt dem Gemeinschaftsgefühl und dem Gefühl der Geborgenheit daneben deshalb zu, weil die Kinderdiakoninnen diese Gefühle in ihrer pädagogischen Arbeit den Kindern vermitteln sollten. Dies wird von Frau A als wesentliches Moment in der pädagogischen Arbeit mit Kindern begriffen. Frau A konnte mit Beendigung der Ausbildung wieder in ihren Heimatort zurückkehren und hatte das Gefühl, mit dieser Stelle im heimatlichen evangelischen Kindergarten ihren für sie vorgesehenen Lebensplan zu erfüllen. Der geringe Verdienst und die fehlende staatliche Anerkennung stellten für sie kein Problem dar, da sie sich mit ihrem Beruf und der Tätigkeit als kirchliche Mitarbeiterin identifizierte. Mit der staatlichen Wiedervereinigung erhielten die Kinderdiakoninnen die staatliche Anerkennung ausgesprochen. Dies stellte für alle interviewten Kinderdiakoninnen ein persönlich wichtiges Ereignis dar. End-
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lich erhielten sie die - ihnen vom Staat lange versagte - Anerkennung für ihre Ausbildung und Tätigkeit, welche ihnen immer als die einzig richtige bewusst war. Umgekehrt mussten die vorher anerkannten staatlich ausgebildeten Erzieherinnen ein Hundert-Stunden-Programm zur Nachqualifikation ablegen. (...) wir waren bei der Kirche angestellt und für uns war das irgendwo auch so so´n sozial-menschlicher Zug. Was eigentlich, was auch an Gehalt oder so was zu uns rüber kam, das war ja nicht grad berauschend, das war uns aber egal. Das war wirklich so eine Einstellung, so ne richtig bewusste Einstellung: Ich will das machen und dann nehme ich das auch in Kauf, dass ich weniger Geld kriege und nicht anerkannt bin. Als allerdings dann diese Umstellung war - Kinderdiakoninnen sollen staatlich anerkannt werden und müssen keinen Erzieher machen - na ja da war man natürlich stolz wie Oskar. Gell, da haben wir uns gesagt, ich denke mal eigentlich die Ausbildung, die ihr ja wolltet, oder die anerkannt ist. Und das hat uns schon ein bisschen Stolz gemacht, dass wir eigentlich die richtige Ausbildung hatten. Und waren froh, dass wir dieses Hundert-Stunden-Programm nicht machen mussten, wie die anderen Erzieherinnen. Hm, das ist jetzt eigentlich zu dem Bild. Es wurde dann, eigentlich Kinderdiakonin hat ja dann keiner mehr zu uns gesagt. Wir haben uns auch dann nicht mehr so gefühlt, weil wir ja dann auch irgendwie alle unter einen Hut passen mussten, also alle Erzieherinnen (A, 206-222).
Im Transformationsprozess wurden der evangelische Kindergarten und der kommunale Kindergarten des Arbeitsortes von Frau A zusammengelegt. Diese Fusion stellte für sie ein großes Problem dar, da sie sich mit Eltern und staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen, die die Übernahme durch die evangelische Kirche ablehnten, auseinandersetzen musste. Gerade aufgrund der Kopplung von religionspädagogischer Arbeit und dem eigenen persönlichen und beruflichen Selbstverständnis war dies ein krisenhafter Einschnitt für die eigene Persönlichkeit. Die Zusammenlegung beinhaltete nach Ansicht von Frau A, dass das eigentliche evangelische Profil des Kindergartens verloren ging. Die Auseinandersetzungen mit Eltern und staatlich ausgebildeten Erzieherinnen wurden jedoch mit gemeinsamer Solidarität und Unterstützung der angestellten Kinderdiakoninnen bewältigt. Allerdings mussten die Kinderdiakoninnen Kompromisse mit den Eltern, insbesondere aber mit den staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen, eingehen. Die zuvor dezidierte Abgrenzung von kommunalen und kirchlichen Kindergarten musste aufgegeben werden. Durch den Kompromiss in der inhaltlichen Arbeit erlebt sich Frau A nicht mehr als Kinderdiakonin, obwohl der nun evangelische Kindergarten eine religionspädagogische Konzeption besitzt. Trotzdem blieben die gemeinsamen Andachten im Kindergarten, die Einbindung des Kindergartens in die Kirchgemeinde, ebenso die Zusammenarbeit zwischen Pfarrer und Kindergarten wesentliche Aspekte der Arbeit im evangelischen Kindergarten. 104
Aber die Arbeit war natürlich [Anm.: vor der Zusammenlegung] intensiver, im religionspädagogischen Bereich. Also wir haben da ständig, eigentlich biblische Geschichten erzählt, so verschiedene Situationen. Was wir dann, oder was wir jetzt nicht mehr machen. Wo wir also wo wir hier zusammen gekommen sind dann da hat das nicht mehr so in dieser Bandbreite einfach nicht mehr so sein kann, weil die Eltern nicht mehr da sind, die das so wünschen, bzw. die das auch so akzeptieren würden. Also wir mussten schon so einen Kompromiss-Weg jetzt gehen. Dass wir zwar unsere Linie nicht verlassen, aber dass wir die unterbrechen. Und eben in solchen ehm Haupt- hauptkirchlichen Jahreszeiten sozusagen eben mehr machen und in der Zwischenzeit eben das auch mal lockerer sehen. Wir haben früher viel mehr alttestamentliche Sachen auch mit gemacht. Solche Geschichten mit erzählt. Die wir jetzt eigentlich hier noch nicht groß, also selten erzählen. Abraham haben wir schon mal gemacht, ja, das hatten wir schon mal, Noah und solche Sachen, so was jetze, aber jetzt so wie Josephsgeschichte und so, das haben wir früher mehr gemacht als wir das jetzt hier machen. Weil das eben wahrscheinlich schon für Eltern noch undurchsichtiger und undurchschaubarer ist die alttestamentlichen Geschichten, und oder auch zu übernehmen sind als die neutestamentlichen, die mit Jesus zu tun haben, womit sie noch einigermaßen wahrscheinlich was anfangen können. Das hat sich schon auch verändert, also auf alle Fälle. Das ist war intensiver gewesen. Weil wir uns da auch so verstanden haben als Kinderdiakoninnen. Jetzt verstehen wir uns eher als Erzieherinnen mit religionspädagogischem Aspekt. Das ist eigentlich eher so geworden (A, 410-433).
Frau A stellte als einzige der interviewten Kinderdiakoninnen im Interview sehr ausführlich die religionspädagogische Arbeit des evangelischen Kindergartens dar. Deutlich wird damit, welche Bedeutung dies für ihre berufliche Identität und Habitus hatte. Sie bezeichnet sich - im Gegensatz zu früher nicht mehr als Kinderdiakonin, sondern aufgrund der Bedeutung der religionspädagogischen Arbeit als Erzieherin, die religionspädagogisch arbeitet. Allerdings hatte sie als Leiterin des Kindergartens dafür Sorge zu tragen, dass die staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen in der religionspädagogischen Arbeit fortgebildet und qualifiziert werden. Demzufolge ist es ihr wichtig, dass diese an religionspädagogischen Fortbildungen und an den Andachten im Kindergarten teilnehmen, um selbst qualifiziert religionspädagogisch arbeiten zu können. Wobei sie einschränkt, dass der Glaube von innen kommen muss, demzufolge nicht alle dazu in dem Maße befähigt werden können. Frau A problematisiert die Bedingungen für die religionspädagogische Arbeit im Kindergarten, so wurde durch die Fusion die Alternative und Wahlfreiheit der Eltern eingeschränkt. Mit der Änderung der Berufsbezeichnung macht sie deutlich, dass sie die Ängste und Bedürfnisse der Eltern akzeptiert und die religionspädagogische Arbeit im evangelischen Kindergarten weniger intensiv ausfällt. Trotzdem bleibt die religionspädagogische Arbeit im Kindergarten für sie von elementarer Bedeutung und sie
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beteiligt sich aktiv an deren Umsetzung, obwohl sie als Leitung keine Kindergruppen mehr betreut. Es ist der einzelnen Erzieherin zwar prinzipiell frei gestellt, wie sie religionspädagogisch arbeitet, d.h. betet, den Morgenkreis gestaltet und biblische Geschichten erzählt, allerdings versucht Frau A als Leiterin durchaus, darauf Einfluss zu nehmen. Aufgrund der Fusion musste das Team unter ihrer Leitung eine neue Konzeption erstellen. Im Gegensatz zu vielen anderen Einrichtungen, die den Situationsansatz als zentral für ihre pädagogische Arbeit beschreiben, wurde der lebensbezogene Ansatz als Grundlage gewählt, da dieser besser zur der religionspädagogischen Arbeit passe. Als zentrale Aufgabe begreift sie die Elternarbeit, dies unterscheidet sie von vielen Kinderdiakoninnen, es kann als Qualitätsmerkmal der Einrichtung gesehen werden, wurde ferner durch die Fusion und Anfragen der Eltern notwendig. Parallel zum Verlust der Berufsbezeichnung wird der schwindende Zusammenhalt in der Kirche beklagt. Die Kirchgemeinde hat sich aufgrund von personellen Veränderungen verkleinert. Frau A versucht diese Veränderungen zu erklären; ihre Ursachenforschung fällt allerdings personal und nicht gesellschaftlich aus. Hauptursache ist nach ihrer Meinung das Berufsverständnis des Pfarrers und sein Verhältnis zu den einzelnen Gemeindemitgliedern. Die geringere Zahl der kirchlichen Mitarbeiter im Ort steht sinnbildlich für die sinkende Bindungsfähigkeit der evangelischen Kirche, die sie kritisiert. Ihre Aussage alles ist weggefallen beinhaltet in der Kürze das Empfinden und das Fazit von Frau A. Diese Deutung wird gestützt durch den Stellenwert, den die evangelische Kirche und die Arbeit als Kinderdiakonin für ihre Persönlichkeit hatten. Gerade die durch die staatliche Wiedervereinigung veränderte Rolle der Kirche, die nun eine gesellschaftliche und politisch anerkannte Institution ist und damit keine oppositionelle Rolle und Gegenöffentlichkeit wahrnehmen kann, befremdet sie und ihr Verständnis von evangelischer Kirche. Kirche hieß für sie Heimat, Geborgenheit und Vertrautheit. Durch die mit der staatlichen Wiedervereinigung eintretende Individualisierung verlor der Bezug von Gemeinde und Einzelnem an Bedeutung. Weitere Änderungen, die die evangelische Kirche insgesamt betreffen, tragen zu dieser Einschätzung bei. Wie bereits weiter oben thematisiert, beschreibt Frau A, dass die Kirche in der DDR lebendiger war. So gab es in ihrem Ort eine große Junge Gemeinde und viele Christenlehre- Kinder. Nach der staatlichen Wiedervereinigung zogen viele Leute weg oder engagierten sich nicht mehr im kirchlichen Rahmen. Die bereits oben angesprochene Individualisierung führte zum Rückzug der einzelnen Gemeindemitglieder in ihre Familien. Frau A registriert mit Bedauern, dass die evangelische Kirche ihre Position, die sie im Ort während DDR hatte, im Transformationsprozess nicht halten oder gar ausbauen konnte. Diese These wird von ihr anhand der sinkenden Besucherzahl der
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Gottesdienste belegt. Diese Beobachtung ist jedoch für das betreffende Bundesland nicht allgemeingültig, hier variiert die Größe der Kirchgemeinden und es gibt daneben solche, wo die Zahl der Mitglieder nach der staatlichen Wiedervereinigung gewachsen ist. Frau A kritisiert, dass der Gemeindekirchenrat in den Gemeinderatsversammlungen wegen der sinkenden Beteiligung am Gottesdienst Druck auf die Vertreterin des Kindergartens ausübte. Diese ehrenamtliche Tätigkeit gab sie deshalb ab und delegierte sie an eine Mitarbeiterin.78 Frau A sah und sieht sich einem Vorwurf an ihre religionspädagogische Arbeit ausgesetzt, welchen sie als ungerechtfertigt zurückweist. Ja also wenn Pfarrers einladen für irgendwie Familienfeiern oder Familiengottesdienste oder so was. Da kommt leider keiner. Auch das Hosianna, was () in der Brüdergemeinde ja gemacht wird, kommt leider keiner. (2) Und äh aber es spricht dann die Leute irgendwo nicht an. Die Kinder, die Kinder sind auch gar nicht motiviert. Und wenn die das nicht sind, dann übertragen die das auch auf die Eltern. Und da kommt dann eben keiner. Dann haben sie dann schon ein bisschen resigniert, aber je mehr sie resignieren, um so weniger Gemeindeaufbau gibts dann eigentlich. (3) Hm, was wir manchmal als Kritik erfahren, jetzt vom Gemeindekirchenrat: ihr habt ja hundert Kinder und in der Christenlehre kommen vielleicht zweie an. Was macht ihr denn und so dieses überstülpen - ihr müsstet doch eigentlich die Kinder zu uns locken ja aber dass die andere Basis da sein muss, das wird dann eben nicht gesehen. Wir machen unser Ding hier und zu uns kommen sie ja. Und bei uns machen sie ja mit. Aber die müssten von von der anderen Seite geholt werden und begleitet werden. Und wenn das nicht da ist, dann kommt das auch nicht. Und das tut uns dann schon manchmal weh. Also eine meiner Kolleginnen ist auch im Gemeindekirchenrat und ich war das früher auch und ich bin ausgetreten, weil ich das nicht mehr hören konnte. Ich konnte es nicht mehr ertragen. Dass ich dafür verantwortlich sein soll, wenn da vielleicht nur zwei Kinder in die Christenlehre kommen, obwohl wir eigentlich hundert jetzt hier haben. Wie kann das nur sein. Bin ich dann gegangen, weil das konnte man da nicht mehr mit anhören. So ist es eben nicht (A, 849-877).
Die Abgabe der ehrenamtlichen Tätigkeit lässt sich als Krise ihrer Arbeit als kirchliche Mitarbeiterin deuten. Frau A kritisiert die personelle Situation in der Kirchgemeinde, in der sie die Hauptursache für die Situation der Kirchgemeinde sieht. Im Interview wird deutlich, dass die Zusammenarbeit zwischen Pfarrer, Gemeindekirchenrat und der Leiterin des Kindergartens unbefriedigend war und immer wieder Anlass für Auseinandersetzungen gab. So waren die internen Auseinandersetzungen und Diskussionen ebenso belastend für ihre inhaltliche Arbeit
78 Das ehrenamtliche Engagement innerhalb der Kirche erwartet der Träger von seinen Mitarbeitern. Im Gegensatz zu den in den alten Bundesländern tätigen evangelischen Erzieherinnen wird dies in Ostdeutschland in viel größerem Maße umgesetzt (vgl. Kahle, 1995).
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wie die Anfragen der Eltern bezüglich der religionspädagogischen Arbeit im Kindergarten. Im Transformationsprozess hat sich die berufliche Situation von Frau A im Hinblick auf den Träger, aber auch in der Zusammenarbeit mit Eltern und staatlichen Erzieherinnen eher zum Nachteil verändert.
3.2.2.1 Habituelles Handeln im Transformationsprozess Bereits im letzten Abschnitt wurde auf das habituelle Handeln im Transformationsprozess eingegangen, da die Verankerung von Frau A innerhalb der Kirche sinnstiftend für ihren beruflichen Habitus war. Mit der Veränderung der Finanzierung des Kindergartens hat sich die Kirchgemeinde aus den Verwaltungsaufgaben zurückgezogen. Diese werden nun von einer Verwaltungsangestellten erledigt. Die gesellschaftlichen, sozialen, familialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen werden von Frau A reflektiert, wobei die politischen Bedingungen weitestgehend ausgeklammert bleiben. Bedingungen, die ihre Arbeit direkt beeinflussten, werden dagegen reflektiert. So besitzen die Kinder im Transformationsprozess milieuabhängig Konsum- und Bildungsmöglichkeiten, die sie in der DDR nicht hatten. Mit diesen Optionen steigen allerdings die Erwartungen seitens der Eltern an ihre Kinder, so sind: Die Kinder sind äh für unsere Begriffe, sind die immer (??) zu schnell, zu schnell groß. (Lachen) Die, die leben jetzt ja ganz anders. Die kriegen ja viel mehr mit. Die nehmen viel mehr wahr oder den den ist manches bewusster jetzt oder durch ihre Erziehung, die die Eltern ja ihren Kindern geben, sind die offener und und lebendiger auch irgendwo. Aber auch zu schnell groß. Also uns fällt auf, dass manche so richtig auch so altklug daher schon so sind, schon so so erwachsen wirken, das war früher nicht so. Früher waren die Kinder lange Kind, und jetzt sollen sie schon so vieles machen. Sie sollen schon so viel mitkriegen. Sie sollen schon so viel erleben (A, 621-630).
Kinder im Transformationsprozess werden als offener und selbstbewusster begriffen. Sie verfügen aufgrund ihrer Erfahrungen über ein umfangreicheres Wissen und nehmen Anteil am Leben der Eltern. Sie werden auch in Entscheidungen viel mehr einbezogen, dies heißt ferner, dass sie Verantwortung tragen und damit Teile ihrer Kindlichkeit verlieren. Durch die Möglichkeiten, die Eltern ihren Kindern bieten, steigen sowohl die Anforderungen an die Kinder wie auch die Anforderungen an die pädagogische Arbeit des Kindergartens. (...) die Eltern sind jetzt viel kritischer als früher. Früher war das das was wir gemacht haben in Ordnung, das war gut. Die Eltern waren damit zufrieden. Heute wird
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oftmals alles hinterfragt. Kommt zwar auch immer auf die Elternhäuser drauf an, aber man hat immer jemand dabei, die noch mal da hinterher sticheln und noch mal nach fragen und das war früher auch nicht so eigentlich. [Auslassung Interviewerin] Also was ich eben schlimm finde ist, dass Eltern so große Anforderungen an ihre Kinder stellen. Sie auch nicht Kindsein lassen, weil sie ihnen zu viel bieten wollen, zu viele erwarten von uns auch, mehr erwarten als früher. Wir sollen alles tun, damit sie zu Hause nicht mehr viel machen müssen. Oder noch zusätzlich dann was machen, aber wir sollen die Hauptarbeit im Grunde machen. Wir sind dann schon wichtig aber als Dienstleister irgendwo. Das war früher auch nicht so, das also wir haben uns nicht als Dienstleistung gefühlt, also überhaupt nicht, sondern als wirklich anerkannte Miterzieher. Es ist ganz oft so, dass es so ein Dienstleistungsjob ist, das tut einem eigentlich weh. Weil die Eltern ja jetzt Geld bezahlen, das war ja früher nicht. Die haben ja kein Geld bezahlen müssen und da war das in Ordnung, was wir gemacht haben und da war das gut so. Jetzt ist halt Geld da und jetzt fordern sie Leistung. Und da gucken sie eben schon kritischer auf alle Punkte, und und fordern mehr ab. Und da müssen wir dann schon manchmal ein bisschen dämpfen. Also wir können nicht für alles verantwortlich sein (A, 635-665).
Dass der Kindergarten heute von den Eltern im Gegensatz zu früher als Dienstleistung gesehen wird Eltern als Kunden befremdet Frau A. Der Begriff der Dienstleistung ist für sie negativ konnotiert, selbst wenn er im Qualitätsmanagement des Kindergartens verankert ist. Hingegen findet sie es normal, für die eigene pädagogische Arbeit zu werben und diese durch Elternbriefe und Gespräche über die Konzeption des Kindergartens transparent zu machen. Kritik an der pädagogischen Arbeit ist trotzdem eher unerwünscht. Der Begriff der Dienstleister greift den schon formulierten beruflichen Habitus von Frau A an. Diese reagiert mit einem Vorwurf an die Eltern, dass diese ihrem Erziehungsund Bildungsauftrag nicht gerecht werden und diesen größtenteils oder komplett an den Kindergarten delegieren. Frau A formuliert, dass die Eltern in der DDR weniger anspruchsvoll waren, da der Kindergarten früher kostenlos war. Diese Auffassung wird ebenfalls von anderen Kinderdiakoninnen vertreten, obwohl der evangelische Kindergarten schon immer Beiträge von den Eltern gefordert hat. Die inhaltlichen Anfragen resultieren insofern wohl weniger aus der Zahlung des Kindergartenbeitrages als vielmehr aus dem gestiegenen Selbstbewusstsein der Eltern gegenüber pädagogischen Fachkräften.
3.2.2.2 Coping-Strategien und Resümee: Im Zentrum des Interviews steht die religionspädagogische Arbeit, die im Gegensatz zu anderen Kinderdiakoninnen den größten Raum der Erzählungen einnimmt. Das Interview wurde durch eine andere Kinderdiakonin, die ebenfalls 109
Leiterin eines Kindergartens ist, vermittelt. In ihrem Interview, welches hier nicht besprochen wird, thematisierte diese die religionspädagogische Motivation im gleichen Ausmaß. Die äußeren Bedingungen wurden von ihr allerdings wesentlich günstiger dargestellt. Die optimalen Bedingungen seitens des Trägers, die Wahlmöglichkeit durch weitere Kindergärten vor Ort führten in ihrem Fall dazu, dass viele Erwachsenentaufen und Kindstaufen zu verzeichnen waren und dass die Kirchgemeinde lebendig wurde und wuchs. Insbesondere dieser Vergleich stellt eine Kränkung für Frau A dar. Sie begegnet der eigenen Situation im weitesten Sinne offensiv und aktiv, indem sie für ihre Auffassung von Erziehung in Elternbriefen und persönlichen Gesprächen wirbt. Allerdings beklagt sie den sinkenden Stellenwert der christlichen Erziehung und der evangelischen Kirche in einer sich wandelnden Gesellschaft. Die mit der Wiedervereinigung ausgesprochene staatliche Anerkennung ihrer Ausbildung ist für sie wesentlich, kann die Begrenzungen, die sie in ihrer Arbeit erfährt, jedoch nicht aufwiegen. Durch die Fusion mit dem kommunalen Kindergarten wurde die Wiedervereinigung als Umbruch für ihre eigene berufliche Situation direkt spürbar. Sie bewältigt die Krise einerseits durch aktive Elternarbeit, andererseits indem sie ihre eigene Berufsidentität und ihren Habitus als Kinderdiakonin relativiert. Die auf den ersten Blick vermuteten problemorientierten Coping-Strategien erweisen sich, wenn das ganze Handeln und Verhalten von Frau A berücksichtigt wird, als reaktives Bewältigen der Krise. Diese Interpretation wird durch die Negierung der Berufsbezeichnung (Kinderdiakonin) und die Schwerpunktsetzung im Interview (religionspädagogische Arbeit im Kindergarten, Situation der evangelischen Kirche) gestützt. Gerade in der Resignation und dem Rückzug aus der Arbeit im Gemeindekirchrat werden emotionale Coping-Strategien deutlich. Da für sie seit der Kindheit die evangelische Kirche ihren Hauptbezugspunkt darstellte, waren die Veränderungen umso schmerzhafter und unbegreiflicher. Dies spiegelt sich in der Tendenz wider, die Situation der evangelischen Kirche im Transformationsprozess zu personalisieren. Die Situation des evangelischen Kindergartens hat sich für sie zum Nachteil verändert, sie, die sich früher getragen gefühlt hat, muss sowohl die Finanzierung wie die Organisation selbständig handhaben. Frau A äußert sich wenig zur privaten Situation; da diese Informationen aber dazu führen könnten, dass ihre Anonymität nicht mehr gewährleistet ist, wurde in der Fallbeschreibung darauf verzichtet, auf das Privatleben konkret einzugehen. Resümierend stellt sie fest, dass sich ihr Privatleben kaum verändert hat, da nach der staatlichen Wiedervereinigung der Wunsch zu Reisen nicht mehr bestand. Die Freiheit zu reisen, die in der DDR erstrebenswert war, gilt nach der Wende und Wiedervereinigung als belanglos. Dies ist ein Indikator, dass Frau A
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den Umbruch als Krise empfindet und mit emotionalen Coping-Strategien bewältigt.
3.2.3 Frau B Manche Leute haben bestimmt das Gefühl, hier laufen immer noch die Schwestern umher Die folgende Fallbeschreibung kann durch die starke Rückbindung von Frau B an die DDR, das Christentum und die besondere Position des evangelischen Kindergartens im Bildungssystem der DDR charakterisiert werden. Dies ist im Ansatz bei vielen Kinderdiakoninnen anzutreffen, allerdings bei Frau B als charakterisierendes Moment dominant in allen Bereichen. Frau B ist Leiterin einer evangelischen Kindertagesstätte in einem Ort mit ca. 6000 Einwohnern, in der Einrichtung sind weitere sechs Kinderdiakoninnen tätig. Der Ort besitzt neben der evangelischen Kindertagesstätte noch zwei weitere größere Kindertagesstätten, die ehemals kommunal jetzt in freier Trägerschaft sind.
3.2.3.1 Kindheit und berufliche Motivation Frau B (50) ist seit 30 Jahren als Kinderdiakonin tätig, die berufliche Tätigkeit wird seit dem Anerkennungsjahr in der Einrichtung verbracht, in dem das Interview durchgeführt wurde. Die Doppelstrategie bezüglich Jugendweihe und Konfirmation, die bei Frau A beschrieben wurde, ist auch bei Frau B anzutreffen. Konfirmation war das gefeierte Ereignis, während der Jugendweihe keine große Bedeutung zukam. Der ursprüngliche Berufswunsch konnte aufgrund von unglücklichen Umständen nicht ergriffen werden, da die Zensuren bestimmte Berufsoptionen nicht zuließen. Eine Wunschlehrstelle scheiterte an dem Einspruch eines Elternteils einer Klassenkameradin. Durch die Junge Gemeinde wurde Frau B auf die Ausbildung zur Kinderdiakonin aufmerksam und strebte nach langem vergeblichen Suchen schließlich die Ausbildung zur Kinderdiakonin an. Diesem Berufswunsch standen die Eltern ablehnend gegenüber, da sie davon ausgingen, dass durch die politische Entwicklung die Existenz der evangelischen Kindergärten in Zukunft bedroht sei. Gemeinsam mit vier Klassenkameradinnen begann Frau B dennoch am Seminar für kirchlichen Dienst ihre Ausbildung, obwohl sich alle fünf zuvor dem Druck seitens der Schule ausgesetzt sahen, diese Ausbildung nicht anzutreten. Und die Schule war natürlich selber vorher entsetzt. dass vier Mädchen eine kirchlich Ausbildung machen. Und haben uns natürlich ganz ja schwierige Gespräche ge-
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führt, die in die Richtung gingen so ungefähr, was wir eben hier dem Staat antun, und der Schule (B, 76-80).
Die beschriebene Auseinandersetzung mit Lehrern und dem Rektor in der Schule kann als normal angesehen werden, da die Schule unter Rechtfertigungsdruck geriet, wenn Schülerinnen ihre Bewerbung für die kirchliche Ausbildung in der Schule bekannt gaben. Häufig wurde der Vorwurf der Undankbarkeit erhoben, da der Staat den Schülern eine teure Schulbildung zukommen ließ, dies aber nicht durch eine entsprechende sozialistische Gesinnung honoriert wurde. Bei Frau B waren jedoch nicht nur die Lehrer gegen die kirchliche Ausbildung, sondern auch die Eltern. Besonders die Mutter versuchte, den Ausbildungswunsch der Tochter zu lenken. Im Interview wird deutlich, dass die Tochter ursprünglich den gleichen Beruf wie Vater und Mutter (Künstler) erlernen wollte, ihr beide jedoch davon abrieten. Unklar ist, inwieweit die christliche Sozialisation im Elternhaus oder die Teilnahme an der Christenlehre und der Jungen Gemeinde eine Einstellung begünstigte, die schließlich zum Berufswunsch Kinderdiakonin führte. Im Gegensatz zu Frau A und vielen anderen Kinderdiakoninnen, die relativ früh den Berufswunsch Kindergärtnerin für sich entdeckten, erfolgte die Findung der Berufsmotivation bei Frau B relativ zufällig, weil andere Berufsoptionen nicht verwirklicht werden konnten.
3.2.3.2 Berufliche Sozialisation die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst und erste praktische Erfahrungen Mit der Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst begann das erste halbjährige Praktikum in einem Kinder- und Jugendheim für geistig behinderte Jungen. Im Gegensatz zu vielen interviewten Kinderdiakoninnen bedeutete dies für sie keine Trennung von ihren Eltern, da sowohl das Seminar für kirchlichen Dienst wie auch die Praxisstellen am Heimatort lagen. Das zweite halbjährige Praktikum in einer fremden Stadt, das im evangelischen Kindergarten absolviert werden musste, wurde kaum thematisiert, außer dass es problematisch gewesen sei, mit kleinen Kindern im Vergleich zu den geistig behinderten Jungen arbeiten zu müssen. Es war das erste Mal, dass Frau B mit jüngeren Kindern arbeitete, sie war unglücklich in dieser Arbeit. Sie hatte starkes Heimweh, und im Gegensatz zu anderen Seminaristinnen fuhr sie trotz großer Entfernung jedes Wochenende nach Hause. Im Vergleich dazu sprachen andere Seminaristinnen spezielle Arrangements ab, um alle 2-3 Wochen nach Hause fahren zu können. Der Einfluss bzw. die Bedeutung der Eltern war für die anderen Kinderdiakoninnen nicht
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weniger groß, allerdings setzte Frau B im Gegensatz zu anderen ihre wöchentlichen Heimfahrten durch. Als das wesentlichste Moment der Ausbildung wurden die Andachten erlebt, die täglich stattfinden. In diesen wurde gesungen, gebetet und Gottes Wort gehört (B, 171-172). Diese Erfahrung bezeichnet sie als fundamental für ihre religionspädagogische Arbeit und formuliert diesen Anspruch ebenfalls an Fortbildungen, die von der evangelischen Landeskirche angeboten werden. Mit Stolz wird ausführlich dargestellt, wie eine Andacht vorbereitet werden muss und welche Kenntnisse dazu in der Ausbildung vermittelt wurden. (...) was ich eben auch besonders wichtig fand das ist, dass man eben wenn man mit selber mit den Kindern ne Andacht machen, vorbereiten musste, dass man dann eben sich wirklich mit diesem Text eh so auseinandersetzen musste, so wie es eigentlich ja ein Stückchen auch die Theologen machen müssen, mit Exegese und mit Katechese, dass man eben wirklich jedes einzelne Wort aus diesem Stück Text nachgucken musste, was es da für Bedeutungen gibt, für verschiedene, wo das noch verwandt worden ist, und sich wirklich so intensiv damit beschäftigen musste, dass man einfach gut auf diese Geschichte auch vorbereitet war (B, 165-174).
Bestandteil der Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst in B war, dass Andachten und Angebote von den Seminaristinnen in den evangelischen Kindergärten vor Ort ausprobiert und anschließend mit der zuständigen Praxisdozentin ausgewertet wurden. Die im Unterricht ausgeteilten Arbeitsmaterialien (Arbeitshilfen) wurden als wertvoll angesehen und dienen auch heute noch zur Vorbereitung von Angeboten. Sie enthalten theoretische psychologische, soziologische und pädagogische Theorieansätze. Die sorgfältige Aufbewahrung der Aufzeichnungen aus der eigenen Ausbildung ist charakteristisch für viele der interviewten Kinderdiakoninnen. Und ich denke, wenn ich jetzt zum Beispiel zur Fortbildung fahre, dann habe ich das Gefühl, die haben das jetzt erst vor kurzem neu erfunden, das haben wir schon längst gemacht, aber es wird so angepriesen, dass ich eben den Eindruck habe, dass das andere Kindergärten gar nicht so gemacht haben, ja (B, 216-220).
Gemeinsam mit einer anderen Kinderdiakonin fing sie ihr Anerkennungsjahr in einem evangelischen Kindergarten an, in dem sie heute noch als Leiterin tätig ist. Die Leitung in dem Kindergarten oblag in ihrem Anerkennungsjahr einer Diakonisse, die sie als modern bezeichnet. Die ausgebildeten Kinderdiakoninnen im Anerkennungsjahr wurden als sehr selbstbewusst wahrgenommen, sie erneuerten und veränderten die Einrichtung und setzten die erlernten Ausbildungsinhalte in
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die Praxis um. Nach außen waren sie bekannt und wurden nicht nur im Kindergarten, sondern im ganzen Ort begrüßt. (...) also wir sind hier zu zweit gekommen, muss ich dazu sagen, und wir haben dann hier auch in dem Kindergarten doch einiges umgeändert auch, so stückchenweise verbessert, wie zum Beispiel die Situation, dass hier 90 Kinder in einem Raum zusammen Mittag gegessen haben, das war also ne richtige Essensabfertigung, ja, da stand ein großer Topf, der kam aus der Küche hoch geschickt und dann wurde eben auf jeden Teller druff (lacht) gekitscht und dann an Kinder verteilt in diesem großen, riesengroßen Raum unten, und die Kinder saßen auch zu dritt nebeneinander, wo sie kaum Platz hatten und so, und wir haben dann eben doch so ein bisschen behutsam und so, dass man doch vielleicht in Gruppen essen könnten, es ist doch gar nicht einzusehen, dass alle nun zusammen essen müssen, und dass wir dann eben auch Schüsseln auf dem Tisch haben, und dass die Kinder sich selber nehmen können, und so, das kam dann eben auch alles so. (leise) Das ging alles gut, und viele andere Sachen denke ich mir auch, wenn es jetzt um die Pädagogik geht, was wir an Beschäftigungen auch angeboten, gemacht haben, das wurde doch alles ein bisschen anders gestaltet, und kamen dann viele neuere Sachen rein, wie Rhythmik und so was, was eben vorher dann noch nie so richtig hier im Kindergarten gemacht worden ist. Ja, und die Eltern haben es dadurch auch gut aufgenommen, man war sofort bekannt wie ein bunter Hund, hier in (), jeder wusste Bescheid, das sind die neuen Kindertanten, (lacht) und ja, das ging sogar so weit, dass irgendwelche Kinder dann erzählten, Vati, du musst unbedingt mit in den Kindergarten kommen, du musst meine neue Tante angucken, gell, man kam sich da vor wie im Zoo (lacht). Aber es war alles lieb gemeint, von den Kindern natürlich auch. Ja, und dann habe ich hier meinen Mann kennen gelernt (B, 235-261).
Im Berufspraktikum gelang es den Praktikantinnen gemeinsam, große Veränderungen umsetzen, in denen sich die pädagogische Haltung der Kinderdiakoninnen für Selbstbestimmung und Selbständigkeit der Kinder widerspiegelt. Neben der Leiterin waren noch weitere Diakonissen im Kindergarten beschäftigt, auf die im Interview aber nicht weiter eingegangen wird. Von Kindern und Eltern des Kindergartens wurden die Veränderungen positiv aufgenommen, im Dorf waren sie bekannt als Kindergartentanten. Deutlich wird hier zum ersten Mal der berufliche und persönliche Habitus, sie war nicht irgend eine Kindergärtnerin, sondern eine Kinderdiakonin, die in einem kirchlichen Kindergarten arbeitete und, wie dies von Frau B betont wird, eine Ausbildung nach westlichen Maßstäben absolviert hat. Bleibt man bei der Begrifflichkeit, so ist sie nicht wie eine staatliche Kindergärtnerin, eine professionelle Kraft, sondern eine Tante, die in einem besonderen Verhältnis zu den Kindern stand. Allgemein wurde der Begriff der Tante jedoch nicht nur im evangelischen Kindergarten für Kinderdiako-
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ninnen genutzt, sondern stellte auch in staatlichen Einrichtungen eine gängige Bezeichnung und Anrede dar.
3.2.3.3 Habitus als Kinderdiakonin Der berufliche Habitus von Frau B wurde bereits im Ansatz thematisiert. Kennzeichnend sind der Stolz auf die Ausbildung, der Stolz, Christ in der DDR gewesen zu sein, den Beruf der Kinderdiakonin ergriffen zu haben und damit keine gewöhnliche Kindergärtnerin zu sein. Dieser berufliche und persönliche Habitus findet sich ebenfalls bei anderen Kinderdiakoninnen, kann aber als das dominantes Moment in der Biographie von Frau B gesehen werden. Die Wende und staatliche Wiedervereinigung haben nach ihrer Aussage für den evangelischen Kindergarten und die pädagogische Arbeit keine Bedeutung, da der zentrale Aspekt ihre religionspädagogische Arbeit war und ist. Dieser Aussage steht entgegen, dass es im Ort durch die demographische Entwicklung weniger Kinder gibt und die wenigen oft nicht im evangelischen Kindergarten angemeldet werden. Im Gegensatz zu früher gibt es keine Warteliste mehr und der Kindergarten ist im Gegensatz zu einem Kindergarten eines freien Trägers in der Nähe bei weitem nicht ausgelastet. I: Hat sich der Charakter des Kindergartens nach der Wende verändert? B: Würde ich nicht sagen, (lacht) nee, also eigentlich ich will mal sagen man ist ja immer irgendwo im Lernen und guckt sich auch um, was wird woanders angeboten, was kann man dass man nicht jetzt so alt und verstaubt bleibt, oder so, das auf keinen Fall, aber ich denke mal, das wichtigste, was unseren Kindergarten immer ausgeprägt hat, die christliche Erziehung, dass wir eben viele christliche Lieder lernen, dass wir beten, dass wir einen Segen sprechen, jeden Tag mit den Kindern, oder ein Segenslied gemeinsam singen, ehm, und eben auch die biblischen Geschichten, die eben immer wieder kommen, im Laufe des Jahres, gell, das ist einfach das Prägende. Dann die ganze Art, wie wir da miteinander, wie wir miteinander umgehen, die ist eigentlich charakteristisch geblieben, also manche Leute haben bestimmt das Gefühl, also hier laufen immer noch die Schwestern [Anm.: in Ordenstracht] umher, ja, aber nicht jetzt im negativen Sinne, sondern einfach von der ganzen Atmosphäre (B, 768-784).
Im Interview betont Frau B, dass die Qualität ihres beruflichen Handelns sowohl auf der Ausbildung wie auch auf der Teilnahme der Erzieherinnen an Fortbildungen beruht. Es wurden hier neue wissenschaftliche Erkenntnisse, Qualitätsentwicklung, Management und pädagogische Konzepte vermittelt. Allerdings kommt an dieser Stelle ein Aspekt zum Tragen, der bestimmend für die berufli-
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che Situation von Frau B nach der staatlichen Wiedervereinigung ist. Der evangelische Kindergarten wurde einer westdeutschen Landeskirche zugesprochen. Die nun angebotenen Fortbildungen ließen das Maß an Spiritualität, welches Frau B zuvor geschätzt hatte, missen. Außerdem fehlten viele vertraute Kinderdiakoninnen bei den Fortbildungen und die Begegnung mit dem Fremden, den westlichen Erzieherinnen, ängstigte Frau B. Der Habitus als Kinderdiakonin fand in diesem Rahmen nicht wie erhofft Anerkennung. Christ-Sein und der evangelische Kindergarten, dem in der DDR eine besondere Bedeutung zukam, stellte hier keine Besonderheit dar. Die Erfahrung eines gemeinsamen Wir-Gefühls blieb aus, auch weil die Probleme und die Bedingungen in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich waren. Bei Fortbildungen in Ostdeutschland, wie beispielsweise Mentorenanleitungen, die häufig von Lehrern der ehemaligen staatlichen Fachschulen für Kindergärtnerinnen angeboten wurden, wurde hingegen der elitäre Habitus der Kinderdiakonin gepflegt, da die Teilnahme dort aufgrund des vermeintlich veralteten Wissens der Referenten und Dozenten als überflüssig erachtet wurde. Die eigene Fachlichkeit wird als überlegen im Vergleich zu den staatlichen Kindergärtnerinnen empfunden. Dieses Urteil gilt sowohl gegenüber der westdeutschen als auch der ostdeutschen Kolleginnen. So sei den westdeutschen Kolleginnen die gemeinsame Andacht und das gemeinsame Gebet bei den Fortbildungen nicht wichtig genug und die ostdeutschen Kolleginnen hätten sich seit der staatlichen Wiedervereinigung nicht verändert und nähmen noch immer eine führende bzw. lenkende Rolle in der pädagogischen Arbeit ein. Die Aussage von Frau B zur Charakterisierung ihres Kindergartens hier laufen noch die Schwestern umher, steht für sie im positiven Sinne für die Atmosphäre. Es drängt sich jedoch der Eindruck auf, dass die konzeptionelle Arbeit des Kindergartens nicht weiter entwickelt wurde. Während Frau B, wie oben geschildert, im Berufspraktikum noch als Reformerin auftrat, werden Neuerungen aktuell für nicht notwendig erachtet. Die Ausbildung, die 30 Jahre zurück liegt, wird als fundiert und in ihren pädagogischen Inhalten als aktuell gesehen. Frau B ist mit dem Sohn eines Pfarrers verheiratet. Dessen Familie und der Beruf des Pfarrers werden im Interview besonders thematisiert, durch das politische Engagement wird eine elitäre oppositionelle Position angenommen: Erst einmal eigentlich die Freude, wir sind auch welche gewesen, die mit auf die Straße gegangen sind. Die mit geschrien haben: wir sind das Volk. (Lachen) Und ich kann mich entsinnen, dass mein großer Sohn damals gerade in die Schule kam. Und für uns stand das Problem oder für uns war es eigentlich gar kein Problem, es war für uns selbstverständlich, dass das große Kind, also der Junge, wenn der jetzt in die Schule kommt, nicht in die Pioniere geht. Und äh das war so absurd damals, weil äh die Wende war ja schon fast, die hat man ja schon fast gerochen. Ja also im September, wo die Schule losging oder Ende August war das. Und meine Verwandten ha-
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ben eben sehr mit uns diskutiert und haben gesagt, wie könnt ihr das eurem Kind antun, dass wenn der alleine aus der ganzen Klasse nicht in die Pioniere geht und so. Und für uns war das aber felsenfest nein. Wir wollen das nicht und wir haben auch beruflich, also wir jetzt als Eltern keine Schikanen zu erwarten. Mein Mann sowieso nicht, weil er Pfarrers Sohn war, der hat diesen Werdegang sowieso mitgemacht. Und ich, weil ich kirchlich ausgebildete Erzieherin war, habe da auch keine Probleme zu erwarten und wir haben gesagt wir machen das. Und haben das auch so nahe gebracht der Lehrerin und die ganz cool reagiert hat und hat gesagt, ja ist in Ordnung. Wo wir schon mit ganz anderem gerechnet hatten. Und die ganzen Schüler der Klasse mussten noch bis zum 7. Oktober damals in die Pioniere eintreten, obwohl das sonst immer am 13.12. erst war. Und waren alle noch Pioniere geworden und kurz darauf fiel dann die Mauer und war alles perdu und es gab überhaupt keine Pioniere mehr. Das war schon irgendwo ein bisschen putzig. Also war uns diese Sorge, die uns eigentlich gar keine Sorge war, aber vielleicht meinen Verwandten, schon mal genommen. Und dann wars halt so, nachdem die Mauer fiel und es doch so einige Unruhen gab, im Ort auch, wo dann so Plakate überall hingen, SED aus der Schule raus, oder aus den Leitungen, und so was, wa, dass auch da wir ziemlich aktiv mit dabei waren, mein Mann musste dann mit an den Runden Tisch, hier im Ort, wo eben diskutiert wurde mit so einer ganz hundertprozentigen Schuldirektorin oder irgend so was, also wir waren schon da ziemlich mit involviert, in diesem Ganzen. Und letztendlich aber auch immer wieder froh, dass es so gekommen ist, denn ja, es ist schon was Tolles, was wir da miterleben durften(B, 457-490).
Die hier dargestellte politisch oppositionelle Haltung, die Nicht-Anmeldung des Sohnes in der Pionierorganisation, die Teilname an öffentlichen Demonstrationen und das christliche Engagement der ganzen Familie findet sich bei den interviewten Kinderdiakoninnen sehr selten. Die dezidierte Nicht-Teilnahme des Sohnes ist allerdings auch auf dem Hintergrund zu sehen, dass es schon für den Ehemann selbstverständlich war, nicht in die Pionierorganisation einzutreten. Kritik und Diskussionen an der Entscheidung durch die Verwandtschaft werden von Frau B formuliert. Die berufliche Sozialisation, die Ausbildung zur Kinderdiakonin und die private Sozialisation (Familie eines Pfarrers) waren bedeutend für die Identitätsentwicklung von Frau B, wobei zu vermuten ist, dass gerade die Heirat entscheidend für die Ausbildung eines elitären Habitus war. So wird der Bezug zu ihrem Mann, der sich im Kirchenvorstand engagiert, immer wieder hergestellt. Frau B betont häufig die Zeit der Wende, die für sie prägend war und in der den kirchlich Engagierten eine besondere und herausgehobene Rolle zukam. Im Interview selbst spricht Frau B von sich als evangelischer Erzieherin und nicht als Kinderdiakonin, das ist verwunderlich, da sie sich sonst auf die Tradition in ihrer Einrichtung bezieht.
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3.2.3.4 Habituelles Handeln im Transformationsprozess Die Angst um die Existenz des Kindergartens wird durch verschiedene Äußerungen von Frau B immer wieder deutlich. Die evangelische Kindertagesstätte konkurriert mit zwei weiteren Kindertagesstätten im gleichen Ort. Die Anmeldungen für einen Kindertagesstättenplatz sind stark zurückgegangen, eine Warteliste existiert, wie bereits dargestellt wurde, nicht. Zum Zeitpunkt des Interviews war die Einrichtung gemessen an der Zahl der beschäftigten Erzieherinnen unterbelegt. Der hohe Anteil derer, die den evangelischen Kindergarten als Kinder besuchten, aber als Eltern ihr Kind nicht dort anmelden, könnte ein Indikator dafür sein, dass die Konzeption der evangelischen Kindertagesstätte im Gegensatz zu den anderen Kindertagesstätten nicht weiter entwickelt wurde und nicht ansprechend ist. Die geringe Resonanz, die die evangelische Kindertagesstätte derzeit findet, ist eher ungewöhnlich, da Eltern, nach den Angaben der Kinderdiakoninnen, häufig ihre Kinder in der Kindertagesstätte anmelden, die sie selbst besucht haben. Allerdings wurde in Kap. 2.3 in der Analyse der Situation der evangelischen Kirche nach Pollack (2000a) bereits darauf verwiesen, dass gerade bei Heirat zwischen konfessionell gebundenen und atheistischen Partnern Kinder häufig nicht christlich erzogen werden. Durch die einfach durch die andere Zeit, die wir jetzt haben. Dass es eben einfach vorwärts gegangen ist, dass die Menschen anders geworden sind, dass die Eltern anders geworden sind, dass die es weniger Kinder gibt, dass die Kinder ehm, nicht mehr so viel mit Kindern zusammen sind wie früher, sondern mehr mit Erwachsenen. Und dass einfach die Kinder überbehütet sind, in den meisten Fällen. Also es sind viel zu viele Erwachsene um ein Kind rum, die alles dem Kind machen, es wird in Watte gepackt, sage ich mal, ich übertreibe jetzt ein bisschen, aber die kommen dann als Einzelnes, Individuum in den Kindergarten, und die Eltern erwarten natürlich, dass ihr Kind auch so behandelt wird. Und das, denke ich mir, hat schon eine ganz andere pädagogische Konsequenz als früher. (...) die Kinder sind dann auch zu Hause nicht mehr auf der Straße zu finden (...) Die gehen gar nicht mehr weg. Die sitzen nach dem Kindergarten zu Hause und gucken Fernsehen, spielen Computer, die wenigsten, die noch raus gehen. Weil die ja gar nicht alleine draußen spielen können, da haben die Eltern ja Angst. Kann ich auch nachvollziehen. Autoverkehr ist viel mehr geworden, und im Garten alleine spielen tun die Kinder auch kaum noch. Gut, wenn sie vielleicht Geschwister haben, in der Familie, dann mag das noch eher gehen, aber auch das wird ja immer weniger, dass sie Geschwister überhaupt haben, gell. Und wenn, dann haben sie manchmal Geschwister wo fünf, sechs, sieben Jahre oder noch mehr dazwischen sind. Da spielen die auch kaum noch zusammen, ja. Ja, und da ist einfach die pädagogische Konsequenz für uns, dass man viel mehr die Kinder zum Spielen animieren muss, das war früher nicht, die Kinder sind früh gekommen, da haben wir auf die Kindertische Bausteine geworfen, ja,
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dann sind die Kinder an den Tisch gekommen und haben eben miteinander gespielt. Und gebaut, oder gemalt an dem anderen Tisch, oder .... ja. Von ganz alleine, da musste keine Erzieherin hingehen und musste sagen: Komm, wollen wir mal hier, oder so, ja, das war nicht. Wir haben meistens sogar gerade wenns um Frühdienst ging, da haben wir manchmal Kopfkissen gebügelt, Handtücher zusammen gelegt, Aufhänger angenäht, alles solche hauswirtschaftlichen Sachen nebenbei gemacht, die Kinder, schon geguckt, dass sie keine Dummheiten machen, aber wir mussten uns nicht mit an den Tisch setzen, und die Kinder animieren zum Spielen. Und das ist heute eben ganz sehr, dass eben die Kinder, die fitten in vollen Kinderzimmern zu Hause und wissen nicht, was sie spielen sollen. Und so ist das im Kindergarten ähnlich. Ja, dann muss man wirklich jedes einzelne Kind förmlich dazu bringen, dass sie eben was machen(B, 609-661).
Bereits unter Kapitel 2.3.6 wurde die Situation der evangelischen Kindergärten in der DDR dargestellt, dort wurde auf die Begrenzung der finanziellen, räumlichen und personellen Bedingungen eingegangen. Aufgrund der prekären personellen Situation mussten Kinderdiakoninnen im stärkeren Umfang hauswirtschaftliche Tätigkeiten verrichten. Die Kinder waren während dieser Zeit im Freispiel mit den Spielmaterialien beschäftigt. Nach Frau B konnten sie sich in ein Spiel vertiefen und mussten nicht, im Gegensatz zu heute, zum Spielen motiviert werden. Die Begrifflichkeit den Kindern Bausteine auf den Kindertisch zu werfen lässt vermuten, dass im Freispiel weniger der Aspekt der Bildung, sondern nur die Betreuung im Vordergrund stand. Konnotiert wird damit, dass die Kinder eher sich alleine überlassen werden konnten, darüber hinaus gleichwohl der Aspekt, dass Kinder fügsamer, eigenständiger und weniger anstrengend waren. Sie konnten sich, da es in der Regel Geschwisterkinder waren, gut in eine Gruppe integrieren. Frau B als Leiterin findet den Anspruch der Individualität des Kindes in dem Ausmaß, wie es die Eltern fordern, unangemessen. Es schwingt hier der Vergleich zu früher mit, dass Eltern heute anspruchsvoller und kritischer geworden sind, aber ihre Kinder häufig dem Medium Fernseher überlassen. Diese Haltung der Eltern und ihr fehlendes Engagement in der Erziehung wird pauschal kritisiert und den Eltern die Kompetenz zur Erziehung abgesprochen. Da sie als Leiterin der Kindertagesstätte eine Vorbildfunktion hat und die Leitlinien vorgibt, werden auch die Mitarbeiter nicht zu einer engagierten Elternarbeit aufgefordert. Dadurch werden die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen in der Elternarbeit und der Arbeit mit Kindern nicht aufgegriffen und das pädagogische Konzept nicht entsprechend weiter entwickelt. Die Hauptaufgabe im Erziehungsauftrag wird darin gesehen, die Kinder zum Spielen zu animieren und die Integration in die Gruppe zu fördern. Ein Bildungsauftrag, der neue Aspekte der bundes- oder landesweiten Bildungsdiskussion aufgreift, wird nicht formuliert. Im Zusammenhang mit der Aussage zu dem Bild der Schwestern
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im Kindergarten verstärkt sich der Eindruck, dass die pädagogische Arbeit in der Einrichtung nicht weiter entwickelt wurde, obwohl eine Konzeption erstellt werden musste. In Bezug auf diese Konzeption wurde jedoch im Interview formuliert, dass diese für die Eltern nicht interessant sei und noch nicht verlangt wurde. Das hier vorherrschende, eher rückwärts gewandte Bild vom Kindergarten wird auch im neu entworfenen Prospekt deutlich.79 Der Umbruch und die damit verbundenen Veränderungen werden negativ wahrgenommen und mögliche Chancen negiert. Damit werden sie nicht als Bereicherung für die pädagogische Arbeit aufgegriffen, sondern als störender Faktor begriffen. Die Kompetenzen der Eltern und Kinder in den vielfältigsten Bereichen werden nicht in dem Maße, wie es notwendig wäre, geschätzt. Der Stellenwert des Konzeptes für die eigene pädagogische Arbeit wird nicht wahrgenommen. Eltern wird die Kompetenz der Bewertung abgesprochen, der nicht mehr vorhandene Status und die Position der Erzieherin führt dazu, dass außerdem die Beweggründe für die Anmeldung in einem Kindergarten durch Frau B abgewertet werden.
3.2.3.5 Coping-Strategien und Resümee Die Attraktivität der evangelischen Kindertagesstätte ist gering, obwohl im Ort mehr evangelische Christen wohnen als in anderen Orten oder Städten. Dies wird durch die hohe Anzahl der Jugendlichen belegt, die an der Konfirmation teilnehmen. Die für die Kindertagesstätte möglicherweise ungünstige Situation, nicht einer ostdeutschen Landeskirche anzugehören, manifestiert sich nach Ansicht von Frau B darin, dass der direkte Zugang zu wesentlichen Informationen des Landes und seinen Verwaltungsvorschriften fehlt. Die Zugehörigkeit zur westlichen Landeskirche wird in der unterschiedlichen Handhabung von Religionsunterricht deutlich. Christenlehre, welche im Ort nachgefragt, aber nicht angeboten wird, wird auch von den Kinderdiakoninnen nicht als Angebot formuliert. So für die Kindertagesstätte und ihre religionspädagogische Arbeit zu werben wird abgelehnt, da dies ehrenamtlich erfolgen müsste. Aus Sicht von Frau B
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Ein zentraler Aspekt im Prospekt der betrachteten evangelischen Kindertagesstätte steht unter der Rubrik Spielend lernen. Es wird die Aussage formuliert, dass das Spielzeug liebevoll und bewusst ausgesucht worden ist. Die Kinder finden in den Gruppenräumen alles, was das Herz begehrt, Puppenecken, Kaufmannsladen, Holzeisenbahnen und Legobausteine. Die Sprache vermittelt den Eindruck, dass eher die Erwachsenen als die Kinder angesprochen werden sollen. Deutlich wird, dass diese Aussage nichts über die Qualität des Kindergartens aussagt, da dies Spielmaterialien sind, die in jedem Kindergarten zur Ausstattung gehören. Der Bezug zu den Anforderungen, denen Kinder heute gerecht werden müssen, Bildung im 21. Jahrtausend, fehlt in diesem Prospekt, der zur Öffentlichkeitsarbeit und damit zur Werbung dienen soll.
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ist dies neben der anstrengenden pädagogischen Arbeit nicht leistbar. Die bereits dargestellte hohe Zahl der Konfirmationen deutet darauf hin, dass die evangelische Kirche im Ort und in der Umgebung ihre Bindungskraft nicht verloren hat. Allerdings werden die Kinderdiakoninnen und die evangelische Kindertagesstätte dem Anspruch der christlichen Eltern durch die mangelnde pädagogische Entwicklung und das ehrenamtliche Engagement nicht gerecht. Eltern, die in der DDR eine Alternative zum staatlichen Kindergarten suchten, sind als Kunden weggefallen, da das Angebot breit gefächert ist. Obwohl Frau B als Leiterin an einer Fortbildung zum Qualitätsmanagement teilgenommen hat, werden die Eltern nicht als Kunden begriffen, sondern in ihren Ansprüchen und Kompetenzen abgewertet. Die DDR, aber insbesondere die Wende und staatliche Wiedervereinigung, werden von Frau B als prägende Erlebnisse und Erfahrungen begriffen. Die damit einhergehenden gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen, die Auswirkungen auf Eltern und Kinder haben, werden aber nicht im notwendigen Ausmaß wahrgenommen. Frau B nutzte vorrangig emotionale Coping-Strategien, um den Umbruch und die Krise zu bewältigen. Konzeptionelle Entwicklungen werden auf Wunsch des Trägers umgesetzt, dennoch nicht als Chance begriffen. Insgesamt fällt der passive Charakter der Darstellung der pädagogischen Arbeit auf. Im Interview ist die sehr detaillierte Darstellung des herausgehobenen Status der Kinderdiakonin auffällig, die im Falle von Frau B noch verstärkt wurde durch die Heirat mit dem Sohn eines Pfarrers. Durch ein Beharren auf diesem elitären Status kompensiert Frau B den Verlust der besonderen Position als Christin, die mit der staatlichen Wiedervereinigung verloren ging. Als Indiz dafür kann die Abwertung der westlichen Landeskirche gesehen werden, da gerade im direkten Kontakt mit westlichen evangelischen Erzieherinnen der elitäre Habitus nicht gewahrt werden kann. Den westlichen evangelischen Erzieherinnen fehlt die religiöse Einstellung, die in den Fortbildungen nicht sichtbar wird.80 Die Fremdheit unter den westlichen Erzieherinnen ängstigt, da sie sich als Exot fühlt und pädagogisch anders arbeitet. Insbeson80
Frau B. erklärt ihr Befremden darüber, dass viele Erzieherinnen in Westdeutschland nicht der Kirche angehören. Dippelhofer-Stiem und Kahle (1995) stellen dar, dass für das professionelle Selbstverständnis der Erzieherinnen in einem evangelischen Kindergarten abhängig vom Alter die religionspädagogische Arbeit im Vergleich zu konzeptioneller Arbeit oder der Notwendigkeit, sich mit wissenschaftlichen Theorien zu beschäftigen, nicht im Vordergrund steht, allerdings auch Bedeutung hat. Das Vorurteil, westliche Erzieherinnen wären häufig nicht in der Kirche, kann an dieser Stelle nicht nachgeprüft werden, allerdings kann davon ausgegangen werden, dass ein Träger, der von seinen Mitarbeiterinnen religionspädagogische Arbeit als ein zentralen Bestandteil der pädagogischen Tätigkeit im Kindergarten erwartet, Wert auf die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche legt. Nach Dippelhofer-Stiem und Kahle sind für die evangelische Kirche nicht nur die religionspädagogische Arbeit im Kindergarten, sondern auch die ehrenamtliche Arbeit in der Kirchgemeinde Erwartungen, die regelmäßig an die Mitarbeiterinnen gestellt werden.
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dere hat sie ein anderes Verständnis von religionspädagogischer Arbeit, dass das gemeinsame Singen und Beten in den Vordergrund stellt. In der Begegnung mit den staatlich geprüften Erzieherinnen (Westdeutschland) muss die Berufsbezeichnung der Kinderdiakonin erst erklärt werden, was die Fremdheit verstärkt und den eigenen elitären Status mindert. Bedeutsam in diesem Kontext ist, dass in der Erzählung über die eigene Ausbildung hervorgehoben wurde, dass diese nach westlichem Vorbild und Maßstäben geschah. Dies hilft zwar, im Vergleich zu den staatlichen Kindergärtnerinnen den elitären Status zu wahren, ist aber im direkten Vergleich mit westlichen Erzieherinnen nutzlos. Hier wird in der Gegenüberstellung mit dem religionspädagogischen Profil versucht, die besondere Position zu belegen. Der herausgehobene Status, den Frau B in der DDR hatte und der wesentlich zu ihrem beruflichen Habitus beitrug, ist mit der staatlichen Wiedervereinigung und der direkten Begegnung mit westlichen Erzieherinnen obsolet. Eine kirchliche Ausbildung zu besitzen, sich als oppositionell zu begreifen, in einer konfessionellen Einrichtung zu arbeiten, hat in diesem Rahmen keine Wertigkeit. Der scheinbare berufliche Vorsprung durch die westliche Ausbildung im Seminar für kirchlichen Dienst und die Möglichkeit, sich gegen staatliche Kindergärtnerinnen positiv abzuheben, ist weggefallen. Die fehlende gemeinsame Vergangenheit in der Ausbildung wie auch die anders gelagerten Probleme in Ost- und Westdeutschland erschweren die Kommunikation. Die Teilnahme an den Fortbildungen, die einen Aspekt des professionellen Handelns darstellen, werden sowohl von Frau B als auch von ihren Mitarbeiterinnen abgelehnt, da sie im Gegensatz zu früher davon nicht in ihrer täglichen pädagogischen Arbeit profitieren können. Gerade bei Fortbildungen fehle der Praxisbezug, fehlten Anregungen (Bastelideen, Lieder und dergleichen), die unmittelbar in der Einrichtung umgesetzt werden können, etwas was früher immer gegeben war. Fortbildungen werden als nicht effektiv bewertet und die Nicht-Teilnahme an diesen damit gerechtfertigt, dass sie und ihre Mitarbeiter den Eindruck haben, sich an diesen Tagen nur entspannen zu müssen und keine wirklichen Inhalte vermittelt zu bekommen. Zwar wird an Fortbildungen teilgenommen, aber die Inhalte fließen nicht in dem notwendigen Maße in das professionelle Handeln ein. Zusammenfassend lässt sich sagen: Es werden von Frau B überwiegend emotionale Coping-Strategien genutzt, um die mit dem Umbruch einhergehenden Veränderungen zu bewältigen. Kennzeichnend ist ein elitärer Habitus, der auf der herausgehobenen Rolle und Position in der DDR beruht. Der Verlust der elitären Position ist besonders im direkten Kontakt mit westlichen evangelischen Erzieherinnen kränkend. Die Konkurrenzsituation mit den anderen Kindertagesstätten vor Ort führt nur bedingt zu konzeptioneller Arbeit oder einem aktiven Engagement im Ort, sie wird eher emotional und hilflos registriert. Die elterliche Kompetenz und der elterliche Anspruch werden abgewertet. Die Pluralisie122
rung von Werten, die Individualisierung, die Bestandteil des Transformationsprozesses sind, werden nicht in ihrer Bedeutung für den Einzelnen erkannt und für die pädagogische Arbeit mit Kindern und Eltern in dem notwendigen Umfang genutzt. Problemen und Möglichkeiten der Moderne wird mit traditionellen Methoden begegnet. Angebote, die für die Förderung der Entwicklung der Kinder notwendig wären, werden im Interview nicht thematisiert. Die provokante Aussage mit der dieser Falltyp überschrieben ist, kennzeichnet wesentliche Handlungsstrategien von Frau B.
3.2.4 Frau C Wir sind wirklich durch dick und dünn gegangen und es hat jeder Anerkennung gefunden. Die Überschrift steht zentral für die Erfahrungen und Erlebnisse von Frau C (50 Jahre) am Seminar für kirchlichen Dienst sowohl am Internat als auch während der gesamten Ausbildung. Frau C stellt mit ihrem Schulabschluss der 8.Klasse eine Ausnahme dar, da in der Regel Voraussetzung für die Aufnahme am Seminar für kirchlichen Dienst der erfolgreiche Abschluss der 10. Klasse war. Gleichwohl finden sich in der Analyse der Personalunterlagen vom Seminar für kirchlichen Dienst in Eisenach einige junge Frauen, die über einen Abschluss nach der 8. Klasse verfügten und die dann an der Volkshochschule den Abschluss der 10. Klasse nachholten, dies in der Regel zusammen mit der Arbeit in der Vordiakonie.81 Gemeinsam ist den jungen Frauen, dass sie häufig ein schlechtes Zeugnis besaßen und aus einem christlichen Elternhaus kamen, so bot sich durch die Vordiakonie die Möglichkeit, einen qualifizierten Abschluss zu erwerben. Frau C ist Leiterin einer evangelischen Kindertagesstätte in einem Ort mit ca. 2400 Einwohnern. Der Ort besitzt neben der evangelischen Kindertagesstätte eine weitere größere Kindertagesstätte, die ehemals kommunal jetzt in freier Trägerschaft ist.
81 Die Vordiakonie wurde von einzelnen Mutterhäusern in der DDR eingeführt. Sie sollte es jungen christlichen Schulabgängerinnen (ca. 14 Jahre), die nicht über einen Abschluss der 10 Klasse verfügten, ermöglichen, Vorstellungen über einen möglichen Beruf zu entwickeln. Die jungen Frauen wurden betreut von Diakonissen (vgl. http://www.diakonie-goerlitz.de/ aktuelles_interview_mit_schwester_emma_hanke.html, letzter Aufruf am 02.04.2007).
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3.2.4.1 Kindheit und berufliche Motivation Frau C kommt aus einem christlichen Elternhaus und hatte aus diesem Grund Schwierigkeiten in der Schule. Ich bin, komme aus nem christlichen Elternhaus und hab dann auch sehr große Schwierigkeiten gehabt in der Schule und äh als es dann hieß, ich gehe zur Kirche halt nach der achten Klasse. Das war auch ein Grund, warum ich mit der achten Klasse die Schule verlassen habe. Also weil auch die Lehrer da voll mitgezogen haben und hatte da eigentlich nichts viel zu Lachen und da bin ich eigentlich dann ab der achten Klasse raus und ich wusste dann, dass es ne Vordiakonie gibt und wusste eigentlich gar nicht, wie es weitergehen sollte (C, 10-17).
Die ganze Schulzeit wurde durch die Schwierigkeiten mit den Lehrern bestimmt, zumal sie das Gefühl hatte, für die gleichen Leistungen schlechtere Noten zu erhalten. Frau C spricht in diesem Kontext davon, dass sie gebumeiert wurde. Im Gegensatz zu anderen wurden bei ihr vor allem die mündlichen Leistungen bewertet, dies erfuhr sie als besonders tragisch, da sie im Mündlichen bei Aufregung ins Stocken und Stammeln geriet. Dies wird von ihr als bewusste Benachteiligung interpretiert, um ihre Leistungen möglichst schlecht beurteilen zu können. Aufgrund ihrer christlichen Einstellung hatte sie eine Außenseiterposition in der Klasse und erfuhr von dieser keine Unterstützung. Äußerungen der Lehrer wie: Da kommt ja die Kirche, wurden von Mitschülern aufgegriffen. Aufgrund dieser Situation hatte sie insgesamt starke Hemmungen in der Schule. Frau C wurde christlich erzogen, so waren sowohl die Großeltern wie auch die Eltern christlich engagiert und besuchten die Gottesdienste. Demzufolge war es für sie selbstverständlich, sich ebenfalls als Jugendliche in der Jungen Gemeinde und im Kreisjugendkonvent zu engagieren. In dieser Gemeinschaft erfuhr sie Unterstützung und Anerkennung. Mit dem Eintritt in die Vordiakonie, in der sie in verschiedenen Häusern im hauswirtschaftlichen Bereich eingesetzt wurde, lernte sie zum ersten Mal eine Institution kennen, in der sie für ihre erbrachten Leistungen Anerkennung und Bestätigung erfuhr. Nach der Zeit der Vordiakonie begann sie die Ausbildung zur Kinderdiakonin am Seminar für kirchlichen Dienst.
3.2.4.2 Berufliche Sozialisation - die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst und erste praktische Erfahrungen Die Darstellung der Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst ist sehr ausführlich, detailliert und lebhaft. Die Erzählung basiert auf vielen einzelnen Epi124
soden, die das Internatsleben und die Gemeinschaft, ferner den partnerschaftlichen Umgang mit den Dozenten beinhaltet. Mit anderen neuen Seminaristinnen erfuhr Frau C zum ersten Mal eine schulische Gemeinschaft, in der sie integriert war, die im Gegensatz zu anderen Kursen durch einen besonderen Zusammenhalt selbst im Seminar für kirchlichen Dienst auffiel. Die tolle Truppe initiierte Aktionen, es wurde Blödsinn gemacht und gestreikt, wobei sich keine ausschloss und alle gemeinsam für die Folgen einstanden. Beispielhaft soll dies anhand eines Streiks der Seminaristinnen dargestellt werden, wie er in ähnlicher Form in anderen Seminaren für kirchlichen Dienst geprobt wurde. Gestreikt wurde, als der Unterricht eines Dozenten am Freitag ausfiel, während am nachfolgenden Samstag der Unterricht planmäßig stattfinden sollte. Von dem Kurs wurde als Kompromiss die Verlegung des Samstagunterrichtes auf Freitag beantragt. Aus der Erzählung wird nicht konkret ersichtlich, was genau passierte, offenbar fuhren die jungen Frauen einfach nach Hause, was dann zu Schwierigkeiten führte. In den folgenden Diskussionen waren die Dozentinnen von dem Zusammenhalt der Gruppe beeindruckt. Es konnte für den Streik kein Verantwortlicher gefunden werden, und letztlich mussten die verpassten Stunden nur nachgeholt werden. Wir hatten eigentlich nen offenen Unterricht, dass heißt, wir saßen da nicht Bankreihen, wir hatten nen großen Tisch, da saßen wir drumherum. Und, da wurde dann der Unterricht gehalten, also mit Gespräch mit, locker, wir hatten ja keine Bücher, wir haben natürlich fleißig mitgeschrieben. Und das war eigentlich auch ne offene Art, äh, die Frau (), ich weiß, vor der hatten wir alle Respekt, sehr großen Respekt. Und die hat sich alle Mühe gegeben und wenn die rein kam, war ne Totenstille. Und am Anfang hat die eben so gedacht, wir sind alle so, bei jedem so. Und dann hatte sie mal so mitgekriegt. Was, och da mach ich was verkehrt! Bei Ihnen is das nich so schön ruhig! Bei mir hört man die Uhr ticken! Und da hatten sie sich mit uns zusammen getan. Wir lassen den Unterricht ausfallen, die gehen heut wandern. Hammer unseren Unterricht fertig gemacht und dann wo se dann praktisch sie dann dran war, simmer durch die ()herberge wandern gegangen. S war n Freitag und auf ´n Wiesn gesessen ham Blumen, Gänseblümchen gepflückt und ham uns Kränzchen gemacht, sie mit und dann sin mer in Zug irgendwann abends eingestiegen, ´s war Freitag, die ganzen Studenten warn im Zug, sin wir da rein, im Bahnhof ham se uns schon mit Hallo empfangen in () raus un dann sin mer durch die Stadt marschiert war wunderbar! Und am Montag kam se in Unterricht, war wieder ne Totenstille (C, 721-742).
Am Seminar für kirchlichen Dienst beeindruckten sie der partnerschaftliche Charakter, der Aspekte der Erwachsenenbildung integrierte, und die Ablehnung des Frontalunterrichtes. Dennoch hatten ihr Kurs und sie großen Respekt vor den Dozenten, besonders vor einer Dozentin. Diese bemühte sich um ein weniger 125
distanziertes Verhältnis zu den Seminaristinnen und griff auf eine eher ungewöhnliche Methode der Unterrichtsgestaltung zurück. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die vielfältigen Möglichkeiten, die aufgrund des gemeinsamen Wohnens, Lebens und Unterrichtes bestanden, die Beziehungen zwischen Dozentinnen und Seminaristinnen beeinflussten. Gemeinsam mit anderen interviewten Kinderdiakoninnen dieses Seminars betont Frau C den freiheitlichen Charakter dieses Seminars. Insgesamt wird sowohl die Ausbildung wie auch das gemeinsamen Leben im Internat als Gewinn für das eigene Leben bewertet. Frau C schätzte im Gegensatz zu anderen Seminaristinnen die gemeinsamen Wochenenden, die die Gemeinschaft stärkten und durch den gemeinsamen Besuch des Gottesdienstes und der Freizeitgestaltung bestimmt wurden. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Anerkennungsjahres wurde ein Teil des Kurses in das Amt der Kinderdiakonin eingesegnet. (...) nach dem Jahr dann die Einführung, die Einsegnung als Kinderdiakonin der ()Kirche in (). Hatte auch von meinem Kurs die Hälfte mitgemacht, die anderen waren dann meistens schon alle im Babyjahr oder ham Baby bekommen, hatten dann das Jahr nicht voll machen können (C, 183- 187).
Dass die Ausbildung aufgrund von Erziehungszeiten unterbrochen werden musste, war kein Einzelfall, in der Regel fiel die Unterbrechung mit dem Anerkennungsjahr zusammen. Nach der Erziehungszeit musste das mit praktischen Aufgaben verbundene Anerkennungsjahr (Hospitationen, praktische Prüfung) absolviert werden, wobei gerade dies durch seinen hohen Anspruch für viele Praktikantinnen eine besondere Herausforderung darstellte. Habitus als Kinderdiakonin Neben der eigentlichen pädagogischen Arbeit im Kindergarten engagierte sich Frau C in der Jungen Gemeinde, die sie gemeinsam mit dem Pfarrer leitete. Die Aufgaben wurden durch die fachliche Zuständigkeit aufgeteilt. Neben diesem Engagement war sie im Kreisjugendkonvent und im Landesjugendkonvent aktiv. Später hab ich die Junge Gemeinde, war ich in der Jungen Gemeinde und dann von der Jungen Gemeinde aus im Kreisjugendkonvent. Und vom Kreisjugendkonvent bin ich als Landesjugendkonvent gewählt worden damals. Da hamma praktisch damals auch die wir seitens der Kirche den Jugendsonntag und so aufgebaut und so in der Richtung damals war doch gerade hier gerade Schwerter zu Pflugscharen, ganz groß n paar mal von drüben waren so ne Jugendgruppe von () war da da. Da ham wir uns in () glaube getroffen. Das war auch mal s Wochenende über. Und haben dann mit denen zusammen gesessen, ham so n bissl ausgetauscht und die ham uns dann auch diese Aufnäher auf irgend welchen Wegen rübergeschleust. Und da hab ich
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damals auch schon gemerkt, mit dieser Truppe fühlte ich mich halt, da hab ich mich ja wohl gefühlt, ne (C, 422-434).
Frau C kam durch ihr Engagement im Landesjugendkonvent in Kontakt mit Friedensinitiativen des Bundes der evangelischen Kirchen der DDR. Hintergrund der Friedensinitiativen war 1978 die Einführung des Pflichtfaches Wehrerziehung an den DDR-Schulen. Der Bund der evangelischen Kirchen formulierte daraufhin Widerspruch und legte ein Alternativprogramm Erziehung zum Frieden vor. In verschiedenen Kirchgemeinden entstanden staatskritische und unabhängige Friedensinitiativen, die vor allem von jungen Menschen getragen wurden. Das Symbol, der Aufnäher, ist das Abbild einer sowjetischen Skulptur mit dem Schriftzug Schwerter zu Pflugscharen, das zum ersten Mal als Lesezeichen bei der Einladung zum Gottesdienst am Ende der ersten Friedensdekade 1980 (Buß- und Bettag) von evangelischen Jugendgruppen verwendet wurde.82 Der Aufnäher, der für viele Jugendliche einen Ausdruck ihrer Friedenssehnsucht in der DDR darstellte, wurde auf Straßenkleidung, Mäntel, Mützen, Taschen usw. getragen.83 Ab dem 1. November 1981 durfte der Aufnäher nicht mehr in der Öffentlichkeit getragen werden, da er als ein westlicher Import wehrkraftzersetzend sei und dem gesellschaftlichen und staatlichen Bemühen zum Schutz des Friedens zuwiderlaufe. Die Aufnäher mussten von der Bekleidung entfernt werden, ansonsten wurden die Träger mit massiven Sanktionen seitens des Staates (Nichtzulassung zum Abitur, Verweigerung der gewünschten Lehrstelle usw.) gestraft. Pädagogen und Polizisten hatten die Möglichkeit, den Aufkleber aus dem Bekleidungsstück herauszuschneiden oder dieses zu beschlagnahmen.84 Aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass Frau C, die im Rahmen der Kirche Gemeinschaft und Anerkennung erfuhr, sich mit den provokanten und gefährlichen Protestaktionen solidarisierte. Ihr in diesem Rahmen öffentliches Engagement für den Frieden hebt sie von den meisten befragten Kinderdiakoninnen ab. Durch ihre Tätigkeit als kirchliche Mitarbeiterin stand sie im Gegensatz zu Schülern, Studenten und Lehrlingen, die das Gros der engagierten Friedensaktivisten ausmachten, im Schutz der Kirche, so dass viele der Repressionen auf sie nicht anwendbar waren.
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Das Motto der Friedensdekade war Frieden schaffen ohne Waffen. Das Lesezeichen (120000 Stück) wurde in der Herrnhuter-Brüdergemeinde auf Vliesstoff gedruckt, da dieses als Textiloberflächenveredelung galt und nicht genehmigungspflichtig seitens des Staates war (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Schwerter_zu_Pflugscharen: letzter Aufruf 02.04.2007). 83 Auf das Pardon der westdeutschen Friedensbewegung soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden, da es für das Verständnis der Situation der Biographie nicht notwendig ist. 84 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Schwerter_zu_Pflugscharen: letzter Aufruf 02.04.2007
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Frau C bringt zum Ausdruck, dass sie sich durch ihr Engagement in der Kirche und der Friedensbewegung der DDR als politische Opposition verstand und die evangelische Kirche als Opposition zum Staat begriff.85 Dies verdeutlicht einen gleichfalls von anderen Kinderdiakoninnen angesprochenen Beweggrund vieler Eltern für die Wahl eines kirchlichen Kindergartens. Die Kirche wurde weithin als Gegenöffentlichkeit und oppositionelle Kraft wahrgenommen. Der persönliche Habitus von Frau C wurde durch ihr Engagement als Christin gekennzeichnet. Im Gegensatz zu vielen Kinderdiakoninnen musste sie ihre Tätigkeit als kirchliche Mitarbeiterin in der DDR allerdings gegenüber Freunden und Bekannten, die die geringe Entlohnung kritisierten und ihre Tätigkeit mit der Aussage für so wenig Geld würde ich nicht aufstehen abwerteten, rechtfertigen. Ihr Engagement als Christin für und in der evangelischen Kirche war für sie teilweise mit Angst besetzt, deren Ursache allerdings von ihr nicht genau erläutert wird. Es ist zu vermuten, dass das Gefühl der Angst durch die Erfahrungen in der Schule hervorgerufen wurde. Diese Angst wird von ihr im Interview immer wieder thematisiert und stellte für sie eine wesentliche Einschränkung ihrer Persönlichkeit dar. Die staatliche Wiedervereinigung war für Frau C mit der Freiheit verbunden, den Glauben als Ausdruck der Persönlichkeit öffentlich leben zu können. Die Möglichkeit, sich in der BRD ohne Angst als Christ zu bekennen, ist für sie die Ursache, dass die Bindungskraft der Kirchgemeinde im Transformationsprozess durch den Eintritt junger Menschen größer und lebendiger geworden ist.
3.2.4.3 Habituelles Handeln im Transformationsprozess Frau C wurde aufgrund der überraschenden Kündigung der ehemaligen Leiterin des evangelischen Kindergartens im Transformationsprozess kurzfristig zur neuen Leiterin ernannt. Die Übernahme der Leitung erfolgte nicht aufgrund einer eigenen Bewerbung und es wurde von Frau C eher bezweifelt, dass sie sich der Aufgabe gewachsen fühlte. Da es sich bei der Einrichtung um eine kleine Kindertagesstätte handelte und sie bereits seit der Ausbildung in dieser tätig war, war sie letztlich bereit, die Leitungsfunktion zu übernehmen.
85 Im Gegensatz zu dem Motto der evangelischen Friedensbewegung stand die Aktion der FDJ unter dem Motto: Der Frieden muss verteidigt werden der Friede muss bewaffnet sein. In diesem Kontext wird auch die Spannung, in der sich viele junge Christen in der DDR befunden haben, die auf der einen Seite kirchlich in der Jungen Gemeinde engagiert und gleichzeitig Mitglied in der FDJ waren, deutlich.
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Im Gegensatz zu der detaillierten Schilderung der Ausbildung und ihrer Erlebnisse als Christin in der DDR wird der religionspädagogischen Arbeit in der Einrichtung im Interview nur wenig Raum gegeben. Deutlich wird, dass sie einen Morgenkreis und biblische Geschichten beinhaltet und dass der evangelische Kindergarten in die Gestaltung von Familiengottesdiensten eingebunden ist. Auch wenn die Wende und die staatliche Wiedervereinigung für Frau C persönlich einen Gewinn darstellen, da ihr Engagement als Christin in der DDR mit Angst besetzt war, kristallisiert sich heraus, dass der herausgehobene Status des evangelischen Kindergartens im Transformationsprozess verloren gegangen ist. Die Einrichtung steht in Konkurrenz zu einer Kindertagesstätte, die in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen wird. Die geringere öffentliche Wirkung ihrer Kindertagesstätte erklärt Frau C damit, dass es der Einrichtung noch nicht gelungen ist, ihre Konzeption von Bildung öffentlichkeitswirksam zu präsentieren und dass in der kommunalen Verwaltung bei Anfragen immer auf den anderen, ehemals kommunalen Kindergarten verwiesen wird. Ebenso wie Frau B schätzt sie den Stellenwert des pädagogischen Konzeptes eher gering ein, da Eltern ihre Kinder nur auf Empfehlung von Freunden anmelden würden. Und haben eigentlich auch gar (1), irgendwie gar keine Vorstellung davon. Ich hab das schon mal gehört, dass dann welche gesagt hatten, na ihr macht doch sowieso keine Beschäftigung, bei Euch lernen sie doch sowieso nüscht, äh, ihr betet doch nur hier biblische Geschichte und (1), dass ich manchmal gesagt hab, wir müssten eigentlich so viel populärer machen. Aber ich denke, das sind auch welche, die das auch nicht interessiert (C, 473-482).
In den Augen von Frau C tragen Vorurteile dazu bei, dass die Qualität der pädagogischen Arbeit der evangelischen Kindertagesstätte nicht angemessen eingeschätzt wird. Woher diese Vorurteile resultieren, wird von ihr allerdings nicht erklärt. Deutlich wird, dass es ihr nur bedingt gelingt, die pädagogische Arbeit im direkten Gespräch mit Eltern zu erläutern. Es drängt sich im Interview der Eindruck auf, als würden die Eltern eher von der Gemütlichkeit der Einrichtung und dem freiheitlichen Charakter der offenen Arbeit und weniger mit inhaltlichen Kriterien überzeugt. Aus der Vertrautheit mit einigen Eltern, die ehemals Kindergartenkinder waren, resultieren Schwierigkeiten, da neu zugezogene Eltern sich ausgegrenzt und fremd fühlen. Elternarbeit heißt in der Kindertagesstätte unter anderem auch Arbeitseinsätze der Eltern, um Renovierungen und Umbauten vorzunehmen. Diese Arbeitseinsätze werden bewusst genutzt, um eine Möglichkeit des Kennenlernens von Alteingesessenen und Zugezogenen zu schaffen. Die pädagogische Arbeit wird von Frau C als stark belastend empfunden, den privaten Aufgaben und Interessen kann sie sich erst nach einer gewissen 129
Ruhephase zuwenden. Die mit dem Transformationsprozess einhergehenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und familialen Veränderungen werden als schwierig für die eigene Arbeit mit Eltern und Kinder erlebt. Besonders der Medienkonsum und die Gewalttätigkeit von Kindern werden als problematisch erfahren. Speziell dem montags gezeigten Verhalten der Kinder fühlt sie sich nicht gewachsen. Schwierigkeiten bereitet ihr und ihren Mitarbeiterinnen der fachliche Anspruch des Trägers, der den Situationsansatz einführen will. Alle Mitarbeiterinnen nehmen an den angebotenen Weiterbildungen zum Situationsansatz teil, dort wird ihnen jedoch noch stärker die Komplexität des Ansatzes bewusst und die Grenzen in der eigenen Umsetzung. Ein weiteres Problem stellt für die Mitarbeiterinnen die Elternarbeit dar, der sie sich aufgrund des Anspruchs und der Kompetenzen der Eltern nicht gewachsen fühlen. Insbesondere die Aufgabe des Sauberwerdens von Kindern und die Einstellung der Eltern zu diesem Thema stellt für sie eine Herausforderung dar. Insgesamt werden der Kindertagesstätte mehr Aufgaben übertragen, die früher selbstverständlich von den Eltern oder der Krippe übernommen wurden. Diese neuen Aufgaben werden bedingt durch die Größe der Gruppen, das Selbstbewusstsein der Kinder und den Bedarf der Eltern als kaum machbar empfunden. Die Kinder sind erst mal ganz anders wie früher. Wir haben ganz anderes Selbstbewusstsein, is gut so, auf der einen Seite. Aber ich muss Ihnen auch sagen, es ist anstrengender geworden. Die Kinder brauchen viel, viel mehr Aufmerksamkeit (1) wie vorher. Ich hab da so den Hintergrund gesehen, manche haben Eltern, die sind so voll im Beruf drinne, wenn die nach Hause kommen, sind die breit. Oder das andere krasse, sie sind zuhause, arbeitslos. Und da fängts ja an, warum, wieso, weshalb und dass das auch ne Rolle spielt und das Kind eigentlich bei manchen, nicht bei allen, aber manchen Familien zu kurz kommt. Und dann im Kindergarten mehr aufarbeiten muss an den Kindern. Äh, äh und dann haben wir bei den Kinder, was es früher gar nicht gegeben hat, mit drei Jahren kommen die hierher und können, n volles Windelpaket um, se können noch nich Essen mit de Hände. Mit den Händen gehts da rein und wo ich (1) hab ich jetzt gerade so n Kind, das voll mit den Händen danein langt, weiß gar nicht was los is, halt. Was wirklich, wo ich gesagt hab, dass hätte schon n Jahr früher kommen können. Und dann auf nen Dreijährigen dann noch einzuwirken und das in ne Richtlinie zu kriegen, is viel schwerer wie wenn man n Zweijähriges hat. Und das dann praktisch, das kann man mehr formen (C, 619-637).
Frau C stellt die Berufstätigkeit der Eltern als anspruchsvoller und stressiger als früher dar. Die Eltern würden den Bedürfnissen der Kinder nicht immer in dem Maße gerecht, wie dies notwendig wäre, dies wird sowohl auf die Arbeitslosigkeit als auch die Erwerbstätigkeit zurückgeführt. Die fehlenden Vorleistungen von Kinderkrippe oder Elternhaus erschweren die pädagogische Arbeit mit den 130
Kindern, wobei Frau C in Bezug auf die Erziehung den Begriff des Formens benutzt. Diese Terminologie ist schwierig zu interpretieren, die Darstellung hebt sich von den Auffassungen anderer Kinderdiakoninnen allerdings ab.
3.2.4.4 Coping-Strategien und Resümee Frau C ist eine der wenigen Kinderdiakoninnen, die zunächst nur über einen Abschluss der 8. Klasse verfügte, um damit in die Vordiakonie und anschließend in die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst einzutreten. Im Gegensatz zu anderen Kinderdiakoninnen berichtet sie über Repressionen seitens der Mitschüler und der Lehrer aufgrund ihres Engagements in der evangelischen Kirche. Die Darstellung der Vergangenheit, die sich insbesondere auf die Ausbildung im Seminar für kirchlichen Dienst und der dort erlebten Gemeinschaft bezieht, nimmt breiten Raum in der gesamten Darstellung ein. Dies liegt möglicherweise daran, dass Frau C im Vergleich zu anderen Kinderdiakoninnen sehr viele Notizen für das Interview als Vorbereitung angefertigt und sich sehr gewissenhaft nicht nur mit Inhalten der Ausbildung, sondern auch mit der eigenen Geschichte und Biographie auseinandergesetzt hat. Im Vordergrund der Darstellung steht weniger das professionelle Selbstbild, sondern die biographische Erzählung von Frau C, die sich detailliert an viele Erlebnisse mit Seminaristinnen und Dozentinnen erinnert. Deutlich wird die Geborgenheit, die sie in der evangelischen Kirche und im Seminar für kirchlichen Dienst erfahren hat. Im Gegensatz zu anderen Kinderdiakoninnen formuliert sie, dass die evangelische Kirche nach der staatlichen Wiedervereinigung an Attraktivität gewonnen hat. Es gelingt ihr als Leiterin nicht, die Konzeption der evangelischen Kindertagesstätte ausreichend in der Öffentlichkeit zu präsentieren und für diesen zu werben. Die Anmeldungen für einen Kindergartenplatz geschehen nach ihrer Ansicht eher zufällig und stehen nicht in Bezug zur konzeptionellen Arbeit einer Einrichtung. Die eigene Konzeption wird mit der Wahlmöglichkeit der Kinder durch die offene Arbeit, die damit ihre Bezugserzieherin wählen können, und die religionspädagogische Arbeit, insbesondere dem Erzählen von biblischen Geschichten, dargestellt. Die Aufnahmegespräche, die einen zentralen Aspekt der professionellen Arbeit insbesondere der Elternarbeit darstellen, werden nur am Rande thematisiert. Die Elterngespräche können aufgrund der Vertrautheit zu einzelnen Eltern unterschiedlich gestaltet werden. Problematisch gestalten sich Elterngespräche, die auf Wunsch der Mitarbeiterinnen und Frau C stattfinden, da dies in der Regel erst aufgrund der Entwicklung oder des Verhaltens des Kindes passiert. Diese Gespräche sind mit Angst konnotiert. Begründet wird dies damit, dass die Eltern Probleme nicht wahrhaben wollen und diese nach Möglichkeit abwehren. Durch
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ihre Sensibilität gelingt es ihr in der Regel, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. Der Schwierigkeit, Elterngespräche zu führen, steht auf der anderen Seite die Fähigkeit entgegen, Zugezogene und Alteingesessene durch gemeinsame Arbeiteinsätze und Aktivitäten ins Gespräch zu bringen und die Kindertagesstätte damit als Gemeinwesenprojekt zu öffnen. Eltern wird somit die Möglichkeit gegeben, sich im Ort zu integrieren und Kontakte zu knüpfen. Elternarbeit wird vor allem im Hinblick auf bauliche Veränderungen thematisiert und weniger auf pädagogische Arbeit im Hinblick auf Themen, die am Elternabend zu bearbeiten wären. Die pädagogische Arbeit mit Kindern, die im starken Umfang Fernsehen konsumieren und über wenig Bewegungserfahrungen verfügen, wird problematisiert, die Möglichkeiten, darauf Einfluss zu nehmen, werden gering eingeschätzt. Es wurde bereits dargestellt, dass es sich für die evangelische Kindertagesstätte schwierig gestaltet, sich gegen die zweite Kindertagesstätte zu behaupten und die eigene Konzeption überzeugend darzustellen. Die personalen Ressourcen von Frau C für die professionelle Tätigkeit sind insgesamt begrenzt, dies wird in der Darstellung deutlich, vor allem da im Hinblick auf ihr Alter die Angst formuliert wird, die Tätigkeit mit ihren Anforderungen möglicherweise nicht mehr bis zur Rente leisten zu können. In diesem Kontext wird immer wieder die Kraft, die die tagtägliche Arbeit kostet, thematisiert. Als Fazit könnte formuliert werden, dass der besondere Status des kirchlichen Kindergartens im Ort mit der staatlichen Wiedervereinigung verloren ging. Die materielle Situation von Frau C hat sich im Gegensatz zu früher deutlich verbessert, da auch ihr Mann nicht von Arbeitslosigkeit betroffen ist und sich in seiner beruflichen Stellung nicht verschlechtert hat. Deutlich wird im Interview und in der Erzählung von Vergangenheit und Zukunft, dass Frau C überwiegend emotionale Coping-Strategien nutzt, um die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen und die damit verbundenen beruflichen Probleme in der Kindertagesstätte zu bewältigen. Der Transformationsprozess wird nicht als Herausforderung begriffen, sondern der Umbruch und die pädagogische Arbeit mit Kindern und Eltern wird in ihrem Umfang als so exorbitant erlebt, dass die eigene Ausbildung diesem nicht gerecht wird und auch Fortbildungen das notwendige Wissen nicht in dem Ausmaß kompensieren können. Frau C formuliert, am besten wäre es, noch einmal eine Ausbildung zu absolvieren, um die angestrebte Professionalität zu erreichen. Die Nutzung der emotionalen Coping-Strategien wird durch die Erzählung, die vor allem der Vergangenheit verhaftet ist, deutlich. Bedeutsam ist in diesem Kontext, dass Frau C zum ersten Mal in der Vordiakonie und der Ausbildung zur Kinderdiakonin in einem institutionellen Rahmen Anerkennung und Bestätigung bekam. Diese Bestätigung wurde weiter im evangelischen Kindergarten der DDR durch Eltern und
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Kinder erfahren und ging im Transformationsprozess durch die fehlende Akzeptanz der Kindertagesstätte verloren. Daher bleibt der Blick in die Vergangenheit gerichtet, insbesondere auf die Darstellung des außergewöhnlichen Engagements. Bedingt sind bei Frau C Ansätze von Professionalität im Umgang mit den Eltern erkennbar. Ebenso wie Frau B gelingt es ihr nicht, ein überzeugendes Konzept der evangelischen Kindertagesstätte nach außen zu tragen. Ein weiterer Indikator für die emotionalen Coping-Strategien ist in der Begründung der geringen Attraktivität der Kindertagesstätte zu sehen, in der die elterliche Entscheidung abgewertet wird. Die Coping-Strategien können durch Rückzug und Passivität charakterisiert werden, in der viele Aspekte verdrängt und nach Möglichkeit verleugnet werden. Wo dies nicht möglich ist, wie in der alltäglichen Arbeit mit den Kindern, wird dieses als so anstrengend wahrgenommen, dass sie nur mit einer anschließenden Ruhephase bewältigt werden kann. Die Angst, den Anforderungen nur noch begrenzt gewachsen sein zu können, deutet auf emotionale Coping-Strategien hin. Im Gegensatz zu anderen Kinderdiakoninnen wird jedoch die Wende und staatliche Wiedervereinigung als ein Zeitpunkt markiert, in der sich für ihre Person und für Christen in der DDR etwas verändert hat, die zuvor empfundene Angst sich in der evangelischen Kirche zu engagieren, verliert sich mit der Wiedervereinigung. Die vielfältigen Veränderungen, die mit dem Transformationsprozess einhergingen, werden in den negativen Auswirkungen bei den Eltern und Kindern wahrgenommen. Allgemeine Veränderungen, die auch ihre eigene Person und Situation betreffen werden nicht reflektiert.
3.2.5 Frau D Die Möglichkeiten sind vielseitiger geworden, es ist bunter geworden und das finde ich eigentlich gut. Denn diese Möglichkeiten hatten wir nicht. Der Fall von Frau D (62) stellt einen Kontrast zu den bisher beschrieben Fällen dar. Frau D ist ähnlich wie Frau B seit langer Zeit Leiterin einer evangelischen Kindertagesstätte in einer Stadt mit ca. 200000 Einwohnern. Die Stadt besitzt neben kommunalen und Kindertagesstätten in freier Trägerschaft weitere 8 evangelische Kindertagesstätten, die bereits in der DDR in Trägerschaft von Kirchgemeinden und diakonischen Trägern waren. In ihrer Darstellung wird deutlich, dass die Ausbildungsstätten, die Seminare für kirchlichen Dienst, sich geringfügig in den Lerninhalten, allerdings stark in der Atmosphäre unterschieden. Frau D fällt aus dem Rahmen der interviewten Kinderdiakoninnen, da sie im Gegensatz zu den anderen oft den Wohn- und damit auch den Arbeitsort gewechselt hat. Im Gegensatz zu anderen Kinderdiakoninnen gibt sie allerdings außer über ihre Kindheit keine Informationen über
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ihre Biographie, so dass die Wohnortswechsel und ihr Kontext nicht eingeordnet werden können.
3.2.5.1 Kindheit und berufliche Motivation Frau D wuchs in einer christlichen Familie auf, allerdings betont sie, dass diese nicht sehr christlich war. Trotzdem nahm sie im Gegensatz zu anderen Kinderdiakoninnen nur an der Konfirmation teil und war nicht Mitglied der Pionierorganisation. Die Entscheidung gegen die Mitgliedschaft wurde von der Mutter getroffen. Sie überließ der Tochter allerdings die Wahl, ob diese an der Jugendweihe oder der Konfirmation teilnehmen wollte. Aufgrund der Entscheidung für die Konfirmation traten die unter Kapitel 2.3.1 beschriebenen Repressionen ein. So durfte sie nicht den Beruf der Kindergärtnerin erlernen, da sie keine überzeugende sozialistische Position vertrat. Unschlüssig im Berufwunsch entschied sie sich für das Abitur mit Berufsausbildung, welches gerade eingeführt worden war, um Dolmetscherin zu werden. Kurz vor dem Abitur stellte sich erneut die Frage der Berufswahl, da der Berufswunsch Dolmetscherin nicht mehr bestand. Sie griff den ursprünglichen Wunsch zur Ausbildung als Kindergärtnerin wieder auf, die Zugangsvoraussetzungen für die staatliche Ausbildung fehlten allerdings weiterhin. Durch eine Bekannte in der Jungen Gemeinde wurde sie auf die Möglichkeit, in einem kirchlichen Kindergarten zu arbeiten und eine kirchliche Ausbildung zu absolvieren, aufmerksam. Ein Unterschied zwischen staatlichem und kirchlichem Kindergarten war für sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht greifbar. Mit der Bewerbung und der Aufnahmeprüfung begann ein Jahr als DiakonieAnwärterin im Kindergarten. Nach dem Vorpraktikum fand die eigentliche Theorieausbildung statt. Die Ausbildung war, wie häufig in den Seminaren für kirchlichen Dienst, hier mit dem Internat gekoppelt.
3.2.5.2 Berufliche Sozialisation - die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst und erste praktische Erfahrungen Frau D beurteilt die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst als qualitativ hochwertig, allerdings gilt die positive Wertung weder für das Internat noch für die dort geltenden Regeln. Die herrschenden Normen wurden von den Seminaristinnen als schwierig wahrgenommen. Bezeichnend ist die Aussage wir haben es überstanden(D, 89).
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Es waren viele Dinge, die wahrscheinlich junge Menschen heute überhaupt nicht mehr verstehen würden, was bei uns gewesen ist. Wir durften also keine Hosen tragen und ähm wenn es Freitag nach Hause ging, ähm im Winter es war kalt, dann durfte ma uns, man musste schnell zum Bahnhof laufen dann musste man eine Rock drüber ziehen über die Hose. Und den dann schnell wieder abwerfen, um dann in der Hose zu gehen. Äh wir durften auch nicht immer nach Hause, das war nur so alle sechs, acht Wochen, das wir nach Hause fahren durften. Wurde sehr viel auf Gemeinschaft gelegt und ähm ja, das war so das Internatsleben (D, 89-98).
Die Verhältnisse im Seminar für kirchlichen Dienst, das von Diakonissen geleitet wurde, stimmten nicht mit Einstellungen der modernen jungen Mädchen der DDR überein, die das Leben im Internat und die Werte und Normen als fremdbestimmt wahrnahmen. Die Ausbildung wird hingegen als praxisnah beschrieben, die Unterweisung in Handarbeiten wurde in der Praxis als wertvoll erlebt, da die Kinderdiakoninnen diese Fähigkeiten nutzten, um für die Kinder Geburtstagsgeschenke anzufertigen. Das Leben im Internat und das gemeinsame Leben mit den Seminaristinnen und den Dozenten werden nicht näher dargestellt, die Erzählung bleibt auf der Ebene der fachlichen Qualifizierung. Nach dem Anerkennungsjahr wechselte Frau D häufiger aus familialen Gründen den Arbeitsplatz, konkrete Gründe für den Wechsel werden nicht geäußert. Obwohl dies normalerweise für Kinderdiakoninnen schwierig war, gelang es ihr immer wieder, in einem kirchlichen Kindergarten angestellt zu werden. Im Gegensatz zu anderen interviewten Kinderdiakoninnen formulierte sie nach einigen Jahren den Wunsch, sich weiter zu qualifizieren, und absolvierte einen Fernkurs. Die Möglichkeit, ein Fernstudium der Psychologie zu beginnen, scheiterte an der fehlenden staatlichen Anerkennung als Kindergärtnerin. Ein Studium wäre nur möglich gewesen über die Tätigkeit als Helferin im staatlichen Kindergarten und einer anschließenden Qualifizierung als Kindergärtnerin. Frau D, die zu dieser Zeit einen Kindergarten leitete, lehnte diese Möglichkeit ab und erlebte für sich sehr schmerzhaft die Nicht-Anerkennung des eigenen Berufsabschlusses. Frau D äußert sich im Interview sehr sachlich, die Kränkung trotz Abitur kein Studium beginnen zu können bzw. die Nicht- Anerkennung des Berufsabschlusses werden rational dargestellt.
3.2.5.3 Habitus als Kinderdiakonin Und deshalb war ich dann auch nach der Wende eigentlich froh, dass wir problemlos die Anerkennung bekamen als staatlich anerkannte Erzieherinnen ohne das Hundert-Stunden-Programm. Also wir mussten das ja nicht machen. Und das war so ein bisschen ehm denke ich nicht nur bei mir, aber ich rede jetzt von mir so ein bisschen, na ja also nun guckt ihr mal mit eurer Ausbildung ne, ehm, jetzt müsst ihr
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noch ein Hundert-Stunden-Programm machen und wir haben jetzt einfach so die Anerkennung. Es war ein bisschen eine Genugtuung würde ich sagen. Ehm so unterschwellig jetzt, nicht hauptsächlich, aber habe ich mich doch gefreut (D, 352-361).
Die Anerkennung, die die Kinderdiakoninnen im Gegensatz zu den staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen ausgesprochen bekamen, stellt auch für Frau D einen wichtigen Aspekt in der Nachwendezeit dar. Die religionspädagogische Arbeit wird relativ kurz dargestellt, der berufliche Habitus wird über die gesamte pädagogische Arbeit und nicht ausschließlich durch die religionspädagogische Arbeit konstruiert. So wird der Darstellung der konzeptionellen Arbeit, insbesondere der Elternarbeit, im Interview breiten Raum gegeben. Die mit der staatlichen Wiedervereinigung veränderten gesellschaftlichen, sozialen, politischen, familialen und wirtschaftlichen Veränderungen werden in Bezug auf die Elternmitwirkung und deren Engagement als Chance begriffen. Insgesamt fällt auf, dass die konzeptionelle Arbeit der evangelischen Kindertagesstätte immer wieder neu hinterfragt und erarbeitet wird. Für eine Stadt typisch, existieren vor Ort mehrere evangelische Kindertagesstätten. Diese unterstützen sich, wie bereits in der DDR, gegenseitig und verfügen ebenso wie damals über lange Wartelisten. Dieses Netzwerk, in dem sich Frau D sehr engagiert, wird als förderlich für die einzelne Einrichtung erlebt. Die pädagogische Arbeit der Kinderdiakonin basierte in der DDR auf dem Engagement der kirchlichen Mitarbeiterinnen, die viel Freizeit investierten, um die geringen finanziellen Möglichkeiten der Einrichtung ausgleichen zu können. (...) bei der Übernahme dieser Einrichtung, da war sehr viel Freizeit auch dabei. Was ich einfach nicht schaffen konnte alles zu machen in in meiner Dienstzeit. Es war allerdings auch früher sehr viel private Zeit also Freizeit mit drin, wenn ich jetzt zurück denke, wir haben ja weil wir als kirchliche Einrichtung nicht so viel Geld hatten, wollten aber auch alles sehr hübsch haben und sehr schön haben. Da ging das bis in Bastelsachen mit rein, was wir für die Kinder gebastelt haben, Geburtstagsgeschenke zum Beispiel, gebastelt haben. Das haben wir nicht alles geschafft im Dienst. Da wurde zu Hause noch weiter gemacht. Das war selbstverständlich, kannten wir nicht anders. Das hat sich heute ein bisschen verändert. Ich glaube, ich könnte das nur in manchen Dingen sagen, also das ist euer, nehmt mal das mit nach Hause und macht das zu Hause. Könnte ich nur so von meinen Kolleginnen verlangen, ist nicht so drin. Die trennen das strikt so ein bisschen (D, 680-692).
Die staatliche Wiedervereinigung und die damit einhergehenden neuen Voraussetzungen der Finanzierung und des Umbaus von kirchlichen Kindergärten verlangten von Leiterinnen ein besonderes Engagement in der beruflichen Tätigkeit, so dass die Trennung von beruflich und privat, die die Mitarbeiterinnen in evangelischen Kindertagesstätten üblicherweise vornahmen, für sie nicht galt bzw. 136
gilt. Der Umfang der Arbeit, die unter anderem aus der Mitarbeit in verschiedenen Gremien resultiert, kann nur durch einen starken Einsatz über die eigentliche Arbeitzeit hinaus kompensiert werden. Dieser Aspekt wird von Frau D nicht explizit formuliert, aber durch die gesamte Darstellung und durch die während des Interviews geführten Telefongespräche deutlich. Ein derartiges Engagement ist mit den Erwartungen der evangelischen Kirche als Träger kompatibel.
3.2.5.4 Habituelles Handeln im Transformationsprozess Frau D formuliert die Hoffnung, dass mit der staatlichen Wiedervereinigung die evangelische Kirche wieder stärkere Präsenz in Öffentlichkeit bekommt und damit evangelische Kindergärten mehr anerkannt werden (D, 388). Ihrer Meinung nach fanden die evangelischen Kindertagesstätten keine Bestätigung von außen, wobei nicht direkt erschließbar ist, was sich dahinter verbirgt, da sowohl in der DDR wie auch aktuell die evangelischen Kindertagesstätten in der Stadt hohe Anmeldezahlen bzw. Wartelisten hatten bzw. haben und nicht alle Kinder aufgenommen werden konnten und können. Die in Kapitel 2.3.7 dargestellten Möglichkeiten für die kirchlichen Kindergärten wurden von Frau D aufgegriffen und die beengten Räumlichkeiten durch Umzug erweitert, wobei keine wirklich neuen Räumlichkeiten bezogen werden konnten, sondern ein kommunaler Kindergarten übernommen wurde. Neben den staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen hatten hier vor allem die Eltern massive Ängste vor der evangelischen Trägerschaft. Im Gegensatz zum Verfahren in späteren Jahren wurde es hier den staatlich ausgebildeten Fachkräften freigestellt, ob sie in dem Kindergarten bleiben und damit in Trägerschaft der evangelischen Landeskirche arbeiten oder in einen anderen kommunalen Kindergarten wechseln wollten. Die Zufriedenheit der in der evangelischen Kindertagesstätte verbliebenen Erzieherinnen ist infolge der Wahlmöglichkeit größer. Ähm, wie viel Widerstand uns entgegen gebracht wurde. Widerstand, ich denke hauptsächlich aus Angst, was wird jetzt aus uns. Das war Widerstand bei den Erzieherinnen, die hier im Hause waren. Widerstand bei den Eltern, die hier ihre Kinder hatten. Ja, aus Angst, was wird es. Vorher (1) wussten sie wo´s langgeht und jetzt kam die Wende und sie wussten nichts mehr. Mit Kirche hatten sie nichts zu tun, außer ein paar wenigen Eltern vielleicht. Und ähm da war Schwellenangst da, da war Angst, was wird jetzt. Vorher wars die Partei, jetzt ist es da die Kirche, die uns äh als zu Kirchenmitgliedern macht, wider Willen. Was kommt eigentlich auf uns zu. Und das war ne sehr sehr schwere Zeit. So hatte ich mir das nicht ganz vorgestellt. Ja. Und ja, das war anders geworden. Einfach jetzt war man dann als noch mehr freie Träger einfach wuchsen, ähm wir wussten ja von den anderen kaum was. Wer
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wusste schon viel von der AWO oder von anderen freien Trägern ähm, dass war son son, das war ne ganz besondere Zeit(D, 400-415).
Der Transformationsprozess wird einerseits bestimmt durch die Angst und den Widerstand der Eltern und auf der anderen Seite durch das Verhalten der evangelischen Kirche, die sich für den Kindergarten, seinen Umbau und seine Finanzierung nicht mehr zuständig fühlt. Gerade diese neuen Herausforderungen betreffen Kompetenzen, die eine Kinderdiakonin bis dato weder gelernt hatte noch beherrschen musste. Wobei Frau D dies für sich als Moment begreift, welches sie herausfordert, aber dem sie sich mit Unterstützung anderer sehr wohl gewachsen fühlt. Der Umbruch, die Krise, in der Regelungen nicht lange galten, wird von ihr als spannende Zeit empfunden, in der der Einzelne etwas gestalten konnte. Es war so so ne Umbruchsituation, wo keiner so richtig wusste, wo es lang geht. Wo wir zwar vom westlicher Seite Unterstützung bekamen, wenn wir sie angefordert haben. Sagte man wie läuft das denn eigentlich, ja (??). Ich weiß, dass ich gleich so nen 90 oder 91, nach Mainz mitgefahren bin, da waren evangelische und katholische Leiterinnen eingeladen, zu gucken wies wies da ist. (...) Ich bin sowieso ein Mensch, der gerne so über den Tellerrand guckt, und sagt, ja das möchte ich wissen, wie gehts da und was kann ich mir daraus mitnehmen, für meine Einrichtung hier. Wovon können wir profitieren, was kann ich noch tun. Es war ne sehr spannende Zeit, ehm wir waren ziemlich euphorisch ehm und es war auch so ne Zeit, ja, der Aktivitäten. Wir waren unheimlich aktiv (D, 430-443).
Frau D unterscheidet sich von anderen Kinderdiakoninnen dahingehend, dass der Schwerpunkt des Interviews auf der Beschreibung dieser Zeit des Umbruchs und des Transformationsprozesses liegt. Die erste Zeit nach der staatlichen Wiedervereinigung, als alles möglich war, allerdings auch wenig Sicherheit in gesetzlichen und ministeriellen Bestimmungen gegeben war, wurde als Herausforderung erlebt. Dies steht in Verbindung zu dem Wunsch, in der DDR zu studieren und sich weiterqualifizieren zu können. Die mit der Wiedervereinigung gewonnen Chancen wurden von Frau D genutzt und in keiner Weise als Belastung begriffen. Die Möglichkeiten, aktiv zu sein, etwas gestalten und bewegen zu können, wurden von ihr als die charakteristischen Momente in dieser Zeit erlebt. Die übernommenen Kindergärtnerinnen engagierten sich aufgrund ihres freiwilligen Verbleibs in der Einrichtung und begegneten den religionspädagogischen Fortbildungen aufgeschlossen, um dies in der Einrichtung umsetzen zu können. Die hier dargestellte Wahlfreiheit der staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen verliert sich später im Transformationsprozess und erschwert heute bei der Über-
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nahme kommunaler Kindertagesstätten die Zusammenarbeit zwischen kirchlich und staatlich ausgebildeten Erzieherinnen. (...) ich kann also nur von meinen Kolleginnen reden, die ich teilweise noch habe, ehm dass sie sehr aufgeschlossen waren dem Neuen gegenüber, auch unserer schon damals anderen Arbeitsweise, und ehm uns unterstützt haben wir sind ja mit ein paar Kindern hier eingezogen, den Eltern gegenüber, weil die Eltern hatten eigentlich die Probleme, denn wir hatten schon altersgemischte Gruppen und haben als Träger gesagt, wir ändern das nicht, wenn wir hier einziehen, die Kindergärten werden ja auch in altersgemischten Gruppen dann da sein. Eh da gabs Ängste und Ärger und so was bei den Eltern, und sicherlich auch bei den Kolleginnen erst Ängste, wie wird das? Ich bin es gewöhnt, mit einer Gruppe nur von Fünf/Sechsjährigen zu arbeiten, jetzt habe ich also Kleine mit rumwuseln, aber ehm die waren motiviert, und mittlerweile würde keine Kollegin mehr tauschen wollen. Also ehm die haben den Vorteil der altersgemischten Gruppen erkannt, sie haben sehr viele Fortbildungen gemacht (...), sie waren auch bereit, mit über den Tellerrand zu schauen, sich etwas anderes anzugucken, ehm heute wenn ich so höre, wir kommen ja auch noch monatlich zusammen mit den anderen evangelischen Kindergärten, die jetzt übernommen worden sind, habens weitaus schwieriger, weil die Finanzierung für Fortbildungen ist gleich Null, eigentlich, und es gibt keine mehr (D, 497-519).
Der konzeptionelle Ansatz, der unter anderem den Aspekt der altersgemischten Gruppen beinhaltet, blieb auch nach der Übernahme des kommunalen Kindergartens bestehen. Dies zu akzeptieren war sowohl für die Kindergärtnerinnen als auch für die Eltern schwierig. Allerdings konnten die Mitarbeiterinnen und die Eltern nach einiger Zeit von der Konzeption überzeugt werden. Hierzu trug sicherlich das Verständnis der Leiterin bei, welche die Konzeption immer wieder in Frage stellte und Veränderungen erlaubte. Die Mitarbeiterinnen, die kurz nach der staatlichen Wiedervereinigung über die Möglichkeit verfügten, sich pädagogisch weiterzubilden, ergriffen diese Chance, insbesondere da dies vom Träger finanziert wurde. Zur Akzeptanz trugen weiterhin die Fortbildungen und die konzeptionellen Teamgespräche bei. Wesentlich ist in der Elternarbeit die Bemühung, die Eltern von der pädagogischen Arbeit zu überzeugen. Die Qualität der pädagogischen Arbeit wird als nicht statisch, sondern als etwas begriffen, was es immer weiter zu entwickeln gilt. So beinhaltet dies die Prüfung, inwieweit die Situation der Kinder in der pädagogischen Arbeit aufgegriffen werden kann und inwieweit dies mit der Konzeption übereinstimmt. Der eigene hohe Anspruch an die Professionalität beinhaltet, dass Kritik und Anspruch der Eltern geschätzt werden. Die Einbeziehung und das Engagement der Eltern, das sich im starken Umfang im Sponsoring der Umbauten und Neugestaltung des Außengeländes widerspiegelt, kann als Indikator für die Partizipation in einer
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Kindertagesstätte gesehen werden. Frau D steht für die wenigen Kinderdiakoninnen, die die sehr kritische und selbstbewusste Haltung der Eltern schätzen, wobei sich diese Einschätzung bei den Kindern wiederfindet, die als selbstbewusster wahrgenommen werden, welches bei Frau D positiv konnotiert ist. Ich denke es ist wichtig, dass man immer etwas tut, ehm und dass man die Konzeption nicht die man einmal hatte so lässt, sondern sie müssen schon dran arbeiten, weil sie immer mehr Eltern haben, die auch danach fragen. Und das finde ich eigentlich gut, dass sie Eltern haben, uns gehts jedenfalls so in der Einrichtung, die nicht einfach alles hinnehmen. Und schon unsere Arbeit immer wieder hinterfragen. Die Eltern werden anspruchsvoller, das ist schon so. Nicht alle, aber die meisten werden anspruchsvoller, wollen mitreden, wollen hinterfragen alles, und wenn man das dann alles so bewahrt, was einmal da war, dann wird der Kindergarten langsam zum Museum. Und das kann es eigentlich auch nicht sein. Also sie müssen schon was tun. Und eh aber jedem Neuen nachrennen, das ist ja auch so ne Versuchung gewesen, nach der Wende. Es kamen plötzlich von dem wir zwar was wussten aber und wir auch jetzt auch als Kinderdiakonin in der Ausbildung gehört hatten, von Montessori oder so ähm das kam ja jetzt plötzlich alles auf den Markt. Und das man jetzt allem nachrennt oder neue Bestrebungen jetzt in der Pädagogik, der eine sagt dies, der andere favorisiert wieder dieses mehr. Das muss man eigentlich selber gucken, es bringt nichts was anderes zu übernehmen. Das passt einfach nicht, man muss gucken, wo man so ne Grundrichtlinie hat. Und dann kann man kucken, was passt jetzt so für unsere Kinder, was wollen wir eigentlich. Und ähm bzw. was wollen die Kinder und danach zu kucken, was können wir da geben, was gibt es da eigentlich so, was können wir uns ankucken oder so. Das ist eigentlich so unser Bestreben und da ist äh immer wieder Neues drin. Was einfach auch Spaß macht. Ja und was man dann den Eltern wieder weiter gibt. Das ist jetzt so, wir haben herausgefunden, das so und so und das probieren wir jetzt. Oder das ist jetzt unser Neues. Ähm ich denke, dann brauchen wir keine Konkurrenz zu fürchten, wenn man so arbeitet. Und wir sind auf dem Wege so zu arbeiten, weil es uns wichtig ist, dass wir danach kucken, was ist jetzt für die Kinder dran, was ist jetzt wichtig. Und wie können wir das verbessern, die Wünsche auch der Kinder mitberücksichtigen, was was brauchen sie jetzt (D, 593-624).
Die politischen, gesellschaftlichen, sozialen, familialen und wirtschaftlichen Veränderungen, die mit dem Transformationsprozess einhergehen werden, als Chance und Notwendigkeit begriffen, die Antworten und pädagogische Arbeit notwendig machen. Abhängig vom Elternhaus und Alter brauchen Kinder Verlässlichkeit und Geborgenheit, wobei dies graduell verschieden ist, da die Bedürfnisse der Kinder unterschiedlich sind. Ich denke, sie brauchen auch manchmal sehr viel, dass sie sich fallen-lassen-können. Wenn Kinder von zu Hause aus gefordert werden, äh dass sie zum Beispiel al-
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les Mögliche mitmachen, wo die Kinder schon so´n Terminkalender haben, meistens dann am Nachmittag. Dann brauchen diese Kinder mehr Freiheit jetzt, dass sie am Vormittag nicht mehr so äh unter Druck stehen müssen. Das sie Raum haben für sich, den sie sich selber gestalten können. Weil dann von zu Hause aus der Druck da ist, muss Nachmittag Musikschule, Sport oder sonst irgend was haben, wo ihre Konzentration am Nachmittag gefordert wird. Das müssen wir den Kindern geben, andere Kinder, die das nicht haben und vielleicht nur - ich mach jetzt mal das andere Extrem dann nichts weiter haben als nur den Fernseher oder das Kinderzimmer, was überladen ist oder sonst was. Die brauchen wieder andere Dinge. Und darauf müssen wir kucken, was haben wir für Kinder. Und nicht nur nach dem Alter zuschauen, was brauchen Kleine, was brauchen Größere sondern auch danach zu kucken, was brauchen jetzt diese Kinder. Das ist einfach wichtig ja. Also es geht nicht nur, also die Kinder sind ja auch unterschiedlich, sie können nie sagen alle Fünfjährigen das Gleiche. Weil sie unterschiedlich sind, die einen sind schon viel weiter, und die anderen sind noch nicht so weit. Und das können sie einfach nicht so und deshalb auch unseres, immer wieder in altersgemischten Gruppen. Natürlich auch altershomogenen Gruppen, Interessengruppen, dann kann man die Kinder zusammen nehmen, das ist richtig. Aber ansonsten können jetzt sich auch die Kinder mal fallen lassen, und sich mit kleineren oder jüngeren Kindern, weil sie einfach noch nicht so weit sind, können sich an denen messen und haben Erfolgserlebnisse. Und andere wieder, die brauchen wieder noch größere Kinder oder noch andere, wo sie dann dran sich messen können (D, 632-658).
Das in der Konzeption verankerte Prinzip der altersgemischten Gruppen wird mit der Individualisierung und der Förderung der Sozialkompetenz der Kinder begründet, die sich abhängig von ihrer Entscheidung und ihrer individuellen Entwicklung entweder ältere oder jüngere Kinder als Spielpartner suchen können. Da die Kinder durch die Eltern unterschiedlich stark gefördert werden, wird dieses als ein Aspekt in die pädagogische Arbeit einbezogen, um kein Kind zu überfordern oder zu unterfordern. Die Tendenz einiger Eltern, die Kinder durch die Teilnahme an verschiedenen Angebote z.B. Musikschule, Ballett, Englisch usw. zu fördern, führt dazu, dass in der evangelischen Kindertagesstätte der individuelle Bedarf der Förderung bei dem einzelnen Kind ermittelt werden muss. Frau D schätzt die Zusammenarbeit mit den Eltern und betrachtet das Selbstbewusstsein der Kinder als Bereicherung für die pädagogische Arbeit. Elternarbeit ist für sie in Bezug auf die Umsetzung von Projekten oder Sponsoring ein wesentliches Moment. Sie verweist darauf, dass die einzelne Einrichtung immer selbst gefragt ist, Gelder für Umbaumaßnahmen zu gewinnen und dabei auf Kontakte zurückzugreifen muss, um dies realisieren zu können. Eine Möglichkeit, die Eltern stärker einzubinden, wurde durch die Gründung eines Fördervereins erreicht, der wie mögliche Sponsoren gepflegt werden muss. Die
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mit dem Transformationsprozess verbundenen Möglichkeiten, die Räume und das Außengelände neu zu gestalten, wurden mit Hilfe der Eltern sowie durch Zuschüssen der Kommune bzw. des Landes und durch Sponsoren wahrgenommen. Die evangelische Kindertagesstätte wurde grundlegend saniert und zu einem bewegungsfreundlichen und naturnahen Erlebnisraum umgestaltet.
3.2.5.5 Coping-Strategien und Resümee Frau D stellt einen Fallkontrast zu den vorherigen Beschreibungen dar. Die pädagogische Arbeit wird selbstbewusst vertreten und der Transformationsprozess als Umbruchszeit, in der alles möglich war, wahrgenommen. Informationen zur Finanzierung und Gestaltung werden gewonnen, um die räumlichen und materiellen Bedingungen besser gestalten zu können. Es findet im Gegensatz zu vielen anderen Kinderdiakoninnen weniger ein Rückblick in die Vergangenheit statt, Gegenwart und Zukunft sind die Momente, die im Interview thematisiert werden. Die staatliche Wiedervereinigung wird als Chance begriffen, in der nicht nur die staatliche Anerkennung als Erzieherin, sondern die individuellen Gestaltungschancen gestiegen sind. Frau D ist die älteste der interviewten Kinderdiakoninnen, das Alter scheint jedoch kein Grund zu sein, dem Umbruch mit Angst zu begegnen. Frau D ist innerhalb der evangelischen Kirche stark in verschiedenen Gremien engagiert, ohne dies stark zu thematisieren. Frau D unterscheidet sich nicht nur in der Mobilität der Wohn- und Dienstorte von anderen Kinderdiakoninnen. Die Wende und die staatliche Wiedervereinigung werden mit problemorientierten Coping-Strategien bewältigt, der Umbruch wurde als Herausforderung und als Chance für Gestaltungsmöglichkeiten begriffen. Es finden sich kaum emotionale Coping-Strategien in der Darstellung der beruflichen Tätigkeit, allerdings ist festzustellen, dass die privaten Verhältnisse an keiner Stelle des Interviews thematisiert werden. Der einzige persönliche Moment ist die Darstellung der Kindheit und der Rolle der Mutter. Private Ereignisse bzw. der Familienstand werden gänzlich ausgelassen, so ist nicht bekannt, ob Frau D Kinder hat oder welche privaten Aspekte in ihrer Berufstätigkeit Niederschlag gefunden haben. Im Rahmen des Interviews wird immer wieder der Begriff familiäre Gründe für die Wechsel des Arbeitsortes benutzt, eine Erläuterung findet nicht statt. Gleiches findet sich bei der Ausbildungszeit im Seminar für kirchlichen Dienst, das Leben und Lernen unter den fremdbestimmten Regeln der Diakonissen wird angerissen, aber nicht weiter ausgeführt.
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3.2.6 Frau E Hab mein Anerkennungsjahr gemacht und gleichzeitig Leitungstätigkeit in der Einrichtung. Und das war ein hartes Stückchen Arbeit und dann (viel später) habe ich die Leitungstätigkeit abgegeben Frau E ist Gruppenleiterin in einer evangelischen Kindertagesstätte in einem Ort mit ca. 1000 Einwohnern, der durch die Fusion des kommunalen und evangelischen Kindergartens nach der staatlichen Wiedervereinigung nur noch eine Kindertagesstätte besitzt. Frau E stellt einen Falltyp von Kinderdiakoninnen dar, die aus Personalmangel mit dem Anerkennungsjahr gleichzeitig die Leitungstätigkeit im evangelischen Kindergarten übernehmen mussten. Mit ihr waren ungelernte Kräfte bzw. Helferinnen im Kindergarten beschäftigt. Als besondere Herausforderung kam hinzu, dass sie vor dem Anerkennungsjahr aufgrund des Erziehungsurlaubes für drei Jahre ihre Ausbildung unterbrochen hatte. Mit der staatlichen Wiedervereinigung veränderten sich die Anforderungen an die Leitungstätigkeit, dies führte vor allem dazu, dass sich Gruppenleitung und Verwaltung/Organisation des Kindergartens nicht optimal verbinden ließen. Frau E steht gleichfalls für viele Kinderdiakoninnen, die die Aufgabe der Leitung eines evangelischen Kindergartens ausüben, sich für diese Tätigkeit nicht beworben haben und es bedauern, nicht mehr in der Gruppe eingesetzt zu sein. Frau E entschied sich später aus persönlichen Gründen, die Leitung der Kindertagesstätte abzugeben und wieder in der Gruppe zu arbeiten.
3.2.6.1 Kindheit und berufliche Motivation Frau E (52) wurde christlich erzogen und hat fünf Geschwister, von denen zwei ebenfalls eine kirchliche Ausbildung absolviert haben. Für alle war es selbstverständlich, nicht an der Jugendweihe teilzunehmen, was für einige der Geschwister bedeutete, dass sie zum Studium nicht zugelassen wurden. Aufgrund der Berufslenkung war es ihr nicht möglich, ihren Wunschberuf als Technische Zeichnerin zu ergreifen. Als Alternative fand sich die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst. Wie bei anderen Kinderdiakoninnen entstand in der Kindheit die Motivation, mit Kindern zu arbeiten, so beaufsichtigte sie ihren jüngeren Bruder und bezeichnet sich als Kindermädchen der Familie. Im Dorf selbst nahm sie, obwohl sie nicht Mitglied der Pionierorganisation war, an den Aktivitäten teil.86 Dies beruhte auf dem Engagement der Mutter, die den Lehrer
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In der Darstellung der interviewten Kinderdiakoninnen wird deutlich, dass Schulen und Lehrer unterschiedlich die Nicht-Mitgliedschaft in der Pionierorganisation bzw. der FDJ tolerierten. Betont
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in den Freizeitaktivitäten unterstützte. Gestützt wurde dieser in unpolitischen Aktivitäten wie dem Besuch des Schwimmbades, politische Aktivitäten wurden seitens der Mutter und Tochter abgelehnt. Frau E erfuhr in der Schule weder Ausgrenzung noch Benachteiligung, es war aber klar, dass ihr bestimmte Ausbildungswege, die des sozialistischen Engagements bedürfen, verschlossen blieben.
3.2.6.2 Berufliche Sozialisation - die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst und erste praktische Erfahrungen Wie vielen anderen Seminaristinnen fiel Frau E die Trennung vom Elternhaus und den Geschwistern schwer. Aufgrund der Entfernung zwischen Elternhaus, Seminar und der finanziellen Situation war es ihr kaum möglich, nach Hause zu fahren. Die familiäre Atmosphäre im Seminar für kirchlichen Dienst half aber, ihr Heimweh zu überwinden. Aber eigentlich so in der Seminarzeit so, wo ich angefangen habe, war wir in einer ganz geborgenen Umgebung, das war eigentlich so richtig ne familiäre Atmosphäre, wir waren immer im kleinen Haus, das war oben am das war so ein kleines Haus wo wir drin waren und die anderen waren in der Zeit waren glaube ich zwei oder drei Kurse die waren im Praktikum.(...) Aber da hat man halt im Haus was gemeinsam gemacht. Eigentlich war das so war das so ein bisschen Familienbetrieb kann man sagen, zu der Zeit noch. Gell. War eigentlich eine schöne Zeit (E, 287307).
Insbesondere die Hausmutter trug mit ihrer Person dazu bei, dass sich die Seminaristinnen relativ schnell im Internat einlebten. Frau E schätzte die besondere Gemeinschaft des Kurses, welche auch vom Kollegium wahrgenommen wurde, und schrieb sie u. a. den Aktivitäten der Hausmutter zu. Die Metapher der Familie wird benutzt, um die besondere Verbundenheit der einzelnen Seminaristinnen auszudrücken, dieses Bild spiegelt auch die Beziehungen untereinander wider, die nicht freiwillig waren und in ihrer Intensität wechselten. (...) waren aber alleine ein Kurs in einem Haus, das war richtig schön. Das war vollkommen Familie dann, ja ich mein das gabs, das ist wie in der Familie, es gab auch mal so Unstimmigkeiten unter uns aber irgendwo haben wir uns immer wieder gefunden. Wir waren einfach ein Kurs, wo sie immer gesagt haben, ja der einge-
wurde, dass zumindest in den 70er Jahren der Grad der Ausgrenzung und der Repressionen seitens der Lehrer relativ war.
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schworene Club. Also wir haben alle miteinander sehr gut harmoniert, das ging gut ja(E, 359-365).
In der Darstellung von Frau E findet sich eine Parallele zu Frau B, beide haben gemeinsam mit ihren Kursen im Seminar für kirchlichen Dienst für die Durchsetzung ihrer Interessen gestreikt. Zentral ist in der Erzählung die Betonung der Gemeinschaft, die ihren Niederschlag im Einsatz für die anderen Seminaristinnen fand. Im Vordergrund der Schilderung steht der positive Charakter der Ausbildung, der für sie eine Bereicherung darstellte, wohingegen kritische Aspekte relativiert werden. Aufgrund der personellen Situation in den evangelischen Kindergärten, die in Kapitel 2.3.6 dargestellt wurden, führte dies bei Frau E zu einer Vertretung einer Kinderdiakonin im Krankheitsfall. Frau E, die erst am Anfang ihrer Ausbildung stand, hatte alleine die Verantwortung für eine Gruppe mit 25 Kindern. Bedingt durch den Krankheitsstand des evangelischen Kindergartens übernahmen die Leiterin und Frau E als Praktikantin die pädagogische Arbeit des Kindergartens mit insgesamt 100 Kindern. Aber man hat das irgendwie geschafft, war nicht einfach, aber man hat es geschafft. Wenn man so, wenn man im Nachhinein überlegt, fünfundzwanzig Kinder und wenn man es heutzutage fünfundzwanzig Kinder hat, schafft man gar nicht mehr, so wie man es früher gemacht haben(E, 317-321).
Deutlich wird bei Frau E die Tendenz der positiven Darstellung, so wird zwar die Überforderung problematisiert, gleichzeitig aber relativiert in dem Verweis darauf, dass diese Aufgabe bewältigt werden konnte, was für sie aktuell nicht mehr möglich wäre. Die Anforderungen an die Selbständigkeit der Praktikantinnen ziehen sich durch die Erzählung, so musste ein späteres Praktikum in einem evangelischen Kindererholungsheim aufgrund Personalmangels in der vollen Verantwortung einer Gruppenleitung getragen und bewältigt werden. Die hier dargestellte Überforderung seitens der Einrichtungen blieb bestimmend für die berufliche Biographie von Frau E, die später im Anerkennungsjahr die Leitung eines evangelischen Kindergartens übernahm. Die Anforderungen konnten aufgrund der personalen und fachlichen Ressourcen bewältigt werden. Zum Verständnis dieser Vorgänge muss darauf hingewiesen werden, dass die Praktikantinnen im Anerkennungsjahr den kirchlichen Einrichtungen zugewiesen wurden, so dass zuvor die fachlichen und persönlichen Kompetenzen durch das Kollegium der Seminare für kirchlichen Dienst eingeschätzt wurden. Die Wertschätzung der Fachlichkeit von Frau E konnte die fehlenden Professionalität nicht ersetzen, die Praktikantin und professionelle pädagogische Kinderdiakonin unterscheiden. Praktikantinnen sind, um professionell agieren zu können, auf die Anleitung durch eine Mentorin angewiesen. 145
Na ja, es war hart, es war sehr hart. Wie ich gesagt habe, am Tag gearbeitet, da habe ich auch voll gearbeitet, auf 8 Stunden, dann das Kind fertig gemacht, und meistens bis in die Nacht rein gesessen. Ich habe dann schriftliche Arbeiten gemacht oder so. Es war auch nicht ganz einfach, in der Zwischenzeit war im Seminar auch so ein Wechsel von eh, na vom Chef, dann sind die () gekommen, und das war dann erstmal so von der ganzen Art vom Unterricht oder so, vom Menschlichen, her, musste ich mich erst umstellen. Und es war nicht so, ich denke es war nicht so ganz einfach. Es ist mir ein bisschen schwer gefallen. Und dann drei Jahre erstmal ausgesetzt und dann wieder reinfinden und da war irgendwie die Ausbildung war auch ein bisschen umgestellt worden, ne, es war ein hartes Stückchen. Und da habe ich auch manchmal gedacht: Hoffentlich hältst du das durch. Ich hatte aber viel Unterstützung durch meinen Mann. Das er gesagt hat er hat mir viel abgenommen, zu Hause, dass ich nicht noch zusätzlich zu Hause so viel hatte, ne, wir haben da nebenbei auch noch gebaut und gemacht und wo ich sage, also war schon manchmal so an der Grenze, wo ich sage, ne ich halts bald nicht mehr durch. Aber man hat halt durchgehalten(E, 488-505).
Die Delegierung der Seminaristinnen in die Praktika an die kirchlichen Institutionen war häufig nicht unproblematisch, wie aus der Auswertung der Personalunterlagen der Seminare für kirchlichen Dienst zu entnehmen ist. Die Fachlichkeit und Selbständigkeit der Seminaristinnen war nicht immer gegeben, so dass es aufgrund der Überforderung zu Problemen kam, wie dies in den Praktikumseinschätzungen durch die Mentoren dokumentiert ist. Neben der Belastung durch die Leitung des Kindergartens und durch die Erziehung und Betreuung des eigenen Kindes wurde das Eigenheim der Familie gebaut. Diese Anforderungen brachten Frau E an ihre körperliche und psychische Grenze. Diese Situation konnte mit der Hilfe ihres Mannes bewältigt werden. Verstärkt wurde der Stress durch einen Wechsel der Leitung des Seminars und die geänderten Anforderungen, die nun an die Praktikantinnen im Anerkennungsjahr gestellt wurden. Mit dem Wechsel des Rektors veränderte sich der Charakter des Seminars für kirchlichen Dienst, der familiäre Moment verlor sich zugunsten einer professionelleren Ausbildung.87 Allerdings wurde gerade von Frau E und anderen Seminaristinnen der familiäre Charakter des Seminars für kirchlichen Dienst geschätzt. Durch den Wechsel ging die Vertrautheit mit der kirchlichen Ausbildungseinrichtung verloren wohingegen die Anforderungen an die eigene Fachlichkeit erhöht wurden. Als weiterer Faktor kam hinzu, dass die Seminaristinnen ihres Kurses, die sie besonders schätzte, ihre Ausbildung
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Ersichtlich wird die veränderte Gestaltung der Ausbildung durch Interviews mit weiteren Kinderdiakoninnen des Seminars und den Unterlagen im Zentralarchiv der EKD in Berlin.
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bereits erfolgreich abgeschlossen hatten, so dass sich die Fremdheit noch verstärkte.
3.2.6.3 Habitus als Kinderdiakonin Ja irgendwas strahlt ihr aus, wir wissen aber nicht was. Da ham wir gesagt, ja was? Ihr müsst uns doch nur sagen, was strahlen wir aus? Irgend wie was anderes. Herzlichkeit, und so, das haben wir untereinander nicht so gemerkt(E, 111-114).
Parallel zu vorherigen Fallbeschreibungen fand auch bei Frau E nach der staatlichen Wiedervereinigung eine Fusion zwischen evangelischem und kommunalem Kindergarten statt. Dies bedeutete für sie, dass sich im Ort die Kinderdiakoninnen zum ersten Mal mit staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen über Einstellungen und Vorstellungen zur pädagogischen Arbeit austauschten. Zunächst schien es, dass es Übereinstimmungen in den pädagogischen Konzepten gebe, die sich dann allerdings in der Zusammenarbeit als nicht tragfähig darstellten. In den ersten Treffen wurden die Kinderdiakoninnen auf ihre Ausstrahlung angesprochen, durch die Begegnung mit den Kindergärtnerinnen wurde ihnen bewusst, dass sie einen kollektiven Habitus, eine kollektive Identität besaßen. Dies drückte sich in der pädagogischen und religionspädagogischen Arbeit aus, die frei gestaltet werden konnte. Die Kinderdiakoninnen empfanden, im Gegensatz zu den Kindergärtnerinnen, die Fachberaterin nicht als Kontrolle, sondern als Beraterin. Die berufliche Tätigkeit wird von Frau E wie von vielen anderen Kinderdiakoninnen als Berufung erlebt, zu der es keine Alternative gibt, die sich insbesondere durch die religionspädagogische Arbeit und die Liebe zu Kindern auszeichnet.
3.2.6.4 Habituelles Handeln im Transformationsprozess Gesundheitliche Gründe führten dazu, dass Frau E im Transformationsprozess die Leitung der evangelischen Kindertagestätte abgab. Die Verwaltung und Organisation, die einen wesentlichen Aspekt der Leitung darstellen, wurden von ihr als belastend erlebt, gerade da der Umfang der Verwaltungsarbeit mit der staatlichen Wiedervereinigung stark zugenommen hat. Hier zeigt sich eine Parallele zu vielen interviewten Kinderdiakoninnen, die die Leitungstätigkeit und die damit verbundene Verwaltung und Organisation als Belastung empfinden. Frau E erledigte die Büroarbeiten in der Regel nicht im Kindergarten, sondern nahm diese
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mit nach Hause, da die Arbeit mit den Kindern für sie den wichtigsten Aspekt der beruflichen Tätigkeit darstellte. Ja weil Kinderarbeit, weil die Arbeit mit den Kindern hab ich immer so gesagt, ist eigentlich meine Lieblingstätigkeit. Bürosachen hab ich immer zuhause gemacht, abends. Hab ich kaum an im Kindergarten am Tag gemacht, weil mir dann die Kinder gefehlt haben. Weil ich gesagt hab, also lieber den ganzen Tag da in dem Gewusel drin und so und nicht im Büro sitzen. Das war immer so ein bisschen ein Grauen, aber es blieb halt immer dann für zuhause übrig, musste ich dann halt zuhause machen. Ge, denn es musste gemacht werden (E, 543-550).
Mit der Fusion des evangelischen mit dem kommunalen Kindergarten wuchsen die Anforderungen an ihre Leitungstätigkeit, so erforderten die umfangreichen Baumaßnahmen und die Finanzierung des Kindergartens ein hohes Maß an Verwaltung und Organisation, die sich nicht mehr in den gewohnten Arbeitsabläufen bewältigen ließen. Verwaltungsarbeiten, die zuvor noch teilweise vom Träger übernommen wurden, lagen nun ganz in der Hand der Leiterin des Kindergartens. Gleichzeitig bedeutete Leitung nach der Fusion die Führung und Anleitung der staatlichen Kindergärtnerinnen, die, wie bereits dargestellt wurde, sich in ihrem Bild vom Kind und ihren inhaltlichen Ansprüchen stark von der pädagogischen Arbeit im evangelischen Kindergarten unterschieden. Durch die tägliche Arbeit im neu gebildeten Team setzte sich die Erkenntnis durch, dass die beiden Berufsgruppen unterschiedliche Kindbilder besitzen, die neben der religionspädagogischen Arbeit trennend sind, und dass daher eine verstärkte Anleitung durch die Leiterin nötig war. Unsere Kinder haben wir viel freier erzogen. Auch in überhaupt in ihrer ganzen Entwicklung. Wir haben dann oft so den Kopf geschüttelt, dass wir gesagt haben, wenn Kinder gerade bei Malarbeiten oder bei Zeichnen so, da hat man gesehen, die aus dem kommunalen Kindergarten die haben vollkommen nach dem Schema gemalt. Die haben gesagt gekriegt, wie etwas aussehen muss, und da muss ich sagen, da war ich teilweise ganz schön erschrocken. Die hatten den Freiraum nicht, selber zu wählen, wie etwas aussehen darf, das musste ganz exakt sein. Und wenn das nicht gestimmt hat, dann ist Hand angelegt worden. Das haben wir hier selber festgestellt. Da gabs auch wirklich ne harte Auseinandersetzung, dass ich gesagt habe: Bitte lasst eure Hände aus den Arbeiten der Kinder raus. So deutlich musste man das sagen, da haben sie gesagt: Ja aber wir mussten das immer so malen. Und da haben wir eben gesagt, wir hatten viel größeren Freiraum, und wo man sagen konnte, die Kinder haben eben ihre Entwicklung eben halt selber bestimmen können, oder jetzt so den Teil ne, es war zwar ne Aufgabe vorgegeben, aber wie sie die lösen, das musste vom Kind kommen. Und nicht das wir sagen: Ein Haus hat ein spitzes Dach, und das Dach muss rot sein, und so. Dass das halt alles vorgeschrieben war. (Flüstert) Da haben wir gesagt, war das schwierig, so zu arbeiten, da (...). Na gut, wir wa-
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ren das nicht so - von der Ausbildung her gar nicht so gewöhnt, ne. Ich meine, das war eigentlich auch dann hier so ein bisschen ein Faktor, wo wir gesagt haben, wo es Unstimmigkeiten gab. Weil man immer wieder gemerkt hat, ein Bild war genau gleich dem anderen, und wo dann der Erzieher halt selber drüber gemalt hat, damit es richtig schön wird. Dass es ein schönes Bild wird (E, 257-281).
Die unterschiedliche Art und Weise, die Beziehung mit den Kindern zu gestalten und Kindern Freiräume und Selbstbestimmung zu gewähren, führte zu Spannungen im Team. Berücksichtigt man das starke Harmoniebedürfnis von Frau E, so stellte es eine besondere Anstrengung für sie dar, in die pädagogische Arbeit der staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen eingreifen zu müssen, da dies im Widerspruch zum Selbstverständnis und der Konzeption des evangelischen Kindergartens stand. Die inhaltlichen Ansprüche an die pädagogische Arbeit werden im Interview immer wieder thematisiert. Auffällig ist bei Frau E, das Schwierigkeiten und Konflikte im Team oder der pädagogischen Arbeit problematisiert, um anschießend direkt relativiert zu werden. Auf diesem Hintergrund stellte die Aufgabe der Leitung, die staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen in ihrer pädagogischen Arbeit anzuleiten, eine extreme Herausforderung für Frau E dar. Der Stress und die Anspannung brachten gesundheitliche Probleme mit sich, die letztlich dazu führten, dass Frau E die Leitung des Kindergartens aus gesundheitlichen Gründen abgab und einer bedeutend jüngeren Kinderdiakonin übertrug. Die Abgabe der Leitung war für Frau E nicht unproblematisch, da sie sich mit dem Kindergarten identifizierte und ihn als ihren Kindergarten begriff. Die jüngere Kollegin wurde in die Leitungstätigkeit eingearbeitet, indem ihr stufenartig Aufgaben übertragen wurden. Die staatliche Wiedervereinigung und die damit verbundenen politischen, gesellschaftlichen, sozialen, familialen und wirtschaftlichen Veränderungen konkretisierten sich für Frau E in der Fusion der beiden Kindergärten, die einen Umbruch kennzeichneten, der sich bedingt durch die beruflichen Schwierigkeiten ihres Mannes für sie als persönliche Krise darstellte, die nur mit Mühe bewältigt werden konnte. Durch die Fusion veränderte sich die pädagogische Arbeit im evangelischen Kindergarten, Selbstverständlichkeiten wurden infrage gestellt, insbesondere die Selbstverständlichkeit der religionspädagogischen Arbeit war zunächst nicht für alle Gruppen gegeben. Durch interne Anleitung und Fortbildungen mussten die staatlich ausgebildeten Mitarbeiterinnen mit der religionspädagogischen Arbeit vertraut gemacht werden. Die Elternarbeit veränderte sich, so waren viele Eltern nicht mehr konfessionell gebunden und mussten durch die Qualität der pädagogischen Arbeit von der Konzeption des evangelischen Kindergartens überzeugt werden. Bemerkbar machte sich, dass die Selbstverständlichkeit der Partizipation von Eltern und Kindern an Gottesdiensten (Erntedankfest, Weihnachten) nicht mehr gegeben war und stattdessen von den Kinderdiakoninnen eingefordert werden musste. Die 149
Eltern im Transformationsprozess werden als kritisch, aber engagiert beschrieben, sie wollen die Entwicklung der Kinder begleiten. Wie andere Kinderdiakoninnen formuliert Frau E, dass der evangelischen Kindertagesstätte Erziehungsund Bildungsaufgaben seitens der Eltern übertragen werden, die eigentlich von den Eltern geleistet werden müssten. Es gelingt ihr, die pädagogischen Fachkräfte in der Einrichtung von ihrer Konzeption und Meinung zu überzeugen und damit den (vor-) schulischen Charakter, den die staatlichen Kindergärtnerinnen in die jetzt evangelische Kindertagesstätte hineingetragen haben, abzulösen bzw. zu unterbinden. Nach Ansicht von Frau E würde durch den Druck die Freude und Motivation der Kinder auf die Schule kaputt gemacht werden (E, 991). (...) so dass sie halt das selbst in einem Spiel so viel passiert was zur Entwicklung des Kindes hin führt, und was das Kind reif macht, das wollen die [Anmerkung: die Eltern] manchmal auch gar nicht akzeptieren (E, 233-235). I: Was glauben Sie, was Kinder wissen müssen? E: Was sie wissen wollen. Ich denke wenn ein Kind an mich Fragen hat, dass es wissen will. Ob das immer wissen muss, weiß ich nicht. Aber es ist dann etwas, was das Kind wissen will, und das will ich denen nicht schuldig bleiben. Ich denke manches weiß ich nicht, dann kann ich sagen: Also da muss ich erst nachgucken, oder Du fragst mal zu Hause und das kannst Du mir dann erzählen, weil ich das auch nicht weiß. Ich kann ja auch nicht auf alles antworten. Ja, wissen müssen sie aber ob ich das immer wüsste, das weiß ich auch nicht. Wie man durchs Leben kommt. (Seufzt) Wie man gut durchs Leben kommt, ohne Schaden zu nehmen. (2) Aber das weiß man immer vorneweg nicht, wie man durchs Leben geht ohne Schaden zu nehmen (E, 922-933).
Die pädagogische Arbeit des Kindergartens basiert auf dem Situationsansatz, der insbesondere bei Fragen und Ängsten der Eltern in Bezug auf die schulische Vorbereitung eine Argumentationshilfe darstellt. Es gelingt Frau E in den Elterngesprächen, diesen die Angst zu nehmen und stattdessen für die Entwicklungsprozesse der Kinder zu sensibilisieren. Kinder im Transformationsprozess werden als wissbegieriger und im Vergleich zu früher entwicklungsbeschleunigt wahrgenommen. Dies muss von der Erzieherin aufgegriffen und gefördert werden, gerade das technische Verständnis wie z. B. der Umgang mit dem Computer, stellt für Kinder eine Selbstverständlichkeit dar.
3.2.6.5 Coping-Strategien und Resümee Frau E nutzte emotionale Coping-Strategien zur Bewältigung des Umbruchs im Transformationsprozess. Im Gegensatz zu anderen interviewten Kinderdiakoninnen, die emotionale Coping-Strategien nutzten, wird in ihrer Darstellung die 150
Wende und staatliche Wiedervereinigung als Ereignis nicht ausgeblendet, sondern in seinen unterschiedlichen Facetten wahrgenommen. Das Interview beinhaltet sowohl berufliche, aber auch stärker private Erzählungen. Die private Situation war von Unsicherheit und Existenzängsten gekennzeichnet, so wurde die Berufstätigkeit des Ehemannes immer wieder von Phasen der Arbeitslosigkeit unterbrochen. Bedeutsam war dies, da es zeitgleich mit der Fusion, der Übernahme des kommunalen Kindergartens und den daraus resultierenden höheren beruflichen Belastungen von Frau E auftrat. Auffällig ist, dass es zunächst zu einer aktiven Auseinandersetzung mit der veränderten Situation kam, die sich nicht einfach unter emotionale Coping-Strategien subsumieren lässt. Gleichwohl stellt dies wie bei Frau A eine Aktivität dar, die von außen erzwungen wurde und somit eine Anpassung an die Ansprüche der Umwelt darstellt. Den Anforderungen und Herausforderungen, die als Stress wahrgenommen wurden, konnte eine Zeitlang entsprochen werden, bis Frau E erkrankte und damit der Situation und den Anforderungen nicht mehr gerecht werden konnte. In dem Interview werden die hohen Leistungsansprüche deutlich, die an die eigene Person gestellt werden und die dazu führen, dass sie beruflichen und privaten Bereich kaum abzugrenzen vermag. Im Gegensatz zu Frau A fällt ihre Erinnerung an die DDR differenzierter und facettierter aus, dies wird als eine Zeit resümiert, in der der Einzelne immer unter Beobachtung stand und in seinen Freiheiten eingeschränkt war. Auf der anderen Seite beschreibt sie, dass die Christen stärker gebunden und fester im Glauben waren. So war die Teilnahme am Leben der Kirchgemeinde selbstverständlich, während dies für junge Menschen im Transformationsprozess nicht mehr alltäglich war. Auch sie vermisst den familiären Charakter der Kirche und konstatiert, dass die Individualisierung hat die evangelische Kirche erreicht hat. Die pädagogische Arbeit in der Kindertagesstätte kann aufbauend auf das in der Ausbildung erworbene Wissen weiterentwickelt werden. Die eigene Person und Tätigkeit wird reflektiert und die Auseinandersetzung mit den Kollegen gesucht. Die emotionalen Coping-Strategien, die zur Bewältigung der Krise genutzt wurden, finden ihre Entsprechung in dem Bedürfnis von Harmonie, welches die Persönlichkeit von Frau E kennzeichnet. Die Wende und die staatliche Wiedervereinigung werden mit vielen Details dargestellt, die Darstellung steht damit im Gegensatz zu den Kinderdiakoninnen, die diese und die damit verbundene Transformation ausblenden. Private Freiheiten, die mit der staatlichen Wiedervereinigung verbunden sind, werden von ihr wahrgenommen, als Beispiel sei hier die Möglichkeit des Reisens genannt.
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3.2.7 Frau F die Aussteigerin so ein bisschen Abenteuer brauch ich. Frau F (42) ist seit drei Jahren Leiterin einer evangelischen Kindertagesstätte in einer Stadt mit ca. 200000 Einwohnern. Die Stadt besitzt neben kommunalen und Kindertagesstätten in freier Trägerschaft weitere evangelische Kindertagesstätten, die bereits in der DDR in Trägerschaft von Kirchgemeinden und diakonischen Trägern waren. Sie fällt aus mehreren Gründen durch ihren Lebenslauf aus dem Rahmen der bisherigen Fallbeschreibungen.
Im Gegensatz zu anderen Kinderdiakoninnen absolvierte sie zunächst eine Lehre, bevor sie sich am Seminar für kirchlichen Dienst bewarb. Sie stieg - bedingt durch die Geburt von Kindern - bewusst für einige Zeit aus dem Arbeitsfeld Kindergarten aus. Sie arbeitete in verschiedenen Freizeittreffs, die sie teils nach der staatlichen Wiedervereinigung mitinitiiert hat. Sie war bzw. ist in der Frauenbewegung engagiert.
Frau F kann als Fallkontrast zu den beschriebenen Fällen bezeichnet werden und steht stellvertretend für viele Kinderdiakoninnen, die aus dem Arbeitsfeld evangelischer Kindergarten ausgestiegen und damit mit ihrem Habitus und ihren Motiven in der vorliegenden Arbeit nur schwer erfasst werden können.
3.2.7.1 Kindheit und berufliche Motivation Die Eltern von Frau F besaßen eine Bäckerei, die bestimmend für das Leben der Familie war. Großeltern, Eltern und Gesellen wohnten gemeinsam, Leben und Arbeiten fand unter einem Dach statt. Infolge des eigenen Handwerksbetriebes hatten die Eltern wenig Zeit, sich um die Kinder zu kümmern, so dass die elf Jahre ältere Schwester für die Geschicke der vier Kinder verantwortlich war. Die Eltern standen als Ansprechpartner kaum zur Verfügung, insofern erwarben die Kinder eine frühe Selbständigkeit, die Dinge wurden unter den Geschwistern geregelt. Die Kindheit von Frau F spielte sich vor allem in der Bäckerei ab, sie besuchte zwar einen Kindergarten, nutzte aber jede Gelegenheit, um diesen nicht aufsuchen zu müssen. Der Schulbesuch wird im Interview nicht thematisiert. Die im Kapitel 2.3.1 dargestellte Anpassung von Christen in der DDR wurde auch von der Familie praktiziert, so nahm Frau F sowohl an der Jugendweihe wie auch an der Konfirmation teil, wobei sie betont, dass Christ-Sein in der DDR eine bewusste Entscheidung war. Der eigentliche Berufswunsch der Krippenerzieherin konnte aufgrund der Berufslenkung und der starken Nachfrage nicht
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ergriffen werden. Die Möglichkeit, Krankenschwester oder Altenpflegerin zu werden, wurde von ihr abgelehnt. Ebenso wie viele andere wurde sie durch die Junge Gemeinde auf die kirchliche Ausbildung aufmerksam. Und das war aber klar, dass es staatlich nicht anerkannt ist und dass es eben ne Aufnahmeprüfung gibt, und eine Zwischenprüfung und ma ja nicht genau wusste, na ist das nun was für einen oder nicht, und da hab ich dann gedacht, okay dann machste erst einmal einen anderen Beruf und dann kann ich das immer noch machen, läuft ja nicht weg. Ja und da hab ich dann eben gedacht, na gut dann mach ich halt eine Töpferlehre und das war auch sehr schwierig (...) (F, 36-43).
Die Aufnahmeprüfung und damit die Möglichkeit, keinen Ausbildungsplatz zu bekommen, wie auch die Schwierigkeiten der Zwischenprüfung wurden von ihr in den Überlegungen, sich zu bewerben, berücksichtigt. Im Gegensatz zu anderen Kinderdiakoninnen thematisiert sie die Möglichkeit, dass ihr der Beruf eventuell keinen Spaß machen könnte, oder dass sie für diesen nicht geeignet sei. Sie absolvierte eine Lehre als Tischlerin, den Wunschberuf Töpferin konnte sie nicht erlernen, da sich keine Töpferei mit einem Meister fand, der zur Ausbildung berechtigt war. Frau F problematisiert als einzige Kinderdiakonin die Fähigkeit, in dem Beruf als Kinderdiakonin zu arbeiten. Dies drückt sich auch in der Angst vor den hohen Anforderungen in der Prüfung aus. Da die kirchliche Ausbildung das Ende des normalen sozialistischen Lebenslaufs bedeutete, bestand die Gefahr, mit Abbrechen der Ausbildung bzw. Nichtbestehen der Prüfung keine weitere adäquate Ausbildung zu bekommen. Die ausgewerteten Personalunterlagen weisen darauf hin, dass die Angst, im Verlauf der Ausbildung zu erfahren, dass man den Anforderungen nicht gerecht werden könne, durchaus in einigen Fällen berechtigt war.
3.2.7.2 Berufliche Sozialisation Die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst und erste praktische Erfahrungen In der beruflichen Sozialisation unterscheidet sich Frau F von vielen der interviewten Kinderdiakoninnen. Der Zeit am Seminar für kirchlichen Dienst wird im Interview nur wenig Raum gegeben. Andere Erzählungen beinhalten in der Regel Geschichten des Zusammenlebens bzw. der Trennung von Zuhause und der Erfahrungen im Internat. Die Intensität der Erzählung vom Seminar zeigt, welche Bedeutung dieser heute noch zukommt. Frau F beschreibt nur mit wenigen Aussagen die Ausbildung, die Regeln des Internates, die nicht ihren Vorstellungen entsprochen haben, und ihre ersten praktischen Erfahrungen. Die Ausbildung wird von ihr als vielseitig und fundiert eingeschätzt. 153
Ja die Schule war eben so es war unten waren so wie so Essenraum, da drüber waren Büroräume, da drüber waren die Unterrichtsräume und da drüber waren die Schlafräume. Also es war alles in einem Haus, war eben Internatscharakter, es war eben um zehn musste man abends zu Hause sein, für mich war das natürlich alles so ein bisschen albern (Lachen) weil ich na ja so ein bisschen älter war. Aber was solls, man musste sich da eben eingliedern und es war schon streng. Also man musste eben früh zum Frühstück erscheinen und wenn man nicht erschien ist man eben geweckt worden. Also es war schon bisschen mittelalterlich war das schon noch. (Lachen) Ne ja es war eben Schulcharakter, wir saßen da so im Carre und das fand ich ganz gut, weil man sich so angucken. Es war kein Frontalunterricht und es waren ja kleine Klassen, so maximal 16 Schüler, das war schon gut (F, 79-91).
Die Regeln im Internat, wie das gemeinsame Frühstück, wurden als Einschränkung der persönlichen Freiheit und nicht als Erleben von Gemeinschaft empfunden. Diese Regeln wurden an den einzelnen Seminaren unterschiedlich gehandhabt, so wurde das Essen an manchen Ausbildungsstätten gemeinsam eingenommen, während das Frühstück und Abendessen an anderen Seminaren individuell erfolgte. Weitere Erlebnisse und Momente der Ausbildung im Seminar für kirchlichen Dienst werden von Frau F nicht erwähnt. Wie bereits dargestellt, unterscheidet sich Frau F in diesem Punkt von anderen interviewten Kinderdiakoninnen, die die Zeit im Internat und in der Schule detailliert schildern. Kern dieser Erzählungen zur Ausbildung ist das Gemeinschaftsgefühl, welches durch das gemeinsame Leben an den Wochenenden, das Zusammenwohnen und die gemeinsamen Aktivitäten entstand. Auch die Hausmutter, die häufig eine zentrale Stellung für viele Seminaristinnen hatte, wird nicht angesprochen. Die berufliche Sozialisation, in der die schulische Ausbildung durch das gemeinsame Leben im Internat ergänzt wurde, um das Gemeinschaftsgefühl der Seminaristinnen zu fördern, wurde von ihr als nicht wesentlich wahrgenommen bzw. als nicht mehr zeitgemäß beurteilt. Diese Empfindung bezieht sich auch auf die Betreuung durch die Hausmutter, die Frau F mit ihren damals 20 Lebensjahren als überflüssig betrachtete. Ihre Erfahrungen im Anerkennungsjahr decken sich mit denen anderer Seminaristinnen, auch sie wurde an einen evangelischen Kindergarten delegiert, in dem außer der Leiterin keine weiteren ausgebildeten Mitarbeiter beschäftigt waren. Die Anleitung durch die Mentorin verlief enttäuschend, da diese in ihrer eigenen Tätigkeit überfordert war. Der personelle Engpass wurde durch die Einstellung der Anerkennungspraktikantin (Frau F) überbrückt, die Schwierigkeiten mit den Anforderungen hatte und die die Enttäuschung formuliert, dass die in der Ausbildung vermittelten Inhalte nicht umgesetzt werden konnten.
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(...) das war wirklich, also das war eine Herausforderung kann man schon so sagen, weil das Personal eben, es war nur eine ausgebildete Kraft und die war gleichzeitig die Leiterin. Und die war damit aber auch ein bisschen überfordert, also die hatte dann mit sag ich mal, so nervlich hatte sie da auch mit zu tun, sich da durchzusetzen in so einem kleinen Ort. Und dann waren es drei Gruppen und ich hatte eben eine Gruppe übernommen. Und das war dann eben schon ein bisschen schwierig, wenn man eben so Vorstellungen hat, was man alles schönes machen könnte und dann eigentlich äh in so nem Ort mehr so um Ordnung und Systeme geht, das ist dann natürlich schon schwierig, da zurecht zu kommen (F, 96-105).
Die pädagogischen Vorstellungen, die am Seminar für kirchlichen Dienst vermittelt wurden, waren nicht immer kompatibel mit der pädagogischen Arbeit in den evangelischen Kindergärten, sei es auf dem Dorf wie im vorliegenden Falle oder auch in den städtischen Kindergärten. Diese Probleme bewegten Frau F dazu, sich in einem evangelischen Kindergarten zu bewerben, den sie im Rahmen ihrer Ausbildung kennen gelernt hatte. Die Arbeit in altersgemischten Gruppen interessierte sie, aus diesem Grund bewarb sie sich in dieser Einrichtung, die relativ weit von ihrem Ausbildungsort entfernt lag. Hier unterscheidet sich Frau F von anderen Kinderdiakoninnen, da eine Bewerbung aufgrund von pädagogischen Gründen direkt nach dem Anerkennungsjahr bei den interviewten Kinderdiakoninnen selten anzutreffen war. Häufiger dagegen war die Tendenz, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren, was meist bedeutete, dass man in dem evangelischen Kindergarten, in dem das Anerkennungsjahr absolviert wurde, verblieb. Die normale Verweildauer in den evangelischen Kindergärten belief sich in der Regel auf 15-30 Jahre.
3.2.7.3 Habitus als Kinderdiakonin Im Gegensatz zu anderen Kinderdiakoninnen ist der Habitus von Frau F durch ihr Interesse an Theologie gekennzeichnet, was sich unter anderem in ihrer Zusatzausbildung zur Katechetin äußert. (
) auch theologisch war eben vielseitig, war eben Neues Testament, Altes Testament, Katechetik, Vorschulkatechetik, also es war ja ne Ausbildung mit CKatechetik, also wir hatten ja dann auch Christenlehre, die wir zum Teil unterrichtet haben (
) (F, 63-66)
Auffällig ist, dass sie im Transformationsprozess bewusst für 10 Jahre nicht im evangelischen Kindergarten arbeitet und sich kritisch gegenüber der Institution der evangelischen Kirche äußert. Gleichzeitig formuliert Frau F, dass sie sich in der DDR als Kinderdiakonin bezeichnete, weil dies das religionspädagogische 155
Profil ihrer Ausbildung deutlich machte, während sie sich nach der staatlichen Wiedervereinigung als Erzieherin begreift. Der Beruf und die Berufbezeichnung der Erzieherin ist für sie mit einem höheren Status in der Gesellschaft gekoppelt, dieses bleibt auch - nach einem Wechsel des Arbeitsfeldes - als Leiterin einer evangelischen Kindertagesstätte bestehen. Obwohl die Berufsbezeichnung der Kinderdiakonin als obsolet gilt kann sie durch ihr Interesse für Religion und ihre religiösen Vorstellungen charakterisiert werden, die eher als atypisch für die interviewten Kinderdiakoninnen bezeichnet werden können. Frau F greift feministische theologische Positionen von Dorothee Sölle auf, die sie anhand einer Diskussion mit dem männlichen Berufspraktikanten des Kindergartens deutlich macht. Frauenproblematik. Also ich denke da weiß nicht, da muss wahrscheinlich noch viel Wasser den Bach runter gehen. Also mal jetzt ein ganz einfaches Beispiel: (), da hatten wir uns unterhalten, über na so über also einfach so ein Glaubensansatz, ge, und da hat er dann da hat () gesagt, wie man so Geschichten erzählt, dass eben so dieses Bild vom guten Vater, ge also jetzt auch wegen Ostern, dass man das so nicht mehr erzählen kann, weil ja dieses Vaterbild nicht mehr so da ist. Viele haben keine Väter mehr oder Patchworkfamilien und dieser guter Vater, ge und da hat er gesagt: na ja auf der anderen Seite ist das doch das Schöne, mit dem guten Vater und so und mit der Dorothee Sölle, die dann immer nur so die Frauen und auf den Männern so rum hackt. Da hab ich dann auch gedacht, das ist so ein Schwarz-Weiß-Denken, man kann ja genauso gut sagen, Gott ist wie ne gute Mutter, oder wie ein guter Vater. Warum muss das so oder so sein? Warum kann das nicht ein gemeinsames Bild sein. Es kann doch auch ne gute Tante sein oder was so. Also das verstehe ich nicht, warum muss es nur das oder das geben. Warum, warum wird so gedacht? (F, 620637).
Diese Diskussion mit dem Berufspraktikanten, den sie an sich in seiner Fachlichkeit schätzt, über das Erzählen von biblischen Geschichten macht deutlich, dass sie sich aktiv mit dem Gottesbild auseinandersetzt und dieses für ihre Person von zentraler Bedeutung ist.
3.2.7.4 Habituelles Handeln im Transformationsprozess Bereits in der Kurzbeschreibung wird darauf verwiesen, dass Frau F mit der Geburt ihrer Kinder die Erwerbstätigkeit für zwei Jahre unterbrach, um anschließend in einem Verein für offene Kinder- und Jugendarbeit als Erzieherin zu arbeiten. Die mit der staatlichen Wiedervereinigung und dem Transformationsprozess einhergehenden gesellschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungen wurden als Chance begriffen, aktiv zu werden und eigene pädagogische 156
und politische Vorstellungen umzusetzen. Ein Haus wurde als Freizeittreff umgebaut, Gelder zur Finanzierung der Stellen wurden von ihr beantragt. (...) das war so ein bisschen Revoluzzerstimmung gewesen, wir hatten eben da so ein Haus aufgebaut für ähm Jugendliche und eben Kinder. Aber es war alles sehr improvisiert, also mit ganz wenig Geldern da und mit Eigeninitiative, das war ein bisschen zurecht geschustert und man wusste auch gar nicht, was mit dem Haus dann überhaupt wird. Also das Haus ist nie saniert worden, das war nur eben, dass man die Räume ein bisschen gestaltet hat nach seinen Ideen. Ja da haben wir dann eben Angebote für Kinder gemacht und da konnten wir aber nicht lange bleiben, weil ne Stadtplanung war natürlich ne andere. Wir haben da oben, das Haus hat da oben natürlich nicht mehr hingepasst, das ist dann später auch abgerissen worden (F, 131-141).
Aufgrund der Stadtplanung und Stadtentwicklung passte der alternative Freizeittreff nicht mehr, insofern musste der Verein neue Möglichkeiten für die Realisierung der Freizeitangebote suchen. Die beantragten Förderstellen bestanden weiter, die materiellen und personellen Bedingungen waren noch weitestgehend vorhanden. Und die Förderstellen bestanden auch und da haben wir dann alle Materialien in den Keller verteilt und haben nur noch mobile Sachen gemacht. Sind auf Spielplätze gegangen zu Festen, Straßenfesten oder wenn uns jemand gefragt hat, haben wir eben so Projekte mit unterstützt. Das war eben alles sehr mobil (F, 144-148).
Der Verein brachte sich in ein EU-Projekt ein und erhielt auf diese Weise wieder Räumlichkeiten, die er als Gemeinwesenprojekt ausbauen konnte. Die Ausgestaltung und Nutzung des Hauses wurde mit den Anwohnern am Runden Tisch abgesprochen. Kontrastierend zu den anderen Fällen nimmt die Erzählung der Zeit nach der staatlichen Wiedervereinigung den größten Raum ein. Dies spiegelt sich in der Darstellung des beruflichen Handelns wie in den Erzählpassagen des privaten Lebens wider. Die mit dem Transformationsprozess verbundenen Möglichkeiten (Vereinsgründung, staatlich Förderung von SAM/ABM-Stellen) wurden von ihr gemeinsam mit anderen aufgegriffen. Die Zeit nach der Wiedervereinigung war gerade im sozialen Sektor von einer Aufbruchstimmung bestimmt, in der versucht wurde, pädagogische Vorstellungen, unter anderem auch Gemeinwesenprojekte, umzusetzen. Durch die staatliche Finanzierung der SAMund ABM-Stellen und die Möglichkeit, EU-Gelder zu beantragen, war es möglich, Projekte zu initiieren, die über längere Zeit Bestand hatten. Ein zweiter Aspekt, der mit der Wiedervereinigung einherging, wurde in der Arbeit im Gemeinwesenprojekt für Frau F deutlich. Die soziale Ungleichheit und Differenzierung der sozialen Milieus war in diesem Stadtteil besonders deutlich, charakteris157
tisch waren die hohe Arbeitslosigkeit und die Verarmung und Verwahrlosung der Kinder. Ja und dann wars eben so, dass ich für mich eben so gemerkt habe, es ist eben auch ne sehr ähm wie soll ich das denn sagen, es geht so an die Seele. Also das die Kinder eben so sehr na ja es ist schon Kinderarmut kann man sagen oder zum Teil auch Verwahrlosung. Und ähm so nen Freizeittreff ist eben wirklich niederschwelliges Angebot ge, was dann wirklich äh weiter trägt, das kann man wirklich nicht ermessen. Man muss dann dabei bleiben, was da in dem Moment passiert. Ich sag mal, wenn wir haben da auch Schwarzes Theater mit den Kindern gemacht wenn die da eine Sache mal gemacht haben, das war für die ne totale Leistung ge. Das wurde immer mehr eben eigentlich so das es da um elementare Dinge geht. Das die einfach mal darüber erzählen können, wies zu Hause ist oder das sie was zu essen haben. Ja und das fand ich eigentlich dann immer belastender und ich mir auch gesagt habe, also das ist ist dann auch gut. Also das muss dann jemand anderes mal weitermachen. Ja und da wollte ich mich eben mal umgucken ja(...) (F, 180-194).
Es geht an die Seele, es belastet so Frau F, wenn nur mit Kindern aus Problemfamilien gearbeitet wird. Der Stadtteil, in dem das Gemeinwesenprojekt lag, galt in der DDR als Arbeiterviertel und als sozialer Brennpunkt. Demzufolge waren gerade die Anwohner besonders von den Entlassungen nach der staatlichen Wiedervereinigung betroffen. Infolge der geringen oder nicht mehr konvenablen beruflichen Qualifikationen war/ist es ein Stadtviertel, welcher besonders durch die hohe Zahl der Arbeitslosen bestimmt wurde/wird. Die Auswirkungen der Wiedervereinigung, die unter anderem Arbeitslosigkeit, Kinderarmut und Verwahrlosung mit sich brachten, wurden für Frau F direkt erfahrbar und bedrückten sie. Ein zentrales Moment der pädagogischen Arbeit war es, Aktivitäten anzubieten, aber vor allem als Gesprächspartner zu Verfügung zu stehen und den Kindern die emotionale Zuwendung zu geben, die sie zuhause nicht bekamen. Gerade die Entwicklung der Selbst-, Sach- und Sozialkompetenz wird von Frau F als schwierig bezeichnet, da der Entwicklungsstand der Kinder nicht immer altersentsprechend war. Die pädagogische Arbeit im niederschwelligen sozialen Bereich war nach Ansicht von Frau F nur zeitlich begrenzt möglich, so freute sie sich, als sie erfuhr, dass eine Stelle als Leiterin eines evangelischen Kindergartens vakant war. Der bereits dargestellte Kontrast zu den anderen Fällen findet sich nicht nur im beruflichen, sonder auch im privaten Leben wieder. Frau F lebt mit einem Afrikaner zusammen, der auch der Vater ihrer Kinder ist. Die Erfahrungen einer interkulturellen Beziehung sensibilisieren sie für Fremdenfeindlichkeit und latenten Rassismus in der BRD, stehen stellvertretend für ihre Offenheit für alles Fremde.
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Während der letzten Wochen der Schwangerschaft und in der Zeit des Erziehungsurlaubs engagierte sich Frau F in einer Frauengruppe. In diesem Kontext spricht sie von Revoluzzerstimmung. (...) Wir hatten ja so eine Frauengruppe, so eine Künstlerinnengruppe und wir haben dann lauter Aktionen gemacht. Wir hatten dann so ein Haus besetzt und haben dann gesagt, wir wollen da ein Kunsthaus aufbauen, und das haben wir dann auch gemacht. Und ich mein, vorletzten Endes war das auch so eine Wende-Aktion gewesen, ge dass das Haus da bevölkert worden ist und dann durchgedrückt worden ist(F, 337-342).
Neben dieser Besetzung fanden weitere Aktionen statt, um die alten Gebäude in einem Stadtviertel zu erhalten. Das von ihnen besetzte Gebäude konnte durch das Engagement der Frauengruppe erhalten und ausgebaut werden. Ja wir haben dann alles mögliche gemacht, wir haben Performance gemacht und Modenschau und haben dann eben Geld zusammengespielt und damit wir eben da für Haus da und dann hatten wir eben die Nähmaschinen, die Vietnamesen hatten, mussten ja auch alle, alle Ausländer mussten ja nach Hause zurück ge, und die hatten dann auch die ganzen Nähmaschinen mitgenommen, die ganzen Gestelle hatten sie da gelassen, und von den Gestellen hatten wir dann eben so Tische gemacht und hatten ein Cafe aufgebaut. Und haben in dem Cafe eben da gearbeitet und das Geld ging dann eben darum, dass wir dieses Haus da kriegen. Und das haben wir auch geschafft und das gibts ja jetzt auch. War eben auch so ein Konzept, eben mit Cafe und Kunst und Werkstätten. Ja war schon eine verrückte Zeit. Sind wir auch, also wir sind auch zum Teil eingeladen worden, war wir hatten ein Auftritt auch in Holland, da konnte ich aber nicht mehr mitfahren, weil ich hochschwanger war. Aber das war schon verrückt (F, 349-363).
Mit der Wende und der staatlichen Wiedervereinigung, die geprägt war durch eine Aufbruchstimmung gewann Frau F Freiheiten, die sie in den unterschiedlichen Bereichen ausschöpfte. Ja. Ja aber auf allen Ebenen. Also ich meine (1) man kam sich ja doch ein bisschen eingesperrt vor. Ge. Also es gab, also es war alles eben abgegrenzt, man wusste, in dem Bereich kannste eben das erzählen, in dem Bereich kannste nix erzählen und ich mein, was weiß ich, schon alleine es gab ja zum Beispiel auch gar keine Materialien, ma hatte zwar viele Ideen entwickelt, was man jetzt aus dem machen kann, was da ist. Ge und auf einmal waren Materialien da, davon hat man ja nur geträumt. Ge also das war, irgendwelche Glitzerstoffe oder irgend was, also ähm ja was man eben, ich denke das weiß man an sich, ist ja auch die Revolution dann gewesen, dass man dann gesagt och man muss gleich irgendwo hinfahren. Hm und bei mir war eben gleich nach der Wende, also ich wollte zu ner Hochzeit fahren, weil weil so als Kin-
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derdiakonin ist man ja schlechter entlohnt worden als jetzt die normalen Erzieherinnen. Und da hieß es ja, so ein bisschen Ost-West-Kirche, dass das ein bisschen honoriert wird und da gabs eben ein bisschen Geld und man musste im Westen ein Konto errichten und da ist dann das Geld hingekommen. Und nach der Wende konnte man auch och an das Geld ran und die Familie, die hatte mich eingeladen eben zur Hochzeit und da war aber, war aber an Wende gar nicht zu denken. Ich hatte einen Antrag gestellt, der ist natürlich abgelehnt worden, dass ich darüber fahre. Und ja und dann hatte sich das mit nun mit der Grenzöffnung aufgetan und da habe ich eben auch alle Hebel in Bewegung gesetzt und bin dann eben auch gleich, nachdem die Mauer auf war, an dem Samstag bin ich dann eben nach Bremen gefahren. Und das war schon ein totaler Kulturschock, erst einmal, dass ich da in so einem ICEZug saß, ich kam mir vor wie im Flugzeug. Und dann bin ich ja an dieser Grenze da lang gefahren und da hab ich auch gedacht, was das war wirklich wie Käfig. Man hat das zwar innen gewusst, aber man hats nicht so empfunden. Man hat es schon als Einschränkung empfunden aber so massiv, wie wenn man das jetzt von außen sieht, also das war schon verrückt. Ja in (), also ich hab da überhaupt kein Land gesehen. Ich bin da aus dem Zug ausgestiegen, ich hatte weder eine Orientierung noch irgendwie wie ich jetzt da weiter zu Recht kommen sollte. Ich hatte ein Telegramm geschickt, das war natürlich nicht angekommen, das war ja hier alles Chaos. Ich hab ja bestimmt zwei Stunden auf der Post gestanden, um da ein Telegramm aufzugeben, was dann letzten Endes nie angekommen ist. Ge also (Lachen) irgendwie kann man das auch schlecht beschreiben, was was da los war. Es herrschte ein Ausnahmezustand auf der Polizei. Ja hm Ja und die Hochzeit, das war dann einfach alles zuviel. Erst einmal dieses, dieses dass man auf einmal diese Grenze, dieses ähm sag ich mal, jetzt es klingt vielleicht blöd, aber dieses Gewohnte zu verlassen gell war ja schon mal ne Aktion an sich. Und das von Außen zu betrachten, ge und dann dort auf dieser Hochzeit, ich kannte ja auch niemanden weiter, also ich die die Familie, die kannte ich ja auch nicht so richtig, ge. Und dann waren die alle so herausgeputzt, ich kam mir wirklich vor wie das hässliche Entlein, das war wirklich der Hammer. (Lachen) Und dann hab ich, und da war ein Tisch da waren Früchte aufgebaut, ein Riesentisch in so einem kleinen Zimmer. Ich kannte nicht eine Frucht. Also, das war schon sehr deprimierend. Naja und was schön war, eine Familie hatte mich dann mit ins () genommen (F, 374-422).
In der Passage wird die Einschränkung der Meinungsfreiheit in der DDR, aber auch die Lebensmittelversorgung dargestellt; mit der Wende wird es möglich, dies von außen zu reflektieren. Frau F nutzte die neu gewonnene Reisefreiheit unmittelbar aus und finanzierte die erste Fahrt in den Westen mit ihrem WestGeld, welches die evangelische Partnergemeinde für sie verwaltete.88 Im Fall von Frau F wird dieses Geld von einer Familie verwaltet, die sie zur Hochzeit
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In Kapitel 2.3.6 wurde bereits dargestellt, dass kirchliche Mitarbeiter von der Partnergemeinde finanziell unterstützt worden sind.
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einlädt. Deutlich wird in der Aussage, dass die Umbruchsituation und die damit verbundenen Freiheiten unmittelbar gestaltet wurden. Mit Verlassen der DDR wurde ihr bewusst, welche Grenzen die DDR hatte. Zwar ahnte sie die Einschränkungen, allein durch die Außensicht wurde ihr deutlich, wie stark die Sicherung nach innen und außen war. Sie nutzt, um dieses Gefühl zu versinnbildlichen, die Metapher des Käfigs, damit wird die Enge, die Unentrinnbarkeit, die mit der Grenze und dem Leben in der DDR verbunden war, symbolisiert. Die Beschreibung der Wende findet vorrangig durch Metaphern statt. So war die DDR mit Öffnung der Mauer in einem Ausnahmezustand, der Begriff Chaos soll verdeutlichen, dass der normale Ablauf wie z.B. das Verschicken eines Telegramms zwar mit hohem Zeitaufwand gekoppelt war, letztlich in dieser Situation aber alltägliche Dinge aufgrund des Chaos nicht mehr geregelt werden konnten. Die Bilder ihrer Ankunft stehen symbolisch für das Ankommen in einer anderen gesellschaftlichen Ordnung, in der ihr die Orientierung fehlte. Sie war fremd und da keiner sie abholte, sich keiner für sie zuständig fühlte, hatte sie das Gefühl, kein Land zu sehen, wie jemand auf einem Schiff, der außer Wasser kein Land sehen kann. Die Metapher kein Land zu sehen findet sich weiter in den folgenden Passagen, in der die Hochzeitsfeierlichkeiten beschrieben werden. Frau F fühlte sich wie ein hässliches Entlein, fremd unter den festlich gekleideten Menschen. Gekoppelt war diese Fremdheit mit einem Gefühl der Minderwertigkeit, welches im Begriff des hässlichen Entleins, und in anderen Metaphern deutlich wird. Die Aussage, keine der Obstsorten gekannt zu haben, wie sie es formuliert, verstärkt den Eindruck, dass sie sich fremd und nicht gleichwertig fühlte. Bei dieser Hochzeit wurde Frau F von einer Familie für ein paar Tage eingeladen. Hier entstand der Gedanke, mit anderen gemeinsam nach Italien zu fahren, wobei sich die Finanzierung der Reise schwierig gestaltete. Bedingt durch ihren geringen finanziellen Spielraum konnte sie sich in Italien dem gemeinsamen Essengehen nicht anschließen. Schmerzlich erfuhr sie, was es bedeutet, kein Geld zu besitzen, und an den gemeinsamen Aktionen nicht teilzunehmen zu können. Besonders negativ erlebte sie das Desinteresse ihrer Reisepartner an ihren finanziellen Möglichkeiten. Frau F nutzte die neue Reisefreiheit, um noch im gleichen Jahr die Heimat und Familie ihres Mannes zu besuchen. Ihr Mann, der gerade erst eine Arbeitsstelle gefunden hatte, konnte nicht mitreisen, so reiste sie alleine, obwohl sie die dort gesprochene Sprache nicht beherrschte und schwanger war. Da dieser Teil Afrikas von politischen Unruhen beherrscht wurde, erzählte sie ihren Eltern nichts von ihren Plänen, um diese nicht zu beunruhigen bzw. aus Angst, diese könnten versuchen, sie von ihrem Vorhaben abzubringen.
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Das war damals noch, weil da noch die Unruhen noch war, war eben von Ort zu Ort wie so sag ich mal so Zollstationen. Da ist man eben kontrolliert worden, dass man da weiter fahren konnte. Und die haben das alles organisiert, mit Fahrzeugen und Straßen, alles sehr abenteuerlich, und da hab ich och gedacht och ich mach das jetzt. Egal wie, der Arzt hat auch gesagt, machen sie das nicht, und ich hab och gesagt, ne ich will das und ich mache das auch. Weil ich gedacht hab, es ist wichtig, weil es war mir klar, wenn die dann geboren sind, wird man auch nicht gleich hinfahren. Weil die hygienischen Bedingungen nicht so gut sind und ich bestimmt nicht kräftemäßig, das dann auch nicht gleich auf die Reihe kriege da hin zu fliegen. Und da hab ich gedacht, dass sind doch jetzt die besten Voraussetzungen, jetzt zu fliegen (F, 496-506).
Frau F lernte die Mutter und Familie ihres Mannes kennen. Gleichzeitig erlebte sie die Fremdheit der Kultur und die kulturellen Gepflogenheiten, die sie zunächst befremdeten. Also da hab ich auch gedacht, das ist hier der absolute Kulturschock. Du kannst hier nicht nachfragen so richtig, warum es geht. Ich mein ich konnte den Dolmetscher schon fragen, aber der hat das natürlich von so Männeraugen, der hat das ja noch mal ganz anders gesehen (F, 519-523).
Im Gegensatz zu anderen Kinderdiakoninnen wird hier eine feministische Argumentation deutlich, die für sie fremden Handlungen der Mutter und der Frauen der Familie konnten nicht vollständig durch einen männlichen Dolmetscher erklärt werden, da dieser die Welt aus der Männerperspektive betrachtet. Ihre Neugier hinsichtlich der dortigen Kultur führte dazu, dass sie mit unterschiedlichen Menschen ins Gespräch kam, um unter anderem Erklärungen für die kulturellen Gepflogenheiten zu finden. Aufgrund ihrer Abenteuerlust bereiste sie verschiedene Länder, empfand dies als Bereicherung und rekapitulierte für sich, was in der DDR alles aufgrund des Reiseverbotes nicht möglich war. Also ich mein ich war ja jetzt mittlerweile was weiß ich Frankreich, Portugal, Griechenland, also ich war ja wirklich in vielen Länder gewesen, und ich finde das ist, wenn man so verschiedene Kulturen erlebt, so verschiedenen Landschaften, verschiedene Menschen, also das was da einem vorenthalten worden ist, also das war schon schlimm. Ich mein klar, es bringt natürlich auch seine Probleme mit sich. So Multikultigesellschaft ge, aber ich finde es hat auch totale Chancen, dass man so das engstirnige Denken ein bisschen beiseite legt. Ge aber das ist die Freiheit, die ich meine mit dieser ganzen Arbeitslosigkeit, das ist natürlich was auch diese Rechtsorientierung nach Ordnung nach System ge. Da ist natürlich die Sehnsucht sehr groß, ge nach Sicherheit, das ist eben die andere Seite. Ge dass das viele verunsichert und die wollen einfach auch nur na sag ich mal gut leben. Ge, (Störung) Also es sucht halt jeder so so ne Lösung für sich. Ge das ist so, also ich mein, wenn man jetzt auch
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diese Entwicklung mit dem Hartz IV, das ist ja wirklich ne Armut, die nach unten gegangen ist, mit dieser Hartz IV-Initiative. Und auf der anderen Seite finden die ähm Wirtschaftunternehmen haben prozentuale Entwicklungen, höhere Entwicklungen als vor Jahren ge. Also es ist nicht wahr, dass alle am Hungertuch nagen, und die Wirtschaft so am Boden ist. Das ist nicht wahr, die Umverteilung funktioniert nicht und Demokratie ham wir auch nicht mehr richtig. Und das ist schon erschreckend, wo sich das alles hin entwickelt. Also das ist, also sag ich mal so, zu DDRZeiten wusste man na gut es gibt keine Bananen und wenn es welche gibt, stellste dich an und dann kriegste Bananen. Also es war sag ich mal so, so klar ge, aber jetzt tut man manchmal Energien irgendwo hinwenden und das läuft ins Leere. Zu DDRZeiten wusste ich genau, da konnte ich nichts sagen, es hat sich auch nichts bewegt, aber hier kann ich fast alles sagen, aber es bewegt sich auch nichts. (Lachen) Aber es kostet eben mehr Energie (F, 532-561).
In der Passage wird ein weiterer Kontrast zu vielen der Kinderdiakoninnen deutlich. Die Kritik an der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Situation in der BRD wird von Frau F allgemein formuliert, sie geht in ihrer Kritik über die ansonsten beschriebene kritische Sichtweise der Kindertagesstätten hinaus. Die im Transformationsprozess entstehende multikulturelle Gesellschaft wird von ihr begrüßt, allerdings werden auch Schwierigkeiten und Probleme dezidiert angesprochen. Frau F stellt heraus, dass die DDR mit ihren Einschränkungen und Normen dem Einzelnen ein Gefühl der Sicherheit vermittelte, welches durch die staatliche Wiedervereinigung verloren ging. Die Demokratie wird nicht als Demokratie wahrgenommen und ist durch Unsicherheit und ungleiche Verteilung der Ressourcen gekennzeichnet. Insbesondere die Ungleichheit der Menschen wird als nicht gerecht erlebt. Die Komplexität des Systems wird als schwierig erfahren, da es dem Einzelnen gelingen muss, die eigenen personalen Ressourcen ökonomisch einzusetzen, dies ist insofern dramatisch, da viele Aktivitäten nicht zum Ziel, sondern ins Leere führen. Die mit dem Transformationsprozess einhergehende Individualisierung führt zu Unverbindlichkeit, die als bedenklich wahrgenommen wird. Allerdings registriert Frau F eine Gegenbewegung, die Suche nach Geborgenheit und Sicherheit, die zu neuen Gemeinschaftsbemühungen führen. Im Gegensatz zu der bisherigen Darstellung unterscheidet sich das habituelle Handeln von Frau F in der evangelischen Kindertagesstätte nicht wesentlich von dem anderer Kinderdiakoninnen. Auch von ihr wird die besondere Position des evangelischen Kindergartens in der DDR betont. Ebenso wie andere formuliert sie die gestiegenen Anforderungen der Eltern an die pädagogische Qualität der Einrichtung. Die Qualitätsdiskussion wird ihrer Ansicht nach besonders von Eltern geführt, die Kinder im Vorschulalter haben. Diesen Anfragen begegnet Frau F. offensiv, in dem sie mit Eltern und Kindern gemeinsam überlegt, wie das
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letzte Jahr in der Kindertagesstätte thematisch gestaltet werden kann. Wesentlich erscheint ihr, dass die Einrichtung den Bitten und Nachfragen aller an der Erziehung Beteiligten aktiv entgegenkommt, allerdings auch die eigenen pädagogischen Vorstellungen ernst nimmt - bei sich bleibt -, und deutlich macht, dass nicht alle Interessen und Meinungen in der pädagogischen Arbeit aufgegriffen werden können. (...) die Eltern sind sehr verunsichert und sie haben auch sehr hohe Ansprüche. Aber ich denke sie haben auch große Angst, dass ihre Kinder nicht bestehen in der Gesellschaft und in der Schule. Also bis bis zur Vorschule sind die Eltern meistens zufrieden, sagen es ist ein toller Kindergarten und dann auf einmal also wie so ein Schalter, (Lachen) ab September gehts dann los, was wird für die Schule gemacht und es ist auf einmal ein ganz anderer Blickwinkel. Also es ist wirklich ein Phänomen und es ist nicht nur bei uns im Kindergarten so, sondern ich merke das ja im Konvent, es immer wieder Thema. Und es ist auch immer wieder, also man muss sich immer wieder stark machen, dass man bei sich bleibt. Ja also wir haben das auch ein bisschen umgestrickt, also wir haben jetzt für die Großen eben auch so sag ich mal wie so eine demokratische Form, wir überlegen also mit ihnen zusammen, was sie jetzt also das Jahr wie sie sich nennen wollen, was sie gerne unternehmen wollen, das machen wir auch mit den Eltern und da fragen wir auch, was sie denken, was das Jahr so passieren sollte. Und da draus wird dann was gestrickt. Das sind einmal sinds die Weltenbummler gewesen, dieses Jahr sinds die Forscherbande und darum dreht sich dann alles. Es ist so im Schnitt einmal die Woche ein Angebot oder eine Aktion, die die zusammen machen, die dann versucht wird, unter das Thema zu stellen. Ja weil das Ganze mit den Eltern sich eben geändert hat, ist finde ich, spielt Elternarbeit jetzt eine größere Rolle und ich finde aber, dass wir alle zuwenig geschult sind für so Elterngespräche, Umgang mit Eltern. Ja also ich sag mal so die Voraussetzungen würde man jetzt so einfach sagen, die räumlichen Voraussetzungen das ist dass es ordentlicher ist und so, das hat sich sicher, das Niveau ist sicherlich gestiegen, auch was man an Material hat. Was man an Bastelmaterialien zur Verfügung steht und so, das ist ja manchmal auch ne Flut auch, die (Lachen) einen ja fast erschlägt. Wo man dann sagt, na ja es wär auch gut noch mal zu gucken weniger ist mehr. Ge andere Materialien so einfach dass man mehr so Umweltbewusstsein so in die Richtung, da man da herausgefordert ist. Ge. Was mir auch aufgefallen ist, Kinder laufen immer weniger, also es ist immer schwieriger, mit Gruppen irgendwo hinzugehen, die sind dann schon ermattet, bis man zur Straßenbahn gelaufen ist. Also die Kinder werden bis sie drei sind mit dem Kinderwagen hierher gefahren, dann laufen die hier und dann werden sie mit dem Kinderwagen nach Hause gefahren. Also das finde ich sehr erschreckend oder es ist eben, weil es Eltern eilig haben, Auto rein raus (F, 235-272).
Die Elternarbeit, die für jede Erzieherin einen wesentlichen Bestandteil ihrer professionellen Kompetenz darstellt, hat nach der staatlichen Wiedervereinigung eine stärkere Bedeutung erfahren. Diese Kompetenz muss jedoch geschult wer164
den, so sieht sie einen Fortbildungsbedarf, da die Kompetenzen in der Gesprächsführung, insbesondere im Führen von Elterngesprächen, weiterentwickelt werden müssen. Dieser Weiterbildungsbedarf gilt für sie als Leiterin wie generell für alle Erzieherinnen in der Einrichtung. Das habituelle Handeln wird in Bezug auf die eigene Verortung in der evangelischen Kirche deutlich. Frau F formuliert wie einige andere Kinderdiakoninnen den Trend von Eltern, ihre Kinder taufen zu lassen. Ja Christ heute: Also eigentlich ist es egal, man kann sich alles raussuchen, wo man hingeht und es ist egal, ob man in die Kirche geht oder nicht. Also (2) Also für mich hat sich das schon geändert. Also ich, ich empfinde das nicht mehr so als Zusammenhalt. Anderen gehts bestimmt anders, es ist mein mein Empfinden. (3) Also es ist leichter, Christ zu sein, sag ich jetzt mal, es ist eher die Tendenz anders rum, dass man sagt, na ja ich lass mich mal lieber taufen, das kann zum Vorteil sein. Oder schick mein Kind zum Religionsunterricht, wie man sie früher zur FDJ geschickt hat. (Lachen) So schicken wir sie jetzt (Lachen) zum Religionsunterricht. Also das ist ein bisschen ketzerisch, aber ich denke so ein bisschen sind schon Gedanken, dass viele sagen na ja es ist jetzt in, das dieses Jahr ist ja das Jahr der Taufe. Ge hatten wir auch mal das Gespräch um Taufe, also es ist bei vielen in, ihr Kind taufen zu lassen, obwohl sie gar nichts mit der Kirche zu tun haben (F, 743-756).
Sie betont ebenso wie viele der interviewten Kinderdiakoninnen, dass der Zusammenhalt in der evangelischen Kirche der DDR stärker gewesen und mit dem Transformationsprozess eine Individualisierung zu verzeichnen ist. Insgesamt nimmt die Bedeutung der evangelischen Kirche in der Stadt zu, da es einen Trend gibt, Kinder taufen und christlich erziehen zu lassen. Es ist eine steigende Zahl an Anmeldungen in der evangelischen Kindertagestätte festzustellen, wobei sich Frau F diesem kritisch gegenüber äußert. Sie vergleicht den Eintritt in die Glaubensgemeinschaft der evangelischen Kirche mit der Mitgliedschaft in der FDJ. Beide Akte stellen ein konformes Verhalten dar, welches die politische und gesellschaftliche Situation in ihren Einstellungen widerspiegelt. Der bewusste Akt, der evangelischen Kirche in der DDR anzugehören, ist damit nicht vergleichbar. Andere Kinderdiakoninnen interpretieren die steigende Zahl der Anmeldungen und Taufen hingegen als Indiz für eine überzeugende religionspädagogische Arbeit des evangelischen Kindergartens. Frau F benutzt für ihre Kritik den Begriff ketzerisch, der als Begriff seit der Neuzeit für jede Art von intellektueller Dissidenz oder Opposition gegen eine herrschende Lehre oder Konvention steht. Das heißt, es ist ihr bewusst, dass ihre Ansicht nicht der Meinung der evangelischen Kirche entspricht.
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3.2.7.5 Coping-Strategien und Resümee Frau F stellt einen Kontrast zu anderen interviewten Kinderdiakoninnen dar. Der Schwerpunkt ihrer Erzählung liegt auf der Darstellung der Situation nach der Wende und der staatlichen Wiedervereinigung und den damit verbundenen potentiellen Möglichkeiten und Problemlagen, die der Einzelne bewältigen musste. Daneben war der berufliche Einstieg in die Ausbildung zur Kinderdiakonin anders mit bewusster Strategie gewählt. Infolge ihres Alters führte dies dazu, dass sie die Ausbildungszeit anders geartet wahrnahm. Das Leben im Internat, welches viele Kinderdiakoninnen als Ersatz für den familiären Schutzraum erfuhren, wurde von ihr als einengend empfunden. Das Seminar für kirchlichen Dienst wird von ihr nicht mit den Begriffen Gemeinschaft und Zusammenhalt assoziiert. Im Interview thematisiert sie an keiner Stelle das Zusammenleben mit anderen Kinderdiakoninnen. Parallelen zu den übrigen Fällen zeigen sich in der Einschätzung der Anforderungen und Bedingungen des Anerkennungsjahres. So wird die erste Zeit nach der theoretischen Ausbildung als Überforderung eingeschätzt, da die Bedingungen der Anleitung im evangelischen Kindergarten nicht optimal waren. Konkret hieß das, dass sie nicht als Zweitkraft in einer Gruppe eingesetzt wurde, sondern diese selbständig leiten musste. Frau F unterscheidet sich von anderen interviewten Kinderdiakoninnen durch ihren bewussten Ausstieg aus dem Arbeitsfeld des evangelischen Kindergartens, der 10 Jahre dauerte. Mit dem Aufwachsen der eigenen Kinder und der Erkenntnis, dass die Arbeit in sozialen Brennpunkten emotional nicht über Jahre tragbar ist, stieg sie wieder in das Arbeitsfeld, als Leiterin eines evangelischen Kindergartens, ein. Politische, gesellschaftliche, private, wirtschaftliche und berufliche und Veränderungen werden von ihr bewusst registriert und eingeschätzt. Sie nutzte zur Bewältigung des Umbruchs, der für sie eine Krise im positiven Sinne darstellte, überwiegend problemorientierte Coping-Strategien. Die Möglichkeit, nach der staatlichen Wiedervereinigung außerhalb des evangelischen Kindergartens arbeiten zu können, wurde als Chance für das berufliche und persönliche Handeln begriffen. Dies wird in dem Sinne von keiner der anderen Kinderdiakoninnen thematisiert. Einige waren zwar übergangsweise (Wohnortwechsel, Erziehungsurlaub) in anderen Arbeitsfeldern tätig, doch stellte dies keine freie Entscheidung dar, sondern war darin begründet, dass es keinen evangelischen Kindergarten vor Ort gab oder in diesem kein Bedarf an einer weiteren Kinderdiakonin bestand. Bei Frau F erfolgt eine durchweg eher gesellschaftskritische und politische Argumentation, die unterbrochen wird von den privaten Erzählungen. Die mit der Wende und der staatlichen Wiedervereinigung verbundenen Freiheiten wer-
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den von ihr begrüßt, auch wenn mit der Selbstbestimmung ein Verlust von Sicherheit und Orientierung einhergeht. Frau F bezeichnet sich selbst nicht als Kinderdiakonin, da diese Berufsbezeichnung in der jetzigen BRD-Gesellschaft unbekannt ist. Sie begründet dies damit, dass dem Berufsbild und der Professionalität des Erziehers in der Gesellschaft und bei den Eltern ein höherer Status zukommt. In der DDR hatte sie betont, Kinderdiakonin zu sein, um ihre spezifische Ausbildung und den religionspädagogischen Ansatz sichtbar zu machen. Im Interview wird nicht erkennbar, wie sie ihre Leitungstätigkeit fasst, welche Anforderungen sie an die Mitarbeiterinnen stellt und wie die religionspädagogische Arbeit im Kindergarten umgesetzt wird. Unklar ist zudem, wie sie die für die Leitungstätigkeit notwendigen Kompetenzen erworben hat, ob dies durch Fortbildungen oder autodidaktisch erfolgte. An ihrer Darstellung einer Diskussion mit dem Berufspraktikanten wird im Ansatz ihr Gottesbild thematisiert, doch geht sie an sich im Interview auf den religionspädagogischen Bereich nur am Rande ein, als sie erwähnt, dass auch jüdische und moslemische Eltern ihre Kinder in die Einrichtung schicken. Interreligiöse Arbeit wird von den Eltern nicht gefordert und entsprechend diesem im Kindergarten von den Erzieherinnen nicht geleistet. Religion wird mit Geboten zur Kenntnis genommen, aber nicht zum Thema gemacht. Der Fall von Frau F wurde als Kontrast zu den anderen Fällen gewählt. Sie unterscheidet sich nicht nur durch zeitlichen Bruch im Arbeitsfeld Kindergarten von anderen Kinderdiakoninnen, sondern insbesondere durch ihre Einstellungen, die Wahrnehmung der Wende und der staatlichen Wiedervereinigung und den damit verbundenen Chancen und Möglichkeiten. Fraglich ist allerdings die Interpretation, inwieweit sie als stellvertretend für Kinderdiakoninnen gesehen werden kann, die das Arbeitsfeld des evangelischen Kindergartens verlassen haben und in anderen sozialen Bereichen arbeiten. In den mit den Kinderdiakoninnen geführten Interviews wird deutlich, dass relativ viele ausgebildete Kinderdiakoninnen nicht mehr in evangelischen Kindertagesstätten arbeiten. Diese haben sich qualifiziert, um in anderen Arbeitsfeldern zu arbeiten bzw. mit ihrer Qualifikation im Behindertenbereich tätig zu werden. Es wurde von Frau F darauf hingewiesen, dass diese die Möglichkeit der Weiterqualifizierung ergriffen haben und in beratender oder leitender Stellung von diakonischen Einrichtungen tätig sind. Auch Frau F äußerte im Ansatz den Wunsch nach beruflicher Veränderung, ob dieser mit dem anderer kirchlicher Mitarbeiterinnen vergleichbar ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden.
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3.2.8 Frau G Es hat sich nichts verändert, außer dass die Kinder unselbständiger und die Eltern sensibler geworden sind Frau G stellt wie Frau F einen Kontrast zu den typischen Kinderdiakoninnen dar. Sie ist Gruppenleiterin in einer evangelischen Kindertagesstätte in einem Ort mit ca. 2500 Einwohnern. Der Ort besitzt neben der evangelischen Kindertagesstätte noch eine weitere, größere Kindertagesstätte, die ehemals kommunal war und jetzt in freier Trägerschaft ist. Zeigt sich der Kontrast bei Frau F unter anderem in einer Unterbrechung der Tätigkeit im evangelischen Kindergarten, so liegt er bei Frau G in der beruflichen Motivation, der Identität und dem beruflichen Habitus. Wie im Folgenden deutlich wird, ist die berufliche Motivation für die Ausbildung zur Kinderdiakonin eher als Protest gegen die Eltern zu sehen. Die geringe innere Identifizierung mit einer kirchlichen Ausbildung zeigt sich in ihrem späteren beruflichen Habitus. Kennzeichnend ist die fehlende Thematisierung der religionspädagogischen Arbeit im evangelischen Kindergarten und deren Bedeutung für die eigene berufliche Identität, hierin unterscheidet sich Frau G von anderen interviewten Kinderdiakoninnen.
3.2.8.1 Kindheit und berufliche Motivation Frau G (43) hätte aufgrund des sozialistischen Engagements und der sehr guten schulischen Leistungen viele berufliche Optionen besessen, die infolge einer Divergenz in den Berufsvorstellungen von Tochter und Eltern nicht umgesetzt werden konnten. Auslöser für die Bewerbung am Seminar für kirchlichen Dienst war die eigene Unentschlossenheit hinsichtlich der Berufswahl und die daraus folgenden Diskussionen mit den Eltern. Nachdem der Traumberuf (Stewardess) am Widerstand der Eltern scheiterte und alle anderen Mitschüler bereits über Ausbildungsverträge verfügten, stieg der Druck hinsichtlich einer Berufsentscheidung. Und hat in der Konfirmationsunterricht, kam dann mal ne junge Frau, ne Pastorin aus () und hat kirchliche Berufe vorgestellt. Und unter anderem auch den der Kinderdiakonin und die Ausbildung war in (). Und die hat erzählt und so wie die erzählt hat, ach, so is mir s Herz aufgegangen, dass, das machste, das is gut!!! Das, mit Kindern arbeiten, das is richtig schön (laut, erfreut/energisch) und nicht vom Staat abhängig (leise), durft ma ja früher nich sagen (lacht). Kein Marxismus-Leninismus mehr, kein Staatsbürgerkunde, ja da gehste hin, das machste. Meine Mutter hat gesagt, ja ok, kannste machen, mein Vater war zwar auch n bisschen nich so sehr be-
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geistert davon, weil, damals wurde diese ganze Sache auch schlecht bezahlt, muss man sagen. Aber ich habs trotzdem gemacht (G, 27-40).
Wie andere Kinderdiakoninnen wurde Frau G christlich erzogen, nahm an der Christenlehre teil, wobei dies nicht auf das eigene Engagement zurückging, sondern auf die elterlichen Vorstellungen, insbesondere die der Mutter. Die Möglichkeit, selbständig zu entscheiden, inwieweit sich die Tochter in der evangelischen Kirche engagiert, war nicht gegeben. Frau G war, neben dem bereits erwähnten sozialistischen Engagement in der FDJ, in der Jungen Gemeinde aktives Mitglied. Im Gegensatz zu anderen interviewten Kinderdiakoninnen betont sie ihr aktives Engagement, die Mitgliedschaft und ihr Amt als FDJ-Sekretär. Wie in Kapitel 2.3.1 bereits dargestellt wurde, war die Mitgliedschaft in der FDJ nicht ungewöhnlich für junge Christen in der DDR. Gemeinsam mit ihren Klassenkameraden nahm Frau G parallel an Jugendweihe und Konfirmation teil. Im Gegensatz zu anderen Kinderdiakoninnen hätte sie aufgrund ihres sozialistischen Engagements die Möglichkeit gehabt, eine staatliche Pädagogische Schule für Kindergärtnerinnen zu absolvieren. Ich war auch bei den Pionieren, ich war auch in der FDJ, ich war auch in diesen höheren Gremien da, was weiß ich, was da noch so alles gebildet wurde (...) Schriftführer oder FDJ-Sekretär und das hab ich auch alles mitgemacht (lacht). Aber es gab irgendwie keinen Konflikt in dieser Sache (G, 118-121).
Trotz des Engagements als FDJ-Sekretär wurde die Ideologie, wie dies im ersten Abschnitt ersichtlich ist, abgelehnt bzw. es als Befreiung erlebt, diese im künftigen Beruf nicht mehr vermittelt zu bekommen bzw. selbst vermitteln zu müssen. Die aktive Rolle als FDJ-Sekretär war ungewöhnlich für eine künftige Kinderdiakonin, da für viele die Ablehnung der sozialistischen Ideologie ein Motiv für die Entscheidung einer kirchlichen Ausbildung, insbesondere für die Tätigkeit in einem kirchlichen Kindergarten war. Es ist daher zu vermuten, dass es sich bei der Entscheidung zu einer kirchlichen Ausbildung um einen Protest gegen die Eltern handelte. So werden im Interview außer dem Hinweis, dass das Fach Marxismus-Leninismus abgelehnt wurde, keine Widersprüche zwischen der christlichen Erziehung und der sozialistischen Ideologie thematisiert. Allerdings problematisiert sie den staatlichen sozialistischen Erziehungs- und Bildungsauftrag, der im Erziehungs- und Bildungsplan für den Kindergarten der DDR festgeschrieben war. Insbesondere dessen politische Ziele wie Bekanntmachen mit dem gesellschaftlichen Leben und das Freund-Feind-Schema der befreundeten Länder wurden von ihr abgelehnt. Als weiterer Kritikpunkt an der sozialistischen Erziehung im Kindergarten hebt sie die Nutzung von Kriegsspielmaterialien hervor. Im Gegensatz zu anderen Kinderdiakoninnen thematisiert Frau G selbst 169
ihr Engagement in der FDJ, welches durch ihre Tätigkeit und Position als FDJSekretär charakterisiert war. Die Entscheidung für die kirchliche Ausbildung wird durch die Kritik an der sozialistischen Ideologie und Praxis im staatlichen Kindergarten legitimiert, ohne dass der Widerspruch zu dem eigenen Engagement als FDJ-Sekretär und der Ablehnung der sozialistischen Ideologie infrage gestellt und thematisiert wird.
3.2.8.2 Berufliche Sozialisation die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst und erste praktisch Erfahrungen Mit der Aufnahmeprüfung und der Aufnahme am Seminar begann die berufliche Ausbildung für Frau G. Die Ausbildung zeichnete sich durch die gewährte Freiheit, den partnerschaftlichen Umgang zwischen Seminaristinnen und Dozentinnen und den starken Praxisbezug aus. Die Ausbildung wurde insbesondere aufgrund der Unterrichtsinhalte, die sich konkret auf den Kindergarten bezogen, als qualitätsvoll empfunden. Frau G stellt dar, dass die Lehrinhalte durch neue wissenschaftliche Impulse und Anregungen bereichert wurden, die die Rektorin und die Dozenten durch den Austausch mit evangelischen Ausbildungsstätten in der BRD, der zugehörigen evangelischen (Partner-) Landeskirche und dem Diakonischen Werk bekamen. So wurde im Unterschied zur Ausbildung an staatlichen Pädagogischen Schulen für Kindergärtnerinnen das Fach Rhythmik vermittelt, welches ihres Erachtens einen Gewinn für die Arbeit mit Kindern darstellt. Die vermittelten Unterrichtsinhalte z.B. in den Fächern Psychologie, Methodik und Didaktik und Pädagogik waren an den Lehrplan für Fachschulen für Sozialpädagogik der BRD gekoppelt. Bedeutsam für das Seminar für kirchlichen Dienst war der Austausch mit evangelischen Fachschulen der Patenkirchen in der BRD. Die Diskussion über aktuelle pädagogische und religionspädagogische Konzepte bereicherte die Qualität der Ausbildung und damit die pädagogischen Arbeit in den evangelischen Kindergärten. Dieser Aspekt der Partnerschaft mit westlichen Fachschulen, die sich in der Nutzung westlicher Bücher und Materialien im Seminar für kirchlichen Dienst widerspiegelte, wurde hervorgehoben. Frau G wertet die Ausbildung, insbesondere die westliche Ausrichtung, als Qualitätsmerkmal der kirchlichen Ausbildung, die sich im Interview an verschiedenen Stellen findet. Betont wird der Stellenwert der Ausbildung für das professionelle Handeln, die fachlichen Kompetenzen, die vermittelt und entfaltet wurden. Diese befähigten sie unmittelbar nach der Ausbildung, dem Vergleich mit Erzieherinnen, die bereits langjährige Erfahrung besaßen, standzuhalten.
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Ich fand die Ausbildung wirklich gut und bin auch mit guten Voraussetzungen dann in die Arbeit gegangen. Ich brauchte mich hinterher nich verstecken irgendwo, dass ich jetzt Angst haben musste vor Erzieherinnen, die schon, was weiß ich, bin ja dann auch in ne Einrichtungen gekommen, wo schon Erzieherinnen waren, die schon über zehn und zwanzig Jahre da gearbeitet haben. Hab ich mich nie versteckt mit meinen Kenntnissen, und das was ich konnte oder erlernt hatte. Es war wirklich ne gute Ausbildung, also muss ich wirklich sagen und egal ob jetzt in, beschäftigungsmäßig, was man da jetzt gelernt bekommen hat oder eben auch psychologisch oder jetzt auch in Rhythmik und egal wa. Biblischer Unterricht war auch dabei, is auch ganz logisch, fand ich auch gut (G, 146-157).
Die religionspädagogischen Inhalte für die Arbeit mit Kindern werden von ihr unter anderem als s war schön, war auch in Ordnung (G, 234-235) eingeschätzt. Passagen, die sich auf Religion und Vorschulkatechetik beziehen, finden sich selten im Interview. Obwohl sie am Anfang des Interviews betont, dass sie Kinderdiakonin ist, findet sich der Bezug zu Religionspädagogik nur in Bezugnahme auf die Ausbildung und nicht in der Darstellung der beruflichen Tätigkeit wieder. Die Darstellung der religionspädagogischen und theologischen Fächer und deren Gewichtung im Vergleich mit der konkreten Schilderung anderer Fächer wie Rhythmik und Psychologie deuten darauf hin, dass die religionspädagogischen Inhalte ihre berufliche Identität gering oder kaum prägten. Obwohl der religionspädagogischen Arbeit in der Ausbildung an den Seminaren für kirchlichen Dienst große Bedeutung zugemessen wurde, findet diese in der beruflichen Tätigkeit von Frau G im evangelischen Kindergarten keine Erwähnung. Dies steht im Gegensatz zu vielen interviewten Kinderdiakoninnen, die die religionspädagogische Arbeit im Kindergarten in den Vordergrund ihrer Erzählung stellen. Beten, biblische Geschichten zu erzählen oder kirchliche Feste zu feiern wird als wichtigstes Charakteristikum der evangelischen Kindertagesstätte gesehen. Die Auslassung der religionspädagogischen Arbeit im Interview lässt vermuten, dass diese nicht zentral für ihre berufliche Identität und die Tätigkeit in der evangelischen Kindertagesstätte ist. Der Ambivalenz gegenüber der religionspädagogischen Arbeit stehen Aussagen entgegen, in welchen Frau G betont, dass die Entscheidung für den Beruf der Kinderdiakonin bewusst ergriffen wurde und dass sie dafür den geringen Verdienst und die Nicht-Anerkennung in Kauf nahm. Eine Ausbildung zur staatlichen Kindergärtnerin wurde von ihr aufgrund der pädagogischen Arbeit im Kindergarten ausgeschlossen. Und, wie das System aufgebaut is und alles und da hat ich wirklich keine Lust dazu. Erstens war der Ausbildung war mehr Marxismus-Leninismus vorhanden als alles andere und äh, wenn ich mir dann auch angeguckt habe, mehr Kriegsspielzeug und solche Sachen oder Soldat gespielt wurde in der Kindereinrichtung, finde ich, gehörte da nicht hin. Kinder unter fünf Jahren haben solche Sachen, sollten so was
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nicht unbedingt als Vorbild und als Spiel und als mein Vater der russische der mein Freund der russische Soldat oder so was muss nicht sein. Muss man den Kindern da nicht unbedingt in dem Alter schon beibringen. Das lern se noch früh genug, was Armee und alles das bedeutet, müssen ja dann auch noch zur Armee(??) später, das hab ich eben vollkommen abgelehnt (G, 894-906).
3.2.8.3 Habitus als Kinderdiakonin Während der Ausbildung wurde der Praxisbezug einerseits durch lange Praktika und andererseits durch Hospitationen in evangelischen Kindergärten vor Ort hergestellt. Dabei wurde bei erfahrenen Kinderdiakoninnen hospitiert, aber auch eigenständig Beschäftigungen oder Angebote von Seminaristinnen konzipiert. Frau G lernte in diesem Kontext eine Kinderdiakonin kennen, die ihre Idealvorstellung von fachlicher Kompetenz verkörperte und für sie Vorbildcharakter hatte. Sie hat wirklich viel gewusst. Auch so ihre Beschäftigungen, ihre Beschäftigungen waren immer gut, was sie gemacht hat. Und ähm, Gespräche mit n Kindern und so, das, das war wirklich und hatte auch wirklich immer alles Hand und Fuß und bisschen alles mit Psychologie und so hinterfragt und die war eigentlich, für meine Begriffe war die ne gute Erzieherin. Weil die viel Abwechslung reingebracht ha, in ihre Beschäftigung, die hat immer was anderes also man konnte da hinkommen. Sie hat fast immer was anderes gemacht, die hat nie Sachen wiederholt. Was sie voriges Jahr gemacht hat, macht sie eben dieses Jahr wieder, hat sie nicht gemacht. Und der ganze Aufbau von ihren Einheiten, die sie so gemacht hat, war wirklich auch gut durchdacht und man konnte wirklich auch viel von ihr lernen (G, 360-373).
Die Fachlichkeit zeichnet sich für Frau G darin aus, dass ein Angebot unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes kreativ geplant wird. Betont wird von ihr häufig der Stellenwert der Psychologie und der Kreativität für die Tätigkeit der Kinderdiakonin, um neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen zu können. Diese Fähigkeiten bewunderte Frau G an dieser Kinderdiakonin, die am Seminar für kirchlichen Dienst als Honorardozentin unterrichtete und für Frau G einen ideellen Typ professionellen Handelns symbolisierte. An diesem fachlichen Ideal misst und reflektiert sie ihre eigene fachliche Kompetenz und das professionelle Handeln.89 89
Dippelhofer-Stiem und Kahle (1995) betonen in ihrer Studie zum professionellen Selbstbild von Erzieherinnen in evangelischen Kindergärten das Phänomen, dass die fachliche Kompetenz der ausgebildeten Erzieherin auf der fachlichen und persönlichen Ausstrahlung der einzelnen Dozenten an den Fachschulen für Sozialpädagogik beruht.
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Normalerweise, also wenn ich jetzt ähm, mich mit Kindern unterhalte oder wenn ich jetzt ne Situation oder was sehe, ich weiß es nicht, wies andern geht, ich sprech jetzt einfach mal nur von mir. Ich wühle nicht erst viel in meinem Gehirnskästchen rum, wieso, weshalb, warum hat das Kind das jetzt so gemacht oder was, welche Fragen musst du jetzt stellen oder was weiß ich. Welche tiefgründigen Ereignisse waren vielleicht vorher, dass das Kind das jetzt so gemacht, ich weiß auch nicht. Man reagiert mehr oder weniger doch noch ausm Bauch heraus. Ich mein, freilich, wenn ne Situation is, frag ich nach, wieso, wie konnte das jetzt so passieren und warum hast du das jetzt so gemacht und so. Aber diese ganzen anderen, so viele Sachen, was man so, die TPS oder was man da noch so liest. Also, manchmal komm ich damit nich so richtig klar. Und ob das auch immer so gut is, mit Kindern so stundenlang über alles Mögliche zu diskutieren, weiß ich jetzt nicht. Hab ich mit meinen Kindern auch nicht gemacht. Und die sind, kommen jetzt eigentlich ganz gut zurecht im Leben. Hab ich eigentlich auch gar nicht so die Zeit dafür. Sich mit jedem Kind wirklich so immer auseinander zu setzen, wies vielleicht in diesen Schriften und Zeitungen vorgestellt oder nach modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen auch gemacht werden sollte. Is eigentlich auch nich immer möglich (G, 387-410).
Frau G stellt dar, dass sie sich mit Fachzeitschriften für Kindertagestätten auseinandersetzt. Diese formulieren nach ihrer Ansicht nach jedoch ein theoretisches Ideal einer partnerschaftlichen Beziehung im Kindergarten, das sie als weder praktikabel noch umsetzbar einschätzt. Ihr Bild vom Kind gleicht eher dem offiziellen Kindbild der DDR, in dem die Autonomie und Selbständigkeit des Kindes abgelehnt wurde. Sie formuliert deutlich ihren Führungsanspruch, den sie als Mutter und Erzieherin gegenüber ihren eigenen Kindern und den Kindern im Kindergarten hat und der ähnlich in der staatlichen Ausbildung zur Kindergärtnerin vermittelt wurde.
3.2.8.4 Habituelles Handeln im Transformationsprozess Bereits unter dem Aspekt der Ausbildung werden von Frau G verschiedene Aspekte des professionellen Handelns genannt. So wurde bereits dargestellt, dass Frau G Fachzeitschriften und Fachliteratur für evangelische Kindertagestätten liest, was ihr Bemühen unterstreicht, auf dem neusten wissenschaftlichen Stand in der Elementarpädagogik zu sein, um dem in der Ausbildung erworbenen Anspruch an das eigene fachliche Handeln gerecht zu werden. Nicht eindeutig ist, ob dies aus eigener Initiative oder aufgrund der Erwartung des Trägers (Fachberater) und der Leitung geschieht. Die Aussage, dass sie aus dem Bauch heraus handle, steht im Widerspruch zu der sehr ausführlichen Schilderung der Angebote des Vorbildes, deren Durchstrukturierung als Modell für das eigene professio173
nelle Handeln genannt werden. Die Fachaufsätze, die normativ den Umgang mit dem Kind beschreiben, und anregen, die Interessen des Kindes aufzugreifen, dem Kind Erklärungen zu geben und partnerschaftlich zu agieren, werden von ihr zur Kenntnis genommen, aber als nicht umsetzbar kritisiert. Diskussionen mit dem einzelnen Kind erscheinen ihr als theoretische Konstrukte, die nicht in Bezug zur Praxis stehen. Deutlich wird an dieser Stelle die Parallele zur eigenen Erziehung, in der nicht diskutiert wurde, sondern wo sich Frau G als Kind den Wünschen der Eltern unterwerfen musste. Der Anspruch, der in den Fachzeitschriften an die Tätigkeit der Erzieherin gestellt wird, wird als überhöht und nicht realistisch eingeschätzt. Ihr pädagogisches Handeln wird mit dem Alter der Kinder begründet, sie ist für die Kleinen in der Kindertagestätte verantwortlich, die mit 2 Jahren in die Gruppe kommen und bedingt durch die Größe der Gruppe für sie eine pädagogische Herausforderung darstellen. Unter dem Begriff der Offenen Arbeit der Einrichtung wird die Wahlmöglichkeit der Kinder verstanden, die Räume frei wählen zu können, was jedoch nach ihrer Meinung letztlich durch die Gestaltung der Räumlichkeiten nicht umgesetzt wird; Große und Kleine spielen in verschiedenen Räumen. Ich mein, jetzt im, dies Jahr isses wahrscheinlich auch n bisschen, weil wir ähm (3) fünf oder sechs oder sieben, ich weiß gar nicht, ich habs noch gar nicht richtig, ich muss wirklich mal zählen, ich komm gar nicht dazu, Neue gekriegt jetzt in die Einrichtung, mit einem Schlag. Und es sind zwar auch zwei dabei, die etwas älter sind, aber die meisten sind zwei Jahre und die kommen erst mal rein und wie ses von zuhause oder was weiß ich, gelernt oder nich gelernt oder gewohnt sind, (2) alles is erstmal ihnen. Was der andere hat, will ich auch haben. Und was ich nich kriege, muss ich mir holen (lacht). Und jedes Spielzeug is interessant und alles wird erst mal rausgeschmissen, das Wörtchen einräumen kennt ja keiner. Das ganze, Spiele raus und aufm Boden und da muss man eben erst dann erst wieder ne Linie rein kriegen. Und da kann ich mich nich hinstellen und kann jetzt mit dem Kind diskutieren. Das muss es dann eben aufräumen, egal ob ´s jetzt Lust hat oder nicht. Ich kann nich für zwanzig Kinder aufräumen, geht nich. Da muss es eben halt das, was es jetzt gerade rausgeschmissen hat, wieder aufräumen, wenn es nicht mehr damit spielen will (G, 413-429).
Die pädagogische Arbeit in der altershomogenen Gruppe (Kleine) findet sie problematisch, so vermisst sie die Resonanz bei den Kindern. So arbeitet lieber mit größeren Kindern zusammen, da aber ihre Kollegin dies auch gerne möchte und diese die Gruppe der Kleinen längere Zeit als Gruppenleiterin hatte, haben die beiden Kolleginnen die Räume und damit auch die Gruppen getauscht. Belastend wird von Frau G außer dem Alter die Unselbständigkeit der Kinder empfunden, die häufig noch Windeln tragen.
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Is halt so bei den Kleinen. Und wir haben es eben auch so gehandhabt, dass sich die Kinder mehr oder weniger selbst trennen. Also, es kommt mal vor, dass sich mal n Kleiner hier ans Puppenhaus verirrt oder auch mal, wenn seine Freundin grad mal hier spielt, auch ma hier spielt. Aber im Großen und Ganzen isses doch so, dass die Kleinen drüben sind und die Größeren hier (G, 553-558).
Die Zusammensetzung der Gruppen wird von Frau G ausführlich begründet, deutlich wird in der Begründung, dass sie ihre Haltung und Handlung verteidigt, da altershomogene Gruppen nicht dem Ideal der evangelischen Kindertagesstätte mit altersgemischten Gruppen des zuständigen Fachberaters des diakonischen Werkes entsprechen. Sie rechtfertigt die (altershomogene) Zusammensetzung der Gruppe mit der Möglichkeit, die Kinder altersentsprechend zu fördern, sie weder zu unterfordern noch zu überfordern. Frau G bezeichnet die Trennung der Kinder nicht als altershomogen, da die Kinder die Möglichkeit haben, sich in der ganzen Einrichtung frei zu bewegen. Als homogene Gruppen würde sie dies bezeichnen, wenn die Türen geschlossen wären. Da nur 30 Kinder die Einrichtung besuchen, findet sie es konzeptionell günstiger, offen zu arbeiten als altersgemischte Gruppen einzuführen. Ihre Interpretation der offenen Arbeit ist fachlich problematisch, scheint aber für sie notwendig zu sein, um ihre pädagogische Arbeit im Kindergarten zu legitimieren, die im Widerspruch zu der Ausbildung im Seminar für kirchlichen Dienst, den Fortbildungen seitens des Diakonisches Werkes und den Artikeln in den Fachzeitschriften steht, in denen altersgemischte Gruppen favorisiert werden. In der Altertrennung zeigt sich eine Parallele zur pädagogischen Arbeit in der DDR in staatlichen Kindergärten und teilweise auch in den evangelischen Kindergärten. Die Trennung von Kleinen, Mittleren und Großen geschah in Umsetzung und Anlehnung an den Erziehungs- und Bildungsplan der DDR, der für staatliche Kindergärtnerinnen früher bindend war, aber im Widerspruch zu den schulischen Inhalten der Kinderdiakoninnenausbildung (ab den 70er Jahren) und den Weiterbildungen der Fachberater stand.90 Die Arbeit in altershomogenen Gruppen findet allerdings nicht nur in dieser evangelischen Kindertagestätte statt, sondern ist ein Typus pädagogischer Arbeit, der in Kindertagestätten anderer freier und kommunaler Träger ebenfalls anzutreffen ist. Das professionelle Handeln hat sich für Frau G durch die staatliche Wiedervereinigung und den Transformationsprozess verändert, deutlich wird dies für sie
90 Die Öffnung der Türen und damit die Möglichkeit der Kinder, sich die Räume und ihre Spielkameraden selbst zu wählen, stellen im Vergleich zur pädagogischen Arbeit in dem Kindergarten eine Veränderung dar, da zuvor in reinen altershomogenen Gruppen gearbeitet wurde, wo die Türen allerdings für die Kinder geschlossen blieben.
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unter anderem in der Elternarbeit und den Elterngesprächen. In der DDR wurden sowohl die Kindergärtnerin wie auch die Kinderdiakonin von den Eltern als Autorität wahrgenommen, die den Eltern Hinweise und Ratschläge gab, die diese meist auch umsetzten. Die Erzieherin war die Expertin und Fachfrau. Die Kommunikation zwischen Eltern und Kinderdiakonin war für Frau G in der DDR ein Austausch über die Entwicklung des Kindes und seine Förderung. Mit dem Transformationsprozess und den damit einhergehenden Veränderungen hat sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kinderdiakonin gewandelt. Viele Eltern reagieren auf Fragen und Anregungen empfindlich, weil sie ihre elterliche Kompetenz in Frage gestellt sehen. Dieser Aspekt wird von einigen der befragten Kinderdiakoninnen in ähnlicher Weise problematisiert. Die Erfahrung eines schwierigen, nicht gelungenen Elterngespräches hatte zur Folge, dass die Mutter 3 Wochen nicht mehr mit ihr gesprochen hat. Der Austausch mit den Eltern, der zuvor als bereichernd erlebt wurde, wird nun aufgrund der Unsicherheit nach Möglichkeit gemieden. Früher hab ich mich auch mit Eltern unterhalten, was das Kind jetzt kann oder was es nicht kann. Das kannste jetzt heutzutage auch nicht mehr. Ich hab immer ganz ganz vorsichtig zu ner Mutti gesagt, sie fahren so viel Auto, probieren se doch mal, wenn das Kind mitfährt, wenn die Ampel grün und rot ist. Bei grün darf´s fahren, das is grün und bei rot muss das Auto stoppen, da isses rot. Das das Kind ma wenigstens die zwei Farben (1) Ach, da hat sich der Himmel aufgetan. Das wars letzte Mal, ich sag nie wieder was, Schluss (lacht), nee. [Auslassung der Interviewerin] Ja, obwohl ichs gar nich so gemeint hatte, ge. Ich hab ihm, wollt ihm eigentlich nur n Tipp geben, so mal. Schlimm. Ich habs auch noch nich mal, ich habs so, wie ichs Ihnen jetzt so gesagt hab, so hab ichs gesagt. Ich hab gedacht ich persönlich hab nen falsches Wort benutzt oder irgendwas. Ich dachte, besser is, wenn se dich was fragen, gut dann antwortest de. Wenn se nichts fragen, dann sagste eben nichts (lacht) Ich hätte weinen können hier (lacht). Da schieb ich solche Sachen auf E ab, willst du nich mal mit n Eltern sprechen (lacht). Ich weiß auch nich, weil ich hab eigentlich auch keine Lust, mich mit n Eltern zu streiten. Will ich eigentlich auch gar nicht, is eigentlich auch gar nich mein () was ich will, ge (G, 801-820).
Der Aufgabe, Elterngespräche zu führen, fühlt sie sich nicht mehr gewachsen, sie ist verunsichert in ihrem professionellen Handeln und in ihrer beruflichen Kompetenz. Die Delegation dieser Aufgaben an die Leiterin führt nicht dazu, dass die fachliche Kompetenz wieder errungen werden kann, sondern bewirkt, dass mit wachsender Angst vor diesen im Alltag der Kindertagestätte zur Normalität gehörenden Gesprächen ihre Unsicherheit größer wird. Als Elterngespräche werden Tür-und-Angel-Gespräche und keine Entwicklungsgespräche thematisiert, die eine andere Form der Gesprächsführung notwendig machen und die der aktuell geforderten Qualität der Kindertagestätte entsprechen würden. Die Arbeitstei176
lung, die in der Einrichtung zwischen den beiden Kolleginnen praktiziert wird, führt dazu, dass Frau G die Möglichkeit und Notwendigkeit der Fortbildung in diesem Bereich nicht nutzen muss. Der hohe Anspruch an die eigene professionelle Tätigkeit wird reflektiert und stellt eine Kränkung für das Selbstbild dar. In die Darstellung der Elterngespräche fließt ihre eher negative Sicht der Eltern ein. Während sich Eltern früher bewusst für einen kirchlichen Kindergarten entschieden haben, zählen für viele Eltern rein organisatorische Gründe wie die Vereinbarkeit des Arbeitsweges mit der Lage der Kindertagestätte. Ein wichtiges Kriterium für die Wahl einer Einrichtung, die Konzeption, wird nach ihrer Meinung von den Eltern weder geschätzt noch als wesentliches Moment in die Wahl einbezogen. Insgesamt wertet Frau G die Eltern und ihrer Kompetenzen stark ab. Die staatliche Wiedervereinigung als Zeitpunkt, während dessen sich die politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und private Situation entscheidend veränderte, hat für Frau G keine einschneidende Bedeutung. Veränderungen, die auf die Wiedervereinigung zurück zu führen sind, hat es ihrer Ansicht nach für sie nicht gegeben. Im Hinblick auf ihre ökonomischen Situation erklärt Frau G, dass ihre finanziellen Möglichkeiten sich nicht verändert haben, obwohl sie jetzt ein höheres Einkommen als in der DDR bezieht, da die Grundausgaben im Transformationsprozess gestiegen sind und die Lebensverhältnisse sich verändert haben. Ja! Und meine Kinder sind ja dann auch noch zu DDR-Zeiten geboren. (1) Wer jemanden kannte, da wurden eben auch Kindersachen verschenkt, der brauchte das nich bezahlen, und (1) Es is zu heute, es war, es war einfach n ganz anderes Leben. Man kann das, diese beiden (2) die Sozialismus und Kapitalismus oder wie man´s jetzt sagen will - Gesellschaftsformen nich miteinander vergleichen. S ist jetzt einfach ganz anders, ne ganz andere Situation überhaupt. Und ich möchte nicht sagen, das war besser oder das is besser, ne, ich hab da gelebt und eigentlich auch ordentlich gelebt, eben mit (1) konnt mir auch nich immer s allerneuste und allerbeste kaufen, kann ich mir jetzt auch jetzt. Obwohl ich das Geld habe, wenn ich meine Miete und meine Nebenkosten weg sind, hab ich am Ende auch nich mehr. ge. Das heißt, jetzt mittlerweile, ich bin jetzt geschieden und leb jetzt allein und mein Mann hat das Haus behalten und ich bin weggegangen. (...) so auf der Basis jetzt. Von der Situation, von der geldlichen Situation her ging es mir jetzt, ich mein, mir gehts genauso gut, wie vorher auch. Aber es geht mir nicht schlechter und auch nicht besser. Kann ich jetzt nicht sagen, es geht mir jetzt viel besser. Verändert, hat sich für mich eigentlich nichts! Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich mein, ich bin immer noch im kirchlichen Dienst, ich würde auch gerne im kirchlichen Dienst bleiben. So lange wie es geht. Ich, ähm (1), ich könnte reisen, ja gut, ich könnte reisen, wenn ich Geld hätte, könnte ich reisen. Ich bin aber auch noch nicht weiter als bis zur Ostsee gekommen, weil da meine Schwester wohnt (lacht). So, im Grunde genommen hat sich nichts verändert für mich. Für mich persönlich hat sich nichts verändert. Ich weiß
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jetzt nich (6) Nee, das einzige eben, dadurch dass ich eben auch von vorn herein gesagt habe, hier auch in der Schule oder so, gleich nach der zehnten Klasse, ich gehe zur Kirche, mach die Ausbildung in der Kirche. Hat man mich auch mit allem möglichen staatlichen Krims-Krams in Ruhe gelassen. Ich wurde nie gefragt, ob ich in ne Partei wollte oder so. Es hat mich auch nicht interessiert, was andere über mich denken. Weil ich meine Meinung immer gesagt hab. Vielleicht gabs irgendwo ne Stasiakte, weiß ich nicht. Is mir auch vollkommen wurschtegal, interessiert mich jetzt auch nicht. Und ich hab auch, ich hab aber dadurch keine Schwierigkeiten gehabt. Wir haben trotzdem die Baugenehmigung gekriegt von der Bürgermeisterin (G, 719-766).
Im privaten Bereich nimmt Frau G keine Umgestaltungen wahr, die auf den Wechsel vom sozialistischen zum kapitalistischen System bzw. einem totalitären Regime zur Demokratie zurückzuführen wären. Bedingt durch Scheidung und gestiegenen Lebenshaltungskosten bleibt bei höherem Verdienst trotzdem nur ein geringer finanzieller Spielraum. Unklar bleibt, inwieweit sie die staatliche Wiedervereinigung als positiv einschätzt, wie dies von den meisten anderen Kinderdiakoninnen empfunden wird. Die politischen und wirtschaftlichen Systeme sind für sie nicht vergleichbar, so hat sich der Einzelne mit den Gegebenheiten in der DDR arrangiert und gelebt. Die nicht gestellte, aber von ihr vermutete Frage, ob ihr als kirchlicher Mitarbeiterin aufgrund der Kirchenzugehörigkeit Nachteile entstanden sind, wird von ihr negiert. Betont wird die Möglichkeit, zu DDR-Zeiten zu bauen und dafür von der Bürgermeisterin eine Baugenehmigung zu erhalten. Die politische Situation in der DDR wird individualisiert, der Baugenehmigung steht nebulös die Erwähnung einer möglichen StasiAkte gegenüber. Die behördliche Genehmigung wird von ihr hervorgehoben, allerdings wohnt sie bedingt durch die Scheidung von ihrem Mann nicht mehr in diesem damals gebauten Haus. Möglichkeiten des privaten Freiraums, die mit der Wende und der Wiedervereinigung eintreten, z.B. die Möglichkeit zu verreisen, können von ihr aufgrund des geringen Verdienstes nicht genutzt werden. Dies bedauert Frau G nicht, da sie gerne zu ihrer Verwandten, die an der Ostsee lebt, fährt. Die Reise an die Ostsee, die für sie in der DDR selbstverständlich war, stellt eine Kontinuität in ihrem Leben dar. Einschränkungen, die das Leben in der DDR in einem gewissen Maße bestimmten, werden von ihr nicht wahrgenommen, insofern war die Notwendigkeit der Veränderungen für Frau G nicht gegeben. Als kirchliche Mitarbeiterin war sie vor eventuellen Anfragen, ob sie in die Partei eintreten möchte, weitestgehend geschützt. Dies wird von ihr im Gegensatz zu anderen befragten Kinderdiakoninnen direkt thematisiert - der Eintritt in die Partei, der mit der beruflichen Entscheidung nicht mehr aktuell war. Erklärbar wird dies auf dem Hintergrund ihres politischen Engagements während der Schulzeit, so dass eine klare Ablehnung der sozialistischen Ideologie und der
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damit verbundenen Organisationen nicht erkennbar war und damit ein Eintritt in die SED möglich gewesen wäre. Die Beschreibung der staatlichen Aspekte und Bereiche sowie der Lebensumstände und der politischen Situation in der DDR bleibt bei Frau G nebulös, es ist unklar, was sie unter allem möglichen staatlichen Krims-Krams versteht. Sie bezieht sich in diesem Zusammenhang darauf, dass eventuell von ihr eine Stasi-Akte existiert, was sie aber nicht interessiere, in die sie folglich auch keinen Einblick haben möchte. Es wird von Frau G hervorgehoben, dass sie schon in der DDR ihre Meinung öffentlich äußerte und sich nicht in irgendeiner Weise einschränkte, wie das viele DDR-Bürger taten. Die Aussage, dass eventuell eine Stasi-Akte von ihr existiere, könnte vermuten lassen, dass diese Äußerungen nicht immer staatskonform waren, dies wird aber an keiner Stelle im Interview ausgeführt. Allerdings war es ein verbreitetes Phänomen, dass kirchliche Einrichtungen und Mitarbeiter besondere Beachtung und Beobachtung erfuhren.
3.2.8.5 Coping-Strategien und Resümee Die private Situation von Frau G hat sich im Transformationsprozess verändert, die Umgestaltungen wurden von ihr jedoch kaum zur Kenntnis genommen, die Veränderungen nicht im Zusammenhang mit dem Systemwechsel gesehen. Die staatliche Wiedervereinigung, die vielfältige - berufliche, soziale, ökonomische, politische und gesellschaftliche - Veränderungen mit sich brachte, die sowohl Stadt wie Land betreffen, sollten wahrgenommen und reflektiert werden, weil nur auf diesem Weg eine aktive Auseinandersetzung mit der Umbruchsituation erfolgen kann. Die Reflektion der eigenen Situation ist die Voraussetzung für die Sensibilisierung der Lage von Kindern und Eltern. Da die differenzierte Erfassung der eigenen privaten Situation und der Umwelt bei Frau G ausbleibt, findet dies Niederschlag in den beruflichen Anforderungen und deren Bewältigungsstrategien. Die berufliche Situation hat sich verändert, die evangelische Kindertagestätte ist nicht mehr die einzige Alternative, die kommunale Kindertagestätte im Ort hat sich konzeptionell verändert und weiterentwickelt und steht in Konkurrenz zu der eigenen Einrichtung. Die pädagogische Arbeit in der evangelischen Kindertagesstätte hat sich für sie zum Nachteil gewandelt, da sie aktuell nur die jüngere Gruppe betreut und sich den Kindern nur noch einige Jahre gewachsen fühlt. Sie thematisiert im Interview die Frage des eigenen Alters, die Möglichkeiten, aber vor allem die Grenzen, die damit verbunden sind. Die Vorstellung, im Alter noch in der evangelischen Kindertagestätte zu arbeiten, sich der Arbeit nicht mehr gewachsen zu fühlen, aber keine Alternative zu besitzen, verstärkt ihre Zweifel an ihren beruflichen Kompetenzen und Möglichkeiten. Die
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fehlende Kompetenz in der Elternarbeit ist ein entscheidender Mangel ihrer Professionalität. Die Bewältigung der privaten und beruflichen Lebenssituation ist überwiegend durch emotionale Coping-Strategien gekennzeichnet, unter anderem dadurch, dass sie die Anforderungen an die sich verändernde berufliche Tätigkeit in Kindertagesstätten zur Kenntnis nimmt, sich theoretisch damit auseinandersetzt, diese dann allerdings in ihrer Wertung als nicht praxiskonform einstuft und daher nicht gezwungen ist, diese in der Einrichtung umzusetzen. Emotionale Coping-Strategien werden im beruflichen Handeln genutzt um die Anforderungen zu bewältigen. So werden das veränderte Selbstbewusstsein der Eltern und der veränderte Status der Erzieherin nicht als solches wahrgenommen, sondern die Eltern als sensibler abgewertet. Kritisch könnte sich für das eigene professionelle Handeln die Tendenz auswirken, sich den Elterngesprächen zu entziehen. Im Vordergrund der beruflichen Tätigkeit steht keine aktive Auseinandersetzung mit der Situation. Mit der Aussage es hat sich nichts verändert außer, dass die Kinder unselbständiger und die Eltern sensibler geworden sind stellt sich die Haltung insofern problematisch dar, als dass private und berufliche Möglichkeiten nicht ausreichend reflektiert werden. Frau G bemerkt an einer Stelle im Interview, dass die Leiterin häufig abwesend und damit im Grunde nur zwei Mitarbeiterinnen für die Gruppenarbeit zuständig seien. Ein fachlicher Austausch vor Ort wie auch religionspädagogische Arbeit in der Einrichtung werden in dem Interview nicht benannt.91 Impulse für die religionspädagogische Arbeit zu bekommen und in pädagogische Diskussionen eingebunden zu sein, würde vermutlich die Qualität der pädagogischen Arbeit positiv beeinflussen. Es gelingt Frau G nur bedingt, die Qualität ihres pädagogischen Handelns, seien dies Aspekte der Individualisierung oder des Situationsansatzes, deutlich hervorzuheben. Die fachliche Kompetenz von Frau G, die in den Aussagen zu Fachliteratur und Diskussionen über die Einführung des Qualitätsmanagements in Ansätzen deutlich wird, steht im Kontrast zu ihrer Sicht vom Kind und ihrer Angst vor Elterngesprächen. Die religionspädagogische Kompetenz von Frau G, Kinder und ihre Bezugspersonen bei der Sinn-Suche zu unterstützen sowie ihre Befähigung dazu durch die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst finden sich im Interview nicht wieder. Die Negierung der Veränderungen durch die staatliche Wiedervereinigung und den nachfolgenden Umbruch erschwert die Entwicklung einer wesentlichen
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Die zweite Mitarbeiterin in der Einrichtung hatte lange Zeit in der Einrichtung (seit 1980) als Helferin gearbeitet, da sie in der DDR die Ausbildung zur staatlichen Kindergärtnerin aufgrund schlechter Noten nicht absolvieren konnte. Mit der Wende wurde für die Helferinnen in den evangelischen Kindergärten berufsbegleitend die Ausbildung zur Kinderdiakonin angeboten. Dies stellte sich erst im Verlauf des Interviews heraus.
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personalen Fähigkeit der Erzieherin, den Kindern Orientierung in einer sich verändernden pluralisierten Gesellschaft zu geben und die Lebenswelt der Kinder aufzugreifen. Sie erlaubt es nicht, die Herausforderungen durch die Pluralisierungen der Werte und Normen und die Freiheiten für den Einzelnen aktiv anzunehmen. Dieses Phänomen wurde oben bereits unter dem Aspekt der emotionalen Coping-Strategie gefasst. Ohne die eigene differenzierte Auseinandersetzung mit den veränderten Bedingungen fehlt die Basis für ein entsprechendes berufliches Handeln, das auf die veränderten Lebensbedingungen von Eltern und Kind aufbaut.
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4 Typenbildung und Theoriegenerierung
Auf die Fallbeschreibungen oder die Diskursbeschreibungen folgt in Kapitel 4.1 zunächst die Typenbildung nach Bohnsack (2003), wobei die Fallbeschreibungen als Belege einer Typik gesehen werden. Ausgehend von der Gegenüberstellung der Fälle werden die folgenden Typen rekonstruiert: A B C
Kinderdiakonin mit elitärem Habitus als kirchliche Mitarbeiterin mit überwiegend emotionalen Coping-Strategien. Erzieherin ohne Habitus als Kinderdiakonin mit überwiegend emotionalen Coping- Strategien. Kinderdiakonin ohne elitären Habitus als kirchliche Mitarbeiterin mit überwiegend problemorientierten Coping-Strategien..
Darauf folgt in Kapitel 4.2 die Theoriegenerierung im sozialwissenschaftlichen, religionssoziologischen und erziehungswissenschaftlichen Kontext.
4.1 Typenbildung Die Fallbeschreibungen aus Kapitel 3.2, die in sich vergleichbar geordnet sind, dienen der komparativen Analyse, die dort jedoch nur ansatzweise geleistet wird. Das Einfügen ausgewählter Passagen des transkribierten Interviews macht die Rekonstruktion der zentralen Orientierungen deutlich. In diesen kristallisieren sich die für die einzelne Kinderdiakonin konjunktiven Erfahrungen und die für ihr Alltagshandeln konstitutiven Orientierungen. Jede einzelne Fallbeschreibung stellt eine Kontrastfolie dar, wobei eine dramaturgische Steigerung vom Typus der in den Interviews häufig anzutreffenden Kinderdiakonin bis zu den selteneren Fällen stattfindet. So sind in den Fallbeschreibungen von Frau A, Frau B, Frau C, Frau D und Frau E (kollektive) Handlungs- und Orientierungsmuster von Kinderdiakoninnen rekonstruierbar, wohingegen Frau F und Frau G als Fallkontrast für die komparative Analyse zu sehen sind. Die ausgewählten Fallbeschreibungen repräsentieren individuelle Orientierungen und damit einhergehend den individuellen Habitus. Vergleichbare Fälle finden sich unter den 22 Interviewpartnerinnen wieder. Da nur berufsbiographische Interviews und keine Gruppen183
diskussionen geführt wurden, konnten nur individuelle und keine kollektive Orientierungsmuster rekonstruiert werden. Durch die komparative Analyse lässt sich nach Bohnsack (2003: 199) das Verallgemeinerbare, die Typik, herausarbeiten. Bonsack unterscheidet: die Geschlechtstypik, die Generationentypik, die Entwicklungstypik, die Bildungsmilieutypik und die Typik des sozialräumlichen Milieus (vgl. ebd.). Abhängig vom Forschungsgegenstand muss die Typik verändert werden, sei es, dass sie erweitert oder reduziert werden muss. Die von Bonsack rekonstruierten Milieus, ihr Handlungs- und Orientierungsrahmen können auf den vorliegenden Forschungsgegenstand nur bedingt angewendet werden, da auch im sozialräumlichen Milieu kaum verallgemeinerbare Typiken herausgearbeitet werden können. Rekonstruiert werden konnte durch die Eingangsfrage und die Nachfragen die Entwicklungstypik des habituellen Handelns der Kinderdiakoninnen. Als prägendes Element für die Ausbildung (Entwicklung) einer beruflichen Sozialisation und als kollektiver Orientierungsrahmen kann die Ausbildung an den Seminaren für kirchlichen Dienst begriffen werden, die für die berufliche Sozialisation und den individuellen Habitus der Kinderdiakoninnen prägend war. Für die Theorie- und Typenbildung stehen exemplarisch die dargestellten Fallbeschreibungen. Zusätzlich werden die ausgewerteten Interviews, die ergänzenden Charakter haben, in die Darstellung der Theoriegenerierung einbezogen. In den Fallrekonstruktionen der berufsbiographischen Verläufe und des Coping-Verhaltens von Kinderdiakoninnen wird deutlich, dass diese in der DDR eine unterschiedliche Genese hatten und hieraus im Transformationsprozess differente Handlungsmuster auftraten. Im Folgenden sollen die Differenzen zwischen den einzelnen Fallrekonstruktionen stärker abgebildet und mittels der Bedingungskontexte und Parameter erläutert werden. In der Auswertung der Interviews erwiesen sich die Größe des Wohnortes (Dorf, Kleinstadt, Großstadt) und das Alter als unabhängig für die Typenbildung. So leben und arbeiten zwar Kinderdiakoninnen, die problemorientierte CopingStrategien nutzen, in einer Großstadt, allerdings lässt sich diese Typisierung nicht durch weitere Kinderdiakoninnen aus vergleichbar großen Städten stützen. Entgegen der Erwartung hat sich die Variable der Hierarchie als nicht tragend im Rahmen der Typenbildung herauskristallisiert. Kinderdiakoninnen, die eine Leitungsfunktion ausüben, unterscheiden sich nicht spezifisch von anderen Fällen, auch werden von ihnen keine spezifischen Strategien emotionaler oder problemorientierter Natur zur Bewältigung des Umbruchs im Transformationsprozess gewählt. Mit diesem Parameter hätte die Annahme verknüpft sein können, dass eine Leitungsfunktion stärker mit Kontrollüberzeugungen gekoppelt ist und sich daher in der Generierung der Typen als unterstützender Faktor für die problemorientierten Coping-Strategien erweist. In den geführten Interviews wur-
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de jedoch erkennbar, dass die Leitung einer Kindertagesstätte nur von wenigen Kinderdiakoninnen bewusst angestrebt wurde (Frau A, Frau D und Frau F). Diese Erkenntnis wurde durch die anderen Interviews bestätigt. Von den 22 interviewten Kinderdiakoninnen hatten 16 die Leitung einer evangelischen Kindertagesstätte, 6 Kinderdiakoninnen waren Gruppenleiterinnen. Von diesen hatten zwei zwischenzeitlich eine Leitungsfunktion inne, die sie aber aufgrund der hohen Anforderungen wieder abgegeben hatten.92 Aus dem empirischen Material lässt sich kein Zusammenhang von problemorientierten Coping-Strategien und Leitung erschließen, in der Regel wurde die Leitungsfunktion bedingt durch personellen Wechsel vom Träger an die Kinderdiakonin herangetragen, so dass hier eine (moralische) Verpflichtung zur Übernahme der Leitungsfunktion entstand. Exemplarisch für die nicht professionelle Übernahme von Leitungsfunktionen in der DDR steht Frau E, die mit dem Anerkennungsjahr die Leitung des evangelischen Kindergartens übernehmen musste. In den Interviews wurde deutlich, dass es sich bei Frau E nicht um einen Einzelfall handelt. Aufgrund des Personalmangels in kirchlichen Kindergärten musste auch in anderen Fällen direkt die Leitung der Einrichtung übernommen werden. Die spätere Abgabe der Leitung, die immer im Transformationsprozess stattfand, wurde mit dem Verweis auf die eigentliche Berufsmotivation und die Ausbildung begründet, ist aber sicherlich auf die gestiegenen Anforderungen an die Leitungstätigkeit zurückzuführen. Forschungsgegenstand der Untersuchung ist die Frage, wie Kinderdiakoninnen die Wende, die staatliche Wiedervereinigung und den Umbruch erlebt und bewältigt haben, und welche individuellen Ressourcen und CopingStrategien zur Bewältigung der Krise und der damit einhergehenden Stresssituationen genutzt wurden. Individuelle Ressourcen können subjektive und objektive Kompetenzen sein, die eine Person besitzt oder nutzen kann, um die Belastung und die Stressbewältigung zu beeinflussen (vgl. Jerusalem 1994: 128). Als individuelle Ressourcen werden im Folgenden hohe Kontrollüberzeugung, Optimismus, Fachlichkeit, Selbstsicherheit, Pragmatismus subsumiert. Jerusalem (vgl. ebd.) stellt in Anlehnung an Bandura (1977, 1986) dar, dass die Überzeugung, aufgrund von eigenen Kompetenzen die Probleme meistern zu können, in der Psychologie mit dem Begriff der Selbstwirksamkeit gefasst wird. Die Situation der Kinderdiakoninnen im Transformationsprozess zeichnete sich dadurch aus, dass unabhängig von der Situation der evangelischen Kindertagestätten, bedingt durch den Geburtenrückgang in den Neuen Bundesländer, die Sicherheit des Arbeitsplatzes bzw. des Stundenvolumens des Arbeitsvertrages gefährdet war. 92
Die Kinderdiakoninnen sind nach der Abgabe der Leitung der evangelischen Kindertagesstätte noch als Gruppenleiterinnen tätig.
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Diese Unsicherheit, die existentielle Ängste hervorrief, konnte in Abhängigkeit von der sozialen und finanziellen Unterstützung insbesondere in einer Partnerschaft bewältigt werden (vgl. Jerusalem 1994). Hier ist von Bedeutung, ob der Partner selbst von Arbeitslosigkeit betroffen war. Mit der Wiedervereinigung erhielten die Kinderdiakoninnen die staatliche Anerkennung, im Gegensatz zu früher besitzen sie jetzt die Möglichkeit, durch den Wechsel des Wohnortes eine Tätigkeit in einem anderen, auch nicht konfessionellen Kindergarten aufzunehmen. Aufbauend auf ihre Ausbildung als Kinderdiakonin besteht nach der staatlichen Wiedervereinigung die Möglichkeit, ein Studium zu absolvieren, eine Möglichkeit, die ihnen in der DDR verwehrt war und die beispielsweise von Frau C angestrebt worden war. Einhergehend mit der staatlichen Wiedervereinigung und der Umstrukturierung der Trägerschaft der Kindertagesstätten wurden in den Neuen Bundesländern kommunale, ehemals staatliche Kindergärten von evangelischen Kirchgemeinden und diakonischen Trägern übernommen. Auch wenn eine direkte Zusammenarbeit mit staatlich ausgebildeten Erziehern in einer Kindertagestätte nicht auf viele Kinderdiakoninnen zutrifft, so stellen doch diese ehemals staatlich ausgebildeten Erzieherinnen, die nun unter dem gleichen Markenzeichen der evangelischen Kindertagestätte arbeiten, eine Herausforderung dar.93 Gerade bei Fort- und Weiterbildungen, z.B. von den Landesgeschäftstellen des Diakonischen Werkes wird in der Begegnung mit dem Fremden fassbar, dass die Vertrautheit und Geborgenheit, die den evangelischen Kindergarten in der DDR auszeichnete, mit dem Transformationsprozess verloren ging. Die Übernahmen stellen gleichzeitig neue Wirkungsmöglichkeiten und Herausforderungen, aber sicherlich auch Probleme für die Kinderdiakoninnen dar. So zeigt sich in den Interviews und exemplarisch in den Fallbeschreibungen, wie problematisch die Zusammenarbeit mit staatlichen Kindergärtnerinnen und die Reaktion der Eltern und der Gemeinde auf die Fusionen war bzw. sein kann. Keine Bedeutung in diesem Zusammenhang hatte das sozialräumliche Milieu des Kindergartens, die Proteste seitens der eher konfessionslosen Erzieherinnen und der Eltern waren die Regel und nicht die Ausnahme unabhängig ob es sich um einen Dorfkindergarten handelte oder eine städtische Einrichtung. Die Konkurrenz zu diesen neuen evangelischen Kindertagesstätten wie auch die direkte Zusammenarbeit mit staatlich ausgebildeten Erzieherinnen wurden als Stressfaktoren erlebt und erfahren. In Kapitel 2.3 werden die Bedingungen von Christen in der DDR, die zur Marginalisierung und Benachteiligung beitrugen, aufgezeigt. Mit der staatlichen 93
Der Begriff staatlich ausgebildete Erzieherin subsumiert Krippenerzieherinnen, Horterzieherinnen und Kindergärtnerinnen.
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Wiedervereinigung veränderte sich grundlegend die Situation von Christen und kirchlichen Mitarbeitern in Ostdeutschland und damit deren persönliche, soziale, berufliche und ökonomische Bedingungen. Gerade durch die geringe Entlohnung der Kinderdiakoninnen in der DDR waren die Lebensverhältnisse entscheidend eingeschränkt und symbolisierten auf ihre Weise den geringen Stellenwert des nicht anerkannten Berufsabschlusses im Staat. Deutlich wird in den Fallbeschreibungen, dass nur Frau B und Frau F zeitgeschichtliche Ereignisse politisch diskutierten. Insgesamt äußerten sich die meisten der Kinderdiakoninnen apolitisch, dies kann vor dem Hintergrund der religiösen Motivation für den Beruf der Kinderdiakonin interpretiert werden und kann ferner auf das Bemühen der Einzelnen, nicht durch politische Äußerungen aufzufallen, zurückzuführen sein. Durch den - mit dem Transformationsprozess einhergehenden - Wandel der Institutionen hat sich die Situation nicht nur der evangelischen Kindertagesstätten personell, finanziell und konzeptionell verändert. In den Interviews und den Fallbeschreibungen wird auf Momente und Bedingungen verwiesen, die die Situation der Kindertagesstätten nachteilig gewandelt haben und die möglicherweise ein professionelles pädagogisches Handeln erschweren. Betont wird von vielen der Kinderdiakoninnen die Belastung, die aus den altersgemischten Gruppen und der Aufnahme der Zweijährigen erwächst. Insgesamt hat sich der Personalschlüssel eher verschlechtert, im Hinblick auf die neuen Aufgaben, die mit den Ansprüchen der Eltern und der Einführung der Bildungspläne gestellt wurden, haben die Herausforderungen und Belastungen für die Kinderdiakoninnen zugenommen. Ein weiterer Aspekt, der sich mit der staatlichen Wiedervereinigung veränderte, sind die erhöhten Anforderungen, die seitdem an kirchliche Mitarbeiter im Zuge des Säkularisierungsprozesses gestellt werden. Mit verschiedenen Kampagnen versuchten oder versuchen die evangelischen Landeskirchen der Säkularisierung und Konfessionslosigkeit offensiv zu begegnen. Hierdurch gerieten auch evangelische Kindertagesstätten und die Arbeit von Kinderdiakoninnen in die Diskussion. Gerade bei Frau A, die sich in der DDR als Kinderdiakonin im Verkündigungsdienst begriff, führte die Diskussion in Bezug auf die Anzahl der Taufen und der Teilnahme an den Gottesdiensten zu frustrierenden Erlebnissen, die bewältigt werden mussten. Die Problematik der fortschreitenden Säkularisierung und die Diskussionen über den Zusammenhalt in den evangelischen Kirchen wurden in den einzelnen Kirchgemeinden unterschiedlich geführt, somit betraf dies im unterschiedlichen Maße die einzelne Kinderdiakonin. Die nachfolgende Tabelle 4 gibt einen Überblick über zentrale Probleme, die in den Fallbeschreibungen deutlich werden. Diese sollen in ihrer Bedeutung für die einzelne Kinderdiakonin aufgezeigt werden, um damit Gemeinsamkeiten
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gerade für die Coping-Strategien im Transformationsprozess herausarbeiten zu können. Tabelle 4: Wichtige Thematiken in den Fallbeschreibungen Thematik
Interview Bedeutung
Wende als Ereignis
Frau B Frau D Frau F
Wunsch nach Weiter- Frau D qualifizierung in der DDR
Repressionen als Christ in der DDR Zusammenlegung von kommunalem und staatlichem Kindergarten
Frau C
Leitung/Kontrolle und Gestaltungsmöglichkeiten im Kindergarten Anfrage der kirchlichen Trägerschaft und Bedeutung für die Kirchgemeinde Die Wiedervereinigung als Moment der Chance
Frau A Frau D
Würdigung der Kompetenz und Mitsprache der Eltern Verlust der besonderen Position des evangelischen Kindergartens Verlust des schaftsgefühls der Kirche
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Frau A Frau D Frau G
Frau B: politisches Engagement und Stärkung des eigenen Selbstbewusstseins durch die Tätigkeit ihres Mannes am Runden Tisch Frau D: Chancen, die mit der Wende für die evangelische Kirche und den Einzelnen verbunden waren, wurden gewürdigt und genutzt Frau F: nutzte den beruflichen und privaten Spielraum, der gerade durch die Wende in Ostdeutschland bestand, um in Projekten mitzuarbeiten und privat zu reisen Potentielle Möglichkeiten, die mit einem Studium verbunden waren, konnten nicht begonnen werden - Kinderdiakonin ein Beruf, der nur bedingt eine Weiterqualifizierung einschloss Wende wurde als Befreiung erlebt, da Christen keine Angst mehr haben mussten Frau D: Arrangement mit staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen wurde als unproblematisch erlebt. Frau A: Verlust der starken religionspädagogischen Arbeit Identitätsverlust Frau E: Abgabe der Leitung Leitung wird als Chance begriffen, die pädagogische Arbeit im Kindergarten zu gestalten
Frau A
Rechtfertigung und Abgabe des Amtes im Gemeindekirchenrat
Frau D Frau E
Nutzen der potentiellen Möglichkeiten privat bei Frau F, beruflich für den Kindergarten Frau D.
Frau D
Gestaltungsmöglichkeiten gemeinsam mit Eltern und Kindern für den Kindergarten
Frau A Frau B Frau C Frau F Gemein- Frau A innerhalb Frau B Frau F Frau E
Identitätsdiffusion für das berufliche Handeln
Identitätsdiffusion für Persönlichkeit
In Tabelle 4 wird deutlich, dass nur Frau D und Frau F die Wende und staatliche Wiedervereinigung mit ihren Möglichkeiten nutzten und diese als Gewinn für ihr privates und berufliches Leben begreifen. Alleine Frau D würdigt die Haltung der Eltern und ihre Kompetenzen als Gewinn für die evangelischen Kindertagesstätten. Für andere Kinderdiakoninnen stellt der Autoritätsverlust eine Bedrohung ihres professionellen Seins dar, berufliche Veränderungen werden dahingehend kommentiert, dass die pädagogische Arbeit mit den Kindern und die Elternarbeit schwieriger empfunden werden. Die in den Interviews immer wieder benannten schwierigen Kinder stehen als Metapher für die Bewältigung der Veränderungen im Transformationsprozess. Die sozialen, ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen werden von den meisten Kinderdiakoninnen, außer von jenen, deren Ehemänner direkt von Arbeitslosigkeit oder der Entwertung der Lohnarbeit betroffen sind, im Interview selbst ausgeklammert. Die Problematik der veränderten Situation in Ostdeutschland, die alle DDR-Bürger betraf, wird personalisiert und auf die schwierigen Kinder und sensiblen Eltern projiziert. Auch wenn die Ausgangssituation von Kinderdiakoninnen und staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen unterschiedlich war, zeigt sich an dieser Stelle eine Parallele, da diese ähnliche Probleme formulieren.94 Die Wende und staatliche Wiedervereinigung wird, entgegen der Erwartung, nur von Frau B, Frau D und Frau F von sich aus thematisiert. Frau B stellt in diesem Zusammenhang ihre oppositionelle Rolle in der DDR und das Engagement ihres Mannes am Runden Tisch dar, eine hervorgehobene Position, die sich im Verlauf des Transformationsprozesses verliert. Wenn die Wiedervereinigung auf Nachfrage angesprochen wird, so betonen viele Interviewpartnerinnen die mit ihr verbundenen Nachteile für die Gemeinschaft der Christen und ihre berufliche Tätigkeit. Private Veränderungen werden kaum benannt. Frau C fällt aus dem Rahmen, da sie mit der staatlichen Wiedervereinigung als Christ freier leben kann und nach ihrer Empfindung wieder mehr Menschen in die evangelische Kirche eintreten, sie hingegen beruflich Probleme in der pädagogischen Arbeit hat, die sie offen thematisiert. Deutlich wurde bereits in der kurzen Zusammenfassung dass die Bewältigung des Umbruchs und die damit einhergehenden Chancen und Probleme in den Neuen Bundesländern bei aller Gemeinsamkeit von den Kinderdiakoninnen unterschiedlich gedeutet und genutzt werden. In den Fallbeschreibungen wurden bereits als zentrale Vergleichsmomente das habituelle Handeln, der Habitus und die Coping-Strategien herausgearbeitet.
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Die Problematik des Autoritätsverlustes betrifft sowohl Kindergärtnerinnen wie Kinderdiakoninnen.
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Aufbauend auf der Kontrastierung der Fälle lassen sich folgende Typen genieren, die überzeichnet und nicht in Reinform vorhanden sind: A
B
C
Kinderdiakonin mit elitärem Habitus als kirchliche Mitarbeiterin mit überwiegend emotionalen Coping-Strategien. Zu diesem Typus gehören Frau A, Frau B, Frau C und Frau E. Erzieherin ohne Habitus als Kinderdiakonin mit überwiegend emotionalen Coping- Strategien. Ein Beispiel dieses Typus findet sich in der Fallbeschreibung von Frau G. Kinderdiakonin ohne elitären Habitus als kirchliche Mitarbeiterin mit überwiegend problemorientierten Coping-Strategien. Beispiele sind Frau D und Frau F.
Dominant ist die Zahl der Kinderdiakoninnen, die zum Typ A gehören, während die zweite Variante der emotionalen Coping-Strategie - Typ B - weitaus weniger häufig angetroffen wird. Am seltensten waren die problemorientierten CopingStrategien vom Typ C ohne eindeutigen Habitus als kirchliche Mitarbeiterin. Interessant ist, dass diejenigen, die problemorientierte Coping-Strategien nutzten, um die Umbruchsituation zu bewältigen, zwar engagiert in evangelischen Kindertagesstätten und verschiedenen kirchlichen Gremien arbeiten, eine Abgrenzung und Betonung ihrer Rolle als kirchliche Mitarbeiterin aber von geringer Bedeutung für ihr berufliches Verständnis ist. Der Habitus als Kinderdiakonin und ein elitäres Verständnis von Kirche und von kirchlichen Mitarbeitern sind bei diesem Typus kaum oder nicht vorhanden. Die drei verschiedenen Typen sollen im Folgenden inhaltlich charakterisiert werden, wobei der dominante Typus A aufgrund seiner Anzahl wohl in der Öffentlichkeit am meisten wahrgenommen wird.
4.1.1 Kinderdiakoninnen vom Typ A: Elitärer Habitus als kirchliche Mitarbeiterin mit überwiegend emotionalen Coping-Strategien Die interviewten Kinderdiakoninnen rekrutieren sich aus christlichen Elternhäusern, wobei eine große Anzahl der Kinderdiakoninnen gleichzeitig mit der Konfirmation auch an der Jugendweihe teilgenommen hat. Die christliche Sozialisation in der Kindheit und Jugend war unterschiedlich stark ausgebildet, dort wo sie bedingt durch das Elternhaus geringer ausgeprägt war, fand die christliche Sozialisation durch die Ausbildung an den Seminaren für kirchlichen Dienst und die Einbindung des Berufes in das kirchliche Milieu statt (vgl. Frau B, Kap. 3.2.3). Konkret heißt dies, dass durch Freunde bzw. die Heirat mit einem kirchli-
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chen Mitarbeiter, in einzelnen Fällen auch durch die Eltern und Geschwister, eine verstärkte Einbindung in das kirchliche Milieu stattfand (vgl. Frau B). Als Berufswunsch wurde meistens der Beruf der Kindergärtnerin genannt, der aufgrund von Zufällen (Berufslenkung, hohe Bewerberzahlen) aber auch aufgrund des christlichen Elternhauses nicht ergriffen werden konnte. Der Wunsch, mit Kindern arbeiten zu wollen, war bis auf wenige Ausnahmen bereits in der Kindheit erkannt worden. In den wenigsten Fällen gab es im Vorfeld Kenntnisse über den Beruf der Kinderdiakonin, Informationen über den Beruf der Kinderdiakonin und die Seminare für kirchlichen Dienst wurden den jungen Frauen häufig in der Jungen Gemeinde nahe gebracht. Dies geschah in manchen Fällen, nachdem die Entscheidung für den Beruf der Kindergärtnerin bereits gefallen, eine Bewerbung an einer staatlichen pädagogischen Schule für Kindergärtnerinnen jedoch nicht erfolgreich war und bedingt durch die Absage eine Neuorientierung erfolgen musste. Ebenso häufig wurde gezielt mit evangelischen Kindergärten im Heimatort Kontakt aufgenommen und durch diesen Kenntnis von den Seminaren für kirchlichen Dienst gewonnen. Kennzeichnend für den Typ A ist die in den Interviews sehr detaillierte Darstellung der Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst (vgl. besonders Frau B und Frau C). Hervorgehoben wird in diesem Kontext die qualifizierte, fachlich fundierte Ausbildung, die aus dem Austausch der kirchlichen Seminare mit den evangelischen Fachschulen für Sozialpädagogik in der BRD resultierte. Betont wird, dass die pädagogischen Diskussionen im Elementarbereich der BRD aufgegriffen wurden und in die Lehrinhalte an den Seminaren für kirchlichen Dienst einflossen. Darüber hinaus wird das Erleben der Gemeinschaft im Internat des Seminars für kirchlichen Dienst herausgestellt. Die gemeinsamen Aktivitäten mit dem Kurs werden oft in großem Detail dargestellt, hingegen werden kritische Aspekte zur Ausbildung bzw. zur Situation im Internat nicht benannt oder in der Darstellung so abgeschwächt, dass sie eher als individuelles denn als pädagogisches Problem sichtbar werden. Gerade die prekäre personelle Besetzung, bedingt durch Urlaub oder Krankheit von Mitarbeitern in kirchlichen Einrichtungen, seien dies evangelische Kindergärten oder Heime für geistig behinderte Kinder und Jugendliche, führte zu Personalanfragen an die Seminare für kirchlichen Dienst, die wiederum Seminaristinnen für Praktika in diese Einrichtungen delegierten. Dieses Problem wurde beispielhaft bei Frau E erkennbar, die nicht nur in einem halbjährigen Praktikum eine Gruppenleiterin, sondern auch im Anerkennungsjahr eine Leiterin ersetzen musste. Die erforderliche Anleitung der Praktikantin konnte in diesen Fällen nicht im notwendigen Maße erfolgen und stellte eine Überforderung für die jungen Frauen dar, trotz der seitens der Seminare für kirchlichen Dienst erfolgte Auswahl, wer in die entsprechende Einrichtungen delegiert werden konnte. Die meisten Kinderdiakoninnen,
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z.B. Frau A und Frau E, stellen dies als Herausforderung, an der die Einzelne privat und beruflich gewachsen ist, aber nicht als Überforderung, dar. Wenn kritische Gedanken geäußert werden, so beziehen sie sich auf die Institution der evangelischen Kirche im Transformationsprozess. Kennzeichnend für den Typ A ist zudem, dass narrative Passagen der Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst und die Jahre im evangelischen Kindergarten der DDR die Interviews dominieren. Die Herausforderungen, die mit der staatlichen Wiedervereinigung verbunden waren und der damit einhergehende Transformationsprozess werden hingegen kaum beschrieben bzw. Veränderungen werden auch auf Nachfragen kaum benannt. In den Erzählungen wird eine Unterscheidung zwischen wir und die anderen vorgenommen, dies bezieht sich vor allem in Abgrenzung auf ehemals staatliche Kindergärtnerinnen meint insgesamt aber die Christen in der ehemaligen DDR. Das Besondere ist jedoch, dass diese Abgrenzung, die elitär gefasst werden kann, ein zentrales Moment des persönlichen Habitus der Kinderdiakoninnen dieses Typus darstellt. Wohlrab-Sahr (2000b) vermeidet die Bezeichnung elitär, weist aber auf eben dieses Phänomen hin, wenn sie die religiöse Kommunikation, den Kommunikationscode von evangelischen Christen als Mittel analysiert um Gruppenidentität herzustellen. Die Abgrenzung, die in der DDR legitim war, da man, wie dies in den Interviews immer wieder deutlich wird, bespitzelt wurde und der Zusammenhalt als Christen notwendig war, bleibt auch nach der Wiedervereinigung bestehen. Die Wende wurde von vielen Kinderdiakoninnen ausgeblendet oder als Ereignis gefasst, welches im Wesentlichen als Verdienst der oppositionellen Gruppen der evangelischen Kirche dargestellt wird. In den Interviews wird für das Leben in der DDR häufig der Begriff der Nische gebraucht. Die Kirche bot nicht nur ihren Mitarbeitern einen autonomen Raum sondern wurde daneben von Oppositionellen, Christen und NichtChristen geschätzt. In den Fallbeschreibungen wird deutlich, dass engagierte Christen die gemeinsame Identität suchten, die aus der Abgrenzung gegen den Staat und Konfessionslose resultierte und die ausgehend davon ein gemeinsames Wir-Gefühl und einen starken Zusammenhalt in der Gruppe der engagierten Christen bewirkte. Dieser Zusammenhalt bricht mit der staatlichen Wiedervereinigung und der damit einhergehenden Modernisierung und Individualisierung weg. Bedingt durch den mit dem Transformationsprozess einhergehenden Wandel im Beruflichen, Ökonomischen, Gesellschaftlichen und Sozialen wird von den Kinderdiakoninnen des Typs A beklagt, dass die Bindung und die gemeinsame Identität als Christen unter alten Freunden und Bekannten erodiert. In diesem Kontext wird in der Regel auf eine stärker werdende Säkularisierung in Ostdeutschland verwiesen, die sie unter anderem bei ihren eigenen Kindern feststellen. Die mangelnde Bindungskraft wird von den Kinderdiakoninnen ange-
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sprochen, die sich im Interview als sehr religiös und im Glauben verwurzelt bezeichnen. Die Säkularisierung und der Verlust der Bindungskraft der evangelischen Kirche werden diagnostiziert, in der Beschreibung bleiben aber die Ursachen diffus. Die in den Interviews anzutreffenden Erklärungen, die Konsumgesellschaft, die um sich greifende Kälte in der Gesellschaft und der Individualismus, werden nicht nur als ursächlich für die Veränderungen benannt, sondern stellen nach Wohlrab-Sahr (2000b) gleichzeitig eine Abgrenzungsfolie im Raum der evangelischen Kirchen dar, die identitätsstiftende Wirkung nach innen haben und Grenzen nach außen ziehen. Wohrab-Sahr (ebd.) stellt zwei Thesen auf, die sich in den Interviews des Typus der emotionalen Coping-Strategien, der Kinderdiakonin mit elitärem Habitus, wieder findet. Es entsteht der Verdacht, dass diese Art der Kommunikation primär dazu dient, sich der eigenen Besonderheit und Überlegenheit zu vergewissern, sich also nach innen hin zu vergemeinschaften anstatt sich nach außen zu öffnen (Wohlrab-Sahr 2000b: 92-93)..95
So stellt sie bei der Analyse der anlässlich der Synode 1999 in Leipzig herausgegebenen Broschüre Ermutigung zur Mission fest, dass die der Kirche fern stehenden Milieus dabei klischeehaft vereinseitigt werden und darüber die Unterscheidung wir und die anderen verstärkt wird. Auch die Akzentuierung von Bekenntnishaftigkeit und das Herausstellen einer vermeintlich christlichen Lebensführung kann soziale Schließung an Stellen bedeu-
95 Besondere Probleme bereitet die Abgrenzung von Christen und Nicht-Christen oder Kinderdiakoninnen und staatlichen Kindergärtnerinnen/Erzieherinnen, den Kinderdiakoninnen, die nach der Wiedervereinigung an die Landeskirche Kurhessen-Waldeck zurückfielen. Deutlich wird bei Frau B. (Kapitel 3.2.3) das Bemühen, sich sowohl gegen staatliche Kindergärtnerinnen abzugrenzen, die aktuell erst in Fortbildungen sich das Wissen aneignen, was die Kinderdiakoninnen schon in der Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst erworben haben, und gegen die unchristlichen Erzieherinnen evangelischer Kindergärten in Hessen, die bei Fortbildungen nicht gemeinsam an einer Andacht teilnehmen können. Der elitäre Habitus, der aufgrund der fehlenden Unterscheidung zwischen Christen und Konfessionslosen in Gefahr ist, wird gewahrt durch das Herausstellen der Bekenntnishaftigkeit. Es tritt das Dilemma auf, dass die Ausbildung in der DDR am Seminar für kirchlichen Dienst stark an die Lehrinhalte der evangelischen Fachschulen in der BRD angelehnt war, auf die man auch heute noch Stolz ist. Der Stellenwert der theologischen Fächer war allerdings bedeutend größer, wie dies allein aus der Berufsbezeichnung Kinderdiakonin als Mitarbeiterin im Verkündigungsdienst deutlich wird. Nachdem ihr pädagogisches Wissen in der Begegnung mit den westlichen Erzieherinnen die Kinderdiakonin nicht mehr hervorhebt, sie aber auch nicht die Möglichkeit hat, dies wie bei den Ost-Erzieherinnen abzuwerten, bleiben allein die Bekennishaftigkeit und bereits dargestellten Abgrenzungsfolien, die unter Berücksichtigung von Wohlrab-Sahr (2000b: 92) dargestellt worden sind.
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ten, an denen eigentlich Öffnung propagiert wird und eine solche vom sozialen Setting her auch angemessen wäre (Wohlrab-Sahr 2000b: 93).
Die von Wohlrab-Sahr kritisierte Abgrenzung von engagierten evangelischen Christen findet sich beim Typ A, der Kinderdiakonin mit elitärem Habitus. Gleichzeitig spiegelt sich die von Pollack (2000a: 36) formulierte Analyse der evangelischen Kirchen in Ostdeutschland im Transformationsprozess in diesem Typus der Kinderdiakonin. Pollack (ebd.) stellt dar, dass durch innerkirchliche Diskussionen (Seelsorge von Geistlichen im Militär, Kirchensteuereinzug durch staatliche Behörden, aber auch die Einführung des Religionsunterrichtes an Schulen) die evangelische Kirche sich in ihrer Wirkungsmöglichkeit selbst blockierte. Seine Analyse zeigt weiter die angespannte finanzielle, personale Situation und die Überlastung der kirchlichen Mitarbeiter, die bestimmend für die innerkirchliche Diskussionen sind. Gerade Frau A, die bereits in der DDR kirchlich sehr engagiert war, problematisiert im Interview überwiegend die Situation der evangelischen Kirche nach der staatlichen Wiedervereinigung. Allein auf dieser Folie werden pädagogische Möglichkeiten der evangelischen Kindertagestätte interpretiert. Es war zunächst unerwartet, dass die Wende und die staatliche Wiedervereinigung in den Interviews nicht oder nur auf Nachfrage thematisiert wurden. Dies ist insofern verwunderlich, da sich der Habitus der Kinderdiakoninnen durch ihre besondere Stellung in der DDR und ihre Verbindungen mit der westdeutschen evangelischen Kirche konstruiert und die Repressionen mit der Wiedervereinigung überwunden waren. Thematisiert wurde meist die Freude über die staatliche Anerkennung als Erzieherin, die durch die Wiedervereinigung möglich wurde, allerdings wurden weitere zeitgeschichtliche Ereignisse, die damit verbunden waren, nicht angesprochen. Eine Erklärung für dieses Verhalten kann in der Analyse von Pollack (2000a) gefunden werden, der in seiner Betrachtung des religiös-kirchlichen Wandels in Ostdeutschland die These aufstellt, dass die Kirche 1989 ihre Funktion verloren hat, die einzige Institution zu sein, in der alternativ gedacht und diskutiert wurde und in der ein besonders intensives, gesellschaftskritisch orientiertes, gemeinschaftliches Leben gepflegt wurde. So verlor sie nach 1989 ihren Status als kritische Alternativinstitution und wurde zu einem Bestandteil des öffentlichen anerkannten, gesellschaftlich legitimierten Institutionensystems (Pollack 2000a: 43). Pollack geht in dieser analytischen Betrachtung noch einen Schritt weiter, indem er formuliert: Ein besonderer und wichtiger Grund für den Vertrauens- und Reputationsverlust, den die Kirchen nach 1989 hinnehmen mußten, dürfte schließlich darin gelegen haben, daß die Kirchen, die vor 1989 Anwalt der politischen und sozialen Interessen des Volkes waren, mit einem Schlag auf der Gegenseite zu stehen kamen. Mit dem
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nach 1989 einsetzenden Institutionentransfer von West nach Ost wurde die Kirche trotz ihrer teilweise harschen Kritik an den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen, die man außerhalb der Kirche offenbar kaum zur Kenntnis nahm, auf einmal als westliche Institution und damit als Siegerinstitution wahrgenommen, nicht mehr jedoch als Vertreterin der Interessen der Bevölkerung (Pollack 2000a: 44).
Diese Wahrnehmung von außen, die Pollack beschreibt, stärkt die Interpretation, dass durch die staatliche Wiedervereinigung der elitäre Habitus kirchlicher Mitarbeiterinnen einer (kritischen) Alternativinstitution in Frage gestellt wurde. Insbesondere die Kinderdiakoninnen des Typs A betonen im Interview die besondere Bedeutung der westdeutschen evangelischen Kirche für die Ausbildung an den Seminaren für kirchlichen Dienst und die Konzeptionen der evangelischen Kindergärten und kommen durch die massive öffentliche Präsenz der Kirche in Konflikte. Die Spannung, unter die Kinderdiakoninnen im Elementarbereich in der Transformation kommen, ist dadurch gekennzeichnet, dass diakonischen Träger, die sinnbildlich für die Institution der evangelischen Kirche stehen, kommunale Kindertagestätten übernehmen und damit vermeintlich westdeutsche Zustände in Ostdeutschland institutionalisieren. Die Fusion von evangelischen und kommunalen Kindertagesstätten und deren Problematik wird in der lebens- und berufsgeschichtlichen Darstellung von Frau A sichtbar, die ihren hohen religionspädagogischen Anspruch zugunsten eines allgemeiner vertretbaren religionspädagogischen Leitbildes reduziert. Frau B und Frau C sind im Transformationsprozess weiter bemüht, die Abgrenzung gegenüber den staatlich ausgebildeten Erzieherinnen beizubehalten, obschon sich ihre Arbeitssituation verändert hat und sie mit staatlich ausgebildeten pädagogischen Fachkräften in ihrer Institution zusammenarbeiten. Emotionale Coping-Strategien helfen, die aktuelle prekäre Situation zu bewältigen, die durch die Rückschau auf die Vergangenheit in der DDR mit der Benachteiligung der eigenen Person und der der evangelischen Christen verdrängt wird. Auf diesem Hintergrund wird erklärbar, dass die staatliche Wiedervereinigung und der damit einhergehende Transformationsprozess in ihrer Bedeutung für die Konzeption der evangelischen Kindertagestätten weitgehend ausgeblendet bleiben. Betont wird die Bedeutung der religionspädagogischen Arbeit, die als das charakteristische Moment konzeptioneller Arbeit evangelischer Kindertagesstätten dargestellt wird. Damit einher geht die Legitimierung von Konzeptionen, die bereits vor der staatlichen Wiedervereinigung den Situationsansatz bzw. das Prinzip der altersgemischten Gruppen beinhaltet haben. Das heißt, die Konzeptionen wurden im Transformationsprozess nicht überarbeitet, um der neuen Situation Rechnung zu tragen, sondern galten als nicht veränderungsnotwendig. Der Schwerpunkt der pädagogischen Arbeit ist weiterhin die religionspädagogische Arbeit, das Erzählen von biblischen Geschichten und die Gestaltung des Kir195
chenjahres. In den Fallbeschreibungen wurde deutlich, dass es aufgrund der Zusammenlegung von evangelischen und kommunalen Kindergärten notwendig wurde, zum einen mit staatlich ausgebildeten Erzieherinnen zusammenzuarbeiten und man zum anderen aufgrund der Zusammenarbeit mit den neuen Kolleginnen und der Widerstände von Eltern gezwungen war, die evangelische Kindertagesstätte konzeptionell neu zu verorten, wobei auch nach längerer Zusammenarbeit in den Einrichtungen häufig die Differenzierung bzw. Abgrenzung der Kinderdiakoninnen zu staatlichen Kindergärtnerinnen bestehen bleibt. Neben den historisch gewachsenen Ressentiments liegt dies möglicherweise nicht nur an dem Abgrenzungsbedürfnis, sondern an der Notwendigkeit des Zusammenhalts innerhalb einer Gruppe, die Geborgenheit vermittelt und für die der Glauben zentral für ihre Identität ist. Die Professionalität der Kinderdiakoninnen vom Typ A, die gesellschaftlichen Bedingungen, deren Potentiale und Probleme für Kinder und Eltern aufzugreifen, ist heterogen. Durch die Ausbildung in den Seminaren für kirchlichen Dienst und den Fortbildungen der Landesgeschäftstellen der Diakonischen Werke wurde bereits in der DDR ein Bild vom Kind vermittelt, welches sich eindeutig vom Erziehungs- und Bildungsplan abhob. Deutlich wird bei den Kinderdiakoninnen vom Typ A, dass sie von dem Habitus und der Autorität der staatlichen Kindergärtnerinnen profitierten auch die Autorität der Kinderdiakonin war vorgegeben und musste nicht in dem Maße, wie es heute von Kindern und Eltern gefordert wird, selbst erarbeitet werden. Im Rahmenplan zur Ausbildung der Kinderdiakonin wurde das partnerschaftliche Miteinander von Kinderdiakonin, Kind und Eltern beschrieben und verlangt. Im Transformationsprozess stellt eine partnerschaftliche Beziehung mit selbstbewussteren Kindern und selbstsicheren Eltern, die fragen und kritisieren, die vor allem eine Alternative zur evangelischen Kindertagestätte besitzen, eine Herausforderung dar. Diese Auseinandersetzung wird teilweise als Bedrohung der eigenen Kompetenz und des eigenen Status begriffen und kann nur in wenigen Fällen professionell bewältigt werden. In den Interviews wird erkennbar, dass Eltern und Kinder häufig von den Kinderdiakoninnen abgewertet werden. Inwieweit dies im pädagogischen Alltag auch stattfindet, bleibt offen. Bei vielen Kinderdiakoninnen wird deutlich, dass die pädagogische Arbeit in der evangelischen Kindertagestätte eine hohe Anforderung an ihre fachliche und persönliche Kompetenz darstellt, der sie sich (noch) gewachsen fühlen. Die Anforderung wird aber als Überforderung in Hinblick auf das Älterwerden betrachtet, vor dem fast alle Kinderdiakoninnen Angst haben.96
96 Im Jahr 2002 waren 69% der Fachkräfte im neuen Bundesgebiet älter als 40 Jahre, im Gegensatz zu 1991, wo dies nur auf 40 % zutraf. Auch die Vergleichszahlen für das alte Bundesgebiet weisen einen höheren Anteil von jungen Frauen bis 40 auf 58%. Die Angst vor dem Alter beinhaltet auch
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Diese Angst wurde von vielen Kinderdiakoninnen mit emotionalen CopingStrategien thematisiert und zeigt sich gerade beim Typ A in Bezug auf die neuen sich verändernden Bedingungen. In den Interviews wurde dies in die Metapher der selbstbewussten Kinder gefasst, die für eine ältere Kinderdiakonin eine Überforderung darstellen würden. Die Formulierung von Angst und Überforderung betont möglicherweise das Gemeinsame in der Arbeit der Kinderdiakoninnen. Dies wird durch den Eindruck verstärkt, dass die Leiterinnen des Typ A an der Leitung leiden. Es ist charakteristisch, dass sie die Führungstätigkeit ablehnen, die gekoppelt ist mit einer hohen Verantwortung, der Dienst- und Fachaufsicht und der Verwaltungstätigkeit. Hier stellt nur Frau A eine Ausnahme dar, die die Möglichkeit, die (religions-) pädagogische Arbeit in der Kindertagestätte zu gestalten und zu bestimmen, als Herausforderung und Gunst begreift. Die mit dem Transformationsprozess gestiegene Verantwortung in der Leitungstätigkeit führt zu Überforderungssymptomen wie im Fall von Frau E, die wie einige andere Kinderdiakoninnen die Leitungstätigkeit wieder abgibt. Die Abgabe der Leitung wurde in allen Fällen damit begründet, dass die pädagogische Arbeit als Gruppenleiterin der eigentliche Berufswunsch war. Die Leitungstätigkeit konnte im Transformationsprozess kaum noch mit den Aufgaben als Gruppenleiterin vereinbart werden, so dass die Entscheidung zugunsten der Kinder fiel. Die Aufgabe der Leitung im Transformationsprozess fiel in der Regel mit längeren Krankheitsphasen, Schwangerschaft usw. zusammen, diese Argumente wurden genutzt, um sich ohne Auseinandersetzung der Leitungsfunktion entziehen zu können.
4.1.2 Kinderdiakoninnen vom Typ B: Ohne Habitus als Kinderdiakonin mit überwiegend emotionalen Coping- Strategien Hier wird ein Typus von Kinderdiakoninnen besprochen, der nur in einzelnen Fällen vorkommt. Der Typ ist verbunden mit keinem eindeutigen Habitus als Kinderdiakonin, wobei Habitus als Kinderdiakonin beinhaltet, dass Religion und Glauben, die religionspädagogische Arbeit, die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst und die Beschäftigung als kirchliche Mitarbeiterin zentral für die berufliche Identität gefasst werden. Deutlich wird dies in der Fallbeschreibung von Frau G, die exemplarisch für diesen Typus steht. Insgesamt sind nur 2
das Bewusstsein, dass vorwiegend ältere und teilzeitbeschäftigte Erzieherinnen in den Neuen Bundesländern in Kindertageseinrichtungen beschäftigt sind. (Statistisches Bundesamt: Kindertagesbetreuung in Deutschland, Einrichtungen, Plätze, Personal und Kosten. 1990 bis 2002. 2004. Presseexemplar: S.16)
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der 22 interviewten Kinderdiakoninnen diesem Typus zuzurechnen. Aufgrund dieser geringeren Häufigkeit fällt eine Charakterisierung schwerer, soll im Folgenden jedoch versucht werden: Wie im Kapitel 3.2.8.1 aufgezeigt, ist das Herkunftsmilieu christlich geprägt, wobei die christliche Sozialisation im Elternhaus nur gering ausgebildet wurde. Es wurde sowohl an der Konfirmation wie an der Jugendweihe teilgenommen. Die Ausbildung zur Kinderdiakonin wurde eher zufällig gewählt, die Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst konnte nicht als Orientierungsund Handlungsrahmen dienen und zu einem beruflichen Habitus als Kinderdiakonin beitragen. Die Ausbildung wird in ihrer Fachlichkeit geschätzt, deutlich wird im Interview, dass die Wertschätzung die Fächer Psychologie, Pädagogik und Didaktik und Methodik betraf, nicht jedoch die theologischen Fächer, denen geringere Bedeutung beigemessen wird. Insgesamt fällt auf, dass im Gegensatz zu dem Typus der Kinderdiakonin mit elitärem Habitus, bei diesem Typ das Gemeinschaftserleben im Seminar für kirchlichen Dienst für die Einzelne geringe Bedeutung hatte und diesem in den narrativen Passagen kaum Raum gegeben wird. Die Tätigkeit als Kinderdiakonin im evangelischen Kindergarten der DDR wird aufgrund der pädagogischen Freiheiten weniger in Bezug auf die religionspädagogische Arbeit geschätzt. Die Besonderheiten des evangelischen Kindergartens im Hinblick auf den Erziehungs- und Bildungsplan der DDR, die sich vor allem in der Freiheit und weniger der Kontrolle der pädagogischen Arbeit durch die Fachberaterin auszeichnete, werden von den Vertreterinnen dieses Typus gewürdigt. Interessanterweise zeigt sich bei diesem Typus eine pragmatische Nutzung der Berufsbezeichnung Kinderdiakonin. So bezeichnet sich Frau G zwar an verschiedenen Stellen des Interviews als Kinderdiakonin, doch wird mit diesem Begriff der berufliche Abschluss benannt, wie er einst erlangt wurde, dies aber ohne den Schwerpunkt auf religionspädagogische Arbeit und Verkündigung zu legen. Die Kinderdiakoninnen der beiden anderen Typen bezeichnen sich einerseits als Erzieherin, dann wieder als Kinderdiakonin, wobei Glauben, Kirche und kirchliches Engagement für ihre Persönlichkeit von Bedeutung sind. Mit der pragmatischen und spielerischen Nutzung der Berufsbezeichnung wollen diese den Umstand thematisieren, dass seit der staatlichen Wiedervereinigung, die zentrale Bedeutung des Terminus Diakonin mit Glauben und Verkündigung in den evangelischen Kindertagesstätten stark zurückging und ihnen daher eine Identifizierung mit der alten Berufsbezeichnung schwer fällt. Kinderdiakoninnen vom Typ B - Erzieherin ohne Habitus als Kinderdiakonin mit überwiegend emotionalen Coping-Strategien - können dadurch charakterisiert werden, dass sie die staatliche Wiedervereinigung und den damit einher gehenden Veränderungen weitestgehend negieren bzw. negativ in Folgenkosten bilanzieren.
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Positiv wird die staatliche Anerkennung als Erzieherin in den Interviews dargestellt, dies ist aber nicht wie bei Typ A und Typ C mit Stolz auf die kirchliche Ausbildung konnotiert. Der sich im Transformationsprozess ändernde Status als Erzieherin bzw. Kinderdiakonin wird reflektiert, kann allerdings nicht genutzt werden um insbesondere die Elternarbeit, die problematisiert wird, professioneller zu gestalten. Die Ansprüche werden mit emotionalen Coping-Strategien bewältigt, die sich dadurch gekennzeichnet sind, dass die Forderungen der Eltern negiert oder diese in ihrer Kompetenz abgewertet werden. Gleichwohl entzieht sich Frau G dieser Aufgabe, in dem sie diese an eine Kollegin bzw. die Leiterin delegiert. Den gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen wird reaktiv und passiv begegnet, die Persönlichkeit kann durch Hilflosigkeit und Unsicherheit charakterisiert werden. Die konzeptionelle Arbeit des evangelischen Kindergartens in der DDR wird in Bezug auf die materielle Ausstattung und die pädagogische Freiheiten betont. Mit dem Transformationsprozess verlieren diese Merkmale ihre herausgehobenen Position, da diese als pädagogische Qualität für alle Kindertagesstätten grundlegend sind. Erschwert wird damit für Vertreterinnen dieses Typs die Möglichkeit, die Bedeutung und den Stellenwert der evangelischen Kindertagesstätte darzustellen. In Frau Gs Darstellung des Kindergartens und ihres pädagogischen Handelns finden sich keine Momente, die explizit auf eine evangelische Kindertagesstätte schließen lassen. Die Professionalität der Kinderdiakoninnen dieses Typus unterscheidet sich nur in Nuancen vom vorgenannten Typ A. Die Situation dieses Typus könnte durch die folgenden Aspekte charakterisiert werden:
Die veränderte konzeptionelle pädagogische Arbeit in den evangelischen Kindertagesstätten, der Verlust der herausgehobenen oppositionellen Rolle des evangelischen Kindergartens, die Konkurrenz von kommunalen und freien Trägern, die Kundenorientierung, und der Verlust von Autorität gegenüber Kindern und Eltern,
machen besondere Mühe, da der Umbruchsituation nicht wie beim vorherigen Typus mit der Selbstverständlichkeit des besonderen religionspädagogischen Konzeptes und des religiösen Bekenntnisses begegnet werden kann. Aussagen oder Kritik zur Institution der evangelischen Kirche im Transformationsprozess werden von Kinderdiakoninnen des Typs B nicht formuliert. Es wird der Eindruck vermittelt, dass die Kirche und damit verbunden die Gemeinschaft von Christen für die private und berufliche Identität nicht von zentraler Bedeutung sind. Frau G ist eine der Kinderdiakoninnen, die sich im Inter-
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view auf die Situation von kirchlichen Mitarbeitern in der DDR und die daraus möglicherweise resultierende Beobachtung durch die Staatssicherheit bezieht. Sie stellt dar, dass eventuell eine Stasi-Akte von ihr existiere. Aber auch hier ist ihr Handeln durch emotionale Coping-Strategien geprägt, sie möchte kein Wissen darüber erlangen. Frau G hebt sich von Typ A und Typ C ab, da sie sich nicht gegenüber den staatlich ausgebildeten Erzieherinnen abgrenzt in dem sie die Qualität der eigenen Ausbildung betont, wie dieses im nachfolgenden Zitat deutlich wird. Und ähm (1), Kinder von solchen Einrichtungen sind ja auch in die Schule gegangen und haben auch ihre Leistungen geschafft. Dass sich da jetzt überhaupt keine Wertung, es war meine Entscheidung hierher zu kommen aus (2) diesen Gründen. Wegen diesen Soldaten und Kriegsspiel und wegen diesem Marxismus-Leninismus, der auch mit da vermittelt wurde. Das war eben meine Entscheidung so, und die hatten sich so entschieden, aber das will ich jetzt überhaupt nicht werten. Und ich will auch nicht sagen, wir waren besser oder die waren besser oder wir sind schlechter oder die sind schlechter, weiß ich nicht denk ich nicht. Ich denke auch, die haben genau so gut ihre Arbeit gemacht, wie ses gelernt haben oder so oder konnten (2), will ich gar nicht irgendwie. Kinder aus diesen Einrichtungen sind ja auch bis zur zehnten oder zwölften Klasse gekommen oder haben studiert oder was weiß ich. Möcht ich jetzt nichts dazu sagen (G, 917-930).
Frau G betont ihre Gründe, keine Ausbildung an einer Pädagogischen Schule für Kindergärtnerinnen und Arbeit in kommunalen Kindergärten zu absolvieren zu wollen. In der Begründung verweist sie auf die Ideologie, die sie nicht vermittelt wollte, reflektiert in diesem Kontext aber nicht, dass der evangelische Kindergarten gleichfalls ideologisch ausgerichtet war und ist. Es zeigen sich Parallelen zwischen ihrer Motivation im evangelischen Kindergarten der DDR zu arbeiten und der von kirchenfernen Eltern, ihre Kinder in diesem anzumelden, die Barinske (1994: 17) in dem freieren Erziehungsstil sieht. Insgesamt fällt auf, dass Frau G im Interview verschiedene politische, gesellschaftliche und ideologische Aspekte thematisiert, aber im Gegensatz zu anderen Kinderdiakoninnen nur im Ansatz eine Wertung vornimmt bzw. Kritik ablehnt.
4.1.3 Kinderdiakoninnen vom Typ C: Ohne elitären Habitus als kirchliche Mitarbeiterin mit überwiegend problemorientierten Coping-Strategien Ebenso wie der Typ B ist dieser Typus unter den 22 Interviewpartnerinnen nur bei zwei Kinderdiakoninnen zu finden. Frau D (3.2.5) und Frau F (3.2.7) stehen als Vertreterinnen dieses Typs, wobei sie verschiedenen Generationen angehö-
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ren. Dies scheint für die Typbildung jedoch nicht relevant. Die interviewten Kinderdiakoninnen rekrutieren sich aus einem christlichen Elternhaus, unterschiedlich ist, inwieweit parallel mit der Konfirmation auch an der Jugendweihe teilgenommen wurde, wobei wie bereits unter 2.3.2 dargestellt wurde die Anzahl der Jugendlichen, die nur an der Konfirmation teilgenommen haben, in den achtziger Jahren nur marginal ausgeprägt war. Die Aufnahme der Ausbildung am Seminar für kirchlichen Dienst zeigt Parallelen; die eine hatte bereits Abitur mit Berufsausbildung während die andere eine Berufsausbildung absolviert hatte, da sie sich weitere Optionen offen lassen wollte, falls sie die Ausbildung zur Kinderdiakonin nicht besteht oder dieser Wunschberuf später nicht ihren Vorstellungen entspricht. Schon zu Beginn zeichnet sich eine pragmatische Einstellung zur Ausbildung bzw. der späteren Tätigkeit ab. Das Seminar für kirchlichen Dienst wird in seiner Fachlichkeit geschätzt, dieses findet jedoch ähnlich wie beim Typ B auf einer rationalen Ebene statt und ist nicht emotional unterlegt wie beim Typ A. Das Erleben von gemeinschaftlichen Aktivitäten wird nur im Ansatz thematisiert, unabhängig vom einzelnen Seminar scheint dieses Motiv für die Kinderdiakoninnen des Typs C nicht von Bedeutung gewesen zu sein. Eine Interpretation ist das höhere Alter der beiden Vertreterinnen des Typs C; so ist es für 16-jährige Seminaristinnen schwieriger als für 18- bis 19-jährige junge Frauen, sich vom Elternhaus zu trennen und in einer anderen Stadt alleine zu leben. Daraus könnte folgen, dass die Bedeutung der Gemeinschaft und des Zusammenhaltes aufgrund der Lebenssituation differenziert zu betrachten ist und für die Kinderdiakoninnen des Typs C weder in der Ausbildung noch im späteren Leben von zentraler Bedeutung war. Kennzeichnend für den Typus ist die kritische Reflexion der Ausbildung, insbesondere der Leitung des Seminars für kirchlichen Dienst und der Hausordnungen. Dieser Punkt stellt einen Kontrast zu den Typen A und B mit emotionalen Coping-Strategien dar, da diese den positiven Charakter der Leitung und die Freiheiten im Seminar für kirchlichen Dienst besonders betonen. Deutlich werden bei diesem Typ die Schwierigkeiten benannt, die mit der Ausbildung als Kinderdiakonin einhergingen:
aus der kirchlichen Ausbildung wieder in die sozialistische Arbeitsgesellschaft integriert zu werden, nach einem Wohnortswechsel eine Anstellung im evangelischen Kindergarten zu finden, Möglichkeiten der Weiterqualifizierung zu finden, da der Beruf der Kinderdiakonin nicht staatlich anerkannt war und damit keine Chance bestand, ein reguläres Studium der Pädagogik oder Psychologie aufnehmen zu können.
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Bedingt durch die Benennung der Schwierigkeiten in der DDR wurde die staatliche Wiedervereinigung und der damit eingehende Transformationsprozess vom Typ C als Chance begriffen. Die Möglichkeiten werden offensiv genutzt, um wie z.B. die Aussteigerin Frau F aus der Arbeit im evangelischen Kindergarten auszusteigen, und sich mit der staatlichen Anerkennung als Erzieherin in anderen Feldern der sozialpädagogischen Arbeit zu engagieren. Die Umbruchsituation zeichnet sich darin aus, dass die Möglichkeit besteht, sozialpädagogische Arbeitsfelder vor Ort mit zu gestalten. Sie wird auch genutzt, um sich mit nicht nur pädagogischem, sondern auch politischem Engagement beispielsweise in alternativen Projekten zu engagieren. Frau F bezeichnet das Engagement an verschiedenen Stellen als Revoluzzerstimmung, die bestimmend für die Zeit nach der Wende und Wiedervereinigung gewesen sei, in der Alles und Vieles möglich schien. Ähnliche Aussagen werden auch von Frau D formuliert, wobei sie in der evangelischen Kindertagesstätte bleibt, aber die Veränderungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und der damit verbundenen Finanzierung für den Umzug und Umbau der Einrichtung nutzt. Die Übernahme eines staatlichen Kindergartens wenngleich ohne die Notwendigkeit, die staatlichen Kindergärtnerinnen zu übernehmen, da diese einen freiwillige Umsetzung beantragen konnten klingt in ihrer Schilderung undramatisch, obwohl die gleichen Proteste seitens der Eltern bewältigt werden mussten, die auch andere Kinderdiakoninnen thematisieren. Die potentiellen Möglichkeiten der Finanzierung und der Gestaltung der evangelischen Kindertagestätte wurden mit Hilfe von Kontakten und Informationen genutzt, die Arbeit wurde als Herausforderung begriffen und Schwierigkeiten wurden durch Hartnäckigkeit überwunden. In der Erzählung von Frau D wird die hohe zeitliche Belastung deutlich, die mit den Veränderungsprozessen verbunden war und die bewältigt werden musste. Gleichzeitig wird erkennbar, dass die Notwendigkeit der Eigeninitiative und der Eigenverantwortung eine Herausforderung dargestellt hat, die als Spielraum und Gewinn für die Persönlichkeit begriffen wurden. Die von Pollack (2000a) aufgezeigte Veränderung der Institution der evangelischen Kirche in Ostdeutschland mit ihrem gesellschaftlichen Einfluss wird von Frau D im Gegensatz zu Frau F eindeutig positiv konnotiert. Die evangelische Kirche, die ihren Status als kritische Alternativinstitution verliert, aber ihren Spielraum für die kirchlichen Mitarbeiter in der konzeptionellen Gestaltung der evangelischen Kindertagesstätte weiter beibehält, wird von Frau D geschätzt, wohingegen sie von Frau F, der Aussteigerin, kritisch reflektiert wird. Die kritische Sichtweise von Frau F findet sich in Auseinandersetzung mit Glaubensfragen wieder, wie dieses auch im Kapitel 3.2.7.3 diskutiert wurde. Kennzeichnend für den Typ C ist, dass wenige Einzelheiten aus der Ausbildungszeit benannt werden und dafür der Transformationsprozess mit den damit verbundenen Modernisierungsprozessen und deren Bedeutung für Eltern und
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Kinder stark thematisiert wird. Wenngleich die Auswirkungen des Modernisierungsprozesses auch von den Kinderdiakoninnen der anderen Typen angesprochen werden, werden hier positive Aspekte differenziert benannt und nicht nur negative konstatiert. Insgesamt zeichnet sich die Sichtweise durch eine politische Betrachtung aus, die in der Analyse dezidiert auf einzelne Aspekte des kapitalistischen gesellschaftlichen Systems eingeht. Es zeigt sich, dass nicht reaktiv, sondern aktiv Veränderungen gestaltet werden und die Stellung als Leiterin der Einrichtung als Chance begriffen wird, in einem weitaus größeren Maß zu gestalten als es als Gruppenleiterin in einer evangelischen Kindertagestätte möglich wäre. Leitung wird gerade bei Frau F, die sich um die Position der Leiterin der evangelischen Kindertagesstätte beworben hat, nicht als Belastung begriffen, die von kirchlicher Seite angetragen worden ist. Im Kontrast zu dem Typ A wird die Tätigkeit als Kinderdiakonin und kirchliche Mitarbeiterin nicht akzentuiert herausgestellt. Die Arbeit innerhalb der evangelischen Kirche stellt sich als Selbstverständlichkeit dar, ohne jedoch einen elitären Akzent zu bekommen. Nicht ganz eindeutig in diesem Kontext verhält sich Frau F, die auf der einen Seite betont, dass der Begriff Kinderdiakonin seit der staatlichen Wiedervereinigung für sie keine Bedeutung mehr besitzt, auf der anderen Seite die Zunahme der Kindstaufen, die sie in der evangelischen Kindertagestätte registriert, nicht positiv in Bezug auf ihre Arbeit wertet, sondern diese abwertet in der Aussage, dass dies nur eine Anpassung an das neue System sei und daher nicht den gleichen Stellenwert besitzte wie Christ-Sein in der DDR. Also (2) Also für mich hat sich das schon geändert. Also ich, ich empfinde das nicht mehr so als Zusammenhalt. Anderen gehts bestimmt anders, es ist mein mein Empfinden. (3) Also es ist leichter Christ zu sein, sag ich jetzt mal, es ist eher die Tendenz anders rum, das man sagt, na ja ich lass mich mal lieber taufen, das kann zum Vorteil sein. Oder schick mein Kind zum Religionsunterricht, wie man sie früher zur FDJ geschickt hat. (Lachen) So schicken wir sie jetzt (Lachen) zum Religionsunterricht. Also das ist ein bisschen ketzerisch, aber ich denke so ein bisschen sind schon Gedanken, das viele sagen na ja es ist jetzt in, das dieses Jahr ist ja das Jahr der Taufe. Ge hatten wir auch mal das Gespräch um Taufe, also es ist bei vielen in ihr Kind taufen zu lassen, obwohl sie gar nichts mit der Kirche zu tun haben. I: Und obwohl sie selbst auch nicht in der Kirche sind? F: Ja. Also ich denke bei manchen ist es schon so, das man sagt, man will jetzt unter einen christlichen und kirchlichen Schutz stellen. Aber nicht weil das eben alle es machen, machen wir das eben auch. Ge es ist halt, vielleicht ein Vorteil sein könnte. (F, 742-757)
Hier wird erkennbar, dass - auch wenn bei Frau F überwiegend problemorientierte Coping-Strategien ohne elitären Habitus vorherrschend sind - es an dieser 203
Stelle Parallelen zu dem Typ A der Kinderdiakonin mit elitärem Habitus als kirchliche Mitarbeiterin und mit überwiegend emotionalen Coping-Strategien gibt.
4.1.4 Ergebnis der Typbildung Kinderdiakoninnen vom Typ C mit problemorientierten Coping-Strategien sind, wie bereits dargestellt, nur selten anzutreffen. So werden die Herausforderungen, die mit dem Transformationsprozess verbunden sind, von vielen Kinderdiakoninnen nicht wahrgenommen oder sie werden als Muss erfahren. Die Möglichkeit der Gestaltung wird letztlich alleine von Frau D als Chance innerhalb des kirchlichen Rahmens begriffen, während Frau F generell die Freiheit der Gestaltung außerhalb der evangelischen Kirche als potentiellen und alternativen Bereich des privaten und beruflichen Engagements schätzt. Insgesamt fällt auf, dass nur wenige der befragten Kinderdiakoninnen die mit dem Transformationsprozess einhergehenden Modernisierungsprozesse mit problemorientierten Coping-Strategien bewältigen. Allerdings wurde sowohl in der Kontaktaufnahme wie auch in den Interviews vielfach auf bekannte oder befreundete Kinderdiakoninnen verwiesen, die nicht mehr in evangelischen Kindertagestätten arbeiten. Diese waren häufig in benachbarten Arbeitsfeldern tätig, sei dies im Bereich der Behinderten- oder in der Altenarbeit. Die Möglichkeit der Tätigkeit sowohl in der Kinderarbeit wie auch in der Behindertenarbeit war insbesondere durch die Ausbildung an den Seminaren in Eisenach und Wolmirstedt möglich, da beide den Behindertenbereich in die Ausbildung integriert hatten. Für wieder andere bestand nach der Wiedervereinigung und der staatlichen Anerkennung als Erzieherin die Möglichkeit, ein weiterführendes Studium zu absolvieren, die von vielen Kinderdiakoninnen ergriffen wurde. Insofern kann vermutet werden, dass Kinderdiakoninnen, die stärker problemorientierte Coping-Strategien nutzten, um den Wandel zu bewältigen, nicht mehr so häufig in evangelischen Kindertagesstätten arbeiten. Die Auflage, sich mittels Studium weiterzuqualifizieren, ist für die Position der Leiterin eines Kindergartens in Sachsen und Sachsen-Anhalt verpflichtend.97 Durch ein Studium nicht nur die Leitung eines Kindergartens zu übernehmen, sondern in eine Beratungs- oder
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In Thüringen soll ein berufsbegleitendes Studium für Leiterinnen an der Fachhochschule für Sozialpädagogik in Erfurt zum WS 2007/2008 angeboten werden.
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Leitungsfunktion zu wechseln, bietet sich für die Kinderdiakoninnen an, die aufgrund des christlichen Elternhauses in der DDR nicht studieren durften.98
4.2 Theoriebildung In der vorliegenden Arbeit wird eine zentrale Frage der Sozialpädagogik (Reyer 2002) aufgegriffen und die Bewältigung der Transformation und das damit verbundene prekäre Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft/Gesellschaft" untersucht (Reyer 2002: 28). Ziel ist es, die mit der staatlichen Wiedervereinigung verbundenen Individualisierungswellen und die Bewältigungsformen der Individuen konkret der Kinderdiakoninnen mit ihren Auswirkungen auf die Erziehung und Bildung zu untersuchen und einen Beitrag zur Transformationsforschung und zum Professionalisierungsdiskurs zu leisten. Die Bedeutung der Arbeit geht nach Schulze (2002), der die Dependenz des historischen Wandels von Biographie, Erziehung und Bildung hervorhebt, über eine reine Biographieforschung hinaus. In seinem Sinn kann die Wende und die staatliche Wiedervereinigung als ein tief greifender historischer Prozess betrachtet werden, der Auswirkungen auf die individuelle Lebensgeschichte hat. So geht es nicht nur darum, wie die Kinderdiakoninnen die Transformationskrise bewältigt haben, sondern wie sie diese deuteten und was sie Kindern in evangelischen Kindertagestätten von ihr vermitteln. Biographie ist nicht nur eine Bewegung im sozialen Raum, sondern auch im historischen Raum. Das einzelne Individuum kann sich auf der Höhe seiner Zeit bewegen, ihr voraus sein oder hinter ihr zurückbleiben(Schulze 2002: 42-43).
Die fortschreitende Modernisierung und Globalisierung hat für die Kinderdiakoninnen ebenso wie die staatlich ausgebildeten Erzieherinnen Auswirkungen hinsichtlich der Lebensumstände, der Sozialisationsbedingungen und des Erfahrungsraums. Mit dem Umbruch durch die staatliche Wiedervereinigung wurden vor allem bei den staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen berufliches Wissen und Lebenserfahrungen entwertet. Aber auch die Lebenssituation und die Erfahrungen der Kinderdiakoninnen wurden durch die der Wiedervereinigung folgenden Veränderungen in der Gesellschaft und deren Auswirkungen auf die Erziehung und Bildung in evangelischen Kindertagestätten in Frage gestellt. Die bei
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Für diese These spricht der Fakt, dass 1989 am Seminar für kirchlichen Dienst in Eisenach ein ganzer Kurs die Ausbildung abgebrochen hat, um die potentiellen Chancen, die mit der Wende verbunden waren, in der BRD zu ergreifen.
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den Kinderdiakoninnen deutlich gewordene statische Wahrnehmung und die häufige Ausblendung von krisenhaften Momenten verweist auf die Notwendigkeit der Fortbildungen unter biographischen Aspekten und stellen eine Herausforderung für die Zukunft dar. In den folgenden beiden Kapiteln werden die Hauptergebnisse der Arbeit herausgearbeitet und in Beziehung zu aktueller erziehungswissenschaftlicher, religionssoziologischer und sozialwissenschaftlicher Forschung diskutiert. Dabei wird einerseits auf die besondere Situation der Christen in der DDR eingegangen und andererseits das professionelle Handeln der Kinderdiakoninnen im Transformationsprozess untersucht.
4.2.1 Christen und Kirche in der DDR Etablierte und Außenseiter Mit der staatlichen Wiedervereinigung hat in Ostdeutschland ein ausnahmsloser Systemwechsel stattgefunden. Einhergehend damit fand ein politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und juristischer Transformationsprozess statt, der die bisher gültigen Handlungs- und Einstellungsmuster in Frage stellte bzw. als nicht mehr kompatibel für die Adaption des neuen Systems darstellte. In der vorliegenden Arbeit wird zunächst die Bedeutung der Religion und Kirche für den Einzelnen und die Bildung des Gemeinschaftsgefühls und des Zusammenhalts in der DDR betrachtet. Bereits in Kapitel 2.3.6 und 2.3.7 wurden die Ressourcen, über die die Kinderdiakoninnen im evangelischen Kindergarten der DDR verfügen mussten und die insbesondere durch die autonome Eigenverantwortlichkeit eine notwendige Kompetenz im Transformationsprozess darstellten, herausgearbeitet.99
99 Die in diesem Zusammenhang notwendigen Kontingenzbewältigungen wurden von Storch (2000) mittels einer qualitativen Studie untersucht. Anhand von narrativen Interviews erforschte Storch, inwieweit der Faktor der Konfessionszugehörigkeit Einfluss auf die Kontingenzbewältigungen im gesamtgesellschaftlichen Umbruch hatte (vgl. Storch 2000: 261). Konkret wurde gefragt, ob die mit der Sozialisation erworbenen Handlungs- und Verhaltensmuster von Konfessionsangehörigen Ressourcen für die Bewältigung des Umbruchs zur Verfügung stellten. Storch zeigt anhand der Gegenüberstellung von zwei männlichen Biographien (Konfessionslos/Konfessionell), wie die in der DDR erworbene autonome biographische Verantwortung des konfessionellen Herrn Becker hilfreich für die durch Unsicherheit und Freiheit gekennzeichnete Umbruchphase war. Gleichzeitig näherte sich auch der konfessionslose Herr Reim nach dem Umbruch bedingt durch seine Arbeitslosigkeit und die neu gefundene Stelle bei der katholischen Kirche wieder der Institution der Kirche an und setzte sich auch privat mit Kirche und Religion auseinander. Kritisiert werden muss an dieser Stelle, dass der scheinbare Gegensatz von Konfessionellen und Konfessionslosen nicht stimmig ist, da auch Herr Reim christlich sozialisiert wurde, dann aber aus der Kirche ausgetreten ist.
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Eine Abgrenzung statt Öffnung für andere, die Wohlrab-Sahr (2000b) für evangelische Christen im Transformationsprozess konstatiert, findet sich in den Interviews der Kinderdiakoninnen wieder. Dies ist unabhängig davon, ob sie ohne Veränderungen in einer traditionellen evangelischen Kindertagesstätte oder in einer evangelischen Kindertagesstätte arbeiten, in der eine Fusion mit einer kommunalen Einrichtung vollzogen wurde. Der Typ A der Kinderdiakonin mit elitärem Habitus als kirchliche Mitarbeiterin findet sich sowohl in traditionellen wie auch fusionierten evangelischen Kindertagesstätten und war am häufigsten unter den Kinderdiakoninnen anzutreffen. Daher muss im folgendem rekonstruiert werden, wie es zur Ausbildung des elitären Habitus der Kinderdiakoninnen und ihrer Orientierungs- und Handlungsmuster kommen konnte und kommt. Objektive Kriterien in Bezug auf Bildungsabschlüsse, Einkommen und Status sprechen zunächst gegen die These des elitären Habitus. Nach Pollacks (1994) Analyse der Sozialstruktur Ostdeutschlands verfügten evangelische Christen in der DDR in der Regel über geringere Bildungsabschlüsse als Konfessionslose. Ferner schlossen sich ein Engagement im Rahmen der Kirche und (staatliche) Positionen, die mit Macht besetzt waren, in der Regel aus, wie dies bereits im Kapitel 2.3.2 gezeigt wurde. Insofern scheint es nicht die eigene Stellung in der Gesellschaft und des Staates zu sein, die konstitutiv für den elitären Habitus der Kinderdiakonin ist. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Institution der evangelischen Kirche aufgrund ihrer Position in der DDR als Gegen- oder Alternativinstitution den Orientierungsrahmen für die Ausbildung des elitären Habitus bietet. In den Interviews wird deutlich, dass Religion und Gemeinschaftsgefühl innerhalb der evangelischen Kirchen der DDR das Orientierungsmuster der Kinderdiakoninnen für ihre Deutung und ihr Handeln darstellen. Es wird ein Zusammenhalt innerhalb der evangelischen Kirchen konstruiert, der in der Wahrnehmung verstärkt wird durch das Wissen, dass kirchliches Engagement Repressionen seitens des Staates nach sich ziehen kann. Die Abgrenzung zur sozialistischen Ideologie und der Bezug auf das Evangelium sind konstitutiv für die Ausprägung des elitären Habitus. Die Überzeugung als evangelischer Christ in der DDR zu leben und auch in der Zeit der offenen Grenzen diese nicht zu verlassen, soll mit einem Zitat von Krötke (1994: 100) erläutert werden: Der bessere Grund für die Kirche und Unzählige, die ihr Leben dem Dienst der Kirche weihten, aber war, daß das Evangelium für die Menschen, die hier lebten, nicht zum Verstummen kommen durfte. Mehr noch: Wir haben in der Tat gemeint, es ist in der Freiheit von Christenmenschen glaubwürdiger und wahrhaftiger zur Geltung bringen zu können als in einer Gesellschaft, die sogenannte »christliche Werte« zu ihren Grundlagen zählte. Es kam darauf an, unter Beweis zu stellen, daß
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die Wahrheit des christlichen Glaubens eine Lebenskraft ist, die aus sich selbst neues Leben schafft.100
Wenn auch in der individuellen Erfahrung Repressionen nicht immer zu Tage traten, waren doch, wie bereits dargestellt, dem Einzelnen Bildungs- und Berufsmöglichkeiten, die die Loyalität zum Staat und der sozialistischen Ideologie verlangten, verschlossen. So bewirkte die Norm der Konfessionslosigkeit und der wissenschaftlichen Weltanschauung in der DDR eine Diskreditierung von engagierten Christen. Dies führte jedoch nicht zur Übernahme einer Stigmatisierung, sondern wird konvertiert in Überlegenheit aufgrund des eigenen Glaubens. Aus diesem Grunde darf die Quelle der Energie nicht verschüttet werden, welche die Christen in den Gemeinden und kirchlichen Institutionen in einer unabsehbaren Zeit der Repression so mutig sein ließ, mit der Zukunft einer dem Evangelium immer treuer werdenden Christenheit ernst zu machen. Diese Quelle war das Erleben dessen, daß die Wahrheit des sündenvergebenden Wortes Gottes selbst bei ihrer noch so kümmerlichen Bezeugung einen längeren Atem hat und in all ihrer weltlichen Ohnmacht einen sicheren Grund und Horizont des Lebens gewährt, als »Mächte dieser Welt«(Krötke 1994: VI).101
In dieser Interpretationslinie stellt das religiöse Bekenntnis nicht nur Ausdruck des Glaubens dar, sondern ist eine Coping-Strategie, in der die Einzelne sich durch den Rückhalt und die Gemeinschaft der Kirchgemeinde den Auseinandersetzungen mit Nicht-Konfessionellen entzieht. Es war unter den Bedingungen der DDR-Gesellschaft für die Kirchen sicherlich überlebensnotwendig, sich in stärkerem Maße nach außen hin abzuschließen als dies unter den Bedingungen einer offeneren Gesellschaft der Fall ist. Wer mit Verfolgung und Bespitzelung zu rechnen und Erfahrungen mit der Kirchenpolitik eines teilweise aggressiven Atheismus gemacht hatte, tat gut daran, sich diejenigen, mit denen man zu tun hatte, genau anzusehen und Freund und Feind zu unterscheiden. Dazu gehörte notwendig auch die Sicherung einer gemeinsamen Identität nach innen, die kirchliches und christliches Handeln erst möglich machte(Wohlrab-Sahr 2000b: 94).
Vor diesem Hintergrund müssen die ausschließlich positiven Beurteilungen der Ausbildung an den Seminaren für kirchlichen Dienst und der Institution der evangelischen Kirche gesehen werden. Die fortschrittliche und elitäre Konnotation der Bejahung der evangelischen Kirche und des Engagements des einzelnen
100 101
Hervorhebung im Original Hervorhebung im Original
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Kirchenmitglieds verliert sich mit der staatlichen Wiedervereinigung. Besonders auffällig ist dies bei Frau A, die die Individualisierungstendenzen innerhalb der Christen Ostdeutschlands und die personellen Gründe für ihre kritische Sicht der evangelischen Kirche darstellt und am stärksten problematisiert. Wie in der Fallbeschreibung herausgearbeitet wird, nutzt sie diese Kritik, um für sich die Veränderungen im Transformationsprozess zu fassen, was einer Bearbeitung und Verarbeitung gleichkommt. Gestützt wird die Interpretation weiter dadurch, dass außer bei Frau D und Frau F keine kritischen Aspekte zur Ausbildung an den Seminaren angesprochen werden. Gerade Frau A, Frau B, Frau C und Frau E betonen den Zusammenhalt des Kurses und die besondere Atmosphäre in den Seminaren für kirchlichen Dienst. So werden aus diesen aktuell noch Freundschaften gepflegt, die als tragend für den Einzelnen in seiner Lebenssituation begriffen werden. Der Status als kirchliche Mitarbeiterin in der DDR wird besonders von Frau A betont, die in ihrer Erzählung darstellt, dass sie im Gegensatz zu ihren Eltern in die BRD ausreisen durfte, um Verwandte zu besuchen. Auf der einen Seite wurde diese Bevorzugung als Privileg erlebt die ganze Institution der Kirche steht hinter der einzelnen Mitarbeiterin auf der anderen Seite wird dies von ihr so kommentiert, dass eine kirchliche Mitarbeiterin für den Staat keine tragende Bedeutung hatte und es daher auch willkommen gewesen wäre, wenn ihrer Interpretation folgend kritische Bürger die DDR verlassen hätten. Dieselbe Sache wird auf der einen Seite als Privileg und auf der anderen Seite als Kränkung gesehen. Die Aufwertung der eigenen Ausbildung, die mit der Wiedervereinigung staatlich anerkannt wird, wird in den Interviews von den Kinderdiakoninnen so kommentiert, dass an den Seminaren für kirchlichen Dienst, die richtige Ausbildung nach westlichen Maßstäben vermittelt wurde. Die Nicht-Anerkennung durch den Staat wird im Nachhinein entwertet als eine nicht wünschenswerte Anerkennung, da diese an sich eine Kränkung des Selbstwertgefühls dargestellt hätte. Der eigene Wert muss durch die Hervorhebung und Abgrenzung der Ausbildungsinhalte dokumentiert werden. So wird immer wieder dargestellt, dass die Ausbildung sehr praxisbezogen war und auch Ausbildungsinhalte in Handarbeiten vermittelt wurden, die sich im Nachhinein als wichtig und nützlich herausgestellt haben.102 Die Nicht-Anerkennung und Abgrenzung von Christen in der DDR kann in Anlehnung an die Studie von Elias und Scotson (1993) diskutiert werden. Diese stellen eine Theorie über die Interaktion von Etablierten und Außenseitern auf, in
102 Insbesondere Frau B betont die Qualität der kirchlichen Ausbildung in der DDR und hat Schwierigkeiten, sich gegen Kolleginnen aus den Alten Bundesländern abzugrenzen, die teilweise auch an einer evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik ihre Ausbildung zur Erzieherin absolviert haben.
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der sie die Stigmatisierung einer Gruppe durch eine andere Gruppe aufzeigen. Elias und Scotson (1993) untersuchten die Diskreditierung einer (zugewanderten) Gruppe durch eine (alteingesessene) Gruppe. Die alteingesessenen Bürger grenzten sich gegenüber den Neuankömmlingen ab und stigmatisierten sie als Menschen von geringerem Wert. (Elias/Scotson 1993: 7) Im Hinblick auf die menschliche Qualität wird die eigene Gruppe als überlegen betrachtet.103 Gemeinsam ist all diesen Fällen, daß die mächtigere Gruppe sich selbst als die besseren Menschen ansieht, ausgestattet mit einem Gruppencharisma, einem spezifischen Wert, an dem ihre sämtlichen Gruppenmitglieder teilhaben und der den anderen abgeht. Und mehr noch: In all diesen Fällen können die Machtstärkeren die Machtschwächeren selbst immer wieder zu der Überzeugung bringen, daß ihnen die Begnadigung fehle daß sie schimpfliche minderwertige Menschen seien (Elias/Scotson 1993: 8).
Diese Abgrenzung von Gruppen, wird von Wohlrab-Sahr (2000b) in Bezug auf Konfessionelle und Nicht-Konfessionelle in Ostdeutschland formuliert, indem sie die christlichen Werte und den damit einhergehenden Habitus in seiner Wirkung besonders in der Transformation aufzeigt. 104 Auch die Akzentuierung von Bekenntnishaftigkeit und das Herausstellen einer vermeintlich christlichen Lebensführung kann soziale Schließung an Stellen bedeuten, an denen eigentlich Öffnung propagiert wird und eine solche vom sozialen Setting her auch angemessen wäre (Wohlrab-Sahr 2000b: 93).
Das Bekenntnis zu eigenen Idealen diente der Abgrenzung und förderte das Gemeinschaftsgefühl und den Zusammenhalt von Christen, die in der DDR notwendig waren. Das Wissen über die Pädagogik in der DDR, über die Ausbildung zur staatlichen Kindergärtnerin und die pädagogische Arbeit im staatlichen Kindergarten wurde und wird bis auf wenige Ausnahmen über Dritte erlangt, da kaum eine der interviewten Kinderdiakoninnen direkten Kontakt zu staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen hatte. In den Interviews wird der Eindruck vermittelt, dass die beiden Berufsgruppen (Kindergärtnerinnen und Kinderdiakoninnen) nicht nur in verschiedenen Milieus lebten und arbeiteten, sondern in unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Die in den Interviews formulierte dezidierte Abgrenzung ist insofern erstaunlich, als nur wenige der interviewten Kinderdia-
103 Interessant ist der Fakt, dass obwohl beide über ähnliche objektive Kriterien verfügten, die alten Familien, die schon seit zwei Generationen in dem Wohnbezirk wohnten, sich im Milieu, Einkommen und Qualität der Häuser nicht oder nur geringfügig von den neu hinzugezogenen unterschieden. 104 Vergleiche dazu ausführlicher Kapitel 4.1.1
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koninnen sich ausschließlich im kirchlichen Milieu bewegten sondern durch ihre Familie in andere Milieus eingebunden waren. Die kirchliche und berufliche Sozialisation, die mit der Ausbildung an den Seminaren für kirchlichen Dienst begann, implizierte, dass die Einzelne sich in einer Nische der DDR bewegte, die sich in einzelnen Aspekten ihrer Einstellung und Werte von der übrigen Gesellschaft abhob. Wohlrab-Sahr (2000b) formuliert im Hinblick auf die Öffnung der Kirche und den Diskurs mit Nicht-Christen im Transformationsprozess zwei mögliche Optionen: Milieuschließung und Milieuöffnung (vgl. ebd.: 94-95). Das hieße sich primär auf die zu beziehen, die, salopp gesprochen, genauso riechen wie man selbst. Auf die also, die auf den ersten Blick die eigenen Überzeugungen und möglichst auch den eigenen Lebensstil teilen, und sich dementsprechend dann einer Symbol- und Formensprache bedienen, die dieser vertraut ist. Man würde so nach innen die Identität stärken und nach außen die Barrieren verstärken (ebd.: 95).
Die Schließung nach außen wird von vielen Kinderdiakoninnen des Typus A mit elitärem Habitus als kirchliche Mitarbeiterin und mit überwiegend emotionalen Coping-Strategien vorgenommen, findet sich allerdings nicht beim Typ C der Kinderdiakonin ohne elitären Habitus als kirchliche Mitarbeiterin mit überwiegend problemorientierten Coping-Strategien. Kennzeichnend für beide Typen sind die unterschiedliche Wahrnehmung und Interpretation der staatlichen Wiedervereinigung und die damit verbundenen Möglichkeiten für den Einzelnen. Vom Typ A wird mit Rückgriff auf die idealisierte Vergangenheit bis auf wenige Momente die Statik des privaten und beruflichen Lebens betont, während Typ C nur sekundär die Vergangenheit thematisiert und die Dynamik der Lebensverhältnisse nach der staatlichen Wiedervereinigung hervorhebt. Es zeigen sich in der Wahrnehmung der Zeitgeschehnisse Parallelen zu der Studie von Bock, die die biographische Verarbeitung von historischen Ereignissen in Ostdeutschland bei Drei-Generationen-Familien (Großeltern-Eltern-Kinder) untersucht hat (vgl. Bock 2000). Zentrale Fragen der Untersuchung waren dort der Stellenwert der innerfamilialen Interaktionsbeziehungen und die Bedeutung, die dies für die politische Orientierungen der verschiedenen Familiengenerationen besitzt (Bock 2001: 166). Diese Studie zu kontinuierlichen und diskontinuierlichen politischen Sozialisationsprozessen weist in ihrem Ergebnis eine bemerkenswerte Parallele zur hier vorliegenden Untersuchung auf. So konnten von Bock zwei Typen rekonstruiert werden:
Typ 1 Auf der Suche nach familialer Abgrenzung. Politische Sozialisation als diskontinuierlicher Prozess über drei Generationen
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Typ 2 Auf der Suche nach familialen Gemeinsamkeiten. Politische Sozialisation als kontinuierlicher Prozess über drei Generationen (vgl. Bock 2001:176).
Während bei Typ 1 die politischen Sozialisationsprozesse unter anderem als biographische Herausforderungen, als biographische Suche nach Emanzipationschancen betrachtet werden, stellt sich dieses bei Typ 2 entgegengesetzt dar. Vergleichbar den Kinderdiakoninnen wird ein Gegensatz zwischen privater Sphäre (Familie) und Öffentlichkeit gebildet. Nach Bock entstehen so geteilte Lebenswelten, wobei die öffentliche Sphäre durch die zeitgeschichtlichen Ereignisse und Veränderungsprozesse der Gesamtgesellschaft gekennzeichnet ist (vgl. Bock 2000: 346). Die Traditionen der Familie werden gewahrt und an die nächste Generation weitergegeben. Die Tradierung der familialen Welt heißt gleichzeitig, sie gegen die öffentlichen Einflüsse zu verteidigen bzw. diese zu negieren (ebd.: 347) Die politischen Sozialisationsprozesse dienen zur flexiblen Anpassung an die Alltagsrealität bzw. zu biographischen Ausblendungsleistungen der Alltagsrealität. Bock findet in der Analyse der Drei-Generationen-Familien am häufigsten Typ 2, ein ähnliches Phänomen wie in der vorliegenden Untersuchung, bei der die Mehrheit der interviewten Kinderdiakoninnen dem Typ A zuzurechnen ist. Zentral für den kontinuierlichen Prozess (Typ 2 nach Bock) ist, dass die familiale Lebenswelt durch Werte wie Harmonie, Verständnis und Unterstützung geprägt ist und die Familie als Ressource betrachtet wird, die dem Einzelnen Rückhalt und einen schützenden Rahmen bietet (ebd.: 346). Von den Kinderdiakoninnen wird die evangelische Kirche häufig mit dem Begriff Leben in einer großen Familie charakterisiert. Die Lebenswelt der Kinderdiakoninnen scheint aus einer Groß-Familie, der Kirchgemeinde bzw. der evangelischen Kirche und der eigentlichen Familie bzw. Herkunftsfamilie zu bestehen. Vor diesem Hintergrund wird die von Wohlrab-Sahr (2000b) diagnostizierte Abgrenzung gegenüber zeitgeschichtlichen Ereignissen, der Ablehnung der Individualisierungsprozesse und der Abwertung anderer Lebenswelten mit der Gleichsetzung von konsumorientierten Einstellungen erklärbar. Für die meisten Kinderdiakoninnen gilt es, Traditionen zu bewahren. Dies wird in der starken Thematisierung der Vergangenheit und der Abgrenzung gegenüber den Veränderungsprozessen teilweise in der eigenen Einrichtung bzw. der evangelischen Kirche in Ostdeutschland deutlich.
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4.2.2 Professionelles Handeln im Transformationsprozess Aufbauend auf den Ergebnissen der Typenbildung und der Theoriegenerierung soll in diesem Kapitel dargestellt werden, inwieweit der zuvor herausgearbeitete Habitus der Kinderdiakoninnen bestimmend für ihr professionelles Handeln im Transformationsprozess ist. Zudem sollen in diesem Kontext Parallelen und Unterschiede im professionellen Handeln von Kinderdiakoninnen und staatlich ausgebildeten Erzieherinnen (Krippen- und Horterzieherinnen, Kindergärtnerinnen) herausgearbeitet werden. Bedingt durch Veränderungen der Trägerstruktur der Kindertagesstätten, der länderspezifischen Ausführungsbestimmungen und deren Finanzierung wandeln sich die beruflichen Rahmenbedingungen von Kinderdiakoninnen und staatlich ausgebildeten Erzieherinnen und nähern sich an. Bedeutsam ist, dass sich die besondere und herausgehobene Situation der Kinderdiakoninnen in evangelischen Kindertagesstätten mit der staatlichen Wiedervereinigung dahingehend änderte, dass viele kommunale Kindertagesstätten und damit auch staatlich ausgebildete Erzieherinnen von diakonischen Träger oder Kirchgemeinden übernommen wurden. So verlor der alte evangelische Kindergarten seine hervorgehobene Position. Die Kinderdiakoninnen wurden in diesen Fällen vielfach mit dem Protest nicht-konfessioneller Eltern konfrontiert. Für Kinderdiakoninnen, die sich durch ihren elitären Habitus als kirchliche Mitarbeiterinnen auszeichnen, stellt dieses eine Kränkung dar. Zugleich können die gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozesse nicht ausblendet werden, da sie bei Fortbildungen innerhalb der evangelischen Landeskirchen in Kontakt zu ihrem staatlichen Pendant kommen. Nicht nur in diesem Rahmen, sondern auch bei der Fusion einer evangelischen und einer kommunalen Kindertagesstätte erleben sich die Kinderdiakoninnen als Minderheit gegenüber den staatlich ausgebildeten Erzieherinnen der übernommenen Einrichtungen. In den Fallbeschreibungen wird dargestellt, dass die Abgrenzung, die in der DDR gegenüber den staatlichen Kindergärtnerinnen stattfand, sich im Transformationsprozess diesen gegenüber bzw. auch den nichtkonfessionellen Eltern gegenüber wieder findet. Analog zu Pollack (2000a) kann für den Protest den Eltern eine Interpretation formuliert werden, die sich weniger auf das religiöse Bekenntnis bezieht, sondern die die Institution Kirche in den Focus nimmt. Der schon 1990 sich herausbildende Konflikt zwischen den Anerkennungsbedürfnissen der Menschen in Ostdeutschland und der Durchsetzung westdeutscher Institutionen spielt auch im Verhältnis der Ostdeutschen zur Kirche mit hinein. Die massive öffentliche Präsenz der Kirchen in der ersten Zeit nach der Wende dürfte den Kirchen so insgesamt eher geschadet als genützt haben. Durch die öffentliche Sichtbarkeit und die öffentliche Nachfrage nach ihnen erhielten sie in der Wahrnehmung
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der Bevölkerung eine Staatsnähe, die sie ihnen entfernte. So paradox das klingen mag: Gerade diejenige Kirche, die in der deutschen Geschichte erstmals die Nähe zum Volk gesucht hatte und dem Staat so kritisch gegenüber gestanden hatte wie keine Kirche in der deutschen Geschichte zuvor, wurde nur wieder als Herrschaftskirche und nicht als Volkskirche wahrgenommen. Damit verlor sie all jene Sympathien, die sie sich vorher durch ihr unangepaßtes und mutiges Verhalten erworben hatte (Pollack 2000a: 44).
Gerade in kleinen Dörfern gehen Sympathien verloren, da durch Fusionen oder der Übernahme von kommunalen Kindertagesstätten keine Alternative mehr zur evangelischen Kindertagesstätte besteht.105 Das Engagement der Diakonischen Träger wird, obwohl die Übernahme der kommunalen Kindertagesstätten durch Freie Träger von der Kommune als notwendig erachtet, von der Bevölkerung nicht uneingeschränkt positiv beurteilt, sondern die in der Mehrheit konfessionslose Bevölkerung Ostdeutschlands nimmt die Veränderungen in der Trägerstruktur kritisch war. Aus den Fallbeschreibungen lassen sich Parallelen zwischen den Kinderdiakoninnen, die mit überwiegend emotionalen Coping-Strategien agieren (Typ A und B) und den staatlich ausgebildeten Erzieherinnen ableiten. Eine wesentliche Gemeinsamkeit stellt die Sicht auf die Mitverantwortung von Eltern in Kindertagesstätten und die Elternarbeit dar. Es finden sich in den Interviews gehäuft kritische Positionen den Eltern gegenüber, deren Selbstbewusstsein und die Selbstbestimmung der Kinder werden als nicht förderlich für die Zusammenarbeit beschrieben (vgl. Kap. 2.2). Sie äußert sich weiter in einer ablehnenden Haltung gegenüber der Elternkompetenz und einem erweiterten Mitspracherecht von Eltern. Dieses Phänomen findet sich bei staatlichen wie kirchlichen Erzieherinnen, es resultiert aus der DDR- Pädagogik und wird von Rabe-Kleberg (2006) in den Kontext der Entwertung bzw. Abwertung ihres beruflichen Wissens und ihres Status eingeordnet: Eltern aber werden von den Erzieherinnen in der Tradition der DDR-Pädagogik durchweg als nicht kompetent, oft sogar zunehmend als weniger kompetent im Umgang mit ihren Kindern eingeschätzt. Die Abhängigkeit von ihnen und von ihrem Geld wird als Abwertung ihres Berufes im Vergleich zu der Anerkennung in der DDR erfahren (Rabe-Kleberg 2006: 118).
105 Diese Dominanz wird durch Zahlen belegt, die allein für Thüringen einen Anstieg der evangelischen Kindertagesstätten von 26 (1989) auf 198 (2006) ausweisen (vgl. Zahlen vom Diakonischen Werk Mitteldeutschlands, Maritta Leyh 18.9.2006)
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Obwohl die Kinderdiakonin sich nicht in der Tradition der DDR-Pädagogik mit ihrem Führungsanspruch bewegt, sind in den Fallbeschreibungen viele Parallelen zu finden. Eltern werden als sensibel und kritisch beschrieben und als nicht kompetent im Umgang mit ihren Kindern. Im Transformationsprozess wird die (An-) Forderung, die Eltern als Kunden begreifen zu müssen, als kränkend gedeutet; obwohl auch in der DDR der evangelische Kindergarten von den Eltern selbst bezahlt werden musste. Diese Geldleistung wurde von den Kinderdiakoninnen als normal erfahren und die Aufnahme eines Kindes als Erteilung eines Privilegs gesehen. Im Gegensatz dazu wird heute die Konkurrenz um Eltern und Kinder und damit den Kunden als demütigend erlebt. Eine weitere Parallele lässt sich feststellen: Rabe-Kleberg (2006) beschreibt die Stellung der staatlichen Kindergärtnerin folgendermaßen: Angesichts der hohen Wertschätzung der Arbeit der Kindergärten durch Staat und Partei konnte diese (auch politische) Kontrolle als Ausdruck der Teilhabe an gesellschaftlicher und politischer Herrschaft und dem sich daraus ergebenden sozialen Status verstanden werden, was sich nicht zuletzt in dem hohen Respekt ausdrückte, der ihnen von den Eltern entgegengebracht wurde (ebd.: 117).
Die Kinderdiakonin profitierte, wie bereits dargestellt, von dem Status der Kindergärtnerin und der Anerkennung ihres Expertenwissens. Gleichzeitig erfuhr sie Wertschätzung durch ihre Tätigkeit als kirchliche Mitarbeiterin und den Status der evangelischen Kirche in der DDR. Diese repräsentierte als einzige alternative Institution Gegenöffentlichkeit, die sie durch ihre Institutionalisierung im Transformationsprozess verlor. Beide Berufsgruppen partizipierten somit von der Wertschätzung, die ihnen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Institution entgegengebracht wurde und die sich in ihrem beruflichen Habitus manifestierte. Es zeigen sich in der vorliegenden Arbeit Parallelen zur Untersuchung von Nentwig-Gesemann (1999) und Musiol (1998), die die Negierung der pädagogischen Fachkräfte konstatieren, die erworbenen pädagogische Orientierungen und Handlungsmuster dem einhergehenden sozialen, gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen anzupassen. Die aufgezeigten Gemeinsamkeiten zwischen Kinderdiakoninnen und staatlich ausgebildeten Kindergärtnerinnen finden sich weniger bei dem Typ der Kinderdiakoninnen, die mit überwiegend problemorientierten Coping-Strategien agieren. Die Differenzierung der pädagogischen Handlungsstrategien, die Musiol (1998) bei Erzieherinnen und Nentwig-Gesemann (1999), bei Krippenerzieherinnen im Transformationsprozess herausarbeiteten, konnten für Kinderdiakoninnen nicht in diesem Maße rekonstruiert werden. Unterschiedliche Charakteristika fanden sich, insbesondere im Stellenwert der religionspädagogischen 215
Arbeit und in der Zusprechung der Kompetenz bei Eltern und Kindern aber gerade die von Nentwig-Gesemann (1999) aufgezeigte Abhängigkeit der Ausbildung der Typen vom hierarchischen Profil und des (sozial) räumlichen Milieus finden kein Äquivalent in der vorliegenden Untersuchung der Kinderdiakoninnen. Die Typenbildung, die hier auf die Bewältigungsstrategien bezogen ist, lässt keine signifikanten Aussagen zu einer pädagogischen Handlungsstrategie zu. Allerdings muss in Abgrenzung zu staatlich ausgebildeten Erzieherinnen das Prinzip der dialogischen Erziehung und die Bedeutung der Individualität für die pädagogischen Handlungsstrategien gesehen werden, die in den Fallbeschreibungen deutlich werden.
4.2.3 Ausblick Zum Schluss stellt sich die Frage, welche Bedeutung die Forschungsergebnisse für das professionelle Handeln von Kinderdiakoninnen in der Praxis haben. Beruflicher Habitus und Handlungsstrategien der Kinderdiakoninnen konnten aufgrund des narrativen Interviews rekonstruiert werden, es ist jedoch nicht eindeutig, inwieweit es sich dabei um Momentaufnahmen handelt bzw. ob andere Konzepte, die im Interview nicht genannt wurden für das professionelle Handeln von Bedeutung sind, daher können nur bedingt Aussagen über das pädagogische Handeln formuliert werden. Für die vorliegende Untersuchung war es nicht von Belang, das wirkliche Handeln zu erforschen, sondern es sollte der für Kinderdiakoninnen konstitutiven Orientierungsrahmen herausgearbeitet werden. Für eine nachfolgende Untersuchung wäre es im Sinne der dokumentarischen Methode von Bohnsack (2003) hilfreich, die Ergebnisse mit der Methode der teilnehmenden Beobachtung weiter zu differenzieren. Daraus könnten sich Konsequenzen für die Fortbildung von Kinderdiakoninnen ergeben. Dennoch lassen sich bereits jetzt aus den Forschungsergebnissen Schlüsse hinsichtlich des Fortbildungsbedarfes und des Entwicklungspotentials der Kinderdiakoninnen ziehen, die sich aus der Rekonstruktion der Typen ableiten lassen. In den Fallbeschreibungen wird herausgearbeitet, dass die Reflexion der eigenen Lebensgeschichte und der Umgang mit Krisen und Umbrüchen von den Kinderdiakoninnen nur im Ansatz bewältigt wurden. Verantwortlich handeln unter Strukturen der Ungewissheit, diese paradoxe Handlungsanforderung gilt für jegliches professionelles Handeln, d.h. für berufliches Handeln mit Menschen, als unabdingbar. Dieses Problem gilt als grundlegend in allen Bereichen professionellen Handelns. Überall sind die dazu notwendigen Fähigkeiten wie Rahmenbedingungen entweder nicht vorhanden oder immer wieder neu
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gefährdet: ein allgemeines Problem moderner Gesellschaften (Rabe-Kleberg 2006: 120-121).
Doye und Lipp-Peetz (1998) greifen die Problematik der Ungewissheit in den Neuen Bundesländer auf und formulieren diese schon im Titel ihres Buches: Das soll einer verstehen! Wie Erwachsene und Kinder mit Veränderungen leben. Ausgangspunkt ist das Thema Fremd im eigenen Land zu sein, das im Rahmen einer Fortbildung von einer Arbeitsgruppe zum Situationsansatz unter Leitung von Doye und Lipp-Peetz problematisiert wurde, um die Gefühle, die mit der staatlichen Wiedervereinigung verbunden waren, zum Thema zu machen (vgl. ebd.: 14). Differenziert wird hier die Lebenssituation von Kindern und Erzieherinnen aufgegriffen, um diese für den Situationsansatz nutzbar zu machen. Gerade vor dem Hintergrund der vorliegenden Untersuchung sind einige ausgewählte von Doye und Lipp-Peetz (1998) benannte Fähigkeiten der pädagogischen Handlungskompetenz zu diskutieren: Die eigene Biographie, das eigene Geworden-Sein als Grundlage der professionellen und reflexiven Fähigkeit zu begreifen, ist das zentrale Moment für professionelles Handeln. Die Reflexion der eigenen Lebensgeschichte ermöglicht es, den Umgang mit Krisen bewusst zu machen, um so die Krisen von Kindern besser wahrnehmen zu können. Notwendig für die Weiterentwicklung der Professionalität und Qualität der Einrichtungen wäre es weiterhin, Eltern als Co- Akteure zu begreifen und sie als Gesprächspartner nicht nur für das einzelne Kind sondern als kompetente Partner in der Arbeit und Entwicklung der Kindertagesstätte zu sehen.106 Diesem Anspruch konnten viele der Kinderdiakoninnen nicht gerecht werden, die in den Interviews die Elternarbeit nach der staatlichen Wiedervereinigung als schwieriger und problematischer beschreiben und Anforderungen und Erwartungen der Eltern beispielsweise in Bezug auf Bildungsinhalte und flexible Bring- und Abholzeiten zurückweisen. Fthenakis (2003) zitiert in diesem Kontext Katz (1992), für den die pädagogische Qualität eines Kindergartens die Frage impliziert, inwieweit Eltern und Erzieherinnen sich als gleichberechtigte Gegenüber akzeptieren, und inwiefern Eltern von pädagogischen Fachkräften in ihren Werten und Zielsetzungen gegenüber ihren Kindern respektiert werden. Eine andere Sicht zur Erziehungspartnerschaft als pädagogische Qualität des Kindergartens beschreibt Liegle (2006: 133), der diese als mehrdeutiges Konzept begreift, in dem sich die verschiedenen Perspektiven und Erwartungshorizonte der beteiligten Personengruppen finden. So kann die Erziehungspart-
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Vgl. Freistaat Sachsen. Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend und Familie (Hrsg.) Praxis für Praxis Werkbuch zum Landesprojekt. Zum Bildungsauftrag in Kindertageseinrichtungen.
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nerschaft ausgehend von Kind, Eltern, Erzieherin oder Träger unterschiedlich betrachtet werden. Liegle (2006), stellt ausgehend von der Studie zur Qualitätsentwicklung in katholischen Kindergärten im Bistum Trier (2004) die unterschiedliche Bedeutung des Kindergartens für Eltern und Erzieherinnen heraus. So ist für die Eltern der Betreuungsaspekt kennzeichnend, während die Erzieherinnen den Bildungsaspekt des Kindergartens betonen. Die von Liegle (2006),anhand des Bistums Trier für die Alten Bundesländer gewonnenen Aussagen können allerdings nur bedingt auf Ostdeutschland übertragen werden, da der Kindergarten als Bildungsinstitution in Ostdeutschland im Bewusstsein der Eltern verankert ist, und entsprechende Erwartungen und Forderungen seitens der Eltern in den Interviews immer wieder thematisiert wurden. Es besuchen heute vor allem Kinder aus der Mittelschicht evangelische Kindertagesstätten. Eltern stellen Anforderungen und Forderungen, zeichnen sich aber auf der anderen Seite, wie von Frau D beschreiben, durch Engagement aus. Schwierigkeiten anderer Kindertagesstätten, die aus der Arbeit mit Eltern von Problemkindern aus der sogenannten neuen Unterschicht erwachsen, sind derzeit - bis auf wenige Ausnahmen - für die pädagogische Arbeit der evangelischen Kindertagesstätten Ostdeutschlands, (noch) nicht von Bedeutung, können aber in der Zukunft erheblich zunehmen. Das Interesse von nicht konfessionell gebundenen Eltern kann für eine evangelische Kindertagesstätte als Chance begrüßt werden. In den Fallbeschreibungen wird deutlich, dass diese Möglichkeit oft nicht entsprechend gewürdigt, sondern mit Verweis auf die Situation von Christen in der DDR und die Austauschbarkeit der Zuwendung zu einer Ideologie abgewertet wird. Dieses Resultat bekräftigt die in Kapitel 4.2.1 beschriebene Interpretation von Christen als Außenseiter, die sich elitär verstehen. Wie für staatlich ausgebildete Erzieherinnen heißt professionelles Handeln für Kinderdiakoninnen: Auseinandersetzung mit neuer Fachliteratur und den Bildungsplänen der jeweiligen Bundesländer, die teilweise noch in der Erprobungsphase sind bzw. implementiert werden. Die Fähigkeit, das Kind als Konstrukteur seiner eigenen Bildungsprozesse zu begreifen, zu beobachten, und mit dem Kind ins Gespräch zu kommen, baut auf einem Fundament auf, das in den Seminaren für kirchlichen Dienst der DDR vermittelt wurde, welches aber der Fortbildung und der Auseinandersetzung bedarf, um professionelles Handeln zu ermöglichen. Dieses heißt für evangelische Kindertagesstätten, nicht Konzeptionen zu tradieren sondern weiterzuentwickeln und die Konkurrenz als Möglichkeit zur Profilierung des evangelischen Profils zu begreifen. Beachtet werden muss jedoch, dass die pädagogische Qualität einer Einrichtung die Prozessqualität impliziert, das heißt, dass Vorbereitungszeit, Größe der Gruppe, Sicherheit des Arbeitsplatzes und Beschäftigungsverhältnis maßgeblich zur Zufriedenheit der pädagogischen Fachkräfte beitragen, die sich in der Interaktion mit den Kin-
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dern niederschlägt. Diese Aspekte haben sich nicht nur für die Kinderdiakonin, sondern auch für die staatlich ausgebildeten Erzieherinnen im Transformationsprozess nachteilig entwickelt und spiegeln sich bei den befragten Kinderdiakoninnen unter anderem in der häufig zum Ausdruck gebrachten Angst vor dem Alter sowie in der Befürchtung, den Anforderungen und Herausforderungen der Arbeit in der evangelischen Kindertagesstätte nicht mehr gerecht zu werden wider.107
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Wie in den Fallbeschreibungen deutlich wird, und wie in Kapitel 4.1.1 bereits beschrieben wurde, ist die Angst vor dem Alter eine Folge der sich veränderten Rahmenbedingungen der Kindertagesstätten.
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Verzeichnis der Archive
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Anhang: Transkriptionsregeln und Interviewleitfaden
Transkriptionsregeln Die verwendeten Transkriptionsregeln sind in Tabelle 5 zusammengefasst. Tabelle 5: Transkriptionsregeln Anzahl der Sekunden, die eine Pause dauert Nicht verständliche Passage Auffällige Betonung Gedehnte Betonung Gleichzeitiges Sprechen Lachend gesprochen Dehnung, die Häufigkeit vom : entspricht der Länge der Dehnung Leise im Vergleich zur übrigen Lautstärke der Sprecherin Laut im Vergleich zur übrigen Lautstärke Anonymisierung z.B. Ort, Name Nach Nohl 2001, Bonsack 1999
(2) (??) sicher /unterstrichen sicher A :Da möchte ich noch betone n B: was war besonders wichtig @hatte@ Christ::Sein hatte hatte ()
Interviewleitfaden Einführung Ich führe im Rahmen meiner Dissertation, eine Untersuchung durch, in der ich mich mit der Lebensgeschichte von Kinderdiakoninnen in der DDR beschäftige und welche Entwicklung diese nach der Wiedervereinigung genommen haben. Dazu würde ich Sie bitten mir Ihre Lebensgeschichte zu erzählen, von Anfang an, mit allen Erlebnissen, die für Ihre berufliche Biographie wichtig waren.
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Fragen/ Nachfragen:
Welche Gründe haben Sie dazu bewogen die Ausbildung zur Kinderdiakonin anzustreben? Waren Ihre Eltern involviert oder war Ihre Familie bestimmend bei der Entscheidung für den Beruf? War Ihre Familie christlich eingestellt, wie hat sich dieses geäußert? Welche Erlebnisse und Momente waren für Sie in Ihrer Ausbildung wichtig? Was waren für Sie wesentliche Momente in Ihrer Ausbildung? Wie hat sich Ihre berufliche Situation seit der Wende entwickelt? Welchen Einfluss hat die Wiedervereinigung auf Ihre private Situation? Inwieweit hat sich Ihr privater und beruflicher Freiraum verändert? Wie beurteilen Sie dieses?
Sachbezogene Fragen:
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Inwieweit hat sich die pädagogische Arbeit im Kindergarten für Sie nach der Wende/Wiedervereinigung verändert? Welche Momente in der Arbeit mit den Kindern sind heute für Sie wichtig? In welchen Maß hat die Wiedervereinigung Einfluss auf die Kinder und deren Eltern? Inwiefern hat sich der Charakter des Kindergartens verändert? Welche neuen Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter haben Sie wo haben diese ihre Ausbildung gemacht? Haben sich mit Neueinstellungen konzeptionelle/teambezogene Veränderungen ergeben? Wie zufrieden sind Sie damit? Inwieweit ist die Entscheidung der Eltern für den evangelischen Kindergarten eine bewusste Entscheidung für einen christlichen Kindergarten? Welche gute und weniger gute/schlechte Momente gab es für Sie bis zur Wende welche gute und weniger gute/schlechte Momente gibt es heute für Sie?