Rudolf Fisch · Andrea Müller · Dieter Beck (Hrsg.) Veränderungen in Organisationen
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Rudolf Fisch · Andrea Müller · Dieter Beck (Hrsg.) Veränderungen in Organisationen
Rudolf Fisch · Andrea Müller Dieter Beck (Hrsg.)
Veränderungen in Organisationen Stand und Perspektiven
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Redaktion: Grazia Piombo Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15973-7
Inhalt Vorwort .............................................................................................................. 7
I. Orientierung über organisationale Veränderungen Gerd Wiendieck Organisationen im Wandel: ein Rückblick .................................................. 13 Hans Peter Bull Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen der Innovationen im öffentlichen Sektor .......................................................................................... 39 Walter A. Oechsler Anwendung von betriebswirtschaftlichen Verfahren in der öffentlichen Verwaltung – Gefahren, Risiken und Nebenwirkungen am Beispiel der neuen Steuerungsinstrumente Baden-Württemberg ........ 53 Rudolf Fisch Verwaltungsmodernisierung in Deutschland – ohne Folgen für eine zeitgemäße Organisationsgestaltung? ........................................................... 65 Carl Böhret Verwaltungsmodernisierung mittels aktiver Verwaltungspolitik .............. 93
II. Methoden und Techniken Siegfried Greif Der Change Explorer – eine Methodenkombination ................................. 127 Jürgen Hauschildt und Søren Salomo Promotoren und Opponenten im organisatorischen Umbruch ................ 163 Dieter Beck, Rudolf Fisch und Andrea Müller Change Reflexivity – ein Ansatz zur Analyse subjektiver Theorien über die Gestaltung von Veränderungsvorhaben ...................................... 177 Hans Georg Gemünden und Alexander Kock Erfolg substanzieller Innovationen – der Innovationsgrad als Einflussfaktor ................................................................................................ 201
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Inhaltsverzeichnis
Karlheinz Sonntag und Ralf Stegmaier Das Lernkulturinventar (LKI) – Ermittlung von Lernkulturen in Wirtschaft und Verwaltung ......................................................................... 227 Tilman Eckloff, Niels van Quaquebeke und Erich H. Witte Respektvolle Führung und ihre Bedeutung für die Gestaltung von Veränderungen in Organisationen .............................................................. 249
III. Praktische Erfahrungen Dieter Frey, Marit Gerkhardt und Peter Fischer Erfolgsfaktoren und Stolpersteine bei Veränderungen ............................. 281 Ingela Jöns Fusionen und Akquisitionen – Aufgaben für das Integrationsmanagement .............................................................................. 301 Jörg Bogumil Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung ............................. 325 Norbert Thom und Kerstin Alfes Wirkungsorientierung als Modernisierungsprinzip der Schweizerischen Verwaltung ....................................................................... 351 Christian Barthel New Public Management – symbolischer Ausdruck der Elitenzirkulation im höheren Vollzugsdienst der Polizei .......................... 377 Karlheinz Sonntag, Ralf Stegmaier und Alexandra Michel Change Management an Hochschulen: Konzepte, Tools und Erfahrungen bei der Umsetzung ................................................................. 415 Autorenverzeichnis ....................................................................................... 443
Vorwort Veränderungsprojekte stellen häufig eine interdisziplinäre Herausforderung dar. Davon ausgehend betrachtet das Buch Veränderungen in Organisationen unter sozialwissenschaftlichen, betriebswirtschaftlichen und rechtlichen, politischen Gesichtspunkten und ist dabei in drei inhaltliche Schwerpunkte unterteilt: beginnend mit einer theoretisch fundierten Orientierung über organisationale Veränderungen werden im zweiten Teil Methoden und Techniken, die speziell für Untersuchungen zu Veränderungen in Organisationen entwickelt wurden, vorgestellt. Der dritte Abschnitt stellt praktische Erfahrungen, insbesondere das Managen von Veränderungen in Wirtschaft und Verwaltung, dar. Im Einzelnen: Der Abschnitt „Orientierung über organisationale Veränderungen“ liefert eine theoretische Annäherung an das Thema. Der aktuelle Stand der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema „Veränderungsmanagement“ aus organisationspsychologischer und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive sowie aus der Perspektive von Politik- und Rechtswissenschaft wird dargestellt. Gerd Wiendieck gibt im einleitenden Beitrag einen Überblick über historische Entwicklung verschiedener Organisationsformen. Er unterzieht aktuelle Organisationstheorien wie das „Lean Management“ oder das „Principal-AgentKonzept“ einer kritischen Beurteilung und beleuchtet Kriterien sog. neuer Organisationen wie Downsizing, Flexibilisierung, Dezentralität, Selbstorganisation und Vernetzung hinsichtlich ihrer Auswirkungen. Er gibt zu bedenken, dass sich durch die Zunahme unsicherer Arbeitsverhältnisse und die Entgrenzung und Subjektivierung der Arbeit die Arbeitswelt stärker auf den private Lebensbereich und die „ganze Person“ des Arbeitnehmers auswirkt. Hans Peter Bull setzt sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen für Verwaltungsreformen auseinander. Er betont die Rolle des problembewussten Juristen, der Innovationen aufgrund seines Fachwissens beurteilt und damit zur konstruktiven Gestaltung der Zukunft beiträgt. Walter A. Oechsler beschreibt die dysfunktionalen Folgen einer unreflektierten Übertragung betriebswirtschaftlicher Verfahren in den öffentlichen Bereich. Er zeigt Gründe für Fehlentwicklungen auf und benennt präventive Handlungsmaximen. Rudolf Fisch thematisiert, welche Prozesse und Rahmenbedingungen bei einer Modernisierung der Verwaltung wirken. Er regt mit seinen Darstellungen zu kritisch-pragmatischem Nachdenken an. Schließlich gewährt Carl Böhret Einblick in verschiedene Projekte der Verwaltungsmodernisierung. Er leitet daraus verallgemeinernde Erkenntnisse und praxeologische Leitsätze ab. Im zweiten Abschnitt „Methoden und Techniken“ werden Methoden, handwerkliche Konzepte, Techniken und Checklisten vorgestellt, die speziell für
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Rudolf Fisch, Andrea Müller und Dieter Beck
Untersuchungen zu Veränderungen in Organisationen entwickelt wurden. Siegfried Greif stellt ein theoriebasiertes multimethodales Instrumentarium zur Analyse und Verbesserung des Managements organisationaler Veränderungen dar und erläutert es anhand von einem Umsetzungsbeispiel in einer Behörde. Jürgen Hauschildt und Søren Salomo erklären, warum Widerstand gegen organisatorischen Wandel entsteht und wie ihm mithilfe von Promotoren begegnet werden kann. Dieter Beck, Rudolf Fisch und Andrea Müller dokumentieren subjektive Theorien hochrangiger Entscheidungsträger über die Gestaltung von Veränderungsprozessen. Sie veranschaulichen die Methode des „Change Reflexivity“ anhand einer Fallstudie in den Bereichen Verwaltung, Politik und Wissenschaft. Hans Georg Gemünden und Alexander Kock untersuchen den Zusammenhang zwischen dem Innovationsgrad und dem Erfolg neuer Produkte mit der Methode der Meta-Analyse. Karlheinz Sonntag und Ralf Stegmaier beschreiben das Lernkultur-Inventar als Methode, um Lernen in Organisationen zu analysieren und nachhaltig zu optimieren. In ihrer Studie vergleichen sie die Lernkulturen in verschiedenen Branchen. Tilmann Eckloff, Niels van Quaquebeke und Erich H. Witte untersuchen respektvolle Führung mit ihrer Steuerungsfunktion in Veränderungsprozessen. Sie entwickeln dafür das „Handlungsinventar respektvollen Führungsverhaltens“. Durch respektvolle Führung wird das Selbstbestimmungserleben von Mitarbeitern gestärkt, welches für Organisationen im Wandel eine entscheidende Ressource darstellt. Der dritte Abschnitt stellt praktische Erfahrungen dar und hinterfragt insbesondere das Managen von Veränderungen in Wirtschaft und Verwaltung kritisch. Dieter Frey, Marit Gerkhardt und Peter Fischer beschreiben verschiedene Formen des Widerstands. Mit neun Punkten fassen sie dann die wesentlichen Erfolgsfaktoren in Veränderungsprozessen zusammen. Ingela Jöns thematisiert Fusionen und Akquisitionen und betont die Wichtigkeit eines begleitenden Integrationsmanagements. Sie beleuchtet Aufgaben und Problemfelder und benennt die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen von Integration. Jörg Bogumil diskutiert kritisch die Auswirkungen des Neuen Steuerungsmodells in der kommunalen Verwaltung sowohl im Innen- wie im Außenverhältnis. Norbert Thom und Kerstin Alfes veranschaulichen die New Public Management-Bewegung in der Schweiz und bewerten ihre Auswirkungen auch vor dem Hintergrund internationaler Entwicklungen. Christian Barthel lässt uns teilhaben an den Reformprozessen der Organisation Polizei. Im Fokus steht dabei der höhere Dienst. Karlheinz Sonntag, Ralf Stegmaier und Alexandra Michel beschreiben, wie Change Management im Hochschulbereich umgesetzt werden kann. Sie thematisieren die spezifischen Rahmenbedingungen und veranschaulichen ihre Überlegungen an einem Praxisbeispiel.
Vorwort
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Dieses Buch entstand im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt „Aufgaben der öffentlichen Verwaltung im 21. Jahrhundert – Konsequenzen für die Organisationsgestaltung“, welches im Zeitraum vom 1.10.2003 bis 30.9.2007 am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Speyer durchgeführt wurde. Die Leitung des Projektes lag bei Rudolf Fisch, die Bearbeitung erfolgte durch Dieter Beck (vgl. http://www.foev-speyer.de/organisationsdesign). Wir danken den Kolleginnen und Kollegen am Forschungsinstitut für die Unterstützung des Projektes. Dank für die stets engagierte Begleitung gebührt auch den langjährigen Kolleginnen am Lehrstuhl Linda Estelmann, Anke Ladke und Inka Tehranian. Ursula Winkler danken wir für ihre tatkräftige Unterstützung in der Endphase der Manuskripterstellung. Unser besonderer Dank gilt allen Autorinnen und Autoren für ihr großes Engagement und die Offenheit bei der Diskussion der Beiträge. Wir danken Frau Katrin Emmerich vom VS Verlag für Sozialwissenschaften für die engagierte Betreuung des Buchprojekts Schließlich gebührt unser besonderer Dank Frau Grazia Piombo vom Lehrstuhlsekretariat für ihre sorgfältige und professionelle Erstellung der Druckvorlage. Speyer, im Juni 2008
Rudolf Fisch, Andrea Müller und Dieter Beck
I. Orientierung über organisationale Veränderungen
Organisationen im Wandel: ein Rückblick Gerd Wiendieck 1
Wandel ist normal und Organisationen sind allgegenwärtig
Wandel ist normal und sicherlich kein Spezifikum unserer Zeit, auch wenn wir gegenwärtig große Veränderungen erleben und diese an Zahl, Dynamik, Ausdehnung und Wirkung zugenommen haben. Dies zeigt sich im makropolitisch gesellschaftlichen Bereich ebenso wie in organisatorischen und mikropolitischen Strukturen. Stichworte wie Globalisierung und Individualisierung markieren eine Tendenz zunehmender gesellschaftlicher und ökonomischer Vernetzung bei gleichzeitiger Verflüssigung und Erweiterung der persönlichen Lebensentwürfe und -wege. Abhängigkeit und Verunsicherung steigen gleichermaßen. Die Erkenntnis, dass Veränderungen normal sind, ist allerdings kein Garant ihrer Akzeptanz. Es scheint im Gegenteil so zu sein, dass Veränderungen in dem Grade wie sie bewusst werden, auch Widerwillen und Widerstand erzeugen (vgl. Hauschildt & Salomo in diesem Band). Der Verlust des Vertrauten wiegt dann schwerer als die Chance des Neuen; vor allem dann, wenn Veränderungen beschleunigt auftreten, durchgreifend wirken und extern initiiert wurden, ohne dass die vorgegebenen Ziele geteilt werden. Damit sind Veränderungen gemeint, die im Unterschied zu den evolutionären – gleichsam natürlichen – Entwicklungsprozessen des Lebendigen auf bewussten Eingriffen des Menschen beruhen und Auswirkungen auf andere haben. Diese anderen werden damit zu Betroffenen oder gar Opfern eines Wandels, den sie nicht initiiert oder gewollt hatten. Dies ist eine Folge der zunehmenden Organisiertheit gesellschaftlicher Prozesse. Organisationen sind allgegenwärtig. Sie durchdringen die Gesellschaft und beeinflussen das Leben der Menschen in so vielfältiger und nachhaltiger Weise, dass der Begriff der „Organisationsgesellschaft“ (Jäger & Schimank, 2005) zum Synonym einer umfassenden Ordnungsstruktur geworden ist, die zwar von Menschen geschaffen wurde, aber zugleich eine eigene innere Dynamik entfaltet, die sich einer willentlich zielorientierten Einflussnahme von „oben“ und „außen“ widersetzt. Diese Eigendynamik der Organisation mag als „Widerspenstigkeit“ beklagt oder als wissenschaftliche Herausforderung begriffen werden. Ersteres kennzeichnet die Haltung eines Managers, der die Organisation als nützliches Mittel zum Ziel betrachtet, um dann enttäuscht zu erfahren, wie begrenzt der eigene Einfluss ist. Die zweite Perspektive entspricht einer systemtheoretischen Konzeption, bei der die Organisation als umweltoffen und autopoietisch – also sich selbst erhaltend – interpretiert wird. Je nachdem welcher Perspektive man
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Gerd Wiendieck
zuneigt, wird man bei der Suche nach den Bedingungen des Wandels eher auf den Wechsel der Managementstrategien schauen und Reformbemühungen nachzeichnen oder die Entwicklung der Umfeldbedingungen analysieren und evolutionäre Entwicklungen aufzeigen. In beiden Fällen geht es um Veränderungen von Organisationen. Wenn hier von Organisationen die Rede ist, so konzentrieren wir uns auf Organisationen der Wirtschaft, vor allem die Unternehmen. Vor 25 Jahren hatten Kern und Schumann (1984) vom Ende der (tayloristischen) Arbeitsteilung gesprochen und das Entstehen einer neuen Form der industriellen Arbeitsorganisation beschrieben, die Mitarbeitern zwar größere Handlungsspielräume gewährte, aber gleichzeitig die Arbeitsziele präzisierte und die Kontrolldichte und den Rechtfertigungsdruck erhöhte. Knapp zehn Jahre später erhielt diese Entwicklung durch die Studie von Womack et al. (1992) einen weiteren Schub. Die dezidierten Analysen des Toyota-Produktionssystems offenbarten Erfolgsfaktoren, die künftig zur Grundausstattung westlicher Industriebetriebe gehören sollten und die Unternehmen ebenso gravierend wie nachhaltig verändert haben. Stichworte wie „Lean Production“, „Total Quality Management“, „Empowerment“, „Restrukturierung“, „Downsizing“, „Modularisierung“ und „Virtualisierung“ markieren diese Entwicklung, die Weinert (1998, S. 5) als „dramatisch“ klassifizierte, um anzudeuten, dass diese Veränderungen nicht graduell-kontinuierlich, sondern sprunghaft erfolgten und weniger im Sinne einer Weiterentwicklung des Bestehenden, sondern eher als Bruch des Alten und Entstehung des Neuen verstanden werden können. Diese Veränderungen im Bereich der industriellen Produktion sind weitreichend und offenkundig, akzentuieren aber nur einen Ausschnitt aus dem Spektrum des organisationalen Wandels. Ebenso bemerkenswert ist die beachtliche Ausdehnung der Dienstleistungsfunktionen, inklusive der Handels- und Logistikbereiche sowie die Entstehung vielfältiger neuer Organisations- und Beschäftigungsformen, wie zum Beispiel der Verbreitung des Franchisemodells oder die Herausbildung neuer Selbständigkeiten, vom „Freiberufler“ über die „Leiharbeit“ bis hin zum „Arbeitskraftunternehmer“, bei dem die Trennlinie zwischen Kapital und Arbeit im eigenen Kopf verläuft (Voß & Pongratz, 1998). Diese Veränderungsdynamik zeigt sich nicht nur bei den Wirtschaftsunternehmen, sondern auch in den öffentlichen Verwaltungen. Das Ideal der bürokratischen Organisation Weber’scher Prägung, dessen Erfolg in der Überwindung feudaler – demokratisch nicht kontrollierter – Herrschaftsstrukturen und dem Aufbau einer berechenbaren, effizienten und politisch neutralen Verwaltung lag, geriet zusehends in die Kritik. Mit der fortschreitenden gesellschaftlichen Differenzierung wuchsen nicht nur die Aufgaben der staatlichen Verwaltung sondern auch die Ansprüche der Bürger an ihre Verwaltungen. Erschwerend kam hinzu,
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dass die Staatsfinanzen nicht mehr zur Finanzierung der Aufgabenfülle reichten und der globalisierte Standortwettbewerb dazu führte, dass nicht nur Unternehmen, sondern auch Nationen im ökonomischen Wettbewerb standen. Die Schere zwischen Leistungsanforderungen und Leistungserfüllung weitete sich und das Ansehen der Verwaltungen sank. Die bürokratische Herrschaft verkam zur Herrschaft der Bürokratie und die Tugenden des Beamtentums gerieten ins Zwielicht: Aus Pflichtbewusstsein wurde Arroganz, Unbestechlichkeit verkam zur Unangreifbarkeit und Bescheidenheit mutierte zur Faulheit. Dies war zwar nicht faktisch so, entsprach aber dem allgemeinen Ansehen (Wiendieck, 1993). Die öffentlichen Verwaltungen, denen so das Stigma der Trägheit und Ineffizienz angehängt wurde, blieben jedoch keineswegs inaktiv, sondern akzeptierten und aktivierten neue Verwaltungsformen, die unter dem Sammelbegriff "NPM" (New Public Management) zusammengefasst werden (vgl. Naschold, 1993). Gemeinsam ist diesen Konzepten, dass sie viele Anleihen bei den privatwirtschaftlichen Unternehmen machen. Bauer und Hauff (1997) haben den Kern dieser Konzepte in fünf Punkten zusammengefasst: (1.) Die Steuerung der öffentlichen Verwaltung durch Haushaltszuweisungen und Stellenpläne wird durch eine Steuerung in Form von Vereinbarungen über zu erbringende Dienstleistungen ersetzt. Damit werden klare Ziele gesetzt. (2.) Die Dezentralisierung wird als Organisationsprinzip verwirklicht. Das eröffnet Handlungsspielräume für die verantwortlichen Führungskräfte. (3.) Die Kundenorientierung wird zu einem nachhaltigen Element der Verwaltungstätigkeit. Das fördert die Kreativität. (4.) Das Controlling und ein ausgefeiltes Berichtswesen ermöglichen die demokratische Kontrolle einer so reformierten öffentlichen Verwaltung. (5.) Das Personalmanagement wird so verändert, dass die Potentiale der Beschäftigten tatsächlich genutzt werden. Die Motivation der Beschäftigten wird als entscheidender Erfolgsfaktor erkannt. Diese Kernpunkte sind zwar deskriptiv formuliert, aber normativ gemeint. Die Wirklichkeit entspricht nämlich nur partiell den Konzepten, teils weil die Andersartigkeit öffentlicher Verwaltungsaufgaben und privatwirtschaftlicher Funktionen vernachlässigt wurde und teils weil die Implementierungsstrategien unzureichend waren. Die Diskrepanz zwischen Konzept und Realität ist allerdings weder ungewöhnlich noch auf öffentliche Verwaltungen beschränkt – sie ist im Gegenteil ein typisches Nebenergebnis planvoller Reformbemühungen und bestätigt so die Sicht, dass Organisationen nicht beliebig reformiert werden können, sondern ein Eigenleben haben. 2
Entwicklungstheoretische Perspektiven
Organisationen entwickeln sich und werden entwickelt. Sie sind keineswegs statische oder starre Systeme, sondern historisch gewachsen, umweltbezogen
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Gerd Wiendieck
und dynamisch. Gleichwohl gibt es keine etablierte Geschichtsschreibung der Entwicklung der Organisationen (Kieser 1992a, S. 1649). Es ist jedoch offenkundig, dass sich Organisationen im Laufe der Zeit mehr oder weniger verändern und dass unterschiedliche Organisationsformen mit jeweils eigener Geschichte parallel nebeneinander existieren. Die historische Betrachtung betrifft zwei Problemkreise; einerseits die Entstehung unterschiedlicher Organisationsformen sowie anderseits die Entwicklungsprozesse innerhalb spezifischer Organisationen. Diese analytisch einfach erscheinende Differenzierung in zwei Entwicklungstypen, die Entstehung neuer Formen einerseits sowie die Weiterentwicklung bestehender Formen andererseits, erweist sich jedoch als theoretisch und empirisch problematisch: Ist der Übergang vom Handwerksbetrieb zum Industriebetrieb ein gradueller oder ein substanzieller Entwicklungsschritt? Sind die neuen Verwaltungen wirklich neu oder nur verbessert? Hat die Informationstechnologie neue Organisationsformen hervorgebracht oder haben bestehende Organisationen gelernt, die technischen Möglichkeiten intelligenter zu nutzen? Fragen dieser Art lassen sich nur beantworten, wenn Klarheit und Einvernehmen über die konstituierenden Strukturmerkmale einer Organisation existieren. Dies ist jedoch nicht der Fall. Einvernehmen besteht lediglich darüber, dass Organisationen soziale Systeme der Arbeitsteilung und Koordination sind und Leistungsvorteile in der Auseinandersetzung mit der Umwelt bieten. Diese Grundthese reicht jedoch nicht aus, um die Fülle der Dimensionen zu ordnen, mit denen Organisationen beschrieben werden können: Spezialisierung, Zentralisierung, Standardisierung, Formalisierung, Aufgabengliederung, Autonomie, Partizipation etc. (vgl. Reimann, 1975; Ebers 1992, S. 1821 f.). Insofern bleibt die Frage, ob die jeweils beobachteten Entwicklungen strukturell oder graduell sind, an dieser Stelle unbeantwortet. Die Entstehung unterschiedlicher Formen wird heute überwiegend in Analogie zur Evolutionsbiologie als Selektionsprozess gedeutet, der durch die Pole „Gründung“ und „Untergang“ markiert wird. Der entscheidende Selektionsmechanismus wird in der Passung (Isomorphie) zwischen den Umweltanforderungen (Marktbedingungen) einerseits und den strukturellen Merkmalen der Organisation andererseits gesehen (Hannan & Freeman, 1976). Erfolgreiche, also gut angepasste Organisationen gelten als Vorbilder, die nachgeahmt werden, wobei diese Nachahmungen nicht identische Kopien, sondern mehr oder minder ähnliche Formen – also Variationen – ergeben. Diese Perspektive betont die Bedeutung von Neugründung und Untergang bzw. Variation und Selektion und konzentriert sich auf die Entstehung ganzer Organisationspopulationen, deren Einheiten untereinander ähnlich aber different zu anderen Organisationstypen sind. Der Motor dieser Entwicklung wird in Umweltveränderungen gesehen, die angepasste Organisationsvarianten überleben, andere dagegen untergehen lassen.
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Diese situativen Erklärungsmuster stützen sich auf den Selektionsdruck der Umwelt unter weitgehender Vernachlässigung der organisationsinternen Anpassungsfähigkeiten sowie die Reformerfolge intentionaler Managemententscheidungen. Zweifellos besitzen Organisationen Trägheit, die ihre Flexibilität bremst und zweifellos verfügen auch Manager nicht über vollständige Informationen, die nötig wären, um Organisationen perfekt auf künftige Anforderungen vorzubereiten. Gleichwohl vermag die weitgehende oder gar vollständige Leugnung dieser intern-intentionalen Entwicklungsmechanismen nicht zu überzeugen, zumal ihre Nichtberücksichtigung keinen Erklärungsgewinn liefert. Im Unterschied dazu stehen jene Ansätze, die den Organisationen einen größeren Einfluss im Spiel der Kräfte von System und Umwelt zugestehen und daher die Entwicklung von Organisationen vor allem durch innerorganisatorische Anpassungsleistungen erklären. Diese Sichtweise fokussiert die Entwicklung einzelner Organisationen, nicht ganzer Organisationspopulationen. Zumal es ohnehin schwierig ist, die konstituierenden Merkmale einzelner, situativ selektierter Organisationspopulationen zu bestimmen, um sie so von anderen Populationen unterscheiden zu können. Der Hinweis auf die organisationale Entwicklungsfähigkeit negiert dabei keineswegs die Umwelteinflüsse, sondern deutet sie als Rahmenbedingungen für organisatorische Anpassungsprozesse, die auf den Handlungen und Interaktionen der Menschen beruhen. Insofern sind Organisationen soziale Systeme, die von Menschen geschaffen, erhalten und verändert werden. Auch wenn diese Sichtweise akzeptiert ist, so finden sich doch Unterschiede in der Beurteilung der Steuerbarkeit der Organisation. Während betriebswirtschaftlich orientierte Ansätze den Managemententscheidungen hohes Gewicht beimessen, betonen sozialwissenschaftlich orientierte Forscher die Eigendynamik der Organisation und verweisen gern auf gescheiterte Reformbemühungen als Beleg einer begrenzten Steuerbarkeit. Luhmann formuliert pointiert: „Zentralkompetenzen reichen aus, um das System aufzuscheuchen, nicht aber, um es zu reformieren“ (2005, S. 415). Inzwischen verwischen sich die Grenzen zwischen betriebswirtschaftlich und sozialwissenschaftlich geprägten Sichtweisen. So warnt die St. Gallener Managementschule vor dirigierenden und detaillierten Eingriffen der Führung und empfiehlt stattdessen die Schaffung von Handlungsspielräumen, um Lernprozesse und Kreativität zu fördern. Dies sichere die Fortschrittsfähigkeit von Organisationen innerhalb einer komplexer werdenden und schwerer zu prognostizierenden Umwelt (Malik, 1986, S. 311). Und selbst dort, wo Betriebswirtschaftler die gestaltende Rolle des Managements betonen, zeigt sich in jüngster Zeit eine deutliche Distanz zu dem klassischen Rationalitätsparadigma der Organisationsgestaltung. Weibler und Küpers (2008) stützen sich auf psychologische und neurologische Erkenntnisse und belegen die Ineffizienz rationaler Entscheidungen und empfehlen die stärkere Berücksichti-
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gung von Emotion und Intuition, und zwar sowohl in der betriebswirtschaftlichen Forschung als auch in der betrieblichen Praxis. Empfehlungen sind allerdings nur nützlich, wenn sie die Problematik treffen, die sie bewältigen sollen. So fragt sich, ob diese und andere Vorschläge Defizite des Managers oder der Organisation beleuchten, denn „Reformbemühungen können auf zwei unterschiedliche, ja gegensätzliche Weisen ausgeflaggt werden: als bessere Anpassung an Ideen (z. B. humanere Arbeitsbedingungen) oder als bessere Anpassung an Realitäten (z. B. schrumpfende Märkte)“ (Luhmann, 2005, S. 416). Im ersten Fall nährt sich der Anpassungsdruck aus der Entwicklung der Ideen, im zweiten aus der Entwicklung der realen Umwelt, wobei beide Anlässe miteinander verknüpft sind. Der Wandel der Umwelt hat Einfluss auf die Konzeptentwicklung und die Konzeptrealisierung verändert die Umweltbedingungen: Sind die gestiegenen Qualitätserwartungen der Kunden Ausgangspunkt oder Folge der Qualitätsanstrengungen der Unternehmen? Die Frage mag müßig sein, sie ist jedoch konsequenzenreich. Wenn der Wandel der Organisation als Anpassung an eine veränderte Umwelt gedeutet wird, so erhält der Wandel das Etikett einer ebenso notwendigen wie vorsorglich-vernünftigen Strategie, der man getrost folgen kann und sollte, selbst dann wenn es schmerzlich wird. Beruht der Wandel jedoch auf der Übernahme einer neuen Idee, so fehlt dieses beruhigend-rechtfertigende Element des Unausweichlichen und rasch taucht die skeptische Frage auf: Cui bono, wem nützt es? 3
Der Druck von außen oder die Kraft der Ideen
Es ist üblich geworden, den Wandel der Umwelt als Triebfeder der Organisationsentwicklung zu betrachten. Hierbei geht es um die Sicherung der Zukunftsfähigkeit durch die Reduktion eines misfits zwischen Anforderungen der Umwelt und Fähigkeiten der Organisation. Die Liste der relevanten Umfeldveränderungen ist beeindruckend und reicht von Globalisierung über den technischen Fortschritt, die Verkürzung der Produktlebenszyklen, die informationelle Vernetzung, die demografische Entwicklung und die Wissensexplosion bis hin zum gesellschaftlichen Wertewandel (Bullinger, Buck & Schmidt, 2003). Zugleich wird betont, dass Dynamik und Komplexität der Umwelt gestiegen sind und den ökonomischen Wettbewerb weiter anheizen. Strittig ist lediglich, ob es sich hierbei um Besonderheiten der heutigen Zeit handelt, auf die völlig neue Antworten gefunden werden müssen oder ob es nur Varianten eines Wesensmerkmals der Entwicklung kapitalistischer Wirtschaftssysteme sind (Hobsbawm 1995, S. 118). Unabhängig von den verursachenden Faktoren und der Frage der Neuartigkeit dieser Umweltveränderungen stellen sie als solche eine Herausforderung dar, der sich die Organisationen stellen müssen, wenn dem wachsenden misfit begegnet werden soll. Die Fülle der Herausforderungen wird dabei gern mit dem
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Stichwort der „Globalisierung“ umschrieben, während die angemessene Antwort darauf im „Lean Management“ gesehen wird. Insofern sind „Globalisierung“ und „Lean“ Schlüsselbegriffe der Diskussion, die nicht nur beschreibenden, sondern zugleich empfehlenden Charakter haben. Globalisierung beschreibt nicht nur den Prozess der zunehmenden Vernetzung der Kapitalströme, Märkte und Unternehmen, sondern akzentuiert auch die angemessene Strategie in Zeiten erschwerter Renditesicherung des eingesetzten Kapitals. Auch das Lean-ManagementKonzept hat diese Doppelfunktion, es schildert nicht nur das Faktum einer Entwicklung, sondern ist auch Empfehlung an das Management. „Lean“ avancierte innerhalb weniger Jahre zum alles überragenden „Management-Thema“. Es wurde als „Zauberformel“ verehrt, aber auch als Werkzeug der Ausbeutung verdammt (Bungard 1995, S. 7 f). Diese konträren und akzentuierten Bewertungen sind eine Folge der Radikalität dieser weithin propagierten und implementierten Management-Ideen, die offensichtlich auf einen fruchtbaren Boden fielen und den Nerv der Zeit trafen. Die noch in den 1990er Jahren virulente Angst vor der japanischen Konkurrenz akzentuierte nämlich die Sorge vor der Zukunftsfähigkeit der westlichen Industrien und nährte so die Bereitschaft, fast blindlings neuen Ideen zu folgen. Daher wurde die Frage nach der Übertragbarkeit der Konzepte erst gar nicht gestellt oder als Ausweichmanöver der Skeptiker diffamiert. Aufschlussreich ist dabei, dass die MIT-Studie von Womack, Jones und Roos (1992), die den Erfolg der japanischen Industrien analysierte und so das Lean-Konzept im Westen publik gemacht hatte, in Japan selbst kaum zur Kenntnis genommen wurde und eher Unbehagen auslöste, da das Buch zu einer Zeit erschien, als bereits die Grenzen des japanischen Wunders sichtbar wurden und zum Umdenken mahnten (vgl. Ulich, 1995, S. 25). Das Lean-Konzept stellt die Wertschöpfungskette einer Organisation ins Zentrum. Alle Aktivitäten sollen darauf ausgerichtet und von Behinderungen, Verschwendungen oder Verzögerungen befreit werden. Die Kerngedanken bzw. zentralen Empfehlungen des Lean-Konzepts sind häufig beschrieben worden (vgl. Doleschal, 1992; Womack, Jones & Roos 1992; Frieling & Wächter, 1995). Besonders anschaulich wird die Radikalität des Konzepts in der Beschreibung von Doleschal (1992, S. 44), da hier die einzelnen Empfehlungen jeweils mit Adjektiven wie „strengste“, „strikte“, „konsequente“ oder „permanente“ eingeleitet werden: – Ausreizen der Arbeitsgeschwindigkeit durch systematisches und kontinuierliches Training, – strengste Kundenorientierung und Qualitätsverantwortung, – strikte Fehleranalyse und Fehlerbeseitigung bei der Arbeit und am Produkt, – ständige Verbesserung der Kanban- und Just-in-time Beschaffungslogistik, – konsequente Orientierung auf Projektmanagement und Teamarbeit,
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– strikte Vermeidung von Überfluss, Ausschuss und Abfall, – permanente Verbesserungs- und Optimierungsaktivitäten auf allen Unternehmensebenen und in allen Bereichen, – konsequente Vermeidung von inflexiblen Strukturen. Dieses Management-Konzept ist zum Wegbereiter neuer Organisationsmuster und -doktrinen mit weitreichenden Konsequenzen für die Organisation menschlicher Arbeit geworden: „‚Lean’ bietet der Praxis eine Art paradigmatischen Rahmen für all jene Management- und Organisationskonzepte der letzten 20 Jahre an, die in der organisatorischen Gestaltung die geeignete Antwort auf den zunehmenden globalen Wettbewerb, die Beschleunigung der Produktzyklen, die rasche Produktdiversifizierung und die Differenzierung der Nachfrage sehen“ (Jäger, 1999, S. 30). Die Bereitschaft zur Übernahme des Lean-Konzepts wurde auch dadurch begünstigt, dass Womack, Jones und Roos (1992) ihre Aussagen mit empirischen Daten untermauerten und das Konzept für allgemeingültig erklärten. Die Übertragbarkeit auf deutsche Betriebe wird allerdings skeptisch gesehen (vgl. hierzu Bungard, 1995), und Kieser (1995, S. 49) bezweifelt sogar die Validität der Daten und unterstellt den MIT-Forschern, „ihre Daten voreingenommen produziert, ausgewertet und interpretiert“ zu haben, um mehr Wirkung auf die Praxis zu erzielen. Insofern hat die MIT-Studie die zweite Revolution in der Autoindustrie nicht nur beschrieben, sondern zugleich angeheizt, ausgedehnt und legitimiert. In diesem Sinne kann von einer außerordentlích erfolg- und weitreichenden self-fulfilling prophecy gesprochen werden. Es fragt sich allerdings, wie weit Management-Konzepte jeweils angemessene Antworten auf wechselnde Anforderungen der Umwelt waren oder auch als Moden gesehen werden können, die gern aufgegriffen werden, wenn die Erfolge bisheriger Maßnahmen nicht den Erwartungen entsprechen. Mintzberg (1979) vergleicht den steten Wechsel der Managementkonzepte mit dem Auf und Ab der Saumlänge der Damenröcke, und Abrahamson (1996) spricht im Hinblick auf die großen Beratungsfirmen von Trendsettern, die bemüht sind, das Modische unter dem Label der Rationalität zu vermarkten. Eigentlich müsste das auf Rationalität, Berechenbarkeit und Kontrollierbarkeit geschulte Management Vorsicht walten lassen, wenn neue Heilslehren propagiert werden. Kieser (1996) vermutet, dass der hohe Wettbewerbsdruck die Versagensängste aktiviert und damit die Neigung stärkt, den jeweils neuen Lehren zu folgen. Unabhängig vom Modischen und Mythischen entwickeln ManagementKonzepte eine eigene Dynamik, wenn ihnen Folge geleistet wird und sie sich zu dominanten Management-Schulen und einflussreichen Strategie-Philosophien entwickeln. Diese bilden dann im Interdependenzsystem von Organisation und Umwelt eine eigene Kategorie, die durchaus vergleichbar zur „dritten Welt“ – der Welt der Theorien – gesehen werden kann, die Popper (1984, S.109) zwi-
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schen der Welt der realen Dinge und der Welt der subjektiven Empfindungen angesiedelt hatte. Max Weber (1976) kann hier als früher Kronzeuge genannt werden. Er hatte mit seiner These über den Einfluss des Protestantismus auf die Entwicklung der Wirtschaft hingewiesen und deutlich werden lassen, dass diese religiös verankerten und tradierten Weltbilder eine Grundlage für die Entwicklung kapitalistischer Unternehmen bildete. Diese religiös begründete Selbstverantwortlichkeit des Menschen – verbunden mit den gottgefälligen Tugenden von Fleiß und Genügsamkeit – würde im Rahmen der säkularen Managementphilosophien der Neuzeit mit dem Stichwort „Empowerment“ umschrieben, was integraler Bestandteil des Lean-Konzeptes ist. Der Siegeszug des Lean-Konzepts ist auch massiv durch die MBAAusbildung gefördert worden, die – wie Mintzberg (2005) beklagt – das Management auf Entscheidungsfindung und Entscheidungsfindung auf Analyse reduziert habe. So würden keine ganzheitlich handelnden Manager, sondern zahlenverliebte Buchhalter ausgebildet, die die Steigerung des Unternehmenswertes – gemessen am Aktienkurs – als dominante, wenn nicht sogar als alleinige Zielgröße akzeptieren. Mintzberg beklagt die Verengung des Unternehmenswertes auf den shareholder value: „Habgier wurde zu einer Art höherer Berufung erkoren; Konzerne werden dazu aufgefordert, eine soziale Verantwortung für Viele zugunsten des Shareholder-Value für Wenige aufzugeben“ (Mintzberg 2005, S. 177). Das in der Ökonomie diskutierte Principal-Agent-Konzept bringt hier eine weitere Zuspitzung. Es geht dabei um die Frage, wie dafür gesorgt werden kann, dass sich der vom Kapital bezahlte Manager (Agent) ausschließlich um die Wohlfahrt seines Arbeitgebers (Principal) kümmert. Damit reduziert das Principal-Agent-Konzept den Manager auf die Rolle des Angestellten, dem die Kompetenz zur eigenständigen Entscheidung abgesprochen wird; jedenfalls dort, wo diese Eigenständigkeit auch anderen Werten als der Kapitalvermehrung dient. Anreize, Kontrollen und Sanktionen sind die Maßnahmen, um den Manager in der gewünschten Spur zu halten und gegenüber den Interessen der Mitarbeiter zu immunisieren. Die Kopplung der Managementvergütung an den Aktienkurs ist dabei die dominante Strategie zur Parallelisierung der Interessen von Kapitalgeber und Manager. Dahinter steckt das Menschenbild eines kalkulierenden Opportunisten, der stets bemüht ist, seinen Nutzen durch geschickte Güterkombination zu maximieren, wobei der Nutzen nahezu ausschließlich in ökonomischen Werten gesehen und monetär gemessen wird. Es ist offenkundig, dass finanzielle Anreize wirksam sind, gleichwohl muss hinzugefügt werden, dass auch andere Werte bedeutsam sind, deren Missachtung zu Recht gerügt werden kann. Auch hier warnt Mintzberg vor der Reduktion des Menschen auf ein lediglich Nutzen kalkulierendes Wesen und kritisiert dies als Abwertung menschlicher Werte. Zur Illustra-
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tion greift er auf eine Anekdote zurück, die die Finanzwissenschaftler Jensen und Meckling (1994) aufgegriffen hatten, um ihr Menschenbild zu beschreiben: Auf einer Schiffreise sei George Bernhard Shaw einer berühmten Schauspielerin begegnet und habe sie gefragt, ob sie bereit sei, gegen ein Honorar von einer Million Dollar mit ihm zu schlafen. Nachdem sie einverstanden war, habe er nachgefragt, ob sie es auch für zehn Dollar tun würde, was sie entrüstet mit den Worten zurückwies „Was glauben sie, was ich bin?“: „Das haben wir gerade geklärt“, erwiderte Shaw „Jetzt feilschen wir nur noch um den Preis.“ Mintzberg kritisiert, dass Jensen und Meckling diese Anekdote völlig unkommentiert als bestätigende Illustration ihrer Meinung nehmen, wonach Menschen bereit seien, fast alles zu opfern, wenn sie nur genügend Geld dafür erhalten. Die Deutung des Menschen als käufliches Wesen ist nicht nur verführerisch einfach, sondern dient auch der Rechtfertigung einer Managementlehre, die die Gewinnmaximierung zum alleinigen Ziel erklärt hat. Die MBA-Ausbildung habe dieser ökonomisch einseitigen und sozial gefährlichen Denkweise die akademischen Weihen gegeben und sei damit mitverantwortlich für die Neubelebung eines kaltherzigen Kapitalismus (Mintzberg, 2005, S. 110). Es liegt auf der Hand, dass Mintzbergs Kritik nicht unwidersprochen blieb. Im Gegenteil: Es entwickelte sich eine lebhafte Auseinandersetzung die jedoch insgesamt die Stimmen stärkte, die eine Revision der Managementausbildung forderten und den akademischen Instituten eine Mitverantwortung für die Einseitigkeit der MBA-Curricula und deren soziale Folgen attestierten (vgl. Ghoshal, 2005; Kanter, 2005; Feldman, 2005). Das Beispiel des Lean-Konzepts und der MBA-Ausbildung illustriert die Kraft der Ideen und lässt deutlich werden, dass sie mit Interessen verknüpft sind und daher auf den fruchtbaren Boden derer fallen, denen es nützt. Es ist nicht nur der Wohlstand gewachsen, sondern vor allem die Ungleichheit seiner Verteilung. Die sozialen Folgen sind spürbar und die Spannungen nehmen zu. Realisierte Ideen verändern die Welt und liefern den Organisationen zugleich die geeignete Anpassungsstrategie. Sie ergreifen damit die Chance, sich vom Täterimage zu befreien und als Opfer zu gerieren, die lediglich dem externen Druck nachgegeben hätten. Auch unter dieser Perspektive bleibt Mintzbergs Mahnung berechtigt, die Auswahl, Ausbildung und Entlohnung der Manager zu überprüfen und zu korrigieren, um neben der unbestritten wichtigen ökonomischen Kompetenz auch die soziale und ethische Verantwortlichkeit zu fördern. 4
Was ist neu an den neuen Organisationen?
Diese Frage impliziert die Existenz neuer Organisationen und fordert zu ihrer Beschreibung auf. Angesichts der prozessualen Entwicklung und der Schwierigkeit einer klaren Grenzziehung zwischen „alt“ und „neu“ sei hier auf generelle Trends verwiesen, die zwar schon früher sichtbar waren, aber in jüngster Zeit
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eine Akzentuierung erfahren haben, die es rechtfertigen, von „neuen Organisationen“ zu sprechen: Downsizing, Flexibilisierung, Dezentralisierung, Selbstorganisation, Teamorientierung, Vernetzung und Virtualisierung. Diese Trends betreffen allerdings eher die Großunternehmen und global players als die Fülle der Mittelständler und inhabergeführten Betriebe. Dem Wortsinne nach bedeutet Downsizing soviel wie Gesundschrumpfen und weckt Assoziationen von Fitness, Kraft und Lebensfreude. In der Wirtschaftswelt ist Downsizing allerdings zur Metapher für Personalabbau verkommen und hat mit dem Begriff der „Entlassungsproduktivität“ auch das Unwort des Jahres 2005 geliefert. Ganz überwiegend wird der Personalabbau durch gestiegenen Wettbewerbsdruck begründet (Marr & Steiner, 2003). Hier erscheint die Entlassungswelle als zwar schmerzliche, aber doch notwendige Maßnahme zur Rettung des Unternehmens in Krisenzeiten. Ein weiterer Entlassungsgrund liegt in produktivitätssteigernden Rationalisierungseffekten, die bisher notwendige Aufgaben überflüssig werden ließen, sowie Restrukturierungsmaßnahmen, die eine radikale Kurskorrektur einleiten – etwa die Konzentration auf die sogenannten Kerngeschäfte und den Rückzug aus Randbereichen. Auch die Tendenz zu Firmenübernahmen mit der Hoffnung auf Synergie und Marktmacht korrespondiert häufig mit Entlassungswellen. In diesen Fällen geht es nicht um die Bewältigung einer akuten Krise, sondern – so die übliche Begründung – um Ausbau, Stärkung und Wachstum, um für künftige Krisen gewappnet zu sein. Diese Erfolgshoffnung ist allerdings trügerisch. Die empirischen Ergebnisse sind widersprüchlich. Verschiedene Studien berichten von negativen Effekten wie zum Beispiel nachlassende Produktivität und Verschlechterung der Produktqualität (Cameron, Freeman & Mishra, 1991), von geringerer Zufriedenheit, größerer Angst, sinkender Risikobereitschaft, sinkendem Commitment (Luthans & Sommer, 1999; Benz, 2002) und sogar von abrutschendem Börsenwert (Cascio, 1993) ist die Rede. Insofern relativiert sich diese Strategie und lenkt den Blick auf die moderierenden Faktoren, die über Erfolg und Misserfolg der Maßnahme entscheiden können. Dabei zeigte sich, dass die Frage der Glaubwürdigkeit der Maßnahmenbegründung, das Vertrauen in die Geschäftsführung sowie die Prozessgerechtigkeit bei der Umsetzung von signifikantem Einfluss auf die Erfolgswahrscheinlichkeit sind (Raber et al., 1995; Spreitzer & Mishra, 2000; Weiss, 2004, 2005). Dem Management stellt sich nicht nur die Aufgabe der organisational-formalen Durchführung der Entlassungen, sondern vor allem die Aufgabe, diese Entscheidungen glaubwürdig zu begründen, prozessual gerecht zu gestalten und den verbleibenden Mitarbeitern attraktive Perspektiven zu liefern. An diesem Teil der Aufgabe scheitern viele, vor allem dann, wenn sie angesichts der Radikalität der Entlassungen und der dadurch ausgelösten Lebenskri-
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sen am Sinn der Maßnahmen zweifeln und sich vor die Frage gestellt sehen, ob das System, in dem sie mitwirken, noch das ihre ist (vgl. Wiendieck, 2006). Im Hintergrund vieler Entwicklungen steht der Wunsch nach einer Flexibilisierung der Organisationsstrukturen und einer Beschleunigung der Abläufe: „Im Kern geht es jenseits aller Metaphern und Moden bei zunehmender Umweltkomplexität um die Flexibilisierung und Dynamisierung der Organisationsstrukturen“ (Buck, 2003, S. 70). Brüche oder Diskontinuitäten gelten nicht mehr als seltene Ausnahmen, sondern als stetige Normalität. Schreyögg und Noss (1995) gehen davon aus, dass der Unternehmenskontext heute nicht mehr beständig ist und daher Ordnung und Routinen als Leitbilder obsolet geworden sind. Sie empfehlen daher, den organisatorischen Wandel nicht mehr als zeitlich befristetes Projekt zu begreifen, das geplant und – meist gegen Widerstand – implementiert wird, sondern den Wandel selbst als Normalfall und konstituierendes Merkmal einer lebendigen Organisation und als ständige Aufgabe aller Organisationsmitglieder zu akzeptieren. Diese Auffassung bricht mit dem traditionellen Homöostase-Konzept, das den organisatorischen Wandel jeweils als eine befristete Übergangsphase von einem alten zu einem neuen Gleichgewicht sieht. Im Rahmen dieser traditionellen Konzeption bedarf der Änderungsprozess zunächst einer Phase des Auftauens, in der die Bereitschaft zum Wandel geweckt wird, um anschließend Veränderungen implementieren zu können, die schließlich wiederum verankert und gefestigt werden sollten. Dieser von Lewin (1958) entwickelte Dreiklang von „unfreeze-move-refreeze“ galt lange Zeit als Königsweg der Organisationsentwicklung. Das Gegenmodell erhebt den Wandel zur Norm und die Normierung zur Ausnahme. Eine derart flexibilisierte, permanent lernende Organisation, die jedem Umweltimpuls folgt, könnte sich allerdings soweit verflüssigen und zum Spielball externer Kräfte werden, dass sie sich unter Aufgabe ihrer Identität und Auflösung ihrer Grenzen in der Umwelt verflüchtigt. Schreyögg und Noss (1995) schlagen daher vor, stabilisierende und strukturierende Elemente des „Nicht-Lernens“ bewusst zu stärken, sie aber zugleich als vorübergehende Problemzonen zu betrachten. In dieser Abstraktheit mag der Vorschlag attraktiv erscheinen. Da aber die flexible und lernende Organisation stets der Mitwirkung ihrer Mitglieder bedarf, fragt sich, wie weit Menschen willens und in der Lage sind, auf Gewohnheiten, Vertrautes und Berechenbarkeit zu verzichten. Nicht nur die Lebenserfahrung, sondern auch die psychologische Forschung – etwa zur Stabilität kognitiver Systeme, dem Nutzen habituellen Verhaltens oder der Bedeutung stabiler sozialer Bindungen – stärken Zweifel an der Realisierbarkeit und Sinnhaftigkeit eines Drucks zum permanenten Lernen. In diesem Sinne warnen auch von Rosenstiel und Comelli (2003, S. 163) vor einer Über- oder Dauerflexibilisierung und betonen die Notwendigkeit von Stabilisierungen für dauerhaft erfolgreiche Organisationsentwicklungsprozesse.
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Der Spannungsbogen von Stabilität und Wandel wird überlagert vom Gegensatzpaar der Zentralität und Dezentralität. Hierbei geht es um die Frage der Koordination der arbeitsteiligen Aufgaben. Die zentrale Koordination bedarf eines komplexen Systems der Steuerung. Damit reduziert sich die Autonomie der Organisationsmitglieder beziehungsweise -einheiten und gefährdet deren Kreativität, Lernen und Engagement. Die Komplexitätskosten steigen, während die Flexibilität sinkt, was in turbulenten Zeiten, Märkten oder Umwelt mit Produktivitätsverlusten einhergeht (Wildemann, 2003, S. 334). Die Abkehr von zentralistisch-tayloristischen Organisationsformen mit ihren strikten Weisungs-, engmaschigen Kontroll- und herrschaftssichernden Sanktionssystemen begünstigte Entwicklungen zur Steigerung der Entscheidungsautonomie von Personen und Abteilungen. Aber auch hier gibt es keinen Königsweg der Organisationsgestaltung, zumal Koordinationsbedarf und Autonomiegebot in unterschiedlichen Umwelten auch unterschiedlich justiert werden. So weist Gomez (1992) darauf hin, dass die (Konzern-) Organisationen in den letzten Dekaden mehrfach zwischen den Polen Zentralisierung und Dezentralisierung pendelten. Das griffige Konzept der „dezentralen Organisation“ sollte gleich mehrere Probleme lösen: die Inflexibilität überwinden, die Kosten senken, die Prozesse beschleunigen, die Kundennähe fördern und die Mitarbeitermotivation erhöhen. Die Entlastung der Führung vom Entscheidungs- und Verantwortungsdruck in komplexen Situationen war dabei ein willkommener Nebeneffekt. Drumm (1996) bezweifelt allerdings die Erfolgsaussichten und bemängelt zunächst die meist unscharfe Definition des Konzepts, was er als bewusste Immunisierung gegen Kritik wertet. Seine vergleichende Analyse verschiedener Ansätze listet zwölf Strukturmerkmale auf, die wiederum die Grundgedanken des „Lean Managements“ widerspiegeln. Insofern wäre das Konzept nicht neu, sondern nur eine Akzentuierung des Autonomiegebots, allerdings ohne ausreichende Antwort auf die Frage nach der Koordination der dezentralisierten Einheiten. Drumm (1996) unterstellt den Apologeten des Konzepts Wirklichkeitsferne und ein geradezu naiv idealisiertes Menschenbild: „Man könnte spöttisch anmerken, die Schöpfer der Konzeptionen neuer Dezentralisation hätten sich Organisationsentwürfe für Erzengel ausgedacht“ (Drumm 1996, S. 18). Der Blick in die aktuelle Literatur legt allerdings den Schluss nahe, dass gegenwärtig noch die Dezentralität favorisiert wird, die allerdings in verschiedenen Varianten und unter modischen Namen auftritt. Holtbrügge (2001) nennt hier beispielsweise die „Orbital-Organisation“, die „Hypertext-Organisation“, die „Cluster-Organisation“ oder die „Holarchie“ und die „Heterarchie“. All diese Varianten sollen durch Schaffung größerer dezentraler Autonomie die Unbeweglichkeit zentraler Organisationen überwinden ohne dabei der Gefahr chaotischer Unkoordiniertheit zu erlie-
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gen. Die notwendige Koordination der individuellen Einzelaktivitäten erfolgt daher nicht mehr durch Weisung, sondern durch Verhandlung. Innerhalb formaler Organisationen suggerieren die Begriffe Verhandlung oder Vereinbarung eine Gleichrangigkeit der Akteure, die jedoch faktisch nicht gegeben ist. Insofern sind sie geeignet, die Machtunterschiede zwischen Führenden und Ausführenden zu verdecken. Die Konflikt reduzierende Illusion der Interessensgemeinschaft wird auch durch die Betonung der gemeinsamen Werte oder die Aktivierung einer leistungsförderlichen Organisationskultur erzeugt. Die Organisationskultur hat – wie jede andere Kultur auch – Einfluss auf das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen. Dies erklärt den Wunsch des Managements die Organisationskultur zu gestalten, um so ein Steuerungsinstrument zu gewinnen, das ebenso wirksam wie unbemerkt funktioniert. Die Kombination dieser Eigenschaften verspricht die Überwindung des Dilemmas zwischen dezentraler Autonomie und zentraler Steuerung. Allerdings erweist sich die Kultur einer Organisation als störrisch, da sie ebenso wenig gestaltet werden kann wie eine Esskultur. Die gelebte und damit wirksame Kultur entwickelt sich langsam im Interaktionsgefüge der Akteure und entzieht sich weitgehend dem einseitigen Gestaltungswillen Einzelner. Für Kühl (2001) ist die Dezentralität seit den 1990er Jahren „das dominierende Organisationsparadigma“. Er verweist allerdings auch auf eine verblüffende Diskrepanz zwischen Idee und Realität: Mitarbeiter wehren sich gegen ihre eigene Ermächtigung und misstrauen der ihnen zugestandenen Entscheidungsfreiheit. Sie tun dies aus verständlichen Gründen. Erstens ist das Paradox der Implementation irritierend: Die Dezentralität wird einseitig durch zentralen Beschluss verordnet. Zweitens steht die Entscheidung der Mitarbeiter unter dem Vorbehalt des Managers und schließlich kollidiert die verordnete Selbstorganisation mit der bereits existierenden (Kühl, 2001). Organisationen verfügen nicht nur über formale Regelungen, sondern stets auch über informale, die sich im tagtäglichen Interaktionsgeschehen herausgebildet haben und tradiert werden. Diese „informelle Organisation“ galt der normativ ausgerichteten Organisationslehre lange Zeit als Fremdkörper, der bestenfalls als irrelevant geduldet werden konnte, in den meisten Fällen aber als störend gedeutet wurde und bekämpft werden sollte. Im Gegensatz dazu zeigt nicht nur die allgemeine Erfahrung, sondern auch die empirische Forschung, dass informelle Strukturen keineswegs stets dysfunktional, sondern häufig nützlich, ja geradezu Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Organisation sind (Kühl, 2001). In diesem Sinne ist der „Dienst nach Vorschrift“ ein ebenso effizienter wie unangreifbarer Weg zur Paralysierung der Organisation. Das seit einigen Jahren propagierte Konzept der Selbstorganisation soll den Spannungsbogen zwischen formaler und informaler Organisation nicht aufheben,
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sondern die Diskrepanz durch gezielte Förderung des informellen Teils mindern. Selbstorganisation ist allerdings auch wieder ein mehrdeutiger Begriff. Er kann sich auf das selbstbestimmte Individuum, die spontane Ordnungsbildung – etwa im Sinne der „unsichtbaren Hand des Marktes“ – oder die Prozesse der Selbsterhaltung sozialer Systeme beziehen. Im Rahmen der Organisationsgestaltung wird Selbstorganisation als innovatives Programm gedeutet (Jäger, 2002). Es geht um die gezielte Förderung der Eigeninitiative der Mitarbeiter sowie die Implementierung von hierarchiearmen Arbeitsteams. Teamarbeit gilt heute als integraler Teil einer modernen Arbeitsorganisation. Zweifellos verfügen Teams über Leistungspotentiale, die über das individuelle Vermögen hinausreichen. Von echten Leistungsvorteilen kann jedoch nur dann gesprochen werden, wenn die Teamleistung die Summe der Einzelleistungen überschreitet, was allerdings nur selten der Fall ist. Koordinationshindernisse, Verantwortungsdiffusion und Motivationshemmnisse bremsen die volle Ausschöpfung des Gruppenpotentials. Gleichwohl gibt es in vielen Fällen keine Alternative zur Teamarbeit, wenn unterschiedliche Kompetenzen oder Funktionen an einem Planungs-, Entscheidungs-, Umsetzungs- oder Kontrollprozess beteiligt werden müssen, sei es aus funktionalen oder politischen Gründen. Die Ergebnisse der empirischen Forschung warnen allerdings vor einer raschen Glorifizierung der Gruppenarbeit. Gruppen sind soziale Systeme mit einer Eigendynamik, die gelegentlich zur „kollektiven Dummheit“ (Schneider, 1985) verführt. Janis (1982) hatte mit seiner Analyse politisch umstrittener Entscheidungen und dem Konzept des „group think“ auf weit verbreitete strukturelle Defizite von Gruppenentscheidungen und den konformitätsförderlichen Einfluss hoher Kohäsion hingewiesen. Schulz-Hardt und Frey (1998) deuten diese Effekte als Phänomene der Dissonanzreduktion und zeigen, dass sie auch in Unternehmen teils katastrophale Fehlentscheidungen begünstigen und obendrein ihre Korrektur erschweren. Die Existenz dieser – gleichsam teaminternen – Probleme akzentuiert die Frage, wie selbstorganisierte Teams innerhalb eines organisatorischen Gesamtgefüges integriert und koordiniert werden können. Offenkundig werden dabei verschiedene Wege beschritten. Antoni (1995) stellt am Beispiel der Automobilindustrie zwei Extreme gegenüber, nämlich die Fertigungsteams bei Toyota und die teilautonomen Gruppen bei Volvo und Saab. Diese beiden Formen unterscheiden sich vor allem im Grad der Autonomie. Während das Toyota-Modell nur geringe Handlungsspielräume zulässt und noch dem kurzzyklischen Diktat der Fließbandfertigung verpflichtet ist, realisierte Volvo bereits in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein innovatives Gruppenkonzept mit einer ganzheitlichen Aufgabengestaltung, hoher Entscheidungskompetenz und freier Mitarbeiterrotation. Dieses Konzept diente nicht nur der Humanisierung der Arbeit, sondern auch der Steigerung der Attraktivität des Arbeitsgebers in Zeiten der Vollbeschäftigung und des Wettbewerbs
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um Arbeitskräfte. Die Fertigungsteams im Toyota-Modell sind eng mit der Gesamtplanung der Produktion verzahnt, was ihre Autonomie und damit die Koordinationsproblematik reduziert. Im Unterschied dazu ist der Autonomiegrad der teilautonomen Gruppen erhöht und umfasst unterschiedlich weitreichende Entscheidungen – von der Urlaubsplanung über die Aufgabeneinteilung bis hin zur Mitgliedschaft in der Gruppe, teils sogar bis hin zu Fragen der Entlohnung. Die Koordination dieser Gruppen läuft weitgehend über Zielvereinbarungen und beruht auf der hohen Qualifikation der Gruppenmitglieder. Jäger (2002) bezeichnet diese Gruppen als „strukturinnovativ“, um sie gegen die „strukturkonservativen“ bei Toyota abzugrenzen. Die strukturinnovativen teilautonomen Gruppen haben selbst eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Das Volvo-Beispiel leitete keineswegs einen industrieweiten Siegeszug des Konzepts ein, sondern wurde nach Anfangsversuchen einige Jahre später wieder eingestellt, als deutlich wurde, dass die Gruppenfertigung nur bei kleinen Sonderserien kostengünstiger war als die traditionelle Bandfertigung (vgl. Ulich, 2001, S. 613 f.). Unter dem Einfluss des Lean-Managements und der Humanisierungsdebatte kam es vor allem im Maschinenbau, in der chemischen Industrie und der Automobilfertigung (Schumann, 1997) zu einem Neustart des Konzepts, das heute allerdings – wiederum unter Kostengesichtspunkten – kritisch beurteilt und teils in Richtung der strukturkonservativen Modelle zurückgedreht wird. Vergleichbar der Zentralitätsproblematik finden wir auch hier eine Pendelbewegung zwischen Zunahme und Abnahme der Autonomie, je nachdem wie weit Humanisierungsanstöße innerhalb der Dominanz des Effizienz- und Kostendenkens wahrgenommen werden. Ein weiteres Konzept der Selbstorganisation wird durch die Profit Center realisiert. Einzelne Gruppen oder Abteilungen agieren innerhalb der Unternehmung als ökonomisch relativ selbständige Einheiten, die ihre Ressourcen einkaufen und ihre Produkte meist innerhalb, teils aber auch außerhalb der Unternehmung verkaufen. Die Koordination dieser Einheiten erfolgt nicht durch Vorgaben von oben oder partnerschaftliche Zielvereinbarungen, sondern durch Marktkräfte. „Das Steuerungsmedium Macht soll dabei mindestens teilweise durch das Steuerungsmedium Geld ersetzt werden“ (Rüegg-Stürm & Achtenhagen, 2000, S. 5 f.). Damit werden allerdings auch partikulare Interessen dieser Einheiten gestärkt, die sich im Zweifel sogar gegen die Gesamtinteressen des Unternehmens wenden können, denn Marktlogik heißt Konkurrenz, die hier sogar ruinöser sein kann als der Wettbewerb mit externen Einheiten, da die Insiderperspektive Vorteile verschafft, die dem Externen verschlossen bleiben (Rüegg-Stürm & Achtenhagen, 2000, S. 6). Das Konzept der Vernetzung selbständiger Einheiten und der Aufbau einer Netzwerkorganisation überwindet die Grenzen einer Unternehmung und zielt auf
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die Koordination verschiedener rechtlich und wirtschaftlich eigenständiger Unternehmen, etwa im Rahmen spezifischer Projekte oder einzelner Kunden. Die Netzwerkorganisation entfernt sich noch weiter vom Koordinationskonzept der hierarchischen Über- und Unterordnung und bewegt sich in Richtung eines – allerdings vertraglich eingegrenzten – Marktmodells. Daher wird die Netzwerkorganisation von einzelnen Autoren auch als „hybride Form zwischen Hierarchie und Markt“ beschrieben (vgl. Holtbrügge, 2001, S. 74). Die prinzipielle Gleichrangigkeit der Netzwerkpartner, die sich unter einer gemeinsamen Zielsetzung zusammengeschlossen haben, erfordert eine Koordinationsform, die Machtunterschiede ebenso vermeidet wie den Egoismus im Rahmen marktinduzierter Konkurrenz. Diese Gratwanderung korrespondiert mit einer gewissen Instabilität der Netzwerke. Sie sind anfällig für „Inkongruenzen, Dissonanzen und Spannungen“ (Reiß, 1998, S. 226). Insofern sind der Aufbau und die Pflege einer Vertrauensbasis wichtige Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit der Netzwerke. Die Netzwerkorganisation ist vor allem durch den Aufbau der modernen Kommunikations- und Informationstechnologien begünstigt und in Richtung der virtuellen Organisation weiterentwickelt worden. „Allgemein kann das virtuelle Unternehmen als ein temporär gebildetes Netzwerk unabhängiger Firmen, die durch leistungsfähige Informations- und Kommunikationstechnik verknüpft sind, beschrieben werden“ (Bauer, 2003, S. 115). Insofern schafft die Nutzung der Informationstechnik keine neue Organisationsform, sondern liefert lediglich die Plattform, über die die koordinatorischen Prozesse abgewickelt werden. Es bleibt noch abzuwarten, wie weit diese technischen Erleichterungen zu Formen führen, die dann zu Recht als „neu“ klassifiziert werden können. Die Schilderung der Trends von Downsizing bis zur Virtualisierung berührt stets auch die Frage nach den Koordinationsprinzipien der arbeitsteiligen Organisationen. Einige Autoren sehen bereits das Ende der Hierarchie, die auf dem Einfluss der positional definierten und personal verwalteten Macht beruht und verweisen auf die Bedeutung von Wissen und Qualifikation. Andere betonen die Überlegenheit der hierarchischen Koordination und sprechen von einer den Organisationen innewohnenden Tendenz zur Hierarchie. Wieder andere argumentieren, dass die nicht-hierarchischen Formen der Verschleierung der Macht dienen und damit besonders problematisch sind, weil sie dem unterlegenen Part den Gegner nehmen (vgl. hierzu Holtbrügge, 2001, S. 167 ff.). Insofern ist das Bild unübersichtlich, so dass auch die Frage offen bleiben muss, welche Organisationsformen ein höheres oder niedrigeres Überlebenspotential haben. Es bleibt allerdings die Suche nach den optimalen Formen, die durch die Dynamik, Komplexität und Globalität der Umweltveränderungen weiter beschleunigt werden wird. Die Fülle der neu entstandenen Organisationskonzepte ist daher auch das Ergebnis dieser intensivierten Suche nach Erfolgsmodellen, die unter den er-
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schwerten Bedingungen einer härteren Konkurrenz notwendig wurde und angesichts des begrenzten empirisch gesicherten Wissens der Strategie von Versuch und Irrtum folgt. Der resümierende – durch Praxiserfahrung und Literaturstudium geprägte – Blick auf die „neuen Organisationen“ erlaubt drei Schlussfolgerungen: 1.
Die Menge der als „neu“ bezeichneten Organisationsformen ist kaum noch überschaubar und die ihnen jeweils verliehenen Namen erinnern an die Babylonische Sprachverwirrung. Dies ist sicherlich auch ein Ergebnis der Tatsache, dass der Gegenstand „Organisation“ aus akademisch und praktisch unterschiedlichen Perspektiven betrachtet wird und jede dieser Perspektiven im Feld der konkurrierenden Ansätze um Aufmerksamkeit bemüht ist. Im akademischen Feld finden sich – grob klassifiziert – wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Ansätze. Die Praktikerliteratur liefert Erfahrungsberichte aus Unternehmen, wird aber vor allem von den Beratungsfirmen und consultants dominiert. Mit der Zugehörigkeit zu diesen Gruppierungen sind nicht nur unterschiedliche Perspektiven, sondern auch unterschiedliche Interessen, Strategien und Adressaten verbunden. Die ohnehin seltenen Erfahrungsberichte aus Unternehmen beziehen sich eher auf erfolgreiche als auf gescheiterte Ansätze und tendieren innerhalb dieser Selektivität noch zu einer Glorifizierung der implementierten Organisationskonzepte, so dass ihre Einordnung als „Hofberichterstattung“ nicht abwegig erscheint. Ähnlich verhält es sich mit der Beraterliteratur. Der Wunsch, neue Konzepte zu vermarkten, ist verständlich und legitim, kollidiert aber mit dem Ziel einer ausgewogenen, also Vor- und Nachteile bzw. Voraussetzungen und Konsequenzen präsentierenden Darstellung. Dies ist allein deswegen schwierig, weil Neuartigkeit und Erfahrung konträre Begriffe sind. Hier könnte die Wissenschaft mit Theorien hilfreich sein, da Theorien im Rahmen ihres Gültigkeitsfeldes nicht nur Erklärungen liefern, sondern auch Prognosen erlauben. Allerdings setzt dies nicht nur gültige, das heißt empirisch gesicherte, sondern auch spezifische Theorien voraus, die geeignet sind, auch im konkreten Einzelfall zu ebenso präzisen wie praxisrelevanten Aussagen zu kommen. Dies ist jedoch nicht der Fall und ist auch angesichts der Komplexität des Themas kaum zu erwarten. Insofern wird die verbreitete Hoffnung auf gesicherte Erkenntnisse und präzise Gestaltungsempfehlungen auch künftig unerfüllt bleiben. Gleichwohl sind die Darstellungen in ihrer Heterogenität nicht unnütz, sondern im Gegenteil höchst relevant, da sie den Fächer der Aufmerksamkeit weiten und die Sensibilität gegenüber den jeweils konkreten Bedingungen stärken.
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Innerhalb der akademischen Diskussionen zeigt sich die Zweiteilung in wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Quellen. Auch wenn heute eine Annäherung beider Perspektiven zu beobachten ist, bleiben doch Unterschiede im Zugang zum Thema „Organisation“. Die wirtschaftswissenschaftliche, insbesondere betriebswirtschaftliche Literatur tendiert zu präskriptiven und die sozialwissenschaftliche zu deskriptiven Aussagen. Dies ergibt sich allein schon aus dem Selbstverständnis der Disziplinen als Gestaltungs- beziehungsweise Erklärungswissenschaft. Damit werden auch unterschiedliche Ziele angesprochen: Förderung des Leistungsvermögens einer Organisation versus Erklärung der organisationalen Dynamik. Damit geraten auch unterschiedliche Aspekte in das Blickfeld der Aufmerksamkeit. Während die ökonomische Perspektive formale Strukturen und Regelungen – also gestaltbare Phänomene – fokussiert, konzentriert sich die sozialwissenschaftliche Analyse auf die informalen sozialen Prozesse, die auf Selbsterhaltung des Systems gerichtet sind und die intendierten Eingriffe und Regelungen unterlaufen. Diese Perspektive gewinnt in dem Grade an Bedeutung, wie die Grenzen der Gestaltbarkeit sichtbar werden und die Machbarkeitsillusion des Managements zerstören. Pointiert ließe sich formulieren, dass die wirtschaftswissenschaftliche Perspektive das „Machbare“ fokussiert, während die sozialwissenschaftliche das „Nicht-Machbare“ herausstellt und daher als Gegenentwurf, Warnung und Korrektur der Management-Doktrinen gelten kann.
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Formale Organisationen sind intentional und zielorientiert gestaltet. Der zutreffende Hinweis, dass die Gestaltbarkeit begrenzt ist, die Ziele nicht konsensuell geteilt werden, die Passung zur Umweltanforderung Lücken aufweist und die Erfolge hinter den Erwartungen zurückbleiben ändert aber nichts an der Tatsache, dass innerhalb dieser Organisationen Hierarchien und Machtunterschiede existieren, die den machthöheren Akteuren mehr Einfluss bei der Durchsetzung ihrer Interessen und der Kontrolle ihrer Mitglieder geben. Innerhalb kapitalistisch-marktwirtschaftlicher Wirtschaftsordnungen ist die effiziente Verzinsung des eingesetzten Kapitals nach wie vor die dominante Zielsetzung. Andere Ziele, wie etwa Kundenzufriedenheit, Unfall- oder Umweltschutz, humane Arbeitsgestaltung oder Mitarbeiterentwicklung sind deswegen nicht irrelevant. Auch sie spielen im Zielkatalog eine Rolle – sofern sie der Kapitalverwertung dienlich, zumindest jedoch nicht schädlich sind. Die Leitideen des Lean-Konzepts und der Globalisierung haben diese Fokussierung unterstrichen und das Prinzip der Wirtschaftlichkeit zu einem generell – also auch außerhalb der Wirtschaftswelt – gültigen Handlungsprinzip gemacht. Wenn Kommunen öffentliche Einrichtungen mit dem Hinweis schließen, sie „rechneten sich nicht“, so wird dies
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Gerd Wiendieck heute weitgehend als „vernünftig“ akzeptiert, während das Gegenargument „genau deswegen seien sie doch öffentliche Einrichtungen“ bereits merkwürdig antiquiert klingt und als weltfremd abgetan wird.
Angesichts dieser Selbstverständlichkeit der ökonomischen Beurteilungskategorien und ihrer Anwendung in nicht-ökonomischen Kontexten wächst die Gefahr, dass – wie Johannes Rau dies pointiert formuliert hatte – wir von allem den Preis und von nichts mehr den Wert kennen. 5
Ungeplante Nebenwirkungen der Neuorganisation
Der Siegeszug der Organisationen akzentuiert angesichts ihrer Umweltverflochtenheit auch die Frage nach den weitergehenden, ungeplanten oder ungewollten Wirkungen für die betroffenen Personen und ihre gesellschaftliche Einbindung. Offenkundig sind Arbeit, Beruf und Beschäftigung prägende Faktoren im Leben eines Menschen. Ihre Funktion geht weit über die materielle Daseinssicherung hinaus. Sie ermöglichen gesellschaftliche Teilhabe, vermitteln sozialen Status, wirken Identität bildend, beeinflussen die physische und psychische Gesundheit, formen das Bewusstsein und prägen die Weltsicht. Insofern bewirken Veränderungen der Arbeitsorganisation mittelbar und unmittelbar auch Veränderungen in der Lebensführung. Das Stichwort von der „Krise der Arbeitsgesellschaft“ hatte bereits Mitte der 1980er Jahre auf die Heterogenisierung der Beschäftigungsverhältnisse hingewiesen. Die traditionelle Normalarbeit des Abhängig-Vollzeitbeschäftigten Mitarbeiters wurde ergänzt durch eine Vielzahl neuer Formen. Zwischen den Polen des abhängig Beschäftigten auf der einen und des Selbständigen bzw. freien Berufs auf der anderen Seite entstanden vor allem im unteren Segment des Arbeitsmarktes neue – meist instabile – Formen der Arbeitsorganisation: IchAG, Scheinselbständige, Projektarbeiter, Freelancer, Job Hopper, Ein-EuroJobber, Leiharbeiter und ähnliche Gruppen wurden zusammen mit den Arbeitslosen unter dem neuen begrifflichen Dach des Prekariats zusammengefasst. Kennzeichnend ist die Unsicherheit der Beschäftigung und die damit einhergehende Gefahr des sozialen Abgleitens. Sie sind – ähnlich wie Marx dies im Hinblick auf den Proletarier formuliert hatte – im doppelten Sinne frei: Frei von Kapital und frei ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Mit der Auflösung der traditionellen Beschäftigungsform verliert sich auch die Schutzfunktion des Arbeitgebers, der die rohen Marktkräfte vor den Beschäftigten abgepuffert hatte. Verhandlungsstarke Gruppen verlagern die Marktrisiken auf verhandlungsschwächere Gruppen, ohne dass diese Risiken durch die parallele Eröffnung neuer Chancen kompensiert würden. Die soziale Ungleichheit nimmt zu und trifft vor allem jene – meist jüngere und weniger qualifizierte – Personen, die noch nicht fest im
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Arbeitsmarkt verankert sind (vgl. Blossfeld, 2006). Dies verändert ihre Lebensperspektiven und ihre Lebenshaltung. Das Gefühl der Unsicherheit wächst, die Familiengründung wird verschoben und Kinderwünsche werden als beschäftigungsfeindlich erlebt und unterdrückt. Diese Effekte sind jedoch keineswegs nur auf diese Gruppe der „unsicher Beschäftigten“ begrenzt. Auch die „sicher Beschäftigten“ beschleicht ein diffuses Gefühl der Ersetzbarkeit, wenn sie bemerken, dass ihre Tätigkeit von anderen zu ungleich schlechteren Bedingungen übernommen werden kann (Dörre, 2006). Die subtile Disziplinierung durch den Markt „fördert und stützt (…) ein Kontrollsystem, dem sich auch die Integrierten kaum zu entziehen vermögen“ (Dörre, 2006, S. 189). Die „Krise der Arbeitsgesellschaft“ zeigt sich auch in der „Entgrenzung der Arbeit“. Die Arbeitswelt des „Normalarbeiters“ war früher örtlich, zeitlich, sozial und psychisch klarer von der privaten, dem Individuum vorbehaltenen Lebenswelt getrennt. Nach der Arbeit begann der Feierabend. Zwar wurden mit dem Verlassen des Fabriktores auch damals nicht alle Belastungen und Sorgen abgestreift, aber es bestand wenig Veranlassung sich verfügbar zu halten, zu wechselnden Zeiten und an wechselnden Orten zu arbeiten und den Arbeitsprozess im eigenen Kopf weiter zu planen und permanent Ergebnisverantwortung zu tragen. Die institutionellen Grenzen der Organisation erodieren und der weite Arm der Arbeit greift heute tief in die Privatsphäre ein und höhlt sie allmählich aus. Dieser Prozess wurde durch die Tendenz zur Dezentralisierung und Vermarktlichung angeheizt. Die Dezentralisierung verlagert mehr und mehr Steuerungs- und Kontrollfunktionen auf niedrigere Ebenen der Hierarchie und die Vermarktlichung verlangt dabei eine enge Kopplung an den Bedarf des Marktes, der in Form von Kennziffern zum Maßstab des Handelns geworden ist. Insofern wird der konkrete Vorgesetzte durch den abstrakten Kunden ersetzt und die vielbeschworene Selbstorganisation und Selbstverantwortung des mündigen Mitarbeiters entpuppt sich als Fremdsteuerung in neuem Gewand. „Leistung soll – verkürzt ausgedrückt – hier weniger durch direkte Kontrolle sichergestellt werden, sondern, in der partiellen Umkehrung der Logik tayloristischer Prinzipien, gerade durch die Gewährung von Autonomie“ (Kratzer, 2000, S. 5). Die euphemistische Formel vom „Intrapreneur“ verdeckt dabei die Tatsache, dass die Flexibilisierung hier gerade nicht mit der Souveränität und Autonomie des Selbständigen einhergeht, sondern Verfügbarkeit verlangt und Planbarkeit reduziert. Diese Flexibilität ist daher eher mit Unsicherheit als mit Freiheit verknüpft. Neben den Prekariatstendenzen und der Entgrenzung der Arbeit zeigt sich schließlich noch ein dritter Effekt der neuen Organisation: die Subjektivierung der Arbeit. Auch dieser Terminus ist schillernd und vieldeutig. Subjektivität verweist einerseits auf die Einzigartigkeit des Individuums und andererseits darauf, dass sich diese Individualität erst in Auseinandersetzung mit der spezifi-
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schen sozialen Umwelt entwickelt. Und Subjektivierung der Arbeit bezeichnet einerseits den Prozess der zunehmenden Nutzung dieser Individualität im Arbeitsprozess und andererseits den parallelen Prozess des wachsenden Einflusses des Individuums in der Gestaltung der Arbeit (Kleemann, Matuschek & Voß, 2002, S. 54 ff.). Dazu gehört auch, dass nicht nur die physischen und geistigen Kräfte des Menschen gefragt sind, sondern zunehmend auch seine Emotionalität. Vor allem der wachsende Dienstleistungsbereich erklärt den Dreiklang von Mittun, Mitdenken und Mitfühlen zur Basisqualifikation des kompetenten Mitarbeiters. Hochschild (1983) hatte zunächst am Beispiel von Stewardessen darauf aufmerksam gemacht, dass mittlerweile auch so individuelle Empfindungen wie das Gefühl eines Menschen in den Dienst der Kapitalverwertung gestellt werden. Wer äußerlich – auch gegenüber einem unangenehmen Kunden – zugewandt und fürsorglich handeln soll und dabei sein eigenes Empfinden von Kränkung und Abwehr unterdrücken muss, erlebt eine emotionale Dissonanz mit problematischen Folgen für die eigene psychische Integrität. Der Verlust des Zugangs zum eigenen Gefühl und Burnout gehören zu den Folgen dieser „guten Miene zum bösen Spiel“. Allerdings zeigt sich auch, dass dieser Effekt durch den Faktor der Berufsidentifikation moderiert wird und dass bei hoher Akzeptanz der Arbeitsaufgabe eine bessere Kontrolle der eigenen Gefühle, das Erleben von Leistungsfähigkeit und eine Erweiterung der Handlungskompetenz möglich sind (Rastetter, 1999; Zapf et al., 2000). Diese – durchaus positiven – Effekte zeigen, dass neue Anforderungen nicht notwendigerweise bedrohlich sind, sondern auch Wachstumspotentiale in sich bergen können. Auch die soziologische Diskussion der Entwicklung neuer Arbeitsorganisationen zeigte diese Ambivalenz der Bewertung. So mögen wir uns – solange diese Entwicklungsprozesse noch nicht abschließend beurteilt werden können – an Friedrich Hölderlins Worte halten: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“.
Literatur Abrahamson, E. (1996). Management Fashion. Academy of Management Review, 21 (1), 254-285. Antoni, C. (1995). Gruppenarbeitskonzepte im Rahmen von Lean Management: Erfahrungen und Konsequenzen für die Einführung. In W. Bungard (Hrsg.), Lean Management auf dem Prüfstand (S. 93-112). Weinheim: Beltz. Bauer, S. (2003). Perspektiven der Organisationsgestaltung. In H.-J. Bullinger, H.-J. Warnecke & E. Westkämper (Hrsg.), Neue Organisationsformen im Unternehmen (S. 93-128). Berlin: Springer. Bauer, W. & Hauff, V. (1997, 31. Oktober). Reformen in Sicht. Die Zeit, S. 8.
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Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen der Innovationen im öffentlichen Sektor Hans Peter Bull 1
Modernisierung, Reform, Innovationen als Herausforderung für Organisationen
Organisationen neigen zur Beharrung und Verkrustung, deshalb müssen sie in regelmäßigen Abständen umgekrempelt werden. Die Kritik an wirklich oder vermeintlich zu trägen und geistig unbeweglichen Beamten ist so alt wie der Begriff der Bürokratie. Der Freiherr vom Stein, der große Reformator des preußischen Staates, hat diese Kritik besonders laut geäußert. Von ihm ist das Wort überliefert: „Um eine Staatsverwaltung in tüchtigem Gang zu erhalten, müssten alle drei Jahre einige Minister, einige Generale und ein Dutzend Räte füsiliert werden; man müsste alle Beamten mit dem fünfzigsten Jahre wegjagen.“1 Das wären freilich keine rechtlich „möglichen“ Maßnahmen. Heute wird niemand mehr füsiliert, und die Verfassung und das Beamtenrecht schützen die Staatsbediensteten vor Willkür jeder Art. Aber die Forderung nach mehr oder weniger radikaler Modernisierung ist keineswegs verstummt. Umfassende Reformen werden immer wieder angemahnt, Innovationen gelten als dringend erforderlich, und Maßnahmen der Personalpolitik gehören an prominenter Stelle dazu. Bevor wir uns den rechtlichen Möglichkeiten zuwenden, zu diesem Prozess beizutragen, soll der Kreis der Themen etwas genauer bezeichnet werden, der in diesem Zusammenhang auf die Agenda kommt. Man kann und muss dazu ein ganzes System erwünschter Veränderungen beschreiben: (1) Verändert werden sollen zum einen die Produkte und Leistungen der Verwaltung; hier geht es um Qualitätsverbesserung (in verschiedenen Dimensionen) und um die Beschleunigung der Herstellungs- und Leistungserbringungs-Prozesse. Dazu gehört im weiteren Sinne auch die bessere Planung der Verwaltungstätigkeit. (2) Um solche Verbesserungen zu erzielen, müssen vielfach die Rahmenbedingungen der Verwaltungstätigkeit verändert werden, nämlich 1
Zitiert nach Heinrich von Beguelin, in: Adolf Ernst (Hrsg.), Denkwürdigkeiten von Heinrich und Amalie von Beguelin, Berlin 1892, S. 113, dort als „Scherz“ bezeichnet, der „doch etwas Wahres enthalte“. Fritz Hartung meint dazu in seinen Studien zur Geschichte der preußischen Verwaltung (Dritter Teil: Zur Geschichte des Beamtentums im 19. und 20. Jahrhundert. Abhandlungen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Jahrgang 1945/46, Berlin 1948, S. 11), „wie sehr“ solche Bemerkungen Wahres enthielten, gehe auch aus „ruhig abgewogenen Aktenstücken“ Steins hervor, „in denen das Urteil über das Beamtentum kaum sanfter lautet“.
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1 die Rechtsnormen – ihnen fehlt es oft an Klarheit, Einfachheit und auch an Eignung zur Unterstützung von Innovationen, 2 die Organisation – Aufbau- und Ablauforganisation mit Zuständigkeitsregeln, Gebietsgrenzen, Verfahrensvorschriften usw., 3 die verfügbaren Finanzmittel, 4 der Status und die Befindlichkeit des Personals sowie schließlich 5 die Informationsinfrastruktur, wie Aktenbestände, Datenvorräte, Archive, Statistiken. (3) Keineswegs unwichtig ist der mentale Rahmen: das Bewusstsein der Betroffenen und Begünstigten sowie der „Auftraggeber“ der Verwaltung und der Beschäftigten. Dies ist selbstverständlich nur eine dürre Abstraktion dessen, worum es geht. Wer die Rahmenbedingungen von Verwaltungsreform (oder – um es in der internationalen Sprache zu sagen: „Public Management Reform“) genauer erkennen und definieren will, kann dies zum Beispiel bei Christopher Pollitt und Geert Bouckaert2 nachlesen, die ihrerseits unter anderem auf Klaus König3 eingehen. Um die Tiefen und Untiefen des Themas auszuloten, müssten wir nicht nur das Rechtssystem und die Verwaltungsstrukturen des eigenen Landes (und anderer Länder!) untersuchen, sondern auch die verschiedenen Verwaltungskulturen4 und die entsprechenden Traditionen – sie differieren schon innerhalb eines Landes nach Sachbereichen und auch regional. 2
Der „lästige Jurist“ und die Funktion von Recht
Rechtsnormen und ihre Veränderung wirken auf den verschiedenen Ebenen höchst unterschiedlich. Sie können wenig zur Verwaltungskultur beitragen, jedenfalls nicht unmittelbar und nur langfristig, etwa indem Kontrollen auf- oder abgebaut werden und damit Vertrauen oder Misstrauen gefördert wird. Ich will 2
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Pollitt/Bouckaert, Public Management Reform. A Comparative Analysis, 2nd ed., Oxford 2004, S. 8 ff. Pollitt und Bouckaert beziehen sich auf ein Vier-Ebenen-Modell von Lynn und anderen, in dem ganz oben steht: „Global/national/cultural environment“, also im Kern die Verwaltungskultur und das Image/die Akzeptanz der Verwaltung, darunter „Institutional framework“ (unterschieden z. B. nach dem Grad der Zentralisierung) und „Managerial level“ (unter anderem mit der Frage nach den Reformstrategien) und ganz unten die „Primary work level“ (mit den Themen Effizienz und Kosten spezifischer Funktionen usw.). Vgl. L. Lynn/C. Heinrich/C. Hill, Improving Goovernment: A New Logic for Empirical Research, Washington D.C. 2001, S. 37. Klaus König, On the Critique of Public Management, 1996 (Speyerer Forschungsberichte 155). Maximilian Wallerath, Die Änderung der Verwaltungskultur als Reformziel, in: Die Verwaltung 33 (2000), S. 351-378; Werner Jann, Verwaltungskultur, sowie Rudolf Fisch, Organisationskultur von Behörden, beides in: Klaus König (Hrsg.), Deutsche Verwaltung an der Wende zum 21. Jahrhundert, 2002, S. 425-447 und S. 449-468.
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die Funktion von Recht in den bezeichneten Dimensionen systematisch erörtern, jedoch zuvor einige allgemeinere Anmerkungen zum Verhältnis von Recht und Reform machen. Juristen sind oft lästig; sie legen den Reformern Steine in den Weg oder weisen zumindest auf Bedenken hin, statt Reformeuphorie zu verbreiten. Eher selten unterstützen sie Modernisierungsprogramme, meist argumentieren sie konservativ. Ernst Forsthoff hat diesen Typ des (Verwaltungs-)Juristen wie folgt charakterisiert: „Der Jurist ist weder Eroberer, noch Reformer, noch Sozialgestalter, sondern Ordner von Lebensverhältnissen und auch das in einem besonderen Sinne. Er bringt zu seinem Beruf mit die Neutralität; er ist nicht Anwalt einer Sache. [...] Ihm ist der Sinn für die Versachlichung eigen, der er persönliche Überzeugungen unterordnet. Er weiß sich der Ordnung verbunden, wie sie durch Gesetz und Recht geformt ist, und er kennt schließlich die große Bedeutung, die dem geordneten Verfahren, dem audiatur et altera pars, zukommt. Alles das sind Fähigkeiten und Eigenschaften, die dem Juristen unter den Voraussetzungen, die im 19. Jahrhundert bestanden, und in jedem Rechtsstaat eine natürliche Überlegenheit sichern oder sichern sollten.“5 Forsthoff fügt allerdings hinzu, dass diese klassische Form der Juristenverwaltung sich mit den gesellschaftlichen Wandlungen des 20. Jahrhunderts grundlegend verändert habe.6 Damit ist aber nicht sicher, dass auch dieser Typ des Juristen als Erscheinungsform einer inzwischen überholten Staats- und Gesellschaftsauffassung „aus der Mode gekommen“ wäre. Wie schon der Bezug auf „jeden Rechtsstaat“ im letzten Satz des Zitats belegt, hält Forsthoff in einer kulturkritischen Wendung den von ihm beschriebenen Juristen nach wie vor für ein Vorbild, das nur in der Gegenwart nicht mehr gefragt sei. Gefragt sei vielmehr der „Fachmann“, der sich durch „engagiertes Fachwissen“ auszeichne.7 „In dem Maße, in dem der fachmännische Geist seinen Einzug in die Verwaltung hielt, wurde der Jurist zu jener sonderbaren Figur, die sich, ohne über fachmännisches Wissen zu verfügen, alles zutraut.“8 Auf diese Weise werde der Jurist zum „lästigen Juristen“ und müsse sich auf die Spezialrolle des Justitiars zurückziehen, dessen Aufgabe nur die „juristische Unfallverhütung“ sei.9 In der Dritten Gewalt finde er am Ende sein eigentliches Refugium.10
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Ernst Forsthoff, Der lästige Jurist, DÖV 1955, 648 (649); auch in: ders., Rechtsstaat im Wandel. Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1954-1964, Stuttgart 1964, S. 57 ff. Christian Schütte, Progressive Verwaltungswissenschaft auf konservativer Grundlage. Zur Verwaltungsrechtslehre Ernst Forsthoffs, Berlin 2006, S. 154. Forsthoff, Der lästige Jurist (Fn. 5), DÖV 1955, 649. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 111. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, S. 110. Forsthoff, Der lästige Jurist (Fn. 5), DÖV 1955, S. 651. S. dazu auch Schütte (Fn. 6), S. 155 f.
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Dieses Bild des Juristen und das dahinter stehende Verständnis von der Funktion des Rechts sind historisch falsch und für Gegenwart und Zukunft erst recht nicht brauchbar. Anders als Forsthoff behauptet, waren Juristen immer auch Anwälte, und zwar nicht nur im Sinne und im Rahmen des geordneten Rechtsanwaltsberufs. Auch Verwaltungsjuristen waren gerade im 19. Jahrhundert auch politisch engagiert; sie füllten die Landtage der konstitutionellen Monarchien, sie opponierten gegen ihre Regierungen, und sie waren auch Fachleute für zentrale Bereiche von Politik und Verwaltung. Juristen waren auch in erheblichem Maße daran beteiligt, dass die Verwaltung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Schaffung der Infrastruktur für die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft beitrug. Die Legende von der „unpolitischen“, „neutralen“ Verwaltung dient zwar noch heute manchen als Rechtfertigung für die Erhaltung eines besonderen Rechtsstatus der Beamten, wie in Art. 33 Abs. 5 GG festgeschrieben, aber sie ist eben eine Legende und kein taugliches Leitbild für die heutige Aufgabe der Verwaltung. Wir müssen schon etwas genauer auf die aktuellen Konstellationen schauen und Lösungen erarbeiten, zum Beispiel um Rechtspositionen und Allgemeininteressen gegen politische und ökonomische Machtansprüche zu verteidigen. Auch dadurch kann der Jurist „lästig“ werden, aber eben nicht nur als Justitiar oder als Richter, sondern gerade auch bei der „Sozialgestaltung“ zum Beispiel in Verwaltungsfunktionen. Sofern der Jurist dabei zum „Fachmann“ wird, ist das kein Nachteil und kann gerade seine rechtsstaatliche Funktion unterstützen. Übrigens ist noch keineswegs ausgemacht, dass die Juristen aus der aktiven Verwaltung verdrängt würden. Zwar hat sich die öffentliche Verwaltung in den letzten Jahrzehnten zunehmend für Ökonomen und Sozialwissenschaftler geöffnet, aber man hört immer wieder davon, dass im Einzelfall doch Juristen vorgezogen werden. Soweit sie sich als Generalisten verstehen und entsprechende Qualifikationen – über die des reinen Rechtsanwenders hinaus – erworben haben, besitzen Absolventen einer juristischen Ausbildung nach wie vor gute Chancen, von der Verwaltung angestellt zu werden. Um zum Kern des Themas zurückzukommen: Recht hat nicht nur eine konservierende Funktion, sondern kann auch – durch problembewusste Juristen vermittelt – Anstoß zu Veränderungen sein. Eine Reihe von Rechtsnormen zielen ausdrücklich auf Reformen ab. Am offensichtlichsten tun dies die Gleichstellungsaufträge der Verfassung (Art. 3 Abs. 2 S. 2, Art. 6 Abs. 5 GG). Von noch größerer Bedeutung sind aber – jedenfalls normativ – die Staatsziele (Art. 20 Abs. 1 und Art. 20a GG) und die Gesetzgebungsaufträge, die der Konkretisierung und Ausgestaltung zentraler Rechtsinstitute dienen (z. B. Art. 12 Abs. 1 S. 2, Art. 12a Abs. 2 S. 3, Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) sowie neuerdings Gewährleistungsnormen wie Art. 87e Abs. 4 und Art. 87f Abs. 1 GG). Aus dem Sozial-
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staatsprinzip, dem Gleichheitsgebot und dem Rechtsstaatsgrundsatz folgen gewaltige Gestaltungsaufgaben des Gesetzgebers und Konkretisierungs- und Umsetzungsaufgaben der Verwaltung, wie schon ein flüchtiger Blick auf die aktuelle sozial- und steuerpolitische Diskussion zeigt. 3
Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung
Nicht allgemein bekannt dürfte es sein, dass sich in den letzten Jahren sogar ein besonderer Zweig der Rechtswissenschaft etabliert hat, der sich „rechtswissenschaftliche Innovationsforschung“ nennt und es sich zur Aufgabe gemacht hat zu untersuchen, wie Neuerungen zustande kommen und „wie sie durch Recht beeinflusst, insbesondere gefördert oder gehemmt, werden und wie Recht dazu beitragen kann, ihre Gemeinschaftsverträglichkeit zu sichern“.11 An der Universität Hamburg besteht seit 1996 eine „Forschungsstelle Recht und Innovation“ (CERI) unter der Leitung von Wolfgang Hoffmann-Riem, „die mithelfen soll, das Thema der gesellschaftlichen Innovationen so in den Kontext der Rechtswissenschaft zu stellen, dass Anregungen und Hilfen für die Gestaltung der Rechtsordnung und die Anwendung von Recht gegeben werden können“.12 Die rechtswissenschaftliche Innovationsforschung will das innovationserhebliche Recht systematisieren, geeignete Kategorien entwickeln und mögliche Innovationsfolgen analysieren sowie rechtspolitische Vorschläge unterbreiten, und sie will mit diesen Zielen als eigenständige Disziplin anerkannt werden.13 Im Rahmen dieser Bemühungen sind einige interessante Publikationen erschienen,14 und auch benachbarte Disziplinen wie die Ökonomische Theorie des Rechts15 befassen sich mit Innovationen.16 Als Beispiele neuer rechtlicher Steuerungsinstrumente nennt Hoffmann-Riem17 unter anderem finale Vorgaben statt konditionaler Programmierung,18 Fördermaßnahmen, Begünstigungen im Ordnungs-, Haftungs- und 11
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Wolfgang Hoffmann-Riem, Innovationsoffenheit und Innovationsverantwortung durch Recht. Aufgaben rechtswissenschaftlicher Innovationsforschung, in: AöR 131 (2006), S. 255-277 (257). Hoffmann-Riem aaO. (Fn. 11) S. 256 Anm. 3. Hoffmann-Riem aaO. (Fn. 11) S. 255 f. Vgl. insbesondere Wolfgang Hoffmann-Riem/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998; Martin Eifert/Wolfgang Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und rechtliche Regulierung, 2002. Claus Ott/Hans-Bernd Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der rechtlichen Organisation von Innovationen, 1994. Weitere Angaben bei Hoffmann-Riem, AöR 131 (2006) S. 256 Anm. 5 ff. Auch die von HoffmannRiem und Schmidt-Aßmann herausgegebenen Schriften zur Reform des Verwaltungsrechts können als Beiträge zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung verstanden werden, desgleichen das dreibändige Werk Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 2007 ff., vgl. Hoffmann-Riem, AöR 131 (2006) S. 262 f. mit Anm. 24. AöR 131 (2006) S. 275. Dazu Wallerath (Fn. 4) S. 375.
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Vergaberecht sowie Versicherungs- und Haftungspflichten. Manche Instrumente wie die Selbstverpflichtung im Rahmen „regulierter Selbstregulierung“ sind der Sache nach für die öffentliche Verwaltung ungeeignet; ob sie für „Verwaltungshelfer“ im weiteren Sinne und verselbständigte Einheiten der Verwaltung taugen, müsste von Fall zu Fall geprüft werden. Andererseits wird inzwischen kaum noch bestritten, dass auch im öffentlichen Sektor und sogar zwischen Behörden ein Wettbewerb um höhere Qualität, Effektivität und Effizienz möglich und unbedenklich ist.19 Angesichts der Weite des Innovationsbegriffs mag man bezweifeln, ob die Begründung einer eigenständigen Innovationswissenschaft wirklich sinnvoll ist. Die Fragen, die ihre Initiatoren stellen, sind dieselben, die an nicht-innovative Entwicklungen gestellt werden müssen; es sind die Grundfragen rechtlicher Bewertung aller sozialen und ökonomischen Entwicklungen. Jedenfalls kann sich die Rechtswissenschaft nicht nur mit „Fortschritten“ befassen – als solche werden ja Innovationen regelmäßig bezeichnet –, sondern muss die Frage nach „Förderung oder Hemmung“ auch gegenüber Restauration und Reaktion stellen, also auch die Entwicklungen rechtlich beurteilen und beeinflussen, die sich als Rückschritte herausstellen. Auf Innovationen konzentrierte Rechtswissenschaft setzt sich sogar dem Verdacht aus, alles „Neue“, „Moderne“ privilegieren zu wollen und damit von vornherein eine falsche Gewichtung vorzunehmen.20 Dieser Verdacht ist zwar gegenüber den Begründern der rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung vollkommen unbegründet – so schreibt Hoffmann-Riem mit Recht: „Eine Gesellschaft, die Innovationen als solche unterstützt, ohne auch die unterschiedlichen Folgewirkungen und die Folges-Folgenwirkungen in Betracht zu ziehen, geht ein hohes Risiko ein, dass die späteren Wirkungen die positiven Effekte der Innovationen wieder auffressen“, und ermahnt dazu, „Innovationsfolgen an den normativen Orientierungen der Gesellschaft zu messen“,21 aber diese wesentliche Orientierung gilt auch sonst. Im Grunde wird mit dieser zutreffenden Betonung der Folgenverantwortung die Verselbständigung einer juristischen Innovationsforschung wieder zurückgenommen. Ich folge nunmehr einer eigenen Gliederung der Materie, die nicht den Anspruch erhebt, „Innovationsforschung“ zu sein, sondern mit der ich versuche, die Anwendung des geltenden Rechts auf aktuelle Veränderungen der Verwaltung
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So auch Wallerath (Fn. 4) S. 365; skeptisch jedoch Andreas Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, 2005, insbesondere S. 367 ff. Einen anderen Aspekt, der gleichfalls ungerechtfertigt positiv besetzt ist, bildet die Beschleunigung. Die Verfahrensbeschleunigungsgesetzgebung sieht sich mit Recht erheblicher Kritik ausgesetzt. Hoffmann-Riem, AöR 131 (2006) S. 266.
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und weitergehende Reformpläne darzulegen und einen eventuellen Anpassungsbedarf aus der Erkenntnis konkreter Lücken herzuleiten. 4
Fessel oder lange Leine – wie eng ist der rechtliche Rahmen?
Am Anfang der systematischen Betrachtung rechtlicher Grenzen von Innovationen muss eine grundlegende Aussage stehen: Staatshandeln ist nicht freies „Management“, auch wenn viele diese Begrifflichkeit verwenden. Es ist insofern gebunden, als jedes staatliche Handeln der demokratischen Legitimation bedarf. Dabei muss im Zusammenwirken der verschiedenen Legitimationsformen, insbesondere der „organisatorisch-personellen“ und der „sachlich-institutionellen“ Legitimation eine „effektive“ demokratische Legitimation – anders ausgedrückt: ein ausreichendes „Legitimationsniveau“ erreicht werden.22 Hinter diesen Grundsätzen steht das Prinzip der Verantwortung der Amtswalter gegenüber den gewählten Volksvertretern, und durch die entsprechenden Normen sind die so Legitimierten zugleich inhaltlich an bestimmte Maßgaben gebunden. Die einzelne Verwaltungshandlung bedarf zumindest immer dann, wenn sie in Rechte eines Betroffenen eingreift, einer gesetzlichen Grundlage. Eine gesetzliche Regelung kann auch um der Gleichbehandlung willen erforderlich sein, und das BVerfG hat darüber hinaus erklärt, dass solche amtlichen Handlungen, die „für die Verwirklichung der Grundrechte wesentlich“ sind, ebenfalls gesetzlich geregelt sein müssen.23 Der Gesetzesvorbehalt gilt freilich nicht umfassend für Organisationsentscheidungen; insofern enthalten die Landesverfassungen und das übrige Landesrecht unterschiedliche Regelungen. 5
Die Bedeutung der Grundrechte und der EU-Grundrechte-Charta
5.1 Grundrechte und Verwaltungsorganisation Ein weiterer wesentlicher Ansatz rechtlicher Bindung der Verwaltung folgt aus den Grundrechten. Es ist Aufgabe aller staatlichen Organe, die verfassungsmäßigen Rechte der Individuen (und ihrer Vereinigungen, s. Art. 19 Abs. 3 GG) zu bewahren und zu schützen. Durch Organisationsentscheidungen werden die Grundrechte aber in der Regel nicht berührt – es sei denn, der Rechtsschutz der Individuen werde in verfassungs- oder gesetzwidriger Weise eingeschränkt. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert umfassenden Rechtsschutz gegen die öffentliche Ge22
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Vgl. dazu Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie und Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II: Verfassungsstaat, 3. Aufl. 2004, § 24, S. 429 ff., Rn. 14 ff; BVerfGE 83, 37 (50 f.); 83, 60 (73); 93, 37 (66); s. a. E 107, 59 (87 ff.). Zum ganzen Themenkreis Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre, 7. Aufl. Heidelberg 2005, Rn. 159 ff.
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walt, aber es ist immerhin denkbar, dass dieser Anspruch in bestimmten Fällen leer läuft, wenn der Entscheidungsprozess verkürzt wird oder im Verborgenen, also intransparent vor sich geht. Denkbar ist freilich auch, dass subjektive Rechte von Beamten betroffen sind, die einen grundrechtsähnlichen Charakter haben. Immerhin hat das BVerfG einen „hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums“ festgestellt, wonach der Beamte sogar Anspruch auf angemessene Amtsbezeichnung hat.24 Noch bedeutsamer kann der Anspruch der Beamten auf „amtsangemessene“ beziehungsweise „statusgemäße Beschäftigung“25 werden; dieser Anspruch der „Privatbeamten“ von Bahn, Post und Telekom hat sich tatsächlich bereits als großes Hindernis für den Umbau der ehemaligen Staatsmonopole zu Wettbewerbsunternehmen herausgestellt.26 Abweichungen von einem Grundsatz des Beamtenrechts, nämlich der Festsetzung der Bezüge allein durch Gesetz, hat das BVerfG für Medizinprofessoren an Universitätskliniken zugelassen.27 Die Grundrechte dienen heute aber nicht nur zur Abwehr staatlicher „Eingriffe“ in die Rechtssphäre von Einzelnen, sondern werden in vielerlei Beziehungen als Schutzaufträge angesehen. So kommt es dazu, dass der Staat unter Umständen grundrechtlich verpflichtet ist, Individuen vor anderen Individuen zu schützen. Eine Pflicht zu bestimmten Handlungen kann aber nur ganz ausnahmsweise entstehen; denn die aus der Verfassung ableitbaren, notwendig abstrakt formulierten Ziele staatlichen Handelns können auf den verschiedensten Wegen erreicht werden, und den staatlichen Organen kommt nach der Rechtsprechung des BVerfG „bei der Erfüllung von Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG“ – und ich füge hinzu: auch in anderen Fällen – „ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, der auch Raum lässt, etwa konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen“.28 Ganz ausnahmsweise hat das BVerfG aber sogar den Einsatz des Strafrechts für verfassungsrechtlich geboten erachtet.29
24
25 26
27 28
29
BVerfGE 38, 1 (11 ff.) – Richteramtsbezeichnungen; 62, 374 (383) – Lehreramtsbezeichnungen; 64, 323 (351) – Universitäts- contra Fachhochschulprofessoren. Krit. dazu mit Recht Klaus Köpp, Öffentlicher Dienst, in: Udo Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2003, III A, S. 407 ff., Rn. 20. BVerfGE 47, 327 (410 ff.). BVerwG, NVwZ 2006, 1291; NVwZ 2007, 101; OVG Koblenz, NVwZ 2007, 110; VG Köln, DöD 2006, 222; krit. Nokiel, DöD 2006, 213; ders., ZTR 2006, 235. BVerfGE 52, 303 (331) – Privatliquidationsrecht der Chefärzte. Vgl. BVerfGE 77, 170 (LS 2 a) und S. 214 f.); s. a. BVerfGE 39, 1 (LS 4 S. 1 und 2 und S. 44); 46, 160 (164); 49, 89 (141 f.); 50, 290 (332 f.); 53, 30 (57); 56, 54 (73, 78, 80). Rspr. zum Schwangerschaftsabbruch, vgl. BVerfGE 39, 1 (LS 4 S. 3; S. 47) und 88, 203 (LS 8 und S. 257 ff.).
Innovationen im öffentlichen Sektor 5.2
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Das „Recht auf gute Verwaltung“
In der Grundrechte-Charta der Europäischen Union30 findet sich nun auch ein „Recht auf gute Verwaltung“.31 Es ist in Art. 41 wie folgt umschrieben: „(1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen und Einrichtungen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. (2) Dieses Recht umfasst insbesondere – das Recht einer jeden Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige, individuelle Maßnahme getroffen wird, – das Recht einer jeden Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten unter Wahrung des legitimen Interesses der Vertraulichkeit und des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses, – die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen.“
Absatz 3 statuiert einen Anspruch auf Ersatz des Schadens, der bei der Ausübung der europäischen Amtstätigkeit (gemeint: rechtswidrig) angerichtet wird, und Absatz 4 den Anspruch auf Benutzung der eigenen Sprache und auf Antwort in dieser Sprache. So originell auch diese Neuschöpfung zunächst erscheinen mag – die zitierten Ausprägungen sind für das deutsche Verwaltungsrecht nicht neu; die Rechte auf Anhörung, auf Akteneinsicht (in eigenen Angelegenheiten) und auf Begründung von Verwaltungsakten sind zentrale Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts und im Gesetz ausdrücklich festgelegt. Die Amtshaftung ist in Deutschland verfassungsrechtlich festgeschrieben. Nur die Amtssprache ist noch national, und neu ist die erweiterte Transparenz der Verwaltungsvorgänge durch das Informationsfreiheitsrecht, das in Art. 42 gegenüber den EU-Organen begründet wird (aber auch insofern hat die Bundesrepublik aufgeholt, siehe das neue IFG und die entsprechenden Gesetze einiger Länder). Aus dem Recht auf eine gute Verwaltung werden über die genannten Ausprägungen hinaus (und auch über die Formulierungen in Abs. 1 hinaus) eine Reihe von Maßstäben hergeleitet: Die Verwaltung soll richtig und schnell han30
31
Charta der Grundrechte der Europäischen Union, am 7. 12. 2000 feierlich proklamiert, ABl. Nr. C 364/1 v. 18.12.2000. Art. 41 der Grundrechtecharta, Art. II - 101 des Entwurfs einer EU-Verfassung. S. dazu Hans D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, S. 397 ff. m.w.N.; Ralf Bauer, Das Recht auf eine gute Verwaltung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, Frankfurt/Main 2002; Kristin Pfeiffer, Das Recht auf eine gute Verwaltung, Baden-Baden 2006; Utz Schliesky, Das Recht auf gute Verwaltung, Kiel 2006; ders., Von der Realisierung des Binnenmarktes über die Verwaltungsreform zu einem gemeineuropäischen Verwaltungsrecht?, in: DÖV 2005, 887 ff.; Helmut Goerlich, Good Governance und Gute Verwaltung – Zum europäischen Recht auf gute Verwaltung (Art. 41 EuGrCh und Art. II101 EuVerfV), DÖV 2006, 313-322; Walter Klappstein, Das Recht auf eine gute Verwaltung – Art. 41 und 42 der Charta der Grundrechte der EU – , Kiel 2006.
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deln, sie soll sich um Akzeptanz ihrer Entscheidungen bemühen, „bürgernah“ sein, dabei auch das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten sowie öffentliche Güter und die Interessen Dritter schützen.32 Es liegt auf der Hand, dass diese Grundsätze in all ihrer Komplexität und teilweisen Gegenläufigkeit schwer umzusetzen sind und dass es kaum vorstellbar ist, sie etwa im Einzelfall gerichtlich durchzusetzen. Es handelt sich gewissermaßen um „Qualitätsziele“, auf deren Erfüllung die Kunden allenfalls theoretisch ein Recht haben können. Das gilt auch, wenn man mit Walter Klappstein das Grundrecht auf eine gute Verwaltung als „ein Grundrecht auf ein gutes Verwaltungsverfahren“ auffasst.33 Die Verwaltung soll zwar auch im Individualinteresse auf die Einhaltung der Verfahrensgrundsätze achten; die Beteiligten haben unter Umständen sogar ein subjektives Recht auf richtiges Verfahren. Aber die selbständige Durchsetzung dieses Rechts ist nach dem geltenden Verwaltungsprozessrecht (§ 44a VwGO) nur in Ausnahmesituationen möglich, und auch sonst hat der Gesetzgeber die Beachtlichkeit der Verfahrensvorschriften erheblich gemindert (§§ 45, 46 VwVfG). Der Grundrechtsschutz durch Verfahren, eine in der Vergangenheit viel gerühmte Innovation der Rechtsprechung,34 hat insofern an Gewicht verloren. Festzuhalten bleibt, dass die EU-Charta allgemein akzeptierte Grundsätze bezeichnet, die bei Organisationsentscheidungen zu beachten sind, zum Beispiel lokale Erreichbarkeit der Verwaltungsstellen, Rücksicht auf die Interessen der verschiedenen Beteiligten, Offenlegung der Verwaltungsvorgänge (wozu auch die Verwaltungsvorschriften gehören!). 6
Organisations- und Verfahrensrecht
6.1 Allgemeines Für unser Thema hat das Organisations- und Verfahrensrecht größere Bedeutung als das materielle Verwaltungsrecht und als die subjektiven Rechte der Beteiligten und Betroffenen. Das liegt in der Natur der Sache: Die Organisation und das Verfahren der Verwaltung müssen rechtlich verbindlich so angelegt werden, dass nicht nur Streitigkeiten zwischen Rechtssubjekten nach Rechtsnormen entschieden, sondern weitere Ziele angestrebt werden (müssen): „Rationalität“ oder „Richtigkeit“ der Entscheidungen in einem Sinne, der über „bloße“ Rechtmäßig32 33
34
Schliesky, Das Recht auf gute Verwaltung (Fn. 31), S. 11-20. Klappstein (Fn. 31), S. 24 (mit Hinweisen auf europarechtlich begründeten Verbesserungsbedarf im deutschen Recht). Vgl. etwa BVerfGE 53, 30 (56, insbesondere Sondervotum S. 69 ff.); 69, 315 (355); aus der Lit. z. B. Horst Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. I, Vorbem. Rn. 66 f.; Erhard Denninger, Staatliche Hilfe zur Grundrechtsausübung durch Verfahren, Organisation und Finanzierung, in: Handbuch des Staatsrechts V, § 113 Rn. 5 ff., 19 ff.
Innovationen im öffentlichen Sektor
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keit hinausweist, Akzeptanz zumindest als Bemühung zu überzeugen und Widerstand abzubauen,35 und vor allem Wirtschaftlichkeit als eine besonders beengende Rahmenbedingung, die man beklagen mag, aber nicht wegdiskutieren kann. Effektivität und Effizienz der Verwaltung müssen systematisch geplant werden, dabei sind die einzelnen Vorgänge, die Fälle und Streitigkeiten, nur Material, das gezählt und unter verschiedenen Aspekten ausgewertet werden muss, zum Beispiel durch Errechnen der durchschnittlichen Kosten „normaler“ Verwaltungsvorgänge und Vergleich mit anderen Stellen, die die gleichen Leistungen erbringen (Benchmarking). Die Summe der Anforderungen an die Verwaltung geht weit über das hinaus, was sie selbst bewältigen kann. Die „Akzeptabilität“ der Verwaltungsprodukte ist von sozialpsychologischen Bedingungen abhängig und muss deshalb unter anderem von der Politik gefördert werden. Es bedarf also auch aus diesem Grunde der „aktiven Verwaltungspolitik“. Bei der Bewältigung praktischer Gestaltungsprobleme der „Public Private Partnership“ sollte man nicht nur auf gesetzliche Regelungen setzen. Vielmehr steht auch das Vertragsrecht zur Verfügung, wenn es gilt, spezielle Fragen der Zusammenarbeit zwischen Behörden und Unternehmen zu regeln. Hier hat sich längst ein Arbeitsfeld der Kautelarjurisprudenz entwickelt – Anwälte haben eine Marktlücke erkannt und gefüllt und helfen den Beteiligten, sachgerechte Konfliktvorbeugung zu betreiben. 6.2 Spezielle verfassungsrechtliche Vorgaben Auch für die Organisation und das Verfahren der Verwaltung bestehen rechtliche Vorgaben. Schon die Verfassungen von Bund und Ländern enthalten Festlegungen über Verwaltungsformen und Zuständigkeiten, die der Beachtung, aber auch der kreativen Ausfüllung bedürfen. Die Aufgabenabgrenzung zwischen den verschiedenen Ebenen der Verwaltung ist bekanntlich immer komplizierter geworden, nachdem sich über die Kommunen, die Länder und den Bund noch die Europäische Union gesetzt hat. Schon zwischen den beiden Ebenen der Kommunen sind die Fronten immer wieder aufgebrochen, auch nach „Rastede“; die aktuellen Funktional- und Gebietsreformen sind auch rechtlich heftig umstritten.
35
Wolfgang Hoffmann-Riem spricht unter anderem von „Optimalität“ und „Akzeptabilität“ (Ermöglichung von Flexibilität und Innovationsoffenheit im Verwaltungsrecht, in: ders./Eberhard Schmidt-Aßmann [Hrsg.], Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 9 [27]); s. dazu Franz Reimer, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, München 2006, S. 533 (536); Hans Peter Bull, „Vernunft“ gegen „Recht“?, in: Arthur Benz/Heinrich Siedentopf/Karl-Peter Sommermann (Hrsg.), Institutionenwandel in Regierung und Verwaltung, FS für Klaus König, Berlin 2004, S. 179 (185 f.).
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Die reichen Länder wollen die ärmeren nötigen, sich zusammenzuschließen; um dem auszuweichen, kooperieren die kleineren Länder bereits intensiv. Eine zeitweise umstrittene Frage war es, ob die Einführung des Neuen Steuerungsmodells verfassungsrechtlich zulässig war. Insbesondere wurde (und wird teilweise noch heute) bezweifelt, dass die damit verbundene größere Entscheidungsfreiheit der dezentralen Einheiten mit dem Haushaltsverfassungsrecht und letztlich mit dem demokratischen Prinzip vereinbar ist.36 Mit Veith Mehde37 ist diese Frage zu bejahen. Für die verschiedenen Erscheinungsformen von Planung, für Gebietsneugliederungen und für die Gestaltung der öffentlichen Haushalte gelten weitere, zum Teil spezielle Rechtsvorschriften. Sie führen in der Regel zur Notwendigkeit von Abwägungen, sind also offen für politische Ermessensentscheidungen, für gesetzgeberische Prognosen und Bewertungen. Insofern geben sie den Reformern Spielräume. Tatsächlich ist das Haushaltsrecht gelockert worden; die Budgetierung wird nur noch nicht überall umgesetzt beziehungsweise nicht immer konsequent genug. Probleme bestehen auch im Bereich der Informationsverarbeitung. Soweit sie personenbezogene Daten betrifft, kann sich das Datenschutzrecht als Hindernis für umfassende Vereinfachung und Beschleunigung der Verwaltungsverfahren herausstellen; auch hier sind kreative Lösungen gefordert – und in manchen Fällen die Abkehr von einem gewissen Dogmatismus, der von Sinn und Zweck des Datenschutzes nicht wirklich gefordert wird. Aus der Perspektive des Organisators sind weitere Fragen der Informationsinfrastruktur ungelöst, zum Beispiel die dringend wünschenswerte Vereinheitlichung der technischen Systeme. Als störend erweist sich hier auch das Ressortprinzip, das in einigen Ländern (zu) stark betont wird. Man darf nicht übersehen, dass auch in diesen Zusammenhängen verfassungsgerichtliche Überprüfungen möglich sind und – zur Überraschung mancher Beteiligter – nicht selten zur Korrektur gesetzlicher Maßnahmen führen. Zumindest aber handeln Regierungen und Parlamente heute unter dem Risiko gerichtlicher Kontrolle. Die drohende Möglichkeit der Aufhebung behindert Reformabsichten unter Umständen stärker als die tatsächliche Nichtigerklärung einzelner Gesetze. Dagegen ist kein Kraut gewachsen; dass die Prozesslust gewachsen ist, hängt wiederum mit dem politischen Klima zusammen; man ruft heute die Gerichte häufiger an, weil sich dies auch als Mittel der politischen Auseinandersetzung bewährt hat.
36 37
Vgl. nochmals Musil (Fn. 19) S. 161 ff., 209 ff., 215 ff. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, insbesondere S. 398 ff.
Innovationen im öffentlichen Sektor
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6.3 Europäisches Gemeinschaftsrecht Außer den nationalen Rechtsnormen über die Organisation der öffentlichen Verwaltung ist seit einiger Zeit auch das europäische Recht besonders zu beachten. Nicht nur die erwähnte (förmlich noch nicht verbindliche) GrundrechteCharta ist von Bedeutung, sondern vor allem die Dienstleistungs-Richtlinie.38 Ihre zentralen Aussagen sind, – dass die Mitgliedstaaten „die für die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit geltenden Verfahren und Formalitäten“ vereinfachen, – dass sie einheitliche Ansprechpartner für sämtliche Genehmigungsverfahren zur Verfügung stellen und – dass sie elektronische Verfahrensabwicklung ermöglichen. Mit der Forderung nach einheitlichen Ansprechpartnern wird die Aufteilung der Verwaltungsorganisation in eine der Öffentlichkeit zugewandte und eine darauf bezogene interne Organisation zwingend; man braucht also künftig „front offices“ und „back offices“ – wobei ich mit der Verwendung des Plurals schon andeute, dass es nicht gelingen wird, diese beiden Elemente für die Vielfalt der Aufgaben gleich zu gestalten; nicht einmal die Struktur des „back office“ wird gleichartig sein. Ein Sonderproblem stellt das nationale und europäische Wettbewerbs- und Vergaberecht dar. Es hat Einfluss auf die Verwaltungsorganisation, weil beispielsweise die Zusammenarbeit zwischen kommunalen Körperschaften und verselbständigten Einheiten (Anstalten, GmbHs, Kommunalunternehmen) dem Vergaberecht unterfallen kann, wodurch der Aufbau einheitlicher Strukturen der Datenverarbeitung be- oder gar verhindert werden kann.39 7
Die Pflege der „Ressource Personal“
Mindestens ebenso wichtig wie die organisatorischen Verbesserungen ist die auf Dauer angelegte intensive Pflege der „menschlichen Ressourcen“ durch verbesserte Praktiken der Personalrekrutierung, des Personalmanagement und der Personalfürsorge, und dazu wiederum ist ein Qualitätssprung in der Verwaltungsführung nötig. Inzwischen wird im Tarifbereich und teilweise auch für die Beamten die leistungsorientierte Bezahlung eingeführt – mit allen Schwierigkeiten theoretischer, praktischer und mentaler Art, die derzeit allenthalben diskutiert werden. 38
Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. Nr. L 376 v. 27.12.2006, S. 36-68. Dazu u. a. Schliesky (Fn. 31). 39 Dazu jetzt Christina Hahn, Vergaberecht als Störfaktor der kommunalen Zusammenarbeit?, 2007.
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Dies alles ist wesentlich wichtiger als die Streitereien um das richtige Verständnis der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums oder das Lamentieren über die Ämterpatronage, deren Bekämpfung selbstverständlich sein sollte, die aber auch dann noch beklagt werden wird, wenn sämtliche Beurteilungsund Beförderungsvorgänge von den Verwaltungsgerichten überprüft worden sind. Vermutlich lässt sich das Klima in den Verwaltungen vielfach auch schon dadurch verbessern, dass die Mitbestimmung der Beschäftigten ernster genommen wird. 8
Schlussbemerkung
Je tiefer man in das Thema einsteigt, desto deutlicher wird, wie zahlreich und wie tiefgehend die Probleme sind, die bei der rechtlichen Einordnung, Einhegung und Einschränkung von Verwaltungsreformen auftreten. Allerdings ist keineswegs ausgemacht, dass rechtliche Bedenken sich stets durchsetzen – im Gegenteil: Bisweilen habe ich den Eindruck, dass sich die aktive Verwaltung ohne Bedenken über juristische Argumente hinwegsetzt. So erinnere ich mich mit Unbehagen der Bemerkung eines hohen Beamten eines Wissenschaftsministeriums in einer Diskussion über die Hochschulreform, er halte die „Feinheiten“ des Organisationsrechts40 für vollkommen irrelevant; die Verwaltung sei in der Lage, jede gewollte Rechtsform hinreichend zu begründen. Trotzdem: die Diskussion muss weitergehen. Dabei sollte freilich nicht der negative Ton der Nur-Bedenkenträger verstärkt werden; wir sollten vielmehr – auch als Juristen – betonen, dass es um die konstruktive Gestaltung unserer Zukunft geht, und nach akzeptablen Lösungen suchen.
40
Dazu etwa Bull, Über Formenwahl, Formwahrheit und Verantwortungsklarheit in der Verwaltungsorganisation, in: Staat – Kirche – Verwaltung, Festschrift für Hartmut Maurer, 2001, S. 545563.
Anwendung von betriebswirtschaftlichen Verfahren in der öffentlichen Verwaltung – Gefahren, Risiken und Nebenwirkungen am Beispiel der neuen Steuerungsinstrumente Baden-Württemberg Walter A. Oechsler Im Zuge des New Public Management kommen in der öffentlichen Verwaltung durchgängig Managementmethoden zur Anwendung. Diese betriebswirtschaftlichen Verfahren werden nicht selten ohne Reflexion des Anwendungskontextes in der öffentlichen Verwaltung eingesetzt. Welche Gefahren, Risiken und Nebenwirkungen daraus für die öffentliche Verwaltung entstehen können, wird am Beispiel der Neuen Steuerungs-Instrumente (NSI) in Baden-Württemberg dargestellt. Der Rechnungshof hat dort vor allem die dysfunktionalen Folgen der Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung aufgezeigt und gerügt. Aus diesen Erfahrungen lassen sich Empfehlungen für die Vermeidung derartiger Effizienzund Effektivitätsverluste ableiten. 1
Betriebswirtschaftliche Verfahren im Rahmen des New Public Management
Die öffentliche Verwaltung ist seit Jahrzehnten massiven Veränderungsprozessen ausgesetzt. Im Kern handelt es sich dabei um die Abkehr vom traditionellen Bürokratiemodell und um die Einführung des sogenannten New Public Management. Dieser Veränderungsprozess lässt sich skizzenhaft wie in Übersicht 1 darstellen (vgl. Oechsler, 2003, S. 201): Übersicht 1: Übergang vom Bürokratiemodell zum New Public Management Bürokratiemodell
New Public Management
Inputsteuerung über Budgets
Outputsteuerung über Leistungen
Funktionale Arbeitsteilung
Teamorientierte Organisationsformen
Feinsteuerung über Amtshierarchie
Verfahrensherrschaft über Leistungsprozesse
Steuerung über Regelungen und Vorschriften
Führung über Ziele und kritische Erfolgsfaktoren
Dominanz der Alimentation
Dominanz des Leistungsprinzips
Betonung der Gleichbehandlung
Betonung der Wirksamkeit
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Walter A. Oechsler
Mit dem Bürokratiemodell wurde traditionale Herrschaft durch bürokratische Herrschaft, nämlich anhand transparenter überprüfbarer Regeln und Verfahren vollzogen. Das Bürokratiemodell zeichnet sich durch Rationalität in Form von Sachlichkeit und Berechenbarkeit aus. Bürokratisches Handeln ist immer an Recht und Gesetz gebunden, das heißt: erfolgt durch Steuerung über Regelungen und Vorschriften. Entsprechend werden die Aktivitäten inputgesteuert über Budgets. Das Bürokratiemodell kennt eine funktionale Arbeitsteilung und betont die Gleichbehandlung. Verantwortlichkeiten sind in einer Amtshierarchie klar geregelt. Für die Beamten dominieren die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, insbesondere die Alimentation. Das Bürokratiemodell verkörpert eine Theorie effizienter Herrschaft, die allerdings in vielen Bereichen nicht mehr zeitgemäß ist. Die Änderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu flexiblen Handlungsweisen, Kundenorientierung, Flexibilität und Partizipation haben weltweit Reformen der öffentlichen Verwaltung ausgelöst. Mit dem Konzept des New Public Management wird eine strikt ökonomische Betrachtungsweise der administrativen Führung verfolgt sowie die Wirtschaftlichkeit als permanentes Anliegen aller Mitglieder der öffentlichen Verwaltung angestrebt (vgl. Oechsler, 2003, S. 202). Im Mittelpunkt dieses Konzepts steht die Überführung bürokratischer Strukturen in Organisationen, die nach privatwirtschaftlichen Prinzipien geführt werden. Im Vergleich zu den Charakteristika des Bürokratiemodells betont das New Public Management die steuernden, Effizienz fördernden Kräfte von Markt und Wettbewerb. Insgesamt besteht das New Public Management aus einer Reihe betriebswirtschaftlicher Verfahren, die durch ein outputorientiertes Managementsystem gekennzeichnet sind. Im Vordergrund steht die Wirksamkeit öffentlichen Verwaltungshandelns, das durch Kunden-, Leistungs- und Serviceorientierung flankiert und durch ziel- und leistungsorientierte Führungssysteme realisiert werden soll. Dies führt dann zur Substitution tayloristischer Arbeitsteilung durch Teamarbeit sowie zum Übergang der Verwaltungshierarchie zur flachen Organisation. Prozessorientierte Sichtweisen zur ganzheitlichen Aufgabenerfüllung lösen das Prinzip der funktionalen Spezialisierung ab. Das New Public Management stellt allerdings kein geschlossenes Theoriesystem dar, sondern besteht aus einem Sammelsurium betriebswirtschaftlicher Verfahren. Diese bestehen aus traditionellen betriebswirtschaftlichen Verfahren des Rechnungswesens, zum Beispiel der Kosten- und Leistungsrechnung und auch aus Managementmethoden, die als Moden propagiert werden, wie zum Beispiel Lean Management oder Total Quality Management. Diese betriebswirtschaftlichen Verfahren werden pauschal auf öffentliche Verwaltungen übertragen, was im Einzelnen Gefahren in sich bergen kann.
Betriebswirtschaftliche Verfahren in der öffentlichen Verwaltung 2
55
Gefahren von betriebswirtschaftlichen Verfahren bei Veränderungsprozessen in der öffentlichen Verwaltung
Die im Rahmen des New Public Management zur Anwendung kommenden Verfahren sind sowohl rechnungstechnisch orientiert als auch managementorientiert (Übersicht 2). Übersicht 2: Betriebswirtschaftliche Verfahren in der öffentlichen Verwaltung Rechnungstechnisch orientierte Verfahren Haushaltsmanagementsysteme Budgetierungssysteme Kosten- und Leistungsrechnung Controlling etc.
Managementorientierte Verfahren Lean Management Total Quality Management Management by Objectives Empowerment etc.
Die mit diesen betriebswirtschaftlichen Verfahren grundsätzlich verbundenen Gefahren bestehen darin, dass sie als generell anwendbare Techniken propagiert werden und auch in ihrer Anwendung und Ausgestaltung weder normiert noch standardisiert, sondern unverbindlich sind. Beide Verfahrensgruppen, vor allem aber die managementorientierten Verfahren haben den Status von Managementmoden. Managementmoden sind hinreichend charakterisiert worden (vgl. Kieser, 1996, S. 21 ff.). Um den Status einer Mode zu erreichen, wird zum ersten ein Begriff benötigt, mit dem ein gewisser Theaterdonner verbunden ist. Total Quality Management, Business Process Reengineering oder Empowerment sind markige Begriffe, die allerdings nichtssagend und unverständlich sein müssen. Dadurch erwecken Sie Interesse und Neugier und haben Signalfunktion für das, was gerade „in“ ist. Dadurch können sie Leitbildfunktion zum Beispiel für Veränderungsprozesse erlangen. Meistens sind sie mit kühnen Versprechungen zur Erfolgswirksamkeit verbunden, mit allerdings nur sporadischen Verweisen auf die Wissenschaft. Dennoch haben solche Managementmethoden das Potenzial für soziale Bewegungen, wie es bei Total Quality Management und der damit verbundenen ISO-Zertifizierung deutlich wird (vgl. Walgenbach, 2000). Aus derartigen Managementmethoden werden auch Mythen gemacht. In aller Regel werden Managementmoden mit außergewöhnlichen Leistungen verknüpft, mit denen Erfolgsgeschichten verbunden sind. Ein solcher Mythos hat die Funktion der Rechtfertigung des Irrationalen gegenüber dem Rationalen. Damit werden Erfolgsgeschichten zu Mythen erhoben, wie zum Beispiel die mehr als hundertprozentigen Produktivitätssteigerungen, die durch Business Process Reengineering zu erreichen sind (vgl. Hammer & Champy, 1996). Die Verbreitung von Managementmoden und -mythen ist darauf zurückzuführen,
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Walter A. Oechsler
dass sie als Zuflucht für gestresste Manager dienen, weil sie ihnen die Furcht vor Kontrollverlust nehmen und das Vertrauen in die Kontrolle der Unternehmen stärken. Die Gefahren bei der Anwendung betriebswirtschaftlicher Verfahren sind in folgenden Punkten begründet (Übersicht 3): Übersicht 3: Gefahren betriebswirtschaftlicher Verfahren Simplifizierend:
Managementmoden reduzieren Komplexität
Teuer:
Einsatz von Beratern
Universell:
Allgemeiner Geltungsanspruch
Praktisch:
Fehlende wissenschaftliche (empirische) Fundierung
Ideologisch:
Rechtfertigungsrhetorik für Reorganisationsprozesse
Denkfaul:
Vorgefertigte Paketlösungen
Betriebswirtschaftliche Verfahren sind immer simplifizierend. Sie reduzieren reale Komplexität auf wenige vordergründige Probleme, die mit einer bestimmten Technik oder Mode lösbar sein sollen. Die Verfahren werden vor allem von Beratern propagiert. Deshalb sind sie teuer, weil der Einsatz von Beratern untrennbar damit verbunden ist. Die Verfahren haben einen universellen Geltungsanspruch. Anwendungsbedingungen und Kontexte werden nicht reflektiert. Das Verfahren beziehungsweise die Mode ist „in“ und kann überall angewandt werden. Die Verfahren haben auch eine ideologische Funktion, indem sie als Rechtfertigungsrhetorik beispielsweise für Reorganisationsprozesse dienen. Schließlich begünstigen sie Denkfaulheit, indem sie vorgefertigte Paketlösungen zum Konsum anbieten. 3
Risiken und Nebenwirkungen von betriebswirtschaftlichen Verfahren am Beispiel der neuen Steuerungsinstrumente (NSI) in BadenWürttemberg
Im Folgenden soll am Beispiel der neuen Steuerungsinstrumente in BadenWürttemberg gezeigt werden, wie sich die genannten Gefahren in konkrete Risiken und Nebenwirkungen bei der praktischen Anwendung umsetzen. New Public Management wird in der öffentlichen Verwaltung oft mit neuen Steuerungsmodellen oder neuen Steuerungsinstrumenten umschrieben. Diese von der Bundesverwaltung ausgehende Bewegung hat auch in den Ländern ihren Niederschlag gefunden. Dabei ist festzustellen, dass vor allem die Juristen die Architekten solcher Verwaltungsreformen sind. Diese sind fasziniert von den betriebswirtschaftlichen Verfahren und greifen ohne Hemmungen in die betriebswirtschaftli-
Betriebswirtschaftliche Verfahren in der öffentlichen Verwaltung
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che Folterkiste mit Techniken, Moden und Mythen. Fatal ist dabei allerdings die fehlende Kompetenz für Anwendungs-, Wirkungs- und Folgeeinschätzungen dieser Verfahren. Der Rechnungshof hat in Baden-Württemberg die Risiken und unkontrollierten Wirkungen betriebswirtschaftlicher Verfahren dokumentiert, die aus der unreflektierten Übernahme entstanden sind (vgl. Rechnungshof BadenWürttemberg, 2007). In Baden-Württemberg wurden im Rahmen der neuen Steuerungsinstrumente flächendeckend die folgenden betriebswirtschaftlichen Verfahren eingeführt:
Haushaltsmanagementsysteme Dezentrale Budgetierung SAP-Einführung Kosten- und Leistungsrechnung Controlling Zielvereinbarungen Anreizsysteme.
Im Bericht des Rechnungshofes wurden lediglich die Haushaltmanagementsysteme und die damit verbundene dezentrale Budgetierung als erfolgreich eingestuft. Mit der SAP-Einführung und der Kosten- und Leistungsrechnung waren sehr hohe Kosten verbunden, wobei letztere Effizienz- und Effektivitätsdefizite aufweist. Auch Controlling, Zielvereinbarungen und Anreizsysteme wurden nur zögerlich umgesetzt. Die folgende Übersicht 4 gibt einen Einblick in die Implementierung und den Projektverlauf der neueren Steuerungsinstrumente. Übersicht 4: Meilensteine und Projektverlauf (Rechnungshof Baden-Württemberg, 2007, S. 9). 03.07.1998
Ministerrat nimmt von der Grundkonzeption zur landesweiten Einführung der NSI Kenntnis. Das Finanzministerium wird beauftragt, auf Basis der Grundkonzeption einen EU-weiten Teilnahmewettbewerb durchzuführen, dem sich ein Verhandlungsverfahren anschließen sollte.
01.09.1998
Errichtung der Stabsstelle NeStUL im Finanzministerium und des Bereiches Landescontrolling der StaV im Innenministerium zur strategischen Projektsteuerung.
03.12.1998
Konstituierung eines Lenkungsausschusses zur Unterstützung des Gesamtprojekts. Darin waren alle Ressorts sowie der Rechnungshof vertreten.
22.11.1999
Ministerrat beschließt auf Grundlage der Kabinettsvorlage des Finanzministeriums vom 17.11.1999 die flächendeckende Einführung der neuen Steuerungsinstrumente in der Landesverwaltung. Ein Generalunternehmer wurde nach der EU-weiten Ausschreibung mit der Projektdurchführung beauftragt.
17.01.2000
Projektstart der Konzeptionsphase.
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Walter A. Oechsler
Fortsetzung von Übersicht 4: Kosten- und Leistungsrechnung 17.02.2000
Bildung von sogenannten Kopfstellen in den Ressorts und Einrichtung eines „NSI-Jour-fixe“ zur Unterstützung des Lenkungsausschusses.
17.02.2000
Bildung von sog. Kopfstellen in den Ressorts und Einrichtung eines „NSI-Jour-fixe“ zur Unterstützung des Lenkungsausschusses.
29.06.2000
Konstituierung eines „Parlamentarischen Beirats“.
12.12.2000
Beschluss des Ministerrats über die Fortführung des NSI-Projekts
28.02.2001
Abschluss der Konzeptionsphase (Phase 1)
08.05.2001
Beschluss des Ministerrats über den Eintritt in die Umsetzungsphase.
20.09.2001
Einsetzung eines Unterausschusses „Neue Steuerungsinstrumente“ des Finanzausschusses als Fortsetzungsgremium des Parlamentarischen Beirats der 12. Legislaturperiode.
30.11.2001
Einführung Funktionsumfang I (Haushaltsmanagementsystem einschließlich Anlagenbuchhaltung, Kostenarten- und vereinfachte Kostenstellenrechnung) abgeschlossen.
25.03.2003
Ministerpräsident verkündigt die Eckpunkte der Verwaltungsstrukturreform.
30.04.2004
Einführung Funktionsumfang II (Kostenträgerrechnung, vertiefte Kostenstellenrechnung) abgeschlossen; Abschluss der Projektphase.
Die Projektierung wurde durch einen „Generalunternehmer“ durchgeführt, der auch dezentral weitere Berater eingesetzt hat. Die Abbildung 1 zeigt das Presseecho des bisherigen Projektverlaufs vom Ministerratsbeschluss 1999 zur Einführung der NSI bis zum Kommentar der FAZ im Jahre 2007 „Geldverschwendung durch Betriebswirtschaft“. Dazwischen kamen erste Zweifel über den Erfolg auf „Nach dem Größenwahn droht ein Millionengrab“, die vom Finanzminister beschwichtigt wurden: „NSI wird nicht schief gehen“. Doch spätestens mit dem Ruf nach dem Rechnungshof und dessen ersten Verlautbarungen kippte auch die öffentliche Meinung und die Millionenpleite wurde als „empörend“ und als „Flop“ empfunden. Der Rechnungshof Baden-Württemberg (2007) stellt die folgende Zwischenbilanz der Einführung von NSI auf (Übersicht 5). Übersicht 5: Zwischenbilanz der Einführung von NSI Erste Zwischenbilanz der Einführung von NSI – Rechnungshof BaWü Einführungsaufwand bis 2005: 220 Mio. € Laufende Kosten: 30 Mio. € „Bisher stehen dem Einführungsaufwand jedoch keine nennenswerten Einsparungen an Personal- und Sachkosten gegenüber.“
Betriebswirtschaftliche Verfahren in der öffentlichen Verwaltung
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Fortsetzung Übersicht 5 „Die Prüfungsergebnisse sind ernüchternd. Sie haben gezeigt, dass die Instrumente der Neuen Steuerung zwar weitgehend eingeführt sind, aber abgesehen vom Haushaltsmanagementsystem bisher kaum positive Wirkung in Bezug auf die Effektivität und Effizienz der Landesverwaltung entfalten.“ Durch die Verlagerung der Verantwortung für operative Aufgaben auf untere Ebenen ist eine strategische Gesamtsteuerung nicht mehr möglich. Weitgehend fehlt die Akzeptanz für die NSI bei den Bediensteten der Landesverwaltung. Die aus der Kosten- und Leistungsrechnung gewonnenen Daten werden kaum für die Steuerung der Verwaltung eingesetzt. „Die entscheidende Kraft zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit in der freien Wirtschaft, nämlich der sich aus dem Markt ergebende Wettbewerb, kann im öffentlichen Bereich seine Wirkung nicht entfalten.“ „Nach den Ergebnissen der umfassenden Untersuchung des Projektes ist eine unveränderte Weiterführung der NSI in der Landesverwaltung nicht vertretbar.“
Um diese ernüchternde Bilanz des Rechnungshofes zu belegen, soll ein Beispiel herausgegriffen werden, nämlich die Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung. Kosten- und Leistungsrechnung stellt in privatwirtschaftlichen Unternehmen eine unverzichtbare Technik des Rechnungswesens dar, die vor allem der Wirtschaftlichkeitskontrolle, Gewinnermittlung und der Preiskalkulation dient (vgl. Gabele & Oechsler, 1985). Die klassische Vollkostenrechnung wurde flächendeckend in der baden-württembergischen Landesverwaltung eingeführt. Sie hat folgende Bestandteile: Im Modul SAP-CO werden die für KLR relevanten Finanzbuchhaltungskonten (Aufwände und Erträge) abgebildet. Erfassung von kalkulatorischen Mieten und kalkulatorischen Abschreibungen Verrechnung aller Erlöse und Kosten im Sinne einer Volkskostenrechnung auf die Kostenträger Kostenträger stellen das Leistungsergebnis der Verwaltung dar: - Fachprodukte = Leistungen, die an Empfänger außerhalb der Verwaltung gehen - Querschnittsprodukte = Empfänger innerhalb der Verwaltung. Die unterschiedlichen Anwendungskontexte wurden dabei nicht reflektiert. So wäre als erster Schritt zu prüfen, ob die Rechnungsziele – Wirtschaftlichkeitskontrolle, Gewinnermittlung und Preiskalkulation – für die jeweilige öffentliche Verwaltung relevant sind. Am Beispiel von Universitäten lässt sich zeigen, dass diese Rechnungsziele völlig irrelevant sind. In den Universitäten werden beispielsweise alle Kostenarten erfasst (Personal-, Materialkosten etc.). Diese Kostenarten werden auf Kostenstellen umgelegt (wie Lehrstühle). Dabei stellt sich vor allem das Problem der Verteilung und Schlüsselung von Gemeinkosten (wie Kosten der Verwaltung). Schließlich werden die Kosten auf die Kostenträger (z. B. Studierende und sogenannte Querschnittsprodukte) umgelegt. Bei allen
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Walter A. Oechsler
Kosten in Mio.
„Geldverschwendung durch Betriebswirtschaft“
200 „Empörend; Millionenpleite NSI“
„Leistungskontrolle für Verwaltung erweist sich als Flop; Rechnungshof: Regierung setzt mit neuen Steuerungsinstrumenten Millionen in den Sand“
"Steuergeld vergeudet"; Rechnungshof soll NSI prüfen Finanzminister Gerhard Stratthaus: „NSI wird nicht schief gehen„
„Bundesinnenminister stellt Programm zur Modernisierung der Behörden vor“ „Ministerratsbeschluss in BaWü“
„Nach dem Größenwahn droht ein Millionengrab“
100 1999
2003
2006
2007
Abbildung 1: Presseprotokoll des Projektverlaufs diesen Teilsystemen der Vollkostenrechnung hätte geprüft werden müssen, inwieweit die generierten Informationen Steuerungsrelevanz besitzen. Macht es beispielsweise Sinn, die Wirtschaftlichkeit von Lehrstühlen zu überprüfen? Mit einem quantitativen System macht es bestimmt keinen Sinn, denn wenn zum Beispiel ein Lehrstuhl ein hochschuldidaktisches Experiment durchführt und damit in der Kostenstruktur schlechter liegt als ein anderer Lehrstuhl, können aus
Betriebswirtschaftliche Verfahren in der öffentlichen Verwaltung
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diesen rein quantitativen Vergleichen keine steuerungsrelevanten Schlüsse gezogen werden. Gewinnermittlung scheidet als Rechnungsziel ebenso aus wie Preiskalkulation, denn in Universitäten wird Bildung vermittelt und kein Gewinn erzielt. Auch werden Studierende nach ihrem Abschluss nicht verkauft, so dass man deren Preisuntergrenze bestimmen müsste. Dennoch wurden die Hochschulleitungen in den Systemen der Vollkostenrechnung geschult, wobei die für Universitäten sinnvolle Prozesskostenrechnung nicht Bestandteil der Schulung war. Über die Prozesskostenrechnung könnten interessante Vergleiche über die Kostenstruktur von Prozessen, zum Beispiel der Lehre (Vorbereitungs-, Durchführungs- und Prüfungsphase), gewonnen werden. Dieses Beispiel belegt deutlich, dass sich die „Väter“ der Reform in Systemen der Kosten- und Leistungsrechnung nicht auskennen und auch keine Ahnung vom Anwendungskontext haben. Mit der Einführung der Vollkostenrechnung ist zudem das Schaffen einer neuen Bürokratie verbunden, die für das Beispiel von Universitäten aus einer Produktion von Datenmassen besteht, die kaum Steuerungsrelevanz haben. Es werden neue Datenfriedhöfe produziert, zum Beispiel, indem die Kosten von Querschnittsprodukten berechnet werden. Querschnittsprodukte sind verwaltungsinterne Leistungen (wie die Kosten für die Einstellung von Angestellten), die keine Steuerungsrelevanz besitzen. Anhand dieses Beispiels lassen sich die Ergebnisse der Analyse des Rechnungshofes, vor allem die negativen Effekte, eindrucksvoll belegen. Der Rechnungshof kommt zu folgendem Schluss (Übersicht 6): Übersicht 6: Mitteilung des Rechnungshofes Baden-Württemberg vom 29.03.2007 „Der Rechnungshof unterstützt nach wie vor die Bemühungen der Landesregierung, die Leistungen der Landesverwaltung mit betriebswirtschaftlichen Instrumenten effektiver und effizienter zu gestalten. Statt kritikloser Übernahme modernistisch formulierter Beraterklischees sei aber handfestes, solides Ermitteln des tatsächlichen Bedarfs an Steuerungskennzahlen angesagt.“
Aufgrund der fehlenden Reflexion des Anwendungskontextes kann festgestellt werden, dass sich NSI zu einer Geldvernichtungsmaschine entwickelt hat (Abbildung 2).
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Walter A. Oechsler 220 Mio. € Einführungsaufwand
€
30 Mio. € laufende Kosten pro Jahr 5 Mio. € Ausgaben für externe Berater jährlich
€
Keine Deckung der laufenden Kosten
€ €
NSI
Keine Refinanzierung des Einführungsaufwandes Stellenaufbau statt -abbau Fehlende Effektivität der Instrumente
Datenfriedhöfe
Keine Akzeptanz
Abbildung 2: Anatomie einer Geldvernichtungsmaschine 4
Wie schützt man sich vor den Gefahren betriebswirtschaftlicher Verfahren?
Vor den dargestellten Effizienz- und Effektivitätsverlusten schützt die folgende einfache Handlungsanleitung (Übersicht 7): Übersicht 7: Gefahrenabwehr
Gelassenheit, wenn Panik ausbricht Kritisches Hinterfragen der Konzepte o alter Wein in neuen Schläuchen? o wissenschaftliche Fundierung? o Was sind die propagierten Ziele? o Passen die Instrumente zur Lösung der Probleme? o Verspricht der Anwendungskontext erfolgreiche Implementierung? Punktuelles Austesten der Konzepte Es gibt kein „one size fits all“!
Wichtig ist, Gelassenheit zu zeigen, wenn Panik ausbricht. Panik wird in aller Regel von den Machern betriebswirtschaftlicher Verfahren inszeniert. Dagegen helfen ein kühler Kopf und gesunder Menschenverstand. Die Konzepte sollten kritisch hinterfragt werden. Handelt es sich um alten Wein in neuen Schläuchen? Wie steht es um die wissenschaftliche Fundierung? Was sind die propagierten Ziele? Passen die Instrumente zur Lösung der Probleme und verspricht der Anwendungskontext eine erfolgreiche Implementierung? Mit Blick auf das Beispiel der Anwendung Kosten- und Leistungsrechnung müsste hier geprüft werden:
Betriebswirtschaftliche Verfahren in der öffentlichen Verwaltung
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Was sind die Steuerungsziele? Welche Informationsgrundlagen bestehen bereits? Welche zusätzlichen Informationen liefert die Kosten- und Leistungsrechnung? Wie groß ist der Verfahrensaufwand? Passt das Instrument zur bestehenden Organisationskultur? Ist mit Akzeptanz bei der Implementierung zu rechnen? Sollten dann noch Zweifel an der Anwendungsrelevanz bestehen, empfiehlt sich ein punktuelles Austesten der Konzepte. Der Rechnungshof rügt mit Recht die umfassende Einführung. Es hätten die Konzepte auch erst an einigen Stellen und für einige Zweige der Verwaltung ausprobiert werden können. Die Reflexion des Anwendungskontextes wird damit zum wichtigsten Prüfstein, denn es gibt kein „one size fits all“.
Literatur Gabele, E. & Oechsler, W. A. (1985). Betriebliches Rechnungswesen – Buchführung, Jahresabschluss, Kosten- und Leistungsrechnung (3 Bände: Arbeitsbuch, Klausuren, Lösungen). Bamberg: Bayerische Verlagsanstalt. Hammer, M. & Champy, J. (1996). Business Reengineering (6. Aufl.). Frankfurt: Campus. Kieser, A. (1996). Moden und Mythen des Organisierens. Die Betriebswirtschaft, 1, 21-40. Oechsler, W. A. (2003). Stand und Entwicklungstendenzen einer Reorganisation des Personalmanagement. In R. Koch & P. Conrad (Hrsg.), New Public Sector – Öffentlicher Dienst als Motor der Staats- und Verwaltungsmodernisierung (S. 199-217). Wiesbaden: Gabler. Rechnungshof Baden-Württemberg (2007). Beratende Äußerung nach § 88 Absatz 2 Landeshaushaltsordnung, In: Wirtschaftlichkeit des Projekts NSI in der Landesverwaltung, Az.: IV-2000 W 20–04.70, März 2007. Verfügbar unter: http://www.rechnungshof.baden-württemberg.de/inhalt/frame.htm [23.11.2007]. Walgenbach, P. (2000). Die normgerechte Organisation – Eine Studie über die Entstehung, Verbreitung und Nutzung der DIN EN ISO 9000er Normenreihe. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
Verwaltungsmodernisierung in Deutschland – ohne Folgen für eine zeitgemäße Organisationsgestaltung? Rudolf Fisch Seit Anfang der 1990er Jahre mehren sich im öffentlichen Sektor intensive wie extensive Modernisierungsversuche. Sie zählen zu den evolutionären Veränderungsprozessen der deutschen öffentlichen Verwaltung, so wie es ein evolutionärer Prozess war, der zu ihrer Herausbildung seit Mitte des 19. Jahrhunderts geführt hat. Gleichzeitig gibt es Anzeichen, dass es mit einer reinen Fortschreibung der bisherigen Organisationsgestalt für die Verwaltung nicht getan ist. Staat und Verwaltung müssen wohl mit einem veränderten Organisationsform1 auf die qualitativen Sprünge in der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung in ihrem Umfeld reagieren, etwa in Analogie zu einem Zustand nach einer Mutation. Verwaltungen sollten sich neu formieren und sich an den geänderten Gegebenheiten ausrichten. Für das Weitere sei vorausgeschickt: Es wird um der Klarheit willen vereinfacht. Akzentuierte Tendenzaussagen sollen Kernsachverhalte deutlich werden lassen. Hinter den Aussagen stehen 25 Jahre Beobachtungen des Autors von Wandlungsprozessen in der öffentlichen Verwaltung und in großen Unternehmen. Es wird von dem Durchgängigen, von grundlegenden Tendenzen, dem Allgemeinen in der öffentlichen Verwaltung gesprochen. Der spezifische Anspruch der Sozialwissenschaften, zu differenzieren, kann im Weiteren nur punktuell eingelöst werden. Die hier vorgestellten Überlegungen und Ergebnisse lassen sich nach den Erfahrungen des Autors sinngemäß auch auf größere Unternehmen oder Einrichtungen des intermediären Sektors, zum Beispiel Wohlfahrtseinrichtungen, übertragen. Der Begriff Verwaltung steht für eine Vielfalt von Behörden und staatlichen oder kommunalen Einrichtungen. Es ist nur deshalb erlaubt, von „der“ Verwaltung zu sprechen, weil Verwaltung eine legalistisch geprägte Institution ist, deren Strukturen und Abläufe durch ein relativ einheitliches Regelwerk bestimmt sind (vgl. das Kapitel von Bull in diesem Band).
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Allgemein zu dem Thema: Banner & Gagné (1994), Bea & Göbel (2000), Grochla (1982/1995), Hedberg (1981).
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Rudolf Fisch
Mit thesenhaften Aussagen soll kritisch-pragmatisches Nachdenken für einen intensiven Dialog über zeitgemäße und zukunftsfähige Organisationsform für die anstehenden Verwaltungsaufgaben in verschiedenen Bereichen angeregt werden. Dieser Dialog sollte mit hochrangigen Verwaltungsfachleuten, mit Politikern mit Positionsmacht an der Schnittstelle von Politik und Verwaltung sowie mit Fachvertretern der Verwaltungswissenschaft geführt werden und wäre demnach ein „Trialog“. Es ist wohl an der Zeit, die Konsequenzen oder Wirkungen zahlreicher begrenzter Veränderungen in der Vergangenheit zum Beispiel im Hinblick auf ihre Passungen zur bestehenden Organisationsform kritisch-pragmatisch zu bedenken, um dann eine Organisationsform für eine noch leistungsfähigere und vor allem zukunftsfähige Verwaltung zu entwickeln und zu erproben. Immerhin ist die Grundform der deutschen Verwaltung rund 160 Jahre alt und verdiente jetzt eine Überarbeitung, um das Land zukunftsfähig zu erhalten. 1
Reformen als Daueraufgabe für Staat und Verwaltung
Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland kommt in allen Regierungserklärungen einer neuen deutschen Bundesregierung die Aussage, dass die immer größer gewordene Verwaltung zu reformieren sei. Natürlich kündigte auch die gegenwärtige Bundesregierung (2005-2009) umfassende Innovationen der staatlichen Verwaltung an. Ähnliches verlautbaren, zumindest in den letzten 20 Jahren, jeweils die Regierungserklärungen neuer deutscher Landesregierungen. Andere Nationen tun Ähnliches, zum Beispiel: Seit Ende des zweiten Weltkriegs haben alle amerikanischen Präsidenten bei ihrem Amtsantritt angekündigt, es müsse „Public Sector Reforms“ geben. Vizepräsident Al Gore zum Beispiel stand für umfassende, viel beachtete Reformansätze. Als in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in England Margret Thatcher ihr Amt als Prime Minister antrat, hat sie eine an die Wurzeln gehende Reform der englischen Verwaltung angekündigt – und in ihrer Amtszeit weitgehend umgesetzt. Allerdings werden heute viele in ihrer Regierungszeit erfolgte Reformen von den Folgen her kritisch beurteilt und zum Teil schrittweise wieder zurückgenommen. Da zentrale Themen der Verwaltungsmodernisierung auch in der länger zurückliegenden Vergangenheit immer wieder in der öffentlichen wie in der wissenschaftlichen Debatte auftauchten, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um Daueraufgaben bei der nachführenden Modernisierung von Verwaltungen handelt. Es kann aber auch heißen, dass die Ziele, die jeweils mit den angekündigten Reformen angestrebt wurden, nicht in dem Maße erreicht wurden, wie es die Absichtserklärungen zu vermitteln versuchten. Immerhin sind grundlegende Organisationsänderungen schwierig, langwierig und nicht durch schlichte oder vollmundige Verlautbarungen bereits umgesetzt. Dafür gibt es viele gute
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Gründe, über die im Kapitel von Frey in diesem Band ausführlicher berichtet wird. Ein möglicher Grund ist, dass Regierende sich immer schon sehr schwer getan haben, wenn sie versuchten, gegen ihren Beamtenapparat zu reformieren – und das müssen sie im Regelfall tun. Dass die Problematik der Staats- und Verwaltungsmodernisierung schon länger bekannt ist, zeigt folgendes Zitat aus Niccolò Machiavellis ‚Der Fürst’: „Stets gilt es zu bedenken, dass nichts schwieriger durchzuführen, nichts von zweifelhafteren Erfolgsaussichten begleitet und nichts gefährlicher zu handhaben ist als eine Neuordnung der Dinge.“ Aber: Immer wieder kommen Menschen auf den Gedanken: Reformen müssen sein! Innovationen müssen her! Stammen solche Vorstellungen aus einer vorwiegend vom Zeitgeist geprägten Sicht der Realität? Immerhin gibt es die Antworten älterer Bedienstete auf so manchen Innovationsversuch, insbesondere in Verwaltungen: „Das geht wieder vorbei!“ oder: „Man kann es tun, aber auch lassen, es geht auch so!“ In der Tat hat die deutsche Verwaltung in den rund 150 Jahren ihrer Existenz unterschiedlichste Regierungsformen und Belastungen, zum Beispiel durch Reformen, Wirtschaftskrisen und Kriege, relativ unbeschadet überstanden. Die deutsche Verwaltung ist demnach eine äußerst stabile gesellschaftliche Einrichtung, gemessen zum Beispiel an Industrie- und Wirtschaftsunternehmen, die, mit wenigen Ausnahmen, im Durchschnitt viel kürzere Lebenszyklen aufweisen. Aber es wird im Weiteren gezeigt, auch in den anderen Kapiteln dieses Buchs, dass an einem neuen Schub von Veränderungen in den Verwaltungen kein Weg vorbei führen dürfte. 2
Veränderung ist notwendig, doch wohin soll es gehen?
Denn das gesellschaftliche und wirtschaftliche Umfeld der Verwaltungen hat sich in der Vergangenheit fortlaufend, manchmal in Sprüngen, gewandelt. Wenn sich das Umfeld oder die Rahmenbedingungen ändern, so ist die Annahme, wird ein Druck auf die Verwaltungen entstehen, adäquat auf diese Änderungen durch internen Wandel zu reagieren. In der Tat haben sich in der jüngeren Vergangenheit mehrere Rahmenbedingungen mit Bedeutung für Staat und Verwaltung grundlegend geändert. Beispiele sind: Die demographische Entwicklung führt zu einer alternden Gesellschaft. Das Verhältnis von Bürgern zum Staat und zur Verwaltung hat sich deutlich gewandelt, besonders nach der deutschen Vereinigung. Die Globalisierung der Wirtschaft hat Folgen für Staat und Verwaltung. Es wurde zu einer immer größer und bedeutsamer werdenden Aufgabe, die innere Sicherheit zu gewährleisten.
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Die öffentlichen Haushalte sind überschuldet. Kommunen, Länder und der Bund müssen die laufenden Ausgaben senken mit der Folge, dass die politische Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist. Wir leben also schon seit längerem nicht mehr in konstanten Verhältnissen, sondern in Entwicklungen. Die Schlussfolgerung ist: Moderne Verwaltungen müssten Abschied nehmen von dem bisherigen, prägenden Gedanken, Verwaltungsführung sei einfache Steuerung und Regelung entlang politischer, finanzieller und rechtlicher Steuerungsvorgaben, umgesetzt mittels interner Rationalität in den Behörden. Das ist bekanntermaßen die offizielle Sichtweise vom Verwalten (siehe dazu die Kapitel von Bull und von Böhret in diesem Band). Was müsste an deren Stelle treten? Die erste Antwort lautet: Unser Leben und unsere Wohlfahrt hängen unter anderem von einer gut funktionierenden Wirtschaft ab. Eine florierende Wirtschaft braucht als Rückgrat und Infrastruktur einen hoch leistungsfähigen, gut arbeitenden, unterstützenden Staats- und Verwaltungsapparat2. Gleichzeitig muss sich diese Verwaltung am Gemeinwohl orientieren, korruptionsarm arbeiten und eine hinreichende Unabhängigkeit bewahren. In einer aufgabenorientierten, flexiblen Verwaltungsorganisation wird unter anderem darauf zu achten sein, dass die beabsichtigten Wirkungen der Verwaltungsarbeit auch tatsächlich eintreten und nicht intendierte Nebenwirkungen unter Kontrolle gehalten und gegebenenfalls korrigiert werden. Solche Vorstellungen haben in den 1990er Jahren die Herausbildung eines neuen Konzepts von Verwaltung begünstigt, „Neues Steuerungsmodell“ (NSM)3 oder „Neue Steuerungsinstrumente“ (NSI) genannt. Elemente des Neuen Steuerungsmodells sind: Managerialisierung der Verwaltung (für eine kritische Betrachtung vgl. König & Reichard, 2007), zum Beispiel durch Einführung der Doppik oder der Kosten- und Leistungsrechnung, Orientierung an Ergebnissen („Outputsteuerung“), Zielvereinbarungen, Definition von Produkten oder quantifizierbare Leistungen, Qualitätsmanagement, Controlling und Berichtswesen. Im weiteren Sinne gehören dazu auch die Externalisierung der Leistungserbringung und Privatisierung bisher staatlicher Aufgaben wie staatliches Bauen, das Betreiben von Schulen und Universitäten. Dafür wurden unter anderem die Gesellschaftsformen des Landesbetriebs oder der Stiftungen 2
3
Zum Beispiel, wenn sie als Ordnungsverwaltung für den Bau und Betrieb von emittierenden Industrieanlagen Genehmigungen erteilen soll, oder wenn die staatliche Verwaltung für den Bau und den Unterhalt von Infrastruktur in Form von Verkehrswegen sorgt. Der wesentliche Motor für diese Entwicklung war und ist die vormals so genannte „Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmodernisierung in Köln“ (KGSt), heute Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement, eine Einrichtung des Deutschen Städtetages. Die Grundlage des NSM stammt aus den Niederlanden und ist als „Tilburger Modell“ bekannt geworden.
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weiterentwickelt. Die dort Leitenden und Beschäftigten sind nicht mehr zwingend Beamte, sondern angestellte Manager, oftmals mit fünf-Jahres-Verträgen. (Für eine Darstellung der Neuen Steuerung auf kommunaler Ebene und ihre Erfolge siehe das Kapitel von Bogumil in diesem Band. Für eine kritische Sicht auf die Einführung der Neuen Steuerungsinstrumente in den Ländern siehe das Kapitel von Oechsler in diesem Band.) Das Neue Steuerungsmodell hat sich auch unter dem Begriff einer wirkungsorientierten Verwaltung im deutschsprachigen Raum eingebürgert. Wirkungsorientiert bedeutet unter anderem, dass man als Verwaltung noch weiter denkt als vorwiegend in Termini von informationell und rechtlich abgesicherter Vorgangsbearbeitung und mehr Aktivität entfaltet als Verwaltungsakte bei der Abarbeitung von Vorgängen zu vollziehen, welche durch unterschiedliche Akteure als Antrag oder sogenannter politischer Wille an eine Verwaltung herangetragen werden. Die deutsche Verwaltung hat in den kommenden Jahren in diesen Hinsichten noch ein Stück des Weges zurückzulegen. Die Schweiz und vor allem Österreich scheinen in der Umsetzung dieses neuen Verständnisses von Verwaltung und Verwalten sehr viel weiter zu sein (vgl. das Kapitel von Thom & Alfes in diesem Band). Zur wirkungsorientierten Verwaltung gehört unter anderem eine Mentalitätserweiterung der Verwaltungsmitarbeiter, zum Beispiel, dass man jenseits Pflichterfüllung und hoheitlichen Handelns noch stärker den Dienstleistungsgedanken akzentuiert sowie vermehrt die Wirkungen des Verwaltungshandelns bedenkt und sie in die Handlungsplanung vorausschauend einbezieht. Dazu gehören auch die Auseinandersetzung mit systematischen Rückmeldungen über die Art und Weise, wie bestimmte Verwaltungsentscheidungen und Verwaltungshandlungen bei ihren Adressaten und allgemein außerhalb der Verwaltung wirken und was wohl andere dazu bewegt, immer wieder dringlich eine Veränderung der Verwaltung zu verlangen4. So wird beispielsweise in der Sicht von vielen Unternehmen eine übermäßige, wenig serviceorientierte Bürokratie mit ihren Gesetzen und Vorschriften als nicht nachvollziehbare Belastung ihrer Arbeit empfunden. 3
Es hat sich schon einiges verändert
Die Modernisierungen betreffen alle drei Ebenen von Staat und Verwaltung in Deutschland gleichermaßen: den Bund, die Länder und die Kommunen (für eine 4
Das Mittelstandsbarometer 2007, erstellt aus den Ergebnissen einer Umfrage der Beratungsfirma Ernst & Young, sagt unter anderem aus, dass für 65 % der Unternehmer ein umfassender Bürokratieabbau und schnellere Genehmigungsverfahren wichtige Maßnahmen seien, um den Mittelstand in Deutschland zu stärken.
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Übersicht vgl. z. B. Voigt & Walkenhaus, 2005). Allerdings ist das Ausmaß der Veränderungen oder Innovationen in den drei Ebenen unterschiedlich, über das an dieser Stelle nur beispielhaft berichtet werden kann. Bei der Bundesverwaltung war man bisher eher vorsichtig mit Modernisierungen, auch bei der Adaptation des NSM, und konzentrierte sich vor allem auf die Nutzung der neuen Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechniken, heute zu einem einheitlichen Konzept als „E-Government“ zusammengefasst. Allerdings wurden in der Vergangenheit auch Programme namens „schlanker Staat“, „aktivierender Staat“ oder „moderner Staat“ aufgelegt. Hierbei geht es vor allem um die Optimierungen der Binnenorganisation in den Bundesverwaltungen und dies vor allem mittels IT-Lösungen. Das Regierungsprogramm „Zukunftsorientierte Verwaltung durch Innovation“ der laufenden Legislaturperiode (2005-2009) betreibt punktuelle binnenorganisatorische Verbesserungen. Das Aktionsprogramm „Bürokratieabbau und bessere Rechtssetzung“ (Bundesministerium des Innern, 2006a) nimmt die jahrelange Kritik an der immer größer gewordenen Bürokratie auf (Bull, 2005; Oschatz, 2003; Schorlemer, 2006), setzt aber auch Anregungen und erfolgreiche Modelle aus dem europäischen Ausland um (Wollmann & Schröter, 2000). Eine mittlere Position in den Veränderungsaktivitäten belegen die Länder, bei denen in jüngster Zeit einige großflächige Veränderungen wie die Abschaffung der Regierungspräsidien als Mittelinstanz (zum Beispiel in Niedersachsen) besonderes Aufsehen erregt haben. Bei solchen großen und weitreichenden Veränderungen könnte im Sinne eines geplanten Wandels erwartet werden, dass vorher systematische Organisationsanalysen stattfinden und neue Konzepte für die Neuorganisation erörtert und abgewogen werden. Bemerkenswerter Weise wurde darauf weitgehend verzichtet, möglicherweise aus politisch bedingtem Zeitdruck. Vielmehr wurde schlagartig mit umfassenden Veränderungen begonnen. Bei der Abschaffung von Regierungspräsidien handelt es sich um eine politisch gewollte Veränderung des administrativen Systems. Die Veränderung muss, aus Sicht der Politik, in einer Legislaturperiode angefangen, durchgeführt und zu Ende gebracht werden. So zu handeln kann, aber muss angesichts der sehr großen Aufgabe nicht gut gehen. Einige Länder, die ohne erkennbare Untersuchung der Passfähigkeit und vor allem ohne Gesetzesänderungen im Verwaltungsbereich versucht haben, die zentralen Gedanken des “Neuen Steuerungsmodells“ zu adaptieren, wie zum Beispiel Baden-Württemberg seit 1999 mit den „Neuen Steuerungsinstrumenten“, sind mit diesem Vorgehen in diffizile Lagen geraten (mehr dazu im Kapitel von Oechsler in diesem Band). Eine aktuelle Übersicht über das, was an Modernisierungen in den Ländern und in der Bundesverwaltung bisher erfolgt ist, liefern Brenski und Liebig
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(2007). Ihre Informationsbasis besteht aus Berichten, Materialien und Erfahrungen über Reformbemühungen in allen 16 Ländern und im Bund. Die Informationen – sie kommen auf freiwilliger Basis laufend herein – werden bei der Wissenschaftlichen Informations- und Transferstelle für Verwaltungsmodernisierung in den Ländern (WIDUT) am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer gesammelt und ausgewertet. Die Ergebnisse werden in regelmäßigen Abständen in Fachkonferenzen kritisch gesichtet oder in Übersichten publiziert. Die bei WIDUT dokumentierten Modernisierungsmaßnahmen befassten sich unter anderem mit der Neugliederung und Straffung der staatlichen Verwaltungsorganisation, zum Beispiel durch den Abbau von Hierarchieebenen oder die Beseitigung von Verwaltungsebenen, Neugliederungen oder Abschaffung der Mittelebene (Bezirksregierungen), Zusammenlegung von Behörden, interner Umbau von Behörden. Veränderungen der Arbeitsabläufe oder Geschäftsprozesse vielfältiger Art. Deregulierung, im Wesentlichen als Vorschriftenreduktion. Einführung von Gesetzesfolgenabschätzung auf Landes- und Bundesebene. Einführung von sogenannten neuen Steuerungsinstrumenten und damit verbunden eine Managerialisierung der Verwaltung. Analyse der finanziellen Lasten infolge des Bürokratieaufwands auf Seiten der Wirtschaft. Bis zum Mai 2007 wurden 1977 Dokumente gelistet zu den Oberthemen: Aufgabenumbau, Neue Steuerung, Organisation, Personal, Regelungsoptimierung und Verwaltungspolitik. Den größten Anteil mit 578 Dokumenten hat das Oberthema „Neue Steuerung“. Das Neue Steuerungsmodell und die Erfahrungen damit waren demnach in den letzten Jahren ein viel erörtertes Thema. Am weitesten fortgeschritten ist die Verwaltungsmodernisierung in den Kommunen, also dort, wo der Kontakt zu Bürgern und zur Wirtschaft am engsten ist. Hier spielte und spielt das „Neues Steuerungsmodell“ und die daraus entstandenen weitergehenden Modernisierungsansätze eine tragende Rolle (für eine Analyse zum Stand der Dinge siehe den bilanzierenden Artikel von Kuhlmann, 2006, sowie Bogumil et al., 2007 und das Kapitel von Bogumil in diesem Band). Auf allen drei Verwaltungsebenen lässt sich ein neues Verständnis der Rolle einer Verwaltung ihren Bürgern gegenüber beobachten. Ein einschlägiger Slogan lautet: „Mehr Nähe zu Bürger und Wirtschaft“5. Man kann durchaus das neue 5
Zum Beispiel zu finden im Programm des „IT- und Organisationsforums Sachsen 2007“.
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Verständnis mit dem nun mehr als 60jährigen Bemühen um eine Demokratisierung unserer Gesellschaft in Verbindung bringen. Demokratisierung der Verwaltung bedeutet unter anderem die allmähliche Aufgabe des obrigkeitsstaatlichen Prinzips des Verwaltungshandelns, wo es möglich und angezeigt ist, und einen Rückbau von Hierarchien und hierarchischer Denk- und Arbeitsweise. Ob die Demokratisierungsbemühungen sich positiv oder negativ auf die Leistungsfähigkeit der Behörden und ihre Wirksamkeit oder auf das Verwaltungshandeln insgesamt auswirkten, ist bis jetzt kaum systematisch untersucht worden. Viele sehen solche Untersuchungen als nicht notwendig an und verweisen auf die Demokratisierung als Wert an sich, den es nicht zu „hinterfragen“ gilt. Eines ist jedoch festzustellen: Ohne diese Veränderung hätte der Service-Gedanke, der heute für viele Behörden zur Leitidee ihres Auftretens nach außen zählt, nicht so wirksam werden können. Einige Ansätze der Modernisierung haben ihre inhaltlich-konzeptionellen Wurzeln in den Reformbestrebungen der frühen 1970er Jahre und nicht erst in der jüngsten Vergangenheit, so zum Beispiel der Gedanke der „bürgernahen Verwaltung“ oder Gebietsreformen. Das ist nicht weiter verwunderlich. Denn die empirische Innovationsforschung zeigt, dass es in staatlichen Organisationen in der Regel 25 Jahre dauert, bis Veränderungsvorhaben vollständig umgesetzt sind und tragen – oder wieder aufgegeben worden sind. Insgesamt gesehen hatten die bisherigen binnenorganisatorischen Veränderungen in der Hauptsache zum Ziel, kostengünstiger, effektiver, effizienter, bürgerfreundlicher zu arbeiten; alles Anforderungen, die von außen durch Klienten, aber auch seitens der Politik, der Wirtschaft und anderer gesellschaftlichen Gruppen an Verwaltungen herangetragen werden. Alle diese Anforderungen sind Kennzeichen gut arbeitender Organisationen und finden daher auch in Verwaltungen im Grundsatz Akzeptanz. Mit der stärkeren Orientierung an den Wünschen und Vorstellungen der Adressaten ihres Handelns vollzieht sich allerdings eine Politisierung der Verwaltung. An sich ist Verwaltung auf Dauer, Langfristigkeit und Verlässlichkeit hin angelegt. Schnelle Abwicklung von Vorgängen war bisher kein Standard. Doch heute muss sich Verwaltung auch am kurzfristigen politischen Erfolg orientieren. Zeit wird damit zu einer neuen Bestimmungsgröße für das Verwaltungshandeln. Diese Neuerung müsste Rückwirkungen auf die Gestaltung interner Abläufe haben. 4
Was treibt die Modernisierung der Verwaltung voran?
Was ist es, was die Modernisierung in den Verwaltungen im Wesentlichen vorantreibt? Es gibt nur wenige, aus der Verwaltung selbst kommende Reformideen. Die eine große Idee einer neuen, modernen, zukunftsfähigen Staatsverwaltung im europäischen Verbund im 21. Jahrhundert ist nirgendwo erkennbar. Alle
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bisher erwähnten Modernisierungen – und sie stehen stellvertretend für viele andere Veränderungen – haben mehr oder weniger den Charakter laufender Anpassungsmodernisierungen. Sie können der Sache nach und vom Vorgehen her jedoch kaum Anreize liefern, die bisherige Organisationsform der Verwaltung an zentralen Stellen zu überarbeiten, um den veränderten Umfeldbedingungen einer europäisierten, ja weitergehend, globalisierten Welt gerecht zu werden. Das „Neue Steuerungsmodell“ hätte alle dazu notwendigen Voraussetzungen, stellt aber eine Revolution des bisherigen Verwaltens dar. Denn wie vor allem das Kapitel von Bogumil in diesem Band zeigt, gibt es nur eine geringe Passung zwischen dem traditionellen legalistischen Konzept einer kontinentaleuropäischen Verwaltung und der Managementwelt des „Neuen Steuerungsmodells“ (vgl. dazu König, 2000). Der Primat des Legalistischen in der deutschen Verwaltung macht natürlich eine Wende in ihrer Arbeitsweise aus den verschiedensten Gründen schwierig, wenn nicht unmöglich. Angesichts der heutigen Erfordernisse wäre es an der Zeit, Regieren und Verwalten (selbst)kritisch zu überprüfen und nach heutigen und künftigen Erfordernissen in der Welt neu zu konzipieren. Dabei hätten Verfassung, Gesetz und Recht nach wie vor eine ordnende, aber künftig eine veränderte Rolle zu spielen, zum Beispiel indem sie die Verwaltung entfesseln und ihre Arbeit eher unterstützen denn auf Selbsterfüllung achten. 4.1 Externe Impulse für Veränderungen Wesentliche Impulse für Neuerungen kommen von außerhalb der deutschen Verwaltung. Zum Beispiel erweisen sich die Europäisierung (Magiera & Sommermann, 2007) und insbesondere die Globalisierung im Gefolge der Konferenz von Rambouillet im Jahr 1975 als Auslöser eines Veränderungs- und Modernisierungsdrucks in der deutschen Administration generell, um den Staat zukunftsfähig zu erhalten. Insbesondere die Umsetzung des EU-Gemeinschaftsrechts verändert das deutsche Verwaltungssystem. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die neue europäische Dienstleistungsrichtlinie für den einheitlichen Ansprechpartner. Einheitliche Ansprechpartner, elektronische Verfahrensabwicklung und enge Zusammenarbeit der Behörden in Europa sind die neuen Herausforderungen, welche die deutsche Verwaltung bis Ende des Jahres 2009 meistern muss. Dazu müssen unter anderem verfahrens- und materiell-rechtliche Hemmnisse für Dienstleistungstätigkeiten ausgeräumt werden. Innenminister Schäuble sagte anlässlich der europäischen Konferenz „Advancing E-Government“ am 1. März 2007 in Berlin, die neue Dienstleistungsrichtlinie bedinge einen umfassenden Umbau der öffentlichen Verwaltung in Deutschland. Es sei die kommende Innovation in der deutschen Verwaltung wie in den anderen europäischen Verwaltungen auch. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (2008) werden die entsprechenden Lösungen noch gesucht und sind demgemäß noch nicht bekannt.
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Ein eher genereller Impuls kommt durch den gesellschaftlichen Wandel mit einer veränderten, eher fordernden Einstellung gegenüber Staat und Verwaltung seitens gesellschaftlicher Institutionen und der Bevölkerung. Der Impuls findet seinen Niederschlag hauptsächlich in einzelnen Maßnahmen der Staatsmodernisierung mit sektoralen Folgen für die Verwaltung. Des Weiteren kommen Forderungen nach Veränderungen im administrativen System aus dem politischen Vorraum, die dann durchaus in Regierungserklärungen wieder zu finden sind. So kommt es zum Implantieren einzelner Versatzstücke in die Administration, zum Beispiel einzelne betriebswirtschaftliche Instrumente wie die Kosten- und Leistungsrechnung, die nicht selten nach einiger Zeit wieder abgestoßen werden, weil sie systemunverträglich sind (für ausführlichere Darlegungen dazu siehe die Kapitel von Bull, von Bogumil, von Böhret und von Oechsler in diesem Band). Doch es gibt auch unumkehrbare Veränderungen, die wiederum, zumindest zunächst, nicht aus der Verwaltung selbst kommen, sie aber doch nachhaltig beeinflussen. Gedacht ist hier an zwei Haupttreiber der Verwaltungsmodernisierung: zum einen die Technikentwicklung, zum anderen Maßnahmen, die aus der Notwendigkeit resultieren, im staatlichen und kommunalen Bereich die Ausgaben zu senken, um die Überschuldung der öffentlichen Haushalte zu überwinden und letztendlich die Ausgaben mit den Einnahmen in Einklang zu bringen. 4.2 Technikentwicklung als Treiber für qualitative Sprünge in der Verwaltungsmodernisierung Bei der Technikentwicklung sind die Treiber vor allem die neuen Informations- und Kommunikationstechniken, wie beispielsweise neue Telefonie mit Videokonferenzen und Internet, die neuen Bürotechniken, wie Vorgangsbearbeitung rein mittels PC, mit Farbkopierern und Hochleistungsdruckern, das E-Government der 1. und 2. Generation, sowie die Nutzung von web 2.0 (Bundesministerium des Innern, 2006b). Technische Revolutionen, insbesondere im Bereich der neuen Informations- und Kommunikationstechniken, haben seit den 1980er Jahren Einzug in Wirtschaft und Verwaltung gehalten. Sie ermöglichen und verlangen heute ganz andere Arbeitsformen als sie sich in der Zeit nach 1920 im Zuge der tayloristischen Arbeitsteilung herausgebildet hatten. Man schätzt, dass in der Administration heute rund 80 % des Geschäfts Routinetätigkeiten umfassen, wovon wiederum 90 % der dafür benötigten Zeit von Sachbearbeitern damit verbracht wird, Akten und Dokumente herzustellen, zu transportieren, abzulegen und zu suchen. Neue Arbeitsformen, zum Beispiel Workflow-Management, würden die bisherige Art
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der Aktenbearbeitung revolutionieren. Dies brächte jedoch eine weitgehende Neugestaltung von Arbeitsabläufen mit sich und erforderte natürlich mehr Wissen und neue Fertigkeiten. Damit werden wiederum erhebliche Eingriffe in bestehende Organisationsprozesse notwendig mit Konsequenzen für die Organisationsstruktur und das Personalwesen. Denn nun braucht man besser ausgebildete Beschäftigte, was wiederum Folgen für die Besoldung hat und so weiter. Allein von einer solchen Maßnahme gehen viele Impulse für eine Revision der Organisationsgestaltung insgesamt aus – wenn man es gut macht (vgl. dazu das Kapitel von Beck, Fisch & Müller in diesem Band). Der beschriebene Sachverhalt ist ein Beispiel dafür, dass technische Innovationen in der Regel auch soziale Innovationen nach sich ziehen (Reinermann, 2007). Bei der Nutzung der neuen Bürotechniken und insbesondere der elektronischen Auftragsbearbeitung sind die entsprechenden Umstellungen in der Steuer- und Sozialverwaltung sowie in Teilen der Justiz weit vorangeschritten. Andere Verwaltungen stehen noch mitten im Umbruch der Vorgehensweisen, ein Ende der raschen Entwicklung ist noch nicht abzusehen. Doch einer in der Konsequenz nötigen Veränderung der Organisationsgestaltung in diesem Verwaltungsbereichen begegnet man bisher mit großer Zurückhaltung. Beratungs- und Softwarefirmen sind an der Entwicklung neuer Arbeitsformen ganz wesentlich beteiligt. Die Firmen haben in der Vergangenheit ihre Produkte in enger Zusammenarbeit mit einzelnen Verwaltungen entwickelt und tun dies auch weiterhin. Die so entstandene fehlende Interoperabilität der einzelnen Systemlösungen wird immer offensichtlicher und behindert die elektronische Zusammenarbeit verschiedener Verwaltungen. Eine der kommenden Aufgaben für die Softwareentwicklung wird es sein, die vielen Insellösungen untereinander zu verknüpfen und damit eine Interoperabilität der einzelnen Systemlösungen herzustellen. Viele lokale Programme auf einer Verwaltungsebene, zum Beispiel in den Kommunen, harren der Vernetzung genau so wie eine Vernetzung der drei Verwaltungsebenen Bund, Ländern und Kommunen untereinander. E-Government gibt es heute in vielfältigen Ausprägungsformen und Verfahren. Unter E-Government wird eine Vielzahl von Funktionalitäten der Informationsverarbeitung und des Informationsaustauschs zwischen Behörden, zwischen Behörden und Wirtschaft und zwischen Staat und Bürger verstanden. EGovernment wird zum Beispiel auf Landesebene repräsentiert durch elektronischen Rechtsverkehr, Geodatenbanken, elektronisch verfügbare Katasterinformationen, Bauplanungsunterlagen, Regionalplanung und durch elektronische Steuererklärung (ELSTER). In einer ersten Generation von Portalen hatten sich die Verwaltungen, insbesondere die Kommunalverwaltungen, hauptsächlich an den Lebenslagen der Bürger orientiert, wie Umzug, Heirat oder Geburt von Kindern. Die zweite Generation des E-Governments ist interaktiv und bemüht sich um die
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Koordination der Behörden untereinander und um die Interaktion von Wirtschaft und Verwaltung. Ein weiteres Beispiel für neue Arbeitsformen durch das EGovernment ist der Aufbau eines landes- und bundesweiten Beschaffungswesens für Behörden (Bundesministerium des Innern, 2006b). Die Nutzung der elektronischen Techniken hat also schon heute die Arbeit der Verwaltungen nachhaltig verändert. Nicht nur die Umstellung, sondern auch der laufende Betrieb hat sehr viel Geld gekostet und weiterhin fallen Kosten für Ersatzbeschaffungen und laufenden Betrieb und Aktualisierungen an. In der Bilanz, so sagen Fachleute, hat die „Elektronifizierung“ der Verwaltung bisher weit mehr gekostet als Mittel eingespart werden konnten, zum Beispiel durch den Wegfall von Stellen oder durch unzweifelhaft beschleunigte Abläufe. Die elektronischen Techniken können also eher nicht zur Haushaltskonsolidierung beitragen. Aber niemand wird heute auf die Möglichkeiten der modernen elektronischen Informations- und Kommunikationstechniken verzichten wollen. 4.3 Kosteneinsparungen als Treiber für Veränderungen Die Notwendigkeit zur Kosteneinsparungen löst heute in vielen Behörden erhebliche Veränderungen aus. Die schnellste und wirksamste Möglichkeit zur Kosteneinsparung bietet der Personalabbau. Die Gelegenheit zum Personalabbau ist momentan günstig, weil zahlreiche Mitarbeiter aus Altersgründen ausscheiden und ihre Planstellen nicht wiederbesetzt werden. Von dieser Möglichkeit wird ausgiebig Gebrauch gemacht. Doch der monetäre Effekt ist begrenzt, weil der natürliche Personalabbau nur zwischen 3 % und 5 % ausmacht. Daher haben mehrere Landesregierungen und die Bundesverwaltung die Vorgabe gemacht, in kurzer Frist 20 % des Personalkörpers abzubauen und so gut wie keine Neueinstellungen mehr vorzunehmen. Rascher Personalabbau und Einstellungsstopp haben unmittelbare Auswirkungen auf die Binnenstruktur und die Arbeitsabläufe. Deshalb gehört zu einem geordneten Personalabbau lege artis im ersten Schritt eine eingehende Aufgabenanalyse, zum Beispiel mittels einer Aufgabenkritik. Auf ihre Ergebnisse lässt sich ein Neuzuschnitt der Aufgaben der verbleibenden Mitarbeiter gründen, natürlich auch ein Aufgabenabbau. Aufgabenkritik umfasst Zweckkritik („soll die Aufgabe noch wahrgenommen werden?“) als auch Organisationskritik („kann sie auf andere Art schneller oder wirksamer oder effektiver oder mit geringerem Aufwand vollzogen werden?“). An einem Abbau von Verwaltungsaufgaben besteht seitens der Politik in der Regel kein besonderes Interesse, im Gegenteil. Dem Ansinnen eines Aufgabenabbaus tritt sie mit dem Spruch entgegen: „Mehr Leistung fürs Geld“. Einige Länder haben in der Vergangenheit mit hohem Einsatz systematische Aufgabenkritiken durchgeführt. Doch von den Ergebnissen und Wirkungen her
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waren die Bemühungen offensichtlich nicht sehr überzeugend, wahrscheinlich, weil die betroffenen Mitarbeiter die wesentlichen Informationsbeschaffer waren und nicht unabhängige Beobachter. Diese Erfahrungen veranlassten dann in jüngerer Zeit Landesregierungen wie die in Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, radikale Maßnahmen zur Kosteneinsparung im Personalsektor einzuleiten, ohne vorher analytische Verfahren, wie zum Beispiel die Aufgabenkritik, einzusetzen. Zugleich ließen sie sich von dem Kalkül leiten, dass sich das nun eintretende Durcheinander nach einiger Zeit von selbst legen und mehr oder weniger selbstregulierend wieder richten wird. Natürlich wird niemand nach den Transaktionskosten solcher politisch motivierter Vorgehensweisen fragen. 4.4 Weitere Anregungen zu Veränderungen Es gibt noch weitere Anregungen zu Veränderungen in den Verwaltungen, die durchaus wirksam sind, jedoch nicht ganz so folgenreich wie die Effekte der beiden Haupttreiber Technikentwicklung und Kostenreduktion. So zieht in die Verwaltungen seit einiger Zeit ein anderer Geist der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft ein, aus dem heraus mancher Reformimpuls erwuchs. Zu nennen sind die sogenannte Public-Private-Partnerships (PPP) bei kostspieligen Vorhaben wie der Aufbau der technischen Infrastruktur für die Einführung der Autobahnmaut Toll Collect für LKWs oder der teilweise privat finanzierte Tunnel für die Warnow-Unterquerung in Rostock. Ein anderes Beispiel sind sogenannte shared services: Bestimmte zentral erfolgte Leistungen wie Lohnabrechnungen oder Reisekostenabrechnungen werden aus einzelnen Behörden herausgenommen und an Fremdfirmen vergeben oder auf eine eigene zentrale Einrichtung übertragen, die diese Aufgaben für mehrere Einrichtungen kompetent erledigt. Noch deutlicher sind die Veränderungen in Folge einer stärkeren Bürgerorientierung vor allem in den kommunalen Verwaltungen, zum Beispiel realisiert durch eine Abkehr vom obrigkeitsstaatlichen Auftreten hin zu einer deutlichen Serviceorientierung den Bürgern wie auch gesellschaftlichen Gruppen und der Wirtschaft gegenüber, dokumentiert in servicefreundlichen Bürgerbüros als zentrale Anlaufstelle für alle Bürgerangelegenheiten und eigenen Einrichtungen der Wirtschaftsförderung. 4.5 Wie reagiert die Verwaltung auf Veränderungsansinnen? Die Reaktionen auf das Ansinnen, sich als Verwaltung zu modernisieren, sind vielfältig. Insgesamt gesehen ist bisher nur ein Teil der Verwaltungen mit den Veränderungen wirklich zurechtgekommen. Es gibt Behörden, die eine Modernisierungsrhetorik pflegen, aber jenseits des Personalabbaus nicht viel verändert haben. Es gibt Veränderungsvorhaben, die nicht zu dem gewünschten Ziel ge-
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führt haben und wieder rückgängig gemacht wurden; die Dunkelziffer ist hoch (Fisch und Müller, 2007). Es gibt Vorzeigeprojekte, die dann als best practises veröffentlicht werden, zum Beispiel beim Speyerer Qualitätswettbewerb6 (Dearing, Hill & Klages, 2005). Der Wert solcher Wettbewerbe liegt hauptsächlich in der Anregung und Belohnung eigener Modernisierungsprojekte und weniger im Transfer von Lösungen auf andere Verwaltungen. Denn es zeigt sich, jenseits aller Erfolgsrhetorik, dass man in der Welt von Organisationen Strukturen und Prozesse, die sich anderswo, zum Beispiel in der Wirtschaft oder in einem anderen Land, als best practice erwiesen haben, nicht auf andere Organisationen 1:1 übertragen werden können. Bei der Übertragung von Lösungen, die in einem bestimmten Organisationstyp neu entwickelt wurden und sich bewährt haben, muss überprüft werden, ob die Aufgaben, die Rahmenbedingungen und die Organisationskultur der Organisation, in der die neuen Maßnahmen umgesetzt werden sollen, gleich sind wie bei dem Modellbeispiel. Nur im positiven Fall bestehen Chancen für eine erfolgreiche Übertragung. In der Denkpsychologie, insbesondere im Bereich des produktiven Denkens, gibt es den Grundsatz, keine Lösung auf andere Problemstellungen direkt zu übertragen, bei der nicht eingehend geprüft wurde, ob die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen in beiden Fällen die gleichen sind (Maier, 1970). Denn nur dann hat die 1:1-Übertragung Aussichten auf Erfolg. Ein Beispiel für eine misslungene Übertragung eines Strukturmerkmals war und ist die Annahme des Neuen Steuerungsmodells (NSM), dass der Gemeinderat einer Stadt sich als Aufsichtsrat oder Kontrollorgan der Verwaltung verstehen sollte – in Analogie zum Aufsichtsrat eines Konzerns (die Stadt wurde von den NSM-Anhängern als „Konzern“ bezeichnet!). In der ihm zugewiesenen Funktion als Aufsichtsrat sollte der Rat Kontrakte mit der Stadt- oder Gemeindeverwaltung schließen. Die Aufsichtsratsfunktion wurde aus dem Geschäftsleben naiv 1:1 auf den Rat übertragen, ohne sich zuvor nach dem Selbstverständnis der Mandatsträger zu erkundigen. Sie verstehen sich beispielsweise mitnichten als Aufsichtsräte, sondern als mit einem Mandat versehene Interessenvertreter ihrer Wähler oder ihrer Partei. Auch in der Schweiz musste man ähnliche Erfahrungen mit einer solchen Einschätzung der Rolle des Rats machen, wo im Kanton Zürich als dem Vorreiter der wirkungsorientierten Verwaltungsführung die Gemeinderäte die Aufsichtsfunktion ebenfalls nicht so handhabten wie dies bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft der Fall ist, was im NSM unterstellt wird.
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Der Speyerer Qualitätswettbewerb, organisiert von den Profs. Drs. Hill und Klages von der DHV Speyer, hat seit 1992 sieben Mal einen Wettbewerb für gute Verwaltungsmodernisierungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgeschrieben und durchgeführt.
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4.6 „Reformen kommen und gehen, die Verwaltung aber muss ihre Arbeit tun!“ Wir haben anlässlich von Studien über umfängliche administrative Entscheidungsprozesse gefunden, dass die gegenwärtige Verwaltungskultur insgesamt und tendenziell gesehen Innovationen wenig befördert. Es gilt nicht als opportun, bei Entscheidungen eigenverantwortlich zu agieren, was dann auch für Modernisierungsvorhaben gilt. Die Zurückhaltung bei Modernisierungsansinnen ist plausibel, unter anderem weil Neuerungen zunächst einmal den geordneten Ablauf der Verwaltungsaktivitäten stören oder zusätzliche Arbeit mit sich bringen. Natürlich gibt es Gegenbeispiele. Zum Beispiel ist das Bundesverwaltungsamt seit einigen Jahren sehr darauf bedacht, die Bundesbehörden mit Neuerungen zu versehen und bei ihrer Umsetzung zu unterstützen. Und es gibt engagierte Personen, die sich aus ihrer Arbeit heraus im Sinne einer Graswurzelentwicklung für bestimmte Ziele einsetzen, wie den Bürokratieabbau oder zukunftsweisende Entwicklungen in der Energieerzeugung. Dort, wo die Probleme ankommen und auf Lösung drängen, insbesondere in der Verwaltungsspitze, wird der Umgang mit innovativen Initiativen und Entscheidungen in der Regel anders gesehen und bewertet. Doch in den nachgeordneten Ebenen, in denen die Verwaltungsroutinen vollzogen werden müssen, trifft man organisationsbedingt und von daher gesehen durchaus vernünftige, eher konservative Werthierarchien für die Ausübung der täglichen Berufsarbeit. Das kommt in dem Zitat in der Überschrift dieses Abschnitts zum Ausdruck, das eine weit verbreitete Einschätzung erfahrener Bediensteter wiedergibt. Die gängigen Verhaltensmuster sind nun einmal geprägt von der herrschenden, legalistischen Tradition des Verwaltens. Die an Verwaltungshierarchie und Zuständigkeit orientierten und durch Verwaltungsgesetze und -vorschriften geregelten Verfahren der Aufgabenabwicklung sind in der Regel erprobt und bieten in der Tat wenig Raum für Innovationen und für eigenverantwortliche Aktivitäten (Koch, Kaschube & Fisch, 2003). Der Vollzug der Aufgaben ohne Reklamationen der Vorgesetzten und ohne spätere Einsprüche oder Klagen der Beschiedenen ist Ausdruck der Professionalität der Bediensteten. Innovationen werden als regelwidrig erkannt, so lange sie nicht ausdrücklich durch Gesetze und Verordnungen eingeführt worden sind. Experimentierklauseln in Gesetzen gelten für die Sachbearbeiterebene nicht. Diese Sicht macht es verständlich, warum von politischer Seite bei dringenden Veränderungen in den Verwaltungen die sogenannte Bombenwurfstrategie viele Befürworter hat, bei der eine plötzliche, weit reichende Veränderung durch politische Instanzen oder durch die Leitung der Behörden verordnet wird. Die behördlichen Bediensteten sind es gewohnt, Verordnungen zu folgen. Alles an-
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dere Vorgehen bei der Einleitung von Veränderungen gilt dagegen als zäh und mit unsicheren Erfolgsaussichten versehen. Die Zurückhaltung, aus der Verwaltung heraus eigene Modernisierungsansätze zu entwickeln und zu betreiben, könnte mit den je spezifischen Ideen, Vorstellungen und Kenntnissen vom Verändern und den aus der „eingeschränkte Rationalität“ resultierenden Verhaltenstendenzen von ranghohen und damit meist erfahrenen Entscheidern zu tun haben (mehr dazu im Kapitel von Beck, Fisch & Müller in diesem Band; siehe dazu auch Lindstädt, 2006). Simon (1972) weist als Erfinder des Konzepts der „eingeschränkten Rationalität“ darauf hin, dass unser organisationales Handeln und unsere Entscheidungen durch die Anzahl an Variablen kognitiv begrenzt sind, die unser Gehirn gleichzeitig ver- und bearbeiten kann, durch die verfügbare Zeit für Informationsbeschaffung, durch unsere Urteilskraft und so weiter. Aus der Erforschung der kognitiven Komplexität ist bekannt, dass das menschliche Kurzzeitgedächtnis eine naturbedingte Kapazitätsgrenze hat: Es kann in der Regel nur mit sieben plus/minus zwei Sachverhalten gleichzeitig mental operieren (Miller, 1956). Eine der Folgen solcher Begrenzung ist, dass Entscheidungen und das organisationelle Handeln eher darauf gerichtet sind, Zufriedenheit zu schaffen als eine Maximierung oder Optimierung von Strukturen oder Arbeitsabläufen zu erreichen. Zufriedenheit ist jedoch nicht das eigentliche Ziel von Modernisierungen. In der Regel soll eine Maximierung und/oder Optimierung der Aufgabenerledigung erzielt werden. Dabei überlagern jedoch die täglichen Routinearbeiten die neu anzugehenden Aufgaben. Daher ist es so viel schwieriger, neue Projekte voranzubringen als bekannte Aufgaben zu bearbeiten. – Die vergleichsweise stärkere Suche nach Akzeptanz von Lösungen in Verwaltungen ist auch der politischen Komponente der Verwaltungsarbeit geschuldet. Denn eine Hauptaufgabe von Politik ist, Akzeptanz und damit auch Zufriedenheit für bestimmte Problemlösungen zu beschaffen oder die Lösung so zu gestalten, dass Akzeptanz möglich wird. Das färbt auf die nachgeordnete Verwaltung ab. Im gleichen Sinne der „eingeschränkten Rationalität“ ist wohl zu interpretieren, dass man sich bei einer Innovation in Verwaltungen meistens sektoral oder partiell, das heißt auf nur einen Funktionsbereich, zum Beispiel die Umgestaltung umschriebener Arbeitsabläufe, konzentriert und so gut wie nicht die Auswirkungen in anderen Organisationsbereichen mit einkalkuliert und dort ebenfalls neu gestaltet. Beispielsweise muss die Belohnungsstruktur zu den Arbeitsprozessen passen. Wird zum Beispiel als Neuerung die Teamarbeit in eine Behörde eingeführt, dies gilt seit einigen Jahren als modern, und wird die Belohnung andererseits nach wie vor an der Leistung der Einzelperson festgemacht, ist dies ein Beispiel für eine fehlende Balance zwischen den Bereichen „Prozesse“ und „Personalwesen“ und für eine unzureichende Abschätzung der Wirkungen
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der Einführung neuer Arbeitsprozesse und -strukturen. Natürlich müssen die Mitarbeiter die neuen Anforderungen einer Umstrukturierung und deren Umsetzung auch leisten können und so fort. Hier müsste eine umsichtige Umgestaltung ansetzen. Partielle oder sektorale Modernisierungen der Verwaltung haben möglicherweise auch, aber nicht nur, etwas mit politischen Vorgaben oder politischen Einflussnahmen umschriebener Gruppierungen zu tun, erkennbar zum Beispiel an dem modehaften Kommen und Gehen tagesaktueller Reformthemen aus der öffentlichen Debatte, die manchmal an den Schnittstellen von Politik und Administration sich in den Diskursen quasi auskristallisieren und unversehens Eingang in politische Programme einer Regierungsperiode finden, wie es jüngst in Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen geschehen ist. Beispiele für solche passagere Reformthemen und Reformdiskurse sind „new public management“, „Neue Steuerung“, „governance“ oder neuerdings „public value“. 5
Aus bisherigen Modernisierungen und Innovationen lernen
Es gibt gute Gründe, sich hier und heute die Modernisierungen der Vergangenheit vor Augen zu führen und das Gelernte und die einschlägigen Erfahrungen zusammenzustellen. Denn es geht ja weiter mit der Modernisierung. Die bisherigen Veränderungen waren sehr aufwendig, und sie waren teuer. Es wäre für künftige Modernisierungen sicher nützlich, natürlich nur exemplarisch, die Ergebnisse und Wirkungen verschiedener Maßnahmen der Modernisierung kritisch-pragmatisch zu bilanzieren. Nur: Es sah bisher so aus, als ob kaum jemand aus den Verwaltungen oder der Politik ein wirkliches Interesse an einer solchen Bilanz hätte. Eine Ausnahme bilden einige unabhängige Verwaltungswissenschaftler (z. B. Bogumil et al., 2007), die Gesellschaft für Programmforschung e. V., ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern, Ministerialbeamten und kommerziellen Forschungsinstituten sowie einige Landesrechnungshöfe, die sich in letzter Zeit mit der Einführung des Neuen Steuerungsmodells und seinen Varianten in Länderverwaltungen befassten. 5.1 Konsequenzen für die Organisationsgestaltung von Verwaltungen Im Folgenden geht es um die übergreifenden Erfahrung mit Modernisierungsvorhaben, die tief in die innere Organisation einer bestehenden Behörde oder Einrichtung eingreifen und zum Ziele haben, Wesentliches umzugestalten. „Umzugestalten“ verweist auf den Topos „Organisationsgestaltung“. Organisationsgestaltung führt in der Praxis-Literatur und in den Praxisdiskussionen über Modernisierung, mit wenigen Ausnahmen (vgl. Glatz & Graf-Götz, 2007), ein
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Schattendasein. Warum? Der Blick ist in der Regel nicht auf die Organisation als Ganze gerichtet und auf das, was bei einer Änderung in ihr geschehen kann, wenn geändert wird. Vielmehr befasst sich das Denken und Handeln mit dem Wunsch, einer neuen Vision oder einem erwünschten Endzustand näher zu kommen, wahrscheinlich auch einige konkrete Ergebnisse zu erzielen, wie sichtbare Einsparungen im laufenden Haushaltsjahr. Doch dass dazwischen viele Schritte liegen, die letztendlich in die Gestaltung der betreffenden Organisation und damit auch in ihre Leistungsfähigkeit eingreifen könnten, also der organisationelle Kontext, in dem Veränderung oder Neuerung ablaufen, steht nicht primär im Fokus. Dieses Drumherum erscheint im günstigen Fall eher als Beiwerk des Bedenkens. Das sich nicht kümmern Wollen oder Können um die denkbaren Wirkungen von Veränderungen auf die Organisation als Ganze hat wahrscheinlich bittere Konsequenzen. Denn seit etwa dem Jahr 2000 mehren sich die Berichte, dass ein Großteil der Veränderungsvorhaben in Wirtschaft und Verwaltung nicht die Ziele erreichen konnte, die man sich ursprünglich vorgenommen hat. Die in der Literatur berichteten Zahlen der nicht voll erfolgreichen Projekte schwanken zwischen 40 und 70 %. Es ist demnach ziemlich riskant, Veränderungen zu beginnen. Die bestehende Organisationskultur mit ihren präferierten Werten kann zum Schlüssel für Erfolg und Misserfolg eines Veränderungsvorhabens werden (Fisch & Beck, 2007). Die Kultur einer Einrichtung kann auf die Dauer stärker sein als das rational-ökonomische Kalkül und seine Umsetzung einer Innovation. Ein weiterer Grund für große Schwierigkeiten bei der Einführung von Innovationen kann sein: Organisationen sind kaum zu steuernde Gebilde. Deutsche Verwaltungen vermitteln nach außen hin den Eindruck des gut Durchstrukturierten und hoch Geregelten. So gibt es die Ordnungsversuche des Organisationsplans, üblicherweise dargestellt als die „Spinne“. Solch ein Organisationsplan vermittelt die Sichtweise, es ginge in einer Behörde sehr geordnet zu. Doch der Organisationsplan sagt bestenfalls, wer nach offizieller Meinung wem was sagen darf und wenn, in welcher Angelegenheit und dies im Sinne der Einheit von Aufgabe, Kompetenz und Zuständigkeit. Der Organisationsplan sagt aber kaum etwas über die Denk- und Arbeitsweise der lebendigen Organisation, so gut wie nichts über Form und Inhalte der Geschäftsprozesse, auch wenig über die tatsächlichen Machtverhältnisse und möglichen Reaktionsweisen in Belastungssituationen – alles wichtige Parameter für die erfolgreiche Aufgabenerledigung. Organisationen sind jedoch, wenn man durch systematische Beobachtung das tatsächliche Geschehen in den Blick nimmt, gewöhnlich keine einheitlichen, klar hierarchisch gestaffelten, geordneten Einrichtungen. Vielmehr sind Organisationen, so auch die heutige Administration, phänomenologisch gesehen und in einem Bild gesprochen, eher ein Knäuel aus vielem. Denn arbeitende Organisati-
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onen sind stets ein Ergebnis evolutionärer Prozesse und fortlaufender Versuche zur Organisations(um)gestaltung. In einer Organisation werden zum Beispiel nicht einfach alte Maßgaben oder überflüssige Bearbeitungsroutinen oder unwirksame Handlungsroutinen ersetzt oder entsorgt, auch wenn ihr ursprünglicher Zweck längst vergessen ist. Malik (2000) beschreibt dies als ein generelles Problem von Organisationen. Er empfiehlt als Abhilfe etwa alle fünf Jahre, alles nicht zwingend Notwendige in den „Mülleimer“ zu werfen, damit die Organisation dynamisch und anpassungsfähig bleibt. Es werden sukzessive neue Schichten angelagert. Dies geschieht in der deutschen Verwaltung seit etwas mehr als 150 Jahren. Es werden Anbauten sozusagen für immer wieder neue Aufgaben errichtet, in denen überdies noch Teile der alten Aufgaben mit erledigt werden. Das bedeutet nicht, dass die alten Schichten oder Anbauten verschwinden. Sie reagieren weiter in ihrer vertrauten Weise und pflegen weiter ihre Deutungsmuster damaliger Verhältnisse, als die Deutungsmuster entstanden, und Organisationsund Welterfahrungen früherer Akteure. Aus dieser Gemengelage von nicht Aufgeräumtem oder von nicht Aufgegebenem mit dem jeweils Neuen erwächst ein ausgesprochenes Konfliktfeld in den Behörden. Dass da ein Knäuel aus vielem ist, mit dem man es zu tun hat, und dass und welche Konfliktfelder vorhanden sind, wird sehr rasch erkennbar, wenn man in einer Organisation beginnt, etwas anders zu machen oder gar neu zu gestalten. Dann reagiert das System und das oftmals heftig. Erst an den Reaktionen kann man lernen, wie das System im Hintergrund arbeitet, was man vorher, auch als Angehörige(r) der fraglichen Organisation, so ohne weiteres nicht hat wahrnehmen können. Solche Systemkenntnisse aber sind unabdingbar, wenn substantielle und nachhaltige Veränderungen eingeleitet werden sollen. Hier stößt eine externe Beratung eindeutig an ihre Grenzen. Das wiederum bedeutet, dass ranghohe Veränderer aus der betreffenden Einrichtung die Initiative und Verantwortung für das Veränderungsgeschehen übernehmen sollten. 5.2 Konsequenzen für künftiges Vorgehen Was folgt aus diesen Überlegungen und Erfahrungen, auch aus der Innovationsforschung, für das praktische Tun bei systematisch angelegten Veränderungsvorhaben7? Alle Erfahrungen, auch niedergelegt in der verwaltungswissenschaftlichen Literatur, sprechen für andere Vorgehensstrategien als die vom Typus Bombenwurf, wenn man es sich zeitlich leisten kann: In Verwaltungen haben vorsichtige und geduldig nachführende Änderungsstrategien wahrscheinlich die nachhaltigsten Effekte. Dafür empfiehlt sich folgendes, stufenweises Vorgehen (vgl. dazu Argyris, 1970): 7
Siehe dazu, auch für mehr Details, das Kapitel von Frey in diesem Band.
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Am Anfang kann man ändern, was schon lange zu ändern ansteht und was deshalb in der Organisation gut bekannt ist. Oder es gibt eine krisenhafte Lage, die sofortiges Handeln erfordert. Gewöhnlich haben ältere Organisationen einen Stau an notwendigen Veränderungen. Den Stau an Änderungen abzuarbeiten hat den Vorteil, dass an Beispielen rasch gezeigt werden kann, dass Veränderungen möglich sind, die etwas bewirken und im günstigen Fall zu einer Erleichterung der Arbeit oder zu mehr Anerkennung in der Außenwelt führen. Hierbei lernt man bereits die Organisation besser kennen, wie sie reagiert; dabei werden ihre neuralgischen Punkte deutlich. Zeitlich parallel dazu erfolgt eine sorgfältige Organisationsanalyse. Auf ihr basierend wird eine Änderungsstrategie ausgearbeitet. Sie muss nun geduldig und vollständig kommuniziert werden, also was ansteht, was die Leitung gedenkt als nächstes in Angriff zu nehmen, wie sie dabei vorgehen möchte und mit welchen Wirkungen und Konsequenzen zu rechnen ist. Hierbei ist organisationale Ehrlichkeit gefragt, auch wenn es anfänglich Unruhe gibt. Heuchelei in Organisationen (vgl. Brunsson, 1989) wird schnell erkannt und mindert unter anderem die Bereitschaft, konstruktiv oder produktiv mitzuwirken. Nach einer Priorisierung der diversen Änderungsvorschläge erfolgt ein schrittweises Vorgehen. Es bedarf in Verwaltungen der kleinen, wirklich kleinen, vorsichtigen Schritte mit Rückmeldeschleifen, um gegebenenfalls nachzusteuern oder Ziele zu korrigieren. Dazu passt gut ein Sinnspruch von Deng Xiaoping, dem Nachfolger Mao Zedongs an der Spitze der chinesischen Regierung. Mit einem bildhaften Motto warb er für eine Erneuerung des Riesenreichs China nach den menschlichen und wirtschaftlichen Desastern der Mao-Ära: „Den Fluss überqueren, indem man Stein für Stein ertastet“. Der laufende Betrieb darf nicht leiden. Eine verantwortliche Führungskraft kümmert sich intensiv um die Vorgänge und die Wirkungen der eingeleiteten Maßnahmen. Man muss vor allem ganz dicht bei denen sein, die etwas umsetzen und mit weit geöffneten Sinnen alles wahrnehmen, was auf Alarmreaktionen des Systems schließen lässt. Widerstand Leistende sind dabei eine wichtige Informationsquelle. Man muss einen langen Atem entwickeln. Es kommt bei Veränderungen in Organisationen sehr auf die änderungsaktiven Personen an, auf ihr verantwortungsbewusstes Handeln im Änderungsgeschehen. Eine enge Rückkoppelung an die Organisationsleitung ist angezeigt. Bisweilen muss man scheinbare Umwege gehen ohne das übergeordnete Ziel aus den Augen zu verlieren. Da man aus Anlass eines geplanten Wandels nicht die Menschen ändern kann, muss man manchmal warten, bis neue Mitarbeiter kommen, die willens und in der Lage sind, das Neue umsetzen. Denn nicht alle Mitarbeiter freuen sich über den Wandel (siehe dazu das Kapitel von Frey in diesem Band).
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Die wohl forderndste Aufgabe bei massiven Veränderungen ist, die Leistungsfähigkeit und Reaktionsfähigkeit der Organisation einerseits und die Motivation der Beschäftigten andererseits zu erhalten. Im anderen Fall besteht die Gefahr des Achtungsverlusts seitens der Bediensteten vor den Initiatoren der Veränderung mit all seinen Folgen für das Gelingen des Vorhabens. Selbst Korrekturen werden dann schwer. 5.2.1 Ganzheitliches versus partielles Vorgehen bei Veränderungen An vielen Stellen in der organisationswissenschaftlichen Literatur wird darauf hingewiesen, man solle bei organisationalem Handeln von Bedeutung, vor allem bei Veränderungen, nicht partiell vorgehen, sondern auf der Grundlage eines ganzheitlichen Konzepts (zum Beispiel Gomez & Probst, 2007; Götz, 1998; Malik, 2006). Dem möchte man gern zustimmen. Doch das Vorhaben, als verantwortlicher Akteur in der Praxis des Organisationsalltags ganzheitlich vorgehen zu wollen, ist praktisch kaum einlösbar. Denn angesichts des vielfältigen und dynamischen realen Geschehens in einer Organisation stellt die vorgefundene Komplexität, wie oben beschrieben, auch für intelligente Menschen eine kognitive Überforderung dar. Deshalb gilt es unter Managern und hochrangigen leitenden Beamten als Richtschnur, es sei an ihnen, beim Herunterbrechen einer größeren Aufgabe auf die zuständigen Aufgabenbereiche zugleich die Komplexität zu reduzieren. Im pragmatischen Vorgehen an sich steckt – quasi naturgemäß – eine Tendenz zum partiellen oder sektoralen Denken und Handeln und damit zur Komplexitätsreduktion. Dabei kann es jedoch leicht geschehen, dass wichtige Einflussgrößen an anderen Stellen übersehen werden. Es ist deshalb nicht im Sinne der oben genannten Autoren, Komplexität zu leugnen oder zu reduzieren. Deshalb wurden besondere, unterstützende Methoden zum Komplexitätsmanagement zusammengestellt (Fisch & Beck, 2004), die man allerdings bereits vor der Einführung bedeutender Maßnahmen gelernt haben und sicher beherrschen sollte, wenn sie im entscheidenden Moment zur Wirkung kommen sollen. 5.2.2 Was heißt das alles für die Praxis und für einen Veränderer? Innovation fällt, entgegen landläufigen Auffassungen, nicht wie eine Erleuchtung vom Himmel, sondern muss hart erarbeitet werden. Pragmatik und elastische Lösungen sind, insbesondere in deutschen Verwaltungen, angezeigt. Denn der Wunsch nach Perfektion der Organisationsgestaltung ist alt, aber nicht einlösbar, auch nicht in Wirtschaftsunternehmen, welche Verwaltungen heute gern als Vorbilder oder als anregende Modelle nahe gebracht werden (vgl. dazu Kühn, 2002). Innovativ sein im Rahmen von Veränderungen heißt viel nachdenken, sich zunächst eher problemorientiert als lösungsorientiert mit einer Aufgabe oder einem Problem bis ins letzte Detail zu befassen, Lösungsmöglichkeiten zu su-
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chen, als Szenarien zur Probe durchzuspielen, vielleicht auch mit Partnern, dann Lösungen ansatzweise auszuprobieren, gegebenenfalls zu verwerfen, bis endlich eine akzeptable Lösung gefunden ist. Genau so wichtig erscheint eine Auseinandersetzung mit all den im Text erwähnten „weichen“ und politischen Sachverhalten sowie mit einschlägigen Denk- und Handlungstendenzen der Betroffenen. So kann man sich entsprechend vor Beginn von Maßnahmen vorbereiten und ist für unterschiedlichste Reaktionen gewappnet. Beide Sachverhaltsstränge werden im Idealfall kombiniert im Sinne von „Denken als Probehandeln“ (Freud), um initiativ zu werden und sofort auf unterschiedlichste Lagen adäquat und rasch reagieren zu können. 6
Resümee und Ausblick
In Politik und Verwaltung wird gern von Modernisierung, Innovation und raschem Wandel geredet. Verursacht soll der Wandel sein vom Wirtschaftsboom in der sogenannten „Dritten Welt“, vom heraufziehenden Informationszeitalter, von den Folgen der Globalisierung der Wirtschaft und so fort. Das politischadministrative System ahnt, dass ihm vor diesem Hintergrund eines nicht erspart bleiben wird: Es muss sich ein neues Weltbild von Politik und Administration, ein Bündel innovativer Strategien zur Bewältigung der auf es zukommenden Herausforderungen und entsprechend neue Kompetenzen zulegen. Nur: Aus dem Alltagsgeschäft heraus und neben dem Alltagsgeschäft wird das Neue kaum zu meistern sein, möglicherweise auch nicht mit dem Gros der jetzigen Bediensteten, weil sie in ihrer beruflichen Ausbildung und durch ihre Tätigkeit nicht für das Begehen neuer Wege vorbereitet wurden, wie sie zum Beispiel mit einer Umorientierung auf ein Management öffentlicher Verwaltung nach Art des Neuen Steuerungsmodells gegangen werden müssten. Verwaltungen tun – aus ihrer heutigen Sicht – das Richtige. Man hätte ihnen jedoch nahe zu legen, wie das Richtige in Zukunft auszusehen hat, und wie sie künftig handeln sollten, damit Staat und Verwaltung zukunftsfähig bleiben. Was Beobachtern der Veränderungsprozesse in den verschiedenen Verwaltungen über die Zeit hin immer deutlicher wird, ist, dass der organisationelle Wandel überwiegend eher eklektisch, denn theoretisch oder empirisch gut begründet erfolgte und nicht wie „aus einem Guss“ wirkt. Das ist auch nicht zu erwarten, weil die Modernisierung der Verwaltungen nur in einigen wenigen Teilen aus sich heraus und geplant in Gang gekommen ist; meistens wurde sie, wie eingangs ausgeführt, extern angeregt und führte zu partiellen Änderungen, gerade um so viel, dass die Debatte aufhörte. Überdies ist nicht davon auszugehen, dass der Wandel der Verwaltungen in den drei Ebenen in einem föderalen und korporatistischen Staat nach einheitlichen Gesichtspunkten von irgendeiner
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zentralen Instanz angeregt und gesteuert werden kann. Der Artikel 65 des Grundgesetzes liefert die Legitimation für viele verschiedene Wege. Aus vielen Argumenten in diesem Kapitel kann abgeleitet werden, dass der gegenwärtige Modernisierungsstand dringend einer systematischen Bilanz und für künftige Vorhaben einer zumindest minimalen, theoretischen Fundierung bedarf. Denn die bisherigen, eher eklektischen Bemühungen um Veränderungen laufen immer mehr auseinander, sind in der Regel nicht im Hinblick auf ihre Wirkungen in anderen Bereichen abgestimmt (vgl. das Kapitel von Beck, Fisch & Müller in diesem Band), die Elemente der Modernisierung sind immer disparater, die zahlreichen Insellösungen erzeugen bei Organisationskundigen Verwunderung und Kopfschütteln. Schon eher grundsätzlich wäre danach zu fragen: Welche Vorteile, Möglichkeiten aber auch welche Grenzen bietet die heute vorfindbare Organisationsform der öffentlichen Verwaltung in einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Administration? Passen die heutigen Aufgaben und Rahmenbedingungen zur vorhandenen einheitlichen Organisationsform aus dem vorigen Jahrhundert? Könnte es sein, dass Politik und Administration übertragene Aufgaben auch zurückgewiesen werden müssen oder umgelenkt werden können, zum Beispiel auf andere Organisationen oder Institutionen, welche die Aufgaben adäquater erledigen könnten; oder sollten nicht besser für die neuen Aufgaben neue leistungsfähige Organisationsformen geschaffen werden, anstatt sie mühsam in den vorhandenen bürokratisch geprägten Einheitsstrukturen abzuarbeiten? Die Herausbildung von Agenturen und die Privatisierung von Staatsunternehmen zeigen, dass mit Erfolg neue Wege beschritten werden können. Im Moment sind kaum allgemein anerkannte Instanzen sichtbar, die solche und verbindliche zukunftsorientierte Perspektiven für die deutsche Administration entwickelten. Ansatzweise geschieht dies bei der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung in Brühl und Berlin, bei der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) in Köln8 sowie traditionell an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer in Verbindung mit dem Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer. Einige Stiftungen, wie die Bertelsmann-Stiftung oder die Hans-Seidel-Stiftung, arbeiten ebenfalls auf dem Gebiet der Verwaltungsmodernisierung. Alle erwähnten Einrichtungen sind aber von den tatsächlichen Verhältnissen in den vielfältigen Verwaltungseinrichtungen zu weit entfernt, als dass sie aktiv mitwirkend Verwaltungen neu gestalten könnten. Immerhin vermitteln sie wichtige Anregungen und sind ein Sprachrohr für wichtige Klientelgruppen, die Politik und Verwaltung bestimmte Botschaften übermitteln möchten. 8 Die KGSt ist nach ihrem eigenen Verständnis das von Städten, Gemeinden und Kreisen gemeinsam getragene Entwicklungszentrum des kommunalen Managements.
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Eine bessere Zukunft zu wollen und zu gestalten oder zumindest nicht hinter den erarbeiteten status quo zurückzufallen ist ein Urbedürfnis entwickelter Gesellschaften. Die bessere Zukunft manifestiert sich stets in einzelnen Sachverhalten oder Lebensbedingungen. Es ist nicht zu erwarten, dass in unserer Zeit irgendjemand einen „großen Wurf“ für eine neue einheitliche Organisationsform der öffentlichen Verwaltung präsentieren wird. Schon aus Gründen der Machbarkeit wird es wohl nie einen solchen ganzheitlich-umfassenden Ansatz geben, sondern immer nur eine punktuelle, spezifische Verbesserung der Verhältnisse, was dafür spräche, unterschiedliche Verwaltungsformen zuzulassen. Es werden sich weiterhin lokale und begrenzte evolutionäre Veränderungen ereignen, unter anderem auch weil die Administration ja täglich weiterarbeiten muss und dadurch darauf angewiesen ist, sich wenn, dann eher nebenher und schrittweise zu verändern. Schließlich besteht erfolgreiches (Um)Gestalten aus vielen Schritten und unzähligen Kleinigkeiten. Jedoch müssen die punktuellen Verbesserungen im Kontext und möglichst theoriegeleitet betrieben werden. Damit kommen durchaus ganzheitliche Aspekte herein. In diesem Sinne wäre es überlegenswert, ob man für umschriebene staatliche Aufgabenbereiche, zum Beispiel für den Forschungs- und Bildungsbereich oder für die Sozialverwaltung, probeweise begänne, eine neue Organisationsform für einen aufgabenadäquaten Organisationstyp zu entwerfen und einzuführen. So ist es zum Beispiel nicht mehr einleuchtend und heute nicht mehr zielführend, wenn Universitätsverwaltungen nach dem Modell eines Landratsamtes einschließlich der Amtsbezeichnungen der Beschäftigten gestaltet werden und die vorzugsweise in Kommunalverwaltungen herangezogenen Beschäftigten eine auf Hochleistungen orientierte Wissenschaftseinrichtung betreiben. Gefordert wäre eigentlich ein modernes Management für eine weltweit konkurrierende Expertenorganisation. Denn sie hat eine ganz andere personelle Zusammensetzung, weist ein anderes Anforderungsprofil an die Beschäftigten auf und muss ganz anderen Maximen folgen als sie in einem Landratsamt oder in einer Stadtverwaltung vorzufinden sind, die für die Belange der Bevölkerung in ihren räumlichen Grenzen zu sorgen hat. Auch die Sozialverwaltung sollte ihren eigenen, aus ihren besonderen Aufgaben abgeleiteten internen Gesetzmäßigkeiten folgend entsprechend gestaltet sein9. Warum sollte man nicht nach und nach die Verwaltungsebenen und Verwaltungsbereiche nach deren aufgabenbedingten Bedarfen jeweils neu gestalten, durchaus unter Berücksichtigung von Einheitsvorstellungen, soweit sie zentrale Funktionen der Binnenorganisation betreffen? Nochmals: Hierbei könnte vor allem Theorie dazu dienen, die vielen Einzelaktivitäten der Veränderung in einen einheitlichen, konzeptionellen Rahmen 9
Ein Beispiel für eine gelungene Umstellung (in Grenzen) ist in der rheinland-pfälzischen Sozialverwaltung zu finden.
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zu stellen. Aus einem neuen, kritisch-pragmatisch hergeleiteten Gesamtverständnis der Arbeit einer modernen Verwaltung heraus ließen sich einzelne Veränderungen oder Veränderungsbemühungen begründen, nachvollziehbarer machen und schließlich auch im Hinblick auf deren Aufgaben- und Zielerfüllung prospektiv bewerten. Eine solche theoretische Orientierung wäre auch hilfreich im Hinblick auf die Bereitschaft verständiger Mitarbeiter, anstehende Veränderungen mitzumachen und zu unterstützen, weil das Wissen um Zwecke und Ziele des Neuen sinnstiftend für die eigene Arbeit wirken kann. Darüber hinaus bekäme man von einem konzeptionellen Rahmen Hinweise auf bisher nicht erkannte Leerstellen zum Beispiel in Arbeitsabläufen, die für ein Gesamtgefüge gegebenenfalls neu zu gestalten wären. Schließlich könnte Theorie einen Rahmen abgeben für die Entwicklung einer wissensbasierten Zukunftsprojektion, aufgrund derer man frühzeitiger als bisher anstehende Veränderungen vorbereiten könnte. Denn in manchen Verwaltungsbereichen, in denen man nicht klar Treiber der Entwicklung ausmachen kann, sieht es heute so aus, als ob der reaktive Zufall regiere, wenn es um Veränderungen geht. Aus den soeben vorgestellten Sachverhalten sowie aus zahlreichen anderen Kapiteln dieses Bandes kann abgeleitet werden: Es ist an der Zeit, über eine modernisierte Organisationsform der öffentlichen Verwaltung in Deutschland nachzudenken und diese weiter zu entwickeln. Dazu gehört es auch, neue Formen in ausgewählten Politikfeldern auszuprobieren und daraus durch systematische Evaluationen zu lernen, wie man gegebenenfalls in weiteren Bereichen die Arbeit gestalten müsste. Natürlich wird man fortfahren müssen, weiterhin und parallel dazu einzelne Modernisierungen einzuführen, weil zum Beispiel die technischen und sozialen Innovationen fortschreiten und zu nutzen sind. Nach allem, was man nach mehr als 20 Jahren intensiver Reformdebatten in Deutschland und angesichts der weltweiten Bemühungen um zeitgemäßere Verwaltungsformen weiß, scheinen kleinere Anpassungsinnovationen nicht mehr zu reichen. Es bedarf der übergreifenden Betrachtung und Bewertung einzelner Modernisierungsvorhaben vor dem Hintergrund einer neuen Vorstellung vom Verwalten, um auch im Kleinen das Richtige zu tun sowie Reformruinen und Reformschäden zu vermeiden. Die bisherige Form der Verwaltung hat mehr als eineinhalb Jahrhunderte gut gedient. Sie stammt in ihren Grundformen und in ihrer Organisationsphilosophie aus dem Zeitalter der beginnenden Industrialisierung in Deutschland. Der Obrigkeitsstaat war seinerzeit sehr präsent. Seinerzeit und bis Mitte des vorigen Jahrhunderts war die deutsche Verwaltung für andere Staaten ein Vorbild, weil sie so erfolgreich war. Heute leben wir in einer europäisierten und globalisierten Welt, auf die hin die damalige Verwaltungsform natürlich nicht angelegt sein konnte. Deshalb kann es nicht ehrenrührig sein, heute nach zeitgemäßen Formen
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des Verwaltens zu schauen, die selbstredend mit Neuerungen des Regierens in Deutschland und Europa abgestimmt sein müssen. Die Frage ist: Wie kann das geschehen? Die Vielfalt an Organisationsparametern, die das Verwaltungsgeschehen bestimmen, verbietet jede Einfachlösung. Insofern wurde auch in diesem Kapitel nicht der Anspruch erhoben, schon eine neue Form zu zeichnen. Das bedeutet aber nicht, dass man weiterhin nur das weltweit bekannte verwaltungstypische Durchwursteln betreiben muss. Aussichtsreicher dürfte es sein, auch im Hinblick auf die Akzeptanz und Umsetzbarkeit der Neuerungen eine Gruppe engagierter und fachlich ausgewiesener, erfahrener Personen, also hochrangige Bedienstete aus der Verwaltung, politisch Verantwortliche und Organisationswissenschaftler zusammenzubringen. Die Gruppe sollte beauftragt werden, auf der Grundlage bisheriger systematisierter Modernisierungserfahrungen, auch aus anderen demokratischen Staaten, Entwürfe für eine zeitgerechte, besser: zukunftsgerechte Verwaltungsform zu entwickeln. Ein geeignetes Verfahren zur Unterstützung ist die Entwicklung von Zukunftsbildern oder -szenarien, die das Erreichbare betonen. Möglicherweise fehlt es ja gar nicht an Ideen. Denn es gibt aus den letzten Jahrzehnten zahlreiche Reformideen. Wie so häufig beim organisationalen Wandel gilt es, eine erfolgreiche Umsetzung zu gewährleisten. Deshalb müssten von Anfang an Personen mit Positionsmacht aus Politik und gesellschaftlichen Gruppierungen an der Arbeit der Gruppe beteiligt werden. Die Personen sollten willens und in der Lage sein, eine kommende Neugestaltungen der Verwaltung mit zu ihrem Anliegen zu machen und unter anderem auch parlamentarisch in entsprechenden Gesetzgebungsverfahren zu befördern. Eigene Erkundigungen ergaben, dass solche, primär konzeptionellen Gespräche anlässlich von größeren Innovationen in Verwaltungen bisher nicht von selbst zustande gekommen sind. Die Gründe kann man in den Kapiteln von Bogumil, Bull und Oechsler (in diesem Band) erahnen. Ohne jedoch auf die möglichen Gründe näher einzugehen: Die Arbeit sollte nun in Angriff genommen werden, von der manche Gesprächspartner sagten, sie sei sehr, vielleicht zu komplex. Komplexität kann jedoch kein ernst zu nehmender Hinderungsgrund mehr sein, weil es heute unterstützende Verfahren zur Komplexitätshandhabung gibt (Fisch und Beck, 2004). Ein Politik- und Verwaltungsfeld, in dem man gut beginnen könnte, ist Bildung, Wissenschaft und Forschung. Denn hier müssen im Rahmen des Lissabon-Prozesses ehrgeizige Ziele mit europäischen Bezügen bewältigt werden. In diesem Feld wird seit Jahrzehnten relativ konzeptionsarm umgebaut mit dem Ergebnis, dass hier sehr viel labilisiert ist, so dass eine kohärente Neugestaltung besonders notwendig und der Zeitpunkt dafür günstig erscheint.
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Einstiege: Verwaltungspolitische Fragen und „Modelle“ „Später im Leben habe ich gelernt, dass wir dazu neigen, neuen Situationen mit Reorganisation zu begegnen. Und dies kann eine glänzende Methode sein, die Illusion von Fortschritt zu schaffen, während Verwirrung, Wirkungslosigkeit und Demoralisierung produziert werden.“ (Petronius Arbiter, um 50 n. Chr.)
Das ist gewiss ein scharfes Urteil, aber irgendwie hat man es ja ähnlicherweise schon mal erlebt, als man sich – „um einer neuen Situation zu begegnen“ – abmühte, eine herangewachsene Organisation oder gar ein Institutionengefüge zu verändern. Und nun soll das gar eine öffentliche Verwaltung betreffen – gerne als Bürokratie bezeichnet, also (mit Max Weber) als der reinste Typus der legalen Herrschaft auf der Basis „gesatzter Regeln“ mit dem Organisationstyp „Behörde“ und einer inhärenten Disziplinarität, die historisch erlernt (ja exogenetisch vererbt) wurde. Da erinnert man sich schnell an misslungene Versuche, an das Zurückschwingen des anscheinend Veränderten in den „vorigen Stand“, auch an die höhnischen Blicke einiger, die sich nicht verändern lassen wollten, und denen dies auch gelang. Veränderungsversuche – auch und gerade wenn sie als Modernisierung schmackhaft gemacht werden – bewirken fast immer Vorsicht, Zurückhaltung und Widerstand von Organisationsmitgliedern. Das hat schon Niccolò Machiavelli erkannt: „Haben sich die Menschen daran gewöhnt, in einer bestimmten Weise zu leben, so wollen sie nicht wechseln; sie tun es um so weniger dann, wenn sie das Übel nicht unmittelbar vor Augen haben...“ (Discorsi, um 1520, Nr. 56, in Schmid, 1956). Dies gilt besonders für Verwaltungen – also für die auf regelgebundene Zwecke ausgerichtete Ansammlung von spezifisch sozialisierten Personen. Und es gilt für jene ganz besondere Beziehung zwischen politischer Führung und ihrer Verwaltung und dem oft ausgeblendeten dritten Partner: der sozioökonomischen Umgebung.
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Um diese Zusammenhänge besser erforschen und erklären zu können, entwarf die Politikwissenschaft in den achtziger Jahren drei idealtypische Modelle zur Verwaltungsanalyse, die später an die voranschreitende gesellschaftliche Entwicklung angepasst wurden, was vor allem bedeutete, das Modernisierungsparadigma zu verarbeiten. Diese drei idealtypischen Modelle seien nun stichwortartig beschrieben (vgl. auch Böhret, 1983): 1.1 Vorrang der Politik: legislatorische Programmsteuerung Diesem Modell zufolge bildet die Verwaltung den nachgeordneten, angebbare Hilfsfunktionen verrichtenden Teil der politischen Führung. Ihr gegenüber ist sie direkt (Regierung) oder indirekt (Parlament) weisungsgebunden, ihr arbeitet sie loyal und effizient zu, in ihrem Auftrag vollzieht sie Rechtsvorschriften und Programme, von ihr wird sie wirkungsvoll kontrolliert. Die Verwaltung arbeitet zu, informiert und „legt vor“. Jeder von „der Politik“ im Prozess der Programmformulierung gebildete Wille wird von der Verwaltung in hierarchischer Organisation und mittels genehmigter und überprüfbarer Verfahren unverfälscht, neutral und loyal durchgeführt. Der instrumentelle Charakter der Verwaltung ist durch diesen reibungslosen Vollzug bestimmt. Alle Transaktionen finden selbst dann statt, wenn innerhalb der Administration andere politische Überzeugungen vorhanden sind als in der (gelegentlich) wechselnden politischen Führung. Es gibt daher auch keine eigenständigen Beziehungen oder gar Abhängigkeiten hinsichtlich nichtstaatlicher Institutionen (organisierter Interessen) oder von Parteien. 1.2 Vorrang der Verwaltung: Herrschaft im Alltag Die Verwaltung ist kein politisches Neutrum; vielmehr agiert sie als aktiver Teil des politik-erzeugenden und vollziehenden Prozesses, den sie wesentlich beeinflusst. Ihre Funktionen erweiterten und intensivierten sich parallel zur gesellschaftlichen Entwicklung. Sie wird immer mehr zum professionalisierten und spezialisierten Apparat. Sie bereitet mit ausgeprägtem Sachverstand politische Entscheidungen und Programme vor, sie wird zum Partner gesellschaftlicher Gruppen, die in ihr „Brückenköpfe“ bilden, sie gleicht sozioökonomische Interessen schon im Vorfeld aus. Ihr Interessenberücksichtigungspotential ist hoch. Sie wird zum unentbehrlichen Instrument beim Vollzug rechtsförmiger Programme und Leistungen. Diese Verwaltung dominiert tendenziell die politische Führung durch ein Konglomerat von Vorbereitungsherrschaft, Vollzugsmacht, Klientelbetreuung und latentem Beharrungswiderstand. Aber gerechterweise sei gesagt, dass gelegentlicher Widerstand auch vor politischen Torheiten schützen mag; mehr noch: fundamentalistische Politik verhindern helfen kann.
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1.3 Verflechtungsmodell: ein Beziehungsdreieck Politik und Verwaltung machen (fast) alles gemeinsam. Vorbereitung von Programmen (einschließlich der Gesetze) und Setzung der Vollzugsbedingungen wird in Abstimmung und Verständigung zwischen den beiden Bereichen durchgeführt. Die Verwaltung wird dabei immer mehr zur Verbindungsschiene zwischen politischer Führung und Gesellschaft mit eigenem Sachverstand. Die Beteiligung der Verwaltung an der Programmformulierung und Gesetzesvorbereitung verstärkt sich, auch deshalb, weil sie wegen des engen Kontakts mit den Fachverbänden die Funktion des Informationsträgers und des Koordinationsfunktionärs übernimmt. Je weniger politische Vorgaben, desto mehr Eigenmächtigkeit der Verwaltung. Probleme und Lösungsansätze werden häufig in Verwaltungskategorien gekleidet, Vorauswahlen und Alternativen-Reduzierungen finden statt, nicht zuletzt bei rechtsförmigen Regelungen. Mit zunehmender Verrechtlichung erhöht sich das Gewicht der Verwaltung. Das kann teilweise wieder ausgeglichen werden durch zwei Bewegungen: (a) durch die Politisierung des öffentlichen Dienstes, durch Parteipolitisierung der Verwaltung und durch ein neues Rollenverständnis der jüngeren Beamten/Angestellten; (b) durch die Akzeptanz autonomer Vorgaben der politischen Führung. Insgesamt betrachtet tritt die Verwaltung als gleichrangiger (nicht gleichberechtigter) Mitspieler auf, der Fachlichkeit und Organisationsgedächtnis einbringt ohne doch die Verantwortung für die Politikgestaltung zu übernehmen. 1.4 Begriffe und Funktionen: Verwaltungsmodernisierung und Verwaltungspolitik Verwaltungsmodernisierung zielt auf die organisationsintern und/oder extern (Politik, Wissenschaft, Medien) stimulierte Anpassung der Strukturen und Prozeduren der Verwaltung an Entwicklungen im Umgebungssystem (Staat, Gesellschaft, Anforderungen aus dem Globalisierungssog). Modernisierung ist ein allmählicher und flexibler Vorgang; sie unterliegt vielfältigen Einflüssen und Widerständen. Verwaltungspolitik ist die Reaktion der politischen Führung auf gesellschaftliche Bindungen und politische Freiräume der Verwaltung. Aktive Verwaltungspolitik ist vorausschauende, intentionale Steuerung der Verwaltung durch die Politische Führung, möglichst unter Nutzung und Stärkung der Fähigkeiten der Verwaltung. Als fachspezifische Definition ist weitgehend anerkannt: Verwaltungspolitik ist die von der legitimierten politischen Führung mittels Entwicklung, Durchsetzung und Kontrolle von Prinzipien administrativen Handelns ausgeübte Steue-
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rung der Inhalte, Verfahren und Stile der Verwaltungstätigkeit, sowie der Organisations- und Personalstruktur der Verwaltung (Böhret, 1983). Verwaltungspolitik erstrebt also die sozial akzeptable und leistungsfähige Gestaltung der Wechselbeziehungen von politischer Führung, Verwaltung und Gesellschaft heute und zukünftig. Verwaltungspolitik ist deshalb eine zentrale Aufgabe der Politischen Führung. Es geht um die Einwirkung auf administrative Handlungsweisen und Binnenstrukturen mit der Absicht, den Primat der Politik aufrecht zu erhalten oder zurück zu gewinnen. Aber zugleich, angesichts des Wandels und der zugemuteten organisatorischen Veränderungen, auch die Funktionsfähigkeit der Verwaltung zu erhalten und zu steigern sowie gegen Bürokratieverdrossenheit anzukämpfen. Dabei wird immer deutlicher, dass die Bewegung hin zur transindustriellen Gesellschaft im Glokalisierungsmodell (vgl. auch Abschnitt 5) dem Staat neue Aufgaben zuordnet, für die er wiederum eine modernisierte Verwaltung benötigt, die letztlich durch Verwaltungspolitik erzeugt und gesteuert werden muss. Wenn Verwaltung aktive Entwicklungsagentur im Innern werden soll, dann muss die politische Führung den entwicklungspolitischen Auftrag formulieren und seine Umsetzung begleiten und kontrollieren – eben mittels aktiver und „vorauseilender“ Verwaltungspolitik. Aber was bedeutet das nun im politischen Alltag? Wie kommt es zu verwaltungspolitischen Situationen innerhalb von Modernisierungsvorhaben oder zu deren Erzeugung? Ich möchte anhand von ausgewählten, aber typischen Fällen der Verwaltungsmodernisierung ein wenig Wirklichkeitsanalyse betreiben. Und dabei auch die Rolle und die Effektivität von aktiver Verwaltungspolitik erfassen.1 2
Erlebnisse: Beispiele aus der Verwaltungsmodernisierung („Fälle“)
Nach dem großen Reformer-Aufbruch zu Beginn der 1970er Jahre (in Erinnerung als Phase der Planungseuphorie) begann in den 1990er Jahren die Phase der Verwaltungsmodernisierung – ja, so lange ist das schon her! Und wir arbeiten heute noch daran. Zur Demonstration der neuen Modernisierungsbewegung soll exemplarisch und hauptsächlich das Vorgehen in einem Bundesland herangezogen werden. In anderen Ländern lassen sich ähnliche Entwicklungen feststellen 1
Dazu darf ich mich beziehen auf jahrelange Erfahrungen mit und bei Verwaltungsmodernisierungen in mehreren Ländern einerseits, wie auf die vorab und parallel zum Modernisierungsgeschäft verlaufende Kategorisierung, Analyse und Systematisierung durch die Verwaltungswissenschaft andererseits. Am meisten lernt man über eine Organisation und die in ihr tätigen Personen, wenn man selbst an deren „Leben“ teilnimmt, wenigstens temporär und am „Rande“. Wenn man das – bei aller Einbezogenheit – doch mit der Funktion des kritischen Helfers verbinden darf, dann erkennt man schärfer die Veränderungschancen, aber auch die Fallstricke, als das normalerweise dem Organisationsangehörigen selbst oder auch dem üblichen externen Experten möglich ist.
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(vgl. auch Brenski & Liebig, 2007). Ich beginne mit dem Credo eines Ministerpräsidenten (von 1995), das den damaligen Willen zur gesellschaftlich begründeten Verwaltungsmodernisierung wiedergibt: „Zur Bewältigung der großen Zukunftsaufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt brauchen wir einen beweglichen, lernfähigen und starken Staat, der seine politischen Grundsätze und Werte über eine schlanke, effektiv und effizient arbeitende Verwaltung in die Tat umsetzen kann. Es versteht sich von selbst, dass diese Verwaltung der dynamischen Entwicklung unserer Zeit folgen muss, wenn sie ihren Aufgaben gerecht werden will. Mehr noch: Sie muss künftigen Entwicklungen soweit wie möglich vorweg greifen, um schon heute die Weichen für das Wohlergehen künftiger Generationen zu stellen“ (…) „Wir werden die Gesetze und Behörden des Landes auf den Prüfstand stellen und sie, wo erforderlich, reformieren (...) Ich bin sicher, dass unser Land in wenigen Jahren eine der modernsten Verwaltungen und damit eine ausgezeichnete Zukunftsperspektive haben wird.“
Kraftvolle und auch passgerechte Aussagen – zweifellos, mit denen durch die politische Führung ein verwaltungspolitisches Programm par excellence formuliert wurde. Ja, genau so sieht eine Vorgabe der politischen Führung für umfassende Modernisierung aus. Aber es war noch etwas mehr: hier wurde das Modernisierungsvorhaben von vornherein eingebunden in sich abzeichnende gesellschaftliche Entwicklungen, die als Vision und Leitbild immer wieder beschrieben wurden. Und zwar als Übergang in eine transindustrielle Gesellschaft und als Glokalisierungsmodell. Beide Konzepte wiederum forderten ein neues Staatsbild – den funktionalen oder den aktivierenden Staat, und damit verbunden auch eine Reform der Staatstätigkeit (vgl. Böhret, 2003). Die Verwaltungsmodernisierungsbewegung seit der Jahrhundertwende war und ist also kein isolierter Vorgang, sondern ein notwendiger Beitrag im gesellschaftlichen Entwicklungskorridor. Obwohl die Veränderungen oft inkremental oder heruntergezogen erschienen, kann man durchaus politisch-administrative Inventionen erkennen, die dem Veränderungsprozess eine Ausrichtung und den einzelnen Projekten eine Begründung gaben oder die dies wenigstens versuchten. Wichtig war schließlich, dass die Ankündigung sofort „praktisch“ wurde. Mit Organisations- und Verfahrensänderungen begann es: Zum Auftakt wurden zwei Ministerien aufgelöst und die Aufbau- und Ablauforganisation zweier Ministerien verändert, Kleinstreferate wurden zusammengelegt, einige Fachverwaltungen von oben nach unten „versäult“. Strukturreformen bei der Staatsbau- und bei der Straßenverwaltung kamen dazu. Meldeverfahren und Reisekostenbestimmungen wurden rationalisiert. Große Mengen an Verwaltungsvorschriften wurden beseitigt – in neu erfundenen kooperativen Verfahren. Die Bürger und die Verwaltungen wurden aufgefordert, Verbesserungsvorschläge einzureichen, die prämiert wurden.
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Um das alles zu koordinieren und um immer neue Impulse zu geben, wurde eine Verwaltungsmodernisierungskommission eingesetzt – erstmals unter einer effektiven Doppelleitung: Chef der Staatskanzlei und externer Verwaltungswissenschaftler, eine Innovation, die sich bewährte, weil Innovationen und Transfer funktional eng gekoppelt blieben. Unterstützt wurde das Ganze von einer Geschäftsstelle, durch Modernisierungsbeauftragte der Ministerien und durch einen Beirat, in dem gesellschaftlich relevante Gruppen die Modernisierung begleiteten. Regelmäßige Information der Verwaltungsangehörigen und eine Schriftenreihe, in der Ergebnisse und Projekte auch mit Außenwirkung dargestellt wurden, ergänzten den engeren Modernisierungsprozess. So ungefähr ging es bei den Modernisierungen in den meisten Ländern zu. Man lernte durchaus voneinander, übernahm Organisationsänderungen und erfolgreiche Verfahren. Am Speyerer Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung wurde eine Wissenschaftliche Dokumentations- und Transferstelle („WiDuT“) eingerichtet, die den Austausch von Modernisierungswissen zwischen den Partnerländern wesentlich erleichterte und Modernisierungserfahrungen im Bund und in der Wirtschaft vermittelte (Böhret & Brenski, 2007). Aus der Vielzahl der Modernisierungsvorhaben möchte ich exemplarisch sieben Projekte herausgreifen und kurz darstellen. Zustandekommen und Auswirkungen waren recht unterschiedlich, aber dadurch wird die Breite der Modernisierungsansätze und die Schwierigkeit erfolgreicher Implementation solcher Änderungen deutlicher. 2.1 Ein Startprojekt: Leitbilderstellung Die Verwaltungsmodernisierung eines Landes begann mit einem gut organisierten, durchgängigen Prozess der kooperativen Leitbilderstellung. Das passte in die allerorten (auch in der Wirtschaft) begonnen Überlegungen für ein strukturiertes Bekenntnis zur neuen Verwaltung und involvierte prinzipiell alle Bediensteten. Das gemeinsam erarbeitete Leitbild hing als Papier an den Behördentüren und begann als Idee in den Köpfen zu wirken. Andere Länder folgten nach. Das Leitbild sollte „gelebt“ werden. Aber das war gar nicht so einfach, solange die administrativen Strukturen noch so blieben, wie sie schon immer waren und die Anweisungen weiterhin „von oben“ kamen. Ohne Unterfütterung durch organisatorische Veränderungen blieb das Leitbild ein lobenswerter Versuch zur internen Kommunikation, zur Erörterung von Veränderungsbedarf. Aber die LeitbildIntention versandete, wenn die politische Führung das Interesse („an so etwas“) verlor oder wenn die Organisationsentwicklung hängen blieb.
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2.2 Organisationsänderung und Effektuierung von Geschäftsprozessen Chancenreicher waren die Versuche, durch gezielte Organisationsänderung und Effektuierung der Geschäftsprozesse direkte Nutzen für Verwaltung und Bürger zu erreichen. Das Startprojekt zur Verwaltungsmodernisierung in einem Land war der erfolgreiche Modellversuch „Finanzamt 2000“; zunächst erprobt in einem Finanzamt, danach flächendeckend eingeführt. Im Kern ging es um organisatorische Änderungen, um die Rückführung zerstückelter Fallbearbeitung in ganzheitliche Bearbeitung vom Eingang einer Steuererklärung bis zum Bescheid durch einen Bediensteten. Damit verbunden war eine dezentrale EDV-Nutzung. Die mittlere Durchlaufzeit bei Einkommensteuerveranlagungen wurde von 64 auf 44 Kalendertage verringert. Die Steuerpflichtigen fanden das prima und die Bediensteten gewannen Kompetenzen und Arbeitszufriedenheit. Das Organisationsklima verbesserte sich zusehends – nach anfänglichen Bedenken und kleineren Widerständen. Wichtig war, – dass die politische Führung – zusammen mit externen Experten – vor Ort für das Vorhaben warb und es dann begleitete, – dass die Personalräte beteiligt waren, – dass die Mitarbeiter ziemlich schnell die Vorteile der Innovation erkannten, – dass aus der Exklusivität des Modellversuchs auch ein wenig Pionierstolz resultierte („Wir in N.N.“), – dass aufkommende Vorbehalte (in anderen Finanzämtern) schnell verpufften. Es war eine erfolgreiche Teamleistung vieler Beteiligter, was auch für andere Modernisierungsprojekte beispielhafte wirkte, so zum Beispiel bei einem Projekt zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren bei Großvorhaben der Wirtschaft. 2.3 Selbstversuche der Modernisierung Eine Landesbehörde modernisierte sich – aus eigenem Antrieb – fundamental unter Einbeziehung von Erfahrungen in der Wirtschaft und der vorgängigen Modernisierungsversuche. In Teamstrukturen mit Kontraktmanagement, mit prozessorientierter eigener Geschäftsordnung, wurde Enthierarchisierung und Effizienzsteigerung betrieben. Es gelang, von innen her eine Aufbruchstimmung zu erzeugen und eine breite Akzeptanz bei den Mitarbeitern zu erreichen. Das „behördeneigene Projekt“ wurde vom Ministerrat gebilligt und „gelobt“. Der prozessorientierte Umbau der Organisation ließ sich als ständiger Verbesserungsprozess begreifen, mit einem Personalentwicklungskonzept verknüpft und durch angepasste IKT untermauert.
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2.4 Modernisierung mittels Personalrotation Je ernsthafter die Verwaltungsmodernisierung im Korridor einer Übergangsgesellschaft betrieben werden soll, desto drängender wird die Anpassung der Personalpolitik – also die Personalplanung und Personalentwicklung. Diese wiederum benötigt verstärkte Mobilität: fachlich, räumlich, mental, zeitlich. Erfolgreiche Mobilität verläuft zunächst und fortwährend in den „Köpfen“, mit der Bereitschaft, Neues zu lernen und zu erproben. Was im durchaus noch vorhandenen Gehäuse der Bürokratie mit Amtshierarchie, Laufbahnprinzip und organisatorischer Abschottung zunächst wie ein Einsprengsel „aus einer anderen Welt“ anmutet. Was sich noch verstärkt, wenn nun gar die mobilitätsfördernden Konzepte der Personalrotation eingebracht werden. Das Speyerer Forschungsinstitut/WiDuT hat den Partnern aus den Länderverwaltungen 2006 ein idealtypisches Personalrotationsmodell vorgelegt, das zukünftige Herausforderungen berücksichtigt, so organisatorische Innovationen, die Überalterung und neue Lernanforderungen (Böhret, Brenski & Oertel, 2006). Die fortwährende und systematische Qualifikation von Mitarbeitern durch planmäßigen Arbeitsplatzwechsel (auch in extra-administrative Bereiche) scheint besonders erstrebenswert zu sein. Eine Verknüpfung mit Personalsteuerung (und Personaleinsatz) ist empfehlenswert. Im Speyerer Rotationsmodell werden unter anderem fünf Rotationssegmente berücksichtigt und verknüpft. Um Rotationskonzepte effektiv betreiben zu können, werden mehrere Maßnahmen erforderlich, so vor allem die Einrichtung eines ressortübergreifenden Personalpools, eine individuelle Potentialanalyse und personalsteuernde Verfahren (z. B. Abordnung, Versetzung etc.), entwickelt auf der Basis vorgängiger Recherchen. In diesem Modell wurden erwartbare gesellschaftliche Entwicklungen und die daraus resultierende Anforderung an die Personalmobilität berücksichtigt. Insgesamt wurde das vorgestellte Basismodell befürwortet, aber zugleich wurde der umfassende Ansatz als zu belastend für die Verwaltung eingestuft – versehen mit einer Menge diverser Einwände über Umsetzungsschwierigkeiten in der darauf grundsätzlich nicht vorbereiteten Verwaltungskultur. Einige Länder konnten bereits Erfahrungen mit Mobilitätsexperimenten vortragen (z. B. Hessen mit eigenen Richtlinien seit 2003), hier wird „Rotation als Voraussetzung für den beruflichen Aufstieg“ genannt. In anderen Ländern sind schon Stellenpools eingerichtet worden. Im übrigen unterscheiden sich die Konzepte und Durchführungen deutlich; aber immerhin wird Personalrotation versucht, wenigstens ressortintern – trotz aller Schwierigkeiten und Vorbehalte. Wir sind noch mitten drin in der Entwicklung, Erprobung und dem Vergleich (Benchmarking) von Personalrotationskonzepten als Teil der Personalentwicklung innerhalb eines Zukunftskorridors, der auch der Verwaltung einige Modernisierungsleistungen abver-
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langt. Ohne Innovationen in diesem zentralen Bereich wird die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Sektors zurückbleiben, was wiederum unerwünschte Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung haben kann. 2.5 Die Lust am Blockieren und Verzögern, oder „die wirklichen Veränderungsgegner sitzen bei uns selbst“ Passiven Widerstand gegen Veränderungen, vertiefte Lustlosigkeit, Selbstbehinderungen und innere Kündigung gibt es auch in der Verwaltung. Aber Killerphrasen und die Verbreitung von Gerüchten sind dort besonders verbreitet. Nur zur Erinnerung: NSM (Neues Steuerungsmodell) wurde übersetzt und diskreditiert als „Noch so’n Mist“, und die wirksamste Hinhalte lautet noch immer: „Zuerst muss ... dann schau’n wir mal ...!“ Man spricht in den modernen Begriffen, um den Transfer der „Anmutungen“ real zu verhindern. Verzögern („Liegenlassen“, Abwarten in guter Deckung) ist ziemlich folgenlos. „Lähmschichten“ können sich entwickeln und blockieren den Veränderungsdrang. Verwaltungsmodernisierer und Verwaltungspolitiker stehen oft staunend vor dem Erfindungsreichtum der Veränderungsgegner, aber auch vor deren „real existierender Macht“. Ich habe mehrere dieser nicht ungefährlichen zirkulären Prozeduren miterlebt, die offensichtlich der Vermeidung einer neuen Tätigkeitszumutung dienen sollten. Beispiel: Eine in der Sache unbedeutende und kostenneutrale Zustimmungsbitte benötigte 20 Tage Durchlauf und kam mit allen Mitzeichnungsvermerken versehen – aber ohne den erbetenen Entscheidungsvorschlag – zurück. Es waren (ausgerechnet) 14 „Zur-Kenntnis-Nehmer“ beteiligt. Zwischen Organisationseinheiten kommt es immer wieder zu Zuständigkeitsund Bedeutungskämpfen, die allen Ernstes ausgetragen werden, Hackordnungen werden hergestellt und verteidigt, Zuständigkeitsgewinne bei den anderen sollen verhindert werden. Ich habe drei Syndrome festgestellt: – das Einandermisstrauen-Syndrom (was wollen die damit, wir geben nichts raus). – das Nichtmiteinanderkönnen-Syndrom (die da oben, die da unten, die da drüben), – das Weitweg-Syndrom (die haben keine Ahnung, die erkennen nicht den Zusammenhang, die sind abgehoben und lästig). Veränderungen mit den zu Verändernden in einem Netz von Verfahrensabsicherungen und Entschleunigungen zu erreichen, ist überaus schwierig. Letztlich gilt das „Baron-von-Münchhausen-Syndrom“ (sich auf einem im Sumpf versinkenden Pferd sitzend am eigenen Schopf herausziehen).
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2.6 Neuorganisation einer Landesverwaltung In einer Koalitionsvereinbarung wurde festgelegt, eine Neuorganisation der Landesverwaltung zu vollziehen, die vor allem die Beseitigung oder Ersetzung der traditionsreichen Regierungspräsidien vorsah, womit auch die Umorganisation von Fachbehörden und die Verlagerung von Aufgaben verbunden war. Eine Expertenkommission schlug nach intensiven und mühsamen Beratungen eine wesentliche Umgestaltung der mittleren staatlichen Ebene mit Aufgaben- und Zuständigkeitsverlagerungen vor. Bis es zum konzeptionellen Durchbruch kam, musste sich die Kommission (in der auch Vertreter der aufzulösenden Mittelbehörden mitwirkten!) von der Diskussion kleinster Änderungsvorschläge und der Verschiebung von Behördenkästchen befreien und zur umfassenderen Modelldiskussion durchringen, was nur durch eine zeitweilige quasikonspirative Umgehung und Re-Politisierung gelang. Dies war auch erforderlich, weil sich draußen und drinnen die Gegenvorschläge häuften und BlockadeTaktiken betroffener Behörden sichtbar wurden. Eine Durchbruch-Alternative – in der Form eines Kompromisses höherer Ordnung – überzeugte schließlich auch die politische Führung. Die optimale Lösung (also nicht eine ebenfalls erörterte maximale!) wurde akzeptiert und verkündet. Spezielle Arbeitsgruppen zur konkretisierenden Umsetzung des Konzepts nahmen die Arbeit auf. Jetzt schlug die Stunde der betroffenen Verhinderer: Mit schlauen Taktiken wurde versucht, die Struktur- und Verfahrensveränderung zu untergraben und die Arbeitsfähigkeit der neuen Organisation zu diskreditieren. Mit einer einstweiligen Anordnung konnte die Weitergabe von Personaldaten an die nun zuständige neue Behörde zeitweilig verhindert werden. Später wurde deren Tätigkeit durch DatenOverflow beeinträchtigt. Schuldzuweisung an die Modernisierer; temporäres Aufhalten des Veränderungsprozesses. Die politische Führung blieb konsequent bei der Durchsetzung des Grundkonzepts. Insgesamt darf man eine erfolgreiche Organisationsänderung feststellen, die durchaus die zukunftsfähigen Intentionen der politischen Führung realisierte. Im Dickicht von Intentionen und Widerständen war mittels aktiver Verwaltungspolitik eine fortschrittliche Lösung erreicht worden. 2.7 Veränderung der Rechtsvorschriften-Erzeugung Ein zentraler Nachweis der politisch-administrativen Tätigkeit ist die Produktion von Rechtsvorschriften. Gesetze sind „geronnene Politik“, Verwaltungsvorschriften sind Anwendungshilfen. Alle wichtigen Eingriffe, Ordnungen und Leistungen benötigen eine gesetzliche Grundlage (Wesentlichkeitstheorem des Bundesverfassungsgerichts). Wir haben – dies unterstützend – eine „teutonische Regelungskultur“ entwickelt, die Bürger drängen selbst auf rechtliche Regelun-
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gen. Parallel dazu verstärken sich aber die Klagen, dass Regelungstiefe und Regelungsumfang viel zu groß seien und Bürokratiebelastungen entwicklungsreduzierend wirkten. Viele Abhilfen werden angeboten. Eine davon ist die Einführung der Gesetzesfolgenabschätzung (GFA). Mit deren Hilfe sollen weniger, aber bessere Rechtsvorschriften erreicht werden – durchaus auf anspruchsvollen Wegen (Böhret & Konzendorf, 2001; Böhret, 2006). Die gesetzesvorbereitende Verwaltung benötigt hierzu rechtlich gesicherte Vorgaben und organisatorische Zuweisung. Und überdies muss der Wille der politischen Führung erkennbar sein, dass sie die Nutzung der neuen Instrumente auch ihrerseits zu fördern gedenkt. Es war und ist also erforderlich, durch verwaltungspolitische Intervention die traditionellen Verfahren der Rechtserzeugung zu ergänzen und die benötigten organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen. Eine typische verwaltungspolitische Beschlussempfehlung (der Modernisierungskommission) lautete: „Beim Entwurf von Rechtsvorschriften mit vermutlich großer Wirkungsbreite und/oder beachtlichen Auswirkungen (sind) (Gesetzes-)Folgenabschätzungen vorzunehmen und/oder Testverfahren einzusetzen. Deren Ergebnisse sollen im Entwurfsprozess berücksichtigt werden“ (VORAN, 1997, S. 7).
Diese Vorgabe konnte die übliche Arbeitsweise der gesetzesvorbereitenden Verwaltung schon berühren; zumal damit auch binnenorganisatorische Änderungen verbunden sein konnten. Es gab zwei typische Reaktionen: (1) Das ist prima! – Wir machen sofort mit und stehen damit an der Spitze der Modernisierung. (2) Was soll denn das schon wieder? – Das machen wir doch ohnehin kraft Amtes und auf der Basis langjähriger Erfahrungen; da hilft auch das MethodenZeug nicht weiter – im Gegenteil. Im Übrigen gibt es dafür keine Rechtsgrundlage. Dieser letzte Satz ist in einer regelungskulturellen Verwaltung bedeutungsschwer: Ohne festgeschriebene Anweisung läuft da wenig. Also war es erforderlich, nun auch in dieser Richtung tätig zu werden, was hieß, Vorschriften zu produzieren, die aus der bloßen Handlungs-Empfehlung eine mehr oder weniger verbindliche Anordnung machten. In diesem Fall bot sich eine Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Ministerien (GGO) an. Dies sollte in einer Arbeitsgruppe vorbereitet werden, in der ausgewählte Ressorts, die Staatskanzlei und der Vorsitzende der Modernisierungskommission zusammenwirkten. Was auch geschah. Es wurde eine Vorlage eingebracht, mit der die GFA in die GGO im Sinne der Empfehlungen eingearbeitet werden sollte. Ich will den nun einsetzenden schleppenden Prozess nicht nachvollziehen, der Änderungsprozess wurde mehrfach gestört und verzögert. Vorübergehend
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musste er sogar ausgesetzt werden, weil die Widerstände auch in persönliche Ereiferungen abglitten. Schließlich setzte sich die Linie der Modernisierungskommission durch, vor allem auch, weil die politische Führung die Änderungen der GGO für richtig und notwendig erachtete. Jetzt wurde die GFA explizit übernommen, in einem Anhang erläutert und durch begleitende Materialien und Informationsveranstaltungen unterfüttert. Wichtig war auch, dass zwei überaus erfolgreiche Anwendungen der neuen Verfahren auch den größeren Teil der Skeptiker überzeugten. Freilich war und ist nicht auszuschließen, dass man in vielen Fällen die GGO formal anwendet, ohne eine richtige GFA durchzuführen. Aber selbst in diesen Fällen ließen sich Denkergänzungen hin zu wirkungsorientierten Überlegungen erkennen. So hat der Veränderungsprozess wenigstens zu einem neuen Denken geführt. Überall dort, wo die GFA in größeren Regelungs-Vorhaben – unter Beteiligung externer GFA-Methodiker – angewendet wurde, kamen erfolgreiche Produkte hervor, die auch in den parlamentarischen Beratungen substanziell überzeugten. Mehrere Länder haben die GFA-Hilfsmittel (Handbuch, Leitfäden) übernommen und durch Verwaltungsanordnungen in den Gesetzgebungsprozess integriert (z. B. Baden-Württemberg). 3
Ableitung I: Kurzgefasste Leitsätze für Verwaltungsmodernisierer („Taktik“)
Die geschilderten Fälle sind keine erschöpfenden Hinweise auf die Potenziale kreativen Verwaltungshandelns oder auf erfindungsreiche Widerstände gegen Veränderungen. Freilich – beides ließe sich mühelos anreichern und um viele andere Beispiele aus den systematisierten Erfahrungen erweitern. Aber schon auf der knappen empirischen Basis können ein paar verwaltungspolitische Leitsätze abgeleitet werden. (1) Verwaltungsmodernisierung ist nicht „Thema Nummer Eins“, bestenfalls ein phasenabhängiges Sekundärthema hoher Priorität. Mit Verwaltungsmodernisierung (allein) kann die politische Führung keine Wahlen gewinnen; bei abschüssigen Trends können negative Stimmungen sogar verstärkt werden. Das originäre und dauerhafte Interesse der Politik an Verwaltungsmodernisierung ist deshalb gering, zumal man nur zusätzliche Probleme mit und aus der Verwaltung erwarten muss. (2) Kommt es zu Modernisierungsprogrammen, dann müssen diese von einem festen politischen Willen zur Veränderung getragen sein – auf der Basis eines überzeugenden Programms. Verwaltungsmodernisierung ohne Vision und hinreichende Überzeugungskraft – die auch intrinsische Motivation erzeugt und fehlertolerantes Experimentieren zulässt – bricht auf irgendeinem Stand zusam-
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men und versandet dann wirkungslos. Und: Ohne konsequentes „Nachsteuern“ verpufft der Anfangseifer bei den Gutwilligen. (3) Die Veränderungsprozesse dürfen nicht zu früh abgebrochen werden, sie müssen auch lange genug durchgehalten werden („langer Atem“). Denn: Verwaltungsmodernisierung ist in Übergangsgesellschaften eine Daueraufgabe. Sie kann jedoch durchaus in Schüben erfolgen. Dazwischen können sogar Ruhepausen (des Modernisierens) ratsam sein. Beispiel: Auflösung der institutionalisierten Modernisierung der Landesverwaltung (nach fünf Jahren); Pause und Neubeginn mit Kommunalreformen. Der richtige Zeitpunkt für neue Modernisierungen darf dann nicht verpasst werden, sonst ist das ganze Projekt gefährdet. (4) Modernisierungen richten sich prinzipiell gegen Organisationseinheiten mit dem unausgesprochenen Ansinnen, diese traditionsreiche Institution habe bisher nicht richtig oder nicht gut genug gehandelt und ihre Prozeduren nicht rechtzeitig an externe Veränderungsanforderungen angepasst. Das stößt ins Zentrum des Selbstverständnisses und der institutionellen Sicherheit und erhöht den Widerstand gegen die Veränderungsvorschläge. Man erhöht die Routinisierung; typische Reaktionsmuster sind Kleinmängelbehebung und Anpassung bleibender Probleme an vorhandene (und akzeptierte) Lösungsmöglichkeiten. (5) Größere Veränderungen (wie die Abschaffung der Mittelbehörden) betreffen nicht nur einige Bedienstete und isolierte Arbeitsabläufe einer abgegrenzten Organisationseinheit (etwa die Effektuierung des Beschaffungswesens); vielmehr muss sich ein ganzes Subsystem umstellen: andere Verwaltungen sind betroffen, aber auch die Wirtschaft (etwa bei Genehmigungsverfahren) oder eine ganze Region, wie bei der Verlagerung von Behördenstandorten. Daraus können sich „natürliche Verhinderungskoalitionen“ ergeben. Keine(r) will letztlich Routinen und informelle Beziehungsnetze aufgeben. (6) Es ist durchaus ratsam, die Verwaltung adäquat an der Modernisierung ihrer selbst zu beteiligen. Da die Beziehungen zwischen Politik und Administration besonders eng sind (von welchem „Idealmodell“ sich man auch leiten lässt), sind jedenfalls fundamentale Innovationen nur gegen Beschwichtigungskosten, Zugeständnisse an anderer Stelle, Konzeptverwässerung oder gar Misserfolg zu erreichen. (7) Im Extremfall: Die Verwaltung ist diejenige Institution, die verwaltungspolitische Vorgaben erfolgreich an sich selbst vollziehen kann, was wiederum erhebliche Zugeständnisse an Art und Umfang der Modernisierung erfordern wird. Verwaltungsmodernisierung ist auch ein Verhandlungsgegenstand zwischen Beteiligten. Begrenzt wiederum durch die Erfordernisse der sozioökonomischen Entwicklung. (8) Modernisierungen größeren Umfangs lassen sich zumeist nicht ohne gelinden Druck und Beharrlichkeit gegen die Beharrungskräfte erreichen. Denn
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gerade bei umfassenden Änderungen geht es auch um Umverteilung: Einigen wird etwas genommen, und sei es nur die „Heimat im Amt“ und eingespielte Kommunikationskultur, andere scheinen ohne größere Einbußen wegzukommen. Die politische Führung sollte hier den Leitsatz der Pareto-Optimalität beachten – ganz ohne Ausgleichzahlungen wird es kaum gehen. Zwar gibt es im öffentlichen Dienst keine Beschäftigungsgefährdung, dennoch entstehen Ängste aus der Entroutinisierung wie aus Mobilitätsanforderungen und drohenden Statusverlusten. Zumindest entstehen Absicherungs- und Umstellungskosten. Machiavelli gibt uns einen Tipp (Discorsi, um 1520, Nr. 343, in Schmid, 1956): „Da alles Neue den Sinn der Menschen beunruhigt, muss man sich sehr Mühe geben, (bei) den Neuerungen so viel als möglich, vom Hergebrachten zu belassen.“ (9) Aktive Verwaltungspolitik muss die Modernisierungspläne rechtzeitig nennen, die Rahmenbedingungen wie die Verteilungsregeln für die betroffenen Organisationseinheiten erläutern, für die Veränderungen werben und – nicht zuletzt – an das administrative Dienstleistungsethos appellieren. Dafür hat die Politik die Verwaltung auch gegenüber ungerechtfertigen Angriffen von außen in Schutz zu nehmen. (10) Verwaltungseinheiten, die das „neue Zeug“ und die Zumutungen sogar als positive Veränderung und Vorteil für sich selbst erkennen und quasi selbstorganisierend vorangehen, haben deutliche taktische Vorteile und erreichen eine hohe Eigeninteressenberücksichtigung. (11) Es gibt auch bei Verwaltungsmodernisierungen keinen Schutz für „geistiges Eigentum“. Verwaltungspolitiker einiger Länder übernahmen Ideen und Verfahren von Innovatoren anderer Länder – oft ohne Verweis auf die anregenden Quellen – und sei es nur mit dem Hinweis, dass man es selbst ja noch besser mache als die anderen oder dass man Organisationslernen nutze. Wenn man sich zur erfolgversprechenden Übernahme eines Modernisierungskonzepts entschieden hat, dann möchte man das gute Ergebnis auch zur Selbstdarstellung nutzen. Was verständlich ist, zumal ja einige (landestypische) Veränderungen vorgenommen wurden. Also doch: interorganisatorisches Lernen – aber ohne Bekenntnis dazu. Es zahlt sich politisch aus, eine Innovation als eigenes Konzept zu präsentieren. Und am Ende solcher (schleichender) Übernahmen weiß dann niemand mehr, wer der ursprüngliche verwaltungspolitische Initiator war. Vielleicht ist das sogar gut so: Die erfolgreiche Verbreitung einer Veränderung ist wichtiger als der Stolz über die Urzeugung. (12) Widerstände, die in den Tiefenschichten des Systems (in der Verwaltungskultur) verortet sind, sind besonders schwer zu reduzieren. Aber sie haben auch eine wichtige Anzeigefunktion: Hier werden Systembiografie und Selbstverständnisse berührt. Da muss ergebnisoffen und intensiv kommuniziert werden. Dauer-Beispiel: Dienstrechtsreformen.
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(13) Die meisten Verwaltungs„politiker“ wurden ihrerseits in dem Verwaltungssystem sozialisiert, das sie nun verändern sollen. Beweis: die Zusammensetzung vieler Modernisierungskommissionen. Zwar kennen sie deswegen das zu modernisierende System besonders gut, besitzen aber zugleich eine basale Zuneigung zum „Stammhaus“. Andererseits können Verärgerungen von damals (z. B. die des ehemaligen Landrats gegenüber dem Regierungspräsidium) auch modernisierungsfreundlich machen. Im Grundsatz aber verwehrt es sich zunächst doch, radikale Einschnitte in die Heimat-Organisation vorzunehmen, zumal man ja „dieselbe Sprache spricht“. Umfassendere Änderungen gehen dann doch nur mit unbedarften Externen, deren Interventionen aber als „gerade noch glaubwürdig“ erscheinen müssen! Weder Spinner, noch Ignoranten noch Gutredner aus ganz anderen Bereichen (etwa der Wirtschaft oder Wissenschaft) sind da wirklich erfolgreich. (14) Modernisierung darf nicht zum Selbstzweck der Modernisierer oder der mitwirkenden Experten werden. Die Bedenken der Betroffenen sind da schon ernst zu nehmen. Auch die Modernisierer haben nicht immer in allen Überlegungen recht. Auch sie haben Vorverständnisse und Interessen, und sei es nur die vorzeigbare Umsetzung ihrer Empfehlungen und Warnungen. 4
Ableitung II: Erkenntnisse zur aktiven Verwaltungspolitik („Strategie“)
Aus den geschilderte Fällen – wie aus vielen weiteren Erlebnissen und Untersuchungen – ließen sich die 14 taktischen Leitsätze für Verwaltungsmodernisierer gewinnen. Jetzt soll versucht werden, aus beidem komprimierte Einsichten zu gewinnen, die letztlich in eine verwaltungspolitische Strategielehre münden. Dies geschieht im Folgenden auf der Basis von neun Komponenten, die zugleich Empfehlungen und Warnungen repräsentieren. 4.1 Erste Komponente: Pentagramm der Verwaltungsmodernisierung Die Vielfalt der Modernisierungs-Bemühungen ließ sich kategorial zunächst fünf großen Modernisierungsbereichen zuordnen und als „bewegter Zusammenhang“ erkennen (V-O-R-A-N und P, vgl. Abbildung 1). Dafür wurde der klassische Begriff des „Pentagramms“ eingeführt. Mit der Wahrnehmung, dass jene Felder „magisch“ aufeinander bezogen seien: Änderungen in einem Feld ziehen Änderungen oder Restriktionen in anderen mit sich. Am Beispiel: Organisationsänderungen benötigen rechtliche Absicherungen, für einen Aufgabenumbau sollten neue Steuerungsinstrumente entwickelt und eingesetzt werden. Was dann alles verwaltungspolitisch initiiert und
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gesteuert werden muss. Der zunächst in allen Feldern inkorporierte Faktor „Personal“ wurde später in den Drehpunkt des Pentagramms gesetzt. V Verwaltungspolitik
N Neue Steuerungsinstrumente
A Aufgabenumbau
P Personal
O Organisation
R Regelungsoptimierung
Abbildung 1: Das Modernisierungs-Pentagramm
4.2 Zweite Komponente: Bearbeitung von Widerständen Alle systematisierten Wahrnehmungen führen letztlich zu der Frage nach der immer wieder vergessenen oder gar missachteten Überlegung, wieso eigentlich Neuerungen nicht mühelos eingeführt und freudig benutzt werden könnten. Eine Frage, die man sich nach begrenzten Transfer-Erfolgen guter Projekte und Methodenangebote während der Phase der „Planungseuphorie“ der frühen 70er Jahre des 20. Jahrhunderts allmählich stellte. Mit der Kategorie der „Implementation“ und der folgenden Fokussierung auf die Untersuchung des „erlebten Scheiterns“ von Reformen wurde problematisiert, dass die Transfers offensichtlich nicht an der guten Absicht und den einleuchtenden Methoden scheiterten, sondern an einigen organisationsinternen Restriktionen, die wiederum von betroffenen Personen („Akteuren“) verursacht wurden. Ganz so neu war diese Problemstellung ja nicht, sie war nur „vergessen“ worden. Denn schon bei Machiavelli hätten wir ja fündig werden können, der um 1513 feststellte, dass es ein schwieriges und gefährliches Wagnis sei, wenn man eine neue Ordnung einführen wolle. Denn der Neuerer (der Innovator) habe alle die zu Feinden, denen die alte Ordnung nütze, und er gewönne nur zögernde Befürworter bei denen, die sich eigentlich von der Neuerung einige Vorteile erhofften. So komme es dazu, dass die Gegner der neuen Ordnung diese leidenschaftlich angriffen und zu verhindern versuchten, während die Befürworter sie bestenfalls halbherzig unter-
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stützten. Deshalb gerieten die Neuerer zusammen mit den zurückhaltenden Unterstützern in die Gefahr des Scheiterns (vgl. „Der Fürst“, 1513). Nicht zuletzt die Verwaltungspsychologie (vgl. programmatisch Beck, Koch & Fisch, 2005; Fisch & Beck, 2006) hat mit ihren neueren Erkenntnissen wesentliche Beiträge zur verwaltungspolitischen Implementationsstrategie und „Widerstandsforschung“ geleistet (insbesondere auch Fisch, 2002). Ansonsten wurde die Implementationsforschung zur Angelegenheit mehrerer Disziplinen. Aus diesem Bemühen resultieren einige allgemeine (interdisziplinäre) Erkenntnisse, die sich vor allem an dem verwaltungspolitischen Umgang mit den (personalen) Widerständen gegen Neuerungen orientieren. Beispielsweise: – Der Widerstand ist am geringsten, wenn das Modernisierungsvorhaben nicht (nur) von „Außenseitern“ eingebracht wird und wenn die politische Führung unterstützend und schützend mitwirkt. – Der Widerstand ist sehr gering, wenn durch die Veränderung die Position (und die Interessen) der Betroffenen gestärkt oder zumindest nicht beeinträchtigt wird („Pareto-Optimalität“). – Der Widerstand ist gering, wenn die Veränderungen prinzipiell nicht gegen institutionelle Werte und Einstellungen („Systembiografie“) gerichtet sind. – Der Widerstand ist eher beherrschbar, wenn bei Entwurf und Einführung möglichst viele Organisationsmitglieder beteiligt werden und Gruppenentscheidungen (im Sinne der Veränderung) initiiert werden können (vgl. auch Klages, 1998). – Der Widerstand ist gering, wenn Revisionsmöglichkeiten zugestanden werden (Terminierung, Rückholklauseln etc.). – Der Widerstand ist relativ gering, wenn genügend Zeit zur Umsetzung der Veränderungen gegeben wird und nicht ständig neue Interventionen erfolgen. Machiavelli warnte schon 1516: „Es bekommt einem Staate schlecht, wenn man jeden Tag die Brust der Bürger mit neuer Unruhe erfüllt, indem man bald diesem, bald jenem etwas antut“ (Discorsi, um 1520, Nr. 364, in Schmid, 1956). 4.3 Dritte Komponente: Innovationsbündnisse auf Zeit Die erfolgreiche Veränderung selbstbewusster Organisationen setzt das temporäre und gewollte Zusammenwirken von Modernisierungsträgern voraus. Die größeren Vorhaben kamen zustande und wurden erfolgreich durchgeführt, wenn sogenannte „Innovationsdreiecke auf Zeit“ genutzt werden konnten (vgl. Abbildung 2).
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PF (Politische Führung)
InIn (binnenorganisatorische Innovatoren)
Ext (Externe Experten; Laiensachverstand)
Abbildung 2: Innovationsdreieck auf Zeit
Jeder der drei Partner bringt – in einer Art „strategischer Allianz“ – seine spezifischen Kenntnisse und Wahrnehmungen des zu Verändernden ein. Idealerweise kommt es zu innovativen Vorschlägen, zu diskursiven Prozessen und zu Lösungsvereinbarungen. Dabei sind wechselseitige Anerkennung der unterschiedlichen Herkünfte und der Rückbindungen der Partner (etwa der Experten an ihre wissenschaftliche oder gruppenspezifische „Heimat“) zu sichern. Das zugrunde liegende Theorem lautet: Versuche eine Balance herzustellen zwischen den Absichten der politischen Führung, dem Mitwirken der veränderungsbereiten Mitarbeiter/innen und den Vorschlägen der Externen. Reduziere mentale Vorbehalte, Machtängste und Arroganzen durch Vertrauen und intrinsische Motivation. Mit solchen Bündnissen wurden – wie beschrieben – große und kleine Modernisierungen realisiert, Gesetzesfolgenabschätzungen durchgeführt und Mengen an Verwaltungsvorschriften beseitigt. In kritischen Lagen – also bei „Bündniskonflikten“ muss jedoch die (verwaltungs-)politische Führung die fortdauernde Kooperation oder einen inhaltlichen Durchbruch erreichen. Der externe Sachverstand kann gegen eine routinierte Blockade der Fachverwaltung alleine nichts ausrichten, die politische Führung hat das Zusammenwirken von internen und externen Innovatoren dauerhaft zu fördern, wechselseitiges Verstehen und Akzeptieren zu erzeugen, und die eigene Rolle positiv zu vermitteln. Erstrebt wird ein „offenes Beratungsverhältnis auf Zeit“ (vgl. auch Abschnitt 4.8).
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4.4 Vierte Komponente: Ohm’sches Gesetz der Verwaltungspolitik Bei allem Miteinander der Innovatoren und Förderer ist nicht auszuschließen, dass es gegenüber geplanten Neuerungen zu machtvollen Blockaden, Verzögerungen und Widerständen kommt (vgl. grundsätzlich auch Fisch, 2002). Je mehr eine Innovation das administrative Immunsystem zu verletzten droht, desto größer wird der dagegen mobilisierte Widerstand, der dann nur durch zusätzliche Interventionen oder „Ausgleichszahlungen“ der politischen Führung reduziert werden kann. Als hilfreiche Denkfigur hat sich das sogenannte „Ohm’sche Gesetz der Verwaltungspolitik“ erwiesen (vgl. Abbildung 3):
U (Spannung; Innovation, Modernisierung)
R (Widerstand; Non-Akzeptanz, Gegenmacht)
I (Stromstärke; Vorgaben, Intervention, Macht)
Abbildung 3: Ohm’sches Gesetz der Verwaltungspolitik
Diese „gesetzmäßigen Beziehungen“ sind auch als prozesshaft („dynamisch“) zu verstehen: Die in Gang gesetzten Innovationen (z. B. durch Zusammenwirken von PF und Ext in Abbildung 2) müssen – insoweit sie auf Widerstände (R) treffen – gegen Rückfälle abgesichert und gegebenenfalls verbreitert werden. Es ist oft nötig „nachzusteuern“, sonst versandet der Veränderungsprozess oder er wird auf „ferne Inseln“ abgedrängt und dort isoliert. Ein „Mitreißen“ – wie es bei ko-evolutiven Vorgängen geschieht (vgl. auch Abschnitt 5) – wird so verhindert. Übrigens: Der Widerstand ist nie gleich Null!
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4.5 Fünfte Komponente: Eckpunkte basaler Strategie Auch aus klassischen Werken (von Sun Tse über Machiavelli, Clausewitz, Benjamin Constant, Mao Tse Tung u. a.) können strategische Grundsätze abgeleitet und an Modernisierungsprozessen überprüft werden. So konnten Verwaltungspolitiker zumindest vier basale Empfehlungen der Klassiker bestätigen: – Ohne Gesamtplan der Veränderung sollte man nicht an einzelne Vorhaben herangehen. – Ohne ausreichende Vorstellung von der Gesamtlage zu haben, kann man keine guten taktischen Züge (Einzelprojekte) beginnen. – Schon in der ersten Phase sich andeutender Schwierigkeiten und Konflikte ist an die nächsten Phasen und das Gesamtziel zu denken. Es ist schädlich, jeweils nur einen Schritt zu planen. – Man sollte bedenken, dass auch die Gegner und Widerständler einige taktische Einfälle haben (vgl. auch Abschnitt 2: Abschaffung von Regierungspräsidien). 4.6 Sechste Komponente: Keil-Kern-Theorem Für die passgerechte und deswegen erfolgreiche Vorgehensweise wurden von Implementationslehrern mehrere Strategien auch für die Verwaltungspolitik vorgeschlagen: – Die U-Prozedur (mehrfach beteiligendes Gegenstromverfahren oder ein „realistisches Modell“, nach Klages, 1998) – die „Bombenwurfstrategie“ (plötzlich und unerwartet, ohne Beteiligung der Betroffenen) und neuerdings auch – die KKS = Keil-Kern-Strategie (vgl. Abbildung 4). Der zufolge sollen Veränderungen nicht umfassend, vorsichtig und in aller Breite („nomadisierend“) vor sich gehen, sondern gezielt und keilförmig – unter Nutzung von Lücken zwischen einzelnen Widerständen – zum eigentlichen Veränderungskern vorstoßen. „Auf dem Weg dorthin“ lassen sich andere Probleme mitlösen oder Schwierigkeiten (mit derselben Kraftanstrengung) leichter reduzieren (nach Mewes, 1971, der auf Justus von Liebig aufbaut). Als Beispiel für die KKS könnte hier Einführung der Personalrotation (vgl. Abschnitt 2) dienen. Wenn es einer auf den Kern zielenden Verwaltungspolitik gelänge, das innovative Konzept auch nur annäherungsweise zu implementieren, würde die Verwaltungsmodernisierung in ihren personalpolitischen Teilen auch durch interne Nebeneffekte sowie durch Ausstrahlungen in die Umgebungssysteme (Wirtschaft, Wissenschaft) verändert: mit der tertiären Folge des Innovations(re)imports und der Selbstveränderung der Verwaltung von ihrem Kern aus.
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Dies wäre dann gewiss ein Beitrag der Organisationsänderung im Zuge des gesellschaftlichen Wandels. Aber Vorsicht vor einer „Schub-Umkehr“! Wenn die KKS misslingt, könnten auch die beteiligten Bereiche in den vorigen Stand zurückfallen und dann Modernisierungen für längere Zeit erschweren.
(KKS) keilförmig zum Kern, mitreißend
nomadisierend, „in die Breite“
Abbildung 4: Keil-Kern-Strategie
4.7 Siebte Komponente: Transfer-Management (1) In der teutonischen Verwaltungskultur gilt ein zentraler Grundsatz: Nur was institutionalisiert ist, existiert wirklich. (2) Es wird zur effektvollen Verwaltungsmodernisierung ein Dialog- und Transfermanagement benötigt, das sporadisch oder temporär institutionalisiert werden kann (z. B. als Modernisierungskommission auf Zeit oder durch ein Beauftragtennetz). Gremienbildung ist dann nützlich, wenn eine katalysatorische Wirkung erreicht werden soll, zur Entlastung der politischen Führung und als Gegenpol zu den Eigenroutinen der zu Verändernden. Denn es gilt auch hier das Münchhau-
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sen-Syndrom: Wie kann man sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen? Das „Ohm’sche Gesetz der Verwaltungspolitik“ (4. Komponente) wäre hier zusätzlich zu beachten. (3) Es ist laufend zu prüfen, welche Transferstrategien passgerecht sind: behutsames oder überraschendes Vorgehen oder die Kern-Keil-Strategie (vgl. auch 6. Komponente). Das Transfer-Management muss sich zeit- und sachflexibel in die induzierten Modernisierungen einpassen und dabei den Veränderungsprozess voranbringen (vgl. auch Abschnitt 2.6). 4.8 Achte Komponente: Adäquate Beratungshilfe Bei größeren und zugleich schwierigen Modernisierungsvorhaben sollte sich die politische Führung verstärkt auf externe Hilfen stützen – aber nicht nur und nicht fortwährend. Je nach Schwierigkeit des Problemfeldes, aber auch je nach Art der Veränderungswiderstände ist beispielsweise die Kombination von Kommission und Coaching ratsam (vgl. auch Übersicht 1). In einigen Fällen, zum Beispiel bei der Abschaffung von Regierungspräsidien und bei schwierigen Folgenabschätzungen, war diese Kombination nötig und erfolgreich. Freilich müssen die Mitglieder von solchen Kommissionen und vor allem die persönlichen Berater politik-affin ausgewählt werden. Übersicht 1: Kommission und Coaching
(t*: langsam)
(t*: schnell)
(wissenschaftliche) Denkfabrik
Coaching („Neo-Narr“)
(t*: schnell/mittel)
(t*: mittel)
Beratungsunternehmen
Kommission, Beirat
hoch
gering Kosten
Freiheitsgrad pol. Entscheidungsträger
hoch
hoch
mittel
Mittel
hoch mittel
Innovationsgrad
Politiknähe
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4.9 Synopse: Machiavellis Strategiegerüst Es ist verwaltungspolitisch intelligent, die Handlungsspielräume bei günstiger Gelegenheit zu erkennen und dann „insoweit“ erfolgversprechend zu handeln. Die Chancen dazu resultieren aus einem Geflecht mitwirkender Bedingungen und Voraussetzungen. Ein solches Strategiegerüst lässt sich noch immer klassisch aus Machiavellis Analysen und Ratschlägen ableiten. Übersetzt in verwaltungspolitische Überlegungen: Manche Strukturen und Vorgänge kann der Verwaltungspolitiker (situativ) nicht selbst bestimmen (Zufälle; Zwänge, die von den Umständen oder anderen Akteuren ausgehen; aber auch „Schicksal und Glück“). Machiavelli nennt das necessità und fortuna. Was Verwaltungspolitik aber einbringt, ist die optimale Kombination von Risikobereitschaft/Tüchtigkeit (virtù) und vorausschauende Einsicht (ragione). Und jetzt kommt es noch darauf an, das geöffnete Zeitfenster (qualità dei tempi) zu erkennen und die günstige Gelegenheit (occasione) zu nutzen. Der Faktor Zeit („politemps“) ist gewichtig; ein gelegentlich entscheidender „Mitspieler“. Solche Faktoren sind weitgehend beeinflussbar und nutzbar. Das umfassende Strategiegerüst Machiavellis ist „empirisch belastbar“ – wie man heute so sagt. Es gewährt dem Verwaltungspolitiker eine Art „Checklist“, anhand derer er die Chancen und Risiken seiner Vorschläge und Interventionen abschätzen kann, um dann die passgerechten Komponenten zusätzlich zu berücksichtigen. 4.10 Kurzes Resümee Es wurde eine ganze Menge an Erfahrungen aus dem Ereignisfeld „Verwaltungsmodernisierung“ gesammelt und in praxeologische Leitsätze und verallgemeinernde Erkenntnisse transferiert. Es dürfte ein wenig deutlicher geworden sein, weshalb die Verwaltung oft ein störrisches Subsystem ist oder sein kann. Ebenso sichtbar wurden einige Hemmungen mancher Verwaltungspolitiker, die eben doch eng in ihr Helfersystem (die Verwaltung) eingebunden sind. Verdeutlichen ließ sich – deswegen – aber auch die wichtige Rolle einer aktiven Verwaltungspolitik für die Renaissance der Verwaltungsmodernisierung. Für die Zukunftsanalyse kommt noch etwas Wichtigeres hinzu: Die künftig erforderlichen Modernisierungen werden nicht mehr als systeminterne Anpassungen mittleren Konfliktniveaus ablaufen können, sie müssen vielmehr auf die entwicklungsbestimmenden Systemänderungen insgesamt antworten. Wir sind – am Ende des Industrialismus und bei reduzierter Nationalstaatlichkeit – eine Übergangsgesellschaft geworden, die ihren Weg in eine neue gesellschaftliche Epoche sucht, in der Globalisierung und Lokalisierung vorübergehend eine neue Symbiose eingehen (müssen): Wir nennen das Glokalisierung! (Böhret, 2003).
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Angesichts dieser Trends sollte die Politische Führung ihre künftige Rolle in jenem gesellschaftlichen Entwicklungskorridor annehmen sowie die Anforderungen an aktive Verwaltungspolitik erkennen und beachten. Deshalb müssen die Entwicklungspotentiale und -bedingungen nun auch in verallgemeinernder Form ermittelt und erklärend eingesetzt werden. Ein wenig (Makro-)Theorie dürfte also nicht schaden, zumal die Veränderungen in und der Verwaltung bei gegebenem Strukturwiderstand nicht ohne erheblichen Druck eben aus den externen Bewegungen zu erreichen sind. Welche Paradigmen bestimmen also die Veränderungschancen mit, welche Theorien fördern praxeologische Ableitungen und schärfen die Erkenntnisse, so dass schließlich theoretisch geleitete, zukunftsgerichtete Verwaltungspolitik einsetzen kann? Ein paar Anmerkungen zum relevanten Theorienspektrum sollen diesen Hintergrund wenigstens illustrieren. Damit verbinden möchte ich das Gespür für die praktische Relevanz von Theorie(n) auch für Verwaltungsmodernisierung und – vor allem – für aktive Verwaltungspolitik. 5
Paradigmen der Veränderung oder vom Nutzen allgemeiner Theorie
Alle vorangegangenen Beschreibungen und Analysen von Verwaltungsmodernisierung (Abschnitte 1-4) dienten der empirisch gestützten Entfaltung des Themas, einschließlich der Fehler- und Mängelanalyse. Dabei könnte man es nun bewenden lassen und mit der Modernisierung auf verbreiterter Erfahrungsebene weitermachen oder hier und da neu beginnen. Und dennoch fehlt ein zusätzlicher Schritt; irgendwie vermisst man noch eine gewisse Strukturierung der Vielfalt, den Versuch genereller Erklärung der beobachteten Phänomene. Es wird benötigt, was Bacon und Machiavelli schon lehrten: der analytische und Erkenntnis schaffende Blick hinter die Kulissen des bloß Beobachteten. Wir brauchen „geistige Konstrukte“ als „vereinfachte Landkarten der Realität“ (Huntington, 1996) und dies auch in historischer Dimension: „Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns?“ So hat es Ernst Bloch (1954) formuliert. Nach K. R. Popper (1989, S. 31) ist Theorie unabdingbar, sie ist „das Netz, das wir auswerfen, um ‚die Welt’ einzufangen, sie zu rationalisieren, zu erklären und zu beherrschen.“ Und Karl Marx (1975, S. 825) hat es noch schärfer formuliert: „Alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen.“ Da sie aber nicht einfach zusammenfallen, versuchen wir, die Gründe und die Folgen jener Nichtidentität zu erforschen und sie zu verstehen. Dieser Auftrag an Wissenschaft bleibt erhalten, auch wenn wir meinen sollten, historisch und empirisch alles aufgearbeitet zu haben, so etwa die Verwaltungsmodernisierung in ihren vielen Facetten und die Wirkungsmechanismen der Verwaltungspolitik. Am Ende bleibt noch immer als fundamentales Erkenntnisinteresse „warum das alles so abläuft wie es eben
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abläuft“?; also schon die Frage nach dem „Wesen der Dinge“ unterhalb der oberflächigen Erscheinungsformen. Es geht noch immer darum, hinter die Kulissen zu schauen, zu erklären, weshalb sich auf der Bühne davor die Dinge so abspielen, wie sie es eben tun und damit auch das ganze Gehäuse – einschließlich dessen Funktionen, Biografie und Sinn – erklären. So lassen sich hierzu mindestens zwei erkenntnisleitende Fragen stellen: (1) Warum gestalten sich Verwaltungsmodernisierungen als Veränderungsprozesse – insbesondere unter dem Einfluss von Verwaltungspolitik – so, wie dies erfahrungsgestützt und analytisch festgestellt wurde? (2) Lassen sich auch Veränderungspotentiale erkennen und erklären, die einem bisher hierfür noch nicht formulierten und/oder noch nicht akzeptierten Paradigma „theoretisch“ zugeordnet werden können? Unter Nutzung unterschiedlich ausgerichteter theoriebildender Ansätze lassen sich zumindest drei idealtypische Erklärungswelten entdecken und stichwortartig beschreiben; nämlich:2
2
„Max-Weber-Welt“
Tradierte legalistische (bürokratische) Verwaltung, hohe interne Effizienz und Gleichförmigkeit. Eigenmacht durch Hierarchie und Regelgebundenheit, Innovationsbarrieren, starkes Immunsystem gegen Veränderungsdruck (überwiegend rechtliche Abwehrmechanismen gegen verwaltungspolitische Interventionen); Basistheorie: Staat und rechtliche Steuerung.
„von-Hayek-Welt“
Verwaltung als „Marktteilnehmer“, als ergebnisorientierter Dienstleistungsbetrieb, binnenadministrative Effektuierung, Wirtschaftlichkeit bei tendenziell minimiertem und flexibilisiertem Aufgabenspekt-
Die drei Wissenschaftler stehen kennzeichnend für die großen Erklärungswelten. Max Weber (1864-1920), international anerkannter Sozial- (und Verwaltungs-)wissenschaftler, Wissenschaftstheoretiker; temporär auch praktizierender Politiker, viele Publikationen, unter anderem Wirtschaft und Gesellschaft (1922) und Staatssoziologie (posthum 1956). Friedrich A. von Hayek (18991992), liberaler Wirtschaftswissenschaftler, konsequenter Verfechter des freien Marktes, Nobelpreis 1974, bekanntes Werk: Der Weg zur Knechtschaft (1944). Erich Jantsch (1929-1980), Astrophysiker und Evolutionsforscher, Mitbegründer des Club of Rome, früher Vertreter des Selbstorganisationsprinzips, evolutorisches Weltbild, einschlägig vor allem: Die Selbstorganisation des Universums (1980).
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Carl Böhret rum. Überwiegend sozioökonomische Abwehrmechanismen gegen verwaltungspolitische Einflüsse; auch über Deregulierungstheoreme; Basistheorie: freier Markt mit hinreichendem Ordnungsrahmen.
„Erich-Jantsch-Welt“
Verwaltung als aktive Entwicklungsagentur im funktionalen (selektiv starken) Staat; Aneinanderentwicklung mit Gesellschaft, dialogische Steuerung komplexer, evolutiver (Sub-)Systeme. Einbindung in gesellschaftliche Entwicklungen; Basistheorie: Selbstorganisation, Ko-Evolution, „Werden“ als Prinzip.
5.1 Geltendes Paradigma: von-Hayek-Welt Während die „Max-Weber-Welt“ – trotz mancher realer Einsprengsel bürokratischer Relikte und systembiografischer Einblicke – nicht mehr als leitendes Erklärungsmodell relevant ist, erhebt sich die „von Hayek-Welt“ zum herrschenden Paradigma für Verwaltungsmodernisierung und zur gegenwärtig dominanten Theorie. Wegen ihrer Veralltäglichung kann hier auf eine umfängliche Darstellung verzichtet werden. Die Einkehr betriebswirtschaftlichen Denkens – paradigmatisch: Doppik, Kosten- und Leistungsrechnung, Outsourcing, Kundenorientierung, Front-Office und Standardkostenmodell und vieles mehr – einerseits und Aufgabenabbau, Privatisierung, Deregulierung und Verzicht auf ganze Verwaltungsebenen andererseits charakterisieren diese paradigmatische Wende (hin zur Mikroökonomisierung). Solche vorankommenden Veränderungen korrespondieren mit der Gesellschaftstheorie des Spätpluralismus (Böhret, 1983, 1993), der sich erklärt als (letztlich oligopolistischer) Markt organisierter Interessen mit Vetopositionen. Typisierend: Querschnittigkeit in (vielfältigen) Aushandlungsprozessen und reduzierte „Zeitlichkeit“; hier dominiert die „erstreckte Gegenwart“: Die Zukunft soll für sich selbst sorgen (Wildavsky, 1964; auch Lindblom, 1975). Die reduzierten Möglichkeiten und systemischen Restriktionen für Verwaltungspolitik erklären sich aus dieser societalen Einbindung des Staates – und vorrangig der Verwaltung – in jenes querschnittige, aber dabei vermaschte System von sozioökonomischen und politischen Marktteilnehmern. Entwicklung ist gebremste Bewegung über Interessenausgleichsmärkte, auf denen auch die Verwaltung Mitspieler (mit geringem Machtanteil) ist. Was bei der dafür typischen Politik der kleinen Schritte herauskommt, ist gesellschaftlich passend und repräsentiert
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letztlich das „Gemeinwohl“ als jetzt und hier erreichtes Ergebnis der Aushandlungsprozesse – unter Beteiligung der Verwaltung. „Einigung auf eine bestimmte Politik“ (so postuliert Charles Lindblom 1975) „ist der einzig brauchbare Test für (deren) Richtigkeit.“ (S. 168). Es gibt keine übergeordneten Großentwürfe und staatliche Planungen, die es zielstrebig zu erreichen gilt. Verwaltungspolitik reduziert sich hier auf die Gewährleistung der Beteiligung der Verwaltung (im Auftrag der Politik) an der kurzfristigen, interessenberücksichtigenden Politik-Erzeugung und der effizienten administrativen Durchführung. Das heißt aber auch Aufrechterhaltung des eingespielten und sich immer neu einpendelnden Gleichgewichts. Die zentrale Intention ist die Erhaltung der Stabilität „im Prinzip“, was grenzüberschreitende Beweglichkeit zumindest hemmt. Diese Theorie der Strukturerhaltung (und organisatorischen Stabilisierung) liegt auf der Linie von Edmund Burke (dem Klassiker des liberalen Konservatismus). Burke (1793) lässt notwendige Veränderungen nur dann zu, wenn man dadurch die Bestandssicherung des Systems erreicht: „Ein Staat, dem es an allen Mitteln zu einer Veränderung fehlt, entbehrt die Mittel zu seiner Erhaltung. Ohne solche Mittel läuft er Gefahr, selbst den Teil seiner Konstitution zu verlieren, den er am heiligsten zu bewahren wünscht.“ Deshalb sollen das Erhaltungsund das Verbesserungsprinzip zusammenwirken. Technisch könnte man das alles auch als „gebremste, kontrollierte Bewegung“ bezeichnen: Das verwaltungspolitische Gefährt rollt gemächlich dahin, nur besorgt, seine eigene Struktur und Verfahrensweise zu erhalten und exogenetisch zu vererben. Oder chaostheoretisch gewendet: kleinste Änderungen im Systemaufbau wie in den Anfangsbedingungen (z. B. mittels Modernisierung „hier und da“ oder durch reaktive Verwaltungspolitik) bewirken absehbar und kalkulierbar nur kleinste (d. h. mühelos verarbeitbare) Änderungen des Systemverhaltens, womit dessen Gesamtstruktur und Verfahrensweisen prinzipiell erhalten bleiben. Das Erkenntnisvermögen ist in dieser plural-inkrementalen Theorie auch dadurch begrenzt, dass prinzipiell nur wechselnde kleinste Ausschnitte einer Gesamtheit „in Bewegung“ erfasst werden und die historischen Dimensionen (z. B. Herkunft oder Korridor in die Zukunft) von nachgeordneter Bedeutung sind, schon weil sie letztlich eben nicht planvoll gesteuert werden können und sollen. Insbesondere in Übergangsgesellschaften benötigen wir nun aber Konzepte und Theorien, die interdisziplinäre und zukunftsbezogene Substanz besitzen. Übergangsgesellschaften sind sich entwickelnde komplexe Systeme, die „eigenwillig“ reagieren und spontan neue Strukturen und Regeln erzeugen können. Man (insbesondere die Politik) kann nicht einfach warten, bis „ProzessErgebnisse“, also neue System-Erfahrungen, vorliegen, die dann erklärt werden und zu denen dann Handlungsprogramme entwickelt werden oder eben nicht (wenn man radikal auf die Eigensteuerung des Marktes setzt).
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5.2 Emergierendes Paradigma: „Erich-Jantsch-Welt“ Mit solchen Überlegungen tauchen wir ein in das dritte Erklärungsmuster: Die „Erich-Jantsch-Welt“ mit der begründbaren Annahme, dass dieses Paradigma den höheren Erklärungswert bietet für den sich abzeichnenden Entwicklungskorridor eines glokalisierten Transindustrialismus (Böhret, 2003; Böhret & Konzendorf, 1997; Böhret, 1993), aus dem wiederum gehaltvolle Ableitungen für Verwaltungsmodernisierung und Verwaltungspolitik möglich sind, die durch transdisziplinäre Überlegungen gestützt werden können. So lässt sich jener „archimedische Punkt“ bestimmen, von dem aus wissenschaftliche Erkenntnis und Praxeologie eine noch so fest gefügte Institution „in Bewegung“ setzen kann. Bezogen auf Verwaltung, Modernisierung und Verwaltungspolitik in einer Übergangsgesellschaft lassen sich die Angriffspunkte in einem im archimedischen Sinne bewegbaren System identifizieren. Oder anders, die Bewegung hin zum glokalisierten Transindustrialismus reißt notwendig auch die Verwaltung in die Veränderungen hinein (Prinzip der Aneinanderentwicklung, der „bewegten Ordnung“; Böhret & Konzendorf, 1997). Verwaltungsmodernisierung ist kein sich naturwüchsig ereignender, letztlich isolierter Vorgang im politisch-administrativen System, sondern im Kontext mit der Gesamtentwicklung eine notwendige Intervention der politischen Führung, die dabei die Verwaltung (mit deren eigentümlichen Aufgaben) in die nächsten Entwicklungsstufen „mitreißt“. Nicht das „Prinzip des wohlgeordneten Seins“ herrscht, sondern das evolutive Prinzip des „Werdens“ (vgl. auch Prigogine, 1985). Die Modernisierung der Verwaltung wird nach Art, Umfang und Zeitlichkeit von den Anforderungen der Übergangsgesellschaft und der veränderten Funktionen des Staates in ihr bestimmt, nicht zuletzt von den Signalen aus dem Glokalisierungsprozess. Die politische Führung erkennt idealiter die zukunftsgesellschaftlichen Herausforderungen an die Verwaltung und setzt diese um, unter Berücksichtigung der verwaltungspraktischen Leitsätze. Auf diese Weise wird verwaltungspolitisch gesteuerte Verwaltungsmodernisierung ein unverzichtbares Instrument staatlicher Politik beim Übergang zum glokalisierten Transindustrialismus. Ob und wie sehr die Verwaltung in diesen Veränderungsprozess einbezogen wird oder sich diesem erfolgreich widersetzt, hängt allerdings vom Grad der Robustheit ab, den sie erreicht hat (vgl. Näheres bei Kauffman, 1996; Jantsch, 1980). Mehr als andere Organisationen scheint die Verwaltung nämlich eine beachtliche Unempfindlichkeit oder inhärente Widerstandskraft gegenüber „zugemuteten“ Änderungen entwickelt zu haben, während zugleich ihre innere Komplexität (= Kompliziertheit) zunimmt. So betrachtet wären umfassendere Modernisierungsbemühungen wohl ziemlich erfolglos. Ein Vorzug dieser Ro-
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bustheit ist jedoch gerade, dass diese noch längere Zeit die allmähliche Anreicherung innerer Vielfalt aushält und zunächst noch funktionsfähig und „stabil“ bleibt. Ab einer gewissen Binnen-Verdichtung überschreitet jedoch eine Organisation ihre strukturelle Stabilität; Fluktuationen und Turbulenzen nehmen zu; die Robustheit nimmt ab, das System wird chaotisch und ist jetzt – auch gegen den Stabilisierungshang – transferierbar (vgl. auch Böhret, 1990). Richtiger: Jetzt muss es reorganisiert werden, was durch aktive Verwaltungspolitik geschieht. Dabei sollen Selbstorganisationsfähigkeit und Robustheit auf der neuen Entwicklungsstufe wiederhergestellt werden. Drauflosmodernisieren – hier oder dort irgend etwas anzupassen versuchen – stößt nach evolutorischen Erkenntnissen also auf die Robustheit des Systems, wird aufgefangen oder vereinnahmt, wobei sogar das „Immunsystem“ gegen Veränderungen überhaupt gestärkt werden kann. So wird erklärbar, dass die Ergebnisse der „Modernisiererei“ oft genug unbefriedigend oder gar kontraproduktiv sind. Erfolgreiche Veränderungen müssen deshalb zum richtigen Zeitpunkt (abnehmende Robustheit) und möglichst „auf der ganzen Linie“ ansetzen. Es reicht zum Beispiel nicht, nur die tradierte Mittelbehörde umzustrukturieren, und deren Rückfälle zu ignorieren. Oder: Es gibt noch keine besseren Rechtsvorschriften, wenn zwar die GGO ergänzt wird, aber keine echten Gesetzesfolgenabschätzungen möglichst „in der Breite“ stattfinden. Paradigmatisch handelt es sich um ein selbstorganisierendes System in Entwicklung, in dem die Veränderungsregeln selbst dem Wandel unterliegen können (vgl. Jantsch ,1980; auch Böhret, 1990). Mit der Vorstellung: ein Gesamtsystem ist in Bewegung, innerhalb dessen sind zeitweilig stabile Strukturen – quasi zur Erholung und Reflexion – vorhanden; diese werden aber von neuen Fluktuationen in die Weiterentwicklung getrieben. Diese (evolutorische Komplexitäts-)Theorie erklärt, wie Teilsysteme (beispielsweise die Verwaltung von der politischen Führung oder durch exogene Ereignisse) an den Rand ihrer Stabilität gedrängt werden können, von wo aus sie die Suche nach höherer Leistungsfähigkeit beginnen. Wird ein Anstoß aufgenommen und verstärkt, kommt es zur Veränderung; wegen des ko-evolutiven Prinzips in allen Bereichen, mehr oder weniger. Diesem Veränderungsdrang kann sich dann keine Organisationseinheit entziehen. Wenn ein bestimmter Reifegrad eines Subsystems (z. B. der Wirtschaft) erreicht ist, werden auch die „zurückgebliebenen Teile“ in den Veränderungsprozess hineingezogen. Dann ereignet sich beispielsweise Verwaltungsmodernisierung notwendig. Prinzipiell wäre das sogar ohne aktive Verwaltungspolitik möglich, wenn nur die Kraft der Verwaltung zur prozeduralen Selbstorganisation ausreichte. Wenn sich die Verwaltung dem Veränderungsprozess (ihrer Umgebung) allerdings widersetzt, wird sie zur „Mit-Veränderung“ durch mehrere Kräfte veranlasst – zu allererst durch die politische Führung, sodann durch die
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Carl Böhret
Anforderungen der „Gesellschaft in Entwicklung“. Es ist der Verwaltung nicht möglich, sich nicht zu verändern. Das Paradigma des „Werdens“ setzt sich gegen das Paradigma des stabilisierenden Seins (auch einer Teileinheit) durch. „Werden“ gilt als das leitende evolutorische Prinzip, es repräsentiert das große Experiment in die Zukunft, dem sich kein Bereich des Gesamtsystems auf Dauer entziehen kann. Die Modernisierung der Verwaltung muss in diesem Korridor notwendig „mitziehen“; Verwaltungspolitik soll oder kann Art und Geschwindigkeit der Veränderung steuern und überprüfen. Abbildung 5 versucht, die vorangegangene Beschreibung eines evolutorischen Systems holzschnittartig zu skizzieren und damit die Antriebskräfte einer Übergangsgesellschaft zu erfassen.
Gewordene Ordnung (ÅSystembiographie), Systemstruktur mit festen Regeln Stabilisierungshang („Immunsystem“) Grad der Robustheit
(Neu-) Strukturbildung „bewegte Ordnung“ = diskontinuierliche (chaotische) Abfolge, Aneinanderentwicklung, Selbstorganisation als „evolutive Verarbeitung“
Veränderungsanstöße („Umgebung in Entwicklung“)
Destabilisierungskräfte (Æ Fluktuationen, an den Rand des Chaos)
Flexibilisierte Regeln (ko-evolutive Normen, Verfahren, Begründungen)
Abbildung 5: Übergangsgesellschaft als evolutorisches System (vom wohlgeordneten Sein zum entwicklungsfunktionalen Werden)3
3
Kategorien zur Beschreibung der „dynamischen Interdependenz“ als Basis des evolutorischen Modells: Interdependenz: Zusammenhang von geordneten Sub-Strukturen – komplex und kompliziert; Dynamik: Bewegte Ordnung; induzierte Fluktuationen; evolutorisches Lernen: Dialektik von Destabilisierung und Widerstand, Selbstorganisation; Regelanpassung; Übergang: Systemwandel, „Mitreißen“ gegen den Stabilisierungshang.
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Kurze Reflexion Zugegeben, die Beschreibung jener „Erich-Jantsch-Welt“ ist ein komplizierter Versuch zur Erklärung der Chancen und Grenzen von Verwaltungsmodernisierung in dynamischen, ko-evolutiven Systemen. Aber diese Erich-Jantsch-Welt entspricht doch eher der „Wirklichkeit in Entwicklung“ als die querschnittige, zeitarme und auf robuster Stabilitätsneigung basierende „von-Hayek-Welt“, die durchaus noch die gegenwärtige Lage zu erklären vermag, aber nicht mehr das sich andeutende Wegdriften in eine Übergangsgesellschaft mit deren neuem Paradigma. Verwaltungsmodernisierung einschließlich der verwaltungspolitischen Umsetzungsversuche – wie deren Scheitern (!) – lässt sich für morgen mit einer evolutorischen Theorie besser erklären als mit einer überraschungsfreien Gleichgewichtsbetrachtung unter der Edmund-Burke-Regel. Es ist auch ein Auftrag an die Verwaltungswissenschaft, den „archimedischen Punkt“ makrotheoretischer Überlegungen für ihre Analysen und Empfehlungen zu finden. Novalis (1797) hat wohl recht mit seinem Kernsatz: „Wenn die Theorie auf die Erfahrung warten sollte, käme sie nie zustande“ (Werke, Bd. II, S. 331). Jetzt noch Marx, Popper und Jantsch dazu, dann haben wir den wissenschaftsgerechten Cocktail, mit dem Verwaltungsmodernisierung mittels aktiver Verwaltungspolitik nach Möglichkeit, Eingrenzung und Grenzüberschreitung bestimmt werden kann. Was wir zu tun oder zu beginnen haben.
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Carl Böhret
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II. Methoden und Techniken
Der Change Explorer – eine Methodenkombination Siegfried Greif 1
Einleitung
Im folgenden Beitrag wird ein theoriebasiertes Instrumentarium zur Analyse und Verbesserung des Managements organisationaler Veränderungen vorgestellt. Es dient zur Erfassung von qualitativen und quantitativen, spezifischen und verallgemeinerbaren Ergebniskriterien und Erfolgsfaktoren der untersuchten Veränderungen. Nach einer zusammenfassenden Darstellung der theoretischen Grundlagen und des Aufbaus des Instrumentariums wird im Folgenden eine exemplarische Anwendung in einer Ausländerbehörde beschrieben. Das Anwendungsbeispiel zeigt, wie die Reflexionen der Beteiligten über notwendige und mögliche Veränderungen mit systematischen Methoden gefördert und wie damit das Problem der Nicht-Vorhersehbarkeit und Ungewissheit der Veränderungen gelöst werden kann. Das multimethodale Instrumentarium wird Change Explorer genannt, weil es zur Exploration oder Erkundung der Veränderungsprozesse dient, um daraus Verbesserungen abzuleiten (Greif, Runde & Seeberg, 2004; Greif & Seeberg, 2007). 2
Theoretischer Hintergrund
2.1 Managen komplexer und ungewisser Veränderungen 2.1.1 Nicht vorhersehbare Prozesse Organisationale Veränderungen betreffen in der Regel die Aufgaben oder Tätigkeit vieler Mitglieder der Organisation und ihre Interaktionen untereinander. Dadurch ergeben sich außerordentlich komplexe Managementaufgaben. Je grundlegender die Veränderungen sind, desto größer ist im Allgemeinen die Verunsicherung der Betroffenen und die aufkommende heimliche und offene Kritik an der Notwendigkeit der Veränderungen. Aus dieser Kritik kann passiver und/oder aktiver Widerstand entstehen, der die Umsetzung der geplanten Veränderungen blockiert. Dabei ist das Verhalten der beteiligten Personen und der Organisationsumwelt niemals vollkommen vorhersehbar. Organisationale Veränderungen gelten daher in der Fachliteratur (vgl. zusammenfassend Marr & Steiner, 2006) als nicht vorhersehbare oder zumindest nicht vollständig vorhersehbare Prozesse. Dies gilt vor allem dann, wenn zwischen den organisationalen Veränderungen und den Veränderungen in der Organisationsumgebung (z. B. bei
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Siegfried Greif
dynamischen Marktveränderungen oder neuen starken Wettbewerbern auf dem Weltmarkt) komplexe und ungewisse Abhängigkeiten und Wechselbeziehungen bestehen. Veränderungsmanagement erfordert deshalb im Allgemeinen Komplexitätsmanagement und Managen von Ungewissheit. 2.1.2 Sind organisationale Veränderungen unplanbar? Es gibt Autoren, die folgern, dass organisationale Veränderungen grundsätzlich unplanbar sind und dass zielgerichtetes Managen unmöglich ist. Eine provokante Extremposition hat Weick (1985) formuliert. Nach seiner These entscheiden und handeln Organisationen grundsätzlich nicht „rational“, sondern wenden „zu jedem Zeitpunkt mehrere und widersprüchliche Rationalitäten“ an (a.a.O., S. 37). Mit einem sehr drastischen Bild vergleicht er Organisationen mit Mülltonnen, in die „Probleme, Personen, Wahlsituationen und Lösungen hineingekippt werden“ (a.a.O., S. 38 f.), ohne dass sie jemals eines ihrer Probleme lösen. „Ziele“ und „Pläne“ für das Organisieren werden nach Weick erst nachträglich zur Rechtfertigung der Handlungen erfunden, wenn das Organisieren abgeschlossen ist. „Es ist, als ob die Leute auf das Ziel hin gehandelt hätten, schließlich herauszufinden, was sie getan hatten“ (a.a.O.). In der neueren Darstellung zusammen mit Suttcliff (Weick & Suttcliff, 2003, S. 177 ff. und 185 ff.) hält es Weick jedoch für möglich, durch vorausschauende Beobachtungen sowie Antizipation und „Eindämmung“ von Problemen und durch eine Art „achtsames“ Management, verbunden mit der Weiterentwicklung der Handlungsfähigkeit und der Organisationsfähigkeit der Organisationsmitglieder, flexible Entscheidungsstrukturen und Lernprozesse zu fördern, die es ermöglichen, Ungewissheit erfolgreich zu managen. Eine ähnliche Auffassung vertritt Probst (1987) in seiner Selbstorganisationstheorie der Organisation. Danach kann man Veränderungen zwar nicht direkt steuern, aber indirekt beeinflussen. Um erfolgreich zu sein, muss die Organisation lernen, mit Mehrdeutigkeit, Unbestimmtheit und Unsicherheit umzugehen, die nicht beeinflussbaren Strukturen und Prozesse im System „mit Respekt“ zu behandeln und die Flexibilität der Organisation zur Anpassung und Evolution zu erhalten und weiterzuentwickeln. Da Probst davon ausgeht, dass es keine endgültigen Lösungen gibt, fordert er diese (Lern-)Prozesse in Gang zu halten. 2.1.3 Zielgerichtetes Managen unvorhersehbarer Prozesse In unserer integrativen Theorie des Change Managements (Greif, Runde & Seeberg, 2004) entwickeln wir eine mögliche Lösung des Problems des zielgerichteten Managens unvorhersehbarer Prozesse unter bestimmten Voraussetzungen. Wir stützen uns dabei auf allgemeine Unterscheidungen und Annahmen der naturwissenschaftlich ausgerichteten synergetischen Selbstorganisationstheorie von Haken (1981, 1990; Kriz, 1992) sowie auf von Cranachs (1996) Mehrebe-
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nensystemtheorie. Auf dieser Grundlage wird eine Lösung des Problems des zielgerichteten Managens unvorhersehbarer, ja sogar chaotische Prozesse durch indirekte und direkte Interventionen entwickelt. Sie gilt allerdings nur unter Randbedingungen, die unten erläutert werden. Mit den Annahmen der Synergetik kann man erklären, warum und wie es möglich ist, dass sich sogar zeitweilig chaotische Prozesse ohne zentrale Planung und Steuerung selbstorganisiert aber zielgerichtet optimieren. Nach den evolutionstheoretisch begründeten Grundannahmen und Beobachtungen der Selbstorganisationsprozesse in physikalischen, chemischen und biologischen Systemen können sich chaotische Systemzustände dann in strukturierte und vorhersehbare Prozesse selbst „optimal“ ordnen, wenn die Randbedingungen stabil sind und eine Optimierung fördern. Übertragen auf Veränderungen in sozialen Systemen können als Randbedingungen oder Voraussetzungen eindeutig formulierte und kommunizierte Kriterien fungieren, die von den Beteiligten als Zielvorgaben verstanden und aktiv durch eigenständig initiierte Handlungen auf allen Ebenen der Organisation verfolgt werden. So gesehen ermöglichen stabile konkrete Zielvorgaben, an denen sich die Personen und Subsysteme der Organisation ausrichten die Aktivierung darauf bezogener flexibel angepasster Problemlösungen und das Erreichen der vorher festgelegten Ziele. Im Prozess der Zielerreichung können sowohl ungeplante spontane Handlungen als auch kurzfristig geplante Interventionen auf den verschiedenen Systemebenen nützlich sein, sofern sie die vollzogenen Veränderungen in den jeweils vorausgehenden Prozessen im System und in der Situation berücksichtigen. Zur Förderung selbstorganisierter Optimierungen benötigt das System demnach Rückmeldungen über die Ergebnisse der Handlungen und Interventionen im gesamten Verlauf der Veränderungsprozesse und kontinuierlich Informationen über den jeweiligen Zustand des Systems und der Umgebungssituation. In Anlehnung an die Mehrebenensystemtheorie werden organisationale Veränderungsprozesse als Abfolgen von Handlungen auf den Ebenen Individuum, Gruppe und Organisation im Kontext der Ebenen nationaler und globaler Wirtschaftssysteme gesehen. Von Cranach (1996) postuliert, dass jede Ebene ihre eigenständige Bedeutung hat und nicht auf das Verhalten der jeweils anderen Ebenen reduziert werden kann. Es gibt allerdings Wechselwirkungen zwischen den Ebenen, wobei postuliert wird, dass jeweils die höheren Ebenen die darunter liegenden dominierend beeinflussen. In Verbindung mit den Annahmen der Synergetik nehmen wir an, dass es zum zielgerichteten Managen organisationaler Veränderungsprozesse erforderlich ist, Informationen über den jeweiligen Zustand aller Systemebenen zu analysieren und alle beeinflussbaren Ebenen (in der Regel die Individual-, Gruppen- und Organisationsebene) über die Analyseergebnisse zu informieren und so zu koordinieren, dass selbstorganisiert zielbe-
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zogene Problemlösungen in Selbstorganisationsprozessen entstehen können (Greif, Runde & Seeberg, 2004). Das Erreichen definierter Ziele kann man teilweise anhand objektivierbarer Kriterien überprüfen. Wenn diese Zielkriterien erreicht wurden, folgt daraus aber nicht automatisch, dass die Veränderungen in der Organisation als „Erfolg“ angesehen werden. So gibt es Unternehmensreorganisationen, die zwar zunächst alle vorgegebenen Ziele erreicht haben, am Ende aber nicht nur aus der Sicht der Beschäftigten, sondern auch der früheren Auftraggeber der Veränderungen als Misserfolge angesehen werden. Der sogenannte „Erfolg“ oder „Misserfolg“ organisationaler Veränderungen ist nach unseren theoretischen Grundannahmen eine soziale Konstruktion oder Definition (Greif, Runde & Seeberg, 2004, S. 30 ff.). Dabei ist es weniger bedeutsam, ob die Leitung der Organisation die Veränderungen in einem offiziellen Statement als „Erfolg“ bezeichnet. Wichtiger für die Akzeptanz und Umsetzung der Veränderungen sind informelle Bewertungskommunikationen zwischen den Organisationsmitgliedern auf allen Ebenen. Je nach Perspektive der Mitglieder und Gruppen kann dieselbe Veränderung als „Erfolg“ oder „Misserfolg“ etikettiert werden. Wenn eine Veränderung übereinstimmend von Schlüsselpersonen oder -gruppen als nahezu hundertprozentiger Erfolg gesehen wird, nimmt im Allgemeinen die Unterstützungsbereitschaft zu. Wird sie dagegen von Mitarbeiter/innen, bei denen die Veränderungen umgesetzt werden sollen als Misserfolg eingeschätzt, verringert sich deren Einsatzbereitschaft und es kann sogar passiver bis aktiver Widerstand entstehen. Diese formellen und informellen Bewertungen der Veränderungen durch die Organisationsmitglieder bezeichnen wir als Bewertungskommunikationen. Erfolgreiches Managen von Veränderungen erfordert einen Prozess der ständigen Erkundung oder Exploration der Prozesse und Zwischenergebnisse der Veränderungen in allen beteiligten Subsystemen sowie potenzieller Misserfolgsund Erfolgsfaktoren, um sie so früh und effektiv wie möglich im Sinne der Zielvorgaben beeinflussen zu können. Wenn sich herausstellt, dass die Zielvorgaben mit den vorhandenen Ressourcen nicht erreicht werden können, müssen sie realistischer an die Möglichkeiten angepasst und reformuliert werden. Im folgenden Abschnitt wird vor diesem Hintergrund eine eigene, erweiterte Definition des Begriffs des Veränderungsmanagements vorgestellt. 2.2 Was ist Veränderungsmanagement? 2.2.1 Funktionale Definitionen Gebräuchliche Begriffsdefinitionen beschreiben die Hauptfunktion oder -zielsetzung und Arten des Veränderungsmanagements. Nach Reiß (1997) bedeutet Veränderungsmanagement „Infrastrukturen für Veränderungen zu schaf-
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fen“ um Strategien, Ressourcen, Strukturen zu verändern oder Unternehmenswandel zu erreichen. In Analogie zu den drei Sektoren des Unternehmensgeschehens unterscheidet er Strategieveränderungen, Ressourcenveränderungen und Strukturveränderungen. Krüger (2006, S. 6172) definiert das Management des organisationalen Wandels als „die aktive Handhabung von Wandlungsprozessen“, die „alle Aufgaben, Prozesse, Träger und Instrumente unternehmungsbezogener Veränderung und Entwicklung“ umschließt. Er unterscheidet in Anlehnung an andere Autoren zwischen Restrukturierung als einer Veränderung von Strukturen, Prozessen und Systemen, reproduktive Veränderungen (z. B. Wandel der strategischen Ausrichtung ohne Veränderung der Konfiguration der Erfolgsfaktoren) und Reorientierung (wenn eine neue strategische Positionsbestimmung erfolgt). Außerdem unterscheidet er zwischen Revitalisierung (Veränderung der Ressourcen und Fähigkeiten) und Remodellierung der von allen geteilten Werten und Einstellungen, die sich auf den Kern der Unternehmenskultur beziehen. Programme grundlegenden Wandels werden als transformativer Wandel bezeichnet. 2.2.2 Tätigkeit des Managens Rein funktionale Definitionen vernachlässigen die konkrete Tätigkeit des Managens von Veränderungen. Wenn wir die Tätigkeit berücksichtigen lassen sich Bezüge zum Projektmanagement herstellen. Nach der DIN 66901 wird Projektmanagement definiert als die „Gesamtheit von Führungsaufgaben, -organisation, -techniken und -mittel für die Abwicklung eines Projektes“. Projektmanagement ist danach ein Oberbegriff für alle bewusst geplanten und umgesetzten Aufgaben, die sich auf die Bearbeitung von Projekten beziehen. Marr und Steiner (2006) betonen dabei, dass nicht das zu lösende Problem, sondern das Management des Problemlösungsprozesses im Vordergrund steht. Beim Veränderungsmanagement geht es jedoch keineswegs immer um Projekte mit festgelegtem Anfangs- und Endzeitpunkt, sondern auch um langfristige, zeitlich nicht mit einem Endpunkt verbundene Veränderungsprozesse. Außerdem spricht man normalerweise nur dann von Change Management, wenn sich die Managementaufgaben auf komplexe Veränderungen beziehen, die viele Aufgaben oder Arbeitsplätze und Organisationsmitglieder betreffen, zum Beispiel alle Arbeitsplätze, die bestimmte IT-Systeme nutzen, oder eine gesamte Abteilung. Unsere folgende tätigkeitsbezogene und funktionale Definition des Begriffs Veränderungsmanagement stützt sich auf die oben wiedergegebenen Annahmen zum Managen von Veränderungen und Ungewissheit. Das dargelegte Verständnis der erforderlichen Managementtätigkeit geht über die im DIN-Begriff Projektmanagement angesprochenen Führungs- und Organisationsaufgaben bei der Planung und Abwicklung von Veränderungen hinaus. Ähnlich wie Marr und
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Steiner (2006) wird das Managen von Problemlöseprozessen betont, darüber hinaus aber als Voraussetzung dafür auch das Explorieren, Analysieren und Evaluieren der Veränderungen. Dementsprechend definieren wir Veränderungsmanagement als „einen wiederkehrenden Prozess der kontinuierlichen Exploration, Analyse, Evaluation und des Managements vieler kleiner und manchmal großer, vorhersehbarer und unvorhersehbarer Probleme und Misserfolgsrisiken sowie der Erfolgsfaktoren und -chancen bei organisationalen Veränderungen. Allgemeines Ziel des Veränderungsmanagements sind ein hoher Zielerreichungsgrad und eine positive Evaluation der Maßnahmen, Ergebnisse und Folgen durch die einflussreichen Schlüsselpersonen und -gruppen innerhalb und außerhalb der Organisation, insbesondere durch die Auftraggeber (Greif, Runde & Seeberg, 2004, S. 52 ff.). 2.3 Annahmen zum Change Explorer Instrumentarium 2.3.1 Messbare Kriterien und ungenaue Informationen Bei der Exploration, Analyse und Evaluation der organisationalen Veränderungen sollen bedeutsame Daten erfasst werden. Objektivierbare, quantitativ messbare Zielkriterien sind insbesondere Wirtschaftlichkeitsindikatoren (z. B. Gewinn vor Zinsen und Steuern oder EBIT), Verkürzung der Prozesszeiten und Verringerung der Herstellungskosten oder Erreichen standardisierte Qualitätskriterien der Produkte und Dienstleistungen. Wie wir aber annehmen, erschließt sich die Komplexität und Ungewissheit der organisationalen Veränderungsprozesse nicht allein durch diese vergleichsweise einfach zu erfassenden Kriterien. Wir benötigen zusätzliche Informationen durch „Beobachtungssysteme“, die nicht nur messbare, sondern auch ungenaue und unscharfe Veränderungsmerkmale und Risiken wahrnehmen können. 2.3.2 Menschen als Beobachtungssysteme und soziale Validierung Im Vergleich zu allen existierenden technologischen Systemen und Lebewesen bringen Menschen die besten Voraussetzungen dafür mit, gemeinsam mit anderen Menschen komplexe und ungewisse Veränderungen zu explorieren und zu bewerten. Wie dies bereits Festinger (1954) in seiner klassischen Theorie sozialer Vergleichsprozesse angenommen hat, haben Menschen in komplexen und mehrdeutigen Situationen zur Reduktion ihrer Unsicherheit eine starke Tendenz, ihre Meinungen in allen ihnen subjektiv bedeutsamen Interessensgebieten durch Vergleiche mit den Bewertungen anderer Personen zu evaluieren. Festinger nahm an, dass diese Suche nach Sicherheit durch Vergleich der Bewertungen mit anderen ein überlebenswichtiges, natürliches Bedürfnis aller Menschen ist. Evolutionstheoretisch betrachtet, ist das Bedürfnis notwendig, damit Menschen die
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Anforderungen einer komplexen, sich verändernden Welt bewältigen können. Durch den Vergleich ihrer Beobachtungen und Bewertungen mit denen anderer Personen versuchen Menschen ihre Bewertungen zu bestätigen oder zu „validieren“. Der Vergleich verschiedener Beobachtungen und Bewertungen wird deshalb auch als soziale Validierung bezeichnet. 2.3.3 Multiperspektivität und Multi-Source-Methoden Die menschliche Wahrnehmung und Beobachtung ist nicht „objektiv“, sondern basiert auf vom menschlichen Gehirn organisierten, aktiv selektiven und bewertenden Prozessen, die durch basale Affekte und Gefühle sowie Erwartungen und den sozialen Kontext beeinflusst werden. Wie wir dies beispielsweise bei Zeugenaussagen kennen, wird dieselbe Situation von verschiedenen Personen zumindest teilweise, oft sogar sehr unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Die Situation wird durch verschiedene Vorerfahrungen, aktivierte Gefühle und Motive oder Standpunkte bedingt gewissermaßen aus einer individuell unterschiedlichen Perspektive betrachtet und interpretiert. Zeugenaussagen vor Gericht werden als verlässlicher angesehen, wenn sie von mehreren Zeugen bestätigt werden, die sich untereinander nicht absprechen konnten. Bei den sogenannten Multi-Source-Methoden befragt man verschiedene Personen unabhängig voneinander zum selben Befragungsgegenstand. Ein Beispiel ist das sogenannte 360-Grad-Feedback zur Bewertung des Verhaltens einer Führungskraft (vgl. Scherm & Sarges, 2002). Hier wird das Verhalten der Person nicht nur durch sie selbst bewertet, sondern auch von ihren Vorgesetzten, Mitarbeiter/innen, Kolleg/innen und Kund/innen (gewissermaßen vom gesamten 360°Umkreis, wodurch der Name entstanden ist). Grundlage für das anschließende Feedback sind insbesondere die übereinstimmenden Bewertungen. Es sollen aber auch die Unterschiede analysiert und berücksichtigt werden. Ähnlich empfehlen wir bei der Analyse und Bewertung organisationaler Veränderungen mit dem Change Explorer möglichst alle an den Veränderungen aktiv beteiligten und von ihnen betroffenen Funktions- und Rolleninhaber zu befragen. Im unten exemplarisch beschriebenen Beispiel wurden alle Mitarbeiter/innen der Abteilung interviewt, in der die Veränderungen durchgeführt wurden und alle beteiligten Führungsebenen sowie der Personalrat und die Gleichstellungsbeauftragte. Wenn es nicht möglich ist, alle Beteiligten und Betroffenen zu befragen, werden zur Befragung die sogenannten Schlüsselpersonen oder Stakeholder im Veränderungsprozess ausgewählt (zur Beschreibung des Vorgehens siehe unten). Sie sollen alle Personen und Gruppen mit den beteiligten oder betroffenen Funktionen und Rollen im Veränderungsprozess sowie mit verschiedenen Auffassungen repräsentieren, denen ein bedeutsamer Einfluss auf formelle und informelle Bewertungskommunikationen und Entscheidungen auf die Ver-
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änderungen zugeschrieben wird. Als Funktionen und Rollen befragen wir in der Regel die für die Veränderungen verantwortlichen Geschäftsführer, Projektleiter, Projektteammitglieder, Betriebs- oder Personalräte und Mitarbeiter/innen bis zur untersten Arbeitsebene sowie, wenn möglich, Kund/innen und, wenn beteiligt, auch Unternehmensberater/innen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unabhängige Beobachter bei der Wahrnehmung und Interpretation derselben Situation den gleichen Fehlwahrnehmungen unterliegen. Beispiele sind optische Täuschungen oder allgemeine Stereotype. Multi-Source-Erhebungen können deshalb objektivierbare Daten nicht ersetzen, sondern sollten im Ideal zusammen mit anderen Datenarten erhoben und verglichen werden. Erforderlich ist deshalb ein multimethodales Vorgehen und eine gegenseitige vergleichende Absicherung der mit verschiedenen Methoden erhobenen Daten (Triangulation, vgl. Mayring, 2007). 2.3.4 Explikation des Erfahrungswissens durch Visualisierung Die Organisationsmitglieder, die man zu ihren Wahrnehmungen organisationaler Veränderungen interviewt, sind keine „wissenschaftlich geschulten“, bewusst planend und methodisch vorgehenden Beobachter. Sie stützen ihre Beobachtungen auf beiläufige Wahrnehmungen. Nach Kuhl (2001) werden solche beiläufigen oder impliziten Wahrnehmungen eher assoziativ und mit Affekten und Gefühlen verbunden im sogenannten Extensionsgedächtnis gespeichert, eine Art intuitives Erfahrungsgedächtnis. Im Unterschied zur Reproduktion von Inhalten aus dem Gedächtnis für explizites Faktenwissen fällt es den dazu befragten Personen schwer, ihr intuitives Erfahrungswissen sprachlich zu explizieren. Um einen partiellen Zugang zu ermöglichen, sind spezielle Methoden erforderlich, die eine anschauliche Vergegenwärtigung und schrittweise Explikation ermöglichen. In unseren methodischen Grundannahmen (Greif, Runde & Seeberg, 2004, S. 136) nehmen wir an, dass teilstandardisierte Befragungsmethoden mit Visualisierung durch Karten- und Strukturlegetechniken besonders geeignet sind, um das veränderungsbezogene Erfahrungswissen zusammen mit dem expliziten Wissen der Befragten zu explorieren. Auch mit langen Interviews lässt sich jedoch das implizite und explizite Wissen immer nur fragmentarisch erfassen. Das liegt nicht nur daran, dass manche Erfahrungen schwer zugänglich sind, weil sie zum Beispiel durch negative Gefühle unterdrückt wurden, sondern auch daran, dass das Extensionsgedächtnis unvorstellbar groß ist. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert uns besonders das implizite und explizite Wissen zu den zu analysierenden organisationalen Veränderungen. Wir bezeichnen es zusammenfassend auch als erfahrungsbasiertes Veränderungswissen. Nach Argyris und Schön (1978) sind beim erfahrungsbasierten
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Wissen die subjektiven Theorien der Handlungen der Befragten besonders wichtig. Daran angelehnt gehen wir davon aus, dass die Handlungen der Personen durch ihr Veränderungswissen und insbesondere ihre subjektiven Theorien oder Annahmen zu den Ursachen und Wirkungen der beobachteten Veränderungen beeinflusst werden. Wenn beispielsweise die Mitglieder der Geschäftsführung eines Unternehmens aufgrund eigener oder kolportierter, aber als gültig angenommener Erfahrungen annehmen, dass eine neue Technologie, die von externen und internen Experten zur Einführung vorgeschlagen wird, noch unausgereift ist und deshalb zu kritischen Produktionsstillständen führen wird, kann man nicht erwarten, dass sie sich für die Einführung der Technologie entscheiden. Wenn diese subjektive Theorie der Geschäftsführungsmitglieder auf Fehleinschätzungen beruht, wäre es zur Vermeidung einer Fehlentscheidung zunächst erforderlich, die Annahmen und Folgerungen der Geschäftsführungsmitglieder durch geeignete Methoden zu explizieren. Anschließend könnte man die Mitglieder dazu anhalten, ihre Annahmen mit denen unabhängiger Experten sowie mit prüfbaren empirischen Daten zu vergleichen, um sie und eine mögliche Fehlentscheidung korrigieren zu können. Die methodisch wichtige Überlegung hier ist, dass es erforderlich ist die subjektiven Theorien der Akteure zu kennen, wenn man ihre Entscheidungen und Handlungen analysieren, vorhersagen oder beeinflussen will, insbesondere selbst wenn sie nachweisbar falsch sind. 2.3.5 Konkrete und spezifische Ansatzpunkte für Verbesserungen finden Zur Explikation des Veränderungswissens beziehungsweise der subjektiven Handlungstheorien der Beteiligten und Betroffenen oder zumindest der einflussreichen Schlüsselpersonen sind Interviews geeigneter als standardisierte Fragebögen. Wie wir weiter annehmen, liefern sie auch eher konkrete Ansatzpunkte für Verbesserungen des Veränderungsmanagements. Standardisierte Beobachtungs- und Befragungsmethoden sind in der Regel nur geeignet, allgemeine Kriterien zu erheben. Sie können aber für ein schnelles Screening oder für Vergleiche wichtig sein. Genau betrachtet, können zwei unabhängig durchgeführte organisationale Veränderungsprozesse niemals vollkommen gleich sein. Spezifische Besonderheiten entstehen durch die Umgebungssituation, die Vorgeschichte der Veränderungen und Besonderheiten der Organisation. So macht es einen Unterschied, ob die Veränderungen in einer Marktsituation mit verschärftem Wettbewerb, in einem schrumpfenden oder expandieren Markt eingeführt werden. Auch macht es einen großen Unterschied, ob die Veränderungen auf konflikthafte frühere Problemlöseversuche folgen oder ob die Organisationsmitglieder positive Erfahrungen mit vorausgehenden Veränderungen haben und relativ offen für Innovati-
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onen sind. Bedeutung haben ferner die Fähigkeiten, Qualifikationen und Kompetenzen der beteiligten und von Veränderungen betroffenen Organisationsmitglieder. Auch der jeweilige kulturelle Hintergrund der Personenkonstellation hat Einfluss auf die Bewertungen und handlungsleitenden subjektiven Änderungstheorien. Prinzipiell ist die Konstellation von Personen mit ihren Merkmalen und ihrem kulturellen Hintergrund immer eine spezifische Besonderheit. 3
Aufbau des Change Explorers und typische Untersuchungsergebnisse
Für unser Instrumentarium haben wir den Begriff Change Explorer gewählt, um zu verdeutlichen, dass wir nicht den Anspruch erheben, die subjektiven Bewertungen und Erfahrungen der Befragten vollständig und abschließend zu erfassen. Mit den Methoden können sie lediglich jeweils fragmentarisch exploriert und analysiert werden, wie wir dies in unseren methodischen Grundannahmen formuliert haben (Greif, Runde & Seeberg, S. 136). Wir nennen die Methodenkombination Instrumentarium, weil sie aus verschiedenen Komponenten besteht, die jeweils für die Fragestellung und Untersuchung zusammengestellt und angepasst werden sollen. Zu den Hauptkomponenten des Instrumentariums zählen: – ein Interview mit Karten und Strukturlegetechnik, – ein Fragebogen zur Bewertung der Ergebnisse (wir bezeichnen sie als Bewertungsmerkmale) der Veränderungen und – ein Fragebogen zur Einschätzung relevanter Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren. Je nach Anwendung werden vorausgehend oder gleichzeitig relevante vorhandene Daten erfasst (Wirtschaftlichkeitsindikatoren, Abwesenheitsrate, Fluktuation oder spezielle Daten aus dem Controlling etc.). Außerdem können je nach Schwerpunkt per Interview oder Fragebögen Aufgaben- oder Prozessanalysen, Analysen der Benutzerfreundlichkeit einzuführender Software sowie möglicherweise Mitarbeiter- oder Kundenbefragungen durchgeführt werden. Die folgende Beschreibung konzentriert sich auf die Hauptkomponenten des Change Explorers und den typischen Ablauf bei der Anwendung. Zur Veranschaulichung der Beschreibung werden zu jeder Komponente exemplarische Ergebnisse aus Untersuchungen und Anwendungen berichtet. In unserer internationalen Untersuchung in sieben Ländern (Greif, Runde & Seeberg, 2004, S. 271 ff.), auf die dabei mehrfach Bezug genommen wird, haben wir insgesamt 346 Interviews in 211 Organisationen und sieben Ländern durchgeführt. Dabei wurden pro Organisation zwischen zwei bis vier unterschiedliche Funktionsträger befragt.
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3.1 Auswahl der Schlüsselpersonen Wenn es nicht möglich ist, alle Betroffenen zu befragen, müssen vor Beginn der Erhebungen die Schlüsselpersonen ausgewählt werden, mit denen die Interviews durchgeführt werden sollen. Bewährt hat es sich, alle hauptverantwortlichen Personen zu befragen, insbesondere das für das Veränderungsvorhaben verantwortliche Mitglied des Vorstands oder der Geschäftsführung und die darunter liegenden mitverantwortlichen Führungskräfte und den Projektleiter. Falls ein Projektteam installiert wurde, werden auch Mitglieder des Projektteams einbezogen, genauso auch gegebenenfalls Unternehmensberater. Sofern in der Organisation Betriebs- oder Personalräte existieren, sollen die von der Personalvertretung für die Begleitung der Veränderungen delegierten Mitglieder ebenfalls interviewt werden. Berücksichtigt werden sollten möglichst immer ausgewählte, von den Veränderungen betroffene Mitarbeiter/innen bis zur untersten Arbeitsebene. Um Vorschläge für weitere Schlüsselpersonen zu erhalten, fragen wir – beginnend mit der obersten Leitungsebene – alle oben genannten Personen, wer nach ihrer Meinung zur Gruppe der einflussreichen Meinungsträger oder Multiplikatoren für die in Frage stehenden Veränderungen zählt. Ausdrücklich wird dabei hervorgehoben, dass es wichtig ist, auch Personen mit verschiedenen, vor allem kritischen Meinungen zu den Veränderungen zu berücksichtigen. Weil alle Befragten am unten beschriebenen Auswertungsworkshop, der nicht zu groß werden sollte, beteiligt werden, darf die Gesamtzahl allerdings nicht über etwa 30 hinausgehen. Nach unseren bisherigen Erfahrungen ist es auch in Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeiter/innen möglich, auf diesem Wege eine derartige Liste von Schlüsselpersonen im Konsens zwischen den Beteiligten Funktionen und Ebenen zu erstellen. Wir verstehen dies als indirekten Beleg für die Existenz von Schlüsselpersonen mit besonderem Einfluss auf organisationale Veränderungen. 3.2 Interview Die ausgewählten Schlüsselpersonen werden durch Interviewerinnen und Interviewer befragt, die für die Durchführung der Interviews trainiert und auf die fachlichen Schwerpunkte vorbereitet werden. Wenn es um die Exploration eines konkreten Veränderungsprozesses in einer Organisation geht, hat sich die Untergliederung des Gesamtinterviews in die beiden unten beschriebenen Interviews (Teil A und B) bewährt1. In unserer Untersuchung in sieben Ländern haben wir 1
Beispiele für Leitfäden finden sich als Downloads auf den Internetseiten des Fachgebiets Arbeitsund Organisationspsychologie der Universität Osnabrück: http://www.psycho.uni-osnabrueck.de/ fach/aopsych.
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dagegen die Befragten in einem einzigen längeren Interview aufgefordert, zwei Veränderungen zu analysieren, ein eher erfolgreiches (A-Projekt) und eins mit geringem Erfolg oder einem Misserfolg aus ihrer Sicht (Z-Projekt). Vor der Durchführung der Hauptinterviews werden mit den Hauptansprechpartnern die Themen und Fragen der Befragung durchgesprochen, die aufgenommen werden sollten und die Fragen an die Besonderheiten des konkreten Falls angepasst. Außerdem werden vorhandene Informationen zu den organisationalen Veränderungsprozessen gesammelt und gesichtet. Ferner wird eine kurze schriftliche Vorinformation für alle zu Befragenden erstellt, die das Anliegen, die geplante Durchführung und Auswertung der Ergebnisse beschreibt. Die zu befragenden Schlüsselpersonen werden einzeln von geeigneten Personen angesprochen, um sie für die Mitwirkung zu werben und sie erhalten eine kurze schriftliche Vorinformation. Obwohl die Interviews durchaus zeitaufwändig sind, ist die Bereitschaft zur Mitwirkung insbesondere dann groß, wenn sich die obersten Leitungsebenen beteiligen und wenn die Veränderungen als wichtig angesehen werden. 3.2.1 Teil A: Vorinterview Das Vorinterview (Teil A, es dauert ca. 40 Minuten) wird nur mit dem Projektleiter und eventuell einzelnen weiteren Experten für die Veränderungen durchgeführt. Es dient dazu, Grundinformationen über die Ziele und den Ablauf der Veränderungen mit den besonders wichtigen Maßnahmen zu gewinnen. Sie dienen als Grundlage für die folgenden Hauptinterviews (Teil B) und das Interviewertraining. Je nach Status der Veränderungen (geplante zukünftige Veränderungen, begonnene und nicht abgeschlossene oder bereits abgeschlossene Veränderungen) werden die ausführlich protokollierten Ablaufschritte und Maßnahmen stichwortartige auf weißen Karten zusammengefasst. Die Karten werden auf einer Zeitleiste mit den jeweiligen Zeitpunkten für vorausgehenden Maßnahmen, mit dem offiziellen Start, Meilensteinen und eventuellen Abschlusszeitpunkten angeordnet. Die Vorinterviews werden ausgewertet und auf ein Strukturbild mit dem Ablauf der Maßnahmen im DIN A2 oder DIN A3 Format übertragen (vgl. unten das Anwendungsbeispiel in Abbildung 3). Dieses Strukturbild wird für alle folgenden Hauptinterviews mit den Schlüsselpersonen kopiert und kann von den Interviewten ergänzt oder korrigiert werden. 3.2.2 Teil B: Hauptinterview Das Hauptinterview (Teil B, es dauert zwischen 60 und 90 Minuten) beginnt mit einer kurzen Erläuterung der Ziele der Befragung, des Aufbaus des Interviews, der Fragebögen, der Auswertung und gegebenenfalls des Auswertungsworkshops (s. u.). Behandelt wird dabei auch die Frage der Vertraulichkeit der im
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Interview weitergegebenen Informationen. Wenn die Ergebnisse nur zur Forschung dienen und keine Auswertung in einem Workshop mit der befragten Organisation erfolgt, kann strikte Anonymität zugesichert werden. Anders zu handhaben ist die Frage der Vertraulichkeit bei Interviews zu konkreten Veränderungsprozessen im Auftrag einer Organisation, aus denen Verbesserungen abgeleitet werden sollen. Hier sollen die Bewertungen, Probleme und das Erfahrungswissen der beteiligten Personen möglichst offen aufgenommen und nach der Auswertung in einem Workshop besprochen werden können. Dass Anonymität für derartige Evaluationsvorhaben und Methoden nicht möglich und für das Ziel des Vorhabens von Nachteil wäre, ist den Befragten leicht zu vermitteln. Hervorgehoben wird dabei aber, dass alles was aufgeschrieben und ausgewertet wird, für die befragte Person sichtbar protokolliert und am Ende des Interviews noch einmal durchgesprochen und eventuell korrigiert wird. Von Vorteil ist, dass die Hauptpunkte, die im Auswertungsworkshop (ohne Namensnennung) als Stichpunkte präsentiert und weiter diskutiert werden, bereits im Interview auf Karten geschrieben werden. Die Stichworte, die die Interviewer auf diese Karten notieren, werden mit den Interviewten als Oberbegriffe erarbeitet und für sie lesbar vor ihnen ausgebreitet. Außerdem wird Ihnen zugesichert, dass Informationen nicht notiert werden und nicht den Raum verlassen, die vertraulich bleiben sollen. Das eigentliche Interview beginnt mit einer kurzen Beschreibung der Veränderungen aus der persönlichen Sicht der befragten Person. Die Frage dient zur Einstimmung und Aktualisierung von Erinnerung und Erfahrungen. Anschließend wird als erste und später im Workshop anonymisiert ausgewertete Frage eine persönliche Bewertung auf der in Abbildung 1 wiedergegebenen subjektiven Erfolgsskala von –5 bis +5 erfragt.
Wie schätzen Sie die Veränderungen ein? Misserfolg negative Ergebnisse, Nachteile, Verschlechterung
-5
-4
-3
Erfolg positive Ergebnisse, Vorteile, Verbesserung
weder/ noch
-2
-1
Abbildung 1: Persönliches Erfolgsrating
0
+1
+2
+3
+4
+5
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In Einzelfällen werden beim persönlichen Erfolgsrating maximale negative Bewertungen abgegeben, im Allgemeinen wird aber das negative Ende der Skala eher selten genutzt. Veränderungen mit Ratingwerten von -5 bis 0 können als „Misserfolge“ interpretiert, Ratings von +1 und +2 als „wenig erfolgreiche“ und nur Werte von +3 bis +5 als „erfolgreiche bis sehr erfolgreiche“ Veränderungen eingeordnet werden. Nach dem persönlichen Erfolgsrating werden die konkreten Kriterien oder Bewertungsmerkmale erfragt, an denen sich die befragte Person bei ihrer Bewertung orientiert. Dazu wird gezielt nachgefragt: „Woran machen Sie den Erfolg beziehungsweise den Misserfolg der Veränderungen ganz persönlich fest? An welchen Ergebnissen oder Merkmalen? Es geht jetzt noch nicht darum, wie es zu dem Ergebnis kam, sondern darum, an welchen Indikatoren Sie das Ergebnis festmachen. Solche Bewertungsmerkmale können zum Beispiel Wirtschaftlichkeit sein oder die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit den Veränderungen.“ Mit derartigen für das Instrument kennzeichnenden Fragen werden schrittweise die sogenannten Bewertungsmerkmale oder Kriterien (beziehungsweise Erfolgs- und Misserfolgsdefinitionen) der Person im Protokollbogen notiert. Zu jedem Bewertungsmerkmal wird anschließend jeweils eine geeignete Überschrift gesucht und auf Karten notiert. (Positive Merkmale werden auf grüne und negative auf rote Karten geschrieben. Aus Platzgründen auf dem Ablauf- und Strukturbild werden kleine Karten verwendet. Eine normale Metaplan-Karte wird dazu in vier kleine Karten geteilt.) Wenn eine befragte Person durchgehend nur positive Ergebnisse nennt, wird grundsätzlich nachgefragt, ob die Veränderungen nach Einschätzung der Befragten auch irgendwelche Nachteile oder negativen Ergebnisse mit sich bringen. Umgekehrt wird dann, wenn die Person beispielsweise bei Misserfolgsprojekten nur negative Bewertungsmerkmale genannt hat, gefragt, ob die Veränderungen auch zu positiven Ergebnissen führen. Die Kartentechnik hilft den Befragten, ihre Bewertung der Veränderungen geordnet zu reflektieren und die Hauptergebnisse für sie sichtbar festzuhalten. 3.2.3 Auswertung der geschlossenen und offenen Antworten Für die Protokollierung der Antworten auf die geschlossenen und offenen Fragen haben wir spezielle Excel-Tabellen erstellt. Sie dienen sowohl für die quantitative, als auch qualitative Auswertung (Übertragung der Oberbegriffe und stichwortartigen Beschreibungen zu allen offenen Fragen). Wenn möglich, werden zu den Interviews zusätzlich zu den Protokollen der Interviewer und Interviewerinnen Tonaufzeichnungen gemacht. Wir verzichten im Allgemeinen jedoch auf komplette Transkriptionen und beschränken uns auf über die Excel-Tabellen systematisch ausgewählte spezielle Bereiche der Tonaufnahmen (vgl. Noefer, Greif & Seeberg, 2006).
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Zur Auswertung der offenen Fragen im Interview haben wir Kategoriensysteme und Manuals entwickelt (102 Kategorien für die Bewertungsmerkmale und 96 für die Erfolgsfaktoren, s. u.). Die Auswertungskräfte erhalten eine systematische Ausbildung zur Durchführung der Auswertung. Die Reliabilität der Codierungen (Beobachterüberstimmungen) wurde stichwortartig mit KappaKoeffizienten überprüft. Die Werte liegen zwischen 0.69 und 0.92, mit einem Mittelwert von 0.79. Einzelne sind demnach sehr gut, andere nicht optimal, aber hinreichend für die Berechnung zuverlässiger Häufigkeiten beziehungsweise Prozentwerte der Kategorienbesetzungen in Stichproben. 3.2.4 Typische Ergebnisse zu den Bewertungsmerkmalen Die Ergebnisse unserer Erhebungen in sieben Ländern zeigen (Greif, Runde & Seeberg, 2004, S. 271 ff.), dass die Befragten den Erfolg spezieller Veränderungen konkret zwar auch an quantitativen Kriterien der Wirtschaftlichkeit festmachen, am häufigsten (mit 38 % der Nennungen) aber an den Folgen für die Mitarbeiter (Zufriedenheit der Mitarbeiter/innen, Motivation und Qualifizierung, Verbesserung der Sicherheit der Arbeitsplätze usw.). An zweiter Stelle (20 %) werden Merkmale zur Qualität der Projektorganisation aufgeführt (beispielsweise „perfekte Projektorganisation“). An dritter Stelle (15 %) werden Merkmale zur qualitativen Verbesserungen der Effizienz genannt (z. B. Reduzierung von Schnittstellen und Verbesserungen der Prozessabläufe). Diese Schwerpunkte der Bewertungen sind keineswegs nur für die Mitarbeiterebenen charakteristisch, sondern beziehen sich auch auf die Leitungsebenen. Die Rangfolge der Kategorien der Bewertungsmerkmale entspricht unseren theoretischen Erwartungen. Wir nehmen an, dass die konkreter spürbaren Reaktionen der Mitarbeiter eine allgemein besonders wichtige Bedeutung für die Bewertung haben. Dass die Kriterien der Wirtschaftlichkeit nicht an erster Stelle stehen, wird auf Nachfragen von Interviewpartnern dadurch begründet, dass es „selbstverständlich“ sei, dass die Veränderungen immer auch an quantitativen Kriterien der Wirtschaftlichkeit gemessen werden müssen und nur dann erfolgreich sind, wenn sie realisiert werden. Die anderen Kriterien seien aber wichtiger, weil sie schwieriger zu verwirklichen sind. Die Geschäftsführer sind allerdings die einzige Gruppe von Funktionsträgern, die den Erfolg der Veränderungen häufig auch an quantitativen Kriterien der Wirtschaftlichkeit festmacht. Dies lässt sich durch ihre besondere Verantwortung für diese Kriterien erklären. Die Geschäftsführer sprechen die Folgen der Veränderungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seltener an, vernachlässigen sie aber keineswegs vollkommen. Interessant ist, dass sie die Erfolge im persönlichen Erfolgsrating positiver und die Misserfolge negativer beurteilen, als die anderen befragten Gruppen.
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3.2.5 Erfragung der subjektiven Ursachen der Ergebnisse Im nächsten Schritt geht es im Interview um die Erhebung der subjektiven Ursachen, beziehungsweise Erfolgs- oder Misserfolgsfaktoren. Dazu wird zu jedem auf eine Karte eingetragenen Bewertungsmerkmal gefragt, was nach der Erfahrung und Meinung der Person zu diesem Merkmal geführt hat oder was die Ursachen für dieses Ergebnis sind. Zur Erläuterung wird gefragt, ob es Personen und Gruppen, Ereignisse und Situationen, Entwicklungen oder Maßnahmen gibt, die für das Ergebnis verantwortlich sind oder es ermöglicht haben. Wie bei den Bewertungsmerkmalen werden konkrete Beschreibungen erfragt und protokolliert. Anschließend werden zu den einzelnen Ursachen Überschriften gesucht und auf gelbe Karten notiert. Negative Ursachen (Misserfolgsfaktoren) werden mit einem Minuszeichen gekennzeichnet. 3.2.6 Typische Ergebnisse In Untersuchungen und zusammenfassenden Darstellungen zu den Erfolgsfaktoren oder Voraussetzungen für organisationale Veränderungen werden ohne Bezug auf bestimmte Veränderungen vorwiegend generelle Erfolgsursachen eingeschätzt, wie zum Beispiel hohes Commitment der Leitung und Mitarbeitenden für die Veränderungen (vgl. Meyer et al., 2007), Offenheit für Veränderungen und Partizipation der Betroffenen oder Verständigung, Integration und Vertrauen (Gebert, 2007). Im Unterschied dazu fragen wir in den Interviews gezielt nach den Ursachen für die vorher im Interview von den Befragten genannten konkreten Ergebnisse der Veränderungen. Wir erwarten deshalb, dass die Befragten spezifischere Merkmale und Maßnahmen zur Erklärung der Ergebnisse heranziehen und nicht nur allgemeine Merkmale, wie das Commitment der Geschäftsführung oder Beteiligung der Mitarbeiter/innen. (Wie unten beschrieben, haben wir in unserem unten beschriebenen Standardfragebogen zu den Erfolgsfaktoren dagegen allgemeine Merkmale aufgenommen.) An erster Stelle (von 24 % der Befragten) werden in unseren Interviews konkrete Merkmale der Projektorganisation genannt (z. B. Einhaltung des Zeitplans), dicht gefolgt (23 %) von Merkmalen der Mitarbeiter/innen und unteren Führung. Danach werden (von 14 %) im Prozess sichtbare Zwischenergebnisse bei der Effizienzverbesserung der Prozesse angesprochen (z. B. dass sich die Arbeitseffizienz nach der Einführung eines neuen Softwaresystems schnell erkennbar verbessert hat, wodurch sich als Ergebnis die Akzeptanz des neuen Systems erhöht hat). Merkmale der Geschäftsführung (z. B. Commitment) werden erst an vierter Stelle (von 12 %) genannt. Interessant ist, dass die Geschäftsführung bei erfolgreichen Veränderungen nur in 8 % aller Fälle als Ursache für den Erfolg aufgeführt wird. Bei Misserfolgen jedoch in 16 %.
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Nach der klassischen Untersuchung zum Attributionsfehler (Ross, 1977) wäre zu erwarten, dass die Befragten Erfolge vorwiegend auf eigene Fähigkeiten und weniger auf günstige situative Bedingungen zurückführen, für Misserfolge dagegen als Selbstschutz die Situation oder andere Personen verantwortlich machen. Unsere Ergebnisse lassen sich jedoch keineswegs eindeutig nach diesem Schema ordnen. Erfolge werden eher selten auf eigene Fähigkeiten oder andere eigene Dispositionen attribuiert, sondern auf Projektmanagementleistungen und die Wirkungen erreichter Effizienzverbesserungen. Misserfolge werden kaum auf ungünstige situative Voraussetzungen attribuiert. Dass immerhin von 16 % auf Schwächen der Führung zurückgeführt werden, passt dagegen als selbstschützende Schuldzuweisung zu Erkenntnissen der Attributionsforschung. Im Vergleich zu den anderen befragten Gruppen nennen Geschäftsführer selbst mehr verschiedene Ursachen bei den Misserfolgen. Dies ließe sich als eine differenziertere Auseinandersetzung mit Misserfolgen interpretieren. Die befragten Unternehmensberater schätzen ihre eigene Bedeutung für Erfolge im Vergleich zu den Fremdeinschätzungen der anderen Befragten höher ein. 3.2.7 Strukturbild und subjektive Theorie der Veränderung Im Interview wird den Befragten im nächsten Schritt das mitgebrachte Strukturbild mit den auf der Zeitleiste bisher eingetragenen Maßnahmen vorgelegt. Sie können den Ablauf durch weitere wichtige Maßnahmen ergänzen (weiße Karten) oder korrigieren. Alle Karten mit den Maßnahmen, Bewertungsmerkmalen und subjektiven Ursachen werden anschließend von der befragten Person auf dem vorbereiteten Strukturbild in ihrem zeitlichen Auftreten angeordnet. Die zeitliche Zuordnung richtet sich nach dem Zeitpunkt, wann die befragte Person das Auftreten erstmals beobachtet hat oder bei zukünftigen Prozessen in der Zukunft erwartet. Oft finden sich Ursachen, die bereits vor Beginn der Veränderungsprozesse bestanden haben (z. B. vorhandene oder fehlende Fähigkeiten von Personen oder Gruppen, vorhandenes Misstrauen in der Belegschaft nach schlechten Erfahrungen mit vorhergehenden Veränderungen). Sie werden mit Datumsangabe links neben dem Startzeitpunkt angeordnet. Wenn die zeitlichen Zuordnungen abgeschlossen wurden, sollen die stärksten Verbindungen zwischen subjektiven Ursachen und Wirkungen mit Pfeilen oder Zusammenhänge mit Linien eingetragen werden. Ergebnis ist ein Abbild der subjektiven Theorie der befragten Person über die Ursachen und Wirkungen bei den jeweils analysierten organisationalen Veränderungen. Ein Beispiel für ein Strukturbild findet sich weiter unten in Abbildung 3. Erst dort folgt eine ausführliche Erläuterung im Zusammenhang mit dem Anwendungsbeispiel. Die individuellen Strukturbilder sind meist sehr unterschied-
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lich. Manche sind sehr einfach, andere sehr komplex. Bei Maßnahmen und Erfolgsfaktoren, die augenfällige und direkt beobachtbare Wirkungen beschreiben, sind die Übereinstimmungen zwischen den Befragten höher. Viele Befragte betrachten ihre Strukturbilder als wichtige Leistung oder Erkenntnis. Manche leiten daraus spontan Folgerungen für künftige Veränderungen ab. Sie stellen ihre Bilder gern anderen vor und sind an Vergleichen mit anderen Bildern interessiert. 3.2.8 Ziele und Zielerreichungsgrad Am Ende des Interviews wird gefragt, welche Ziele der Auftraggeber der Veränderungen (z. B. die Unternehmensleitung) nach Einschätzung der befragten Person mit den Veränderungen verfolgen. Außerdem soll eingeschätzt werden, wie hoch der bereits erreichte oder, bei noch nicht abgeschlossenen Maßnahmen, der erwartete Zielerreichungsgrad zu den einzelnen Zielen und insgesamt ist (Prozentskala von 0 bis 100). Mit diesen Fragen sollen ein Perspektivwechsel und eine rational-nüchterne Einschätzung der Ergebnisse der Veränderungen gefördert werden. Interessant ist, dass die Ziele außer vom Projektleiter und den Unternehmensberatern von den übrigen Beteiligten meist zögerlich und vorsichtig benannt werden. Dies gilt sogar oft auch für die Auftraggeber selbst. Wenn der Beginn der Veränderungen schon eine Weile zurückliegt, können sie sich keineswegs sofort präzise an die von ihnen vorgegebenen Ziele erinnern. Behalten werden aber Ziele, die im Prozess problematisch erschienen (z. B. Personalabbau) oder voraussichtlich nicht erreicht werden können (z. B. Umsatzsteigerungen). Diese Beobachtung zeigt, wie ungenau das individuelle Gedächtnis der Beteiligten für vorgegebene Ziele ist und wie wichtig eine wiederholte, überzeugende und aktivierende Kommunikation der Ziele ist, um zielorientierte selbstorganisierte Handlungen der Beteiligten zu fördern. Vor dem Abschluss des Interviews werden insbesondere bei praktischen Anwendungen des Instruments Vorschläge zur Verbesserung der Veränderungen gesammelt. Auch eine realistische Reformulierung der Ziele kann hier genannt werden. Alle einzelnen Vorschläge werden in Stichworten auf große MetaplanKarten aufgenommen und im Auswertungsworkshop vorgruppiert auf Metaplanwänden präsentiert und diskutiert. Am Schluss des Interviews folgt eine Interviewbewertung. Wenn die Zeit bleibt, kann hierzu ein spezieller Fragebogen verwendet werden. Die Akzeptanz der Interviews ist auf allen Ebenen fast immer sehr positiv. Viele Befragte geben an, dass sie durch die Interviews neue Einsichten in die analysierten Veränderungen gewonnen haben. Dies belegt, dass die Methode bei den meisten die Reflexion über die Veränderungen fördert.
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3.3 Fragebögen zu allgemeinen Bewertungsmerkmalen und Erfolgsfaktoren Zum Kernbestandteil des Change Explorer-Instrumentariums gehören zwei Fragebögen. Der erste umfasst allgemeine Bewertungsmerkmale, der zweite allgemeine Erfolgsfaktoren. Beide Fragebögen werden im Anschluss an die Interviews ausgegeben und möglichst gleich ausgefüllt. Die Items der Fragebögen wurden nach Erkenntnissen aus der Fachliteratur und eigenen Voruntersuchungen konstruiert (vgl. Greif, Runde & Seeberg, 2004). Die Items wurden als beschreibende Feststellungen formuliert, die mit fünfstufigen Ratingskalen eingeschätzt werden sollen (Bewertungsmerkmale: 1 = nicht erreicht bis 5 = voll erreicht, Erfolgsfaktoren: 1 = trifft nicht zu bis 5 = trifft vollkommen zu). Zur Analyse der faktoriellen Struktur der Fragebögen haben wir für die beiden Fragebögen jeweils getrennte multiple Faktorenanalysen durchgeführt. Die Faktorenanalysen ergeben jeweils mehrere Faktoren, die geeignet erscheinen, wichtige allgemeine Konstrukte unserer Theorie zu messen (Greif, Runde & Seeberg, 2004, S. 281 ff.). Auf der Grundlage der im Folgenden wiedergegebenen Ergebnisse konnten wir zur Erfassung der Faktoren jeweils zuverlässige Skalen konstruieren (mit Reliabilitäten nach Cronbachs Alpha zwischen 0.75 und 0.96). 3.3.1 Faktoren und Fragebogenskalen zu den Bewertungsmerkmalen Bei den Bewertungsmerkmalen ergibt sich ein starker Hauptfaktor, in dem sich viele verschiedene Verbesserungen sammeln (z. B. der Motivation, Zufriedenheit, Qualifizierung der Mitarbeiter/innen sowie der Kunden- und der Innovationsbereitschaft). Unerwartet war dabei, dass die Fragen zur Einschätzung der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Optimierung von Fertigungsverfahren beziehungsweise Arbeitsabläufen keinen unabhängigen Faktor bilden, sondern gemeinsam mit den anderen nicht-ökonomischen Items auf demselben Hauptfaktor laden. In der weiteren Auswertung haben wir sie dennoch durch eine getrennte Subskala zu erfassen versucht und in verschiedenen Vorhersagemodellen probeweise als abhängige Variable mit der übrigen Hauptskala verglichen. Da sich die mit den theoretischen Skalen gefundenen Zusammenhänge theoretisch plausibel unterscheiden, halten wir es für sinnvoll die beschriebene Trennung des Hauptfaktors zumindest vorläufig bis zu konträren Untersuchungsergebnissen beizubehalten. Weitere Faktoren und Skalen, die wir konstruieren konnten, sind Sicherung der Arbeitsplätze durch die Veränderungen, Produktinnovation, soziale und kulturelle Verbesserungen (positive Folgen für die allgemeine Kultur und Bildung, interkulturelle Beziehungen etc.), Umweltverbesserungen (Verringerung des Energieverbrauchs, Nutzung umweltschonender Energiequellen, Verwendung
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umweltverträglicher Rohstoffe etc.), Nachhaltigkeit (Verbesserung der Langlebigkeit und Reparaturfreundlichkeit von Produkten, Aufklärungsprogramme zum nachhaltigen Konsum, Erhöhung der Gerechtigkeit zwischen den heute lebenden Menschen und künftigen Generationen) sowie Ausschussverringerung. 3.3.2 Faktoren und Fragebogenskalen zu den Erfolgsfaktoren Bei den Erfolgsfaktoren haben wir einen starken, theoretisch erwarteten Faktor zur Einschätzung des Verhaltens der obersten Führungsebene gefunden (z. B. Glaubwürdigkeit der Informationen, eindeutiges Engagement, perfekte Führung, gute Zusammenarbeit zwischen den Ebenen, Vorbildfunktion, klare Ziele und Rahmenbedingungen, Informationen über Ziele und Projektverlauf sowie Vermittlung der Erforderlichkeit der Veränderungen und Offenheit für Innovationen). Unerwartet war, dass die Fragen zur Einbeziehung der Mitarbeiter bei den Veränderungen keinen eigenen Faktor gebildet haben, sondern ebenfalls auf diesem Führungsfaktor laden. Wir sehen darin einen Hinweis, dass die Einbeziehung und Partizipation der Mitarbeiter als etwas gesehen wird, was von der Führung gefördert werden muss, damit es möglich wird. Die beiden folgenden Faktoren beziehen sich auf das Verhalten des Projektleiters beim Projektmanagement (z. B. seine Problemlösekompetenzen, Projektmanagementerfahrungen, Glaubwürdigkeit, Engagement, perfektes Management, vorbildliches Verhalten, exakte Zielvorgaben, genaue Kenntnisse von Abläufen und Strukturen des Unternehmens, Offenheit für Innovationen und erfolgreiche Bewältigung von Konfliktsituationen sowie gutes Beziehungsnetzwerk zu den Beteiligten) und die Auswahl und das Verhalten des Projektteams (sorgfältige Auswahl der Mitglieder, hohe Akzeptanz in ihren Arbeitsbereichen, Ausbildung für die Projektaufgaben, häufige Reflexionen und Verbesserungen im Projektteam zu Arbeitsweisen und Methoden, gute Informationskontakte untereinander, Übereinstimmung in den Zielen und harmonische Beziehungen). Weitere Faktoren betreffen ein eventuell vorhandenes Misstrauen und Befürchtungen (z. B. durch negative Erfahrungen aus früheren Projekten, Angst um den Arbeitsplatz oder erhebliche zusätzliche Arbeitsbelastungen), das Verhalten der Unternehmensberater (Glaubwürdigkeit, Engagement, hilfreiche Außenperspektive, Erfahrungs- und Wissensvorsprung, Kenntnisse über Abläufe und Strukturen des Unternehmens, Anpassen des Vorgehens an die Situation, gutes Beziehungsnetzwerk zu den Beteiligten usw.), Kommunikationsprobleme und Konflikte im Verlauf (Kommunikationsprobleme zwischen Geschäftsführung und Projektleitung oder innerhalb des Projektteams, sofortige Schuldigensuche wenn etwas schief ging, Wechsel in der Projektleitung usw.), kulturelle Unterschiede (schwierige Kommunikation durch kulturelle Unterschiede, unterschiedliche kulturelle Herkunft der Beteiligten und Unternehmensbereiche unterschied-
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licher Länder usw.) sowie Vorhandensein von genügend Ressourcen (Personal, Zeit und Geld). 3.3.3 Ergebnisse zu den Fragebögen In unserer internationalen Untersuchung (Greif, Runde & Seeberg, 2004) mussten die Befragten mit den Fragebögen sowohl eine möglichst erfolgreiche Veränderung (A-Projekt), als auch im Kontrast dazu eine möglichst wenig erfolgreiche (Z-Projekt) einschätzen. Es ist nicht überraschend, dass sich zwischen den A- und Z-Projekten durchweg starke und hochsignifikante Unterschiede in der erwarteten Richtung ergeben. Bemerkenswert ist aber, dass sich in den Mittelwertsprofilen der Skalen der A- und Z-Projekte zwischen den untersuchten Ländern zwar Unterschiede zeigen, dass sich die Mittelwerte in den jeweiligen Skalen aber fast durchweg in einem schmalen Bereich bewegen und nahezu gleiche Rangfolgen aufweisen. Diese Ergebnisse sprechen für eine interkulturell ähnliche Bedeutung der allgemeinen Skalen. Zur statistischen Vorhersage allgemeiner Kriterien des Erfolgs der Veränderungen (Zielerreichungsgrad und Erfolgsrating) haben wir multiple Regressionsanalysen durchgeführt und theoriegeleitete lineare Strukturgleichungsmodelle (mit Kreuzvalidierung) auf ihren Fit mit unseren Daten getestet. Sie weisen hohe prediktive Werte und sehr gute Parameterwerte auf (Greif, Runde & Seeberg, 2004, S. 286 ff.), die relativ kleine Stichprobe erlaubte allerdings nur Modelle mit wenigen Prediktoren zu überprüfen. Die folgende Abbildung gibt die kreuzvalidierten Ergebnisse eines einfachen Vorhersagemodells wieder, das wir auf der Grundlage eines robusten regelbasierten probabilistischen Verfahrens mit Kreuzvalidierung bestätigen konnten (vgl. Mitchell, 1997; Winston, 1992). Bei diesem Verfahren wird eine optimale Regel zur Vorhersage bestimmter Ergebnisse in der Stichprobe entwickelt und empirisch die Sicherheit der Vorhersage ermittelt. Wie die Abbildung 2 zeigt, kann mit 88-prozentiger Sicherheit ein hoher bis sehr hoher Zielerreichungsgrad durch unsere drei ErfolgsfaktorenSubskalen Führung/Einbeziehung, Projektmanagement und Projektteam vorhergesagt werden. In den Pfeilen werden die mittleren Rating-Werte der Skalen wiedergegeben, die in der Regel übertroffen werden müssen, damit ein hoher bis sehr hoher Zielerreichungsgrad mit der angegebenen Wahrscheinlichkeit erreicht werden kann. Wie im rechten unteren Kasten dargestellt, ist mit 69-prozentiger Sicherheit ein niedriger Zielerreichungsgrad zu erwarten, wenn die in den darauf bezogenen Pfeilen angegebenen Ratings unterschritten werden.
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+/Führung / Einbeziehung +/Projektmanagement +/Projektteam
> 3,02 5 > 3,6 ,34 >3 <3 ,03 < 3,0 4 < 2,94
88% hoher / sehr hoher Zielerreichungsgrad
69% niedriger Zielerreichungsgrad
Abbildung 2: Vorhersage des Erfolgs der Veränderungen (Greif, Runde & Seeberg, 2004)
3.3.4 Stärkere Berücksichtigung personenbezogener Erfolgsfaktoren Orientiert an der Mehrebenensystemtheorie (s. o.) gehen wir davon aus, dass die relevanten Ressourcen, Technologien, Managementkonzepte oder allgemeinen Strukturen und Prozesse der Weltwirtschaft der jeweiligen Branche sowie der nationalen Wirtschaft als Rahmenbedingungen dominante Einflüsse auf die organisationalen Veränderungen haben. Wie sich allerdings am Beispiel der Energiepreise oder Technologien bis zu den von den führenden Unternehmensberatungen weltweit in den Wettbewerb eingeführten Managementkonzepten zeigen lässt, wirken diese auf die in einem konkreten Unternehmen eingeführten Veränderungen häufig als nicht oder wenig beeinflussbare „fixe Größen“. Variabilität und damit auch vorhersagbare Varianz entsteht dagegen nach unseren Annahmen (Greif, Runde & Seeberg, 2004) durch die vielfältigen Unterschiede der beteiligten und betroffenen Personen und Gruppen in Organisationen und ihre Merkmale. Wie oben dargelegt, erklären wir das Erreichen vorgegebener Ziele bei organisationalen Veränderungen trotz nicht vorhersehbarer Umgebungsbedingungen und organisationsinterner Probleme teilweise durch Selbstorganisationspotenziale der Personen und Personengruppe in der Organisation. Die gefundenen deutlichen Zusammenhänge zwischen personenbezogenen Erfolgsfaktoren und Zielerreichungsgrad stehen im Einklang mit unseren theoretischen Annahmen. In Theorien und Untersuchungen zum Change Management sollten die oft vernachläs-
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sigten personenbezogenen Faktoren künftig stärker berücksichtigt werden. Zwar lassen sich dabei Attributionsfehler im Sinne einer Unterschätzung der Bedeutung externer und interner situativer Faktoren nicht ausschließen. Aber die Ursachenattribuierungen lassen sich nicht pauschal als Fehlattribuierungen interpretieren, weil die Ergebnisse der Interviews und Fragebögen nicht den typischen Ergebnissen der Fehlattributionsforschung entsprechen. 3.4 Auswertungsworkshop Ein Auswertungsworkshop ist ein praktisch bewährter Abschluss von Change Explorer-Untersuchungen im Auftrag einer Organisation zur Evaluation und Verbesserung konkreter organisationaler Veränderungen. Dazu werden die Ergebnisse der Interviews und Fragebogenerhebung quantitativ und qualitativ ausgewertet. Die Skalenwerte werden im Auswertungsworkshop wie üblich grafisch dargestellt. Die positiven und negativen Bewertungsmerkmale sowie Erfolgsfaktoren werden in den gleichen Farben wie im Interview auf größere MetaplanKarten übertragen und vorgruppiert auf Metaplanwänden zusammengestellt. Die Verbesserungsvorschläge werden ebenfalls vorgruppiert auf eigenen Metaplanwänden dargeboten. Wenn möglich sollten am Auswertungsworkshop alle Befragten teilnehmen. In einem Projekt zur Evaluation der Analyse und Lösung aufgetretener Probleme bei der Einführung eines SAP-gestützten Lagerverwaltungssystems waren am Auswertungsworkshop alle betroffenen Produktions- und Dienstleistungsbereiche mit allen Ebenen beteiligt, von den Geschäftsführern bis hin zum Gabelstaplerfahrer. Alle haben ihre teilweise sehr kritischen Bewertungen und Verbesserungsvorschläge über die Interviews und Redebeiträge im Workshop einbringen können. Im Workshop werden die Ergebnisse schrittweise vorgestellt und diskutiert, beginnend mit den auf Flipcharts zusammengestellten Zielen der Auftraggeber und der Befragten der Veränderungen. Es folgen Präsentationen der Folien zu den Erfolgsratings und Zielerreichungsgraden. Die vorbereiteten Metaplanwände zum Ablauf und den Maßnahmen der Veränderungen, zu den Bewertungsmerkmalen, den Erfolgsfaktoren und Verbesserungsvorschlägen nehmen meistens den größten Teil der Workshopzeit in Anspruch. Die zahlreichen Wände mit vielen gruppierten Karten müssen eingehend beschrieben und diskutiert werden. Weitere Karten können dabei ergänzt und die Gruppierungen gemeinsam korrigiert werden. Auf den verschiedenen Metaplanwänden werden jeweils im Anschluss an die Diskussion Punktbewertungen nach Wichtigkeit der Gruppen aus der Sicht der Workshopteilnehmer/innen vorgenommen. Nachdem noch einmal die Ziele auf Flipcharts wiedergegeben, mit den Zielvorgaben der Auftraggeber der Veränderungen verglichen und eventuell präzisiert und als Verbesserungsvor-
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schlag umformuliert wurden, werden die als wichtig eingeschätzten Verbesserungsvorschläge bewertet, priorisiert und konkretisiert. Abschließend wird ein Entwurf eines Arbeitsplans erstellt (was ist zu tun, durch wen und bis wann). Zumindest bei wichtigen Veränderungen müssen die auf dem Auswertungsworkshop erarbeiteten Vorschläge vor ihrer Umsetzung in der Regel von der Leitung der Organisation, zum Beispiel der Vorstandsebene entschieden werden. Wenn das Evaluations- und Verbesserungsprojekt vom Vorstand initiiert oder getragen wird und wenn im Workshop zumindest die Geschäftsführungsebene der beteiligten Bereiche präsent ist und der Vorstand in allen Phasen informiert wird, gibt es hier erfahrungsmäßig selten Probleme. Wichtig ist ferner, dass für die Verbesserung der Veränderungen Teilprojekte definiert und geeignete Projektleiter (meist aus dem Kreis der Workshopteilnehmer) gefunden werden und die erforderlichen Ressourcen erhalten. Die Umsetzung der Verbesserungsprojekte muss vom Gesamtprojektleiter genauso sorgfältig wie bei anderen Projekten überwacht werden. Die Erfahrung zeigt, dass die gemeinsame Aufmerksamkeit der befragten Schlüsselpersonen einen außerordentlich förderlichen Einfluss auf die Umsetzung der geplanten Verbesserungen hat. Im oben angesprochenen Fallbeispiel der technologischen Veränderung eines Lagerverwaltungssystems wurden über 200 Veränderungen realisiert. Die erzielten Verbesserungen wurden anhand der ermittelten Wirtschaftlichkeitsindikatoren, verringerten Wartezeiten der Kunden und nach den persönlichen Ratings der Schlüsselpersonen sowie nach einer Kundenbefragung als sehr erfolgreich bewertet. 3.4.1 Unterschiedliche Varianten und Komponenten des Change ExplorerInstrumentariums Die kompletten Komponenten des Change Explorer-Instrumentariums werden je nach Fragestellung zusammengestellt. Im folgenden Fallbeispiel wird eine spezielle Kombination mit Aufgaben- und Prozessanalysen beschrieben. In einer Untersuchung organisationaler Veränderung in der Polizei mit künftigen Führungskräften aus der gesamten Bundesrepublik Deutschland (vgl. Jacobs et al., 2006; Seeberg, in Vorber.) wurden anstelle des Auswertungsworkshops Fokusgruppen zum Vergleich der Erfolgsfaktoren gebildet. 4
Exemplarische Analysen der Veränderungen in einer Ausländerbehörde
Das im Folgenden beschriebene Projekt zur „Arbeits- und Organisationsuntersuchung in der Ausländerbehörde sowie der Stelle für Staatsangehörigkeitsangelegenheiten und Namensänderungen“ wurde von November 2000 bis Mai 2001 im Auftrag der Leiterin des Bereichs Personal und Organisation der Stadt Osnabrück, Frau Karin Detert, im Rahmen eines Studienprojektes mit Studierenden
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durchgeführt. Die Ausgangssituation war aus der Sicht der Beschäftigten durch nicht mehr tragbare Arbeitsüberbelastungen und gesundheitliche Beeinträchtigungen gekennzeichnet, die sich in einem verglichen mit anderen Abteilungen hohen Krankenstand niederschlugen (monatlich bis zu 8 %), einer Fluktuationsrate von bislang in der Stadt ungekannten Ausmaßen (13 von 20 Mitarbeiter/innen, beziehungsweise 65 %) sowie kaum noch eingehende Bewerbungen zur Wiederbesetzung der offenen Stellen. Nach einer Lagebesprechung mit allen Mitarbeitenden des Bereiches (nach Stellenplan 20 Personen) und den Leitungsebenen, der Personalratsvertretung sowie der Gleichstellungsbeauftragten wurden die folgenden, allgemeinen Projektziele festgelegt: 1. Erhöhung der Effizienz (Analyse, Dokumentation, Verbesserung und Vereinfachung der Leistungen, Arbeitsabläufe und der Organisation), 2. Verringerung der Belastungen und Verbesserung der Stresssituation, 3. angemessene Personalbemessung beziehungsweise Vergütung (Besoldung), 4. Aufwertung der Akzeptanz und des Images durch Transparenz gegenüber Bürgern, Politik sowie innerhalb der Stadtverwaltung, 5. Verbesserung des Bürgerservices. Vereinbart wurde ferner, dass nach den Analysen gemeinsame Auswertungsworkshops mit allen Mitarbeitenden und den direkten Leitungsebenen durchgeführt werden sollten. Das beteiligungsorientierte Vorgehen wurde mit der Verwaltungsspitze, dem Organisations-, Personal- und Gleichstellungsausschuss, dem Fachbereich Personal und Organisation, der Leitung des Fachbereichs Bürger und Ordnungsangelegenheiten, den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dem Frauenbüro und der Personalvertretung vereinbart. Die Verbesserungsvorschläge mussten vor der Umsetzung mit der Stadt Osnabrück und dem Personalrat abgestimmt werden. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über Maßnahmen und Ablauf des Projekts. Bei den als „neu“ gekennzeichneten Maßnahmen handelt es sich um ungeplante, im Projekt neu erdachte Maßnahmen. Zur Analyse der Ist-Situation und um Ansatzpunkte für Verbesserungen zu finden, haben die dafür trainierten Studierenden und ich per Interview mit der Leitung des Arbeitsbereiches und allen Mitarbeitenden zunächst individuelle Aufgabenanalysen durchgeführt (in jeweils 60 bis 90 Minuten). Nach dem Konzept sogenannter Aufgabeninventare (Task Inventories) wurden dazu alle wichtig erscheinenden Aufgaben der Mitarbeiter/innen und Leiterin aufgenommen, beschrieben und jeweils nach Schwierigkeit, Fehlerrisiken, Stress und Ausbildungsbedarf mit Ratingskalen eingeschätzt. Im späteren Verlauf wurden mit ausgewählten Experten aller unterschiedlichen Teilbereiche Prozessanalysen mit
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selbst entwickelten Verfahren und Visualisierungstechniken durchgeführt. Die einzelnen Prozessanalysen dauerten mit Pausen bis zu 4 Stunden. Tabelle 1: Übersicht über Maßnahmen und Ablauf des Projekts Zeitraum
Aufgabe
1
Nov – Dez 2000
Analyse der Stellenbeschreibungen
2
Nov – Dez 2000
Aufgabenanalysen (Interviews mit allen Mitarbeiter/innen) und Sammeln von Verbesserungsvorschlägen
3
Dez 2000 – Feb 2001 Neu: Einsatz eines Blitzhilfe-Teams zur Erarbeitung und sofortigen Umsetzung einfacher, schnell wirkender Verbesserungen
4
14. Feb 2001
Auswertungsworkshop zur Zwischenbilanz
5
Feb – Apr 2001
Individuelle Interviews zur Prozessanalyse Ist-Situation und Vorschläge für ein Soll-Konzept zur Verbesserung der Prozesse
6
Feb – Juni 2001
Neu: Individuelle Lernzielvereinbarungen mit allen Mitarbeiter/innen. Unterstützung der Umsetzung durch den Leiter des Bereichs und eine erfahrene Mitarbeiterin.
7
20./21. Apr 2001
Auswertungsworkshop zur gemeinsamen Erarbeitung von Vorschlägen für ein Soll-Konzept zur Verbesserung der Prozesse. Stellungnahme zum Personalbedarf und zur Personalstruktur als Grundlage für weitere Entscheidungen der Stadt. Planung der Umsetzung.. Neu: Training zur Verbesserung der interkulturellen Kommunikation
8
Apr – Mai 2001
Analysen zur Stellenbewertung und Korrekturvorschläge zur Eingruppierung. Prüfung der Analysen/Vorschläge und Entscheidung durch die Stadt
9
März – Mai 2001
Ausarbeitung des Projektberichts. Informations- und Abstimmungsgespräche mit der Leitung, Personalrat, Gleichstellungsbeauftragten und Mitarbeiter/innen des Arbeitsbereichs
10
31. Mai 2001
Präsentation des Berichts bei der Leitung der Stadt und der Personalvertretung und Entscheidung der Stadt über die weiteren Maßnahmen
11
Juni – Sept 2001
Information der Mitarbeiter/innen und Umsetzung des Soll-Konzepts durch den Leiter des Arbeitsbereichs und die zuständigen Ebenen
12
Okt – Nov 2001
Evaluation der Ergebnisse mit dem Change Explorer-Interview
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Die Ergebnisse wurden in den Teilbereichen in Form mehrerer querformatiger Flipcharts präsentiert. Die Mitarbeitenden wurden aufgefordert, sie sich eingehend anzuschauen, mit ihren Erfahrungen zu vergleichen und Vorschläge zur Überarbeitung zu machen. Das Projekt ist ein Beispiel für organisationale Veränderungen mit vorgegebenen Zielen und offenen Problemlösungen. Geeignete Maßnahmen sollten erst nach den Analysen unter Beteiligung der Mitarbeitenden und der direkten Leitungsebenen erarbeitet, geplant und umgesetzt werden. Welche Maßnahmen zielführend sein würden, war – abgesehen von ersten Ideen für mögliche Ansatzpunkte – definitiv ungewiss. Im Verlauf der Aufgabenanalysen wurde schnell deutlich, dass die Situation und Anforderungen von den relativ jungen und teilweise erst sehr kurz in diesem Bereich beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bereichs als überfordernd erlebt wurden. Selbst wenn die Mitarbeitenden gut ausgebildet waren, mussten sie je nach Herkunftsland der ausländischen Bürgerinnen und Bürger so viele unterschiedliche, teilweise diffizile und veränderte Gesetze, Verordnungen und Anweisungen beachten, dass sie sich kaum noch alle ins Gedächtnis einprägen konnten. Jede Auskunft oder Entscheidung konnte heftige Proteste der ausländischen Bürgerinnen und Bürger hervorrufen. Jeder Fehler bei einer nicht erteilten Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis, insbesondere bei einer drohenden Abschiebung konnte starke Reaktionen in der Öffentlichkeit und den Medien hervorrufen oder zu langwierigen Gerichtsprozessen führen. Durch die erforderlichen Einarbeitungszeiten für junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Krankentage war das Arbeitspensum trotz hohen Arbeitseinsatzes nicht mehr zu bewältigen. Als Folge nahm die Zahl der unabgeschlossenen Vorgänge ständig zu. 4.1 Blitzschnelle Hilfe Eine unmittelbare Folgerung war, mit der Umsetzung von Maßnahmen zur Reduktion der Überbelastungen und Stresssituation nicht bis zur Durchführung und Auswertung der geplanten Prozessanalysen zu warten. Unser Vorschlag ein „Blitzhilfe-Team“ zu bilden wurde sehr positiv aufgenommen: Aufgabe des Teams war, gemeinsam einfache, sofort umsetzbare und schnell wirkende Maßnahmen zu finden und zu realisieren. Umgesetzt wurden die folgenden vier Maßnahmen: 1. An jedem Arbeitsplatz wurde zusätzlich zum Bürgertelefon (Kundenhotline mit eingeschränkten Sprechzeiten) ein zweites Telefon als ständig offene Behörden-Hotline eingerichtet. 2. Zeitlich begrenzter Einsatz einer Registraturkraft als Hilfe bei Kopierarbeiten.
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3. Zeitlich begrenzte Herausnahme einer erfahrenen Mitarbeiterin aus dem direkten Kundenkontakt, die von den neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Ratgeberin im Hintergrund befragt werden konnte. (Nach dem Namen der kompetenten Helferin wurde die Lösung intern als „Modell Monika“ bezeichnet.) 4. Einsatz eines erfahrenen Mitarbeiters an Stoßtagen als „Koordinator“ der Kunden (Befragung der Kunden im überfüllten Wartebereich nach ihren Anliegen, Einsammeln von abzugebenden Unterlagen, Kurzberatung usw.). Nach Berichten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führten diese vier Maßnahmen bereits zu deutlich spürbaren Entlastungen. Die Trennung des Kundenund Behördentelefons und die Einführung von Kundensprechzeiten haben nach Auskunft der Beteiligten den Stress durch die Handlungsunterbrechungen beim ständigen Hin- und Herpendeln zwischen Kunden am Schalter und Telefon enorm reduziert. Die Registraturkraft konnte ohne Einarbeitungszeit einspringen, brachte aber eine sehr konkrete Arbeitsentlastung, da sehr viele Kopierarbeiten anfielen. Obwohl im „Modell Monika“ eine erfahrene Mitarbeiterin in der direkten Arbeit mit Kunden fehlte, stieg die Gesamteffizienz des Bereichs nach Auskunft der Mitarbeitenden, da sie die übrigen Vorgänge effizienter abschließen konnten und besser lernten, Beratungsprobleme selbstständig zu bearbeiten. Gleichzeitig verringerte sich ihre stressende Unsicherheit bei Entscheidungen. Durch den Koordinator wurden etwa 30 % der wartenden ausländischen Bürger sofort bedient, wie wir an Stoßtagen durch systematische Vorher-NachherBeobachtungen vor Ort feststellen konnten. Dadurch reduzierte sich nicht nur das Arbeitsvolumen für die übrigen Mitarbeitenden, die schnelle Hilfe wurde auch von den Wartenden sehr dankbar aufgenommen. 4.2 Analysen, Auswertungsworkshops und weitere Maßnahmen Neben den Maßnahmen der Blitzhilfe wurde nach der Auswertung der Analysen in den Auswertungsworkshops eine Serie weiterer Maßnahmen erarbeitet und umgesetzt. Zur nachhaltigen Qualifizierung aller Mitarbeiter/innen wurden vom Vorgesetzten mit den Mitarbeitenden unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Aufgabeninventare individuelle Lernzielvereinbarungen durchgeführt und begleitet. Zahlreiche große und kleine technische und organisatorische Verbesserungen der Arbeitsabläufe wurden im zweiten Ausbildungsworkshop gemeinsam anhand der Prozessanalysen erarbeitet. Besonders wichtig war eine gemeinsame Verabredung mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, als positive erlebte Veränderungen im Arbeitsbereich über offizielle Informationswege, aber auch über informelle Kommunikationskontakte in andere Bereiche zu kommunizieren, um das Bewerberinnen und Bewerbern abschreckende negative Image des Be-
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reichs zu verbessern. Außerdem wurde modellartig ein kurzes interkulturelles Training mit Rollenspielübungen durchgeführt. Grundlage waren in den Interviews erhobene schwierige interkulturelle Verständigungsprobleme. Ziel war dabei, den Mitarbeiter/innen zu vermitteln, die kulturellen Unterschiede und teilweise schwer nachvollziehbaren Verhaltensweisen der ausländischen Bürger nicht nur als Stress zu betrachten, sondern auch als praktisch-psychologisch interessante Lern- und Qualifizierungsaufgabe. Ein wichtiges Anliegen war auch, den Mitarbeitenden zu zeigen, wie sie mit den ausländischen Kunden verständnisvoll und in nicht diskriminierender Weise über unterschiedliche kulturelle und rechtliche Regeln sprechen können, die in deutschen Behörden eingehalten werden müssen. Eine weitere konkrete, bereits zu Beginn von der Leitung der Stadt angedachte Maßnahme war die Überprüfung sämtlicher Stelleneingruppierungen. Unterstützt durch die dafür zuständigen Experten der Stadtverwaltung haben wir die Stellenbeschreibungen und Eingruppierungen überprüft, die relevanten Ergebnisse der Aufgaben- und Prozessanalysen durchforstet und zusätzliche Angaben durch Mitarbeitende und Vorgesetzte eingeholt. Im Ergebnis wurden einige Stellen höher gruppiert. 4.3 Change Explorer-Interviews Nach Abschluss des Projektes haben wir mit allen erreichbaren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiten des Bereichs und den direkten Leitungsebenen sowie der Personalvertretung und Gleichstellungsbeauftragten Change Explorer-Interviews durchgeführt. Die abgefragten Zufriedenheiten mit der Umsetzung der einzelnen Maßnahmen variierten in Abhängigkeit vom jeweiligen Aufgabenbereich. Die Einschätzungen des Gesamtzielerreichungsgrads des Projekts sind aber überwiegend sehr positiv ausgefallen. Der mittlere eingeschätzte Zielerreichungsgrad erreichte 69,5 % (N= 18, Standardabweichung = 14, Minimum = 50 %, Maximum = 100 %) und als häufigster Wert wurde 80 % (von N = 9) genannt. In den Interviews wurden auch kritische und negative Punkte angesprochen. Die meisten betrafen Probleme, auf die wir in unserem Projekt keinen Einfluss nehmen konnten wie zum Beispiel schwierig umzusetzende Paragraphen in den Ausländergesetzen oder in den Regelungen und Vorschriften der Landesbehörde sowie Probleme in der Zusammenarbeit zwischen Behörden. Um hier Verbesserungen zu erzielen, wäre es erforderlich die Landesebene, aber auch die Bundesebene einzubeziehen. In den in den Interviews erarbeiteten Strukturbildern haben viele Mitarbeitende als positive Ergebnisse des Projekts eine Stressverringerung, eine Zunahme der Zufriedenheit und eine gerechtere Eingruppierung genannt und als negative die zeitliche Zusatzbelastung durch die durchgeführten Arbeits- und Organi-
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sationsanalysen. Als Ursachen für die Stressverringerung wurden meist die Trennung der Kunden- und Behördenhotline (Zitat: „Kein Dauerstress mehr mit Telefon!“) sowie die Arbeitsentlastung durch die Registraturkraft angegeben. Die höhere Zufriedenheit wurde dagegen auf viele verschiedene Ursachen zurückgeführt, insbesondere auf das bereits vor Beginn der Analysen vorhandene gute interne Teamklima und die konkrete Hilfe von außen sowie die Einhaltung der versprochenen Unterstützung durch die Blitzhilfe, die Workshops insgesamt oder einzelne Maßnahmen, wie das interkulturelle Training. Einzelne haben auch die zunehmende Anerkennung der Probleme durch die Leitungsebenen der Stadt sowie die größere informelle kollegiale Akzeptanz und Anerkennung des Arbeitsbereichs und die erzielten Neubesetzungen hervorgehoben. Die Gemeinsamkeiten der individuellen Strukturbilder lassen sich zu einem Gesamtstrukturbild zusammenfassen, das in Abbildung 3 wiedergegeben wird. Wie in anderen Untersuchungen ist das Gesamtstrukturbild durch die Zusammenführung übereinstimmender Partialstrukturen aus den Einzelinterviews komplexer und kompletter als die individuellen Strukturbilder. Das Bild wurde als Plakat gedruckt und den Mitarbeiter/innen des Arbeitsbereichs übergeben. Die befragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich darin mit ihrem Erfahrungswissen wieder gefunden und es als gemeinsame Beschreibung der Veränderungen in der Ausländerbehörde angenommen. Das Gesamtstrukturbild liefert demnach ein sozial validiertes Abbild der gemeinsamen subjektiven Theorie der Veränderungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die erfahrungsbasierten subjektiven Bewertungen im Strukturbild lassen sich teilweise auch durch objektive Daten stützen. So haben sich die Krankentage deutlich verringert und lagen im Zeitraum der Befragungen unter den Mittelwerten anderer Bereiche. Außerdem war es bereits ein Jahr nach Beginn des Projektes möglich, die Fluktuation zu stoppen und bald danach alle Stellen zu besetzen. Dies lässt sich kaum nur durch Höhergruppierungen einzelner Stellen erklären, sondern, wie das Strukturbild zeigt, daneben vermutlich wesentlich auch durch die verabredeten und selbstorganisiert umgesetzten positiven informellen Bewertungskommunikationen der Mitarbeitenden in andere Arbeitsbereiche hinein, nachdem sich konkrete Verbesserungen der Arbeitssituation und -zufriedenheit abzeichneten. Die Verbesserungen haben sehr nachhaltige positive Ergebnisse hervorgerufen. Die vorhandenen Kunden- und Behördentelefone gelten bis heute als konkret sichtbares Erinnerungssymbol für das immer noch sehr positiv erinnerte Projekt. Erst in diesem Jahr werden sie durch ein neues System abgelöst, durch das die Erreichbarkeit durch Kunden verbessert wird. Die Koordinatorlösung konnte allerdings nach dem Weggang des erfahrenen Mitarbeiters nicht weiter-
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Zusatzbelastung durch Projekt
Arbeits- & Org-analyse gutes Teamklima
Blitzhilfe! Koordinator
faire Eingruppierung
ProblemlöseWorkshops Lernzielvereinbarungen
Kunden- & BehördenHotline/ Sprechzeiten
Fluktuation stoppen
positive informelle Bewertungen
sehr gutes Teamklima
weniger Stress
alle Stellen besetzen
Arbeitszufriedenheit
Fehlzeitenverringerung
Registraturkraft 11/2000
03/2001
11/2001
04/2002
Abbildung 3: Subjektives Gesamtstrukturbild der Veränderungen der Ausländerbehörde
geführt werden, da es sich niemand zutraute, die vielfältigen Anfragen im Wartebereich zu beantworten. Wie im Projekt am Ende aber angeregt, wollten die Mitarbeitenden selbst an einem längeren interkulturellen Training teilnehmen. Obwohl sie ja die Arbeits- und Organisationsanalysen als Zusatzbelastungen erlebt hatten, haben die Mitarbeitenden vor dem interkulturellen Training selbst gefordert, dass mit ihnen vorher wiederum Interviews und Analysen durch unser Fachgebiet durchgeführt werden sollen, damit auf dieser Grundlage im Training ihre besonderen Anforderungen und ihre Vorschläge berücksichtigt werden. Dies kann als starker Beleg für die Akzeptanz und subjektive Nützlichkeit unsere theorieorientierten Analysemethoden bei den Mitarbeitenden in diesem Arbeitsbereich gelten. Das Projekt hat viele weitere direkte und indirekte Anstöße für andere Projekte und Maßnahmen gegeben. Es hat die Leiterin des Bereichs Personal und Organisation, Frau Detert, darin bekräftigt, weitere Fördermaßnahmen zur Beschäftigung und Integration von Migrantinnen und Migranten einzuführen. Besonders hervorzuheben ist ein überregional beachtetes Modellprojekt zum inter-
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kulturellen Mentoring der Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund in der Stadtverwaltung, das wir mit Diplomandinnen des Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie und unserem universitätsnahen Institut für wirtschaftspsychologische Forschung begleitet haben. 5
Diskussion und Perspektiven
Die Ergebnisse unserer wissenschaftlichen und praktischen Untersuchungen, insbesondere aber das Anwendungsbeispiel belegen, dass aufwändige theorieorientierte qualitative und quantitative Analysemethoden von den Befragten akzeptiert und in ihrer Bedeutung verstanden werden können, wenn sie die individuellen Reflexionen der Beteiligten über notwendige und mögliche Veränderungen individuell im Interview und gemeinsam im Auswertungsworkshop fördern. Das beschriebene Anwendungsprojekt zeigt anschaulich, wie das Problem der NichtVorhersehbarkeit und Ungewissheit der Veränderungsprozesse gelöst werden kann. Wie eingangs theoretisch erläutert wurde, sind dafür klare und stabile, von den Betroffenen akzeptierte Zielvorgaben erforderlich. Um geeignete Problemlösungen und Maßnahmen zu finden, sind kontinuierlich intensive Analysen und gemeinsame Auswertungen durchzuführen. Um die vorgegebenen Ziele zu erreichen, sind flexible, teilweise vollkommen neu zu planende und gemeinsam akzeptierte Maßnahmen gefragt, die durch bestens informierte Mitarbeiter/innen mit hohem Zielcommitment aktiv und selbstorganisiert umgesetzt werden müssen. Eine Besonderheit des Change Explorer-Instrumentariums ist, dass die Mitarbeiter/innen in die Auswertung und Problemlösung aktiv einbezogen werden. Unterschiedliche individuelle Perspektiven der Beteiligten werden dabei zu gemeinsamen theoretisch fundierten Problemanalysen und -lösungen bis hin zu einer erfahrungsbasierten gemeinsamen subjektiven Theorie der Veränderungen zusammengeführt. Die Betroffen werden damit nicht nur zu aktiven Beteiligten bei der zielorientierten Analyse und selbstorganisierten Lösung der Probleme, sondern entwickeln sich zugleich zu Theoretikern, deren Annahmen über die Ursachen und Wirkungen beim Managen der Veränderungen als Erfahrungswissen ernst genommen werden. Mit ihrer Expertise tragen sie zur wissenschaftlichen Erforschung handlungswirksamer Alltagstheorien organisationaler Veränderungen bei und damit auch zur wissenschaftlichen Theorieentwicklung in diesem Feld. Im Anwendungsbeispiel öffnen sie sich für die Annahmen der anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der wissenschaftlichen Berater und nehmen sie in eine gemeinsam akzeptierte, komplexere subjektive Theorie der konkreten Veränderungen auf. Unternehmensberatungen verkaufen im Unterschied dazu weniger wissenschaftlich gestützte, sondern exklusive, nach ihren Erfolgsdefinitionen nützliche Konzepte und Lösungen und setzen ihre Analysemethoden eher pragmatisch ein. Wenn sie die Ergebnisse in perfektionierten
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Folienshows präsentieren, hemmen sie vermutlich eigene Reflexionen, Lösungsentwicklung und theoretische Lernprozesse der Betroffenen und verschenken Chancen zur Förderung der für das Erreichen schwieriger Ziele selbstorganisierten, von theoretisch fundiertem Wissen getragenen Problemlösungen. Nach der oft bestätigten klassischen Untersuchung von Ross (1977) zum Attributionsfehler würden wir erwarten, dass die erfolgreichen Veränderungen von den Befragten überwiegend auf eigene Fähigkeiten zurückgeführt werden. Das ist im vorliegenden Beispiel eindeutig anders. Lediglich die Erklärung der Effekte durch das gute Teamklima könnten partiell als eine Art Selbstattribution gesehen werden. Zusammenfassend betrachtet entwickeln die Beteiligten im Kern eine Theorie der Wirkungen konkreter lokaler Maßnahmen und spezieller fördernder Faktoren (wie ein gutes Teamklima und positive informelle Bewertungen) sowie positiver Wirkungen der beobachteten Wirkungen (siehe die Pfeile zwischen den Ergebnismerkmalen Stressverringerung, Zufriedenheit und positive informelle Bewertungen). Typische allgemeine Erfolgsfaktoren wie Commitment der Führung und Beteiligung der Mitarbeitenden wurden in den Interviews nur am Rande thematisiert. Dies überrascht nicht, da ihre Bedeutung, wie wir theoretisch erwarten im Prozess des selbstorganisierten Handelns bei von den Beteiligten positiv bewerteten Prozessen organisationaler Veränderungen in den Hintergrund tritt. Konkrete Wirkungen entstehen nur durch konkrete Handlungen oder Maßnahmen. Genau betrachtet sind es weniger die sogenannten „Maßnahmen“, die Wirkungen zeigen (z. B. der technische Anschluss eines zweiten Telefons), sondern die dadurch angestoßenen und selbstorganisiert umgesetzten Handlungen der Beteiligten (z. B. gemeinsame Festlegung und Einhaltung von Telefonsprechzeiten). Erst dadurch kann das Ziel der Entlastung erreicht werden. Die externen und situativen Voraussetzungen (wie etwa die Ausländergesetze) wurden zwar in vielen Gesprächen mit den Mitarbeitenden häufig problematisiert, aber nur von einzelnen explizit als negative Wirkfaktoren in ihre subjektiven Theorien aufgenommen. Dies verwundert ebenfalls nicht, da sie eher als Hintergrundfaktoren wirken, die aus der Sicht der Mitarbeitenden nicht beeinflussbar sind. Um sie stärker zu berücksichtigen, wären hier gezielte Nachfragen erforderlich, aber auch möglich. Das Change Explorer-Instrumentarium ist sowohl für wissenschaftliche Untersuchungen als auch für praktische Evaluationen und Verbesserungen organisationaler Veränderungen verwendbar, wie aus den wiedergegebenen Ergebnissen wissenschaftlicher Untersuchungen und dem exemplarischem Anwendungsbeispiel erkennbar wird. Die Kombination multiperspektivischer qualitativer Interviews und standardisierter schriftlicher Befragungen der Schlüsselpersonen oder aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit gemeinsamen Auswertungsworkshops ist ein methodisch interessanter, bisher in der wissenschaftlichen Untersuchung
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organisationaler Veränderungen kaum genutzter Zugang. Er sollte künftig stärker genutzt werden und ließe sich auch mit anderen Instrumenten realisieren. Dies gilt besonders für die Erforschung organisationaler Veränderungen in verschiedenen Ländern oder in multikulturellen Organisationen. Durch multiperspektivische Change Explorer-Interviews können in interkulturellen Veränderungsteams konkrete Kommunikations- und Entscheidungsprobleme erfasst und Lösungen zur Verbesserung der Zusammenarbeit entwickelt werden (vgl. Greif & Seeberg, 2007).
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Promotoren und Opponenten im organisatorischen Umbruch Jürgen Hauschildt und Søren Salomo 1
Radikaler organisatorischer Wandel als administrative Innovation
Organisatorischer Wandel ist der ständige Begleiter der Unternehmensentwicklung. Aber es gilt zu differenzieren: Wenn diese kontinuierlich, vornehmlich als internes Wachstum erfolgt, ist ständige Anpassung der Organisation erforderlich. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von „inkrementalem“ Wandel. Wenn das Unternehmen sich demgegenüber abrupt, in Sprüngen, zumeist durch externes Wachstum entwickelt, ist in der Regel gleichzeitig die Organisation intern völlig neu zu gestalten. Eine derartige diskontinuierliche Entwicklung ereignet sich vornehmlich im Gefolge von Fusionen, Innovationen, Strategieänderungen, Änderungen der Unternehmensverfassung, Krisen und Katastrophen. Zudem werden die traditionellen Organisationsgrenzen durchbrochen: Der „öffentliche“ Zugang und die weltweite Nutzung von Informationen zwingen die Unternehmung zur Neugestaltung ihrer externen Beziehungen. Organisatorische Änderungen dieser Art bezeichnen wir als „radikalen“ organisatorischen Wandel oder als organisatorischen „Umbruch“. Wir behaupten nun, dass diese unterschiedlichen Spielarten des organisatorischen Wandels den Einsatz unterschiedlicher Instrumente der Organisationsgestaltung erfordern. Inkrementaler Wandel kann mit dem technokratischen Instrumentarium des Projektmanagements gesteuert werden. Radikaler Wandel erfordert zusätzlich das persönliche Engagement von Individuen, die in spezifischer Arbeitsteilung die Neuorganisation durchsetzen. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf diese Variante des organisatorischen Wandels. Radikaler organisatorischer Wandel lässt sich als administrative Innovation begreifen. Wir können damit die Ergebnisse der Forschung zu betrieblichen Innovationen für die weitere Diskussion heranziehen (Hauschildt & Salomo, 2007, S. 173 ff.; 209 ff.). Aber dieser Rückgriff muss mit aller Vorsicht erfolgen, denn es gilt als gesicherte Erkenntnis, dass administrative Prozessinnovationen ganz andere Probleme stellen als die üblicherweise betrachteten technischen Produktinnovationen (Damanpour & Gopalakrishnan, 2001, S. 48 ff.; 55 ff.).
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Die grundlegende empirische Untersuchung zur betrieblichen Innovation, das unter Leitung von Eberhard Witte durchgeführte Projekt „Columbus“ (Witte, Hauschildt & Grün, 1988), erfüllt in idealer Weise diese methodischen Anforderungen: Untersucht wurde die Erstbeschaffung von Computern in deutschen Unternehmen, Behörden und Verbänden während der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Wie wir heute wissen, handelt es sich dabei um die wichtigste Innovation von Administrationen seit Erfindung des Buchdrucks. Diese Innovation war radikal, sie stellte vordergründig zwar zunächst nur die traditionelle Informationsverarbeitung in Frage. Tatsächlich änderte aber der völlig neuartige Umgang mit Informationen die etablierten Strukturen und Prozeduren der Organisation total. Eines der wesentlichen Ergebnisse des Projektes Columbus war der Nachweis, dass der Prozess-Erfolg – hier: die erfolgreiche Einführung der EDV – in erheblichem Maße von dem Einsatz hoch motivierter und engagierter Persönlichkeiten bestimmt wird. Im Gegensatz zur US-amerikanischen Vorstellung, wonach ein einzelner „Champion“ (Schon, 1963; Hauschildt & Chakrabarti, 1988, S. 378 ff.) den Innovationserfolg bestimme, konnte nachgewiesen werden, dass es eine spezifische Arbeitsteilung mehrerer Persönlichkeiten ist, die zum Erfolg führt. Witte nannte diese arbeitsteilig wirkenden, aufeinander abgestimmten Persönlichkeiten „Promotoren“ (Witte, 1973, S. 15 ff.). Seine ersten Erkenntnisse wurden durch eine Fülle von Folgestudien verfeinert und im Prinzip immer wieder bestätigt (Hauschildt & Gemünden, 1999). Das „Promotoren-Modell“ gehört zu den gesicherten Erkenntnissen der Innovationsforschung. Wir wollen es im Folgenden für den Spezialfall der organisatorischen Innovation betrachten. 2
Der Ausgangspunkt: Widerstand gegen organisatorischen Umbruch
Organisatorischer Umbruch ist – aus der Sicht des Organisators – notwendig oder nützlich. Er ist notwendig, wenn sich betriebliche Probleme oder Schwachstellen auf nicht sachgerechte Spezialisierung und/oder Koordination zurückführen lassen. Die betriebswirtschaftliche Organisationslehre hat lange Listen (Türk, 2000; Henkel & Schwetz, 2000) von organisatorischen Mängeln oder Defiziten vorgelegt, die die Effektivität des arbeitsteiligen Handelns im Betrieb mindern. Zumeist werden derartige Insuffizienzen auf eine mangelhafte Anpassung an externe Zwänge zurückgeführt – so der Grundgedanke des „situativen Ansatzes“. Er ist nützlich, wenn er sich nicht auf die Beseitigung der Mängel beschränkt, sondern überdies versucht, die Effizienz des Handelns zu steigern – so der
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Grundgedanke des „ressourcenbasierten Ansatzes“. Aber diese betriebswirtschaftliche Sicht der Dinge ist möglicherweise zu eng: In die Nutzenerwägungen fließen vielfältige Aspekte ein, die nicht unbedingt zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit führen, sondern die auf handfeste Interessenpolitik und Machtkalküle zurückzuführen sind. Die Notwendigkeit des organisatorischen Umbruchs lässt sich in der Regel anhand offensichtlicher Fehlleistungen recht gut belegen. Demgegenüber muss die Nützlichkeitserwägung zumeist auf Kriterien zurückgreifen, die wesentlich weniger wahrnehmbar und akzeptabel sind. Es ist kein Wunder, dass die Praxis der Umorganisation daher zumeist mit Notwendigkeiten und weniger mit Nützlichkeits-Erwägungen argumentiert. Hier setzt der Widerstand gegen den organisatorischen Umbruch an: Er bestreitet Notwendigkeit und Nutzen der Umorganisation. 2.1 Ursachen des Widerstandes Witte ging in seinem Modell und bei seiner empirischen Prüfung von zwei Arten des Widerstandes aus, die er als Barriere des Nicht-Wissens und des NichtWollens bezeichnete (Witte, 1973). Spätere Verfeinerungen des Modells identifizierten eine dritte Barriere: die administrative Barriere (Hauschildt & Chakrabarti, 1988). Es wurde offen gelassen, ob es sich dabei um Widerstände von Individuen oder von Gruppen handelt. Es blieb in der Forschung bei dieser anonymen Kennzeichnung der Opposition, vermutlich, weil die empirische Ausleuchtung dieses Tatbestandes nicht unerhebliche Validitätsprobleme aufwirft. (1) Die Barriere des Nicht-Wissens erwächst aus der Tatsache, dass der neuartige Zustand der Organisation den Beteiligten und Betroffenen unbekannt ist. Er verlangt, dass man ihn intellektuell begreift, um die von ihm versprochenen Wirkungen ermessen, nachvollziehen und abschätzen zu können. Bei radikalen Umorganisationen kennen Betroffene ihre eigenen – neuartigen – Aufgaben nicht. Es werden möglicherweise im Vergleich zur bisherigen Tätigkeit völlig andersartige Spezialisierungen, Arbeitsrhythmen, Arbeitszeiten verlangt. Sie können nicht absehen, welche Risiken und Nebenwirkungen die Umorganisation nach sich zieht. Damit ist der intellektuelle Anspruch markiert: Radikale Umorganisationen fordern intensives Lernen, Verwendung neuer Begriffe oder Sprachen, Begreifen von bisher unbekannten Ursache-Wirkungs-Ketten, Aufbau neuer Denkbahnen, Ordnungssysteme, Unterscheidungen, Schlussfolgerungen sowie schließlich das Trainieren neuartiger Reaktionen. Jede Umorganisation verlangt eine geistige Auseinandersetzung, in der das Neue mit dem Alten verglichen wird, die im
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Übrigen zu dem leidigen Resultat führen kann, bisheriges Wissen, lang geübte Verhaltensweisen, leidvoll erworbene Erfahrungen aufgeben zu müssen. Widerstand gegen radikale Umorganisationen erwächst daraus, dass das betroffene Individuum tatsächlich oder vermeintlich nicht in der Lage ist, diese intellektuellen Anforderungen zu bewältigen. (2) Immerhin ist die Barriere des Nicht-Wissens eine Herausforderung an pädagogische Talente der Organisatoren und an die Lernbereitschaft der Betroffenen. Das ist anders bei der Barriere des Nicht-Wollens. Selbst wenn Fähigkeiten zur kognitiven Bewältigung des organisatorischen Umbruchs vorhanden sind, heißt das nicht, dass auch der Wille gegeben ist, das Neue zu akzeptieren, durchzusetzen und das Alte aufzugeben. Das Nicht-Wollen ist sehr flexibel. Es kann sich gegen Objekte, Personen, Regionen, Verhaltensweisen oder Eigenschaften etc. richten. Wer nicht will, findet auch immer einen Grund für seinen Widerstand. Sicherlich erwachsen viele Widerstände des Nicht-Wollens vor allem aus dem Unterbewusstsein der Betroffenen und Beteiligten und wären damit in erster Linie ein Problem von Psychologen. Dieser Eindruck ist aber zu eng: Der Widerstand des Nicht-Wollens kann durchaus bewusst und in hohem Maße reflektiert sein und stützt sich zum Beispiel auf weltanschauliche Gründe: Man lehnt die Umorganisation ab, weil sie persönliche Grundwerte verletzt oder in Frage stellt. sachliche Gründe: Man versagt der Umorganisation die Unterstützung, wenn sie die traditionell bewährten Wege der Problemlösung in Frage stellt oder weil die Lösung anderer Probleme für dringlicher gehalten wird. machtpolitische Gründe: Man wendet sich gegen die Umorganisation, weil sich damit die Chance bietet, seine eigene Machtposition zu demonstrieren und im Prozess des Wandels womöglich noch zu erhöhen. persönliche Gründe: Man wendet sich gegen die Umorganisation, weil sie von Personen vorangetrieben wird, gegen die höchst persönliche Vorbehalte bestehen. Oder man erwartet persönliche Nachteile, zum Beispiel Entlassung, Entwertung der persönlichen Wissensbasis oder auch nur Einschränkung der persönlichen Autonomie, die zur Ablehnung führen. Die Liste dieser Begründungen lässt sich leicht verlängern. Man mag ihre Systematik, Qualität und Legitimität kritisieren – ein professionell handelnder Organisator muss sie kennen und ernst nehmen. (3) Radikaler organisatorischer Wandel stellt das etablierte Regelwerk der Interaktion total in Frage. Was gestern noch eingespielte Gewohnheit war, wird durch neuartige Strukturen und Prozeduren, durch neuartige Informations- und Kom-
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munikationsbeziehungen und durch neuartige Spezialisierung und Koordination ersetzt. Es gilt, ein Regelwerk mit neuartigen Ge- und Verboten zu schaffen und durchzusetzen. Jenseits individueller oder gruppenspezifischer Widerstände ist existierenden Regelwerken ein spezifisches Beharrungsvermögen eigen, sei es bewusst konstruiert, sei es traditionell eingeschliffen. Die damit gegebene Trägheit des Regelwerks verhindert systematisch seine Veränderung. Kein Wunder, dass administrative Barrieren bei Umorganisationen im Zweifel die wichtigsten sind. Es ist sicherlich möglich, diese administrativen Ursachen des Widerstandes den Barrieren des Nicht-Wollens und Nicht-Wissens systematisch unterzuordnen. Sie haben aber wegen des Zusammenspiels von psychologischen mit systemspezifischen Aspekten eine eigene Qualität und verdienen deshalb an dieser Stelle besonders hervorgehoben zu werden. Konkret verbinden sich die Barriereneffekte. Sie zeigen sich vor allem in den folgenden drei Manifestationen der Widerstände: Wissensverluste: Umorganisation bedeutet bei Änderung der Spezialisierungen Verlust des Fachwissens und Entwertung des impliziten Wissens, auf das sich die fachliche Autorität des Betroffenen gründet. Bei Führungskräften droht Verlust des Herrschaftswissens, namentlich des Wissens um Strategien, finanzielle Ressourcen und personelle Potenziale. Diejenigen, die für die externen Beziehungen, vor allem für Kooperationen, verantwortlich sind, müssen befürchten, dass die eingespielten Interaktionsbeziehungen schlagartig beendet werden. Im Ergebnis bedeutet Wissensverlust Machtverlust. Interaktionsunsicherheit: Die Umorganisation bringt es mit sich, dass sich die persönliche Umwelt radikal ändert. Man weiß nicht, wer die neuen Interaktionspartner sind, man hat noch keine persönlichen Vertrauensbeziehungen, man kennt ihre Fähigkeiten und Schwächen nicht. Man sieht die zeitbeanspruchende Aufgabe vor sich, die Vielzahl der neuen Kontakte herzustellen, die Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Und man weiß nicht, ob man sich während dieses Prozesses auf die Partner verlassen kann. Konflikte: Umorganisation bedeutet in der Regel Auflösung von eingespielten Gruppenbeziehungen, vor allem dann, wenn die Mitglieder dieser Gruppen räumlich getrennt werden. In diesen eingespielten Gruppenbeziehungen sind die Konflikte zwischen den Gruppenmitgliedern bekannt, in unterschiedlichen Situationen ausgebrochen und ausgetragen worden und schließlich auch in einer Form reguliert worden, die den Gruppenmitgliedern eine weitere Zusammenarbeit ermöglichte. Man denke an Verteilungskonflikte, an Wahrnehmungskonflikte, an Motivkonflikte, an Ressortkonflikte und an Machtkonflikte. Wer vor einer Umorganisation steht, sieht die lange Arbeit
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der Neuregulierung dieser Konflikte vor sich, ganz abgesehen davon, dass er nicht übersehen kann, ob er die neuartigen Konfliktkonstellationen schon voll durchschaut hat und zu seinem Vorteil ändern kann. 2.2 Wirkungen des Widerstandes Die Wirkungen des Widerstandes liegen bei ausschließlich negativer Würdigung in drei aufeinander aufbauenden Effekten: Verhindern, Verzögern und Verformen. (1) Verhindern: Der prinzipielle Widerstand ist bestrebt, den organisatorischen Umbruch zu verhindern. Die Opposition muss technologische, ökonomische und ökologische Argumente mobilisieren und verknüpfen. Sie wird bemüht sein, mit organisatorischen und anderen administrativen Maßnahmen die organisatorische Innovation auszusteuern. Sie wird Partner für ihre Absichten innerhalb und außerhalb der Unternehmung suchen, die ihre Sicht der Dinge bestätigen und bekräftigen. Sie wird nicht davor zurückschrecken, die Glaubwürdigkeit des Organisationsinnovators immer wieder in Zweifel zu ziehen. (2) Verzögern: Kann sich der Widerstand mit dieser radikalen Strategie des Verhinderns nicht durchsetzen, so muss es sein Ziel sein, die Umorganisation möglichst lange zu verzögern. Jede Verzögerung bietet erneut die Chance, das Ganze und zugleich die Erfolgsbehauptungen der Organisatoren in Frage zu stellen. Die Verzögerung ist eine weniger offene Strategie des Widerstands als die der Verhinderung. Der Opponent muss sich nicht als Gegner der Umorganisation zu erkennen geben. Er kann sich sogar als ihr „falscher Freund“ tarnen, wenn er bei aller grundsätzlichen Zustimmung etwa weitere gründliche Voruntersuchungen, Tests, Gutachten etc. erbittet. Der Verzögerer wird die Problemdefinition zu beeinflussen suchen und die eigentliche Umorganisation mit einer Fülle von Folge- und Parallel-Problemen befrachten. Ist er selbst in den Umgestaltungsprozess eingeschaltet, kann er durch Verzögerung seiner Beiträge den Gesamtprozess verlangsamen. (3) Verformen: Ist die Strategie der Verhinderung oder Verzögerung nicht weiter anwendbar, bleibt die Strategie der Verformung. Die Opposition wird eine Alternative zur organisatorischen Neukonzeption ins Gespräch bringen. Sie wird bei der hier vornehmlich behandelten Beharrungstendenz ein Vorgehen in kleinen Schritten fordern. Sie wird das Ausmaß des Innovationsgehaltes zu reduzieren trachten. Sie wird versuchen, auf den Implementationsprozess Einfluss zu nehmen, um bei aller Akzeptanz der Entscheidung wenigstens die Durchsetzung zur Modifikation zu nutzen.
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Das Promotorenmodell
3.1 Die Überwindung des Widerstandes als Aufgabe der Promotoren Den weiteren Ausführungen seien zwei kritische Vorbemerkungen vorangestellt, die als Warnung vor möglichen Einseitigkeiten gedacht sind: Das Promotorenkonzept geht von der Grundannahme aus, dass der organisatorische Wandel notwendig, nützlich und gegen die Opposition durchzusetzen sei. Es ist insofern ein einseitiges Aktionskonzept, wie die meisten betriebswirtschaftlichen Handlungsprogramme auch. Es gilt das Axiom des organisatorischen Wandels, dass die neuartige Lösung vorteilhafter ist als der gegebene Zustand. Aus dieser Grundeinstellung erklärt sich der Enthusiasmus für das Promotorenmodell. Es soll immerhin angemerkt werden, dass man damit auf einem schwankenden Grund steht. Der Einsatz von Promotoren ersetzt andere Aktionskonzepte nicht, sondern ergänzt sie. Insbesondere die robusten Techniken des Projektmanagements, wie Problemdekomposition, Termin-, Zeit- und Ablaufplanung, Controlling des Projektfortschritts etc. werden nicht etwa entbehrlich. Sie werden allerdings von den Promotoren radikalen organisatorischen Wandels flexibler gehandhabt werden müssen als von Projektmanagern inkrementalen Wandels. 3.2 Das theoretische Konzept Das theoretische Konzept geht von einer Korrespondenz zwischen Barrieren und Promotoren aus: Wer die Barriere des Nicht-Wissens, des Nicht-Wollens und die administrativen Barrieren überwinden will, benötigt jeweils arteigene Instrumente, die von unterschiedlichen Promotoren eingesetzt werden: Witte verwendet erstmalig den Begriff „Promotor“ für Personen, „die einen Innovationsprozess aktiv und intensiv fördern“ (Witte, 1973, S. 15 f.). Er unterschied ursprünglich zwei Promotoren: den Fach- und den Machtpromotor. Witte sah die Aufgabe eines Fachpromotors darin, die Barriere des Nicht-Wissens zu überwinden. Entsprechend liegt der Beitrag eines Machtpromotors darin, die Barriere des NichtWollens zu beseitigen. Für ihr Zusammenwirken wählt er den Begriff „Gespann“. Er will damit darauf hinweisen, dass es nicht nur auf die Existenz der Promotoren ankommt, sondern vor allem auf ihre Interaktion und auf die Synergie der gemeinsamen Anstrengung. Aber: „Aller guten Dinge sind drei“. Nach einer Metaanalyse der Literatur stellten Hauschildt und Chakrabarti (1988) die Hypothese auf, dass neben dem Fachpromotor und dem Machtpromotor ein dritter Promotor benötigt werde, um Innovationsprozesse erfolgreich abschließen zu können. Dieser „Prozesspromotor“ hat die Aufgabe, die organisatorischen und administrativen Widerstände
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gegen die neue Idee zu überwinden. Das Gespann der Promotoren erhält dann ein weiteres Zugpferd. Konsequenterweise verwenden wir für diese Konstellation den Begriff der „Troika“. Auch dieser Ansatz bewährte sich im empirischen Test. Das Promotorenkonzept enthält drei Bausteine: (1) Korrespondenztheorem: Für die Überwindung des Widerstandes wird jeweils eine spezifische „Energie“ benötigt: Die Barriere des Nicht-Wollens wird hierarchisch, durch Anordnung und Gehorsam, oder marktlich, durch materielle oder immaterielle Anreize, die Barriere des Nicht-Wissens durch Lehren und Lernen und durch Wissensgenerierung und die administrative Barriere wird durch Kommunikation und Interaktion überwunden. (2) Theorem der Arbeitsteilung: Diese Energien werden von unterschiedlichen Personen eingebracht: Der Machtpromotor setzt Herrschafts- und Führungsinstrumente zur Überwindung des Widerstandes ein und stellt materielle oder immaterielle Anreize zur Verfügung. Der Fachpromotor schafft oder beschafft die benötigten Informationen. Der Prozesspromotor stellt die notwendigen Verbindungen her und fördert die Interaktion der Beteiligten. (3) Interaktionstheorem: Der Durchsetzungsprozess ist dann erfolgreich, wenn die Promotoren ein Team bilden, gut koordiniert sind, also im wahren Sinne des Wortes zusammenarbeiten. 3.3 Die Promotoren-Funktionen im Einzelnen Der Fachpromotor ist der Träger des objektspezifischen Fachwissens über die technischen Details der organisatorischen Veränderung. Er weiß um die inneren Gesetzmäßigkeiten, die Leistungspotentiale und die Begrenztheiten der neuartigen organisatorischen Lösung. Er kennt sich in allen Details aus. Er ist in der Lage, Alternativen zu generieren. Er hat „funktionale Autorität“. Der Machtpromotor verfügt über die Ressourcen, um den Entscheidungsund Durchsetzungsprozess zu ermöglichen. Er entscheidet über Budgets, über Kapazitätszuweisungen, über Personalfreistellung. Der Machtpromotor hat Übersicht, er kennt die Strategie der Gesamtunternehmung. Er hat eine langfristige Perspektive. Er ist ein „Macher“, kann seine Zusagen einlösen. Sein Wort gilt. Er hat Macht, um ranghohe Opposition zu blockieren oder konkurrierende Projekte zurückzustellen. In der Regel verfügt er als Mitglied oder Vorsitzender der Geschäftsführung über hohes hierarchisches Potential und legitime Macht.
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Der Prozesspromotor verknüpft. Er hat Institutionen- und Prozedurkenntnisse. Er weiß, wer von der Umorganisation betroffen sein könnte. Er verhindert Insellösungen. Er stellt die Verbindung zwischen dem Fachpromotor und dem Machtpromotor her. Er wirbt für das Neue. Er kann aus der Idee einen Aktionsplan entwickeln. Er hat diplomatisches Geschick und weiß, wie man unterschiedliche Menschen individuell anspricht und gewinnt. Seine Rolle kann er vornehmlich dann entfalten, wenn er schon relativ lange in der Unternehmung tätig ist und aufgrund früherer Tätigkeit in der Lage war, ein soziales Netzwerk aufzubauen. Der Prozesspromotor spielt die weitaus interessanteste Rolle in diesem Drei-Personen-Konzept. Er hat relativ wenig formale Machtinstrumente, er verfügt umgekehrt auch nicht über die funktionale Autorität des Fachpromotors. Was kennzeichnet seinen Einfluss? Howell und Higgins (1990) nennen mit Bezug auf den Champion drei Bündel von charakteristischen Eigenschaften: Persönliche Charakteristika: Die Bereitschaft, Risiko zu übernehmen und eine bedingungslose Hingabe an die Innovation. Führungsqualitäten: Charisma, Fähigkeiten zur Inspiration und zur intellektuellen Stimulierung. Einflusstaktik: Fähigkeit zur Mobilisierung von kooperativen Beeinflussungsinstrumenten, die Fähigkeit, Koalitionen zu bilden, an höhere Autorität zu appellieren, Verhandlungsgeschick, Fähigkeit zur Geheimdiplomatie, Präsentationstechnik für rationale Argumente, Nutzung von Freundlichkeit und Schmeichelei bis zur Anwendung von Arroganz und Anmaßung. Die soeben gegebene Beschreibung von Promotorenrollen könnte suggerieren, dass die Problemlösungsbeiträge der einzelnen Promotoren isoliert voneinander erbracht werden. Das ist eine falsche Vorstellung: Jeder der Beteiligten hat jederzeit Zutritt zu den anderen. Keiner arbeitet zu lange allein. Sie kommunizieren häufig miteinander. Sie sprechen und entwickeln eine gemeinsame Sprache. Sie sind bereit, sich in die Domänen der anderen einzuarbeiten. Jeder sagt, was er wirklich denkt. Keiner nimmt das übel. Jeder begründet offen und vorbehaltlos sein Pro und Kontra. Jeder akzeptiert die Essentialia der anderen. Jeder überlegt sich aber auch, wo seine Essentialia wirklich liegen. Der Dialog ist konstruktiv, er verharrt nicht bei Ja oder Nein, sondern sucht nach neuen Lösungen, die die Essentialia nicht verletzen. Und last but not least: Jeder ist fleißig, arbeitet mehr als üblich, setzt sich mit Enthusiasmus ein und engagiert sich.
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3.4 Promotoren – Personen oder Rollen? Die bisherige Darstellung hatte den ursprünglichen Gedanken verfolgt, wonach zwischen Person und Rolle eine ein-eindeutige Beziehung besteht: Jeder Promotor nimmt als Individuum während des gesamten Umorganisationsprozesses eine und nur eine Promotorenrolle wahr („Rollenexklusivität“). Dieser Idealzustand ist aber vermutlich nur in etwa der Hälfte der Fälle gegeben. Es kommt vielmehr zu folgenden Varianten: „Rollenkombination“: Ein Individuum nimmt mehr als eine Rolle wahr, zum Beispiel fungiert es sowohl als Fach- als auch als Prozesspromotor. „Rollenpluralität“: Mehrere Personen nehmen Funktionen einer Rolle wahr, zum Beispiel gibt es mehrere Fachpromotoren. Hinzu kommt, dass die Rollenzuordnung während des Innovationsprozesses nicht unbedingt stabil ist. Vielfach lässt sich beobachten, dass es zu einer Rollenaufgabe kommt: In diesen Fällen erweisen sich die ursprünglichen Rolleninhaber den Anforderungen – aus unterschiedlichen Gründen – nicht gewachsen. Neue Promotoren werden benötigt. Sie werden naturgemäß im Kreise der beteiligten Mitarbeiter zu finden sein. Es ist dabei nicht einmal ausgeschlossen, dass aus engagierter Opposition ein neuer Promotor erwächst – aus Saulus wird Paulus. Die empirischen Impressionen aus extensiven Fallstudien (Folkerts & Hauschildt, 2002, S. 8 f.) zeigen aber eines mit Sicherheit: In allen Phasen des Umgestaltungsprozesses werden die drei Promotoren-„Rollen“ verlangt. Sie werden auch in erheblichem Umfang während des Prozesses von den gleichen Personen wahrgenommen. 4
Zum Umgang der Promotoren mit den Opponenten
Die Darstellung kann nicht bei der bloßen Feststellung verharren, dass Opposition gegen radikalen organisatorischen Wandel schon durch das schiere Vorhandensein von Promotoren überwunden wird. Zu fragen ist vielmehr, wie der wechselseitige Prozess des Vorantreibens und Retardierens abläuft, welche Einflusstaktiken den Akteuren dabei gegeben und welche Argumentationsketten erfolgreich sind. Wir gehen im Folgenden von einem Modell aus, das auf den Ansatz von Janis und Mann basiert (Janis & Mann, 1977, S. 70; 86). Dieses Modell ist bisher für den Fall radikalen organisatorischen Wandels nicht empirisch getestet. Es nimmt aber viele Impulse auf, die die Verfasser in Diskussionen mit Wirt-
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schaftspraktikern und nicht zuletzt im Umgang mit den unzähligen Strukturreformen in den Universitäten gewonnen haben. Status des Initiators Ausgangspunkt sei ein Außenimpuls in Form einer Vorlage oder eines konkreten Vorschlages zur Umorganisation. Das von Janis und Mann beobachtete Verhalten eines risikoscheuen Entscheidungsträgers besteht im Zweifel zunächst im Nichtstun. Im Risikokalkül dieser entscheidungsscheuen Person wird wahrscheinlich die Machtposition des Vorschlagenden nicht unbeachtlich sein. Hier setzt die Gegenstrategie der Promotoren an: Sie müssen an dieser Stelle einen unanfechtbaren Repräsentanten hierarchischer Macht finden, der quasi als „Geburtshelfer“ die Initiative als unabweisbar „wichtig“ präsentiert. Hier wird der kritische Leistungsbeitrag des Machtpromotors manifest. Erkennbare Bedeutung der Initiative Opposition ist vielfach kein bewusstes Handeln. Wenn die innovative organisatorische Idee unter anderen Informationen verborgen ist, kann sie verdrängt, übersehen, nicht oder falsch interpretiert werden. Die Gegenstrategie liegt darin, die innovative Idee unübersehbar darzustellen, sie mehrfach zu äußern, sie mit einem originellen Namen zu versehen, so dass sie nicht verdrängt werden kann. Dieses interne Marketing verlangt vor allem einen Prozesspromotor. Unstrittige Informationsbasis Wenn bei der Präsentation des Vorschlages bestimmte Zahlen- oder Faktenangaben gemacht werden, so wird sich die Opposition gegen diese Daten richten und ihre Authentizität, Aktualität, Präzision sowie die Prämissen der Idee bestreiten. Verstärkt wird diese Position dadurch, dass Kritik am Informationslieferanten geäußert und seine Kompetenz bestritten wird. Die verdeckte Opposition wird möglicherweise die gelieferten Angaben begrüßen, aber Bestätigungen und Ergänzungen fordern. Die Gegenstrategie kann nur darin liegen, Informationsquellen zu nutzen, die vom Opponenten nicht bestritten werden können. Das sind im Zweifel Daten, die der Opponent selbst geliefert hat. Gegen die versteckte Opposition ist es zweckmäßig, bestätigende Informationen im Hintergrund bereitzuhalten und auf Anforderung zu liefern. Hier liegt der Wirkungsbereich des Fachpromotors. Berücksichtigung des Umfeldes Wenn die innovative Idee radikale Verhaltensänderungen anderer Personen verlangt, wird die Opposition auf Störungen, Konflikte, Umstellkosten und Unsicherheiten dieser Verhaltensänderung verweisen. Die verdeckte Opposition wird vielleicht die Idee noch begrüßen, aber darauf hinweisen, dass im Augenblick andere Belastungen zu tragen sind und Vorrang haben.
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An dieser Stelle scheint als Gegenstrategie die Verwendung von Zeitdruck sinnvoll. Die Promotoren werden auf einer Entscheidung „jetzt und hier“ bestehen. Ein Verweis auf eine Krise, auf die Konkurrenz, auf das Image hat die Aufgabe, den Opponenten ins Unrecht zu setzen und ihm die Verantwortung zuzuspielen, wenn in einer existenziellen Grenzsituation nicht solidarisch gehandelt wird. Berücksichtigung der Kooperation Organisatorische Änderungen verlangen die Zusammenarbeit mehrerer Instanzenzüge. Der Opponent wird in diesem Falle Verstärkung bei anderen betroffenen Kollegen suchen und in einer wohl vorbereiteten Aktion sich mit diesen die Bälle der Opposition zuspielen. Die ressortübergreifende Innovation bietet dem verdeckten Opponenten eine besonders gute Chance der Verzögerung. Er wird möglicherweise die innovative Idee sogar begrüßen, aber eine Kommission fordern, die die Folgen der Innovation gründlich diskutieren soll. Indem die Opposition auf die Kommissionszusammensetzung und Geschäftsordnung einwirkt, kann sie den Widerstand bündeln. Die Gegenstrategie der Promotoren muss an dieser Stelle eine Entscheidung der Spitzeninstanz verlangen. Promotoren werden ebenfalls Verstärkung bei betroffenen Kollegen suchen und Koalitionen bilden. Wenn eine Kommission unvermeidbar ist, so ist sie klein zu halten, mit einem engen und klaren Kommissionsauftrag zu versehen. Auch die Promotoren müssen die Kommissionszusammensetzung und die Kommissionsgeschäftsordnung sorgfältig kontrollieren. Abwehr von Verzögerungsversuchen Angenommen, der Umgestaltungsvorschlag werde von den maßgeblichen Instanzen gegen den erklärten Willen der Opponenten gefordert: Die Opposition hat jetzt nur noch eine Chance, die Realisierung möglichst weit hinauszuschieben oder die Realisierung von Bedingungen abhängig zu machen, die sie selbst beeinflussen kann. Der Opponent, der äußerlich positiv auftreten will, wird Revisionsvorbehalte einbauen, ein kleines Experiment fordern und mit dem Argument, man müsse Erfahrungen sammeln, eine große Lösung zu verhindern suchen. Die Promotoren müssen an dieser Stelle ein präzises Procedere in personeller, sachlicher, zeitlicher und finanzieller Hinsicht fordern. Sie tun gut daran, Experimente bereits vorgezogen zu haben, so dass sie Ergebnisse vorlegen können. Sie benötigen spätestens an dieser Stelle eine klare Kompetenz, um den Einfluss der Opposition auszuschließen. Machteinsatz Eine letzte Chance des Widerstands hat die Opposition, wenn sie selbst Beiträge erbringen muss, die nicht von anderen erbracht werden können. Bei offener Op-
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position wird man Mitarbeit verweigern, verzögern, man wird keine Ressourcen freigeben. Man wird behaupten, dass es wichtigere Aufgaben gäbe. Im Zweifel ist man nicht ansprechbar. Die verdeckte Opposition wird Gegenentwürfe entwickeln und versuchen, den Prozess erneut durchspielen zu lassen. Die Promotoren müssen in dieser Grenzsituation die Instrumente des letzten Augenblicks kennen, um die Entscheidung und Durchsetzung in ihrem Sinne erzwingen zu können. Dabei sind side-payments und andere Kompensationen nicht ausgeschlossen, die möglicherweise den Widerstand abschmelzen. In letzter Konsequenz ist aber hier das klare Machtwort der Spitzeninstanz gefordert. Caveat Unsere Darstellung der Auseinandersetzung zwischen Opponenten und Promotoren könnte den Eindruck hinterlassen, als werde Opposition gegen die Umorganisation ausschließlich negativ beurteilt. Das ist ausdrücklich nicht der Fall. Opposition ist nicht nur ein legitimes, sondern ein höchst wirkungsvolles Element demokratischer Willensbildung. Sie hat in der betrieblichen Praxis eine noch bedeutsamere Funktion: Sie soll Utopien, Hirngespinste und Beratermoden als solche entlarven. Sie hat eine mögliche Hektik zu dämpfen. Sie hat ausufernde Projekte auf eine machbare und tragbare Größenordnung zurückzuschneiden. Sie soll verhindern, dass an wenig Erfolg versprechenden Lieblingsprojekten zu lange festgehalten wird. Wenn sich nicht fast naturgesetzlich ein Widerstand gegen Umorganisation erheben würde, müsste man eine Opposition förmlich einrichten, etwa in der Version eines „advocatus diaboli“. Es kommt dabei auf eine offene Opposition an, die sich nicht in Winkelzügen ergeht, sondern die das Organisationsteam zu besseren Leistungen anspornt. Immerhin soll der „advocatus diaboli“ die Fürsprecher einer Kanonisierung zur höchsten Qualität ihrer Argumentation bringen.
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Change Reflexivity – ein Ansatz zur Analyse subjektiver Theorien über die Gestaltung von Veränderungsvorhaben Dieter Beck, Rudolf Fisch und Andrea Müller 1
Subjektive Theorien von Entscheidungsträgern über die Gestaltung von Veränderungsprozessen
Entscheidungsträger, die in einer Organisation Veränderungen einleiten, haben in der Regel bestimmte Vorstellungen von der Lage der Organisation. Sie haben konkrete Zielvorstellungen, wohin sich Strukturen oder Prozesse in der Organisation hin entwickeln sollten, wo etwas zu ändern ist und wie dies geschehen soll. Ferner wissen sie um Methoden der Veränderung, ihre Möglichkeiten und Grenzen. Vielleicht spielen sie auch in Gedanken Szenarien durch nach dem Motto, was geschähe, wenn...? Sie haben eine Vorstellung von den möglichen Reaktionen der Beschäftigten und deren Interessenlagen und so fort. Alle diese Kognitionen können den Status von sogenannten subjektiven Theorien haben. Wie sehen nun solche subjektiven Theorien über die Planung und Gestaltung von Veränderungsprozessen aus? Auf welche Faktoren gilt es zu achten? Welche Annahmen über Umsetzungsmaßnahmen sind beim konkreten Tun erfolgreicher als andere? Die Frage liegt nahe: Wie gut sind diese subjektiven Theorien? Welches ist ihre Qualität im Vergleich zum Wissensstand in den Organisationswissenschaften? Werden darin alle wichtigen Gesichtspunkte und ihre Wechselwirkungen berücksichtigt und inwieweit sind die Annahmen über Wirkungszusammenhänge empirisch begründbar? Zum Abgleich individueller subjektiven Theorien mit einer wissenschaftlich hergeleiteten Theorie wurde ein theoretischer Bezugsrahmen entwickelt, mit dessen Hilfe Veränderungsvorhaben in einer Organisation systematisch beschrieben und analysiert werden können. In Anlehnung an Galbraith’ SternModell des Organisationsgestaltung (Galbraith, 2002) wurden dazu sechs miteinander in Wechselbeziehungen stehende Faktoren unterschieden, auf die sich Veränderungsprozesse in der Regel beziehen und auswirken können: Aufgaben und Ziele der Organisation, Organisationsumwelt, interne Rahmenbedingungen, Organisationsstruktur, Arbeitsprozesse und Personal. Die empirische Grundlage dieses Kapitels bilden zwölf Experteninterviews, die mit hochrangigen Entscheidungsträgern durchgeführt wurden. Die Befragung befasste sich mit deren Vorstellungen und Wirkungsannahmen über die erfolg-
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reiche Gestaltung von Veränderungsvorhaben. Die Befragten nahmen Positionen im Wissenschaftsmanagement, in Bereichen der öffentlichen Verwaltung an der Schnittstelle von Verwaltung und Politik und in der Wirtschaft ein. Die so gewonnenen subjektiven Theorien wurden dahingehend geprüft, inwieweit sie die Faktoren des theoretischen Bezugrahmens und deren Verknüpfungen untereinander berücksichtigen. Was ist damit gewonnen? Man kann zunächst feststellen, wie umfassend die jeweilige subjektive Theorie elaboriert ist: Es wird deutlich, wo die vom jeweiligen Entscheidungsträger bevorzugt zu berücksichtigenden Faktoren liegen und wo gegebenenfalls „blinde Flecken“ in der Lagebeurteilung oder in den antizipierten Folgen von Änderungsmaßnahmen bestehen. In einem weiteren Schritt wird dazu angeregt, systematisch über die so dokumentierten und anschaulich gemachten eigenen Annahmen und Herangehensweisen bei der Gestaltung eines Veränderungsvorhabens zu reflektieren. Dies kann allein oder im Gespräch mit sachkundigen Anderen geschehen. So kann das eigene Lagebild in Bezug auf die oben genannten Faktoren überprüft werden oder auch eine Beratung über das strategische Vorgehen erfolgen. Change Reflexivity steht für dieses Initiieren eines systematischen Reflektionsprozesses. Der Begriff wird in Analogie zum Konzept der Team Reflexivity (vgl. West, 1996) vorgeschlagen, dem systematischen Innehaltens und Überdenken von Herangehensweisen in effektiven Arbeitsgruppen. Change Reflexivity eignet sich sowohl als Instrument des Coaching von Entscheidungsträgern als auch für die Reflektion in Steuerungsgruppen von Veränderungsvorhaben. Im Weiteren erfolgt nun eine Verortung der Erforschung subjektiver Theorien im Kontext der Sozial- und Organisationspsychologie (vgl. Weick, 1979; Downey & Brief, 1986; Groeben, Wahl, Schlee & Scheele, 1988; Greif, Runde & Seeberg, 2004). Auf der Grundlage feldtheoretischer Annahmen (Lewin, 1951; Bales, 1985, 1999) und in Anlehnung an das Stern-Modell der Organisationsgestaltung (Galbraith, 2002; Galbraith, Downey & Kates, 2002) wird ein von uns entwickelter theoretische Bezugsrahmen für die Beschreibung von Veränderungsvorhaben vorgestellt und näher beschrieben. Anhand zweier illustrativer Fallstudien von Entscheidungsträgern aus einer wissenschaftlichen Einrichtung und einem Ministerium wird zunächst aufgezeigt, wie mit der Methode des cognitive mapping (Axelrod, 1976; Eden, 1988; Eden & Ackermann, 1998) subjektive Theorien in der Form „kognitiver Landkarten“ veranschaulicht werden können. Die Inhalte dieser subjektiven Theorien werden beschrieben. Abschließend steht dann im Sinne der Change Reflexivity der Abgleich der subjektiven Theorien mit dem Bezugsrahmen im Mittelpunkt.
Change Reflexivity 2
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Forschungsgegenstand subjektive Theorien
Die Beschäftigung mit subjektiven Theorien in Bezug auf Organisationen findet sich schon bei Herbert Simon (1952). Er spricht von „Laientheorie“ und nimmt an, dass Organisationsmitglieder die komplexe soziale Struktur einer Organisation durch ihnen eigene Karten und Theorien vereinfachen. In den 1980er Jahren erfolgt eine intensivere empirische Erforschung sogenannter „subjektiver Theorien“ in der Pädagogischen Psychologie. Im „Forschungsprogramm subjektive Theorien“ (Groeben, Wahl, Schlee & Scheele, 1988) wurden insbesondere alltagspsychologische Vorstellungen von Lehrern über das Schülerverhalten untersucht (Dann, Humpert, Krause, Olbrich & Tennstaedt, 1982). Groeben und Scheele (1982, S. 16) definieren eine subjektive Theorie als „ein Aggregat (aktualisierbarer) Kognitionen der Selbst- und Weltsicht mit zumindest impliziter Argumentationsstruktur, die eine (zumindest partielle) Explikation beziehungsweise Rekonstruktion … in Parallelität zur Struktur wissenschaftlicher Theorien erlaubt.“ Subjektiven Theorien werden folgende Funktionen für das Verhalten im Alltag zugeschrieben: Situationsdefinition, Erklärung, Vorhersage, Handlungsempfehlung sowie Handlungssteuerung (vgl. Dann, 1983). Ihnen kommt somit sowohl eine handlungsleitende als auch eine im Nachhinein handlungsrechtfertigende Funktion zu. Da sie als nicht mehr hinterfragte Grundannahmen dienen, wird im Unterschied zur wissenschaftlichen Theorie deren Gültigkeit in der Regel nicht in Frage gestellt. Sie unterliegen keiner systematischen empirischen Prüfung, so dass sie sich als recht änderungsresistent erweisen. So können subjektive Theorien – objektiv gesehen – durchaus fehlerbehaftet sein. Ihr Anwender erkennt dies jedoch nicht unbedingt, wenn er Verzerrungen in der sozialen Wahrnehmung unterliegt, die die Annahmen seiner subjektiven Theorie bestätigen. Mit Ausnahme der programmatischen Arbeiten von Frei (1985) finden sich im „Forschungsprogramm subjektive Theorien“ keine direkten Anknüpfungspunkte zu organisationspsychologischen Fragestellungen. Doch es gibt Arbeiten, die ein vergleichbares Anliegen verfolgen. In den 1980er Jahren entwickelte sich in der amerikanischen Organisationspsychologie eine Forschungsrichtung, die ebenfalls Kognitionen der Organisationsmitglieder in den Mittelpunkt stellten. Weick (1979) schreibt Vorstellungen über Organisationen eine orientierende Funktion zu. Nystrom und Starbuck (1984) befassen sich mit den Auswirkungen von Glaubensgrundsätzen (beliefs), Kultur und Symbolen auf Struktur, Leistungsfähigkeit sowie Arbeitsprozesse von Organisationen. Downey und Brief (1983; Brief & Downey, 1986) formulieren Ansätze zur Analyse impliziter Organisationstheorien, die jedoch in der Folge nicht in empirischen Untersuchungen ausgeführt wurden.
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Dieter Beck, Rudolf Fisch und Andrea Müller
Seit den 1980er Jahren befassen sich vereinzelte empirische Arbeiten mit der Bedeutung alltagspsychologischer Vorstellungen über das Verhalten in Organisationen. Weber (1991) gibt eine Zwischenbilanz über subjektive Organisationstheorien. Er geht davon aus, dass Entscheidungen und Handlungen von Organisationsmitgliedern direkt durch subjektive Organisationstheorien beeinflusst werden. Es folgten jedoch keine empirischen Arbeiten nach. Baitsch (1993) formuliert das Konzept „lokale Theorie“ für die Anwendung geteilter subjektiver Theorien in einer Organisation oder in Organisationsbereichen. Schilling (2001) befasst sich unter dem Titel „Wovon sprechen Führungskräfte, wenn sie über Führung sprechen?“ mit einer empirischen Analyse subjektiver Führungstheorien. Aus der Perspektive von Organisationsberatern findet sich in dem Sammelband von Wagner (2001) ein Credo für den praktischen Nutzen von Theorien bei der Gestaltung von Veränderungsprozessen. In der Literatur zum Thema Change Management finden kognitiv orientierte Zugänge bislang wenig Aufmerksamkeit (vgl. beispielsweise Van de Ven, Polley, Garud & Venkataraman, 1999; Doppler & Lauterburg, 2002; King & Anderson, 2002). Eine Ausnahme bilden die Untersuchungen von Greif, Runde und Seeberg (2004) über Erfolge und Misserfolge von Veränderungsprozessen in Organisationen (vgl. auch das Kapitel von Greif in diesem Band). 3
Ein theoretischer Bezugsrahmen zur Beschreibung und Analyse von Veränderungsprozessen in Organisationen
3.1 Sozial- und organisationspsychologische Grundlagen Theorie ist notwendig bei der Gestaltung von Veränderungsprozessen. Sie vermittelt Orientierung und liefert Handreichungen zu deren Beschreibung und Analyse. Der von uns entwickelte theoretische Bezugsrahmen geht zurück auf Grundannahmen der Feldtheorie sozialer Interaktionsprozesse von Lewin (1951) und Bales (1985, 1999) und dem in der Organisationsforschung entwickelten Stern-Modell der Organisationsgestaltung von Galbraith (2002). Die Feldtheorie sieht eine Organisation in einen weiteren Kontext eingebunden. Die Organisation muss sich in einem Feld von förderlichen und hinderlichen Kräften behaupten. Entsprechend wird der Organisationsumwelt ein hoher Stellenwert für die Erklärung organisationalen Verhaltens beigemessen. Mit dem Stern-Modell der Organisationsgestaltung (Galbraith, 2002) liegt bereits ein Bezugsrahmen vor, in dem wichtige Faktoren zusammengefasst sind, die es bei Neugestaltung oder Umstrukturierung von Organisationen zu berücksichtigen gilt (vgl. Abbildung 1).
Change Reflexivity
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Strategie (Strategy)
Personal (People)
Belohnungssystem (Rewards)
Organisationsstruktur (Structure)
Prozesse (Processes)
Abbildung 1: Stern-Modell der Organisationsgestaltung (Galbraith, 2002, p. 10)
Fünf Faktoren werden unterschieden: „Strategie“, „Organisationsstruktur“, „Prozesse“, „Belohnungssystem“ und „Personal“. Bei der Organisations(um)gestaltung sind stets die Wechselbeziehungen zwischen den Faktoren zu berücksichtigen. Eine Veränderung an einem Faktor ist immer auf seine Auswirkungen auf die anderen zu überprüfen. Dabei nimmt der Faktor „Strategie“ als Ausgangspunkt der Veränderungsüberlegungen eine hervorgehobene Rolle ein. Die Organisationsstruktur und die Prozesse sollten so verändert werden, dass sie zu einer optimalen Zielerreichung beitragen. Die einzelnen Gestaltungsschritte sollten hinsichtlich der verschiedenen Faktoren ausbalanciert sein. Beispielsweise muss bei einer Veränderung in den Arbeitsprozessen gegebenenfalls auch das Belohnungssystem darauf abgestimmt werden. Wird etwa Projekt- und Teamarbeit als moderne Arbeitsform propagiert, die Entlohnung jedoch nicht am Teamerfolg sondern an der Leistung der jeweiligen Einzelperson festgemacht, so wäre dies ein Beispiel für eine fehlende Balance. Ähnliches gilt, wenn neue Arbeitsformen und -prozesse eingeführt werden, aber die dafür notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen auf der Personalseite nicht realisiert werden.
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3.2 Theoretischer Bezugsrahmen zur Beschreibung und Analyse von Veränderungsprozessen Der hier vorgeschlagene Bezugsrahmen greift auf Galbraith’ Stern-Modell zurück. Zwei Faktoren werden hinzugefügt: Vor dem Hintergrund des feldtheoretischen Ansatzes wird die „Organisationsumwelt“ als ein eigener Faktor konzipiert. Die Betonung des Faktors „Belohnungsstruktur“ im Stern-Modell wird zurückgenommen und dem neu eingeführten allgemeinen Faktor „interne Rahmenbedingungen“ zugeordnet. Die einzelnen Faktoren des hier vorgeschlagenen Bezugsrahmens zur Beschreibung und Analyse von Veränderungsprozessen sind in Abbildung 2 graphisch veranschaulicht und werden im Folgenden erläutert. 3.2.1 Aufgaben und Ziele Die Organisationsziele und die Veränderungsziele (bei Galbraith unter Strategie subsumiert) stehen im Mittelpunkt der Beschreibung. Denn es geht um die Aufgaben, die eine Organisation erfüllt oder um Leistungen und Arbeitsergebnisse, die diese erbringt. Eng verknüpft damit sind die Strategien der Zielerreichung. Veränderungsprozesse können direkt die Organisationsziele betreffen, indem beispielsweise neue Aufgaben oder Leistungen nachgefragt oder auch zugewiesen werden. Allgemeine Ziele der Veränderung können darin bestehen, die Zukunftsfähigkeit einer Organisation zu sichern oder Leistungen in einer hohen Qualität und effizient zu erbringen. In der Regel sollen Veränderungsprozesse dazu beitragen, dass die Organisationsziele besser erreicht werden können. Umgekehrt gilt dann auch, dass Änderungen etwa in den Organisationsstrukturen oder -prozessen darauf zu prüfen sind, inwieweit dadurch die Organisationsziele tatsächlich besser erreicht werden. 3.2.2 Organisationsumwelt und externe Rahmenbedingungen Organisationen und deren Ziele werden vielfach stark von außen beeinflusst. Die gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beeinflussen in hohem Maße die Zielsetzung einer Organisation. Veränderungen in der Organisationsumwelt geben dann auch häufig den Anstoß für Veränderungsprozesse in der Organisation. Dann geht es darum, sich auf neue Situationen einzustellen oder aber sich als Organisation neu aufzustellen. 3.2.3 Interne Rahmenbedingungen Unter den Faktor „interne Rahmenbedingungen“ fallen allgemeine Aspekte, die lokal zu berücksichtigen sind, wenn man in einer gegebenen Organisation Veränderungsprozesse angehen will. Dies sind zunächst die verfügbaren sächlichen
Change Reflexivity
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Organisationsumwelt und externe Rahmenbedingungen
Aufgaben und Ziele Entwicklung von Strategien; Problem-, Aufgabendefinition
Personal
Organisationsstruktur
Kompetenzprofile, Motivationslagen
hierarchische & funktionale Verantwortlichkeiten
Arbeitsprozesse Aufgabenbearbeitung innerhalb und zwischen Organisationseinheiten
Arbeitsergebnisse
Abbildung 2: Theoretischer Bezugsrahmen zur Beschreibung und Analyse von Veränderungsprozessen
und personellen Ressourcen und die Art des Belohnungssystems. Wenn intern für einen Veränderungsprozess keine eigenen Ressourcen zur Verfügung stehen, so ist der Erfolg gefährdet. Die personellen Ressourcen einer Organisation mit den fachlichen, methodischen und sozialen Kompetenzen des Personals stellen eine zentrale Voraussetzung für die Umsetzung von Veränderungen dar. Wie oben schon ausgeführt, sollte das Belohnungssystem auch zu den anderen Faktoren passen. Neben den verschiedenen Ressourcen werden hier im Unterschied zu dem Stern-Modell auch sogenannte weiche Faktoren berücksichtigt und unter die internen Rahmenbedingungen gefasst. So sind bei Veränderungsprozessen stets
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Dieter Beck, Rudolf Fisch und Andrea Müller
die bestehenden mikropolitischen Macht- und Interessenbeziehungen zu berücksichtigen. Es stellt sich für Veränderungsprojekte unter anderem die Frage nach deren Unterstützung durch Machtpromotoren (vgl. Hauschildt & Gemünden, 1999; Hauschildt & Salomo in diesem Band). Eine weitere interne Rahmenbedingung stellt die Organisationskultur dar mit den sich in einer Organisation entwickelten gemeinsamen Wertvorstellungen, Symbolen und spezifischen Verhaltensmustern (vgl. z. B. Schein, 1995; Neubauer, 2003; Fisch & Beck, 2007). Inwieweit passen veränderte Organisationsziele zur bisherigen Kultur und zum Selbstverständnis? Inwieweit nimmt die Gestaltung des Veränderungsprozesses Rücksicht auf kulturelle Eigenheiten? Weitere Aspekte sind die Qualität der Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs. Schließlich ist auch die Historie einer Organisation zu berücksichtigen und die dabei gemachten Erfahrungen mit vorangegangenen Veränderungsprozessen. Schlechte Erfahrungen aus der Vergangenheit erweisen sich dabei als eine Hypothek für neue Veränderungsprozesse. 3.2.4 Organisationsstruktur Die Organisationsstruktur regelt im Sinne der Aufbauorganisation die Verantwortlichkeiten, Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnisse. Je nach Aufgabe und Zielsetzung erscheinen ausdifferenzierte oder flache Hierarchien günstig oder sind Organisationen besser funktional oder divisional gegliedert. Umbau, Zusammenlegung, Auflösung oder Neuschaffung von Organisationseinheiten und Organisationen sind nahe liegende Ansatzpunkte in Veränderungsprozessen, die sofort einen sichtbaren Erfolg aufzeigen. Im Idealfall gilt der Grundsatz, dass die Form der Funktion folge, und dass sich demnach die richtige Organisationsstruktur aus den Erfordernissen der Organisationsziele ergibt. 3.2.5 Arbeitsprozesse Der Faktor „Arbeitsprozesse“ bezieht sich im Unterschied zur Organisationsoder Aufbaustruktur auf die Abläufe zur Erstellung eines Arbeitsergebnisses in Form eines Produkts oder einer Dienstleistung und die dabei erforderlichen Bearbeitungs- und Kommunikationswege. Das Augenmerk liegt hier auf den zentralen Arbeitsprozessen und -abläufen, die in den gegebenen Strukturen realisiert werden müssen. Dabei geht es vor dem Hintergrund der Organisationsziele um die Definition von Aufgaben und den notwendigen Arbeitsschritten zu deren effizienter Bearbeitung über verschiedene Organisationseinheiten oder gar Organisationen hinweg. Wie werden Leistungen durch die Zusammenarbeit verschiedener Organisationseinheiten erbracht? Wie sehen die entsprechenden Abläufe und Bearbeitungs- und Kommunikationswege oder Geschäftsprozesse aus? Wie laufen allgemein die Prozesse innerhalb der Organisationsstrukturen ab und wie
Change Reflexivity
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viele Schnittstellen zwischen Organisationseinheiten müssen dabei eingeschaltet werden? Auch hier stellt sich wie bei den Organisationsstrukturen die Frage, ob die etablierten Organisationsprozesse geeignet sind, die Organisationsziele optimal zu erreichen. Fragen befassen sich mit Aufgabenkritik, der Klärung von Schnittstellen und auch der Vermeidung von Doppelarbeit. Der Ansatz des „Business Process Reengineering“ (Hammer & Champy, 1995) stellt dabei eine Veränderungsstrategie dar, die sich vor allem auf die Organisationsprozesse konzentriert. 3.2.6 Personal Der Faktor „Personal“ bezieht sich auf die individuelle Qualifikation und die Einstellung der Mitarbeiter und Führungskräfte im Hinblick auf Veränderungen. Im Unterschied zu den allgemeinen internen Rahmenbedingungen aus der Perspektive der Organisation geht es hier um individuelle und soziale Aspekte, die das Verhalten der Einzelnen in der Organisation kennzeichnen. Der Faktor bezieht sich auf alle Gesichtspunkte, die sich mit Personalmanagement im Kontext von Veränderungsprozessen ergeben, wie beispielsweise Maßnahmen zur Personalentwicklung, Beteiligungsmaßnahmen und den Umgang mit Widerständen. 3.2.7 Balance und Wechselwirkungen der Gesichtspunkte Als zentrale Regel für die Gestaltung von Veränderungsprozessen betrachten wir mit Galbraith (2002), dass alle Faktoren des Bezugsrahmens in eine gewisse Balance gebracht werden sollten, wobei die Wechselwirkungen zwischen ihnen berücksichtigt werden: Ändern sich beispielsweise Organisationsziele aufgrund von Einflüssen aus der Organisationsumwelt (etwa vorgesetzte Behörden oder Änderungen in Gesetzen), erfordert die Veränderung in den Zielen Maßnahmen, die sich auf die Struktur der Organisation auswirken können. So werden neue Abteilungen eingerichtet oder alte zusammengefasst oder zum Teil gar aufgelöst. Dies hat auch Auswirkungen auf die Art und Weise der Bearbeitungsprozesse sowie auf das Personal und dessen Motivation. Dies alles geschieht unter den gegebenen internen Rahmenbedingungen, etwa ob das Veränderungsprojekt den Rückhalt der Unternehmensspitze und einflussreicher Interessengruppen oder Personen hat oder nicht.
186 4
Dieter Beck, Rudolf Fisch und Andrea Müller Empirische Untersuchung der subjektiven Theorien hochrangiger Entscheidungsträger über die Gestaltung von Veränderungsprozessen
Aufbauend auf den oben beschriebenen Grundlagen wurde eine empirische Untersuchung der subjektiven Theorien hochrangiger Entscheidungsträger über die Gestaltung von Veränderungsprozessen in einem Forschungsprojekt am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer durchgeführt (vgl. Beck & Fisch, 2008). 4.1 Vorgehensweise Die Auswahl der Gesprächspartner konzentrierte sich auf hochrangige Entscheidungsträger, die zum einen an der Schnittstelle von Verwaltung und Politik in der Kommunal-, Landes- und Bundesverwaltung tätig sind, und zum anderen auf solche, die an der Spitze von Wissenschaftsorganisationen stehen. Diese Felder wurden gewählt, da dort derzeit Veränderungsprozesse von großer Tragweite im Gange sind. Beispiele solcher Veränderungen sind etwa die Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells und die Herstellung von mehr Bürgernähe in den Kommunen, Modernisierungsvorhaben in den Landes- und Bundesverwaltungen mit Veränderungen in Organisationsstrukturen und Arbeitsabläufen, ebenso die Orientierung von Wissenschaftseinrichtungen auf höhere Produktivität, mehr Wettbewerb und eine stärkere internationale Ausrichtung. In den Experteninterviews berichteten die Partner meistens über verschiedene von ihnen durchgeführte Veränderungsprojekte, um dann an einem besonders herausfordernden Projekt die ihnen wichtigen Faktoren zu erläutern. Die systematische Aufbereitung der Vorstellungen und Annahmen erfolgte auf der Grundlage der handschriftlichen Gesprächsprotokolle. In einer ersten Stufe wurden die Aussagen entsprechend den Faktoren des Bezugsrahmens zugeordnet. Bei einer Analyse von zwölf Experteninterviews durch zwei Beurteiler ergab sich eine prozentuale Übereinstimmung von 96 %. Das entsprechend aufbereitete Gesprächsergebnis wurde mit einer individuellen Kommentierung an den Interviewpartner mit der Bitte um eventuelle Änderungen oder Ergänzungen gesandt. Im Folgenden wurden die Gesprächsprotokolle entsprechend der Methode des cognitive mapping (Axelrod, 1976; Eden, 1988) auf implizite und explizite Annahmen über Wirkungszusammenhänge zwischen den für Veränderungsprozesse als relevant genannten Faktoren hin untersucht. Die Zusammenhänge wurden dann graphisch in einer sogenannten kognitiven Landkarte veranschaulicht. Dabei wurde unterschieden zwischen Aussagen und Annahmen, die sich auf die Wirkfaktoren im Veränderungsprozess und deren Wechselwirkungen beziehen, und solchen, die sich auf die Umsetzung des Veränderungsprozesses und die
Change Reflexivity
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Wirkung von Maßnahmen und Strategien beziehen. Für beide Teilbereiche der subjektiven Theorie wird jeweils eine eigene kognitive Landkarte erstellt. Die so aufbereiteten Gespräche bilden die Grundlage für eine systematische Reflektion der jeweiligen subjektiven Theorie. 4.2 Illustrative Fallstudie: Prototypische Beschreibung und Analyse einer subjektiven Theorie über die Gestaltung von Veränderungsprozessen In einer illustrativen Fallstudie wird die subjektive Theorie über die Gestaltung von Veränderungsprozessen eines Entscheidungsträgers aus einer Wissenschaftseinrichtung dargestellt und die inhaltlichen Analysemöglichkeiten der oben beschriebenen Methodik aufgezeigt. 4.2.1 Prototypische Beschreibung und Analyse der kognitiven Landkarte der Wirkfaktoren in einem Veränderungsprozess 4.2.1.1 Aufbau einer kognitiven Landkarte und Leitfragen für die Analyse Am Beispiel der kognitiven Landkarte über die Wirkfaktoren bei Veränderungsprozessen in Abbildung 3 (siehe unten) wird deren Aufbau beschrieben und eine Lesehilfe gegeben. Im oberen Bereich werden als zentraler Ausgangspunkt das Organisationsziel und das Veränderungsziel umschrieben. Davon rechts wird der Faktor „Organisationsumwelt“ dargestellt als potentielle Einflussgröße auf die Organisationsziele, aber auch als Größe, auf die bei der Zielverfolgung zurückgegriffen werden kann oder die es selbst zu beeinflussen gilt. Im Uhrzeigersinn folgen Vorstellungen über die internen Rahmenbedingungen, über die Aufbauund Ablauforganisation (Organisationsstrukturen und Arbeitsprozesse) und schließlich die Vorstellungen über das Personal mit Annahmen, die sich mit Beteiligung, Qualifizierung und den Umgang mit Widerständen befassen. Die im Experteninterview gemachten Aussagen werden den Faktoren des theoretischen Bezugsrahmens zugeordnet und in die kognitive Landkarte eingetragen. Die Pfeile zwischen den Textfeldern symbolisieren die Wirkungsannahmen, wie sie im Interview angegeben wurden. So wird eine Wirkung externer Zwänge der Organisationsumwelt auf die Organisationsziele beschrieben. Die internen Rahmenbedingungen wiederum wirken sich in verschiedener Weise auf den Faktor „Personal“ aus. Bei der Analyse der Wirkungsannahmen ist neben den genannten Wirkungen auch von Interesse, wo keine Zusammenhänge gesehen werden oder wo Aussagen isoliert stehen. Wird die Organisationsumwelt beispielsweise im Veränderungsprozess als externer Einflussfaktor oder als zu ein beeinflussender Faktor gesehen? Alles in allem spricht eine stark vernetzte kognitive Landkarte eher für eine in sich geschlossene subjektive Theorie, während viele unverbun-
Organisationsstruktur
nur Aufgaben und Prozessen ausgerichtete Strukturen sinnvoll – möglichst keine Orientierung an Personen und deren Merkmalen
Vertrauen auf Selbststeuerungsprozesse
"Wenn man nur schon etwas machen darf" als hilfreiche Voraussetzung der Veränderung
Veränderungen brauchen Zeit
Arbeitsprozesse
Informationen aus der nachgeordneten Führungsebene sind gefiltert und interessengeleitet
Auskommen mit vorhandenem Personal und Ressourcen
Grundproblem: Veränderung unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung des normalen Betriebs
bei Veränderung zusätzliche Belastung - 125% gefordert
geringere Nähe der Führungsebene zu Mitarbeitern bei Veränderungsprozessen
verschiedenes Lagebild der Führungsebene im Vergleich zu den Mitarbeitern
Interne Rahmenbedingungen
Exklusive Informationszugänge der Führungsebene
Erleben externer Zwänge durch Führungsebene
Organisationsumwelt
institutionelle Erfordernisse stehen im Vordergrund gegenüber Fach- und Einzelinteressen
Mitarbeiter erkennen z.T. den Veränderungsbedarf nicht
Personal
Zukunftsfähigkeit der Organisation sichern
Aufgaben und Ziele
188 Dieter Beck, Rudolf Fisch und Andrea Müller
Abbildung 3: Beispiel der subjektiven Theorie eines Entscheidungsträgers aus einer Wissenschaftseinrichtung: Zentrale Wirkfaktoren bei Veränderungsprozessen
Change Reflexivity
189
dene Vorstellungen einen Indikator für eine noch zu integrierende subjektive Theorie darstellen. In beiden Fällen kann dies zum Gegenstand im Rückmeldegespräch mit dem Entscheidungsträger gemacht werden. Zentraler Ausgangspunkt der inhaltlichen Analyse ist die Betrachtung der Organisationsziele. Von diesen ausgehend wird zunächst nach externen Wirkfaktoren aus der Organisationsumwelt gefragt, die auf diese einwirken. Im zweiten Schritt geht es um die Auswirkungen der Veränderungsziele auf die anderen Faktoren des Bezugsrahmens. An dritter Stelle steht die Analyse möglicher Wirkungen zwischen den verschiedenen Faktoren. 4.2.1.2 Analyse der kognitiven Landkarte der zentralen Wirkfaktoren im Veränderungsprozess Die Situation des hier beschriebenen Entscheidungsträgers ist geprägt durch die auf europäischer Ebene angestoßenen Veränderungen des Hochschulwesens durch den Bologna-Prozess. Mit diesen neuen Anforderungen sowie mit einem immer härter werdenden Wettbewerb bei der Einwerbung von Mitteln für die Forschung stehen die Wissenschaftseinrichtungen allgemein vor vielfältigen Herausforderungen, die auch entsprechende organisatorischen Anpassungen und Veränderungen erfordern. Die obige Abbildung 3 gibt einen Überblick über die Annahmen des Entscheidungsträgers über Wirkfaktoren bei Veränderungsprozessen. Im Mittelpunkt steht für den Entscheidungsträger das Veränderungsziel die „Zukunftsfähigkeit der Organisation sichern“. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus dem Erleben „externer Zwänge“ aus der Organisationsumwelt. Die Organisationsleitung erlebt sich somit selbst als Gegenstand externer Einflüsse. Ein Bezug zwischen Organisationsumwelt und den internen Rahmenbedingungen wird unter anderem darin gesehen, dass die Führungsebene über exklusive Informationszugänge in der Organisationsumwelt verfügt. Hinsichtlich der internen Rahmenbedingungen ist dadurch davon auszugehen, dass die Mitarbeiter und Führungskräfte der zweiten Ebene systematisch ein etwas anderes Lagebild von der Situation der Organisation aufbauen als die Leitungsebene. Dies wiederum führt dazu, dass Mitarbeiter den von der Leitungsebene wahrgenommenen Veränderungsbedarf nicht unbedingt (ein-)sehen. Zum anderen besteht ein weiterer systematischer Unterschied zwischen der Interessenlage der Leitungsebene und der der Führungskräfte: Während erstere im Prinzip am Wohl der Gesamtorganisation orientiert ist, denken die Führungskräfte häufig partikular, wobei die Interessen der eigenen Abteilung im Mittelpunkt stehen. Des Weiteren wird hinsichtlich der internen Rahmenbedingungen davon ausgegangen, dass in der Regel die Veränderung unter gleichzeitigem Aufrechterhalten des normalen Betriebs eingeführt werden muss. Dies führt hinsichtlich des Faktors „Personal“ zu einer automatischen Zusatzbelastung der Mitarbeite-
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Dieter Beck, Rudolf Fisch und Andrea Müller
rinnen und Mitarbeiter. Weitere Aspekte, die sich auf die internen Rahmenbedingungen für die Veränderung beziehen sind: die Notwendigkeit mit dem vorhandenen Personal und den gegebenen Ressourcen zurecht zu kommen, das Wissen darum, dass für Veränderungen auch Zeit benötigt wird, sowie die Erfahrung, dass es schon viel Wert ist, wenn man nur schon etwas machen darf ohne behindert zu werden. Hinsichtlich des Faktors „Personal“ wird darauf aufmerksam gemacht, dass die Führungsebene aufgrund der eigenen Belastungen und der Außenkontakte zunächst im Veränderungsprozess eine größere Distanz zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat. Auch ist davon auszugehen, dass die intern der Leitungsebene zur Verfügung gestellten Informationen häufig gefiltert und interessengeleitet sind. Auffallend ist in der subjektiven Theorie die isolierte Betrachtung der beiden Faktoren „Organisationsstruktur“ und „Arbeitsprozesse“. Hier werden nur allgemeine Annahmen genannt, wie die Regel, dass man die Strukturen an den Aufgaben und Prozessen ausrichten sollte und nicht an den gegebenen Personen. Was hier als reine Lehre genannt wird, erweist sich in der Praxis häufig als schwierig. Denn bei der Beschreibung der internen Rahmenbedingungen wird davon ausgegangen, dass die Veränderungen mit dem vorhandenen Personal zu leisten sind. Hinsichtlich der Gestaltung der Organisationsprozesse besteht die Annahme, dass es die kundigen Mitarbeiter selbst richten und man hier als Leitungsebene nicht zwingend reglementierend eingreifen muss. Alles in allem zeichnet diese erste Analyse eine recht umfassende subjektive Theorie mit einer Vielzahl von Gesichtspunkten, die in die Überlegungen zur Gestaltung von Veränderungsprozessen eingehen. Alle Faktoren des theoretischen Bezugssystems sind berücksichtigt. Die externen und internen Rahmenbedingungen werden dabei als besonders einflussreich wahrgenommen – eine Sichtweise, die für die Betroffenen eines Veränderungsprozesses möglicherweise überraschend ist. Denn in der Regel wird seitens der Mitarbeiterschaft die Leitungsebene als Verursacher der Veränderungen wahrgenommen. Was ist aus Sicht des Interviewpartners zu tun, um die Veränderungen erfolgreich durchzuführen? Hierzu sind in einer zweiten kognitiven Landkarte die Vorstellungen und Wirkungsannahmen zusammengestellt (vgl. Abbildung 4). 4.2.1.3 Analyse der kognitiven Landkarte der Wirkungsannahmen über Strategien und Maßnahmen der Umsetzung von Veränderungen Ausgehend von der Zielsetzung „Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Organisation“ werden vielfältige strategische Ansatzpunkte zur Umsetzung beschrieben, die die Faktoren „Organisationsumwelt“, „interne Rahmenbedingungen“, „Organisationsstruktur“ und „Personal“ berücksichtigen. Lediglich der Faktor der Arbeitsprozesse wird nur mittelbar über die Organisationsstruktur beeinflusst.
Konzentration auf unterstützende Mitarbeiter
Reaktionen von Betroffenen als Signal ernst nehmen
Management by walking around direkter Kontakt den zu Mitarbeitern / gezielt Rückmeldung einholen
Bemühen, Hintergründe von Entscheidungen zu vermitteln (z.T. ermüdend, oder Wirkung stillen Wissens)
fehlende Expertise von außen holen: Externe, Neubesetzungen
Personalentwicklung – Weiterbildung
Abgleich benötigter und vorhandener Kompetenzen
Steuerung der Veränderung über vorhandenes Personal
Neugestaltung von Prozessen aufgrund des Integrierens bislang getrennter Bereiche
Arbeitsprozesse
Informieren alleine genügt nicht Zuhören / Ausdruck von Wertschätzung / sich kümmern
Personal
Zurüsten auf künftige Aufgaben
Zukunftsfähigkeit der Organisation sichern
Aufgaben und Ziele
Von Rückschlägen nicht entmutigen lassen
Konkurrenzfähige Infrastruktur sichern
klare Ziele entwickeln – global und bereichsspezifisch
Interne Rahmenbedingungen
Auswertung von Trends im Organisationsumfeld
Nutzen exklusiver Informationszugänge
systematische Beobachtung vergleichbarer Organisationen
Integrieren bislang getrennter Bereiche: Überwinden sektoral ausgerichteter Organisationseinheiten (Biotope)
nur an Aufgaben und Prozessen ausgerichtete Veränderung von Strukturen – nicht an Personen und deren Merkmalen
Organisationsstruktur
neue Aufgaben und Herausforderungen frühzeitig erkennen
Notwendigkeit der "Früherkennung" - "das Gras wachsen hören"
Organisationsumwelt
Change Reflexivity 191
Abbildung 4: Beispiel der subjektiven Theorie eines Entscheidungsträgers aus einer Wissenschaftseinrichtung: Wirkungsannahmen über Strategien und Maßnahmen zur Umsetzung von Veränderungen
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Dabei gilt es schon im Vorfeld einer Veränderung im Sinne eines Frühwarnsystems, „das Gras wachsen hören“, die Organisationsumwelt systematisch zu beobachten und zu analysieren, um daraus die „neuen Aufgaben und Herausforderungen frühzeitig zu erkennen“. Weitere Strategien und Maßnahmen richten sich auf die internen Rahmenbedingungen. Hier sind „klare Ziele zu entwickeln – global und bereichsspezifisch“. Es ist aber auch eine „konkurrenzfähige Infrastruktur zu sichern“ als Voraussetzung für das Erbringen einer ansprechenden Leistung. Im Hinblick auf den Faktor „Personal“ geht es um das „Zurüsten für künftige Aufgaben“. Eine isoliert stehende Maxime, die sich aus der oben beschriebenen Gegebenheit einer unterschiedlichen Lageeinschätzung von Leitungsebene und Mitarbeitern ableitet, lautet dass „Informieren alleine nicht ausreicht“. Hier ist „Management by walking around“ im direkten Kontakt zu allen Ebenen der Mitarbeiter gefragt, sowie das Ernst nehmen von Widerständen. 4.2.1.4 Zwischenbilanz der Fallstudie und Reflektion der subjektiven Theorie Die Analyse beider kognitiver Landkarten zeigt somit eine recht umfassende subjektive Theorie mit zahlreichen Annahmen über Wirkfaktoren und Vorstellungen über die erfolgreiche Umsetzung. Folgende Anhaltspunkte erscheinen vor dem Hintergrund des Bezugsrahmens im Sinne der Change Reflexivity für eine individuelle Rückmeldung an den Entscheidungsträger von Interesse, um im Gespräch noch weitere Klärungen zu erreichen: Die Zielsetzung des Veränderungsprozesses und die ihr zugrunde liegende zentralen Umsetzungsstrategien selbst werden nicht unmittelbar in Bezug zum Faktor „Personal“ gesehen. Vielmehr scheinen die Erläuterungen der Hintergründe eher bei einzelnen Entscheidungen anzusetzen, anstatt dass sie im Kontext der Gesamtzielsetzung und der zentralen Strategien erklärt werden. Die Annahme einer verschiedenen Lageeinschätzung kann auch zur Unterschätzung der Bedeutung exklusiver Informationen führen, die die nachgeordneten Führungskräfte ihrerseits aus eigenen Umfeldanalysen ableiten können. Möglicherweise werden so „außenpolitische Faktoren“ gegenüber intern vorhandenem Fachwissen überschätzt. Es finden sich keine Vorstellungen über die Einführung geeigneter Arbeitsprozesse im Rahmen des angestrebten Veränderungsprozesses. Hier ist zu fragen, ob das Vertrauen auf die Selbstorganisation durch die Mitarbeiter ausreicht. Hinsichtlich der Organisationsstruktur besteht eine idealtypische Annahme, dass diese an den Zielen und Aufgaben und nicht an Personen und spezifischen Interessenkonstellationen angepasst sein müssen. Dies steht im Wider-
Change Reflexivity
193
spruch zu den internen Rahmenbedingungen, nach denen die Veränderung mit dem gegebenen Personal zu leisten ist. Es bleibt offen, wie hier der Anspruch umgesetzt werden kann. Konkrete Maßnahmen, mit deren Hilfe das Veränderungsziel umgesetzt werden muss, bleiben im Unklaren. Da sie nicht explizit sind, dürften sie auch im Rahmen der Kommunikationsstrategie nicht zur Verfügung stehen. Das Informieren über Hintergründe zur Notwendigkeit der Veränderung genügt dann nicht. Es sollte dann auch der Weg zur Umsetzung mit seinen Anstrengungen und Unwägbarkeiten als auch mit seinen Chancen kommuniziert werden. 4.2.2 Fallstudie einer subjektiven Theorie aus dem politisch-administrativen Bereich Analog zum obigen Vorgehen wird im Folgenden die subjektive Theorie eines zweiten Entscheidungsträgers beschrieben und analysiert. Die betreffende Person war in leitender Funktion in einer Ministerialverwaltung tätig und verfügte über langjährige Erfahrungen aus Prozessen der Verwaltungsmodernisierung. Die Vorstellungen hinsichtlich der Wirkfaktoren in Veränderungsprozessen sind in Abbildung 5 zusammengefasst, diejenigen über die erfolgreichen Strategien und Maßnahmen bei der Umsetzung in Abbildung 6. Im Mittelpunkt der Veränderung steht das allgemeine Ziel, „mit weniger Personal effektiver und effizienter zu arbeiten“. Zentral ist dabei die Vorstellung, dass „die richtigen Mitarbeiter auf dem richtigen Arbeitsplatz in der richtigen Struktur mit den richtigen Arbeitsmitteln“ arbeiten. Hinsichtlich der allgemeinen Wirkungszusammenhänge geht die Führungskraft von folgenden beiden Annahmen aus (vgl. Abbildung 5). 1. Die Zielsetzung ist durch die Organisationsumwelt geprägt. Zum einen wird diese als zunehmend komplex wahrgenommen bei gleichzeitig schlechter werdenden finanziellen Rahmenbedingungen. Einige Chancen ergeben sich aus der Entwicklung effizienterer Techniken, die es einzusetzen gilt. 2. Die Auswirkungen der Zielsetzung werden in einer umfassenden Sichtweise sowohl hinsichtlich der internen Rahmenbedingungen (Grenzen der Personalentwicklung, Einsetzen effizienterer Arbeitsmittel, Notwendigkeit des Rückhalts durch die Organisationsspitze), der Organisationsstruktur (Primat des Personals gegenüber den Strukturen) als auch hinsichtlich des Personalfaktors („Alles hängt am Personal“) gesehen. Lediglich auf die Bedeutung der Zielsetzung für die Organisationsprozesse wird nicht explizit verwiesen.
keine Annahmen benannt
Arbeitsprozesse
Entscheidend ist die informale Kommunikation für das Funktionieren der Organisation
Mit dem richtigen Personal läuft es auch unabhängig von formalen Strukturen
Richtige Personal wichtiger als Organisationsstruktur
Wichtigkeit der Kommunikation für das Funktionieren der Organisation
Alle MA sind zunächst einmal gegen eine Veränderung
Alles hängt am Personal
Personal
Ziele von Strukturänderungen: keine unnötigen Hierarchien Vermeidung von Doppelarbeit durch Bereinigung von Schnittstellen
Optimierung von Strukturen als permanente Aufgabe
Primat der Personalaspekte gegenüber Organisationsstrukturen
Organisationsstruktur
Orientierung der Zielsetzungen eher am Tagesgeschäft als an Entwicklungsszenarien
Richtige Mitarbeiter auf dem richtigen Arbeitsplatz in der richtigen Struktur mit den richtigen Arbeitsmitteln
Mit weniger Personal effektiver und effizienter arbeiten
Aufgaben und Ziele
Rückhalt macht aber nur 10-15% des Erfolgs aus
Rückhalt notwendig – Organisationsleitung muss hinter Veränderung stehen
Widerstände von Betroffenen laufen bei Organisationsleitung zusammen
Grenzen der Personalentwicklung im öff. Sektor / Karriereförderung
Welt ist komplexer geworden – juristische Sichtweisen alleine sind oft nicht ausreichend
Effizientere Arbeitsmittel sind auch einzusetzen
Interne Rahmenbedingungen
Andere Aufgabenschwerpunkte z.B. zunehmende Bedeutung von EUAspekten
Effizientere Techniken werden entwickelt
Finanzielle Rahmenbedingungen werden schlechter
Die Welt hat sich geändert
Organisationsumwelt
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Abbildung 5: Beispiel der subjektiven Theorie eines Entscheidungsträgers aus dem politisch-administrativen Bereich: Zentrale Wirkfaktoren bei Veränderungsprozessen
freigewordene Kapazitäten für andere Aufgaben mit neuen Schwerpunkten qualifizieren
Was man anstößt, muss man auch konsequent umsetzen
Grundsatz: lieber einen Prozess anstoßen und den zu Ende führen als viele „Baustellen“
MA nicht mit zu viel zu schnell konfrontieren / Veränderung Schritt für Schritt
Offenlegen der Beförderungssituation ehrliche Kommunikation.
Einführung von Rahmenbedingungen der Motivation
Qualifizierung der MA
Gewinn für MA und Organisationseinheit muss sichtbar sein / Überzeugen durch Aufzeigen des Gewinns
Begründung von Veränderung
Personal
Verlagerung von Aufgaben in nachgeordnete Bereiche
Organisationsumwelt
Ausrichten der Organisation
Zusammenstellung interdisziplinärer Teams mit verschiedenem Erfahrungswissen
aber Abkoppeln im Detail
Einbezug der Hausspitze / Information bzgl. große Linie
Verbesserung der internen Kommunikation (Ökologie, Foren, Beziehungen, Mittagessen, Feste; als Nebeneffekt von Schulungen)
Grenzen der Personalentwicklung / Karriereförderung
Interne Rahmenbedingungen
Einrichten übergreifender Arbeitsgruppen
Austausch mit anderen Organisationen / Ressorts mit ähnlichen Problemen
Stärkung der organisations(ressort)-übergreifenden Kommunikation
Organisationsstruktur
Richtige Mitarbeiter auf dem richtigen Arbeitsplatz in der richtigen Struktur mit den richtigen Arbeitsmitteln
Arbeitsprozesse
sich am Ergebnis der Umsetzung messen lassen
MA fühlen sich überfordert, Veränderung dann nicht mehr akzeptiert
Veränderungen nicht mit impliziter Kritik begründen, dass etwas schlecht gemacht oder zu wenig geleistet wurde
Mit weniger Personal effektiver und effizienter arbeiten
Aufgaben und Ziele
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Abbildung 6: Beispiel der subjektiven Theorie eines Entscheidungsträgers aus dem politisch-administrativen Bereich: Wirkungsannahmen über Strategien und Maßnahmen zur Umsetzung von Veränderungen
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Bei den Vorstellungen über geeignete Strategien und Maßnahmen zur Gestaltung des Veränderungsprozesses (vgl. Abbildung 6) ergibt sich ebenfalls ein sehr differenziertes Bild. Die Zielsetzung wirkt sich dabei auf die internen Rahmenbedingungen, die Organisationsstruktur und das Personal aus: Bei der Umsetzung der Veränderung wird hinsichtlich des Faktors „Personal“ Wert gelegt, auf die Vermittlung der Gründe für die Veränderung und auch des möglichen Nutzens für die jeweiligen Betroffenen und deren Organisationseinheit. Weitere Annahmen betreffen die zeitliche Gestaltung des Veränderungsprozesses und die Konsequenz der Umsetzung. Schließlich wird auch die Qualifizierung der Mitarbeiter als eine wichtige Strategie angesehen. Ein zentrales Konzept bei den internen Rahmenbedingungen stellen die in der Organisation gegebenen Grenzen der Personalentwicklung dar, aus denen sich wiederum verschiedene Strategien und Maßnahmen ableiten. Diese beziehen sich auf den Faktor „Personal“ (Einführung von Rahmenbedingungen der Motivation, ehrliche Offenlegen der Beförderungssituation) als auch auf die Organisationsumwelt (Stärkung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit). Neben der Verbesserung der internen Kommunikation wird für den Erfolg einer Veränderung auch die Rückendeckung und Unterstützung der Organisationsleitung angesehen. Diese ist auch entsprechend zu informieren und vorzubereiten. Hinsichtlich der Organisationsstruktur gilt es, die Organisation entsprechend den Zielsetzungen auszurichten. Bei den Organisationsprozessen hilft eine Verlagerung von Aufgaben in nachgeordnete Bereiche, um freigewordene Kapazitäten im personellen Bereich zu nutzen. Für die Reflektion dieser umfassenden subjektiven Theorie vor dem Hintergrund des Bezugsrahmens ergeben sich einige Anregungen: Welche weiteren Vorstellungen bestehen hinsichtlich der Faktoren Organisationsstruktur und -prozesse vor dem Hintergrund der Ziele des Veränderungsprozesses? Diese Faktoren sind im Vergleich zu den anderen weniger ausdifferenziert. Des Weiteren stellt sich die Frage, wie dieses komplexe Bild anderen Beteiligten und Betroffenen vermittelt werden kann, so dass diese die Strategien und Maßnahmen der Führungskraft verstehen können und diese umsetzen. Hierfür stellt die Vorstellung, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Veränderungsprozess gewonnen und dass ihnen der Nutzen und die Vorteile aufgezeigt werden müssen, eine wichtige Voraussetzung dar. Von besonderem Interesse sind schließlich für eine weitere Diskussion die konkreten Maßnahmen und Handlungen, mit deren Hilfe die verschiedenen Strategien umgesetzt werden können.
Change Reflexivity
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4.2.3 Zusammenschau der verschiedenen subjektiven Theorien Die beiden obigen subjektiven Theorien sind beispielhaft für die Vorstellungen der befragten Entscheidungsträger. Alle verfügten über ein recht differenziertes Bild von den Wirkfaktoren und möglichen Umsetzungsstrategien: Jedoch lieferte keiner der zwölf Interviewpartner eine kognitive Landkarte, die der Kernaussage des Bezugsrahmens in Gänze entsprach. Eine Auseinandersetzung mit allen Faktoren im Sinne von Change Reflexivity erweitert somit die Perspektiven für die Gestaltung des Veränderungsprozesses. Aus einer Zusammenschau der subjektiven Theorien kann man alles in allem herleiten, dass es notwendig ist, gesonderte eigene Organisationsstrukturen und -prozesse für die Veränderungen und deren Umsetzung vorzusehen. Erfolgreiche Veränderungsvorhaben verfügen über eine eigene organisatorische Infrastruktur. Des Weiteren werden hier auch eigene Prozesse der Kommunikation und des Wissensaustauschs nach innen wie nach außen organisiert. Naiv wäre auch die Annahme, dass Organisationen und deren Leitungsebene wie auf einer Insel agieren könnten – zu vielfältig sind die externen Einflussfaktoren. Diese gilt es systematisch zu berücksichtigen und soweit möglich auch zu beeinflussen. Schließlich wird vielfach auf eine bewusste Zeitgestaltung hingewiesen, das Nutzen von günstigen Zeitfenstern für Veränderungen, das Drängen auf schnelle Erfolge zu Beginn und andererseits die Notwendigkeit, Mitarbeitern Zeit lassen, neue Verfahren zu erproben. Vielfach wird auch Wert auf eine neutrale externe Expertensicht in der Planungsphase oder bei der Prozessbegleitung gelegt. 5
Fazit
Der vorliegende Beitrag hebt ab auf eine Verbesserung des individuellen kognitiven Rüstzeugs zur Gestaltung von Veränderungsprozessen und plädiert für eine begleitende Reflektion des Veränderungsvorhabens in seinen verschiedenen Stadien von der Planung bis zur Evaluation. Zunächst hilft der theoretische Bezugsrahmen, sich systematisch mit einem gegebenen Veränderungsprozess auseinander zu setzen und Stärken und Schwächen der gegenwärtigen Lage oder der Organisation zu erkennen. So können beispielsweise die Erfolgschancen eines Veränderungsvorhabens als eher schlecht eingeschätzt werden, wenn bei den internen Rahmenbedingungen die Unterstützung durch die Organisationsleitung und Schlüsselpersonen fehlt und es wenige Argumente gibt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Sinnhaftigkeit und dem Nutzen der Veränderung zu überzeugen. Die Reflektion der eigenen subjektiven Theorien vor dem Hintergrund des Bezugsrahmens erweitert die Perspektive und hilft, Annahmen und Strategien zu hinterfragen. Dies gilt auch für Steuerungsgruppen, die sich in einer Klausur mit
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der Art und Weise des Herangehens an einen Veränderungsprozess auseinander setzen wollen. In beiden Fällen kann es hilfreich sein, wenn die subjektiven Theorien durch eine externe Begleitung erfasst und aufbereitet werden. Diese können dann zum Gegenstand eines Coaching-Gesprächs oder als Grundlage für einen Workshop gemacht werden. Alles in allem lohnt in Veränderungsvorhaben neben der fachlich-inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Veränderung eine systematische Vorbereitung und Begleitung des Veränderungsprozesses selbst. Dieses Vorgehen wird gestützt durch eine systematische Reflektion der eigenen Annahmen und Strategien im Sinne eines „reflective practitioner“ (Schön, 1983).
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Erfolg substanzieller Innovationen – der Innovationsgrad als Einflussfaktor Hans Georg Gemünden und Alexander Kock Eine Annahme im Innovationsmanagement ist, dass innovative Aufgaben eine grundlegend andere Vorgehensweise als Routineentscheidungen verlangen (Hauschildt & Salomo, 2007). Während kritische Managementaktivitäten und Erfolgsfaktoren von gewöhnlichen Neuproduktentwicklungsprojekten bereits ausführlich erforscht wurden (Montoya-Weiss & Calantone, 1994; Brown & Eisenhardt, 1995; Ernst, 2002), stellen substanzielle Innovationen noch immer eine große Herausforderung dar. Denn solche auch als radikale Innovationen bezeichnete Vorhaben sind mit extremen Risiken und Unsicherheiten behaftet (Song & Montoya-Weiss, 1998; Leifer et al., 2000). Der Innovationsgrad als das Ausmaß der Neuartigkeit ist deshalb zu einem Schlüsselkonstrukt geworden (Schlaak, 1999). Kenntnis über Art und Stärke seines Einflusses auf den Innovationserfolg ist sowohl für die Auswahl von Innovationsprojekten als auch für das problemspezifische Management dieser Vorhaben von entscheidender Bedeutung. Viele Autoren betonen die Bedeutung radikaler Innovationsprojekte für die Generierung von nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen und den langfristigen Erfolg eines Unternehmens (Chandy & Tellis, 2000; McDermott & O'Connor, 2002). Oft wird zumindest implizit unterstellt, dass innovativere Projekte auch erfolgreicher seien. Aber gibt es auch empirische Belege für einen positiven Zusammenhang zwischen dem Innovationsgrad neuer Produkte und deren Erfolg? Viele Studien verwenden den Innovationsgrad entweder als direkten Erfolgsfaktor (Kleinschmidt & Cooper, 1991; Calantone et al., 2006; Jordan & Segelod, 2006) oder als moderierende Variable (Gemünden, 1981; Swink, 2000; Lee & O'Connor, 2003; Weise, 2007). Allerdings erscheinen die empirischen Befunde zur Beziehung zwischen Innovationsgrad und Innovationserfolg immer noch unklar. In ihrem Überblicksartikel berichten Hauschildt und Salomo (2005), dass nur wenige Studien positive Zusammenhänge aufdecken, während negative Beziehungen oder Nicht-Befunde überwiegen. Die Autoren führen diese uneindeutigen Befunde zum Teil auf die Multidimensionalität der beiden Konstrukte zurück, die zu unterschiedlichen Konzeptionalisierungen geführt hat. Ziel dieses Beitrags ist es, bisherige quantitative Befunde zum Zusammenhang zwischen Innovationsgrad und Innovationserfolg auf eine Weise zusammenzufassen, die der Multidimensionalität beider Konstrukte gerecht wird. Dazu
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sollen zunächst die Konzeption und Dimensionen beider Konstrukte sowie die theoretisch möglichen Beziehungen zwischen ihnen erläutert werden. Im Anschluss werden die empirischen Ergebnisse mit Hilfe einer Meta-Analyse für jede Kombination der einzelnen Dimensionen zusammengefasst. Schließlich werden die Implikationen der Ergebnisse für Forschung und Praxis diskutiert. 1
Konzeptionelle Grundlagen
1.1 Der Innovationsgrad als Schlüsselkonstrukt Innovationen sind das Resultat eines kreativen Prozesses, der unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure aus einer oder mehreren Organisationen zu einer qualitativ neuartigen Zweck-Mittel-Kombination führt, die zum ersten Mal am Markt oder in der Unternehmenspraxis eingeführt wird (Gemünden & Salomo, 2004). Bei substanziellen Innovationen weichen die verwendeten Mittel, die erfüllten Zwecke oder beides besonders stark von bisherigen Designs ab. Allerdings reicht es zur Bestimmung substanzieller Innovationen nicht aus, lediglich den Tatbestand der Neuartigkeit zu konstatieren. Vielmehr sollte versucht werden, das graduelle Ausmaß der Veränderung verglichen mit einem Status quo – den Innovationsgrad – messbar zu machen (Hauschildt & Salomo, 2007). In der Literatur existiert eine Vielzahl von Innovationstypologien, die wiederum zu einer Vielzahl von Begriffen für den Innovationsgrad führt. Einige Autoren unterscheiden dichotom zwischen kontinuierlichen und diskontinuierlichen Innovationen (z. B. Anderson & Tushman, 1990) oder zwischen inkrementellen und radikalen Innovationen (z. B. Ettlie et al., 1984; Atuahene-Gima, 1995). Andere Typologien verwenden mehr als eine Dimension der Neuartigkeit, indem sie zwischen einer Markt- und Technologie-Dimension unterscheiden (Chandy & Tellis, 1998). Obwohl diese generischen Klassifikationen zu einem Verständnis des Innovationsgradsbegriffes beitragen, werden sie der Komplexität dieses Konzeptes nicht gerecht. Neuere Ansätze konzeptionalisieren den Innovationsgrad als ein mehrdimensionales und kontinuierliches Konstrukt (Green et al., 1995; Schlaak, 1999; Avlonitis et al., 2001; Danneels & Kleinschmidt, 2001; Hauschildt & Schlaak, 2001; Garcia & Calantone, 2002; Salomo, 2003; Calantone et al., 2006; Jordan & Segelod, 2006). Auch wenn sich diese Ansätze unterscheiden, zeigen sie doch, dass der Innovationsgrad neuartiger Produkte entlang mehrerer Dimensionen beschrieben und operationalisiert werden sollte. Diese Dimensionen umfassen zum einen die klassischen markt- und technologiebezogenen Veränderungen (Danneels & Kleinschmidt, 2001; Garcia & Calantone, 2002), zum anderen aber auch organisationale Veränderungen im innovierenden Unternehmen (Avlonitis
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et al., 2001; Hauschildt & Schlaak, 2001) sowie notwendige Änderungen des Unternehmensumfelds (Salomo, 2003). Die marktbezogenen Veränderungen können durch zwei unterschiedliche Aspekte ausgedrückt werden. Zum einen kann es sich um eine Änderung des Kundennutzens eines Produktes (Montoya-Weiss & Calantone, 1994) und dessen Einzigartigkeit handeln (Cooper & Kleinschmidt, 1987a; Jordan & Segelod, 2006). Eine Innovation weist also einen hohen Innovationsgrad für den Markt auf, wenn sie aus Sicht der zukünftigen Nutzer einen signifikanten Wertzuwachs bedeutet. Dies kann auf der erstmaligen Erfüllung eines wichtigen, bisher unerfüllten Bedürfnisses beruhen, auf einem Nutzensprung von bisher nur teilweise erfüllten Bedürfnissen oder auf einer signifikanten Kostensenkung der Bedürfnisbefriedigung. Je mehr Kunden davon betroffen sind und je größer deren Nutzungsvolumen ist, desto höher der marktbezogene Innovationsgrad. Zum anderen kann sich der marktbezogene Innovationsgrad auch in der Neuartigkeit des Marktes selbst sowie der Vertrautheit des Unternehmens mit der Marktumgebung ausdrücken (Danneels & Kleinschmidt, 2001). Denn ein hoher Innovationsgrad für den Markt ergibt sich auch aus einer signifikanten Veränderung der Spielregeln des Wettbewerbs, dem Wegfall von Wertschöpfungsstufen oder den erforderlichen Einstellungs- und Verhaltensänderungen auf Seiten der Kunden. Die Marktdimension des Innovationsgrads lässt sich also in zwei Subdimensionen aufteilen. Erstere drückt sich durch den neuartigen Kundennutzen aus, letztere durch die Neuartigkeit des Marktes für das Unternehmen. Die Technologie-Dimension des Innovationsgrads bezieht sich auf Veränderungen der im Produkt verwendeten Technologien, die noch nicht von jedem Unternehmen oder der wissenschaftlichen Gemeinschaft gänzlich verstanden sind (Green et al., 1995). Diese können zu einem wissenschaftlichen oder technologischen Paradigmenwechsel in einer Branche führen (Garcia & Calantone, 2002). Technologischer Fortschritt äußert sich in ganz neuen technologischen Prinzipien, neuen Architekturen oder neuen Materialien sowie in der Verdrängung alter Technologien (Gemünden et al., 2005). Die Organisations-Dimension des Innovationsgrads fokussiert die erforderlichen Veränderungen innerhalb der innovierenden Organisation (Avlonitis et al., 2001; Hauschildt & Schlaak, 2001; Jordan & Segelod, 2006). Denn die Erforschung neuer Technologien und die Entwicklung und Vermarktung neuer Produkte können oft nicht nur auf Basis bestehender Kompetenzen erfolgen. Es ist vielmehr notwendig, dass eine innovierende Organisation neues Wissen generiert oder von außen aufnimmt und verarbeitet. Die Lernprozesse beziehen sich jedoch nicht nur auf den Erwerb, die Verarbeitung, Speicherung und Verwertung neuen Wissens. Es ist vielmehr erforderlich, dass sich die Organisation selbst verändert, wobei mit Organisation nicht nur die formale Struktur gemeint ist,
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sondern die soziale Institution als Ganzes. In dieser Dimension des Innovationsgrads wird dementsprechend bestimmt, inwiefern existierende Ressourcen für die Entwicklung der Innovation geeignet sind und wie stark sie verändert werden müssen. Diese Veränderungen können die Strategie, formale Struktur, Kompetenzen, Kultur und Anreizsysteme betreffen. Eine vierte Dimension – die Umfeld-Dimension – berücksichtigt, dass Innovationen einen Einfluss auf das externe Unternehmensumfeld und umgekehrt haben können (Salomo, 2003). Denn die Entwicklung grundlegend neuer Technologien und Produkte erfolgt im Allgemeinen nicht in einer einzelnen Organisation, sondern bei einer Vielzahl von Akteuren, die in komplexen Wettbewerbsund Kooperationsbeziehungen miteinander stehen. Außerdem vollzieht sich häufig parallel zu einem technologischen Wandel auch eine Veränderung in der öffentlichen und privaten Innovationsfinanzierung und in der Regulierung und Institutionalisierung. Diese Veränderungen können Innovationen beflügeln oder hemmen, insbesondere in den stärker öffentlich finanzierten und regulierten Branchen, wie zum Beispiel in der Gesundheitswirtschaft oder in netz- und infrastrukturgeprägten Branchen. Ein hoher umfeldbezogener Innovationsgrad gibt also an, wie stark sich das Unternehmensumfeld aufgrund der Innovation ändert oder ändern muss, um die Innovation zu ermöglichen. Eine systematische Kombination dieser unterschiedlichen Dimensionen des Innovationsgrads führt zu unterschiedlichen Typen von Innovationen (Schlaak, 1999; Garcia & Calantone, 2002). Eine wirklich radikale Innovation muss in allen Dimensionen als hoch eingeschätzt werden, während eine inkrementelle Innovation in den meisten Dimensionen niedrige bis mittlere Werte hat. 1.2 Der Innovationserfolg „Innovationen sind kein Glücksspiel, sondern Investitionen“ (Hauschildt, 1991, S. 452). Auch wenn solche Investitionen mit hoher Unsicherheit behaftet sind, ist die Beurteilung ihrer Ergebnisse und ihres Erfolgs von höchstem Interesse für die Forschung wie für die betriebliche Praxis. Deshalb beschäftigt sich die Forschung zum Innovationsmanagement seit längerem mit der Definition und Messung des Erfolgs von Neuproduktentwicklungen (Griffin & Page, 1993; Hart, 1993; Kerssens-van Drongelen et al., 2000). Allerdings hat sich bis heute kein einheitlicher Messansatz durchgesetzt (Huang et al., 2004). Die einzelnen Ansätze lassen sich unterscheiden nach dem Messbereich, dem Messzeitpunkt, der Art der Datenerhebung und den verwendeten Messdimensionen (Hauschildt, 1991). Der Messbereich bestimmt das Analyseobjekt und damit die Beurteilungsebene. Im vorliegenden Fall ist der Messbereich das einzelne Innovations- oder Produktentwicklungsprojekt und nicht etwa das gesamte Innovationsportfolio
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eines Unternehmens. Der Zeitpunkt der Erfolgsmessung ist ebenfalls entscheidend, da die Bedeutung des Begriffs Erfolg in Abhängigkeit der Entwicklungsphase einer Innovation stark variieren kann (Kerssens-van Drongelen & Bilderbeek, 1999). Beispielsweise lassen sich zum Zeitpunkt der Markteinführung eines neuen Produktes durchaus zuverlässige Aussagen über dessen technischen Erfolg machen, über dessen wirtschaftlichen Erfolg hingegen noch nicht. Ebenfalls kann zwischen subjektiven und objektiven Methoden der Datenerhebung unterschieden werden. Während objektive Maße auf tatsächlichen Werten von Ergebnisgrößen (z. B. Umsatz in Euro) basieren, erfassen subjektive Maße das wahrgenommene Ausmaß der Zielerreichung bezüglich eines Erfolgskriteriums (z. B. Beurteilung der Erreichung von Umsatzzielen auf einer Skala von 1-7). Relevant für die vorliegende Analyse ist jedoch vor allem die Unterscheidung der verschiedenen Messdimensionen des Innovationserfolgs. Hauschildt (1991) unterscheidet zwischen technischen, ökonomischen und sonstigen Effekten. Die technischen und ökonomischen Effekte lassen sich wiederum in direkte und indirekte Effekte aufteilen. Griffin und Page (1993; 1996) identifizieren 16 Kernerfolgsmaße, die sie zu einer Produkt-, einer Kunden- und einer Finanzdimensionen zusammenfassen. Das so entwickelte Messkonzept wurde bereits in verschiedenen Studien validiert und auf Kontingenzen untersucht (Hultink & Robben, 1995; Story et al., 2001; Huang et al., 2004). Cooper und Kleinschmidt (1995b) verwenden lediglich die zwei Erfolgsdimensionen „Finanzieller Erfolg“ und „Zeiterfolg“. Shenhar et al. (2001) leiten dagegen vier Dimensionen des Projekterfolgs ab, die sie an einer Stichprobe aus Neuproduktentwicklungsprojekten testen. Neben „Projekteffizienz“, „Einfluss auf den Kunden“ und „Geschäftserfolg“ erfasst die vierte Dimension „Zukunftsorientierung“ auch eher indirekte und latente Effekte. Im Kontext von neuartigen Dienstleistungen schlagen Storey und Easingwood (1999) neben einer Finanz- und Umsatzdimension auch eine Opportunitätsdimension vor, die ebenfalls auch indirekte Effekte berücksichtigt. Alle erwähnten Messansätze berücksichtigen wirtschaftliche Maße für den Innovationserfolg, die sich noch weiter in eine Finanz- und eine Markterfolgsdimension unterscheiden lassen. Während der Markterfolg den Einfluss des Produktes auf die Umsatzentwicklung oder den Marktanteil misst, berücksichtigt die finanzielle Dimension die Rentabilität, den Kapitalwert oder Deckungsbeiträge. Eine weitere Dimension ist die Projekteffizienz, mit der die Zeit- und Kosteneinhaltung eines Innovationsprojektes erfasst wird. Ein technischer Erfolg ist dagegen erreicht, wenn ein funktionierender Prototyp erstellt wurde und das Produkt die technischen Spezifikationen und Qualitätsvorgaben erfüllt. Um alle Erfolgswirkungen eines Innovationsprojektes vollständig zu erfassen, bedarf es allerdings noch weiterer Kriterien (Lipovetsky et al., 1997; Storey & Easingwood,
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Hans Georg Gemünden und Alexander Kock
1999). Weitere Effekte könnten der Nutzen für andere Produkte des Unternehmens sein, eine Steigerung der Unternehmensreputation oder die Befähigung, Nachfolgeprodukte zu generieren (Cooper & Kleinschmidt, 1987b). Diese indirekten Effekte werden in diesem Beitrag zu der Dimension sonstiger Erfolg zusammengefasst. Wie in Abbildung 1 dargestellt lassen sich insgesamt fünf Dimensionen des Innovationsgrads und fünf Dimensionen des Innovationserfolgs ableiten. Innovationsgrad
Innovationserfolg
Markt-Dimension
Wirtschaftlicher Erfolg
Marktneuartigkeit
Markterfolg
Kundennutzen
Finanzieller Erfolg
Technologie-Dimension
Projekteffizienz
O rganisations-Dimension
Technischer Erfolg
Umfeld-Dimension
Sonstiger Erfolg
Abbildung 1: Dimensionen des Innovationsgrads und Innovationserfolgs
1.3 Der Einfluss des Innovationsgrads auf den Innovationserfolg Konzeptionell lassen sich sowohl Argumente für einen positiven als auch einen negativen Zusammenhang zwischen Innovationsgrad und Innovationserfolg finden. Auf der einen Seite haben radikale Innovationen das Potenzial enormer finanzieller Erträge, welche die finanziellen Ergebnisse inkrementeller Innovationen um Größenordnungen übertreffen (Sorescu et al., 2003). Durch sie können sich Unternehmen von ihren Wettbewerbern differenzieren (Lynn et al., 1996) und zumindest temporär eine Monopolstellung einnehmen (Kleinschmidt & Cooper, 1991). Auch aus Kundensicht könnten hoch innovative Produkte als attraktiver empfunden werden, da sie oft mit einem höheren relativen Vorteil verbunden sind (Schmidt & Calantone, 1998; Veryzer, 1998), was wiederum die Innovationscharakteristik mit dem stärksten Einfluss auf die Adoption neuer Produkte ist (Rogers, 2003).
Erfolg substantieller Innovationen
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Auf der anderen Seite steigen mit einem hohen Innovationsgrad auch Risiko und Komplexität (Hauschildt & Salomo, 2005). Komplexität entsteht in radikalen Innovationsprojekten aufgrund von Markt-, Technologie- und Ressourcenunsicherheiten (Leifer et al., 2000), die oft interdependent sind (Lynn et al., 1996). Struktur und Abgrenzung des Problems sind häufig unklar, einzelne Problemkomponenten unvorhersehbar und heftige Konflikte oft unvermeidbar (Hauschildt & Salomo, 2007). Um dieser Komplexität Herr zu werden, müssen Ressourcen bereitgestellt werden, was die Entwicklung radikaler Innovationen sehr teuer (Lynn et al., 1996) und langwierig macht (Griffin, 1997a). Dies verringert die Projekteffizienz. Gleichzeitig steigt das Risiko von technischem, marktbezogenem oder finanziellem Versagen, was die Projekteffektivität verringert (Hauschildt & Salomo, 2005). Außerdem weisen radikale Innovationen für Kunden ein höheres Adoptionsrisiko auf, wenn sie von bekannten kognitiven Schemata abweichen, was letztendlich die Kundenakzeptanz verringert (Binsack, 2003). Einige Autoren verbinden beide Argumentationslinien und schlagen nichtlineare Beziehungen vor. Kleinschmidt und Cooper (1991) argumentieren für eine u-förmige Beziehung, da hoch innovative Produkte Möglichkeit zur Differenzierung von Wettbewerbern bieten, während wenig innovative Produkte ebenfalls erfolgreich sind, da sie nahe am vertrauten Geschäft bleiben. Nur Produkte mit einem mittleren Innovationsgrad sind weder Fisch noch Fleisch: nicht neuartig genug, um einen wahren Produktvorteil zu bieten, aber dem bestehenden Geschäftsmodell nicht ähnlich genug, um von Synergien und Erfahrung zu profitieren. Dem entgegengesetzt entwickelt Kotzbauer (1992) die Theorie der optimalen Innovationshöhe aus Kundenperspektive. Er schlägt vor, dass der erwartete Nutzen mit steigendem Innovationsgrad linear ansteigt, während die Risikokosten der Adoption überproportional steigen. Dies resultiert bei einer Abwägung von Kosten und Nutzen in einer umgekehrt u-förmigen Beziehung und damit einem optimalen Grad an Neuartigkeit. Empirische Hinweise auf einen umgekehrt u-förmigen Verlauf werden auch in anderen Studien gefunden (Avlonitis et al., 2001; Alam, 2003). Allerdings könnten nichtlineare Effekte auch durch die Interaktion von unterschiedlichen Dimensionen des Innovationsgrads erklärt werden, die möglicherweise unterschiedliche Einflüsse auf den Erfolg haben (Calantone et al., 2006). Ebenso könnten sich unterschiedliche Effekte für verschiedene Erfolgsdimensionen ergeben. Zum Beispiel ist es denkbar, dass ein erhöhter technologischer Innovationsgrad die Projekteffizienz verringert, während er den Markterfolg steigert. Meist werden jedoch nicht-lineare Zusammenhänge lediglich postuliert, um widersprüchliche Befunde unterschiedlicher Studien zu erklären oder divergierende Einzelbefunde zu versöhnen. Für ein umfassendes Verständnis vom Erfolgseinfluss des Innovationsgrads ist es aber notwendig, den Gesamtef-
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Hans Georg Gemünden und Alexander Kock
fekt in Partialeffekte aufzuteilen und diese dann empirisch zu überprüfen. Die vorliegende Analyse zum Zusammenhang zwischen den einzelnen Dimensionen des Innovationsgrads und den Dimensionen des Innovationserfolgs zielt darauf ab, diese Beweise zu erbringen und die Plausibilität dieser Überlegungen zu untermauern. 2
Quantitative Analyse bisheriger Forschungsbefunde
2.1 Auswahl der Studien und Kodierung In Frage kommende Primärstudien mussten die folgenden Kriterien erfüllen, um in die Meta-Analyse aufgenommen zu werden. Es musste sich um eine veröffentlichte quantitative Studie handeln, die mindestens einen Zusammenhang zwischen einer Innovationsgradsgröße und einem Erfolgsmaß untersuchte. Dabei war es unerheblich, ob dieser Zusammenhang den thematischen Fokus der betreffenden Studie bildete. Unveröffentlichte Arbeitspapiere, qualitative Studien oder Untersuchungen mit einem Stichprobenumfang kleiner 30 wurden nicht berücksichtigt. Außerdem musste die Analyse auf Projektebene angesiedelt sein, das heißt der Untersuchungsgegenstand musste ein neues Produkt oder ein Innovationsprojekt sein. Nicht eingeschlossen wurden demnach Studien, die den Einfluss der Innovativität von Produktportfolios oder ganzer Geschäftseinheiten auf den Unternehmenserfolg thematisieren. Dieser Zusammenhang wurde bereits durch die Meta-Analyse von Bausch und Rosenbusch (2006) zusammengefasst, die auf Unternehmensebene einen positiven Einfluss der Innovativität auf den Geschäftserfolg bestätigt. Zur Identifikation relevanter Studien wurden verschiedene Suchstrategien eingesetzt. Zum einen wurden elektronische Zeitschriftendatenbanken mit Hilfe geeigneter Schlüsselworte für den Innovationsgrad (z. B. „innovativeness“, „novelty“, „radicalness“) und für den Innovationserfolg (z. B. „product success“, „innovation success“, „innovation effectiveness“) systematisch durchsucht. Außerdem wurden die Literaturverzeichnisse von Überblicksartikeln zum Innovationsgrad (Danneels & Kleinschmidt, 2001; Garcia & Calantone, 2002) sowie von Meta-Analysen zu Erfolgsfaktoren von Neuproduktentwicklungen (MontoyaWeiss & Calantone, 1994; Henard & Szymanski, 2001; Pattikawa et al., 2006) überprüft. Ebenso wurden die Inhaltsverzeichnisse von Zeitschriften, in denen eine Veröffentlichung empirischer Studien über Neuproduktentwicklung wahrscheinlich ist, nochmals von Hand überprüft. Schließlich wurden den Autoren bekannte Dissertationen und Manuskripte in die Analyse aufgenommen. Auf diese Weise konnten über 60 empirische Studien identifiziert werden, von denen allerdings nicht alle in die Meta-Analyse aufgenommen werden konnten. Obwohl es prinzipiell möglich ist, verschiedene Arten von Effektgrößen in
Erfolg substantieller Innovationen
209
eine einheitliche Effektgröße zu transformieren, wurden aus Gründen der Homogenität ausschließlich Korrelationskoeffizienten verwendet. Bei diesen spielt es keine Rolle, ob die betreffenden Variablen unabhängige, abhängige oder moderierende Größen sind, da Korrelationskoeffizienten keine bestimmte Wirkungsrichtung annehmen. Nicht in allen Studien wurden explizite Angaben zu Korrelationskoeffizienten gegeben. In diesen Fällen wurden die Autoren kontaktiert, um die betreffenden Informationen nachträglich zu erhalten. Außerdem basieren einige Studien auf denselben Stichproben, so dass diese nicht in derselben Analyse verwendet werden können. Letztendlich konnten 163 Korrelationskoeffizienten aus 40 unabhängigen Stichproben mit einer Gesamtstichprobe von 8046 Neuproduktentwicklungsprojekten verwendet werden. Tabelle 1 zeigt die verwerteten Studien einschließlich Informationen zur verwendeten Stichprobe. Außerdem ist angegeben, ob die Studie auf Informationen von einem einzigen Informanten basiert, und ob es sich um eine Querschnittsstudie handelt. Die identifizierten Studien wurden kodiert und alle relevanten Informationen wurden extrahiert. Diese beinhalteten die Stichprobengröße, die Namen und die definierenden Items aller relevanten Konstrukte sowie die Korrelationskoeffizienten. Wenn bei nicht signifikanten Zusammenhängen kein genauer Wert angegeben war, wurde als konservative Schätzung eine Null angenommen. Zudem wurden für alle Konstrukte die Reliabilitätskoeffizienten in Form des Cronbachs Alpha erhoben. Anschließend wurden mögliche Moderatorvariablen wie Branche, Land und Studiendesign (Querschnittstudie vs. Längsschnittstudie; Single-Informant vs. Multi-Informant beziehungsweise objektive Daten) identifiziert. Basierend auf den aus der Literatur ermittelten Dimensionen für die untersuchten Konstrukte wurden die Korrelationskoeffizienten so aufgeteilt, dass für die Beziehung zwischen jeder Dimension des Innovationsgrades und jeder Dimension des Erfolges eine eigene Meta-Analyse durchgeführt werden kann. Die Zuordnung wurde unabhängig von drei Personen anhand der konkreten Operationalisierung der einzelnen Konstrukte durchgeführt und nicht anhand ihrer Bezeichnung. Die wenigen Fälle, in denen es zu uneinheitlichen Bewertungen kam, wurden diskutiert und ausgeschlossen, falls es zu keiner Einigung kam. Durch diese Gruppenbildung musste das verwendete Kategoriensystem von Innovationsgrad und Innovationserfolg leicht modifiziert werden. Da nur zwei Studien die Umfelddimension des Innovationsgrads berücksichtigten, wurde diese Dimension aus der Analyse entfernt.
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Tabelle 1: Verwendete Studien Studie
Branche
Land
Hoch-Technologie
Australien
Branchenübergreifend
Calantone et al. (2006) Carbonell et al. (2004)
Atuahene-Gima & Evangelista (2000) Brockman & Morgan (2003)
Stichprobe
QuerEinzelner schnittsInformant Studie
93, 94
X
X
USA
323
X
X
Chemie und Pharma
Nordamerika
451
X
X
Branchenübergreifend
Spanien
77
X
X
Branchenübergreifend
Spanien
178
X
X
Finanzdienstleistungen
Nordamerika
106
X
X
Branchenübergreifend
Nordamerika
203
X
X
Chemie und Pharma
Nordamerika, Europa
103
X
X
Branchenübergreifend
Europa
30
Industriegüter
Kanada
262
X
X
Finanzdienstleistungen
Nordamerika
276
X
X
Branchenübergreifend
USA
348
X
X
Branchenübergreifend
USA
393
X
X
Griffin (1997a)
Branchenübergreifend
USA
343
Im & Workman (2004)
Hoch-Technologie
USA
312
Kotzbauer (1992)
Branchenübergreifend
Deutschland
120
Krieger (2005)
Branchenübergreifend
Deutschland
104
Kusunoki (1998)
Branchenübergreifend
Japan
Langerak (2004)
Branchenübergreifend
Larson & Gobeli (1989)
Carbonell & Rodriguez (2006) Cooper & de Brentani (1991)* Cooper & Kleinschmidt (1987a) Cooper & Kleinschmidt (1995a) Chryssochoidis & Wong (2000) Danneels & Kleinschmidt (2001) de Brentani (1989)* Ettlie & Rubenstein (1987) Gatignon & Xuereb (1997)
X
X X
X X
200, 289
X
X
Niederlande
126
X
X
Branchenübergreifend
Nordamerika
547
X
X
Li & Calantone (1998)
Software
USA
236
X
X
Li & Atuahene-Gima (1999)
Hoch-Technologie
China
128
X
X
Erfolg substantieller Innovationen
211
Fortsetzung von Tabelle 1: Verwendete Studien QuerEinzelner schnittsInformant Studie
Studie
Branche
Land
Stichprobe
Mishra (1996)
Branchenübergreifend
Korea
144
X
X
Moorman (1995)
Werbung
USA
92
X
X
Papies (2006)
Branchenübergreifend
Deutschland
32
Parry & Song (1994)
Branchenübergreifend
China
258
X
X
Salomo & Cratzius (2005)
Maschinenbau, Elektronik
Deutschland
116
X
X
Schlaak (1999)
Branchenübergreifend
Deutschland
117
X
X
Sherman et al. (2005)
Branchenübergreifend
USA
466
Simon et al. (2003)
Hoch-Technologie
USA
55
X
Sivadas & Dwyer (2000)
Halbleiter, Gesundheitswesen
USA
118, 62, 52
X
Song & Montoya-Weiss (2001)**
Branchenübergreifend
Japan
553
X
Song & Parry (1996)**
Branchenübergreifend
Japan
788
X
X
Storey & Easingwood (1993)
Finanzdienstleistungen
Großbritannien
78
X
X
Swink (2000)
Branchenübergreifend
USA
136
X
X
Tatikonda & Rosenthal (2000)
Branchenübergreifend
USA
120
X
X
Veldhuizen (2006)
Hoch-Technologie
Niederlande
166
X
X
Weise (2007)
Branchenübergreifend
Deutschland
134
Zirger (1997)
Hoch-Technologie
USA
162
X
X
X X
X
*,** Studien mit identischer Datenbasis.
Viele der Studien verwendeten entweder globale Innovationsgradmaße oder vermischten mehrere Dimensionen in einem Konstrukt. Da eine eindeutige Zuordnung in so einem Fall nicht möglich ist, wurden diese Beziehungen in eine künstliche Dimension „Innovationsgrad – Pauschalurteil“ eingeordnet. Analog verhält es sich mit der Erfolgsbeurteilung, so dass zu den einzelnen Erfolgsdimensionen eine Dimension „Innovationserfolg – Pauschalurteil“ eingeführt wurde. Ähnlich verwendeten einige Studien kombinierte Umsatz- und Renditemaße,
212
Hans Georg Gemünden und Alexander Kock
so dass zusätzlich zu den einzelnen Dimensionen „Markterfolg“ und „Finanzieller Erfolg“ eine diese Größen kombinierende Dimension „Wirtschaftlicher Erfolg“ verwendet wurde. In Abhängigkeit der Konzeption einiger Konstrukte musste bei einigen Korrelationen das Vorzeichen angepasst werden. Zum Beispiel wurde die Variable „Market Familiarity“ (Danneels & Kleinschmidt, 2001) mit umgekehrten Vorzeichen in die Markt-Dimension des Innovationsgrads eingebracht, um die Unvertrautheit mit der Marktumgebung auszudrücken. 2.2 Methodik der Meta-Analyse Grundsätzlich ist es das Ziel einer Meta-Analyse, die Beziehung zwischen zwei Variablen durch die Akkumulation der Befunde früherer empirischer Studien zu quantifizieren. Der Vorteil liegt unter anderem in der Möglichkeit, den Stichprobenfehler zu reduzieren und Moderationseffekte zu identifizieren. Im Gegensatz zu narrativen Literaturüberblicken oder einfachem Auszählen statistisch signifikanter Ergebnisse ermöglicht die Meta-Analyse eine Korrektur bezüglich des Stichproben- und Messfehlers und verringert das Risiko, einen Fehler zweiter Art zu begehen. Die vorliegende Analyse bezieht sich auf das von Hunter und Schmidt (2004) vorgeschlagene meta-analytische Vorgehen. Die einzelnen Effektgrößen werden mit der Stichprobe gewichtet, bevor sie zu einem durchschnittlichen Effektmaß zusammengefasst werden, um den höheren Stichprobenfehler kleinerer Stichproben zu berücksichtigen. Da unter den einbezogenen Studien keine extrem großen Stichproben vorhanden sind, ist von einer möglichen Verzerrung durch dieses Verfahren nicht auszugehen. Viele der Studien verwenden mehrere Variablen für den Innovationsgrad oder den Innovationserfolg. Dies ist unproblematisch, wenn diese zu unterschiedlichen Dimensionen gehören. Falls allerdings eine Studie mehrere Beziehungen zwischen Variablen derselben Dimensionen beinhaltet, dürfen diese nicht mehrfach in die Analyse einbezogen werden, um die Unabhängigkeitsannahme nicht zu verletzen. Deshalb wird der Durchschnitt dieser Koeffizienten ermittelt, bevor diese in die Analyse einfließen. Auch wenn diese Vorgehensweise übliche Praxis ist, gibt es ihr gegenüber begründete Kritik (Cheung & Chan, 2004). Allerdings ist der Mittelwert eine Unterschätzung des Ergebniswertes alternativer und komplexerer Rechenverfahren und kann deshalb als eine konservative Schätzung verstanden werden (Hunter & Schmidt, 2004). In einem zweiten Schritt werden die Korrelationen individuell bezüglich des Messfehlers der abhängigen und unabhängigen Variable mit Hilfe der Reliabilitätskoeffizienten korrigiert. Für die wenigen Studien, in denen keine Informationen über Reliabilitäten zur Verfügung stehen, werden die fehlenden Werte durch die Mittelwerte der verfügbaren Koeffizienten ersetzt. Die so korrigierten Ef-
Erfolg substantieller Innovationen
213
fektmaße werden dann zu einem mittleren Effektmaß zusammengefasst. Anschließend werden die Gesamtvarianz der Korrelationen und der entsprechende Standardfehler berechnet. Mit letzterem ist es möglich ein Konfidenzintervall aufzustellen, das die Güte der Punktschätzung der gemittelten Effektgröße angibt. Im letzten Schritt werden die Effektmaße auf Homogenität geprüft. Im Falle der Homogenität kann angenommen werden, dass die geschätzte mittlere Korrelation den tatsächlichen Effekt in der Grundgesamtheit widerspiegelt. Im Falle der Heterogenität liegt die Vermutung nahe, dass entweder Moderatorvariablen existieren, die die Unterschiede zwischen Studien erklären, oder dass Studienartefakte vorliegen, die noch nicht berücksichtigt wurden. Der Homogenitätstest basiert auf der Annahme, dass die beobachtete Varianz die Summe aus der wahren Varianz der Grundgesamtheit und der aus dem Stichprobenfehler resultierenden Varianz ist. Die Varianz der Grundgesamtheit kann also geschätzt werden, indem die Varianz aufgrund des Stichprobenfehlers von der Gesamtvarianz abgezogen wird. Da es sich bei allen Werten lediglich um Schätzungen handelt, kann es durchaus vorkommen, dass diese Differenz negativ wird. Dann ist anzunehmen, dass in der Grundgesamtheit keine Varianz vorliegt. Nach Hunter und Schmidt (2004) kann von Homogenität ausgegangen werden, wenn diese Restvarianz weniger als 25 % der Gesamtvarianz ausmacht. Eine weitere Möglichkeit zur Prüfung der Homogenität ist das Erstellen eines sogenannten Glaubwürdigkeitsintervalls mithilfe der errechneten Varianz der Grundgesamtheit. Ein kleines Glaubwürdigkeitsintervall, das nicht den Wert Null enthält, ist ebenfalls ein Indikator für Homogenität (Whitener, 1990). 2.3 Ergebnisse Die Ergebnisse aller Meta-Analysen für die Kombinationen der einzelnen Dimensionen des Innovationsgrads und des Innovationserfolgs sind in Tabelle 2 dargestellt. Für jede Analyse enthält sie die Anzahl der unabhängigen Stichproben, die gesamte Stichprobengröße, den stichprobengewichteten durchschnittlichen Effekt sowie den korrigierten durchschnittlichen Effekt. Für letzteren ist ein 99 %-Konfidenzintervall und ein 90 %-Glaubwürdigkeitsintervall angegeben, gefolgt von der Varianzzerlegung und dem Anteil der Varianz der Grundgesamtheit an der Gesamtvarianz. Die mittlere Korrelation zwischen allen Innovationsgradmaßen und allen Erfolgsmaßen ist schwach positiv (0,156), aber signifikant (p < 0,01). Allerdings sind das Glaubwürdigkeitsintervall und die Restvarianz sehr groß, was nahe legt, dass die Ergebnisse nicht homogen sind. Heterogene Ergebnisse verlangen nach einer Analyse moderierender Effekte. In diesem Fall sollen zunächst die unterschiedlichen Konzeptionalisierungen der Konstrukte Innovationsgrad und Innovationserfolg als Moderatoren untersucht werden.
214
Hans Georg Gemünden und Alexander Kock
Tabelle 2: Ergebnisse k
N
Ø Gesamteinfluss 41 8.162
r
rc
KI
GI
s²
s e²
sr²
sr²/s²
0,148
0,162*
[0,07; 0,25]
[-0,18; 0,50] 0,050 0,006 0,043 87 %
Innovationsgrad (Pauschalurteil) Gesamterfolg
19 3.489
0,233
0,266*
[0,17; 0,37]
[0,02; 0,51]
0,029 0,006 0,022 78 %
Wirtschaftl. Erfolg
7
1.695
0,285
0,301*
[0,13; 0,47]
[0,04; 0,56]
0,030 0,004 0,026 86 %
Markterfolg
2
415
0,172
0,189*
[0,09; 0,28]
[0,19; 0,19]
0,003 0,005 0,000
0%
Finanzieller Erfolg
4
1.189
0,215
0,227*
[0,15; 0,30]
[0,20; 0,25]
0,004 0,003 0,000
5%
Projekteffizienz
6
892
0,218
0,248*
[0,04; 0,46]
[-0,05; 0,54] 0,040 0,008 0,032 79 %
Techn. Erfolg
1
103
0,000
-
-
-
Sonstiger Erf.
2
379
0,277
0,291*
[0,18; 0,40]
[0,29; 0,29]
-
-
-
0,004 0,005 0,000
0%
Marktneuartigkeit Gesamterfolg
12 2.047
0,171
0,223*
[0,01; 0,43]
[-0,22; 0,66] 0,080 0,009 0,071 89 %
Wirtschaftl. Erfolg
6
976
0,067
0,085
[-0,01; 0,18]
[0,09; 0,09]
0,008 0,010 0,000
0%
Markterfolg
4
536
0,085
0,113
[-0,03; 0,26]
[0,09; 0,14]
0,013 0,013 0,000
2%
Finanzieller Erfolg
2
254
-0,013 -0,018* [-0,02;-0,01] [-0,02;-0,02] 0,000 0,015 0,000
0%
Projekteffizienz
5
699
-0,016
-0,024
[-0,13; 0,09] [-0,02;-0,02] 0,009 0,012 0,000
0%
Techn. Erfolg
3
354
-0,075
-0,106
[-0,27; 0,06] [-0,11;-0,11] 0,013 0,017 0,000
0%
Sonstiger Erfolg
1
120
0,250
0,393
-
-
-
-
-
-
Kundennutzen Gesamterfolg
12 2.801
0,498
0,586*
[0,46; 0,68]
[0,41; 0,76]
0,015 0,003 0,012 78 %
Wirtschaftl. Erfolg
7
1.774
0,520
0,590*
[0,53; 0,66]
[0,53; 0,65]
0,004 0,003 0,001 34 %
Markterfolg
5
1.380
0,540
0,603*
[0,49; 0,72]
[0,46; 0,75]
0,010 0,002 0,008 77 %
Finanzieller Erfolg
5
1.430
0,535
0,595*
[0,55; 0,64]
[0,60; 0,60]
0,001 0,002 0,000
Projekteffizienz
3
447
0,218
0,284*
[0,06; 0,50]
[0,11; 0,46]
0,022 0,011 0,011 51 %
Techn. Erfolg
1
103
0,086
-
-
-
Sonstiger Erfolg
4
1.287
0,546
0,629*
[0,41; 0,85]
[0,36; 0,90]
-
-
-
0%
-
0,028 0,002 0,026 93 %
Wenn die einzelnen Dimensionen des Innovationsgrads separat analysiert werden, unterscheiden sich die mittleren Effekte deutlich. Das Pauschalurteil zu Innovationsgrad und Marktneuartigkeit haben beide positive und signifikante
Erfolg substantieller Innovationen
215
Fortsetzung von Tabelle 2: Ergebnisse
k
N
r
rc
KI
GI
s²
s e²
sr²
sr²/s²
Technologie Gesamterfolg
12 2.343
0,046
0,046
[-0,07; 0,16] [-0,17; 0,27] 0,024 0,006 0,018 74 %
Wirtschaftl. Erfolg
3
532
0,004
0,000
[-0,22; 0,22] [-0,19; 0,19] 0,022 0,009 0,013 60 %
Markterfolg
1
134
0,005
0,007
Finanzieller Erfolg
2
270
0,066
0,105
[-0,24; 0,45] [-0,14; 0,35] 0,036 0,014 0,021 60 %
Projekteffizienz
8
1.533 -0,021
-0,023
[-0,09; 0,04] [-0,02;-0,02] 0,005 0,006 0,000
Techn. Erfolg
5
1.041
0,018
0,011
[-0,09; 0,11] [-0,06; 0,08] 0,008 0,006 0,002 21 %
Sonstiger Erfolg
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
0%
-
Organisation Gesamterfolg
18 3.918 -0,263 -0,292* [-0,40;-0,19] [-0,56;-0,03] 0,030 0,005 0,026 84 %
Wirtschaftl. Erfolg
10 2.673 -0,291 -0,322* [-0,39;-0,26] [-0,41;-0,24] 0,006 0,004 0,003 41 %
Markterfolg
5
1.344 -0,269 -0,300* [-0,43;-0,17] [-0,46;-0,14] 0,013 0,004 0,009 71 %
Finanzieller Erfolg
5
1.679 -0,310 -0,337* [-0,40;-0,27] [-0,38;-0,30] 0,003 0,003 0,001 16 %
Projekteffizienz
9
1.626 -0,113
Techn. Erfolg
5
Sonstiger Erfolg
3
577
-0,111
-0,123
[-0,26; 0,01] [-0,34; 0,09] 0,024 0,008 0,017 69 %
-0,133
[-0,34; 0,07] [-0,36; 0,09] 0,031 0,012 0,019 61 %
1.167 -0,311 -0,340* [-0,47;-0,21] [-0,46;-0,22] 0,008 0,002 0,005 67 %
p < 0.01, k = Anzahl unabhängiger Stichproben, N = Gesamtstichprobe, r = stichprobengewichteter durchschnittlicher Effekt, rc = korrigierter durchschnittlicher Effekt, KI = 99 %-Konfidenzintervall, GI = 90 %-Glaubwürdigkeitsintervall, s² = Gesamtvarianz, se² = Varianz durch Stichprobenfehler, sr² = Restvarianz, sr²/s² = Anteil an Gesamtvarianz.
Beziehungen zum Pauschalurteil des Innovationserfolgs (0,266 beziehungsweise 0,299). Die Dimension des zusätzlichen Kundennutzens zeigt einen starken und signifikanten Einfluss auf den Erfolg (0,586), während die technologische Dimension in keinem Zusammenhang zum Erfolg steht (0,046). Die organisationale Dimension hat einen signifikant negativen Einfluss auf den Innovationserfolg (-0,296). Die klaren Unterschiede zwischen diesen gemittelten Effektmaßen zeigen, dass die Konzeptionalisierung des Innovationsgrads als ein Moderator agiert. Allerdings sind die Ergebnisse noch immer nicht als homogen zu bezeichnen. Wenn auch die unterschiedlichen Dimensionen des Innovationserfolgs berücksichtigt werden, zeigt sich jedoch, dass viele der mittleren Effektmaße homogen sind.
216
Hans Georg Gemünden und Alexander Kock
Neben der Konzeptionalisierung der Konstrukte kommen andere potenzielle Moderatoren wie die Branche, das Land oder die methodische Qualität der Studien in Frage. Allerdings erweist sich die weitere Analyse von moderierenden Effekten als schwierig, da die Anzahl der unabhängigen Stichproben in den individuellen Analysen für eine weitere Unterteilung zu gering ist. Außerdem würde die Aussagekraft einer Moderatoranalyse durch mehrdeutige Werte der Moderatorvariablen oder durch deren mangelnde Varianz eingeschränkt. Beispielsweise untersuchen die meisten Studien branchenübergreifende Stichproben, so dass ein Vergleich zwischen einzelnen Branchen nicht möglich ist. Außerdem basieren fast alle Studien auf den Angaben eines einzelnen Schlüsselinformanten und sind Querschnittsuntersuchungen. Diese Indikatoren der Studienqualität weisen also nicht genügend Varianz auf, um sinnvoll als Moderatoren eingesetzt werden zu können. 3
Diskussion und Ausblick
Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass der Einfluss des Innovationsgrads auf den Erfolg neuer Produkte nicht so uneindeutig und widersprüchlich ist, wie man zunächst annehmen mag. Es scheint, dass es „die“ Beziehung nicht gibt, sondern vielmehr unterschiedliche Einflüsse der einzelnen Dimensionen des Innovationsgrads. Zwar gibt es einen schwach positiven Einfluss des Pauschalurteils auf den Gesamterfolg, was zu dem Schluss führt, dass im Durchschnitt innovativere Projekte erfolgreicher sind. Allerdings sind die Ergebnisse dieser Sammeldimension mit Vorsicht zu genießen, da gerade die methodisch weniger ausgefeilten und meist älteren Studien in dieser Dimension überrepräsentiert sind. Ein Blick auf die anderen Dimensionen ermöglicht jedoch ein präziseres Bild. Wenn der Innovationsgrad als Marktneuartigkeit gemessen wird, gibt es keinen direkten Einfluss auf die einzelnen Erfolgsdimensionen. Auch die technologische Neuartigkeit wirkt sich auf keine der Erfolgsmaße aus, überraschenderweise nicht einmal negativ auf die Projekteffizienz oder den technischen Erfolg. Das heißt, die Neuartigkeit des Marktes oder der Technologie allein hat im Durchschnitt keine positiven oder negativen Konsequenzen für den Erfolg eines Neuproduktentwicklungsprojektes. Wenn allerdings der Innovationsgrad durch die Einzigartigkeit des Produktes und den potenziellen Zuwachs im Kundennutzen gemessen wird, ist der Einfluss auf alle Erfolgsdimensionen stark positiv. Wird der Innovationsgrad hingegen als die Veränderungen in der innovierenden Organisation operationalisiert, so hat er einen klaren negativen Einfluss auf alle Erfolgsdimensionen. In Anbetracht dieser differenzierten Effekte lassen sich nun nichtlineare Beziehungen, wie sie Kleinschmidt und Cooper (1991) beobachten, als eine Kombination oder Überlappung von bestimmten Innovationsgraddimensionen erklären. Abhängig davon, ob und wann die positiven Effekte der Dimension
Erfolg substantieller Innovationen
217
Kundennutzen oder die negativen Effekte der Organisations-Dimension dominieren, ist die Gesamtbeziehung entweder u-förmig oder umgekehrt u-förmig. Diese Zusammenfassung bisheriger empirischer Forschung bedeutet für die betriebliche Praxis, dass Unternehmen in ihrer Produktentwicklung hohe Grade technologischer Neuartigkeit nicht um ihrer selbst willen verfolgen sollten, sondern nur, wenn diese zur Generierung zusätzlichen Kundennutzens beitragen. Andererseits sollten Unternehmen auch nicht vor technologischen Neuerungen zurückschrecken, da diese nicht per se mit geringerem Erfolg verbunden sind. Möglicherweise müssen die unterschiedlich gerichteten Auswirkungen der einzelnen Dimensionen des Innovationsgrads gegeneinander abgewogen werden, um einen optimalen Innovationsgrad zu erreichen. Allerdings ist es meist nicht möglich, einen angestrebten Innovationsgrad für jede Dimension einzeln festzulegen. Gerade wenn Projekte verfolgt werden, die auf einen bestimmten Grad an Markt- und Technologieinnovativität abzielen, können die notwendigen Veränderungen in der Organisation und dem Umfeld oft nur schwer vorausgesehen werden. Wie die Ergebnisse der Meta-Analyse zeigen, darf der Einfluss dieser internen Veränderungen bei der Auswahl möglicher Projekte nicht unterschätzt werden, da sie einen direkten negativen Einfluss auf den Erfolg haben. Die Bewertung von risikobehafteten Innovationsprojekten erfolgt normalerweise nur entlang der technologischen und marktbezogenen Dimensionen: Zum einen werden technologische Risiken berücksichtigt, wie zum Beispiel das Risiko, dass die Technologie nicht die gewünschte Leistungsfähigkeit erbringt, negative Nebeneffekte hat, noch zu teuer für eine Massenproduktion ist oder noch nicht zuverlässig genug ist. Berücksichtigt werden zum anderen die Probleme mit der Akzeptanz neuer Technologien, die erforderlichen Veränderungen in der Einstellung des Kunden sowie die Erfordernis, viele Partner im Wertschöpfungsnetzwerk vom neuen Design zu überzeugen. Allerdings scheinen die erforderlichen Veränderungen innerhalb der innovierenden Organisation, die sich in einer Änderung der Kultur, der Kompetenzen, den Prozessen und der Akzeptanz der Mitarbeiter ausdrücken kann, häufig nicht genügend beachtet. Barrieren des Wertewandels, der Infrastruktur und des Unternehmensumfelds bedeuten zusätzliche Aufwendungen, die nicht erkannt werden, wenn die Innovativität lediglich als zweidimensionales Problem aus technologischer und marktbezogener Neuartigkeit begriffen wird. Um angemessene Entscheidungen treffen zu können, müssen Manager die ganze Breite an Konsequenzen berücksichtigen und neben der Technologie- und Marktdimension auch die Organisations- und Umfelddimension des Innovationsgrads berücksichtigen. Radikale Innovationen können zu größeren strategischen Veränderungen führen – diese Änderungen sollten berücksichtigt werden.
218
Hans Georg Gemünden und Alexander Kock
Die Ergebnisse müssen allerdings mit Vorsicht interpretiert werden, da sie den Einschränkungen der in die Analyse einfließenden Primärstudien unterliegen. Wie in Tabelle 1 ersichtlich ist, leiden viele der Studien an methodischen Mängeln, welche an der Validität ihrer Ergebnisse zweifeln lassen (Hauschildt & Salomo, 2005). Fast alle Studien basieren auf der subjektiven Meinung eines einzigen Schlüsselinformanten, die in selbst ausgefüllten Fragebögen erfasst wird. Dies kann zu dem als Single Informant Bias bekannten systematischen Messfehler führen, der einen tiefgreifenden Einfluss auf die Ergebnisse haben kann (Ernst, 2001). Obwohl es erste Messansätze gibt, zum Beispiel den technischen Innovationsgrad objektiv greifbar zu machen (Dahlin & Behrens, 2005), hängt die Beurteilung der Innovativität eines Projektes maßgeblich von der individuellen Wahrnehmung ab (Hauschildt & Salomo, 2007). Deshalb ist die Verwendung von durch Schlüsselinformanten erhobenen subjektiven Daten fast unvermeidlich. Allerdings sollte in zukünftigen Studien der Versuch unternommen werden, diese informanten-spezifischen Verzerrungen zu kontrollieren, indem mehrere Personen aus vorzugsweise unterschiedlichen betrieblichen Bereichen befragt werden (Salomo, 2003). Ein weiterer problematischer Aspekt ist die Tatsache, dass fast jede der verwendeten Studien eine Querschnittsuntersuchung ist – das heißt, abhängige und unabhängige Variablen werden zum gleichen Zeitpunkt beurteilt – meist sogar von der selben Person. Dies kann entweder nahe dem Ende des Entwicklungsprojektes oder retrospektiv einige Zeit nach der Markteinführung sein. Unglücklicherweise sind beide Möglichkeiten nicht sehr attraktiv, wenn der Innovationsgrad und der Innovationserfolg beurteilt werden sollen. Im ersten Fall sind die Erfolgsmessungen reine Mutmaßungen, was aufgrund der hohen Unsicherheit von hoch innovativen Vorhaben besonders problematisch ist (Lynn et al., 1996). Im zweiten Fall ist die Beurteilung der unabhängigen Variable – besonders bei einer subjektiven und eher latenten Größe wie dem Innovationsgrad – anfällig für ex-post Rationalisierung und Hindsight-Bias (Fischhoff & Beyth, 1975; Golden, 1992). Davon abgesehen lassen Querschnittstudien streng genommen keine zuverlässigen kausalen Interpretationen zu (March & Sutton, 1997). Deshalb sollten Forscher dazu animiert werden, mehr dynamische oder longitudinale Studien durchzuführen, um den angestrebten Innovationsgrad zu Beginn und den Innovationserfolg lange nach Abschluss des Projektes zu messen, auch wenn dies ein zeitaufwändiges und schwieriges Unterfangen ist, insbesondere für hoch innovative Projekte, die sich durch extrem lange Laufzeiten auszeichnen (Leifer et al., 2000). Eine dritte Einschränkung der verwerteten Studien könnte in dem Vorgehen zur Stichprobenselektion liegen (Hauschildt & Salomo, 2005). Wirklich innovative Projekte sind eher selten (Griffin, 1997b), und Informationen über sie berüh-
Erfolg substantieller Innovationen
219
ren häufig kritische technologie- und marktbezogene Aspekte, die über die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens entscheiden könnten (McDermott & O'Connor, 2002). Informanten könnten diese Informationen als zu sensibel erachten und eher über moderat innovative Projekte berichten. Deshalb besteht der Verdacht, dass eine systematische Verzerrung zu Stichproben mit moderaten und inkrementellen Innovationen die Regel ist, was zu einer verringerten Varianz der unabhängigen Variable führt (Salomo, 2003). Forscher sollten daher ihre Stichprobenselektion sowie die Zusammensetzung der Stichprobe sorgfältig beschreiben. Sollte der Innovationsgrad ein zentrales Konstrukt einer Studie sein, muss zusätzliche Aufmerksamkeit darauf gelegt werden, auch hoch innovative Projekte in die Stichprobe einzuschließen. Ein elegantes Beispiel für einen Forschungsansatz, der viele der erwähnten Limitationen überwindet, ist die Untersuchung von Sorescu et al. (2003), in der die finanziellen Konsequenzen von radikalen Innovationen in der PharmaBranche mittels historischer Daten untersucht wird. Die Autoren verwenden ein quasi-objektives Maß für den Innovationsgrad, indem sie ein Klassifikationssystem der Food and Drug Administration zur Beurteilung der Neuartigkeit der Technologie und des Kundennutzens verwenden. Zur Erfolgsmessung wird der Kapitalwert einer Produktinnovation geschätzt, in dem die Veränderungen des Aktienkurses nach der betreffenden Produktankündigung erfasst werden. Sorescu et al. (2003) zeigen, dass eine Kombination aus hoher technologischer Neuartigkeit und hohem Nutzenpotenzial den höchsten Ertrag erbringt. Unglücklicherweise konnte diese Studie nicht in die Meta-Analyse aufgenommen werden, da sie keine Angaben zu Korrelationen enthält. Obwohl die geschickte Operationalisierung der Konstrukte nur in dem einzigartigen Kontext der PharmaBranche angewandt werden können, ist diese Untersuchung dennoch methodisch wegweisend. Abgesehen von den Limitationen der Primärstudien führt auch die gewählte Methode der Meta-Analyse zu einigen Einschränkungen. Zunächst basiert jede einzelne Analyse aufgrund der dimensionsspezifischen Auswertung auf einer eher geringen Anzahl unabhängiger Stichproben. Zweitens erfolgte die Aufteilung in die einzelnen Dimensionen durch subjektive Einschätzungen. Obwohl diese literaturgestützt und unabhängig von drei Personen durchgeführt wurde, könnte aus einer Wiederholung mit anderen Experten möglicherweise eine andere Segmentierung resultieren. Drittens konnten nicht alle potenziell relevanten Studien eingebracht werden, da zum einen nur veröffentlichte Studien verwendet wurden und zum anderen nicht alle die erforderlichen Informationen enthielten. Außerdem kann trotz systematischer und gründlicher Literaturrecherche nie garantiert werden, dass wirklich alle relevanten Studien erfasst wurden. Viertens ist es mit Hilfe der Meta-Analyse lediglich möglich, lineare Zusammenhänge zu
220
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erfassen, da das Verfahren auf Korrelationskoeffizienten basiert. Auch Interaktionen zwischen den einzelnen Dimensionen des Innovationsgrads konnten nicht analysiert werden, da die meisten Studien nur wenige Dimensionen berücksichtigen. Zukünftige Forschung könnte deshalb ergründen, ob und wie die einzelnen Aspekte des Innovationsgrads miteinander interagieren. Zum Beispiel ist es nicht klar, wie viel technologische Neuartigkeit oder organisationale Veränderung notwendig ist, um einen bestimmten Grad an zusätzlichem Kundennutzen zu erreichen. Schließlich ist auch zu beachten, dass die in bisherigen Studien verwendete Erfolgsmessung womöglich nicht alle Auswirkungen eines Neuproduktentwicklungsprojektes auf das Unternehmen erfasst. Die in den analysierten Studien verwendeten Erfolgskriterien hatten größtenteils eine kurzfristige Orientierung und waren direkter Natur. Allerdings wird von vielen Autoren betont, dass die Messung des Innovationserfolgs über die Grenzen des eigentlichen Projektes hinausgehen und auch mehr indirekte Effekte berücksichtigen sollte (Hauschildt, 1991; Lipovetsky et al., 1997; Storey & Easingwood, 1999; Shenhar et al., 2001). Bereits Maidique und Zirger (1985) zeigten, dass Neuproduktfehlschläge genauso nützlich für ein Unternehmen sein können wie erfolgreiche Produkte, und dass eine volle Beurteilung des Erfolges nur im Kontext der Folgeprodukte möglich ist. Denn die Ergebnisse eines Entwicklungsprojektes sind zweifacher Natur: Es wird nicht nur ein neues Produkt hervorgebracht, sondern auch neues Wissen, das in neue Kompetenzen zur Generierung weiterer Produkte konvertiert wird (Iansiti & Clark, 1994). In einer aktuelleren Studie zeigt Danneels (2002), dass die Produktentwicklung ein Mittel zum Generieren von Kundenkompetenz und technologischer Kompetenz sein kann. Entsprechend fordert er, dass Erfolgsmaße für neue Produkte durch Maße des organisationalen Lernens ergänzt werden müssen, insbesondere im Falle explorativer Projekte. In der vorhandenen Meta-Analyse werden diese indirekten Auswirkungen und Nebeneffekte durch die Dimension „Sonstige Effekte“ berücksichtigt. Allerdings verwenden zu wenige der Studien die entsprechenden Erfolgsmaße und die Dimension ist zu heterogen, um sinnvolle Schlussfolgerungen zu ziehen. Deshalb sollten in zukünftigen Studien neue Erfolgsdimensionen und -maße verwendet werden, die Langzeiteffekte für die innovierende Organisation berücksichtigen, um den Einfluss des Innovationsgrades auf die Ergebnisse der Neuproduktentwicklung und den Innovationserfolg vollständig zu verstehen.
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Das Lernkulturinventar (LKI) – Ermittlung von Lernkulturen in Wirtschaft und Verwaltung Karlheinz Sonntag und Ralf Stegmaier 1
Ausgangssituation
Seit geraumer Zeit befinden sich insbesondere die Industrieländer in einem dynamischen, sozioökonomischen und technologischen Strukturwandel mit hohen Anforderungen an das Innovations- und Lernpotential der Organisationen und ihrer Mitglieder. Es mehren sich die Zeichen, dass Veränderungen an Intensität, Dauer und Häufigkeit zunehmen. Davon betroffen sind nicht mehr nur die Beschäftigten in klassischen Wirtschaftsorganisationen, verstärkt sind es nun auch die Organisationsmitglieder im Non-Profit-Bereich, in Krankenhäusern, in Verwaltungen oder in Hochschulen. Von den Betroffenen wird eine hohe Anpassungs- und Veränderungsbereitschaft gefordert, die sich darin zeigt, dass Mitarbeiter und Führungskräfte organisationalen Veränderungen gegenüber offen sind, diese nicht von vornherein negativ bewerten, Veränderungen aktiv unterstützen und durch kontinuierliches Lernen ihr Wissen und ihre Fähigkeiten den neuen, teilweise anspruchsvollen Aufgaben und Anforderungen anpassen1. Die zentrale Frage hierbei ist: verfügen die Organisationen über eine Kultur, in der das Lernen und die Kompetenzentwicklung ihrer Mitglieder nicht nur gewollt, sondern auch gelebt wird; in der ein entsprechendes Management von Human Ressourcen auf einer normativen, strategischen und operativen Ebene auch aktiv und nachhaltig betrieben wird? Erst das Vorhandensein einer Lernkultur mit entsprechender Ausgestaltung stellt sicher, ob Lernprozesse überhaupt stattfinden (können) und in welcher Qualität Lernen im Unternehmen gefördert und umgesetzt werden kann. Lernkultur in Organisationen zu operationalisieren folgt damit einer diagnostischen und einer evaluativen Notwendigkeit. 2
Lernkultur und deren Beschreibung
In dem Begriff Lernkultur spiegeln sich der Umgang mit und die Pflege von lernrelevanten Aspekten einer Organisation wider. Deren Mitglieder und Akteure 1 Aus Gründen der Vereinfachung und Übersichtlichkeit wird im Folgenden zum Teil lediglich die maskuline Form von Personenbezeichnungen verwendet. Selbstverständlich beziehen sich sämtliche Ausführungen ebenso auf weibliche Personen.
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Karlheinz Sonntag und Ralf Stegmaier
– sei es in der Unternehmensleitung, als Führungskräfte oder Mitarbeiter – entwickeln, gestalten, beeinflussen und prägen Lernkultur auf vielfältige Art und Weise. Tracey, Tannenbaum & Kavanagh (1995) verstehen unter Lernkultur eine Arbeitsumgebung, in der Mitarbeiter Lernen als einen wichtigen Bestandteil des Arbeitsalltags begreifen und in der Erwerb und Austausch von Wissen gefördert werden. Im Zentrum der Betrachtung und Beschreibung von Lernkultur stehen demnach die Lernenden selbst und zum anderen die Lernumgebung, normative Setzungen und organisationale Rahmenbedingungen. Erst deren „lernförderliche“ Formulierung und Gestaltung ermöglicht Organisationsmitgliedern, Lernen als kontinuierlichen, aktiven, weitgehend selbstgesteuerten, situativen und sozialen Prozess zu betreiben. Damit verfügen sie über entsprechende Kompetenzen zur erfolgreichen Bewältigung von Veränderungen, neuen Aufgaben und Anforderungen. Lernkultur zielt somit letztlich auf Kompetenzentwicklung der Mitglieder einer Organisation und deren Anpassungs- und Innovationsfähigkeit. Ermittelt werden Merkmale einer Lernkultur mit organisationsdiagnostischen Verfahren (zu einem fundierten Überblick der Organisationsdiagnose vgl. Kleinmann & Wallmichrath, 2004 sowie Sonntag, Stegmaier & Schaper, 2006). Für die Identifikation lernrelevanter Arbeits- und Organisationsmerkmale sind als erprobte Verfahren und Instrumente beispielsweise zu nennen: Checkliste Lernkultur (Sonntag, 1996, 1999) Checkliste des lernenden Unternehmens (Pedler, Burgoyne & Bogedale, 1994) Learning Climate Questionnaire (LCQ, Batram, Forster, Lindler, Brown & Nixen, 1993) Creative Climate Questionnaire (CCQ; Ekvall, 1996) Skala zur Erfassung der kontinuierlichen Lernkultur (Tracey, Tannenbaum & Kavanagh, 1995) Fragebogen zum Lernen in der Arbeit (Wardanjan, Richter & Uhlmann, 2000) Fragebogen zum Innovationsklima (INNO; Kauffeld, Jonas, Grote, Frey & Frieling, 2004) Learning Transfer System Inventory (LTSI - deutsche Version -; Bates, Kauffeld & Holton, in press). Bei den aufgeführten Instrumenten handelt es sich um Checklisten und Fragebögen, die sich hinsichtlich Erhebungsziel und Operationalisierung unterscheiden. So fokussieren einige Instrumente lernrelevante Merkmale der Arbeitsaufgabe, während sich andere Verfahren mit Merkmalen auf der Ebene der Organisation beschäftigen. Einige der Instrumente erfassen nicht die Lernkultur selbst, sondern verwandte Konzepte, wie zum Beispiel das Lernklima oder transferförderliche Bedingungen der Organisation. Hinsichtlich der Operationalisierung unterscheiden sich die Verfahren zum Beispiel in der Auswahl und Anzahl der Di-
Das Lernkulturinventar
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mensionen sowie der psychometrischen Qualität der Verfahren. Eine ausführliche Beschreibung und kritische Würdigung der genannten Instrumente findet sich bei Sonntag und Stegmaier (2007). 3
Das Lernkulturinventar (LKI)
3.1 Zielsetzung und Struktur Das Lernkulturinventar (LKI; vgl. Sonntag, Schaper & Friebe, 2003) hat das Ziel, organisationale Merkmale von Lernkulturen in Unternehmen zu erfassen und damit Grundlagen für die Ableitung von Gestaltungsempfehlungen zur Optimierung nachhaltigen Lernens in Organisationen bereitzustellen2. Da das LKI sowohl zu wissenschaftlichen Forschungszwecken als auch zur konkreten Diagnose und Evaluation eingesetzt werden soll, hat es wissenschaftlichen und praktischen Ansprüchen zu genügen, das heißt, Lernkulturmerkmale sollen objektiv, reliabel und valide mit einem vertretbaren Aufwand erfasst werden können. Struktur und Inhalt des LKI gehen von einem breiten Verständnis von Lernkultur in Unternehmen aus. Definiert wird Lernkultur als Ausdruck des Stellenwertes, der dem Lernen im Unternehmen zukommt. Konkret handelt es sich um die Gesamtheit der Wertvorstellungen, Denkmuster, Handlungsweisen und Rahmenbedingungen einer Organisation und ihrer Mitglieder hinsichtlich der Förderung und Pflege von Lernen im Unternehmen. Analog eines Modells aus der strategischen Management-Forschung (vgl. Bleicher, 1996) findet Lernkultur auf einer normativen Ebene Ausdruck in lernbezogenen Werten, Normen und Einstellungen. Auf der strategischen Ebene manifestiert sich Lernkultur in Rahmenbedingungen und unterstützenden Maßnahmen, die Lernen längerfristig und nachhaltig unterstützen und fördern. Auf der operativen Ebene drückt sich Lernkultur in den vielfältigen Formen des individuellen, gruppenbezogenen und organisationalen Lernens aus (siehe Übersicht 1). Um Lernkultur in Organisationen umfassend diagnostizieren zu können, ist es wichtig, verschiedenen Perspektiven durch unterschiedliche Versionen des Inventars gerecht zu werden. Dabei kann zwischen der Sicht der gestaltenden Akteure, nämlich der Personalentwicklungsfachleute, Weiterbildungsexperten und Human Resources Manager (Expertenversion) und der Sicht der Mitarbeiter (Mitarbeiterversion) unterschieden werden.
2
Die Entwicklung des Verfahrens wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert. Projektträger war die Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung (ABWF).
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Karlheinz Sonntag und Ralf Stegmaier
Übersicht 1: Operationale Definition von Lernkultur im HR-Management (Ebenenmodell) Normative Ebene
lernbezogene Werte, Normen und Einstellungen
Strategische Ebene
organisationale Rahmenbedingungen und Support, die längerfristig und nachhaltig unterstützen und fördern
Operative Ebene
vielfältige Formen des individuellen, gruppenbezogenen und organisationalen Lernens
Das LKI besteht in der Experten- und Mitarbeiterversion jeweils aus insgesamt drei Abschnitten. Zunächst wird in einer Instruktion der Umgang mit dem Fragebogen erläutert sowie beispielhaft das Item- und Antwortformat vorgestellt. Der zweite Abschnitt erfasst soziodemographische und unternehmensspezifische Daten. Im dritten Abschnitt befindet sich der eigentliche Fragebogen. Die Items des Fragebogens sind thematisch und nach ähnlichem Inhalt sortiert. Nacheinander werden die Dimensionen mit ihren Subdimensionen bearbeitet und am Ende einer jeden Dimension die Gesamtitems aller Subdimensionen beantwortet. Drei Itemtypen werden unterschieden: Einzelitems: Diese Items sind als Feststellung formuliert und sollen Einstellungen und Meinungen zu lernförderlichen Bedingungen und Maßnahmen im Unternehmen erfassen. Checklistenitems: Diese fragen innerhalb eines Items nacheinander mehrere für die Itemthematik relevante Inhalte ab. Hier geht es zum Beispiel um die Frage, welche Maßnahmen zur Erfassung des Lernbedarfs Anwendung finden. Jede einzelne Maßnahme wird mit „vorhanden ja/nein“ bewertet. Diese Items haben eine Art Checklistencharakter, der es ermöglicht, den aktuellen (Ist-)Zustand dieser Maßnahmen zu bestimmen und zu erkennen, ob die Möglichkeiten, in diesem Fall der Lernbedarfserfassung, ausreichend ausgeschöpft sind. Gesamtitems: Jede Subdimension enthält zum Abschluss ein Item, mit dem in Form einer Gesamtabfrage erfasst wird, ob die in der Subdimension angesprochene unternehmensbezogene Bedingung oder Maßnahme lernunterstützend gestaltet ist. Dies dient dazu, die Lernförderlichkeit bestimmter Rahmenbedingungen und Maßnahmen im Unternehmen umfassender und direkter abzufragen. Die Einzelitems, die den Großteil der Items ausmachen sowie die Gesamtitems des LKI werden mittels einer Likert-Skala beantwortet. Sie enthält fünf Antwortkategorien von „trifft gar nicht zu“ über „trifft teilweise zu“ bis „trifft völlig zu“. Die Aufzählungsitems haben ein dichotomes Antwortformat mit den Kategorien „ja“ und „nein“.
Das Lernkulturinventar
231
3.2 Ableitung und Operationalisierung der Dimensionen Das LKI geht von einem breiten Verständnis von Lernkultur aus. Bei der Ableitung von Gestaltungsdimensionen wurde auf eine umfassende Forschungsbasis zurückgegriffen, wie beispielsweise auf theoretische und empirische Arbeiten zu Organisationskultur, Human Resources Management, Führung, arbeitsbezogenem Lernen sowie Wissensmanagement und organisationalem Lernen (vgl. ausführlich Sonntag, Schaper & Friebe, 2005). Nachfolgend werden Dimensionen und Subdimensionen des LKI (vgl. Tabelle 1) vorgestellt, diskutiert und durch Beispiele aus der Mitarbeiterversion veranschaulicht. (1) Lernen als Teil der Unternehmensphilosophie Ableitung: Eine lernorientierte Unternehmensphilosophie formuliert Leitlinien und Erwartungen an das Lernverhalten der Mitarbeiter. Konkrete Inhalte solcher Leitlinien betreffen Ziele für das Lernen on- und off-the-job, die Bedeutung individueller Verantwortung für Lernen und Kompetenzentwicklung, Art und Weise des von Mitarbeitern geforderten Lernverhaltens, Zugänglichkeit zu Wissen im Unternehmen oder die Bereitschaft des Unternehmens, aus individuellen Lernerfahrungen und auch aus Fehlern zu lernen (Schöni, 2001). Entscheidend ist, dass die Unternehmensphilosophie tatsächlich gelebt wird und nicht zur pädagogischen Leerformel verkommt. Dies gelingt nur durch professionelle Information der Mitarbeiter, Führungskräfte, die ihre Vorbild- und Multiplikatorenfunktion wahrnehmen sowie die Umsetzung normativer Vorgaben in strategische Prozesse, insbesondere im Bereich der Personalentwicklung (Schöni, 2001). Operationalisierung: Die Subdimensionen „Lernorientierte Leitlinien“ (z. B. „Die lernorientierten Leitlinien werden bei uns tatsächlich gelebt.“) und „Erwartungen an lernende Mitarbeiter“ (z. B. „Das Unternehmen stellt deutliche Erwartungen an uns Mitarbeiter in Bezug auf unser Lernen und unsere Kompetenzentwicklung.“) dienen der Erfassung der lernorientierten Unternehmensphilosophie im LKI. (2) Rahmenbedingungen für Lernen im Unternehmen Ableitung: Organisationsstrukturen, Entgeltgestaltung und Regelungen der Arbeitszeit sind wichtige Rahmenbedingungen, die Lernen im Unternehmen fördern oder beeinträchtigen können. Nachfolgend werden lernrelevante Gestaltungsaspekte dieser Bedingungen diskutiert. Lernförderliche Organisationsstrukturen zeichnen sich durch flache Hierarchien mit modularisierten, eigenverantwortlich agierenden Organisationseinheiten, ausgeprägte Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitarbeiter, funktionierende
232
Karlheinz Sonntag und Ralf Stegmaier
Informationsstrukturen, eine gute Vernetzung mit internen und externen Kooperationspartnern sowie einen geringen Grad von Zentralisierung aus (Baitsch, 1998; Shipton, Dawson, West & Patterson, 2002; Sonntag & Stegmaier, 2007). Tabelle 1: Dimensionen und Konsistenzen der Mitarbeiter- und Expertenversion des Lern-Kultur-Inventars (LKI) Dimensionen / Subdimensionen I
II
III
Lernen als Teil der Unternehmensphilosophie
Itemzahl (Konsistenz) MV 10 (.82)
Itemzahl (Konsistenz) EV 15 (.92)
Lernorientierte Leitlinien
5 (.88)
9 (.94)
Erwartungen an lernende Mitarbeiter
5 (.68)
6 (.70) 19 (.75)
Rahmenbedingungen für Lernen im Unternehmen
15 (.58)
Organisationsstrukturen
3 (NB)
6 (.57)
Entgelt- und Anreizsysteme
4 (.65)
4 (.63)
Arbeitszeitregelungen
4 (.62)
5 (.64)
Lernen in Veränderungsprozessen
4 (.71)
4 (.80)
Aspekte der Personalentwicklung
16 (.85)
27 (.87)
Reichweite und Nutzung von PE-Maßnahmen
5 (.74)
8 (.72)
Unterstützung durch PE
2 (NB)
NZ
Erfassung des Lernbedarfs
6 (.50)
NZ
Überprüfung der Qualität von PE
3 (NB)
8 (.79)
NZ
5 (.74)
Stellenwert der PE
NZ
6 (.82)
IV
Strategische Ausrichtung Formalisierung der Kompetenzentwicklung
5 (.46)
10 (.74)
V
Lernatmosphäre und Unterstützung durch Kollegen
10 (.87)
NZ
VI
Lernorientierte Führungsaufgaben
14 (.92)
16 (.86) 22 (.83)
VII
VIII IX
Information und Partizipation
15 (.77)
Informationswege und Möglichkeiten
5 (.83)
7 (NB)
Einflussmöglichkeiten bei der Gestaltung von Lernen und PE
3 (NB)
4 (.77)
Lernen durch Wissensaustausch
4 (.60)
11 (.75)
Interne Netzwerke zum Lernen und Wissensaustausch
3 (NB)
NZ
Wissensaustausch des Unternehmens mit der Umwelt
7 (.88)
12 (.83)
Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen
22 (.88)
31 (.88)
Lernformen im Unternehmen
16 (.74)
24 (.82)
Anwendung des Gelernten und Transfersicherung
6 (.80)
7 (.76)
Anmerkung: MV = Mitarbeiterversion, EV = Expertenversion, Konsistenz = Cronbachs Alpha-Werte, NB = nicht berechnet, NZ = nicht zutreffend. Quelle: Sonntag, Stegmaier, Schaper & Friebe (2004).
Das Lernkulturinventar
233
Eigenverantwortliche Einheiten motivieren durch vollständige und ganzheitliche Aufgaben Mitarbeiter zu Partizipation und Selbstorganisation, Projektgruppen und abteilungsübergreifende Teams ermöglichen Gruppenlernen, erweiterte Verantwortungs- und Entscheidungsspielräume fordern die Entwicklung methodischer und personaler Kompetenzen und flache Strukturen erleichtern den Austausch von Wissen und Information. Die Entgeltgestaltung ist durch eine zunehmende Leistungsorientierung und verstärkte Flexibilisierung und Individualisierung gekennzeichnet (vgl. Schettgen, 1996; Ulich, 2005). Neben der Leistung beginnen sich Kompetenz, Wissen sowie Lern- und Entwicklungsfähigkeiten als Maßstäbe für die Entgeltgestaltung zu etablieren (vgl. Frieling & Sonntag, 1999; Ulich, 2005). In Zielvereinbarungsgesprächen werden daher verstärkt neben Leistungszielen auch Ziele für die Kompetenzentwicklung gemeinsam von Führungskraft und Mitarbeiter formuliert, die idealerweise durch eine Zertifizierung von Kompetenzen mess- und diskutierbar werden (vgl. Sonntag, 2003). Auch bei der Gestaltung der Arbeitszeit hat die Flexibilisierung höchste Priorität, um Schwankungen des Gleichgewichts von Nachfrage und verfügbarer Kapazität gezielt ausgleichen zu können (vgl. Frieling & Sonntag, 1999; Waldbuesser, 2004; Weidinger, 1999). Die explizite Formulierung von Lernzeiten, der Einsatz von Lernzeitkonten sowie eine Regelung der Lernzeiten im Rahmen der Arbeitszeitpolitik sind wichtige Rahmenbedingungen, damit Lernzeiten angesichts von erhöhtem Arbeitsdruck nicht vernachlässigt werden (vgl. Frieling, Bernard & Grote, 1999; Seifert, 2003). Operationalisierung: Die Rahmenbedingungen für Lernen im Unternehmen werden im LKI durch die Skalen „Organisationsstrukturen“ (z. B. „Es ist lernförderlich, dass die Hierarchien bei uns eher flach sind.“), „Entgelt- und Anreizsysteme“ (z. B. „Das Unternehmen motiviert uns zum Lernen, indem es uns Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen anbietet.“), „Arbeitszeitregelung“ (z. B. „Während meiner Arbeit habe ich Zeit, mich mit Kollegen auszutauschen“) sowie „Lernen in Veränderungsprozessen“ (z. B. „Wir Mitarbeiter werden in Veränderungsprozessen auf neue Arbeiten und Aufgaben ausreichend vorbereitet.“) erfasst. (3) Aspekte der Personalentwicklung Ableitung: Die Personalentwicklung in einer Lernkultur verfolgt sowohl eine strategieerfüllende Perspektive, das heißt, sie unterstützt den Aufbau der für die Umsetzung der Unternehmensstrategien erforderlichen Kompetenzen, als auch eine strategiegestaltende Perspektive, indem sie durch den gezielten Aufbau von Kompetenzen neue Wege der Arbeitsorganisation und Wertschöpfung ermöglicht. Hierzu benötigt die Personalentwicklung eine Strategie mit normativen Grundsätzen, Entwicklungszielen, bevorzugten Methoden und Instrumenten
234
Karlheinz Sonntag und Ralf Stegmaier
sowie klar geregelten Verantwortlichkeiten aller Beteiligten (vgl. Schaper, Sonntag & Baumgart, 2003; Schöni, 2001). Konkrete Ziele der Personalentwicklung in einer Lernkultur sind es, die Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter zu fördern, arbeitsorientierte Lernformen verstärkt neben traditionellen Weiterbildungsangeboten zu verankern, Eigenverantwortung und Selbstorganisation der Mitarbeiter für ihre Kompetenzentwicklung zu stärken, alle Unternehmensmitglieder am Lernprozess partizipieren zu lassen sowie die Personalentwicklung durch Einbezug von Führungskräften und Mitarbeitern zu dezentralisieren (vgl. Schöni, 2001; Sonntag, 2004). Diese anspruchsvollen Ziele fordern eine systematisch agierende Personalentwicklung mit einer fundierten Bedarfserfassung auf den Ebenen Organisation, Tätigkeit und Person, eine durchdachte Gestaltung und Realisierung von Maßnahmen, ausreichende Qualitätskontrollen und Transfersicherung sowie die strategische Einbettung der Personalentwicklung in die Unternehmensplanung (vgl. Schöni, 2001). Durch die Evaluation finden Kontroll- und Rückkopplungsprozesse statt, die vielfältigen Zielen dienen: Überprüfung der Zielerreichung von PE-Maßnahmen, Bewertung der Qualität von Coaches, Trainern und Dozenten, Überprüfung der Qualität eingesetzter computer- und netzbasierter Medien sowie Verfolgung des Transfererfolgs. Auch Kosten-Nutzen-Analysen werden durch den zunehmenden Einsatz investitionsintensiver computer- und netzbasierter Maßnahmen und anspruchsvoller Förderkonzepte einen höheren Stellenwert erlangen, da diese Interventionen ihre Wirtschaftlichkeit und ihren Nutzen unter Beweis stellen müssen (vgl. Sonntag, Stegmaier & Schaper, 2006). Der Transfer neu erworbenen Wissens oder erlernter Verhaltensweisen in die tägliche Arbeit kann durch eine transferförderliche Gestaltung des Arbeitsumfeldes sowie gezielte Maßnahmen zur Förderung des Transfers unterstützt werden. Eine kontinuierliche Lernkultur (Tracey, Tannenbaum & Kavanagh, 1995) oder ein positives Transferklima (Rouillier & Goldstein, 1993) erleichtern den Transfer. Dem Verhalten von Vorgesetzten (Vereinbaren von Lernzielen, Feedback, Unterstützung bei Transferproblemen, Belohnung und Anerkennung, Übernahme einer Vorbildfunktion) und Kollegen (Anerkennung, Feedback, Unterstützung) kommt eine entscheidende Bedeutung für den erfolgreichen Transfer zu (Rouillier & Goldstein, 1993; Smith-Jensch, Salas & Brannick, 2001; Tracey et al., 1995). Operationalisierung: Lernrelevante Aspekte der Personalentwicklung werden im LKI durch die Skalen „Reichweite und Nutzung von PE-Maßnahmen“ (z. B. „Uns steht ein umfangreiches Weiterbildungsangebot zur Verfügung.“), „Unterstützung durch PE“ (z. B. „Für uns Mitarbeiter gibt es konkrete Ansprechpartner in der Personalentwicklung.“), „Erfassung des Lernbedarfs“ (z. B.
Das Lernkulturinventar
235
„Bei der Bestimmung meines Lernbedarfs wird auch darauf geachtet, welche Anforderungen zukünftig an mich gestellt werden.“) sowie „Überprüfung der Qualität von PE“ (z. B. „Die PE-Maßnahmen, an denen ich teilnehme, werden regelmäßig im Hinblick auf Gestaltung, Inhalte und Durchführung überprüft.“) erfasst. (4) Formalisierung der Kompetenzentwicklung Ableitung: Stellenbeschreibungen mit Kompetenzprofilen unterstützen eine systematische Personalentwicklung (vgl. Sonntag & Schmidt-Rathjens, 2004). Gerade im Hinblick auf Nachfolgeplanungen oder Job-Rotationen dienen aussagekräftige Stellenbeschreibungen als wichtige Orientierungshilfe bei der Auswahl geeigneter Mitarbeiter beziehungsweise bei der Festlegung vorbereitender Qualifizierungsschritte. Die Zertifizierung von Kompetenzen, die im Rahmen der Arbeit erworben wurden, fördert eine professionelle Kompetenzentwicklung. Operationalisierung: Bei der Formalisierung der Kompetenzentwicklung stehen Messung und Dokumentation von Kompetenzen im Mittelpunkt (z. B. „Das Unternehmen zertifiziert in der Arbeitstätigkeit erworbene Kompetenzen.“). (5) Lernatmosphäre und Unterstützung durch Kollegen Ableitung: Sowohl aus der Forschung zum arbeitsbezogenen Lernen wie auch zu transferförderlichen Bedingungen des Arbeitsumfelds ist bekannt, dass eine geeignete Lernatmosphäre sowie die Unterstützung durch Kollegen Lernprozesse fördern (Rouiller & Goldstein, 1993; Smith-Jentsch et al., 2001; Tracey et al., 1995). Operationalisierung: Das LKI bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Themen wie gegenseitige Hilfe, Teilen von Erfahrungen, Ermutigen zum Ausprobieren neuer Dinge oder auch den konstruktiven Umgang mit Kritik (z. B. „Meine Kollegen lassen mich an ihren Erfahrungen teilhaben.“). (6) Lernorientierte Führungsaufgaben Ableitung: Die Führungskraft spielt eine wichtige Rolle bei der Gestaltung einer Lernkultur. Zum einen als Multiplikator, der lernbezogene Werte, Erwartungen und Einstellungen vermittelt, andererseits auch durch die konkrete Unterstützung der Mitarbeiter beim Lernen. Die Führungskraft fördert die Selbstentwicklung ihrer Mitarbeiter, indem sie Lernmöglichkeiten bei der Arbeit aufzeigt, Feedback und konstruktive Kritik vermittelt und Lob und Anerkennung ausspricht (vgl. Wunderer, 2003). Das Mitarbeiter- beziehungsweise Zielvereinbarungsgespräch ist ein zentrales Instrument zur Unterstützung der lernorientierten Führungsaufgaben (vgl. Comelli & Rosenstiel, 2001; Muck & Sonntag, 2007; Sonntag, 2003). Das Thema Lernen sollte in die Führungsgrundsätze eines Unternehmens integriert werden, so dass Führungsziele und Führungsaufgaben konkret auf die Förderung von Lernen bezogen sind. Operationalisierung: Mit dem LKI können vielfältige Aspekte des lernorientierten Führungsverhaltens bestimmt werden wie beispielsweise die Vorbild-
236
Karlheinz Sonntag und Ralf Stegmaier
wirkung der Führungskraft, die Übertragung herausfordernder Aufgaben, das Vereinbaren von Lern- und Entwicklungszielen mit dem Mitarbeiter, das Durchführen regelmäßiger Feedbackgespräche oder auch die Beratung beim gemeinsamen Abklären des Förder- und Entwicklungsbedarfs (z. B. „Ich erarbeite gemeinsam mit meiner Führungskraft Lern- und Entwicklungsziele.“). (7) Information und Partizipation Ableitung: In einer Lernkultur sind Unternehmensleitung und Führungskräfte gefordert, ihre Mitarbeiter in einem Top-Down-Prozess mit Informationen zu versorgen (vgl. Winterstein, 1998). Die einsetzbaren Medien sind vielfältig (u. a. Intranet, Mitarbeiterzeitschrift, Unternehmenskommunikation, Informationsveranstaltungen, Führungskraft als Multiplikator). Zusätzlich zur Information der Mitarbeiter muss ein lernförderlicher Wissensaustausch im Unternehmen gestaltet werden. Ansätze zum Wissensmanagement (Kluge & Schilling, 2000; Sonntag & Stegmaier, 1999), zum Erfahrungsmanagement (Kluge, 1999) oder zum Wissen in lokalen Praxisgemeinschaften – communities of practice (Wenger, 1998) – bieten wertvolle Gestaltungsimpulse für eine lernorientierte Netzwerkbildung. Ein offener Umgang mit Wissen und die Bereitschaft, Wissen zu teilen, bilden die Grundlage erfolgreicher interner Netzwerke. Informations- und Kommunikationsstrukturen sind so zu gestalten, dass sie einen vertikalen und horizontalen sowie formellen und informellen Wissensaustausch ermöglichen (Baitsch, 1998; Sonntag & Stegmaier, 1999; Winterstein, 1998). Operationalisierung: Das LKI bezieht sich auf „Informationswege und Möglichkeiten“ (z. B. „Ich bin mit den angebotenen Informationsmöglichkeiten zufrieden.“), „Einflussmöglichkeiten bei der Gestaltung von Lernen und Personalentwicklung“ (z. B. „Die Mitarbeiter werden in grundlegende Entscheidungen im Rahmen der Personalentwicklung miteinbezogen.“), „Lernen durch Wissensaustausch“ (z. B. „Wir können auf Wissensdatenbanken zugreifen, die im Unternehmen vorhandenes Wissen organisieren und bereitstellen.“) sowie „Interne Netzwerke zum Lernen und Wissensaustausch“ (z. B. „Bei uns gibt es organisierte interne Netzwerke zum Wissens- und Erfahrungsaustausch.“). (8) Wissensaustausch des Unternehmens mit der Umwelt Ableitung: Durch Kontakte mit Partnern, Kunden, Lieferanten, Universitäten, Beratungen oder anderen Institutionen wird die Lernoberfläche eines Unternehmens erweitert und interorganisationales Lernen durch einen unternehmensübergreifenden Wissens- und Erfahrungsaustausch angeregt (Baitsch, 1999; Sonntag & Stegmaier, 1999). Offenheit und Vertrauen sowie eine gemeinsame Zielverfolgung sind Voraussetzungen für das Funktionieren übergreifender Netzwerke (Newell & Swan, 2000). Durch individuelle, gruppenbezogene oder intraorgani-
Das Lernkulturinventar
237
sationale Lernprozesse kann das neue Wissen in einem nächsten Schritt im eigenen Unternehmen verteilt werden. Operationalisierung: Das LKI bezieht sich auf Form und Ausmaß der Nutzung von interorganisationalen Netzwerken, den Aufbau neuer Kontakte durch Mitarbeiter oder auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit den vom Unternehmen angebotenen externen Kontaktmöglichkeiten (z. B. „Das Unternehmen pflegt den Austausch mit Partnern und anderen Firmen.“). (9) Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen Ableitung: Der Merkmalsbereich „Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten“ beschäftigt sich mit Lernformen im Unternehmen, die Ausdruck einer zeitgemäßen Lernkultur sind. Hierzu zählen arbeitsbezogenes Lernen, informelles Lernen, selbstgesteuertes Lernen, Lernen in Gruppen sowie mediengestütztes Lernen. In einer Lernkultur findet eine verstärkte Integration von Lernen und Arbeiten statt, so dass Lernangebote off-the-job zunehmend durch Lernen in der Nähe des Arbeitsplatzes (near-the-job) oder am Arbeitsplatz selbst (on-the-job) ergänzt oder gar abgelöst werden (Sonntag & Stegmaier, 2007). Arbeitsorientiertes Lernen fördert die Anwendung des Gelernten und unterstützt kontinuierliches und selbstorganisiertes Lernen. Informelles Lernen erfolgt ohne bewusste Lernabsicht implizit bei der täglichen Arbeit (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 1998). Eine Lernkultur fördert auch diese Form des Lernens durch geeignete Rahmenbedingungen wie Austauschprogramme mit anderen Unternehmen, Besuche von Fachmessen und letztlich das Einräumen von Lernzeiten (Sonntag et al., 2005). In einer zeitgemäßen Lernkultur wird von den Mitarbeitern zunehmend selbstgesteuertes Lernen erwartet, das heißt, Mitarbeiter sind gefordert, Verantwortung für ihre Kompetenzentwicklung zu übernehmen sowie ihre Lernprozesse selbst zu initiieren, zu gestalten und zu steuern. Didaktische Maßnahmen zur Verbesserung der Selbstmanagement-Kompetenz sowie die lernförderliche Gestaltung von Lern- und Arbeitsumgebungen durch das Einräumen von Handlungsspielraum oder Möglichkeiten zum Wissensaustausch unterstützen selbstgesteuertes Lernen (Bergmann, 2000; Sonntag et al., 2005). In einer ausgeprägten Lernkultur wird das individuelle Lernen durch das Lernen auf Gruppenebene ergänzt, wie es in Experten-Novizen-Gruppen, communities of practice oder auch Lernpartnerschaften stattfindet (Kluge & Schilling, 2000; Sonntag, 1999; Sonntag & Stegmaier, 1999). Neben der Vermittlung von Techniken zum Arbeiten in Gruppen fördern lernförderliche Anreizstrukturen und flexible Arbeitszeitregelungen das gruppenbezogene Lernen. Computergestütztes Lernen kann Eigenaktivität und Selbststeuerung der Mitarbeiter fördern, vorausgesetzt, dass mediales Lernen vom Unternehmen sinnvoll in ein Gesamtkonzept der Mitarbeiterförderung integriert wird. Hierzu zählt der flankierende Einsatz vorbereitender, begleitender und nachbereitender
238
Karlheinz Sonntag und Ralf Stegmaier
Maßnahmen, wie das Vereinbaren von Lernzielen und Lernzeiten oder die Kombination des computergestützten Lernens mit gruppenbezogenen Lernformen (Schaper et al., 2003). Operationalisierung: Das LKI erlaubt eine Erfassung der „Formen des Lernens“ im Unternehmen (z. B. „Meine Arbeitstätigkeit ist so gestaltet, dass ich gefordert bin, immer Neues dazu zu lernen,“, „Das Lernen in Seminaren wird bei uns zunehmend durch Lernen mit neuen Medien ersetzt.“) und bezieht sich auch explizit auf die Frage der „Anwendung des Gelernten und Transfersicherung“ (z. B. „Meine Führungskraft unterstützt mich beim Anwenden des Gelernten in meiner Arbeit, indem sie mir dazu Feedback gibt.“). 3.3 Empirische Studien Erste Einsätze des LKI zeigten Nutzen und Güte des Verfahrens in Studien zur Kompetenzentwicklung, zu Branchenvergleichen und zur Typologisierung von Lernkulturen. 3.3.1 Studie 1: Lernkulturen im Branchenvergleich 3.3.1.1 Fragestellung In einer empirischen Studie sollten Unterschiede der Lernkulturen von kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMUs) verschiedener Branchen untersucht werden (vgl. Sonntag, Schaper & Friebe, 2005; Wilmsmeier, 2003). Besonderheiten von KMUs sowie aktuelle Entwicklungen verschiedener Branchen werfen interessante Fragen hinsichtlich möglicher Unterschiede in der Ausprägung von Lernkulturen auf. Nachfolgend werden kurz relevante Merkmale der untersuchten Branchen charakterisiert. Verwaltung: Zentralisierte Strukturen mit klar definierten Dienstwegen und Verfahrensweisen engen den Spielraum für eigenverantwortliches Handeln ein. Karrieremöglichkeiten sind nicht in erster Linie leistungsbezogen, sondern stark durch die Beschäftigungsdauer mitbestimmt. Dem steht entgegen, dass neuere Entwicklungen im Besoldungsrecht mittlerweile erste Spielräume für leistungsorientiertere Entlohnungssysteme schaffen und auch in den Verwaltungen ein Wandel von starren Bürokratien hin zu Dienstleistungsunternehmen mit Serviceund Bürgerorientierung eingesetzt hat (Benedix & Nockert, 1999). Produzierende Unternehmen: Mitarbeiterkompetenzen haben in produzierenden Unternehmen einen hohen Stellenwert. Betrachtet man beispielsweise die Automobilindustrie, so fällt auf, dass seit den 1980er Jahren nennenswerte Produktivitätssteigerungen nur durch eine Verbesserung von Mitarbeiterkompetenzen und Arbeitsorganisation zu erreichen waren, nicht etwa durch weitere technische Optimierungen (Lacher, 2000). Gleichwohl schränkt ein starker Technisierungs- und Standardisierungsgrad in produzierenden Unternehmen in Kombination
Das Lernkulturinventar
239
mit einer hohen Schichtarbeitsquote Handlungsspielräume der Mitarbeiter ein. Ein Gegenwicht bildet hierzu jedoch der seit Mitte der 1990er Jahre anhaltende Trend zur Dezentralisierung und Schaffung eigenverantwortlicher Einheiten. IT-Unternehmen: Viele IT-Unternehmen haben sich vom Technikanbieter zum Dienstleister gewandelt. Als Konsequenz hieraus arbeiten die Mitarbeiter in größerer Nähe zum Kunden, teilweise sogar in gemeinsamen Projekten mit dem Kunden. Weiter kennzeichnen flache Strukturen, Teamarbeit und projektartige Organisationsstrukturen die Arbeit in IT-Unternehmen. Dienstleistungsunternehmen: In der vorgestellten Studie werden aus dem Bereich der Dienstleistungsunternehmen in erster Linie Handelsunternehmen, Banken und Versicherungen betrachtet. Der Dienstleistungsbereich ist wettbewerbsintensiver geworden, da immer mehr produzierende Unternehmen nun auch Dienstleistungen rund um ihre Produkte anbieten. Zusätzlich breitet sich bei den Kunden ein gestiegenes Service- und Qualitätsbewusstsein aus, so dass sich die professionelle Beratung durch qualifizierte Mitarbeiter zum wichtigen Differenzierungsmerkmal entwickelt. 3.3.1.2 Methode Untersucht wurden kleine und mittelgroße Unternehmen. Die Unternehmen der Stichprobe wurden nach den Kriterien Größe und Branche ausgewählt. In Frage kamen Unternehmen mit einer Mitarbeiterzahl zwischen 300 und 2000 Mitarbeitern, die an einem Standort arbeiten und nicht direkt einem Konzern angehören. Die Stichprobe stellt eine Zufallsstichprobe aus allen in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Unternehmen dieser Branchen und Größe dar. Befragt wurden Mitarbeiter der Personalentwicklung oder Personalabteilung aus der Verwaltung (N = 20), produzierenden Unternehmen (N = 18), Dienstleistungsunternehmen (N = 20) und IT-Unternehmen (N = 20). Die Lernkultur wurde anhand der Expertenversion des LKI gemessen. 3.3.1.3 Ergebnisse In Tabelle 2 werden ausgewählte Ergebnisse des Branchenvergleichs dargestellt (vgl. für eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse Sonntag, Schaper & Friebe, 2005; Wilmsmeier, 2003). Die Daten wurden anhand von Varianzanalysen und daran anschließenden Kontrasten ausgewertet. Arbeitszeitregelungen: Arbeitszeitregelungen sind in Verwaltungen und ITUnternehmen lernförderlicher ausgeprägt als in produzierenden Unternehmen. Mitarbeiter in produzierenden Unternehmen können sich die Lernzeit weniger frei einteilen und haben insgesamt geringere Freiräume bei der Arbeit als die Mitarbeiter aus Verwaltungen und IT-Unternehmen. Hierbei dürfte die stärkere Technisierung und Standardisierung in produzierenden Unternehmen sowie der hohe Anteil von Schichtarbeit eine Rolle spielen.
240
Karlheinz Sonntag und Ralf Stegmaier
Tabelle 2: Lernkulturen im Branchenvergleich Produzierende Unternehmen
Dienstleister
ITUnternehmen
Verwaltung
F-Wert
p-Wert
Arbeitszeitregelungen
3,16
3,52
3,83
3,88
2,96
0,04
Reichweite und Nutzung von PE-Maßnahmen
3,86
4,25
3,77
3,57
3,99
0,01
Überprüfung der Qualität von PE
3,84
3,35
3,19
2,85
4,75
0,00
Stellenwert der PE
3,49
3,53
3,39
2,91
2,73
0,05
Strategische Ausrichtung der PE
3,81
3,73
2,98
3,00
4,95
0,00
Lernen durch Wissensaustausch
2,79
3,00
3,34
2,67
3,13
0,03
Anwendung des Gelernten und Transfersicherung
3,3
2,98
2,66
2,35
6,59
0,00
Dimension1
Anmerkungen: (2005).
1
Skalierung: 1=geringe Ausprägung, 5=hohe Ausprägung. Quelle: Sonntag, Schaper & Friebe
Aspekte der Personalentwicklung: Die Reichweite und Nutzung von Personalentwicklung, die Überprüfung ihrer Qualität sowie der Stellenwert der Personalentwicklung sind in Dienstleistungsunternehmen lernförderlicher umgesetzt als beispielsweise in Verwaltungen. In Dienstleitungsunternehmen haben mehr Mitarbeitergruppen Zugang zu Förder- und Entwicklungsmaßnahmen und die Mitarbeiter nutzen diese Angebote auch intensiver. Durch eine systematischere Bedarfserfassung und Evaluation der Maßnahmen wird in Dienstleitungsunternehmen die Qualität der Personalentwicklung aktiver gesteuert. Darüber hinaus unterstützen Unternehmensleitung und Führungskräfte die Personalarbeit in höherem Maße. Diese Effekte dürften mit großer Wahrscheinlichkeit auf die erhöhte Wettbewerbsintensität bei Dienstleistern im Vergleich zu den Verwaltungen zurückgehen und die besondere Rolle, die qualifizierte Mitarbeiter hierbei gerade im Kundenkontakt spielen. Bei den produzierenden Unternehmen ist die strategische Ausrichtung der Personalentwicklung deutlich höher ausgeprägt als bei IT-Unternehmen oder Verwaltungen, das heißt, Personalentwicklung und Unternehmensstrategie sind enger miteinander verzahnt. Diese Unterschiede dürften mit der hohen Dynamik in der IT-Branche zusammenhängen, die eine langfristige Planung im Bereich der Geschäftsstrategie und der Personalarbeit erschwert. Außerdem sind die
Das Lernkulturinventar
241
Unternehmen der IT-Branche im Vergleich zu den Unternehmen des produzierenden Gewerbes eher „jung“, so dass sie für den Aufbau einer strategisch ausgerichteten Personalentwicklung weniger Zeit zur Verfügung hatten. Lernen durch Wissensaustausch: In IT-Unternehmen lernen Mitarbeiter stärker durch Wissensaustausch als in Verwaltungen. Dies betrifft den informellen Austausch der Mitarbeiter, die Nutzung von Datenbanken oder auch den gezielten Aufbau interner Netzwerke. Die projekt- und teambezogenen Arbeitsformen sowie die kurze Halbwertszeit von Wissen in den IT-Unternehmen dürften den Wissensaustausch motivieren und erleichtern. Festgelegte Dienstwege und Vorschriften, eine geringere Bedeutung von Gruppenarbeit sowie die starke Zentralisierung in Verwaltungen wirken sich voraussichtlich eher hinderlich auf den Wissensaustausch aus. Anwendung des Gelernten und Transfersicherung: Die Transfersicherung des Lernens spielt in produzierenden Unternehmen eine wichtigere Rolle als in der Verwaltung oder in IT-Unternehmen, das heißt Vorgesetzte in produzierenden Unternehmen engagieren sich stärker, wenn es um die Vereinbarung von Lernzielen mit dem Mitarbeiter geht oder die konkrete Unterstützung bei der Anwendung von neuem Wissen am Arbeitsplatz. Bei den Verwaltungen dürfte die zurückhaltendere Rolle der Führungskräfte bei der Mitarbeiterförderung Wirkung zeigen. Hinzu kommt die enorme Bedeutung von Qualität bei den produzierenden Unternehmen, da kleine „menschliche“ Fehler in den hoch technisierten Fertigungsanlagen bereits hohe Folgekosten nach sich ziehen können. Es ist daher im Interesse kostenbewusster Führungskräfte, dass ihre Mitarbeiter neues Wissen auch erfolgreich bei der Arbeit anwenden. 3.3.2 Studie 2: Lernkultur und Kompetenzentwicklung 3.3.2.1 Fragestellung In einer Studie von Friebe (2005) sollte die Frage beantwortet werden, ob sich ein Zusammenhang zwischen den Lernkulturmerkmalen und verschiedenen Kompetenzfacetten von Mitarbeitern nachweisen lässt. Angenommen wurde, dass sich hohe Ausprägungen der Lernkultur förderlich auf die Kompetenzentwicklung von Beschäftigten auswirken. 3.3.2.2 Methode Stichprobe: Insgesamt nahmen 222 Beschäftigte an der Untersuchung teil, davon 60 % (n = 133) Männer und 40 % (n = 89) Frauen. Die Beschäftigten kamen überwiegend aus Großunternehmen. Mit einem Anteil von 32 % (n = 71) der Beschäftigten sind die produzierenden Unternehmen am häufigsten vertreten, gefolgt von Dienstleistungsunternehmen, in denen 29 % (n = 64) der Befragten arbeiten. Insgesamt 28 Personen (12 %) sind in Unternehmen im Bereich der Informationstechnologie, des Gesundheitswesens sowie in der Medienbranche
242
Karlheinz Sonntag und Ralf Stegmaier
tätig. 11 % (n = 24) sind Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Die Kategorie „Sonstige“ wurde von 16 % (n = 34) der Befragten gewählt. Instrumente: Die Lernkultur wurde mit dem Lernkulturinventar (LKI) gemessen. Die Kompetenzen wurden mit dem Kompetenz-Reflexions-Inventar (KRI) von Kauffeld (et al., 2004) erfasst. Mit dem KRI können Fach- und Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und Selbstkompetenz ermittelt werden. Das Kompetenz-Reflexions-Inventar wurde eingesetzt, um eine subjektive Kompetenzeinschätzung der Befragten zu erhalten. Die Teilskalen Fach- und Methodenkompetenz sowie Sozialkompetenz weisen gute Reliabilitäten zwischen .82 und .86 auf. Lediglich die Selbstkompetenz hat mit .72 eine eher befriedigende Reliabilität. Auch die Trennschärfen liegen mit Werten von .30 bis .69 in einem zufriedenstellenden bis guten Bereich. Die Items der Skala Selbstkompetenz haben etwas niedrigere Trennschärfen als die beiden anderen Teilskalen des KRI. Aufgrund der insgesamt guten Interkorrelationen der drei Teilskalen mit Werten von .58 bis .88 wurden alle trennscharfen Items zu einer Gesamtskala (KRI Gesamt) zusammengefasst. Tabelle 3: Zusammenhänge von Lernkultur und Kompetenz Lernkulturmerkmale
KRI Gesamt
Fach-/ Methodenkompetenz
Sozialkompetenz
Selbstkompetenz
LKI I
Lernen als Teil der Unternehmensphilosophie
.24**
.15*
.24**
.25**
LKI II
Rahmenbedingungen für Lernen
.29**
.24**
.27**
.25**
LKI III
Aspekte der Personalentwicklung
.28**
.24**
.22**
.25**
LKI IV
Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten
.28**
.22**
.24**
.27**
LKI V
Lernatmosphäre und Unterstützung durch Kollegen
.21**
.18**
.22**
.12
LKI VI
Lernorientierte Führungsaufgaben
.31**
.25**
.26**
.30**
LKI VII
Information und Partizipation
.27**
.23**
.22**
.25**
LKI VIII
Lernkontakte des Unternehmens mit Umwelt
.31**
.30**
.29**
.18**
Anmerkung: LK = Lernkulturdimension, KRI = Kompetenz-Reflexions-Inventar, **p < 0,01, *p < 0,05. Quelle: Friebe (2005, S. 193).
Das Lernkulturinventar
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3.3.2.3 Ergebnisse Die Ergebnisse von Friebe (2005) zeigen durchgängig positive Zusammenhänge zwischen der Lernkultur und den Kompetenzmerkmalen. Lediglich zwischen dem Lernkulturmerkmal „Lernatmosphäre und Unterstützung durch Kollegen“ und der Selbstkompetenz konnte kein signifikanter Zusammenhang gefunden werden (vgl. Tabelle 3). Die Lernkulturmerkmale korrelieren mit dem Kompetenzgesamtwert im Bereich von .21 bis .31. Die höchsten Werte mit r = .31 weisen die Merkmale „Lernkontakte mit der Umwelt“ sowie „Lernorientierte Führungsaufgaben“ auf. Auch für die drei einzelnen Kompetenzbereiche liegen Korrelationswerte bis maximal .30 vor. Ein sehr schwacher Zusammenhang besteht zwischen der Lernatmosphäre und Unterstützung durch Kollegen und der Selbstkompetenz (r = .12). Auch die Beziehung zwischen dem Lernkulturmerkmal Lernen als Teil der Unternehmensphilosophie und der Fach-/Methodenkompetenz erweist sich als schwach (r = .15, p < .05). Betrachtet man insgesamt die Höhe der signifikanten Korrelationen, so sind diese als sehr niedrig bis niedrig zu bewerten. Weitere Studien sollten daher prüfen, ob die Zusammenhänge möglicherweise durch personale Faktoren moderiert werden. So wäre beispielsweise denkbar, dass sich bei Personen mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach beruflicher Entwicklung (high growth need) stärkere positive Zusammenhänge zwischen Lernkultur und Kompetenz ergeben, da diese Personen eher bereit und motiviert sind, Lernangebote und Ressourcen der Organisation intensiv zu nutzen. 4
Fazit
Vor dem Hintergrund vielfältiger Veränderungsvorhaben in der Arbeitswelt, mit erheblichen Anforderungen an das Lern- und Innovationspotenzial der Organisationsmitglieder, kommt der gelebten Lernkultur in den entsprechenden Organisationskontexten erhebliche Bedeutung zu. Das Lernkulturinventar (LKI) ermöglicht, lernrelevante Merkmale in Organisationen zu erfassen. Das Verfahren wurde auf der Grundlage umfangreicher theoretischer und empirischer Forschungsarbeiten entwickelt. Das Lernkulturinventar liegt in zwei Versionen vor, die unterschiedliche Wahrnehmungsperspektiven erfassen: die der Mitarbeiter und die der Personalentwicklungs- und Weiterbildungsexperten. Mit dem Einsatz des LKIs kann ein Stärken-Schwächen-Profil der Lernkultur in der jeweiligen Organisation erstellt werden. Es werden Informationen darüber geliefert, wo im Unternehmen eine hohe Lernförderlichkeit vorhanden ist und in welchen Bereichen Verbesserungspotenzial zu erkennen ist.
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Über einen Vergleich der Einschätzung von Experten- und Mitarbeiterseite können ebenfalls Stärken und Schwächen aufgedeckt und Differenzen ermittelt werden. Dies ermöglicht die Ableitung organisationsspezifischer Gestaltungsempfehlungen. Das Lernkulturinventar kann als ein Instrument zur Qualitätssicherung der Personalentwicklung verstanden werden. Der Umgang mit Lernen und Kompetenzentwicklung im Unternehmen kann somit evaluiert werden. Nicht zuletzt ist das Lernkulturinventar auch ein Benchmarking-Instrument. Spezifische Merkmalsausprägungen können mit den Lernkulturen anderer Organisationen gleicher Branche oder gleicher Größe verglichen und gegebenenfalls Handlungsstrategien abgeleitet werden. Obwohl das Lernkulturinventar grundsätzlich ein Diagnoseinstrument ist und damit einen Ist-Zustand ermittelt, kann es als Ausgangsbasis für Veränderungs- oder Entwicklungsprozesse gesehen werden. Eine Anwendung des Fragebogens erscheint nur dann sinnvoll, wenn auf der Grundlage der durchgeführten LKI-Analysen in der Diskussion mit den betroffenen Organisationsmitgliedern Handlungsbedarf ermittelt und Gestaltungsempfehlungen abgeleitet werden.
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Respektvolle Führung und ihre Bedeutung für die Gestaltung von Veränderungen in Organisationen1 Tilman Eckloff, Niels van Quaquebeke und Erich H. Witte Respekt ist uns wichtig. Jeder möchte von anderen respektiert werden. Dies gilt nicht nur im Privatleben, sondern auch bei der Arbeit. Die organisationale Werteforschung zeigt, dass Respekt im Werteranking einen der wichtigsten Arbeitswerte von Mitarbeitern darstellt, jedoch in der Praxis selten erlebt wird. Diese Diskrepanz zwischen den Werten der Mitarbeiter und der betrieblichen Praxis scheint im Bereich der Beziehung zwischen Führungskräften und Mitarbeitern besonders ausgeprägt (Mason, 1994; van Quaquebeke, Zenker, & Eckloff, 2006). Auch in sozialpsychologischer Forschung ist interpersonaler Respekt ein immer stärker beachtetes Phänomen, nicht zuletzt aufgrund seiner positiven Auswirkungen auf unterschiedliche Effektvariablen wie kollektive Identifikation (Simon & Stürmer, 2003), Bindung an die Organisation (Lind & Tyler, 1988; Tyler & Blader, 2000; Tyler, Boeckmann, Smith, & Huo, 1997; Tyler & Lind, 1992) oder Arbeitszufriedenheit (Zenker & van Quaquebeke, 2006). Für Praktiker in Unternehmen bietet die Forschung derzeit jedoch kaum Anhaltspunkte, welche konkreten Verhaltensweisen oder Merkmale von Führungskräften dazu führen, dass sich deren Mitarbeiter respektvoll behandelt fühlen. Ziel unserer ersten Studie ist es daher, mittels eines empiriebasierten Vorgehens, ein Handlungsinventar respektvollen Führungsverhaltens zu entwickeln, welches möglichst umfassend diejenigen Facetten beinhaltet, die von Mitarbeitern in Unternehmen als relevant dafür angesehen werden, dass sie sich von ihren Führungskräften respektiert fühlen. Dieses soll als Grundlage dienen, um in einer zweiten Studie ein ökonomisches Messinstrument respektvoller Führung zu entwickeln, welches die wichtigsten Facetten respektvollen Führungsverhaltens abbildet. Darüber hinaus soll im Sinne einer Konstruktvalidierung untersucht werden, welche Rolle respektvolle Führung bei Veränderungsprozessen in Organisationen spielen kann. Gerade in Zeiten der Veränderung stellen Mitarbeiter, die sich gegenüber dem Führungseinfluss ihrer Führungskräfte öffnen, eine der größten Ressourcen für das Unternehmen dar; denn nur wenn Mitarbeiter Veränderung mit tragen, findet sie auch tatsächlich statt, nur dann lassen sich entscheidende Steuerimpulse auch in der Organisation implementieren. Des Weiteren 1
Diese Arbeit ist Teil der Dissertation von Tilman Eckloff unter Anleitung von Prof. Dr. Erich H. Witte. Besonderer Dank gebührt der Stiftung Wertevolle Zukunft, welche durch die Finanzierung eines Graduiertenstipendiums an der Universität Hamburg diese Studien möglich machte.
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kann man der Selbstbestimmungsforschung (für einen Überblick siehe Deci & Ryan, 2000) entnehmen, dass insbesondere Mitarbeiter, die sich als selbstbestimmt erleben, aktiv als Akteure des Wandels auftreten und eigenständig auf Veränderungen in ihrem Arbeitsumfeld reagieren können und auf diese Weise dazu beitragen, dass die Komplexität von Veränderungsprozessen in Unternehmen bewältigbar wird. Diesen beiden Argumentationslinien folgend, untersuchen wir in einer dritten Studie, welche Auswirkungen respektvolle Führung auf die Offenheit von Mitarbeitern für Führungseinfluss und deren Selbstbestimmungserleben hat. 1
Respekt in Organisationen
Respekt ist ein Wert, der in den letzten Jahren zunehmend öffentliche Aufmerksamkeit erfährt. Gerade in den Medien werden immer häufiger Respektlosigkeit und mangelnde Achtung vor dem Anderen als Ursache für Probleme im gesellschaftlichen Miteinander angeführt. Demgegenüber steht auf der anderen Seite eine steigende Zahl an unterschiedlichsten Initiativen, die für Respekt eintreten. Offensichtlich verkörpert Respekt etwas, was sich viele Menschen wünschen, aber zunehmend in ihren Beziehungen zu Anderen vermissen, sei es im privaten Bereich, in der Schule oder auch im Kontext von Arbeitsorganisationen. Die organisationale Werteforschung zeigt, dass Respekt einen zentralen Arbeitswert von Mitarbeitern in Organisationen darstellt (vgl. Mason, 1994). Beispielsweise nahm Respekt in zwei aktuellen Studien (N1 = 589, N2 = 318) zur Bedeutung verschiedener Arbeitswerte im Werteranking einen der obersten Plätze ein, noch vor einem sicheren Job oder hohem Einkommen (van Quaquebeke et al., 2006). Dabei war den Mitarbeitern die respektvolle Behandlung durch die eigene Führungskraft besonders wichtig. In der Praxis des zwischenmenschlichen Umgangs zwischen Führungskräften und Mitarbeitern zeigte sich jedoch, dass sich Mitarbeiter meistens nicht in entsprechender Weise von ihren Führungskräften respektiert fühlen. Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass respektierte Mitarbeiter auch zufriedener mit ihrer Arbeit sind (Zenker & van Quaquebeke, 2006). Auch im Bereich der Sozialpsychologie ist interpersonaler Respekt ein zunehmend beachtetes Phänomen. Beispielsweise zeigten Tyler und Kollegen, dass sich das Commitment einer Organisation gegenüber den Mitarbeitern und die Einhaltung ihrer Regeln durch sie erhöhen, wenn sich ihre Repräsentanten respektvoll verhalten (Lind & Tyler, 1988; Tyler & Blader, 2000; Tyler et al., 1997; Tyler & Lind, 1992). Darüber hinaus konnte der positive Einfluss von Respekt auf gruppendienliches Verhalten (Branscombe, Spears, Ellemers, & Doosje, 2002; De Cremer, 2002; Simon & Stürmer, 2003; Spears, Ellemers, & Doosje, 2005), kollektive Identifikation (Simon & Stürmer, 2003) und Selbst-
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wert (Smith, Tyler, Huo, Ortiz, & Lind, 1998) gezeigt werden, während respektloses Verhalten mit Ärger und Aggression in Verbindung gebracht wird (Bettencourt & Miller, 1996; Cohen, Nisbett, Bowdle, & Schwarz, 1996; Miller, 2001). Auf der Basis solcher Forschungsergebnisse kann davon ausgegangen werden, dass die Frage des Respekts in der Beziehung zwischen Führungskräften und Mitarbeitern für ein gutes und damit produktives Miteinander im Unternehmen hoch relevant ist. Für Führungskräfte in Unternehmen bietet die bisherige, meist experimentelle Forschung jedoch kaum Anhaltspunkte, in welchen konkreten Verhaltensweisen und Merkmalen sich der Respekt von Führungskräften ihren Mitarbeitern gegenüber ausdrückt. Wünschenswert ist deshalb in einem ersten Schritt die Entwicklung eines Handlungsinventars respektvollen Führungsverhaltens, welches möglichst umfassend diejenigen Facetten respektvoller Führung beinhaltet, die von Mitarbeitern in Unternehmen als relevant dafür angesehen werden, dass sie sich von ihren Führungskräften respektiert fühlen. Dies soll unsere erste Studie leisten. 1.1 Respektvolle Führung und Veränderungen in Organisationen Organisationen sind komplexe soziale Systeme, die nicht-trivial operieren, das heißt, sie funktionieren nicht wie in ihren Reaktionen vorhersehbare technische Maschinen, die bestimmte Aufgaben oder Ziele erfüllen, sondern sie orientieren sich auch an internen Zuständen, die nicht nur betriebswirtschaftlicher, sondern auch soziologischer beziehungsweise psychologischer Natur sind (vgl. Czarniawska-Joerges, 2006). Aufgrund von Globalisierung, Deregulierung und dynamischen Veränderungen der Markt- und Wettbewerbssituation, sowie rasanten Fortschritten in den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sind solche Systeme heutzutage der Notwendigkeit ausgesetzt, sich immer schneller verändern zu müssen, wenn sie nicht im Verhältnis zu ihrer relevanten Umwelt den Anschluss verlieren wollen. Erschwerend kommt hinzu, dass auch innerhalb von Organisationen die Komplexität zunimmt, was deren Aufstellung, die Art der Projekte, Zusammensetzung von Teams, genutzte Technologien usw. angeht (Baecker, 2003). Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass viele der Veränderungsvorhaben in Wirtschaftsunternehmen scheitern und die angestrebten Ziele gar nicht oder nur teilweise erreicht werden (Lentz, 1997). Dabei werden die Ursachen relativ übereinstimmend weniger in falschen Veränderungszielen oder unpassenden Marktstrategien gesehen, sondern eher in einer einseitigen Planung der Veränderungsprozesse, die der Komplexität des Systems nicht gerecht wird, und in einer mangelhaften Steuerung der Veränderung. Es ist also Führung gefragt, die der Komplexität von Veränderungsprozessen gerecht werden kann.
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Tilman Eckloff, Niels van Quaquebeke und Erich H. Witte
Bei der Frage, wie Führung in komplexen Veränderungsprozessen erfolgreich sein kann, kommt den Mitarbeitern eine besondere Bedeutung zu, denn letztlich sind es die Mitarbeiter, die den organisationalen Wandel beziehungsweise die notwendige Anpassung an die Umwelt der Organisation als Akteure vollziehen müssen. Um Veränderungen erfolgreich umsetzen zu können, sind Führungskräfte also auf ihre Mitarbeiter angewiesen, denn ohne deren aktive Mitwirkung wird sich im Unternehmen wenig bewegen. Zwei Aspekte sind hierbei entscheidend: Zum einen entscheidet sich an der Schnittstelle von Führungskräften zu den Mitarbeitern, inwieweit eine Organisation strategische Entscheidungen beziehungsweise notwendige Veränderungen intern schnell und effizient umsetzen kann, das heißt, es sind die Mitarbeiter, die notwendige Veränderungsimpulse von oben wahrnehmen und umsetzen (vertikale Steuerung). Idealerweise sind dabei die Einflussbeziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern dadurch gekennzeichnet, dass die Mitarbeiter sich freiwillig und gerne dem Führungseinfluss öffnen und nicht durch Zwang, Druck oder Manipulation dazu gebracht werden, den Führungskräften zu folgen (Chemers, 2003; van Knippenberg & van Knippenberg, 2003; Yukl & Van Fleet, 1992). Unsere Annahme ist, dass respektvolle Führung zu einer solchen Offenheit des Mitarbeiters gegenüber der Einflussversuchen seiner Führungskraft beiträgt, indem sie den Einflusshorizont erweitert und den Widerstand des Mitarbeiters gegenüber Einflussversuchen verringert (siehe Abbildung 1).
Führungskraft Widerstand Einflusshorizont
Mitarbeiter zugelassener Führungseinfluss erfolgloser Einflussversuch
Abbildung 1: Modell für die Einflussbeziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter
Respektvolle Führung
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Geschieht diese Öffnung eher bewusst, kann dies auch als Respekt gegenüber einer Führungskraft verstanden werden (vgl.: Dillon, 2003; van Quaquebeke, Henrich, & Eckloff, 2007). Geschieht sie eher unbewusst, so drückt sie sich in der Identifikation eines Mitarbeiters mit seiner Führungskraft aus (Kelman, 1958; Shamir, House, & Arthur, 1993; van Knippenberg, van Knippenberg, De Cremer, & Hogg, 2004). Nur wenn Mitarbeiter ihre Führungskräfte in diesem Sinne respektieren und sich mit ihnen identifizieren, werden sie ihnen auch in unsicheren Zeiten stetiger Veränderung folgen und damit die Flexibilität der Organisation im Wandel sicherstellen. Der zweite Aspekt ist darin zu sehen, dass heutige Organisationen und ihre Umwelten so komplex geworden sind, dass eine vertikale Steuerung bei weitem nicht ausreicht. Denn an allen Schnittstellen zu innerer und äußerer Umwelt muss auf Veränderung adäquat reagiert werden (Kontextsteuerung), wenn eine Organisation als ganze ausreichend irritierbar und damit anpassungsfähig an sich verändernde Bedingungen sein will. Dies setzt voraus, dass Mitarbeiter für Veränderungsnotwendigkeiten sensibel sind und aus sich selbst heraus aktiv auf neue Entwicklungen und veränderte Anforderungen reagieren. Die Notwendigkeit dieser autonomen Eigenleistung von Mitarbeitern wird auch daran deutlich, dass „Dienst nach Vorschrift“ eine Bedrohung für das gesunde Funktionieren von Organisationen darstellt (siehe z. B. Organ, Podsakoff, & MacKenzie, 2006, erschienen 2005). Gerade in Changeprozessen, die ihrer Natur nach in ihren konkreten Auswirkungen prinzipiell nicht vorhersagbar sind, können Führungskräfte ihren Mitarbeitern nicht alle notwendigen Arbeitsschritte vorgeben, sondern müssen darauf vertrauen, dass diese selbständig und autonom in Übereinstimmung mit den größeren Zielen der Organisation das Richtige tun und unter Berücksichtigung der nur ihnen vor Ort zugänglichen Informationen die richtigen Entscheidungen fällen. Da das direkte Umfeld der Mitarbeiter nicht identisch ist und die Mitarbeiter, wenn sie selbstbestimmt Arbeiten können, die Möglichkeit haben, auf eigene Weise die Herausforderungen zu meistern und neue Information in ihr Handeln zu integrieren, entsteht auf diese Weise Vielfalt, die die Organisation im Sinne einer höheren Kontextsensibilität und damit Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Umwelten nutzbar machen kann (siehe Abbildung 2). Damit Mitarbeiter hierzu in der Lage sind, müssen sie sich als selbstbestimmt erleben können. Die Forschung zum Selbstbestimmungsansatz nach Deci und Ryan (2000) zeigt, dass Mitarbeiter, die in ihrer Selbstbestimmung gefördert werden, fähiger und motivierter sind zur „integration of their psychic elements into a unified sense of self and integration of themselves into larger social structures“ (Deci & Ryan, 2000, S. 229). Als zentrale Voraussetzungen für das Selbstbestimmungserleben von Mitarbeitern wird dabei die Befriedigung der
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grundlegenden psychologischen Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit gesehen, deren enger Zusammenhang zu intrinsischer Arbeitsmotivation und einem gesunden Ineinandergreifen von individuellen und sozialen Prozessen mehrfach nachgewiesen wurde (für einen Überblick siehe Deci & Ryan, 2000; Gagné & Deci, 2005). Die Förderung der Selbstbestimmung von Mitarbeitern durch ihre Führungskräfte stellt in diesem Licht eine Notwendigkeit dar, um den Anforderungen des Wandels in komplexen Organisationen gerecht werden zu können.
Organisation
Organisation
Umfeld Kontextsensibilität durch Vielfalt
Umfeld vs.
Veränderungsresistenz durch Gleichförmigkeit
Abbildung 2: Schematische Darstellung organisationaler Kontextsensibilitäten im Vergleich
Beide Formen der Steuerung zum einen vertikal durch die Führungskräfte und zum anderen durch den Kontext, indem die Mitarbeiter selbstbestimmt Irritationen wahrnehmen und auf diese adäquat reagieren, scheinen also notwendig, um der Komplexität von Veränderungsprozessen in heutigen Organisationen gerecht werden zu können. Unsere These ist, dass respektvolle Führung hier eine entscheidende Rolle spielen kann, da sie beide Formen der Steuerung unterstützt. Wir nehmen im Sinne einer Konstruktvalidierung entsprechend an, dass respektvolle Führung zum einen positiv auf die Offenheit von Mitarbeitern für Führungseinfluss wirkt und sich zum anderen positiv auf das Selbstbestimmungserleben und die Arbeitszufriedenheit von Mitarbeitern auswirkt. Um diese Hypothesen testen zu können, haben wir in einer zweiten Studie auf der Grundlage des Handlungsinventars respektvollen Führungsverhaltens (Studie 1) ein ökonomisches Messinstrument für respektvolle Führung entwickelt und testen in der dritten Studie die entsprechenden Zusammenhänge zwischen respektvoller Füh-
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rung und den abhängigen Variablen Identifikation mit beziehungsweise Respekt vor der Führungskraft, Selbstbestimmungserleben und Arbeitszufriedenheit. 1.2 Studie 1: Handlungsinventar respektvollen Führungsverhaltens 1.2.1 Methode Datenerhebung. Die Daten der Studie wurden internetbasiert erhoben, um auf möglichst ökonomischem Wege eine möglichst breit gefächerte Stichprobe der arbeitenden Bevölkerung zu bekommen. Datenerhebungen via Internet sind in ihren Vor- und Nachteilen gegenüber klassischen Befragungsverfahren ausführlich diskutiert worden (Birnbaum, 2004; Gosling, Vazire, Srivastava, & John, 2004; Kraut et al., 2004; Reips, 2002). Insgesamt besteht Einigkeit darüber, dass bei Beachtung entsprechender Vorsichtsmaßnahmen eine Online-Datenerhebung zu Ergebnissen führt, die von ihrer Qualität her als zumindest gleichwertig mit herkömmlichen Verfahren angesehen werden können. Zusätzlich kann davon ausgegangen werden, dass Internet-Stichproben hinsichtlich ihrer demographischen Zusammensetzung facettenreicher als traditionelle Stichproben im Bereich psychologischer Forschung sind (Gosling et al., 2004). Um einen technischen Selektionsbias zu vermeiden, wurde der Fragebogen in einer serverseitigen Skriptsprache erstellt, so dass alle Probanden unabhängig von ihren Systemvoraussetzungen (z. B. Java Script) an der Befragung teilnehmen konnten. Darüber hinaus wurde durch die Zuweisung einer eindeutigen cookie session id verhindert, dass durchschnittlich technisch versierte Teilnehmer an derselben Studie vom selben Computer aus ein zweites Mal teilnehmen konnten. Zusätzlich wurde das Layout mit unterschiedlichen Browsern und verschiedenen Bildschirmauflösungen getestet, so dass sichergestellt werden konnte, dass sich die Studie auf allen Computersystemen gleich verhielt. Als Motivationsanreize, die die Rücklaufquote erhöhen, die Abbrecherrate senken und einen starken Selbstselektionsbias mindern sollten, wurden Feedback über die Gesamtergebnisse der Studie und eine Verlaufsanzeige eingesetzt. Die Anonymität der Daten wurde den Beteiligten am Anfang der Befragung zugesichert und wurde durch die Speicherung personenbezogener Daten in einer separaten Datenbank sichergestellt. Um einen möglichst breiten Querschnitt der arbeitenden Bevölkerung zu erreichen und einen starken Selektionsbias zu verhindern, wurde für die Rekrutierung der Untersuchungsteilnehmer einer multi-site-multy-entry Strategie gefolgt, indem in diversen Online-Portalen auf unterschiedliche Weise (teaser text box, Banner, kurzer Artikel zur Studie) und in direkten Mailings an verschiedene Organisationen und Unternehmen auf die Studie hingewiesen wurde.
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Die Berücksichtigung all dieser Maßnahmen zur Verhinderung möglicher Mängel einer Online-Erhebung lässt uns zumindest im Vergleich mit klassischen Papier-und-Bleistift-Befragungen auf die Qualität unserer Daten vertrauen. Innerhalb der Studie wurden die Mitarbeiter neben den demographischen Angaben zu respektierenden Führungskräften befragt. Sie wurden gebeten, jeweils einige prägnante Beispiele für Situationen zu geben, in denen sie sich von einer Führungskraft schon einmal wirklich respektvoll behandelt fühlten. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Beispiele durchaus aus Erfahrungen mit unterschiedlichen Führungskräften kommen könnten. Die Antworten konnten in ein Textfeld eingegeben werden, welches von der Größe her so gewählt war, dass es inklusive der Fragestellung einen großen Teil des Bildschirms ausfüllte und somit zu einer ausführlichen Beantwortung einlud. Stichprobe. An der Befragung nahmen N = 426 Personen teil. Das Alter der Befragten lag im Mittel bei 38 Jahren (SD = 11 Jahre). Das Geschlechterverhältnis war mit 48 % Frauenanteil ausgewogen. Ungefähr ein Drittel der Befragten verfügte über ein höheres Bildungsniveau (Abitur und/oder universitärer Abschluss). Im Mittel hatten die Befragten in ihrem Leben bereits 15 Jahre lang mehr als 20 Stunden pro Woche gearbeitet (SD = 12,78 Jahre) und waren bei vier unterschiedlichen Firmen jeweils länger als drei Monate angestellt (SD = 3,55 Jahre). Dabei hatten sie im Mittel unter sieben verschiedenen Führungskräften gearbeitet (SD = 5,67 Führungskräfte), unter denen im Mittel drei Vorgesetzte waren, von denen sie sich wirklich respektvoll behandelt fühlten (SD = 2,45 Führungskräfte). Eine Führungsposition mit Verantwortung für andere Mitarbeiter hatten 59 % der Befragten schon einmal inne. Auswertung. Die qualitativen Daten zu respektierenden Führungskräften wurden einer explorativen Inhaltsanalyse unterzogen. Hierbei wurde im Wesentlichen auf das qualitative Analyseparadigma von Mayring (2003) zurückgegriffen und auf Prinzipien und Methoden der Grounded Theory von Strauss und Corbin (1996). Es ergaben sich 1363 Auswertungseinheiten, die mittels des induktiv-rekursiven Vorgehens zu Kategorien respektvollen Führungsverhaltens zusammengefasst wurden. Die Zuordnung der Auswertungseinheiten zu den Kategorien respektvollen Führungsverhaltens wurde von zwei Ratern unabhängig voneinander vorgenommen. 1.2.2 Ergebnis Auf der Basis der Beispiele für Situationen, in denen sich Mitarbeiter von ihren Führungskräften schon einmal wirklich respektvoll behandelt fühlten, konnten mittels des inhaltsanalytischen Vorgehens 19 Kategorien respektvollen Führungsverhaltens extrahiert werden. Diese wurden ihrerseits durch 149 Aussagen inhaltlich spezifiziert. Pro Kategorie ergaben sich dabei zwischen 5 und 15 Aus-
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sagen, die innerhalb der zugehörigen Kategorie jeweils einen eigenen Unteraspekt abbilden. Die Kategorien mit ihren inhaltlich spezifizierenden Aussagen wurden in einem Handlungsinventar respektvollen Führungsverhaltens (vollständiger Abdruck siehe Anhang) zusammengefasst. Zur Bestimmung der Interraterübereinstimmung der Zuordnung der Auswertungseinheiten zu den Kategorien respektvollen Führungsverhaltens wurde Cohens Kappa () berechnet, da dieses in neueren Publikationen nahezu ausschließlich als zufallskorrigiertes Übereinstimmungsmaß für Nominaldaten herangezogen wird (Brennan & Prediger, 1981; Thompson & Walter, 1988; Wirtz & Caspar, 2002). Wirtz und Caspar (2002) geben als Faustregel an, dass ein > 0.75 im allgemeinen als Indikator für sehr gute Übereinstimmung gesehen wird. Im vorliegenden Fall stimmen die Ratings ausgezeichnet und hochsignifikant miteinander überein ( = .982, t = 135.22, p < .001, N = 1363). Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser ersten Studie, wurde in zwei weiteren Studien ein Messinstrument für respektvolle Führung entwickelt und in Bezug auf berufsbiographische Daten und für Veränderungsprozesse in Organisationen relevante Effektvariablen validiert. Da in beiden Studien dieselben Variablen erhoben wurden, werden die Ergebnisse gemeinsam berichtet, während die Studien ansonsten separat beschrieben werden. 1.3 Studie 2: Messinstrument für respektvolles Führungsverhalten Das Ziel der zweiten Studie lag schwerpunktmäßig darin, auf der Basis des Handlungsinventars respektvollen Führungsverhaltens ein ökonomisches Messinstrument für respektvolle Führung aus der Sicht von Mitarbeitern zu entwickeln. Darüber hinaus wurde neben dem Zusammenhang respektvoller Führung mit berufsbiographischen Daten explorativ der Zusammenhang mit den Effektvariablen Identifikation mit der Führungskraft, Respekt für die Führungskraft, Selbstbestimmung und Arbeitszufriedenheit erfasst. 1.3.1 Methode Datenerhebung. Die Daten der zweiten Studie wurden mit demselben Verfahren wie in Studie 1 gewonnen. Neben den demographischen Variablen wurden auch berufsbiographische Daten zur Dauer der Erwerbstätigkeit, zur Dauer des Mitarbeiter-Führungskraftverhältnisses, zum Geschlecht der derzeitigen Führungskraft, zur Dauer der direkten Interaktionen mit der Führungskraft über Arbeitsbelange und zur Dauer der direkten Interaktionen über private Belange erhoben. Zur Entwicklung des Messinstrumentes respektvoller Führung wurden die Befragten gebeten, für jede der 149 Subfacetten des Handlungsinventars einzuschätzen, wie wichtig ihnen persönlich die entsprechenden Verhaltensweisen oder Merkmale einer Führungskraft sind, damit sie sich von dieser respektiert
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Tilman Eckloff, Niels van Quaquebeke und Erich H. Witte
fühlen. Darüber hinaus sollten sie ihre derzeitige Führungskraft hinsichtlich aller Subfacetten respektvoller Führung einschätzen und zusätzlich angeben, wie sehr sie sich insgesamt von ihrer derzeitigen Führungskraft respektiert fühlten. Zur Messung der Identifikation mit der Führungskraft wurde eine adaptierte Version des organizational identification questionnaire von Mael und Ashforth (1992) verwendet, mit der derzeitigen Führungskraft als Objekt der Identifikation (siehe hierzu auch van Dick, Wagner, Stellmacher, & Christ, 2004). Die Skala enthält Items wie: „Wenn jemand meine Führungskraft kritisiert, fühlt es sich für mich wie eine persönliche Beleidigung an.“ „Ich bin sehr daran interessiert, was andere über meine Führungskraft denken.“ Mit der Skala Respekt für Führungskräfte wurde erhoben, inwieweit ein Mitarbeiter freiwillig und gerne den Einfluss seiner Führungskraft zulässt (Graf & van Quaquebeke, 2006). Die Skala enthält folgende Items: (1) „Meine Führungskraft ist mir bei der Arbeit ein positives Vorbild.“, (2) „Ich genieße es, bei der Arbeit von meiner Führungskraft lernen zu dürfen.“, (3) „Ich vertraue bei der Arbeit der Meinung meiner Führungskraft.“, (4) „Ich fühle mich durch den Einfluss meiner Führungskraft in meiner beruflichen Entwicklung stark eingeschränkt.“ (umgepolt), (5) „Ich suche in vielen Angelegenheiten bezüglich der Arbeit gerne den Rat meiner Führungskraft.“, (6) „Ich empfinde Respekt für die Art, in der meine Führungskraft ihre beruflichen Aufgaben erfüllt.“ Beide Instrumente zur Messung von Respekt für die und Identifikation mit der Führungskraft hatten in vorangegangenen Forschungsarbeiten eine gute interne Konsistenz und die Items luden in gemeinsamen Hauptkomponentenanalysen mit Varimax-Rotation eindeutig auf zwei verschiedenen Faktoren (Graf & van Quaquebeke, 2006). Bei beiden Skalen wurde der Grad der Zustimmung zu jedem Item über eine fünfstufige Likertskala von 1 (stimme überhaupt nicht zu) bis 5 (stimme voll und ganz zu) erhoben und als Gesamtscore der Skalenmittelwert berechnet. Das Selbstbestimmungserleben wurde mittels der basic need satisfaction in relationships scale erhoben (Deci, 2006). Diese im Rahmen der Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan, 2000) entwickelte Skala misst das Ausmaß, in dem sich jemand in der Beziehung zu einer anderen Person als selbstbestimmt erlebt, das heißt, das Ausmaß, in dem seine psychologischen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit in der Beziehung mit dieser Person befriedigt werden. Sie enthält Items wie zum Beispiel: „In der Zusammenarbeit mit meiner derzeitigen Führungskraft habe ich das Gefühl, ich selbst sein zu können.“ (Autonomie), „In der Zusammenarbeit mit meiner derzeitigen Führungskraft fühle ich mich sehr fähig und effektiv.“ (Kompetenz), „In der Zusammenarbeit mit meiner derzeitigen Führungskraft fühle ich große Nähe und Vertrautheit.“ (Verbundenheit).
Respektvolle Führung
259
Arbeitszufriedenheit wurde mittels der siebenstufigen Kunin-GesichterSkala ermittelt, welche die Facetten Zufriedenheit mit den Kollegen, der Führungskraft, der Tätigkeit, den Arbeitsbedingungen, der Organisation und Leitung, den Entwicklungsmöglichkeiten und der Bezahlung erfasst (Kunin, 1955). Auch hier wurde als Gesamtscore der Skalenmittelwert berechnet. Es wurden nur diejenigen Personen in die Auswertung mit einbezogen, die zugestimmt hatten, dass ihre Daten zu wissenschaftlichen Zwecken analysiert werden sollten, und die zum Zeitpunkt der Befragung direkt einer Führungskraft unterstellt waren. Stichprobe. An der Befragung nahmen N = 228 Personen teil, die die genannten Kriterien erfüllten. Das Alter der Befragten lag im Mittel bei 37 Jahren (SD = 10,17 Jahre) und es waren 58 % Frauen und 42 % Männer unter den Befragten. 54 % der Befragten verfügten über ein höheres Bildungsniveau (allgemeine Hochschulreife und/oder ein universitärer Abschluss). Im Mittel hatten sie in ihrem Leben bereits 16 Jahre (SD = 10,17 Jahre) unter sechs verschiedenen Führungskräften (SD = 3,95) gearbeitet. 30 % der Befragten hatten zum Zeitpunkt der Befragung eine weibliche Führungskraft und 70 % eine männliche Führungskraft. Die Bandbreite der Berufe der Befragten erstreckte sich über insgesamt 43 verschiedene Wirtschaftszweige vom Lagerarbeiter bis zur Professorin. Auswertung. Zur Entwicklung eines handhabbaren Messinstruments für respektvolle Führung wurden diejenigen Items ausgewählt, bei denen der Mittelwert der Wichtigkeitseinschätzung der Mitarbeiter für ihr Gefühl, sich respektiert zu fühlen, größer war als sechs auf der Skala von 1 (nicht wichtig) bis 7 (äußerst wichtig). Zusätzlich sollten die Items möglichst hoch (r > .6) mit der Kriteriumsfrage („Wenn sie an Ihre derzeitige Führungskraft denken: Wie sehr fühlen Sie sich von dieser respektiert?“) korrelieren. Unter den verbliebenen Items wurde innerhalb der jeweiligen Kategorien des Handlungsinventars aus inhaltlich ähnlichen Items ausgewählt. Dabei wurden allgemeiner formulierte, beziehungsweise auf viele Situationen anwendbare/bezogene Items sowie Items, die direktes Verhalten gegenüber dem Mitarbeiter ausdrücken, beispielsweise statt „hält sich an Absprachen“, „nimmt mich und meine Arbeit ernst“, im Zweifelsfall vorgezogen. Dann wurde faktorenanalytisch (Hauptkomponentenanalyse) überprüft, inwieweit sich eine eindimensionale Struktur der verbliebenen Items ergibt. Items mit einer niedrigen Faktorladung (Faktorladung unter .6 nach Bortz & Döring, 1995) oder Items, die hoch auf mehreren Faktoren laden, sollten ausgeschlossen werden. Darüber hinaus wurde als Skalenkennwert die Reliabilität (Cronbach’s Alpha und Split-Half-Reliabilität nach Spearman-Brown) bestimmt. Als Itemkennwerte wurden die jeweiligen korrigierten Trennschärfekoeffizienten ermit-
260
Tilman Eckloff, Niels van Quaquebeke und Erich H. Witte
telt. Items mit geringer Trennschärfe (Trennschärfe < .5 nach Bortz & Döring, 1995) sollten ausgeschlossen werden. Des Weiteren wurden im Sinne einer Konstruktvalidierung die erwarteten Korrelationen der so entstandenen Skala respektvoller Führung mit den Effektvariablen Identifikation mit der Führungskraft, Respekt für die Führungskraft, Selbstbestimmungserleben und Arbeitszufriedenheit berechnet. 1.4 Studie 3 In der dritten Studie sollte die nun standardisierte Skala Respektvolle Führung auf ihre Anwendbarkeit hin überprüft werden. Es wurden dieselben Maße wie in der zweiten Studie verwendet. Insbesondere wurde in Bezug auf die Validierung des Konstrukts erwartet, dass sich die in Studie 2 erwarteten positiven Korrelationen zwischen respektvoller Führung und den Effektvariablen Identifikation, Respekt für die Führungskraft, Selbstbestimmungserleben und Arbeitszufriedenheit replizieren lassen. 1.4.1 Methode Datenerhebung. Die dritte Studie wurde unter Berücksichtigung derselben Maßnahmen zur Verhinderung möglicher Mängel einer Online-Erhebung wie in den ersten beiden Studien konzipiert. Allerdings fand hier die Rekrutierung auf andere Weise statt. Um eine möglichst vielfältige Stichprobe der arbeitenden Bevölkerung zu bekommen, wurde die Studie über das professionelle Umfragepanel von Sozioland beworben, so dass eine sehr breit gefächerte Auswahl an potentiellen Teilnehmern zur Teilnahme an der Studie gebeten wurde. Auch bei dieser Studie wurden wiederum nur diejenigen Befragten in die Datenauswertung mit einbezogen, die zugestimmt hatten, dass Ihre Daten zu wissenschaftlichen Zwecken analysiert werden sollten und die zum Zeitpunkt der Befragung direkt einer Führungskraft unterstellt waren. Stichprobe. An der Befragung nahmen N = 412 Personen teil, die die genannten Kriterien erfüllten. Das Alter der Befragten lag im Mittel bei 35 Jahren (SD = 10,17 Jahre) und es waren 64 % Frauen und 36 % Männer unter den Befragten. 48 % der Befragten verfügten über ein höheres Bildungsniveau (allgemeine Hochschulreife und/oder ein universitärer Abschluss). Im Mittel hatten sie in ihrem Leben bereits 15 Jahre (SD = 10,06 Jahre) unter sechs verschiedenen Führungskräften (SD = 5,14) gearbeitet. 30 % der Befragten hatten zum Zeitpunkt der Befragung eine weibliche Führungskraft und 70 % eine männliche Führungskraft. Die Bandbreite der Berufe der Befragten erstreckte sich über insgesamt 42 verschiedene Wirtschaftszweige vom Lagerarbeiter bis zur Unternehmensberaterin.
Respektvolle Führung
261
Auswertung. Das Vorgehen bei der Auswertung der dritten Studie entsprach dem der zweiten Studie. 1.4.2 Ergebnisse Itemauswahl, Hauptkomponentenanalyse und Reliabilitätsberechnung. Auf der Grundlage der aufgestellten Kriterien für die Itemauswahl konnten zwölf Items für die Skala respektvolle Führung ausgewählt werden. Acht der 19 ursprünglichen Kategorien des Handlungsinventars erwiesen sich als weniger wichtig, so dass aus diesen Kategorien keine Items in das Messinstrument für respektvolle Führung aufgenommen wurden. Die aufgenommenen Items sind in Übersicht 1 dargestellt und die zugehörigen Itemkennwerte in Tabelle 1. Übersicht 1: Ausgewählte Items für die Skala Respektvolle Führung (RVF) Item RVF1
Itemformulierung Meine Führungskraft… vertraut mir, dass ich eigenständig und selbstverantwortlich gute Leistung bringe.
RVF2
äußert Kritik sachlich und konstruktiv.
RVF3
erkennt mich als vollwertiges Gegenüber an.
RVF4
erkennt meine Leistungen an.
RVF5
zeigt ehrliches Interesse an meiner Meinung und meinen Einschätzungen.
RVF6
versucht nicht, mich für ihre Fehler verantwortlich zu machen.
RVF7
steht gegenüber Dritten ganz klar hinter mir und meiner Arbeit.
RVF8
behandelt mich höflich.
RVF9
versorgt mich mit allen für mich relevanten Informationen.
RVF10
nimmt mich und meine Arbeit ernst.
RVF11
geht offen und ehrlich mit mir um.
RVF12
behandelt mich fair.
Anmerkungen: Der Grad der Zustimmung zu jedem Item wurde mittels einer fünfstufigen Likertskala erhoben (1 = trifft nicht zu; 2 = trifft ein wenig zu; 3 = trifft mittelmäßig zu; 4 = trifft ziemlich zu; 5 = trifft sehr zu).
Aus der Kategorie „Kritikfähigkeit“ des Handlungsinventars wurde ein Item (RVF6 – „Die Führungskraft versucht, nicht mich für ihre Fehler verantwortlich zu machen“) ausgewählt, obwohl dieses in der zweiten Studie knapp unter .6 mit dem der Kriteriumsfrage korreliert, denn die Items dieser Kategorie wurden von den Mitarbeitern durchweg als sehr wichtig dafür eingeschätzt, dass sie sich von einer Führungskraft respektiert fühlen können und die Kategorie wäre sonst
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Tilman Eckloff, Niels van Quaquebeke und Erich H. Witte
inhaltlich gar nicht in der Skala repräsentiert. In der dritten Studie entspricht die Korrelation jedoch dem aufgestellten Kriterium. Aus der Kategorie „Klarheit“ wurden zwei Items in die Skala aufgenommen (RVF11 – „Die Führungskraft geht offen und ehrlich mit mir um.“ und RVF12 – „Die Führungskraft behandelt mich fair.“), denn sowohl die Kriteriumsvalidität, als auch die Wichtigkeit der Items ergaben sehr hohe Werte. Zudem sprachen auch inhaltliche Gründe (Repräsentation des Konstrukts durch die inhaltlich unterschiedlichen Items) dafür, beide beizubehalten. Tabelle 1: Kennwerte der Items der Skala Respektvolle Führung in Studie 1 (Studie 2 in Klammern) Item
Faktorladung
Trennschärfe
M
SD
Kriteriumsvaliditäta
Wichtigkeitb
RVF1
.71
(.74)
.67
(.69)
4.12
(4.13)
!.01
8.97)
.67*
(.70*)
6.43
(6.45)
RVF2
.81
(.80)
.77
(.76)
3.50
(3.61)
1.28
(1.24)
.70*
(.68*)
6.41
(6.49)
RVF3
.85
(.85)
.82
(.82)
3.59
(3.51)
1.38
(1.28)
.77*
(.76*)
6.34
(6.14)
RVF4
.84
(.83)
.81
(.79)
3.52
(3.70)
1.25
(1.11)
.75*
(.70*)
6.11
(6.17)
RVF5
.88
(.85)
.85
(.81)
3.35
(3.46)
1.33
(1.23)
.75*
(.72*)
6.09
(5.94)
RVF6
.70
(.78)
.65
(.73)
3.57
(3.68)
1.38
(1.36)
.55*
(.62*)
6.42
(6.37)
RVF7
.84
(.81)
.81
(.77)
3.35
(3.40)
1.32
(1.28)
.74*
(.69*)
6.02
(6.00)
RVF8
.80
(.79)
.76
(.75)
3.96
(4.04)
1.06
(.99)
.66*
(.66*)
6.07
(6.00)
RVF9
.80
(.74)
.76
(.69)
3.06
(3.20)
1.32
(1.27)
.67*
(.60*)
6.24
(6.08)
RVF10
.90
(.89)
.87
(.86)
3.63
(3.74)
1.22
(1.14)
.81*
(.76*)
6.28
(6.14)
RVF11
.85
(.85)
.82
(.81)
3.60
(3.73)
1.24
(1.15)
.73*
(.73*)
6.40
(6.30)
RVF12
.90
(.87)
.88
(.84)
3.68
(3.77)
1.22
(1.13)
.81*
(.77*)
6.47
(6.31)
Anmerkungen: Studie 1: N1 = 228; Studie 2: N2 = 412; a entspricht der Korrelation des Items mit der Antwort auf die Frage, wie sehr sich der Mitarbeiter von seiner Führungskraft respektiert fühlt; b entspricht dem Mittelwert der Wichtigkeitsbewertungen der Mitarbeiter; * auf dem .001-Niveau signifikant (zweiseitig).
In beiden Studien bestätigte sich die Eindimensionalität der Skala. Es ergab sich in den Hauptkomponentenanalysen jeweils nur ein Faktor mit einem Eigenwert über 1. Dieser Faktor klärte in der ersten Studie 68,3 % der Varianz und in der zweiten Studie 66,8 % der Varianz auf. Die Faktorladungen der einzelnen Items lagen entsprechend dem Kriterium über .6. Auch waren die Items ausreichend trennscharf, so dass aufgrund dieser Kriterien alle 12 Items in der Skala beibehalten werden konnten (siehe Tabelle 2). Die interne Konsistenz der Skala ist in beiden Studien sehr gut (Cronbach’s Alpha = .96 in Studie 1 und .95 in Studie 2). Auch die Split-Half-Reliabilität nach Spearman-Brown ist mit .95 in beiden Studien als sehr gut zu bewerten.
Respektvolle Führung
263
Demographische Variablen. In beiden Studien beurteilten Frauen ihre Führungskräfte im Durchschnitt ähnlich wie Männer bezogen auf die Skala zu respektvoller Führung (Studie 1: t (226) = 1.08, n.s.; Studie 2: t (410) = 1.52, n.s.). Auch wurden weibliche Führungskräfte hinsichtlich respektvoller Führung von den Befragten im Mittel genauso eingeschätzt wie männliche Führungskräfte (Studie 1: t(226) = -0.19, n.s.; Studie 2: t(410) = 0.21, n.s.). Hinsichtlich des Bildungsabschlusses ließen sich ebenfalls in beiden Studien keine Unterschiede feststellen (Studie 1: F(8,219) = 1.75, p = .09; Studie 2: F(9,402) = 0.44, p = .91). Tabelle 2: Zusammenhänge zwischen Respektvoller Führung (RVF) und berufsbiographischen Daten in beiden Studien (N1 = 228, N2 = 412) RVF (Studie 1)
RVF (Studie 2)
1. Wie viele Jahre haben Sie schon in Ihrem Leben gearbeitet?
.12n.s
-.08n.s.
2. Wie viele Jahre arbeiten Sie schon unter Ihrer derzeitigen Führungskraft?
.03n.s.
-.08n.s.
3. Wie viele Minuten interagieren Sie durchschnittlich direkt mit Ihrer Führungskraft über Arbeitsbelange, also besprechen Projekte oder andere unternehmensrelevante Dinge?
.13n.s.
-.01n.s.
4. Wie viele Minuten interagieren Sie durchschnittlich direkt mit Ihrer Führungskraft über private Belange, also besprechen Freizeitaktivitäten oder andere persönliche Dinge?
.34*
.18+
Anmerkungen: (zweiseitig)
+
auf dem .01-Niveau signifikant (zweiseitig); * auf dem .001-Niveau signifikant
In Bezug auf die Zusammenhänge respektvoller Führung mit berufsbiographischen Daten ergaben sich lediglich bei der Dauer der direkten Interaktion mit der Führungskraft über private Belange in beiden Studien signifikante Korrelationen (siehe Tabelle 3). Weder mit der Dauer der Erwerbstätigkeit, noch mit der Dauer des Mitarbeiter-Führungskraftverhältnisses oder der Dauer der direkten Interaktion mit der Führungskraft über berufliche Belange ergab sich ein signifikanter Zusammenhang. Dieses Ergebnis zeigt, dass Führungskräfte, die mit ihren Mitarbeitern auch über private Belange wie Freizeitaktivitäten oder andere persönliche Dinge sprechen, von ihren Mitarbeitern als respektvoller wahrgenommen werden. Dies betont die Bedeutung einer persönlichen Komponente in der Wahrnehmung respektvoller Führung.
264
Tilman Eckloff, Niels van Quaquebeke und Erich H. Witte
Konstruktvalidität. Die Mittelwerte, Standardabweichungen, Interkorrelationen und internen Konsistenzen der Variablen beider Studien sind in Tabelle 3 aufgeführt. Wie erwartet zeigen sich starke Zusammenhänge zwischen respektvoller Führung und dem Ausmaß, in dem sich Mitarbeiter mit ihren Führungskräften identifizieren beziehungsweise dem Respekt, den sie ihren Führungskräften zollen. Beides sind Indikatoren für die Offenheit von Mitarbeitern für Führungseinfluss. Das heißt, je stärker Mitarbeiter also von ihren Führungskräften respektiert werden, umso stärker identifizieren sie sich mit diesen und umso stärker respektieren sie diese. Die Offenheit von Mitarbeitern für Führungseinfluss hängt also in hohem Maße davon ab, ob sich Führungskräfte ihnen gegenüber respektvoll verhalten. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse erwartungsgemäß, dass sich Mitarbeiter, die respektvoll geführt werden als stärker selbstbestimmt erleben und insgesamt zufriedener mit ihrer Arbeit sind. 2
Diskussion
Ziel der hier vorgelegten Studien war es, einen Beitrag zum Verständnis des Phänomens respektvoller Führung zu leisten und ihren Nutzen für die Steuerung von Unternehmen im Wandel aufzuzeigen. Die erste Studie sollte ein umfassendes Bild möglicher Merkmale beziehungsweise Verhaltensweisen von Führungskräften liefern, die dazu beitragen, dass sich Mitarbeiter von ihren Führungskräften respektiert fühlen. Aufgrund der für qualitative Untersuchungen ziemlich großen (N1 = 426) und heterogen zusammengesetzten Stichprobe kann davon ausgegangen werden, dass ein ausreichendes Spektrum an möglichen Verhaltensweisen und Merkmalen respektvoller Führung generiert werden konnte. Diese wurden in einem Handlungsinventar respektvollen Führungsverhaltens (vollständiger Abdruck siehe Anhang) in Form von 149 Aussagen abgebildet, welche die 19 inhaltsanalytisch extrahierten Kategorien respektvollen Führungsverhaltens inhaltlich füllen und jeweils einen eigenen Teilaspekt darstellen. Insofern gibt das Handlungsinventar einen gut strukturierten und praxisbezogenen Überblick darüber, welches konkrete Führungsverhalten von Mitarbeitern als respektvoll empfunden wird. Auf dieser Grundlage wurde ein ökonomisches Messinstrument für respektvolle Führung entwickelt und auf seine Anwendbarkeit hin überprüft. Die Skala erfasst die wichtigsten Facetten respektvoller Führung und misst, inwieweit sich eine Führungskraft in den Augen ihrer Mitarbeiter respektvoll verhält. Sie enthält in der endgültigen Fassung zwölf kriteriumsvalide Items und erwies sich in zwei Studien als eindimensional und sehr reliabel.
(3.40)
(4.58)
3.48
4.47
Selbstbestimmungserleben
Arbeitszufriedenheit
1.18
1.11
1.11
0.88
0.96
.76*
.89*
.62*
(0.98)
(1.28)
.50*
.95
(1.13)
(0.89)
(1.03)
SD
1
(.68*)
(.88*)
(.81*)
(.49*)
(.96)
(.56*)
(.48*)
(.45*)
.55*
.45*
(.85)
.62*
.86
2
(.91)
(.75*)
(.69*)
.92
.76*
.63*
3
(.91)
(.67*)
.93
.63*
4
Anmerkungen: Die kursiv gedruckten Werte entsprechen Cronbach’s .. * auf dem .001-Niveau signifikant (zweiseitig).
(2.99)
(2.12)
(3.58)
3.14
2.08
3.66
Respekt für die Führungskraft
Identifikation mit der Führungskraft
Respektvolle Führung
M
.82
5
(.84)
Tabelle 3: Mittelwerte, Standardabweichungen, Interkorrelationen und interne Konsistenzen der Variablen in Studie 2 (Studie 1 in Klammern)
Respektvolle Führung 265
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Bezüglich der Konstruktvalidität wurde geprüft, inwieweit respektvolle Führung mit der Identifikation beziehungsweise dem Respekt gegenüber einer Führungskraft, dem Selbstbestimmungserleben von Mitarbeitern und der Arbeitszufriedenheit zusammenhängt. Die erwarteten hohen Korrelationen zwischen den Konstrukten ließen sich in beiden Studien nachweisen. Mitarbeiter, die respektvoll geführt werden, identifizieren sich stärker mit ihren Führungskräften und respektieren diese stärker. Beides sind Indikatoren für die Offenheit von Mitarbeitern gegenüber dem Führungseinfluss ihrer Vorgesetzten. Gerade im Rahmen von Veränderungsprozessen ist diese Offenheit für Führungseinfluss besonders wichtig, damit eine Organisation effizient vertikal gesteuert werden kann, so dass notwendige strategische Entscheidungen und Veränderungsimpulse von oben auch schnell und effizient umgesetzt werden können. Mitarbeiter, die respektvoll geführt werden, werden ihren Führungskräften also auch in unsicheren Zeiten stetiger Veränderung eher folgen und damit die Flexibilität der Organisation im Wandel sicherstellen. Darüber hinaus zeigt die positive Korrelation von respektvoller Führung mit dem Selbstbestimmungserleben von Mitarbeitern, dass Mitarbeiter, die respektvoll geführt werden, besser in der Lage sind, an ihrem Platz im Unternehmen eigenständig und aktiv auf neue Entwicklungen und veränderte Anforderungen zu reagieren, da sie sich in der Beziehung zu ihrer Führungskraft als autonom, kompetent und mit ihr verbunden empfinden. Die Forschung zur Selbstbestimmungstheorie zeigt auf eindrückliche Weise, wie wichtig diese drei Aspekte sowohl für die gesunde Entwicklung des Individuums, als auch für seine erfolgreiche Integration in größere soziale Zusammenhänge, wie etwa eine Arbeitsorganisation, sind (vgl. Deci & Ryan, 2000; Gagné & Deci, 2005). Dies drückt sich auch darin aus, dass Mitarbeiter, die respektvoll geführt werden, zufriedener mit ihrer Arbeit sind. Respektierte Mitarbeiter stellen, von diesem Blickwinkel aus betrachtet, für Organisationen im Wandel also eine bedeutende Ressource dar, da sie im Sinne der Kontextsteuerung dazu beitragen, die Komplexität von Veränderungsprozessen zu bewältigen, und dafür sorgen, dass die Organisation als ganze ausreichend irritierbar und damit anpassungsfähig an sich verändernde Bedingungen bleibt. Die hier angewandte Vorgehensweise birgt insgesamt gesehen allerdings auch Probleme in sich. Vom theoretischen Standpunkt her ist es zwar sinnvoll, für die Erforschung der Auswirkungen respektvoller Führung eine mitarbeiterzentrierte Perspektive einzunehmen. Die Erhebung der Daten aus der Sicht der Mitarbeiter wirft jedoch bei allen Studien in diesem Bereich in der Umsetzung das Problem eines möglichen common method bias auf (Podsakoff, Podsakoff, MacKenzie, & Lee, 2003). Zwar sind die von uns erwarteten hohen Korrelationen zwischen den hier berichteten Konstrukten sehr viel höher als die Korrelati-
Respektvolle Führung
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onen zu anderen Konstrukten, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die Effekte substantiell auf die angenommenen Wirkzusammenhänge zurückführbar sind, aber die ausschließliche Stützung auf die Angaben der Mitarbeiter ist trotzdem als methodische Schwäche der vorliegenden Arbeit anzusehen, und es wäre wünschenswert, in zukünftigen Studien die Daten mit Einschätzungen durch die Führungskräfte oder mit externen Beobachtungsdaten zu komplettieren. In diesem Rahmen würden sich dann auch weitere interessante Aspekte beispielsweise in Bezug auf die Frage ergeben, inwieweit die Wahrnehmung von respektvoller Führung durch die Mitarbeiter mit dem real gezeigten Führungsverhalten übereinstimmt und wie sich mögliche Abweichungen auf die Einflussbeziehung in den Führungsdyaden auswirken. Darüber hinaus wäre es interessant, in weiteren Studien die Zusammenhänge von respektvoller Führung mit anderen Führungsansätzen, wie beispielsweise Leader-Member-Exchange (Graen & Uhl-Bien, 1995), transformationaler beziehungsweise charismatischer Führung (Felfe, in press) oder dem gerade wiederentdeckten Consideration-Ansatz der Ohio-Studies (Judge, Piccolo, & Ilies, 2004) zu untersuchen. Auf diese Weise könnte das Spezifische der jeweiligen Ansätze herausgearbeitet werden und unser Verständnis davon, welches Führungsverhalten wie wirkt, erweitert werden. Wir hoffen mit unserer Arbeit einen Beitrag zum Verständnis der immanent logischen Steuerung komplexer Systeme geleistet zu haben. Hierbei scheint gerade in Zeiten des Wandels der Respekt in der Beziehung von Führungskräften und Mitarbeitern eine entscheidende Rolle zu spielen, in dem Sinne, dass eine Organisation durch wichtige Informationen aus ihrer relevanten Umwelt irritierbar bleibt und gleichzeitig die resultierende Komplexität erfolgreich bewältigen kann. Denn wie eine Organisation mit der Komplexität von Veränderungsprozessen umgeht, hängt ganz wesentlich von den individuellen Kompetenzen ihrer Mitarbeiter ab. Organisationen sind zunehmend mit interner Vielfalt konfrontiert, beispielsweise in Form von multinationalen Teams oder Projekten, die fachliche Diversität fordern. Die Art und Weise, wie jedoch mit dieser Vielfalt umgegangen wird, entscheidet über den Charakter der Organisation. Wird versucht, der Komplexität durch das Degradieren der Mitarbeiter zu unmündigen Befehlempfängern Herr zu werden, verspielt die Organisation die Chance, die Steuerungskompetenz der Mitarbeiter, die in deren selbst bestimmtem Handeln liegt, für sich fruchtbar zu machen. Auf der Ebene der konkreten Interaktionen zwischen den verschiedenen Akteuren einer Organisation ist die Frage des Respekts eine Frage der Interaktionsqualität im Umgang miteinander. Respekt kann hier eine Steuerungsfunktion auf der Mikroebene übernehmen, indem er die Frage nach dem „Wie“ des Umgangs mit den Mitarbeitern in komplexen Situationen beziehungsspezifisch bestimmt und dabei dem Einzelnen seine autonome
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Tilman Eckloff, Niels van Quaquebeke und Erich H. Witte
Steuerungskompetenz nicht nimmt. Diese Steuerungsfunktion kann gewährleisten, dass vor dem Hintergrund zunehmender Vielfalt bei gleichzeitig starkem Veränderungsdruck auf die Organisation das soziale Miteinander trotzdem so geregelt werden kann, dass es für das jeweilige Individuum befriedigend bleibt. Respekt scheint hier einen der Dreh- und Angelpunkte zu bilden.
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Respektvolle Führung
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Respektvolle Führung
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Tilman Eckloff, Niels van Quaquebeke und Erich H. Witte
Anhang
Handlungsinventar für respektvolles Führungsverhalten Vertrauen – Die Führungskraft hat Vertrauen in ihren Mitarbeiter.
Handlungsfreiräume – Die Führungskraft eröffnet ihrem Mitarbeiter angemessene Handlungsfreiräume.
hat grundsätzlich Vertrauen in ihn als Person
räumt ihm den größtmöglichen Gestaltungsspielraum in Bezug auf seine Arbeitszeit ein
vertraut ihm, dass er eigenständig und selbstverantwortlich gute Leistung bringt
lässt ihm den größtmöglichen Handlungsspielraum bei der Ausführung seiner Arbeiten
hat Vertrauen in seine Fähigkeiten und Kompetenzen
fragt ihn erst, bevor sie ihn in Anspruch nimmt
vertraut ihm gerechtfertigterweise, dass er die ihm eingeräumten Freiheiten nicht missbraucht
bespricht Dienständerungen oder Termine mit ihm
bringt ihm soviel Vertrauen entgegen, wie er verdient
lässt ihn seine Arbeit inhaltlich und organisatorisch soweit wie möglich selbst steuern
Verantwortung – Die Führungskraft überträgt ihrem Mitarbeiter angemessene Verantwortung.
gibt Freiräume, eigene Ideen umzusetzen
überträgt ihm die Verantwortung für wichtige Aufgaben
gibt ihm nicht das Gefühl, kontrolliert und überwacht zu werden
überträgt ihm seinen Leistungen entsprechend Verantwortung
fördert selbständiges Arbeiten
überträgt ihm die Verantwortung für besonders herausfordernde Aufgaben
überlässt ihm die für seinen Arbeitsbereich relevanten Entscheidungen
Respektvolle Führung
273
ermöglicht eigenverantwortliches Arbeiten
Fehler - Die Führungskraft zeigt ihrem Mitarbeiter gegenüber eine angemessene Fehlertoleranz.
überträgt ihm die für seine Aufgaben angemessene Verantwortung
lässt ihn zuerst Stellung nehmen, wenn sie denkt, dass er einen Fehler gemacht hat
überträgt ihm schnell viel Verantwortung
hat Verständnis dafür, dass bei der Arbeit auch Fehler passieren können
Rücksicht - Die Führungskraft nimmt Rücksicht auf die Belange des Mitarbeiters.
hält ihm seine Fehler nicht immer wieder vor
geht im Rahmen des Möglichen auf seine Wünsche ein
kritisiert ihn nicht vor anderen
berücksichtigt seine Interessen und Vorlieben
würdigt ihn als Person nicht herab, wenn er einen Fehler gemacht hat
nimmt Rücksicht auf seine persönlichen Bedürfnisse
gibt ihm die Chance, durch eigene Fehler und Erfahrungen zu lernen
geht auch außerhalb des gewöhnlichen Rahmens auf seine Wünsche ein
äußert Kritik sachlich und konstruktiv
nimmt Rücksicht auf seine individuellen Besonderheiten
Gleichheit - Die Führungskraft handelt auf Basis angenommener Gleichwertigkeit des Mitarbeiters.
Abstand - Die Führungskraft wahrt eine angemessene Distanz zum Mitarbeiter.
betrachtet ihn als gleichwertig
lässt seine Meinung gelten, auch wenn sie grundlegend von ihrer abweicht
begegnet ihm fachlich auf Augenhöhe
achtet seine Privatsphäre
zeigt selbst mindestens genauso viel Einsatz, wie sie von ihm erwartet
274
Tilman Eckloff, Niels van Quaquebeke und Erich H. Witte
wahrt eine dem Verhältnis angemessene Distanz
hält sich auch selbst an von ihr aufgestellte Regeln und Vereinbarungen
verhält sich nicht anzüglich, auch nicht im Scherz
vermittelt ihm das Gefühl, dass beide wechselseitig aufeinander angewiesen sind
lässt persönliche Launen nicht an ihm aus
kehrt ihren formal höheren Status nicht hervor
Anerkennung - Die Führungskraft erkennt die Arbeit des Mitarbeiters an.
erkennt ihn als vollwertiges Gegenüber an
erkennt seine Leistungen an
gesteht ihm die gleichen Rechte und Privilegien zu
lobt ihn, wenn er gute Arbeit geleistet hat
nutzt ihre höhere Position nicht aus
belohnt ihn für gute Leistungen (z. B.: Gehaltserhöhung, Prämie, Bonus)
Förderung - Die Führungskraft fördert die berufliche Weiterentwicklung des Mitarbeiters.
erkennt auch sehr kleine Erfolge an
berät und fördert ihn aktiv in seiner Karriere
sorgt für leistungsgerechte Bezahlung
steht seiner Karriere nicht aus persönlichen Interessen im Wege
beurteilt seine Leistungen angemessen
fördert ihn durch die schrittweise Übertragung von mehr Verantwortung
honoriert besondere Erfolge oder Leistungen angemessen
bietet ihm Maßnahmen für seine berufliche Weiterbildung an
würdigt besonderen Einsatz und nimmt ihn nicht als selbstverständlich hin
fördert sein Weiterkommen durch Vermittlung wichtiger Kontakte
zollt auch für die Ausführung von Routinearbeiten Anerkennung
fördert seine Weiterentwicklung, auch wenn dadurch kein Nutzen für das Unternehmen entsteht
Respektvolle Führung
275
meint ihr Lob und ihre Anerkennung aufrichtig und ehrlich
Potential - Die Führungskraft nutzt und fördert die Potentiale des Mitarbeiters.
erkennt seine fachliche Kompetenz an
zeigt ehrliches Interesse an seiner Meinung und seinen Einschätzungen
vermittelt ihm das Gefühl, an seinem Platz im Unternehmen wichtige und sinnvolle Arbeit zu leisten
ermutigt ihn dazu, Kritik zu üben und eigene Ideen einzubringen
lobt ihn und seine Arbeit auch gegenüber Dritten
lässt es zu, dass er ihr seine Vorschläge und Ideen mitteilt
verkauft seine Leistungen nicht als ihre, sondern stellt seinen Beitrag angemessen heraus
fordert ihn, so dass er seine Fähigkeiten und Kompetenzen voll ausschöpfen kann
sorgt dafür, dass gute Leistungen von ihm auch in statushöheren Kreisen bekannt werden
setzt sich ernsthaft mit seinen Vorschlägen und Ideen auseinander
Einfluss - Die Führungskraft lässt sich in gewissem Rahmen von ihrem Mitarbeiter beeinflussen.
ermöglicht ihm, Neues und Interessantes bei seiner Arbeit zu lernen
bittet ihn um Hilfe in Bereichen, in denen er sich gut auskennt
setzt ihn seinen Fähigkeiten und Kompetenzen entsprechend ein
vertraut in bestimmten Angelegenheiten auf seinen Rat
ermöglicht ihm, an seiner Arbeit zu wachsen und kompetenter zu werden
nimmt gute Ideen oder Vorschläge von ihm an und setzt sie entsprechend um
beachtet seine Beiträge unabhängig von seiner Position oder formalen Qualifikation
lässt sich von ihm beeinflussen
lässt sich bei Meinungsverschiedenheiten auf eine sachliche Diskussion ein
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Tilman Eckloff, Niels van Quaquebeke und Erich H. Witte
hat grundsätzlich die Bereitschaft, von ihm zu lernen
Partizipation - Die Führungskraft beteiligt ihren Mitarbeiter angemessen bei Entscheidungen.
ist bereit, ihre Meinung zu überdenken, wenn er gute Argumente bringt
fragt nach seiner Meinung, bevor sie Entscheidungen trifft
gesteht ein, dass er in einigen Dingen kompetenter ist als sie
trifft bestimmte Entscheidungen allein auf der Basis seines Urteils
Kritikfähigkeit - Die Führungskraft ist kritikfähig.
bindet ihn angemessen in Entscheidungen ein, die seine Arbeit oder sein Arbeitsumfeld betreffen
lässt es zu, dass er ihr seine Kritik mitteilt
ist bereit, getroffene Entscheidungen noch einmal zu überdenken, wenn er ihr einen guten Grund dafür bietet
kann gerechtfertigte Kritik annehmen
räumt ihm bei Entscheidungen, von denen er betroffen ist, das gleiche Entscheidungsrecht ein
entschuldigt sich im Nachhinein für Fehlverhalten ihm gegenüber
Persönliches – Die Führungskraft nimmt die Person des Mitarbeiters angemessen wahr.
ändert bei gerechtfertigter Kritik sein Verhalten entsprechend
verhält sich angemessen bei besonderen Ereignissen im privaten Bereich (z. B.: Todesfall, Heirat, …)
gesteht eigene Fehler ein
interessiert sich dafür, wie es ihm geht
versucht nicht, ihn für ihre Fehler verantwortlich zu machen
redet mit ihm auch über private oder persönliche Angelegenheiten
Loyalität – Die Führungskraft bietet ihrem Mitarbeiter Rückendeckung und Rückenstärkung.
macht Zugeständnisse in persönlichen Krisensituationen
steht gegenüber Dritten ganz klar hinter ihm und seiner Arbeit
zeigt aufrichtiges Interesse an ihm als Person und nicht nur als Arbeitskraft
Respektvolle Führung
277
trägt von ihm getroffene Entscheidungen mit und verteidigt sie gegebenenfalls anderen gegenüber
hilft bei persönlichen Problemen
stärkt ihm in kritischen Situationen den Rücken
pflegt auch außerhalb der Arbeit einen persönlichen Kontakt mit ihm
übernimmt die Verantwortung für Fehler, die ihm aufgrund unzureichender Betreuung unterlaufen
hat Interesse an einem guten persönlichen Arbeitsverhältnis
vertritt seine Interessen gegenüber anderen
Unterstützung – Die Führungskraft gewährt ihrem Mitarbeiter umfassende Unterstützung.
Zuwendung – Die Führungskraft ist ihrem Mitarbeiter beachtend zugewandt.
kümmert sich um seine Fragen und Probleme
hört ihm zu, wenn er etwas sagt
hilft ihm, schwierige Aufgaben alleine bewältigen zu können
ist gut auf Gespräche vorbereitet
hilft ihm, begangene Fehler zu korrigieren
interessiert sich für seine Arbeit
stellt die notwendigen Mittel und Ressourcen bereit, so dass er seine Arbeit gut ausführen kann
lässt ihn ausreden
unterstützt ihn gegenüber Dritten
beantwortet seine Fragen angemessen
reflektiert mit ihm gemeinsam seine Arbeitssituation
ist für ihn jederzeit ansprechbar, wenn es wichtig ist
versorgt ihn mit allen für ihn relevanten Informationen
nimmt sich ausreichend Zeit für ihn
fordert, aber überfordert ihn nicht
nimmt ihn und seine Arbeit ernst
erkennt und fördert seine Stärken, anstatt auf seinen Schwächen herumzureiten
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Tilman Eckloff, Niels van Quaquebeke und Erich H. Witte
kann sich gut in ihn hineinversetzen
fragt regelmäßig nach seiner Arbeit, ohne ihm dabei das Gefühl zu geben, sich rechtfertigen zu müssen
ist offen für seine Anliegen
packt selbst mit an, wenn es notwendig ist
lässt ihn so sein, wie er ist, so dass er sich nicht zu verstellen braucht
setzt sich persönlich für ihn und seinen Arbeitsbereich ein
Klarheit – Die Führungskraft ist ihrem Mitarbeiter gegenüber verlässlich, gerecht und transparent.
sorgt für ein gutes Arbeitsklima
geht offen und ehrlich mit ihm um
bemüht sich, ihn zu motivieren
begründet und erklärt Entscheidungen nachvollziehbar
gibt ihm ehrliches Feedback, wenn er es braucht
formuliert klar und deutlich ihre Erwartungen
Umgang – Die Führungskraft hat eine gute Umgangsweise ihrem Mitarbeiter gegenüber.
ist pünktlich
ist ihm gegenüber freundlich
verhält sich ihm gegenüber gerecht
behandelt ihn höflich
bevorzugt ihn nicht unbegründet
geht verständnisvoll mit ihm um
hält sich an Absprachen
hat Humor
behandelt ihn fair
verhält sich ihm gegenüber partnerschaftlich
verhält sich berechenbar, so dass er immer weiß woran er ist
hat einen ruhigen Umgangston
III. Praktische Erfahrungen
Erfolgsfaktoren und Stolpersteine bei Veränderungen Dieter Frey, Marit Gerkhardt und Peter Fischer Bei allen Veränderungsprozessen gilt: Statt „maximizing“ und „optimizing“ „satisfying“. (vgl. Nobelpreisträger Herbert A. Simon) 1
Ein grundlegendes Problem: Widerstände in Veränderungsprozessen
Jede Veränderung bedeutet, dass ein Mensch sein bekanntes und gewohntes Tun, sein Umfeld, seine Gewohnheiten, seine Rolle, kurzum seinen Status quo verlassen muss. Der Status quo beinhaltet jedoch für jeden Menschen in der Regel einen mehr oder minder großen Nutzen und eine Reihe von Bequemlichkeiten. Diesen zu verlassen ist auf den ersten Blick oft mit Nachteilen, mit subjektivem Aufwand oder gar Beeinträchtigungen verbunden. Hält man sich diesen Zusammenhang vor Augen, so ist es nur allzu verständlich, dass beinahe jede Veränderung verdeckten, offenen oder indirekten Widerstand hervorruft. Widerstände können dabei in unterschiedlichster Form deutlich werden, sie haben jedoch eines gemeinsam: in der Regel laufen sie darauf hinaus, entweder die Veränderung zu unterlaufen, aktiv dagegen anzugehen, oder zumindest sie zu verlangsamen. Da Ablehnung und Blockaden häufig ein zentrales Problem bei der Umsetzung von Veränderungen sind, werden die Widerstände der Betroffenen als entscheidende Herausforderung für das Management des Wandels betrachtet. Worum geht es aber bei diesen Widerständen konkret? Betrachtet man die sogenannte „weiche“ Ebene genauer, stellt man fest, dass hier in der Regel Emotionen im Vordergrund stehen. Die wohl wichtigste Emotion dabei stellt die Angst dar. Es zeigt sich, dass jede noch so geringe Veränderung bei den Betroffenen die Frage hervorruft, was bedeutet dieses für mich oder für uns? Noch bevor Chancen oder Risiken konkret analysiert sind, steht im Vordergrund die Gewissheit, dass Veränderung letztlich immer bedeutet, das Vertraute und Sichere zu verlassen und sich mit dem Unbekannten auseinanderzusetzen. Folge sind in der Regel zunächst Verunsicherung und die Befürchtung von Schwierigkeiten und Aufwand. Das Thema „Veränderung“ ist also häufig unmittelbar erst einmal negativ belegt. Es stellt sich die Frage: Muss eine Veränderung denn immer Angst und Stress bei den Betroffenen auslösen? Die Antwort nach Lazarus ist nein, zumindest nicht zwangsläufig. Vielmehr zeigt sich, dass der Mensch letztlich nur dort
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Dieter Frey, Marit Gerkhardt und Peter Fischer
Ängste oder Stress entwickelt, wo er Bedrohungen vermutet, denen er nicht gewachsen ist (vgl. Lazarus & Folkman, 1984). Wird eine Veränderung als Bedrohung erlebt, der man nicht gewachsen ist, wird man diese als stress- und angstbesetzt erleben. Entsteht allerdings das Gefühl, der Bedrohung gewachsen zu sein und mit ihr umgehen zu können, kann eine Veränderung von der Gefahr zur Chance werden. Betrachtet man die Ursachen, die im Rahmen von Change Prozessen häufig zu Stressentstehung führen, so können neben der Gefährdung des Arbeitsplatzes oder der gegenwärtigen Position auch die Befürchtung, an Ansehen und Wertschätzung zu verlieren oder mit Innovationen nicht Schritt halten zu können, als bedrohlich erlebt werden. Um eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Veränderung zu ermöglichen, ist es laut Lazarus jedoch entscheidend, den Fokus der Betroffenen von diesen Gefahren abzulenken und ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle entstehen zu lassen. Denn erst wenn eine Veränderung nicht nur als Gefährdung eingestuft wird, werden die Betroffenen ihre Aufmerksamkeit anderen Aspekten zuwenden, wie beispielsweise der Nutzbarkeit für eigene Interessen, der Prüfung von Chancen oder der Annahme der Herausforderungen. Es geht also im Rahmen eines Veränderungsprozesses grundsätzlich darum, die Gefährdung aus Sicht der Betroffenen zu minimieren, eine Transparenz bezüglich der persönlichen Betroffenheit herzustellen und die Offenheit gegenüber der Veränderung zu stärken (vgl. Axtell et al., 2002). Eine Möglichkeit, der negativen Einstellung gegenüber einer anstehenden Veränderung entgegen zu wirken, ist, die anstehenden Neuerungen so früh wie möglich offen und ehrlich zu kommunizieren. Dabei sollten auch negative Aspekte nicht unterschlagen werden. Die Betroffenen haben so schon zu einem frühen Zeitpunkt die Chance, sich an die Veränderung zu gewöhnen. Gleichzeitig können durch eine offene Kommunikation bereits im Vorfeld mögliche Gegenargumente hinsichtlich der Neuerungen generiert und gezielt entkräftet werden (vgl. Frey, Greitemeyer & Fischer, 2005). Wie die Praxis zeigt, ist es jedoch kaum möglich, Widerstände gänzlich zu vermeiden oder immer bereits im Keim zu ersticken. In diesem Fall ist es umso entscheidender, Widerstände als solche zunächst einmal zu erkennen, um dann dagegen angehen zu können. Wie aber erkenne ich wann und wie sich Widerstände äußern? Im Rahmen von Veränderungsprozessen wird deutlich, dass sich die Symptome von Widerständen entweder unmittelbar bei einer Person zeigen, oder aber innerhalb von Gruppen oder sozialen Beziehungen auftreten. Unterschieden werden können bei der Art des Widerstandes weiter aktive (Angriff) und passive (Flucht) Tendenzen. Eine Übersicht verschiedener Formen von Widerständen auf
Erfolgsfaktoren und Stolpersteine bei Veränderungen
283
der Ebene „passiv versus aktiv“ und der Ebene „Individuum versus Gruppe/ Organisation“ ist in Übersicht 1 dargestellt. Die Äußerung der unterschiedlichen Widerstandsformen erfolgt allerdings in der Regel in verschlüsselter Form (z. B. Gerüchte, Machtspiele etc.). Eine erste Herausforderung ist daher, die verschlüsselten Botschaften wahrzunehmen und den Widerstand einer Person oder einer Gruppe von Personen überhaupt erst als solchen zu erkennen. Dementsprechend wird in der Praxis häufig der Fokus auf eine Sensibilisierung des Managements oder der Führung gelegt, Widerstände zu erkennen und auch die Hintergründe und Ursachen dafür zu verstehen. Übersicht 1: Systematik typischer Symptome des Widerstands (vgl. Kleist & Maetz, 2003, in Anlehnung an Doppler & Lauterburg, 2002) Art des Widerstandes Aktiv (Angriff)
-
Passiv (Flucht)
-
Symptome in der Gruppe/ Organisation Mitarbeiter greifen sich gegenseitig persönlich an Sündenbocksuche Cliquenbildung Machtspiele Gerüchte
-
Angespannte Atmosphäre Entscheidungsunfähigkeit Hoher Krankheitsstand Debatten über Unwichtiges Hohe Fluktuationsrate Mangelnde Kooperation
Symptome beim Individuum
-
Häufiger Widerspruch, Negativsicht Gegenargumentation Kritik gegenüber dem Vorgesetzten Aufregung und Beschwerden Sturer Formalismus Ausreden für Passivität Arbeiten kommen unbearbeitet zurück Abwesenheit vom Arbeitsplatz Lustlosigkeit und Müdigkeit Kopfmonopol (bunkert Informationen und gibt diese nicht weiter) Unaufmerksamkeit Ratlosigkeit Dienst nach Vorschrift Kein Engagement Labilität und Fluchtverhalten, Rückzug
-
Neben dem Erkennen von Widerständen ist es weiter entscheidend, sich über die Ursachen der Widerstände Klarheit zu verschaffen. Denn erst wenn ich Klarheit über die Ursachen eines Problems habe, kann ich dessen Bewältigung erfolgreich angehen. Hinsichtlich der Widerstände in Veränderungsprozessen zeigt sich, dass deren Ursachen vielfältiger Natur sein können. Auf der personalen Ebene kann
284
Dieter Frey, Marit Gerkhardt und Peter Fischer
Widerstand demnach auf ein „Nicht-Wissen“ ein „Nicht-Können“, „Nicht-Wollen“, „Nicht-Dürfen“ oder Nicht-Sollen“ zurückzuführen sein (vgl. Übersicht 2). Um eine Behebung der Ursachen zu ermöglichen, ist es also einerseits notwendig, die jeweilige Ursache festzustellen, und andererseits, konkrete Maßnahmen zur Abhilfe zu schaffen. Ein „Nicht-Wissen“ erfordert dabei beispielsweise eine klare Kommunikation hinsichtlich der Klärung von Ist- und Sollzustand sowie der notwendigen Lösungswege. Ein „Nicht-Können“ hingegen erfordert in erster Linie die Vermittlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Veränderung. Besteht das Problem in einem „Nicht-Wollen“, so ist es maßgeblich die Vorteile zur Veränderung herauszustellen, Anreize zu schaffen und gleichzeitig die Umsetzung der Veränderung einzufordern. Ein „Nicht-Dürfen“ oder „Nicht-Sollen“ wiederum erfordert eine konkrete Analyse und Änderung der Umgebungsfaktoren, die die Wahrnehmung des „Nicht-Dürfens“ oder „Nicht-Sollens“ bedingen. Übersicht 2: Ursachen für Widerstände in Veränderungsprozessen A) Nicht-Wissen Es ist unklar, was der Ist- und was der Soll-Zustand ist; welches die Ursachen der Diskrepanz und welche Lösungen notwendig sind. B) Nicht-Können Man kennt Ist/Soll usw., aber man hat nicht die Fertigkeit und Fähigkeit. C) Nicht-Wollen Es fehlt aus den unterschiedlichsten Gründen die Motivation sich zu verändern: a) zu aufwendig b) keine Disziplin c) zu viel mögliche Verlusterlebnisse D) Nicht-Dürfen/Nicht-Sollen Man glaubt, dass die Umgebung gar nicht will, dass man sich verändert. Es werden von der Umgebung (Kollegen, Vorgesetzte usw.) Signale wahrgenommen, dass man sich gar nicht verändern soll.
Erfolgsfaktoren und Stolpersteine bei Veränderungen 2
285
Stolpersteine im Veränderungsprozess
In den folgenden Themenblöcken haben wir einige Stolpersteine bei ChangeManagement-Prozessen sowohl in der Verwaltung wie in sozialen und kommerziellen Organisationen gesammelt. Viele dieser Barrieren lassen sich bei der Einführung einer Veränderung vermeiden oder zumindest minimieren. Um dies zu erreichen ist es wesentlich, zunächst ein Verständnis von den Hintergründen und Auswirkungen der nachfolgend aufgeführten Stolpersteine zu entwickeln. 2.1 Das Problem der Unklarheit über Ziele, Strategie, Prozess und Sinn Oft ist den Beteiligten unklar, was die Strategie oder das Ziel und der Hintergrund der Veränderung sind. Es fehlt den Betroffenen dadurch einerseits an einer klaren Ausrichtung und andererseits an der Möglichkeit, ein inhaltliches und zeitliches Drehbuch für die Veränderung zu entwickeln. Nach dem Motto: „Wir sollen uns auf die Reise begeben, wissen aber nicht, wohin sie geht!“ Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Unklarheit über Nutzen und Notwendigkeit der Veränderung. Nicht selten werden Veränderungsprozesse stark appellativ angekündigt und eingeleitet, aber es fehlen Argumente über Nutzen und Notwendigkeit für die einzelnen Betroffenen. Es entsteht das Gefühl: „Wir sollen uns auf die Reise begeben, wissen aber nicht, warum wir die Reise antreten.“ 2.2 Das Problem der unklaren Informationslage Ein häufig beklagtes Problem in Veränderungsprozessen ist die unklare Informationslage. Dabei zeigt sich, dass dies nicht nur für die Mitarbeiter an der Basis, sondern auch für die Führung ein zentrales Problem ist. So zeigt sich nicht selten, dass zu Beginn eines Veränderungsprozesses auch die verantwortliche Führung noch kein vollständiges Wissen über die konkrete Umsetzung oder das Ausmaß der Veränderung im Detail hat. Oft entsteht in den Köpfen dann die diffuse Meinung: „Die linke Hand weiß nicht, was die rechte macht.“ Um dies zu vermeiden ist es sinnvoll, die vorherrschende Informationslage offen und klar zu kommunizieren und eine Klassifikation über die aktuelle Informationslage in den Köpfen der betroffenen Menschen zu erreichen. Es geht also darum, klar zu kommunizieren: Was weiß man auf jeden Fall, was weiß man zu einem gewissen Prozentsatz und was weiß man noch nicht (vgl. Abbildung 1). 2.3 Das Problem langwieriger Prozesse und Entscheidungen Prozesse und Entscheidungen im Rahmen anstehender Veränderungen bedürfen oft eines langwierigen Prozesses. Auch hier gilt wiederum: Man muss die „Wa-
286
Dieter Frey, Marit Gerkhardt und Peter Fischer
Wir wissen genau
Wir wissen zu 50 %
Wir wissen zu 10 %
Wir wissen noch gar nichts
Abbildung 1: Zum Problem des suboptimalen Informationsstandes bei anstehenden Veränderungen
rum-Frage“ klären, also erläutern, warum Prozesse und Entscheidungen so lange dauern. Dies bedeutet selbst als Führungskraft klar nachzufragen, was bereits entschieden ist und was wann entschieden sein wird. Auf Basis dessen gilt es entsprechend alle weiteren Betroffenen zu informieren: Was wissen wir auf jeden Fall, was wissen wir auf keinen Fall und wo gibt es eine Vielfalt von Differenzierungen (vgl. Abbildung 1). Wenn der Mitarbeiter weiß, was er weiß und was er nicht weiß, dann hilft ihm dieses auch, verglichen mit einem Zustand, in dem alles diffus ist. 2.4 Das Problem der Alleingänge In der Praxis erlebt man sowohl zu Beginn als auch über den gesamten Veränderungsprozess hinweg das Problem der Alleingänge. Mitarbeiter oder Betroffene werden in Entscheidungen und Vorgehensweisen durch die obere Führungsebene nicht aktiv eingebunden. Es wird oft im „stillen Kämmerlein“ gearbeitet und am „grünen Tisch“ entschieden. Resultierend zeigen sich vermehrt Widerstände oder ein „Brodeln der Gerüchteküche“ und den Veränderungen wird somit schon im Voraus negativ entgegen geblickt. 2.5 Das Problem der Negativ-Kommunikation Im Rahmen von Veränderungen versucht man häufig, den Druck für die Beteiligten zu erhöhen, um so eine Umsetzung der geplanten Änderungen herbeizuführen. Nicht selten wird mit „Negativ-Appellen“ wie „wir müssen – sonst passiert Schlimmes“ argumentiert. Der Nachteil dabei ist: Je häufiger man zu derartigen Argumentationslinien greift, umso eher werden sich die Menschen daran gewöhnen und die Drohungen früher oder später nicht mehr ernst nehmen. Zu-
Erfolgsfaktoren und Stolpersteine bei Veränderungen
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dem gehen derartige „Negativ-Appelle“ zu Lasten der intrinsischen Motivation. Entscheidend ist also vielmehr eine proaktive und positive Formulierung der Handlungsfelder, wie zum Beispiel „Wir haben große Herausforderungen vor uns.“ oder „Wir können alle als Problemlöser auf dem Weg dorthin aktiv sein.“. 2.6 Das Problem des „change im change“ Zu oft erleben die Mitarbeiter keine Geradlinigkeit im Wandel, sondern einen „Wandel im Wandel“, ein Vorwärts-Rückwärts. Die Gründe hierfür sind vielfältig, zum Beispiel „Weil sich der Unternehmensberater geändert hat...“, „Weil das Umfeld sich geändert hat…“ oder „Weil die Situationseinschätzung sich geändert hat…“. Wie sich alleine bei diesen wenigen Beispielen zeigt, sind die Ursachen nicht nur vielfältig, sondern häufig kaum beeinfluss- oder vermeidbar. Die Umstände lassen sich also nicht immer kontrollieren; umso wichtiger ist es jedoch, den „Wandel im Wandel“ professionell und mit einem hohen Grad an Sinnvermittlung zu transportieren. 2.7 Das Problem der „Erblasten“ Wenn man als Führungskraft einen Veränderungsprozess einführen will, so steht man häufig vor dem Problem, dass die anstehende Veränderung nicht der erste organisationale Wandel ist, den die Mitarbeiter erfahren haben. Durch eventuelle negative „Erblasten“ von Vorgängern können so Misstrauen und negative Déjàvu-Erlebnisse entstehen. In diesem Fall gilt es herauszufinden, wann und inwiefern Vorgänger suboptimal gehandelt haben. Solange man dieses nicht aufarbeitet – im Sinne einer Ursachenanalyse und Erläuterung oder Anpassung der eigenen Vorgehensweise –, wird man die betroffenen Menschen nicht erreichen. In gewisser Weise gilt: Wer keine Vergangenheit hat, wird auch keine Zukunft haben. Man muss deshalb die Probleme und Fehler, das Vor und Zurück aufarbeiten und dann die Menschen gewinnen. 2.8 Das Problem der Abgrenzung Im Rahmen eines Veränderungsprozesses ist es entscheidend, die einzelnen Betroffenen auch wirklich zu erreichen und ihnen die persönliche Betroffenheit zu verdeutlichen. Oft zeigt sich, dass weder eine Durchgängigkeit der Informationen beziehungsweise des Wissens sichergestellt sind, noch dass darauf geachtet wird, die Sprache der betroffenen Menschen zu sprechen. Wichtige Informationsunterlagen oder Botschaften erreichen häufig einen Großteil der Mitarbeiter erst gar nicht, oder sie sind für diese nicht verständlich. Die wesentlichen Hin-
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Dieter Frey, Marit Gerkhardt und Peter Fischer
tergründe, Inhalte und Ziele sollten daher verständlich, logisch und unter Bezugnahme der persönlichen Betroffenheiten aufbereitet werden. 2.9 Das Problem zu frühen Aktionismus Nicht selten werden im Rahmen einer Veränderung vorzeitig Aktionen angekündigt, aber dann erfolgt letztlich nichts. Die Folge ist ein Frustrationserlebnis auf Seiten der Betroffenen. Der Fehler liegt oft darin, dass man im Rahmen langwieriger Prozesse dazu neigt, erste Aktionen möglichst schnell zu kommunizieren. Ehe man dazu übergeht gilt es jedoch genau zu prüfen, wie sicher die Umsetzung tatsächlich ist. Falls eine Änderung oder Ungewissheit zu groß erscheint, sollte in jedem Fall auf verfrühten Aktionismus verzichtet werden. Dennoch kommt es vor, dass sicher erscheinende Aktionen und Entscheidungen unerwartet revidiert werden. In diesem Fall ist es zentral, die Änderung der Vorgehensweise offen zu begründen. Wichtig ist es, die Hintergründe für die Betroffenen zu erläutern und eine Perspektive zu geben, wie es nun weiter geht. 2.10 Problem ungeeigneter Multiplikatoren Im Rahmen vieler Prozesse zeigt sich, dass die Führungsebene sich oft erst spät Gedanken über geeignete Multiplikatoren als Treiber der Veränderung macht. Zudem werden dann häufig ad hoc Personen ausgesucht, die auf den ersten Blick geeignet scheinen. Zentral ist jedoch zu prüfen, ob diese tatsächlich geeignet sind. Neben der eigenen Überzeugung hinsichtlich der Sinnhaftigkeit und Umsetzbarkeit der anstehenden Entscheidung sind die Funktion und der Einfluss der ausgewählten Multiplikatoren entscheidend. Die wichtigsten Treiber haben also einerseits einen hohen Einfluss innerhalb der Organisation oder auf die Umsetzung des Prozesses und sind gleichzeitig von der Notwendigkeit der Veränderung selbst überzeugt. Ein weiterer zentraler Faktor eines geeigneten Multiplikators ist das Ausmaß an Vertrauen, dass dieser Person von den sonstigen Beteiligten entgegengebracht wird. Je höher dieses Vertrauen ist und je mehr die Person über Anerkennung und Wertschätzung verfügt, desto mehr wird Ihre Stimme einen wichtigen und positiven Einfluss auf die Veränderungsbereitschaft der weiteren Beteiligten haben. 2.11 Das Problem schmerzhafter Veränderungen Leider sind in der Unternehmenspraxis Veränderungen auch tatsächlich oft mit zum Teil schmerzhaften Verlusten oder Opfern verbunden. Derartige schmerzhafte Veränderungen können beispielsweise die Einengung des eigenen Handlungs- oder
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Entscheidungsspielraums sein, die Notwendigkeit zum Wechsel des Arbeitsortes oder gar der Verlust des Arbeitsplatzes für eine Reihe von Mitarbeitern. In diesem Fall hilft nur eines, die schmerzhaften Veränderungen so früh wie möglich offen und ehrlich zu kommunizieren. Im Kern steht man vor folgendem Überzeugungsprozess: von der Notwendigkeit überzeugen, klar transportieren, dass Änderung weh tut, klar transportieren, dass die Veränderung sich kurz-, mittel- und langfristig lohnt. Dieser Prozess muss eingebettet werden in eine schonungslose IstAnalyse, eine Vision, wo die Reise hingehen soll, einen Strategieplan, wie man zum Ziel kommt, eine Verdeutlichung des Nutzens und das Fairnessprinzip, also alle Beteiligten sind in allen Phasen betroffen. 3
Erfolgsfaktoren in Veränderungsprozessen
Vor dem Hintergrund der vorab beschriebenen psychologischen Prozesse und häufigen Stolpersteine stellt sich bezogen auf die Praxis die Frage, wie ein Veränderungsvorhaben zu gestalten ist, damit es erfolgreich sein kann. Welche Faktoren gilt es also konkret zu berücksichtigen, um die betroffenen Menschen mit ihren Emotionen, Sehnsüchten und Bedürfnissen für das geplante Vorhaben zu gewinnen? Verlangt wird immer wieder nach einem handhabbaren Modell, das im Sinne einer Erinnerungsliste eine Vorgabe für die erfolgreiche Umsetzung und Gestaltung eines Veränderungsvorhabens liefert. Vor diesem Hintergrund haben wir nachfolgend die wesentlichen Erfolgsfaktoren in Veränderungsprozessen in neun Schritten zusammengefasst (vgl. Gerkhardt, 2007; Gerkhardt & Frey, 2006). 3.1 Neun Schritte zur Akzeptanz von Änderungen (Change Management) und Innovationen 3.1.1 Ist-Zustand: Diagnose der Situation und Problemanalyse Zu Beginn eines jeden Veränderungsvorhabens sollte eine umfassende Diagnose der Ist-Situation stehen. Es gilt zu klären, an welchem Punkt die Organisation und die einzelnen Betroffenen aktuell stehen. In diesem Rahmen sollte analysiert werden, welche Informationen zu den anstehenden Veränderungen bereits bekannt sind, welche Veränderungen notwendig sind oder welche Auswirkungen die anstehenden Veränderungen aus Sicht der Beteiligten voraussichtlich haben werden. Erst wenn die aktuelle Situation erfasst sowie vorhandene Barrieren und mögliche Nutzenpotenziale erkannt und beschrieben sind, können Maßnahmen
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zielgerecht geplant werden. Um allerdings eine umfassende und realistische Analyse der Situation zu bekommen, ist der Einbezug aller Betroffenen entscheidend. In der Praxis wird hierfür in der Regel eine Reihe von Interviews mit einem Querschnitt aller Beteiligten geführt. Auf Basis der Interviewergebnisse werden dann die Differenz zwischen Istund Soll-Zustand sowie die maßgeblichen Hindernisse und Nutzenpotenziale herausgearbeitet. Ziel ist es, mit dieser Grundlage den anstehenden Veränderungsprozess und notwendige Maßnahmen optimal vorbereiten und planen zu können. 3.1.2 Soll-Zustand: Vision und Ziele definieren Den Ziel- oder- Soll-Zustand mittels einer Vision und konkreten Teilzielen zu definieren ist ein weiterer zentraler Faktor innerhalb eines Veränderrungsprozesses. Entscheidend ist ein klares und verständliches Bild der Zukunft, das Klarheit schafft und die Richtung aufzeigt, wohin der Veränderungsprozess führen soll. Die Vision muss dabei einfach zu kommunizieren sein. Um Anstrengung und Ausdauer hinsichtlich der Erreichung des Zielbildes möglichst positiv zu beeinflussen, sollten die enthaltenen Ziele einerseits eine Herausforderung für alle Beteiligten darstellen und andererseits einen konkreten Soll-Wert definieren (vgl. Locke & Latham, 1990). Neben der Spezifität der Ziele ist es darüber hinaus entscheidend, die Ziele hinsichtlich der anstehenden Änderung positiv zu belegen (vgl. Gollwitzer, 1999), so dass die Betroffenen motiviert und interessiert sind, die Vision zu unterstützen. 3.1.3 Gemeinsames Bewusstsein: Erläuterung des Änderungsbedarfs, Aufzeigen der Änderungsmöglichkeiten, Auseinandersetzung mit Ängsten, Risiken und Sorgen Grundlegend für die erfolgreiche Umsetzung eines Veränderungsprozesses ist das Vorherrschen eines gemeinsamen Problembewusstseins. Um dies zu erreichen ist es notwendig, die Dringlichkeit und Notwendigkeit der Veränderung auf breiter Unternehmensbasis zu verdeutlichen, denn die Wahrnehmung von Defiziten ist eine notwendige Bedingung für die Bereitschaft zu Innovation und Veränderung (Gebert, 2004b; 2007). Oft zeigt sich, dass die Akzeptanz von Veränderungsprozessen eher vorhanden ist, wenn Unumkehrbarkeit wahrgenommen wird, das heißt, wenn die Menschen sehen, dass es keinen Weg zurückgibt. So stieg die Akzeptanz des Euro in Deutschland in dem Augenblick, als man gesehen hat, dass er tatsächlich kommt; vorher war die Attraktivität der DM wesentlich höher. Auf einen Leidensdruck muss man aber nicht immer warten, oft kann man auch schon über Einsicht arbeiten, indem man von bestimmten Werten ausgeht,
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zum Beispiel Nachhaltigkeit für die Zukunft, um dann abzuleiten, können wir es uns leisten, dass es so bleibt, wie es ist. Dennoch bewirken Veränderungsprozesse in der Regel Ängste und die Befürchtung von Verlusterlebnissen. Vor diesem Hintergrund ist es zentral, sich mit den Ängsten, Risiken und Sorgen der Betroffenen auch auseinandersetzen, wie beispielsweise der Angst vor Arbeitsplatzverlust, Statusverlust und Know-howVerlust. In jedem Fall sollte Raum geschaffen werden, die Bedenken äußern und sachlich und vertrauensvoll besprechen zu können. Gleichzeitig gilt es an diesem Punkt die Chancen aufzuzeigen, die mit den anstehenden Änderungen verbunden sind. Beispielsweise die Erweiterung von Verantwortlichkeiten und Kompetenzen, neue Erfahrungen, neue Teams oder neue Vorgesetzte. Entscheidend ist, dass die Betroffenen den Nutzen und den Vorteil einer Veränderung für sich persönlich erkennen und ein lähmendes Gefühl der Angst vermieden wird. In diesem Sinne bietet es sich an, konkrete Argumente herauszuarbeiten, um die Vorteile der Veränderung aus Sicht der Betroffenen zu verdeutlichen. Weiterhin muss aber gleichzeitig eine mentale Grundhaltung vermittelt werden im Sinne von „wir können uns ändern und es gibt Änderungsmöglichkeiten“ (vgl. Gebert, 2004b, 2007). Dabei kann das Aufzeigen von Unterstützungsangeboten beispielsweise durch Schulungen oder die zugesicherte Unterstützung durch den Vorgesetzten einen entscheidenden positiven Einfluss auf die Sicht der Betroffenen ausüben. 3.1.4 Konsens der betroffenen Parteien: Vorbildverhalten von Führung, Vertrauen schaffen, Schlüsselpersonen gewinnen Der oftmals entscheidende und erfolgskritische Faktor innerhalb eines Veränderungsprozesses ist der Konsens der betroffenen Parteien oder der Führung. Um eine Veränderung erfolgreich einleiten und umsetzen zu können, ist die Koalition der Führungsriege als gemeinsame Befürworter des Prozesses unumgänglich. Denn erst, wenn eine kompetente und durchsetzungsfähige Führung dahinter steht, ist die notwendige treibende und tragende Kraft und damit die Basis zur Umsetzung der Veränderung geschaffen. Die Führungsebene hat dabei eine zentrale Vorbildfunktion für alle Mitarbeiter und Beteiligten des Prozesses inne. Werden auf dieser Ebene bereits Unstimmigkeiten wahrgenommen, so werden auch auf den nachfolgenden Ebenen Unsicherheiten und Unstimmigkeiten bezüglich der Veränderungen fortgepflanzt werden. Ein entscheidender psychologischer Faktor bezogen auf die Führung ist zudem das Vertrauen. Wie sich zeigt, stellt auch dieser Faktor eine entscheidende Grundlage für die erfolgreiche Durchführung organisatorischer Wandlungen dar. In dem Maße, in dem die Mitarbeiter der eigenen Unternehmensführung vertrau-
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en, akzeptieren sie auch deren Wege und Vorschläge. Das vorherrschende Vertrauen kann damit sowohl die Glaubwürdigkeit von Erklärungen als auch die Legitimation von Handlungen maßgeblich beeinflussen (Kramer & Tyler, 1996; Rousseau & Tijoriwala, 1999). Neben der oberen Führung gilt es zudem auch weitere zentrale Schlüsselpersonen als Treiber des Veränderungsprozesses zu identifizieren und für das Vorhaben zu gewinnen. Dabei kann es sich sowohl um Führungskräfte unterer Ebenen als auch um zentrale Mitarbeiter handeln. Wichtig ist, dass die ausgewählten Personen neben Ihrem Einfluss über Akzeptanz, Wertschätzung und Vertrauen von Seiten ihrer Kollegen und Mitarbeiter verfügen. Letztlich sollte der gesamte Veränderungsprozess im günstigsten Falle ein Gesicht im Sinne von entscheidenden Personen haben, die hinter der Veränderung stehen und diese gemeinsam stützen und treiben. 3.1.5 Kommunikation: Klarheit, Offenheit und Verständlichkeit Der regelmäßige und interaktive Austausch oder eine systematische und umfassende Kommunikation ist in jedem Veränderungsprozess unabdingbar. Dabei zeigt sich, dass neben der Schaffung von Vertrauen durch Kommunikation letztlich auch die Offenheit gegenüber Veränderungen positiv beeinflusst werden kann. Notwendig ist dabei eine klare, bildhafte und verständliche Kommunikation, also ein Marketing, das für die Betroffenen glaubhaft und nachvollziehbar ist. Für eine lebendige und umfassende Kommunikation sollten dabei alle vorhandenen Kommunikationskanäle genutzt werden, wobei sich in der Praxis häufig zeigt, dass der direkte Austausch im persönlichen Gespräch oftmals die größten Erfolge hat. Wichtig ist zudem zeitnah, auf breiter Ebene, offen, klar und lebendig zu kommunizieren. Zeitnah heißt, dass die Kommunikation so früh wie möglich stattfinden sollte, um so möglichen Gerüchten und Unsicherheiten vorzubeugen. Auf breiter Ebene bedeutet dies, dass alle betroffenen Zielgruppen in die Kommunikation eingeschlossen werden müssen. Offen heißt dabei, dass zu einer fairen Kommunikation auch die wahrheitsgetreue Vermittlung schlechter Nachrichten zählt. Klar kommunizieren bedeutet, die Sprache der Betroffenen zu wählen, um so auf einer Augenhöhe miteinander zu sprechen und Vertrauen zu schaffen. Wichtig ist, dass man den Menschen im Veränderungsprozess deutlich vermittelt, dass dieser nicht linear ist, dass er nicht nur mit Vorteilen verbunden ist, sondern, dass möglicherweise viele negative Aspekte auftreten werden. Wichtig ist also, diese „bad news“ mitzuteilen. Wichtig ist darüber hinaus zu beachten, dass Kommunikation Zeit braucht. In jedem Fall muss vermieden werden, dass es sich bei der Kommunikation der Veränderung um eine „Eintagsfliege“ handelt. Vielmehr gilt es, die zentralen
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Botschaften regelmäßig zu wiederholen und gleichzeitig den aktuellen Stand der Veränderung kontinuierlich über den Prozess hinweg zu kommunizieren. 3.1.6 Partizipation der Beteiligten: Kontrolle, Beeinflussbarkeit, Vorhersehbarkeit und Fairness Ein zentrales Grundprinzip des Change Management ist die Partizipation, also die Einbindung der Betroffenen in den Prozess. Das altbekannte Motto lautet: „Mache Betroffene zu Beteiligten!“ Das wesentliche menschliche Bedürfnis, um das es dabei geht, ist die wahrgenommene Kontrolle oder Kontrolliertheit. Kontrolle kann insgesamt als Überzeugung einer Person definiert werden, gemäß der sie selbst über Handlungsmöglichkeiten verfügt, unangenehme Ereignisse reduzieren zu können (Thompson, 1981). Kontrolle setzt sich neben den Facetten der Erklärbarkeit sowie der Vorhersehbarkeit und Transparenz aus den Faktoren Beeinflussbarkeit und Partizipation zusammen (Frey & Jonas, 2002). Entscheidend für die Gestaltung von Veränderungsprozessen ist, dass gemäß der Kontrolltheorie die Einbindung der Beteiligten in die Prozesse eine erhöhte Identifikation und Bereitschaft zur Mitwirkung erzeugt. Um die Wahrnehmung der Kontrolle zu gewährleisten ist es notwendig, die anstehenden Veränderungen allen Beteiligten aufzuzeigen. In der Regel werden hierfür Aktions- oder Projektpläne verwendet, die es den Beteiligten ermöglichen, ein inhaltliches und zeitliches Drehbuch zu entwickeln. Mit Hilfe dieses Drehbuchs sind sie dann in der Lage nachzuvollziehen, was momentan und zukünftig passiert. Es entsteht ein Erwartungshorizont, eine gewisse Planungssicherheit und damit auch Kontrollierbarkeit der Situation. Ein weiterer zentraler Faktor ist die wahrgenommene Gerechtigkeit oder Fairness; auch sie übt einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Emotionen und das Verhalten der Betroffenen in Veränderungsprozessen aus. Organisationale Gerechtigkeit besteht nach Colquitt, Conlon, Wesson, Porter und Ng (2001) aus den vier Komponenten distributive, prozedurale, interpersonale und informationale Gerechtigkeit. Entscheidend im Rahmen der Partizipation bei Veränderungsprozessen ist die prozedurale Fairness, also die Verfahrensfairness. Prozedurale Fairness bezieht sich dabei auf die wahrgenommene Gerechtigkeit von (Entscheidungs-)Prozessen. Hier geht es also nicht um das Ergebnis, sondern um den Prozess an sich, also die Kriterien des Wie, die zum Was geführt haben oder führen werden. Metaanalysen belegen insgesamt hohe Zusammenhänge zwischen prozeduraler Fairness und Arbeitszufriedenheit, Arbeitsleistung, organisationalem Commitment und Vertrauen (Colquitt et al., 2001, Cohen-Carash & Spector, 2001). Entscheidend ist dabei, dass sich all diese Faktoren schließlich wiederum positiv auf die Akzeptanz von Veränderungsprozessen auswirken können.
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Bei den beiden weiteren Faktoren der Gerechtigkeit der interpersonellen und der informationalen Fairness steht hingegen der Kommunikationsprozess im Mittelpunkt. Hier sind die entscheidenden Faktoren ein respektvolles und korrektes Verhalten gegenüber den Betroffenen (interpersonale Gerechtigkeit) sowie adäquate Erklärungen für die jeweilige Entscheidung (informationale Gerechtigkeit). Zur informationalen Gerechtigkeit gehört insgesamt auch der Aspekt, dass man nicht nur die positiven Aspekte der Änderungen artikuliert, sondern genauso die tatsächlichen oder möglichen negativen Informationen und dass man mit den Betroffenen diskutiert, wie das Gewicht dieser tatsächlichen oder potenziellen negativen Episoden, die mit der Veränderung auftreten können, minimiert werden können. Dieses ist identisch mit der Anwendung der Impftheorie. All diese Aspekte üben letztlich einen entscheidenden Einfluss auf einstellungs- und verhaltensbezogene Reaktionen von Mitarbeitern aus. 3.1.7 Qualifikation: Vermittlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten Eine Veränderung beinhaltet zumeist eine Veränderung der Anforderungen für eine Reihe der betroffenen Menschen. Diese neuen Anforderungen wiederum bedürfen neuer oder anderweitiger Qualifikationen und Fertigkeiten. Nicht selten löst dies erhebliche Widerstände bei den Betroffenen aus, man befürchtet, die Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Umsetzung nicht zu haben. Wichtig ist deshalb, dass man das neue Qualifikationsniveau definiert und die Betroffenen aktiv darin unterstützt, die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erreichen. Schenkt man der Entwicklung notwendiger Qualifikationen zu wenig Beachtung, so werden die Beteiligten selbst im Falle einer positiven Grundstimmung gegenüber der Veränderung die gewünschten Verhaltensweisen nicht zeigen. Eine positive Einstellung alleine reicht nicht, die Menschen brauchen zudem Verhaltenskontrolle, also die Fähigkeiten und Fertigkeiten, das Verhalten überhaupt ausführen zu können (vgl. das Einstellungs-Verhaltens-Modell von Fishbein & Ajzen, 1975). Zu den Fähigkeiten und Fertigkeiten gehört dabei auch, dass sie über die Infrastruktur, Arbeitskraftressourcen und sonstige Ressourcen verfügen, um das gewünschte Verhalten ausführen zu können. Diese Unterstützung kann auch als Hilfe zur Selbsthilfe bezeichnet werden und meint die Förderung und Unterstützung der Selbstorganisation aller beteiligten Personen im Veränderungsprozess. Neben der Unterstützung der Beteiligten in den Bereichen Ausbildung und Qualifizierung (vgl. Doppler & Lauterburg, 2002; Mustafa, 2000) und der Ressourcenbereitstellung (z. B. personelle Ressourcen, Zeit, Budget etc.) kann eine Förderung beispielsweise auch in Form von Beratung, Feedback, Moderation etc. einen wichtigen Beitrag leisten.
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3.1.8 Konsequente Umsetzung: Projektorganisation, Verantwortlichkeiten, Zeitmanagement und Flexibilität Wie sich zeigt, ist eine professionelle Projektorganisation mit geschulten Mitarbeitern in fachlicher, methodischer und psychologischer Hinsicht sowie die eindeutige Klärung von Rollen und Verantwortlichkeiten ein entscheidender Faktor für den Projekterfolg. Neben der fachlichen und sozialen Kompetenz sollte bei der Aufstellung der Projektorganisation allerdings auch die notwendige Vertrauensbasis im Hinblick auf die Betroffenen berücksichtigt werden. Demnach sollte eine Projektorganisation nach Möglichkeit bereits die unterschiedlichen Zielgruppen der Veränderung durch die Integration einzelner Vertreter in die Projektorganisation einbinden. Vor dem Hintergrund, dass diese häufig als Multiplikatoren oder Kommunikatoren eingesetzt werden, ist es entscheidend, dass den ausgewählten Personen Glaubwürdigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Expertise und Sachkenntnis zugeschrieben werden. Dadurch kann die Bereitschaft zur Einstellungsänderung oder -bildung maßgeblich beeinflusst werden (vgl. Frey et al., 2005). Ein weiterer zentraler Faktor bei der Umsetzung eines Veränderungsprozesses ist ein sorgfältiges Zeitmanagement hinsichtlich der Phasenschwerpunkte und -abfolge (vgl. Günther & Sandow, 1998). Dabei ist entscheidend: Veränderungen passieren nicht von heute auf morgen! Den Veränderungsprozessen muss also einerseits genügend Zeit eingeräumt werden und gleichzeitig sind sie dennoch systematisch zu planen. Eine detaillierte Planung hilft, die Kontrolle über den Prozess zu behalten und rechtzeitig steuernd eingreifen zu können. Gleichzeitig sollte die Planung jedoch auch die notwendige Flexibilität ermöglichen, auf sich ändernde Umgebungsfaktoren reagieren zu können. Nicht selten entstehen im Rahmen langwieriger Veränderungsprozesse unerwartete Situationen oder Bedingungen, auf die es flexibel zu reagieren gilt. 3.1.9 Stabilisierung: Erfolgskontrolle, erste Erfolge und Verankerung der Veränderung Wie sich in der Praxis zeigt, gewinnt eine Begleitung des Veränderungsprozesses durch regelmäßiges Erfolgskontrolle, also eine Messung des Veränderungserfolgs, zunehmend an Bedeutung und wird von verschiedenen Seiten gefordert. Es zwingt zur eindeutigen Definition von Zielen und hilft rechtzeitig zu erkennen, wenn das Projekt stagniert oder in eine falsche Richtung läuft. Wichtig ist daher, dass die Erfolgskontrolle (Monitoring/Controlling) nicht nur im Anschluss an die Veränderung, sondern kontinuierlich über den gesamten Prozess erfolgt. Unterschieden wird dabei häufig zwischen „harten“ Faktoren, wie beispielsweise der Prüfung festgelegter Meilensteine oder definierter Kennzahlen, und „weichen“ Faktoren, wie beispielsweise der Zufriedenheit und Motivation der Betroffenen (Gebert, 1993). Da beide Bereiche eine entscheidende Rolle im Rahmen
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von Veränderungsprozessen spielen, berücksichtigt eine professionelle Begleitung von Beginn bis Abschluss des Prozesses immer beide Ebenen, also sowohl die der „harten Faktoren“ als auch die der „weichen Faktoren“. Neben der kontinuierlichen Messung und Begleitung des Veränderungsprozesses ist es maßgeblich, die Motivation zur Umsetzung kontinuierlich beizubehalten oder zu fördern. Daher sollten leicht zu realisierende Maßnahmen am Anfang eines Veränderungsvorhabens stehen, um so möglichst schnell erste Erfolge sichtbar zu machen. Die Betroffenen nehmen dadurch wahr, tatsächlich etwas bewegen zu können, und werden so in ihrem Engagement und ihrer Initiative bestätigt. Die Wahrnehmung der Veränderungsmöglichkeiten kann dabei ebenso wie die vorausgehend beschriebene Wahrnehmung eines Defizits als notwendige Bedingung für erfolgreiche Veränderungen und Innovationen angesehen werden (vgl. Gebert, 2004b, 2007). Letztlich sorgen die herbeigeführten Quick-Wins insgesamt für eine positive Stimmung und setzen so neue Motivation und Energien frei. Schlussendlich gilt es zu beachten, dass der Erfolg einer Veränderung immer nur so stabil ist, wie er tatsächlich verankert und gesichert wurde. Das Festigen der neuen Ansätze, Verfahrens- und Verhaltensweisen kann dabei beispielsweise formal in Form von niedergeschriebenen Rollen, Aufgaben, Abläufen oder einer neu definierten Vision erfolgen. Entscheidend ist dabei eine überzeugte Führung, die Wert darauf legt, die Veränderungen nachhaltig zu stabilisieren. Darüber hinaus sollte allerdings auch das zukünftige Weitertragen der Veränderung durch die folgende Führungsgeneration gesichert werden, um so die angeleiteten beziehungsweise umgesetzten Veränderungen zu konsolidieren (vgl. Kotter, 1995). 4
Veränderung als Abwärtsstrukturierung (Top-down-Ansatz) oder Aufwärtsstrukturierung (Bottom-up-Ansatz)
Im Rahmen der vorausgehend beschriebenen zentralen Schritte im Veränderungsprozess haben wir bereits die Partizipation der Beteiligten als wesentlichen Erfolgsfaktor innerhalb eines Veränderungsprozesses herausgehoben. Wenngleich heute eben diese Einbindung als zentrales Element bereits weitgehend verankert ist, steht man in der Praxis häufig vor der Frage: Wie umsetzen? Dabei stehen zwei Implementierungsstrategien oder Veränderungsstrategien einander gegenüber, der „Top-down-Ansatz“ und der „Bottom-up-Ansatz“ oder die partizipative Strategie (vgl. Gebert & Rosenstiel, 2002). Der Unterschied besteht dabei sowohl in der Initialisierung als auch der Umsetzung der Veränderungen. Bei dem „Top-down-Ansatz“ werden die Veränderungen, beispielsweise was die Inhalte, die Organisation und die Umsetzung betrifft, von der oberen Unternehmensführung sowie häufig auch von externen
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Beratern geplant und besiegelt. Die Mitarbeiter werden erst in dem Moment informiert, in dem die Veränderungen bereits feststehen, im gleichen Moment wird dann bereits mit der Umsetzung begonnen. Dabei ist aus psychologischer Sicht negativ zu bewerten, dass sich die Mitarbeiter dadurch leicht als fremdbestimmt wahrnehmen, sich zum Widerstand formieren oder resignativ verhalten (vgl. Rosenstiel, 1997). Der Vorteil einer „Top-down-Strategie“ liegt hingegen in vielen Fällen in einer Zeit- und Kostenersparnis, da die Veränderungen nicht zeit- und kostenintensiv gemeinsam mit den Betroffenen entwickelt werden, sondern im Kreise einer kleinen Truppe möglichst vor dem Hintergrund der Effizienz im Vorfeld verabschiedet sind. Häufig wird dabei auch die somit vorherrschende klare Zielvorgabe als Vorteil beschrieben. Demnach bekommen also die Betroffenen unmittelbar gesagt, wohin die Reise auf der Veränderung geht und es wird das Bild einer klaren und stringenten Führung vermittelt Der „Bottom-up-“ oder partizipative Implementierungsansatz setzt hingegen direkt bei den betroffenen Mitarbeitern an: Die Betroffenen werden zu Beteiligten und Beteiligte zu Betroffenen. Dabei besteht die Chance darin, einerseits das Wissen der Mitarbeiter zu nutzen und gleichzeitig infolge der Partizipation die Motivation der Mitarbeiter zu fördern und die Akzeptanz für die Veränderung zu sichern (vgl. Becker, 2001). So zeigt sich, dass Menschen Kontrollverlust erleben, wenn sie Ereignisse nicht vorhersehen oder beeinflussen können. Bei einer partizipativen und transparenten Vorgehensweise hingegen entwickeln Menschen eher Bewältigungsstrategien und können den Ereignissen auch etwas Positives abgewinnen (Frey & Jonas, 2002). Positive Wirkungen werden beispielsweise bei der Bewältigung von Widerständen gegen Innovationen, bei der Motivation der Mitarbeiter und bei der Schaffung einer Zielharmonie aller Organisationsmitglieder unterstellt (vgl. Vroom, 1991). Insbesondere bei komplexen Aufgaben ist zu erwarten, dass durch die Beteiligung der Mitarbeiter an Bearbeitungsstrategien sich Arbeitsleistung und Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen (vgl. Antoni, 1999). Bei der Frage, welche der beiden oben beschriebenen Implementierungsstrategien nun die richtige im Rahmen eines Veränderungsprozesses ist, lässt sich zusammenfassen: soviel „Top-down“ wie nötig und soviel „Bottom-up“ wie möglich. In der Regel gilt es Ziel, Zeitrichtlinien, Hintergründe des Prozesses, der Organisation und vieles mehr zu berücksichtigen, um das Ausmaß an klaren Vorgaben und partizipativen Vorgehensweisen abzustimmen. Die beiden beschriebenen Implementierungsansätze sind also nicht zwangsläufig als komplementäre Strategien zu bezeichnen, vielmehr zeigen sich in der Realität häufig Übergangsformen oder Mischformen beider Strategien (vgl. Gebert, 2004a). Letztendlich jedoch ist es für alle Verantwortlichen entscheidend, nicht nur die Frage nach der Gesamtstrategie zu klären, sondern sich sowohl mit den Sym-
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ptomen und Ursachen von Widerständen, den Stolpersteinen und den Erfolgsfaktoren im Rahmen von Veränderungen intensiv auseinanderzusetzen, um den individuellen Weg der Veränderung erfolgreich zu beschreiten.
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Fusionen und Akquisitionen – Aufgaben für das Integrationsmanagement Ingela Jöns Inzwischen sind Fusionen und Akquisitionen (F&A) längst keine Besonderheit mehr, sondern haben Einzug in den alltäglichen Sprachgebrauch gefunden. Kaum eine Börsensendung findet ohne die Ankündigung irgendeiner F&A statt. In manchen Fällen handelt es sich allein um das Wechseln von Aktienpaketen und Firmenanteilen, die zwar am Finanzmarkt von Bedeutung sind, jedoch nicht oder zumindest nicht direkt in die Unternehmenspolitik der beteiligten Firmen hineinwirken. In anderen Fällen wird ein Unternehmen aufgekauft und der bisherige Standort aufgelöst, so dass die Mitarbeiter faktisch in ein anderes Unternehmen übergehen. Angesichts der vielfältigen Formen werden kurz Fusion, Akquisition und Integration abgegrenzt und deren Berücksichtigung in der folgenden Diskussion erläutert. Im engeren Sinne wird unter Fusionen (unter Gleichen) der Zusammenschluss zumeist ähnlicher Unternehmen verstanden, wobei beide ihre wirtschaftliche und juristische Selbstständigkeit aufgeben. Offiziell handeln sie als gleichberechtigte Verhandlungspartner und treffen eine kooperative Vereinbarung. Demgegenüber erfolgt bei Akquisitionen der Erwerb eines (schwächeren) Unternehmens durch freundliche oder feindliche Übernahme eines (stärkeren) Unternehmens, so dass die Gewinner-Verlierer-Rollen und die Macht-Konstellation auf Gesamtebene von vornherein weitgehend klar zu sein scheinen. Bezüglich der Intensität der Verschmelzung reichen die Formen von weitgehender Autonomie bis hin zur Fusion der beteiligten Unternehmen (vgl. Jansen, 2000; Jaeger, 2001). Im Hinblick auf die Frage der strukturellen und kulturellen Integration interessieren jegliche Formen des Zusammenschlusses von Organisationseinheiten – Unternehmen, Bereichen und Abteilungen oder von Universitäten, Fakultäten, Referaten und so fort – unabhängig von den juristisch-wirtschaftlichen Konstellationen (vgl. auch Bouno & Bowditch, 2003). Bei dem interessierenden Fokus der Verschmelzung von Organisationseinheiten sind es primär die Größe der vorliegenden Unterschiede und die Intensität der angestrebten Integration, die zu berücksichtigen sind (vgl. Gerpott, 1993). Zur Diskussion der Aufgaben für das Integrationsmanagement wird in diesem Beitrag die Perspektive der „betroffenen“ Mitarbeiter und Führungskräfte im Vordergrund stehen. Erst das Verständnis für das Erleben formaler F&A und anschließender Integrationsprozesse aus
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Ingela Jöns
dieser Perspektive ermöglicht, die Problematik des Integrationsmanagements fundiert zu diskutieren und dessen Möglichkeiten und Grenzen aufzuzeigen. 1
Fusionen und Akquisitionen in Theorie und Praxis
Im Zentrum der Integrationsproblematik, die definitionsgemäß vom Zusammenschluss einzelner Organisationseinheiten oder ganzer Organisationen und Institutionen bis hin zu Nationen oder Gesellschaften – wie zum Beispiel bei der deutschen Wiedervereinigung – reicht, stehen im Folgenden Unternehmenszusammenschlüsse, wie sie unter dem Thema F&A erörtert werden. In diesem Abschnitt wird die Verbreitung und Bedeutung von F&A in der Praxis betrachtet, bevor der bisherige Forschungsstand und ausgewählte Befunde berichtet werden. 1.1
Verbreitung und Bedeutung in der Praxis
Mit Blick auf die Bedeutung in der Praxis ist anzuführen, dass es seit etwa 1900 immer wieder verschiedene Fusionswellen gegeben hat (Heini, 2003). So stellt sich die Frage, warum diesem Thema aktuell so viel Diskussionsraum eingeräumt wird. Sicherlich ist ein Grund, dass die Verbreitung, die Zahl und das Volumen der F&A seit 2000 ein Rekordniveau erreicht haben, was sich nicht auf den Wirtschaftssektor beschränkt (Jansen, 2005). Als ein Beispiel für den öffentlichen Sektor kann die Fusion der Universität und Fachhochschule Lüneburg genannt werden (vgl. auch Huber, Jansen & Plamper, 2004). Allerdings ist für die aktuelle Diskussion nicht allein das Ausmaß an F&A verantwortlich, sondern das offensichtliche Scheitern ist der zentrale Grund für die intensive Auseinandersetzung mit den Chancen und Risiken, insbesondere der zahlreichen Megafusionen und der mehrfachen F&A einzelner Unternehmen (vgl. Töpfer, 2000). Man denke nur an die Trennung von BMW und Rover oder jüngst von Daimler und Chrysler. Ein Beispiel für mehrfache F&A in kürzester Zeit stellt ABB Henschel dar, die über die Fusion zu ADtranz, dann durch die volle Übernahme zur Daimler AG kamen und mit zu DaimlerChrysler wurden, bis sie beim kanadischen Konzern Bombardier ankamen. Wenn Misserfolg im Sinne des Nichterreichens angestrebter Ziele verstanden wird, dann lässt sich der Erfolg von F&A plakativ mit „Vier Hochzeiten und zwei Todesfälle“ überschreiben (Jaeger, 2001). Wenn man Manager danach fragt, warum die jeweilige F&A durchgeführt wird, dann werden finanzpolitische Ziele (z. B. Steigerung des Gesamtwertes, Zufriedenstellen der Shareholder) oder ökonomische Ziele (z. B. Kosten- und Synergievorteile, Marktzugang und Marktmacht) angeführt (vgl. Furtner, 2006; Töpfer, 2000). Hinter diesen geäußerten Motiven sind jedoch oft auch persönliche Ziele des Managements (z. B. Macht oder Prestige) als verdeckte Motive
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anzunehmen (vgl. auch Hild, 2006). Dies betrifft nicht nur Großunternehmen, sondern auch in kleineren Familienunternehmen können solche persönlichen Ziele von Inhabern (z. B. Ansehen am Ort, Ausbau des Erbes) für F&A ausschlaggebend sein. Derartige persönliche Motive können durchaus mit sinnvollen ökonomischen Konzepten verbunden sein, aber sie müssen es nicht – wie manche Beispiele in der Vergangenheit gezeigt haben. Diese angeführten Überlegungen stellen sich selbstverständlich auch die betroffenen Mitarbeiter. Angesichts des zweifelhaften Nutzens jeder einzelnen F&A, der wiederholten F&A einzelner Unternehmen und der oft unzureichenden und unprofessionellen Integrationsprozesse wundert es nicht, wenn als ein Hauptproblem in den betroffenen Unternehmen das Merger-Syndrom (Verunsicherung, Demotivation, Stress, Lähmung, Reibungsverluste, Fluktuation und Fehlzeiten) diskutiert wird (Marks & Mirvis, 1985). Diese Problematik bringen Mitarbeiter, für die das Erleben oder Durchleben von F&A schon fast zum Alltag geworden ist, sehr deutlich zum Ausdruck. Die angeführten Zitate aus verschiedenen Studien in der Übersicht 1 veranschaulichen die Perspektive betroffener Mitarbeiter (vgl. Jöns, 2002, 2004). Übersicht 1: Beispielhafte Aussagen zu F&A x x x x x x
Schon wieder Fusionitis, wann hört das auf? Rentiert es sich, das neue Firmenschild zu montieren? Besser eine Laufschrift. Wenn man zwei Kranke in ein Bett legt, wird noch lange kein Gesunder daraus. – Oder: 1 + 1 = 3? Æ 1 + 1 = 1,5. Bauernopfer – unser Part; Intriganten – die anderen. Verraten und verkauft. Die kulturelle Veränderung ist als feindliche Übernahme zu sehen. Kein "Wir-Gefühl" mehr. Anonymität ist größer, Identifikation geringer, keine Aufbruchstimmung, Unzufriedenheit wächst. Plötzlich war Chaos. Wir rennen alle ganz schnell, nur wir wissen nicht wohin. Erschreckend ist die Zunahme der Arbeitshaltung "Dienst nach Vorschrift", da Sinnentleerung durch die F&A stattfindet. Zwei so unterschiedliche Kulturen lassen sich vermutlich nur über mindestens eine Generation und mittels Austausch von Mitarbeitern zusammenbringen.
Wenn die kritischen Stimmen überwiegen, so entspricht das der allgemeinen Stimmung bei F&A. Das muss allerdings nicht in jedem Einzelfall so sein, denn es gibt durchaus auch positive Beispiele. Zusammenfassend ist die aktuelle Situation in der Praxis durch eine Welle an F&A gekennzeichnet, deren ökonomischer Nutzen häufig nicht unumstritten ist. Unumstritten ist hingegen, dass F&A mit anstrengenden Integrationsprozessen verbunden sind, die für alle Beteiligten fast immer Unruhe und Stress bedeu-
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ten. Neben der strategischen und strukturellen Integration rücken die Unterschiede in der Kultur der beteiligten Unternehmen als Herausforderung an das Integrationsmanagement immer mehr in den Blickpunkt, wie sich in der praxisorientierten Literatur zeigt, in der sich stets zumindest ein Kapitel der Kulturintegration widmet (z. B. Furtner, 2006; Gerds & Schewe, 2006). 1.2
Beachtung und Ansätze in der Forschung
Wenn man die wissenschaftliche Literatur zu F&A betrachtet, dann findet sich eine Fülle an Arbeiten, die sich mit Gründen, Formen und Konsequenzen der F&A für die jeweiligen Unternehmen aus juristischer, finanzpolitischer, marktund betriebswirtschaftlicher Sicht befassen. Inzwischen liegen zudem etliche Arbeiten zu den Integrationsaufgaben vor, die sich allerdings primär mit den technischen und organisatorischen Prozessen beschäftigen. Im Hinblick auf die Integration der Mitarbeiter finden sich zum einen Konzepte des Personalmanagements und zum anderen Ansätze des Kulturmanagements (aktuelle Überblicke liefern Borowicz & Mittermair, 2006; Huber, Jansen, & Plamper, 2004; Schwaab, Frey & Hesse, 2003). Einschränkend ist anzumerken, dass es sich oft um normative Ansätze aus der Managementperspektive handelt, die zudem selten auf empirischen Untersuchungen basieren. Neben wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Arbeiten finden sich inzwischen sozial- und organisationspsychologische Forschungen, die sich insbesondere mit sozialen und psychischen Folgen von F&A befassen. Untersuchungen zu Stress und Arbeitszufriedenheit sowie zu Identifikation und Commitment stehen im Vordergrund, wobei mögliche Einflussfaktoren und Mediatoren im F&A-Kontext und im Integrationsprozess analysiert werden. Hogan und Overmyer-Day fassten 1994 den Erkenntnisstand zu "The Psychology of Mergers and Acquisitions" zusammen. Cartwright und Schoenberg (2006) stellen in ihrem Überblick über 30 Jahre Forschung zu F&A fest, dass sich eine wachsende Anzahl an Untersuchungen mit den subjektiven Reaktionen der betroffenen Mitarbeiter und der kulturellen Dynamik von F&A befasst. Dies unterstreicht nochmals die hohe Bedeutung, die auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung den kulturellen Aspekten für den Erfolg oder Misserfolg von F&A zunehmend beigemessen wird. Allerdings ist der bisherige Forschungsstand alles andere als befriedigend. Als Grund für den Misserfolg wird zwar oft eine geringe kulturelle Passung oder Kompatibilität zitiert, doch ist sie zumeist schlecht definiert und wenig belegt. Die verschiedenen Studien kommen zu widersprüchlichen Befunden, stützen sich auf verschiedene Definitionen und auf Querschnittsanalysen, die zudem auf Daten aus einzelnen Fallstudien basieren. Neben einem Mangel an längsschnittlichen Betrachtungen wird hinsichtlich der Bedeutung der Organisationskulturen
Fusionen und Akquisitionen
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auch eine stärkere Fokussierung auf die Wirkweise, wie kulturelle Differenzen sich auf den Prozess und das Ergebnis von F&A auswirken, gefordert (Teerikangas & Very, 2006). Ein zentrales Defizit der bisherigen Forschung, die meist an singulären Konzepten der jeweiligen Disziplinen ausgerichtet ist, liegt darin, dass die interdisziplinäre Herausforderung nicht angegangen wird. Die Untersuchungen – eigene Arbeiten sind davon nicht ausgenommen – lassen sich zwei Gruppen zuordnen. Die erste Gruppe umfasst theoretisch gut fundierte Arbeiten, die aber lediglich singuläre Einzelaspekte mittels quantitativer Methodik untersuchen. Die zweite Gruppe hingegen bilden empirisch explorativ angelegte Untersuchungen, die aber lediglich eklektizistisch auf einzelnen Theoriefragmenten basieren. Ohne einen umfassenderen Rahmen für eine interdisziplinäre Forschung, in die sich die einzelnen Ansätze und Konzepte zumindest einordnen lassen, wird man dem komplexen Kontext und Prozess bei F&A nicht gerecht werden können. Diese Theorielücken zu schließen, wird nicht möglich sein, aber es wird im vierten Abschnitt für den spezifischen Fokus des Erlebens von Integrationsprozessen aus Sicht der Mitarbeiter ein theoretischer Rahmen vorgestellt, der zumindest eine interdisziplinäre und interaktive Analyse der organisationalen und individuellen Ebene ermöglichen soll. Dieser Rahmen soll – neben der Berücksichtigung verschiedener Einzelkonzepte und Perspektiven – vor allem auch als Erklärungsansatz herangezogen werden, um die verschärfte beziehungsweise besondere Situation bei F&A für das Erleben und Verhalten der Mitarbeiter im Vergleich zu anderen Restrukturierungsvorhaben zu verstehen. 1.3
Befunde und Modelle zur kulturellen Differenz und Integration
Sowohl in der praktischen als auch in der wissenschaftlichen Diskussion nimmt die Frage der kulturellen Passung als Erfolgsfaktor breiten Raum ein. Im Nachhinein klingt es wie eine „easy excuse“, wenn Berater und Manager behaupten, die Fusion sei deshalb gescheitert, weil die Kulturen der Unternehmen nicht zueinander gepasst hätten. Letztlich schiebt man mit dieser Aussage die Verantwortung von sich weg beziehungsweise auf die Mitarbeiter, indem ihnen unterstellt wird, sie seien nicht in der Lage, die kulturellen Differenzen zu überwinden. Allerdings kann man dieser Behauptung viele Beispiele gelungener kultureller Integration beziehungsweise guter Zusammenarbeit trotz kultureller Differenzen entgegenstellen. Entsprechend werden diese beiden entgegengesetzten Thesen in der Forschung diskutiert: Für den Erfolg von F&A ist ein hoher Fit zwischen den Unternehmenskulturen erforderlich.
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Kulturelle Differenz stellt eine Chance für die Unternehmen dar, da man voneinander lernen kann, um letztlich gemeinsam erfolgreicher zu sein. Wenn man die empirische Forschung betrachtet, dann lassen sich Befunde für beide Thesen finden. Beispielsweise kommen Chatterjee et al. (1992) und Weber (1996) zu dem Schluss, dass sich kulturelle Differenzen negativ auf den Erfolg auswirken, während Larsson und Risberg (1998) und Morosine, Shane und Shingh (1998) durchaus positive Effekte bei kulturellen Differenzen feststellen. Angesichts dieser widersprüchlichen Befunde vertreten andere Autoren (Jansen, 2000; Stahl, 2001) die These: 3) Letztlich ist für den Erfolg die Metakultur beziehungsweise Integrationskultur entscheidend, das heißt, wie die beteiligten Unternehmen grundsätzlich und insbesondere in der Integrationsphase nach der F&A mit kulturellen Differenzen umgehen. Eine ähnliche Perspektive liegt dem Akkulturationsmodell von Nahavandi und Malekzadeh (1988) zugrunde, das sich weniger mit dem Prozess, sondern vielmehr mit den favorisierten Integrationsstrategien befasst. Nach ihrer Meinung hängt der Erfolg der Akkulturation von beiden Partnern und der Kompatibilität ihrer Strategien ab (Abbildung 1).
aus Sicht des AKQUIRIERENDEN Unternehmens
AUSMASS DES MULTIKULTURISMUS
DIVERSIFIKATIONSSTRATEGIE / AUSMASS DER
Hoch
BEZIEHUNG
Niedrig
Hoch
aus Sicht des akquirierten Unternehmens
Stellenwert der Kulturbewahrung Niedrig
Integration
Assimilation
Separation
Dekulturation
Wahrgenommene Attraktivität des Käufers
Abbildung 1: Akkulturationsmodelle (nach Nahavandi & Malekzadeh, 1988).
Fusionen und Akquisitionen
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Welche Methode der Akkulturation gewählt wird, leitet sich aus den Motiven der Unternehmen ab, die in der Abbildung 1 durch Unterstreichung beziehungsweise Kursivsetzung unterschieden sind:
Die Präferenz beim akquirierenden Unternehmen (unterstrichene Kriterien) wird erstens durch die ökonomische DIVERSIFIKATIONSSTRATEGIE (z. B. horizontal, vertikal) bestimmt, aus der sich das Ausmaß der leistungsbezogenen Beziehungen und möglicher Synergien bei höherer Integration ergeben. Zweitens spielt die kulturelle Internationalisierungsstrategie (z. B. ethnooder geozentrisch, Perlmutter, 1973) eine Rolle. Aus dieser Strategie folgt das Ausmaß des MULTIKULTURISMUS beziehungsweise der Grad an kultureller Diversitätstoleranz der Organisation. Beim akquirierten Unternehmen (kursiv gesetzte Kriterien) hängt die Wahl des Akkulturationsmodells erstens von der wahrgenommenen Attraktivität des Käuferunternehmens ab, die primär aus ökonomischen oder strategischen Überlegungen resultiert. Zweitens spielt als Pendant zum Multikulturismus beim übernommenen Unternehmen die Wertschätzung der eigenen Kultur beziehungsweise die Bedeutung der Bewahrung der eigenen Kultur eine Rolle.
Die Grundeinstellungen zu den vier Methoden lassen sich wie folgt kennzeichnen: Bei der Integration werden Teile der Kulturen von beiden Unternehmen als attraktiv eingestuft und sollen daher vermischt werden. Assimilation setzt voraus, dass das übernommene Unternehmen bereit ist, die eigene Kultur und Struktur aufzugeben und die des Käuferunternehmens anzunehmen. Diese Bereitschaft resultiert zum Beispiel aus der Einsicht, dass das eigene Unternehmen nicht wettbewerbsfähig ist, in Kombination mit der Hoffnung, dass das Käuferunternehmen über geeignetere Strategien und Merkmale verfügt. Bei der Separation wollen beide keine Veränderungen, da das Ausmaß erforderlicher Beziehungen gering ist und das Käuferunternehmen nicht sehr attraktiv ist. Gleichzeitig geht dies mit einem hohen Grad des Multikulturalismus beim Käuferunternehmen und der Kulturbewahrung beim akquirierten Unternehmen einher. Die Dekulturation würde aus geringem Multikulturalismus und geringem Bewahrungsinteresse hervorgehen. Diese Methode, bei der eine völlig losgelöste, neue Kultur entstehen soll, wird als ein höchst seltenes beziehungsweise unrealistisches Modell angesehen. Diese Akkulturationsmodelle beruhen auf den theoretischen Überlegungen und empirischen Erfahrungen der Autoren. Ebenso sind andere Modelle, wie beispielsweise der Kulturkompatibilitäts- und Handlungsspielraum von Cartwright und Cooper (1997), bislang kaum empirisch überprüft worden. Die bisherige Forschung beschäftigt sich primär mit der Frage, von welchen Faktoren die
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Wahl der Integrationsstrategie oder die Herausbildung kultureller Integrationsmuster abhängt. Dabei spiegeln die Modelle letztlich die Strategien des Managements wider und werden der Komplexität und Dynamik der Integrationsprozesse aus Mitarbeitersicht nicht gerecht. 2
Aufgaben und Problemfelder der Integration
Im Hinblick auf die Identifikation der Problemfelder bei der Integration werden die typischen Aufgaben und Abläufe beim Zusammenschluss zweier Unternehmen dargestellt und das resultierende Integrationsergebnis analysiert, bevor das Erleben derartiger Integrationsprozesse aus Sicht der Mitarbeiter und Führungskräfte pointiert skizziert wird. 2.1
Strukturelle und kulturelle Integrationsaufgaben
Was bei der Integration zweier Unternehmen strukturell und kulturell passiert, lässt sich am Modell des Eisbergs nach French und Bell (1994) veranschaulichen. Danach kennzeichnet der obere Teil des Eisbergs, der aus dem Wasser ragt und damit für alle sichtbar ist, die äußere Gestalt eines Unternehmens mit den sichtbaren Produkten, Techniken und Strukturen sowie den kommunizierten Zielen und Strategien, den beobachtbaren Verhaltensweisen des Managements sowie des Personals. Der untere Teil des Eisbergs, der unterhalb der Wasseroberfläche unsichtbar schwimmt und auf dem letztlich der obere Teil basiert, umfasst die Organisationskultur, die informellen Normen und Gepflogenheiten, die informellen Machtgefüge und interpersonellen Beziehungen. Das Ergebnis nach einer Fusion ist in der Abbildung 2 dargestellt. Wenn sich zwei Unternehmen zusammenschließen, dann rücken bildlich gesprochen die Eisberge (Nr. 1 und 2) zusammen. Im Rahmen des offiziellen Integrationsmanagements werden die Organisationsstrukturen definiert, Personalfragen für die Schlüsselpositionen geklärt, Abläufe miteinander abgestimmt und gemeinsame Standards festgelegt, das heißt, der gemeinsame obere Teil des Eisbergs wird gestaltet und festgelegt (Nr. 3). Im Idealfall hätte man die Organisation 3 strategisch neu aufgestellt, wobei man jeweils die positiven Merkmale der Organisation 1 und der Organisation 2 übernommen hätte. Ein Fallbeispiel hierfür wäre die damalige Fusion von CibaGeigy und Sandoz zu Novartis. Dieser neu konstruierte Eisberg würde entsprechend auf einem gemeinsamen Fundament (Nr. 3a) basieren, das sich zum Beispiel als typische Elemente einer Branchenkultur kennzeichnen lässt. Wenn zwei Banken fusionieren, dann gibt es sicher unbestrittene gemeinsame Banken
Fusionen und Akquisitionen
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3
1
2
3b D2a
1a D D 3a
Abbildung 2: Struktur und Kultur nach einer Fusion
standards, die von keinem hinterfragt werden. Weiterhin würde der Eisberg auf bisherigen Kulturmerkmalen der beiden Organisationen (Nr. 1a und 2a) basieren, das heißt solchen, die jeweils nur von einem Teil der Belegschaft geteilt werden und von den anderen Mitgliedern entgegen ihren eigenen Gewohnheiten, die sie letztlich noch aufgeben müssen, erst akzeptiert und übernommen werden müssen. Im Anschluss an organisationale Lerntheorien sei auf die Problematik des Verlernens hingewiesen (Hedberg, 1981), bevor neues Wissen und neue Verhaltensweisen gelernt werden können. Dies betrifft alle diejenigen Teile der beiden Eisberge, die nicht in der neuen gemeinsamen Organisation aufgehen. Als letzter ergibt sich oft noch ein kulturell ungedeckter Teil des neuen Eisbergs (Nr. 3b), der – positiv formuliert – innovative Konzepte und Strategien repräsentiert, für die es bisher weder in der einen noch in der anderen Organisation entsprechende Denkschemata und Verhaltensroutinen gibt. Die exemplarische Skizze der Integration von Struktur und Kultur bei einer F&A stellt noch eine starke Vereinfachung dar, denn oft werden sich solche Brüche quer durch einzelne Funktionsbereiche und Organisationseinheiten der jeweiligen Unternehmen ziehen. Ansatzweise kann sie aber verdeutlichen, dass ein Modell der Assimilation oder Integration sicherlich nicht hinreichend kennzeichnen kann, was eigentlich passiert, wenn zwei Unternehmen fusionieren. Darüber hinaus vernachlässigt die bisherige Betrachtung, dass diese Konstruktion mit ihren kulturellen und strukturellen Friktionen von den Mitarbeitern erlebt und verarbeitet werden muss. Gleichzeitig sollen die Mitarbeiter hoch
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motiviert und engagiert die oft unklaren oder nur oberflächlich verstandenen Kriterien und Strategien in Arbeits- und Interaktionsprozessen umsetzen. Hinzu kommt, dass der Weg bis dahin, der eigentliche Integrationsprozess bis zur neu konstruierten Organisation, von den Mitarbeitern durchlebt werden muss. 2.2
Kulturerlebnisse im Integrationsprozess
Um die Problematik aus Mitarbeitersicht zu veranschaulichen, werden entlang der ersten Phasen und Aktionen im Integrationsprozess die Kulturerlebnisse, ihre Wahrnehmung und Interpretation durch die Mitarbeiter – wiederum etwas plakativ – dargestellt. Angenommene Gründe und Konsequenzen der Fusion: Noch im Vorfeld beginnen die Gerüchte, aber spätestens mit der Bekanntgabe, dass Verhandlungen stattfinden, wird über mögliche Gründe und Konsequenzen der Fusion spekuliert. Die offizielle Informationspolitik spielt dabei eine bedeutende Rolle, aber die Überlegungen der Mitarbeiter richten sich ebenso auf die nicht kommunizierten Inhalte. Mitarbeiter haben zumeist über den Fusionspartner bereits ein eigenes Bild – oft war er bisher ein Konkurrent oder man kennt Mitarbeiter oder besorgt sich weitere Informationen. Dies alles mündet in die wahrgenommene Attraktivität der Fusion beziehungsweise des Fusionspartners. Wahrgenommene Signale zur Fusion unter Gleichen: Neben oder im Rahmen der offiziellen Informationen nehmen die Mitarbeiter verschiedene Signale über die möglichen Machtverteilungen in der Fusion wahr. Zu den Signalen zählen zu Beginn insbesondere der Hauptsitz des neuen Unternehmens, die Besetzung im Top-Management und Symbole wie der Name und das Logo. Von der Interpretation dieser Signale hängt nicht nur die Glaubwürdigkeit einer kommunizierten Fusion unter Gleichen ab, sondern die ganz konkret erwartete Machtposition des eigenen Unternehmens und damit die Bedrohung der eigenen Organisationskultur und der persönlichen Identität als Mitglied dieser Organisation. Interne Reflexion der vermuteten (Kultur-)Differenzen: Im nächsten Schritt erfolgen interne Reflexionsprozesse über die Kultur der Partnerorganisation und damit immer auch über die eigene Kultur. Vergleichbar den Prozessen, wenn man als Fremder im Ausland ist oder als Mitarbeiter vor einer Auslandsentsendung steht, kommt es dazu, dass man sich durch die Abgrenzung von der fremden Kultur zumindest die eigenen Kulturmerkmale wieder bewusst macht und wertschätzt. Gleichzeitig kommt es zur (Vor-)Urteilsbildung über die fremde Kultur. Bis zu diesem Zeitpunkt muss noch keine Fusion stattgefunden haben. Allein dadurch, dass eine mögliche Fusion ansteht, set-
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zen diese Reflexionsprozesse ein. Das bedeutet, dass es selbst beim Scheitern von F&A-Verhandlungen zu einer Rückbesinnung auf bisherige Werte und Einstellungen und damit zu einer Verhärtung tradierter Kulturmerkmale kommen kann, was wiederum mit negativen Konsequenzen für begonnene Veränderungsprozesse und angestrebten Kulturwandel verbunden wäre. Erste Interaktionen in Management- und Integrations-Teams: Jetzt erst, nachdem sich beide Seiten schon ihre zumindest vorläufigen Vorstellungen vom Partner gebildet haben, finden die ersten Begegnungen statt. Dies sind primär oberste Führungskräfte, die sich in den neuen Managementkreisen treffen, um über die konkreteren Ziele und Schritte der weiteren Integration zu entscheiden. Darüber hinaus werden – oft durch externe Berater unterstützt – verschiedene Integrations-Teams aus Führungskräften und Experten gebildet, um gemeinsame Standards und Prozesse zu definieren. Dabei geht es letztlich um die Konstruktion des oberen Teils des Eisbergs (Nr. 3) in Abbildung 2. In diesen Kreisen und Teams wird offiziell auf der Sachebene gearbeitet und nach der besten (Kompromiss-)Lösung gesucht. Das ist das Verhalten, das oberhalb der Wasseroberfläche sichtbar ist. Unterhalb der Wasseroberfläche unterliegt diese Interaktion häufig der wechselseitigen Imperialismusvermutung und ist durch mikropolitisches Handeln der Partner gekennzeichnet. Hierzu zählen dann Techniken wie zum Beispiel Informationszurückhaltung, Berufung auf höhere Instanzen und Bildung von Koalitionen. Interaktionen in Führungskreisen: Die Verhaltensweisen der Führungskräfte unterhalb des Top-Managements sind als Tagesordnung in Übersicht 2 überspitzt charakterisiert. Die von Vorurteilen und Taktiken geprägten Interaktionen der Führungskräfte finden in den typischen Sitzungen ihren Ausdruck. Neben den beabsichtigen Taktiken kommt es in den Sitzungen immer wieder zu kleinen Missverständnissen, weil man aus zwei verschiedenen Organisationskulturen kommt und damit zwei verschiedene Sprachen spricht. In diesem Fall zieht man sich gern entweder auf formale Regelungen zurück, sofern bereits welche vereinbart sind, was aber in Veränderungsprozessen auch nicht immer in die beste Lösung mündet, oder man beruft sich auf die ehemaligen Regelungen („Wir haben das bisher immer so gemacht. Das ist bei uns Standard.“), was nur in den seltensten Fällen zu wirklich neuen Regelungen führt, sondern im besten Fall zu Kompromissen. Wie bei den Managementkreisen und Integrations-Teams wird bei wichtigen Themen mikropolitisch gehandelt, wobei man sich der bisherigen Kulturmerkmale und Netzwerke bedient. Ein nur auf den ersten Blick nützliches Phänomen ist das „Entwickeln eines gemeinsamen Feindbildes gegenüber dem Top-Management“. Da finden dann die Führungskräfte der beteiligten Organisationen einen gemeinsamen Nenner. Allerdings führt dieses kohäsive Feindbild zu Abwehrmechanismen
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gegenüber jeglichen Initiativen des Managements und weiteren Veränderungsprozessen, die aber häufig für die strategische Neuausrichtung des gemeinsamen Unternehmens erforderlich sind. Letztlich werden die kleineren, oberflächlichen Probleme und Themen irgendwie bearbeitet, nicht aber die zentralen Themen, denn die grundsätzlichen Interessenkonflikte werden nicht ausgetragen und gelöst, sondern im Zweifel durch Pseudo-Regelungen vorläufig verdrängt. Übersicht 2: Tagesordnung in Führungskreisen TOP 1: TOP 2: TOP 3: TOP 4:
Missverständnisse bei kleinsten Punkten und Rückzug auf formale und alte Regelungen Mikropolitik bei wichtigen Themen (unter Ausnutzung der (Sub-)Kulturen) Gemeinsames Feindbild, „Top-Management“ und Abwehr weiterer Veränderungen Vorläufige, fallweise oder scheinbare Regelungen bei zentralen Themen, denn tabu sind alle Themen, die grundsätzliche Interessenkonflikte berühren
Diese Veranschaulichung der verschiedenen Aktionen mit ihren expliziten und impliziten Merkmalen ließe sich noch lange fortsetzen und mit Beispielen untermauern. Wir wollen es hierbei belassen und uns den Reaktionen der Mitarbeiter auf die ersten Eindrücke der Fusion und auf die ersten Aktionen des Managements und der eigenen Führungskräfte zuwenden. Rat- und Orientierungslosigkeit der Mitarbeiter: Immer wieder trifft man bei den Mitarbeitern auf Unverständnis gegenüber dem offensichtlichen Entscheidungsstau und Kleinkrieg im Management. Durch fehlende Entscheidungen und durch oberflächliche Kompromisse kommt es zudem häufig zu neuen Organisationsstrukturen mit doppelten und unklaren Zuordnungen und Zuständigkeiten, die zu unnötigen Doppelarbeiten, Reibungsverlusten und Konkurrenzkämpfen auf den nachgeordneten Ebenen führen. Zudem fragen sich die Mitarbeiter in dieser Situation, welche Führungspersonen und welche informellen Regeln und Kriterien sich durchsetzen werden. Neben Unverständnis und Unruhe ist das Hauptproblem die Orientierungslosigkeit, wenn die Mitarbeiter nicht wissen, woran sie ihre Handlungen ausrichten sollen. Reaktionen und Strategien der Mitarbeiter: Angesichts dieser unsicheren Situation besteht eine beliebte Verhaltensstrategie der Mitarbeiter, einfach abzuwarten und zu hoffen, dass sich die Probleme von selbst lösen. Dabei wird nur nichts Neues gewagt, sonst würde man sich dem Risiko aussetzen, dass man etwas falsch macht. Allerdings versuchen die Mitarbeiter auf der operativen Ebene dennoch so gut es geht (zusammen)zuarbeiten, um der Fusion doch eine Chance einzuräumen.
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Die exemplarischen Ausführungen zu den subjektiven Erlebnissen verdeutlichen, wie die subjektiven Reaktionen und Strategien fast zwangsläufig den Integrationserfolg zu einem gewissen Grad negativ beeinträchtigen. Zudem kann die Antwort auf die Herausforderungen in einem solchen Integrationsprozess nicht in einem einfachen Integrationsmanagement mit der Einrichtung einzelner Projektgruppen und der Durchführung einzelner Workshops bestehen. 3
Theoretische Erklärungsansätze zur Integrationsproblematik
In diesem Abschnitt soll ein theoretischer Rahmen vorgestellt werden, der es ermöglicht, die Problematik der organisationalen Integration einem interdisziplinären Forschungsansatz zugänglich zu machen und zugleich die besondere Schwierigkeit bei der Integration vormals verschiedener Unternehmen zu verdeutlichen. 3.1
Dualität der Struktur als interdisziplinärer Forschungsrahmen
Der zugrunde liegende Ansatz zur organisationalen Integration wurde von Jöns (1995) entwickelt und von Schanne (2002) erstmals auf die Fusionsproblematik angewandt. Da die Entwicklung und die Elemente des Ansatzes hier nicht ausführlich erläutert werden können, sei auf diese beiden Darstellungen verwiesen. Im Zentrum des Ansatzes steht die Dualität von Strukturen (vgl. die grundlegenden Theorien von Giddens, 1988; Weick, 1985; siehe im Folgenden Abbildung 3 und Übersicht 3). Nach Giddens sind Strukturen sowohl Medium als auch Resultat sozialen Handelns, das heißt Struktur und Handlung bedingen sich gegenseitig. Das bedeutet, dass sich die Strukturen über die individuellen Handlungen in den sozialen Interaktionen abbilden; insofern finden sie sich in Organisationen von der Organisationsebene vermittelt über die Interaktionen auf der Individualebene wieder et vice versa. Vereinfacht lässt sich die Grundstruktur in Abbildung 3 wie folgt beschreiben: Strukturen bestehen aus Sets von Regeln und Ressourcen, an denen sich die Handlungen orientieren, welche vom Wissen über die Regeln und vom Können durch die verfügbaren Ressourcen abhängt. Nach Giddens, der sich als Soziologe stärker auf die Strukturen als auf die Individuen konzentriert, manifestieren sich die Strukturen in Form von Erinnerungsspuren und sozialen Praktiken bei den Individuen beziehungsweise im Handeln der Akteure. Auf die zentrale Bedeutung dieser Dualität von Strukturen beziehungsweise des organisierten reorganisierenden Handelns werden wir weiter unten zurückkommen. Zunächst wird der theoretische Rahmen etwas weiter differenziert und auf der Individualebene ergänzt.
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Ingela Jöns
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Abbildung 3: Grundstruktur der Strukturationstheorie (nach Neuberger 1995, S. 290)
Auf der Organisationsebene manifestieren sich nach der Theorie der Strukturation (Giddens, 1988; auch Ortmann, Sydow & Windeler, 1997) die Herrschaftsbeziehungen, wie gesagt, in dem Set von Regelungen und in der Kombination der Ressourcen. Wenn man die vier beschriebenen Dimensionen in Übersicht 3 betrachtet, dann wird die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit sofort offensichtlich, also wie sich psychologische, juristische, soziologische und ökonomische Perspektiven in diesen Rahmen einordnen lassen. Zwischen den Strukturdimensionen und der Handlungsebene vermitteln die Modalitäten der Macht, da Handeln vor allem als Mikropolitik betrachtet wird. Diese aus der Soziologie entlehnte Perspektive kann um psychologische Handlungstheorien ergänzt werden, so dass nicht jedes Handeln als mikropolitisch angesehen werden muss. Im Kontext von organisationalen Veränderungsprozessen spielt das interessengeleitete Handeln allerdings eine derart große Rolle, dass die mikropolitische Perspektive für diese Fragestellungen von zentraler Bedeutung ist. Auf der Interaktionsebene lassen sich im Hinblick auf organisationale Veränderungsprozesse sowohl theoretische Konzepte der Mikropolitik (Ortmann u. a., 1990; Crozier & Friedberg, 1979) mit Blick auf die Akteure und Ressourcenverteilungen als auch Theorien des organisationalen Lernens (insb. Argyris, 1982; Hedberg, 1981) mit Blick auf Veränderungen der Regelungen, der Werte und Normen zur Erklärung der Modalitäten integrieren. Handeln muss sich auf (vorhandene) Strukturen (Regelungen und Ressourcen) beziehen, sprich sich der Modalitäten bedienen. Hierin kommt die eigentliche Dualität beziehungsweise Dialektik der Strukturen zum Ausdruck. Der Erfolg des eigenen Handelns hängt
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von den eigenen Ressourcen und deren Verteilung(sregeln) sowie vom Wissen darüber ab. Die organisationalen Lerntheorien können vor allem herangezogen werden, um kulturelle Veränderungen zu erklären. Weiter oben hatten wir bereits auf die Notwendigkeit des Vergessens hingewiesen, wenn neue Verhaltensweisen dauerhaft angenommen werden sollen. Übersicht 3: Herrschaft (Struktur) und Macht (Interaktion) (nach Ortmann et al., 1990) Herrschaft Herrschaftsbeziehungen bestehen aus
Sets von Regelungen
Kombination von Ressourcen
Strukturdimensionen
Signifikation (kognitive)
Legitime Ordnung (normative)
Autoritätsstruktur, admin. Ordnung (organisatorische)
Ökonomie, Technik (materielle)
Arten von Regelungen und Ressourcen
Der Konstitution von Sinn
Der Sanktionierung sozialen Handelns
Autoritativadministrative Ressourcen
Allokative Ressourcen
- Autorität
- ökonomische Machtmittel (Investition, Budget)
„Organisationskultur“
Modalitäten
Dimensionen der Machtausübung (Ebene der Handlung)
- rechtliche Normen
- Deutungsschemata - Expertenwissen
- organisatorische Regeln (in/formelle)
Kommunikation
Sanktion
- Administration (Arbeitsorganisation, Verwaltung) - Fähigkeiten/ Fertigkeiten
- technische Machtmittel (Rohstoffe, Produktions-, IuK-Technik)
Führungshandeln, Administration
Wirtschaftliches Handeln, Technisierung
Macht, (Mikro-)Politik
Auf der individuellen Ebene, die in der Übersicht 3 nach der Handlungsebene noch zu erweitern wäre, erlangen die psychologischen Konzepte ihre Bedeutung. Wie gesagt, führt bereits Giddens (1988) an, dass sich die Strukturen als Erinnerungsspuren und soziale Praktiken der Individuen abbilden. Als individuelle Konzepte sind die kognitiven Modelle oder Landkarten der interaktiven Modalitäten und organisationalen Strukturen als Grundlage jeglichen Handelns zu nennen, die sich im Laufe der betrieblichen Sozialisation und weiteren Organisationszugehörigkeit über die Zeit immer weiter ausbilden. Neben den Konzepten
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der Handlungsregulationstheorie (z. B. Hacker, 1986) sind Kontrolltheorien (z. B. Osna-brügge, Stahlberg & Frey, 1985) hervorzuheben, durch die das Kontrollerleben beziehungsweise dessen Verlust erklärbar wird. Wenn sich die Handlungen und Interaktionsprozesse auf bekannte Strukturen beziehen, dann sind sie für die einzelnen Individuen vorhersehbar, erklärbar, wenn nicht sogar beeinflussbar. Neben der kognitiven Ausrichtung des Handelns sind als Pendant zur Sinngebung auf der individuellen Ebene Konzepte der sozialen Identität und damit zusammenhängende Prozesse der Identifikation und Konzepte des organisationalen Commitment sowie Ingroup-Outgroup-Phänomene anzusiedeln (z. B. Allen & Meyer, 1990; Tajfel, 1978). Wollte man die Übersicht 3 auf der individuellen Ebene ergänzen, dann stünden dort soziale Identität, locus of control, kognitive Modelle und Kompetenzen. Im Hinblick auf die psychologische Perspektive bei F&A sollte das vorgestellte Rahmenkonzept geeignet sein, bisherige Forschungsarbeiten und -konzepte zu integrieren. Neben Einzelkonzepten haben Hogan und OvermyerDay (1994) ein Framework “The Psychology of M&A” entwickelt, das von Klendauer, Frey und Greitmeyer (2006) übersetzt und um einzelne Aspekte erweitert wurde. Neben Merkmalen und Maßnahmen im Zuge der F&A, die in ihrer Bedeutung für die Strukturen und ihre Wahrnehmung zu analysieren sind, werden vor allem die Folgen auf der individuellen Ebene (insbesondere Stress, Zufriedenheit, Commitment, Verhalten) und die Ergebnisse auf der organisationalen Ebene (z. B. Jahresabschluss, Bewertung durch Management und Mitarbeiter) diskutiert. Diese Aspekte sind Konsequenzen der Integrationsprozesse und -ergebnisse, deren Erklärung mit der Dualität der Strukturen unterstützt werden kann. Nach Klendauer, Frey und Greitemeyer sind in der Vermittlung beziehungsweise in der Wahrnehmung von Integrationsprozessen drei Konzepte von zentraler Bedeutung. Organisationale Gerechtigkeit: Dieser Aspekt lässt sich sehr gut mit der Wahrnehmung der Verteilung von Ressourcen verbinden. Weiterhin spielt die Gerechtigkeit insbesondere auch bei den entsprechenden Regeln eine Rolle. Kontrollierbarkeit: Auf diesen Aspekt hatten wir schon hingewiesen. Nur wenn die Regeln bekannt sind, können die Veränderungen vorhergesehen, erklärt und beeinflusst werden. Gerade diesbezüglich kann mit der Dualität der Strukturen der erlebte Kontrollverlust begründet werden. Soziale Identität: Wiederum bietet das Konzept mit der sinngebenden Funktion, der kognitiven und normativen Orientierung und ihrer zwangsläufigen Beeinträchtigung bei F&A gute Anschlussmöglichkeiten für die psychologische Perspektive.
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Diese Skizzierung des Rahmens zur Analyse von organisationalen Integrationsund Veränderungsprozessen und der interdisziplinären Anschlussmöglichkeiten soll an dieser Stelle genügen. Handelt es sich doch im Wesentlichen um einen Rahmen, in den verschiedene Aspekte und Theorien eingebunden werden sollen. Das Kernstück dieses Rahmens besteht in der Dualität der Strukturen, die nun herangezogen wird, um die besondere Integrationsproblematik bei F&A zu begründen. 3.2
Erklärungsversuche zur besonderen Integrationsproblematik bei F&A
Was ist eigentlich das Besondere an F&A? Es gibt so viele Modernisierungswellen, die über die Unternehmen in den letzten Jahrzehnten meist in Verbindung mit neuen Managementkonzepten, mit gravierenden Verschlankungen und damit mit massivem Personalabbau hinweggerollt sind. Warum führt zum Beispiel 20 % Personalabbau infolge einer Gemeinkostenwertanalyse zu weniger Stress als der gleich hohe Personalabbau infolge einer F&A? Versetzen wir uns kurz in die Lage eines Mitarbeiters, der sich angesichts drohenden Personalabbaus überlegt, inwieweit er betroffen sein könnte und was er tun kann, um einer Kündigung oder Versetzung zu entgehen. Im Fall der Gemeinkostenwertanalyse, das heißt der Rationalisierung im eigenen, bekannten Unternehmen, weiß der Mitarbeiter, dass es gegebenenfalls einen Sozialplan geben wird, wie die Kriterien in etwa aussehen werden und wer darauf Einfluss hat. Damit kann der Mitarbeiter seine mögliche Betroffenheit gut abschätzen. Im Fall der F&A wird es in Deutschland auch einen Sozialplan geben, aber wie werden die Kriterien aussehen und wer wird sie festlegen? Vielleicht muss überhaupt erst noch die Wahl des neuen Betriebsrates durchgeführt werden, wie wird darin die Machtverteilung zwischen Betriebsräten aus der ehemaligen Organisation 1 und 2 aussehen? Wer wird der maßgebliche Verhandlungspartner auf Seiten des Arbeitgebers sein? Das Beispiel veranschaulicht, dass die Schwierigkeit für das Erleben und Verhalten bei F&A in den undefinierten beziehungsweise unklaren Strukturen und damit verbunden in dem erlebten Kontrollverlust und der eingeschränkten Handlungsfähigkeit liegt. Die Problematik wurde unter dem Stichwort „Rat- und Orientierungslosigkeit der Mitarbeiter“ in Abschnitt 2.2 bereits kurz angesprochen. Zu den aufgezeigten Dimension und Ebenen des theoretischen Rahmens soll die resultierende Problematik für das Integrationsmanagement erläutert werden. Auf der Organisationsebene geht es um die Definition neuer Strukturen. Während das Management noch normative Regeln neu aufstellen kann, die letztlich durch Sanktionierung dann auch auf der Handlungsebene wirken, können kognitive Regeln nicht verordnet werden, sondern sie werden sich erst im Laufe
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der Zeit herausbilden. Angesichts der beiden Organisationskulturen, die unter einer neu definierten Formalstruktur, zum Beispiel um die Interpretationshoheit, konkurrieren, bleibt die Frage, welche Werte und Schemata sich durchsetzen werden. Ebenso gilt bei der Kombination der Ressourcen, dass die materiellen Ressourcen vom Management verteilt werden können – aber die organisatorischen Ressourcen hängen von der interpersonellen Akzeptanz und von der kommunikativen Interpretation ab. Bleibt wiederum die Frage, wer die Quelle der Macht definieren beziehungsweise wer (er-)mächtig(t) sein wird. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass nur ein geringer Teil der Struktur unabhängig von der sozialen Interaktion etabliert werden kann. Auf der Interaktionsebene stehen die Konsequenzen für die Modalitäten und Orientierungen als Grundlage der Handlungen beziehungsweise für das Kontrollerleben. Da die Strukturen kaum definiert sind, ist der eigene Einfluss unklar. Wenn die Regeln nicht alle etabliert sind und wenn nicht die Ressourcen neu verteilt sind, dann sind die „mächtigen“ Personen von zentraler Bedeutung, die im Sinne der Kontrolltheorie eine sekundäre Kontrolle ermöglichen würden. Genau das ist bei F&A, abgesehen von der obersten Ebene, oft über Monate hinweg nicht geklärt, weil die jeweiligen Personen der beiden Unternehmen erst noch die Integration organisieren sollen. Damit ist mikropolitisches Handeln nur begrenzt möglich. Es fehlen Antworten beispielsweise auf die Fragen, welchen Koalitionen man sich anschließen soll, an welchen Führungskräften man sich orientieren soll, wen man unterstützen soll und wen nicht und wer die zukünftigen Regeln und Kriterien definieren wird. Angesichts der mikropolitisch prekären Situation sind organisationale Lernprozesse höherer Ordnung, in denen Werte und Normen, Interpretations- und Spielregeln der Interaktion kritisch hinterfragt und verändert werden, erheblich erschwert, weil man mit der Reflexion der eigenen Kulturmerkmale immer auch eigene Definitionsmacht preisgeben müsste. Daher finden im Integrationsprozess zumeist nur einfache Lernprozesse statt, in denen die Regelungen auf einer oberflächlichen Ebene angepasst werden, so dass zwar ein Handeln ermöglicht wird, aber mögliche Lernchancen der verschiedenen Kulturen oft vergeben werden. Das Kontroll- und Stresserleben auf der individuellen Ebene resultiert aus der eingeschränkten primären und sekundären Einflussmöglichkeit als auch der fehlenden Vorhersehbarkeit vieler Ereignisse. In den Handlungsbereichen, in denen die Kulturen der beiden Organisationen nicht kompatibel sind, in denen die Mitglieder der beiden Organisationen verschiedene Unternehmenssprachen sprechen und verschiedene Deutungsschemata nutzen, sind auch nachträglich die Ereignisse nicht mehr erklärbar, so dass selbst das Lernen aus „Fehlern“ erschwert wird. Für Mitarbeiter und insbesondere für Führungskräfte kommt oft noch ein Verlust der Illusion von Kontrolle hinzu, weil die Differenz zwischen
Fusionen und Akquisitionen
319
dem tatsächlichen und angenommenen Einfluss offensichtlich wird. So manche Führungskräfte und Experten leben in der Illusion, viel in ihrem Unternehmen bewirken zu können – und solange dies nicht ausgeübt werden muss, wird ihnen die enge Grenze ihres Einflusses nicht klar. Zusammenfassend liegt die spezifische Problematik bei F&A darin, dass der Teufelskreis der Dualität der Strukturen nur schwer zu durchbrechen ist. Die Mitarbeiter müssen sich an Strukturen orientieren und sich der Modalitäten bedienen können, um überhaupt handeln zu können. Da die Strukturen nicht außerhalb der Organisation definiert werden können, wird immer eine organisierte reorganisierende Interaktion in organisationalen Veränderungsprozessen stattfinden, die aber im Integrationsprozess nach F&A auf zwei unterschiedlichen Grundlagen basiert, so dass die Missverständnisse, Widersprüche und Konflikte vorprogrammiert sind. 4
Möglichkeiten und Grenzen des Integrationsmanagement
Angesichts dieser besonderen Situation bei F&A werden nachfolgend die Möglichkeiten eines geeigneten Integrationsmanagements aufgezeigt, bevor abschließend nochmals auf die Grenzen einer erfolgreichen und reibungslosen Integration eingegangen wird. 4.1
Möglichkeiten des Integrationsmanagement
Die spezifischen Empfehlungen bei F&A beziehen sich neben rechtlichen, organisatorischen und technischen Aspekten inzwischen auch auf das Personalmanagement und auf die Kulturintegration (z. B. Buono & Bowditch, 2003; Jaeger, 2001; Schwaab, Frey & Hesse, 2003). Wie bei allen anderen Veränderungsprozessen gelten grundsätzlich bei Integrationsprozessen die Kriterien der Organisationsentwicklung, die vor allem eine offene Informationspolitik und intensive Partizipation der Mitarbeiter an den Veränderungen empfehlen. Weiterhin ist selbstverständlich ein professionelles Projektmanagement erforderlich, bei welchem sich aber immer wieder die Frage der personellen Besetzung stellt. Dabei finden sich manchmal die naiven Empfehlungen paritätischer Zusammensetzung der Teams. Es gibt Themen, wie beispielsweise die Kulturintegration, bei denen dies eine sinnvolle Zusammensetzung sein kann, aber bei Fachthemen sollte die Kompetenz der Projektmitarbeiter im Vordergrund stehen. Sicherlich ist es bei den meisten Themen ratsam, dass beide ehemaligen Organisationen in den Teams repräsentiert sind, um die Kompetenzen und Gepflogenheiten berücksichtigen zu können. Diese Überlegungen sollen verdeutlichen, dass bei allen Aktivitäten zur Integration stets die sachliche Zweckmäßigkeit als auch die symbolische Wirkung zu bedenken ist.
320
Ingela Jöns
Beim Personalmanagement ist darauf hinzuwirken, dass klare Abteilungsund Personalstrukturen möglichst rasch geschaffen und entsprechende Personalentscheidungen getroffen werden. Dies ist sicherlich ein erster Schritt, um Orientierung wieder zu etablieren. Selbstverständlich sollten die Auswahlkriterien weitgehend transparent gemacht werden und Entscheidungsprozesse von Fairness und Respekt geprägt sein. Das Gleiche gilt für einen eventuell notwendigen Personalabbau. Auch von Mitarbeiterseite ist oft zu hören: „Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.“ Zu langwierige Verhandlungs- und Abfindungsprozesse führen oft dazu, dass Spitzenkräfte sich nach Alternativen umsehen, so dass ein nicht intendierter Know-how-Verlust eintritt. Zur kulturellen Integration stellt ein zentrales Kulturmanagement, in dem gemeinsame Werte, Leitbilder und Strategien vom obersten Management festgelegt werden, eine wichtige Grundlage dar. Allerdings handelt es sich zunächst um die neuen Hochglanzbroschüren, die noch lange nicht gelebt werden. Ergänzend zu derartigen zentralen Kulturaktivitäten sind dezentrale Projekte und Workshops zur Kulturintegration wichtig. Als Ausgangspunkt bieten sich Kulturdiagnosen zu Selbst- und Fremdbildern an, doch sollte man sich in der weiteren Orientierung nicht auf die Differenzen, sondern auf die gemeinsame Zukunft konzentrieren. Als wichtige Grundsätze des Integrationsmanagements gelten bei allen Aktivitäten, dass die kulturellen Unterschiede auch als Chancen gesehen werden, dass nicht die Schwächen, sondern die Stärken der Partner herausgearbeitet werden, dass Schwierigkeiten aufgrund der kulturellen Unterschiede als normale Konsequenz und langfristig überwindbar angenommen werden, dass die Bewältigung von Problemen und Anpassungen als gemeinsame Aufgabe angenommen wird, dass der Fokus auf die zukünftigen Ziele und gemeinsamen Erfolge gelegt wird. Letztlich kann eine gemeinsame Kulturentwicklung nämlich nur im Arbeitsalltag über gemeinsame Ziele und Aufgaben stattfinden. Gemeinsame Erfolge spielen dabei als Verstärker eine zentrale Rolle. 4.2
Grenzen des Integrationsmanagement
Für die Kulturintegration wird von manchen Autoren empfohlen, im Vorfeld bereits Kulturdiagnosen durchzuführen und im Zweifel bei zu großen Differenzen lieber auf die F&A zu verzichten. Im Vorfeld eine fundierte Diagnose durchzuführen, ist kaum denkbar beziehungsweise scheint nur in Ausnahmefällen
Fusionen und Akquisitionen
321
überhaupt möglich zu sein. Ebenso wird angezweifelt, dass auf eine ökonomisch sinnvolle F&A aufgrund von kulturellen Differenzen verzichtet wird. Die jeweiligen Organisationskulturen sind keine wirkliche Entscheidungsgrundlage für oder gegen eine F&A, sondern werden bei der Planung des Integrationsgrades, der Integrationsstrategien und -prozesse berücksichtigt. Die zentralen Grenzen des Integrationsmanagements liegen angesichts der Dualität von Strukturen darin, dass die Definition neuer Kulturmerkmale zunächst nur auf der Unternehmensebene durch das Management möglich ist, deren interpretative Umsetzung dann erst im mikropolitischen Spiel der Kräfte auf den nachgelagerten Ebenen erfolgen wird. Zudem bestehen Organisationen aus verschiedenen, durchaus starken Subkulturen. Soweit es sich nicht um aufgabenbedingte Merkmale handelt, werden diese in Organisationen zumeist nicht expliziert, weil sie eigentlich nicht gewollt sind. Also wird man offiziell auch keine Subkulturen definieren, sondern sie müssen sich über die oben genannten Aktivitäten erst im Laufe der Zeit neu ausbilden. Grundsätzlich ist ein zentrales Merkmal von Kultur, dass sie immer auch unbewusste Phänomene umfasst, die einer gemeinsamen Kommunikation nicht zugänglich sind. Gemeinsame Kulturentwicklung bedarf viel Zeit – und in dieser Zeit wird es immer zu Friktionen und Konflikten kommen. Wenn man die allgemeine Diskussion über das Scheitern von F&A betrachtet, dann kann als Fazit an dieser Stelle festgehalten werden: Kulturelles Integrationsmanagement kann nur dann Erfolg haben, wenn die strategischen Grundsatzentscheidungen über die F&A stimmen. Nur wenn es sich um „sinnvolle F&A“ handelt, denen marktgerechte Strategien zugrunde liegen und die eine Zukunftsperspektive für das gemeinsame Unternehmen vermitteln, wird es gelingen, die Differenzen im Hinblick auf die strategische Neuausrichtung auf Dauer zu überwinden.
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Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung Jörg Bogumil 1
Einleitung
Mehr als 10 Jahre nach dem Beginn der New Public Management-Bewegung in Deutschland liegt erstmalig eine empirisch gesättigte Bilanz bezüglich des Umsetzungsstandes von Maßnahmen des Neuen Steuerungsmodells und deren Wirkungen vor, die im Forschungsprojekt „10 Jahre Neues Steuerungsmodell – Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung“1 gewonnen wurde. Wesentliche Ergebnisse des Projektes sollen hier nun zusammenfassend analysiert werden (vgl. ausführlich Bogumil, Grohs, Kuhlmann & Ohm 2007; Bogumil, Kuhlmann & Grohs 2006). Dabei wird nur sehr knapp auf das mittlerweile relativ bekannte Konzept des Neuen Steuerungsmodells (NSM) als „eingedeutschte“ Variante der internationalen New Public Management-Bewegung (NPM) eingegangen, bevor dann zunächst der Umsetzungsstand und anschließend die Wirkungen kommunaler Verwaltungsmodernisierung vorgestellt werden. Ein zusammenfassendes Fazit schließt die Ausführungen ab.2 1
2
Das Projekt wurde von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert und von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle (KGSt) unterstützt (Laufzeit 2004-2006) und ist als Kooperationsvorhaben der Universitäten Konstanz beziehungsweise Bochum (Jörg Bogumil – Projektleitung –, Sabine Kuhlmann, Stephan Grohs, Anna K. Ohm), Potsdam (Werner Jann, Christoph Reichard), Marburg (Leo Kißler) und Berlin (Hellmut Wollmann) angelegt. Im Rahmen des Projektes wurde im Frühjahr 2005 neben einer Vollerhebung unter Bürgermeistern beziehungsweise Landräten und den Personalratsvorsitzenden aller KGSt-Mitgliedskommunen (1565) auch eine schriftliche Befragung der Leitung der Unteren Bauaufsicht als Vertretung der klassischen Ordnungsverwaltung und der Leitung des Jugendamtes als Vertretung einer Leistungsverwaltung durchgeführt. Im Mittelpunkt stand die Umsetzung von Maßnahmen des Neuen Steuerungsmodells und deren Wirkungen. Die Umfrage wurde als Vollerhebung aller KGSt-Mitgliedskommunen konzipiert, zudem wurden alle Nicht-Mitgliedskommunen über 20.000 Einwohner zusätzlich in das Sample aufgenommen. Damit handelt es sich um eine Vollerhebung aller Städte und Gemeinden über 20.000 Einwohner, eine Erhebung von 3/4 der Städte und Gemeinden zwischen 10.000 und 20.000 Einwohner ohne regionalen Bias sowie eine Erhebung deutscher Landkreise, wobei die Stichprobe aus etwa 2/3 der Landkreise besteht und ein regionaler Bias zu verzeichnen ist, der von geringeren KGStMitgliedschaften insbesondere in Bayern, Baden-Württemberg und den neuen Bundesländern herrührt. Die Rücklaufquoten liegen zwischen 55,3 % (Bürgermeister) und 42,3 % (Personalratsvorsitzende). Die Ergebnisse können für die entsprechende Grundgesamtheit als repräsentativ angesehen werden. Allerdings ist von einem positiv verzerrten Bild bezüglich des Umsetzungsstandes zugunsten von „Modernisierern“ auszugehen, wie eine Analyse der Nichtteilnahmen zeigt. Auf das Evaluationsdesign und die Forschungsmethodik des Projektes kann hier nicht näher eingegangen werden (vgl. zu diesen Punkten Bogumil et al., 2007, S. 11-21) und Fußnote 1.
326 2
Jörg Bogumil Das Neue Steuerungsmodell
Das NSM knüpfte an internationale Vorbilder (vgl. Reichard & Banner, 1993), insbesondere an die niederländische Stadt Tilburg (vgl. KGSt, 1993a), an. Dabei erfolgte die deutsche Aufnahme des NPM im internationalen Vergleich relativ spät, was durch das Fehlen eines konkreten Handlungsdrucks und die hohe Leistungsfähigkeit, die der deutschen Verwaltung im internationalen Kontext zugesprochen wurde, erklärt werden kann. Zudem gibt es im deutschen Verfassungsarrangement einige Basisinstitutionen (Verwaltungsföderalismus, Dezentralität, Subsidiaritätsprinzip), die unter NPM-Gesichtspunkten als „modernitätsfördernd“ anzusehen sind (vgl. Wollmann, 1996, S. 19) und die ebenfalls bewirkten, dass der Reformdruck als zunächst begrenzt angesehen wurde. Erst unter dem zunehmenden Druck der Haushaltskonsolidierung Anfang der Neunziger Jahre konnte das managerialistische Leitbild des NSM, nicht zuletzt infolge einer breit angelegten Diffusionskampagne der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt), im kommunalen Raum Fuß fassen. Es versprach mehr Effizienz, Effektivität und Kundenorientierung, gleichzeitig verzichtete das NSM weitgehend auf die Diskussion der Neubestimmung öffentlicher Aufgaben, was die politische Konsensfähigkeit deutlich erhöhte (vgl. Jann, 2005, S. 76). Ohne hier auf Details der Modernisierungselemente eingehen zu können, sind in der folgenden Übersicht die wesentlichen Elemente des NSM angeführt. Sie bilden zugleich den normativen Bewertungsrahmen (SollDimension) für die hier verfolgte Wirkungsevaluation. Die Übersicht basiert auf der Unterscheidung zwischen einem „Kernmodell“ und einem „erweiterten Modell“, welches das binnenorientierte „Kernmodell“ um die Außendimension (Wettbewerbselemente und Kundenorientierung) sowie Elemente des Personalmanagements ergänzt.3 3
Zum Umsetzungsstand des Neuen Steuerungsmodells
3.1 Gesamteinschätzung Zweifelsohne haben die deutschen Kommunen in den letzten zehn Jahren die Modernisierung ihrer Verwaltungen beachtlich vorangetrieben. Verwaltungsmodernisierung ist und war ein flächendeckendes Thema in deutschen Kommunalverwaltungen, was unsere Umfragebefunde klar widerspiegeln. 92,4 % der antwortenden Kommunen geben an, seit den 1990er Jahren Maßnahmen zur Verwaltungsmodernisierung durchgeführt zu haben, wobei es bemerkenswert ist, 3
Zur Abgrenzung und Begründung vgl. Kißler et al., 1997, S. 28-33; Bogumil, 2001, S. 110-124; Bogumil & Kuhlmann, 2004, S. 52-53; ähnlich die Unterscheidung von NSM 1.0 und NSM 2.0 in Reichard, 2003.
Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung
327
dass es hier kein West-Ost-Gefälle gibt (vgl. Übersicht 1). Während Verwaltungsmodernisierung im Allgemeinen damit zwar in Ost wie West ein Schlüsselthema ist, wird jedoch die Frage, wie modernisiert wird und insbesondere, ob dabei das NSM als Reformleitbild im Vordergrund steht, von ost- und westdeutschen Kommunalakteuren unterschiedlich beantwortet. Übersicht 1: Dimensionen des Neuen Steuerungsmodells (NSM) Binnendimension Verhältnis Politik – Verwaltung
Trennung von Politik und Verwaltung („Was“ und „Wie“) - Politische Kontrakte - Politisches Controlling - Produktbudgets
Ablösung des klassischen Bürokratiemodells Verfahrensinnovationen - Dezentrale Fach- und Ressourcenverantwortung - Outputsteuerung über Produkte - Budgetierung - Controlling - Kosten-Leistungs-Rechnung - Kontraktmanagement Organisationsinnovationen - Konzernstruktur - Zentraler Steuerungsdienst - Querschnittsbereiche als Servicestellen Personalinnovationen - Kooperations- und Gruppenelemente - Anreizsysteme - modernes Personalmanagement - betriebswirtschaftliches Wissen - ganzheitliche Arbeitszusammenhänge
Außendimension
Kundenorientierung - Qualitätsmanagement - One-Stop-Agencies
Wettbewerbselemente - Vermarktlichung - Privatisierung - Leistungsvergleiche
Quelle: nach Bogumil & Kuhlmann, 2004, S. 53. Der grau unterlegte Bereich erfasst das „erweiterte Modell“
Hervorzuheben ist, dass sich von den deutschen „Reformkommunen“ eine überwältigende Mehrheit (82,4 %) am NSM als Reformleitbild orientiert hat. Allerdings ist diese Orientierung am NSM in den westdeutschen stärker als in den ostdeutschen Städten und eher in den großen Städten und Kreisen als in den kleineren Kommunen festzustellen.
328
Jörg Bogumil
Kann die Leitbildwirkung des NSM damit im Allgemeinen als unbestritten gelten, ergibt sich jedoch hinsichtlich der konkreten Umsetzung des Reformkonzepts ein differenziertes Bild. Zum einen orientieren sich die deutschen Kommunen nur partiell am NSM, wenn sie die Modernisierung ihrer Verwaltungen in Angriff nehmen. Mehr als 60 % der Städte haben nur einzelne Elemente des NSM im Blick, wohingegen die Kommunen, die ihre Reformaktivitäten am Gesamtkonzept des NSM ausrichten, klar in der Minderheit sind (14,7 %; vgl. Tabelle 1). Tabelle 1: Modernisierungsaktivitäten der deutschen Kommunen Maßnahmen der Verwaltungsmodernisierung
KreisanKreisfreie gehörige Städte Gemeinden
Landkreise
West
Ost
Gesamt
Insgesamt
97,6 % (80)
91,0 % (579)
95,4 % (145)
92,2 % (688)
93,5 % (116)
92,4 % (804)
Orientierung am NSM als Gesamtkonzept
27,2 % (22)
14,7 % (85)
15,9 % (23)
17,1 % (118)
10,3 % (12)
16,1 % (130)
Orientierung an einzelnen Instrumenten des NSM
65,4 % (53)
64,3 % (374)
74,5 % (108)
66,7 % (461)
63,8 % (74)
66,3 % (535)
Anmerkungen: N = 870, Angaben in Prozent, Absolutzahlen in Klammer, Spaltenprozente. Quelle: Umfrage „10 Jahre NSM“, Bürgermeisterdatensatz
Wirft man zum anderen nun einen Blick über die „Verlautbarungsebene“ hinaus auf die tatsächliche Implementation von NSM-Instrumenten, so zeigt sich ein noch größeres Auseinanderfallen zwischen dem Konzept und der Realität. Legt man als Bewertungsmaßstab die NSM-Kernelemente zugrunde (siehe Übersicht 1), so gibt es nach zehn Jahren Reform kein einziges Element, welches von der Mehrheit der deutschen Kommunen inzwischen in der ganzen Verwaltung implementiert worden ist (siehe Tabelle 3). Bundesweit gibt es nur 22 Kommunen (2,5 %), die man aufgrund unserer Erhebung als „NSM-Hardliner“ bezeichnen könnte, da sie nach eigenen Angaben sieben Kernelemente des NSM (Strategische Steuerungsunterstützung, interne Servicestellen, dezentrale Fach- und Ressourcenverantwortung, Budgetierung, Produktdefinitionen und -beschreibungen, politisches Kontraktmanagement, internes Kontraktmanagement) flächendeckend in der ganzen Verwaltung eingeführt haben. Ein maßgeblicher Grund dieser
Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung
329
geringen Zahl liegt in der seltenen Umsetzung des politischen Kontraktmanagements. Tabelle 2: Institutionelle Veränderungen im Überblick
Modernisierungsbereich Organisationsstrukturen Fachbereichsstrukturen Zentrale Steuerungsunterstützung Umbau der Querschnittsbereiche zu Servicestellen Dezentrale Controllingstellen Abbau von Hierarchieebenen Teamstrukturen
Ressourcenbewirtschaftung Dezentrale Fach- und Ressourcenverantwortung Budgetierung Produkte Kosten- und Leistungsrechnung Berichtswesen Doppik Vermögensbewertung
Kontraktmanagement zwischen Politik und Verwaltung zwischen Verwaltungsspitze und anderen Einheiten zwischen Servicestellen und anderen Einheiten zwischen Verwaltung und kommunalen Beteiligungen zwischen Verwaltung und Leistungserbringen von außen
Umsetzungsgrad in der ganzen in Teilbereizur Zeit im Verwaltung chen Aufbau 43,6 % (379) 25,9 % (225)
9,3 % (81) 12,4 % (108)
5,2 % (45) 12,4 % (108)
23,9 % (208)
24,7 % (215)
13,9 % (121)
10,9 % (95) 34,5 % (300) 14,0 % (102)
13,6 % (118) 25,4 % (221) 38,2 % (332)
16,0 % (139) 5,1 % (44) 6,2 % (54)
in der ganzen Verwaltung
in Teilbereichen
zur Zeit im Aufbau
33,1 % (288)
26,2 % (288)
9,4 % (82)
33,1 % (288) 29,0 % (252) 12,7 % (108) 22,1 % (192) 3,8 % (33) 7,7 % (67)
34,4 % (299) 9,9 % (86) 33,0 % (287) 20,7 % (180) 4,8 % (42) 14,3 % (124)
7,9 % (69) 22,9 % (199) 27,1 % (236) 23,4 % (204) 50,2 % (437) 48,6 % (423)
14,8 % (129)
*
*
24,3 % (211)
*
*
8,0 % (70)
*
*
6,7 % (58)
*
*
9,3 % (81)
*
*
eingeführt
330
Jörg Bogumil
Fortsetzung von Tabelle 2: Institutionelle Veränderungen im Überblick
Modernisierungsbereich Personal
Umsetzungsgrad eingeführt
Mitarbeitergespräche Führungskräftebeurteilung Job-Rotation Leistungsprämien Neue Personalauswahlmethoden Personalbeurteilungen Ganzheitliche Sachbearbeitung Teamarbeit Fort- und Weiterbildung
62,0 % (539) 21,5 % (187) 10,3 % (90) 22,4 % (195) 34,6 % (301) 46,6 % (405) 50,0 % (435) 55,6 % (484) 72,6 % (632)
* * * * * * * * *
Betriebswirtschaftlich geschultes Personal eingestellt
36,1 % (314)
Wettbewerb
regelmäßige Teilnahme
gelegentliche Teilnahme
Interkommunaler Leistungsvergleich
15,5 % (135)
27,8 % (242)
Ja
Teilweise
27,9 % (243)
16,2 % (141)
21,7 % (189)
19,5 % (170)
* * * * * * * * *
Ja
Kostenvergleiche öffentliche/private Erstellung Beteiligungsmanagement eingeführt
Kundenorientierung
57,5 % (500)
Erweiterung der Sprechzeiten
74,5 % (648)
Einführung eines Qualitätsmanagements
13,9 % (121)
Verkürzung der Bearbeitungszeit
49,5 % (431)
Einführung eines Beschwerdemanagements
29,9 % (260)
Vereinfachung von Formularen
42,9 % (373)
Kunden- und Bürgerbefragungen
54,7 % (476)
Ortsnahes Angebot von Dienstleistungen Anmerkungen: N = 870, * Item nicht vorhanden
*
eingeführt
Einrichtung von Bürgerämtern
Servicegarantien und Leistungsversprechen
*
7,1 % (62) 40,0 % (348)
* * * * * * * * *
* * * * * * * * *
Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung
331
Tabelle 3: Realisierte NSM-Kernelemente NSM-Kernbereiche Fachbereichsstrukturen Zentrale Steuerungsunterstützung
Umsetzung in der ganzen Verwaltung 43,6 % (379) 25,9 % (225)
Umsetzung in Teilbereichen 9,3 % (81) 12,4 % (108)
Dezentrale Controllingstellen
10,9 % (95)
13,6 % (118)
Umbau Querschnittsbereiche zu Servicestellen
23,9 % (208)
24,7 % (215)
Abbau von Hierarchieebenen
34,5 % (300)
25,4 % (221)
Dezentrale Fach- und Ressourcenverantwortung
33,1 % (288)
26,2 % (228)
Budgetierung
33,1 % (288)
34,4 % (291)
Produkte
29,0 % (252)
9,9 % (86)
Kosten- und Leistungsrechnung
12,7 % (108)
33,0 % (287)
Berichtswesen
22,1 % (192)
20,7 % (180)
Eingeführt Kontrakte Politik-Verwaltung
14,8 % (129)
*
Kontrakte Verwaltungsspitze-Verwaltung
24,3 % (211)
*
Amerkungen: N = 870, * Item nicht vorhanden. Quelle: Umfrage „10 Jahre NSM“, Bürgermeisterdatensatz
Bezieht man dagegen die Kommunen, die die Einführung von NSM-Instrumenten in Teilbereichen ihrer Verwaltungen umgesetzt haben, mit ein, verringert sich die Diskrepanz zwischen Konzept und Realität. Bezieht man zudem die Elemente mit ein, die eher dem erweiterten Modell zuzurechnen sind, wie Maßnahmen zur Verbesserung der Kundenorientierung, so zeigt sich, dass diese in größerem Umfang als alle NSM-Kernelemente umgesetzt wurden. Insgesamt gesehen kann somit eine nach wie vor bestehende nicht unerhebliche „Implementationslücke“ bezogen auf wesentliche Elemente des NSM konstatiert werden. 3.2 Dezentralisierung und outputorientierte Steuerung Bezogen auf die dezentrale Fach- und Ressourcenverantwortung zeigt sich in der Umfrage, dass diese in rund 33 % der befragten Kommunen ganz und in weiteren 26,2 % teilweise eingeführt wurde (vgl. Tabelle 2). Hiermit ist in der Regel auch ein Abbau von Hierarchieebenen verbunden, da häufig eine Führungsebene (Amt oder Dezernat) fortfiel. Hierarchieebenen wurden in 34,5 % der Kommunen abgebaut. Diese Organisationsreformen waren insbesondere ein
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Jörg Bogumil
Projekt der mittelgroßen Städte (50.000 bis 100.000 Einwohner) und großen Landkreise (über 250.000 Einwohner), in denen jeweils deutlich über 50 % von einer Einführung beider Reforminstrumente berichten. Über 50 % aller Kommunen verfügen also über Erfahrungen mit Fachbereichsstrukturen. Für eine Interpretation dieser Daten muss jedoch in Rechnung gestellt werden, dass Ausmaß und Reichweite der Verantwortungsübertragung stark variieren. Mitunter ist diese sehr begrenzt, wenn zum Beispiel schon die Tatsache, dass Amtsleiter bei der Personalauswahl beteiligt werden oder über Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in ihrem Bereich entscheiden dürfen, als dezentrale Personalverantwortung etikettiert wird. Wirft man zudem einen Blick auf die NSM-Realität in ausgewählten Aufgabenfeldern, so zeigt sich, dass hier die von den Verwaltungsspitzen „verlautbarte“ dezentrale Ressourcenverantwortung nur bedingt „unten“ angekommen ist. Denn lediglich in 11,2 % der befragten Jugendämter und 5,1 % der befragten Bauordnungsämter wurde die Personalverantwortung auf die Fachbereiche oder Ämter übertragen. Erwartungsgemäß ist eines der attraktivsten Reformthemen für deutsche Kommunen die Einführung der Budgetierung gewesen. Unsere Umfrageergebnisse zeigen, dass nach Angaben der Befragten in 33,1 % Kommunen flächendeckend und in weiteren 34,4 % zumindest in Teilbereichen budgetiert wird. Die Anziehungskraft dieses Reforminstruments erklärt sich in erster Linie daraus, dass sich die Budgetierung als eine „intelligente Sparstrategie“ erwiesen hat, die von den Kämmerern genutzt wird, um die Ausgaben der Fachbereiche zu „deckeln“ (Banner, 2001, S. 286). Dabei handelt es sich jedoch wohl in den meisten Fällen um eine rein inputorientierte Budgetierung: Nur in 15,7 % der budgetierenden Fälle handelt es sich um Budgetierung, die mit Ziel- und Leistungsvorgaben im Sinne einer Output-Budgetierung verbunden ist. Auch die angestrebten Anreize durch die freie Verfügung über Restmittel dürften nur eingeschränkt zum Tragen kommen: Nur in rund 40 % der budgetierenden Fälle kommt es zu einer zumindest teilweisen antragsfreien Überlassung von Restmitteln an die budgetierte Einheit. Außerdem ist im Zuge der Bemühungen um Haushaltskonsolidierung eine Entwicklung eingetreten, in der anstelle der proklamierten Erweiterung dezentraler Verantwortung eher die zentrale Steuerungslogik verstärkt wird, da aufgrund rigider zentraler Budgetierungsvorgaben für die Fachbereiche kaum noch Handlungsspielräume im dezentralen Ressourcenmanagement bestehen. Damit bleibt die Budgetierung in einer großen Zahl von Fällen weiterhin ein inputorientiertes Führungsinstrument zur Kostendeckelung und keine Anregung zum „aktiven Umgang mit knappen Ressourcen“ (KGSt, 1993b, S. 7), zumal auch die Koppelung an die dezentrale Ressourcenverantwortung eher unterentwickelt ist.
Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung
333
Oftmals waren die ersten Instrumente bei den Bemühungen um eine ergebnisorientierte Steuerung in der Reformpraxis die Definition und Beschreibung von Produkten, die als zentrale Informationsträger zur Erfassung des Verwaltungsoutputs – im Sinne der Ergebnisse von Leistungsprozessen der Verwaltung – angesehen wurden. Laut unserer Umfrage haben 29,0 % der Kommunen Produkte flächendeckend oder zumindest teilweise (9,9 %) definiert oder sind momentan noch im Aufbau (22,9 %). Zudem nehmen – auch verglichen mit früheren Umfragen des Deutschen Städtetags – die Bemühungen kontinuierlich zu, für die Leistungen der Kommunalverwaltungen Kosten genauer beziffern zu können. So geben 12,7 % an, eine Kosten-Leistungsrechnung (KLR) voll umgesetzt zu haben, weitere 33,0 % haben dies zumindest in Teilbereichen und in weiteren 27,1 % befindet sie sich derzeit im Aufbau. Damit handelt es sich neben dem von der Mehrzahl der Landesregierungen verpflichtend verfolgten Übergang von der Kameralistik zur Doppik und der Vermögensbewertung, die beide in einem inhaltlichen Zusammenhang mit der Kosten- und Leistungsrechnung stehen, um die derzeit am aktivsten bearbeitete Reformbaustelle. Angesichts eines frühen Enthusiasmus bei den ergebnisorientierten Verfahren Mitte der 1990er Jahre sind die Implementationszahlen nach über 10 Jahren nicht überwältigend hoch. Dies hängt möglicherweise mit der Kritik an der starken Orientierung am Produktkonzept Ende der 1990er Jahre zusammen, die das Unbehagen vieler Kommunen repräsentierte: Ein typisch „teutonisches“ (Reichard, 1998) Perfektionierungsstreben führe zu ausgefeilten und detaillierten Produktkatalogen, die an Stelle der Steuerungsfunktion eine neue Produktbürokratie setzen. Der nicht geringe Aufwand zeigt sich in den Kommunen, in denen mit Produkten gearbeitet wird, und in denen in der Regel fast das komplette Spektrum der Verwaltungsleistungen – gemessen am Anteil des Verwaltungshaushalts – durch Produkte erfasst wird (70,3 % der Kommunen mit Produkten geben in unserer Umfrage an, zwischen 80 % und 100 % der Verwaltungsleistungen abzudecken). Die Kataloge umfassen bis zu 1000 Einzelprodukte (in der Mehrzahl der Kommunen zwischen 80 und 200). Vor diesem Hintergrund erscheint es als problematisch, dass die aufwändig erstellten Produktkataloge kaum für Steuerungszwecke herangezogen worden sind (Banner, 2001, S. 287). Stattdessen ist festzustellen, dass ein erheblicher Anteil der Kommunen, die Produkte definiert haben, diese weder für die Ermittlung von Budgets noch für Haushaltsverhandlungen oder die Neuorganisation von Verwaltungsprozessen und auch nicht für interkommunale Vergleiche nutzt (vgl. Tabelle 4). In 14,2 % der Kommunen, die Produktdefinitionen verwenden, findet überhaupt kein Anschluss der Produkte an wesentliche Instrumente des NSM statt, und es stellt sich hier die Frage, inwiefern der beträchtliche Aufwand der Erstellung von Produktkatalogen in diesen Fällen gerechtfertigt ist. Zwar ist
334
Jörg Bogumil
dieses Problem der isolierten Produktentwicklung recht früh erkannt worden (vgl. KGSt, 1997; Reichard, 1998), dennoch stellen „freischwebende“ (Banner, 2001, S. 287) Produktkataloge offenbar immer noch ein Problem dar. Tabelle 4: Verwendung von Produktdefinitionen
Anzahl
Anteil an Kommunen mit Produkten1 in % (n = 338)
Anteil an allen Kommunen in % (N = 870)
Kosten- und Leistungsrechnung
223
66,0
25,6
Berichtswesen
219
64,8
25,2
Produktbezogener Haushalt
207
61,2
23,8
Zielvereinbarungen innerhalb der Verwaltung
174
51,5
20,0
Ermittlung von Budgets
173
51,2
19,9
Neuorganisation von Verwaltungsprozessen
173
51,2
19,9
Haushaltsverhandlungen
169
50,0
19,4
Interkommunale Vergleiche
161
47,5
18,5
Zielvereinbarungen zwischen Politik und Verwaltung
116
34,3
13,3
Vergleiche mit externen Anbietern
114
33,7
13,1
Keine der genannten Verwendungen
48
14,2
5,5
Bereiche
Anmerkung: 1 Es wurden nur Kommunen berücksichtigt, in denen Produkte in der ganzen Verwaltung oder in Teilbereichen eingeführt wurden. Quelle: Umfrage „10 Jahre NSM“, Bürgermeisterdatensatz
Neben den Kernbereichen Dezentralisierung und Outputsteuerung spielte in der Konzeption der KGSt die Personalentwicklung eine zunehmend stärkere Rolle. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass die Umsetzung des NSM im Wesentlichen von der Mitwirkung des Personals der Verwaltung abhängt. Akzeptanz und aktive Beteiligung sollten daher gezielt durch Personalentwicklung unterstützt werden (KGSt, 1996b, S. 7). Tatsächlich sind nur eingeschränkt Veränderungen im Bereich des Personalmanagements und der Personalentwicklung festzustellen. Zwar wurde in zahlreichen modernisierenden Kommunen zusätzliches betriebswirtschaftlich geschultes Personal angestellt (36,1 %) und finden vor allem in mittlerweile 62,0 % der Kommunen Mitarbeitergespräche statt, dennoch bleiben
Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung
335
die Aktivitäten gemessen an den Zielvorstellungen auf eher wenig anspruchsvolle Verfahren beschränkt oder befinden sich im klassischen Bereich der Fort- und Weiterbildung (vgl. Tabelle 2). Ein Hauptproblem dürfte die angespannte Haushaltslage der Kommunen sein, die für zusätzliche Maßnahmen der Personalentwicklung und auch für zusätzliche Leistungsanreize wenig Spielraum lassen. 3.3 Veränderungen im Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung Schon bei der Rangfolge der Modernisierungsziele der Kommunen bewegt sich die Neu- beziehungsweise Umgestaltung des Verhältnisses zwischen Rat und Verwaltung deutlich am Ende. Nur 29,7 % der Kommunen geben an, diesen Themenbereich überhaupt zu behandeln, beim Blick auf die konkreten Instrumente sieht die Bilanz noch bescheidener aus. So ist das Kontraktmanagement über Zielvereinbarungen zwischen Rat und Verwaltung(sspitze) nur in 14,8 % der befragten Kommunen etabliert. Gegenstand der Zielvereinbarungen zwischen Rat und Verwaltung sind in 12,8 % der Fälle Qualitätsmerkmale und in 12,1 % Produkte. Kostenkennzahlen und Leistungskennzahlen sind ebenfalls in mehr als 10 % der Kommunen relevante Inhalte der Vereinbarungen, wohingegen Wirkungskennzahlen nur eine nachgeordnete Rolle spielen. Ein Berichtswesen, das sich an den Rat wendet und somit als Instrument des politischen Controllings dient, existiert nach Angaben der Befragten in 22,8 % aller Kommunen zumindest für Teilbereiche der Verwaltung, in 14,8 % für die ganze Verwaltung. Insgesamt zeigt sich damit, dass der Umsetzungsgrad der Instrumente zur Umgestaltung des Verhältnisses zwischen Kommunalvertretung und Verwaltung im Vergleich zu allen anderen Modernisierungselementen am geringsten ist. 3.4 Veränderungen im Außenverhältnis Neben den Modernisierungsschritten innerhalb der Verwaltung wurde im NSM eine Veränderung der Gestaltung des Außenverhältnisses der Verwaltung proklamiert. Diese Maßnahmen spielten in der NSM-Konzeption zunächst eine nachrangige Rolle, gerieten aber im Laufe der 1990er Jahre vermehrt in den Modernisierungsdiskurs, nicht zuletzt deshalb, da die Defizite einer reinen Binnenorientierung verstärkt thematisiert wurden. Die Modernisierung des Außenverhältnisses sollte das NSM „unter Strom“ setzen; es umfasst zum einen das Verständnis des Bürgers als „Kunden“ der Kommunalverwaltung sowie zum anderen Wettbewerbselemente wie Leistungsvergleiche, Markttests und Vergabeverfahren, die in das kommunale Verwaltungshandeln Einzug halten sollen.
336
Jörg Bogumil
3.5 Kundenorientierung Im Mittelpunkt der Entwicklung einer „kundenorientierten Dienstleistungspolitik“ (Bogumil et al., 2006) steht der Wandel kommunaler Verwaltungen zu Dienstleistungs- und Servicezentren. Organisatorische Änderungen wie die Bündelung von Dienstleistungen (Einrichtung von Bürgerämtern in 57,5 % der Kommunen) und ein ortsnahes Angebot von Dienstleistungen durch Dezentralisierung (40,0 %) wurden ebenso verfolgt wie Prozessinnovationen. Zu diesen zählen die Erweiterung von Sprechzeiten (74,5 %) und die Einführung eines Qualitätsmanagements (13,9 %). Außerdem erfolgte bei 54,7 % der Befragten eine Beteiligung der „Kunden“ durch Klienten- und Bürgerbefragungen. Ein Beschwerdemanagement wurde in 29,9 % der Fälle eingeführt (vgl. Tabelle 2). Die verstärkte Orientierung am Bürger als Kunden kann also als ein Erfolgsprojekt gesehen werden. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass es sich hier um kein genuines NSM-Projekt handelt, sondern die Idee der „Bürgerämter“ war schon Anfang der 1980er Jahre in gänzlich anderem Kontext entstanden. Allerdings sind Merkmale verstärkter Kundenorientierung und auch die Idee der one stop agency im erweiterten NSM–Modell zu finden. Vor allem aber kann in diesem Bereich die NSM-Modernisierung als ein entscheidender Wegbereiter für die Reaktivierung dieses älteren Modernisierungsansatzes gesehen werden. Denn erst Mitte der neunziger Jahre wurden Bürgerämter in der Breite der Kommunen diskutiert und eingerichtet. Der Anteil von Städten mit über 50.000 Einwohnern, in denen es Bürgerämter gibt, liegt laut unserer Umfrage bei weit über 80 %. Ebenfalls im Kontext verstärkter Kundenorientierung können traditionelle Reformansätze wie Verfahrensbeschleunigung im Baugenehmigungsverfahren – zum Beispiel durch Einführung eines Sternverfahrens oder verstärkter Verantwortungsdelegation – gesehen werden (vgl. Jaedicke et al., 2000), die in 75 % (n=279) der befragten Bauordnungsbehörden vorgenommen wurden, und dort zum Teil erhebliche Zeitgewinne zur Folge hatten und die – so zumindest die Einschätzung der befragten Leiter der Unteren Bauaufsicht – die rechtliche Qualität der Entscheidungen in den seltensten Fällen beeinträchtigen. 3.6 Wettbewerb Bei den Wettbewerbsmaßnahmen lässt sich ein tatsächlicher Wettbewerb mit privaten Anbietern und anderen öffentlichen Anbietern von einem virtuellen Wettbewerb zwischen Verwaltungen in sogenannten Vergleichsringen, Wettbewerben und internem und externem Benchmarking unterscheiden. Ansätze einer wirklich wettbewerbsorientierten Organisationsgestaltung, die sowohl dem Bürger als Kunden als auch der Verwaltung selbst verstärkt Wahloptionen ermöglicht, sind bislang auf lokaler Ebene kaum zu erkennen.
Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung
337
An deren Stelle treten vor allem Formen des nicht-marktlichen Wettbewerbs in Form inter- und intrakommunaler Vergleichsringe und BenchmarkingProjekte.4 43,3 % der Kommunen geben an, sich zumindest gelegentlich an interkommunalen Leistungsvergleichen, Vergleichsringen und Wettbewerben zu beteiligen, nur ein knappes Viertel der Kommunen (23,3 %) nimmt an solchen Maßnahmen gar nicht teil. Insbesondere die Kommunen mit weniger als 25.000 Einwohnern beteiligen sich unterdurchschnittlich häufig an Vergleichsmaßnahmen, was sich durch die geringere Modernisierungsaktivität bei ebendiesen Kommunen allerdings gut erklären lässt. Befragt man Kommunen, die an Leistungsvergleichen teilnehmen, nach deren Nutzen, geben fast 75 % der befragten Bürgermeister an, dass ein Lernen von den anderen beteiligten Kommunen erfolgte. Hier sind nun aber die Personalräte deutlich skeptischer, denn von diesen sieht dies nur ein Anteil von 50 % so. Dieses postulierte „Lernen“ führt allerdings nur sehr selten zur Übernahme von konkreten Struktur- und Prozessinnovationen, was auch die Verwaltungschefs bestätigen. Zugleich fehlt es in der Regel an institutionalisierten Formen des Umgangs mit den Vergleichsergebnissen in den Kommunen. Vor allem aber sagen 56,8 % der Personalräte und 38 % der Bürgermeister/Landräte aus, der Aufwand der Vergleichsarbeit übersteige den Nutzen. Insofern ist es angesichts der nicht unerheblichen Kosten der Vergleichsprojekte kaum verwunderlich, dass die Teilnehmerzahlen in interkommunalen Vergleichsringen rückläufig sind (vgl. Kuhlmann, 2004). 4
Die Wirkungen der NSM-Reform
Um die Auswirkungen der NSM-Modernisierung auf das Handeln und die Leistungsfähigkeit der Verwaltung (performance) zu erfassen, orientieren wir uns im Folgenden an der von Pollitt und Bouckaert in ihrer international vergleichenden NPM-Evaluation entwickelten Typologie (vgl. Pollitt & Bouckaert, 2004). Danach sind die folgenden „Performanzfelder“ zu unterscheiden (vgl. auch Bogumil & Kuhlmann, 2006): Input-Veränderungen (Einsparungen, Effizienzgewinne), Output- und Prozessveränderungen (Servicequalität, Verfahrensdauer, Kundenfreundlichkeit), System- und Kultur-Veränderungen (politische und gesamtstädtische Steuerung). 4
Ein umfassender Überblick über bundesweite/länderübergreifende Projekte zum Leistungsvergleich sowie deren Initiatoren und Vergleichsinhalte findet sich bei Kuhlmann (2004b, S. 97-98; 2005, S. 12-13).
338
Jörg Bogumil
4.1 Input-Effekte Im Bereich der Input-Veränderungen werden einerseits zahlreiche Erfolge gesehen. Greift man hier auf das Instrument der (allgemeinen) Einschätzungsfrage zurück, so wird beispielsweise sowohl vom Bürgermeister als auch vom Personalrat die Auffassung vertreten, dass die dezentrale Ressourcenverantwortung Anreize zum wirtschaftlichem Umgang mit den Ressourcen gesetzt habe und dass – was noch bemerkenswerter ist – tatsächlich Einsparungen erzielt worden seien (siehe Abbildung 15). Hinsichtlich der tatsächlich erreichten Einsparungen und Effizienzgewinne sind dennoch eine Reihe von Einschränkungen und Differenzierungen angebracht. Zum einen konnten wir in unseren Fallstudien die Einspareffekte trotz gegenteiliger Verlautbarungen nicht feststellen. Zum anderen zeigt unsere Umfrage, dass in den Querschnittsbereichen, nach Einschätzung der Bürgermeister und Personalräte, kaum jene „Verschlankungen“ (und damit Einspareffekte) eingetreten sind, die man infolge der Kompetenzabschichtung „nach unten“ hätte erwarten können (siehe Abbildung 1). Für eine differenzierte Reformbilanz muss zudem in Rechnung gestellt werden, dass die NSM-Reform selbst Kosten verursacht und innerhalb der NSMreformierten Verwaltung zusätzliche „Transaktionskosten“ anfallen (vgl. Kuhlmann & Wollmann, 2006), die jene der klassisch-hierarchischen (Max Weber’schen) Verwaltung möglicherweise noch übersteigen.6 So haben die befragten Verwaltungen einen erheblichen zeitlichen und personellen Aufwand in die Konzipierung und Implementation von NSM-Reformelementen gesteckt – in Produktkataloge im Schnitt 14,8 Personen-Monate allein an Personalaufwand – ohne dass der konkrete Steuerungsnutzen bislang ersichtlich wird. Außerdem ist an die weitergehenden Kosten zu denken, die längerfristig für die Pflege, Korrektur und „Beseitigung“ von Reformelementen anfallen.
5
6
Hierzu wurden hier und im Weiteren Mittelwerte der nummerischen Ausdrücke für die Angaben „Trifft völlig zu“ (1), „Trifft eher zu“ (2), „Trifft eher nicht zu“ (3) und „Trifft gar nicht zu“ (4) gebildet. An dieser Stelle werden Mittelwerte berichtet, auch wenn lediglich von einem ordinalen Messniveau ausgegangen werden kann, da erstens keine metrische Interpretation der Mittelwerte vorgenommen werden soll, sondern lediglich die Ordnungsrelation verwendet wird, und zweitens bei Verwendung der Mittelwerte keine Verzerrung im Vergleich zu den aufsummierten Prozentzahlen der Kategorien „trifft völlig zu“ und „trifft eher zu“ zu beobachten war (vgl. Allerbeck, 1978, S. 206, 211). Ein Beispiel bieten die internen Leistungsverrechnungen. So hat in der Stadt T. die Einführung von internen Leistungsverrechnungen dazu geführt, dass Rechnungen hin- und hergeschoben, Kosten so weit wie möglich externalisiert und Ressourcen fachbereichsintern möglichst maximiert werden. Mitunter überstiegen die Kosten der Leistungsverrechnung, etwa wenn hausintern Telefonate verrechnet wurden, den Betrag der verrechneten Leistung selbst.
Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung
Items
Trifft völlig zu
Trifft eher zu
339
Trifft eher nicht zu
Trifft gar nicht zu
Verantwortlichkeiten sind nun klarer geregelt
Es werden Anreize zum wirtschaftlicheren Umgang mit Ressourcen gesetzt Die Querschnittsbereiche sind verschlankt worden
Die Organisationseinheiten haben mehr Entscheidungsspielraum gewonnen Die Verwaltungsspitze hat Probleme, die Vorgänge in den einzelnen Organisationseinheiten zu überblicken Der Fachbereichsegoismus wurde verstärkt
Es wurden Einsparungen erzielt
(1) (2) Quelle: Umfrage HBS - Projekt "10 Jahre NSM"
(1) Bürgermeister/Landräte (n=565) (2) Personalratsvorsitzende (n=408)
Abbildung 1: Wirkungen dezentraler Fach- und Ressourcenverantwortung
Insgesamt ist also Vorsicht angebracht, wenn vorschnell auf deutliche Managementerfolge hingewiesen wird. Die dargestellten generellen Einschätzungen der
340
Jörg Bogumil
Bürgermeister und Personalräte, die eher von Einspareffekten ausgehen, sind Bewertungen, die von den Akteuren aufgrund mangelnder Daten (z. B. Produktkosten) und vor dem Hintergrund einer nicht trennbaren Überlagerung von Haushaltskonsolidierungsprozessen und Verwaltungsmodernisierungsmaßnahmen getroffen werden und so eine kausale Zuordnung der Einspareffekte zum NSM eigentlich nicht zulassen. Zwar sind Effizienzgewinne in Einzelbereichen nicht von der Hand zu weisen und lassen sich in den Kommunen eine Reihe von punktuellen Erfolgsbeispielen benennen. Unter Einbeziehung der Reformkosten kann jedoch davon ausgegangen werden, dass das NSM nicht nachhaltig und längerfristig zur Haushaltskonsolidierung beigetragen hat. 4.2 Output-Effekte Auf der Output-Seite hat es zweifelsohne sichtbare Verbesserungen gegeben. Ausweislich der Umfrageergebnisse hat vor allem der Umbau der Organisationsstruktur (insbesondere die Einführung von Fachbereichsstrukturen, der Abbau von Hierarchieebenen sowie der Übergang zu Teamstrukturen) zu markanten Output-Verbesserungen geführt. Wenngleich die Vertreter des Personalrats die Erfolge in diesem Reformbereich durchweg skeptischer einschätzen als die Bürgermeister beziehungsweise Landräte, die tendenziell als „Promotoren“ der Verwaltungsmodernisierung angesehen werden müssen, zeigt sich doch eine relativ hohe Übereinstimmung der Bewertungen darin, dass zum einen von Verfahrensverkürzungen und zum anderen von einer Erhöhung der Kundenorientierung ausgegangen wird (siehe Abbildung 2). Insgesamt werden sowohl die verstärkte Kundenorientierung als auch beschleunigte Genehmigungsverfahren von den Befragten als Erfolge der Modernisierungsanstrengungen eingestuft. Der Grad der Zielereichung ist hier der mit Abstand höchste: Rund ein Viertel der befragten Bürgermeister (24,3 %) und immerhin 18,7 % der Personalratsvorsitzenden geben an, ihr Ziel im Bereich der Bürger- und Kundenorientierung vollständig erreicht zu haben. Diese Befunde verhalten sich konsistent zu den Fallstudienergebnissen. So gibt es in den untersuchten Städten nachweisbare Verbesserungen im Serviceniveau in Bereichen mit direktem und häufigem Kundenkontakt. Besonders hervorzuheben sind dabei die Bürgerämter, die in den Städten mittlerweile als erfolgreiche „Visitenkarte“ gelten. Sie wurden von allen Interviewpartnern ausnahmslos als ein „gelungenes“ Reformbeispiel bewertet, das auch bei den Bürgern durchweg Anerkennung findet und erheblich zur Steigerung der Kundenzufriedenheit beigetragen habe. Weitere Beispiele positiver Output-Effekte finden sich in verschiedenen Aufgabenbereichen der Kommunen, etwa Baugenehmigungen oder Jugendhilfe, wo kleinteilig-sektorale Prozess- und Organisationsveränderungen zu sichtbaren Leistungssteigerungen geführt haben.
Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung
Items
Trifft völlig zu
Trifft eher zu
341 Trifft eher nicht zu
Doppelarbeit hat sich reduziert Dauer der Verwaltungsverfahren hat sich verringert Für Mitarbeiter sind Aufstiegsmöglichkeiten weggefallen Fachbereichsleiter haben zu viel Autonomie Schnittstellenprobleme haben sich reduziert
Kooperation zwischen den Fachbereichen wird erleichtert Organisationsstrukturen sind nun an Bedürfnissen der Kunden orientiert Die Organisation orientiert sich heute an Produkten
Quelle: Umfrage HBS - Projekt "10 Jahre NSM"
(1) (2)
(1) Bürgermeister/Landräte (n=643) (2) Personalratsvorsitzende (n=457)
Abbildung 2: Wirkungen des Umbaus der Organisationsstruktur
4
3
2
Aufgabenbereiche sind nun nach inhaltlichen Gesichtspunkten zugeordnet
Trifft gar nicht zu
342
Jörg Bogumil
4.3 System- und Kultur-Effekte Auf dieser Ebene der Wirkungsanalyse geht es vor allem um zwei Fragen: zum einen, inwieweit die NSM-Reform das kommunale Handlungssystem, die internen Entscheidungsstrukturen und Akteursbeziehungen insgesamt verändert hat (Systemveränderungen). Zum anderen ist zu fragen, ob die formalinstitutionellen Veränderungen, die mit der NSM-Reform eingeführt worden sind, auch zu Änderungen im Verhalten, in den Handlungsweisen und Handlungsorientierungen der Verwaltungsbeschäftigten geführt haben, also gewissermaßen kognitiv-kulturell „gelebt“ werden (Kulturveränderungen). 4.3.1 Gesamtstädtische Steuerung Das NSM hat dadurch, dass mittels Berichts- und Kennzahlenwesen, Kostenund Leistungsrechnung und Produktdefinitionen die Transparenz des Verwaltungshandelns zweifelsohne verbessert wurde, die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für wirksame gesamtstädtische Steuerung verbessert. So sehen immerhin 86,4 % der befragten Bürgermeister und Landräte einen klaren Erfolg des Berichtswesens darin, dass Fehlentwicklungen früher erkannt werden können.7 Sogar 93,7 % sagen aus, dass sich die Informationssituation bezüglich der Kostenentwicklung verbessert habe. Mit Blick auf die tatsächliche Verbesserung der gesamtstädtischen Steuerungsfähigkeit ist jedoch zu fragen, inwieweit diese neuen Steuerungsmöglichkeiten auch genutzt und „gelebt“ werden und ob nicht umgekehrt, gegenläufige Entwicklungen eingetreten sind, die eher auf Steuerungsverluste hindeuten. In unserer Umfrage stimmen 49 % der Befragten der Aussage „Die Berichte verbessern die Steuerung der Verwaltung durch den Rat“ zu. Das ist ein durchaus beachtlicher Anteil, allerdings liegt der Wert deutlich unter den oben angeführten hohen Werten bezüglich der Verbesserung der Informationsversorgung. Ein Blick auf die Nutzung des neuen „Informationsmanagements“ am Beispiel der Fallkommunen bestätigt aber auch diese Aussagen nicht, sondern ergibt ein skeptischeres Bild. In der Stadt T. trägt das Berichtswesen zwar einerseits unbestritten zur Steigerung der Durchsichtigkeit des Verwaltungshandelns bei. Andererseits hat es sich bislang nicht als wirksames Steuerungsinstrument erwiesen und auch nicht den proklamierten Übergang von der „klassischen Regelsteuerung“ zur Produktsteuerung eingeläutet. Unter den politisch-administrativen Entscheidungsträgern ist die Auffassung weit verbreitet, dass die Berichte zu umfangreich sind, zu viel Aufwand kosten und zu wenig steuerungsrelevante Informationen enthalten. 7
Hier und im Folgenden werden die Aussagen „trifft völlig zu“ und „trifft eher zu“ zusammengefasst.
Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung
343
Auch in anderen Bereichen gibt es Hinweise darauf, dass anstelle des (erhofften) gesamtstädtischen Steuerungsgewinns mitunter eher weitere Steuerungsdefizite zu konstatieren sind. Vergleicht man den Anteil der Städte, die eine zentrale Steuerungseinheit komplett oder teilweise installiert haben (38,3 %)8, mit dem Anteil jener Städte, die die Ressourcenverantwortung vollständig oder in Teilbereichen dezentralisiert haben (59,3 %), so entsteht das Bild einer erheblichen „Steuerungslücke“ von über einem Fünftel der Fälle, in denen nicht klar ist, wie die dezentralen Einheiten an die gesamtstädtische Steuerung rückgekoppelt werden. Diese Feststellung findet auch darin Bestätigung, dass nur in 24,3 % der Fälle ein internes Kontraktmanagement zwischen Verwaltungsspitze und untergeordneten Verwaltungseinheiten und nur in 8,0 % der Kommunen ein Kontraktmanagement zwischen Verwaltungseinheiten und internen Servicestellen stattfindet, so dass auch hier der Dezentralisierung von Verantwortung keine wirksamen Rückkopplungsmechanismen gegenüberstehen. Vor diesem Hintergrund zeichnen sich insbesondere in den fortgeschrittenen NSM-Kommunen erhebliche institutionelle Fliehkräfte ab und haben sich durch die dezentralen Verantwortungsstrukturen die „Fachbereichsegoismen“ teilweise verstärkt. Wenngleich die Bürgermeister in der Umfrage dieser Beobachtung in der Mehrheit nicht zustimmen (vgl. Abbildung 1), so fällt doch auf, dass bei den Items, die das Dilemma zentral-dezentral betreffen („Die Verwaltungsspitze hat Probleme, die Vorgänge in den einzelnen Organisationseinheiten zu überblicken“ und „Der Fachbereichsegoismus wurde verstärkt“) der Dissens zwischen Verwaltungsspitze und Personalvertretung besonders groß ist, was auf die Probleme in diesem Spannungsfeld hinweist. 4.3.2 Politische Steuerung Veränderungen in der politischen Steuerung können unter anderem daran abgelesen werden, wie Politik und Verwaltung mit den politischen Kontrakten umgehen, soweit diese implementiert sind, was nur auf 14,8 % der deutschen Kommunen zutrifft. Nach der Wirkung der politischen Kontrakte befragt, geben immerhin 73,8 % der Verwaltungschefs in den Kommunen mit Kontraktmanagement an, dass die Zielvereinbarungen sich bewährt haben – wohingegen nur 38,2 % der Personalräte dieser Aussage zustimmen9 – die unterschiedliche Einschätzung des Erfolgs wird auch beim Mittelwertvergleich in Abbildung 3 deutlich.
8 9
Eine zentrale Steuerungseinheit wurde in 25,9 % der befragten Städte eingeführt, in weiteren 12,4 % wurde eine solche für Teilbereiche geschaffen. Die Antworten „trifft völlig zu“ und „trifft eher zu“ sind an dieser Stelle wiederum zusammengefasst worden.
344
Items
Jörg Bogumil
Trifft völlig zu
Trifft eher zu
Trifft eher nicht zu
Trifft gar nicht zu
Zielvereinbarungen haben sich bewährt und werden regelmäßig erneuert
Der Rat kann die Verwaltung besser kontrollieren
Eingriffe des Rates in das Tagesgeschäft der Verwaltung haben sich reduziert
Im Rat werden Befürchtungen des Einflussverlustes geäußert
Der Rat konzentriert sich jetzt auf strategische Entscheidungen
Die Verwaltungsspitze ist gestärkt worden
(1) (2)
Quelle: Umfrage HBS - Projekt "10 Jahre NSM"
(1) Bürgermeister/Landräte (n=145) (2) Personalratsvorsitzende (n=133)
Abbildung 3: Wirkungen des Kontraktmanagements zwischen Rat und Verwaltung
Allerdings konstatieren die Befragten weder eine deutliche Konzentration des Rates auf strategische Entscheidungen noch eine Reduktion der Eingriffe in das Tagesgeschäft, womit die Zielvereinbarungen nicht den erwünschten Effekt zu
Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung
345
erzielen scheinen. Auch die Kontrollfunktion des Rates scheint durch das politische Kontraktmanagement nur bedingt gestärkt, denn nur 54,5 % der Bürgermeister meinen, dass eine Verbesserung stattgefunden habe. Die politische Steuerung(sfähigkeit) scheint sich demnach durch Zielvereinbarungen nicht wesentlich zu ändern. Zudem stimmen lediglich 1,5 % der Befragten der Aussage „Die Strategiefähigkeit des Rates wurde erhöht“ voll, 20,0 % immerhin eher zu (vgl. Abbildung 4). Danach befragt, ob durch eine bessere Kontrolle im Rat die demokratische Anbindung des Verwaltungshandelns gesteigert werden konnte, fällt die Zustimmung noch geringer aus (0,8 % beziehungsweise 16,2 %). 5
Gesamtbewertung
Die Bewertung der Gesamtwirkung der Modernisierungsanstrengungen stößt, wie oben ausgeführt, auf Konzipierungs- und Kausalitätsprobleme. So ist beispielsweise empirisch kaum nachzuweisen, ob realisierte Einsparungen tatsächlich auf die Instrumente des NSM zurückzuführen sind, und wenn ja, auf welche. Greift man daher – wie hier erfolgt – auf das zugegebenermaßen subjektive und mit der Verzerrung der Außendarstellung behaftete Instrument der Einschätzungsfrage zurück, so ergeben sich für die wesentlichen Dimensionen der Inputs (hier: Einsparungen, Relation Kosten/Leistungen) und der Outputs (hier: Dienstleistungsorientierung, Wettbewerbsfähigkeit) eher positive Einschätzungen, die mit eher kleinen Differenzen von Verwaltungschefs und Personalratsvertretern geteilt werden. Auf der Ebene der System- und Kulturveränderungen ergeben sich jedoch eher negative Einschätzungen für die beiden Dimensionen der Mitarbeiterzufriedenheit (hier: Reformmüdigkeit und Wahrnehmung der Modernisierung als Personalabbau), die insbesondere von Seiten des Personalratsvorsitzenden und ebenso für das Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung (hier: Kontrollfunktion und Strategiefähigkeit) vorgebracht werden. Sind also bereits auf der Ebene der Einschätzungen in der Umfrage Ambivalenzen sichtbar, verstärken sich diese durch den Einbezug der Fallstudienergebnisse. So ist die im Inputbereich in der Tendenz positive Einschätzung von Einspareffekten, wenngleich zwischen Bürgermeistern und Personalräten nicht in dem gleichen Ausmaß eingeschätzt, in den Fallstudien nicht erkennbar. Dies hat unseres Erachtens mit den enormen Umstellungskosten und Implementationsproblemen beim Aufbau ergebnisorientierter Verfahren sowie einer Überschätzung des Effizienzgewinns managerialer Instrumente in den besonderen Strukturen des öffentlichen Dienstes zu tun. Hier waren manche Leitideen des NSM naiv oder „bewusst naiv“, um die Realisierungschancen des NSM voranzutreiben.
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Items
Jörg Bogumil Trifft völlig zu
Trifft eher zu
Trifft eher nicht zu
Trifft gar nicht zu
Der mit der Modernisierung verbundene Arbeitsaufwand lohnt sich Die Verwaltungsmodernisierung führt zu Einsparungen Das Verhältnis von Kosten und Leistungen wurde verbessert
Bei den Mitarbeitern ist Reformmüdigkeit eingekehrt Von den Mitarbeitern wird der Modernisierungsprozess in erster Linie als Personalabbau wahrgenommen Durch eine bessere Kontrolle im Rat konnte die demokratische Anbindung des Verwaltungshandelns gesteigert werden Die Strategiefähigkeit des Rates wurde erhöht Die Bürger sehen uns als Dienstleister Wir können uns jetzt dem Wettbewerb mit anderen Kommunen stellen (1) (2) Quelle: Umfrage HBS - Projekt "10 Jahre NSM"
(1) Bürgermeister/Landräte (n=680) (2) Personalratsvorsitzende (n=502)
Abbildung 4: Gesamteinschätzung des Reformprozesses
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Im Bereich des Outputs (hier: Dienstleistungsorientierung, Wettbewerbsfähigkeit) kommen die Bürgermeister und Personalräte zu einer durchgängig positiveren Gesamtbewertung des NSM als im Inputbereich, was sich zudem mit zahlreichen Hinweisen aus den Fallkommunen, etwa im Bereich der Bürgerämter, der Genehmigungsverfahren und sozialen Dienste, deckt. Dies ist ohne Zweifel der erfolgreichste Verwaltungsmodernisierungsbereich der letzten 10 Jahre. Hier hat sich unseres Erachtens der zunächst von manchen kritisierte und analytisch sicher unzureichende Rekurs auf das Konstrukt der Kundenorientierung als insgesamt hilfreich und wirkungsvoll erwiesen. Auf der Ebene der System- und Kulturveränderungen fallen die Einschätzungen in der Umfrage wie oben erwähnt deutlich kritischer aus, was auch durch die Fallstudien bestätigt wird. So wird ein Reformerfolg im Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung von den Befragten nur sehr zurückhaltend eingeräumt. Zwar könnte dies einerseits damit begründet werden, dass die schlechte instrumentelle Umsetzung des NSM (bad implementation) eine wirkliche „Politikreform“ verhindert hat. Andererseits ist es heute mittlerweile unumstritten, dass das NSM mit seiner zunächst schematischen Abschichtung von Politik („Was“) und Verwaltung („Wie“) einen Konzeptfehler enthält, der politischadministrativer Handlungslogik widerspricht und auch durch spätere Differenzierung nicht behoben wurde. Für die Politiker ist die Steuerung von Einzelprojekten und Maßnahmen nach wie vor ebenso „überlebenswichtig“ wie die Absicherung von Verwaltungsentscheidungen von Seiten der Fachbeamten im Fachausschuss. Da somit von beiden Seiten nur wenig Interesse an der geforderten Selbst- und Rollenbeschränkung besteht, verwundert es nicht, dass eine Reihe von politikrelevanten NSM-Instrumenten (wie Zielformulierungen, politische Kontrakte) niemals funktioniert haben und andere Instrumente (z. B. politische Eckwertebeschlüsse) schleichend wieder abgeschafft wurden. Im Bereich der Mitarbeiterzufriedenheit werden vor allem von Seiten des Personalratsvorsitzenden eine zunehmende Reformmüdigkeit und die Wahrnehmung der Modernisierung als Personalabbau vorgebracht. Dies bestätigen in der Regel Beschäftigtenumfragen in den Kommunen. Ein Hauptdilemma der Verwaltungsmodernisierung besteht darin, dass die Motivation der Mitarbeiter für die Reformprozesse unter den Bedingungen der Haushaltskonsolidierung signifikant zurückgeht. Trotz Beteiligung der Mitarbeiter am Modernisierungsprozess ist die wachsende Ablehnung der Mitarbeiter ein großes Problem für die modernisierenden Kommunen: Zwar wurden in über der Hälfte der modernisierenden Kommunalverwaltungen die Mitarbeiter regelmäßig am Modernisierungsprozess beteiligt (53,4 %), gleichzeitig stimmen jedoch 57,2 % der Verwaltungschefs den Aussagen (ganz oder eher) zu, bei den Mitarbeitern sei Reformmüdigkeit eingekehrt und 51,7 % der Aussage, von den Mitarbeitern werde der Modernisie-
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Jörg Bogumil
rungsprozess in erster Linie als Personalabbau wahrgenommen. Bei den gerade in Personalfragen kritischeren Personalratsvorsitzenden sind die entsprechenden Werte 66,5 % und 66,6 %. Ein Erklärungsfaktor dieser ernüchternden Ergebnisse ist neben der ständigen Überlagerung des Modernisierungsprozesse durch Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen im mangelnden Einfluss der Mitarbeiter in den verschiedenen Beteiligungsverfahren zu suchen. Die Vertreter des Personalrats sehen den Einfluss der Beschäftigten auf die tatsächliche Ausgestaltung in 70,0 % der Fälle als eher gering oder sehr gering an. Betrachtet man abschließend die Faktoren, die den unterschiedlichen Modernisierungsstand und die Modernisierungsergebnisse in den deutschen Kommunen erklären (vgl. ausführlich Bogumil et al., 2007, S. 97-120), so zeigt sich bei den exogenen Erklärungsfaktoren, dass die Größe der Verwaltungen (am modernisierungsaktivsten sind mittlerweile die Großstadtverwaltungen) und der Ost-West-Faktor (anhaltender Modernisierungsrückstand ostdeutscher Kommunen durch die spezifische Situation der ostdeutschen Kommunen nach der Wiedervereinigung) den größten Einfluss haben. Der Druck durch Haushaltskonsolidierung war zwar häufig Auslöser der Reformen, doch auch Kommunen mit vergleichsweise guter Haushaltslage zeigen gute Modernisierungsergebnisse, vor allem in den Bereichen Personalmanagement und Kundenorientierung, während sich Kommunen mit schwieriger Haushaltslage überwiegend auf betriebswirtschaftlich orientierte Reformelemente konzentrieren. Von den endogenen Erklärungsfaktoren erweisen sich insbesondere die Einrichtung eines Modernisierungsmanagements als „Parallel-Organisation“ und eine ausgeprägte Mitarbeiterbeteiligung als erfolgssteigernd. Zudem kommt der Verwaltungsführung (Profil, Rollenverständnis und Durchsetzungsfähigkeit) eine zentrale Rolle für den Modernisierungsprozess zu, im Guten wie im Schlechten. Bürgermeisterwechsel in den Jahren nach 1999 führten häufig zu einem Rückbau der Modernisierungsmaßnahmen, was Ausdruck einer zunehmenden NSM-Skepsis bei neu ins Amt tretenden Verwaltungschefs sein dürfte.
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Jörg Bogumil
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Wirkungsorientierung als Modernisierungsprinzip der Schweizerischen Verwaltung Norbert Thom und Kerstin Alfes 1
Public Management: Ein neues Führungsverständnis für den Staat
Der Übergang vom Bürokratiemodell zum Public Management kennzeichnet seit mehreren Jahrzehnten die Reformdiskussion im öffentlichen Sektor. Legitimitäts-, Leistungs- und Interdependenzkrisen resultierten in Forderungen nach einer reformierten Führung der Verwaltungseinheiten und warfen die Frage nach einer zielorientierten Gestaltung und Steuerung von Institutionen des öffentlichen Sektors auf (vgl. Budäus, 2004, S. 941 f.). Die Antwort liegt aus Sicht der Public Management-Bewegung in einem Perspektivenwechsel von der klassischen Verwaltungsführung zu einem modernen Verwaltungsmanagement, welches die vollständige Verantwortung für den Erfolg und Misserfolg staatlicher Verwaltungsleistungen übernimmt (vgl. Thom & Ritz, 2006, S. 9). Ein zentraler Teilaspekt des Public Managements liegt somit in einer wirkungsorientierten Denkweise, bei der die Output- beziehungsweise Outcomesteuerung1 die traditionell bürokratische Inputorientierung ablöst. Die eigentlichen Wirkungen staatlichen Handelns bilden demnach die relevante Zielgröße, an der sich das Verwaltungshandeln orientiert (vgl. Schedler & Proeller, 2006, S. 5; 72). Als weitere wichtige Reformelemente lassen sich eine verstärkte Innovations- und Prozessorientierung, eine Ausrichtung staatlichen Handelns an den Bedürfnissen der Kunden und Bürger sowie die Neugestaltung der Verwaltungsstrukturen und des Personalmanagements identifizieren (vgl. beispielsweise Schedler & Proeller, 2006; Schröter & Wollmann, 2005; Thom & Ritz, 2006). Der weitere Beitrag ist wie folgt strukturiert: Zunächst geben die Autoren einen Überblick zu den wesentlichen internationalen Reformprogrammen, bevor in einem nächsten Schritt die Entwicklung der Public Management-Bewegung in der Schweiz mit dem Schwerpunkt der Wirkungsorientierten Verwaltungsführung (WoV)2 vertieft dargestellt wird. Anschließend werden die primären Steue1
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Unter Outcome werden die Auswirkungen staatlicher Aktivitäten auf die Betroffenen sowie auf das System verstanden. Dabei umfasst der Outcome sowohl beabsichtigte als auch unbeabsichtigte Wirkungen (vgl. Eichhorn et al., 2002, S. 787). In diesem Beitrag wird die Abkürzung WoV ausschließlich verwendet, wenn es sich um das Public Management-Konzept in der Schweiz handelt. Wird über Reformelemente der Public Management-Bewegung im Allgemeinen gesprochen, verwenden die Autoren den Begriff „wirkungsorientierte Verwaltungsführung“.
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Norbert Thom und Kerstin Alfes
rungsinstrumente dieser neuen Führungsreform erörtert und ausgewählte Aspekte anhand eines Praxisbeispiels vertieft. Den Abschluss dieses Beitrags bilden eine Evaluationsstudie zu den Reformerfahrungen in der Schweizerischen Bundesverwaltung sowie ein kurzes Fazit und ein Ausblick. 2
Internationale Entwicklungen im Public Management
Obwohl die spezifischen Public Management-Termini länderübergreifend häufig einheitlich verwendet werden, fällt bei einer näheren Betrachtung auf, dass die einzelnen Konzepte in den verschiedenen Reformländern unterschiedliche Elemente beinhalten (vgl. Hammerschmid & Meyer, 2005, S. 710 f. und die hier zitierte Literatur). Entgegen einer intuitiven Vermutung handelt es sich bei Public Management daher nicht um ein international einheitliches Konzept, da sich bei der konkreten praktischen Ausgestaltung deutlich unterschiedliche und teilweise sogar entgegengesetzte Lösungsansätze finden lassen (vgl. Schedler & Proeller, 2006; Thom & Ritz, 2006, S. 287 ff.). Ein länderübergreifender Vergleich zeigt, dass sich die berücksichtigten Nationen in drei Gruppen klassifizieren lassen, deren Reformprogramme zwar mit den Kernprinzipien des Public Managements übereinstimmen, die jedoch in ihrer konkreten Ausprägung ein sehr breites Spektrum umfassen (vgl. hierzu ausführlich Hill, 1997, S. 25 ff.; Pollitt & Bouckaert, 2000; Ritz & Thom, 2000). Die erste Gruppe wird von den angelsächsischen Ländern Australien, Neuseeland, Großbritannien und den USA gebildet. Im Fokus der Reformbestrebungen dieser Länder stand die Etablierung leistungsorientierter, marktähnlicher Strukturen mit der Zielsetzung eines tiefgreifenden Um- und Rückbaus des öffentlichen Sektors (vgl. Naschold & Bogumil, 2000; Ritz & Thom, 2000, S. 38 f.). So zeichneten sich insbesondere Neuseeland, Australien und Großbritannien durch einen sehr radikalen Reformprozess aus, der von der Überzeugung geprägt war, durch die Einführung marktlicher Prozesse eine deutliche Steigerung der Effizienz und Effektivität in der Verwaltungsführung zu erreichen. Diese Politik resultierte insbesondere in Großbritannien in der Bildung von Agenturen, der umfassenden Privatisierung von Staatsbetrieben und in obligatorischen Ausschreibungsverfahren (Compulsory Competitive Tendering) für öffentliche Leistungen auf kommunaler Ebene. Reformideen wurden in diesen Ländern häufig zentralstaatlich auf Regierungsebene initiiert und auf die kommunale Ebene übertragen, wobei die Regierung in den USA aufgrund struktureller Gründe nicht die gleiche Machtbefugnis besaß wie die Regierungen der anderen Länder. Der zweiten Gruppe werden die nordeuropäischen Staaten Norwegen, Finnland und Schweden sowie die Niederlande zugeordnet. Die Reformprozesse in diesen Ländern zeichneten sich durch ein hohes Maß an Konzertierung von Staat
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und Kommunen sowie eine konsensbasierte Vorgehensweise aus. So wurden beispielsweise in den Niederlanden zahlreiche Reformprojekte auf Initiative der Kommunen mit der Unterstützung der Regierung durchgeführt. Hier erlangte vor allem die Stadt Tilburg durch die konsequente Einführung einer kommunalen Konzernorganisation („Tilburger Modell“) internationale Bekanntheit. Im Fokus der Reformen stand weiterhin die Binnenmodernisierung des öffentlichen Sektors, welche mittels Personal- und Organisationsentwicklung sowie mit der Einführung neuer Managementinstrumente erreicht werden sollte. Obwohl sich die Länder durch einen frühen Beginn der Reformaktivitäten sowie eine Offenheit gegenüber den Reformelementen der angelsächsischen Länder auszeichneten, verliefen die Modernisierungsbestrebungen im Vergleich zur ersten Gruppe ruhiger und weniger radikal. Die dritte Gruppe umfasst die Länder Deutschland, Österreich und die Schweiz, die sich durch eine eher abwartende und reservierte Haltung gegenüber Public Management-Reformen auszeichneten (vgl. hierzu auch Reichard, 2003). Die Modernisierungsbestrebungen in diesen Ländern begannen später als in den ersten beiden Gruppen und wurden aufgrund der starken Ausprägung rechtsstaatlicher Denk- und Verhaltensmuster vor dem Hintergrund der Weberschen Bürokratie erschwert. Insbesondere in Deutschland wurden Reformelemente vereinzelt und zunächst ohne grundlegendes Gesamtkonzept eingeführt, da die kommunale Ebene den Ausgangspunkt zahlreicher Initiativen darstellte. Auch in diesen Ländern bildete die Binnenmodernisierung den Schwerpunkt der Reformen. Die Umstellung des Rechnungswesens von der Kameralistik zur Doppik, ein verändertes Personalmanagement sowie eine verstärkte Kunden- und Wirkungsorientierung waren weitere wichtige Punkte der Reformagenda. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Notwendigkeit einer Modernisierung des öffentlichen Sektors in zahlreichen demokratischen Ländern erkannt wurde. Die Reformkonzepte orientierten sich größtenteils an Managementkonzepten des privaten Sektors und versuchten, diese auf öffentliche Institutionen zu übertragen. Die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen sowie des Reformprozesses hing jedoch zu einem nicht unerheblichen Teil von den lokalen Gegebenheiten (Regierungssystem, Verwaltungskultur, Rechts- und Wirtschaftssystem) sowie lokalen Bedürfnissen ab. Hieraus resultierten länderspezifische Reformprogramme, die auf der Auswahl und Ausgestaltung von individuellen Elementen eines Public Managements basierten und unterschiedlich benannt wurden. In der Schweiz erhielt die Modernisierungsbewegung vorwiegend den Namen „Wirkungsorientierte Verwaltungsführung“ (WoV). Die Entwicklung dieses Reformprogramms wird im folgenden Kapitel dargestellt.
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Norbert Thom und Kerstin Alfes Die Public-Management-Bewegung in der Schweiz
Schon der Begriff WoV verdeutlicht, dass das wesentliche Ziel der Modernisierungsbewegung darin besteht, ein staatliches Führungsverständnis zu implementieren, welches sich konsequent an den Wirkungen staatlichen Handelns auf die Gesellschaft orientiert (vgl. Thom & Alfes, 2007). Grundlage dieses Denkens ist die Überzeugung, dass eine staatliche Aufgabe erst dann als erfüllt gilt, wenn die gewünschte Wirkung eingetreten ist (vgl. Brinckmann, 1994, S. 173). Diese Sichtweise ist Ausdruck einer Abkehr von der traditionellen Inputsteuerung der Verwaltung, bei der die zur Verfügung stehenden Produktionsmittel die Leitlinien für staatliches Handeln bestimmten. Stattdessen werden im Rahmen einer wirkungsorientierten Verwaltungsführung die erbrachten Leistungen (Output) sowie die mit diesen Leistungen verbundenen Wirkungen (Outcome) zum neuen Ausrichtungsmaßstab des Verwaltungshandelns (vgl. Schedler & Proeller, 2006, S. 71 f.). Die konkrete Ausgestaltung der WoV-Projekte erfolgte in der Schweiz regional und je nach Staatsebene sehr unterschiedlich (vgl. Schedler, 2005, S. 225 f.). Während einige Kantone und Gemeinden das WoV-Modell nahezu vollständig umsetzten, wurde die Implementierung von Reformkonzepten in anderen Kantonen und Gemeinden auf wenige Instrumente reduziert oder sogar vollständig abgebrochen. Trotz dieser Differenzen lassen sich in den WoV-Projekten übergreifend drei Phasen von Reformansätzen identifizieren, welche unterschiedliche Anforderungen an die Projektleitung und -gestaltung stellten und im Folgenden dargestellt werden (vgl. hierzu ausführlich Schedler, 2005, S. 226 ff.). Die erste Phase, die als die „Phase der Jäger“ bezeichnet wird, dauerte etwa von 1993 bis 1996. In dieser Phase orientierten sich Wissenschaftler und Praktiker vorwiegend an den Erfahrungen und Beispielen aus dem Ausland, wobei insbesondere die Niederlande und Neuseeland als Vorbildländer dienten. Ein kleiner Kreis an Reformbefürwortern entwickelte das WoV-Modell, ohne Rücksicht auf Widerstände und Einsprüche von außen zu nehmen. Es wurden insbesondere Personen in die Reformprojekte einbezogen, die als modern und aufgeschlossen gegenüber Neuerungen galten und von denen anzunehmen war, dass sie das Grundkonzept der WoV nicht in Frage stellen würden. Ziel der Anfangsphase war es, ohne Rücksichtnahme auf die Einwände der Umwelt die ‚Beute’ WoV zu erledigen. Die Jahre 1996 bis ca. 2000 bildeten die zweite Phase von Reformansätzen und werden von Schedler (2005, S. 228) als die „Phase der Neugestaltung der Hackordnung“ bezeichnet. Von 1996 an wurde das bisher theoretisch entwickelte WoV-Konzept auch praktisch umgesetzt. Gleichzeitig dienten die aus der praktischen Umsetzung gewonnenen Erkenntnisse dazu, das WoV-Konzept weiterzuentwickeln. Nachdem die Reformbewegung in den Anfangsjahren zunächst stark von betriebswirtschaftlichen Diskussionen innerhalb der Expertengruppen ge-
Wirkungsorientierung als Modernisierungsprinzip
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prägt war, wurden in dieser Phase zunehmend auch politische und rechtliche Aspekte berücksichtigt. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Reformidee der WoV nicht nur ein vorübergehender Trend war, sondern dass diese Reformbewegung darauf ausgerichtet war, ein neues Führungsverständnis für den Staat zu implementieren und die Steuerung öffentlicher Institutionen dauerhaft zu ändern. Dies führte dazu, dass Widerstände gegen die Reformbewegung nicht mehr nur intern kommuniziert, sondern immer offener nach außen getragen wurden. Darüber hinaus resultierte die Implementierung verschiedener Public ManagementInstrumente (vgl. hierzu Abschnitt 5) in einer Veränderung der Machtkonstellationen im politisch-administrativen System. Die hieraus entstandene neue „Hackordnung“ führte zu starken Konflikten innerhalb der Verwaltung, aber auch zwischen Verwaltungseinheiten und der Politik, die erst in der dritten Reformphase gelöst werden konnten. Die gegenwärtige dritte Phase der WoV-Einführung ist gekennzeichnet durch die „Integration der bislang Nichtbeteiligten“ (Schedler, 2005, S. 229). Es zeigt sich deutlich, dass die WoV als neues Führungssystem für den öffentlichen Sektor nur bestehen kann, wenn es gelingt, die Ansprüche und Anregungen aller Anspruchsgruppen einzubeziehen. In diesem Zusammenhang stellt die Integration zahlreicher weiterer Akteure (Amtsleitende, Regierende, Mitarbeitende, Kunden, Medien und andere) in die Reformbestrebungen eine primäre Option dar. Auf diese Weise können die Bedürfnisse der unterschiedlichen Anspruchsgruppen erkannt, beachtet und in den Reformprozess eingebunden werden. Wie aus dem Drei-Phasen-Modell der WoV deutlich wird, betrifft der hervorgerufene Wandel nicht nur die Verwaltungsbetriebe oder politischen Organe. Vielmehr geschehen die Veränderungen auf drei unterschiedlichen Steuerungsebenen im öffentlichen Sektor. Auf der Ebene der politischen Steuerung erhalten Exekutive und Legislative neue Steuerungsinstrumente, mit denen sie die Verwaltung effektiver führen sollen (z. B. Leistungsauftrag und Globalbudget). Umgekehrt aber verändern diese neuen Führungsmechanismen auch die politischen Steuerungsorgane. Der Regierung stehen die grundlegenden Entscheidungen für das staatliche Handeln zu, was die Kompetenz für einen zielgerichteten Gestaltungsprozess umfasst (vgl. Häfelin & Haller, 2005, S. 481 ff.). Davon abzugrenzen ist die Verwaltungskompetenz, welche die Ausführung der Regierungsentscheide beinhaltet und den Amtsträgern in der Verwaltung zusteht, jedoch durch die verbindlichen politischen Entscheide der Exekutive gesteuert und überwacht wird. Ellwein ordnet der Regierung die Führungsfunktionen der Information, Koordination, Planung, Entscheidung, Mittelbeschaffung, der Organisation und der Konsensschaffung zu (vgl. Ellwein, 1976, S. 173 ff.). Diese Regierungsfunktionen werden aus dem englischsprachigen Raum ergänzt durch die Missions- oder auch Visionsfunktion der Regierungstätigkeit (vgl. Osborne &
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Norbert Thom und Kerstin Alfes
Gaebler, 1992, S. 113 ff.). Wird das Parlament als ein Teil der politischen Führung bezeichnet, dann gilt es, im Gegensatz zur primären Führungsfunktion der Exekutive, die Kontrollfunktion der Legislative im Rahmen der politischen Führung hervorzuheben. Die Kontrolle und Kritik der Regierungs- und Verwaltungstätigkeiten durch die Legislative sind im demokratischen System von grundlegender Bedeutung. Für das Parlament sowie die parlamentarischen Kommissionen bedeutet dies eine veränderte Aufgabenerfüllung gemäß dem Prinzip des finalen Rechts (vgl. Lienhard, 2005, S. 46). So soll nicht mehr über detaillierte Budgetpläne und einzelne Ausgabenposten beraten werden. Vielmehr wird es zur zentralen Aufgabe des Parlaments, durch klare Zielsetzungen und Grundsatzregelungen, welche die längerfristig intendierten Wirkungen und die strategische Ausrichtung beinhalten, nachfolgende Verwaltungsbehörden zu steuern. Diese erhalten einen größeren Handlungsspielraum zur eigenverantwortlichen Erfüllung der vorgegebenen Ziele. Die zweite Ebene ist die Ebene der betrieblichen Steuerung, die alle Institutionen des privaten und öffentlichen Sektors, die im Kontraktverhältnis mit der politischen Steuerungsebene stehen, umfasst. Auf dieser Ebene geht es um die konkrete Umsetzung der auf der politischen Steuerungsebene festgelegten Leistungs- und Wirkungsziele. Auch die operative Selbständigkeit der Verwaltungseinheiten bei der Leistungserbringung gehört zum neuen Staatsverständnis oder Managementkonzept. Darüber hinaus macht diese Ebene der übergeordneten Ebene der politischen Steuerung auch Vorschläge. Der Erfolg des Verwaltungshandelns muss dabei im Spannungsfeld von Aufgaben, Mitteleinsatz und Leistungsausbringung bewertet werden (vgl. Schauer, 2006, S. 356). Die dritte Ebene, die Ebene der Leistungen und Wirkungen, ist eine Weiterführung der beiden erstgenannten Ebenen, da die als Konsequenz der politischen Zielformulierung und des Verwaltungshandelns erstellten Leistungen beziehungsweise erzielten Wirkungen unmittelbar die unterschiedlichen Anspruchsgruppen in der Gesellschaft beeinflussen. Somit rücken auf dieser Ebene insbesondere die Bürger als Leistungsempfänger in den Mittelpunkt, die hochwertige Leistungen und aus Sicht der Gesellschaft wünschenswerte Wirkungen für das geleistete Entgelt (Steuern, Gebühren und Beiträge) einfordern („value-formoney“) (vgl. Brandel, Stöbe-Blossey & Wohlfahrt, 1999, S. 72). Aus dieser Denkweise entstand die Forderung nach einer Kundenausrichtung des Verwaltungshandelns. Die folgende Abbildung stellt die Zusammenhänge vom politischen Planungsprozess bis zu den Auswirkungen des administrativen Leistungsprozesses exemplarisch dar (vgl. Bouckaert & Van Dooren, 2003; Mäder & Schedler, 1994; Ritz, 2003, S. 229 ff.).
Wirkungsorientierung als Modernisierungsprinzip Planungsprozess (SOLL)
Managementkreislauf
Politikkreislauf
Bedürfnisse/Bedarf
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Leistungsprozess (IST)
Nutzen- und Wirkungsebene
Reaktion des Gesamtsystems, indirekte Wirkung (Outcome) Umwelteinflüsse, Nebenwirkungen
Politikformulierung, Ziele
Wirkungs- und Verhaltensebene
Reaktion der Zielgruppe, direkte Wirkung (Impact)
Produkt-, Leistungsplan
Leistungsebene
Ausstoss an Produkten/ Leistungen (Output)
Mittelplan
Kostenebene
Mittelverbrauch
Leistungserbringung/ Vollzug
Abbildung 1: Der politisch-administrative Steuerungsprozess
Ausgangspunkt des politisch-administrativen Steuerungsprozesses sind die Bedürfnisse der verschiedenen Anspruchsgruppen staatlichen Handelns. Sie bilden die Grundlage für die Politikformulierung sowie die Festlegung der politischen Ziele. Die Bedarfsanalyse geschieht sowohl im Rahmen der (direkt) demokratischen Prozesse in der Politik als auch durch eine gezielte Bedürfnisanalyse bei den Anspruchsgruppen (z. B. Reduktion von Lärm und Verkehrsgefahren in Wohnquartieren). Die von der Politik oder Verwaltung in Gesetzen oder Planungsdokumenten definierten Sach- und Ressourcenziele (z. B. Planung von Maßnahmen zur Verkehrseinschränkung und -umleitung) werden in konkreten Produkt- und Leistungsplänen umgesetzt. Mit den hierfür zur Verfügung gestellten Mitteln kann die eigentliche Leistungserbringung erfolgen (z. B. Fahrverbote, Einrichtung verkehrsberuhigter Zonen). Der mit der Leistungserbringung verbundene Mittelverbrauch führt zum Output in Form einer erbrachten Leistung beziehungsweise eines hergestellten Produkts (z. B. Absperrpfosten und Blumenkästen). Diese wiederum soll entsprechend den festgelegten Zielen zu einer Reaktion beziehungsweise Verhaltensänderung im Sinne direkter Wirkungen bei der Zielgruppe führen (z. B. langsameres Fahrverhalten). Durch die Verknüpfung politisch-administrativer Planungs- und Leistungsprozesse lässt sich nicht nur die Effizienz staatlicher Leistungserbringung (InputOutput-Relation) bestimmen. Darüber hinaus ermöglicht der dargestellte Steue-
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Norbert Thom und Kerstin Alfes
rungsprozess auch die Analyse der Effektivität eines politischen Programms beziehungsweise einer Maßnahme oder einer administrativen Leistung (vgl. Haldemann, 1998, S. 197). Durch die Gegenüberstellung von angestrebten Zielen (Soll) und eingetretenem Ergebnis (Ist) lässt sich die Wirksamkeit staatlichen Handelns bestimmen (vgl. Eichhorn et al., 2003, S. 283). Da insbesondere Impact3 und Outcome der staatlichen Leistungserbringung in die Betrachtung mit einbezogen werden, setzt die Effektivitätsmessung direkt auf der Wirkungsebene an. Zu beachten ist, dass Leistungen und Wirkungen auch aus einer verstärkten Managementperspektive nicht in einem linearen Zusammenhang betrachtet werden sollen, da Umsystemänderungen und Nebenwirkungen auf die dargestellten Prozesse einwirken. Insofern dienen die vor diesem Hintergrund entwickelten outputorientierten Instrumente einer systematischeren Erfassung von ZweckMittel-Zusammenhängen und daraus abgeleiteter Methoden sowie Vorgehensweisen. 4
Zielsetzung als Voraussetzung der wirkungsorientierten Verwaltungsführung
Die obigen Ausführungen heben die im Rahmen des Public Managements zunehmend geforderte Trennung von Politik und Verwaltung hervor. Dies bedeutet, dass sich Parlamente und politische Gremien darauf beschränken, strategische Ziele vorzugeben („WAS“). Demgegenüber liegt es im alleinigen Verantwortungsbereich der Verwaltungseinheiten, über die Ausführung der vorgegebenen Ziele zu entscheiden („WIE“) (vgl. Schedler & Proeller, 2006, S. 64). Darüber hinaus sollte die operative Ausführung dieser Entscheidungen innerhalb der Verwaltung möglichst umfassend dezentralisiert und an die Mitarbeiter delegiert werden (vgl. Haldemann, 1998, S. 202). Im Rahmen dieses neuen Führungsverständnisses kommt Zielen eine wichtige Bedeutung zu. Um den Grundgedanken einer Wirkungsorientierung im öffentlichen Sektor umzusetzen, müssen politische Zielvorgaben für das Handeln der Verwaltung erarbeitet werden. Daraus abgeleitet gilt es, Zielvereinbarungen zwischen der Verwaltungsspitze und den einzelnen (verselbständigten) Verwaltungseinheiten oder ausgegliederten Aufgabenbereichen zu treffen, Teilziele aus übergeordneten Zielen abzuleiten und letztlich auf Mitarbeiterebene Individualziele im Rahmen von personenbezogenen Zielvereinbarungen zu konkretisieren (vgl. Böllhoff & Wewer, 2005, S. 147).
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Als Impact wird die Gesamtheit aller Wirkungen eines politischen Programms bezeichnet. Öffentliche Leistungen erzielen durch ihre Inanspruchnahme seitens der Adressaten verschiedene Ergebnisse (Outcome). Die Summe der Outcomes inklusive der Nebenwirkungen außerhalb des Zielbereichs des Programms ergibt den Impact (vgl. Eichhorn et al., 2002, S. 495).
Wirkungsorientierung als Modernisierungsprinzip
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Dabei ist der Prozess der Zielsetzung im öffentlichen Sektor häufig sehr schwierig, da die Zielstrukturen äußerst diffus und vieldimensional sind und darüber hinaus durch unterschiedliche Interessensgruppen heterogen gesteuert werden (vgl. Buschor, 1992, S. 210). „In der Verwaltungspraxis sind sehr oft Schwierigkeiten in der konkreten Ausgestaltung von Zielsystemen und in der quantitativen Darstellung von Zielen zu erkennen. Auch die Scheu von Politikern vor operationalen Zielvorgaben und Schwierigkeiten bei der Messung von Zielerreichungsgraden aufgrund des Fehlens eindeutiger Ursache-WirkungsBeziehungen wirken weiter erschwerend. Eine operationale Zielvorgabe ist nur dann möglich, wenn der politische Entscheidungsträger mit der Zielvorgabe selbst auch eine Vereinbarung über die mögliche Messbarkeit und die Überprüfung des Zielerreichungsgrades trifft.“ (Schauer, 2006, S. 356). Das 1954 von Peter Drucker entwickelte Führungskonzept „Management by Objectives (MbO)“ hilft, diese Schwierigkeiten zu überwinden, da es darauf ausgerichtet ist, die einzelnen Elemente eines sozialen Systems (also auch der Verwaltung) auf die übergeordneten gemeinsamen Ziele hin zu koordinieren (vgl. Drucker, 1954). Dies geschieht durch eine konsequente Zieloperationalisierung, bei welcher die obersten Ziele kaskadenartig in verschiedene Unterziele, Abteilungsziele, Gruppenziele bis hin zu Mitarbeiterzielen unterteilt und verfeinert werden. Die Ergebnisse der Erfolgsbeurteilung ziehen sich über die Personalplanung bis in die Personalentwicklung und Personalerhaltung weiter (vgl. Abbildung 2). Basierend auf den Bauprinzipien des MbO soll als Ausgangspunkt eine Gesamtpolitik existieren, woraus sich politische Ziele und Strategien konkretisieren lassen. Hieraus werden die operative Planung sowie die Budgets abgeleitet. Schließlich muss es am Ende möglich sein, aus den Leistungsaufträgen für Organisationseinheiten auch individuelle Ziele für bestimmte Personen unterschiedlicher Hierarchieebenen herzuleiten wie zum Beispiel Leistungsziele oder auch persönliche Entwicklungs- und Innovationsziele. Auf der Ebene der Realisation sind Selbst- und Fremdkontrollen wichtig, wobei Fremdkontrolle beispielsweise durch Rechnungshöfe erfolgen kann. Die Ergebnisse wirken sich auf das Fördergespräch und die Gehaltsüberprüfung sowie die Personalentwicklung aus. Dabei dürfen nicht nur Ziele auf der Systemebene gesetzt werden, sondern es muss auch sichergestellt sein, dass die Systemmitglieder die Voraussetzungen erbringen können. In diesem Zusammenhang sind persönliche Entwicklungsziele relevant, das heißt es wird mit Mitarbeitern vereinbart, welche Kompetenzen notwendig sind, um ein Leistungs- oder Innovationsziel zu erreichen.
Norbert Thom und Kerstin Alfes
Gesamtpolitik der öffentlichen Institution / politische Ziele
Maßnahmen
Strategische Planung Strat. Ziele, Rahmenkontrakte
Operative Planung
Budgets
(Detail-)Leistungskontrakte
Individuelle Ziele Leistungsziele
Indiv. Entwicklungsziele
Innovationsziele
REALISATION Selbstkontrolle
Beurteilungskriterien
Antizipieren von Situationsveränderungen
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Fremdkontrolle
Leistungsbewertung Personalbeurteilung
Abweichungsanalyse
Fördergespräch
Gehaltsüberprüfung
Personalplanung Personalentwicklung
Abbildung 2: Management by Objectives als Urmodell der Zielvereinbarungen
Rückkopplung
Kooperative Erfolgsbeurteilung
Wirkungsorientierung als Modernisierungsprinzip
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MbO ist somit ein Konzept, welches bis auf die Mitarbeiterebene stufenweise konkretisiert werden kann, da auch die persönlichen Entwicklungsziele der Mitarbeiter erreicht werden müssen, um das Gesamtziel der Institution zu verwirklichen. Folglich ist MbO ein umfassendes Führungskonzept, das sehr gut mit dem neuen Steuerungsmodell im öffentlichen Sektor harmoniert. 5
Neue Steuerungsinstrumente im öffentlichen Sektor
Die operative Umsetzung einer wirkungsorientierten Verwaltungsführung erfordert die Konzeption und Implementierung eines neuen Instrumentariums für Politik und Verwaltung. In den folgenden Abschnitten werden daher ausgewählte Steuerungsinstrumente dargestellt, welche die Umsetzung des neuen Führungsverständnisses im öffentlichen Sektor ermöglichen. Dabei handelt es sich zum einen um Instrumente einer wirkungsorientierten Planung und Budgetierung (5.1) und zum anderen um Instrumente des Informationsmanagements (5.2; 5.3), welche die Entscheidungsfindung in Politik und Verwaltung wesentlich verbessern können. 5.1 Leistungsauftrag und Globalbudget Auf der Ebene der betrieblichen Steuerung bedeuten vor allem die Einführung von Leistungsauftrag und Globalbudget wichtige Neuerungen. Beide Instrumente bilden wesentliche Bestandteile des Kontraktmanagements. Sie ermöglichen eine erfolgsorientierte Führung der eigenverantwortlichen Verwaltungseinheiten und spiegeln typische Auftraggeber-Auftragnehmer-Modelle innerhalb der Verwaltung wider. Darüber hinaus können auch externe Leistungserbringer durch Leistungskontrakte geführt werden. Der Leistungsauftrag bildet den Oberbegriff für unterschiedliche Arten von Aufträgen, Kontrakten und Vereinbarungen zwischen einer Regierung und verwaltungsinternen Einheiten, häufig aber auch zwischen der Verwaltung und externen Einheiten, die dann für die Verwaltung Aufträge erfüllen. Der Leistungsauftrag sieht zeitlich begrenzte Vereinbarungen zu übergeordneten und operativen Zielen, den zu erbringenden Leistungen und den dafür zur Verfügung gestellten Mitteln vor und ermöglicht somit die Outputsteuerung im Rahmen einer wirkungsorientierten Verwaltungsführung (vgl. Thom & Ritz, 2006, S. 248). Die Dauer des Leistungsauftrags entspricht im Allgemeinen einer Legislaturperiode und regelt Mengenmerkmale, Produktmerkmale, Qualitätsmerkmale sowie Finanzgrößen. Im Sinne einer rollenden Planung von jährlichen Konkretisierungsmaßnahmen kann er laufend fortgeschrieben werden. In den Detailkontrakten erfolgt die jährliche Aktualisierung. Mit der Einführung von Leistungsaufträgen sind zahlreiche Vorteile verbunden (vgl. hierzu und im Folgenden Eichhorn et al.,
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Norbert Thom und Kerstin Alfes
2002, S. 645). So wird die Flexibilität der Verwaltungen erhöht und die Motivation der Mitarbeitenden einer Verwaltungseinheit gesteigert. Gleichzeitig kann eine wirksame Aufgabenerfüllung verbessert und das Kostendenken gefördert werden. Diesen Vorteilen stehen Nachteile gegenüber, wenn sich Rahmenbedingungen ändern oder der Leistungserbringer den Vertrag nicht oder nur schlecht erfüllen kann. In diesem Fall sind Kontrollmechanismen und Interventionen gefordert, die sicherstellen, dass der Leistungsauftrag auch eingehalten wird. Eng verbunden mit der Einführung von Leistungsaufträgen ist das Globalbudget, da die Verbesserung der Leistungssteuerung von einer neu ausgerichteten Budgetierung unterstützt werden sollte. „In einem Globalbudget werden bestimmten Aufgabenbereichen oder Organisationseinheiten die Mittel für die Aufgabenerfüllung in Form einer ‚globalen Netto-Gesamtsumme zugewiesen. Das heißt, die Verwaltungseinheiten können höhere Aufwendungen tätigen als budgetiert, sofern sie diese über zusätzliche Einnahmen finanzieren. […]“ (Schedler & Proeller, 2006, S. 167). In Globalbudgets wird der Aufwand pro Leistungskategorie oder Organisationseinheit nur noch in globaler Form genehmigt. Da auf eine detaillierte Budgetierung einzelner Ausgaben verzichtet wird, erhöht sich der Handlungsspielraum der Verwaltung erheblich. Neben der damit verbundenen Flexibilität bilden die wirksame Aufgabenerfüllung, die Förderung des Kostendenkens sowie eine Verantwortungszunahme der Verwaltungsmitarbeitenden wesentliche Vorteile der Globalbudgetierung (vgl. Schedler & Proeller, 2006, S. 166). Nachteilig wirken sich auch hier die umfassenden Kontrollmechanismen aus, die implementiert werden müssen, um die Einhaltung der Vereinbarungen sicherzustellen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass durch die gleichzeitige Einführung von Leistungsauftrag und Globalbudget eine Verknüpfung von Finanz- und Leistungsseite erreicht wird, die eine gezielte Outputsteuerung des Verwaltungshandelns ermöglicht. Somit konkretisieren beide Instrumente den Grundgedanken der wirkungsorientierten Verwaltungsführung. Die Einführung beider Instrumente erfordert vor allem auf der politischen Ebene einen Perspektivenwechsel, ohne den ein wirkungsvolles Kontraktmanagement nicht konsequent implementiert werden kann. 5.2 Balanced Scorecard (BSC) Ein wichtiges Führungsinstrument für das strategische Management von relevanten Informationen im öffentlichen Sektor ist die von Robert S. Kaplan und David P. Norton entwickelte Balanced Scorecard (BSC) (vgl. Kaplan & Norton, 1992). Mit Hilfe der BSC können beispielsweise strategische Ziele für verschiedene Bereiche festgelegt und anschließend überprüft werden. Bei der BSC handelt es sich um ein kennzahlenbasiertes Steuerungsinstrument, in dessen Mittelpunkt die
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konsequente Ausrichtung aller Aktivitäten auf die Verwaltungsstrategie steht (vgl. Scherer, 2002, S. 12 ff.). Die BSC zeichnet sich durch eine sehr ausgewogene und gesamthafte Führungsperspektive aus und berücksichtigt neben finanziellen auch nicht-finanzielle Kennzahlen wie die Kunden-, die interne Prozesssowie die Lern- und Entwicklungsperspektive (vgl. Eichhorn et al., 2003, S. 86). Durch diese ganzheitliche Perspektive können die heterogenen und mehrdimensionalen Zielsysteme öffentlicher Institutionen gleichberechtigt berücksichtigt werden (vgl. Langthaler, 2002, S. 134). Zu beachten ist, dass die konkrete Ausgestaltung einer BSC auf die spezifische Situation und Organisation angepasst werden muss, um einen optimalen Einsatz als Managementinstrument zu gewährleisten. Es entsteht daher zunächst die Notwendigkeit, die BSC für die Übertragung auf öffentliche Institutionen nach deren besonderen Bedürfnissen zu modifizieren (vgl. Langthaler, 2003, S. 318). Da im Gegensatz zu privatwirtschaftlichen Unternehmen, in denen häufig Formalziele im Vordergrund stehen, in öffentlichen Unternehmen Sachziele dominieren, sollten die verwendeten Betrachtungsdimensionen den entsprechenden Spezifika des öffentlichen Sektors angepasst werden (vgl. Langthaler, 2003, S. 318 ff.; Scherer, 2002, S. 18). Im Folgenden wird eine modifizierte Konzeption der BSC, wie sie im öffentlichen Sektor Anwendung finden könnte, dargestellt (vgl. Scherer, 2002, S. 18). Hiernach wird die Finanzperspektive durch die Perspektive „Wirtschaftlichkeit und Gesetzmäßigkeit“ ersetzt. Diese enthält die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der öffentlichen Leistungserstellung, welche Verwaltungen beachten müssen, um ihren öffentlichen Auftrag zu erfüllen. Weiter wird die Perspektive Kundenorientierung zur Perspektive „Wirkungsorientierung und Anspruchsgruppen“ entwickelt. In dieser Perspektive werden die Leistungen der öffentlichen Hand gegenüber den Bürgern aus der Sicht der Leistungsempfänger betrachtet, wobei die Kernfrage lautet, welche Ziele bei und für die unterschiedlichen Anspruchsgruppen, insbesondere Bürger und Kunden, erreicht werden müssen, um die politische Vision verwirklichen zu können. Die anderen beiden Perspektiven bleiben, ähnlich wie in der (privatwirtschaftlichen) Ursprungsversion, auch für öffentliche Institutionen erhalten (vgl. Abbildung 3). Zusammenfassend betrachtet, bildet der strategische Steuerungsgedanke den Kern und Ausgangspunkt der BSC. Mit Hilfe von logisch-pragmatischen Verknüpfungen der verschiedenen Perspektiven zu einer Zweck-Mittel-Kette stellt die BSC dar, wie durch den Einsatz verschiedener Mittel die Strategie umgesetzt und dieser Zweck-Mittel-Zusammenhang anhand von Kennzahlensystemen geprüft werden kann (vgl. Scherer, 2002, S. 19).
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Norbert Thom und Kerstin Alfes
„Welche wirtschaftl. und rechtl. Restriktionen müssen wir einhalten, um unseren gesetzlichen/politischen Auftrag zu erfüllen?“
Interne Verwaltungsprozesse
Vision und Strategie
„Wie müssen wir die internen Verwaltungsprozesse ausgestalten, um die Interessen unserer Bürger zu befriedigen?“
Ziele Kenn za Vorg hlen aben M aß nahm en
Ziele Kenn za Vorg hlen aben Maß nahm en
Wirkungsorientierung und Anspruchsgruppen „Welche Leistung müssen wir in welcher Qualität erbringen, um die von den Anspruchsgruppen und der Politik beabsichtigten Wirkungen herbei zu führen?“
Ziele Kenn zah Vorg len aben M aß nahm en
Wirtschaftlichkeit und Gesetzmäßigkeit
„Wie können wir unsere Ressourcen laufend verbessern und weitere politische Spielräume zur Erhöhung des Gemeinwohls aufbauen?“
Ziele Kenn zah Vorg len aben Maß nahm en
Lernen und Entwicklung
Abbildung 3: Die Balanced Scorecard als Steuerungsinstrument im öffentlichen Sektor
Es können somit aussagekräftige Leistungs- und Wirkungsindikatoren in vier verschiedenen Bereichen generiert und der Politik zur Verfügung gestellt werden. Ausgehend von dieser fundierten Informationsbasis können politischen Entscheidungsträgern stärker die Wirkungen staatlichen Handelns verdeutlicht werden.
Wirkungsorientierung als Modernisierungsprinzip
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5.3 Evaluationen Nachdem zu Beginn der Reformbestrebungen insbesondere auf der politischen Ebene Skepsis gegenüber dem verstärkten Einsatz von Managementkonzepten in der öffentlichen Verwaltung herrschte, gewinnen Evaluationen in der Schweiz sowohl auf der politischen als auch auf der betrieblichen Ebene zunehmend an Bedeutung (vgl. Thom & Ritz, 2006, S. 197). Diese Entwicklung zeigt auf, dass sich die wirkungsorientierte Denkweise auf allen Ebenen des politischadministrativen Systems durchsetzt und die Verbesserung von Effektivität und Effizienz in den Mittelpunkt staatlichen Handelns rückt. Immer mehr Gesetze werden wirkungsorientiert formuliert und Evaluationsklauseln nehmen zu. Evaluationen untersuchen intendierte und nicht intendierte Wirkungen öffentlicher Interventionen anhand sozialwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden zur Bewertung des Konzepts, der Umsetzung und des Nutzens staatlicher Maßnahmen (vgl. hierzu und im Folgenden Ritz, 2003, S. 26 ff.). Im Gegensatz zu anderen Ansätzen der Erfolgskontrolle fokussieren sich Evaluationen auf die Analyse von Kausalzusammenhängen sowie auf die bei Maßnahmenbeginn nicht beabsichtigten (positiven und negativen) Nebenwirkungen. Evaluationen sind trotz der Anwendung sozialwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden von der angewandten Forschung und insbesondere von der Grundlagenforschung zu unterscheiden. Sie untersuchen spezifische, von dem jeweiligen Auftraggeber vorab vorgegebene Fragestellungen. Das Ziel von Evaluationen liegt in der Bewertung und Entscheidungsfindung vor dem Hintergrund spezifischer Programmziele. Evaluationen, die in einer öffentlichen Institution durchgeführt werden, bewerten beispielsweise die Qualität der öffentlichen Aufgabenerfüllung. Damit streben Evaluationen keine breite Generalisierbarkeit ihrer Ergebnisse an, sondern werden als Auftragsforschung konzipiert. Die Grundlage von Evaluationen bilden häufig normative Kriterien, die vorwiegend aus den Programmzielen abgeleitet werden. In einer öffentlichen Verwaltung können dies zum Beispiel verschiedene Abläufe, Verfahren und Prozesse sowie deren Konzeption, aber auch die aus dem Verwaltungshandeln resultierenden Wirkungen sein. Somit stehen bei der Durchführung einer Evaluation Ziel-Mittel-Ketten im Mittelpunkt, wohingegen sich die Grundlagenforschung der Untersuchung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen widmet. Der zentrale Unterschied zwischen Grundlagenforschung und Evaluationen liegt damit im Zweck der jeweiligen Untersuchungsarten: Während Evaluationen einen spezifischen Nutzen für den Auftraggeber haben, ist es ein Ziel der Grundlagenforschung, allgemeine Handlungsempfehlungen abzuleiten, die unmittelbar in der Verwaltungspraxis umgesetzt werden können. In der Literatur werden verschiedene Arten von Evaluationen unterschieden (vgl. Ritz, 2003, S. 45 ff.):
366
Norbert Thom und Kerstin Alfes
Die Programmevaluation als typische Evaluationskategorie untersucht staatliche Maßnahmen, die der Umsetzung von politischen Zielen dienen. Als Programm wird ein Maßnahmenbündel bezeichnet, das die gezielte Veränderung sozialer Bedingungen in Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt herbeizuführen versucht. Die Gesetzesevaluationen erlangen vor allem im Rahmen des Public Managements eine neue Bedeutung (vgl. Kettiger, 2000). Die ex post-Evaluation von Gesetzen wird als retrospektive Gesetzesfolgenabschätzung bezeichnet. Die Folgeanalysen versuchen zu ermitteln, welche Auswirkungen (z. B. auch Kosten, Inakzeptanz, Regelungsverdrossenheit, langfristige Ressourcenbindung, Intentions- oder Realisationsverhältnis) bei den Normadressaten und im gesamten Wirkungsfeld eingetreten sind. Mit der Produktevaluation werden Waren und Dienstleistungen im Hinblick auf verschiedene Kriterien wie Kosten, Qualität und Absatzmarkt beurteilt. Reformevaluationen erfassen systematisch die Auswirkungen und den Erfolg von Reformmaßnahmen und initiierten Veränderungsprozessen im Institutionengefüge des öffentlichen Sektors. Reformevaluationen bewerten somit den Wandel von Institutionen und können im Rahmen des Public Managements vielfältig eingesetzt werden (vgl. Ritz, 2003, S. 190). Im Gegensatz zu Reformevaluationen ist der Evaluationsgegenstand bei Projektevaluationen klarer abgegrenzt. Sie betreffen nicht notwendigerweise den Wandel einer ganzen Institution, sondern können sich auch auf verwaltungsund abteilungsinterne Projekte beziehen. Institutionenevaluation befasst sich mit der Bewertung von Zielstrukturen, Aufbau- und Ablaufstrukturen und der Kultur einer Institution sowie der davon abhängigen Aufgabenerfüllung. Schließlich lassen sich mit einer Personalevaluation Personen beurteilen. Hierbei können insbesondere die im Rahmen der Personalwirtschaftslehre verbreiteten Verfahren und Instrumente eingesetzt werden (vgl. Thom & Ritz, 2006, S. 307 ff.). Darüber hinaus können Evaluationen hinsichtlich des Erhebungszeitpunktes unterschieden werden. Während formative oder begleitende Evaluationen während der Umsetzung einer Maßnahme stattfinden und eine vertiefende Einsicht in den Untersuchungsgegenstand erlangen möchten, werden summative Evaluationen nach Implementierung einer Maßnahme durchgeführt. Hier besteht das Ziel darin, die Wirkungen einer Maßnahme zu bilanzieren und aus einer gesamtheitlichen Perspektive die Entscheidungsfindung zu unterstützen. Schließlich können im Hinblick auf die Steuerung und Durchführung einer Evaluation Selbst- und Fremdevaluationen unterschieden werden. Zusammenfassend lassen sich eine
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Vielzahl an Evaluationsmöglichkeiten und -formen identifizieren, mit deren Hilfe intendierte und nicht intendierte Wirkungen staatlichen Handelns analysiert und in einem größeren Zusammenhang bewertet werden können (vgl. Eichhorn et al., 2002, S. 339). Evaluationen werden somit zu einem wichtigen Informationsinstrument einer wirkungsorientierten Verwaltungsführung, welches die Entscheidungsfindung der Verantwortlichen im politisch-administrativen System effektiv unterstützen kann (vgl. hierzu ausführlich Beck & Fisch, 2005). Im folgenden Abschnitt soll der Einsatz ausgewählter wirkungsorientierter Instrumente anhand eines Praxisbeispiels veranschaulicht werden. 6
Praxisbeispiel: Bundesamt für Landestopographie
Das Bundesamt für Landestopographie der Schweizerischen Eidgenossenschaft wurde 1838 in Genf gegründet, 1865 nach Bern verlegt und ist seit 1941 in Wabern bei Bern angesiedelt. Es bietet als Kompetenzzentrum für Geoinformationen räumliche Referenzdaten an. So werden geodätische, topographische und kartographische Produkte sowie die entsprechenden Daten für militärische und zivile Kunden zur Verfügung gestellt. Das Bundesamt heißt heute marktgerecht „Swisstopo“ und hat 270 Angestellte.4 Swisstopo ist ein sogenanntes FLAGAmt, und damit ein Vorzeigeamt in der Schweizerischen Bundesverwaltung.5 Zum Angebotsprogramm von Swisstopo zählt beispielsweise die Produktgruppe Geodäsie (vgl. hierzu und im Folgenden Eidgenössische Finanzverwaltung, 2003). Hierzu gehört die Erstellung, Weiterentwicklung und Erhaltung der geodätischen Grundlagen (Bezugssysteme, Fixpunkt- und Permanentnetze) für die Landesvermessung sowie für die Benutzer der Nationalen GeodatenInfrastruktur (NGDI) der Schweiz und die Sicherstellung der Landesgrenzvermessung. Weiterhin werden genaue, zuverlässige, flächendeckende und aktuelle Daten der Landesvermessung bereitgestellt und zugänglich gemacht sowie moderne Positionierungsdienste (digitale Form der Landesvermessung) für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Geodatenbenutzer angeboten. In der Produktgruppe Geodäsie werden verschiedene Leistungsziele definiert. Dabei handelt es sich um einen in Leistungsvereinbarungen konkretisierten Output. Als erstes Leistungsziel werden das Adaptieren neuer Erkenntnisse und Technologien aus der geodätischen Forschung und Wissenschaft, die Teilnahme an Forschungsprojekten und internationalen Messkampagnen sowie die Zusammenarbeit mit Hochschulen und Partnerinstitutionen im In- und Ausland festgelegt. Abgeleitet aus den Leistungszielen werden Indikatoren wie wissenschaftliche Beiträge (Publikationen), Forschungszusammenarbeit mit Hochschulen so4 5
Der Beamtenstatus ist in der Schweizerischen Bundesverwaltung generell abgeschafft. FLAG steht für Führung durch Leistungsauftrag und Globalbudget.
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wie internationale Zusammenarbeit determiniert. Um den Realisierungsgrad der festgelegten Leistungsziele zu überprüfen, bedarf es Standards für die einzelnen Indikatoren. Für die beschriebenen Leistungsziele in der Produktgruppe Geodäsie sind dies beispielsweise das Verfassen mindestens einer Publikation, mindestens ein laufendes Projekt in der Zusammenarbeit mit einer Hochschule sowie mindestens ein laufendes Projekt in der internationalen Zusammenarbeit. Dabei wird jeweils in einem jährlichen Zyklus überprüft, ob die Leistungsziele erreicht werden konnten. Ein weiteres Leistungsziel aus der Produktgruppe Geodäsie ist die Kompatibilität der Daten und Dokumente mit den Daten der amtlichen Vermessung und der Topografie sowie mit jenen der Nachbarländer und die Zugänglichkeit der Daten in einem Geografischen Informationssystem (GIS). Die GIS-Daten bilden die Indikatoren, wobei die Daten zu 100 % verfügbar sowie zu 70 % bereinigt sein müssen, um den festgesetzten Standard zu erfüllen. Auch hier erfolgt eine jährliche Überprüfung. 7
Reformerfahrungen
Am Institut für Organisation und Personal (IOP) der Universität Bern wurde in den Jahren 1998 bis 2001 eine Evaluationsstudie im Auftrag der Schweizerischen Bundesverwaltung durchgeführt (vgl. Ritz, 2003, S. 297 ff.). Untersuchungsobjekte waren unter anderem verschiedene FLAG-Ämter (Swisstopo, Meteo-Schweiz, Zentrale Ausgleichsstelle) sowie das Institut für Geistiges Eigentum, welches ein sehr modernes und selbständiges Bundesamt in der Schweiz ist. Das Ziel der Evaluationsstudie bestand darin, Grundlagen für eine umfassende Beurteilung des Reformprogramms Führen mit Leistungsauftrag und Globalbudget (FLAG) hinsichtlich seiner Auswirkungen bereitzustellen. Im Folgenden werden wesentliche Ergebnisse dieser Studie dargestellt und die Auswirkungen von Leistungsauftrag und Globalbudget auf der politischen sowie betrieblichen Ebene betrachtet. Auf der politischen Ebene zeigt die Evaluationsstudie, dass nur wenige Parlamentsmitglieder über das entsprechende Sachwissen und die notwendigen finanzwirtschaftlichen Kenntnisse verfügen, um Leistungsaufträge und Globalbudget fundiert einsetzen und beurteilen zu können (vgl. Ritz, 2003, S. 341). Hieraus resultiert eine Aufteilung des Parlaments in kompetente und weniger kompetente Parlamentarier, sodass einige befragte Parlamentarier den Wunsch nach Schulungen ausdrücklich äußern. Darüber hinaus zeigen sich zahlreiche Parlamentarier unzufrieden mit dem Berichtswesen (vgl. Ritz, 2003, S. 346 f.). Sie fühlen sich von Leistungsauftrag und Globalbudget zeitlich und fachlich überfordert und bemängelten die Verständlichkeit und den Umfang der Unterlagen (vgl. Abbildung 4).
Wirkungsorientierung als Modernisierungsprinzip
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Im Hinblick auf das Berichtswesen erweist sich als besonders problematisch, dass häufig verlässliche Indikatoren zur Messung von Impact und Outcome auf der Ebene der Ämter fehlen. Es zeigt sich, dass Parlamentsmitglieder das neue Instrumentarium nur effektiv nutzen, wenn die Verwaltung die Steuerungsinformationen für die parlamentarische Ebene zielgruppengerecht aufbereitet (stufengerechte Verdichtung von Informationen), da viele Parlamentarier mit Arbeit überlastet sind und mit Kennzahlen aus allen Politikfeldern überflutet werden. Demgegenüber besteht ein mit der Einführung von FLAG verbundener wesentlicher Vorteil darin, dass sich einzelne Parlamentarier sehr genau mit den Ämtern befassen und somit über fundierte Kenntnisse der Abläufe verfügen. Durch Zielvereinbarungsinstrumente (Leistungsauftrag) erhält die Politik zum Teil erstmalig einen Einblick in die Tätigkeiten der Dienststellen, und die Qualität der Informationen wird geschätzt sowie als inhaltliche Bereicherung empfunden. Überforderung zeitlich durch Beratung LA, GB (N=94)
2.82
Überforderung fachlich durch Beratung LA, GB (N=92)
2.73
Beratung LA, GB ohne Weiteres zu bewältigen (N=93)
2.31
Verständlichkeit der Unterlagen (N=93)
2.09
Umfang der Unterlagen (N=93)
1.96
Standardisierung der Unterlagen (N=92) 0.00
1.68
1.00
2.00
3.00
4.00
Durchschnittliche Einschätzung auf einer 4er Skala (1=trifft ganz und gar nicht zu; 4=trifft ganz und gar zu; Skalenmittelwert=2.5)
Abbildung 4: Beurteilung des Berichtswesens (Schweizerische Bundesverwaltung)
Weiterhin war eine wesentliche Frage der Evaluationsstudie, wie sich das Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive durch FLAG verändert hat. Die Ergebnisse werden in der folgenden Abbildung 5 dargestellt (vgl. Ritz, 2003, S. 348). Im Hinblick auf eine Neuverteilung der Kompetenzen zwischen Legislative und Exekutive im FLAG-Bereich zeigt sich eine geteilte Meinung des Parla-
370
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ments. Während rund 48 % der Befragten eine neue Kompetenzverteilung bestätigen, verneinen dies rund 52 %. Bei den Parlamentariern, die eine Kompetenzverschiebung festgestellt haben, ist die Richtung dieser Kompetenzverschiebung eindeutig. Die Regierung und die Verwaltung sind nach der Meinung dieser Befragten gegenüber dem Parlament gestärkt worden. Zwei Hauptziele der Reform, die Ausrichtung des Parlaments auf wesentliche Dinge und die besseren Steuerungs- und Überwachungsmöglichkeiten des Parlaments, werden differenziert wahrgenommen. 48 % der Befragten konstatieren eine stärkere Ausrichtung des Parlaments auf wesentliche Dinge und 46 % bejahen eine bessere parlamentarische Steuerung der FLAG-Ämter. Demgegenüber geben nur 27 % der Befragten an, dass das Parlament die Regierung und Verwaltung besser steuern und überwachen kann. Dies verdeutlicht, dass die parlamentarische Steuerung der Regierung und (Spitzen-)Verwaltung wenig mit den Ämtern in Zusammenhang gebracht wird. Die Beziehung zwischen Regierung und Parlament hat sich nach Meinung eines Großteils der Befragten nicht vereinfacht (nur 32 % Zustimmende). Dies könnte darauf hindeuten, dass die komplexen und zeitaufwändigen Steuerungsmechanismen wie FLAG ein Milizparlament, wie es in der Schweiz vorherrscht, besonders fordern (teilweise gar überfordern) und die Verwaltung somit gegenüber dem Parlament bevorteilen. Regierung und Verwaltung sind gegenüber Parlament gestärkt worden (N=47)
3.04
Parlament kann sich mehr um wesentliche Dinge kümmern (N=46)
2.41
Parlament kann Ämter besser steuern und überwachen (N=93)
2.30
Beziehung zwischen Parlament und Regierung ist einfacher geworden (N=41)
2.10
Parlament kann Regierung und Verwaltung besser steuern und überwachen (N=44)
2.02
0.00
1.00
2.00
3.00
Durchschnittliche Einschätzung auf einer 4er Skala (1=trifft ganz und gar nicht zu; 4=trifft ganz und gar zu; Skalenmittelwert=2.5)
Abbildung 5: Auswirkungen von FLAG auf das Parlament (Schweizerische Bundesverwaltung)
4.00
Wirkungsorientierung als Modernisierungsprinzip
371
Auch auf der betrieblichen Ebene hat die Einführung von FLAG verschiedene Auswirkungen auf die persönliche Arbeit der Mitarbeitenden (vgl. Ritz, 2003, S. 373 f.). In allen FLAG-Ämtern geben die Befragten an, dass sich die Arbeitsbelastung mit Einführung der neuen Instrumente verstärkt hat. Darüber hinaus kann eine leichte Verbesserung der Zielorientierung sowie eine Vergrößerung des Handlungsspielraums in zwei Ämtern festgestellt werden. Insbesondere in den Vorzeigeämtern wie Swisstopo wirken sich die neuen Führungsinstrumente positiv auf die Kundenorientierung aus. Schließlich kann festgehalten werden, dass die bisherige Form der Leistungserbringung in den einzelnen Ämtern zunehmend kritisch in Frage gestellt wird. So werden Aspekte wie die mit der Leistungserbringung verbundenen Kosten, aber auch die Erbringung der Dienstleistungen durch andere Institutionen (Outsourcing, Auslagerungen) immer häufiger diskutiert. In einem weiteren Schritt wurden die Mitarbeitenden der untersuchten Ämter nach der Art des Einflusses der verschiedenen FLAG-Instrumente auf ihre persönliche Arbeit gefragt (vgl. Ritz, 2003, S. 373 f.). Dabei wird die Tendenz aus der Befragung im Jahre 1999 zwei Jahre später bestätigt beziehungsweise noch verstärkt (vgl. Tabelle 1). Am Beispiel von Swisstopo zeigt sich, dass die Arbeitsbelastung stark angestiegen ist und bei der zweiten Befragung von rund 80 % der Mitarbeitenden bestätigt wird. Demgegenüber nehmen die Verbesserung der Zielorientierung sowie die Vergrößerung des Handlungsspielraums nur leicht zu. Die Zahlen verdeutlichen, dass erheblich weniger als die Hälfte der befragten Mitarbeitenden eine bessere Zielorientierung und einen erweiterten Handlungsspielraum wahrnimmt, sodass die beabsichtigten Wirkungen der FLAG-Instrumente im Bereich der Personalführung (vorerst noch) ausbleiben. Hier wird die Gefahr der Übersteuerung durch eine rein quantitative Ausrichtung der Controlling-Instrumtente und ihren allzu häufigen Einsatz offensichtlich. Tabelle 1: Art der Wirkung der FLAG-Instrumente (Schweizerische Bundesverwaltung) Art der Wirkung von Produktgruppen, Leistungsauftrag und Zielvereinbarungen
(Angaben in Prozent, in Spalte 2001 jeweils Angabe der Veränderung zu Spalte 1999)
swisstopo 1999
2001
Die Einführung der Instrumente ermöglicht eine bessere Zielorientierung
36
+7
Die Einführung der Instrumente schafft mehr Handlungsspielraum
27
+4
Die Einführung der Instrumente hat die Arbeitsbelastung erhöht
65
+15
N mind.
67
83
Die Detailanalyse nach Hierarchieebene (vgl. hierzu ausführlich Ritz, 2003, S. 374 f.) führt zur Erkenntnis, dass eine verbesserte Zielorientierung sowie ein
372
Norbert Thom und Kerstin Alfes
vergrößerter Handlungsspielraum insbesondere auf der Ebene des oberen und mittleren Kaders festgestellt werden kann (vgl. Tabelle 2). Hier zeigt sich, dass die hierarchische Durchdringung der mit FLAG verbundenen Ziele sehr schwierig ist. Die Zunahme des Leistungsdrucks wird demgegenüber von Mitarbeitenden auf allen Ebenen festgestellt. Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass die neuen Führungsinstrumente vorwiegend zu einer Führungsreform beitragen. Tabelle 2: Art der Wirkungen der FLAG-Instrumente nach Hierarchieebene (Schweizerische Bundesverwaltung) Die Aussage trifft nach Ansicht der Befragten ganz und gar oder ziemlich zu (1999) (Angaben in Prozent)
8
Einfluss von Produktgruppen, Leistungsauftrag und Zielvereinbarungen
Oberes und mittleres Kader
Unteres Kader
Mitarbeitende ohne Führungsaufgaben
Die Einführung der Instrumente ermöglicht eine bessere Zielorientierung
72
53
54
Die Einführung der Instrumente schafft mehr Handlungsspielraum
62
37
35
Die Einführung der Instrumente hat die Arbeitsbelastung erhöht
81
75
73
N mind.
72
58
152
Fazit und Ausblick
Die Schweiz hat im internationalen Vergleich relativ spät mit der Verwaltungsmodernisierung begonnen. Die entwickelten Verfahren und Konzepte nehmen Rücksicht auf den komplexen Staatsaufbau und die Ausprägung der Demokratie in diesem Land, da die Wirkungsorientierung für Bürger und Kunden im Vordergrund steht. Im Verlauf der Reformbestrebungen konnte ein zweckmäßiges Instrumentarium implementiert werden, dessen Wirkung auf die verschiedenen Ebenen inzwischen mehrfach evaluiert wurde. Die Modernisierungen im öffentlichen Sektor verändern deutlich das Verhältnis von Legislative und Exekutive, wohingegen der Durchdringungsgrad der Reformanstrengungen innerhalb der Verwaltungseinheiten unterschiedlich tief ausfällt. Im Allgemeinen können jedoch insbesondere Fortschritte in der besseren Zielorientierung und in der Erweiterung des Handlungsspielraums festgestellt werden. Die Evaluationen belegen aber auch, dass der im Rahmen der Public Management-Bewegung angestrebte Kulturwandel im öffentlichen Sektor besonders schwierig und langwierig ist. Hier zeigt sich wiederum, dass eine tief greifende Reform ohne den Einsatz von
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Instrumenten des Personalmanagements (z. B. der Personalentwicklung) und der Mitarbeiterführung (z. B. motivierende Mitarbeitergespräche) nicht nachhaltig implementiert werden kann.
Literatur Beck, D. & Fisch, R. (2005). Entscheidungsunterstützende Verfahren für politischadministrative Aufgaben. (Speyerer Forschungsberichte, 235). Speyer: Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung 2005. Böllhoff, D. & Wewer, G. (2005). Zieldefinition in der Verwaltung. In B. Blanke, S. von Bandemer & F. Nullmeier (Hrsg.), Handbuch zur Verwaltungsreform (3. Auflage, S. 147-153). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. Bouckaert, G. & Van Dooren, W. (2003). Performance Measurement and Management in Public Sector Organizations. In T. Bovaird & E. Löffler (Hrsg.), Public Management and Governance (S. 127-136), London: Routledge. Brandel, R., Stöbe-Blossey, S. & Wohlfahrt, N. (1999). Verwalten oder gestalten. Berlin: edition sigma. Brinckmann, H. (1994). Strategien für eine effektivere und effizientere Verwaltung. In F. Naschold & M. Pröhl (Hrsg.), Produktivität öffentlicher Dienstleistungen, Band 1: Dokumentation eines wissenschaftlichen Diskurses zum Produktivitätsbegriff (S. 167-242). Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung. Budäus, D. (2004). New Public Management. In G. Schreyögg & A. v. Werder (Hrsg.), Handwörterbuch Unternehmensführung und Organisation (4. Auflage, Sp. 941947). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Buschor, E. (1992). Controlling in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben. In P. Weilenmann & R. Fickert (Hrsg.), Strategie-Controlling in Theorie und Praxis (S. 205-221). Bern: Haupt. Drucker, P. F. (1954). The Practice of Management, New York: Harper & Row. Eichhorn, P., Friedrich, P. & Jann, W. (Hrsg.). (2003). Verwaltungslexikon (3. Auflage). Baden-Baden: Nomos. Eidgenössische Finanzverwaltung (2003). Leistungsauftrag MeteoSchweiz 2004-2007, http://www.flag.admin.ch/ d/ dienstleistungen/ doc/ 3-1-2-1la_swisstopo_d.pdf, September 2007. Ellwein, T. (1976). Regieren und Verwalten. Eine kritische Einführung. Opladen: Westdeutscher Verlag. Häfelin, U. & Haller, W. (2005). Schweizerisches Bundesstaatsrecht (6. Auflage). Zürich: Schulthess. Haldemann, T. (1998). Zur Konzeption wirkungsorientierter Planung und Budgetierung in Politik und Verwaltung. In D. Budäus, P. Conrad & G. Schreyögg (Hrsg.), Managementforschung, Band 8: New Public Management (S. 191-215). Berlin-New York: de Gruyter. Hammerschmid, G. & Meyer, R. E. (2005). New Public Management in Austria: Local variation on a global theme? Public Administration, 83, 709-733.
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Norbert Thom und Kerstin Alfes
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New Public Management – symbolischer Ausdruck der Elitenzirkulation im höheren Vollzugsdienst der Polizei Christian Barthel 1
Die Reformgeschichte
Auch die Polizei hat längst ihre Reformgeschichte: Etwa fünf Jahre später als in den Kommunalverwaltungen hebt die Reformdebatte in den Polizeien der Länder und des Bundes (Bundesgrenzschutz, heute Bundespolizei und BundesKriminalamt) an. Ab Mitte der 1990er Jahre – als bereits die ersten kritischen Bestandsaufnahmen und Konzeptrevisionen vor allem seitens der Verwaltungswissenschaft und der Politikforschung1 formuliert werden – diffundiert der Diskurs des New Public Management (NPM) in die Polizei und wird insbesondere durch den höheren Dienst, das Mittelmanagement der Polizei, mit großer Verve aufgenommen. Die konzeptionellen Formate des NPM werden begeistert rezipiert und als endgültige Maßstäbe für die Steuerung der Organisation und der spezifischen Aufgabenstellungen der Polizei begrüßt. Das Legitimationsmuster für die Notwendigkeit des NPM (oder auch der „Neuen Steuerung“ beziehungsweise der „Neuen Steuerungsinstrumente“) in der Polizei ähnelt dem der Kommunalverwaltungen zu Beginn der 1990er Jahre: Kampfparole ist auch hier die Beseitigung der „organisierten Unverantwortlichkeit“ (Banner, 1991) in der Gesamtorganisation, die sich schließlich als Managementversagen in den Behörden und Dienststellen darstelle. Einen spezifisch polizeilichen Zungenschlag im Begründungsmuster des NPM kann man insoweit erkennen, als hier nicht von einer „Motivationslücke, Strategielücke, Attraktivitätslücke, Legitimationslücke, Managementlücke“ (vgl. Reichard, 1994) gesprochen wird; der Diskurs der Neuen Steuerung in der Polizei wird weniger technokratisch-managerial begründet (wie etwa in den Kommunalverwaltungen), sondern eher als Forderung und Erwartungshaltung der Mitarbeiter, denen die Führung der Polizei – gewissermaßen aus Gründen der Fürsorge – gerecht zu werden habe. So verweist Dieter Schmidt, einer der wichtigen Konzeptentwickler und Protagonisten der Neuen Steuerung in der Polizei
1
Exemplarisch Naschold, 1997; Reichard, 1997; institutionell wurde die Reflexion und Kritik insbesondere getragen durch die Hans-Böckler-Stiftung, das Wissenschafts-Zentrum-Berlin, die Verwaltungshochschule Speyer.
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Nordrhein-Westfalens, auf drei Missstände (neben dem allgemeinen Managementproblem), die die Reform zwingend notwendig machten (Schmidt, 2005): die Unzufriedenheit und durch den Wertewandel bedingte Erwartungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (die kooperative Führung und Zusammenarbeit, transparente Steuerungs- und Führungsentscheidungen etc. wünschen würden), die neuen Anforderungen an die Qualität der Polizeiarbeit, die vor allem durch die höheren Erwartungen der Bürger verursacht seien, notorische Führungsprobleme, die trotz der Erlasslage bezüglich der Verpflichtung zum „Kooperativen Führungsstil“ nach wie vor den polizeilichen Alltag bestimmen würden und in vielen Mitarbeiterbefragungen zum Ausdruck kämen. Das Legitimationsmuster für die Notwendigkeit einer Neuen Steuerung ist also vor allem an den Mitarbeitern und Bürgern, den „Menschen“ ausgerichtet; dies entspricht gleichermaßen der besonderen Organisationskultur der Polizei wie auch dem Selbstverständnis des höheren Dienstes, der seine Führungs- und Managementinterventionen auf diese Weise gegenüber der Basis darstellen beziehungsweise inszenieren muss. Auf der Ebene der Neuen Steuerungsinstrumente, der operativen Logik des NPM, finden sich in der Polizei die gleichen Konzeptformate wie in allen anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung auch: Outputsteuerung, dezentrale Ressourcenverantwortung, Zielvereinbarungen, Budgetierung, Controlling, Erfassung polizeilicher Leistungen als Produkte, Bürger-/Kunden- und Mitarbeiterbefragungen, Kosten- und Leistungsrechnung, Berichtswesen, Umgang mit Kennzahlen, Kennzahlenvergleiche via Benchmarking. Auch die Verlaufskurve der Reformerfahrung ist insgesamt betrachtet mit den Prozessen in der Kommunalverwaltung und anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes vergleichbar: Der Anfang ist durch breite Konzepteuphorie gekennzeichnet – Kritik, Skepsis, Differenzierungen, alternative Positionen sind nicht erkennbar und hatten auch keine Chance, sich im Rahmen dieses Diskurses zu artikulieren. Auch wenn der Diskurs der Neuen Steuerung bundesweit im gesamten höheren Dienst der Polizei vehement geführt wurde, bedeutet das nicht, dass er in allen Behörden und Dienststellen auch praktisch zur Anwendung kam; ein wichtiger (aber nicht allein entscheidender) Faktor war hier die Politik, insbesondere die Ressortpolitik der Innenminister, die je nach Bundesland eine unterschiedliche Haltung zum neuen Managerialismus in der Polizei hatten. So gab es Bundesländer, in denen intensivere Erfahrungen mit der Neuen
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Steuerung erst deutlich später, etwa ab dem Jahr 2000, gemacht wurden; hier lag es dann am persönlichen Engagement einzelner Behördenleiter und Polizei-Führungskräfte, wenn trotz einer ablehnenden oder desinteressierten Haltung der Ministerialbürokratie im engeren Verantwortungsbereich einzelne Instrumente erprobt wurden. Wiederum gab es Bundesländer – etwa Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hamburg, Bremen und weitere –, die mit dem Rückenwind der Politik als Pioniere des New Public Managements in der Polizei die ersten Steuerungserfahrungen machten; dementsprechend finden sich hier große Projektorganisationen, mit denen die Konzepte für den Organisationsalltag tauglich gemacht werden sollten, oder aber Modellbehörden, die – vom Innenministerium finanziell und mit entsprechenden Organisationsverfügungen unterstützt – als Labors der neuen Steuerung fungierten. In den Bundesländern und Behörden, wo der Diskurs der neuen Steuerung praktische Formen annahm, war der Umsetzungsalltag durch vielfältige Implementationsbarrieren gekennzeichnet: bürokratisch-autoritäre Anordnung von Reform und Organisationswandel, unprofessionelles Projektmanagement, Unsicherheiten und Ängste bei den betroffenen Mitarbeitern, Widerstände und Mikropolitik auf der Ebene operativer Führungskräfte und so weiter kennzeichneten den Reformalltag – vergleichbar den ersten Geh- beziehungsweise Reformversuchen in der Kommunalverwaltung. In dem Maße, wie die Ordnungsverwaltung sich im Prozess der Reform selbst begegnet, wurde auch hier deutlich, dass eine gute Idee, ein scheinbar schlüssiges Konzept noch keinen Wandel gewährleistet, dass die Organisation deutlich komplexer und unerwarteter reagiert, als dies auf der Ebene des Diskurses abzusehen war. Im Zuge dieser Ernüchterung werden erste Kritiken laut, mithin die Glaubenssätze des euphorischen Reformstarts hinterfragt: Das ehedem so gefeierte Konzept der „Produkte“ (Reformulierung polizeilicher Leistungen als „Produkte“ zum Zwecke ihrer controlling-technischen Steuerung) wurde von vielen Mitarbeitern und operativen Führungskräften als zu bürokratisch kritisiert; die reine „Out-Put-Steuerung“ wurde zugunsten einer „Out-ComeSteuerung“ und eines „wirkungsorientierten Managements“ kritisiert; dabei werden neue Managementansätze in die Debatte eingebracht: Die Balanced Scorecard wird auch in der Polizei zum neuen Rationalitätsmythos eines strategischen Behördenmanagements, Qualitäts- und Prozessmanagement (die im steuerungstechnischen Überschwang so leicht vergessene Ebene der Leistungserstellung und Produktionswirklichkeit) werden als neue Managementansätze ausgeflaggt (siehe auch die Qualitätsmanagement-Kongresse für die öffentliche Verwaltung, inklusive der Polizei, in den unterschiedlichen Bundesländern).
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Das ehedem so homogene Diskursfeld fächert sich nun aus, alternative Positionen werden denkbar und sichtbar. So wie seinerzeit die Kommunalverwaltungen2 den diskursiven Turnaround durch die Wiedereinführung des spezifischen Verwaltungszweckes (nämlich die Übersetzung städtischer Bedarfslagen in strategische Programme) markierte, so wird auch in der Polizei die Anfangsphase einer rein mikroökonomisch-steuerungstechnischen Begeisterung durch die Philosophie strategischer Schwerpunktsetzungen abgelöst. Die letzte Phase des Reformzyklus ist durch Routinisierung und Veralltäglichung gekennzeichnet3; nicht dass die Neuen Steuerungsinstrumente in allen Behörden und Dienststellen gleichermaßen angekommen wären und nun professionell genutzt, verbessert und vereinfacht würden: Die Implementationsstände sind sehr unterschiedlich, der Professionalisierungsgrad der Führungskräfte und Steuerungsverantwortlichen ebenso (vgl. Bogumil, 2007, S. 279 f.). Auf keinen Fall aber kann man sagen, dass die Neue SteuerungsDebatte seit Mitte der 90er Jahre in den Polizeien nichts bewirkt hätte – das Gegenteil ist der Fall: Ziel- und Strategieformulierung, Controlling, Kennzahlen, das Glossar einer verwaltungsbetrieblichen Mikroökonomie sind nun keine Fremdwörter mehr. Die Polizei ist nicht – sowenig wie die Kommunalverwaltungen – zur unproblematisch steuerbaren Dienstleistungsmaschine geworden; aber die Führungskräfte sind nun für ihr Leitungsgeschäft instrumentell besser ausgestattet als die Generationen zuvor. 2
Die wissenschaftliche Reflexion des Reformprozesses in der Polizei
Die wissenschaftliche Reflexion dieses anstrengenden Reform- beziehungsweise Lernprozesses setzt in der Polizei vergleichsweise spät ein (etwa ab 2004; insbesondere Lange & Schenk, 2004). Anders im Bereich der Kommunalverwaltungen: Hier werden die ersten Umsetzungsversuche, vor allem in ihrer mikroökonomischen Zuspitzung und neobürokratischen Regulationswut sehr schnell durch Politik- und Verwaltungswissenschaft sowie die Organisationssoziologie kommentiert und produktiv aufgearbeitet (siehe Anmerkung 1). Nicht so in der Polizei: Der wissenschaftliche Diskurs regt sich erst, nachdem das konzeptionelle Pulver der beratergetriebenen Modelle und Instrumente (vgl. die zweite Konzeptwelle mit ihren Instrumenten wie der Balanced Scorecard, dem Qualitätsmanagement und so weiter) angesichts der vehementen Implementationsprobleme verschossen ist. Die Gründe hierfür sind:
2
3
Mit ihrer konzeptionellen Speerspitze, der KGSt (Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung). Zur zeitlichen Orientierung: Etwa ab 2003/2004.
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Die Polizei ist für eine „Forschung über die Polizei“ auch am Ende der 1990er Jahre noch nicht sehr aufgeschlossen; Forscher, deren Erkenntnisinteresse nicht im unmittelbaren Verwertungszusammenhang „für die Polizei“ stehen, haben einen vergleichsweise schweren Zugang zu diesem Forschungs- beziehungsweise Politikfeld. Wegen dieser strukturellen Hürden gibt es im Umfeld der Polizei auch nur einen kleinen Kreis von Verwaltungs- und Politikwissenschaftlern, die sich mit der speziellen Materie der Ordnungsverwaltung (den hier auftretenden Steuerungsproblematiken und organisationstypischen Besonderheiten) auskennen und so zu einer verwertungs- und interessensneutralen Reflexion im Stande sind. Ein Teil der Autoren, die sich nun organisationswissenschaftlich und Polizeikultur reflektierend zu Wort melden, war selbst aktiv an der Produktion und Verbreitung der neuen Managementmoden beteiligt; sie finden zu einer reflexiven und abgekühlten Distanznahme erst den Zugang, nachdem das Neue Steuerungsinstrumentarium sich nicht als Allheilmittel erwiesen hat, sondern zum Teil auch als technokratische Verschlimmbesserung altbekannter Bürokratieprobleme. Zwei Varianten einer wissenschaftlichen Reflexion und kritischen Analyse der Neuen Steuerung lassen sich heute unterscheiden: a. b.
eine politikwissenschaftliche, vor allem demokratietheoretisch argumentierende Position; eine organisationstheoretisch aufgeklärte Betriebswirtschaftslehre, die – am Modell „rationalen Managens“ festhaltend – vor allem auf die Eigenheiten und internen Differenzierungen der polizeilichen Organisationskultur abhebt.
Zu a): Kritisiert wird hier das naive Übertragen betriebswirtschaftlichmikroökonomischen Denkens auf Staatsaufgaben im Allgemeinen und das Politikfeld Sicherheit im Besonderen; in der Tat ist gerade die anfängliche Begeisterung für die Neuen Steuerungsinstrumente beseelt von der impliziten Überzeugung, dass die „neue“ Managementrationalität die entscheidende Rationalität für staatliches Handeln überhaupt sei. So machen Lange und Schenk (2004) in ihrer kritischen Analyse des Reformprozesses der Polizei Nordrhein-Westfalens deutlich, dass der neue Managerialismus in seiner politisch und demokratietheoretisch unterreflektierten Form gleichermaßen gefährlich und implementationspragmatisch naiv ist. Politisch gefährlich erscheint Lange die Neue Steuerung in der Polizei, weil diese den grundlegenden Prozess der Veränderung staatlichen (Sicherheits-)Handelns, die Erosion des Gewaltmonopols, die Gefahr einer Ungleichverteilung von Sicherheit in der Gesellschaft durch ihre technokratisch-
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instrumentell verengte Sicht auf Organisationssteuerung gar nicht in den Blick bekomme. Naiv erscheint Lange die Programmatik der Neuen Steuerung, weil sie die reale Einbettung der Polizei in das komplexe Politikfeld innerer Sicherheit nicht denken könne. Der Politikwissenschaftler macht deutlich, dass die in der Regel konfliktären Aushandlungsprozesse zwischen den korporativen Akteuren (Politik, Innenministerien, Gewerkschaften, Behörden) dieses Politikfeldes, die konkrete Sicherheitspolitik erzeugen. Die Neue Steuerung – so Lange – bekommt diese politik- beziehungsweise policy generierenden (die einzelne Organisation übergreifenden) Aushandlungsprozesse nicht in den Blick, weil sie Sicherheit als Ergebnis betriebsförmiger Produktion in der einzelnen Behörde beziehungsweise Dienststelle missverstehe. Angesichts dieser notorischen Blindstellen für das Politikfeld Sicherheit muss die Implementation der Neuen Steuerung misslingen. Lange und Schenk führen keinen Kreuzzug gegen die Managementinstrumente und den „Werkzeugkasten der Neuen Steuerung“; sie plädieren allerdings vehement dafür, dass diese Techniken nur auf der Grundlage einer aufgeklärten staatlichen Aufgabenbestimmung und einer politikwissenschaftlich reflektierten Politikfeldanalyse angewandt werden sollten. Bei aller treffenden Kritik an den technokratischen Naivitäten und politischen Unbedarftheiten des Neuen Steuerungsmodells, verbleibt eine Blindstelle auch im Ansatz von Lange und Schenk: Ihre Darstellung des Politikfeldansatzes macht deutlich, dass Reformen und Policy-Programme nicht einfach „oben“ (in der Politik, im Ministerium) erfunden und per Anordnung umgesetzt werden, sondern dass sie das Ergebnis verhandelnder korporativer Akteure sind; die makropolitische Dimension wird hier also gut nachvollziehbar ausgeleuchtet. Lange und Schenk können aber nicht erklären, warum es in einigen Behörden zu einer sehr weitgehenden Umsetzung der Neuen Steuerung kam und warum wiederum andere Behörden desselben Bundeslandes sich gekonnt allen Umsetzungsanstrengungen entziehen konnten. Die hier vertretene These lautet: Um Veränderungsprozesse („Reformen“) in Politikfeldern angemessen rekonstruieren zu können, bedarf es eines politik- und organisationswissenschaftlichen Ansatzes, der nicht nur die makropolitische, sondern auch die meso- und mikropolitische Akteursebene mit in den Blick nimmt. Zu b): Der zweite Ansatz (in der eher dünn besiedelten Landschaft kritischer Reflexion des Reformprozesses in der Polizei) befasst sich mit den Eigenheiten der unterschiedlichen Organisationskulturen in der Polizei. Die Vehemenz der Implementationsbarrieren, die zum Teil heiße Wut der Polizeibasis gegen den Managerialismus des höheren Dienstes, macht es in der Tat notwendig, den Organisationsalltag jenseits hierarchischer Anordnungsbemühungen und technokratischer Steuerungsambitionen genauer zu betrachten. So arbeitet Jochen ChristeZeyse (2006) unterschiedliche „Denk- und Handlungslogiken“ heraus, die sich
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an Kernfunktionen polizeilichen Handelns anlagern und die weder für den höheren Dienst noch ein manageriales Steuerungsverständnis einfach erreichbar sind (auch hier beforscht am Beispiel der Polizei Nordrhein-Westfalens). Wo Reformer dies dennoch versuchen und etwa die Logik der Kennzahlen über die Rationalität des in jedem Polizisten tief verankerten Deutungsmusters des „Einsatzes“ oder der „Besonderen Aufbauorganisation“ zu stellen versuchen, müssen sie mit zum Teil erbittertem Widerstand rechnen. Jacobs, Christe-Zeyse und Keegan (2007) erklären mit Karl Weick schlüssig, warum Reformprozesse riskant sind: „Da Organisationsmitglieder in Zeiten von Veränderungen mehr dazu neigen, über ihre Organisation zu sprechen als in Zeiten der Stabilität, vergrößert sich der Wahrnehmungsraum des einzelnen Organisationsmitgliedes (…), was potentiell für das Funktionieren der Organisation gefährlich sein kann“ (S. 284). Reformprojekte erhöhen also zuerst einmal die Komplexität, statt – wie in der Regel behauptet – diese zu reduzieren; und genau daran scheitern sie so oft. Dieser kritische Blick auf die Reformprozesse widmet sich also vor allem den Deutungsprozessen, den organisationskulturell geprägten Denkmustern in der Polizei; Reformakteuren wird deshalb geraten, dass sie nicht allein ihren Projektplanungen vertrauen, sondern vor allem den Prozess der Veränderung kultursensibel begleiten sollten. Gerade für die Polizei also ein wichtiger Ratschlag, da hier das technokratisch-instrumentelle Managementverständnis gelegentlich mit der bürokratisch-autoritären Anordnung des Wandels einhergeht. Gleichwohl – so wichtig der Hinweis auf die organisationskulturellen Eigenheiten der Polizei ist, so wird hier doch eine eigentümliche Blindstelle deutlich: Der auf Organisationskultur verengte Blick fokussiert die Widerstände vor allem der betroffenen Mitarbeiter und Führungskräfte auf der operativen Ebene; diese erscheinen als verunsicherte, eigensinnige, letztlich passive Adressaten von Reformmaßnahmen, nicht etwa als findige Akteure, die im Reform- beziehungsweise „Innovationsspiel“ (vgl. Ortmann, 1995, S. 64 f.) ihre Interessen verfolgen. So wie die Mitarbeiter in dieser Perspektive passiv, das heißt als Implementationsbarrieren gedeutet werden, so erscheinen auch die maßgeblichen Akteure der Reformprozesse (der höhere Dienst etwa) eigenartig gesichtslos, gewissermaßen als passive Vollstrecker eines übergeordneten Programms; in diesem Sinne formulieren Jacobs, Christe-Zeyse und Keegan (2007): „Veränderungsbemühungen durch die Organisation entwerfen eine alternative Realität“ (S. 283). Erstaunlich: Die Organisation agiert als Gesamtsubjekt und bedarf offensichtlich keiner konkreten Akteure – der höhere Dienst der Polizei wird hier zum interesselosen Vollzugsorgan einer Managementrationalität stilisiert, die sich wie kultursensibel auch immer, gegen die verunsicherte Unvernunft der Mitarbeiter behaupten muss. Auf diese Weise wird die Managementrationalität
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zur eigentlichen Vernunft befördert und die Deutungsmuster der Mitarbeiter zum zwar verständlichen, aber doch ärgerlichen Reform- beziehungsweise Vernunfthindernis. Der Politikfeldansatz in der Lesart von Lange und Schenk, aber auch das organisationskulturell informierte Management- und Reformverständnis von Jacobs, Christe-Zeyse und Keegan können gleichermaßen wenig Auskunft über die Bedingungen für den Erfolg beziehungsweise Misserfolg von Veränderungsprojekten geben: In beiden Ansätzen wird die Ebene der interessiert handelnden Akteure – gleichgültig ob als programmgetriebene Innovateure oder als claimsichernde Gegenspieler – zu wenig beleuchtet. Dadurch fällt der Blick nicht auf die mikro- und mesopolitischen Machtstrukturen, die Bedingungen des Aufbaus, der Institutionalisierung und schließlich des Abbaus eines Reformregimes und seiner diskreten Machtarchitektur. In diesem Sinne wird hier vorgeschlagen, die beiden zitierten Ansätze durch eine mikropolitisch informierte Akteurstheorie zu ergänzen. Übersicht 1: Akteure und Kontext-Setter Einfluss
hoch
gering
hoch
Betroffene: Mitarbeiter
Akteure/Spieler: Personalrat Höherer Dienst
Unbeteiligte
Kontext-Setter, potenzielle Einflussgruppen: Politik, Regierung, Verwaltungsleitung
Interesse gering
3
Die Akteure im Prozess der Reform in der Polizei
Wer ist eigentlich Akteur in den Reformprozessen der Polizei? An dieser Stelle soll die machttheoretische Definition nach Bogumil & Schmid (2001) zitiert werden: „Als Akteure gelten hier, im Gegensatz zur sonst üblichen Definition, die den Akteursstatus allen in einer Organisation Handelnden zuweist, nur diejenigen, die sich durch ein besonderes Merkmal auszeichnen: die Regelungskompetenz. Akteur ist, wer über Definitionsmacht im Modernisierungsprozess (als Regelproduktionsprozess) verfügt (…) sei es, dass sie rechtlich abgesichert [ist]
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in Form von Gesetzen (…) oder formalen Organisationsregeln (z. B. Dienstanweisungen, Hierarchieaufbau) oder aufgrund tatsächlicher Übung erfolg[t]“ (S. 113). Akteure sind also nur diejenigen, die über entsprechendes Einfluss- und Gestaltungspotential – sei es aufgrund ihrer formalen Position oder anderer Machtquellen wie Information, Expertise, Beziehungen, knappe Ressourcen und so weiter – verfügen. Dies kann man ins Bild setzen (siehe oben Übersicht 1; vgl. Beck & Fisch, 2005, S. 43). „Betroffene“, das heißt Akteure mit geringem Einfluss und hohem Interesse an den angekündigten Veränderungen, insbesondere dann, wenn diese den alltäglichen Arbeitsvollzug betreffen; dies ist die Position der Mitarbeiter und Führungskräfte auf der operativen Ebene. Selbstverständlich verfügt auch die operative Ebene über Macht, aber nicht genug, um im Prozess der Regelproduktion eine entscheidende und gestaltende Funktion einnehmen zu können. Macht – hier mit Crozier und Friedberg (1974) verstanden als Kontrolle von „Unsicherheitszonen“, also spezifisches Wissen/Expertise, aufgabentypische Intransparenzen, Kontakte auch über die Polizei hinaus, zum Beispiel zur Presse – gibt es in allen Positionen der Organisation, aber sie ist asymmetrisch verteilt. Das bedeutet: Die „Betroffenen“ können sich zurückziehen, Engagement und Loyalität verweigern, das sogenannte „Routinespiel“ auf der Bühne des Reform- beziehungsweise „Projektspiels“ (vgl. Ortmann, 1995) aufführen, also diejenigen Mikrostrategien forcieren, die in den Intransparenzzonen der Alltagsorganisation immer schon praktiziert werden, nun aber verschärft und gegebenenfalls mit entsprechenden Belastungs- und Opferinszenierungen zur Geltung gebracht werden; ein typisches „Routinespiel“ im Ausnahmezustand der Reform ist das gut eingeübte Spiel mit den Kennzahlen bezüglich zu dokumentierender Leistungsnachweise, erbrachter Einsatzzeiten für spezifische Aufgaben und so weiter. All das kann als Gegenstrategie mobilisiert werden, es reproduziert aber lediglich den in Frage gestellten Status quo und reicht nicht aus, um tatsächlich neue Regeln zu setzen. „Kontext-Setter“, potentielle Einflussgruppen – als diese sollen hier insbesondere Regierungsparteien und Mehrheitsfraktionen, die amtierende Regierung und die Verwaltungsspitzen verstanden werden, die durch die jeweilige Regierung in der Regel neu besetzt werden; im Falle der Polizei handelt es sich hier um den Innenminister, den Abteilungsleiter Polizei, den Polizeiinspekteur sowie den Landeskriminaldirektor. Die Position des Innenministers ist funktional gesehen sehr stark und folgt in ihrem möglichen Wirkungsgrad unmittelbar dem Ministerpräsidenten. Wenn ein Innenminister zum Promotor eines Modernisierungsprozesses wird, kann er enormen Druck auf die nachfolgenden Verwaltungsebenen ausüben; sein Interesse richtet sich dann auf erhöhte Verwaltungssteuerung, Kostenreduzierung und persönliche Profilierung, unterstützt durch die gewichtigen Machtmittel: Organisationshoheit und Informationsvorsprung (vgl.
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Reiners, 2003, S. 3). Aber auch wenn das Regierungspersonal ein funktionales Interesse an Modernisierung haben mag, so ist doch die persönliche Profilierung im Amt, die Wiederwahl und die Positionierung im Kabinett unter Umständen von maßgeblicherem Gewicht – die Bindung an ein Modernisierungskonzept ist immer auch Machterhaltungsstrategie und nicht per se persönliche oder fachliche Überzeugung. Man kann die amtierende Regierung, den Innenminister, die Verwaltungsspitzen in der Polizei durchaus auch als „Akteure/Spieler“ verstehen – sie sollen hier aber als „Kontext-Setter“ positioniert werden, da sie zwar den Rahmen, die formalen und finanziellen Möglichkeiten für ein breit angelegtes Reformprojekt setzen können, nicht aber zwingend die maßgeblichen Initiatoren für ein Reformprojekt sein müssen. Dieses kann als Latenz und im breiteren Rahmen eines politischen Klimas längst Druck auf die offiziellen Entscheider ausüben, so dass ein formeller, via Erlass kommunizierter Start nicht als tatsächlich erster Schritt in einem Veränderungsprozess angesehen werden muss.4 Darüber hinaus zeigt es sich gerade bei der Polizei – einer hochgradig differenzierten und in regionalen Kontexten, konkreter in regionalen Kontrollkulturen verankerten Organisation (vgl. Barthel & Schmitt, 2007) –, dass die formal vorgesetzten Ebenen oft einen geringeren Einfluss auf das tatsächliche Organisationsverhalten der Behörden und Dienststellen haben, als die hierarchische Diktion der gesetzlichen Vorgaben und Erlasse dies nahe legen. Genau dies macht ja das Scheitern landesweit angeordneter Reformen deutlich: Der maßgeblich Akteur beziehungsweise „Spieler“ ist der höhere Dienst, das mittlere Polizeimanagement, das vor Ort – gut positioniert in der Mikropolitik der Organisation, der regionalen Kontrollkultur sowie darüber hinausgreifender Netzwerkstrukturen – die Reformen voran- oder aber hintertreibt. „Akteure/Spieler“ – der höhere Dienst in der Polizei hat ein hohes Interesse – sei es zustimmend oder ablehnend – bezüglich der ausgeflaggten Reformen und zugleich ausgezeichnete Möglichkeiten der Einflussnahme. Sein Interesse richtet sich auf Machterhalt und Legitimation (sowohl gegenüber der operativen Basis wie gegenüber der Ministerialbürokratie), auf Statussicherung und Karrierestreben sowie auf ein funktional notwendiges Autonomiestreben. Dieses Autonomiestreben des mittleren Polizeimanagements (für die Ministerialbürokratie 4
Gerade die Politikwissenschaft – auch in ihrer „politikfeldtheoretischen Variante“ – neigt dazu, dem politischen System als Ganzem, sowie den staatlichen Akteuren an der Spitze von Regierungen und Verwaltungen zu große Gestaltungsmacht und Initiativfunktion einzuräumen. Soziale Entwicklungen, Bewegungen, Diskursverschiebungen in anderen gesellschaftlich relevanten Feldern und professionellen Domänen werden dann angesichts dieses Primats des offiziell Politischen leicht übersehen – etwa auch, dass sich die Polizei und ihr Leitungspersonal im Prozess gesellschaftlicher Transformation verändert und zwar unabhängig von politischer Steuerung und Einflussnahme.
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ein notorisches Ärgernis) resultiert aus der Tatsache, dass die Dienststellen und Behörden in den Regionen einer Vielzahl unterschiedlicher, oft gegensätzlicher und konfligierender Anforderungen und Interessen ausgesetzt sind; vorgesetzte Behörden, regionale Politik, Medien, skandalisierungsmächtige Öffentlichkeiten, Staatsanwaltschaft und so weiter fordern – oft zugleich und mit großer Vehemenz –, dass die Dienststelle und damit der höhere Dienst den an sie gestellten Erwartungen gerecht wird. Funktional ist hier, wenn es dem höheren Dienst gelingt, die sich widersprechenden Anforderungen auszubalancieren, die Organisation von Irritationen frei und damit arbeitsfähig zu halten, mithin ein DilemmaManagement (Neuberger, 2002, S. 337 f.) zu betreiben, das mitunter zu Mitteln des Fassadenmanagements, der Abschirmung des eigenen Verantwortungsbereiches und raffinierter Politikgestaltung greift (vgl. Prätorius, 2004; Barthel & Schmitt, 2007).5 In dieser Intransparenzzone entwickelt der höhere Dienst seine Autonomie, diese mikro- und mesopolitische Unkalkulierbarkeit gegenüber einer auf Durchgriff angelegten Ministerialbürokratie, mithin sein funktionsebenenspezifisches Machtpotential. Die Machtmittel des höheren Dienstes ergeben sich aus der Anwendung (Ortmann, 2003)6 der Organisationsregeln und der hierzu notwendigen Kenntnis des lokalen Kontextes, der Kontrolle von Informationskanälen und seinem ausgeprägten Expertenwissen; er ist – gemessen an Diensterfahrung, beruflicher Aus- und Fortbildung, breiter Kenntnis der differenzierten Aufgabenpalette der Polizei in der Tat die fachliche und – aufgrund seiner funktionalen Stellung – die organisationspolitische Elite der Polizei. In den folgenden Kapiteln wird die These argumentiert, dass der höhere Dienst nicht nur der kritische Erfolgsfaktor für das Gelingen von (politisch) angeordneten Reformen ist, sondern dass er in seiner Funktion als organisationspolitische Elite selbst die entscheidenden diskurspolitischen und mentalen Bedingungen für das Auftauchen neuer Fach- und Organisationsthemen beziehungsweise Reformprojekte generieren kann. Als weitere „Spieler“ beziehungsweise Akteure in Reformprozessen müssen auch der Personalrat und die Gewerkschaften verstanden werden; der Personalrat verfügt im Politikfeld „innere Sicherheit“ über große Gestaltungsmacht, mehr als 5
6
Das mittlere Management in der Polizei ist für die Arbeitsfähigkeit der Behörden und Dienststellen dann funktional, wenn es über eine gewisse Professionalität in der Handhabung von „talk“ und „action“, das heißt von Organisationsdarstellung nach außen (gegenüber den unterschiedlichen Anforderungsgruppen) und Organisationsabschirmung (inklusive strategischer Ausrichtung und Organisationsentwicklung nach innen) verfügt (siehe hierzu insbesondere Brunsson, 1989; Ortmann, 2004). G. Ortmann verweist mit J. Derrida darauf, dass die Anwendung von Regeln in einem gegebenen Kontext immer auch eine „Wendung“ der Regel, eine Abweichung und Beugung der Regel, also „Difference“ darstellt, das heißt nicht einfaches Exekutieren ist (vgl. Ortmann, 2003, S. 33 f.).
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Christian Barthel
in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung. Nichts geht ohne oder gegen ihn – und hinter vorgehaltener Hand sprechen vor allem organisationspolitisch unerfahrene Polizeimanager verärgert von der „Personalratsmafia“, wenn dieser virtuos und mit starker Rückendeckung der Mitarbeiter seine Rolle spielt und zudem mit der machtvollen Unterstützung des Hauptpersonalrats im jeweiligen Bundesland rechnen kann. Die Interessen der Personalvertretung zielen vor allem auf Beschäftigtenschutz, Einflusssicherung und Wiederwahl (vgl. u. a. Reiners 2003, S. 5). Seine Machtmittel sind die mehr oder weniger virtuose Handhabung des Betriebsverfassungsgesetztes, seine Akzeptanz und Anerkennung durch die Mitarbeiter und vor allem seitens der operativen Führungskräfte sowie seine Informationspolitik, inklusive seiner dramaturgischen Fähigkeiten, die Interessen der Mitarbeiter wirkungsvoll in Szene zu setzen zu können. Bei aller Verhandlungsmacht kann der örtliche Personalrat aber selten den Prozess der Regelproduktion maßgeblich mitbestimmen, seine strategische Option ist gegebenenfalls das „non-decision-making“ (vgl. Bogumil & Kissler, 1998, S. 123 f.), das Blockieren und Verzögern der Veränderungsprojekte im Rahmen eines Besitzstand wahrenden Routinespiels. 4
Der höhere Dienst in der Polizei – zur Funktion und Struktur einer organisationalen Elite7
4.1 Was ist eine organisationale Elite? Als organisationale Elite soll hier die herrschende Gruppe, gewissermaßen die „Regierung“ (vgl. Nienhüser, 2005) einer Organisation bezeichnet werden, die Akteursgruppe also, die unabhängig von tatsächlichen, proklamierten oder zugeschriebenen Leistungen beziehungsweise Eigenschaften die zentralen Entscheidungspositionen besetzt. In Unternehmen handelt es sich hier etwa um Vorstände und Aufsichtsräte, in Non-Profit-Organisationen um Geschäftsführungen und Betriebsleiter, in Universitäten und ähnlichen Bildungseinrichtungen um Präsidenten; in der Polizei handelt es sich um die ca. 4000 Angehörigen des höheren Dienstes – dies sind maximal 2 % des gesamten Personalbestandes der Polizei. „Sie verteilen sich im Wesentlichen auf die Länderpolizeien, die Bundespolizei, 7
Der Begriff der „organisationalen Elite“, wie er im Folgenden verwenden wird, lehnt sich sehr stark an die Ausführungen von Nienhüser (2005) an; sein – an der Resource-Dependence-Theorie von Pfeffer und Salancik (2003) geschärftes – Elitenverständnis, der damit einhergehende PowerApproach in der Analyse von Eliten (siehe auch Pfadenhauer 2003, S. 71 f.), wird hier für den Fall des höheren Dienstes in der Polizei verwendet. In diesem Sinne wird auch die Reaktualisierung und organisationssoziologische Aufbereitung der klassischen Elitesoziologie bei Pareto, Mosca und Mills im Wesentlichen übernommen. Viele Anregungen zum vorliegenden Beitrag verdanken sich der Lektüre von Werner Nienhüsers Aufsatz.
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das Bundeskriminalamt, die Polizei-Abteilungen der Innenministerien sowie auf die Sparten Schutz- und Kriminalpolizei. (…) Ein Teil von ihnen arbeitet in polizeilichen oder ministeriellen Führungsstäben. Sie sind im exekutiven Bereich Revier-, Inspektions- und Direktionsleiter, Leiter von Kommissariaten, polizeilichen Bildungseinrichtungen und anderen Dienststellen, sie sind Polizeipräsidenten von Städten oder gar Bundesländern.“ (Jaschke, 2006, S. 138). 4.2 Was ist die Funktion von organisationalen Eliten? Organisationen wie polizeiliche Dienststellen, Behörden und so weiter sind eingebunden in ein institutionelles Umfeld (siehe die Ausführungen oben); dieses besteht aus vielen, vor allem unterschiedlichen Anspruchsgruppen, sogenannte „Stakeholders“, die spezifische Erwartungen, Interessen und Werte verfolgen; und nicht nur dies – sie sind die wesentlichen Lieferanten von Ressourcen, sei es das Budget, Personal, Ausstattung und Sachmittel oder kritische Ressourcen wie Legitimation beziehungsweise Funktionsreputation (vgl. Wiesenthal, 2000). Für institutionelle Organisationen8 wie die Polizei ist also der kontrollierbare Austausch mit einer zumutungsvollen, oft unkalkulierbaren Umwelt von entscheidender Bedeutung. Die Aufgabe der organisationalen Elite ist es, diesen Austausch wirksam zu gestalten, und das heißt vor allem auch: Es geht nicht lediglich darum „Entscheidungen so zu treffen, dass die für die Organisation kritischen Ressourcen im ausreichenden Maße zur Verfügung stehen“ (Nienhüser, 2005, S. 11). Gerade in institutionellen Organisationen wie der Polizei hat das Management eine deutlich komplexere Funktion; Nienhüser nennt zwei zentrale Aufgaben, die das Management zu erfüllen hat: 1) Wahrnehmen, Interpretieren und die soziale Konstruktion von Zuständen der internen und externen Umwelt: Organisationale Eliten wie der höhere Dienst in der Polizei erzeugen also eine Sprache, eine Semantik, die nicht das einfache Abbild der realen Zustände innerhalb oder außerhalb der Organisation herstellt, sondern eine Konstruktion – gleichermaßen „Wahrgebungsmuster“ und Legitimationsfundament für Managemententscheidungen. So wurde etwa in der Polizei der 1990er Jahre eine Gebetsmühle strapaziert, die in gewichtigen Worten und besorgtem Tonfall die Reform als zwingende Notwendigkeit 8
Institutionelle Organisationen sollen hier mit der neo-institutionalistischen Organisationstheorie etwa bei Meyer und Rowan (1977) oder Scott und Meyer (1994) als Kontrast zu sogenannten instrumentellen Organisationen profiliert werden – also etwa Fertigungsbetriebe, deren Organisationsgrenzen zur relevanten Umwelt weniger durchlässig beziehungsweise stabiler sind. Mehr noch als instrumentelle Organisationen hängen die institutionellen von ihrer Umwelt (unterschiedliche gesellschaftliche Teilsysteme und Wertsphären) ab und müssen spezifische Mechanismen entwickeln, wie sie deren Anforderungen ausbalancieren und eine zugleich gewisse Stabilität bei der Ressourcenakquisition generieren (zur Polizei siehe vor allem Crank, 2003; Prätorius, 2004).
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beschwor; in immer wiederkehrender Dringlichkeit wurden die „Unzufriedenheit und die veränderten Erwartungen der Mitarbeiter“ zitiert, „neue, kompliziertere Polizeilagen“, „Managementversagen“ und „Führungsprobleme“, die zusammen offenbar eine explosive Gemengelage darstellten, die nur durch die „Neue Steuerung“ bewältigt werden konnte. Das bedeutet nun nicht, dass der höhere Dienst die „Unwahrheit“ gesagt hat, macht allerdings deutlich, dass er die Umwelt kognitiv konstruiert und dass dies – gerade in einer komplexen, durch widersprüchliche Erwartungen gekennzeichneten Umwelt – eine seiner entscheidenden Funktionen ist. Darüber hinaus haben die sozialen Konstruktionen des höheren Dienstes nicht nur eine symbolischlegitimatorische Funktion; damit eng verknüpft ist das Interesse an Machterhalt und Sicherung bestehender Einflussmöglichkeiten, etwa dadurch, dass die organisationale Elite sich als der einzig mögliche Rettungsanker in der von ihr selbst diagnostizierten Misere darstellt. 2) Eine weitere wichtige Funktion der organisationalen Elite besteht im Management der Ressourcen beziehungsweise Austauschbeziehungen mit der Umwelt. Mit Nienhüser kann man hier von vier Bewältigungsstrategien sprechen, die auch der höhere Dienst der Polizei anwendet, um die Austauschbeziehungen mit den relevanten Umwelten zu kontrollieren: a. Die Forderungen einer Anspruchsgruppe erfüllen – aber gerade diese Schlichtheit der Vorgehensweise kann zum Verhängnis werden, wenn etwa der Dienststellenleiter die Direktiven der vorgesetzten Behörde einfach exekutiert, ohne dabei dem möglichen Einfluss der Medien, der Öffentlichkeit, Bürgerinitiativen oder den Anforderungen der Mitarbeiter Rechnung zu tragen; schnell wird aus einer einfachen Vorgehensweise eine schreckliche Vereinfachung, aus einem scheinbar gut definierten Problem eine Krise. b. Vermeidung von Beeinflussungsversuchen beziehungsweise Forderungen der Umwelt – es geht hier um den Fall der symbolischen Politik, des Fassadenmanagements, mit dem die Illusion erzeugt wird, dass die Forderungen bereits erfüllt sind; in der Polizei sind dies mitunter die Rituale der Kennzahlenerfüllung, wobei diese nicht nur durch Mitarbeiter mikropolitisch eingesetzt werden, sondern mitunter auch durch Dienststellenleiter, die sich auf diese Weise den Nachfragen der vorgesetzten Behörde entziehen.9 Dazu gehören aber auch Bürger- oder Mitarbeiterbefragungen, die 9
In modernisierungsambitionierten Länderpolizeien, die sich besonders intensiv mit neuen Steuerungsinstrumenten auseinandersetzten, gab es mitunter auf der operativen Ebene, den Dienstgruppen, einen institutionalisierten „Türken“ (und dies nicht diskriminierend gemeint, sondern im Sinne von „vorspielen“, „inszenieren“, „täuschen“), der mit der „Anpassung“ seitens der Leitung angeforderter Kennzahlen beauftragt war; so hielten sich die Mitarbeiter die zudringlichen Fragen
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nicht nur als Grundlage für konsequentes Management- beziehungsweise Führungshandeln genutzt werden können, sondern auch als Inszenierung von Aktivität und Managementrationalität. Überhaupt können aktuelle Themen, aber auch Managementmoden genutzt werden, um glänzende Fassaden zu erzeugen und prekäre Organisationsbereiche auszublenden. c. Vermeidung von Ressourcenabhängigkeit beziehungsweise Erschließung alternativer Beschaffungsquellen – findige Führungskräfte, auch in der Polizei, weisen sich dadurch aus, dass sie trotz knapper Ressourcenzuweisung zusätzliche Handlungsspielräume entdecken und nutzen: So kommt es vor, dass Behörden/Dienststellen an Projekten teilnehmen oder sich als Modellbehörden engagieren, weil sie dadurch auch Ressourcen (EDV, Büroausstattung und so weiter) akquirieren können. d. Dominierung der Kontrolleure beziehungsweise der Versuch, die Dominanz der Kontrolleure zu reduzieren – hier geht es um die umsichtige Analyse der relevanten Akteure, ihrer Interessen und Einflusspotenziale, um den Aufbau tragfähiger Kooperations- und Vertrauensbeziehungen (sei es mit der Presse, der regionalen Politik, der vorgesetzten Behörde, der Staatsanwaltschaft und so weiter), gewissermaßen die Mesopolitik einer Dienststelle; genauso relevant sind aber auch mikropolitische Handlungsfähigkeiten – gleichermaßen innerhalb einer Dienststelle wie auch im weit verzweigten Netzwerk der Polizei und des Politikfeldes innere Sicherheit. Die hier dargestellte Funktion der organisationalen Elite – nämlich a) die Generierung legitimationsfähiger Semantiken und b) die kontrollierte Handhabung der risikoreichen Austauschbeziehungen mit den relevanten Umwelten –, wird im Selbstverständnis des höheren Dienstes so nicht beschrieben; hier herrscht eher ein ernster, oft auch moralischer Diskurs vor, der auf Gesetzes- und Pflichterfüllung, auf die professionelle Bereinigung (einer vorgeblich objektiven) Kriminalitätslage und Fachkompetenz abhebt. managementgetriebener Führungskräfte des höheren Dienstes vom Leib. Das mikropolitische Basteln mit Kennzahlen darf man aber nicht als Devianz der Arbeitsebene verstehen, sondern als Rationalitätsinszenierung einer institutionellen Organisation, die mit gesellschaftlichem Auftrag Sicherheit, Ordnung und Kalkulierbarkeit kommunizieren muss, und dies gegenüber Akteuren und Umfeldsystemen, die ganz unterschiedliche Verständnisse und Erwartungen an „Sicherheit“ haben. So haben sich in der Hochphase der Neuen Steuerung Polizeibehörden und Präsidien mitunter ganze Controllingbüros gehalten, die die Inszenierung der managerialen Rationalitätsfassade gegenüber der Ministerialbürokratie betrieben. Hinter dieser Offizialfassade war man auf regionaler Ebene – oft sehr erfolgreich – bemüht, sich als anerkannter Sicherheitsakteur zu behaupten. Dass die Inszenierung einer so aufwendigen und mitunter pompösen Rationalitätsfassade in einem besonderen Spannungsverhältnis zur Binnenorganisation, zu Organisationskultur und Mikropolitik steht, ist gut nachvollziehbar: Institutionelle Organisationen wie die Polizei sind in diesem Sinne also ganz besonderen Integrationszumutungen ausgesetzt.
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Genau dadurch aber erfüllt dieser Diskurs seine Funktion: nämlich das Abblenden der Dilemmata und die damit verbundenen Manöver zwischen Fassadenmanagement und Alltagsorganisation, zwischen „Talk“ und „Action“, mit denen eine institutionelle Organisation wie die Polizei strukturell konfrontiert ist. 4.3 Institutionelle Strukturen und Konfigurationsbedingungen der organisationalen Elite Der höhere Dienst selbst gibt sich rein funktional als Leistungselite zu verstehen, als Funktionsebene, die durch herausragende und lizensierte Talente und Leistungen geprägt ist und nichts als ihren Dienst in besonders anforderungsvollen Positionen versieht. Gleichwohl haftet dieser funktionalen Bescheidenheit eine diskrete Aura der Besonderung an, die mitunter in Begriffen wie „Qualitätselite“, „Persönlichkeit der Führungskraft“ und so weiter besungen wird: „… PremiumDienstleistungen sind das Werk einer Qualitätselite, das Werk ihrer Schöpfer, deren Wesen und Geist sich in der geschaffenen Qualität manifestieren.“ (Gross, 2003, S. 55). Dies macht deutlich, dass die Mitglieder des höheren Dienstes nicht nur eine wichtige Funktion ausfüllen, sondern dass die Organisation und sie sich selbst als Besonderheit/Elite, mithin als sich von der Masse der Polizisten abhebende Exzellenz verstehen. Elite beschreibt also nicht ein lediglich funktionales Aggregat, sondern eine soziale Gruppe, die durch Institutionen, Orte und Sozialisationsprozesse schließlich zu einem gemeinsamen Habitus, Distinktionsverhalten und Inszenierungsformen findet. 4.3.1 Wie gelangt man als einfacher Polizist in den Sichtkreis dieser Elite? Durch besonders gut bewertete Leistungen, herausragende Beurteilungen und insbesondere die Förderungsbereitschaft eines Vorgesetzten, der dieser Elite bereits angehört. Die „Guten“ fallen auf, durch Engagement, Leistung und die Fähigkeit, diese darzustellen. In der Regel ist der höhere Dienst nicht zimperlich hinsichtlich der Belastbarkeit des potenziellen Nachwuchses: Die „Guten“ werden getestet, realisieren Sonderaufgaben und Führungsfunktionen auf Zeit; sie wissen, dass sie unter sehr genauer Beobachtung stehen und schließlich auch Dankbarkeit zeigen müssen für diese besondere Behandlung (siehe auch Bosetzky, 1974, zum „Don-Corleone-Prinzip“). „Praxisbewährung“ – nicht nur im fachlichen, sondern auch im symbolischen und pragmatisch-mikropolitischen Sinne – ist das Schlüsselwort für eine mögliche Zulassung zum höheren Dienst. 4.3.2 Wie wird man Mitglied des höheren Dienstes? In den Ländern, der Bundespolizei und dem Bundeskriminalamt werden aufwendige Auswahlverfahren durchgeführt – „in der Spannbreite von psychologischen Leistungstests bis hin zu Assessment-Center-Verfahren“; an deren Ende
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steht ein Auswahl- und Prüfungsgespräch im jeweiligen Innenministerium (vgl. Heuer, 2003, S. 167). Viele Bewerber scheitern an diesen Hürden, die Auserwählten verstehen sich – nun beglaubigtermaßen – als die Besten ihres Landes. 4.3.3 Wie sieht die Erstsozialisation im höheren Dienst aus? Die sogenannten „Ratsanwärter“ (der Laufbahnwechsel vom gehobenen zum höheren Dienst wird nach Absolvieren der Erstsozialisation durch die Ernennung zum „Polizeirat“ ratifiziert) studieren ein Jahr an den Fachhochschulen ihres Bundeslandes, um dann ihr Abschlussjahr an der Polizei-Führungsakademie (PFA), heute Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol) zu absolvieren. Diese zentrale Einrichtung des Bundes und der Länder ist der entscheidende Ort, wo nach Abschluss von Prüfungen und Klausuren die formale Initiation und Aufnahme in den höheren Dienst stattfindet. Neben der fachlichen Ausbildung und der offiziellen Lizenzierung werden hier vielfältige Beziehungen, Freundschaften und Netzwerke aufgebaut: Auf der Grundlage sogenannter „Landsmannschaften“ (den Lerngemeinschaften, die sich im jeweiligen Bundesland bereits im ersten Studienjahr bilden), aber auch in den Lerngruppen und Klassenverbänden an der PFA beziehungsweise DHPol entstehen robuste Beziehungsnetzwerke, die für die ersten dienstlichen Verwendungen, oft aber auch weit darüber hinaus, eine wichtige Unterstützungsfunktion bei der Rollenfindung und -stabilisierung darstellen. 4.3.4 Wie konstituiert sich der höhere Dienst als soziale und ihrer selbst gewissen Elite? Neben der eher informellen Netzwerkbildung und persönlichen Beziehungsstrukturen wird dem höheren Dienst an der PFA/DHPol ein offizieller Rahmen geboten, um sich gleichermaßen als besonders professionelle Fachkräfte, als hervorgehobene Führungskräfte, aber auch symbolisch als Elite mit eigenem Habitus und Distinktionsverhalten (vgl. Bourdieu, 1982, S. 405 f.) zu vergewissern: In fachlichen Fortbildungsveranstaltungen, aber auch in einer (alle Laufbahnstationen des höheren Dienstes begleitenden) Fortbildungsreihe10 werden aktuelle Themen, Managementmoden und Führungskonzepte – insbesondere aus dem privatwirtschaftlichen Bereich – dargeboten. Sie unterstützen den Prozess der Elitenformation durch eine gemeinsame Sprache, ausgewiesene Topoi, mithin ein Glossar der Selbstverständlichkeiten (siehe auch Bröckling, Krasmann & Lemke, 2004). Wie auch immer die hier vermittelten Inhalte unter anderen Kontextbedingungen (z. B. wissenschaftlichen) bewertet würden – in den ver10
Fortbildungsstation 1: für „junge Führungskräfte“, Fortbildungsstation für „erfahrene“ Führungskräfte, ein „Managementkolleg“ für besonders hervorgehobene Führungskräfte.
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gleichsweise eng geschlossenen Reihen der Elite des höheren Dienstes werden sie zu Themen von besonderer Dignität und Aussagekraft: Weil sie in den inneren Kreis der Elite vordringen konnten, haftet ihnen dann auch – mitunter ungeprüft – der Nimbus gegebener Wahrheit an. Auf diese Weise geadelt, diffundieren sie in die Alltagsorganisation der Polizei, wo sie mitunter eine erstaunliche Lebensdauer aufweisen.11 Die Elitenformation in der Polizei weist damit eine besondere Dichte und Profilierung auf, die sich gleichermaßen auf fachlichprofessioneller, auf symbolisch-legitimatorischer und auf der organisationspolitischen Ebene zeigt. 4.4 Wie sieht die Struktur der organisationalen Elite aus – homogener Block oder konkurrierende Fraktionen? Auch wenn sich der höhere Dienst nach „Außen“ (gegenüber den nachgeordneten Mitarbeitern und Führungsebenen) als homogene Gruppe darstellen kann – diese organisationale Elite ist kein homogener Block. Dies resultiert aus der grundlegenden Spannung, die in dieser Führungsrolle strukturell angelegt ist. Als Dienststellen und Behördenleiter müssen die Mitglieder des höheren Dienstes einerseits ihren Verantwortungsbereich führen, das heißt, die alltäglichen Aufgaben- und Problemstellungen bearbeiten, also Planen, Entscheiden, Koordinieren, Kontrollieren und so weiter. Andererseits haben sie ausdrückliche Repräsentationsfunktionen, nicht nur gegenüber den vorgesetzten Behörden, sondern (siehe oben) gegenüber einer oft fordernden und schwer kalkulierbaren Umwelt; diese Repräsentationsfunktion lässt sich nicht als nebensächliche „ShowVeranstaltung“ abwerten, sondern hat – wie oben ausgeführt – in der institutionellen Organisation Polizei einen strategischen Wert: nämlich die symbolische und politische Sicherung der grundlegenden Funktionsreputation der Organisationseinheit. Jenseits persönlicher Präferenzen oder Potenziale steht die Führungs11
Managementgurus wie etwa Reinhard Sprenger, Michael Löhner, aber auch weniger spektakuläre und am Rande des Managementmode-Betriebs stehende Akteure wie Felix von Cube dürfen hier etwa die „Naturgesetze der Leistung“ (1998) zum Besten geben. Weil sie – rhetorisch überzeugend – an der PFA/DHPol einen Vortrag vor dem höheren Dienst halten konnten, liefern sie auf diese Weise autorisierte Argumentationsfiguren und bestücken so den Legitimations- und Wissensfundus des Führungspersonals. Diese elitengetriebene Selektions- und Verteilungsdynamik autorisierten Wissens in der Polizei geht soweit, dass die vom höheren Dienst beglaubigten Managementrhetoren sich als offizielle Lehrmeinung in Polizei-Fachhochschulen und an der PFA/DHPol festsetzen – was zugleich bedeutet, dass andere, weniger populäre, aber komplexere Positionen nicht beziehungsweise kaum zur Kenntnis genommen werden. Auf diese Weise sorgt der Elitenmechanismus einerseits für einen geschlossenen, Identität und Sicherheit gewährenden Symbolvorrat, zugleich aber auch für ein gewisses Anschlussproblem bezüglich des Mainstreams wissenschaftlicher oder auch modischer Führungs- und Organisationsthemen. Dies wird sich – so steht zu vermuten – mit dem Wandel der PFA zur Hochschule und mit einem zunehmend polizeifremden Lehrpersonal mittelfristig verändern.
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kraft des höheren Dienstes also objektiv vor der „Qual der Wahl“ – soll das größere Engagement eher in die Führung oder eher in die Repräsentation12 einfließen, soll oder kann beides zugleich bedient werden (so wie es im offiziellen Tugendkatalog – dem „kooperativen Führungssystem“ – vorgeschrieben ist)? Dass diese Teilrollen in einem objektiven Spannungsverhältnis stehen, erlebt die einzelne Führungskraft spätestens am Faktor Zeit: Wie viel Zeit darf und will sie für die jeweilige Teilrolle investieren? Die Beantwortung dieser Rollenzumutungen fällt je nach Situation und persönlichen Präferenzen unterschiedlich aus: Die einen fokussieren mehr die unmittelbare Führungsrolle, die anderen mehr die Rolle des „Außenministers“; gerne wird auch eine Aufteilung der Führungsaufgabe in „Innenminister“ (zumeist Stellvertreter) und „Außenminister“ (zumeist Dienststellenleiter) vorgenommen; selten gelingt die ruinöse Virtuosität, beiden Welten zugleich gerecht zu werden. Dieses Spannungsverhältnis von „Führen“ und „Repräsentieren“ im höheren Dienst wird in den Sozialwissenschaften unter dem Stichwort „Locals and Cosmopolitans“ diskutiert (zuerst Merton, 1967, S. 393; s. a. Boudon, 1980, S. 62); demnach repräsentieren die Führungskräfte, die sich eher um die unmittelbar anstehenden Führungsaufgaben bemühen, die „Locals“, während die repräsentationsbemühten Führungskräfte die „Cosmopolitans“ darstellen. Locals agieren vor Ort, ihre Bekanntheit reicht kaum über die Grenzen der Einrichtung hinaus; sie verstehen sich vor allem als „Praktiker“, pflegen ein Selbstverständnis als „reiner Fachmann“ und sind nicht sonderlich interessiert an medienwirksamen oder politischen Auftritten. Der Begriff des „Praktikers“ wird aber nicht nur beschreibend verstanden; er ist implizit auch ein Kampfbegriff gegenüber den „Cosmopolitans“. Aus der Perspektive der Praktiker/Locals tanzen diese „Karrierepolizisten“ auf allen Hochzeiten, das heißt, sie pflegen den intensiven Umgang mit der Lokalpolitik, den Medien, dem Parkett der Ministerialbürokratie oder sie investieren beziehungsweise „verschwenden“ ihre Zeit in reputationseinträglichen Modernisierungsprojekten; auf jeden Fall sind sie selten vor Ort. Während die „Locals“ also den Habitus des bodenständigen („ehrlichen, authentischen, einfachen und so weiter“) Praktikers kultivieren, weisen sich die Cosmopolitans als polizeiliche Fachkräfte aus, die: gewandt mit den Medien kooperieren, politische Beamte in den Mittelbehörden beraten, 12
Das „Kooperative Führungssystem“ – die per Erlass vorgeschriebene Führungsrichtlinie in der deutschen Polizei nennt ganz ausdrücklich die Repräsentationsfunktion als eine entscheidende Teilrolle der Führungskraft (vgl. Altmann & Bernt, 1982, S. 229 f.).
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auf Augenhöhe mit Bürgermeistern und Landräten verkehren, keine Angst vor Unternehmensberatern oder Fachhochschul-Professoren haben, auf internationalen Fachkongressen verkehren und so weiter. Sie sind über die Grenzen ihrer Organisation hinaus bekannt, zeigen dies auch gerne ihren Kollegen, den „Praktikern“, gerade weil sie über mehrere „Sprachen“ beziehungsweise Verständigungscodes mit der relevanten Polizeiumwelt verfügen. Wo die Locals/„Praktiker“ zum Moralisieren neigen, da inszenieren die Cosmopolitans ihr soziales und kulturelles Kapital (siehe auch Bourdieu, 1992), zeigen Modernisierungsoffenheit, Belesenheit, sind argumentationsfähig (auch gegenüber dem politischen Leitungspersonal) sowie trittfest auf dem glatten Parkett der Ministerien und politischen Arenen. Zwischen diesen beiden spannungsvollen Polen: Locals („Praktiker“) – Cosmopolitans („Karrierepolizisten“), kann man eine dritte Position innerhalb des höheren Dienstes ausmachen: Dies sind die Lehrkräfte, die an der PFA (heute: DHPol) unterrichten. Sie lehren (wenn auch nur temporär, das heißt, für vier bis sechs Jahre) in den sogenannten praktischen Fächern: Kriminalistik, Einsatz-, Verkehrs- und Führungslehre. Als ausgewiesene „Praktiker“ in den Lehrbetrieb dieser herausgehobenen Institution übernommen, muss man sie zugleich als „reflektierende Praktiker“ verstehen, gewissermaßen die Hüter des kognitivfachlichen Wissens und seiner symbolisch-normativen Legitimation. Sie sorgen dafür, dass das polizeiliche Erfahrungswissen zur Sprache gebracht wird: sie systematisieren, kanonisieren es und produzieren kognitiv-theoretische sowie normative Stützkonzeptionen; diese schlagen sich nieder: in paradigmatischen Konzeptionen, Lehrmeinungen/Schulen und lehrfähigen Heuristiken, in Richtlinien, Erlassen, wie etwa der Polizeidienstverordnung (PDV) 100 oder dem sogenannten „Kooperativen Führungssystem“, das in Erlassform allen Führungskräften der Polizei als Handlungsrichtlinie vorgegeben ist, in Curricula, die sich an den Polizeifachhochschulen beziehungsweise der PFA/DHPol wiederfinden, in einem kanonisierten Wissen, das via Fachbücher (verlegt durch drei oder wenig mehr polizeispezialisierte Verlage) und Fachzeitschriften (die allerdings kaum über die Grenzen der Polizei hinaus wahrgenommen werden) distribuiert wird. Berger und Luckmann (1982, S. 112 f.) machen deutlich, dass dieses Systematisieren, Kanonisieren, dieses normative und abstrahierende Anreichern der praktischen (Berufs-)Erfahrung immer von besonders hervorgehobenen Spezialisten
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(Schamanen, Theologen, Philosophen, Wissenschaftlern oder eben reflektierenden „Praktikern“ des höheren Polizeidienstes) betrieben wird; dieses Spezialistentum für kognitive und normative Standards ist zugleich Grundlage für die hervorgehobene Positionierung innerhalb der sozialen Gruppe. Nicht zuletzt deshalb werden die von der PFA/DHPol abgehenden polizeilichen Lehrkräfte nach A15 beziehungsweise A16 befördert und in der Regel mit besonderen Dienstposten ausgestattet. Soweit also zur Grundaufstellung der Elite – sie lässt sich nicht als homogener Block verstehen, sondern als durchaus spannungsvolles, soziales Feld (vgl. Bourdieu, 1998), das unterschiedliche Positionen und Habitusformen („Praktiker“ – „Karrierepolizisten“ – „reflektierende Praktiker“) und damit Chancen für beruflichen Erfolg, Status und Einfluss bereit hält. 4.5 Elitenzirkulation oder die Verarbeitung ungeplanten Wandels Die Funktion der Elite erweist sich (vgl. Abschnitt 4.2) einerseits in der Kontrolle und Steuerung der Austauschbeziehungen mit den relevanten Umwelten und andererseits in der Erzeugung sozialer beziehungsweise semantischer Konstruktionen, die die Anforderungen dieser Umwelten – durchaus interessengetrieben – in die Organisation hinein übersetzen. Diese relevanten Umwelten der Polizei können sein: neue Formen der Kriminalität, neue Anforderungen an das polizeiliche Einsatzgeschehen, kritische Öffentlichkeiten, skandalisierungsbereite Medien, Sparzwänge der öffentlichen Verwaltung, forcierte Inszenierungsbedarfe der Politik mit dem publicityträchtigen Thema „Sicherheit“, Begehrlichkeiten des Personals (vermittelt über den Personalrat und die Gewerkschaften), technische Entwicklungen, ansteckendes Reformgetöse und Managementmoden in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung und so weiter. All diese Umwelten können Anforderungen an die Organisation der Polizei darstellen – je nachdem: Die Situation kann sich eher ruhig und nahezu statisch darstellen oder aber turbulent und von schwer kalkulierbarer Dynamik. Ist die Umwelt der Organisation ruhig und wenig herausfordernd, dann sorgen die Eliten für die Reproduktion des Systems nach bewährten Mustern, mittel- und längerfristig vor allem durch die Rekrutierung ihrer Nachfolge nach den Kriterien, die für ihr eigenes Denken, Handeln und Entscheiden typisch sind. Wird die Umwelt komplex, dynamisch und – bezüglich bisheriger Deutungsroutinen – intransparent, dann ergeben sich für die Elite zumindest zwei Handlungsalternativen: Abwehren (in der Form forcierter Anwendung bisheriger Deutungsroutinen) und Absichern der eigenen Machtposition oder aber Verarbeitung des Wandels in der Form neuer Semantiken und neuer Kontrollmodi der relevanten Umwelten.
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Die Klassiker der Elitensoziologie – Mosca und Pareto (vgl. Nienhüser, 2005) – sprechen angesichts veränderter Reaktionsforderungen der Umwelt vom „Altern“ der Eliten, ihrer „Degeneration“, die sich insbesondere (1.) im Mangel an geeignetem Personal und inadäquaten Nachfolgern erweist, (2.) an der offensichtlichen Diskrepanz zwischen Problemlösungsroutinen und tatsächlichen Anforderungen, (3.) am immer weniger legitimationsfähigen und überzeugenden Machtgebaren und Einbunkern der obsolet werdenden Elite. Gleichermaßen wird nun die Führungsleistung nach Innen (in den eigenen Verantwortungsbereich hinein) als auch die Akzeptanz und Autorität nach Außen (gegenüber den relevanten Umwelten) prekär.13 Und vor allem – so Mosca und Pareto – entbrennt ein Machtkampf zwischen obsoleter und sich positionierender, neuer Elite. Dieser Machtkampf äußert sich vor allem in neuen Deutungsvarianten bezüglich der Anforderung der Organisationsumwelt:
in neuen Fachkonzepten, Reformprogrammen, einem anderen Rollen- und Führungsverständnis sowie in der dezidiert kämpferischen Abwertung des bisherigen Rollen- und Fachverständnisses.
Eine neue Sprache und „Theorie“ über die Welt wird erzeugt; die neuen „Löwen“ (vgl. Paretos Metapher für Eliten) verstehen sich als Retter und Religionsstifter zugleich. Gleichzeitig kommt Bewegung in das Positionierungsgefüge der Elite selbst – die Positionen der Locals, der Cosmopolitans und der Semantikspezialisten werden neu bestimmt. Zudem treten zusätzliche Akteure auf, die in der Konfiguration des vorhergehenden Kraftfeldes nicht denkbar waren. In den folgenden zwei Abschnitten soll am Beispiel der New-PublicManagement-Bewegung in der Polizei gezeigt werden, dass eine Reform und ihre Programmatik nicht einfach die „logische“ Antwort auf neue Anforderungen an die Polizei ist (das ist sie unter anderem auch!), sondern zugleich eine Semantik, die von einer neuen Elitekonfiguration interessiert – und das heißt fachlich, organisationspolitisch und karriereambitioniert – betrieben wurde.
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Rainer Paris (2005, S. 75-97) macht ebenfalls deutlich, dass die Existenz der Elite von den beiden Faktoren a) Führung nach Innen und bezüglich anstehender Aufgabenbewältigung sowie b) Autoritätsgeltung gegenüber relevanten Umwelten (inklusive der Binnenumwelt) abhängt. Er schlägt eine überzeugende Differenzierung der Eliten vor, brauchbar insbesondere für die Phasen des Wandels aufgrund veränderter Umweltanforderungen: „Intakte Elite, prekäre Elite, Pseudo-Elite“ (S. 91).
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„Reform“ oder die Inszenierung14 der Elitenzirkulation in der Polizei – eine mesopolitische Betrachtung
Die Ablösung der alten Elitenkonfiguration durch eine neue soll hier an drei Aspekten deutlich gemacht werden: neue Anforderungen an die Polizei im Kerngeschäft, Veränderung des handlungsrelevanten Wissens, Wechsel unter den Generationen und der damit einhergehenden Denk- und Handlungsstile. Weitere Aspekte könnten berücksichtigt werden – etwa die Veränderung des Dienstrechtes, die Einführung einer zweigliedrigen Laufbahn (Aufhebung des mittleren Dienstes, sodass die Beamtenlaufbahn nur noch den gehobenen und den höheren Dienst umfasst) oder die Reorganisation der Polizei und der hieraus resultierenden Anforderungen an den höheren Dienst. Diese zuletzt genannten Aspekte sollen im Folgenden außen vor bleiben, da hier bundeslandspezifische Besonderheiten berücksichtigt werden müssten. 5.1 Neue Anforderungen an die Polizei im Kerngeschäft Im Verlauf der 1980er Jahre erwachsen der Polizei neue Anforderungen im Bereich ihres Kerngeschäfts, dem Einsatzgeschehen: Zum einen wird sie konfrontiert mit neuen Formen des gesellschaftlichen Protestes (vgl. Behr, 2006, S. 33 f.). Zum anderen wird sie mit dramatischen Einsatzlagen konfrontiert, die ihr professionelles Selbstbewusstsein massiv auf die Probe stellen – zum Beispiel Geisellagen. So fordert etwa die Geisellage von Gladbeck 1988 nicht nur Opfer, sondern zwingt das polizeiliche Handeln ins Rampenlicht der Öffentlichkeit und der beißenden Kritik seitens der Medien: Polizeiliches Handeln wirkt unprofessionell, insbesondere die verantwortlichen Polizeiführer des höheren Dienstes 14
Der Begriff der „Inszenierung“ wird umgangssprachlich in der Regel mit „unaufrichtig“, „mehr Schein als Sein“, „Fassade ohne wertvollen Kern“ und so weiter assoziiert. Hier hingegen wird der Begriff im engeren, sozialwissenschaftlichen Sinne als dramaturgische Aufgabe verstanden, die notwendigerweise mit jedem Leistungsverhalten, insbesondere einem sozial exponierten Handeln, wie das von Führungskräften (nicht nur) in der Polizei einhergeht. Entsprechend dem kommunikationspsycholgischen Diktum – „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick) – gelten auch die Sätze: „Man kann nicht nicht symbolisch handeln!“ oder „Man kann nicht nicht inszenieren“. Siehe hierzu insbesondere die dramatologische Soziologie nach Goffman, aber auch Bourdieus Konzept des Habitus.
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scheinen der komplexen und eskalierenden Lage15 nicht gewachsen zu sein. Solche missglückten Einsätze haben politische Folgen: Zum Beispiel müssen Innenminister beziehungsweise -senatoren zurücktreten; zugleich wird die Diskussion über die Professionalität der Polizei und insbesondere des höheren Dienstes durch das enorme politische, mediale und öffentliche Interesse forciert. Zur Debatte steht, a) wie die Polizei ihre Definitionshoheit über das Einsatzgeschehen gewährleisten kann und zwar angesichts rabiater Medien und einer skandal- und katastrophengierigen Medienöffentlichkeit, die Informationsrecht und Unterhaltung gegeneinander ausspielt und b) welche fachlichen Anforderungen an die Bewältigung solcher komplexer Lagen zu stellen sind. Die polizeiinterne Analyse der Geisellage von Gladbeck machte deutlich, dass das entscheidende Problem weniger bei den verantwortlichen Polizeiführern lag, als vielmehr grundsätzlich bei den in dieser Zeit gängigen Konzepten für die Strategie und Taktik der Einsatzplanung und -durchführung. Deutlich wurde, dass die Befehlswege zwischen Polizeiführer und Einsatzkräften vor Ort zu lange waren, zu intransparent, dass Verantwortlichkeiten ablauforganisatorisch nicht klar definiert waren und schließlich den entscheidenden Zugriff und damit die Bewältigung der Lage verhindert hatten. Die in den missglückten Einsätzen angewandte Strategie nannte sich „Befehlsstrategie“ – ein Planungskonzept, das dem verantwortlichen Polizeiführer allein die Entscheidungsbefugnis für den sogenannten Zugriff zuteilt; dementsprechend ergeben sich zeitraubende Informationsflüsse und Befehlswege zwischen operativen Kräften vor Ort, Zwischeninstanzen und Entscheidungszentrum, die zu Fehlern und Zeitverzögerungen führen. Angesichts der neuen Komplexität der polizeilichen Einsätze (gewissermaßen auf der Höhe der Mediengesellschaft und der für sie typischen Konstruktion von Kriminalität) musste die klassische, unflexible „Befehlsstrategie“ ersetzt werden durch ein flexibleres, vor Ort unmittelbar entscheidungsfähiges Handeln: die sogenannte „Auftragsstrategie“. Hier ist es polizeilichen Einheiten, sogenannten Einsatzabschnitten vor Ort erlaubt, in zuvor definierten Lagekonstellationen beziehungsweise Einsatzerfordernissen entsprechend vereinbarter Standards beziehungsweise Einsatztaktiken zu entscheiden und zu handeln. Man kann hier auch von einem Paradigmenwechsel im professionellen Kern des Polizeiberufs, dem Einsatz sprechen. Dieser machte zugleich ein neues Grundverständnis des verantwortlichen Polizeiführers sowie neues strategie- und taktikrelevantes Wissen erforderlich.
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So war nicht nur die Geisellage als solche zu bewältigen, sondern zugleich eine bis dahin nicht gekannte Präsenz der Medien inmitten der Einsatzsituation zu berücksichtigen: Die Geiselnehmer verhandelten mit den Medienvertretern und nicht mit der Polizei!
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5.2 Veränderung des handlungsrelevanten Wissens für den höheren Dienst Im Rahmen der „Auftragstaktik“ ist das Gelingen des Einsatzes nicht mehr allein von der Professionalität, Intuition und Überdominanz des Polizeiführers abhängig. In dem Maße, wie die quasi-feudale Zentralinstanz als potentielle Gefahrenund Fehlerquelle identifiziert wird, kann beziehungsweise muss der Einsatz insgesamt als Gestaltungsaufgabe verstanden werden. Der Einsatz wird zur umfassenden Managementaufgabe, bei der
die Aufbau- und Ablauforganisation, die Standardsituationen und korrespondierende Interventionen, Einzelaufgaben, Funktionen und Verantwortlichkeiten, der Umgang mit nicht-polizeilichen Akteuren (z. B. Presse) und so weiter, geplant und umgesetzt wird.
Seit diesen dramatischen Einsatzerfahrungen werden an der PFA die polizeifachlichen Kernfächer in einem Fachbereich zusammengefasst, der sich „polizeiliches Management“ nennt. In die sogenannte „Besondere Aufbauorganisation“ (BAO) – die Gestaltung und Form des Einsatzes und damit den Kern des professionellen Selbstverständnisses der Polizei – ziehen ein weiterer Schub der Professionalisierung, der Rationalisierung und des managementorientierten Selbstverständnisses ein. 5.3 Elitenzirkulation – dynamisiert durch Generationswechsel Die Managementrationalisierung findet nicht nur im polizeilichen Einsatzgeschehen, der „BAO“ statt, sondern auch in der allgemeinen Aufbauorganisation, der „AAO“ beziehungsweise der regulären Alltagsorganisation. Man könnte auch sagen, die „Söhne des Kooperativen Führungssystems“ machen mit dem seit Ende der 1970er Jahre gültigen Führungssystem in einer Weise ernst, wie das von der vorhergehenden Generation des höheren Dienstes bislang nicht realisiert wurde. Das Kooperative Führungssystem – ein Markstein der bundesdeutschen Polizei auf dem Weg zur Bürgerpolizei – wurde angesichts der sozialen Bewegungen in den späten 1960er und 1970er Jahren entwickelt und war vor allem eine Kampfansage gegen ein autoritäres, quasi feudales Führungsverhalten. Für die Generation des höheren Dienstes in den 1970er und 1980er Jahren beinhalteten diese Führungsrichtlinien vor allem eine dialogorientierte Grundhaltung des Vorgesetzten gegenüber seinen Mitarbeitern: Das Kooperative Führungssystem (KFS) war hier eher Parole als ein methodisch-instrumenteller Werkzeugkasten, der von Führungskräften systematisch eingesetzt wurde.
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Die folgende Generation bediente sich in viel stärkerem Maße der Instrumente, die mit diesem Führungskonzept einhergehen; dies waren selbstverständlich nicht alle, vielleicht nicht einmal die meisten Mitglieder der neuen Generation des höheren Dienstes, aber immerhin eine kritische Masse, die das autoritärselbstherrliche Gebaren durch ein wertegewandeltes, eher methodenorientiertes Führungshandeln ersetzte. In diesem Sinne praktizierten sie als junge Polizeiräte Führungsinstrumente wie das Mitarbeitergespräch, Führen mit Zielen, realisierten eine bewusste Besprechungskultur, waren für kritische Rückmeldungen offen und selbst weiterbildungsorientiert. Insgesamt, und das ist der entscheidende Unterschied der jungen gegenüber den alternden „Löwen“ (Pareto), weist sich diese Elitengeneration deutlich bildungsorientierter beziehungsweise um kulturelles Kapital bemüht aus: Sie schreibt die neuen Bücher zur gewandelten Einsatzlehre, experimentiert mit neuen Führungsinstrumenten, veröffentlicht in den polizeilichen Fachzeitschriften, ist aktiv in der Aus- und Weiterbildung der Polizei an Fachhochschulen oder der PFA tätig. Diese Generation gibt sich selbstbewusst, konzept- und programmorientiert, versteht sich eher als Experte denn als statusbemühter Polizeiführer. Sie sieht sich als die neue Funktionselite, die gleichermaßen im konkreten Einsatzgeschehen wie auch im alltäglichen Führungsgeschäft erfolgreicher und professioneller ist. In dem Maße wie die „alten Löwen“ als statusgetriebene, erfolglose, bildungsresistente, engstirnige, mithin „prekäre Elite“ (Paris, 2005) erscheinen, orientieren sich die jungen Löwen in den 1990er Jahren über den Tellerrand der Polizeikultur hinaus; es ist die Zeit, in der vor allem in den Kommunalverwaltungen reformiert wird. Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung insgesamt sind beseelt von den Versprechungen neuer, vor allem betriebswirtschaftlicher Managementinstrumente. Die neue Generation des höheren Dienstes in der Polizei hat weniger Kontaktscheu gegenüber diesem bislang polizeifremden Denken, den Beratern und managerialen Sprachspielen; im Gegenteil – sie kann ihre Elitenrolle umso mehr genießen, wie sie erlebt, dass die „alternden Löwen“ nichts mehr verstehen, weder fachlich noch kulturell im Stande sind, mitzuhalten. So hospitieren sie in Wirtschaftsunternehmen, Beratungsfirmen und gebrauchen durchaus lustvoll ein manageriales Vokabular, das Aufmerksamkeits- und Distinktionsgewinne nach Innen und nach Außen einbringt. So geht es den „jungen Löwen“ nicht mehr allein um eine methodisch angeleitete Mitarbeiterführung, sondern grundlegend um eine durchgreifende Rationalisierung der Polizeiorganisation. Der bislang schon gepflegte Instrumentalismus in der Handhabung der Mitarbeiter-Führungsinstrumente steigert sich nun bezüglich der neuen Steuerungsinstrumente zur technokratischen Faszination: „Management“ in der Programmformel der „Neuen Steuerung“ wird zur Erfolgsparole nicht nur im instrumentell-technischen Sinne, sondern auch zum
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Kult, dem die neue Generation des höheren Dienstes huldigt. Wer hier nicht mithalten kann oder will, hat wenig Chancen, ernst genommen und im Kreis der Elite akzeptiert zu werden. Unterstützt wird dieser großgruppendynamische Prozess der Identitätsbildung durch Berater und Polizei-Importe, die als Lehrkräfte etwa an der PFA den managerialen Innovationsschub begleiten. Sätze wie „Dass der Zug in diese Richtung geht, sollte in jeder Dienststelle inzwischen klar sein. Unklar ist nur, wer auf dem Zug mitfährt und wer vom Bahnsteig aus den davonfahrenden Lichtern hinterher schaut“ (Christe-Zeyse, 2005, S. 94) beschreiben plastisch die kämpferische, selbstbewusste Atmosphäre im höheren Dienst dieser Zeit. Fazit: Die „jungen Löwen“ des höheren Dienstes zeichnen sich gegenüber den „alten Löwen“ durch die folgenden Merkmale aus: Sie sind deutlich konzeptorientierter – sie nehmen die Konzepte im Einsatz/BAO, in der Alltagsorganisation/AAO sowie die „Neue Steuerung“ beim Wort und versuchen sie in die Praxis zu übernehmen. Sie sind technisch-instrumentell orientiert – Methoden, Verfahren und Managementinstrumente werden genutzt und als Gewährleistung für den Erfolg der grundlegenden Konzepte verstanden. Sie sind bildungs- und lernorientiert, haben den Mut, sich über die bisherigen Grenzen polizeilichen Wissens und Sprachspiele hinaus zu orientieren. Sie sind selbstbewusst und kampflustig gegenüber den „alten Löwen“, die glaubten, sich auf dem Polizeiführer-Charisma und dem Nimbus des höheren Dienstes ausruhen zu können. Sie sind erfüllt von einem reformerischen Pionierbewusstsein – mit einer tendenziellen Überhöhung zum missionarischen Auftrag. Die hier beschriebene Elitenzirkulation in der Dramaturgie eines neuen Managerialismus ist die Atmosphäre, der kognitive und normative Nährboden für die Reformprojekte, die ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre von (einigen) Landesregierungen und Ministerien beauftragt werden. Diejenigen Bundesländer, die flächendeckende Reformprojekte unter dem Banner der „Neuen Steuerung“ in der Polizei initiierten (vor allem NordrheinWestfalen, Baden-Württemberg, die Stadtstaaten Hamburg und Bremen, zum Teil auch Niedersachsen) waren nicht durchgängig erfolgreich in ihren Bemühungen, aber ebenso wenig durchgängig erfolglos. Reform- und Veränderungsprozesse sind niemals Masterplan-gesteuerte Großoffensiven, die zu lückenlosem Erfolg führen – sie sind bei näherer Betrachtung eher Prozesse des „Durchwurstelns“, des „muddling through“, die gleichwohl einzelne Inseln des exemplarischen Erfolgs aufweisen können. Wie solche Inseln, die mitunter maßgebliche Brückenköpfe und Katalysatoren für einen gesamten Reformprozess sind, entstehen können, soll im letzten Kapitel beschrieben werden.
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Christian Barthel Der Höhere Dienst und seine Reformunternehmer – Orientierungspunkte für eine mikropolitische Studie
Weder ein Auftrag seitens der Politik noch eine aufgeheizte Pionier-Atmosphäre auf mesopolitischer Ebene (auf der Ebene des höheren Dienstes) sind ausreichende Bedingungen, damit Reformprozesse tatsächlich gelingen: Es braucht den interessierten Veränderungsunternehmer, der den Willen und die persönlichen Kompetenzen hat, der a. über die intellektuellen und konzeptionellen Kapazitäten verfügt, um die Reformaufträge nicht nur zu verstehen und in folgsamer Regelorientierung versuchsweise abzuarbeiten (um dann bei Problemen und Widerständen alles fahren zu lassen), sondern der sie situativ ausdeuten, auslegen und an organisationale und politische Gegebenheiten vor Ort anpassen kann (ohne sie gänzlich unkenntlich zu machen); b. über Politikfähigkeit verfügt, das heißt die analytische Kompetenz und den kühlen Kopf hat, Organisationen und Politikfelder zu „lesen“, das heißt, Einflusschancen und Machtverhältnisse zu identifizierten und zu nutzen. Er kann persönliche Beziehungen knüpfen, Loyalitäten und Vertrauen aufbauen, Menschen zusammenbringen, Netzwerke gestalten, mithin eine Atmosphäre der Veränderungsbereitschaft so verdichten, dass hieraus Handlungsfähigkeit und Zielorientierung entstehen können. Es ist davon auszugehen, dass dies nicht jede Führungskraft kann; im Folgenden wird ein zweidimensionales Analyseraster (Konzeptorientierung – Politikfähigkeit) vorgeschlagen, das die unterschiedlichen Handlungsstile polizeilicher Führungskräfte des höheren Dienstes im Kontext von Veränderungsprozessen zu identifizieren versucht (siehe unten Abbildung 1). „Praktiker/Locals“: gleichermaßen wenig konzept- und politikorientiert, fokussieren sie sich auf das polizeiliche Tagesgeschäft; sie orientieren sich eher an den alltäglichen Belangen des Polizeidienstes als an einer auch planbaren Zielorientierung – zumindest sehen das so ambitionierte „Veränderungsunternehmer“, aber auch die „Technokraten“, die den Praktikern vorwerfen, von Lage zu Lage zu leben, statt Ergebnisorientierung in den unterschiedlichen polizeilichen Handlungsfeldern, systematisches Management und zielorientierte Führung zu zeigen. „Karriereorientierte/die alten Cosmopolitans“: Sie können durchaus Konzepte adaptieren, gehen aber wenig persönliche Bindung daran ein; sie nutzen diese eher als Semantik, als ein Sprachspiel unter anderen, die klug instrumentalisiert werden müssen, um beruflich weiter zu kommen – zumindest sehen das so die Mitarbeiter und nachgeordneten Führungskräfte des gehobenen Dienstes, die diese Teilgruppe des höheren Dienstes als wendige Karrieristen bezeichnen, die
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zum Beispiel gerne Projekte mit offizieller Sichtbarkeitsgarantie übernehmen, um bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit die Dienststelle in Richtung Karrieresprung zu verlassen. Konzeptorientierung
„Technokraten“:
„Veränderungsunternehmer“
einsam oder autoritär
oder die neuen „Cosmopolitans“
„Praktiker“
„Karriereorientierte“
bzw. „locals“
oder die alten „Cosmopolitans“
Politikfähigkeit
Abbildung 1: Handlungsstile polizeilicher Führungskräfte
„Technokraten“ sind sehr konzeptorientiert, aber ohne glückliche Hand bezüglich der mindestens ebenso wichtigen Politikfähigkeit. Hier gibt es zum einen die Variante des konzeptverspielten, sich in seinen Controlling-Cockpit zurückziehenden Kennzahlenexperten, der Steuerungsfassaden für sich und die vorgesetzten Behörden aufbaut, aber längst den Kontakt zur operativen Basis verloren hat – die ihrerseits kaum darum trauert. Zum anderen findet sich hier die autoritäre Variante des Technokraten, der die Reformkonzepte mit Weisung und Direktive durchzusetzen versucht. Das Neue wird mit dem potenzierten Alten/Hierarchie in die Organisation gedrückt, mit glaubhaften Drohgebärden, negativen Personalbeurteilungen und ähnlichen dienstlichen Sanktionsmöglichkeiten. Der erzwungene Wandel bricht aber sofort zusammen, wenn die alltäglichen Drohfassaden nicht aufrecht erhalten werden können. Mitunter verstehen es die Mitarbeiter und operativen Führungskräfte, sich dieses herrschaftsgetriebenen Veränderungsregimes durch raffinierte Gegenmacht beziehungsweise Mikropolitik zu entledigen. „Veränderungsunternehmer/neue Cosmopolitans“: sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie gleichermaßen konzeptorientiert handeln und die Organisation beziehungsweise das relevante Politikfeld zu lesen im Stande sind. Sie sind
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den Konzepten, an denen sie in der Regel aktiv mitgearbeitet haben, äußerst verpflichtet, gleichwohl lern- und entwicklungsbereit, insbesondere wenn konkrete Situationen und Aufgabenstellungen dies erfordern. Sie sind Cosmopolitans insofern, als sie über Netzwerke und Beziehungen über ihre jeweilige Dienststelle hinaus verfügen und selbst in einem kleinen lokalen Wirkungsfeld das Konzeptionell-Paradigmatische ihrer Gestaltungsprojekte vermitteln können: gegenüber den Mitarbeitern, der Ministerialbürokratie, der Landes- oder Regionalpolitik, den Medien, auf Fachkongressen, gegenüber FH-Professoren oder Beratern. Die lokale Ebene wird hier weniger als schützende Nische gegenüber externen Zumutungen verteidigt, denn als Labor für Entwicklungsprozesse systematisch genutzt. Sie sind damit weniger der lokalen Dienststelle (als historisch gewachsener, von persönlichen Interessen und Rücksichtsnahmen gekennzeichneter Organisation) verpflichtet, als vielmehr der Polizei im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Institution. Diese kosmopolitische Grundhaltung kann man mit Hayek (1971) auch als „konstitutionelle Haltung“ kennzeichnen – mithin das Gegenteil einer Haltung, welche die Organisation als Ressource für die persönliche Besitzstands- und Karrieresicherung benutzt. Ihre Politikfähigkeit äußert sich in mobilisierbaren Netzwerken, gewissermaßen Verstärker für ihre lokalen Aktivitäten. Hier ist es sinnvoll zwischen „Netzwerken“ und „Seilschaften“ zu unterscheiden: Netzwerke sind vergleichsweise offene Konfigurationen, etwa professionelle Communities, die Teilnehmer mit ähnlichen Denk- und Handlungsweisen integrieren (vgl. Ortman, Sydow & Türk, 1997; Keupp, 1987). Seilschaften hingegen sind eher exklusive Bünde, um Ressourcenerhalt oder -erweiterung bemüht; sie fallen auseinander, wenn die Beute verteilt ist (vgl. Paris, 1998, S. 139 f.). Erfolgreiche Veränderungsunternehmer verfügen nicht nur über die Fähigkeit zur Analyse von Machtprozessen, sondern haben auch ein persönliches Motiv zur Machtausübung (vgl. McClelland, 1978) zur Nutzung von Einfluss- und Gestaltungschancen, das für den Aufbau einer tragfähigen Veränderungsarchitektur zwingend notwendig ist (vgl. Friedberg, 1995). Es soll an dieser Stelle keine mystifizierende Heldenverehrung für Veränderungsunternehmer vorgetragen werden. Sie sind keine Heroen, die als singuläre Subjekte soziale Strukturen bewegen könnten; sie sind vielmehr eine phänotypische Variante im Rahmen einer historisch und sozio-dynamisch rekonstruierbaren Elitenkonfiguration. Sie verfügen sehr wohl über besonders ausgeprägte soziale und personale Kompetenzen, das heißt mikropolitisch relevante Ressourcen wie klare Ausdrucksfähigkeit, Extrovertiertheit, Selbstbewusstsein, Aggressivität, Ehrgeiz, soziale Anpassungsfähigkeit und so weiter (siehe auch Pfeffer, 1999, S. 79); das macht sie aber nicht zu heldenhaften Einzelmenschen, sondern zu kompetenten sozialen Akteuren, die diejenigen mikropolitische Potenziale
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mobilisieren können, die a) im Politikfeld strukturell angelegt, und die b) für den Aufbau und die Stabilisierung von Veränderungsregimen unabdingbar sind. Im Folgenden sollen einige Aspekte genannt werden, die für eine (hier nicht zu leistende) Rekonstruktion der mikropolitischen Ressourcen und Strukturen eines gelungenen Veränderungsprojektes, mithin die Arbeit eines Veränderungsunternehmers, notwendig sind: Rekonstruktion der Verlaufskurve des Veränderungsunternehmers: der höhere Dienst in der Polizei absolviert unterschiedliche Funktionen, sogenannte „Verwendungen“ im Laufe seiner Karriere; er kann als Polizeirat in einer operativen Dienststelle seiner Landespolizei beginnen oder aber er wird (unmittelbar nach absolvieren der PFA/DHPol) direkt in das Innenministerium abgerufen, zum Beispiel um hier Projekte zu realisieren. Wo immer er auch beginnt – karriereförderlich sind gute Leistungen, Sichtbarkeit der Leistungen und Beziehungen; diese zu entwickeln, hat das Mitglied des höheren Dienstes in der Regel gute Chancen: gerade in Innenministerien bieten sich Chancen, mit dem Polizei-Abteilungsleiter, dem Polizeiinspekteur, wichtigen Ministerialbeamten persönlich bekannt zu werden. Der Ertrag eines Aufenthalts an diesen Orten kann sein: a) persönliche Beziehungen, Freundschaften mit wichtigen Programmentscheidern; b) Aufbau „professioneller Communities“, etwa durch die Teilnahme an Arbeitsgruppen, in denen neue fachliche Perspektiven, Methoden, Managementsprachspiele erprobt werden, wo aber auch die Bekanntschaft mit externen Beratern, Wissenschaftlern, Professionellen aus anderen Handlungsfeldern und so weiter gemacht werden kann; c) man kann sich persönlich insofern qualifizieren, als man bei solchen Karrierestationen unterschiedliche Sprachspiele kennen lernen kann und zugleich seine eigene Elastizität hinsichtlich des situativen Wechsels dieser Codes trainiert. Der Effekt dieser „tour professionnelle“ kann also die Vermehrung von kulturellem und sozialem Kapital sein. Auf- und Ausbau eines Veränderungsregimes: Ausgestattet mit diesem Kapital übernimmt man eine neue Funktion, unter Umständen wieder in einer operativen Dienststelle oder einer Mittelbehörde, in der Regel aber befördert und nun in formal einflussreicherer Stellung. Neben der Konzipierung, Kommunikation und Implementation eines Reformprojektes ist hier vor allem relevant: Mikropolitik nach oben: Mit „Sicherheit“ wird Politik gemacht – Polizisten des höheren Dienstes als Dienststellenleiter oder etwa Hauptdezernenten in Mittelbehörden sind damit die „natürlichen“ Berater ihrer Vorgesetzten. Regierungspräsidenten, Abteilungsleiter oder Landräte brauchen die Sicherheitsexperten – etwa um Kriminalitätsstatistiken deuten und politisch nutzen zu können. In der Folge entstehen Loyalitäts- und Tauschverhältnisse, die für
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beide Seiten von Nutzen sind – getauscht werden Wissen, Expertise, Knowhow gegen symbolische Unterstützung bei der Realisierung von Veränderungsprojekten oder Hilfestellung bei der Akquirierung notwendiger Sachmittel oder personeller Ressourcen. Mikropolitik nach unten: Um Neues robust zu entwickeln, braucht es Mitarbeiter, denen man vertrauen kann. Wo bekommt man diese her, wenn man sie nicht vor Ort schon immer kannte? Wenn die „tour professionnelle“ durch die Ministerialbürokratie oder andere Behörden ertragreich war, dann kann man durchaus auch auf Mitarbeiter dieser Einrichtungen zurückgreifen; man kann sie für den eigenen Verantwortungsbereich gewinnen, und – mit der Chance hinsichtlich einer beruflichen Weiterentwicklung – als loyale Unterstützer an den neuralgischen Punkten der Alltagsorganisation und des Reformunternehmens einsetzen. Mikropolitik – lateral: Innovationen brauchen sichtbaren Erfolg. So ist es taktisch klug, „frisches Blut“, „Junge Wilde“, zum Beispiel frischgebackene Räte zu akquirieren und sie in das Projekt hinein zu sozialisieren; diese haben Energie, wollen sich und anderen beweisen, dass sie erfolgreich, gut und vielleicht sogar besser sind. Aus ihnen können schließlich kämpferische und zugleich programmtrainierte Mitstreiter werden. Die „Alten Löwen“ sehen dann in der Tat „alt“ aus, und das Neue erscheint als der einzig relevante Realitätsentwurf. Symbolische Politik: Zum Arsenal der organisationspolitischen Absicherung von Reformprojekten gehört notwendigerweise auch symbolische Politik: „Tue Gutes und rede darüber!“ Marketing – etwa durch die Teilnahme an Qualitätswettbewerben (teilweise von den Bundesländern selbst initiiert oder von Universitäten wie der Verwaltungshochschule Speyer) – ist eine gute Möglichkeit zu dokumentieren, dass das eigene Projekt an der Spitze der Reformbewegung steht. Kritiker in Politik und Verwaltung können auf diese Weise zu einer ernsthaften Auseinandersetzung genötigt werden. Institutionelle Politik: Wenn die Basis, der eigene Verantwortungsbereich stabilisiert ist, wenn die „jungen Löwen“, die Akteure aus der „eigenen Truppe“ flügge geworden sind und unter Umständen selbst weiterziehen, um verantwortungsvollere Aufgaben in anderen Dienststellen zu übernehmen, dann besteht die Möglichkeit der Filialgründung – solange Loyalität, Freundschaft und intellektuelle Ausrichtung korrespondieren. Auf diese Weise kommt eine „soziale Bewegung“ in Gang, die im Politikfeld der inneren Sicherheit eines Bundeslandes zu einem wichtigen Faktor werden kann.
Die hier angerissenen „Baustellen“ einer Mikropolitik der Reform sollen deutlich machen: Das Neue oder auch nur der ernsthafte Versuch eine Organisation zu
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führen, zielorientiert auszurichten und zu steuern, kann auf eine kluge Organisations- beziehungsweise Mikropolitik nicht verzichten. Natürlich gilt es generell in Organisationen als unfein, vor allem lauthals über Einfluss, Macht- und Mikropolitik zu sprechen; dabei handelt es sich hier um nichts anderes als diejenige Normalität, die in der Polizeisprache so treffend als „Alltagsorganisation“ bezeichnet wird. Allerdings: Die Vorsicht im unverfrorenen Umgang mit dem Begriffsrepertoire der Mikropolitik ist gerade in der Polizei rational: Eine ernste Organisation wie die Polizei, die die gesellschaftliche Funktion hat, Sicherheit und Ordnung nicht nur praktisch, sondern auch symbolisch zu ermöglichen, kann nicht ohne weiteres laut über die Logik ihrer internen Aushandlungsprozesse kommunizieren. Gleichwohl: Wenn die Polizei sich die Chance gibt, über sich selbst als Organisation und maßgeblicher Akteur im Politikfeld innere Sicherheit nachzudenken, sollte dieser Aspekt der Alltagswirklichkeit nicht verdrängt werden. Diejenigen aber, die beim Thema „Mikropolitik“ moralisierend den Zeigerfinger heben und sich selbst als Bannerträger der Tugend ausrufen, sind oft genug selbst in exklusive Seilschaften eingebunden, die vor allem um eines bangen: um ihre Pfründe. Macht (nicht Herrschaft!) oder Einfluss – in der Bandbreite von Vertrauensentwicklung bis hin zu mikropolitischen Tausch- und Aushandlungsprozessen – muss also eingesetzt werden, um den Kurswechsel zu ermöglichen und zu stabilisieren. 7
Zum Schluss – eine These
Können die hier dargelegten eliten- und machttheoretischen Überlegungen – über die wissenschaftliche Reflexion hinaus – einen praktischen Nutzen für die polizeiliche Führung, das polizeiliche Management haben? Ich bin der Überzeugung, dass dem so ist! Betrachtet man die letzten 40 Jahre des Nachdenkens über die Aufgaben von Führungskräften in der Polizei, kann man zwei wichtige diskursive Zäsuren erkennen: Ab Mitte der 1970er Jahre wird das „Kooperative Führungssystem“ diskutiert und schließlich (in den 1980er Jahren) auch per Erlass in der Polizei als offizielle Führungsrichtlinie institutionalisiert; das Kooperative Führungssystem (KFS) – seinerzeit entwickelt als Reaktion auf den gesellschaftlichen Wandel („68er-Bewegung“) und den Wertewandel in der Polizei selbst – war eine entscheidende Wegmarke hin zu einer demokratietauglichen Bürgerpolizei. Ihr Schwerpunkt war (und ist) vor allem ein normativer: Der einfache Polizist ist nicht mehr der unmündige Befehlsempfänger, der hierarchische Setzungen lediglich ausführt, sondern ein auf Augenhöhe mit dem Vorgesetzten kooperierender Mitarbeiter, dessen Erfahrung und Können gefragt ist. Das Grundgesetz wird
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hier als normativer Anker einer auf Partizipation angelegten Führungslehre stark gemacht. Ab Mitte der 1990er Jahre zieht das Management-Denken in die Polizei ein (vgl. oben Abschnit 1 und 2 in diesem Beitrag): Im Vordergrund steht nun ein eher technisch-instrumenteller Optimismus hinsichtlich der Gestaltbarkeit der Polizeiorganisation. Eine wichtige, wenn auch schmerzliche Lernerfahrung war dabei, dass Organisationen offensichtlich komplexer und überraschender sind, als organisatorische Blaupausen und Steuerungsinstrumente dies versprachen. Nicht zuletzt haben diese Erfahrungen zu den Reflexionen und Erklärungsversuchen geführt, wie sie auch mit diesem Beitrag vorgelegt werden. These: Das Nachdenken in der Polizei über Führung und Management ist an einem Punkt angekommen, den man als „reflexive Wende“ (vgl. Beck, Giddens & Lash, 1996) beschreiben könnte. Normative Festlegungen für die Führungspraxis und instrumentell-technische Gestaltungsambitionen allein reichen nicht mehr hin, um die komplexe Organisation Polizei zu verstehen und auf die gesellschaftlichen Aufgaben auszurichten, die in der späten Moderne bewältigt werden müssen. „Reflexive Wende“ – das bedeutet: Die Zeit der Management- und Führungsmoden ist vorbei; man muss und darf nicht mehr auf die nächste Heilsbotschaft aus dem Beratergewerbe warten, mit dem dann die Organisation in technokratischer Unbedarftheit und normativem Appell nervös gemacht wird. Man kann jetzt wissen, wie Theorien, Konzepte, Management-Instrumente und so weiter in die Polizei hineingeraten – eben nicht als Ausdruck einer höheren Vernunft (etwa der sogenannten „freien Wirtschaft“), sondern einerseits beratergetrieben, andererseits gesteuert über den Selektions- und Distributionsmechanismus der Elite der Polizei. Das bedeutet, dass nun eine kritische Auseinandersetzung mit den Konzeptangeboten – gleichgültig ob normativ oder eher technisch – notwendig ist, und zwar auf der Grundlage einer selbstreflexiven Standortvergewisserung insbesondere der Elite der Polizei, des höheren Dienstes selbst. Selbstverständlich wird und muss weiterhin an Konzepten, Instrumenten, Führungsphilosophien gearbeitet werden, aber eben nicht in der naiven Suche nach „Neuem“ oder einer endgültigen Zauberformel für die Bewältigung von organisationaler Komplexität, sondern als kontinuierlicher, disziplinierter Prozess von Führung und Management, verklammert mit der Figur der Selbstreflexion. Es ist zu vermuten, dass die Umwandlung der Polizei-Führungsakademie in die Hochschule der deutschen Polizei diesen Prozess der selbstreflexiven Aufklärung über den eigenen Führungs- und Managementdiskurs fördert.
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Change Management an Hochschulen: Konzepte, Tools und Erfahrungen bei der Umsetzung Karlheinz Sonntag, Ralf Stegmaier und Alexandra Michel Gewandelte Anforderungen von Gesellschaft und Politik führen dazu, dass auch an Hochschulen vielfältige Veränderungen stattfinden. Derartige gravierende strukturelle Veränderungen erfordern fundierte Maßnahmen eines professionellen Change Management. In diesem Beitrag wird aufgezeigt, wie ein derartiges Change Management an Hochschulen gestaltet werden kann. Im ersten Schritt wird ein Grundverständnis der Ziele und Maßnahmen eines mitarbeiterbezogenen Change Management erarbeitet. Anschließend werden Einflussfaktoren und Zielperspektiven von Veränderungen an Hochschulen sowie deren strukturelle und prozessuale Rahmenbedingungen systematisiert. Schließlich werden am Beispiel eines konkreten Veränderungsprozesses an einer Hochschule Werkzeuge für das Change Management und Umsetzungserfahrungen dargestellt und diskutiert. 1
Organisationale Veränderung und Change Management
1.1 Grundverständnis von Wandel und Change Management Organisationale Veränderungen können die Strategie, die Produkte und Dienstleistungen, die Prozesse und Strukturen, die Anforderungen an Fähigkeiten und Wissen der Mitarbeiter oder die Kultur einer Organisation betreffen. In den meisten Fällen wird ein organisationaler Wandel Veränderungen in allen genannten Dimensionen mit sich bringen, die sich wechselseitig beeinflussen. Organisationale Veränderungen können proaktiv oder reaktiv initiiert sein (Auslöser), dabei helfen, Krisen zu bewältigen oder Chancen zu schaffen und zu nutzen (Motiv), kurzzeitig und begrenzt oder langjährig und offen verlaufen (zeitliche Dynamik), einzelne Teams beziehungsweise Abteilungen oder die gesamte Organisation betreffen (Breite), für verschiedene Mitarbeiter, Gruppen oder Bereiche der Organisation unterschiedlich nützlich sein (Valenz) und mit inkrementellen Anpassungen innerhalb bestehender Rahmenbedingungen oder einer radikalen Transformation der Rahmenbedingungen der Organisation (Tiefe) verbunden sein (Guldin, 2004; Porras & Silvers, 1991; Weick & Quinn, 1999). Aus der Perspektive der Organisationsmitglieder sind organisationale Veränderungen mit vielfältigen Anpassungsleistungen verbunden (Caldwell, Herold & Fedor, 2004; Sonntag, 2007; Stegmaier, 2007). Entsprechend sind Verände-
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Karlheinz Sonntag, Ralf Stegmaier und Alexandra Michel
rungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit Voraussetzungen dafür, dass Mitarbeiter Veränderungen unterstützen und bewältigen (Blickle & Schneider, im Druck; Gebert, 2002). Mitarbeiter1 müssen veränderte Aufgaben erledigen, die Erwartungen an eine neue Rolle verstehen, den Einsatz neuer Technologien und Methoden erlernen, soziale Beziehungen zu neuen Kollegen, Vorgesetzten oder Kunden aufbauen, mit Unsicherheit und Problemen in der Implementationsphase umgehen und gegebenenfalls persönliche Werte und ihr Selbstkonzept in Einklang mit veränderten Standards und Zielen der Organisation bringen. Auch wenn die Forschung zum Change Management stärker das Handeln von Akteuren wie Führungskräften, Projektverantwortlichen, Experten des Personalbereichs oder der internen Kommunikation in ihrer Rolle als change agents thematisiert, sollte das nicht darüber hinweg täuschen, dass Veränderungen nur dann wirklich nachhaltig implementiert werden können, wenn die „betroffenen“ Mitarbeiter Chancen und Probleme der Veränderung erkennen, auf diese hinweisen, sich bemühen Lösungen zu entwickeln und umzusetzen, ihren Kollegen bei Schwierigkeiten in der Umstellungsphase helfen und sich nicht nur für ihren eigenen „eng“ definierten Aufgabenbereich verantwortlich fühlen (Schreyögg & Noss, 2000; Weick & Quinn, 1999). Ridder (2006) hat beschrieben, wie Betroffene, die nicht hinter einer Veränderung stehen, lediglich geänderte Verhaltensweisen nach außen als Fassade demonstrieren, hinter der sie scheinbar ersetzte alte Praktiken und eingefahrene Prozesse weiterführen. 1.2 Change Management, Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit: ein Modell Unter einem mitarbeiterbezogenen Change Management sollen Maßnahmen verstanden werden, die Mitarbeiter dabei unterstützen, Veränderungen konstruktiv mitzugestalten beziehungsweise sich an Veränderungen anzupassen und diese zu bewältigen. Maßnahmen des Change Management sollten durch ein change process model begründet sein. In einem solchen Modell wird spezifiziert, wie sich eine Intervention auf eine direkt beeinflussbare Variable auswirkt, die wiederum mittels einer Reihe vermittelnder Variablen einen Effekt auf die eigentliche Ergebnisvariable ausübt (Porras & Robertson, 1992). Information, Partizipation, Unterstützung oder Anreizgestaltung zählen zu den bewährten Change Management-Maßnahmen zur Förderung der Bereitschaft und Fähigkeit zur Veränderung (vgl. Greif, Runde & Seeberg, 2004; Guldin, 2004; Sonntag & Spellenberg, 2005; Walton & Russel, 2004). Je nach Phase der Veränderung
1 Aus Gründen der Vereinfachung und Übersichtlichkeit wird im Folgenden zum Teil lediglich die maskuline Form von Personenbezeichnungen verwendet. Selbstverständlich beziehen sich sämtliche Ausführungen ebenso auf weibliche Personen.
Change Management an Hochschulen
417
(z. B. Planung, Implementation, Post-Implementation) werden mit den Change Management-Maßnahmen unterschiedliche Ziele verfolgt. Die Veränderungsbereitschaft nimmt zu, wenn Mitarbeiter überzeugt sind, dass eine Veränderung der Organisation ihnen persönlich nützt, Identität und Selbstwert durch die Veränderung nicht bedroht werden und wenn individuelle Ziele und Werte mit Zielen der Veränderung in Einklang gebracht werden können (vgl. Stegmaier, 2007). Information, Partizipation und Anreizgestaltung können die Veränderungsbereitschaft in diesem Sinne positiv beeinflussen (vgl. Abbildung 1).
Nutzen für Individuum
Information
Nutzen für Organisation
Keine Bedrohung Identität Selbstwert
Passung individueller und organisationaler Ziele/Werte
Partizipation
Anreizgestaltung Veränderungsbereitschaft Reduzierte Unsicherheit Unterstützung und Bewältigung Veränderung Erhöhte Kontrolle
Erhöhte Fairness
Veränderungsfähigkeit
Unterstützung
Passung von Anforderungen und Fähigkeiten
Abbildung 1: Determinanten von Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit.
Die Veränderungsfähigkeit ist hoch ausgeprägt, wenn Mitarbeiter über Fähigkeiten verfügen, um den veränderten Anforderungen der Arbeit gerecht zu werden. Dies kann vor allem durch unterstützende Maßnahmen erreicht werden. Ein professionelles Change Management mit den Maßnahmen Information, Partizipation, Unterstützung und Anreizgestaltung kann dazu beitragen, dass Mitarbeiter weniger verunsichert sind, mehr Kontrolle erleben und die Veränderungspro-
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Karlheinz Sonntag, Ralf Stegmaier und Alexandra Michel
zesse als möglichst fair wahrnehmen und so die Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit positiv beeinflussen (Kernan & Hanges, 2002; Stegmaier & Sonntag, 2007). Das beschriebene Modell wurde den nachfolgend beschriebenen Maßnahmen zugrunde gelegt. 1.3 Maßnahmen des Change Management Nachfolgend werden Ziele und Gestaltungsaspekte der Change ManagementMaßnahmen Steuerung, Information und Kommunikation, Partizipation, Unterstützung sowie Anreizgestaltung beschrieben. 1.3.1 Veränderungsprozesse professionell steuern durch Projektmanagement Eine erfolgreiche Veränderung geht von klar formulierten Zielen aus, die in Aufgaben und für ihre Erledigung in erforderliche Unterstützungssysteme übersetzt werden. Am Startpunkt der Veränderung steht folglich eine klare Vorstellung darüber, welche Leistungen eine Organisation erbringen möchte und von welchem Selbstverständnis sie hierbei getragen wird (Ridder, 2006). Um Veränderungsprozesse erfolgreich zu implementieren, müssen diese durch ein funktionierendes Programm- und Projektmanagement professionell gesteuert werden. Im Einzelnen gilt es hierbei, eine geeignete Projektstruktur zu definieren, verschiedene Projekte untereinander terminlich, inhaltlich und bezüglich erforderlicher Ressourcen abzustimmen, überprüfbare Meilensteine und Ergebnisse zu definieren, frühzeitig Risiken der Veränderung zu identifizieren und durch Maßnahmen zu verringern sowie den Fortschritt der Prozesse und Projektarbeiten kontinuierlich zu überprüfen (Stegmaier & Sonntag, 2007). Zu einer professionellen Steuerung der Veränderung gehört auch, die Prämissen von Veränderungsprojekten regelmäßig zu überprüfen. Stellt sich heraus, dass bestimmte Rahmenbedingungen nicht mehr gültig sind, sollten Ziele von Veränderungen gegebenenfalls modifiziert oder neu formuliert werden. Die Implementation der Veränderung wird durch deren Evaluation so zu einem Lernprozess der Organisation und ihrer Mitglieder. Wenn man Evaluationen zur Steuerung von Veränderungen einsetzt, erscheint es allerdings wichtig, auch deren mögliche negative Konsequenzen mitzureflektieren. Evaluationen können reduziertes Vertrauen in Leistungen signalisieren, weitere Evaluationen und Metaevaluationen nach sich ziehen und dazu beitragen, Leistungen, Prozesse und Strukturen mittel- und langfristig zu vereinheitlichen (Ortmann, 2000). Außerdem unterliegen Evaluationen und Veränderungen dem Risiko der Selbstreferenzialität. So beschäftigen sich Veränderungen häufig mit den Folgen oder Anpassungen vorangegangener Reformen und Evaluationen. Des Weiteren kann es zu einer ursprünglich nicht geplanten Ausweitung und Ausdifferenzierung von Veränderungs- und Evaluationsmaßnahmen
Change Management an Hochschulen
419
kommen. Dass Veränderungen nur bedingt steuerbar sind, wird auch durch das Konzept der Pfadabhängigkeit verdeutlicht. Werden Entwicklungen erst einmal angestoßen, tragen verstärkende Rückkoppelungen, „sunk cost“- oder „lock-in“Effekte dazu bei, die Richtung der Entwicklung zu stabilisieren, unabhängig davon, ob sie wirklich hätten eintreten müssen (Ortmann, 2000). 1.3.2 Information und Kommunikation systematisch gestalten Um Mitarbeiter für eine Veränderung zu gewinnen, müssen Information und Kommunikation durch entsprechende Kommunikationsstrategien und Kommunikationspläne systematisch gestaltet werden. Zunächst sollten Mitarbeiter über Gründe, Ziele, Notwendigkeit, Nutzen und zeitlichen Verlauf der Veränderungen sowie über die Auswirkungen auf den eigenen Arbeitsbereich informiert werden (Rousseau & Tijoriwala, 1999). Im Verlauf eines Veränderungsprojektes kann die Organisation die Mitarbeiter außerdem über erste Erfolge und Zwischenergebnisse sowie veränderte Rollenerwartungen informieren. Aber auch auftretende Schwierigkeiten und eventuelle Risiken müssen angemessen thematisiert werden, um die Glaubwürdigkeit der Kommunikation zu erhöhen. Bei der Wahl der Medien und Kanäle können Führungskräfte klassische (z. B. Mitarbeiterzeitung) und elektronische Medien (z. B. Newsletter, Intranet) sowie persönliche Kontakte (z. B. Teambesprechung, Workshop, Auftaktveranstaltung, Multiplikatoren in Teams) kombinieren. Darüber hinaus sollten Kanäle für Rückmeldungen, Rückfragen und Anregungen der Mitarbeiter geschaffen werden (z. B. Projekt-Hotline, elektronisches Diskussionsforum), so dass die Kommunikation nicht nur vom Management zu den Mitarbeitern, sondern auch in umgekehrter Richtung stattfinden kann. 1.3.3 Partizipation: Organisationsmitglieder an der Veränderung beteiligen Mitarbeiter können sich dann stärker mit einer Veränderung identifizieren, wenn sie ihre eigenen Ideen und Vorschläge in den Veränderungsprozess einbringen können (Wanberg & Banas, 2000; Sonntag, Benz, Edelmann & Kipfmüller, 2001). Organisationen sollten daher prüfen, wie sie Mitarbeitern eine Partizipation an der Veränderung ermöglichen können. Beispielsweise lassen sich Mitarbeiter in die Projektarbeit oder Stellvertreter für bestimmte Mitarbeiter- oder Interessengruppen in Entscheidungsgremien einbinden. Durch die Partizipation der Mitarbeiter können wertvolles Wissen und relevante Erfahrungen in die Planung, Entwicklung, Umsetzung und Anpassung von Lösungen und Konzepten einfließen. Gleichzeitig sollte man sich darauf einstellen, dass Mitarbeiter bestimmte Positionen und Sichtweisen nicht teilen und dass sie der Veränderung durchaus auch Widerstand entgegenbringen können. Organisationen müssen Widerstand jedoch nicht generell negativ bewerten, sondern können diesen als
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Karlheinz Sonntag, Ralf Stegmaier und Alexandra Michel
Ansatzpunkt betrachten, um eine Veränderung weiter zu optimieren oder deren Notwendigkeit überzeugender darzulegen (Piderit, 2000). 1.3.4 Bedarfe frühzeitig identifizieren und Unterstützung anbieten Veränderungen tragen zur Verunsicherung von Mitarbeitern bei. Die Unsicherheit kann sich auf die Stabilität der eigenen Position in der Organisation oder aber auch die Passung von veränderten Anforderungen und eigenen Kompetenzen beziehen. Beratungsangebote für verunsicherte Mitarbeiter sind daher bereits bei der Planung einer Veränderung sinnvoll. Auch sollten Mitarbeiter angemessen auf eine Mitarbeit in Projektteams vorbereitet werden. Gerade wenn es um die Nutzung von neuen Technologien, Werkzeugen und Verfahren geht, sind angemessene Unterstützungsangebote für Mitarbeiter gefordert (z. B. SupportHotline oder lokale Multiplikatoren). Darüber hinaus sollte der durch die Veränderung ausgelöste Trainingsbedarf der Mitarbeiter frühzeitig identifiziert und sichergestellt werden, dass den Mitarbeitern adäquate Trainingsmaßnahmen angeboten werden (Herscovitch & Meyer, 2002). Durch eine gute Kombination von Trainingsmaßnahmen und Unterstützungsangeboten können Organisationen ihren Mitarbeitern die Arbeit mit neuen Technologien, Prozessen und Werkzeugen erleichtern. Übernehmen Führungskräfte zudem eine Vorbildrolle und verhalten sich gemäß veränderter Ziele und Werte, fällt es den Mitarbeitern leichter, ebenfalls Einstellungen und Überzeugungen anzupassen. 1.3.5 Anreize für Veränderung gestalten Organisationen haben ein Interesse daran, dass Veränderungen nachhaltig umgesetzt werden. Hierfür müssen Anreizsysteme den Stellenwert neuer Verhaltensweisen signalisieren und angemessen bekräftigen. Dies beginnt bereits damit, dass Mitarbeiter teilweise von ihrer täglichen operativen Arbeit entlastet werden, damit sie Projektarbeiten ohne eine zu starke Doppelbelastung übernehmen können. Schließlich können Führungskräfte über Zielvereinbarungen mit ihren Mitarbeitern Ziele und Ergebnisse festlegen, die der Intention der Veränderung entsprechen (Stegmaier & Sonntag, 2007). Hierfür müssen strategische Ziele der Veränderung in konkrete individuelle Ziele für einzelne Mitarbeiter aufgelöst werden (Muck & Sonntag, 2007). Orientieren sich die Führungskräfte bei der Beurteilung der Leistung ihrer Mitarbeiter an den formulierten Zielen und werden die Beurteilungsergebnisse mit monetären und nicht-monetären Anreizen gekoppelt, kann für die Mitarbeiter eine Motivation zur Unterstützung der Veränderungsziele entstehen und gleichzeitig deren Eigenverantwortlichkeit erhöht werden.
Change Management an Hochschulen 2
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Veränderungsprozesse an Hochschulen
2.1 Ausgangssituation Gesellschaft und Politik fordern von den Hochschulen, die Studienzeiten zu verkürzen, die Praxisorientierung der Lehre zu erhöhen, berufsbezogene und wissenschaftliche Ausbildungen stärker voneinander zu trennen und die Innovationsfähigkeit der Volkswirtschaft durch Spitzenleistungen zu stärken (Conrad, 2004; Reichwald, 2000). Angesichts knapper Ressourcen sollen die Universitäten Rechenschaft ablegen, inwieweit sie ihre Mittel effektiv und effizient einsetzen. Universitäten haben auf diese Anforderungen durch vielfältige Veränderungen reagiert. Müller-Böling (2006) hat Einflussfaktoren und Zielperspektiven der Veränderung von Hochschulen anhand von sieben Themenfeldern systematisiert: Wettbewerb, Wirtschaftlichkeit, Internationalität, Virtualität, Profilbildung, Autonomie und Wissenschaftlichkeit. Zwischen den einzelnen Themen und Entwicklungen bestehen vielfältige Wechselwirkungen. So können die Profilbildung und das Streben nach Wirtschaftlichkeit als Reaktionen auf einen verstärkten Wettbewerb verstanden werden, die eine stärkere Autonomie in der Gestaltung voraussetzen. Wettbewerb: Exzellenzwettbewerb, Recht zur Auswahl von Studierenden, Evaluationen und Hochschulrankings sowie knappe Ressourcen verstärken den Wettbewerb der Universität um Finanzierungsmittel, Studierende und Wissenschaftler und sollen die Transparenz über Leistungen in Forschung und Lehre erhöhen. Die Universitäten müssen sich auf einem globalen Bildungs- und Absolventenmarkt bewähren, der gekennzeichnet ist durch eine große Nachfrage von internationalen Studiengängen, vermehrte Angebote im Bereich virtueller Universitäten, eine erleichterte Anerkennung internationaler Studienleistungen sowie eine verstärkte Konkurrenz auf dem deutschen Bildungsmarkt durch ausländische Universitäten (vgl. Reichwald, 2000). Wirtschaftlichkeit: Eine stärkere leistungsorientierte Verteilung staatlicher Mittel orientiert an Outputkennzahlen und Zielvereinbarungen soll dazu beitragen, Transparenz und Zielorientierung der Mittelverwendung zu erhöhen (MüllerBöling, 2006). Auch gewinnen professionelles Fundraising sowie Studiengebühren für die Finanzierung an Bedeutung. Entsprechend kann man beobachten, dass Universitäten Prozesse der Kosten- und Leistungsrechnung sowie des Qualitätsmanagements für Forschung, Lehre und Administration einführen (Conrad, 2004). Internationalität: Im Zuge des Bologna-Prozesses führen deutsche Universitäten flächendeckend Bachelor- und Master-Studiengänge ein. Eine erhöhte Mobilität der Studierenden geht mit einer Zunahme des Anteils ausländischer Studierender an deutschen Universitäten einher. Bestehende Strukturen, Prozesse und Einstellungen müssen an die verstärkte internationale Ausrichtung angepasst
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Karlheinz Sonntag, Ralf Stegmaier und Alexandra Michel
werden. Dies betrifft unter anderem Hochschulmarketing, Serviceangebote sowie Unterrichtssprache, Lerninhalte und didaktische Fragen der Lehrgestaltung (Müller-Böling & Buch, 2006). Sowohl in der Forschung wie auch der Lehre bilden internationale Standards Bezugspunkte, an denen sich Universitäten messen lassen. Virtualität: Technologische Fortschritte sowie eine zunehmende Akzeptanz von E-Learning-Elementen tragen dazu bei, dass innovative, durch elektronische Medien gestützte Lehr- und Lernangebote das didaktische Spektrum der universitären Lehre bereichern. Profilbildung: Unter anderem auch als Reaktion auf den verstärkten Wettbewerb arbeiten Universitäten daran, ihre Stärken auszubauen, Schwächen zu reduzieren und ihr Profil zu schärfen. In diesem Zusammenhang haben zahlreiche Universitäten Leitbilder entwickelt, die es erlauben, nach innen und nach außen Ziele, Selbstverständnis und Profil der Universität zu kommunizieren. Autonomie: Änderungen des Hochschulrahmengesetzes sowie der Landesgesetze eröffnen der Universität größere Freiräume bei der Formulierung von Zielen und Strategien sowie der Verwaltung von Mitteln und Budgets. Zielvereinbarung und Kontraktmanagement zwischen Staat und Universität sowie zwischen Universitätsleitung und Fakultäten oder Instituten nehmen als Steuerungsinstrument an Verbreitung zu und erlauben eine stärkere Dezentralisierung der Finanzverantwortung. Wissenschaftlichkeit: Um die Qualität von Forschung und Lehre zu sichern, setzen Universitäten vielfältige Instrumente der Qualitätssicherung ein. Peerreview Verfahren, Evaluierungskommissionen, Lehrevaluationen sowie integrative Systeme des Qualitätsmanagements sind hier nur einige Beispiele. 2.2 Rahmenbedingungen an Hochschulen Erfolgreiches Change Management an Universitäten muss die Rahmenbedingungen der Organisation „Hochschule“ im Gegensatz zu Wirtschaftsunternehmen reflektieren und bei der Auswahl und Gestaltung entsprechender Maßnahmen berücksichtigen. Die universitären Rahmenbedingungen lassen sich ausgehend von allgemeinen organisationstheoretischen Überlegungen oder spezifisch bezogen auf Besonderheiten der Leistungen Forschung und Lehre, Leitungs- und Entscheidungsprozessen, Anreizen und Werten, Personalmanagement, und interner Kommunikation beschreiben. 2.2.1 Organisationstheoretische Perspektive Aus einer organisationstheoretischen Perspektive können Universitäten im Sinne von Weick (1976) als lose gekoppelte Systeme verstanden werden, deren Systemelemente relativ autonom und unabhängig voneinander sind. Als Elemente
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können Fakultäten, Institute oder Lehrstühle beziehungsweise die Subsysteme Wissenschaft und Verwaltung oder die Zielgruppen wissenschaftliches Personal, Verwaltungsmitarbeiter und Studierende begriffen werden. Sie besitzen auch Merkmale professioneller Bürokratien, die durch fachliche Experten bestimmt sind (vgl. Mintzberg & Höhlein, 1992) und ein ausreichendes Maß an Selbstkontrolle fordern. Aus diesem Zusammenspiel von Selbstkontrolle und dezentraler Organisation ergeben sich besondere Herausforderungen an die Koordination und Kontrolle von Veränderungen (Euler & Seufert, 2005). Angemessene Partizipationsstrategien stellen hierfür eine Lösung dar. 2.2.2 Forschung und Lehre als Leistungen der Hochschule Bei den wissenschaftlichen Leistungen „Forschung“ und „Lehre“ handelt es sich um Dienstleistungen, die durch Interaktionen mit „Dritten“ zustande kommen (Conrad, 2004). So wird die Leistung „Lehre“ auch von der Mitarbeit und dem Anspruch der Studierenden bestimmt, die Leistung „Forschung“ hängt unter anderem auch von der Kooperation mit Kollegen und der Unterstützung durch eine professionelle Administration ab. Neue Forschungsgebiete und Studiengänge zu erschließen, setzt die Kommunikation und Kooperation zwischen verschiedenen Disziplinen innerhalb der Universität und mit externen Partnern im Rahmen innovativer Organisationsmodelle voraus (Picot, 2000). Multiple Zielsetzungen unterschiedlicher interner und externer Anspruchsgruppen sowie divergierende Konzeptualisierungen von Qualität innerhalb verschiedener wissenschaftlicher Gemeinschaften erschweren einen Konsens über zukünftige Leistungsziele (Schönwald, 2007). Diese Besonderheiten unterstreichen, wie bedeutsam es ist, die unterschiedlichen Bereiche und Akteure innerhalb der Universität in die Formulierung der Ziele von Veränderungsprojekten frühzeitig einzubinden und Raum für notwendige Diskussionen zu schaffen. 2.2.3 Leitungs- und Entscheidungsprozesse Universitäten sind in Deutschland meist als Körperschaften öffentlichen Rechts organisiert. Sie übernehmen öffentliche Aufgaben und unterliegen hierbei einer staatlichen Aufsicht. Gleichzeitig findet eine Steuerung durch die Selbstverwaltung der Universität statt (Conrad, 2004). Universitäten sehen sich auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur öffentlichen Verwaltung mit rechtlichen Bedingungen konfrontiert, die durch eigene Maßnahmen selbst nicht kurzfristig, unmittelbar und direkt beeinflusst werden können. Dies schränkt die Flexibilität bei der Umsetzung von Veränderungen, beispielsweise der Gestaltung von Anreizsystemen, ein. Veränderungen in Universitäten werden meist durch politische Prozesse und Entscheidungen initiiert, die als Ausdruck gewandelter gesellschaftspolitischer Ziele und Werte begriffen werden können. In diesem Fall gilt es, externe Anstö-
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Karlheinz Sonntag, Ralf Stegmaier und Alexandra Michel
ße konstruktiv umzusetzen (Conrad, 2004). Zunehmend sind es aber auch Universitäten, die in Pilotprojekten mit neuen Strukturen und Prozessen „experimentieren“, ihre Erfahrungen an die Politik weiterleiten und so Impulse für neue Gesetzgebungen und Regulationen geben. Leitungspositionen an Hochschulen werden auf Zeit durch Gremienwahl aus dem Kollegenkreis besetzt. Gewählte Personen kehren nach Ausübung der Leitungsrolle wieder in den Kollegenkreis zurück. Schönwald (2007) diskutiert, dass diese Befristung die Motivation von Akademikern beeinträchtigen kann, sich systematisch Managementkompetenzen anzueignen. Bei der Planung von Veränderungen ist es daher wichtig, ein realistisches Bild über die vorhandenen Kompetenzen für die Steuerung des Wandels zu gewinnen. Das Prinzip der Selbstverwaltung und Selbstabstimmung an Universitäten weist Stärken und Schwächen auf. Gerade wenn es darum geht, grundsätzliche Veränderungen voranzutreiben, führen gegensätzliche Interessen häufig dazu, dass Entscheidungen verzögert, verschleppt oder im Sinne eines Minimalkonsenses getroffen werden (Reichwald, 2000). Ein Austausch mit externen Experten oder internen Stäben kann dabei helfen, Entscheidungsblockaden in Veränderungsprozessen auflösen. 2.2.4 Anreizstrukturen und Werte Zentraler Anreiz für Wissenschaftler, die langjährige Sozialisations- und Selektionsprozesse durchlaufen haben, ist die Reputation innerhalb der jeweiligen wissenschaftlichen Community, die in Veröffentlichungen, erhaltenen Drittmitteln für Forschung, Zitationen, Gutachtertätigkeiten, Übernahme von Ehrenämtern oder im Erhalt von Preisen ihren Ausdruck findet (Ziegele & Handel, 2004). Wissenschaftler identifizieren sich vor allem mit ihrer wissenschaftlichen Community und den Normen der eigenen Fachdisziplin und schätzen das Gut der wissenschaftlichen Freiheit in Forschung und Lehre (Schönwald, 2007). Ein Engagement für die Selbstverwaltung der Universität, beispielsweise zur Umsetzung organisationaler Veränderungen, wird von vielen Universitätsangehörigen als eine unattraktive zusätzliche Belastung betrachtet, die bei Leistungsbeurteilungen und Karriereentscheidungen nicht angemessen berücksichtigt wird (Ridder, 2006). Aus diesen Gründen ist es gerade an Hochschulen wichtig, Organisationsmitglieder durch Informationen und Anreize für die Mitwirkung an organisationalen Veränderungen zu gewinnen. 2.2.5 Personalmanagement Picot (2000) sieht die personenbezogene Neuerungsfähigkeit in Universitäten durch eine mangelnde Flexibilität bei der Besetzung von Führungspositionen in Verwaltung und akademischem Bereich eingeschränkt. Universitäten können
Change Management an Hochschulen
425
nicht wie in Unternehmen üblich nach einem Strategiewechsel zahlreiche Mitglieder des Top-Managements austauschen, um auf diese Weise solche Manager in zentrale Positionen zu bringen, die hinter den veränderten Zielen und einer neuen Strategie stehen. Auch für die Personalentwicklung ergeben sich einige Besonderheiten. Meister-Scheytt und Scheytt (2004) kommen zu dem Fazit, dass die Personalentwicklung an Universitäten nicht ausreichend strategisch ausgerichtet ist. Zwar werden vielfältige Trainings- und Entwicklungsmaßnahmen angeboten, doch selten werden diese aus strategischen Zielen abgeleitet. Bei der Planung von Veränderungen sollten daher auch systematisch neue Trainingsbedarfe ermittelt und durch entsprechende Angebote erfüllt werden. Bei der Vermittlung von Managementkompetenzen bestehen Herausforderungen, um potenzielle Teilnehmer für Angebote zu gewinnen. Professoren, die durch langjährige Kompetenzentwicklung als Experten in ihrem Fachgebiet gelten, können die Teilnahme an Weiterbildungsangeboten im Bereich der Managementkompetenz als Ausdruck persönlicher Defizite bewerten und eher vermeiden (Pellert, 1999, 2004; Schönwald, 2007). Gerade wenn universitäre Führungskräfte komplexere Veränderungen umsetzen sollen, bietet es sich an, zusätzliche Managementkompetenzen durch Training zu fördern oder durch Kooperation mit Experten zu erschließen. 2.2.6 Kommunikation Kommunikation in Hochschulen ist im Vergleich zu privatwirtschaftlichen Organisationen weniger formalisiert. Auch wenn sich zunehmend Instrumente wie zielgruppenspezifische Mailverteiler oder professionell gestaltete und betreute Internetlösungen verbreiten, findet Kommunikation vor allem in Gremien statt. Nicht immer werden dort Informationen ergebnisorientiert ausgetauscht, da Fragen der Moderation oder angemessenen Themenwahl häufig vernachlässigt werden (Pellert, 2004; Schönwald, 2007). Bei der Entwicklung von Kommunikationsstrategien für Veränderungsprozesse sollte man daher zunächst ein Bild gewinnen, wo Stärken und Schwächen der internen Kommunikation in der Hochschule liegen, welche Infrastruktur zur Verfügung steht und welche Medien und Kanäle sich in der bisherigen Kommunikation bewährt haben. 2.3 Studien zum Change Management an Hochschulen Mittlerweile liegen systematische Studien zum Change Management speziell für Hochschulen vor, die sich beispielsweise mit der Einführung von E-LearningInnovationen (Fuchs, 2007; Schönwald, 2007), der Anpassungen von Curricula (Cohen, Fetters & Fleischmann, 2005) oder der Umsetzung von Strategien (vgl. Meiser, Stegmaier & Sonntag, in Druck; Michel, Sonntag, Stegmaier & Meiser,
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Karlheinz Sonntag, Ralf Stegmaier und Alexandra Michel
in Druck) befassten. Die Studien zur Implementation von E-Learning konnten belegen, dass integrative Change Management-Lösungen erforderlich sind, um Veränderungen nachhaltig zu implementieren. Wurden Trainings- und Beratungsmaßnahmen, didaktische Szenarien, Evaluationsansätze sowie Anreizsysteme aufeinander abgestimmt implementiert und von der Universitätsleitung unterstützt, wirkte sich dies positiv auf die Nutzung und Verbreitung der ELearning-Innovationen aus (Fuchs, 2007; Schönwald, 2007). Bei Veränderungen des Curriculums und der Einführung von Prozessen und Strukturen des Qualitätsmanagements an einem amerikanischen College zeigte sich, dass es nicht in erster Linie darum ging, die Möglichkeiten zur Partizipation für Lehrende zu erhöhen, sondern darum, diese so zu steuern, dass Entscheidungen weder zu autoritär getroffen noch durch zu starke Gleichberechtigung unverhältnismäßig lang hinausgezögert oder verhindert wurden (Cohen, Fetters & Fleischmann, 2005). Ergebnisse eigener Forschung zur Evaluation der Strategieumsetzung an der Universität Heidelberg haben gezeigt, dass die Qualität von Information und Partizipation in positiver Beziehung zum Commitment von Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitern gegenüber den Veränderungen und deren Unterstützung stand (vgl. Abbildungen 2 und 3). Je besser sich die Befragten über die Ziele der Veränderungen informiert fühlten und je mehr sie sich mit eigenen Ideen an den Veränderungen beteiligen konnten, desto eher bewerteten sie den Wandel positiv und waren bereit, an dessen Umsetzung aktiv mitzuwirken (vgl. Meiser et al., in Druck; Michel et al., in Druck). In Abschnitt 3 dieses Beitrags werden die Erfahrungen aus diesem Forschungsprojekt ausführlich beschrieben. Studien in privatwirtschaftlichen Organisationen haben jedoch auch gezeigt, dass der Kontext, in dem Mitarbeiter arbeiten, beeinflusst, wie diese mit Veränderungen umgehen (Herold, Fedor & Caldwell, 2007). Angemessene Komplexität der Arbeit, Entscheidungsspielräume und Autonomie oder ein Klima psychologischer Sicherheit erleichterten es Mitarbeitern, Veränderungen zu bewältigen (Cunningham, Woodward, Shannon, MacIntosh, Lendrum & Rosenbloom, 2002; Edmondson, Bohmer & Pisano, 2001; Molter, Stegmaier, Noefer & Sonntag, 2008; Sonntag, Benz, Edelmann & Kipfmüller, 2001). 3
Change Management an einer Hochschule: Praxisbeispiel
Am Beispiel der Strategieumsetzung an der Universität Heidelberg soll dargestellt werden, wie Change Management an Hochschulen systematisch gestaltet werden kann. Das Change Management orientierte sich an den in Abschnitt 1 beschriebenen grundlegenden Überlegungen zu Veränderungen sowie an den in
Change Management an Hochschulen
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.314**
Commitment zu den Veränderungen
Information .3 28 ** ** 83
.1
Partizipation
.289**
Veränderungsverhalten – Unterstützung
Anmerkungen: *p < .05; **p < .01; N=750; Befragungsteilnehmer: Studierende. Abbildung 2: Zusammenhänge zwischen Information und Partizipation und Commitment zu den Veränderungen sowie Unterstützung der Veränderungen (Zielgruppe Studierende).
Abschnitt 2 herausgearbeiteten Rahmenbedingungen für universitäre Veränderungen. Exemplarisch werden Werkzeuge zur professionellen Steuerung von Veränderungsprozessen, zur systematischen Gestaltung von Information und Kommunikation sowie zum Ermöglichen von Partizipation beschrieben (vgl. Übersicht 1). Zusätzlich werden konkrete Erfahrungen aus der Arbeit mit den Change Management-Instrumenten diskutiert. Im Oktober 2004 hatten Universitätsrat und Rektorat der Universität Heidelberg ein Strategiepapier (Bettermann & Hommelhoff, 2004) veröffentlicht und 38 Veränderungsprojekte zur zukünftigen strategischen Ausrichtung der Universität beschrieben. Das strategische Ziel war, die Ruprecht-Karls-Universität in Heidel
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Karlheinz Sonntag, Ralf Stegmaier und Alexandra Michel
.41**
Commitment zu den Veränderungen
Information .4 9* * * 0*
.2
Partizipation
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Veränderungsverhalten – Unterstützung
Anmerkungen: *p < .05; **p < .01; N=123; Befragungsteilnehmer: Wissenschaftliche Mitarbeiter Abbildung 3: Zusammenhänge zwischen Information und Partizipation und Commitment zu den Veränderungen sowie Unterstützung der Veränderungen (Zielgruppe wissenschaftliche Mitarbeiter).
berg in den kommenden Jahren zu einer der führenden Hochschulen Europas zu entwickeln. Die Veränderungsprozesse zielten auf die Optimierung unterschiedlicher Bereiche der Universität. So betrafen Veränderungsprojekte beispielsweise Verbesserungen von Studienbedingungen (z. B. Bachelor- und Masterumstellung, Einrichtung eines Studierendenservices), die Förderung junger Wissenschaftler (z. B. Einrichtung attraktiver Karrierewege für junge Wissenschaftler, familienfreundliche Maßnahmen), den Ausbau internationaler Kooperationen im Bereich Forschung sowie die Stärkung der Personalentwicklung für Wissenschaftler an der Hochschule.
Change Management an Hochschulen
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Übersicht 1: Werkzeuge für das Change Management Change Management Tools zur Unterstützung der Strategieumsetzung an der Universität Heidelberg
Veränderungsprozesse professionell steuern
Information und Kommunikation systematisch gestalten
Partizipation ermöglichen
Definition einer Projektstruktur
Kommunikationsstrategien und Kommunikationspläne
Fokusgruppen zur Optimierung von Veränderungsprozessen
Controlling der Projekte durch Statusberichte
Informations- und Diskussionsveranstaltung mit der „Fishbowl“-Methode
Online-Befragung zur Ermittlung der Reaktion auf Veränderungen
3.1 Veränderungsprozesse professionell steuern Zur Steuerung der vielfältigen universitären Veränderungsprozesse wurde an der Universität Heidelberg für die Strategieumsetzung eine Projektstruktur definiert. Der Fortschritt einzelner Projekte wurde durch ein Controlling ermittelt. 3.1.1 Projektstrukturen definieren In Abstimmung mit den Entscheidungsgremien der Universität wurde zunächst eine Projektstruktur für die Strategieumsetzung festgelegt (vgl. UniSpiegel Spezial, Frühjahr 2006). In der Projektstruktur waren die beiden Entscheidungsgremien der Universität, der Lenkungsausschuss, das Rektorat, die zur Begleitung der Veränderungsprozesse eingerichtete Stabsstelle Strategie und Kommunikation sowie ein wissenschaftliches Evaluationsprojekt verankert. Die Projektstruktur wird in Abbildung 4 dargestellt. Im Lenkungsausschuss steuerten Vertreter des Rektorats sowie der beiden Entscheidungsgremien für strategische und akademische Angelegenheiten gemeinsam die Veränderungsprojekte. Die Leitung der 38 Projekte wurde von den Mitgliedern des Rektorats übernommen. Zu den Aufgaben der Stabsstelle Strategie und Kommunikation gehörten unter anderem die Beratung der Projektleiter bei der Entwicklung und Umsetzung von Change Management-Maßnahmen sowie die Unterstützung der Projektleiter beim Projektmanagement. Das wissenschaftliche Evaluationsprojekt, besetzt mit zwei Arbeits- und Organisations-
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Karlheinz Sonntag, Ralf Stegmaier und Alexandra Michel
Entscheidungsgremium für strategische Angelegenheiten
Entscheidungsgremium für akademische Angelegenheiten
Lenkungsausschuss
Wissenschaftliches Evaluationsprojekt
Universitätsleitung
Stabsstelle Strategie und Kommunikation
Abbildung 4: Projektstruktur
psychologen, übernahm die Evaluation der Maßnahmen des Change Management sowie der Reaktionen der Mitarbeiter auf die Veränderungen. Hierdurch sollte ermittelt werden, inwieweit die Mitarbeiter über die Veränderungsprojekte informiert waren, sie sich an der Projektarbeit beteiligen konnten, die Mitarbeiter die Veränderungen als nützlich für die Universität bewerteten und sie Veränderungen unterstützen wollten. Die Evaluationsergebnisse sowie aus diesen abgeleitete Handlungsempfehlungen für das Change Management wurden vom Evaluationsprojekt im Lenkungsausschuss präsentiert. 3.1.2 Controlling der Projekte durch Statusberichte verankern Voraussetzung für das Controlling der Veränderungsprojekte war, dass Termine für das Erzielen von Projektergebnissen in einem Projektplan durch die Projekt-
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leiter festgelegt und durch den Lenkungsausschuss beschlossen wurden. Durch ein regelmäßiges Controlling des Projektstandes können Hindernisse, die möglicherweise die Erreichung der Projektziele beeinträchtigen, frühzeitig aufgedeckt und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Als Instrument für das Controlling der Projekte wurde in der Stabsstelle Strategie und Kommunikation ein Statusbericht entwickelt, den die Projektleiter einsetzten, um im Lenkungsausschuss halbjährlich über die einzelnen Veränderungsprojekte zu informieren (vgl. Übersicht 2). Im Statusbericht wurden Ergebnisse des Projektes aus der aktuellen Berichtsperiode und für die nächste Berichtsperiode geplante Projektergebnisse dokumentiert. Außerdem wurden anstehende Entscheidungen, mögliche Risiken und Hindernisse, erforderliche Anpassungen von Meilensteinen und Terminen sowie benötigte Ressourcen für die weitere Projektarbeit identifiziert. 3.2 Information und Kommunikation systematisch gestalten Um Information und Kommunikation bei der Strategieumsetzung systematisch zu gestalten, wurden Kommunikationsstrategien und Kommunikationspläne formuliert. Für Informations- und Diskussionsveranstaltung wurden geeignete, innovative Konzepte wie beispielsweise die „Fishbowl“-Methode eingesetzt. 3.2.1 Kommunikationsstrategien und Kommunikationspläne Für die Zielgruppen wissenschaftliche Mitarbeiter und Studierende wurde jeweils eine eigene Kommunikationsstrategie formuliert. Es wurden dazu Eckpunkte festgelegt, nach welchen Prinzipien die Kommunikation erfolgen soll, welche Medien und Kanäle hierfür geeignet sind und welche Themen und Inhalte behandelt werden sollen. In detaillierten Kommunikationsplänen wurden einzelne Maßnahmen durch Angaben zu Zeitpunkt, Inhalten, Medium, Sender, Empfänger sowie Verantwortlichen für die Vorbereitung weiter konkretisiert. In Übersicht 3 wird ein Auszug aus einem Kommunikationsplan für das Veränderungsprojekt „Neue Fördermöglichkeiten für junge Wissenschaftler“ dargestellt. 3.2.2 Informations- und Diskussionsveranstaltung mit der „Fishbowl“-Methode Um junge Wissenschaftler über zukünftige Karrierewege und Fördermöglichkeiten zu informieren und diese auch zu diskutieren, wurde eine Informations- und Diskussionsveranstaltung durchgeführt. Im ersten Teil wurden neue Karrierewege und Fördermöglichkeiten präsentiert, im zweiten Teil diskutierten Universitätsleitung und junge Wissenschaftler über die Karrierewege und Fördermöglichkeiten.
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Übersicht 2: Vorlage Statusbericht
Projekt-Status-Bericht Stand: Projektbezeichnung:
Projektleiter:
Berichtsperiode: von bis
1. Zentrale Ergebnisse der vergangenen Berichtsperiode
2. Geplante Ergebnisse für die kommende Berichtsperiode
3. Projektverlauf im Plan Begründung: ja nein 4. Erkennbare Probleme und Risiken für die nächsten Schritte
5. Benötigte Ressourcen für die nächsten Schritte
6. Geänderte Meilensteine gegenüber dem Projektplan
7. Zu entscheidende Punkte durch den Lenkungsausschuss
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Übersicht 3: Kommunikationsplan zu dem Veränderungsprojekt „Neue Fördermöglichkeiten für junge Wissenschaftler“ Ausgangssituation: Verabschiedung des Konzeptes zur Förderung junger Wissenschaftler Zeitachse
Inhalte
Kommunika- Akteur/ tionsVermittler medium
Herbst 2005
Versand des Konzeptes
Post Email
Universitätsleitung
Adressaten/ Zielgruppe
Junge Wissenschaftler: Habilitanden, Forschungsgruppenleiter Doktoranden
Verantwortung für Inhalte und Durchführung der Maßnahme Gremium, das das Konzept entwickelt hat
Professoren
Herbst 2005
Einstellung Internet des Konzeptes in das Internet
Universitätsleitung
Universitätsinterne und externe Öffentlichkeit
Gremium, das das Konzept entwickelt hat Internetbeauftragter
Frühjahr 2006
Sommer 2006
Bericht über Uni-Zeitung das Konzept in der UniZeitung
Universitätsleitung
Informations- Persönliche und Diskussi- Begegnung onsveranstaltung zu den Fördermöglichkeiten für junge Mitarbeiter
Universitätsleitung Mitwirkende an der Konzeptentwicklung
Universitätsinterne und externe Öffentlichkeit Junge Wissenschaftler: Habilitanden, Forschungsgruppenleiter Doktoranden Professoren Interessierte Studierende
Universitätsleitung Presseabteilung
Universitätsleitung Stabsstelle für Strategie und Kommunikation
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Der zweite Teil der Veranstaltung wurde mit der „Fishbowl“-Methode gestaltet. Die „Fishbowl“-Methode hebt die in Podiumsdiskussionen bestehende Distanz zwischen Rednern und Publikum auf und bietet Raum für eine gleichberechtigte Diskussion unabhängig von der jeweiligen Rolle des Redners und dessen Redegewandtheit. Hierzu wird der Raum so gestaltet, dass sechs bis acht Stühle in einem Innenkreis stehen. Dieser Innenkreis wird von einem oder auch mehreren Außenkreisen umschlossen. Die „Fishbowl“-Methode, häufig eingesetzt als innovatives Werkzeug für Lehre und Unterricht, orientiert sich an vier grundlegenden Regeln (vgl. Kane, 1995): (1) Die Teilnehmenden im Innenkreis diskutieren miteinander, die anderen im Außenkreis hören zu. (2) Wenn eine Person aus dem Außenkreis an der Diskussion teilnehmen möchte, muss sie sich entweder auf einen freien Stuhl im Innenkreis setzen oder einem Diskutierenden auf die Schulter klopfen und sich hinter den Stuhl stellen. Die Person auf dem Stuhl darf ihren Beitrag zur Diskussion noch zu Ende formulieren und verlässt anschließend den Kreis. Die andere Person nimmt dann den freigewordenen Platz ein. (3) Ebenso kann jede Person im Innenkreis zu jedem Zeitpunkt ihren Platz verlassen, wenn sie in der Diskussion pausieren oder nicht mehr teilnehmen möchte. (4) Verlässt eine Person den Kreis, kann sie trotzdem später in diesen zurückkehren. Die „Fishbowl“-Methode wurde leicht variiert. Im inneren Stuhlkreis gab es je vier Plätze für die Universitätsleitung (Rektoratsmitglieder, Dekane etc.) und Projektmitarbeiter sowie je vier Plätze für das Publikum der wissenschaftlichen Mitarbeiter (vgl. Abbildung 5). Innerhalb jeder Gruppe konnten entsprechend der „Fishbowl“-Regeln Teilnehmer wechseln. Diese Variation der Methode hat dazu beigetragen, dass Universitätsleitung sowie Projektverantwortliche und junge Wissenschaftler miteinander intensiv diskutieren und inhaltliche Fragen klären konnten. Es war hilfreich, zwei bis drei Personen als „Eisbrecher“ zu gewinnen, die als erste in den „Fishbowl“ gingen und mit der Diskussion begannen. Anregungen aus der Veranstaltung zur weiteren Gestaltung der Karrierewege junger Wissenschaftler wurden in einem Protokoll dokumentiert und allen Beteiligten zur Verfügung gestellt. 3.3 Partizipation ermöglichen Um für wissenschaftliche Mitarbeiter und Studierende Möglichkeiten zur Partizipation an den Veränderungen zu schaffen, wurden Fokusgruppen sowie Online-Befragungen an der Universität Heidelberg durchgeführt.
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Für Rektorat und Redner reservierte Plätze
Diskussionsplätze Rektorat
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Diskussionsplätze Wissenschaftler
Wissenschaftler
Abbildung 5: Informations- und Diskussionveranstaltung mit der Fishbowl-Methode (Skizze der Sitzanordnung)
3.3.1 Fokusgruppen zur Optimierung von Veränderungsprozessen In Fokusgruppen werden spezifische Themen in einer moderierten Gruppe diskutiert. Durch die Interaktion und die verschiedenen Meinungen und Perspektiven der Gruppenmitglieder können Ideen, Fragen und Anmerkungen kritisch beleuchtet und gemeinsame Lösungen oder Vorschläge erarbeitet werden (Barbour & Kitzinger, 1999). An der Universität Heidelberg wurden Fokusgruppen mit Vertretern der Studierenden und des akademischen Mittelbaus durchgeführt, um das bisherige Change Management bei der Strategieumsetzung zu reflektieren und Empfehlungen für die weitere Gestaltung der Veränderungsprozesse zu erarbeiten. In Übersicht 4 wird der Ablauf einer zweistündigen Fokusgruppensitzung dargestellt.
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Übersicht 4: Ablauf einer Fokusgruppensitzung Teilnehmerkreis: Studentische Vertreter oder Vertreter des akademischen Mittelbaus aus jeder Fakultät Teilnehmeranzahl: 6-8 Personen Moderation: 1-2 Moderatoren Dauer: 2 Stunden Materialien: 2 Pinnwände, 1 Flipchart, Klebepunkte Einführung (15 Min.) Die Moderation begrüßte die Teilnehmenden, stellte die Ziele sowie den Ablauf des Workshops der Fokusgruppe vor. Mit der Arbeit in der Fokusgruppe wurden zwei Ziele verfolgt: Zum einen sollte gesammelt werden, wie die Veränderungen an der Universität Heidelberg in den Fakultäten wahrgenommen und bewertet wurden, zum anderen sollten Anregungen und Handlungsempfehlungen für die weitere Gestaltung der Veränderungen an der Universität erarbeitet werden. Ferner wurde mit den Teilnehmenden vereinbart, dass Ergebnisse aus der Fokusgruppe nur in anonymisierter Form an die Universitätsleitung und innerhalb der Fakultäten kommuniziert werden. Kritische Reflektion der Gestaltung bisheriger Veränderungsprozesse (45 Min.) Alle Teilnehmenden reflektierten anhand zweier Leitfragen zunächst in Einzelarbeit die bisherige Gestaltung der Veränderungsprozesse und hielten ihre Bewertungen auf Pin-Karten stichpunktartig fest. Anschließend stellten die Fakultätsvertreter ihre Ergebnisse den anderen Teilnehmenden in der Fokusgruppe vor. Raum für Nachfragen und erste Diskussionen wurde durch die Moderation explizit gegeben. Leitfragen: Was lief gut hinsichtlich der Veränderungen an der Universität Heidelberg? Was lief nicht so gut hinsichtlich der Veränderungen an der Universität Heidelberg? Anregungen für die zukünftige Gestaltung der Veränderungsprozesse (45 Min.) Im nächsten Schritt formulierten und diskutierten die Teilnehmenden anhand einer Leitfrage Anregungen zur weiteren Gestaltung der Veränderungsprozesse. Diese Anregungen wurden von der Moderation auf einem Flipchart festgehalten. Leitfrage: Was sollte wie bei der Gestaltung der Veränderungen an der Universität Heidelberg zukünftig verändert/verbessert werden?
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Fortsetzung Übersicht 4: Ablauf einer Fokusgruppensitzung Priorisierung der Anregungen (10 Min.) Im letzten Schritt wurden die Teilnehmenden gebeten, die Anregungen zu priorisieren, die in der nächsten Sitzung des Lenkungsausschusses vorgestellt werden sollten. Verabschiedung und Ergebnissicherung (5 Min.) In der Abschlussrunde wurde vereinbart, den Teilnehmenden die Ergebnisse anonymisiert als Fotoprotokoll zur Verfügung zu stellen.
Einige der Teilnehmenden standen zunächst der Arbeit in der Fokusgruppe skeptisch gegenüber. Sie befürchteten wenig zielorientierte Diskussionen, deren Ergebnisse die Universitätsleitung nicht beachten würde. Durch eine stringente Moderation und das Zusichern der Anonymisierung der Ergebnisse waren die Teilnehmenden jedoch bereit, offen Kritikpunkte und Anregungen zu benennen und zu diskutieren. Für die Motivation der Fokusgruppenarbeit war es wichtig, dass die Ergebnisse im Lenkungsausschuss diskutiert und, sofern zutreffend und umsetzbar, beim weiteren Change Management berücksichtigt wurden. Die meisten Anregungen betrafen das strategische Vorgehen bei der Planung und Umsetzung der Veränderungsprojekte sowie die Kommunikation und Partizipation. Die Ergebnisse und Anregungen aus den Fokusgruppen wurden im Lenkungsausschuss präsentiert und diskutiert. Alle Interessierten konnten die Ergebnisse auf der Homepage des wissenschaftlichen Evaluationsprojekts nachlesen. 3.3.2 Online-Befragung zur Ermittlung der Reaktion auf Veränderungen An der Universität Heidelberg wurden drei Online-Befragungen zur Evaluation des Change Management bei der Strategieumsetzung in regelmäßigen Abständen über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren durchgeführt. Befragt wurden Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter. Die Befragungsteilnehmer konnten beispielsweise angeben, inwiefern sie über die Veränderungsprojekte informiert wurden, sie die Ziele der Veränderungsprojekte als sinnvoll und nützlich bewerteten und sie die Veränderung unterstützen wollten. Die Ergebnisse aller drei Befragungen waren auf der Homepage des wissenschaftlichen Evaluationsprojekts abrufbar. Bei Veränderungen an einer Hochschule erlauben es Online-Befragungen, alle Mitglieder der Universität in die Bewertung und Gestaltung der Entwicklun-
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gen aufwandsökonomisch einzubinden. Aus unseren Erfahrungen ergeben sich folgende Empfehlungen für die Vorbereitung, Umsetzung und Nachbereitung von Online-Befragungen. Vor der Befragung sollten die Teilnehmer ausführlich über Ziele und Nutzen der Befragung informiert werden. Eine Zusicherung der anonymisierten Weitergabe der Befragungsergebnisse erhöht die Bereitschaft, offen und ehrlich zu antworten. Mit der Befragung verbundene Befürchtungen können verringert werden, indem Verantwortliche für das Change Management die Ziele und Inhalte des Fragebogens in den Instituten, Fakultäten und Fachschaften vorstellen. Außerdem ist zu beachten, dass nicht alle Personen gleich gut über Mailverteiler zu erreichen sind. Die Teilnehmerrate kann erhöht werden, indem man die Befragung zusätzlich über die Homepage der Universität, schwarze Bretter, Besprechungen oder Vorlesungen ankündigt. Während der Befragung ist es hilfreich eine telefonische Hotline einzurichten, damit beispielsweise technische Fragen geklärt werden können. Werden auf diese Weise technische Probleme erkannt, können diese zeitnah behoben und somit Abbruchraten verringert werden. Über eine Kontaktadresse können Befragungsteilnehmer per Mail oder auch telefonisch Anregungen zur Gestaltung des Fragebogens geben. Nach der Befragung sollten die Ergebnisse in relevanten Entscheidungsgremien präsentiert und interessierten Hochschulmitgliedern im Internet zur Verfügung gestellt werden. Dieses transparente Vorgehen kann dazu beitragen, dass mehr Hochschulmitglieder an den Veränderungen mitarbeiten möchten. 4
Fazit
Im Beitrag wurde deutlich, wie vielfältig die Veränderungen sind, die aktuell an deutschen Hochschulen stattfinden. Organisationaler Wandel ist somit keinesfalls mehr ein Thema, das vor allem privatwirtschaftliche Organisationen betrifft. Erfahrungen aus vielfältigen Studien konnten demonstrieren, dass Instrumente des Change Management wie professionelle Steuerung, Information, Kommunikation, Partizipation oder Anreizgestaltung auch in Hochschulen dazu beitragen können, Veränderungen nachhaltiger zu implementieren. Dies setzt allerdings voraus, dass Instrumente und Maßnahmen so eingesetzt werden, dass sie den strukturellen, prozessualen und personellen Besonderheiten der Organisation Hochschule, in ihrer jeweils spezifischen Ausprägung gerecht werden.
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Autorenverzeichnis Dipl.-Kauffrau Kerstin Alfes, Universität Bern, Institut für Organisation und Personal, Abteilung Personal, Engehaldenstr. 4, CH-3012 Bern. Dr. Christian Barthel, Deutsche Hochschule der Polizei, Zum Roten Berge 1824, 48165 Münster. Apl. Prof. Dr. Dieter Beck, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Postfach 1409, 67324 Speyer; Büro für Angewandte Psychologie, Beethovenstraße 15, 66132 Saarbrücken. Prof. Dr. Jörg Bogumil, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Sozialwissenschaft, Lehrstuhl Vergleichende Stadt- und Regionalpolitik, Universitätsstr. 150, GC 05/703, 44801 Bochum. Prof. Dr. Carl Böhret, (em.), Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Postfach 1409, 67324 Speyer. Prof. Dr. Hans Peter Bull, Falckweg 16, 22605 Hamburg. Dipl.-Psych. Tilmann Eckloff, Universität Hamburg, Fachbereich Psychologie, Von-Melle-Park 5, 20146 Hamburg. Prof. Dr. Rudolf Fisch, (em.), Vorsitzender der Hochschulleitung, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Ostenstraße 26, 85072 Eichstätt. Dr. Peter Fischer, The University of Exeter, The Queen’s Drive, Exeter, Devon, UK EX4 4QJ. Prof. Dr. Dieter Frey, Institut für Psychologie, Sozialpsychologie, LudwigMaximilians-Universität München, Leopoldstr. 13, 80802 München. Prof. Dr. Hans Georg Gemünden, Technische Universität Berlin, Fakultät VIII, Wirtschaft und Management, Institut für Technologie und Management, Straße des 17. Juni135, H71, 10623 Berlin. Dr. Marit Gerkhardt, Savia-Consulting, Stormstraße 28, 30177 Hannover. Prof. Dr. Siegfried Greif, Universität Osnabrück, Seminarstr. 20, 49069 Osnabrück. Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen Hauschildt†, Universität Kiel, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Institut für Betriebswirtschaftslehre, Ohlshausenstraße 40, 24118 Kiel.
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Autorenverzeichnis
Prof. Dr. Ingela Jöns, Universität Mannheim, Lehrstuhl Psychologie I, Schlosshof Ehrenhof Ost 248, 68131 Mannheim. Dipl.-Ing. Alexander Kock, MSc., Technische Universität Berlin, Institut für Technologie und Management, Lehrstuhl für Innovations- und Technologiemanagement, Prof. Dr. H. G. Gemünden, Straße des 17. Juni 135, Sekr. H71, 10623 Berlin. Dipl.-Psych. Alexandra Michel, Universität Heidelberg, Psychologisches Institut, Hauptstraße 47-51, 69117 Heidelberg. Dr. Andrea Müller, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, School of Management, Postfach 958, CH-8401 Winterthur. Prof. Dr. Walter A. Oechsler, Universität Mannheim, Lehrstuhl für ABWL Personalwesen und Arbeitswissenschaft, Schloss, 68161 Mannheim Dr. Niels van Quaquebeke, Universität Hamburg, Fachbereich Psychologie, Von-Melle-Park 5, 20146 Hamburg. Prof. Dr. Søren Salomo, Center for Technology, Economics and Management TEM, Danish Technical University DTU, Bygning 421, 2800 Kgs. Lyngby (Copenhagen). Prof. Dr. Karlheinz Sonntag, Universität Heidelberg, Arbeits- und Organisationspsychologie, Hauptstraße 47-51, 69117 Heidelberg. Dr. Ralf Stegmaier, Universität Heidelberg, Psychologisches Institut, Hauptstr. 47-51, 69117 Heidelberg. Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Norbert Thom, Universität Bern, Institut für Organisation und Personal, Abteilung Personal, Engehaldenstr. 4, CH-3012 Bern. Prof. Dr. Gerd Wiendieck, (em.), Dorf-Str. 11, 53359 Rheinbach. Prof. Dr. Erich H. Witte, Universität Hamburg, Fachbereich Psychologie, VonMelle-Park 5, 20146 Hamburg.