Renate Frank (Hrsg.) Therapieziel Wohlbefinden Ressourcen aktivieren in der Psychotherapie
Renate Frank (Hrsg.)
Therapieziel Wohlbefinden Ressourcen aktivieren in der Psychotherapie
Mit 9 Abbildungen und 17 Tabellen
123
Dr. Renate Frank Justus-Liebig-Universität Gießen Fachbereich Psychologie und Sportwissenschaft Klinische und Physiologische Psychologie Otto-Behaghel-Str. 10 F 35394 Gießen E-Mail:
[email protected]
ISBN-13
978-3-540-71621-1 Springer Medizin Verlag Heidelberg
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Planung: Dr. Svenja Wahl Projektmanagement: Michael Barton Copyediting: Friederike Moldenhauer, Hamburg Layout und Einbandgestaltung: deblik Berlin Umschlagfoto: STOCK4B Satz: TypoStudio Tobias Schaedla, Heidelberg SPIN 11729730
Gedruckt auf säurefreiem Papier
2126 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Das Buch widmet sich einem Thema, dem in der Psychotherapie zu Recht ein immer höherer Stellenwert zu kommt. Es g eht um W ohlbefinden, ein Thera pieziel, das alle M enschen, die um Psychotherapie nac hsuchen, in der einen o der a nderen Weise b ereits b ei ihr er Anmeldung ansprechen: Sie klagen über Beschwerden, von denen sie b efreit werden möchten, und betonen zug leich, dass sie sich wie der w ohl f ühlen mö chten. S chenken wir b ei Diag nostik, Therapieplanung und Thera piedurchführung der p ositiven S eite des B efindens da nn a uch genügend Beachtung? Durch Klaus Grawe und seine Mitarbeiter ist das Positive deutlich mehr in den Vordergrund gerückt: D er Ress ourcenaktivierung a ls einer zen tralen Wirkkomponente der P sychotherapie wird immer mehr A ufmerksamkeit geschenkt, ein Ef fekt, der das Wohlbefinden der Patienten maßgeblich unterstützt. Auch in den USA richtet sich das Interesse verstärkt auf Wohlbefinden, gutes menschliches Gedeihen (»flourishing«) und Fähigkeiten einer gelingenden Lebensgestaltung (»psychological well-being«). Alarmierend erwies sich dort das Ergebnis der repräsentativen MIDUS-Studie (Midlife in the United States-Study). Danach erfüllen kaum ein Viertel aller amerikanischen Erwachsenen zwischen 26 und 74 Jahren die Kriterien eines seelisch gesunden Lebens. D er P rozentsatz der M enschen, die l ust- und kra ftlos dahin welken (»la nguishing«), ohne jedoch die Kriterien einer depressiven Störung zu erfüllen, hat nach Auffassung von Corey Keyes epidemische Ausmaße angenommen. In seiner Agenda für das 21. Jahrhundert fordert er deshalb dazu auf, besonderes Gewicht auf Wohlbefinden und seelische Gesundheit zu legen. Die ökonomischen und g esundheitspolitischen Implikationen der S tudie lassen dies zu einer A ufgabe von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz werden, sodass nicht nur die psy chologische Fachwelt dazu aufgefordert ist, sich noch intensiver mit Wohlbefinden zu befassen. Werden Studierende während ihres Psychologiestudiums ausreichend darauf vorbereitet, das Therapieziel Wohlbefinden gezielt ins Auge fassen zu k önnen? Aus meiner la ngjährigen universitären Tätigkeit in Klinischer Psychologie und Psychotherapie weiß ich, dass dies eher nicht der F all ist. W ährend der p ostgradualen A usbildung v on P sychotherapeuten b esteht besonderes Interesse an diesem Thema, zumal es nicht nur bei der Arbeit mit Patienten, sondern auch für die eigene Psychohygiene relevant ist. Doch Lehrbücher, die sich diesem Thema umfassend zuwenden, sind eher ra r. Spezifische Handlungsanleitungen finden sich verstreut in verschiedenen Büchern und Manualen. Das vorliegende Buch bietet eine k ompakte, handlungsorientierte Übersicht zur P sychotherapie des W ohlbefindens. Es mö chte dazu anregen, das Thera pieziel Wohlbefinden v on Anfang an mit zu bedenken. Die Beiträge des Buches ergänzen insofern die üblichen psychotherapeutischen Lehrbücher. Neben den »Klassikern« wie dem euthymen Therapieansatz und ressourcenorientierten und r essourcenaktivierenden K onzepten w erden a uch H eilungskonzepte beschrieben, die zu einer Transformation des Selbst anregen. Alle Seiten des Wohlbefindens werden akzentuiert und mi t praktischen Handlungsanregungen versehen. Verdeutlicht wird zudem, dass sich im Laufe des Lebens unterschiedliche Herausforderungen an die Gestaltung des eigenen Wohlbefindens stellen. In zwei Kapiteln werden Grundlagen dazu vermittelt, was im G ehirn passiert, wenn es um Wohlbefinden geht und welche neurobiologischen Prozesse dabei eine Rolle spielen. Das Buch richtet sich an erfahrene Psychotherapeutinnen und -therapeuten aller psychotherapeutischen Richtungen, Teilnehmer der postgradualen Psychotherapieausbildung und Studierende der Psychologie. Darüber hinaus sind auch interessierte Fachkollegen aus der Medizin, Pädagogik und Sozialpädagogik angesprochen.
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Vorwort
Es war mir ein Anliegen, Autorinnen und Autoren verschiedener Therapierichtungen für das Buch zu gewinnen, die, ausgehend von eigener einschlägiger Forschungs- und Therapieerfahrung, den derzei tigen wiss enschaftlichen Erk enntnisstand in f undierter und zug leich praxisgerechter Weise da rzustellen v ermögen. Ihnen g ebührt mein ga nz b esonderer D ank. Ihre exzellente Expertise, ihre Zuverlässigkeit und die gute, kollegiale Zusammenarbeit haben mir meine Herausgeberarbeit sehr erleichtert und zu einer ausgesprochen erfreulichen Tätigkeit werden lassen. Bei der Abfassung meiner eigenen Kapitel haben mich Dr. Ursula RzepkaMeyer, Dipl.-Psych. Arnd Sommer und Prof. Dr. Rudolf Stark durch hilfreiche Anmerkungen unterstützt, wofür ich herzlich danke. Dass das v orliegende B uch üb erhaupt zust ande ka m, v erdanke ic h H errn Di pl.-Psych. Joachim Coch vom Springer Verlag. Er gab die Anregung dazu und hat mich bei der Planung und didaktischen Gestaltung des Buches sachkundig beraten. Darüber hinaus danke ich Frau Dr. Svenja Wahl, in deren Händen die Weiterbetreuung des Buchprojektes lag, Frau Friederike Moldenhauer, die f ür die Dr uckreife des Manuskriptes sorgte, sowie Michael Barton, der ein reibungsloses Gesamtmanagement sicherstellte. Widmen möchte ich dieses Buch all jenen Menschen, die mich in meinem Leben bei Laune gehalten haben, mir wohlgesonnen und wohlwollend begegnet sind, mich unterstützt und gefördert ha ben, mir Resp ekt und W ertschätzung entgegen g ebracht ha ben und a uf die ic h immer zählen konnte. Erwähnen möchte ich insbesondere meinen Mann, meine Familie und meinen Freundeskreis sowie meine Kolleginnen und Kollegen der Universität Gießen und der hessischen VT-Ausbildungsinstitute. Genug der Dankesbezeugungen? Liebe Leserin, lieber Leser, damit kann es nach jüngster Forschung von Martin Seligman nie g enug sein. Denn die v on ihm en twickelten »Dankbarkeitsübungen« er wiesen sic h als b esonders g eeignet, das W ohlbefinden (des D ankaussprechenden!) positiv zu beeinflussen. Ich ho ffe, dass S ie, lieb e L eserin, lieb er L eser, das B uch mi t I nteresse a ufnehmen und Aspekte des Wohlbefindens entdecken können, von denen Sie für Ihre Arbeit und ihre eigene Psychohygiene profitieren. Gießen, im März 2007 Renate Frank
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Inhaltsverzeichnis Teil I
1 Den
Den störungsorientierten Blick erweitern: Wohlbefinden fördern
störungsorientierten Blick erweitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Renate Frank 1.1 Blickrichtung Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.2 Konz eptualisierung von Wohlbefinden und psychosozialen Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . 5 1.3 Theorien zum Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.4 I ndikation von wohlbefindensförderlichen Interventionen und Wohlbefindensdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11 1.5 Lohnt es sich, Wohlbefinden zu steigern? . . . .11 1.6 Therapieziel Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . . . . . .12 1.7 Überblick über das vorliegende Buch. . . . . . . .12 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .14
Teil II
2
Therapieansätze, die Wohlbefinden und menschliche Stärken fokussieren
2.8 Ressour cenorientiertes Krisenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .27 2.9 T atsächliche Rückfallursachen als Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung psychotherapeutischer Konzepte . . . . . . . . . . .28 2.10 Ressourcenorientierung dient dem Abbau des Machtgefälles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30
3 Ressour cenaktivierung und motivorientierte Beziehungsgestaltung: Bedürfnisbefriedigung in der Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Christoph Flückiger u. Martin Grosse Holtforth 3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .34 3.2 A ffektiv-motivationaler Hintergrund und psychologische Reaktion . . . . . . . . . . . . . . .34 3.3 Aktivierung des Annäherungssystems und Handlungsregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .35 3.4 Konsist enzfördernde Maßnahmen im Therapieprozess: Das Zwei-Prozessmodell von Grawe (2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .35 3.5 Ressour cenaktivierung und Therapiebeziehung als therapeutische Heuristiken zur Bedürfnisbefriedigung . . . . . . . . . . . . . . . . . .37 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .41
4
Ressourcenorientierte Psychotherapie . . 19
Peter Fiedler 2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20 2.2 Allgemeine Ziele einer ressourcenorientierten Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . .20 2.3 Gesundheitspolitische NegativOrganisation psychischen Leidens. . . . . . . . . . .21 2.4 Positive Psychotherapie: Vom Optimismus der Psychotherapeuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21 2.5 Ressour cenorientierte Aufklärung und Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .23 2.6 Was Patienten in einer Psychotherapie als veränderungsrelevant betrachten . . . . . . .24 2.7 Vorsicht im Umgang mit Über tragungsdeutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .26
4.1 4.2 4.3 4.4
5 5.1 5.2 5.3
Durch Psychotherapie Freude, Vergnügen und Glück fördern . . . . . . . . . . 43 Andreas Dick Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .44 Bedeutung des Glücks und verwandter Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .44 Prozesse des Glückserlebens . . . . . . . . . . . . . . . .47 Therapeutische Förderung von Freude, Vergnügen und Glück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .50 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .53
Euthyme Therapie und Salutogenese . . . 55 Rainer Lutz Gesundheitsförderung: Ein aktuelles Thema mit langer Geschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .56 Gesundheit und Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . .56 Salutogenesekonzept von Antonovsky . . . . . .60
VIII
Inhaltsverzeichnis
5.4 5.5 5.6
Erikson: Urvertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .61 Merkmale der euthymen Therapie . . . . . . . . . . .62 Empirische Befunde zur Wirkung euthymer Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .65 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .66
6M
indfulness-based therapy: Achtsamkeit vermitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Teil III Facetten des Wohlbefindens fördern 9
6.1 6.2 6.3 6.4 6.5
Thomas Heidenreich, Katrin Junghanns-Royack u. Johannes Michalak Achtsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .70 Achtsamkeit und Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . .71 Therapeutische Ansätze zur Vermittlung von Achtsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .72 Konkrete Vermittlung von Achtsamkeit. . . . . . .78 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .79 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .80
9.1 9.2 9.3 9.4 9.5
10 K 7
Narrative Ansätze: Nützliche Geschichten als Quelle für Hoffnung und Kraft . . . . . . . . 83
Peter Kaimer 7.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .84 7.2 Therapie – der Beginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .84 7.3 Erkenntnistheoretische Basis . . . . . . . . . . . . . . . . .85 7.4 Therapie – Erstgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .87 7.5 Psychotherapietheoretische Basis . . . . . . . . . . . .88 7.6 Folgende Therapiesitzungen I . . . . . . . . . . . . . . . .90 7.7 Gemeindepsychologische Perspektive . . . . . . .91 7.8 Folgende Therapiesitzungen II . . . . . . . . . . . . . . .92 7.9 Psychotherapietechnische Basis . . . . . . . . . . . . . .94 7.10 Zeit zwischen den Therapiesitzungen . . . . . . . . 97 7.11 Gesellschaf ts- und geschichtenkritische Anmerkungen – Grenzen des narrativen Möglichkeitsraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .97 7.12 Auf dem Weg sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .99 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
8
8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
Über das gemeinsame (Be-)Finden: von Ressourcen, Lösungen und Wohl-Befinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .103 Elke Zwingmann Wohlbefinden in der systemischen (Familien-)Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Vom »Ich« zum »Wir« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Vom Unwohl-»Sein« zum Wohl-Befinden . . . . . 109 Von Problemen, Wünschen und Aufträgen . . . 111 Störmanöver der Therapeuten . . . . . . . . . . . . . 113 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
Freuden-Biografie: Die Freuden der Kindheit wieder erleben . . . . . . . . . . . . . .119 Verena Kast Freude als Ressource . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freuden der Kindheit aus der Sicht der Erwachsenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rekonstruktion der Freuden-Biografie . . . . . Freuden aus der Freuden-Biografie . . . . . . . . Sich einfach anstecken mit den Freuden der Kindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121 122 125 128 129
örperliches Wohlbefinden durch Selbstregulation verbessern . . . . . . . . . . .131
Renate Frank 10.1 Körperliches Wohlbefinden als Therapieziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Was sind die wesentlichen Merkmale körperlichen Wohlbefindens? . . . . . . . . . . . . . 10.3 Sieben Dimensionen des körperlichen Wohlbefindens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Unter welchen Lebensbedingungen stellt sich Wohlbefinden ein? . . . . . . . . . . . . . . 10.5 P rogramm zur Selbstregulation körperlichen Wohlbefindens (SR-KW) . . . . . . 10.6 Effekte einer Beeinflussung des körperlichen Wohlbefindens . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
120
132 133 133 134 135 141 143
Sinnliche Lebendigkeit erfahren – Wohlbefinden durch Sinnesgenüsse erleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .145
Eva Koppenhöfer 11.1 Einleitung und theoretischer Kontext . . . . . 11.2 Fragen zur Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Therapieprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 A uswirkung der Imaginationsübung auf das Wohlbefinden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Über geordnete Wirkfaktoren des Behandlungsprogramms . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6 Krankheitsbildbezogene Wirkfaktoren . . . . . 11.7 Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
146 146 146 151 152 154 156 157
IX
Inhaltsverzeichnis
12 Sinn volle Werte und Lebensziele entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .159 Hans-Christian Kossak 12.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Lebensziele: Begriffsbestimmung . . . . . . . . . 12.3 Ziele: Aspekte in der Psychotherapie . . . . . . 12.4 L ebensziele, Therapieziele und subjektives Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Therapieziele: Funktionen, Analysen, Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6 Kog nitiv-behaviorale Methoden der Imagination und Hypnose . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7 Vorteile, methodische Hinweise und Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.6
160 160 160
14.5 14.6 14.7 14.8
15.1 15.2 15.3
162 162
15.4
164
15.5
173 175
Hans-Peter Hartmann Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biologische Grundlagen der Suche nach Geborgenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Biologie zur Psychologie – Bindung, Geborgenheit und emotionale Regulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Suche nach Geborgenheit – mit und ohne Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie kann die Suche nach Geborgenheit Erfolg haben? Therapeutische Ansätze aus bindungstheoretischer Sicht . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
204 204
206 206
209 211
Selbstakzeptanz fördern . . . . . . . . . . . . . .179
16
Friederike Potreck-Rose Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretische Grundlagen vermitteln . . . . . . Inne halten und achtsam werden . . . . . . . . . Eine wohlwollende Grundhaltung sich selbst gegenüber einnehmen . . . . . . . . . . . . . Eigene Werte und Normen finden . . . . . . . . . Gedanken zum Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Guy Bodenmann 16.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 16.2 Warum ist Partnerschaftspflege nötig? . . . . . . .214 16.3 Was ist der Unterschied zwischen Partnerschaftspflege und Prävention von Beziehungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . 215 16.4 Empirisch fundierte Präventionsprogramme für Paare im deutschen Sprachraum . . . . . . . 216 16.5 Wissenschaftlich fundierte Ratgeber für Paare. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 16.6 Neue Wege in der Partnerschaftspflege . . . 218 16.7 Allgemeine Inhalte einer gezielten Partnerschaftspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 16.8 Wann ist Partnerschaftspflege nötig? . . . . . . . 221 16.9 Einwände gegen Partnerschaftspflege . . . . 222 16.10 Wie wirksam ist Partnerschaftspflege? . . . . . 222 16.11 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
180 180 182 183 186 187 188
14 Identitä tsstärkung – Fördert Authentizität das Gesundwerden nach Krebs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .189 14.1 14.2 14.3 14.4
15 Suche nach Geborgenheit: Bindungswünsche realisieren. . . . . . . . . .203
Elmar Reuter Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Selbst als Denkfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . Identität als Kraftquelle und Attraktor . . . . . Rolle des Selbst beim gesunden Überleben einer Krebserkrankung . . . . . . . . . Gibt es ein zelluläres Selbst? Identität aus immunologischer Perspektive . . . . . . . . . Der Krebskranke in Psychotherapie: Bausteine zur Identitätsstärkung . . . . . . . . . . Empirische Befunde zur Lernbarkeit von Identitätsstärkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resümee und zukünftige Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190 190 192
Partnerschaftspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . .213
192
17 193 194 199 200 200
17.1 17.2 17.3 17.4 17.5 17.6
Vergeben: Eine Quelle von Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .227 Annette Kämmerer Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition: Was ist Vergebung? . . . . . . . . . . . . Zum Stand der Forschung zu Vergebung . . Vergebung im therapeutischen Kontext . . . Vergebung als Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergebung als eine Quelle von Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228 228 229 231 232 234 235
X
Inhaltsverzeichnis
Teil IV
18
21 Neur omodulatorische Einflüsse auf das Wohlbefinden: Dopamin und Oxytocin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .273
Wohlbefinden in der Lebensbiografie
Wohlbefinden im Jugendalter: Widerstandskräfte entwickeln . . . . . . . . .239
18.1 18.2 18.3 18.4 18.5
Günther Opp Wohlbefinden in der Pubertät . . . . . . . . . . . . . Das Jugendalter in modernen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Risiko- und Schutzfaktoren in der Jugendzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positive Peerkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240 240 242 244 246 246
Peter Kirsch u. Harald Gruppe 21.1 Einleitung: Wohlbefinden als positiver Affekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 21.2 Dopamin und Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . . 275 21.3 Oxytocin und Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . . 279 21.4 Z usammenfassung: Interaktion von Dopamin und Oxytocin bei der Entstehung von Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
Momentanes körperliches Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .285 M
omentanes körperliches Wohlbefinden . . 286
19 Subjektiv es Wohlbefinden und Ressourcen im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . .249
Ressourcen-Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . .289
Bernhard Grom Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Emotionale Befindlichkeit oder »Altern ist kein depressiver Prozess« . . . . . . . 250 Hohe Lebenszufriedenheit trotz Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Was macht die Lebenszufriedenheitskompetenz aus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . .293
19.1 19.2 19.3 19.4 19.5
Teil V Neuroanatomie und Biochemie des Wohlbefindens 20 Neur onale Grundlage positiver Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .263 20.1 20.2 20.3 20.4 20.5
Rudolf Stark u. Sabine Kagerer Einleitung und Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Positive Emotionen und ihre Auslöser . . . . . . .264 Emotionen im Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Empirische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . 270 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
XI
Mitarbeiterverzeichnis Bodenmann, Guy, Prof. Dr.
Gruppe, Harald, Dr.
Universität Freiburg Schweiz Institut für Familienforschung und -beratung Av. de la Gare 1, 1700 Fribourg, Schweiz E-Mail:
[email protected]
Justus-Liebig-Universität Gießen Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie Arbeitsgruppe kognitive Neurowissenschaften Am Steg 22, 35392 Gießen E-Mail:
[email protected]
Dick, Andreas, Dr. University of Redlands Department of Psychology 1200 East Colton Avenue PO Box 3080, Redlands, CA 92373, USA E-Mail:
[email protected]
Hartmann, Hans-Peter, PD Dr. Zentrum für Soziale Psychiatrie Bergstraße Ludwigstraße 54, 64646 Heppenheim E-Mail:
[email protected]
Fiedler, Peter, Prof. Dr.
Heidenreich, Thomas, Prof. Dr.
Universität Heidelberg Psychologisches Institut Klinische Psychologie und Psychotherapie Hauptstraße 47-51, 69117 Heidelberg E-Mail:
[email protected]
Hochschule für Sozialwesen Esslingen Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege Flandernstrasse 101, 73732 Esslingen am Neckar E-Mail:
[email protected];
[email protected]
Flückiger, Christoph, Dr.
Junghanns-Rojahn, Katrin
Universität Bern Institut für Psychologie Abt. Klinische Psychologie und Psychotherapie Gesellschaftsstr. 49, 3012 Bern, Schweiz E-Mail:
[email protected]
J.-W.-Goethe-Universität Institut für Psychologie Klinische Psychologie und Psychotherapie Postfach 11 19 32, Fach 54, 60054 Frankfurt a.M.
Kagerer, Sabine, Dipl.- Psych. Frank, Renate, Dr. Justus-Liebig-Universität Gießen Fachbereich Psychologie und Sportwissenschaft Klinische und Physiologische Psychologie Otto-Behaghel-Str. 10 F, 35394 Gießen E-Mail:
[email protected]
Grom, Bernhard, Prof. Dr. Hochschule für Philosophie Philosophische Fakultät Kaulbachstraße 31a, 80539 München E-Mail:
[email protected]
Justus-Liebig-Universität Gießen BION (Bender Institut of Neuroimaging) Otto-Behaghel-Str. 10H, 35394 Giessen E-Mail:
[email protected]
Kaimer, Peter, Dr. Otto-Friedrich-Universität Bamberg Psychotherapeutische Ambulanz Lehrstuhl Klinische Psychologie und Psychotherapie Markusplatz 3, 96049 Bamberg E-Mail:
[email protected]
Kämmerer, Annette, Prof. Dr. Grosse Holtforth, Martin, PD Dr. Universität Bern Institut für Psychologie Abt. Klinische Psychologie und Psychotherapie Gesellschaftsstr. 49, 3012 Bern, Schweiz E-Mail:
[email protected]
Universität Heidelberg Psychologisches Institut Hauptstraße 47-51, 69117 Heidelberg E-Mail:
[email protected]
XII
Mitarbeiterverzeichnis
Kast, Verena, Prof. Dr.
Stark, Rudolf, Prof. Dr.
Hompelistraße 22, 9008 St. Gallen, Schweiz E-Mail:
[email protected]
Justus-Liebig-Universität Gießen Fachbereich Psychologie und Sportwissenschaft Klinische und Physiologische Psychologie Otto-Behaghel-Str.10F, 35394 Gießen E-Mail:
[email protected]
Kirsch, Peter, PD Dr. Justus-Liebig-Universität Gießen Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie Arbeitsgruppe Kognitionsforschung Am Steg 28, 35385 Gießen E-Mail:
[email protected]
Koppenhöfer, Eva, Dipl.-Psych. Psychotherapeutische Praxis Baiertaler Straße 89, 69168 Wiesloch E-Mail:
[email protected]
Kossak, Hans-Christian, Dr. Schnatstraße 25, 44795 Bochum E-Mail:
[email protected]
Lutz, Rainer, Dr. Philipps-Universität Marburg Fachbereich Psychologie Gutenbergstraße 18, 35032 Marburg E-Mail:
[email protected]
Michalak, Johannes, PD Dr. Ruhr-Universität Bonn Arbeitseinheit Klin. Psychologie Universitätsstraße 150, 44801 Bochum E-Mail:
[email protected]
Opp, Günter, Prof. Dr. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Fachbereich Erziehungswissenschaften Institut für Rehabilitationspädagogik 06099 Halle/Saale E-Mail:
[email protected]
Potreck-Rose, Friederike, PD Dr. Schlierbergstraße 6a, 79100 Freiburg E-Mail:
[email protected]
Reuter, Elmar, Dr. Praxis für Psychotherapie – Schwerpunkt Psychoonkologie Frankfurter Straße 1, 57462 Olpe E-Mail:
[email protected]
Zwingmann, Elke, Dr. Große Fischerstraße 3, 60311 Frankfurt/Main E-Mail:
[email protected]
I
Teil I
Den störungsorientierten Blick erweitern: Wohlbefinden fördern
Kapitel 1
Den störungsorientierten Blick erweitern
– 3
1
Den störungsorientierten Blick erweitern Renate Frank 1.1 Blick
richtung Wohlbefinden
– 4
1.2
Konzeptualisierung von Wohlbefinden und psychosozialen Ressourcen – 5 1.2.1 Wohlbefinden und Ressourcen – 5 1.2.2 S eelische Gesundheit – 6 1.2.3 Tugenden und Stärken – 7 1.3 T
heorien zum Wohlbefinden
– 7
1.3.1 Wohlbefinden als Resultat eines wiederhergestellten Spannungsgleichgewichts – 7 1.3.2 Wohlbefinden als Resultat von Anreizen – 8 1.3.3 Wohlbefinden durch Selbstverwirklichung – 8 1.3.4 Wohlbefinden durch wertzentrierte und sinnstiftende Lebensgestaltung 1.3.5 Einfluss von Temperamentsfaktoren und Kompetenzen – 9 1.3.6 Wechselwirkung von Situations- und Dispositionsfaktoren – 9 1.3.7 I ntegrierende Modellvorstellungen – 10 1.3.8 Wie entsteht aktuelles Wohlbefinden? – 10
1.4
Indikation von wohlbefindensförderlichen Interventionen und Wohlbefindensdiagnostik – 11
1.5
Lohnt es sich, Wohlbefinden zu steigern?
1.6 T 1.7
herapieziel Wohlbefinden
– 12
Überblick über das vorliegende Buch Literatur –
14
– 11
– 12
– 9
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apitel 1 · Den störungsorientierten Blick erweitern
1.1 Blick
richtung Wohlbefinden
Menschen, die um eine P sychotherapie nac hsuchen, k lagen üb er psy chische S törungen un terschiedlicher Art. Sie beschreiben mehr o der weniger nachdrücklich Symptome, die sie belasten, und äußern die Er wartung, dass eine P sychotherapie ihnen da bei helf en mög e, sic h wieder b esser zu fühlen. Sie möchten ihr Leben wieder symptomfrei erleben und unbelastet gestalten können. Im p raktischen A blauf einer Thera pie ist es in unserem G esundheitssystem zunäc hst er forderlich, dass der Thera peut (im F olgenden werden die Begriffe Thera peut und P atient als Ro llenbezeichnungen v erwendet) eine S törungsdiagnose g emäß ICD-10 (I nternationale K lassifikation psy chischer Störungen) st ellt. D abei wir d a usschließlich die Symptomatologie, d . h. das S törende und das im negativen Sinne Auffällige betrachtet. In frühen Zeiten der V erhaltenstherapie wa r dies s chon einmal anders: B ereits vor mehr als 40 J ahren publizierten Kanfer und Saslow (1965) einen Aufsatz mit dem Titel »Behavoural analysis: an alternative to diagnostic classification«, in dem sie da rauf hin wiesen, dass neben störenden Verhaltensaspekten (»excesses and deficits«) immer auch die Aktivposten und Vorzüge (»assets«) der Patienten zu diagnostizieren seien. Im F olgenden wir d es nic ht um A lternativen zur k lassifikatorischen Diagnostik g ehen. V ielmehr s oll jenen F aktoren er gänzend A ufmerksamkeit g eschenkt w erden, die in dir ekter Weise ein (Wieder)erlangen von Wohlbefinden und v on »gedeihlicher« Lebensgestaltung ermöglichen (vgl. dazu auch Wright & Lopez, 2005). Was bedeutet dies für Diagnostik, Therapieplanung und -durchführung? Der Titel dieses Kapitels weist s chon da rauf hin, dass die S törungs- und Defizitperspektive zu en g ist und der B lickwinkel erweitert werden muss. Genau genommen genügt jedoch eine Blic kfelderweiterung nic ht. V ielmehr müssen wir ganz bewusst die Blickrichtung wechseln. Die Aufmerksamkeit muss auf Merkmale und Bedingungen gelenkt werden, die es Menschen ermöglichen, sich wohl zu fühlen und ein glückliches und zufriedenes Leben zu führen. Was heißt n un aber wohlfühlen genauer? Und wie lässt sich Wohlbefinden im Rahmen einer Psychotherapie gezielt fördern? Diesen Fragen wollen
wir im v orliegenden B uch nac hgehen. Wir g ehen dabei von einem multidimensionalen Konzept des Wohlbefindens aus, wie es aus der psychologischen Wohlbefindensforschung he rvorgegangen ist ( vgl. Abele & B ecker, 1991; D eusinger, 2002; Diener , 1984; Diener et a l. 1999; Diener , L ucas & Oishi , 2005; Kahneman, Diener & S chwarz, 1999, Strack, Argyle & S chwarz, 1991). I n den USA ha t sic h dieser Forschungsbereich inzwis chen als »P ositive Psychologie« etabliert (vgl. Seligman & Csikszen tmihalyi, 2000). Was b einhaltet dies e neue D enk- und F orschungsrichtung? Wesentliche I mpulse erhiel t die »Positive P sychologie-Bewegung« a b dem J ahr 1997 in den USA durch Seligman, den Präsidenten der American Psychological Association (APA). ! Die Botschaft der Positiven Psychologie-Bewegung lautet: »Psychology is not just the study of disease, weakness, and damage. It also is the study of happiness, strength, and virtue« (Seligman, 2002, pp. xiv).
Erklärtes Ziel dieser Richtung ist es, Wohlbefinden, Glück und Z ufriedenheit, k onstruktive G edanken (Optimismus, Hoffnung, Vertrauen), Talente, Stärken und T ugenden zu er forschen und b ezüglich ihrer p ositiven A uswirkungen a uf das eig ene L eben und das der a nderen M enschen zu b eleuchten. W eiter g efasst in teressieren im R ahmen der Positiven P sychologie a ber a uch g esellschaftlich relevante W erte wie z. B. V erantwortlichkeit, Z ivilcourage, Al truismus, Toleranz et c. (vg l. S nyder & L opez, 2005). U ntersucht wird, wie p ersönliche Fähigkeiten, S tärken und T ugenden im L aufe des Lebens von der K indheit bis ins hohe Alter Wohlbefinden und ein erfülltes, produktives Leben auch angesichts von Stress und L ebensbeeinträchtigungen zu b egünstigen vermögen (vgl. z. B. Bornstein et al. 2003). Es g eht dabei z. B. um Fragen der Resilienz (R yff & S inger, 2002), um iden titätsverändernde und sinn gebende Wendepunkte im L eben (Wethington, 2002), um vitales Lebensengagement (vgl. N akamura & Csikszen tmihalyi, 2002) und adäquate persönliche Z ielsetzungen als Quelle f ür positive L ebenserfahrungen (vg l. Emmons, 2002). Auch k ulturspezifische Einf lüsse w erden b erücksichtigt, wie dies P eterson und Cha ng (2002) z. B. für Optimismus belegen.
1.2 · Konzeptualisierung von Wohlbefinden und psychosozialen Ressourcen
Im deutschsprachigen Raum hat vor allem Auhagen diese bislang noch zu w enig beachtete Ausrichtung der Psychologie auf das Positive beleuchtet und mit ihrer Anleitung zum »besseren« Leben auch b ezüglich der All tagbedeutung b ekannt g emacht (Auhagen, 2004). Erwähnt w erden s oll eine en g v erwandte Forschungslinie, die sic h mi t K onzepten der Lebensqualität befasst und pa rallel zur psy chologischen W ohlbefindensforschung en twickelt ha t. Ursprünglich handelte es sich dabei um sozialwissenschaftliche Wohlfahrtsforschung, die ob jektive Lebensbedingungen und der en subjektive B ewertung in F orm von Zufriedenheit oder Wohlbefinden untersuchte (vgl. Glatzer & Z apf, 1984, Gla tzer, 1992). H eute k onzentriert sic h das I nteresse vor allem a uf gesundheitsbezogene Lebensqualität. Dies er A spekt ist als E valuationskriterium in der M edizin zunehmend wic htiger g eworden (vgl. z. B. Bullinger, 1997; Mattejat & Remschmidt, 1998). Eine k lare Abgrenzung von Lebensqualität und W ohlbefinden ist ka um mög lich, da W ohlbefinden als ein I ndikator und P arameter v on Lebensqualität v erstanden wir d (Diener & S uh, 1997; Veenhoven, 2001). Warum ist die W ohlbefindensforschung b zw. die P ositive P sychologie wic htig f ür die P sychotherapie? Seligman (2005) s chreibt Konzepten, die aus dies er D enk- und F orschungstradition her vorgegangen sind , eine zen trale Wirkfunktion zu , die b isher üb licherweise un ter »un spezifischen« Psychotherapieeffekten ein geordnet wur de. D ass Psychotherapie wirksam ist, ist gut belegt, aber spezifische Behandlungseffekte fallen eher gering aus, zudem bestimmen Placeboeffekte die Wirksamkeit von Therapien wesentlich mit. Seligman geht deshalb da von a us, dass der nac hgewiesene r obuste, wenn auch nicht sp ezifische Therapieeffekt durch therapeutische Taktiken und F ormen aufrichtigen Handelns zust ande kommt, wie sie in j eder guten Therapie Verwendung finden. Hierzu zählt er u. a. wohlwollende A ufmerksamkeit, R apport, en tgegengebrachtes Vertrauen, und alles, was H offnung vermittelt und p ersönliche S tärken als Puf fer in widrigen Zeiten aktiviert. Er rechnet diese »Strategien« der Positiven Psychologie zu und plädiert dafür, dass sie mit Einordnung in diese Denkrichtung viel intensiver erforscht werden müssten.
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onzeptualisierung von Wohlbefinden und psychosozialen Ressourcen
1.2.1 Wohlbefinden und Ressourcen
Eine Begriffsvielfalt kennzeichnet den Themenkreis Wohlbefinden: Glück, Freude, Flow, Zufriedenheit, Sinnerfülltheit, L ebenszufriedenheit, L ebensqualität und seelische Gesundheit sowie Ressourcen finden Verwendung. Dies e B egriffe üb erlappen sich und w erden t eils syno nym b enutzt. »W ohlbefinden« b leibt dad urch def initorisch etwas un scharf, lässt sich als Z ustand im Wesentlichen aber durch positive Affekte und k ognitiv durch Zufriedenheit operationalisieren (hedo nische K omponenten). Zudem w erden im Z usammenhang mi t Wohlbefinden a uch Temperamentsfaktoren, men schliche Stärken, T ugenden und F ähigkeiten t hematisiert, die eine er folgreiche An passung a n o der eine günstige B ewältigung v on L ebensanforderungen ermöglichen (euda imonische K omponenten; vg l. Waterman, 1993). G eht es um men schliche S tärken, da nn m uss a uch der B egriff der Ress ource erwähnt w erden. Hier ha ndelt es sic h um all das, was in einer bestimmten Situation an persönlichen Eigenschaften und si tuativen G egebenheiten v on einem M enschen w ertgeschätzt und als hilf reich erlebt wird; d. h. Ressourcen schließen neben intrapersonellen Faktoren auch externe unterstützende Aspekte mi t ein (v ertiefend s. Kap. 2). Dur ch diese B erücksichtigung exter ner F aktoren lass en sich Ress ourcen v on sub jektivem W ohlbefinden abgrenzen (vgl. Willutzki, 2003). Konzeptualisiert wir d W ohlbefinden im deutschsprachigen R aum d urch das S trukturmodell von Becker (1991). Hier wird zwischen aktuellem und habituellem Wohlbefinden unterschieden. Beim ak tuellen Wohlbefinden ha ndelt es sic h um das mo mentane p ositive Erleb en v on M enschen, während das habituelle Wohlbefinden Urteile über aggregierte emotionale und k örperliche Erfahrungen der letzten W ochen o der M onate b einhaltet (z. B. Aussagen zur allg emeinen L ebenszufriedenheit). Es wir d als st abile Eig enschaft v erstanden; ein Mensch mi t a usgeprägtem ha bituellem Wohlbefinden b efindet sic h zumeist in einem Z ustand des Wohlbefindens und der Lebenszufriedenheit.
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apitel 1 · Den störungsorientierten Blick erweitern
Sowohl da s ak tuelle al s a uch da s h abituelle Wohlbefinden werden weiter untergliedert in psychisches und k örperliches W ohlbefinden. J eweils in a ktueller und ha bitueller F orm g liedert sich psychisches Wohlbefinden auf in p ositive Gefühle wie Freude und Gl ück, p ositive Stimmungen und Beschwerdefreiheit. Ph ysisches Wohlbefinden b einhaltet positive körperliche Empfindungen sowie Freisein von körperlichen Beschwerden. Wieweit für das Empfinden von Wohlbefinden tatsächlich das Freisein von Beschwerden maßgeblich ist, wir d unterschiedlich disk utiert. B radburn (1969), einer der W egbereiter der Wohlbefindensforschung, geht davon aus, dass eine B alance zwischen positiven und negativen Gefühlen maßgeblicher ist (vertiefend vgl. Lutz, Kap. 5). 1.2.2 S eelische Gesundheit
Seelische G esundheit wir d als F ähigkeit zur B ewältigung ext erner und in terner Anf orderungen definiert. I nnerhalb eines hiera rchisch k onzipierten M odells w ird s eelische G esundheit a uf der obersten Ebene als Hauptfaktor der Persönlichkeit neben V erhaltenskontrolle, dem zw eiten H auptfaktor, lokalisiert. Seelische Gesundheit wird dann in insgesamt sieben Indikatorenbereiche untergliedert (vgl. Becker & Minsel, 1986): ▬ S eelisch-körperliches Wohlbefinden: 1. S innerfülltheit vs. Depressivität 2. Selbstvergessenheit vs. Selbstzentrierung 3. B eschwerdefreiheit vs. Nervosität ▬ S elbstaktualisierung: 4. Expa nsivität 5. A utonomie ▬ selbst- und fremdbezogene Wertschätzung: 6. S elbstwertgefühl 7. L iebesfähigkeit Diagnostisch kann s eelische G esundheit mi thilfe des T rierer P ersönlichkeitsfragebogens (TPF) er fasst w erden, der zwa r b ipolare S kalen en thält, aber »p rimär a uf die P lusvariante der s eelischen Gesundheit« abzielt (Becker 1998, S. 14). In den USA en twickelte Ryff (1989) t heoriegeleitet ein m ultidimensionales M odell des W ohlbefindens (»positive psychological functioning«), das
empirisch bestätigt wurde (z. B. Ryff & Keyes, 1995). Es umfasst die folgenden sechs Dimensionen: 1. S elbstakzeptanz 2. positive Beziehungen zu anderen 3. A utonomie 4. U mweltbewältigung 5. Le benssinn 6. p ersönliches Wachstum Menschen f ühlen sich da nn w ohl, w enn sie a lle Teile ihr er s elbst akzep tieren, wa rmherzige und vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Menschen pflegen k önnen, in ho hem M aße s elbstbestimmt leben, in der L age sind, ihr Leben so auszurichten, dass sich ihre Bedürfnisse erfüllen, ein zielgerichtetes Leben führen und sich selbst in ständiger Weiterentwicklung erleb en. Dies sind Dimen sionen, die mit den Merkmalen seelischer Gesundheit von Becker weitgehend übereinstimmen. Seelische G esundheit wird in den USA jedo ch umfassender k onzeptualisiert, als dies b ei B ecker der Fall ist (vgl. Keyes, 2002). Neben emotionalem Wohlbefinden (p ositive G rundstimmung, Gl ück und Lebenszufriedenheit) und den s echs Dimensionen des p ositiven Funktionierens von Ryff (»psychological well-being«) wird auch soziales Wohlbefinden in fünf Aspekten berücksichtigt: 1. Akzeptanz anderer Menschen 2. Überzeugung, dass die G esellschaft das Potenzial hat, sich positiv zu entwickeln 3. Eindruck, dass das eigene Leben für die Gesellschaft n ützlich ist und der eig ene B eitrag v on andern Menschen wertgeschätzt wird 4. Interesse a n der G esellschaft und Üb erzeugung, das s g esellschaftliche A bläufe logis ch, vorhersagbar und bedeutsam sind 5. s oziale Integration Damit ka nn a uch die s oziale L ebensbewältigung beurteilt werden. Ryff und S inger (2002) b etonen, dass s eelische Gesundheit nic ht als diskr eter Z ustand, s ondern multidimensionaler d ynamischer P rozess a ufzufassen s ei, was b edeutet, dass W ohlbefinden ein Ergebnis des intellektuellen, sozialen, emotionalen und p hysischen L ebensengagements ist (vg l. auch Mechanismen der S elbstregulation bei Staudinger, 2000). S ie r egen a n, in sbesondere die neur obi-
1.3 · Theorien zum Wohlbefinden
ologischen G rundlagen psy chischen »G edeihens« intensiver zu untersuchen, um besser zu verstehen, aufgrund welcher Mechanismen seelische Gesundheit durch Beziehungsfaktoren und Lebensengagement beeinflusst wird. Sie berichten erste Befunde zur Überprüfung der allost atischen Belastung, zur Asymmetrie der H irnaktivität und zu I mmunreaktionen. 1.2.3 T ugenden und Stärken
In Verbindung mit Wohlbefinden werden auch Tugenden und Stärken thematisiert. Was ist darunter zu v erstehen? S eligman def iniert T ugenden und Stärken folgendermaßen: Ein tugendhaf ter M ensch zu sein, bedeutet, dur ch einen Akt des Willens alle oder wenigstens die meist en der sechs ubiquitären T ugenden auszuüben: Weisheit, Mut, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Transzendenz. Zu diesen sechs Tugenden gibt es mehrere voneinander unterscheidbare Zugänge. Zum Beispiel kann jemand die Tugend der Ger echtigkeit dur ch Verhalten als gut er Bürger, dur ch F airness, dur ch L oyalität und Teamwork oder dur ch humane M enschenführung unter Beweis stellen. Diese Z ugänge nenne ich Stärken. (Seligman 2003, S. 226)
Sie b esitzen eine g ewisse S tabilität üb er die Z eit und Situationen hinweg und sind in allen größeren Kulturen als positive Eigenschaften anerkannt (vgl. auch Aspinwall & Staudinger, 2002). Stärken lassen sich mit Hilfe des von Seligman entwickelten »S trenght S urvey« mess en, der in sgesamt 24 v erschiedene S tärken er fasst (deu tsche Version siehe S eligman, 2003; siehe a uch w ww. authentichappiness.org). 1.3 T
heorien zum Wohlbefinden
Wann fühlen Menschen sich wohl und wa nn sind sie zufrieden? Es gibt eine Reihe von Theorien mit unterschiedlichem A bstraktionsgrad, die W ohlbefinden a ls Eig enschaft, Z ustand o der P rozess beschreiben. I n ihnen wir d t eilweise ein p erson-
7
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zentrierter, teilweise ein umweltzentrierter Schwerpunkt gesetzt o der aber die Wechselwirkung o der Passung zwischen Person- und Umweltmerkmalen beschrieben (vgl. Becker, 1991; Diener et al . 1999; Grom, 1987). B ottom-up-Theorien erk lären, wie externe Er eignisse z. B. t ägliche k leine F reuden oder auch demog rafische Faktoren wie Al ter, G eschlecht, Eink ommen da s W ohlbefinden bee influssen. Argyle (1999) zeigte, dass nur 15% der Varianz des subjektiven Wohlbefindens durch äußere Umstände oder demografische Faktoren bestimmt werden. F olglich m üssen p ersonbezogene F aktoren eine ma ßgebliche Ro lle sp ielen. H ier g eht es darum, dass W ohlbefinden d urch mo tivationale Komponenten, Temperamentsfaktoren o der individuelle L ebensbewältigungkompetenzen her vorgerufen oder mitbestimmt wird. Eine I ntegration der v erschiedenen K omponenten bieten die The orie der s eelischen Gesundheit (B ecker & M insel, 1986) und das M odell der Selektion, Optimierung und Kompensation (SOKModell, vgl. Baltes & Baltes, 1990). 1.3.1 Wohlbefinden als Resultat
eines wiederhergestellten Spannungsgleichgewichts
Motivationstheoretisch betra chtet r esultiert W ohlbefinden a us der B efriedigung v on B edürfnissen oder M otiven. U neinheitlich b eantwortet wir d j edoch, welche und wie viele B edürfnisse bzw. Motive von Rele vanz sind . Drei w esentliche Mechanismen spielen dabei eine Rolle. 1. A bbau bestehender Spannungszustände 2. Anreize w erden g esucht und H erausforderungen bewältigt 3. ein o ptimales Er regungs- und S pannungsniveau wird angestrebt. Dem homöostatischen Modell zufolge wird durch physiologisch-triebhafte B edürfnisbefriedigung eine S pannungsreduktion e rreicht, di e al s w ohltuend erleb t wir d. S pannungsreduktion und W iederherstellung v on H omöostase ka nn a ber a uch auf kognitive Weise erfolgen. Dann geht es darum, ob die Er wartungen, die ein M ensch a ufgrund seiner Bedürfnisse, Gewohnheiten und seines Wis-
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apitel 1 · Den störungsorientierten Blick erweitern
sens um K ontextbedingungen a ufbaut, mi t s einer W ahrnehmung der R ealität üb ereinstimmen (konsonant und w ohltuend erleb t w erden) o der dissonant dazu sind und durch geeignete kognitive Maßnahmen k orrigiert w erden k önnen (vg l. z. B. Festingers Dissonanztheorie). Welche Maßstäbe gewählt werden, um eine er folgreiche B edürfnisbefriedigung und B ewältigung von Anf orderungen zu er reichen, b eantworten Vergleichsniveautheorien. D anach kö nnen sich Menschen an verschiedenen Standards orientieren. Wohlbefinden resultiert nicht nur aus dem Vergleich mit eigenen Erwartungen, Zielen und Bedürfnissen, sondern z. B. a uch a us dem V ergleich mi t dem Wohlbefinden in der eig enen V ergangenheit o der Vergleichen mit anderen Menschen. Ist das Er gebnis d urch g eeignete A uf- o der A bwärts-Vergleiche günstig o der w erden mo derate Er wartungen und erreichbare Z iele g ewählt (vg l. dazu Anspruchsniveautheorien, z. B. Hofstätter), ist dies w ohlbefindensförderlich. Em pirisch gu t b estätigt, s oweit es nic ht um die B efriedigung b iologischer B edürfnisse g eht, ist die Theo rie des a bwärtsgerichteten Vergleichs (W ills, 1981), nac h der M enschen mi t geringem S elbstwert i hr Wohlbefinden ve rbessern können, w enn sie sich mi t denjenigen v ergleichen, denen es noch schlechter geht (vgl. Argyle, 1999). Erwähnt werden sollen schließlich auch Adaptationsniveautheorien, die erklären können, warum drastische Veränderungen der Lebenssituation (z. B. Lottogewinn, Querschnittslähmung) zwar zunächst Kontrasteffekte dera rt her vorrufen, dass ma n sic h nach dem p ositiven Er eignis b esser und dem negativen schlechter fühlt, sehr bald aber ein Gewöhnungseffekt im S inne einer V eränderung der B ezugsnorm eintritt, der zu einer Effektabschwächung führt. S olomon (1980) nimm t f ür den zei tlichen Verlauf v on Wohlbefinden einen un vermeidlichen Kontrast v on L ust und U nlust a n und disk utiert ebenfalls das Prinzip der hedonischen Habituation. 1.3.2 W ohlbefinden als Resultat
von Anreizen
Mit den b isher g enannten The orien ka nn nich t erklärt w erden, wie das N eugiermotiv, das V erlangen nac h Z uwendung und G eltung o der das
Bedürfnis nach Erleb en der eig enen Wirksamkeit durch aktives Handeln (was auch mit Anstrengungen v erbunden s ein ka nn) b efriedigt wir d. H ier geht es nä mlich nicht um b iologische B edürfnisse und S pannungsminderung, s ondern vielmehr um das Erleb en v on L ust und v on a nreizgebendem Neuen. Das Anreiz-Modell geht davon aus, dass Z iele mit p ositiver Valenz a ngestrebt w erden und Anstrengungen unternommen werden, diese auch zu erreichen, was dann zu Wohlbefinden und Zufriedenheit führt. Es besagt jedoch nicht genauer, wann Menschen ihr L eben nac h Anr eizen und Z ielen ausrichten und welche Ziele ihr Leben bestimmen. Zu k lären b leibt die F rage der P rioritätensetzung. Ein in teressantes K onstrukt im Z usammenhang mit W ohlbefinden ist hierb ei das des »p ersönlichen L ebensinvestments« (vg l. S taudinger, 1996): Im ju ngen E rwachsenenalter ist d as I nvestment in den B eruf der b este P rädiktor f ür sub jektives Wohlbefinden, während dies im hö heren Alter für das Investment in Gesundheit und Familie zutrifft. Die Verteilung des L ebensinvestments erla ubt es, sich an selbstgestellte oder externe Anforderungen zu adaptieren. 1.3.3 W ohlbefinden durch
Selbstverwirklichung
Wohlbefinden ka nn a uch d urch o ptimale S pannung er reicht w erden. O ptimale S pannung ka nn heißen, dass zei tweilig Anr eize und S pannung oder Reduktion von Spannung angestrebt werden. Maslow ha t in s einer b ekannten M otivationstheorie eine B edürfnis-Hierarchie mi t v erschiedenen Ebenen v on B edürfnissen b eschrieben, die neb en der B efriedigung p hysiologischer M angel- und Sicherheitsbedürfnisse a uch S elbstverwirklichung und Wachstum beinhaltet. Sie sind verbunden mit Freude a m G estalten, V erwirklichung v on individuellen F ähigkeiten, U msetzung v on I nteressen und S elbstverwirklichung und er möglichen tief es Glück, a ber a uch G elassenheit und die p ositive Erfahrung von Lebensfülle, was Formen von Wohlbefinden und Z ufriedenheit erk lärt, die üb er einfache hedonische Erfahrungen hinausgehen. Nach Befriedigung elemen tarer B edürfnisse wäc hst das
1.3 · Theorien zum Wohlbefinden
Verlangen nach Befriedigung von Bedürfnissen der höheren Ebene. Mit der B efriedigung von Wachstumsbedürfnissen ka nn s chließlich a m ehesten dauerhaftes Wohlbefinden (Zufriedenheit) erlangt werden. D as S elbstaktualisierungsmodell v on Rogers, nach dem der M ensch nach E ntfaltung s einer Fähigkeiten und Neigungen und nach Reifung strebt, ist hier einzuordnen. 1.3.4 Wohlbefinden durch wertzentrierte
und sinnstiftende Lebensgestaltung
Sinnfindungstheorien (z. B. F rankl, 1985) mi t ihrem P rinzip der S elbsttranszendenz g ehen davon a us, dass s chöpferisch s ein, H inwendung zu Menschen und das Er tragen v on S chicksalsschlägen S inn gib t. Wohlbefinden st ellt sic h da bei als Ergebnis d er H ingabe an b ejahte A ufgaben e in und b edeutet Erleb en v on »g esunder« S pannung. Verantwortlichkeit spielt hier als H andlungsanlass eine große Rolle, zudem das B estreben, das eigene Handeln als sinnvoll aufzufassen. Sinnorientierung ermöglicht eine positive, werteorientierte Hinwendung zu Aufgaben oder Mitmenschen, was F rankl als S elbsttranszendenz k ennzeichnet. U nterschieden werden dabei drei Wertkategorien: 1. schöpferische W erte (v erwirklicht d urch Ar beitsfähigkeit) 2. Erlebniswerte (verwirklicht durch Genuss- und Liebesfähigkeit) 3. Einstellungswerte (verwirklicht durch Leidensfähigkeit, wenn Arbeits- und Erlebensfähigkeit eingeschränkt sind). 1.3.5 Einfluss von Temperamentsfaktoren
und Kompetenzen
Die s og. Top-down-Theorien b etrachten S trukturen innerha lb der P erson wie p rädisponierende Eigenschaften, Temperamentsfaktoren und k ognitive Stile in ihrem Einfluss auf Wohlbefinden. Trifft es zu , dass dera rtige F aktoren ma ßgeblich sind , dann m üsste Wohlbefinden r elativ zei tstabil und weitgehend u nabhängig von s ituativen E inflüssen sein. Tatsächlich k onnte g ezeigt w erden, dass Extraversion (und N eurotizismus) eine b edeutsame
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Rolle sp ielen, a ber a uch S elbstwertschätzung und vor a llem disp ositioneller O ptimismus en tscheidend mitbestimmen, ob Wohlbefinden erlebt wird (vgl. Argyle, 1999; Carver & Scheier, 2005; Costa & McCrae, 1980). Nach kompetenztheoretischen Konzepten wird Wohlbefinden als Ergebnis einer erfolgreichen Bewältigung v on ext ernen Anf orderungen er wartet, da dies K ontrolle v ermittelt, An gst und H ilflosigkeit en tgegenwirkt und das S elbstwertgefühl gestärkt wir d. Ein en ger B ezug zu K ontrollüberzeugungen ist gegeben, da das Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten, Er wünschtes er reichen und Unerwünschtes v ermeiden zu k önnen (in ternale Kontrollüberzeugungen) p ositiv mi t ha bituellem Wohlbefinden korreliert. Als Kompetenzen sind all jene Aspekte von Bedeutung, die Becker in seinem Modell der s eelischen G esundheit zus ammengestellt und em pirisch b estätigt ha t (vg l. B ecker & Minsel, 1986) b zw. die R yff (1989) als w esentliche Dimensionen des Wohlbefindens benennt. Bewältigungsformen a ngesichts v on Anf orderungen sind nicht generell funktional oder dysfunktional f ür Wohlbefinden, s ondern es ist vielmehr zu berücksichtigen, dass j e nach Lebens- und Entwicklungskontext a uch r egressive B ewältigungsformen dazu beitragen können, dass Wohlbefinden erhalten o der wiedererlangt werden kann. Zudem scheint es günstig, ein flexibel einsetzbares Set von Bewältigungsformen zur Verfügung zu ha ben, das eine adaptive B ewältigung j e nac h Anf orderungskontext und Z eitpunkt der B ewältigung erla ubt (vgl. Filipp & Klauer, 1991). 1.3.6 Wechselwirkung von Situations-
und Dispositionsfaktoren
In der Reg el lös en nich t a llein U mweltbedingungen o der a usschließlich p ersonbezogene F aktoren Wohlbefinden a us. V ielmehr m üssen Wechselwirkungen zwischen Umweltfaktoren, dispositionellen Faktoren und Wohlbefinden angenommen werden (vgl. G rom, 1987). W ohlbefinden und L ebenszufriedenheit hä ngen da von a b, ob eine B ereitschaft und F ähigkeiten v orhanden sind , a uf U mweltfaktoren reagieren zu können, die Befriedigungs- oder Selbstverwirklichungschancen bieten. Zu wichtigen
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apitel 1 · Den störungsorientierten Blick erweitern
Umweltbedingungen w erden Eink ommen, Wohnverhältnisse, Bildung, Gemeinde/Regierung, Arbeit und Partnerschaft/Familie gerechnet. Dabei ist zwischen objektiven und sub jektiv wahrgenommenen Lebensbedingungen zu un terscheiden. V or a llem letztere sind ma ßgeblich f ür Wohlbefinden, w obei die sub jektive W ichtigkeit eine Ro lle sp ielt. V on besonderer Relevanz sind soziale Bedingungen, gefolgt v om allg emeinen L ebensstandard und v on Arbeitsbedingungen (vgl. Abele & Becker, 1991). Bei der W echselwirkung g eht es a uch um die Frage der P assung v on P erson und U mwelt (z. B. Tartakiewicz, 1984). Op timale Passung und da mit günstige Voraussetzungen f ür Wohlbefinden sind dann ge geben, we nn d ie L ebensanforderungen oder -a ngebote gu t mi t den F ähigkeiten, B edürfnissen und Z ielen der j eweiligen Person üb ereinstimmen. D ynamische I nteraktionsmodelle g ehen davon a us, dass sich F aktoren der U mwelt, des eigenen Verhaltens und der eigenen Persönlichkeit gegenseitig in B ezug auf das en tstehende Wohlbefinden beeinflussen.
kulturell, subjektiv oder objektiv definiert werden. Um eine p ositive Gewinn-Verlust-Bilanz zu er reichen, b edarf es der S elektion, der Op timierung und der K ompensation. W ill ma n Wohlbefinden erlangen, m uss das Z ielinvestment in g eeigneter Weise g ewählt w erden, was Selektion b edeutet (z. B. K onzentration a uf den L ebensbereich F amilie). M it En gagement f ür dies es Z iel und der dabei er folgenden Optimierung der M ittel (z. B. vermehrter K ontakt mi t den K indern) wir d der nächste S chritt a uf dem W eg zu W ohlbefinden beschritten. S tellen sic h H indernisse in den W eg (z. B. dringende Dienstreisen mit größerer Entfernung von zuhause), bedarf es der Kompensation. (z. B. A usgleich d urch v erlängertes W ochenende mit der F amilie). Persönlichkeitsmerkmale, selbstbezogene Mechanismen, verfügbare Mittel und deren wirk ungsvolle N utzung lass en sic h in dies em Modell gut bezüglich ihrer Funktion als Regulatoren einordnen.
1.3.7 In tegrierende Modellvorstellungen
Aktuelles Wohlbefinden ka nn a uf dir ektem Wege über a ngenehme s ensorische Reize (vg l. dazu Kap. 11), er folgreiche H andlungen, s oziale Z uwendung b zw. N ähe, g lückliche U mstände und auch eigene, angenehme Phantasien entstehen. Indirekt ka nn es a uch d urch die B eseitigung o der Reduktion a versiver Z ustände zust ande k ommen. Das S pektrum des mo mentanen W ohlbefindens untergliedert B ecker (1991) in die f olgenden vier Zustände: 1. »Flow« (vgl. Csikszentmihalyi, 1999): hohe Aktiviertheit 2. Gelassenheit: niedrige Aktiviertheit 3. positive Stimmung (»excitement«): hohe Erregung 4. positive S timmung (En tspannung): niedr ige Erregung.
Die Theorie der seelischen Gesundheit (vgl. Becker & M insel 1986) ka nn als in tegrierende M odellvorstellung verstanden werden. Ihr Grundgedanke besagt, dass s eelische G esundheit a uf der F ähigkeit zur B ewältigung v on ext ernen und in ternen Anforderungen b eruht. B ezüglich der ext ernen Anforderungen gib t es Üb ereinstimmungen mi t den kompetenztheoretischen Ansätzen und d urch Einbezug der inneren Anforderungen werden motivations- und t emperamentstheoretische An sätze berücksichtigt. Einen a nderen in tegrierenden D enkrahmen sieht S taudinger (2000) im M odell der s elektiven Optimierung und K ompensation (SOK). Hier werden a us der L ebensspannen-Perspektive j ene Prozesse konzeptualisiert, die eine g elungene Entwicklung ermöglichen. Als Indikator einer produktiv-adaptiven Entwicklung wird dabei das sub jektive W ohlbefinden hera ngezogen. Als K riterium für Wohlbefinden wird die M inimierung der Verluste bei gleichzeitiger Maximierung der G ewinne festgesetzt, wobei Gewinn und Verlust individuell,
1.3.8 Wie entsteht aktuelles Wohlbefinden?
Negative Affekte haben Überlebensfunktion. Welche Funktion kommt positiven Affekten zu?Freude weckt z. B. Spiellust, verlockt zum A ustesten eigener G renzen und r egt die eig ene K reativität a n; Interesse dagegen weckt Neugierde zu explorieren und nac h neuen I nformationen und Er fahrungen
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1.5 · Lohnt es sich, Wohlbefinden zu steigern?
zu suchen; Zufriedenheit führt eher zu gelassenem Zurücklehnen und Integration von Erfahrungen in eine neue Selbst- und Weltsicht. Diese kurzzeitigen positiven Emo tionen er weitern (»b roaden«) die habituellen Denk- und H andlungsweisen und tragen dazu bei, dass sich dauerhafte persönliche Ressourcen entwickeln (»b uild«), die wieder um auch künftig das Erleben positiver Emotionen begünstigen (vgl. Fredrickson & Joiner, 2002). Fredrickson (2005) bezeichnet ihre Theorie deshalb als »B roaden-and-Build Theory« positiver Emotionen. Ihre ergänzende »Undoing-Hypothese« besagt, dass positive Emotionen dazu beitragen, die Verarbeitung der Auswirkungen negativer Emotionen zu beschleunigen. Dies wir d mi t dem »b roadening«Mechanismus begründet (vgl. dazu a uch Kap. 3). Befunde zur ras cheren R ückregulation ka rdiovaskulärer Reaktionen nach hoch-erregender negativer Stimulation d urch nac hfolgende si tuative B edingungen, die p ositive Emo tionen a nregen, s tützen diese H ypothese (F redrickson & B ranigan, 2005). Auch w eitere S tudien zeig en, dass p ositive Emotionen w esentlich zur o ptimalen psy chologischen Funktionsfähigkeit beitragen. Sie schaffen günstige Bedingungen für eine Erweiterung der persönlichen Ressourcen, motivieren zur Annäherung an andere Menschen und un terstützen vitales L ebensengagement (vgl. Lyubomirsky, King & Diener, 2005). 1.4
Indikation von wohlbefindensförderlichen Interventionen und Wohlbefindensdiagnostik
Grundsätzlich ist eine F örderung v on Wohlbefinden bei allen psychischen Störungen indiziert und für eine gu te Therapeut-Patient-Beziehung unentbehrlich (vgl. Kap. 3). Spezifische wohlbefindensförderliche I nterventionen m üssen a ber zunäch st transparent erläutert und begründet werden, damit sich P atienten nic ht in ihr em p rimären Anlieg en, eine H ilfe b ei der B ehebung ihr er psy chischen Symptomatik zu erhal ten, missv erstanden f ühlen. Kontraindikationen f ür w ohlbefindensförderliche Interventionen gibt es nicht; vielmehr ist mit einer Verbesserung der Compliance zu rechnen. Neben einer st örungsbezogenen Diagnostik ist immer da nn, w enn W ohlbefinden g ezielt v erbes-
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sert w erden s oll, a uch eine sp ezifische W ohlbefindens-Diagnostik er forderlich. I m v orliegenden Buch w erden diagnostis che Fragen nur a m R ande behandelt, da S chumacher, K laiberg und B rähler (2003) gerade eine umfassende, aktuelle Sammlung geeigneter V erfahren zur P sychodiagnostik v on Wohlbefinden und zur Messung von Lebensqualität zusammengestellt haben. Erwähnt werden soll, dass sich viele Diagnostika nic ht nur zur Ein gangsdiagnostik eig nen. Wegen der L enkung der A ufmerksamkeit auf die p ositive Seite des B efindens haben diese Verfahren vielfach auch bereits therapeutische Funktion und erleichtern eine Therapieplanung, bei der Wohlbefindensziele einbezogen werden. Dem vorliegenden Buch werden zwei diagnostische Instrumentarien b eigefügt (Ress ourcenliste, vgl. Kap. 4 und F ragebogen zum k örperlichen Wohlbefinden, vg l. Kap. 10), die sic h zur exp lorativen Eingangsdiagnostik von Wohlbefinden eignen, aber auch als ipsative Verfahren zur therapiebegleitenden Diagnostik anbieten. 1.5 L
ohnt es sich, Wohlbefinden zu steigern?
Lange Z eit gal t in den USA un umstößlich die »Hedonic Treadmill«-Theorie v on B rickman und Campbell (1971). N ach ihr sind alle An strengungen, Gl ück und W ohlbefinden zu s teigern, zum Scheitern v erurteilt. D enn das Gl ücks- und Z ufriedenheitserleben ist a ufgrund v on G ewöhnung nur v on k urzer D auer und b edarf immer wieder neuer positiver Anreiz- und Kontrasterlebnisse. Es kommt rasch zu einer Adaptation, die in die hedonische N eutralität, d . h. zum »S et-Point« zur ückführt. Diener , L ucas und S collon (2006) b elegen neuerdings aber überzeugend, dass der hedonische »Set-Point« d urchaus v erschiebbar ist und r evidieren die »H edonic T readmill«-Theorie in f ünf Punkten (vgl. auch Fujita & Diener, 2005): 1. Es ist empirisch gut belegt, dass der »Set-Point« emotionalen Erlebens nicht im neutralen, sondern im positiven Bereich liegt. 2. Es gib t k einen k onstanten »S et-Point«, der gleichermaßen f ür alle M enschen gilt. Je nach Temperament un terscheiden sic h M enschen bezüglich ihrer »Set-Points«.
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apitel 1 · Den störungsorientierten Blick erweitern
3. Eine P erson ka nn en tsprechend der un terschiedlichen Komponenten des Wohlbefindens (Glück, Z ufriedenheit) v erschiedene »S etPoints« ha ben, da sic h das Erleb en v on a ngenehmen, una ngenehmen Emo tionen und L ebenszufriedenheit unterschiedlich entwickelt. 4. Die »Set-Points« können sich durch Lebenseinflüsse d urchaus üb er die Z eit hin weg v erändern. 5. Menschen un terscheiden sich da rin, wie sie sich an Ereignisse adaptieren. Einige verändern ihre »Set-Points« abhängig von äußeren Ereignissen, andere nicht. Aufmerksamkeitsprozesse spielen dabei eine wesentliche Rolle. Zusammen mit B efunden im R ahmen der »B roaden-and-Build«-Theorie, er gibt sic h da raus, dass es sich in j edem Fall lohnt, positive Emotionen zu kultivieren, denn sie stoßen eine Aufwärtsspirale in Richtung zunehmenden Wohlbefindens an und unterstützen Faktoren der Resilienz (vgl. Fredrickson & Joiner, 2002; Fredrickson & Branigan, 2005). Dass p ositives Erleb en und V erhalten b ei einer en tsprechenden S chwerpunktsetzung mi ttels therapeutischer I nterventionen g efördert w erden kann, konnten Fava et al . (1998) mi t ihrer »WellBeing-Therapie« b ei a ffektiven S törungen zeig en. Diese Therapie setzt an den Dimensionen von Ryff an, fokussiert die p ositive Seite des B efindens und fördert mittels Problemlöse- und Selbstsicherheitstraining s owie g enussförderlicher S trategien das Wohlbefinden. Es konnte gezeigt werden, dass dieser Ansatz wirksamer war als eine r eine kognitive Verhaltenstherapie. Schon im J ahr 1977 ha tte F ordyce ein P rogramm entwickelt, das eine Steigerung des persönlichen Gl ücks und der Z ufriedenheit v on S tudierenden a nstrebte, indem es der en Verhalten und Einstellungen m ithilfe von v ierzehn Verhaltensregeln a n die Cha rakteristika g lücklicher Menschen anzupassen v ersuchte. T äglich s ollten dr ei dies er Regeln b eherzigt w erden. I n den un terschiedlich konzipierten Studien konnte jeweils ein signifikanter Z uwachs a n Gl ückserleben im V ergleich zur Kontrollgruppe f estgestellt w erden. Dies e S tudien zeigen, dass das Gl ückspotenzial größer ist, als es üblicherweise a usgeschöpft wir d. S ie zeig en zudem auch, dass Wohlbefinden auf relativ einfache
Weise nac hhaltig g esteigert w erden ka nn, w enn nur üb erhaupt d urch eine dir ekte B eschäftigung mit Gl ück und W ohlbefinden die W ahrnehmung dafür g eschärft wir d und eine Anr egung er folgt, aktiv a ndere L ebensprioritäten zu s etzen. »Thos e who understand happiness have the best chance to attain it«, betont Fordyce (1983, p. 497). 1.6 T
herapieziel Wohlbefinden
Zur Verbesserung v on Wohlbefinden b ieten sic h verschiedene Z iele a n. B ezüglich des a ktuellen Wohlbefindens kann das körperliche, das kognitive (Zufriedenheit, S inn), das a ffektive (Gl ück, g ehobene Stimmung, Interesse bzw. Neugierde) und das soziale Wohlbefinden (Erleb en von Integriertsein, Akzeptiertsein, G eborgenheit, G ebrauchtwerden etc.) in s A uge g efasst und t herapeutisch b eeinflusst werden. Zudem können auch Situations- und Disp ositionsfaktoren und F ähigkeiten beeinflusst werden, die mi t W ohlbefinden zus ammenhängen und es begünstigen. ⊡ Abb. 1.1 zeigt, w elche Aspekte hier eine Rolle spielen. 1.7
Überblick über das vorliegende Buch
Im v orliegenden B uch b efassen wir un s mi t Therapieansätzen, die sic h ga nz sp ezifisch a uf Wohlbefinden und men schliche S tärken k onzentrieren und no ch viel zu s elten b ewusst dazu ein gesetzt werden, das W ohlbefinden v on P atienten zu f ördern. D ass dies in ef fektiver W eise mög lich is t, wird d urch die A utoren dies es B uches v ermittelt. Nahezu alle sind P sychotherapeuten, die p raktische Er fahrungen zu ihr em Thema mi tbringen. Die meisten von ihnen ha ben zudem die je weilige Thematik auch empirisch erforscht. Fiedler s etzt sic h in Kap. 2 mi t r essourcenorientierter P sychotherapie a useinander und Fl ückiger und G rosse H oltforth in Kap. 3 mi t B edürfnisbefriedigung d urch Ress ourcenaktivierung und eine mo tiv-orientierte psy chotherapeutische Beziehungsgestaltung. Dic k g eht in Kap. 4 der Frage nach, wie sich Freude, Vergnügen und Glück
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1.7 · Überblick über das v orliegende Buch
Bereitschaft und Fähigkeit zu Positiverfahrungen
Situations-/Umweltfaktoren
Dispositionen und Fähigkeiten
4 Einkommen
körperlich, neurobiologisch: 4 Alter 4 Geschlecht 4 körperliche Gesundheit 4 Temperament (Extraversion)
4 Wohnung 4 Bildung 4 Gesellschaft/Regierung 4 Arbeit 4 Partnerschaft/Familie 4
affektiv-motivational: 4 Fähigkeit zum Erleben positiver Gefühle 4 Selbstwertgefühl 4 Selbstakzeptanz 4 Genussfähigkeit 4 Interesse, Neugierde, Offenheit für Neues 4 Selbstvergessenheit
kognitiv: 4 Lebenssinn 4 Tugenden, Wertvorstellungen 4 Denkstile, z. B. Optimismus
sozial: 4 4 4 4
Bindungs- und Liebesfähigkeit Fähigkeit zu sozialer Akzeptanz Fähigkeit zu sozialer Integration prosoziale Empfindungsfähigkeit (Gerechtigkeit, Altruismus, Toleranz,
) 4 Expansivität 4 Autonomie
⊡ Abb. 1.1. Faktoren für Wohlbefinden
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apitel 1 · Den störungsorientierten Blick erweitern
durch P sychotherapie f ördern lass en. M it Sal utogenese und eu thymer Thera pie b efasst sic h L utz in Kap. 5. H eidenreich, J unghanns-Rojahn und Michalak f okussieren in Kap. 6 den A spekt der Achtsamkeit, wie er durch die »Mindfulness-Based Therapy« v ermittelt wir d. I n Kap. 7 be schreibt Kaimer narrative Ansätze, in der en Rahmen nützliche G eschichten als Quelle f ür H offnung und Kraft genutzt werden. Den Abschluss dieses ersten Teils bildet Kap. 8 mit einem lösungsorientierten Therapieansatz der systemischen Familientherapie, den Zwingmann verfasst hat. Als Z ielpunkte einer V erbesserung des W ohlbefindens werden im zw eiten Teil die emo tionale, die körperliche, die kognitive und die soziale Komponente betrachtet. In Kap. 9 werden emotionale Aspekte, wie sie z. B. bei der Erhebung der FreudeBiografie eine Rolle spielen von Kast angesprochen. In Kap. 10 b eschreibt F rank, wie k örperliches Wohlbefinden durch einen therapeutischen Ansatz zur S elbstregulation v erbessert w erden ka nn. Um sinnliche Lebendigkeit geht es in Kap. 11, in dem Koppenhöfer darauf ein geht, wie d urch S innesgenüsse W ohlbefinden g eweckt w erden ka nn. A uf kognitive Aspekte des Wohlbefindens ist Kap. 12 ausgerichtet, in dem K ossak darlegt, wie sinn volle Werte und Lebensziele durch Methoden der Imagination und Hypnose entwickelt werden können. In Kap. 13 b eschreibt P otreck-Rose M öglichkeiten zur F örderung v on S elbstakzeptanz. I n Kap. 14 geht Reu ter a uf I dentitätsstärkung ein und b eschreibt dazu ein Programm zur Förderung selbstbestimmten L ebens, das b ei der B ehandlung v on Patientinnen mi t einer K rebserkrankung er probt worden ist. I n den f olgenden dr ei K apiteln liegt der S chwerpunkt a uf s ozialem Wohlbefinden: I n Kap. 15 befasst sich Hartmann mit der Frage, wie sich B indungswünsche s o r ealisieren lass en, dass Wohlbefinden r esultiert. I n Kap. 16 be schreibt Bodenmann, wie P artnerschaft g epflegt w erden kann und in Kap. 17 geht Käm merer auf Vergebung als Quelle von Wohlbefinden ein. Wohlbefinden i m V erlauf d er Le bensspanne wird ex emplarisch mi t B ezug zu J ugend und Alter b ehandelt. Dies sind zwei L ebensabschnitte, die je weils b esondere H erausforderungen f ür das eigene Wohlbefinden beinhalten. Opp befasst sich in Kap. 18 mit der Entwicklung von Widerstand-
kräften im J ugendalter und G rom b efasst sic h in Kap. 19 mi t W ohlbefinden und Ress ourcen im Alter. Der Schluss des Buches ist neuroanatomischen und b iochemischen A spekten des W ohlbefindens gewidmet. I n Kap. 20 g ehen S tark und K agerer auf neuronale Grundlagen positiver Emotionen ein und in Kap. 21 b eschreiben K irsch und G ruppe neuromodulatorische Einflüsse von Dopamin und Oxytocin. Möge dies es B uch dazu b eitragen, die A ufmerksamkeit im R ahmen v on P sychotherapien noch mehr als b isher a uf p ositives B efinden zu richten und b ewusst Wohlbefinden als Thera pieziel anzustreben.
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apitel 1 · Den störungsorientierten Blick erweitern
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II
Teil II Therapieansätze, die Wohlbefinden und menschliche Stärken fokussieren
Kapitel 2
Ressourcenorientierte Psychotherapie
– 19
Kapitel 3
Ressourcenaktivierung und motivorientierte Beziehungsgestaltung: Bedürfnisbefriedigung in der Psychotherapie – 33
Kapitel 4
Durch Psychotherapie Freude, Vergnügen und Glück fördern – 43
Kapitel 5
Euthyme Therapie und Salutogenese
Kapitel 6
Mindfulness-based therapy: Achtsamkeit vermitteln – 69
Kapitel 7
Narrative Ansätze: Nützliche Geschichten als Quelle für Hoffnung und Kraft – 83
Kapitel 8
Über das gemeinsame (Be-)Finden: von Ressourcen, Lösungen und Wohl-Befinden – 103
– 55
2
Ressour
cenorientierte Psychotherapie
Peter Fiedler 2.1 Einleitung
– 20
2.2
Allgemeine Ziele einer ressourcenorientierten Psychotherapie – 20
2.3
Gesundheitspolitische Negativ-Organisation psychischen Leidens – 21
2.4
Positive Psychotherapie: Vom Optimismus der Psychotherapeuten – 21
2.5
Ressourcenorientierte Aufklärung und Beratung – 23
2.6
Was Patienten in einer Psychotherapie als veränderungsrelevant betrachten – 24 2.6.1 V eränderungsrelevante Episoden – 24 2.6.2 V on Therapeuten und Patienten gemeinsam als veränderungsrelevant gekennzeichnete Episoden – 24 2.6.3 V on Therapeuten vorrangig allein als veränderungsrelevant gekennzeichnete Episoden – 25 2.7
Vorsicht im Umgang mit Über tragungsdeutungen – 26
2.8 Ressour cenorientiertes Krisenmanagement – 27 2.8.1 Sich mehr um die Patienten kümmern als Perspektive – 27 2.8.2 Ressourcenorientierte Behandlung in Krisen – 28 2.9
Tatsächliche Rückfallursachen als Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung psychotherapeutischer Konzepte – 28
2.10 Ressourcenorientierung dient dem Abbau des Machtgefälles Literatur –
30
– 29
20 K
apitel 2 · Ressourcenorientierte Psychotherapie
2.1 Einleitung
2
In den vergangenen Jahrzehnten wird ein einseitig defizitorientiertes M odell psy chotherapeutischer Tätigkeit zunehmend kr itisiert. Die p ointiert v orgetragene Al ternative la utet Ressourcenorientierung. S pätestens s eit den 1980er -Jahren wir d der Aktivierung der Ress ourcen v on K lienten in den unterschiedlichen Anwendungsfeldern der Psychologie eine zentrale Bedeutung zugesprochen. Dies gilt übrigens nicht nur in der Psychotherapie, sondern ga nz allg emein in den in un terschiedlichen psychologischen Beratungsfeldern (vgl. Nestmann, 1996) s owie in der P rävention, der B ewältigungsforschung und in der Gesundheitspsychologie (vgl. Becker, 1995). In der P sychotherapie im en geren S inne waren es nic ht n ur die V erhaltenstherapeuten, die schon früh mit ihren Selbstmanagement-Ansätzen ausdrücklich die Ress ourcenorientierung im A uge hatten (vg l. z. B. K anfer et al . 1996; p rogrammatisch a uch als »P sychotherapieziel S elbstbehandlung«: Fie dler, 1981). E twa zei tgleich erleb ten die unterschiedlichen An sätze der systemis chen F amilientherapie mi t i hren fast a usschließlich p ositiv-stützenden I nterventionen einen ersten H öhepunkt, s o dass K arpel und B rauers die da bei sichtbar w erdenden familiären Ress ourcen b ereits 1986 a ls »hidden p artners«, a lso a ls »P artner im Hintergrund« der Familientherapie bezeichneten. Auch in der Psychoanalyse wurde zunehmend auf die N otwendigkeit der Ress ourcenorientierung hin gewiesen, s o b eispielsweise v on R hodeDachser (eb enfalls 1986) in der B ehandlung der Borderlinepersönlichkeitsstörungen. Ende der 1980er-Jahre griff Sachse (1991) das nac h Rogers Tod zunehmend ver tretene Pl ädoyer a uch hier zulande a uf, die G esprächspsychotherapie do ch endlich in »zielo rientierte G esprächspsychotherapie« umzub enennen. Sac hse k onnte in s einen detaillierten P rozessanalysen nac hweisen, dass Gesprächstherapeuten immer dann besonders erfolgreich wa ren, w enn dies e im Thera pieprozess kontinuierlich die p ersönlichen Z iele der P atienten herausarbeiteten, um dies e dann zu b ekräftigen und auszuweiten. Schließlich war es Grawe, der in s einen Arbeiten wiederho lt a uf die s either zunehmende S ub-
stanz in der P sychotherapieforschung zur B edeutung der Ress ourcenorientierung hin gewiesen hat (Grawe, 1998; 2004; auch: Grawe et al. 1994; Grawe & Grawe-Gerber, 1999). 2.2
Allgemeine Ziele einer ressourcenorientierten Psychotherapie
Für die M ehrzahl der F orscher beinhalten die B egriffe Ress ourcenorientierung bzw. Ress ourcenaktivierung immer folgendes Kernelement: Das r essourcenaktivierende Empowerment a ls Erkennen und S tützen der b ereits v orhandenen positiven Seiten und Fähigkeiten eines Patienten. Von einigen Autoren wird sogar etwas optimistisch die Ansicht vertreten, dass die P erson bereits über alle Ressourcen verfügt, um ihre Probleme zu lösen, und dass es in der Psychotherapie gelte, diese »nur« zu en tdecken, um sie zu ak tivieren – eine Meinung, wie sie vielfach von gesprächspsychotherapeutischen u nd psycho dynamischen F orschern vertreten wird. Die meist en anderen Autoren und Forscher s cheinen dies er o ptimistischen P osition gegenüber etwas skeptisch zu sein, denn sie formulieren vorsichtiger. Nach ihrer Auffassung scheinen die Ress ourcen, üb er die eine P erson b ereits v erfügt, zwa r einen w esentlichen B eitrag zur B ewältigung v on S chwierigkeiten zu leist en; sie s ollten jedoch durch externe Ressourcen ergänzt werden, beispielsweise in der Therapie durch gezielte Information und A ufklärung v on P atienten (vg l. z. B. Grawe, 2004; Willutzki, 2000). Eine wiederum andere Gruppe von Forschern, zu deren Vertretern ich mich selbst zähle, ist sogar der An sicht, dass der exter ne B eitrag g elegentlich erheblich sein sollte, damit er zu einer Umkehr der Entwicklung in p ositive Ric htung b eitragen ka nn (Fiedler, 2004a; a uch: H obfoll, 1989). Z usammengefasst f ügen die w ohl meist en A utoren dem schlichten Empowerment und da mit der Ress ourcenaktivierung inzwis chen denn a uch no ch ein zweites Kernelement hinzu, nämlich: Beratung und T raining als r essourcenanreichernde Er weiterung der v orhandenen M öglichkeiten durch die g ezielte Vermittlung neuer I nformationen und d urch die Ein übung neuer und b is dahin ungewohnter Bewältigungskompetenzen.
2.4 · Positive Psychotherapie: Vom Optimismus der Psychotherapeuten
! Das kurzgefasste Motto dieser Weiterung lautet: Bäume wachsen nicht von selbst, wenn sie zuvor nicht eingepflanzt wurden, und dabei muss man natürlich immer auch auf die Ressourcen aufbauen, die bereits vorhanden sind.
Bevor diese wichtige Forderung nachfolgend näher begründet wir d, s ollen zunäc hst einig e H indernisse auf dem W eg zu st ärkerer Ress ourcenorientierung in der Psychotherapie beschrieben werden, die es in sbesondere mi t den N ovizen in un seren Ausbildungsinstituten kritisch zu hinterfragen und zu überwinden gilt. 2.3 G
esundheitspolitische NegativOrganisation psychischen Leidens
Gerade zu B eginn einer Thera pie ist nic ht da von auszugehen, dass P atienten ihre Ressourcen wahrnehmen können. Psychisch belastete Personen teilen in vielen F ällen die P athologie-Orientierung ihrer Umwelt – und da mit zumeist auch noch die ihrer Psychotherapeuten, die zumindest zu B eginn einer Thera pie etwa mi t B lick a uf eine K ostenübernahme f örmlich g ezwungen sind , I CD-taugliche S törungsdiagnosen zu f inden. Und das heißt, nicht die Feststellung von Ressourcen, sondern die Diagnose v on F ehlern, M ängeln und S törungen ist V oraussetzung da für, dass P sychotherapeuten überhaupt tätig werden können. Natürlich ha ben a uch die P atienten s elbst die entsprechende Er fahrung g emacht, dass sie B elastungen nic ht mehr b ewältigen, mi t denen v ermeintlich »normale« Personen und a uch sie s elbst früher keine Schwierigkeiten hatten. Diese Demoralisierung, das f ehlende Z utrauen zu sic h s elbst sowie die damit verbundene Hilfs- und Hoffnungslosigkeit f ühren dazu , dass viele P atienten s elbst Bereiche, in denen sie nac h wie v or gu t zur echtkommen, häufig nicht mehr erkennen oder als relevant ansehen, so dass oftmals eine global negative Sicht vorherrscht. Insbesondere die Diagnos e v on P ersönlichkeitsstörungen ist g erade in dies em Z usammenhang ein sehr ambivalentes Gebilde und kann sich im Verlauf der B ehandlung als wahr er B umerang erweisen. D enn nac h Diagnos estellung si tzt v or
21
2
uns ein M ensch, dess en ur eigenste Ress ource, nämlich s eine P ersönlichkeit, g erade q ua Dia gnose in ein D efizitmodell v erwandelt wur de, und damit verbunden seine ihm eigenen Kompetenzen und F ähigkeiten. N icht v on un gefähr wider fährt vielen Patienten nach Vergabe der Persönlichkeitsstörungsdiagnose eine gr undlegende B edrohung ihrer bestehenden oder verbliebenen persönlichen Ressourcen. Das kann für die Betroffenen, solange keine Perspektiven vorliegen, gelegentlich existenzbedrohliche A usmaße a nnehmen. K ein W under also, wenn sich viele Patienten gegen die Diagnose der gestö rten P ersönlichkeit u nterschwellig o der vehement o ffen zur W ehr s etzen o der dies e als beleidigend oder kränkend erleben. Natürlich sind P atienten mi t ma rkanten p ersönlichen Stilen gelegentlich schwer zu b ehandeln. Dennoch gibt es inzwis chen einige beachtenswerte Untersuchungen dazu , wa rum es einig en Therapeuten besser als anderen gelingt, schwierige, wenig motivierte und widerst ändige Patienten erfolgreich zu b ehandeln (vg l. u . a. D olan & C oid, 1993; P almer, 1992; Garland & Dougher, 1991; Kear-Colwell & Pollak, 1997; Marshall et al., 1999; Fiedler, 2004a). Einige Highlights aus dieser Forschung sollen jetzt am Anfang stehen, denn dies e Studien wurden mit einem therapeutisch schwer zugänglichen Klientel, nämlich mi t p ersönlichkeitsgestörten S traftätern durchgeführt, wobei bei den meist en die Diagnos e der dissozialen Persönlichkeitsstörung aktenkundig vermerkt wa r. Warum gib t es b ei s chwer p ersönlichkeitsgestörten delinq uenten P atienten (S traftätern) erfolgreiche und weniger erfolgreiche Psychotherapeuten? Was unterscheidet sie? 2.4 P
ositive Psychotherapie: Vom Optimismus der Psychotherapeuten
Ausgangspunkt sind die Er gebnisse zum g lobalen Behandlungserfolg. Finden im Gefängnis keine psychotherapeutischen Maßnahmen statt, liegt der 3-jährige Er folg üb licher I nhaftierungsmaßnahmen bei Straftätern mit dissozialer Persönlichkeitsstörung n ur etwa b ei 40 % (d .h. 60 % R ückfälle). Werden Thera peuten in den G efängnissen mi t ihren B ehandlungskonzepten t ätig, s o f indet sich
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2
apitel 2 · Ressourcenorientierte Psychotherapie
bis heute recht konvergent, dass etwa b is zu 45 %, höchstens 50 % der psy cho- b zw. s ozialtherapeutisch behandelten Straftäter nicht wieder rückfällig werden (50–55 % R ückfälle; vg l. D olan & C oid, 1993). D er M ehrgewinn psy chotherapeutischer Hilfe in dies em F eld liegt als o b ei etwa 5–10 %, was übrigens sehr viel ist! Denn um die Bedeutung dieser U nterschiede r ichtig einzus chätzen, m uss man k lar v or A ugen ha ben, das kr iminelle M enschen mi t diss ozialer P ersönlichkeitsstörung der Gesellschaft enorm viel Geld kosten. Anfangs ha tten die F orscher immer wieder vermutet, d ass ge ringe B ehandlungserfolge vom Schweregrad der P ersönlichkeitsstörungen a bhängig s eien, was sic h n ur s ehr ein geschränkt bestätigen ließ. A uch sp ielte die Thera pieschule der P sychotherapeuten eine eher un tergeordnete Rolle. Eher zufällig entdeckte eine Forschergruppe um Palmer (1992), dass der Er folg möglicherweise durch die je weilige Z usammensetzung eines Therapeutenteams mi tbestimmt wir d. Ga b es einen Wechsel im B ehandlungsteam o der in der t herapeutischen L eitung, v eränderten sic h die Er folgszahlen einer s ozialtherapeutischen Einr ichtung nach ob en o der nach unten – und zwa r gelegentlich recht drastisch: im B ereich der mi ttelfristigen Rückfallquoten immerhin zwis chen 30–40 % (vg l. Fiedler, 2004a). Daraufhin begann man, sich in der Forschung stärker auf die Therapeuten zu konzentrieren und neue Fragen zu stellen. Alsbald war ein hochinteressanter Erfolgsprädiktor gefunden. Erfolgreiche Therapeuten Dieser wichtige Erfolgsprädiktor besagt: Hohe Erfolgszahlen bei den ansonsten extrem schwierig zu behandelnden P atienten s cheinen in erheblichem Ausmaß davon abhängig zu s ein, wie s ehr in den sozialtherapeutischen Einr ichtungen ein Therapie-Optimismus nach Innen und Außen vertreten wird. ! Wenn die Therapeuten selbst an den Er folg ihrer Tätigkeit glauben, arbeiten sie deutlich effektiver.
War dies er P rädiktor g efunden, fa nd ma n no ch einige weitere Merkmale, die offensichtlich eng mit dem Thera pieerfolg zus ammenhängen. O ptimistische Thera peuten v ersuchen nä mlich nicht primär die B etroffenen zu v erändern. S ie v ersuchen
vielmehr – tr otz der zum T eil gr oßen B rutalität der Betroffenen – so etwas wie eine Haltefunktion zu den S traftätern aufzubauen. Dies v ersuchen sie dadurch zu er reichen, dass sie die K riminellen motivieren, mi t ihnen zus ammen auf einer S eite zusammenzuarbeiten. Und das heißt: gemeinsam gegen widr ige L ebensumstände, g emeinsam gegen zwis chenmenschliche K risen. O der, was inzwischen un ter der Üb erschrift »An tiaggressivitätstraining« angestrebt wird: gemeinsam mit den Kriminellen gegen kriminelle Handlungen vorzugehen – was etwas anderes ist, als gegen die Person des Straftäters zu arbeiten. Weniger erfolgreiche Therapeuten Wenig er folgreiche und p essimistische Thera peuten hingegen lehnen auffällig häufig »negative Personeigenarten« a b, s chließen nic ht g erade s elten von N egativ-Handlungen a uf den Cha rakter und die Person. Es ist gu t nachvollziehbar, dass sie mi t einer solchen Haltung den Eindruck bekommen, in subjektiver Sicht »gegen die Person« des Patienten arbeiten zu m üssen. Eine der w esentlichen S trategien dies er Therapeuten liegt in I nterventionen, die a ls »B eziehungsarbeit« b eschrieben w erden können: Interaktions-Feedback und Konfrontation der Straftäter mit unangemessenen Interaktionseigenarten. Mit »konfrontierender Beziehungsarbeit« soll o ffensichtlich die »Ein sicht« der P atienten in »Übertragungsprozesse« und in p roblematische Interaktionsformen verbessert werden. Es waren denn auch einige Prozessstudien, die auf einige Negativseiten konfrontierender Therapie aufmerksam machten (Garland & D ougher, 1991; Kear-Colwell & P ollak, 1997): W erden diss oziale Straftäter nä mlich a uf nega tive P ersoneigenarten angesprochen, reagieren viele häufig mit Reaktanz und nicht mit der g ewünschten Einsicht. Entsprechend häufig zeigen sich in der F olge diese Therapeuten wegen der Uneinsichtigkeit vieler Patienten frustriert, weshalb sie gelegentlich von sich aus die Behandlung beenden. Vorsicht mit Reaktanz provozierenden Interventionen Inzwischen mehr en sic h s ogar H inweise da rauf, dass f ür eine V erweigerung v on V eränderungsbereitschaft und damit für das Rückfallrisiko vielleicht
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2.5 · Ressourcenorientierte Aufklärung und Beratung
die Reaktanz provozierenden Interventionen einiger Therapeuten mi tverantwortlich zeichnen k önnte. Insbesondere in Gruppen besteht diese Gefahr. Wird dort nä mlich v on den B etroffenen eine e ventuelle Verweigerung von E insicht u nd Änd erungsbereitschaft öf fentlich vor and eren vorge tragen, w ürden diese Personen späterhin eventuell ihr Gesicht verlieren, würde sie hinter einer einmal öffentlich, vielleicht sogar vehement, vorgetragenen Verweigerung wieder zurücktreten. Entsprechend gelten heute für viele F orscher R eaktanz p rovozierende I nterventionen in der G ruppentherapie als k ontraproduktiv (Fiedler, 2005) – übrigens einschließlich des zeitweilig beliebten sog. »heißen Stuhls«, auf dem Patienten in »heißen Disk ussionen« o ffenkundig zu neuen Einsichtswelten geführt werden sollen. Um auf das Thema des Beitrags zurück zu kommen: Für eine »Ressourcenorientierung« jedenfalls dürften Strategien, durch die P atienten unbedacht veranlasst w erden, sic h mi t N egativseiten ihr er selbst auseinanderzusetzen, als kontraindiziert angesehen w erden. S icherlich ka nn a uch nic ht v on Ressourcenorientierung gesprochen werden, wenn Patienten drängend mit ihren widerständigen und damit ve rmeintlich re gressiven V erhaltensweisen konfrontiert w erden, etwa in der H offnung, dass sie v on sic h aus neue W ege suc hen und ein schlagen werden. Mit Konfrontationsstrategien dürfte es weiter schwerlich gelingen, das bei vielen Patienten eindrücklich f ehlende S elbstbewusstsein und die Selbstwertschätzung zu erhöhen. Inzwischen ließen sich die v orgetragenen Beobachtungen d urch syst ematische S tudien zur U ntersuchung der Wirkung von Behandlungskonzepten p ersönlichkeitsgestörter S traftäter wei ter absi chern, wobei sich mit Hilfe von Metaanalysen die Effektivität un terschiedlicher P rogrammaspekte inzwischen g enauer b estimmen ließ. D abei fa nd sich ein weiterer, ganz ähnlich bedeutsamer Aspekt: Der Erfolg der praktisch arbeitenden Therapeuten scheint a uch no ch da von a bhängig zu s ein, wie sehr die im H intergrund arbeitenden Therapieforscher von der W irkung ihrer Therapieprogramme überzeugt sind und en tsprechend optimistisch ans Werk g ehen (vg l. die Üb ersichten b ei L ipsey et al., 2000; Müller-Isberner, 2000; L ösel, 1995; 1998; 2001). Thera piestudien sind um so er folgreicher, wenn sich die beteiligten Therapeuten vom Enthu-
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siasmus, v om En gagement und v on der S orgfalt bei der P rogrammdurchführung d urch die Therapieforscher a nstecken lass en. E her g eringe Wirkungen b is hin zu s ogar s chädigenden Einf lüssen finden sich vor allem in t herapeutischen Konzepten, die a uf Disziplinierung oder Einschüchterung abzielen. Es s cheint inzwis chen ziemlic h sic her, dass insbesondere die Anwendung von Einsicht erzwingenden Therapiebausteinen ganz offenkundig eher zu einer Steigerung als zur Verminderung der Rückfallraten führen (vgl. Lösel, 2001). Inzwischen ließen sich die genannten Beobachtungen durch systematische Analysen auch außerhalb der S traftäterbehandlung f inden und w eiter absichern (W ard & S tewart, 2003). Of fenkundig gilt vieles, was ic h bis hier vorgetragen habe, nicht nur f ür die B ehandlung v on S traftätern im G efängnis. D eshalb no chmals k urz zur ück zu den Qualitätsmerkmalen der optimistischen und hä ufiger er folgreichen Thera peuten, der en Verhalten geradezu als p rototypisch f ür eine r essourcenorientierte B ehandlung g elten ka nn: Nicht Ein sicht in die eig enen U nzulänglichkeiten ist das Z iel, sondern die Aktivierung positiver Persönlichkeitsmerkmale und die konstruktive Entwicklung neuer Lebensperspektiven und Handlungsmuster. 2.5 Ressour
cenorientierte Aufklärung und Beratung
Ich ha be dies en A usflug in die S traftäterbehandlung deshalb un ternommen, w eil ic h der f esten Überzeugung bin, dass sich viele Aspekte des eben Vorgetragenen a uf die B ehandlung v on psy chischen S törungen im Allg emeinen üb ertragen lassen. D abei d ürfte in sbesondere Thera pieoptimismus als gute Voraussetzung für das Gelingen einer Therapie angesehen werden. Denn glauben Therapeuten nicht an den Erfolg ihrer Behandlung, dann besteht über kurz oder lang die G efahr, dass a uch Patienten daran zu zw eifeln b eginnen, dass ihnen mittels Psychotherapie geholfen werden könnte. An dieser Stelle möchte ich gern die Ergebnisse einer k leinen S tudie v orstellen, die wir zur F rage durchgeführt haben, was Patienten eigentlich selbst in ihrer Psychotherapie für das Gelingen derselben als relevant betrachten.
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2.6
2
apitel 2 · Ressourcenorientierte Psychotherapie
Was Patienten in einer Psychotherapie als veränderungsrelevant betrachten
Seit M itte der 80er -Jahre f ragen wir g elegentlich Therapeuten, ob sie zusammen mit ihren Patienten Interesse haben, an einer U ntersuchung üb er s og. Veränderungsrelevante Episoden t eilzunehmen. Der Untersuchungsaufbau ist denkbar einfach (vgl. z. B. Fiedler & Rog ge, 1989). Die Thera piesitzungen w erden a uf V ideo a ufgezeichnet. I n der Z eit zwischen zw ei S itzungen m üssen sic h Thera peut und Patient getrennt mit einem Interviewer hinsetzen und sich die Aufzeichnung nochmals ansehen. Das Video w ird j eweils gestoppt, wenn Therapeut bzw. P atient der An sicht sind , dass g erade etwas Relevantes passiert (ist), sei es mit Blick auf die angestrebten Therapieziele bzw. erhofften -wirkungen oder auch mit Blick auf wünschenswerte Veränderungen im P rozess. Dabei finden sich viele E pisoden, die v on P atient und Thera peut g emeinsam (also k onvergent) als wic htig a ngesehen w erden, aber a uch viele E pisoden in sbesondere a uf S eiten der Therapeuten, die dies e als wic htig betrachten, ihre Patienten jedoch interessanterweise nicht. So einfach der A ufbau, s o g ering ist leider die B ereitschaft v on Thera peuten, sic h mi t ihr en Patienten einer s olchen P rozedur zu un terziehen. Dennoch haben sich g lücklicherweise in den letzten 15 Jahren zehn Patienten und ihre Therapeuten in a mbulanten und st ationären K ontexten b ereit gefunden, a n dies er U ntersuchung zu v eränderungsrelevanten E pisoden t eilzunehmen. B ei den Therapien ha ndelt es sic h um 6 V erhaltenstherapien und um 4 psy chodynamisch o rientierte Kurzzeittherapien. Die L änge der B ehandlungen variierte zwis chen 12 und 25 S itzungen. Folgende Ergebnisse s ind i n d iesem Zus ammenhang von Interesse (vgl. auch Fiedler, 2003). 2.6.1 V eränderungsrelevante Episoden
Psychotherapeuten und Patienten haben in den vorliegenden zehn Therapien mit insgesamt 180 Sitzungen 541 v eränderungsrelevante E pisoden g emeinsam o der ge trennt b enannt. I m D urchschnitt we rden von Patienten zwei bis drei relevante Episoden
pro Sitzung gekennzeichnet. Therapeuten kommen auf etwa die doppelte Anzahl von Episoden. Interessantes er stes Er gebnis b etrifft die T atsache, dass die Thera peuten 90 % (!) jener 301 Episoden, die v on P atienten a ngegeben w erden, ebenfalls als r elevant ansehen. Das sind 281 E pisoden. Therapeuten bemerken also fast immer, wenn Patienten in der Therapie etwas als für sich bedeutsam er fahren o der erleb en. Von den Thera peuten werden zusätzlich 240 Episoden (44 %) als relevant angegeben, die v on P atienten nicht al s relevant gekennzeichnet werden. Die Therapeuten erachten also vieles in der Therapie als veränderungsrelevant, was die P atienten als s olches nicht ausdrücklich so sehen. Wenngleich die v on Therapeuten allein a ngegebenen E pisoden a uch wic htig sind , s oll es im Folgenden primär um die F rage gehen: Was erachten Patienten an einer Therapie als wichtig? 2.6.2 V on Therapeuten und Patienten
gemeinsam als veränderungsrelevant gekennzeichnete Episoden
Platz 1: Konkrete Beratung (43 % der gemeinsam gekennzeichneten Episoden). Gemeint sind da mit zumeist p lausible Erklärungen und Vorschläge zur Behandlung und Selbstbehandlung der jeweiligen Symptome und Störungen sowie zu den da mit zus ammenhängenden w eiteren P roblemen; auch gemeint sind allg emeine Informationen über Erfolgsprognose und Rückfallrisiken sowie über die Möglichkeiten, Rückfälle zu vermeiden. Interessant ist der B efund, dass es kaum Unterschiede zwischen Verhaltenstherapien (41 % der E pisoden) und psychodynamischen Therapien (45 %) gibt, obwohl wir eher G egenteiliges er wartet ha tten. D as betrifft übrigens auch den folgenden Punkt. Platz 2: Information und Aufklärung (29 % der gemeinsamen Nennungen). Gemeint sind da mit klare Informationen über das Störungsbild und die psy chologische S törungsdynamik, eine gu te Begründung der Diag nose, plausible Erk lärungen zur Ä tiologie, a uch als r elevant erachtete I nformationen zur V erbreitung der S törung in der B evölkerung wurden hier eingeschlossen. Interessant wiederum: Hinsichtlich relevanter
2.6 · Was Patienten in einer Psychotherapie als veränderungsrelevant betrachten
»Information und Aufklärung« unterscheiden sich die Verhaltenstherapien (mit 28 %) kaum von den psychodynamisch Behandlungen (30 %). Platz 3: Lebenspraktische Beratung (13 % der gemeinsamen Episoden) Dieser B ereich ist deshalb in teressant, weil es hier um B eratungsaspekte g eht, die nic ht unmi ttelbar mit dem ursp rünglichen Dien stauftrag der Therapie zusammenhängen (also mit den Symptomen bzw. S törungen). Wir ha ben hier s ehr het erogene Dinge zus ammenfassen m üssen, wie F ragen zu Alltagsbeziehungen innerhalb der F amilie (z. B. Kindererziehung, U mgang mi t einem alk oholabhängigen Großvater) sowie im Beruf (Umgang mit dem C hef o der mi t K ollegen; L aufbahnberatung etc.). (V erhaltenstherapie: 12 %; P sychodynamische Therapie: 13%). Platz 4: Transparenz des Therapeuten (11 % der gemeinsamen Episoden) In dieser Kategorie haben wir als relevant erachtete Mitteilungen des Thera peuten über sich selbst zusammengefasst. Die hä ufigsten b etreffen k lärende Ausführungen zum eig enen therapeutischen Handeln (»W arum v erhalte ic h mic h Ihnen g egenüber so o der so? Warum habe ich dies o der jenes so g emacht? «). A ber a uch r echt hä ufig w erden Mitteilungen des Thera peuten üb er eig ene Werthaltungen und G rundüberzeugungen als r elevant angesehen, die wir hier eb enfalls zug eordnet haben. »Transparenz« wir d v on P atienten und V erhaltenstherapeuten g emeinsam in 13 % der F älle als wic htig ein gestuft, v on P atienten und ihr en Psychoanalytikern in 8 % der Fälle. Die restlichen Episoden verteilen sich a uf jene Kategorien, die wir jetzt b esprechen werden, denn es ha ndelt sic h da bei um A spekte, die v orrangig von den Therapeuten allein angegeben werden: 2.6.3 V on Therapeuten vorrangig
allein als veränderungsrelevant gekennzeichnete Episoden
Von den Thera peuten a llein (a lso nich t g leichzeitig von ihren Patienten) wurden 240 Episoden angegeben; davon b eziehen sic h die meist en auf
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zwei b esondere F ormen t herapeutischer I ntervention: Platz 1: »Beziehungsarbeit« (49 % der von Therapeuten allein gekennzeichneten Episoden) Unter dies er B ezeichnung ha ben wir v orrangig Feedback und R ückmeldungen der Thera peuten zum von ihnen erleb ten Interaktionsverhalten der Patienten zus ammengefasst, die als s olche b ei der Video-Analyse v on V erhaltenstherapeuten hä ufig als »K onfrontation« o der v on psy chodynamisch arbeitenden Therapeuten als »Üb ertragungs-Deutungen« gekennzeichnet wurden. Dies e Ar t Intervention kennzeichnen immerhin in 45 % der Fälle die Verhaltenstherapeuten und in 54 % der F älle die psychodynamisch arbeitenden Therapeuten als relevant. B eachtenswert ist j edoch: Die P atienten halten dies e E pisoden nich t o der n ur s ehr s elten für veränderungsrelevant. Platz 2: »Gefühlsarbeit« (23 % der von Therapeuten allein gekennzeichneten Episoden) In dieser Kategorie f inden sich recht unterschiedliche F ormen t herapeutischer I nteraktion, denen thematisch gemeinsam ist, dass die P atienten häufig mit Hilfe therapeutischer Stützung in einen aktualisierten P rozess emo tionalen Erleb ens g eraten (vorrangig B etroffenheit, g elegentlich Weinen der Patienten, o der a uch z. B. m utistisch a nmutendes Schweigen o der – eher s elten – Är gerreaktionen). Das G emeinsame ist, dass die Thera peuten als Kategorie in dies en F ällen »G efühle a ktivierende Intervention« a uf dem I nterviewbogen als eig ene Strategie angekreuzt haben, gelegentlich aber auch »Konfrontation« o der »Üb ertragungsdeutung«. Diese Interventionsform kennzeichnen in 25 % der Fälle die V erhaltenstherapeuten und in 21 % der Fälle die psychodynamisch arbeitenden Therapeuten als r elevant. B eachtenswert ist wieder um: Die Patienten jedoch halten diese Episoden nicht oder sehr selten für veränderungsrelevant. ! Zusammengefasst lässt sich zweifelsohne konstatieren, dass eine die Ressourcen anreichernde Aufklärung und Beratung im nachträglichen Betrachten ihrer Therapiesitzungen sowohl von Patienten wie von den Therapeuten als relevant angesehen werden. Für uns war etwas unerwartet
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apitel 2 · Ressourcenorientierte Psychotherapie
und überraschend, dass sich diese relevanten Episoden nicht nur in der Verhaltenstherapie, sondern gleich häufig auch in den psy chodynamischen Therapien finden lassen. Wir haben dieses Ergebnis nochmals überprüft: Psychoanalytiker wie Verhaltenstherapeuten arbeiten entsprechend ihrer Konzepte natürlich völlig unterschiedlich. Entsprechend beraten Verhaltenstherapeuten in ihren Therapien erheblich häufiger, nur wurden viele dieser Informationsanteile und Beratungen bei weitem nicht immer von den Patienten als relevant gekennzeichnet. Was die relevanten Beratungen angeht, verteilen sich diese jedoch in beiden Behandlungsformen etwa gleich.
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Als näc hstes b efassen wir un s mi t der F rage, warum die P atienten (übrigens nur in 3 % der F älle) kaum oder nicht die Episoden gekennzeichnet haben, die als »G efühle ak tivierende I ntervention«, »Beziehungsarbeit« o der »Üb ertragungsdeutung« aus Sicht der Therapeuten offensichtlich hohe Veränderungsrelevanz ha ben. An tworten dazu k önnen wir mi t Hilfe der v orliegenden Studie (no ch) nicht geben. Vielleicht erschließen sich un s einige Antworten mittelbar, wenn wir un s den Er gebnissen einig er ak tueller S tudien zur B edeutung v on »Übertragungsdeutungen« in der psy chodynamischen Behandlung zuwenden. 2.7
Vorsicht im Umgang mit Übertragungsdeutungen
Prototypisch für einen Wandel der psychodynamischen Psychotherapie in Ric htung Ressourcenorientierung sind b eispielsweise Forschungsarbeiten, in denen sich ein inzwischen 100 Jahre altes Kernelement der psy choanalytischen P sychotherapie, die s og. Üb ertragungsdeutung, g elegentlich als eher un günstig f ür die Thera piewirksamkeit er wiesen hat. Entdeckt wurde dies zunächst in einer Studie über die Wirksamkeit eines neuen psy chodynamischen Thera pieansatzes b ei D epression. Das K onzept der ho lländischen F orschergruppe um de J onghe (et al ., 2001) en thält eine b emerkenswerte Änder ung. I n dies er psy choanalytisch begründeten D epressionsbehandlung wur den nämlich die f ür die psy chodynamische Thera pie
zentralen Üb ertragungsdeutungen exp lizit a usgeschlossen. Im H intergrund dies er En tscheidung st and die V ermutung, dass sic h eine Thera pie, die a uf »regressive Verhaltensweisen« und da mit a uf N egativaspekte v on B eziehungsmuster der P atienten fok ussieren kö nnte, a ls nich t fö rderlich f ür eine Üb erwindung depressiven Erleb ens er weisen würde. En tsprechend wur den die Thera peuten angewiesen, re al ge genwärtige S orgen u nd N öte der P atienten zum Thema zu mac hen mi t da bei vorrangiger Beachtung des aktuellen Erlebens und Fühlens der Patienten. Auf diese Weise sollten zunehmend Bedürfnisse und Interessen der Patienten aktiviert werden, die sich auf konkrete Lebensperspektiven in der G egenwart und Zukunft beziehen. Ein ga nz ähnlic hes V orgehen o ffensichtlich, wie dies in den ein gangs er wähnten P rozessanalysen der zielo rientierten G esprächspsychotherapie b ei Sachse (1981) hera usgearbeitet wurde. Diese Konzeptänderung erwies sich im Unterschied zu einer früher a ngewandten üb ertragungsfokussierenden Behandlung als hochgradig erfolgreich. Inzwischen k onnte mi ttels M etaanalysen v on Behandlungsprojekten b ei P atienten mi t un terschiedlichen S törungen nach gewiesen w erden, dass die W irksamkeit psy chodynamischer Therapie umso erfolgreicher einzustufen war, je zurückhaltender von Therapeuten mit Übertragungsdeutungen gearbeitet worden war – zumeist üb rigens zugunsten einer eher G efühle ak tivierenden und sinnstiftenden B esprechung r ealer S orgen, P robleme und zwis chenmenschlicher K onflikte a ußerhalb der Therapiebeziehung. Dies gilt insbesondere f ür die psy chodynamische K urzzeittherapie. Dieser Effekt zeigte sich besonders deutlich – man höre und staune – in der B ehandlung von Persönlichkeitsstörungen. Z u dies em Er gebnis jedenfalls kommt eine v on der Society for Psychotherapy Research mit einem P reis ausgezeichnete Arb eit von Hogland (2003). In s einer M etaanalyse kon nte H ogland d iesen Effekt üb rigens in elf un terschiedlichen S tudien nachweisen, in denen eine H äufigkeitsbestimmung von Üb ertragungsdeutungen üb erhaupt mög lich war (d .h. in allen (!) zugä nglichen S tudien, die eine Re analyse dies er Ar t er möglichten). P sychodynamische Thera pien s cheinen als o, und zwa r
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2.8 · Ressourcenorientiertes Krisenmanagement
nicht n ur in der B ehandlung p ersönlichkeitsgestörter Menschen, immer da nn umso erfolgreicher zu s ein, je zur ückhaltender mit Üb ertragungsdeutungen gearbeitet wird. D as heißt nic ht zwingend, dass einzelne P atienten, die einem M ehr an Üb ertragungsdeutungen a usgesetzt wa ren, nic ht a uch Fortschritte aufwiesen. Nur insgesamt waren genau jene Patienten beträchtlich erfolgreicher, bei denen Therapeuten a ndere Strategien wählten. Aufgrund unserer E pisodenstudien g ehe ich üb rigens da von aus, dass dies e Therapeuten alternativ bemüht waren, die P atienten b ei der L ösung r eal g egebener, aktueller a lltäglicher P robleme hi lfreich zu un terstützen, viel leicht s ogar s o w eit g ehend, um a uf diese Weise der en P roblemlösungsressourcen mi ttels Aufklärung und Beratung gezielt anzureichern. Mit diesen Ausführungen möchte ich die psychodynamische Therapie nicht in ein un günstiges Licht rücken. Unsere Episodenstudien zeigen, dass auch Verhaltenstherapeuten die Arbeit in der Therapiebeziehung als nic ht weniger relevant wie ihr e psychodynamischen Therapeuten betrachten. Darüber hina us g ibt es zunehmende Pr ozessstudien mi t den D etailanalysen v on Thera pieverläufen un terschiedlicher Thera pierichtungen, die nicht n ur G rawe (1998) zur p ointierten A ussage veranlasst ha ben, dass Thera peuten immer da nn – was die p ositiven W irkungen der B ehandlung angeht – unzweifelhaft erfolgreicher sind, wenn sie sich auf die v orhandenen Stärken und Ress ourcen ihrer Patienten konzentrieren (vgl. Orlinsky, Rønnestad & Willutzki, 2004). Bei genauem Hinsehen, handelt es sic h b ei dies en U ntersuchungen t eilweise um die gleichen Studien, die in die Metaanalyse von Hogland Eingang gefunden haben. Natürlich müssen diese Stärken und Kompetenzen von Patienten auch in der Thera piebeziehung gesucht und un terstützt werden. Vielleicht könnte man eine solche Behandlung, die sinnstiftend nach Ressourcen in der Thera piebeziehung suc ht, p roblemlos s ogar eb enfalls als »üb ertragungsfokussierende Therapie« b ezeichnen. Andererseits wird hier die B ezeichnung »r essourcenorientiert« a usdrücklich bevorzugt, weil sie eindeutiger auf die ihr inhärente Zielperspektive ausgerichtet ist. Was die therapeutischen Implikationen einer Ressourcenorientierten Psychotherapie angeht, mittels Ressourcen aktivierendem Empowerment und Ressourcen
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anreichender P roblemlösung und B eratung w eit über r essourcenorientierte B eziehungsanalysen hinausreichen sollte. 2.8 Ressour
cenorientiertes Krisenmanagement
In den v ergangenen J ahren ha t sic h zu den Ressourcen a ktivierenden Verfahren s chließlich no ch eine weitere Perspektive hinzugesellt. Diese betrifft die B ehandlung einig er S törungsphänomene, die insbesondere f ür M isserfolge und R ückfallzahlen erhebliche B edeutsamkeit ha ben. G emeint ist die Neigung zahlreicher Patienten zur Selbstverletzung oder a nderen s elbstdestruktiven H andlungen b is hin zur S uizidalität. W echselnde S timmungslagen, S elbstverletzungen und S uizidneigungen er schweren in vielerlei Hinsicht die Möglichkeit, mit den P atienten ein st abiles Arb eitsverhältnis a ufzubauen. A uch s cheint eine r essourcenorientierte Therapiearbeit auf den ersten Blick ka um sinnvoll möglich. Von Therapeuten wird entsprechend ein hohes Maß an Flexibilisierung des therapeutischen Vorgehens er wartet. Die Er möglichung t elefonischer K ontakte f ür P atienten, die zwis chen den Sitzungen in emo tionale K risen k ommen, ist als ein Ress ourcen a ktivierender An satz zwa r b ereits integraler An teil Dia lektisch-Behvioralen Therapie (D BT) v on L inehan b ei B orderlinestörungen (vgl. Bohus, 2002); aber viele Therapeuten scheuen sich immer no ch, f ür ihr e P atienten a ußerhalb der vereinbarten Termine als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. 2.8.1 Sich mehr um die Patienten
kümmern als Perspektive
In dies em Z usammenhang b in ic h S chmidtke (2005) zu a ußerordentlichem D ank v erpflichtet, der sic h die M ühe g emacht ha t, in v orliegenden Publikationen einmal genauer herauszufiltern, was jene Therapeuten im B esonderen auszeichnet, die über deutliche Er folge b ei der V erminderung von Selbstverletzungen und über eine Verringerung der Suizidneigung ihr er P atienten b erichten. H erausgekommen ist da bei etwas, das ma n a uf f olgende
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apitel 2 · Ressourcenorientierte Psychotherapie
Formel b ringen ka nn: Es ha ndelt sic h um Therapeuten, die sic h um ihr e P atienten k ümmern, um a uf dies e Weise der en Ress ourcen er neut zu aktivieren. Nicht nur, dass Therapeuten, die sich mehr um ihre P atienten k ümmern, telef onisch er reichbar sind. Sie selbst sind es, die v on sich aus aktiv zwischen den Thera piesitzungen no chmals K ontakt mit ihren Sorgenkindern suchen. Bei Patienten, bei denen die Thera peuten den Eindr uck haben, dass es ihnen gerade nicht besonders gut geht, rufen sie beispielsweise zwis chen den Si tzungen i hrerseits an und erkundigen sich nach dem B efinden. Oder sie schreiben ihren Patienten zwischen den Sitzungen eine E-M ail, um no chmals p ositive A spekte der v orhergehenden S itzung zu b ekräftigen. B ei unzuverlässigen Patienten melden sic h Therapeuten am Morgen des Therapietages von sich aus telefonisch, um nac hzufragen, ob ir gendetwas dazwischen gekommen sei oder ob es beim vereinbarten Termin b leibe. Arb eiten sie in K liniken, s chauen sie abends, bevor sie nach Hause fahren, kurz noch einmal bei ihren Patienten vorbei. Um es no ch deu tlicher zu b etonen: Kümmerdich-um-die-Patienten-Therapeuten s cheinen nicht n ur da nn ho chgradig er folgreich zu s ein, wenn es um die V erminderung s elbstdestruktiver oder suizida ler Neigungen geht, s ondern zug leich auch no ch do rt, w o es a uf die S tabilität der Therapiebeziehung, auf eine S teigerung der Thera piemotivation und a uf eine N euaktivierung v erloren geglaubter Ressourcen ankommt (ähnlich: Fonagy & Roth, 2004; Fiedler, 2006). 2.8.2 Ressour cenorientierte Behandlung
in Krisen
Andererseits ist es eine o ffene Frage, wie w eit sich das K ümmer-dich-um-deine-Patienten-Prinzip in der Thera piepraxis und -f orschung d urchsetzen wird. Of fensichtlich liegt die Erk enntnis, dass viele P atienten im Thera peuten einen üb er die Sitzungen hina us Sicherhei t b ietenden B egleiter benötigen und erhal ten s ollten, derzei t a ußerhalb des allgemein üblichen psychotherapeutischen Ansatzes, dies in sbesondere do rt, w o P atienten im 45- b is 60-M inuten-Rhythmus b ehandelt w erden.
Von ma nchem P raktiker ha be ic h in dies em Z usammenhang die Frage gestellt bekommen, ob wir mit k ontinuierlicher Er reichbarkeit nic ht in die Gefahr k ommen, ein A bhängigkeitsverhalten zu verstärken und der S elbstständigkeit des Patienten Wege zu verbauen. Ich b in da inzwis chen en tschieden a nderer Ansicht. W ir s ollten in der L age s ein, Thera piedisziplin und B eständigkeit im R ahmen eines B ehandlungsplanes zu r ealisieren, der B eständigkeit erst fürsorglich dadurch herstellt, dass auf die veränderlichen inner en Z ustände un serer P atienten, die zu vielen psy chischen S törungen als sym ptomatischer A usdruck dazu g ehören, dass als o a uf ihre st örungsbedingten S timmungsschwankungen vermehrt R ücksicht g enommen wir d, und zwa r wenigstens s o l ange, bis s ich i hre e motionale Unausgeglichenheit zu st abilisieren b eginnt (ähnlich: Fonagy & Ro th, 2004). D as gilt nicht nur bei Borderlinepersönlichkeitsstörungen, sondern auch bei Essstörungen o der b ei A bhängigkeitsproblemen sowie bei bipolaren Störungen usw. Angesichts einer erwartbaren Unberechenbarkeit von Patienten sollte die Entwicklung eines indi viduell ausgerichteten und f ürsorglich o rganisierten K risen- und Managementplans ein un verzichtbares Element in gut strukturierten Therapieplänen werden. 2.9 T
atsächliche Rückfallursachen als Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung psychotherapeutischer Konzepte
Bei der En twicklung r essourcenorientierter K onzepte standen immer auch die Rückfallbedingungen psychischer Störungen mit im Vordergrund. Denn wenn es gegenwärtig Probleme zu vermelden gibt, so betreffen diese die nac h wie v or beträchtlichen Rückfallzahlen. In den 1980er - und 1990er -Jahren hatte man gelegentlich den Eindruck, dass sich die Erfolgszahlen b ei einig en psy chischen S törungen deutlich st eigern ließen. G egenwärtig j edoch st agniert die En twicklung in den meist en B ereichen. Die R ückfallforschung ist in dies er H insicht gnadenlos, k önnte ma n meinen (hierzu a usführlich: Fonagy & Ro th, 2004): I n spä testens f ünf J ahren werden 20–30% der Phobie- und Zwangspatienten
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2.10 · Ressourcenorientierung dient dem Abbau des M achtgefälles
erneut mit Problemen bei einem P sychotherapeuten v orstellig, a uch w enn sie zu vor eine Exp ositionstherapie mi t gu tem Er folg a bsolviert ha ben. Von den D epressionspatienten erleiden s ogar insgesamt bis zu 75 % innerhalb von drei bis vier Jahren einen R ückfall, und zwa r una bhängig da von, mit w elchem Psychotherapieverfahren ein schließlich medika mentöser B ehandlung sie zunäc hst eine zei tweilige B esserung er fahren ha ben. D er Zustand von deutlich über 20 % aller Patientinnen mit ei ner B orderlinediagnose vers chlechtern sich bereits währ end der Z eit ihr er a mbulanten und stationären B ehandlung. W eiter b leibt zwin gend zu beachten, dass sic h bis zu 10 % derjenigen, die einmal die Diagnose Borderlinepersönlichkeitsstörung oder die Diag nose einer D epression erhalten haben, in den F olgejahren suizidier t, viele b ereits nach (und tr otz) ihr er er sten psy chotherapeutischen Behandlung. Bei der B eurteilung des R ückfallproblems gil t es zwin gend, die E pidemiologie, und da mit die wohl wa hren U rsachen psy chischer G estörtheit, aufmerksam zu b eobachten. Ein allzu t echnologisches Verstehen v on Psychotherapie k önnte wie die unr eflektierte Thera pie mi t P sychopharmaka bedeuten, dass wir unsere Augen vor den existenziellen Sorgen unserer Patienten verschließen. Man braucht sich dazu nur die wirklichen Rückfallbedingungen psychischer Störungen anzusehen (vgl. Fiedler , 2006). K ritische L ebensereignisse, schwer lösbare existenzielle Konflikte, Sorgen und schwere soziale Benachteiligung erhöhen nicht nur das Risik o einer psy chischen Erkra nkung, s ondern a uch die R ückfallwahrscheinlichkeit um ein Vielfaches. J e w eiter un ten sic h eine P erson im Sozialgefüge b efindet, um so gr ößer ist ihr E lend. Es ist die im Z ustand der S elbstentfremdung g efühlte Benachteiligung, die das eigentliche psychologische Gift ist. Da das so ist, gehört die konkrete Lebenswelt un serer P atienten – neb en aller H ilfe beim un terstützenden U mgang mi t psy chischen Störungen – in den Mittelpunkt jeder Behandlung. Ansonsten s ollte ma n sic h nic ht wunder n, w enn die R ückfallzahlen tr otz allem t echnischen F ortschritts stagnieren. Ressourcenorientierung heißt, die a ktivierten und a ngereicherten Ress ourcen in der B ewältigung kon kret ge gebener L ebensprobleme a uch i n
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Anwendung zu b ringen. W arum gib t es s o viele Widerstände auf unserer Seite, auf Seiten der Therapeuten, die konkreten Lebensumstände der Patienten und nicht nur den innerpsychischen Funktionsmodus der j eweiligen psy chischen G estörtheit (also Gefühl, Kognition, Konflikt) zum Gegenstand therapeutischer Interventionen zu machen? In vielen Fällen dürfte schon im Verlauf der Behandlung unzweifelhaft f eststehen o der k larer w erden, dass für die W ege hera us a us den exist enziellen Dramen und den all täglichen S orgen die sic herlich unverzichtbaren Verfahren zum Beispiel der Exposition, Gefühlsaktivierung oder Achtsamkeit nicht in jedem Fall hinreichend sind. Um in ihrem Leben erneut F uß zu fass en und b ei zuk ünftigen K risen besser zu b estehen, benötigen die meist en unserer Patienten zus ätzlich a uch no ch einen ho chgradig klugen Berater. 2.10 Ressour cenorientierung dient
dem Abbau des Machtgefälles
Psychotherapeuten s ollten die r essourcenanreichernde B eratung v on P atienten nic ht a nderen Professionen o der dem I nternet üb erlassen! P rofessionelle P atientenberatung, das C oaching v on Patienten oder vielleicht sogar die Patientensupervision b eim U msetzen ihr er Ress ourcen sind f ür viele Probleme, die M enschen in der G egenwartsgesellschaft haben, s ehr interessante »Therapieansätze« (Fiedler, 2000). D abei er gibt sic h üb rigens eine – zwa r nur kleine, dennoch hochbedeutsame – Akzentverschiebung. Ressourcenorientierte Stärkung vorhandener Kompetenzen und F ähigkeiten sowie die B eratung zur Anr eicherung v orhandener K ompetenzen um neue H andlungsmöglichkeiten eröffnen völlig neue Gestaltungsspielräume. Sie er fordern nä mlich und er möglichen zug leich die ak tive P artizipation des Thera peuten a n der Neugestaltung v on L ebenslagen. I n einer psy chotherapeutisch k lug d urchdachten B eratung wir d sich sogar, wie immer schon von uns Psychotherapeuten g ewünscht, das M achtgefälle v erschieben: weg v om k ompetenten B ehandler p ersönlicher Probleme hin zum S olidarpartner des P atienten, nämlich im gemeinsamen Kampf gegen widrige
Lebensumstände.
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apitel 2 · Ressourcenorientierte Psychotherapie
Dies mag f ür viele Thera peuten b ereits alltägliche P raxis b edeuten, f ür viele a ndere ist es das offenkundig noch nicht. Es k önnte s ein, dass einig e meiner zu vor g emachten Empfehlungen – (in sbesondere jene, sich zukünftig mehr als bisher um instabile Patienten zu kümmern) – hö chst befremdlich wirken. Mir geht es mit meinem Beitrag dabei um die Zukunft unserer P rofession, die ic h ausdrücklich mehr v on der zukünftigen Lebenszufriedenheit unserer Patienten abhängig sehen möchte, als dies bisher der Fall ist.
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31
2
3
Ressour cenaktivierung und motivorientierte Beziehungsgestaltung: Bedürfnisbefriedigung in der Psychotherapie Christoph Flückiger u. Martin Grosse Holtforth 3.1 Einleitung
– 34
3.2
Affektiv-motivationaler Hintergrund und psychologische Reaktion – 34
3.3
Aktivierung des Annäherungssystems und Handlungsregulation – 35
3.4
Konsistenzfördernde Maßnahmen im Therapieprozess: Das Zwei-Prozessmodell von Grawe (2004) – 35
3.5
Ressourcenaktivierung und Therapiebeziehung als therapeutische Heuristiken zur Bedürfnisbefriedigung – 37 Literatur –
41
34 K
apitel 3 · Ressourcenaktivierung und motivorientierte Beziehungsgestaltung
3.1 Einleitung
3
Gespenstergeschichten – mi t zus ammen g ebissenen Z ähnen a uf dem B ett im d unklen Z immer kauern, die leis e S timme des Erzähler s ha ucht: »Die knarrende Tür öffnet sich fast unbemerkt von alleine … ( laut mit k räftiger Stimme ) A ahhh!«. Alle Zuhörer zucken zusammen und s chreien auf! Diese Erfahrung der K indheit dürfte wohl für die meisten in guter Erinnerung sein – wir lieb ten die Geschichten und wollten immer noch eine weitere hören, auch wenn die Spannung kaum auszuhalten war. Als Er wachsene werden wir z. B. von Kriminalgeschichten in F ernsehen o der K ino in s olche Zustände gespannter Erwartung versetzt, in denen uns das kleinste Geräusch intensive Schauder über den Rücken laufen lässt. Wie die oben dargestellten Beispiele zeigen, fallen psychologische Reaktionen auf einen positiven oder negativen Reiz in Abhängigkeit vom affektivmotivationalen Hindergrund unterschiedlich stark aus. Dies e M odulation ha t f ür die H andlungsregulation eine zen trale B edeutung. D as f olgende Kapitel gib t einen Ein blick, wie die b eschriebenen Phä nomene a llgemeinpsychologisch erk lärt werden k önnen, um in einem zw eiten S chritt dazustellen, wie die dahin terliegenden psy chologischen M echanismen f ür die P sychotherapie genutzt w erden k önnen. A ufgrund des P rozessmodells v on G rawe (2004) w erden Ress ourcenaktivierung und mo tivorientierte B eziehungsgestaltung als t herapeutische H euristiken g egenüber g estellt, die f ür den A ufbau eines p ositiven therapeutischen K ontextes v on zen traler B edeutung sind. 3.2 A
ffektiv-motivationaler Hintergrund und psychologische Reaktion
Auf neuronaler Ebene zeigt sich, dass die Voraktivierung bestehender kortikaler Assoziationsfelder deren Enk odierung und D ekodierung zu einem späteren Z eitpunkt erleich tert. Dies e Voraktivierung kann sowohl durch bewusste als auch durch vorbewusste I nformationsverarbeitungsprozesse erfolgen (z. B. Baddley, 1997). Ein b eeindrucken-
des B eispiel einer V oraktivierung wur de a nhand der »intrakraniellen Selbstreizung« als er stes von Olds & M ilner (1954) b eschrieben. I n dies em Paradigma verabreichen sich Versuchstiere in bestimmten H irnarealen z. B. d urch H ebeldrücken selbst S tromstöße. D as B esondere is t n un, dass sich die T iere immer wieder dies e S tromstöße verabreichen, was als I ndiz in terpretiert wur de, dass es sic h b ei den stim ulierten H irnarealen um neur onale S chaltkreise ha ndelt, die mi t der Steuerung des Wohlbefindens zusammenhängen. Interessanterweise s etzen die V ersuchstiere a ber nicht v on sic h a us das Dr ücken des H ebels f ort, wenn sie kurz vom Apparat getrennt werden, was bei der Verabreichung natürlicher Verstärker der Fall wä re. S tattdessen m üssen die V ersuchstiere durch ein Priming er st wie der »s charf g emacht« werden, da mit sie die S elbststimulation wieder holen. I n der F olge wur den s olche Ef fekte eb enfalls b ei Menschen b eschrieben (Bishop, E lder & Heath, 1963). Anhand des in der Al lgemeinen P sychologie gu t un tersuchten L idschlag-Schreckreflexes konnte außerdem gezeigt werden, dass die S tärke der S chreckreaktion a uf einen S timulus v on der unmittelbar v oraktivierten S timmung mo duliert wird. Die minder nde oder verstärkende Modulation d er Reak tion k onnte m it e motional ak tivierendem Filmma terial, a ngenehmen und una ngenehmen Gerüchen, Gesichtsausdrücken oder mit Bildimaginationen vielseitig demonstriert werden (Bradley & L ang, 2000). N ach L ang (1995) er folgt die M odulation des L idschlagschreckreizes aufgrund d es ge samten vorgeb ahnten af fektivmotivationalen H intergrundes der j eweiligen Versuchsperson, w as er motivationales P riming nennt. Es wird dabei angenommen, dass das motivationale Priming von zwei motivationalen Systemen, nä mlich dem » appetitive/pleasant« und dem » aversive/unpleasant« b eeinflusst w ird. Entsprechend p ostuliert G ray (1990), dass diesen psychologischen Systemen zwei unabhängige neuronale S ysteme zugr unde lieg en: D as » behavioral-activation system« (BAS, Aktivierungssystem) ist a uf B elohnung ausgerichtet und wir d mit ho her I mpulsivität in V erbindung g ebracht; das » behavioral-inhibition sy stem« (BIS, V ermeidungssystem) r eagiert v or a llem a uf B estra-
3.4 · Konsistenzfördernde Maßnahmen im Therapieprozess: Das Zwei-Prozessmodell
fung und wir d als Än gstlichkeit um schrieben. Hohe habituelle Ausprägungen in den j eweiligen Systemen w erden i hrerseits mi t E ysencks Extraversion (B AS) und Introvertiertheit (BIS) s owie der N eigung zu positivem bz w. negativem Affekt in B eziehung g esetzt. Em pirisch k onnte diese Struktur zw eier una bhängiger Systeme v on Elliot und Thrash (2002) b estätigt werden (siehe auch Ito & C acioppo, 2004). I m B eispiel der G espenstergeschichten ist a nzunehmen, dass b eide Systeme gleichzeitig aktiviert sind. Einerseits wird der halbwegs erwartete Schrecken kaum ausgehalten (BIS) und a ndererseits werden die Worte des Erzählers in Er wartung der Gl ücksgefühle nac h überstandenem S chrecken a ufmerksam v erfolgt (BAS). Für das Aushalten der Spannung erscheint dabei wichtig, dass das Annäherungssystem genügend stark aktiviert ist und die Ob erhand behält, damit der Z uhörer den R aum nic ht v erlässt und die G eschichte b is zum erlös enden Ende mi tverfolgt. F alls der Z uhörer den R aum v erlassen würde, so wäre ihm die G ewissheit des p ositiven Ausgangs vorenthalten. ! Motivationales Priming basiert auf der Annahme zweier unabhängiger psychologischer und neuronaler Systeme, dem Annäherungs- und dem Vermeidungssystem.
3.3
Aktivierung des Annäherungssystems und Handlungsregulation
Das ak tivierte Annäher ungssystem ha t nic ht n ur einen unmi ttelbaren Einf luss a uf das V erhalten und Erleb en in der ak tuellen S ituation, s ondern bestimmt a uch w eitere H andlungen. I n dies em Sinne p ostuliert die » broaden and build theor y« (Fredrickson, 2001) v or dem H intergrund einer Übersicht üb er em pirische Arb eiten lä ngerfristig handlungsförderliche Tendenzen des positiven Affekts. P ositiver Af fekt s etzt unmi ttelbar men tale Ressourcen f rei, indem die A ufmerksamkeit a usgeweitet und der kognitive Suchbereich vergrößert wird, s o dass viels eitigere P roblemlöseversuche unternommen w erden (» broaden«). Dur ch dies e vielseitigen P roblemlöseversuche w erden p hysische, in tellektuelle und s oziale Ress ourcen tra i-
35
3
niert, w elche la ngfristig g enutzt w erden k önnen (»build«). Daraus entsteht ein wechselseitiger Prozess der Auslösung und Aufschaukelung zwischen der positiven Bedeutung einer Handlung und dem gleichzeitig erlebten positiven Affekt (Fredrickson & Joiner, 2002). Analog zur Aufteilung psychischer Funktionsmodi in ein Annäherungs- und ein Vermeidungssystem unterteilt Grawe (2004) das therapeutische Interaktionsgeschehen in einen Annä herungsbzw. Vermeidungsmodus. Patient und Thera peut sind g emeinsam a n der Regu lation b eider M odi beteiligt. B eidseitig p ositive B ekräftigungen v on Therapeut und Patient werden als b esonders eindeutiges M erkmal er folgreicher Thera pien a ngesehen. D abei s ind p ositive Zus ammenhänge zwischen positivem Affekt und einem guten Therapieergebnis t herapieschulübergreifend s owohl aus der P atienten- als a uch der Thera peutenperspektive gu t do kumentiert. H insichtlich des negativen Af fekts sind die Er gebnisse aller dings weniger konsistent (Orlinsky et al ., 2004; K oban, Willutzki & S chulte, 2005). U nter der Annahme , dass es f örderlich ist f ür den Thera pieprozess und das Thera pieergebnis, w enn der P atient den Annäherungsmodus einnimm t, stel lt sich v ordringlich die F rage, wie der Thera peut d urch seine I nterventionen dazu b eitragen ka nn, Annäherungs- und Vermeidungsmodus zum Wohle des Patienten zu regulieren. 3.4 K
onsistenzfördernde Maßnahmen im Therapieprozess: Das ZweiProzessmodell von Grawe (2004)
Zentrale Annahme im P rozessmodell v on G rawe (2004, 2006) ist, dass sic h die unmittelbare Befriedigung der Grundbedürfnisse des Patienten positiv sowohl a uf das S itzungsergebnis als a uch a uf das Therapieergebnis auswirken. In Anlehnung an Epstein (1990) werden vier psychologische Grundbedürfnisse postuliert: 1. nac h Bindung, 2. nac h Orientierung und Kontrolle, 3. n ach Selbstwerterhöhung und S elbstwertschutz
4. nac h Lustgewinn und Unlustvermeidung.
36 K
3
apitel 3 · Ressourcenaktivierung und motivorientierte Beziehungsgestaltung
Um die psy chologischen G rundbedürfnisse zu befriedigen, ha t jeder M ensch im L aufe s einer Lebensgeschichte mo tivationale Z iele en twickelt. Beispiele f ür mo tivationale Z iele sind »eine v erlässliche P artnerschaft zu ha ben« o der »L eistung zu bringen« (Annäherungsziele) bzw. »Schwächen zu zeig en« o der »kr itisiert zu w erden« (V ermeidungsziele). Es wird außerdem angenommen, dass den vier G rundbedürfnissen das P rinzip des S trebens nach Konsistenz bzw. nach Verringerung der Inkonsistenz üb ergeordnet ist. K onsistenz is t im psychischen Geschehen dann gegeben, wenn a) die B edürfnisse und die da mit v erbundenen motivationalen Z iele un tereinander v ereinbar sind (Konkordanz) und b) wenn die P erson die mo tivationalen Z iele in Interaktion mi t der A ußenwelt v erwirklichen kann (Kongruenz). Beispiel
II
Metaphorisches Beispiel: Ein sizilianischer Fischer, der seine frisch ge fangenen Fische den liebenswerten Frauen auf dem Markt leidenschaftlich feilbietet, fühlt sich vielleicht voll und ganz in seinem Element. Die Kongruenzerfahrung besteht für ihn darin, dass er die Qualität seiner Fische sehr hoch einschätzt, dass er bei den Frauen gut ankommt und am Ende des Tages einen guten Verdienst nach Hause trägt. Die Konkordanzerfahrung besteht nun darin, dass er alle dr ei »Ziele« (hohe Qualität anbieten, bei Frauen gut ankommen, Geld verdienen) beim Verkaufen auf dem Markt gleichzeitig erreichen kann. Inkongruenz erlebt er, wenn er wegen der überfischten Meere nun in einer anonymen ThunfischKonservenfabrik arbeiten muss und die für sich wichtigen Ziele nicht mehr verwirklichen kann. Diskordanz bedeutet, wenn er glaubt, nur bei Frauen gut anzukommen, falls er den F isch sehr billig anbietet. Dann stehen die Ziele »bei Frauen ankommen« und »viel Geld verdienen« zueinander im Konflikt.
Das Streben nach Übereinstimmung von motivationalen Zielen und Wahrnehmung der Re alität (Streben nac h K ongruenz) wir d als M otor des psy chi-
schen F unktionierens v erstanden. M enschen sind somit f ortlaufend b emüht, ihr e zen tralen M otive und ihr e W ahrnehmung der Re alität in Eink lang zu bringen. Zentrales Ziel einer k onsistenztheoretischen Fallkonzeption ist es hera uszufinden, welche unbefriedigten Z iele der P atient ha t, und was die Gründe d afür s ind ( Inkongruenzquellen). Dies e Information soll für die P sychotherapieplanung genutzt werden (für ein Beispiel siehe Itten, Trösken & Grawe, 2004). M ögliche I nkongruenzquellen sind beispielsweise u ngünstige ge genwärtige L ebensbedingungen, psychische Störungen, ungünstige reale Beziehungsmuster oder eine un günstige Emotionsregulation (Grosse Holtforth & Grawe, 2004). Besonders relevant für den Therapieprozess ist nun die Annahme , dass b edürfnisbefriedigende Erfahrungen sich unmittelbar positiv auf den Therapieprozess auswirken ( ⊡ Abb. 3.1). Diese können dabei auf mindestens zwei Wegen erreicht werden. Erstens k önnen r essourcenaktivierende I nterventionen und eine mo tivorientierte B eziehungsgestaltung einen p ositiven t herapeutischen K ontext schaffen, welcher direkt zur Abnahme von wahrgenommener Inkongruenz führt. Zweitens soll durch diese M aßnahmen das Annähr ungssystem des Patienten ak tiviert w erden, s o dass er d urch dieses Annäherungspriming f ür s törungs- und p roblemspezifische I nterventionen a ufnahmebereiter wird. Annäher ungspriming s chafft s omit b eim Patienten eine S elbstöffnungs- und Veränderungsbereitschaft, w elche eine er folgreiche P roblembearbeitung b egünstigt (Gassmann & G rawe, 2006). Störungs- und p roblemspezifische I nterventionen sollen i hrerseits a ltes P roblemverhalten und en tsprechende neur onale Er regungsmuster hemmen und neue , angemessene Verhaltensmuster et ablieren. Sowohl die unmittelbar positiven Erfahrungen als a uch die N eubahnung neur onaler Er regungsmuster sind B estandteile des »H eilungsprozesses«, der sic h in einer V erringerung der S ymptome, einer A bnahme v on I nkongruenzen und einem verbesserten Wohlbefinden äußert. Zentral für die Umsetzung b edürfnisbefriedigender I nterventionen ist dabei, dass die therapeutischen Interventionen auf den Patienten individuell abgestimmt sind und g leichzeitig a uf die B efriedigung mehr erer Bedürfnisse a bzielen, s o dass k ein B edürfnis im Verlauf der Therapie zu stark vernachlässigt wird.
3.5 · Ressourcenaktivierung und Therapiebeziehung als therapeutische Heuristiken
Beispiel
II
Fallbeispiel:
Therapeutische Interventionen können auf die Grundbedürfnisse des Patienten mehr oder weniger gut zugeschnitten sein und nonverbal unterstützt werden: Patient: Heute geht es mir so richtig miserabel! Alternative Therapeutenreaktionen: a) Was könnten sie zur Besserung ihrer momentanen Befindlichkeit beitragen (pro Kontrollbedürfnis und Unlustverringerung / Bindung-, Selbstwert- und Lustbedürfnis fraglich). b) Ich kann mir vorstellen, dass sie momentan an einem schwierigen Punkt stehen. (pro Bindung / Kontrolle, Selbstwert und Lust-Unlust fraglich) c) Was könnten Sie machen, damit es ihnen nach unserer Sitzung in der momentan schwierigen Situation etwas besser geht? (pro Bindung, Kontrolle, Lust-Unlust / Selbstwert fraglich).
Der p ositive R ückkopplungsprozess der R essourcenaktivierung ha t dem M odell zuf olge w eiterführende Konsequenzen f ür den Thera pieprozess:
3
Wie oben erwähnt, gehen erfolgreiche ressourcenaktivierende Interventionen und eine p ositive B eziehungsgestaltung mi t b edürfnisbefriedigenden Erfahrungen beim Patienten einher. Das soll beim Patienten eine erhö hte Aufnahmebereitschaft und eine g esteigerte M itarbeit b ewirken, w elche sich wiederum p ositiv a uf die Thera piebeziehung mi t dem Thera peuten a uswirkt. B eim P atienten s oll dadurch ein eigener Problemlöseprozess innerhalb und außerhalb der Therapie angestoßen und seine Demoralisierung v erringert w erden (H oward et al. 1993). A uf der G rundlage dies er F ortschritte können st örungsspezifische Einf lussfaktoren b esser b earbeitet und die S törungsdynamik b esser unterbrochen w erden, was die Er probung neuer Verhaltensmuster begünstigt (Grawe, 1998). 3.5 Ressour
cenaktivierung und Therapiebeziehung als therapeutische Heuristiken zur Bedürfnisbefriedigung
In der em pirischen P sychotherapieforschung wurde ein p ositiver Z usammenhang zwis chen Therapiebeziehung und -er gebnis vielfac h üb er-
Ressourcenaktivierung und maßgeschneiderte Beziehungsgestaltung
Positive Erfahrungen für das Bindungs-, Kontroll-, Selbstwertund Lustbedürfnis
37
Störungs- und problemspezifische Interventionen
Annäherungspriming, Aktivierung des Annäherungsmodus
Bahnung neuer neuronaler Erregungsmsuter, die das Problemverhalten hemmen oder ersetzen
Verringerung der Symptome und Probleme
Abnahme von Inkongruenz
Verbessertes Wohlbefinden ⊡ Abb. 3.1. Konsistenztheoretisches Zwei-Prozessmodell (Grawe, 2004)
38 K
3
apitel 3 · Ressourcenaktivierung und motivorientierte Beziehungsgestaltung
zeugend do kumentiert; eine er folgreiche B eziehungsgestaltung er weist sich in a llen Phas en der Therapie als konstanter Prädiktor des Therapieerfolgs (Horvath & Bedi, 2002). Nach Bordin (1979) werden dr ei B eziehungs-Komponenten un terschieden: ▬ die emotionale Bindung (»bond«), ▬ die Übereinstimmung bezüglich der Therapieziele (»goal agreement«) ▬ die Übereinstimmung bezüglich des Vorgehens (»task agreement«). In B ezug a uf die B ond-Komponente wir d in sbesondere auf die I nduktion einer ho ffnungsvollen Therapiebeziehung (» hope bonding« ; Sn yder & Taylor, 2002) und a uf die B edeutung einer a ufrichtigen Empathie (Bohart et al., 2002; Newman, 1998) hin gewiesen. A ckerman und H ilsenroth (2003) um schreiben b eziehungsförderliches Verhalten des Therapeuten auf der Basis empirischer Untersuchungen mi t den f olgenden A ttributen: Flexibel, er fahren, ehrlic h, r espektvoll, v ertrauensvoll, üb erzeugend, in teressiert, a ufmerksam, freundlich, empathisch und o ffen. Wenn die P atienten zudem i hre Therapieziele und das Vorgehen a ls mi t den Thera peuten üb ereinstimmend einschätzen, s o ist dies f ür das Thera pieergebnis förderlich (Tryon & Winograd, 2002). Der A nsatz d er motivorientierten Bezie hungsgestaltung (C aspar, 1996; G rawe, 1992; Grosse H oltforth & C astonguay, 2005) o rientiert sich an den oben erwähnten motivationalen Zielen und individuellen Plänen, die ein P atient in s einer Lebensgeschichte entwickelt hat, um seine Bedürfnisse zu b efriedigen. F ür eine ef fiziente Er schließung von Planstrukturen und motivationalen Zielen wurden verschiedene standardisierte Verfahren ausgearbeitet (B erger, W enning & C aspar, 2006; Grosse Holtforth & Grawe, 2002). Ausgehend v on den zen tralen Annäher ungsund Vermeidungszielen der P atienten, welche von den Therapeuten im Rahmen plananalytischer und schematheoretischer F allkonzeptionen e rschlossen w orden sind , en twickelten G rosse H oltforth & G rawe (2002) den Fragebogen zu r Analyse Motivationaler S chemata (F AMOS), welcher mi ttels Selbst- und Fremdbeurteilung beantwortet werden kann und folgende Skalen beinhaltet:
Annäherungsziele:
1. I ntimität/Bindung 2. G eselligkeit 3. Ander en helfen 4. H ilfe bekommen 5. Anerk ennung/Wertschätzung 6. Üb erlegenheit/Imponieren 7. A utonomie 8. L eistung 9. K ontrolle haben 10. Bildung/Verstehen 11. Glaube/Sinn 12. Das Leben auskosten 13. Selbstvertrauen/Selbstwert 14. Selbstbelohnung Vermeidungsziele:
1. Al leinsein/Trennung 2. G eringschätzung 3. Er niedrigung/Blamage 4. V orwürfe/Kritik 5. A bhängigkeit/Autonomieverlust 6. Spannungen mit andern 7. Sich verletzbar machen 8. H ilflosigkeit/Ohnmacht 9. V ersagen. Zentral ist nun, dass die motivationalen Ziele nicht nur a ußerhalb des t herapeutischen S ettings ak tiviert sind, s ondern sich insbesondere in der Therapiebeziehung ma nifestieren. E s b edarf desha lb einer systematischen Beziehungsanalyse zu Beginn einer Thera pie, die b eschreibt, w elche zen tralen Pläne und Z iele in der Thera piebeziehung wie aktiv sein könnten, welche Stolpersteine beim Aufbau der emo tionalen B indung, der Z ielübereinstimmung und der Üb ereinstimmung b ezüglich des Vorgehens zu er warten sind und wie da mit umgegangen we rden s oll. I n e iner Untersuchung m it stationären depressiven Patienten konnten C aspar et al . (2005) zeig en, dass die v on ext ernen B eobachtern eingeschätzte Passung zwischen Therapeutenverhalten und M otivstruktur des P atienten mit dem v on P atienten ein geschätzten Thera pieerfolg deutlich korreliert. Ressourcenorientierte I nterventionen we rden in der L iteratur einerseits als Bestandteile einzelner I nterventionsansätze disk utiert (z. B. h yp-
3.5 · Ressourcenaktivierung und Therapiebeziehung als therapeutische Heuristiken
notherapeutische und lösun gsorientierte V erfahren), andererseits wird Ressourcenorientierung als übergeordnete t herapeutische H altung o der P erspektivtheorie (F oppa, 1984) b eschrieben, die b ei verschiedenen I nterventionskonzepten a ngewandt werden kann (Grawe & G rawe-Gerber, 1999). Z ur Umsetzung einer r essourcenorientierten H altung wird einer seits a uf die Diagnostik v on P atientenressourcen und a ndererseits a uf eine r essourcenaktivierende P rozessgestaltung v erwiesen (G rawe, 1998; Schemmel & S challer, 2003; Fl ückiger et al .,
39
submitted). ⊡ Tab. 3.1 g ibt einen Üb erblick üb er die Dimensionen prozessgestaltender Ressourcenaktivierung, die zur therapeutischen Aufmerksamkeitslenkung eingesetzt werden können. Die Aufmerksamkeit von Therapeut und P atient kann s owohl auf die b eiden Pole einer einzelnen Dimension als auch auf mehrere Dimensionen gleichzeitig gelenkt werden. Durch ständig wiederholte L enkung der A ufmerksamkeit v on P atient und Thera peut a uf Ress ourcen des P atienten s oll der Annäherungsmodus fortlaufend aktiviert wer-
⊡ Tab. 3.1. Dimensionen der prozessgestaltenden Ressourcenaktivierung und mögliche Fragen 1. Wahrnehmen und verstärken unmittelbar dargebotener Ressourcen ▬ Habe ich die unproblematischen Ergebnisse eines Fragebogens gewürdigt? ▬ Habe ich therapienützliches Verhalten gebührend verstärkt? ▬ Was gibt den Ausschlag, dass der Patient in die Sitzung kommt?
Aktives Heranführen an brachliegende Ressourcen ▬ Hat der Patient Fähigkeiten, die er im konkreten Fall vergessen hat? ▬ Hat der Patient Fähigkeiten, die er sich im Moment nicht zutraut? ▬ Gibt es einen kleinen Schritt in die richtige Richtung?
2. Verbalisieren von Ressourcen ▬ Kann ich mir die geschilderte Ressource bildhaft vorstellen? ▬ Habe ich die Bedeutung der Ressource für den Patienten verstanden? ▬ Was macht es aus, dass der Patient beim Erzählen »strahlt«?
Unmittelbares Erleben von Ressourcen ▬ Was bereitet dem Patient Freude und kann ich dies in die Problembearbeitung integrieren? ▬ Wie kann ich den Therapieprozess den Fähigkeiten des Patienten anpassen? ▬ Passe ich den Therapieprozess dem »Lebensraum« des Patienten an? (Sprache, Metaphern, Nonverbalität)
3. ▬ ▬ ▬
Nutzen von Ressourcen des sozialen Umfeldes ▬ Gibt es in der Familie oder im Freundeskreis ein starkes Vorbild, Modell? ▬ In welchen Bereichen kann der Patient auf soziale Unterstützung zählen? ▬ Gibt es eine Person, der der Patient vertraut?
Verstärken persönlicher Ressourcen des Patienten Was begeistert den Patienten? Wozu fühlt sich der Patient verpflichtet? Wo reagiert der Patient gelassen?
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4. Aufgreifen bestehender oder brachliegender Fähigkeiten und Fertigkeiten (potentiale Ressourcen) ▬ Was kann der Patient besonders gut? ▬ Was ist ihm selbstverständlich? ▬ Wo beginnt der Patient »wie ein Buch« zu reden?
Integrieren bestehender Ziele und Wünsche (motivationale Ressourcen) ▬ Welche Lebensräume hat der Patient ▬ Welche Idole hat der Patient? ▬ In welchen Bereichen hat der Patient positive Veränderungserwartungen?
5. ▬ ▬ ▬
Fokussieren auf problemunabhängige Ressourcen Wo erlebt sich der Patient als kompetent? Gab es in der Vergangenheit gute Zeiten? Habe ich mir als Therapeut die Zeit genommen, den Patienten schwärmen zu lassen?
Nutzen problemrelevanter Ressourcen ▬ Wie stark lässt sich das Problem eingrenzen? ▬ Gibt es Ausnahmen? ▬ Woran liegt es, dass Verbesserungen eingetreten sind? ▬ Inwieweit kann ich das Problemverständnis validieren?
6. ▬ ▬ ▬
Optimierung verbrauchbarer Ressourcen Wie stark kann eine Ressource ausgereizt werden? Wo sind die Grenzen einer einsetzbaren Ressource? Stimmt das Kosten-Nutzen-Verhältnis?
Förderung trainierbarer Ressourcen ▬ Habe ich das Erreichte auch genügend wiederholt? ▬ Ergibt Regelmäßigkeit Sinn? ▬ Gibt es Variationsmöglichkeiten?
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apitel 3 · Ressourcenaktivierung und motivorientierte Beziehungsgestaltung
den. Eine inadäq uate D osierung ka nn j edoch zu Nebenwirkungen f ühren: Z u a nspruchsvolle Z ielvorstellungen, s eien sie v om P atienten a uch no ch so erwünscht, können beim Patienten Widerstand auslösen (G rawe & G rawe-Gerber, 1999), zudem kann eine st arke H ervorhebung vo n S elbstverständlichkeiten als Abwertung empfunden werden (Willutzki, K oban & N eumann, 2006). »A uf den letzten Dr ücker« nac hgeholte Ress ourcenaktivierung am Ende einer S itzung ist zudem ein M erkmal nic ht er folgreicher Thera piesitzungen (Gassmann & Grawe, 2006). Zwischen Ress ourcenaktivierung und mo tivorientierter B eziehungsgestaltung b estehen in sofern k onzeptuelle Üb erschneidungen, a ls b eide Konzepte sic h a n der B edürfnisbefriedigung des Patienten o rientieren. S o ka nn die Thera piebeziehung einer seits als T eil der Ress ourcenaktivierung v erstanden w erden, a ndererseits ka nn Ressourcenaktivierung a ls Teil der mo tivorientierten Beziehungsgestaltung definiert werden (z. B . »ressourcenorientierte B eziehungsgestaltung«, G rawe, 1998, S. 541 ff). Unterschiedliche Perspektiven werden insofern eingenommen, als die motivorientierte Beziehungsgestaltung sowohl problematische als a uch un problematische mo tivationale A spekte
zu verstehen und in einem G esamtmodell zu integrieren versucht (Caspar, 1996), währ end die Ressourcenperspektive im g esamten t herapeutischen Unterfangen ak tiv nac h p ositiven, n ützlichen A spekten sucht und v ersucht, dies e f ür die Thera pie zu nutzen (Schemmel & Schaller, 2003). In ⊡ Tab. 3.2 werden zusammenfassend die b eiden b edürfnisbefriedigenden H euristiken eina nder gegenüber ge stellt. U nterschiede b estehen s owohl in der Dauer als auch im Inhalt der therapeutischen Zielsetzungen. Die einzelnen Z ielsetzungen werden wiederum aus unterschiedlichen Informationsquellen erschlossen und ha ben verschiedene motivationale Schwerpunkte. Die t herapeutischen Mittel, die für die Er reichung der t herapeutischen Z ielsetzungen eingesetzt werden, unterscheiden sich im A bstraktionsgrat und in den inhaltlichen Dimensionen. Im G egensatz zu den in st örungsspezifischen Therapiemanualen gut dokumentierten Interventionstechniken, welche besonders stark auf das »was machen« f okussieren, b ieten die b eschriebenen therapeutischen Heuristiken Handlungsanweisungen zum Thema » wie mac hen«. D as Z wei-Prozessmodell von Grawe (2004, 2006) kann dabei als Versuch v erstanden w erden, den t herapeutischen Prozess a ufgrund v on K onzepten der K linischen
⊡ Tab. 3.2. Motivorientierte Beziehungsgestaltung und prozessgestaltende Ressourcenaktivierung: Zwei therapeutische Heuristiken im Vergleich Therapeutische Heuristik
Motivorientierte Beziehungsgestaltung
Prozessgestaltende Ressourcenaktivierung
Therapeutische Ziele
mittel- und langfristige Bedürfnisbefriedigung in der therapeutischen Beziehung
kurzfristiges positives emotionales Erleben in der Psychotherapie
Informationsquelle
motivational relevantes Erleben und Verhalten (positiv und negativ)
positives Erleben in der Vergangenheit und im Hier und Jetzt
Motivationaler Fokus
übergeordnete Annäherungs- und Vermeidungsziele
Ziele, Strategien und Mittel im gesamten Handlungsraum des Patienten
Therapeutische Mittel
langfristige Beziehungsstrategien
kurzfristig, taktische Mikrointerventionen
Dimensionen
▬ emotionale Bindung ▬ Zielübereinstimmung ▬ Übereinstimmung bzgl. Vorgehen
▬ Wahrnehmung bestehender R. vs. Heranführen an brachliegende R. ▬ R. verbalisieren vs. R. unmittelbar erleben ▬ persönliche R. vs. interpersonale R. ▬ potentiale R. vs. motivationale R. ▬ problemunabhängige R. vs. problemrelevante R. ▬ verbrauchbare R. vs. trainierbare R.
Literatur
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apitel 3 · Ressourcenaktivierung und motivorientierte Beziehungsgestaltung
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Dur ch Psychotherapie Freude, Vergnügen und Glück fördern Andreas Dick 4.1 Einleitung 4.2 4.3 P 4.4
– 44
Bedeutung des Glücks und verwandter Begriffe – 44 rozesse des Glückserlebens
– 47
Therapeutische Förderung von Freude, Vergnügen und Glück Literatur –
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– 50
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apitel 4 · Durch Psychotherapie Freude, Vergnügen und Glück fördern
4.1 Einleitung
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Wenn sich ein P sychotherapeut an das Gl ück heranwagt, dann stellt sich sogleich die Frage: Was hat denn Psychotherapie mit Glück zu tun? Geht es bei der Psychotherapie nicht im besten Fall um die Linderung seelischen Leidens? Ist es nicht vermessen, Menschen durch Psychotherapie glücklich machen zu wollen? Nicht ganz zu unrecht warnte der klientenzentrierte P sychotherapeut J ohn S hlien (1989) vor den G efahren f ür die P sychotherapie, w enn Glück als Therapieziel angepriesen wird: Dies v erführe Patienten zu einer Flucht vor den wirklichen Verhältnissen und zu einer a uswegslosen S uche nach dem Glück, das sich doch nie erreichen lasse. Statt K lienten ein v ertieftes B ewusstsein f ür r eale Probleme zu er möglichen, wür de P sychotherapie in die Falle der Unterhaltungs- und Drogenindustrie hineingeraten, indem sie eine S cheinlösung für alle Schwierigkeiten vorgaukle. Andererseits wir d immer deu tlicher, dass die auf dem medizinis chen M odell b eruhende S ichtweise von P sychotherapie a ls e ine Ar t s eelisches Arzneimittel g egen psy chische K rankheiten und Störungen zu b egrenzt ist. P sychische G esundheit ist nicht lediglich die Abwesenheit von Leiden, sondern zeichnet sich d urch Wohlbefinden, S elbstaktualisierung, S elbstakzeptanz, B eziehungsfähigkeit, wirksame U mweltkontrolle und S innfindung a us (Keyes & L opez, 2002). Dies sind a ber g leichzeitig die M erkmale glücklicher Menschen (Mayring, 1991). Unter der Voraussetzung, dass keine leidvollen Schicksalsereignisse verarbeitet werden müssen, lassen sic h s eelisch g esunde und g lückliche M enschen nic ht v oneinander un terscheiden. Wenn es aber der Psychotherapie ernst ist mi t einer Verbesserung der seelischen Gesundheit, weshalb sollte sie sich dann nicht auch dem Glück zuwenden? Ich mö chte in dies em K apitel a ufzeigen, dass ein Verständnis dafür, was Glück, Freude und Vergnügen sind und wie dies e Erfahrungen gefördert werden können, höchst hilfreich für wirkungsvolles therapeutisches Arb eiten ist. I m ersten A bschnitt setze ic h mic h mi t der inhal tlichen B edeutung des Glücksbegriffs und v erwandter Konzepte auseinander. I m zw eiten A bschnitt wir d un tersucht, welche P rozesse a n das Erleb en v on F reude, Vergnügen und Gl ück hera nführen. D er dr itte A b-
schnitt befasst sich mit der Frage, wie Therapeuten diese Erleb nisprozesse b ei ihr en K lienten f ördern und unterstützen können. Es s ollte dabei deutlich werden, dass ic h mic h k einer b estimmten t herapeutischen I deologie v erpflichtet f ühle, s ondern die P sychotherapie a ls eine in tegrierende K unst verstehe, welche sich der jenigen H eilprozesse b edient, die jederzei t und üb erall eine Öf fnung des Menschen zur F reude und zum Gl ück hin er möglichen, gleichgültig, ob dies im R ahmen einer Psychotherapie geschieht oder nicht. 4.2 B
edeutung des Glücks und verwandter Begriffe
Zu B eginn der mo dernen B eschäftigung mi t der Psychotherapie nimmt ein B egriff einen b esonderen S tellenwert ein, der f ür das V erständnis des Glücks wic htig ist: L ust. Die F reud’sche-Psychoanalyse gründet auf der Vorstellung, dass Lusterfahrungen des Menschen tiefstes und ursprünglichstes Streben da rstellen. I n einer b erühmten S telle a us Das U nbehagen i n der K ultur mac ht F reud deu tlich, dass Gl ück und L ust für ihn das g leiche sind (Freud, 1948, S. 433 f.): [Die M enschen] str eben nach dem Glück ; sie wollen glück lich werden und so bleiben. Dies Streben hat z wei Seiten, ein positiv es und ein negatives Ziel, es will einerseits die Ab wesenheit von Schmerz und Unlust, andererseits das Erleben starker L ustgefühle. [...] man möcht e sagen, die Absicht dass der M ensch ‚glücklich’ sei, ist im Plan der ‚Schöpfung’ nicht enthalten. Was man im strengsten Sinne Glück heißt, entspringt der eher plötzlichen Befriedigung hoch aufgestauter Bedür fnisse und ist seiner Natur nach nur als episodisches Phänomen möglich. Jede Fortdauer einer v om Lustprinzip ersehnten Situation er gibt nur ein Gefühl v on lauem Behagen; wir sind so eingerichtet, dass wir nur den Kontrast int ensiv genießen können, den Zustand nur sehr wenig.
Tatsächlich ha ben denn a uch G enerationen v on Dichtern und Philos ophen die Unbeständigkeit des Glücks beschrieben, die von Freud hier beklagt wird und die etwa auch in den Sprichwörtern ,Glück und
4.2 · Bedeutung des Glücks und v erwandter Begriffe
Glas, wie leicht bricht das’ oder ‚Glück und Unglück tragen eina nder a uf dem R ücken’ zum A usdruck gelangt. D ie Auffassung vom Glü ck a ls g utes, ab er flüchtiges S chicksalsereignis u nterscheidet sich j edoch in sofern v on F reuds D efinition des Gl ücks als Lusterfahrung, als dass die L ust bei den meist en Philosophen nicht auf den A bbau eines p hysiologischen B edürfnisstaus reduziert wird wie b ei Freud, sondern b edeutend w eiter g efasst ist (z. B . Lust a n der Liebe, Lust an der Natur, Lust an schöpferischer Arbeit). F reuds A uffassung gr ündet a uf einer hedonistischen Sichtweise des Gl ücks, wie sie er st seit der Aufklärung und insbesondere von Locke (1999) entwickelt wur de, dess en Gl ücksdefinition als »die äußerste L ust, zu der wir fähig sind« (II/21, § 43) derjenigen F reuds s ehr ähnlic h ist. A uch die moderne Psychologie steht mit ihrem Konzept des ‚subjektiven Wohlbefindens’ ga nz in der T radition der Aufklärung, indem sie die p ersönliche Qualität der Lusterfahrung zum Maßstab für das Glück erhebt. Lust (o der W ohlbefinden) ist, ga nz allg emein definiert, nichts anderes als die subjektive Erfahrung eines a ngenehmen Z ustandes, una bhängig da von, ob dies er Zustand g lücklich macht o der nicht (Tatarkiewicz, 1976). Doch die hedonistische Gleichsetzung von Lust und Glück ist insofern problematisch, als dass s ehr viel L ust o ft nic ht g lücklich, s ondern unglücklich mach t. Dies er q ualitative U nterschied in der men schlichen Er fahrung zwis chen Lusterleben und Gl ücklichsein d ürfte es nac h A uffassung des Hedonismus’ und Freuds Psychoanalyse eigentlich nic ht g eben. D och is t es eine un bestreitbare Tatsache, dass bestimmte Lusterfahrungen unter gewissen Umständen zwa r s ehr a ngenehm s ein k önnen (z. B. S ex o der Alk ohol), dass a ber ein L eben, das sich ausschließlich um dies e Dinge dreht, nicht glücklich macht. Lust (bzw. subjektives Wohlbefinden) kann somit nicht das gleiche sein wie Glück. Es gib t s ehr w ohl Er fahrungen der L ust und des W ohlbefindens, die g leichzeitig a uch g lücklich mac hen k önnen. F ür s olche L ustquellen, die keine nega tiven K onsequenzen nac h sic h ziehen, sondern eine heils ame B elebung zur F olge ha ben und a uf das Gl ück hin wirk en, mö chte ic h den Begriff des Vergnügens verwenden. Für die unheilsamen Lusterfahrungen, die längerfristig nicht mit Freude, sondern mit Leiden verbunden sind, werde ich die B egriffe ‚Er satzglück’ o der ‚ Scheinglück’
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gebrauchen. Damit wird deutlich, dass ich die eingangs er wähnte K ritik S hliens a n einer a uf das Glück a usgerichteten P sychotherapie zwa r un ter bestimmten Umständen für berechtigt halte, wenn nämlich eine P sychotherapie fälschlicherweise das Ersatzglück u nterstützt. Sh liens Kr itik ist j edoch insgesamt zu b egrenzt, da er wahr es Gl ück ga r nicht erst gelten lässt. Eine Lebensphilosophie, die ha uptsächlich auf der Lust gründet, muss entweder gute und s chädliche L ustquellen un terscheiden, wie dies E pikur tat, o der s ie m uss a lle L usterfahrungen ab werten und eine H altung der Gleich gültigkeit g egenüber Lust und L eid entwickeln, wie dies der S toizismus vertrat. Wenn der B egriff des Gl ücks jedoch nicht in der L ust untergehen s oll, da nn muss die F rage beantwortet w erden, wie es denn ein g lückliches Leben a ngesichts der Fl üchtigkeit v on L usterfahrungen g eben ka nn. S chon O vid (2003, III, V ers 136 f.) wies darauf hin, dass ma n »niemanden vor seinem Tode und s einem Leichenbegräbnis glücklich nennen« s oll und machte damit deutlich, dass es zwa r ein g lückliches L eben gibt, dass dies a ber erst in der R ückschau a ls s olches erka nnt w erden kann. Somit stützte er sich auf eine Auffassung des Glücks als umfass ende L ebenszufriedenheit, die dann eintritt, wenn ein Mensch mit seinem Schicksal v ersöhnt und ein s ist mi t s einen H offnungen, Wünschen und Erwartungen. Diese Auffassung des Glücks geht über eine subjektive Er fahrung hinaus und b enötigt b estimmte objektive Kriterien. Eine sub jektive Sichtweise des Glücks nimmt an, dass es zum Gl ücklichsein ausreicht, w enn jema nd das G efühl hat, g lücklich zu sein. Doch dieses Gefühl kann täuschen, was sic h etwa a n der T atsache zeigt, dass sic h ein S chwerverbrecher d urchaus sub jektiv w ohl f ühlen und nicht selten sogar Lust an seinen Taten verspüren kann. Es ist aller dings nicht möglich, dass Verbrecher glücklich sind, selbst wenn sie dies behaupten sollten, denn wahres Glück kann sich nur im Bezug auf das G ute zeig en en tsprechend der ob jektiven Auffassung v om Gl ück als ‚B esitz der hö chsten Güter’ (Dick, 2003; Kekes, 1982). Im Lauf der Geschichte wurden viele verschiedene Vorstellungen da rüber en twickelt, wie s olch ein glückliches, auf das Gute ausgerichtetes, Leben verwirklicht w erden ka nn. N eben der b ereits er -
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apitel 4 · Durch Psychotherapie Freude, Vergnügen und Glück fördern
wähnten hedo nistischen L ebensform, b ei der das Glück in sinnlichen Erfahrungen gesucht wird und sich s omit nic ht v on der L ust un terscheidet, und den ökon omisch-politischen A uffassungen vom Glück als b erechenbaren N utzen (U tilitarismus) bzw. als g esellschaftliche Utopie (z. B. Kommunismus), wur den in sbesondere si ttlich-ethische und religiöse L ebensformen en twickelt, die Gl ück als Ergebnis eines t ugendhaften Lebens, als Üb erwindung der Leidenschaften und als Hinwendung zum Göttlichen und Ewigen verstehen (Pieper, 2001). Trotz unterschiedlicher Auffassungen, was ein gutes, glückliches Leben ausmacht, besteht seit jeher Einigkeit darüber, dass es gewisse, zumeist seltene, Augenblicke gibt, in denen Menschen gleichsam von Glück ‚überfließen’ und von einem tiefen, oft als existenziell erlebten Gefühl der F reude und Erfüllung er fasst w erden. Gl ück in dies em S inne, oft auch als Glückseligkeit oder einfach als Seligkeit bezeichnet, weist einen engen Bezug zur L iebe auf und wird nicht selten mit spirituellen Schlüsselerlebnissen in Verbindung gebracht oder als Idealzustand ins Jenseits verlegt. Lersch (1970) gebrauchte den Begriff der Freude zur Kennzeichnung dieser Art des Glückserlebens, die er als G efühlsregung der D aseinsbereicherung bezeichnete, in der »als Ob erton die Thematik des Über-sich-hinaus-Seins en thalten ist« (S. 236). I n Erlebnissen der Freude wird nach Lersch eine subjektiv ho chbedeutsame B eziehung zwis chen der Umwelt und un serem eig enen S ein g eschaffen, in der wir o hne b estimmten Zweck »ein g esteigertes Pathos der Lebendigkeit« (S. 237) erfahren. Im Erleben der F reude sind wir a ußerordentlich wac h; unsere Wahrnehmung zeichnet sich durch b esondere Plastizität und Präzision aus; wir erleben eine allgemeine Steigerung der Energie, über die unsere Gedanken und Z ielsetzungen neu g eschaffen werden. Als die der F reude inne wohnende An triebsgestalt erkannte Lersch die G ebärde des S ich-Öffnens, des Umfassens, und des Sich-Verschenkens. Ausgehend vo n einer s olchen phäno menologischen Sich tweise des Gl ücks s etzte sich Gr oskurth (1988) mi t der F rage a useinander, ob P sychotherapie dem Glück zuträglich sein könne. Für Groskurth en tsteht Gl ück a us einer I nteraktion zwischen inner en Rep räsentationen v on ä ußeren Bedingungen und den inner en Bedingungen eines
Menschen. Dies e inner en B edingungen t angieren beim Glück eine t iefere Ebene als bei anderen Gefühlen, diejenige des »Selbst«, das allen subjektiven Vorgängen zugrunde liegt. Die Emotion des Glücks entsteht als Begleiterscheinung einer »Transformation des Selbst« (S. 37). Jede Transformation in der Entwicklung eines Menschen geschieht nach Groskurth plötzlich und kann mit einem Erwachen verglichen w erden, das gr undsätzlich eine neue P erspektive mit sic h bringt. Glück er wächst aus dem Durchschreiten der En twicklungstore hin zu einer umfassenderen spirituellen Orientierung. Weil das Glück nic ht dir ekt a ngestrebt w erden ka nn, s ondern eine Transformation des Selbst begleitet, folgt, dass a uch die P sychotherapie nic ht dir ekt etwas zum Glück b eitragen ka nn, s ondern nur indirekt, indem sie diesen Entwicklungsprozess fördert. Damit ist die im näc hsten K apitel b ehandelte Thematik a ngesprochen: Er fahrungsprozesse, die das Erleb en v on F reude, V ergnügen und Gl ück fördern. ⊡ Tab. 4.1 fasst die in dies em A bschnitt erörterten Begriffe zusammen.
⊡ Tab. 4.1: Begriffe und Definitionen Glück
(1) positives Schicksal, guter Zufall, erfreuliche Wendung (2) umfassende Lebenszufriedenheit, Versöhnung von Wunsch und Wirklichkeit, ein gutes und gelungenes Leben (3) tiefe Erfahrung der Freude, Erfüllung und Erlösung; Glückseligkeit
Freude
Gefühl des Über-sich-hinaus-Seins, Sich-Öffnens, und Sich-Verschenkens; weitgehend gleichbedeutend mit Glück im Sinne von (3)
Lust
Subjektiv angenehme Erfahrung; kann zu Freude oder Leid führen
subjektives Wohlbefinden
von der modernen Psychologie verwendeter Begriff anstelle von Glück, jedoch gleichbedeutend mit Lust
Vergnügen
lustvolle Erfahrung, die dem Glück förderlich ist
Ersatzglück, Scheinglück
lustvolle Erfahrung, die dem Glück abträglich ist
4.3 · Prozesse des Glückserlebens
4.3
Prozesse des Glückserlebens
Aus der dr eifachen D efinition des Gl ücks als günstiger Zufall, gelungenes Leben und Erfahrung tiefer F reude er geben sic h wich tige K onsequenzen f ür die P sychotherapie. Die er ste dies er dr ei Bedeutungen des Gl ücks, ein gün stiger Z ufall, beschäftigt un s nic ht w eiter, da wir es nic ht mi t Magie, sondern mit Psychotherapie zu tun haben. Die zweite Bedeutung, umfassende Lebenszufriedenheit, ist ho chbedeutsam f ür die P sychotherapie, da es K lienten meist ein Anlieg en ist, sic h in Richtung eines gu ten und g elungenen L ebens zu bewegen, wobei es hier um die Richtung geht und nicht um das Z iel. Es ist d urchaus mög lich und erstrebenswert, dass ein K lient sic h im V erlauf seiner P sychotherapie eines g lücklichen L ebens annähert und es ihm als Folge der Therapie besser gelingt, Wunsch und Wirklichkeit miteinander zu versöhnen. Die dr itte B edeutung des Gl ücks als exist enzielle Er fahrung der Er füllung und Erlösun g ist ebenfalls s ehr b edeutsam f ür die P sychotherapie, obschon man sich hier bewusst sein muss, dass es unterschiedliche I ntensitätsgrade g ibt. E s ko mmt wahrscheinlich eher s elten v or, dass im R ahmen einer P sychotherapie ein G efühl der erlös enden Glückseligkeit erlebt wird, wie man dies etwa v on religiösen Er fahrungen her k ennt ( James, 2002). Aber es ist d urchaus möglich und er strebenswert, dass eine P sychotherapie dazu f ührt, F reude zu erleben, sic h zu ö ffnen, üb er sic h s elbst hina us zu wac hsen und das V ergnügen a m L eben zu steigern. Die P sychologie ha t sich st ark mi t den U nterschieden zwis chen M enschen mi t ho her und tiefer Lebenszufriedenheit beschäftigt, jedoch nur sehr w enig mi t den P rozessen, die zum Erleb en von Freude f ühren. D a die mo derne Psychologie von einer sub jektiven Gl ücksdefinition a usgeht, wissen wir einig es da rüber, w elche F aktoren mi t einem ha bituellen W ohlbefinden ein hergehen. Neben gewissen äußeren Bedingungen (z. B. Ausbildung, ö konomisch-politischer L ebensraum) sind es v or allem P ersönlichkeitsfaktoren und Beziehungserfahrungen, die da für verantwortlich sind, ob sich jemand glücklich schätzt oder nicht. Zusammenfassend l ässt sich feststel len, d ass d as
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habituelle W ohlbefinden einen Z usammenhang aufweist mit Hoffnung und Optimismus, einer hohen Kontrollerwartung, geringem Neurotizismus, einer geringen Tendenz zur Gefahrenvermeidung, einem hohen Energieniveau, hoher Produktivität, hoher s ozialer A ufgeschlossenheit, einer zuf riedenstellenden intimen B eziehung, guten sozialen Kontakten, b eruflicher und f inanzieller Z ufriedenheit, Teilnahme a n r eligiösen Ak tivitäten s owie – n ur in indi vidualistischen, jedo ch nic ht in kollektivistischen Kulturen – einem hohen Selbstwertgefühl und Extra version (Dick, 2003; Diener et al., 2002). Diese F aktoren, w elche die L ebenszufriedenheit erhö hen, k önnen als die um weltbezogenen, sozialen und in trapsychischen »Ressourcen« eines Menschen b ezeichnet w erden. Al lerdings er gibt sich dies e L iste v on F aktoren zum T eil da raus, wofür sich P sychologen in teressiert ha ben, denn es g ibt sicherlich eine V ielzahl w eiterer in trapsychischer Ressourcen, die vor negativen Ereignissen schützen und das allg emeine L ebensgefühl p ositiv b eeinflussen, die b isher j edoch n ur un genügend un tersucht wur den. Eine r echt umfass ende Liste s olcher mög licher »Cha rakterstärken« o der »Tugenden« ha ben k ürzlich P eterson & S eligman (2004) er stellt im B emühen, den a uf P athologie ausgerichteten psy chiatrischen K lassifikationssystemen ein p ositives Instrumentarium zur S eite zu stellen. Die Erk enntnis, dass es die inner en S tärken sind , die ein gu tes und g elungenes L eben ermöglichen, ist j edoch k eineswegs neu. B ereits die al ten G riechen en twarfen einen K atalog v on Charakterstärken mi t den vier K ardinaltugenden Besonnenheit, M äßigung, M ut und G erechtigkeit (besser: A ufrichtigkeit). S päter f ügte der A postel Paulus die drei theologischen Tugenden Hoffnung, Glaube und Liebe hinzu. Psychische S törungen l assen s ich a ls M angel zentraler Ress ourcen v erstehen. Wenn die ma ngelnden Ress ourcen en twickelt und a ufgebaut werden, da nn ist es nic ht mehr mög lich, die Störung b eizubehalten. W enn es zum B eispiel einer dep ressiven P atientin, die einen niedr igen Selbstwert, eine p essimistische Z ukunftssicht und wiederho lte Er fahrungen der A blehnung in zwischenmenschlichen Beziehungen aufweist, infolge t herapeutischer Arb eit g elingen s ollte, ein
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apitel 4 · Durch Psychotherapie Freude, Vergnügen und Glück fördern
hohes und st abiles S elbstwertgefühl, H offnung und Z uversicht s owie gu te zwis chenmenschliche Kompetenzen zu en twickeln, da nn wür den die depressiven S ymptome mi t z iemlicher Sicherhei t verschwinden. Dies b edeutet nic ht un bedingt, dass jede psy chische S törung d urch einen Ressourcenmangel v erursacht s ein m uss, do ch lässt sich eine S törung ka um a ufrechterhalten, w enn entscheidende mangelnden Ressourcen erworben werden. In der Psychotherapie geht es, anders als etwa in der S ozialarbeit o der in der B eratung, meist nicht da rum, K lientinnen im dir ekten Er werb von um weltbezogenen o der s ozialen Ress ourcen zu unterstützen (z. B. eine bessere Arbeitsstelle zu finden), s ondern um eine F örderung v on inneren Stärken, die den Er werb äußerer Ress ourcen erleichtern (z. B. s oziale Kompetenz entwickeln). Die B eziehung zwis chen inner en und ä ußeren Ressourcen l ässt sich a ls we chselseitiger Verstärkungsprozess v erstehen, indem gu te in trapsychische Ress ourcen lä ngerfristig zu v erbesserten sozialen und um weltbezogenen Ress ourcen b eitragen und andererseits gute äußere Bedingungen und gu te B eziehungen o ftmals in trapsychische Ressourcen verstärken. Bei den in trapsychischen Ress ourcen (C harakterstärken, Tugenden), deren Er werb eine no twendige, aller dings nic ht un bedingt hinr eichende Voraussetzung für ein g lückliches und g elungenes Leben d arstellt, handelt es sich j edoch no ch nicht um die P rozesse des Gl ückserlebens, um die es in diesem A bschnitt ha uptsächlich g eht. M an f ragt sich nä mlich, wie denn die inner en S tärken a ufgebaut w erden s ollen. D a wie derholtes Erleb en von positiven Emotionen, zu denen b esonders die Freude zähl t, lä ngerfristig zu L ebenszufriedenheit führt (B radburn, 1969), und da die L ebenszufriedenheit zu einem g roßen Anteil auf den in trapsychischen Ress ourcen b eruht, ist es na he lieg end anzunehmen, dass das wiederho lte Erleb en v on Freude die inner en S tärken en twickelt o der zumindest b egleitet. Es ist s omit f ür die P sychotherapie von größter Wichtigkeit zu erkennen, welche Prozesse zum Erleb en v on F reude f ühren. Dies e freudvollen Er fahrungen sind zug leich die heilenden F aktoren v on P sychotherapie (Dic k, 2003; Dick-Niederhauser, 2006).
Dabei s ollte b eachtet w erden, dass psy chische Heilung nicht ausschließlich im Rahmen einer Psychotherapie a uftritt. Verschiedene S tudien w eisen auf psy chische Heilprozesse una bhängig v on Psychotherapie hin, z. B. infolge spiritueller Erfahrungen, S elbsthilfelektüre und kr eativen S chreibens, Erlebnissen in der N atur, b edeutungsvollen B eziehungen, N ahtoderfahrungen o der p roduktiver Nutzung v on F reizeit (B ohart & T allman, 1999; Dick-Niederhauser, 2006). V ielen M enschen g elingt es, P robleme a us eig ener K raft zu b ewältigen, und un gefähr 40–60% all der jenigen, die ein Trauma erleb t ha ben, w erden o hne p rofessionelle Hilfe g eheilt o der b erichten ga r üb er s eelisches Wachstum als F olge des T raumas (Tedeschi, Park, & C alhoun, 1998). Die Tatsache, dass psy chische Heilung nic ht a uf P sychotherapie b eschränkt ist, sollte jed och k einesfalls al s K ritik a n d er Psychotherapie v erstanden w erden, denn do rt wir d v ersucht, sich der allgemeinen seelischen Heilprozesse in systematischer Weise zu b edienen. Andererseits lassen sich aber bestimmte Heilerfahrungen oft direkter und machtvoller außerhalb von Therapiesitzungen erleb en, b esonders w enn g ewisse psy chotherapeutische B edingungen die H eilerfahrungen einengen (z. B. d urch ideo logische B eschränkung auf bestimmte Therapietechniken). Die Er forschung v on Er fahrungen, die zum Erleben v on F reude und Gl ück im S inne eines kurzfristigen Hochgefühls führen, steckt leider erst in den Anfängen. Die meisten Erkenntnisse gehen auf empirische Untersuchungen zurück, die durch Lerschs (1970) p hänomenologische P sychologie angeregt wur den und b ei denen V ersuchspersonen nach Gl ückserlebnissen in der V ergangenheit befragt wurden (Hoffmann, 1984; M ayring, 1991; Meadows, 1975; W lodarek-Küppers, 1987). Einen wichtigen B eitrag leis teten a uch L azarus (1991) mit s einer Emo tionstheorie und Czikszen tmihalyi (1992) mit s einen Untersuchungen zum Flo wErlebnis. A ufgrund dies er F orschungsergebnisse und Theo rien lässt sic h eine v orläufige L iste v on Erfahrungen er stellen, die mi t dem Erleb en v on Freude einhergehen und in der link en Spalte von ⊡ Tab. 4.2 aufgeführt sind. Bei diesen Glückserlebnissen ha ndelt es sic h um psy chische H eilungsprozesse, die mi t einer T ransformation des S elbst einhergehen.
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4.3 · Prozesse des Glückserlebens
⊡ Tab. 4.2. Prozesse des Glückserlebens und ihre therapeutische Förderung Psychische Heilprozesse
Beispiele therapeutischer Bedingungen und Techniken
(1) das eigene Selbst mit all seinen Schwächen und Stärken liebevoll annehmen und bejahen
therapeutische Haltung der Empathie, Echtheit, unbedingten Wertschätzung, Geduld und humorvollen Herzlichkeit; Selbstzuwendung und -belohnung; Identifikation mit abgelehnten Selbstaspekten im Rollenspiel; Verstärkung abgelehnter Selbstanteile (paradoxe Intention); Achtsamkeitstraining
(2) andere Menschen akzeptieren wie sie sind ohne das eigene Wohlergehen von ihnen abhängig zu machen
Förderung der Einfühlsamkeit und Perspektivenübernahme (Anti-Aggressivitäts-Training); systemische Therapie (z. B. Grenzen zwischen Subsystemen stärken); Transaktionsanalyse; therapeutische Förderung von Vergebung
(3) die Realität voll und ganz akzeptieren und einen Sinn im eigenen Lebensverlauf erkennen
logotherapeutische Sensibilisierung für Sinnmöglichkeiten; Daseinsanalyse; Sokratischer Dialog und Einstellungsänderung, Differenzierung des Wertesystems (kognitive Therapie); Achtsamkeits-Training; Morita-Therapie
(4) bisherige Grenzen überwinden und Selbstvertrauen gewinnen durch mutiges Verhalten in Bewährungssituationen
verhaltenstherapeutische Reizkonfrontation; Selbstsicherheits-Training, Training sozialer Kompetenz; Gestalttherapeutische Techniken und gruppentherapeutische Rituale zur Förderung des Emotionsausdrucks (Katharsis, Abreagieren)
(5) Zwischenmenschliche Zuwendung, verlässliche Nähe, Vertrauen und Liebe empfangen und verschenken
verlässliche und vertrauensvolle Therapiebeziehung; psychoanalytisches Durcharbeiten der Übertragungsbeziehung, bindungsorientierte (Paar-/Familien-)Therapie; Gruppentherapie
(6) Die körperliche Lebendigkeit spüren in der bedenkenlosen Hingabe and die Gegenwart und an geliebte Tätigkeiten
Körperzentrierte Psychotherapie; kreative Therapien; verhaltenstherapeutischer Aufbau positiver Aktivitäten; Meditation (Förderung des Gegenwartsbezugs); Entspannungstherapien; Fitness und Sport; Einbeziehung der Natur in die Therapie
(7) in schöpferischer Aktivität über sich selber hinauswachsen und ein Teil seiner selbst an andere weitergeben
Interventionen zur (Wieder-)Entdeckung von verborgenen Talenten und Neigungen (z. B. mittels Traumarbeit, katathymem Bilderleben), muss jedoch hauptsächlich außerhalb der Psychotherapie umgesetzt werden
(8) für die eigene Entwicklung zentrale Grundbedürfnisse erkennen und sich an sie annähern
Überwindung irrationaler Überzeugungen (rationalemotive Therapie, kognitive Therapie); Focusing; klientenzentrierte Exploration von Bedürfnisstrukturen; Traumarbeit (analytische Therapie); Analyse des Lebensplanes (Individualpsychologie); systematische Problemlösung, Verhaltensmodifikation
(9) alten, überholten oder schädlichen Bedürfnisbefriedigungen entsagen und Raum für neue Ziele schaffen (10) sich ganz der Liebe und Fürsorge einer höheren Macht anvertrauen
Gebet und Meditation; Transformation des inneren Gottesbildes (z. B. durch Psychodrama, Imaginationsübungen, sokratischen Dialog)
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▬ Bei den er sten dr ei Ar ten v on H eilprozessen geht es um ein unein geschränktes Annehmen und B ejahen der eig enen I ndividualität, a nderer M enschen und des L ebens üb erhaupt. Diese Er fahrungen b einhalten zum B eispiel das Annehmen und L oslassen v on Är ger, Trauer oder Verbitterung, das humorvolle Anerkennen v on eig enen U nvollkommenheiten und S chwächen a nderer o der die F ähigkeit, ‚Gott’ vergeben zu können für leidvolle Ereignisse. ( Kap. 13, 17) ▬ Der vierte Heilprozess bezieht sich auf ein mutiges Üb erwinden v on p ersönlichen B egrenzungen und eine Stärkung des Selbst, beispielsweise durch den b ewussten Ausdruck von unterdrückten Gefühlen oder das Aufsuchen und Aushalten v on a ngstauslösenden Si tuationen. ( Kap. 14) ▬ Bei der f ünften Ar t v on H eilprozessen f indet eine vertrauensvolle Öffnung des Selbst gegenüber anderen Menschen st att durch Aufheben zwischenmenschlicher S chranken, die zu vor die Er fahrung v on G egenseitigkeit und V erletzbarkeit in B eziehungen v erhindert ha ben. ( Kap. 14, 15, 16 ) ▬ Die s echste Ar t der Gl ückserfahrung liegt im direkten Er spüren der eig enen V italität o hne Beeinflussung d urch den kr itisch (v er-)urteilenden Verstand, s o dass das S elbst in s einer unmittelbaren, in der G egenwart verwurzelten Lebendigkeit und S pontaneität erleb t w erden kann. ( Kap. 11) ▬ Der siebte Heilprozess ist mit kreativem Selbstausdruck verbunden, indem etwas aus sich heraus g eschaffen wir d, das eine B edeutung f ür andere besitzt. ( Kap. 14) ▬ Die achte, neunte und zehnte Art von Glückserfahrungen s chließlich sind en g mi teinander verbunden: Viele persönlich bedeutsame Z iele benötigen zu ihr er Er reichung b ewusste Anstrengungen. Wenn wir sie endlic h er reichen, tritt Freude ein. ( Kap. 3, 12) Manchmal halten wir jedoch an Zielen fest, die nicht wirklich unseren t ieferen B edürfnissen en tsprechen o der lediglich in der V ergangenheit a n B edeutung besaßen, inzwis chen aller dings üb erholt sind . Diese Ziele und damit verbundene Verhaltensweisen m üssen a bsterben und etwas N euem
Platz machen. Und schließlich tritt manchmal eine Transformation des S elbst ein, w enn v on jeglicher b ewussten K ontrolle a bgesehen wir d und wir darauf vertrauen können, dass uns ein gutes und g lückliches L eben g eschenkt wir d, auch w enn wir un s nic ht st ändig um un sere Wünsche sorgen. Es wurden meines Wissens bisher noch keine Studien d urchgeführt, die un tersuchen, ob dies e a us der Glücksforschung abgeleiteten Heilerfahrungen tatsächlich mi t dem Thera pieergebnis zus ammen hängen. Viele dieser Erfahrungen der F reude sind verwandt mi t K onstrukten, die im R ahmen der »positiven P sychologie« un tersucht w erden, z. B. Vergebung, S innhaftigkeit, K reativität o der S piritualität (S nyder & L opez, 2002). M an s ollte dies e Heilprozesse nic ht als Er fahrungen a nsehen, die vom P atienten wi llentlich »p roduziert« o der v on dem Therapeuten einfach »a ktiviert« werden können, sondern als psy chologische Transformationsprozesse des S elbst mit vielen v erschiedenen Vorbedingungen und vielfäl tigen M öglichkeiten der Manifestation. Manchmal benötigt ein Heilprozess beträchtliche Vorbereitungsarbeit, manchmal stellt er sich fast wie v on selbst ein. D amit gelangen wir zur Frage nac h der psy chotherapeutischen B eeinflussung des Glückserlebens. 4.4
Therapeutische Förderung von Freude, Vergnügen und Glück
Es ist zunäc hst no twendig, sic h einer wic htigen Tatsache b ewusst zu s ein: Obs chon das wieder holte Erleben von Freude längerfristig zum Aufbau innerer S tärken f ührt, sind nic ht alle f reudvollen Erfahrungen mi t Vergnügen v erbunden, s ondern einige a uch mi t L eid, das akzep tiert und tra nsformiert w erden m uss. Z um B eispiel ka nn eine uneingeschränkte Annahme des S elbst ein s ehr unangenehmer P rozess da rstellen, w enn etwa in der Vergangenheit erlittene Verletzungen und damit verbundene negative Gefühle zum er sten Mal wieder b ewusst erleb t w erden. Eine er folgreiche Integration abgespaltener Selbstanteile, die mi t einem G efühl der wie dergewonnenen F reude und Freiheit verbunden ist, kann in diesem Fall erst er-
4.4 · Therapeutische Förderung von Freude, Vergnügen und Glück
folgen, nachdem negative Gefühle wahrgenommen und zugelassen worden sind. Viele der s eelischen H eilprozesse er fordern einen S prung üb er den eig enen S chatten, ein Überwinden bisheriger Grenzen, damit eine Umwandlung des S elbst er folgen ka nn, die mi t einem Glücksgefühl einher geht. Andererseits sind aber a uch psy chische H eilerfahrungen mög lich, die k eine Üb erwindung des L eidens er fordern, sondern s chon von Anfang an f ür Patienten vergnüglich s ein k önnen, z. B. die Er fahrung der spontanen k örperlichen L ebendigkeit o der das kreative W iederentdecken vers chütteter T alente und N eigungen. Die t herapeutische F örderung der Gl ücksfähigkeit er folgt s omit üb er H eilprozesse, die in einig en Fällen vergnüglich sein können, in vielen F ällen aber zunächst höchst unangenehm sind. Eine ausführliche Darstellung der Gründe, weshalb eine T ransformation des S elbst o ft s chmerzhaft und unl ustvoll ist, wür de den R ahmen dieses Kapitels sp rengen. Es s oll hier ledig lich da rauf hingewiesen w erden, dass sic h der »neur otische« Funktionszustand des S elbst d urch ein S treben nach L ustgewinn a nhand v on Er satzglück a uszeichnet. S tatt in p roduktiver T ätigkeit das S elbst zu vergessen, wird durch zwanghafte Anstrengung nach s ozialer Anerk ennung g esucht. S tatt sic h in liebevoller Zuneigung hinzugeben, werden Strategien angewandt, andere in den Dien st der eigenen Bedürfnisbefriedigung zu s tellen. Es ließen sic h viele weitere Beispiele aufzählen für den Ersatz von wahren Glücksquellen durch Scheinglück, welches zwar eine k urzfristige L ustbefriedigung mi t sic h bringt, jedoch längerfristig zu Unglücklichsein und Frustrationen f ührt. Ein G rund da für b esteht in der Sehnsucht nach wirklichem Glück, der Weg erscheint dahin jedoch zunehmend schwieriger, weil die »höchsten Güter« bzw. die tieferen Bedürfnisse zugunsten k urzfristiger L ustquellen p reisgegeben wurden (Dick, 2003; Horney, 1991). Psychotherapie muss deshalb st ets die G rundbedürfnisse eines Patienten im Auge behalten und diese im therapeutischen Prozess einer Entdeckung und Annäherung zugänglich machen. Gleichzeitig ist es er forderlich, dass die a uf L ustbefriedigung durch Ersatzglück ausgerichteten Strategien aufgegeben werden. Dies ist keine leichte Aufgabe, denn
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Patienten versuchen meistens, die kurzfristig wirksamen, jedoch langfristig schädlichen Prozesse zur Erreichung v on S cheinglück b eizubehalten. Therapeuten k önnen zum einen d urch H erstellung heilsamer Bedingungen in der Therapiebeziehung, zum andern durch gezielte Anwendung therapeutischer T echniken die psy chischen H eilprozesse positiv b eeinflussen. B eispiele einiger s olcher t herapeutischer H altungen und T echniken sind in der r echten S palte vo n ⊡ Tab. 4.2 au fgeführt m it entsprechender Z uordnung zu den jenigen H eilprozessen, die sie im b esten Fall unterstützen und fördern. Dabei ist zu b eachten, dass die Thera pietechniken n ur H ilfsmittel da rstellen, um die der menschlichen P syche inne wohnenden H eilungsprozesse zu f ördern. W enn Thera pietechniken nicht richtig eingesetzt werden, können sie un ter Umständen s ogar einen H eilprozess v erhindern. So f ührt b eispielsweise die v erhaltenstherapeutische Reizk onfrontation ide alerweise zu einem Zuwachs a n M ut und S elbstvertrauen; w enn j edoch ein Patient dazu ermuntert wird, angstauslösende S ituationen a ufzusuchen und a uszuhalten, obwohl es f ür sein seelisches Wachstum momentan wic htiger wä re, a uf v ernachlässigte B edürfnisse zu hö ren, dann f ührt Reizkonfrontation zu keiner Heilung. Außerdem ist die Z uordnung bestimmter Therapietechniken zu psychischen Heilprozessen r elativ un bestimmt, da ma nchmal die gleiche Technik oder Grundhaltung verschiedene Heilprozesse fördern kann. Für eine Thera pieplanung im S inne der in diesem Ka pitel d argestellten S ichtweise von P sychotherapie ist es zunäc hst no twendig, im diagnostischen Vorgespräch die Ress ourcen und P robleme eines P atienten s orgfältig zu erheb en und anschließend die P robleme in ma ngelhaft en twickelte Ress ourcen umzuf ormulieren. Z ur Erhebung v on Ress ourcen im Er stgespräch k önnen bestehende Ressourcen-Inventare verwendet werden (z. B. Dick, 2003; Trösken & Grawe, 2003). Die vom A utoren en twickelte Res sourcen-Checkliste (Dick, 2003) b esteht a us 50 I tems, die en tweder von P atienten s elber a usgefüllt o der v om Therapeuten als G edankenstütze f ür ein r essourcenorientiertes I nterview v erwendet w erden k önnen. ⊡ Tab. 4.3 führt die v erschiedenen Kategorien von
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apitel 4 · Durch Psychotherapie Freude, Vergnügen und Glück fördern
Ressourcen in der C heckliste mit entsprechenden Beispielen auf. Nachdem der Thera peut ein gu tes B ild der aktuellen Ress ourcenlage s eines P atienten er worben hat, sollten anschließend einige zentrale intrapsychische Ress ourcen a usgewählt w erden, der en Stärkung und En twicklung zu einer A uflösung der Symptome und zu einer Z unahme von Freude und Vergnügen f ührt. Es ist da bei wic htig, dass die Therapieziele a n den in trapsychischen und nich t an den sozialen oder umweltbezogenen Ressourcen
ausgerichtet werden, um einer voreiligen Externalisierung von Lösungen vorzubeugen (im S inne von »Wenn mein Vorgesetzter nicht solchen Druck ausüben würde, ginge es mir viel b esser«). Im Verlauf der Therapie fördert dann der Therapeut diejenigen Heilprozesse, die notwendig sind, um diese zentralen Ressourcen des P atienten zu en twickeln. Dabei sollte sic h der Thera peut st ets üb erlegen, w elche bereits v orhandenen Ress ourcen g enutzt w erden können, um eine mög lichst ho he B ereitschaft f ür die angewandten Therapieverfahren zu erreichen.
⊡ Tab. 4.3. Ressourcen-Checkliste (Dick, 2003) Kategorien Beispiele Umweltbezogene und soziale Ressourcen Partnerschaft, intime Beziehung
Partner(in), dem/der ich mich gefühlsmäßig nahe fühle
Familie, Freunde
einige nahe Freunde, denen gegenüber ich mich öffnen und denen ich vollkommen vertrauen kann
Beruf, Einkommen, Lebensstandard
zufriedenstellende finanzielle Situation
Freizeit
guter Ausgleich zwischen Arbeits- und Freizeit
Wohnsituation
eine Wohnung, in der ich mich wohl und geborgen fühle
Persönlichkeitsbezogene (intrapsychische) Ressourcen Gesundheit, Lebendigkeit, Ausgeglichenheit
ein Körper, in dem ich mich wohlfühle, und der mir gut gefällt
Selbstwertgefühl, Selbstakzeptanz
mich selbst ganz so annehmen und lieben können, wie ich bin
Selbstsicherheit, soziale Kompetenz, Extraversion
mühelos auf andere Menschen zugehen und mit ihnen in Kontakt treten können
Liebesfähigkeit, Beziehungsfähigkeit
Fähigkeit, Mitleid zu empfinden
Mut, Willenskraft
Mut, mich in gefürchtete und ungewisse Situationen hineinzubegeben
Kreativität, Schaffenskraft
Lust an kreativer, schöpferischer Tätigkeit, in der ich alles andere um mich herum vergessen kann
Kontrollgefühl
Gefühl, mein Leben in wichtigen Belangen zu einem großen Teil selbst beeinflussen zu können
Gelassenheit, Zuversicht, Heiterkeit
Vertrauen in die Zukunft und in die Verwirklichung meiner Wünsche und Träume
Religiöser Glaube, Spiritualität
Glaube an eine allliebende Kraft (Gott) und das Gefühl, von ihr angenommen und geliebt zu werden, so wie ich bin
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Literatur
Beispiel
II
Eine Patientin, die seit Jahren an einer Alkoholabhängigkeit leidet, berichtet über Schuld- und Schamgefühle sowie zahlreiche enttäuschte Liebesbeziehungen. Als zentrale intrapsychische Ressourcen, die als erstes der Entwicklung bedürfen, werden ‚emotionale Stabilität’ und ‚Selbstakzeptanz’ identifiziert. Der Therapeut wendet Strategien an, die insbesondere die Heilprozesse der uneingeschränkten Annahme der Realität und des Selbst fördern. Da die Patientin negative Gefühle durch Alkoholkonsum vermeidet, werden Übungen zur Entwicklung nichtwertender Achtsamkeit durchgeführt, damit die Patientin besser lernt, alltägliche Enttäuschungen ohne Griff zur Flasche zu verarbeiten. Außerdem wird ihr dabei geholfen, ein Gespür für wirkliche Quellen der Freude und des Vergnügens zu entwickeln (z. B. durch Verstärkung sozialer Kontakte), damit die Ersatzbefriedigung des Alkoholkonsums an Anziehungskraft verliert. Nachdem die Patientin durch die bewusstere Erfahrung solcher Glücksquellen eine starke Motivation zur Alkoholabstinenz entwickelt hat (wobei es zwischendurch zu Rückfällen kommt), wird die Aufmerksamkeit in der Therapie zunehmend darauf gerichtet, dass sie sich selber Gutes tut, sich liebevoll annimmt statt sich zu verurteilen (selbst bei Rückfällen) und mit sich selber wie mit einem geliebt en Kind umgeht, als das sie leider v on ihren Eltern kaum je behandelt wurde. Dadurch erfährt die Patientin es immer mehr als merk würdige Selbstbestrafung, sich durch Alkoholkonsum die Lebensziele zu blockieren und ihre Gesundheit zu schädigen. Da die Patientin religiös ist, wird außerdem an ihrem strafenden Gottesbild gearbeitet (z. B. durch den Dialog mit Gott im Rahmen der Leeren-Stuhl-Technik), damit es zunehmend durch das innere Bild eines liebenden Gottes ersetzt werden kann. Je besser es der Patientin gelingt, sich als von Gott geliebt zu erleben, desto weniger sucht sie zwanghaft nach Anerkennung durch romantische Beziehungen und desto offener wird sie für wertvolle Begegnungen.
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Eine a uf den psy chischen H eilprozessen b eruhende Sich tweise vo n P sychotherapie mi t einem Bewusstsein f ür die B edeutung v on Er fahrungen der F reude, des V ergnügen und des Gl ücks f ührt weg v on s chulenorientierter Thera pie und v on einem Gla uben a n die Üb erlegenheit »em pirisch validierter Therapieverfahren« oder manualisierter Standardtherapien. Was im Einzelfall wirk t, hängt von den s pezifischen Heilprozessen ab, die b ei einem bestimmten Patienten notwendig sind, um die erlösende Erfahrung der Freude, des Sich-Öf fnens und des Sich-Verschenkens zu machen.
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uthyme Therapie und Salutogenese Rainer Lutz 5.1 G
esundheitsförderung: Ein aktuelles Thema mit langer Geschichte – 56
5.2 Gesundheit und Krankheit – 56 5.2.1 Zwei Modelle zu Gesundheit und Krankheit – 56 5.2.2 Balanc e-Modell – 57 5.3 Salutogenesekonzept von Antonovsky – 60 5.3.1 Kohär enzgefühl – 60 5.3.2 Pessimismus im Salutogenesekonzept – 61 5.4 Erikson:
Urvertrauen
– 61
5.4.1 Kohärenzgefühl und Urvertrauen – 61 5.4.2 Erste Schritte zur seelischen Gesundheit – 62
5.5 Merk
male der euthymen Therapie – 62
5.5.1 P ositiva heilen – 62 5.5.2 Akzeptieren von guten und schlechten Zeiten – 63 5.5.3 Hedonistische Nische – 63 5.5.4 E uthyme Interventionen – 64 5.5.5 M etaziel: Selbstfürsorge – 65
5.6
Empirische Befunde zur Wirkung euthymer Strategien – 65 Literatur –
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apitel 5 · Euthyme Therapie und Salutogenese
esundheitsförderung: Ein aktuelles Thema mit langer Geschichte
Bei der F örderung eu thymen Erleb ens und V erhaltens s oll Wohlbefinden und G enuss, im S inne gesunder Anteile, als o die V erfügbarkeit von Positiva im weiteren Sinne zugänglich gemacht werden (Lutz, 2000). D er eu thyme Thera pieansatz wur de aus einem umschriebenen Therapieprogramm entwickelt, der Kleinen S chule de s Gen ießens, vorge stellt v on L utz und K oppenhöfer (1983). Dies er Ansatz b einhaltet ein r essourcenorientiertes H erangehen zur F örderung Seelischer Gesundheit und ist konzeptionell mit dem Salutogenesekonzept von Antonovsky verwandt. Beide Konzepte haben zwar unterschiedliche G rundlagen (M edizinsoziologie vs. K linische b zw. Allg emeine P sychologie) und Anwendungsbereiche ( Stressforschung v s. P sychotherapie), r ichten jedo ch g emeinsam den F okus – weg von der Pathologie – auf gesunde Anteile. Das Anliegen der v orliegenden Arbeit ist es, b eide Ansätze zu erläutern und von einander abzugrenzen. Der Pub likationsbeginn v on Arb eiten zum Themenfeld s eelische G esundheit bzw . Sa lutogenese liegt gut 30 bis 40 Jahre zurück (s. ⊡ Tab. 5.1). Die Psychologie der s eelischen G esundheit und Salutogenese ist ein ak tuelles Thema. N ovak
⊡ Tab. 5.1. Ansätze einer Psychologie der Seelischen Gesundheit Erikson (1968)
Urvertrauen
Menninger (1968)
Balance-Modell
Bandura (1977)
»self-efficacy«
Antonovsky (1979)
Salutogenese, Kohärenzgefühl
Kobasa (1979)
»hardiness«
Figge (1982)
verhaltenstherapeutische Dramatherapie
Niebel (1981)
asymptomatische Verhaltenstherapie
Becker (1982)
seelische Gesundheit als »trait und state«
Lutz (1983)
euthyme Therapie
(1998, S. 30) b ezeichnete sie als das »v on der Wissenschaft un beachtete W esen«. Gleic hwohl sind heu te z. B. un ter dem S tichwort Sal utogenese viele Pub likationen zu f inden; im V ergleich zu störungsspezifisch bzw. pathogen konzipierten Veröffentlichungen sind sie j edoch za hlenmäßig geringer. S o st ellte B raun (2002) f est, dass Sal utogenese und P rävention im G esundheitswesen ein Schattendasein führen. Dies ist angesichts der teilweise p rominenten Pub likationen und eno rmen p raktischen B edeutung im psy chosomatischen bzw . psy chotherapeutischen B ereich v erwunderlich. 5.2 G
esundheit und Krankheit
In allen Konzepten zur seelischen Gesundheit wird die Frage nach der B eziehung zwischen seelischer Gesundheit und s eelische K rankheit aufgeworfen: Ist Gesundheit das Gegenteil von Krankheit? Wird ein P atient nac h einer st örungsspezifischen B ehandlung automatisch auch gesund? Ist ein Patient nach einer g esundheitsfördernden I ntervention nicht mehr kra nk? Dies e F ragen st ellen sic h unabhängig davon, wie Gesundheit und Krankheit in den un terschiedlichen An sätzen j eweils o perationalisiert wurden. 5.2.1 Zwei Modelle zu Gesundheit
und Krankheit
Gesundheit und K rankheit w erden in gä ngigen Konzepten der K linischen P sychologie als G egensätze b egriffen und eina nder a uf einer Dimension g egenübergestellt (s. ⊡ Abb. 5.1). Dies e Sichtweise wir d a ls I nfektionsmodell b ezeichnet (Weiner, 1978), das nac h den En tdeckungen v on Pasteur (1822–1895) und K och (1834–1910) p opulär wurde: Ein pa thologischer Erreger führt bei einem g esunden M enschen zu einer Erkra nkung. Ein G egenmittel tö tet den Er reger a b, der P atient gesundet wieder. Dieser Aspekt des medizinischen Modells f indet sic h a uch in der P sychotherapie als gemeinsame Annahme un terschiedlich prominenter P sychotherapieansätze (H ambrecht, 1986). Durch psy chotherapeutische I ntervention wa n-
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5.2 · Gesundheit und K rankheit
(G) gesund
(K) krank
⊡ Abb. 5.1. Gesundheit und Krankheit
dert ein P atient a uf einem K ontinuum w eg v om Pol »krank« hin zum P ol »gesund«. Ein psy chisch kranker Mensch (K) wir d also zwangsläufig zu einem gesunden Menschen (G), wenn seine »Krankheit« entfernt wird. Dieses eindimensionale Modell entspricht unserem sub jektiven Erleb en. Wenn wir nac h un serem Befinden gefragt werden, geht es uns entweder gut oder schlecht, oder wir beschreiben eine Übergangsposition zwischen diesen Extremen. Das Al ternativmodell (s. ⊡ Abb. 5.2) ha t zw ei Dimensionen: G esundheit und K rankheit w erden als v oneinander una bhängige F aktoren k onzipiert. Nach diesem Modell verfügt jeder Mensch zugleich über gesundes und krankes Verhalten, welches unabhängig voneinander, z. B . in v erschiedenen Situationen, hervorgerufen werden kann (s. a. Costa & McCrae, 1980). Dies e b eiden V orstellungen sind überprüfbar und führen zur Frage, wie Indikatoren für G esundheit und K rankheit miteinander korrelieren. Die Antwort: Es liegen Studien vor, die substanzielle negative Zusammenhänge oder Nullkorrelationen dokumentieren. Diese Ergebnisse werden durch zw ei un terschiedliche I temformate (v erhaltens- vs. personzentriert) der jeweiligen Skalen verursacht (Lutz, 1991, 1998). B esteht ein F ragebogen aus p ersonzentrierten I tems (z. B. »I ch b in …), dann k orrelieren I ndikatoren f ür G esundheit und Krankheit subst antiell nega tiv mi teinander. Sind dagegen die I teminhalte als v erhaltensnahe I tems operationalisiert (»H aben S ie b ei sic h b eobachtet …«), werden Null-Korrelationen zwischen Indikatoren für Gesundheit und K rankheit berichtet. Mit den b eiden I temformaten w erden zwa r iden tische psychodiagnostische M erkmale er fasst (z. B. p ositives vs. nega tives B efinden), dies e erheb en a ber konkurrierende A spekte, nä mlich sub jektiv »ichnahe«, b ewertende vs. q uasi-objektive, v erhaltensund beobachtungsnahe Gesichtspunkte.
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Das U nabhängigkeitsmodell v on G esundheit und K rankheit ist s owohl f ür die k linische Theoriebildung als a uch f ür die P raxis w eiterführend. Es legt in sbesondere die Er wartung nahe , dass Patienten nicht nur kranke, sondern zugleich auch gesunde An teile ha ben. Dies er Sac hverhalt f ührt zu der F orderung, dass wir nac h dies en g esunden Anteilen suchen und sie therapeutisch fördern sollten (L utz & M ark, 1995). I n der Thera pieforschung wird u. a. die Ak tivierung von Ressourcen als w ichtiger W irkmechanismus her vorgehoben (z. B. G rawe, 1995). Dies r elativiert a ber a uch die Sichtweise, derzuf olge G esundheit das G egenteil von K rankheit s ei, b zw. dass G esundheit dad urch zu er reichen wä re, dass ma n K rankheit b eseitigt. Patienten sind zwa r nic ht mehr kra nk, a ber wie gesund sind sie? 5.2.2 Balanc e-Modell
HEDE Kontinuum und Widerstandsquellen Dem medizinischen Modell entspricht die ka tegoriale Eino rdnung v on G esundheit und K rankheit: »Gesundheit und Krankheit sind per definitionem Gegenbegriffe, die eina nder a usschließen und die sich zug leich g egenseitig b edingen; in sofern ha ndelt es sich um komplementäre Begriffe: Wer krank ist, ist eb en nicht gesund; wer gesund ist, ist nic ht krank« (v on Z erssen, Türck & H echt,1998, S. 42). Antonovsky wendet sich gegen e ine s olche Si chtweise: D er M ensch s ei nie a usschließlich g esund oder kra nk, s ondern immer mehr o der w eniger gesund oder krank. Er konzipierte das HEDE-Kontinuum. Dies er B egriff wur de a us den B egriffen »health-ease« vs. »dis-e ase« gebildet. »Völlige G esundheit und v öllige Krankheit sind die extr emen Ausprägungen, und niema nd b efindet sich jemals von seiner Geburt bis zu dem A ugenblick des Todes an einem dies er extremen Pole. Es g ibt Kräfte, die uns in die eine o der andere Richtung drängen, aber aus Sicht dieses Modells sind wir alle teilweise gesund, teilweise krank« (Antonovsky, 1993, S. 8). Da die je weiligen A spekte v on G esundheit und Krankheit eig enständige Dimen sionen a ufspannen, en tstehen mehr ere K ontinua, a uf denen ein einzelner M ensch p latziert wir d. Die im F olgenden dargestellten Aspekte entwickelte Antonovsky
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apitel 5 · Euthyme Therapie und Salutogenese
aus s einen Forschungsergebnissen, die spä ter teilweise b estätigt w erden k onnten (z. B. F ranke et al., 2001). Antonovsky (1979, S. 57 f.) benennt folgende Merkmale, die vorhersagen, welche Position ein Mensch auf dem HEDE-Kontinuum einnimmt, bzw. unter welchen Bedingungen es zu einem Z usammenbruch kommt:
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Pathogene Faktoren ▬ S chmerzen ▬ funktionelle Beeinträchtigungen, z. B. in den Möglichkeiten, wünschenswerte soziale Rollen zu übernehmen ▬ Prognose eines Gesundheitsexperten ▬ aktionale Implikationen, z. B. welche kurativen und präventiven Maßnahmen erachten Gesundheitsexperten für notwendig.
Diesen p athogenen F aktoren st ehen s alutogenetische g egenüber, die An tonovsky (1979, S. 102 ff) als generalisierte Widerstandsquellen benennt, um Stressoren zu v ermeiden, zu b ekämpfen und zu verhindern. Hierzu gehören: Generalisierte Widerstandsquellen ▬ mat erieller Wohlstand ▬ I ntelligenz ▬ W issen und Fertigkeiten ▬ Fähigkeit, rational vorzugehen ▬ F lexibilität ▬ W eitsicht ▬ Ich-Identität ▬ so ziale Unterstützungssysteme ▬ intakt e soziale Strukturen ▬ eine gut funktionierende Gesellschaft Nach An tonovsky (1979) en tsteht K ohärenzgefühl, w enn v orhandene W iderstandsressourcen des M enschen k onsistente Er fahrungen, K ontrolle sowie ein Gleich gewicht v on Üb er- und U nterforderung er möglichen. I m G egensatz dazu f ühren Erfahrungen, die d urch U nvorhersehbarkeit, U nkontrollierbarkeit und U nsicherheit g ekennzeichnet sind, zur Schwächung des Kohärenzgefühls. Das
beinhaltet jedo ch nicht, dass einem M enschen nie Unsicherheit und U nvorhergesehenes wider fahren darf. F ür die En twicklung eines s tarken K ohärenzgefühls ist vielmehr ein a usgewogenes Verhältnis von Konsistenz und Überraschung, von lohnenden und frustrierenden Ereignissen erforderlich, damit einerseits Widerstandsressourcen bewusst gemacht und a nderseits K ompetenzen zum U mgang mi t schwierigen Ereignissen erworben werden können.
Balance von Gesundheit und Krankheit im euthymen Konzept Das B alance-Modell im eu thymen K onzept k onzipiert die B eziehung von Gesundheit und K rankheit in einem orthogonalen Konzept (s. ⊡ Abb. 5.2). Durch die beiden Parameter, gesunderhaltende und krankmachende Faktoren, wird ein Quadra nt aufgespannt; die en tstandene Fläche kann durch eine Diagonale g eteilt w erden. D adurch wir d ein F eld für v erschiedene V arianten v on G esundheit und eines f ür K rankheit a bgesteckt. Ein I ndividuum wird durch zwei Vektoren (gesunderhaltende und krankmachende Einflussgrößen) definiert. Der Gesamtzustand eines Menschen wird demnach durch zwei P arameter b estimmt: g esunderhaltende und krankmachende B edingungen. I st der eine o der andere stärker ausgeprägt, wird subjektiv Gesundheit b zw. K rankheit em pfunden. S ubjektiv f ühlt man sich dementsprechend entweder gesund oder krank. Man ist subjektiv krank oder behandlungsbedürftig, w enn die B alance zwis chen g esunderhaltenden und kra nkmachenden B edingungen zu Ungunsten von Gesundheit verschoben ist. viele Gesundheit (G) gesunderhaltende Bedingungen Krankheit (K)
wenige wenige
viele krankmachende Bedingungen
⊡ Abb. 5.2. Gesundheit und Krankheit im Balance-Modell
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5.2 · Gesundheit und K rankheit
Das a bsolute M aß a n B elastungen und S ymptomen ist no ch k ein zwin gender H inweis a uf Krankheit im Sinne von Behandlungsbedürftigkeit. Entscheidend sind V erfügbarkeit und Ein satz von Ressourcen. Patienten müssen nicht notwendigerweise üb er mehr S ymptome zu k lagen ha ben, als dies auch »Gesunde« könnten, die B elastung kann identisch s ein. K rank k önnte ma n nac h dies em Konzept auch werden, wenn einer v ergleichsweise normalen Belastung keine ausreichende Entlastung (z. B. fehlende soziale Einbettung) gegenübersteht. So sind K ranke z. B. s chlechter s ozial ein gebettet oder verfügen über weniger Ressourcen. Das Unabhängigkeitsmodell verlangt also eine begriffliche Trennung von einzelnen g esunderhaltenden o der kra nkmachenden F aktoren und dem Gesamtzustand eines M enschen, der sic h, als Er gebnis des A bwägens dies er einzelnen F aktoren, gesund oder krank fühlt.
Salutogenese und Prävention Gesundheit zu f ördern heißt als o, ein G egengewicht zu K rankheit zu s chaffen. Der salutogenetische Ansatz wird daher mi t Prävention in Verbindung g ebracht (z. B. M argraf, S igrist & N eumer, 1998). Der Gedanke liegt erst einmal auf der Hand: Wenn ic h etwas f ür meine G esundheit t ue, da nn schütze ic h mic h v or K rankheiten. »I mplizit liegt der P räventionsforschung v or a llem do rt, w o sie den Risi kofaktorenmodellen v erpflichtet ist, die Annahme zugr unde, dass die K enntnis kra nkheitsverursachender Bedingungen dazu führt, dass diese eliminier t und mo difiziert w erden k önnen, und dass da raus G esundheit r esultiert.« (F ranke, 1994, S. 27 f). S o wir d z. B. d urch Z ahnputzprogramme K aries und d urch r egelmäßiges J oggen drohendem Herzinfarkt vorgebeugt. Dieser P räventionsgedanke en tspricht dem bipolaren G esundheits- und K rankheits-Modell: Durch g ezielte M aßnahmen s ollen K rankheiten verhindert werden. Aus dem orthogonalen Gesundheits- und K rankheits-Modell f olgt jedo ch, dass zwar Krankheit vermindert, aber keine Gesundheit gefördert wir d. Sal utogenetisches B estreben ist es dagegen, G esundheit im w eitesten S inne zu f ördern. Bei einem orthogonalen Verständnis von Gesundheit und K rankheit wür den deshalb zunäc hst
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⊡ Tab. 5.2. Beispiele für gesundheitsförderliche Verhaltensweisen sichere Bindung zu einer geliebten Person
Bowlby (1975; 1995)
gutes soziales Netz
Sommer & Fydrich (1989); Röhrle (1994)
generalisierte Widerstandsquellen
Antonovsky (1979; 1993)
positives Befinden
Bradburn (1969); Frank (2007)
Humor, Lachen
Bernhardt (1985); Dumbs (1999)
euthymes Erleben und Verhalten
Lutz (1983; 2000)
ausschließlich s olche V erhaltensweisen g efördert werden, die den Faktor Gesundheit stärken. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über gesundheitsförderliche Verhaltensweisen (⊡ Tab. 5.2). In das B alance-Modell sind s owohl präventive als a uch s alutogenetische B edingungen in tegriert. Fallen z . B. s alutogenetische B edingungen we g, wird die G esundheits-Krankheits-Balance zu U ngunsten von Gesundheit verschoben. Das Ressourcen-Verlust-Modell v on H obfoll (1988) und die dadurch angeregten Untersuchungen untermauern die B edeutung v on P ositiva: Verlust v on P ositiva bedeutet S tress. S olange e in M ensch üb er ge nügend Ress ourcen v erfügt, ist ein V erlust w eniger schmerzlich. B ei einem d ünnen Ress ourcen-Polster dagegen hat schon der Verlust weniger Positiva negative Effekte. Grundgedanke der P rävention ist es, pa thogenetische F aktoren a uszuschalten. I m L ife-EventConcept bedeuten alle Veränderungen ein gewisses Risiko. Das gilt sowohl für negative als auch für positive Ereignisse (eine Hochzeit z. B. ist ein erheblicher Stressor, vgl. Larsen, Diener & Emmons, 1986). Unter Präventionsgesichtspunkten müsste man ein möglichst er eignisloses L eben zu f ühren (s. T yp »sich durchschonen«, Lutz & Mark, 1995, S. 15). Im salutogenetischen De nkansatz h ingegen bed eutet ein Stressfaktor eine H erausforderung: Welche Fähigkeiten kann ein I ndividuum einsetzen, um eine Belastung zu üb erwinden? S tressoren sind nac h
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apitel 5 · Euthyme Therapie und Salutogenese
diesem Konzept ein probates Mittel, die Kompetenz eines Individuums zu erhö hen und s eine generalisierten Widerstandsquellen zu stärken. 5.3 S
alutogenesekonzept von Antonovsky
5.3.1 K ohärenzgefühl
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Antonovsky def iniert K ohärenzgefühl (»s ense o f coherence«) als »g lobale Or ientierung, die zum Ausdruck bringt, in w elchem Umfang ein Mensch ein g eneralisiertes, üb erdauerndes und d ynamisches Gefühl des Vertrauens besitzt, das die eigene
innere und ä ußere U mwelt v orhersagt, und dass mit gr oßer Wahrscheinlichkeit die Din ge sic h s o entwickeln werden, wie ma n es v ernünftigerweise erwarten kann.« (Antonovsky, 1979, S. 123). Der K ohärenzsinn wir d d urch dr ei in teragierende Aspekte definiert, die in ⊡ Tab. 5.3 vorgestellt werden. Der Kohärenzsinn wurde 1987 v on Antonovsky in der SO C-Skala operationalisiert, dem Fragebogen zu m K ohärenzgefühl (deu tsche F assungen: Noack, B achmann, Oli veri, K opp & U dris, 1991; Lutz, H erbst, I ffland & S chneider, 1998). M it der SOC-Skala wur de die s alutogenetisch-orientierte Forschung in vielen Ländern stimuliert. Dieses Instrument wurde wie kaum ein anderer Fragebogen
⊡ Tab. 5.3. Aspekte des Kohärenzsinns Komponenten des Kohärenzgefühls (Antonovsky, 1987, S. 16 f)
Vergleichbare Konstrukte anderer Autoren
Verstehbarkeit (»comprehensibility«): Eine Person ist in der Lage, die Realität angemessen zu beurteilen. Die Vorgänge der inneren und äußeren Umwelt sind kognitiv erfassbar, die Welt wird als geordnet und klar strukturiert wahrgenommen.
Neurosemodell von Dollard & Miller (1950): Die Fähigkeit, innere und äußere Prozesse intellektuell angemessen und sicher beurteilen zu können, ist ein wesentlicher Punkt einer Pathogenese. Stupidity, also Dummheit, kann Ursache für die Entstehung einer psychischen Störung sein. Können Vorgänge der sozialen und dinglichen Welt nicht angemessen erfasst werden, so kann das ängstlichen und neurotisieren. Für Bleuler (1916, S. 447) ist Intelligenz »Führerin durchs Leben«. Sie leitet – ein Bild Antonovskys aufgreifend – durch die Klippen im Fluss des Lebens, der stets bedrohend ist.
Beeinflussbarkeit (»manageability«): Eine Person verfügt über die Fertigkeiten, mit den vielfältigen Anforderungen des Lebens fertig zu werden. Sie kann entsprechende Ressourcen wahrnehmen und angemessen einsetzen.
Bandura (1977): Ein gesunder Mensch hat das subjektive Gefühl der Selbstwirksamkeit (»self-efficacy«). Er verfügt über erworbene Kompetenzen und Ressourcen (»learned resource fullness«, Rosenbaum, 1990); er hat den Eindruck, Kontrolle ausüben zu können (Schwarzer & Jerusalem, 1995). Das Konzept der erlernten Hilflosigkeit von Seligman (1979) fokussiert die negative Seite der »mangeability«: Menschen haben gelernt, dass sie keinen Einfluss auf innere und äußere Vorgänge nehmen können.
Sinnhaftigkeit (»meaningfulness«): Die Vorgänge der inneren und äußeren Welt werden als sinnhaft erfahren, nicht nur kognitiv, sondern auch emotional. Antonovsky betont wiederholt: Ein seelisch gesunder Mensch kann seinem Leben Sinn geben – unabhängig davon wie »wider-sinnig« ein aktuell durchlebter Zeitabschnitt sein mag. Antonovsky entwickelte sein Konzept nach der Exploration von Frauen, die dem Holocaust entkommen waren.
Daseinsanalyse, Logotherapie (Frankl, 1973): Menschen müssen ihrem Leben einen Sinn geben. Franke (1993): Bei suizidalen Menschen ist nicht irgendeine Krankheit wegzutherapieren. Alternativen und neue Verhaltensweisen sind aufzuzeigen und neue Möglichkeiten des Erlebens und damit des Lebens zu eröffnen. Franke entwickelte diesen Gedanken als ehemaliger Insasse eines Konzentrationslagers.
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5.4 · Erikson: Urvertrauen
hinterfragt (z. B. B ecker, 1998; M aercker, 1998). Kritisch wurde hervorgehoben, dass die drei Komponenten des Kohärenzgefühls nicht als Subskalen dargestellt we rden kon nten ( ⊡ Tab. 5.3), dass viele Items negativen Inhalts sind und ho he Korrelationen mit einer An gstskala (STAI-Trait, Spielberger, Gorsuch & Loshene, 1970) bestehen. 5.3.2 P essimismus im
Salutogenesekonzept
Das woh l prom inenteste G esundheitskonzept i st in mancherlei Hinsicht wenig an Positiva orientiert (s. o.). Antonovsky formuliert kein p ositives Konzept vo n G esundheit. Er s elbst b emerkt, d ass die Charakterisierung ho her G esundheit in nega tiven Begriffen formuliert sei (Antonovsky, 1979, S. 67). So würden pathogene Kriterien, wie z. B. Abwesenheit von S chmerz o der die Tatsache, unter keinen funktionellen B eeinträchtigungen zu leiden, G esundheit def inieren. B ecker (1998, S. 18) erk lärt: »… das liegt da ran, dass ihn nac h eigener Bekundung weniger das Phänomen hoher Gesundheit als vielmehr die Frage interessiert, wieso jemand nicht erkrankt«. Als Achillesferse seines Paradigmas bezeichnet An tonovsky (1993, S. 6) die Annahme einer Heterostase als Normalzustand: Ungleichgewicht der K räfte, Not und Tod kennzeichnen eine menschliche Existenz. Zur Verdeutlichung verwendet er wiederho lt das B ild eines b ewegten Flusses: »Männer und F rauen sind alle in v erschiedenen Flüssen, der en S trömungen und S trudel o der a ndere Gefahrenquellen variieren, aber niemand befindet sich jemals a m sicheren Ufer. Kein Fluss ist sehr friedlich.« Diese pe ssimistische S ichtweise t eilt A ntonovsky mit Freud (s. a. Ciompi, 1989): Ein Mensch kann sich dann froh und glücklich schätzen, wenn er einem Unglück entronnen ist und ein L eid vermeiden k onnte. Positive Emo tionen und G efühle entstehen dann, wenn Negativa im weitesten Sinne überwunden w erden. F reud wie An tonovsky s ehen M enschen st ets v erstrickt im A bwehrkampf gegen B edrohungen, f ür den sie viel Ener gie aufwenden müssen. Festzuhalten ist, dass F ragen des täglichen L ebens und nic ht Üb erlegungen zum Sterben angesprochen sind. Kann ein lebenslanger
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Kampf ein M otiv zum L eben s ein? W as mo tiviert Menschen, Negativa zu v ermeiden etc.? Ein Vertreter des H omöostase-Konzeptes (z. B. M enninger, 1968) wür de a rgumentieren, dass es das Streben nac h B alance, als o H omöostase is t (vg l. Berlyne, 1971). Im euthymen Konzept wird seelische Gesundheit u . a. d urch die F ähigkeit g ekennzeichnet, s owohl P ositiva wie a uch N egativa a nnehmen zu können, a lso die Z eit der H omöostase g enießen und die Belastungen in der Zeit der Heterostase als Herausforderung zu s ehen. In das B alance-Modell geht der Aspekt der Homöostase als Gleichgewicht von g esunderhaltenden und kra nkmachenden Faktoren ein. Entscheidend ist hierbei die Balance, nicht so sehr die Summe z. B. der belastenden Faktoren. Stehen diesen genügend ausgleichende Ressourcen gegenüber, so kann ein Mensch weiterhin gesund und glücklich sein. 5.4 Erikson:
Urvertrauen
5.4.1 Kohärenzgefühl und Urvertrauen
Eine thematische Ähnlichkeit des Kohärenzgefühls mit dem Konzept des Urvertrauens drängt sich auf: Erikson (1968, S. 241 ff) en twickelt s ein K onzept des U rvertrauens a us der una usgewogenen H omöostase des N eugeborenen (Er nährungsschwierigkeiten, S pannungszustände). Die M utter – s o Eriksons I deal – k ümmert sic h f ürsorglich und verlässlich um dies e Unlustzustände, wobei es w eniger a uf die Qua ntität als a uf die Quali tät der Mutter-Kind-Beziehung ankommt. B eim Säugling entsteht die G ewissheit, dass ihn die M utter dann versorgen wird, wenn er Unlustzustände anmeldet: Er kontrolliert also das f ürsorgliche Verhalten der Mutter, die da mit vorhersagbar wird, und er wirbt die G ewissheit, Einf luss nehmen zu k önnen. N eben dies en Z uwendungen er fährt das B aby er ste Versagungen und V erbote. Dies e Erziehungsmaßnahmen müssen Eltern so vermitteln, dass sie beim Kind eine tief e, fast k örperliche Überzeugung wecken, dass das, was sie t un, sinnvoll ist. Neben den drei Aspekten des Kohärenzgefühls von Antonovsky beschreibt Erikson die Entstehung des U rvertrauens, die En twicklung eines p ositiv
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apitel 5 · Euthyme Therapie und Salutogenese
ausgeprägten S elbstwertgefühls. Ein K ind er fährt nicht nur, dass es sic h auf die P flegeperson verlassen kann, ihm wird gleichzeitig ein st arkes Gefühl von eigener Zuverlässigkeit vermittelt. »Hier formt sich die Grundlage des Identitätsgefühls, das später zu dem komplexen Gefühl wird, dass man in Ordnung ist, dass man ein Selbst besitzt, und dass man das Vertrauen der Umwelt rechtfertigt, indem man so wird, wie sie es v on einem er wartet.« (Erikson, 1968, S. 243). 5.4.2 Erste Schritte zur seelischen
Gesundheit
Das Verhalten des N eugeborenen ist d urch la nge Schlaf- und k urze W achphasen g ekennzeichnet. Damit ist n ur ein s chmales Z eitfenster f ür eine potenzielle S timulierung v orgegeben, die nahezu ausschließlich a uf die I nteraktion zwis chen M utter/Vater und K ind b eschränkt ist. N eugeborene präferieren bereits Menschen der Präsentation von Objekten und suchen den K ontakt zu Mutter oder Vater. Dies e Z uwendung ist a ls Or ientierungsverhalten a uf einen ext ernen Reiz zu in terpretieren, der mi t A ufmerksamkeitslenkung v erbunden ist. Wie verhält sich ein B aby in einer p ositiven Interaktion? Es suc ht s chon mi t s echs W ochen mehr oder weniger zielgerichtet den Blickkontakt zu seiner B ezugsperson, a n die es p ositive Emo tionsreaktionen r ichtet (z. B. L ächeln, S trampeln, v okale Reaktionen und A ugenblinzeln). D as B aby a nimiert als o s eine P flegeperson. Wie v erhalten sic h typischerweise E ltern b ei einem gesunden B aby? Sie nutzen die kurze Wachphase, um Kontakt zum Kind a ufzunehmen, st ellen sic h a uf s eine Re aktionen ein und g estalten den U mgang mi teinander positiv (ein schmeichelnde L aute, S treicheln, K itzeln). D as Anima tionsverhalten des K indes wir d zwar aus Sicht der P flegeperson von ihr a usgelöst – ein B aby stimuliert aber auch seine Eltern. Eine wechselseitige K ontrolle zug ewandten V erhaltens entsteht: Of fensichtlich g ehört es zum a ngeborenen Verhaltensrepertoire eines Babys, Interesse für menschliche G esichter zu zeig en; umgekehrt wollen Eltern Kontakt zu ihrem Baby aufnehmen. Die Basis da für ist A ufmerksamkeit: Alle U nternehmungen der E ltern en tsprechen einem Aufmerk-
samkeitstraining. Sie f ixieren immer wieder die
Aufmerksamkeit des Kindes auf sich, verstärken es für Zuwendung, freuen sich über kleine Regungen und sind g lücklich, w enn ihnen ihr B aby all ihr e Bemühungen mit einem L ächeln dankt (s. O erter & Montada, 2002). Die Bedeutsamkeit der f rühen Kindheit wurde vielfach t hematisiert. Es er scheint in sgesamt eine plausible Annahme zu s ein, dass in den er sten Lebensmonaten und J ahren die G rundlage da für gelegt wir d, wie die s pätere S elbst- und W eltsicht qualitativ geprägt ist (z. B. Vertrauen vs. na rzisstische Störung). Frühe Erfahrungen sind f ür Individuen un terschiedlich und st abilisieren sic h d urch wiederholte und v ergleichbare Er fahrungen (z. B. Thomas & Chess, 1991; B owlby, 1975; Rela tivierung dieser Position durch das Konzept des lebenslangen L ernens, z. B. S chneewind, 1994). E ltern trainieren mi t f ürsorglichem P flegeverhalten die Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu fokussieren. Es wird später a usgeführt, d ass dies es V erhaltensmuster grundlegend für Seelische Gesundheit ist. In der Neurobiologie wird heute sehr anschaulich b eschrieben, dass das men schliche G ehirn dafür g eschaffen ist, Reg eln zu ler nen: S ich wiederholende V erhaltensweisen w erden a ls Reg eln gespeichert. D as B aby mach t wie derholt er folgreich die Erfahrung, dass sich seine Mutter als Repräsentantin der U mwelt um s eine B elange k ümmert. Es ler nt da mit die Reg el: »I ch ka nn etwas bewirken. I ch ka nn mic h a uf die M utter/Umwelt verlassen.« A ber a uch : »I ch ka nn mi t a uf mic h selbst v erlassen.« und »I ch b in in Or dnung.« I n diesem Stadium wird auch, wie ob en beschrieben, eine grundsätzliche Überzeugung als Regel gelernt, nämlich selber »in Ordnung zu sein«. 5.5
Merkmale der euthymen Therapie
5.5.1 P ositiva heilen
Eine landläufige Meinung – zumindest in der äl teren G eneration – ist, das s L ernen w ehtun m üsse. Industrienationen g ründen a uf einer a kzeptierten Norm, dass er st die Arb eit, da nn das V ergnügen komme (»o ra et la bora«). I n einer eher f reudlosen Thera pieideologie s chließen Thera peut und
5.5 · Merkmale der euthymen Therapie
Patient ein Arbeitsbündnis g egen ein S ymptom oder arbeiten ein Thema durch. Demzufolge wird Therapie als ein mehr o der weniger schmerzhafter und anstrengender Prozess begriffen. Die Tatsache, dass Therapie so sein kann, wird offensichtlich als Grundlage für eine Therapietheorie generalisiert. Vor dem H intergrund des B alance-Modells ist widerspruchsfrei da rstellbar, dass P ositiva hei len. Wie oben beschrieben, wird die Balance zugunsten von G esundheit verb essert, Kran kheitssymptome oder b elastende Er eignisse w erden w eniger g ewichtet und ein P atient sieht sich s elber als w eniger b ehandlungsbedürftig. En g mi t dem B alanceModell v erbunden ist die Üb erzeugung, das s ein Merkmal s eelischer G esundheit d as A kzeptieren sowohl von guten als a uch v on schlechten Ze iten ist . Die Vorstellung, s eelische G esundheit s ei gleichzusetzen mit positivem Befinden, wird damit zurückgewiesen. A uch die An sätze zum »t hink positive« werden zwangsläufig als unseriös identifiziert (s. Scheich, 1997). Eine g ewisse Rela tivierung er fährt dies er Grundsatz durch die empirisch gut gesicherte Tendenz zur p ositiven S elbstdarstellung. Of fensichtlich gibt es s o etwas wie einen g esunden Abwehrmechanismus: P ositive A spekte un serer s ozialen Umgebung u nd p ositive M erkmale d er e igenen Person werden akzentuiert positiv hervorgehoben. Gleichzeitig w erden N egativa im w eitesten Sinne tendenziell g eleugnet. D er U nterschied zwis chen einer no rmalen he donistischen T endenz und einem st eten »t hink p ositive« liegt in der B ereitschaft, sich Belastungen zu st ellen und Positiva zu genießen – statt sie zu konsumieren. 5.5.2 Akzeptieren von guten
und schlechten Zeiten
Aus der analogen Übertragung von rhythmischen Verlaufs- o der S chwingungsmodellen (S olomon & C orbit, 1974; B irbaumer & S chmidt, 1991) zur Bestimmung v on G esundheit und K rankheit ist zu er warten, dass den Z eiten des W ohlbefindens Zeiten nega tiver B efindlichkeit f olgen w erden. Dieser W echsel v on A uf und A b ist allg emein bekannt. Es s cheint leb enspraktisch sinn voll und theoretisch weiterführend zu sein, diesen Wechsel
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5
als gegeben anzunehmen und in ein K onzept der seelischen G esundheit zu in tegrieren: S eelische Gesundheit wür de b edeuten, dass ma n die Z eiten des W ohlbefindens a nnehmen und g enießen kann, g leichzeitig a ber a uch Phas en a kzeptiert (und nic ht leugnet), in denen P robleme größerer oder kleinerer Art vorherrschen, die überwiegend durch niedergedrückte Stimmung gekennzeichnet sind. Aller dings m üssen gu te und s chlechte Z eiten in einer dem I ndividuum v ertrauten B alance geordnet sein. Seelische G esundheit sp iegelt sich a lso nich t im kontinuierlichen Wohlbefinden wider, sondern in der Akzep tanz des W echsels v on gu ten und schlechten Zeiten. Mit der Akzeptanz der positiven Seiten wird Genussfähigkeit oder Freude am Leben zugänglich, während in den nega tiven Phasen Fähigkeiten wie S elbstbehauptung, B ewältigungsfähigkeit oder auch Beharrlichkeit und Op timismus gefordert sein können. Ernst (1995) b eschreibt die vielfältigen rhythmischen Prozesse im körperlichen und seelischen Erleben. Mit der Metapher von der Weisheit des K örpers f ordert Er nst, rh ythmische Prozesse zu beachten: Gegen den Körperrhythmus zu leben bedeutet eine zus ätzliche Belastung; Mitschwingen führt eher zum Wohlbefinden. 5.5.3 Hedonistische Nische
Eine hedonistische Nische ist ein Ort des euthymen Erlebens und V erhaltens. Dies er Or t ka nn rä umlich (z. B. das eigene Zimmer) oder geistig definiert sein. Eine geistige Nische wird durch eine bewusste konzentrative Anstrengung eröffnet (Versenken in eine T ätigkeit, z. B. L esen, Tagtraum, S elbstkommunikation). S ie en tsteht im W esentlichen d urch Aufmerksamkeitslenkung. R äumliche N ischen werden nac h den eig enen V orlieben a usgestaltet (vgl. M ehrabian, 1976; Csikaszen tmihalyi & Rochberg-Halton, 1989) und sind mi t Gegenständen positiver V alenz a usgestattet. Dies e p räsentieren entweder Vorlieben z. B. Farbe und G estaltung eines R aumes, H obbies (z. B. S taffelei zum M alen), positive Erinnerungen (z. B. Mitbringsel, Fotos aus dem Urlaub) etc. S olche Ausstattungsgegenstände können als diskr iminative Reize f ür p ositiv b esetzte Erinnerungen aufgefasst werden.
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apitel 5 · Euthyme Therapie und Salutogenese
Funktionen hedonistischer Nischen: ▬ Ort der Ruhe, Entspannung, des Rückzugs ▬ privat e Welt ▬ realisieren zentraler Lebenspläne und Werte ▬ autonome Bestimmung der Verhaltensabläufe ▬ L ebensentwürfe realisieren ▬ Ort der Phantasien und der Träume ▬ Ort für Feste, Begegnungen.
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Eine b esondere B edeutung erha lten b ei K indern jene Objekte, die entweder direkt als Schmusetücher bzw. K uscheltiere ein geschätzt w erden o der a ber deren f unktionale A bkömmlinge sind . I n einem Kinderkrankenhaus ist die Funktion dieser Schmusetücher besonders gut zu s ehen: Kinder staffieren ihren p ersönlichen R aum um das eig ene B ett mi t Objekten a us, die ihnen V ertrautheit, R uhe und Sicherheit etc. vermitteln. Diese Objekte sind a uch bei Erwachsenen, wenn auch z. T. in sehr versteckter Form, wiederzufinden (z. B. die alte Strickjacke, die nicht weggeworfen werden darf). Gesunde Personen verfügen über hedonistische Nischen, wobei ihnen b ewusst is t, dass W erte und N ormen ihr er Nische nic ht mi t denen des ö ffentlichen R aums übereinstimmen müssen. Viele Patienten verfügen über N ischen, ihnen ist z. T. ihr e F unktion a ber nicht bewusst bzw. sie k önnen diese Nischen nicht genießen. Ander e Patienten wie derum s chaffen es nicht, sich selber solche Räume des Wohlbefindens einzurichten. S ie trennen mitunter nic ht zwis chen einer p rivaten N ische und der ö ffentlichen W elt, und sie stellen Erwartungen an die öffentliche Welt, die in einer Nische entstanden sind. Diese oft unerfüllbare Erwartung muss schmerzlich scheitern.
will, dann muss ich mir hierfür Zeit nehmen. Diese Regeln sind als Anlei tungen zu v erstehen, die im Rahmen einer Thera pie immer wie der erlä utert werden. Sie geben Anlass, über Lebensregeln nachzudenken und Ob erpläne in F rage zu stel len: Darf sich ein P atient ein gu tes L eben erla uben? I n den folgenden fünf Sitzungen werden nacheinander für jeden der f ünf Sinne M aterialien da rgeboten. Die Patienten w erden g ebeten, die M aterialien zu er kunden, auszuprobieren und auf sich wirken zu lassen. Sie sollen das aussuchen, was ihnen in dies em Augenblick angenehm ist. Zwischen den Sitzungen sind die Patienten gehalten, ihre Umwelt zu erkunden und positive Sinnesanregungen zu entdecken. In der I nsel-Imagination (H och, L utz & N ifosi, 1999) nennen P atienten A ttribute, die sie in einer sp äteren I magination wie derfinden w ollen. So w erden z. B. ein w eicher Sa ndstrand o der ein klares W asser a ls A ttribute einer gemeins amen Entspannungssitzung g ewünscht. D er Thera peut leitet die I magination a n und f ührt die P atienten anschließend in einem B ild d urch die g enannten Orte (z. B. v om S trand, d urch eine W iese zu den Bergen, zur ück d urch ein W äldchen wieder zum Strand). Danach werden die P atienten gebeten, zu dem Pla tz zu g ehen, der ihnen a m b esten g efällt, dort mit allen Sinnen die Eindrücke aufzunehmen, die Ruhe zu g enießen etc. Dieses Vorgehen wurde für Schmerzpatienten entwickelt: Sie erleben in der Imagination, wie sie s chmerzfrei laufen und durch Entspannung etwas gegen Schmerzen tun können. Diese Übung ist zudem für alle Gruppen angezeigt, deren Kohäsion gestärkt werden soll. Darüber hinaus gibt es weitere Einzelverfahren: ▬ Tagesplanung, Pausen etc. ▬ Einrichten von hedonistischen Nischen ▬ V erstärkerbilanz kontrollieren ▬ in Imaginations- und Entspannungsverfahren
5.5.4 E uthyme Interventionen
Euthyme Thera pie gr ündet a uf der F örderung sinnlicher W ahrnehmung s owie a uf sp ezifischen kognitiven Interventionen. D as zentrale Verfahren der eu thymen Thera pie ist die Kleine S chule des Genießens1 (L utz & K oppenhöfer, 1983; vg l. a uch Kap. 11). Z u B eginn des P rogramms w erden zunächst s og. G enussregeln v orgestellt (z. B. G enuss braucht Z eit). Dies e sind k eine v orschreibenden, sondern Wenn-Dann-Regeln: Wenn ic h g enießen
auf Genuss hinweisen
▬ soziale Kontakte aufbauen und pflegen ▬ Geschichten erzählen, singen (insbesondere bei älteren Patienten)
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Ein Manual kann beim Autor angefordert werden.
5.6 · Empirische Befunde zur Wirkung euthymer Strategien
5.5.5 Metaziel: Selbstfürsorge
Unter k ognitiven G esichtspunkten ist S elbstfürsorglichkeit a ls Ob erplan a ufzufassen: Die b eiden für das eu thyme K onzept wic htigen a ntagonistischen Verhaltensweisen – g enießen und ask etisch sein – w erden d urch das üb ergeordnete Regulationsprinzip der S elbstfürsorglichkeit a ufeinander b ezogen. Dur ch S elbstfürsorge als erler nte Steuerungskompetenz sensu Kanfer (1975, Kanfer, Reinecker & S chmelzer, 1996) wir d u . a. g eregelt, wann, wie und was g enossen wird, wann es g enug ist und wann bzw. wie lange Enthaltsamkeit, Belastung b zw. An strengung sinn voll und gu t f ür den Einzelnen ist. Die Erlaubnis zur Arbeit liegt bei den meisten M enschen v or, nic ht a ber die Erla ubnis zum guten Leben. Dies zu v ermitteln, ist ein üb ergeordnetes Ziel der euthymen Therapie. Eine B esserung a uf der S ymptomebene (z. B. Angstreduktion) ist mi t störungsspezifischen Verfahren sicher und mi t subst anziellem Ef fekt er reichbar (z. B. G rawe, D onati & B ernauer, 1994). Werden in E valuationsstudien S kalen zur S elbstfürsorge aufgenommen, dann verändern sich diese nur ma rginal, die Ef fekte st örungsspezifischer Skalen dag egen sind ho ch (z. B. B ernhard, Kupka & L utz, 2000; 2001). S olche B efunde leg en den Schluss nahe, dass Patienten ihre Symptome relativ unproblematisch üb erwinden k önnen. U ngleich schwieriger dagegen ist die Änder ung der Ein stellung des P atienten hin zu p ositiven Ob erplänen zu erlangen. (Ich bin es wert, dass es mir gu t geht. Mir steht ein gutes Leben zu.) Viele Patienten sind überrascht, w enn mi t ihnen das Z iel Fürsorglichkeit thematisiert wird: Sie sollen lernen und erfahren, was ihnen gu t tut, sich Mut machen und sic h auch f ür k leine Er folge zu b elohnen. S olche Z iele sind zwar naheliegend und ein sichtig. Sie können aber Ambivalenz auslösen und im Widerspruch zu Verbotsregeln st ehen und k önnen v on P atienten mitunter nur schwierig umgesetzt werden. 5.6
Empirische Befunde zur Wirkung euthymer Strategien
Es liegen bereits aus den 80-er Jahren Befunde vor, die den t herapeutischen N utzen eu thymer S tra-
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tegien un terstreichen. N iebel (1981) v erglich in einer gut kontrollierten Studie die A uswirkungen eines k onfrontativen An satzes und eines W ohlfühlprogramms a uf ä ngstliche P atienten. B eide Therapiestrategien wa ren im V ergleich zu zw ei Kontrollgruppen in ihr er t herapeutischen Ef fektivität üb erlegen; b eide B ehandlungsprogramme unterschieden sich a ber ka um hin sichtlich i hrer Effektivität. W enn sie sic h un terschieden, da nn zugunsten der Wohlfühlgruppe. Figge (1982) untersuchte den Ef fekt einer v erhaltenstherapeutischen Dra matherapie a uf S ozialphobiker. A uch hier k onnte er einen ho hen sig nifikanten Therapieeffekt beobachten, ohne jemals eine Konfrontation im engeren Sinne durchgeführt zu haben (zur Bedeutung dra matherapeutischer An sätze siehe auch Bielanska, Cechnicki & Stark, 1999). Grundsätzlich wur de die E valuation der Kleinen S chule de s G enießens durch das F ehlen g eeigneter E valuationsinstrumente zur A bbildung spezifischer p ositiver Ef fekte ers chwert. M it dem Konzept der konkurrierenden Itemformate wurden diese P robleme a ber s chließlich b ehoben (L utz, 1991; 1998). Ein Üb erblick über die b isher vorliegenden Studien (Lutz & Struve, 2003, Lutz & Wolf, 2007) zeigt, dass die Kleine S chule des G enießens insbesondere folgende Effekte bewirkte: Effekte der Kleinen Schule des Genießens: ▬ Anstieg der Skalenwerte von Indikatoren bezüglich Gesundheit: – positiv e Stimmung – positiv e Selbstbeschreibung – seelische Gesundheit ▬ Abnahme der Skalenwerte von Indikatoren bezüglich Krankheit: – Depr ession – Angst – Neur otizismus
Keine V eränderung wur de im eu thymen V erhalten bei stationär behandelten Alkoholpatienten im Vergleich zu den Patienten des Routineprogramms beobachtet. Dieses Ergebnis war zwar nicht erwartet, ist im Nachhinein aber gut erklärbar: Euthymes
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apitel 5 · Euthyme Therapie und Salutogenese
Verhalten steigt bei allen P atienten in einem st ationären Setting an, auch wenn keine Genussgruppe angeboten wird (Bernhard, Kupka & Lutz, 2000) Neben q uantitativen U ntersuchungsdaten lieg en Schilderungen der Ef fekte der Kleinen S chule des Genießens aus den u nterschiedlichsten V erwendungszusammenhängen vor.
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Effekte der Kleinen Schule des Genießens: ▬ In den Genussgruppen stellen sich psychiatrische Patienten z. T. völlig anders dar als in störungsspezifischen Gruppen. In den Gesamtkonferenzen ergibt sich damit z. T. ein sehr viel positiveres Bild (Unrein, 2006). ▬ Gerade in psychiatrischen Einrichtungen weckt die Kleinen Schule des Genießens Motivationen zur Therapie (Haupt, Lutz, Lebershausen & Czegalla, 1991; Stör, Kunze, Bechstaett & Toepfel-Reinhard, 1999). ▬ Die Stationskultur ändert sich nachhaltig: Nicht nur der Pflegedienst legt größeres Gewicht auf Ausstattung der Gemeinschaftsräume und der Zimmer, auch die Patienten selber gehen sorgfältiger mit dem Mobiliar um, beginnen zu dekorieren, fügen jahreszeitlichen Schmuck ein etc. ▬ Dem Pflegedienst fällt auf, dass psychiatrische Patienten mehr auf sich achten, sich z. B. besser anziehen, oder dass sich w eibliche Patienten schminken (Unrein, 2006). ▬ Von allen Anwendern wird berichtet, dass die Teilnahme sehr regelmäßig ist, Fehlzeiten vergleichsweise gering sind und die Teilnehmer interessiert und aktiv mitarbeiten.
Abschließend soll auf eine Besonderheit aus therapeutischer S icht hin gewiesen w erden. Wahle und Bischoff (1999, S. 113) b erichten üb er die Dur chführung v on G enussgruppen: »… dass wir s elbst unser L eben deu tlich g enussvoller g estalten. W ir sind immer wieder über die Vielfalt der Sinneseindrücke der P atienten üb errascht. J ede D urchführung einer G enussgruppe s tellt a uch f ür un s eine Bereicherung dar.«
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apitel 5 · Euthyme Therapie und Salutogenese
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6
M
indfulness-based therapy: Achtsamkeit vermitteln Thomas Heidenreich, Katrin Junghanns-Royack u. Johannes Michalak 6.1 A
chtsamkeit
6.2 A
chtsamkeit und Wohlbefinden
6.3
– 70 – 71
Therapeutische Ansätze zur Vermittlung von Achtsamkeit
– 72 – 73
6.3.1 Mindfulness-based stress reduction (MBSR) von Kabat-Zinn (1990) 6.3.2 Mindfulness-based cognitive therapy for depression (MBCT) von Segal, Williams & Teasdale (2002) – 76
6.4 K
onkrete Vermittlung von Achtsamkeit
6.4.1 T herapeutische Haltung – 78 6.4.2 F ormelle Achtsamkeitsübungen – 79 6.4.3 I nformelle Achtsamkeitsübungen – 79
6.5 F
azit
– 79
Literatur –
80
– 78
6
70 K
apitel 6 · Mindfulness-based therapy: Achtsamkeit vermitteln
6.1 A
chtsamkeit
Verfahren zur V ermittlung v on A chtsamkeit en tstammen öst lichen medi tativen T raditionen, die über sehr lange Zeiträume verschiedene Methoden zur Förderung von Achtsamkeit entwickelt haben. Meditation allg emein wur de in un terschiedlichen Kontexten und von unterschiedlichen Autoren definiert. Als ein B espiel mag die D efinition v on Walsh und S hapiro (2006) dienen, in der b ereits das in dies em B uch zen trale Thema »W ohlbefinden« als ein w esentliches Z iel achtsamkeitsbasierter Verfahren angesprochen wird: Definition Der Begriff Meditation bezieht sich auf eine Familie selbstregulatorischer Praktiken, die Aufmerksamkeit und Bewusstheit trainieren, um mentale Prozesse unter stärkere freiwillige Kontrolle zu bekommen und damit allgemeines Wohlbefinden und Entwicklung und/oder spezifische Fertigkeiten wie Ruhe, Klarheit und Konzentration zu fördern (Walsh & Shapiro, 2006, S. 228 f; Übers. und Hervorhebung: T.H.).
Obwohl dies e D efinition das f ür viele medi tative Verfahren zen trale P aradox des »G ewinnens v on Kontrolle durch das Loslassen von Kontrolle« nicht aufgreift, haben wir sie als Einstieg gewählt, weil sie auf der einen Seite die für Meditation wesentlichen Übungen kurz charakterisiert und auf der anderen Seite das f ür dies es B uch zen trale Wohlbefinden als er wünschte Konsequenz b eschreibt. Gleichzeitig klingt an, dass dieses allgemeine Wohlbefinden durch Haltungen wie R uhe, Klarheit und Konzentration g efördert wir d. I m Weiteren mö chten wir zunächst einen Üb erblick g eben, was un ter dem Prinzip »Achtsamkeit« zu verstehen ist und welche psychotherapeutischen Verfahren sinnvoll sind, um Achtsamkeit zu fördern. In einem weiteren Schritt wird da rauf ein gegangen, in wiefern A chtsamkeit dazu b eitragen ka nn, sic h dem Thera pieziel (und Lebensziel) Wohlbefinden anzunähern. Achtsamkeit bezeichnet ein tradi tionell b uddhistisches Meditationsprinzip. D ementsprechend finden sich s ämtliche E lemente der o . g. D efinition von Meditation auch für Achtsamkeit – dies e lässt sic h jedo ch no ch sp ezifischer fass en: K abat-
Zinn (1990) def inierte A chtsamkeit als L enkung der A ufmerksamkeit a uf den a ugenblicklichen Moment (»p resent mo ment«), die d urch A bsicht gekennzeichnet (»on purpose«) und nicht-wertend (»non-judgemental«) ist. Die H ier-und-Jetzt-Erfahrung b estimmt demnac h die A ufmerksamkeit, d.h. man ist im »K ontakt« mit dem gegenwärtigen Augenblick (»wenn ich esse, dann esse ich«) – Körper und Geist sollen in Übereinstimmung gebracht werden, d.h. der Geist eilt dem Körper nicht voraus oder hinkt ihm nach (z. B. ohne Bewusstheit dafür beim Essen an die Sitzung von morgen denken). Definition Achtsamkeit bedeutet, die eigene Aufmerksamkeit absichtsvoll und nicht-wertend auf das bewusste Erleben des augenblicklichen Moments zu richten.
Das ac htsame Erleb en einer S ituation un terscheidet sich demnach deu tlich v on der »a lltäglichen« Verfassung un serer A ufmerksamkeit, die nac h Kabat-Zinn (1990) hä ufig d urch den s og. »A utopilotenmodus« cha rakterisiert ist. Dies er M odus ist dad urch g ekennzeichnet, dass die U mgebung und die ak tuellen Em pfindungen zugun sten v on Gedanken, Phantasien und Abschweifungen so gut wie ga r nic ht zur K enntnis g enommen w erden und das H andeln halbb ewusst und a utomatisiert abläuft. Plastisch stellt es Thich Nhat Hanh (2002) folgendermaßen dar: Sei immer achtsam, w enn Du einatmest, und achtsam, w enn Du ausatmest. Wenn Du tief einatmest, dann wisse ‚ich atme tief ein‘ , und wenn Du tief ausatmest, dann wisse ‚‚ich atme tief aus‘ Wenn Du kur z einatmest, dann wisse ‚ich atme kur z ein‘, und w enn Du kur z ausatmest, dann wisse ‚ich atme kurz aus‘. (Sutra des bewussten Atmens).
Durch eine absichtsvolle Aufmerksamkeitslenkung »besinnt« man sich immer wieder da rauf, in allen Lebenslagen eine ac htsame Haltung einzunehmen und den g egenwärtigen A ugenblick zu erleb en – auch wenn sich das auf dem Hintergrund des »Autopiloten« oftmals nicht ohne Hindernisse gestaltet. Indem E reignisse, s o gut es geht, ni cht vorschnell in K ategorien wie er wünscht/unerwünscht o der
6.2 · Achtsamkeit und Wohlbefinden
angenehm/unangenehm et c. ein geordnet w erden, soll außerdem eine nicht-wertende Haltung eingenommen werden. Wichtig dabei ist, dass Achtsamkeit keine Fertigkeit ist, die n ur Menschen mit einem buddhistischen oder spirituellen Hintergrund offen steht. Sie ist eine F ertigkeit, die letzt lich von allen Menschen praktiziert werden kann (unabhängig v on der en r eligiösen o der w eltanschaulichen Haltung), s olange sie sic h da rauf einlass en und sie in das eig ene L eben zu in tegrieren v ersuchen. Eine rein g edankliche und dist anziert-beachtende Herangehensweise und da mit intellektuelle Annäherung ist da bei nicht ausreichend, auch wenn sie natürlich im R ahmen der f olgenden A bhandlungen dominieren wird. Eine der hä ufig beschriebenen Konsequenzen einer ac htsamen Haltung liegt in einer stärkeren »Gelassenheit« (vgl. unten). ! Achtsamkeit ist eine Fertigkeit, die allen Menschen offen steht und die von jedermann praktiziert werden kann – unabhängig vom religiösen oder spirituellen Hintergrund. Mit Hilfe dieses Prinzips sollen Körper und Geist in Über einstimmung gebracht werden, d. h. Körper und Geist eilen einander nicht voraus und hinken einander auch nicht nach.
6.2 A
chtsamkeit und Wohlbefinden
Die für dieses Kapitel zentrale Frage lautet, inwiefern die Vermittlung von Achtsamkeit das Wohlbefinden fördern kann. Wir wollen uns dieser Frage zunächst auf theoretischer Ebene annähern und im Anschluss daran einige Studien vorstellen, die sich dieser Frage empirisch angenommen haben. Betrachtet ma n die ob en da rgestellte D efinition von Achtsamkeit von Kabat-Zinn, dann wird deutlich, dass die Annahme , dass Achtsamkeit das Wohlbefinden f ördern s olle, s ehr st ark v on der gewählten Definition des Begriffs »Wohlbefinden« (vgl. die w eiteren K apitel dies es B uches) a bhängt: Da Achtsamkeit häufig dazu f ührt, dass a uch unangenehme Empfindungen intensiv erlebt werden, ist diese Annahme a uf dem H intergrund komplexer M odelle des W ohlbefindens (z. B. R yff, 1989) gut begründbar. Mit anderen Worten: Unter einer Achtsamkeitsperspektive erha lten a uch Z ustände
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von L eid ihr e W ürde und w erden als p rinzipiell kompatibel mi t einer t ieferen F orm v on Wohlbefinden betrachtet. Wie aber lässt sich eine solch tiefere Form von Wohlbefinden näher beschreiben? Ekman, Davidson, Ricard und Wallace (2005) beschäftigen sic h in einem neuer en Ar tikel mi t Unterschieden zwischen buddhistischen und psychologischen P erspektiven des W ohlbefindens. Diese B etrachtungen sind hier v on b esonderer Relevanz, da der sys tematischen Entwicklung von Achtsamkeit aus buddhistischer Sicht eine wesentliche Rolle für die Entwicklung von Wohlbefinden zukommt (Dalai Lama & Cutler, 1998). D en Kern buddhistischer A uffassungen zum W ohlbefinden bildet eine s ehr zen trale U nterscheidung zw eier unterschiedlicher Q uellen v on W ohlbefinden: Zum einen ist mit diesem Begriff ein affektiver Zustand gemeint, der d urch angenehme sensorische, ästhetische und intellektuelle Stimulation entsteht; zum anderen wird mit diesem Begriff ein Zustand beschrieben, der d urch psy chische B alance und Einsicht in die N atur der Re alität gekennzeichnet ist (»Sukha«). Ziel ist es dabei nicht, die erste Form des Wohlbefindens zu erla ngen, die v on ä ußeren Umständen abhängig ist, sondern Sukha als tiefere Form des Wohlbefindens zu kultivieren. Sukha zu erreichen, gilt im Allgemeinen als schwierig, da es ein dauerhaftes und in tensives Training der A chtsamkeit v oraussetzt. I n dies em Z usammenhang weisen E kman et al . (2005) da rauf hin, dass mi t Ausnahme der Arb eit v on S eligman (2002) die westlich ge prägte P sychologie k aum A nstrengungen unternommen hat, positive Aspekte des G eistes una bhängig v om A uftreten psy chopathologischer Symptome zu v erstehen bzw. zu k ultivieren (vgl. a. Styron, 2005). ! Zentrales Element buddhistischer Auffassungen ist Sukha, eine tiefere Form des Wohlbefindens, dessen Erreichung dauerhaftes und intensives Training der Achtsamkeit verlangt und die durch eine psychische Balance und Einsicht in die Natur der Realität charakterisiert ist. Damit erhalten auch unangenehme Zustände von Leid ihre Würde und werden als prinzipiell kompatibel mit dieser tief eren Form von Wohlbefinden betrachtet.
Wie kann nun die Entwicklung dieser tieferen Form von W ohlbefinden a ussehen, und w elche Ro lle
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apitel 6 · Mindfulness-based therapy: Achtsamkeit vermitteln
kann Achtsamkeit dabei spielen? Unterschiedliche Aspekte dürften hier v on Bedeutung sein: Grundlegend ist, dass der achtsame Umgang mit dem Gegenwärtigen uns ermöglichen kann, mit der »wunderbaren« Qualität des gegenwärtigen Augenblicks in K ontakt zu k ommen. D abei m uss wunderba r nicht leidfrei bedeuten, sondern meint eine direkte erfahrungsmäßige Erk enntnis des Einziga rtigen und U nwiederbringlichen j eden A ugenblicks. I n der k linischen L iteratur üb er A chtsamkeit wir d auch immer wie der ein w eiterer A spekt g enannt, der eng mit Wohlbefinden verbunden sein dürfte: Achtsamkeit ka nn un s er möglichen, un sere a utomatisierten Denk- und Verhaltensschemata in den Fokus unseres Bewusstseins zu bringen und damit – S tück f ür S tück – ihr e ha ndlungsbestimmende Funktion a bzuschwächen. A chtsamkeit ka nn als o dabei helf en, un günstige G eisteszustände f rühzeitig zu erk ennen und a us ihnen »a uszusteigen«. Dies d ürfte einen »w eiseren« U mgang mi t mir (meinen Gedanken, Gefühlen und H andlungstendenzen), mi t meiner s ozialen U mwelt (mi t ihr en Gedanken, G efühlen und H andlungstendenzen), aber a uch mi t der »nic ht s ozialen« U mwelt (z. B. mit ihren natürlichen und materiellen Ressourcen) ermöglichen. Welche E videnzen lieg en derzei t v or, dass das Training von Achtsamkeit mit einer Erhöhung von Wohlbefinden v erbunden ist? D a k eine un s b ekannte S tudie ein exp lizites M aß f ür Wohlbefinden einsetzte, werden wir uns darauf beschränken, Effekte von Achtsamkeitstrainings auf Aspekte zu berichten, die in der Regel mit Wohlbefinden (bzw. Abwesenheit v on W ohlbefinden) in Z usammenhang gebracht werden: ▬ Andresen (2000) berichtete diesbezüglich, dass Meditation zu einer Red uktion der T raitangst führte; ▬ Travis, Arenander und DuBois (2004) konnten zeigen, dass sic h d urch A chtsamkeitsübungen eine erhö hte emo tionale S tabilität er gab (g emessen mi t S tandard-Persönlichkeitsfragebögen); ▬ Williams, K olar, Reg er und P earson (2001) konnten in einer kontrollierten Studie an 59 gesunden Probanden zeigen, dass die T eilnahme an einem MBS R-Programm (vg l. un ten) zu einer Reduktion des alltäglichen Stresserlebens
und zu einem A bsinken psychischer und k örperlicher Symptombelastung führte. Auch wenn s ämtliche hier b erichteten V ariablen nur ein geschränkt mi t W ohlbefinden in V erbindung gebracht werden (und da mit auch die A chtsamkeitsforschung den v on E kman et al . (2005) angemahnten P aradigmenwechsel in Ric htung Erfassung von p ositiven G eisteszuständen no ch nicht v ollzogen ha t), s cheint un s die v orläufige Schlussfolgerung ge rechtfertigt, d ass d as E inüben von Achtsamkeit zu einer Erhö hung des W ohlbefindens führt. 6.3
Therapeutische Ansätze zur Vermittlung von Achtsamkeit
In diesem Abschnitt wollen wir Ansätze vorstellen, die sic h das Z iel g esetzt ha ben, A chtsamkeit im therapeutischen K ontext zu f ördern. Es ist e vident, dass sic h nic ht alle A spekte v on A chtsamkeit »b ruchlos« mi t s ämtlichen t herapeutischen Auffassungen ve rbinden l assen. D ennoch s ind wir der M einung, dass A chtsamkeit eine wic htige Bereicherung d er t herapeutischen V orgehensweisen da rstellen ka nn. Einzelne t herapeutische Ansatzpunkte un terscheiden sich erheb lich in dem Ausmaß, mi t dem A chtsamkeitsprinzipien in die Behandlung in tegriert w erden. Dies e lass en sic h in Anlehn ung a n die Üb erlegungen v on G ermer (2005) grob folgendermaßen einordnen: a) Klassische psy chotherapeutische An sätze und Behandlungsweisen k önnen P rinzipen en thalten, die dem A chtsamkeitsprinzip mehr o der weniger s tark ähneln, o hne mi t ihm jedo ch denkungsgleich zu sein (sog. achtsamkeitsanaloge Prinzipien). Beispielhaft seien hier Freuds »gleichschwebende A ufmerksamkeit« (vg l. Michal, 2004) und die »Präsenz« der modernen Gesprächspsychotherapie (B undschuh-Müller, 2004) g enannt. A uch in der v erhaltenstherapeutischen Arbeit finden sich a n vielen Stellen Analogien zum A chtsamkeitsprinzip (s. H eidenreich & M ichalak, 2003): B eispielsweise sei hier die I nstruktion g enannt, währ end einer Exposition »alle Erleb nisse ohne Vermeidung« zu erfahren, also nicht kognitiv zu vermeiden.
6.3 · Therapeutische Ansätze zur Vermittlung von Achtsamkeit
b) A chtsamkeits- bzw. akzeptanzinformierte Ansätze sind im Gegensatz dazu Ansätze, in denen Prinzipien der Achtsamkeit bzw. Akzeptanz gezielt vermittelt werden. Der Aufbau von Achtsamkeit ist aber nicht das Hauptziel dieser Verfahren, sondern Achtsamkeitselemente werden im Rahmen eines multimodalen Behandlungssettings auch mit anderen Behandlungselementen integriert. Ausgedehntere Meditationsübungen werden hier in der Regel nicht durchgeführt. So wird im Rahmen eines Fertigkeitentrainings als w esentliches E lement in der »Dialek tischbehavioralen Thera pie« v on L inehan (D BT, 1993a, b) a uch Achtsamkeit g efördert, a ber es werden k eine a usgedehnteren f ormellen M editationsübungen ein gesetzt. I m R ahmen der »Acceptance a nd C ommitment Thera py« v on Hayes, S trosahl und W ilson (A CT, 1999) st ehen vor allem A spekte der Akzep tanz und des Commitment (en gagiertes H andeln hin sichtlich der V erwirklichung p ersönlicher W erte) im B ehandlungsfokus. Achtsamkeit ist hier eines unter mehreren Behandlungsprinzipien. c) Achtsamkeits- bzw. akzeptanzbasierte Ansätze zeigen den deutlichsten Bezug zur historischen Achtsamkeitstradition. S ie sind dad urch c harakterisiert, dass A chtsamkeit b zw. Akzeptanz die gr undlegenden Thera pieprinzipien in der B ehandlung da rstellen und r egelmäßig intensive M editationsübungen d urchgeführt werden. Gleichzeitig werden aber auch ergänzend a ndere I nhalte v ermittelt (z. B. P sychoedukation üb er D epression). H ierzu zählen als wesentliche An sätze die A chtsamkeitsbasierte Stressreduktion (»mindfulness-based stress reduction«, MBS R; K abat-Zinn, 1990) und die Achtsamkeitsbasierte k ognitive Thera pie zur Rückfallprophylaxe b ei D epressionen (»mindfulness-based cogni tive t herapy«, MB CT; S egal, Williams & Teasdale, 2002). Da eine dif ferenzierte B etrachtung ac htsamkeitsanaloger s owie ac htsamkeitsinformierter An sätze den R ahmen des v orliegenden B eitrags deu tlich sprengen würde (für eine Übersicht s. Heidenreich & Michalak, 2004), sollen an dieser Stelle lediglich die beiden oben bereits genannten achtsamkeitsbasierten Ansätze kurz dargestellt werden.
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6.3.1 Mindfulness-based stress reduction
(MBSR) von Kabat-Zinn (1990)
Die MBS R v on K abat-Zinn (1990) lässt sic h als »klassischer« ac htsamkeitsbasierter, v erhaltensmedizinisch fundierter Ansatz charakterisieren, in welchem fast a usschließlich ac htsamkeitsbasierte Elemente zum Ein satz k ommen. K abat-Zinn en twickelte das P rogramm st örungsübergreifend f ür Patienten mi t u nterschiedlichen psychis chen u nd körperlichen Störungen. Bei der MBSR handelt es sich um ein Programm, das in G ruppen v on b is zu 30 P atienten d urchgeführt wird. In 8 w öchentlichen Sitzungen von ca. 2 Stunden Dauer sowie einem »Tag der Achtsamkeit« werden g rundlegende P rinzipien der A chtsamkeit vorgestellt und ein geübt. Von b esonderer Rele vanz während der MBSR ist die Durchführung von Hausaufgaben: Von den Teilnehmern wird erwartet, an 6 Tagen pro Woche mindestens 45 Minuten selbstständig Übungen durchzuführen. Grundsätzlich werden während des P rogramms s og. »f ormelle« und »informelle« M editationsübungen v orgestellt: Er stere bezeichnen Übungen, bei denen sich gezielt für das Üben v on A chtsamkeit Z eit g enommen wir d und in gewissem Sinne ein Heraustreten aus dem Alltag stattfindet (B ody-Scan, S itz- und A temmeditation, achtsame Yoga-Übungen); letztere beinhalten alltägliche Tätigkeiten, die achtsam durchgeführt werden sollen (z. B. achtsames Einnehmen v on Mahlzeiten, ohne g edanklich a bzuschweifen und die N ahrung automatisiert zu verschlingen). Als Einstieg in das Programm (vgl. Übersicht) wird in der er sten G ruppensitzung zunäc hst der Body-Scan ein geübt, der die G rundlage f ür alle weiteren M editationstechniken b ildet: Es ha ndelt sich da bei um eine Üb ung, b ei der die einzelnen Körperteile a ufmerksam nacheina nder wa hrgenommen werden s ollen. D abei werden die Üb enden dazu angehalten, auf alle Empfindungen in den entsprechenden Körperteilen zu achten. Verspüren sie keine Empfindung in einem der Körperteile, so soll dies e Tatsache a uch wahr genommen w erden, ohne dies negativ zu bewerten. Gleichzeitig werden in der er sten S itzung inf ormelle Üb ungen v orgestellt, d. h. die Üb enden sollen zunächst eine Routineaktivität des T ages (z. B. Ess en, Z ähneputzen, Duschen) mit voller Achtsamkeit ausführen.
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apitel 6 · Mindfulness-based therapy: Achtsamkeit vermitteln
Beispiel
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II
Die 43-jährige Ärztin und Mutter zweier Söhne im Alter von 5 und 7 Jahren stellt sich auf Empfehlung ihres Orthopäden zur Behandlung vor. Im Vorgespräch berichtet sie, sich im Laufe der letzten Jahre zunehmend belasteter zu fühlen. Als Symptome nennt die Patientin u. a. massive Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule, Schlafstörungen und eine Exacerbation der seit der Kindheit bestehenden Neurodermitis. Begonnen hätten die Probleme, als sie nach der Gebur t ihres zweiten Sohnes wieder in ihre Praxis als Allgemeinärztin eingestiegen sei. Sie habe seitdem das Gefühl, dass ihr »alles über den Kopf wachse« und sie »niemandem mehr gerecht« würde, sie mache sich Sorgen, dass sie ihre Kinder, aber auch ihren Partner vernachlässige. Über den mit einer Teilnahme einhergehenden Zeitaufwand ist die Patientin zunächst erschrocken, sie fürchtet durch die zusätzlichen Übungen eine weitere Belastung. Den Body-Scan erlebt sie zunächst als sehr entlastend und entspannend, nach einiger
In den f olgenden G ruppensitzungen w erden sowohl Üb ungen a us dem H atha-Yoga (f ormelle Übung) s owie A chtsamkeit a uf a ngenehme und unangenehme Er eignisse (inf ormelle Üb ung) eingeführt. D abei nehmen die A temmeditation (f ormelle Üb ung) und die V ermittlung w esentlicher Grundlagen der S tressforschung eine b esonders
Ablauf eines MBSR-Kurses (vgl. Meibert, Michalak & Heidenreich, 2004) I. Vorgespräch. In einem ersten Vorgespräch werden Interessenten über die wesentlichen Aspekte des Programms aufgeklärt. Ihnen wird einerseits erklärt, dass ihre Teilnahme regelmäßiges Üben, Disziplin, Geduld und Ausdauer (d. h. eine gewisse Selbstverpflichtung) erfordert und dass die Umstellung der täglichen Routine zunächst zu Stress führen kann. Auf der anderen Seite wird den Interessenten aber auch verdeutlicht, dass sie mit Hilfe einer regelmäßigen Achtsamkeitspraxis
Zeit seien jedoch Gedanken des I nhalts aufgetreten »wie kannst Du hier liegen, wo doch noch so viel zu machen ist?« Hinzu kommen zunehmende Schmerzen im Lendenbereich, der schließlich ihre volle Aufmerksamkeit einnimmt. Es habe sie äußerste Anstrengung gekostet, dennoch liegen zu bleiben. Sie berichtet von großen Schwierigkeiten, sich die Zeit für die Hausaufgaben zu nehmen. Die Durchführung der Atemmeditation und der YogaÜbungen erlebt die Patientin als zunächst eher be lastend, insbesondere »einfach nur dazusitzen« falle ihr schwer. Im Laufe der Wochen berichtet sie, dass sie zunehmend den Eindruck habe, flexibler mit sich umzugehen. Als Beispiel schildert sie, dass sie Gedanken und Impulse jetzt zunächst wahrnehme und entscheide, wie sie reagieren wolle. Ihre Beschwerden seien deutlich zurückgegangen, auch wenn sie an einzelnen Tagen weiterhin Schlafstörungen und Schmerzen verspüre. In einer 3-Monats-Katamnese berichtet die Patientin von einer weiteren Verbesserung ihrer Befindlichkeit.
wichtige Rolle ein (jede S itzung weist einen inhaltlichen Themen schwerpunkt a uf). Am Ende des Programms sollen gemeinsam Strategien entwickelt werden, wie die in den v ergangenen Wochen g elernten A chtsamkeitsübungen a uch la ngfristig in den Alltag integriert werden können, um so die Gesundheit auf Dauer zu verbessern und zu stärken.
positiv auf Stresssituationen einwirken, ihre Lebensqualität positiv verändern und ihre Gesundheit auf Dauer verbessern können. Zusätzlich werden gemeinsam Ziele ausgearbeitet, die die Teilnehmer mit dem Kurs verbinden, und offene Fragen geklärt.
II. Das 8-wöchige Programm Sitzung 1. Im Mittelpunkt der ersten Sitzung steht das gegenseitige Kennenlernen der Kursteilnehmer. Durch den Kursleiter werden sie in die Praxis ▼
6.3 · Therapeutische Ansätze zur Vermittlung von Achtsamkeit
der Achtsamkeit eingeführt, und zentrale Aussagen des MBSR-Programms werden vermittelt. Als Einstieg in Achtsamkeitsübungen wird gemeinsam der Body-Scan durchgeführt, der in den folgenden Wochen selbstständig mit Hilfe einer CD zu Hause geübt werden soll. Außerdem werden die Kursteilnehmer dazu ermutigt, eine achtsame Haltung beim Ausführen von täglichen Routinetätigkeiten zu entwickeln (z. B. eine Mahlzeit in der Woche achtsam zu sich nehmen).
Sitzung 2. Zu Beginn dieser Sitzung werden Erfahrungen mit dem Body-Scan und den Achtsamkeitsübungen im Alltag ausgetauscht. Themenschwerpunkt bildet in Sitzung 2 die Funktionsweise der Wahrnehmung und ungünstige Aspekte des Autopiloten. Neben dem erneuten Üben des BodyScans wird die Sitzmeditation vorgestellt und für 10 Minuten erstmals unter Anleitung durchgeführt. Als Hausaufgabe werden die Teilnehmer gebeten, weiterhin Tätigkeiten im Alltag achtsam auszuführen und zusätzlich dazu positive Erfahrungen in ihrem Leben wahrzunehmen und aufzuschreiben.
Sitzung 3. In dieser Sitzung steht häufig die Auseinandersetzung der Teilnehmer bezüglich der täglichen Achtsamkeitspraxis im Vordergrund (Hindernisse in der Umsetzung der täglichen Übungen, Reaktionen von Verwandten und Bekannten etc.). Schwerpunktmäßig werden die Teilnehmer im weiteren Verlauf in die achtsame Körperarbeit eingeführt und die Yoga-Übungen gemeinsam eingeübt, die in den folgenden Tagen (abwechselnd mit dem Body-Scan) selbstständig zu Hause geübt werden sollen. Als weitere Hausaufgabe werden die Teilnehmer ermutigt, 10-minütige Sitzmeditationen selbständig durchzuführen und zusätzlich dazu negative Ereignisse wahrzunehmen und aufzuschreiben.
Sitzung 4. Im Mittelpunkt dieser und der nächsten Sitzung stehen Stress mit seinen Charakteristika und verbundenen Folgen. Dabei werden die Teilnehmer angehalten, sich Stressreaktionen im Alltag bewusst zu werden, ohne sie gleichzeitig verändern zu wollen. Fragen wie »Was ist Stress
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überhaupt, und wie entsteht er?« oder »Was erlebe ich als stressig, und wie gehe ich damit um?« w erden genauso geklärt, wie die Frage nach den Konsequenzen von Stress. Mit den Teilnehmern wird die Sitzmeditation nun auch länger als 10 M inuten durchgeführt; die Teilnehmer sind ab der 4. Woche dazu in der Lage, Sitzmeditationen von 30 bis 40 Minuten achtsam durchzuführen.
Sitzung 5. Auch in dieser 5. Sitzung steht das Thema Stress im Vordergrund. Allerdings wird nun z. B. in Kleingruppen erarbeitet, wie man mit Hilfe des bislang Erlernten besser mit Stress umgehen kann. Weiterhin wird die Sitzmeditation geübt und dadurch die Konzentrationskraft gestärkt. Als Hausaufgabe werden die Teilnehmer ermutigt, auch im Alltag achtsam mit Stress umzugehen: Dabei wird der Fokus auf den Atem und die Atembeobachtung während alltäglicher Handlungen gelegt.
Sitzung 6. Im Vordergrund dieser Sitzung steht das Thema »achtsame Kommunikation« oder der Umgang mit schwierigen Gefühlen. Neben dem weiteren Durchführen der Sitzmeditation wird der »Tag der Achtsamkeit« besprochen, einem ganztägigen Achtsamkeitsseminar, welches nach der 6. Sitzung (oder später) mit allen Teilnehmern durchgeführt wird. Als Hausaufgabe werden die Teilnehmer weiterhin angehalten, im Wechsel den Body-Scan bzw. Yoga und die Sitzmeditation zu üben und auf die Achtsamkeit im Alltag zu achten. Zusätzlich dazu soll die achtsame Kommunikation geübt oder schwierige Gefühle beobachtet und aufgeschrieben werden.
Der Tag der Achtsamkeit. Dieser Tag (ca. 6-7 Stunden) steht ganz im Zeichen der Achtsamkeit und dient speziell der Vertiefung der Übungen und dem bislang Gelernten. An diesem Tag soll die Achtsamkeit über einen längeren Zeitraum hinweg aufrechterhalten werden. Nach einer Einführung und Erläuterungen wird an diesem Tag nicht mehr gesprochen, um so ganz bei sich zu sein b zw. sich auf die eigenen Erfahrungen einzulassen. Neben Body-Scan, Yoga und Sitzmeditation wird die sog. ▼
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apitel 6 · Mindfulness-based therapy: Achtsamkeit vermitteln
Gehmeditation gemeinsam im Wechsel durchgeführt und das Mittagessen im Schweigen achtsam verspeist. Am Nachmittag werden Sitz- und Bewegungsmeditationen durchgeführt und das Schweigen am Ende des Tages langsam aufgelöst. Zum Abschluss können die gemachten Erfahrungen mit den anderen Kursteilnehmern besprochen werden.
Sitzung 7. In dieser Sitzung können noch einmal
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die Erfahrungen mit dem Tag der Achtsamkeit in der Gruppe besprochen werden. Ab diesem Zeitpunkt werden die Teilnehmer dazu ermutigt, Achtsamkeitsübungen auch ohne CD oder andere Hilfsmittel durchzuführen, um so die selbstständige Meditationspraxis und das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Meditation ohne Hilfsmittel durchführen zu können, zu fördern und zu stärken.
Es liegt eine Reihe empirischer Studien zur Effektivität der MBSR in der Behandlung verschiedener Störungen vor, die belegen konnten, dass achtsamkeitsbasierte Interventionen erfolgreich eingesetzt werden können. Zwei Metaanalysen (Baer, 2003; Grossman, Niemann, Schmidt & Walach, 2004) und eine Übersichtsarbeit (B ishop, 2002) k ommen üb ereinstimmend zur Einschätzung, dass konsistente Nachweise für die W irksamkeit ac htsamkeitsbasierter An sätze vorliegen, allerdings teilweise erhebliche Mängel im Untersuchungsdesign einiger der un tersuchten Studien b estehen (z. B. Fehlen ak tiv b ehandelter Kontrollgruppen, fehlende Kontrolle der Auswirkungen paralleler Behandlungen), so dass die Ergebnisse nur bedingt generalisiert werden können. 6.3.2 M indfulness-based cognitive
therapy for depression (MBCT) von Segal, Williams & Teasdale (2002)
Segal et al . (2002) in tegrieren in ihr er MB CT zur Verhinderung dep ressiver R ückfälle ac htsamkeitsbasierte E lemente s ensu K abat-Zinn (1990) mi t klassisch k ognitiv-verhaltenstherapeutischen I nterventionen (f ür einen a usführlichen Üb erblick s. Michalak & Heidenreich, 2004a, 2005). Als wesentli-
Sitzung 8. In dieser letzten Sitzung geht es vor allem darum, gemeinsam Strategien zu erarbeiten, wie die Achtsamkeitspraxis auch über das Ende des Kurses hinaus selbstständig in den Alltag int egriert werden kann. Es wird den Teilnehmern verdeutlicht, dass dies zwar das Ende des Kurses, aber zugleich auch der Beginn der »eigentlichen Arbeit« ist (»Die wahre achte Sitzung ist der Rest ihres Lebens«). Mit einem Abschiedsritual wird die letzte Sitzung beendet und der MBSR-Kurs abgeschlossen. III. Nachgespräch. Ein individuelles Nachgespräch kann zwei Wochen nach Ende des Kurses mit dem Kursleiter erfolgen. Dabei besteht die Möglichkeit, den Kurs hinsichtlich der eigenen Ziele auszuwerten und Themen zu besprechen, die nicht in der Gruppe kommuniziert werden konnten.
ches Ziel des Programms geben sie an: »Die zentrale Fertigkeit, die das MB CT-Programm v ermitteln möchte, ist die F ähigkeit, b ei dr ohendem R ückfall Geisteszustände zu erk ennen und loszulass en, die durch selbstaufrechterhaltende Muster grüblerischer negativer Gedanken gekennzeichnet sind« (S egal et al., 2002, S. 75; Übers.: T.H. & J.M.). Im Unterschied zum k lassischen k ognitiven V orgehen, s ollen die Inhalte depressiven Denkens von B etroffenen aber nicht g ezielt v erändert w erden (im S inne des M odells v on B eck, 1976), s ondern vielmehr g eht es um eine Änder ung der Haltung gegenüber Bildern, Gedanken, Er innerungen und K örperempfindungen. Aufbauend a uf dem MBS R-Programm ist die Kultivierung v on A chtsamkeit ein s ehr zen traler Aspekt in der MB CT. I ndem die T eilnehmer ihr e Aufmerksamkeit a uf die H ier-und-Jetzt-Erfahrung richten und s o ein leb endiger K ontakt mi t dem gegenwärtigen Augenblick ermöglicht wird, soll ein »Wegdriften« in Erinnerungen, Gedanken und Grübeleien v erhindert w erden. A ußerdem s ollen die depressiven Patienten eine akzeptierende und offene Haltung gegenüber ihren aufkommenden positiven als auch negativen Geisteszuständen entwickeln. Die MB CT ist – wie die MBS R – ein Therapieprogramm, das in 8 S itzungen d urchgeführt wird. M ax. 12 P atienten, w elche mindest ens zw ei
6.3 · Therapeutische Ansätze zur Vermittlung von Achtsamkeit
depressive E pisoden erleb t ha ben und zum Z eitpunkt des B ehandlungsbeginns nic ht mehr ak ut depressiv sind, nehmen a n den G ruppensitzungen t eil. Die einzelnen S itzungen f inden im w öchentlichen A bstand s tatt und b ehandeln je weils ein Thema s chwerpunktmäßig. Einzelne ac htsamkeitsbezogene Elemente werden entsprechend den
Umgang mit Hindernissen Am Programm teilzunehmen und täglich mind. 45-minütige Übungen selbständig durchzuführen, erscheint zunächst »sehr einfach«, er fordert aber viel Selbstdisziplin der Kursteilnehmer. Außerdem können Schwierigkeiten und Barrieren in der Umsetzung auftreten. Im Programm besteht immer wieder Gelegenheit, gemachte Erfahrungen und erlebte Schwierigkeiten mit Übungen in der Grup pe auszutauschen. Dabei ist besonders wichtig, eine akzeptierende Haltung gegenüber diesen Hindernissen zu entwickeln und somit die Bereitschaft zu fördern, trotz Barrieren weiterhin zu üben. Es werden besonders vier Arten von Hindernissen berichtet:
(1) »Mache ich es richtig?«: Treten beim Übenden Gedanken dieser Art auf, die durch Resignation oder Ängstlichkeit charakterisiert sein können, so sollen sie achtsam wahrgenommen und anschließend auch wieder losgelassen werden – so gut es geht. Danach bringt man seine A ufmerksamkeit sanft aber bestimmt wieder zum eigentlichen Fokus der Übung zurück (z. B. zum Atem). (2) Schmerzhafte und unangenehme Empfindungen: Treten beispielsweise Schmerzen in einzelnen Körperteilen oder Verspannungen/Verkrampfungen auf, so werden die Teilnehmer ermutigt, auch diesen Empfindungen eine offene und akzeptierende Haltung entgegenzubringen. Mit den Empfindungen verbundene Gedanken sollen wiederum achtsam wahrgenommen und anschließend losgelassen werden.
(3) Die Rahmenbedingungen sind nicht richtig: Es ist möglich, dass die Teilnehmer innere (z. B.
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Methoden der MBS R ein geübt. I m An schluss a n die je weiligen Üb ungen w erden dies e b ezüglich der g emachten Er fahrungen b esprochen, und es wird auf erlebte Schwierigkeiten bei der Übung zu Hause ein gegangen. D as Erler nen b zw. Ein üben von A chtsamkeit ka nn u. U . mi t H indernissen in der Umsetzung verbunden sein (vgl. Übersicht).
Angespanntheit) und/oder äußere (z. B. Unruhe, Störungen) Rahmenbedingungen des Programms als ungünstig bewerten und somit die Übungen ihrer Ansicht nach nicht mit Gewinn praktizier en können. Auch dann werden die Teilnehmer dazu angehalten, diese für sie ungünstig erscheinenden Bedingungen zu beobachten, achtsam wahrzunehmen und in die Übungen einzubeziehen. Sie sollten sich dadurch auf keinen Fall vom Üben abhalten lassen. Die Übungen müssen nicht Spaß machen; aber trotzdem sollten sie durchgeführt werden.
(4) Gedankenwandern: Häufig kann es vorkommen, dass die Gedanken abschweifen – auch bei erfahrenen Übenden. Wenn dieses Abwandern von den Teilnehmern wahrgenommen wird, werden sie dazu angehalten, diesen Vorgang nicht zu bewerten (»Ich mache schon wieder alles falsch«). Den Teilnehmern wird verdeutlicht, dass das Abschweifen in der Natur der Gedanken liegt – es wird immer wieder vorkommen. Sie sollen ihren Gedanken eine Haltung gegenüber entwickeln, die durch Achtsamkeit und Offenheit charakterisiert ist; sie sollen sie als Gedankenstr öme und mentale Ereignisse erkennen und sich nicht in ihnen verlieren. Neben diesen Hindernissen kann es häufig vorkommen, dass die Teilnehmer die Übungen missverstehen. Es geht nicht darum, ein bestimmt es Ziel oder einen besonderen Entspannungszustand oder Zustand des inneren Friedens zu erreichen; diese Zustände können eintreten, müssen es aber nicht. Vielmehr wird den Teilnehmern immer wieder verdeutlicht, dass der Sinn der Übungen in der Kultivierung von Achtsamkeit und Offenheit gegenüber gegenwärtigen Erfahrungen liegt.
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6
apitel 6 · Mindfulness-based therapy: Achtsamkeit vermitteln
In den er sten Sitzungen (1-4) des MB CT-Programms g eht es fast a usschließlich um das Erler nen und Einüben von Achtsamkeit. Im zweiten Teil des Programms (Sitzung 5-8) wird die Behandlung verstärkt durch klassische kognitive Interventionen unterstützt (z. B. Psychoedukation zur Depression, Bedeutung v on und U mgang mi t a utomatischen Gedanken et c.). Ein wic htiger A spekt ist a uch in der MB CT die Dur chführung von Hausaufgaben: Die T eilnehmer m üssen sic h b ereit erk lären, zu Hause t äglich mindest ens 45 M inuten f ormale Achtsamkeitsübungen selbständig zu p raktizieren. Nach A bschluss des P rogramms ha ben die K ursteilnehmer die M öglichkeit, sic h in vier w eiteren Booster-Sitzungen zu tr effen, gemeinsam zu üb en und sich über ihre Erfahrungen auszutauschen. Für die MB CT liegen mittlerweile zwei randomisierte kontrollierte Studien vor (Ma & Teasdale, 2004; Teasdale et al ., 2000), die f ür P atienten mi t drei o der mehr R ückfällen in der V orgeschichte eine deutliche Reduktion der R ückfallwahrscheinlichkeit b ei den mi t MB CT b ehandelten P atienten berichteten (verglichen zu einer »Treatment as Usual«-Gruppe). 6.4 K
onkrete Vermittlung von Achtsamkeit
Zur g laubhaften V ermittlung des A chtsamkeitsprinzips ist es una bdingbar, dass Thera peuten selbst da mit Er fahrungen g esammelt ha ben. Z ur Frage, wie viel Er fahrung einzelne Thera peuten mit dem P rinzip A chtsamkeit a ufweisen s ollten, werden ve rschiedene A uffassungen ve rtreten (Michalak & H eidenreich, 2004b): Dies e r eichen von der Forderung, mehrjährige intensive Meditationserfahrung zu ha ben, b is hin zur A uffassung, dass der Thera peut zwar nicht unbedingt formelle Meditationserfahrung b esitzen m uss, a ber A chtsamkeit im täglichen Leben praktizieren sollte. Für die k onkrete Vermittlung von Achtsamkeit im t herapeutischen Alltag bieten sich verschiedene Möglichkeiten an: Neben der Durchführung ganzer Programme (MBS R o der MB CT), was sic herlich eine a usreichende f ormale M editationspraxis a uf Seiten des B ehandlers v oraussetzt, k önnen s ämtliche ob en v orgestellten f ormellen und inf ormellen
Meditationsübungen auch im Rahmen einer Einzeloder G ruppentherapie ein geübt w erden, die nic ht schwerpunktmäßig achtsamkeitsbasiert ist. Es m uss allerdings darauf geachtet werden, dass dies mit einer ernsthaften Haltung geschieht, die dies e Prinzipien nicht n ur a ls neue Thera piemethode te chnizistisch einführt (etwa indem P atienten CD s mi tgegeben werden, die sie im L aufe der k ommenden Woche hören und da mit üb en s ollen). U ns s cheinen dr ei verschiedene, jedo ch in sic h zus ammenhängende Zugangswege f ür die k onkrete V ermittlung v on Achtsamkeit in Psychotherapien sinnvoll: die therapeutische Haltung (Modell), formelle Achtsamkeitsübungen und informelle Achtsamkeitsübungen. 6.4.1 T herapeutische Haltung
Die sicherlich g rundlegendste M öglichkeit, um in Psychotherapien Achtsamkeit zu vermitteln, liegt in der eingenommenen therapeutischen Haltung: Hier wird der Thera peut ga nz dir ekt mo dellhaft wirksam, indem A chtsamkeit dem P atienten »v orgelebt« wird. An dieser Stelle sind sicherlich Hinweise zur t herapeutischen H altung, wie sie etwa in der Gesprächspsychotherapie (vg l. B undschuh-Müller, 2004) o der in tief enpsychologischen K onzepten (vgl. Michal, 2004) b eschrieben wurden, s ehr hilfreich. Uns scheint besonders die g esprächspsychotherapeutische H altung der »P räsenz« in dies em Zusammenhang w ertvoll zu s ein: Für die Z eit der therapeutischen Sitzung sollte der Therapeut unbedingt für den Patienten da s ein und s owohl äußere (z. B. K lingeln des T elefons) als a uch inner e S törungen (A blenkung, F antasien) a uf ein M inimum reduzieren. P räsenz mein t a ber a uch, in der t herapeutischen Situation aus der eig enen leb endigen Körpererfahrung im H ier-und-Jetzt (»f elt-sense«) heraus zu ha ndeln. Auch s ollten Therapeuten versuchen, jedem P atienten gegenüber eine mög lichst offene H altung einzunehmen, die eine »K ategorisierung« so weit wie möglich zurückstellt (nebenbei bemerkt, ist dies aus unserer Sicht durchaus kompatibel damit, sorgfältig Diagnosen zu s tellen). Auch wenn die ob en a ufgeführten H altungen f ür die meisten Thera peuten s elbstverständlich s ein s ollten, s o ist ihr e k onkrete Re alisierung do ch hä ufig alles andere als einfach. Wer könnte von sich schon
79
6.5 · Fazit
behaupten, dass er in der S itzung immer »b eim Patienten« ist und sich nicht von Zeit zu Zeit in Ablenkungen und F antasien wieder f indet. Wer kann von sic h b ehaupten, dass er s eine K onzepte und Vorstellungen immer b ewusst wahr nehmen und sich v on ihnen a uch lös en ka nn. I n dies em S inne verstehen wir die A chtsamkeitspraxis als her vorragende Möglichkeit, diese Haltungen tagtäglich in der Therapie einzuüben und im wahrsten Sinne des Wortes zu verkörpern. 6.4.2 F ormelle Achtsamkeitsübungen
Formelle Achtsamkeitsübungen (Kabat-Zinn, 1990) bezeichnen (vgl. Kap. 6.3.1) Übungen der Achtsamkeit in allen K örperpositionen (si tzen, g ehen, st ehen, liegen), wobei die A chtsamkeit jeweils auf das Erleben in der ak tuellen S ituation g erichtet wir d. Bei der in un terschiedlichen An sätzen s ehr wic htigen Atemmeditation sitzen die Üb enden in einer aufrechten Haltung entweder auf einem S tuhl oder mit g ekreuzten B einen a uf einem S itzkissen a uf dem Boden. Es wir d versucht, die A ufmerksamkeit auf die Em pfindungen beim Atmen zu r ichten. Da die Aufmerksamkeit r egelhaft nac h einig er Z eit zu anderen I nhalten wie G edanken, Emo tionen o der Körperempfindungen a bschweift, s oll dies zuerst bewusst zur K enntnis g enommen und der F okus dann wieder zum A tem zur ückgeführt w erden. I n diesem Prozess wird eine Haltung der Geduld kultiviert, die dadurch gekennzeichnet ist, Bewusstseinsinhalte nicht gezielt verändern oder kontrollieren zu wollen, sondern »sich zu erlauben«, im gegenwärtigen Augenblick zu s ein und »n ur« das Vorhandene bewusst wahrzunehmen. A us un serer S icht b ieten sich in v erschiedenen Thera piesettings (a mbulant, stationär, Einzel, Gruppe) gute Möglichkeiten, einzelne dies er Üb ungen zunäc hst in der Thera pie gemeinsam durchzuführen und da nn anschließend den Patienten als Hausaufgabe mitzugeben. 6.4.3 Inf ormelle Achtsamkeitsübungen
Bei dies er K lasse v on A chtsamkeitsübungen g eht es darum, den P atienten zu er muntern, in s einem Lebensalltag alle Din ge, die er g erade tut, auf eine
6
achtsame Ar t und W eise d urchzuführen. B esonders wichtig ist es in dies em Zusammenhang, dem Patienten zu vermitteln, dass jede Tätigkeit (geliebt oder ungeliebt, langweilig oder spannend) dasselbe Maß a n A chtsamkeit »v erdient« – neb en Ro utinehandlungen wie Dus chen o der Z ähneputzen betrifft dies alle L ebensbereiche wie Arb eit und Familie/Freizeit. Dies e H altung ist der in un serer Kultur weit verbreiteten Auffassung diametral entgegengesetzt, wona ch d ie u nangenehmen D inge möglichst zügig und unac htsam »erledigt« werden sollten, um dann Zeit für Entspannung und Wohlbefinden zu ha ben. K abat-Zinn (1998) gib t eine sehr schöne Zusammenstellung verschiedener Anwendungsfelder »informeller« Achtsamkeitspraxis. 6.5 F
azit
Wir ha ben in dies em K apitel das P otenzial v on Achtsamkeit s owohl f ür die P sychotherapie in sgesamt als a uch f ür das Thera pieziel »F örderung des W ohlbefindens« hera usgearbeitet und ha ben unseren Überlegungen dabei eine Wohlbefindensdefinition zugr unde g elegt, die mi t der H altung Fultons gut kompatibel ist (Fulton, 2005, S. 72): Achtsamkeit biet et die M öglichkeit einer Ge lassenheit, die nicht dur ch die Vermeidung harter Anf orderungen oder S elbstzufriedenheit erreicht wird.
Achtsamkeit liegt s omit ähnlic h wie a nderen in diesem B uch v orgestellten K onzeptionen ein s ehr umfassender W ohlbefindensbegriff zugr unde, in dem letztendlich alle L ebenserfahrungen Platz haben. Das Schöne, Sinnvolle, aber auch das Leidvolle und das s cheinbar S innlose ha ben da rin Pla tz, wenn sie mit Mitgefühl angenommen werden. Als letzt en Punk t mö chten wir no ch a uf die potenzielle Ro lle v on A chtsamkeit f ür das W ohlbefinden b zw. die psy chische S ituation v on P sychotherapeuten zu s prechen k ommen: A chtsamkeitsbasierte An sätze im o . g. S inne eignen sic h aus un serer S icht her vorragend, um Thera peuten in ihr er B erufsausübung zu un terstützen. Dies e Rolle b esteht da rin, Thera peuten zu einem f rühen Z eitpunkt a uf ihr e eig enen G renzen und B edürfnisse hinzuweisen – neben einer Verbesserung
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6
apitel 6 · Mindfulness-based therapy: Achtsamkeit vermitteln
der psychischen Gesundheit könnte das auch dazu führen, dass die P atientenbehandlung ef fektiver wird. G repmair, M itterlehner, Ro ther und N ickel (2006) berichten in einem »Letter to the Editor« im Journal of Psychosomatic Research über die Ef fekte eines A chtsamkeitstrainings, das v on a ngehenden Psychotherapeuten a bsolviert wur de. Z entrale interessierende Variable war jedoch nicht das Wohlbefinden der Therapeuten, sondern Auswirkungen auf die Thera pieeffekte ihrer Patienten. Es zeigt en sich b edeutsame U nterschiede im V ergleich mi t einer G ruppe v on P atienten, der en Thera peuten keine A chtsamkeitsübungen d urchführten (vg l. a. Shapiro, Astin, Bishop & Cordova, 2005). Der letztgenannte Befund mag dahin gehend zu interpretieren sein, dass das (tiefere) Wohlbefinden von P atienten mi t dem (t ieferen) W ohlbefinden von Therapeuten verknüpft sein dürfte. Therapeuten, die ac htsame S elbstfürsorge und ac htsamen Umgang mit ihrer Umwelt gelernt haben, können Patienten sicherlich stärker aus ihrer eigenen gelebten Er fahrung hera us un terstützen, dies e A spekte auch bei sich zu entwickeln – zum Wohl(befinden) ihrer Patienten und deren Umfeld. Zusammenfassend l ässt sich s agen, d ass mi t der ja hrtausendealten b uddhistischen T radition der A chtsamkeit ein P rinzip v orliegt, mi t dess en Hilfe und d urch ak tive und r egelmäßige I ntegration in den All tag der U mgang mi t S tresssituationen gün stig v erändert und die G esundheit dauerhaft v erbessert w erden ka nn. Auch w enn es sich nic ht um ein P atentrezept o der Allheilmi ttel handelt, das bei allen Personen oder Erkrankungen uneingeschränkt t herapeutisch ein gesetzt w erden kann, s cheint un s die v orläufige S chlussfolgerung gerechtfertigt, dass die En twicklung v on A chtsamkeit eine B ereicherung des t herapeutischen Vorgehens da rstellt und a uch zu einer Erhö hung des Wohlbefindens führen kann. Im individuellen Fall muss entschieden w erden, inwieweit die V ermittlung und K ultivierung v on A chtsamkeit eine sinnvolle Er gänzung zum t herapeutischen Vorgehen da rstellt und v om je weiligen P atienten zum gegenwärtigen Z eitpunkt umgesetzt werden kann. Im R ahmen v on ac htsamkeitsbasierten (MBS R, MBCT) und -inf ormierten (D BT, A CT) An sätzen wir d A chtsamkeit er folgversprechend in die therapeutische Behandlung integriert. Für zukünf-
tige F orschungsbemühungen b leibt es a ber dennoch wün schenswert, dass die W irksamkeit und besonders die W irkungsweise t herapeutischer I nterventionen mi t st ärkeren Untersuchungsdesigns genauer un tersucht w erden. F ür eine g laubhafte Vermittlung des A chtsamkeitsprinzips und einer effektiven G estaltung der P atientenbehandlung ist es außerdem unabdingbar, dass Therapeuten selbst damit Erfahrungen gesammelt haben und dadurch – s o gut es g eht – eine ac htsame Haltung v erkörpern k önnen. A chtsamkeit ka nn v on j edermann praktiziert w erden, der ihr o ffen g egenüber st eht, der die wunderba re Quali tät des g egenwärtigen Augenblicks er fahren mö chte und der v ersucht, Achtsamkeit zum Lebensprinzip zu machen: Das Geheimnis der Gesundheit v on Körper und Geist liegt nicht darin, die Vergangenheit zu betr auern, sich um die Z ukunft zu sor gen oder sich auf kommende Unannehmlichkeiten einzustellen, sondern w eise und ernsthaf t im gegenwärtigen Moment zu leben. Buddha
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7 Narr ative Ansätze: Nützliche Geschichten als Quelle für Hoffnung und Kraft Peter Kaimer 7.1 Einleitung 7.2
– 84
Therapie – der Beginn
7.3 Erk
– 84
enntnistheoretische Basis – 85
7.4 T
herapie – Erstgespräch – 87
7.5 P
sychotherapietheoretische Basis – 88
7.6 F
olgende Therapiesitzungen I
7.7 G
emeindepsychologische Perspektive – 91
7.8 F
olgende Therapiesitzungen II
7.9 P
sychotherapietechnische Basis
– 90
– 92 – 94
7.10 Zeit zwischen den Therapiesitzungen – 97 7.11 Gesellschafts- und geschichten-kritische Anmerkungen – Grenzen des narrativen Möglichkeitsraums – 97 7.12 Auf dem Weg sein Literatur –
100
– 99
84 K
apitel 7 · Narrative Ansätze: Nützliche Geschichten als Quelle für Hoffnung und K raft
Wir müssen die K raft des Neubeschr eibens erkennen. Durch Sprache werden neue und unterschiedliche Dinge möglich und wichtig. Dies können wir jedoch erst wertschätzen, wenn unser Ziel nicht mehr darin liegt, die Eine Wahre Beschreibung zu finden, sondern darin, unser Reper toire an alternativen Beschreibungen zu erweitern. Richard Rorty: Kontingenz, Ironie und Solidarität
verzahnten Ref lexionen zur eig enen Arb eit a bzusetzen. So entsteht ein M uster sich abwechselnder Therapieverlaufsschilderung und theoretischer Erörterung a us v erschiedenen P erspektiven, die f ür narrative Ansätze b edeutungsvoll sind. Zur Üb ersicht stelle ich hier die Überschriften der einzelnen Kapitel in ihrer Verzahnung einander gegenüber:
7.1 Einleitung
7
Die I dee, die b edeutungsvollen N arrationen (G eschichten, Erzählungen) von Klienten in den Fokus therapeutischer Ak tivität zu nehmen, wur de v on verschiedenen P ionieren psy chotherapeutischer Ansätze v erfolgt. N ach meinem un ten da rgelegten Verständnis k onvergieren dies e An sätze mi ttlerweile in einem mehr o der w eniger radikalen poststrukturalistischen Verständnis v on Thera pie: Es geht wesentlich um die »Oberfläche« der aktuell in der Thera pie gemeinsam symbolisch erzeugten Wirklichkeit und weniger um die S uche nach »dahinter« o der »darunter« Liegendem, wie es str ukturalistische Ansätze als Aufgabe vorgeben. Daraus resultiert eine H altung, die – v ereinfacht g esagt – w eniger einem ra ffinierten D etektiv, s ondern vielmehr einem er fahrenen, neug ierigen B egleiter ähnelt. D amit lass en sic h na rrative An sätze leich t zu Ergebnissen aus der W irkfaktorenforschung in Beziehung setzen (z. B. Common Factors, Hubble, Duncan & Miller, 1999), jedoch kaum exklusiv von einer Therapieschule für sich beanspruchen. Besonders indizier t er scheinen mir na rrative Ansätze f ür Therapeuten, die gu t damit umgehen können, am E nde i hrer A rbeit nicht als die H elden des Geschehens dazustehen. Und für Klienten, welche b ereit s ind, s owohl Anst rengung a ls a uch Verantwortung f ür ihr e p ersönliche Veränderung zu übernehmen.
Die Struktur des Ar tikels1 nimmt ihren Ausgangspunkt b ei einer Thera pie, die in w eiten Teilen die Arbeit mi t und die K onstruktion v on n ützlichen Geschichten zum Inhalt hat. Dieser therapeutische Text wir d k ursiv g esetzt, um ihn v on den da mit
7.3 Erkenntnistheoretische Basis
7.4 Therapie – Erstgespräch
7.5 Psychotherapietheoretische Basis
7.6 Folgende Therapiesitzungen I
7.7 Gemeindepsychologische Perspektive
7.8 Folgende Therapiesitzungen II
7.9 Psychotherapietechnische Basis
7.10 Zeit zwischen den Therapiesitzungen
7.11 Gesellschafts- und geschichtenkritische Anmerkungen
7.12 Auf dem Weg sein …
7.2
Therapie – der Beginn
Ich halte die Unterlagen von Herrn Gruber2 in Händen. Morgen wird er zum ersten Therapiegespräch in die Praxis kommen. Bis jetzt hat ein Informationsgespräch stattgefunden. In diesem hatte er Ge legenheit gehabt, g rob den A nlass u nd das A nliegen f ür ei ne Psychotherapie zu s childern, s eine Erwartungen auf der Bas is f rüherer E rfahrungen m it ps ychosozialer Hilfe zu formulieren. Ich konnte ihm meine Rahmenbedingungen, di e Gr undzüge m einer A rbeitsweise und v ielleicht wo hl a uch H offnung u nd Z uversicht
1
2
Vorbemerkung
7.2 Therapie – der Beginn
Ich danke Anneliese Stadler und Wolfgang Loth für wertvolle Anregungen und Diskussionen zu einer erst en Version die ses Textes. Herrn Gruber gibt es als ph ysikalische Person nicht. Die Ge schichte von Herrn Gruber beruht vielmehr auf Er fahrungen und Geschichten aus der Begegnung mit mehreren Klienten der letzen Jahre meiner Tätigkeit als Psychotherapeut. Die Wahl der w eiblichen b zw. männlichen F orm im Text habe ich dor t, w o es nicht faktisch f eststand, mehr oder minder zufällig gew echselt. Ich hoff e, dass sich auf diese Weise ein ausgeglichenes Verhältnis er geben hat und sich niemand vernachlässigt fühlen muss.
85
7.3 · Erkenntnistheoretische Basis
bezüglich sei nes A nliegens ver mitteln. I ch h atte ih n darüber a ufgeklärt, das s zu künftig i n ei nem Be obachtungsraum nebenan Mitglieder der Ambulanz als Team an den jeweil igen Sitzungen teilnehmen w ürden. Diese könne er ger ne kennen lernen. Am Ende einer jeden Sitzung würde ich mich dann für ca. 5-10 Minuten zu m T eam zu rückziehen u nd ei ne wer tschätzende Rückmeldung über die Sitzung erarbeiten, die er dann von mir vermittelt bekommen würde. Für ih n wa r es wo hl das, was i m a ngloamerikanischen Ber eich »w indow-shopping« gen annt w ird: erstes Sondieren des Angebots und zeitlich befristete Möglichkeit s ich zu ü berlegen, o b m an s ich da rauf einlassen w ill. Ich hatte die Gelegenheit, zu p rüfen, inwieweit H err G ruber m ir s ympathisch is t, m ich sein Anliegen und die erste ansatzweise Schilderung seiner G eschichte in teressiert – v ielleicht s ogar he rausfordert – und wie ich denke, ihm bei der Lö sung seiner Probleme helfen zu können (Blaser, 1993). Am Ende des Termins hatte ich ihm ein Blatt zu seinem Recht auf Information bezüglich der Psychotherapie (informed cons ent, H andelsmann & G alvin, 1988) sowie einige erste Fragebögen3 gegeben und ihn mit den Worten verabschiedet, dass ich mich im Falle der Rücksendung der ausgefüllten Fragebögen innerhalb einer Woche umgehend bei ih m melden würde, um den Therapiebeginn zu vereinbaren. Zwei Tage später waren die Unterlagen angekommen. Was wa r bei d iesem ers ten T reffen pas siert? W as hätte ein naiver Beobachter feststellen können? Nun, wir hatten miteinander gesprochen, hatten uns dabei angeschaut und gestisch und mimisch unsere Worte untermalt. Wir hatten auch offensichtlich bestimmten s elbstverständlichen Ritu alen e ntsprochen, in dem wir uns zu Beginn die Hände geschüttelt hatten – obwohl … da wa r rückblickend etwas ungewöhnlich gewesen dabei. Ich h atte ih n i n das Pr axiszimmer ge beten, ih m einen Stuhl angeboten und er wa r freundlich dieser Einladung gefolgt. Nach ein paar einleitenden Floskeln hatte ich eine Struktur für dieses Treffen vorgeschlagen und ihm zwei Optionen eröffnet: Er beginnt
3
Dabei handelt es sich um z wei Teile eines Lebensgeschichtlichen Fragebogens, um einen L ebenszufriedenheitsbogen (FLZ von Henrich & Herschbach, 1998) und um den SCL 90 R von Franke (2002).
7
seine Ge schichte, d ie ih n h ierher f ührt, oder ic h beginne meine Geschichte psychotherapeutischer Arbeit. Wie so v iele Klienten entschied sich auch Herr Gruber dafür, mit seiner Geschichte zu beginnen und mir zu erzählen, was für ihn aktuell wichtig, bedeutsam, beklagenswert und unverständlich sei. 7.3 Erk
enntnistheoretische Basis
Jede Thera pie f ußt a uf den im pliziten o der exp liziten Entscheidungen des Thera peuten, was er als »wirklich« nimm t. Dies er scheint n ur f ür M enschen tr ivial, die sic h nie mi t erk enntnistheoretischen Fragestellungen befasst haben und meist auf der B asis eines na iven Re alismus die Wirklichkeit für schlicht gegeben nehmen. Narrative An sätze und da runter s peziell die von mir favorisierten Spielarten systemischer Therapie und k ognitiver V erhaltenstherapie suc hen ihre e rkenntnistheoretische Ba sis m eist in e iner Spielart d es K onstruktivismus. Da e s se hr vi ele, zum Teil s elbst f ür Ein geweihte s chwer im D etail auseinander zu hal tende K onzeptionen des K onstruktivismus gibt, will ich mich in diesem Beitrag auf dr ei V ersionen ho lzschnittartig b eschränken. Es sind dies der Sozialkonstruktionismus auf der einen S eite, der kognitive K onstruktivismus a uf der a nderen und v ermittelnd dazwis chen, w enn auch mit einer leichten Asymmetrie zugunsten sozialer Prozesse, der Soziale Konstruktivismus. Konzeptionen des Konstruktivismus Der kognitive Konstruktivismus interessiert sich schwerpunktmäßig für die Art und Weise, wie Wirklichkeit als Leistung des je individuellen Geistes erzeugt wird. Prominente Vertreter dieses Ansatzes sind Piaget und Kelly. Der Sozialkonstruktionismus, als dessen prominenter Vertreter Kenneth Gergen angesehen werden kann, legt den Schwerpunkt seiner Interessen »auf Diskurse als Vehikel für die Artikulation des Selbst und der Welt sowie auf die Art und Weise, in der diese Diskurse innerhalb sozialer Beziehungen wirken« (Gergen, 2002, ▼
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apitel 7 · Narrative Ansätze: Nützliche Geschichten als Quelle für Hoffnung und K raft
S. 82). Er interessiert sich also ausschließlich für das, was zwischen Individuen als Art der Welterzeugung geschieht. Der Soziale Konstruktivismus hingegen denkt diese sozialkonstruktionistische Sicht umfassender, indem zusätzlich die Konstruktionsprozesse des menschlichen Geistes, der die Wirklichkeit in seinen Beziehungen mit der Welt erzeugt, mit aufgenommen werden.
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Die I deenlinie, w elche hin ter dem v on mir favorisierten Verständnis v on S ozialem K onstruktivismus st eht, ka nn mi t den N amen p rominenter Denker aus Philosophie und Soziologie verbunden werden, w enngleich dies e nich t unmi ttelbar a ufeinander a ufbauen. D a wä re z. B. Durk heim mi t seinem B egriff der kollektiven Repr äsentation, Fleck mi t s einem Denkstil o der Denkkollektiv, Wittgenstein mi t s einen Sprachspielen und L ebensformen, B achtin mi t s einen dialogischen Konzepten zur W irklichkeitserzeugung, B erger und L uckmann mi t ihr er sozialen K onstruktion von Realität sowie Garfinkel mit seinen ethnomethodologischen K onzepten (vg l. F rindte, 1998, Deissler & M cNamee, 2000, und b esonders a ufschlussreich und genau von Tiling, 2004). Besonders bedeutsam erscheint mir die B rücke, welche der Soziale Konstruktivismus zwischen Ideen über die Welterzeugung im Individuum und solchen im sozialen R aum (das zen trale Thema des S ozialkonstruktionismus) schlägt. Hier werden häufig die Arbeiten von Wygotski (1964) mi t seinem »Aneignungskonzept« a ufgegriffen: D as I ch des S ozialen Konstruktivismus wird in einen s ozialen R aum hineingeboren, der ihm ein S et an Sprachfiguren zur Verfügung stellt. Diese Sprachfiguren sind Bestandteile einer K ultur, B estandteile v on L ebensformen – und das sic h en twickelnde I ch eignet sic h dies e Sprachfiguren a n, um in dies em R aum k ommunizieren und da mit (üb er)leben zu k önnen. Dies e Verbindung zwis chen indi vidueller und s ozialer Wirklichkeitserzeugung signalisier t eine deu tliche Asymmetrie zu Gunsten sozialer Konstruktionsprozesse im S inne des S ozialkonstruktionismus. Am Anfang steht hier ga nz eindeutig der s oziale Raum, der üb erhaupt erst Sprache, Sprachformen, Meta-
phern, Diskursf ormen, Mythen und Metaer zählungen zur Verfügung stellt aber auch vorgibt. Oder
wie es D evilder (2001, S. 16) v on der B ochumer Arbeitsgruppe f ür S ozialen K onstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung so provokant formuliert: Alles was wir erleben können, liegt sprachlich zubereitet schon fertig vor, alles, was über unser Ich gesagt w erden k ann, ebenfalls. Denn nicht ich fühle et was, sondern man fühlt. Wie viele Leute benutzen das Wort »man« wenn sie etwas über sich selbst sagen sollen! Und unser kommunales System stellt uns nicht nur das Wissen über diese Sprachfigur en zur Verfügung, sondern dazu auch noch die Regeln, wie, wann und wo diese Sprachfiguren angemessen gebraucht werden dürfen, können und müssen.
Unter s ozialkonstruktivistischer P erspektive in teressiere ich mich als Thera peut dafür, wie wir M enschen uns in un terschiedlichen kommunalen Systemen und U mwelten mittels unserer Sprache gewissermaßen selbst herstellen. Ich interessiere mich für die Erzählungen und Geschichten, die wir uns selbst und a nderen als F olge b ereits s tattgefundener Diskurse und a uch v orgefundener S prachschablonen erzählen. Ich interessiere mich für die Regeln »guter« Geschichten, f ür die S pielräume, die v erschiedene Geschichtentypen uns lassen bzw. die Folgen, welche unterschiedliche G eschichten hi nsichtlich Öf fnung oder S chließung v on M öglichkeiten b ereitstellen. Devilder formuliert das wiederum sehr pointiert so: Soziale Konstruktivistinnen sagen also, dass wir die Wirklichkeit unserer Alltagswelt und damit uns selbst als Person im sozialen Diskurs fabrizieren. In diesem Prozess stellt die Sprache die soziale Welt auf die F üße und damit auch uns . Und desw egen acht en so ziale Konstruktivistinnen auf die M acht der Texte und die M agie von Metaphern! Warum Macht der Texte? Nun, wenn wir als P erson ein Element in einem vernetzten S ystem so zialer Beziehungen, ein sozial konstruiertes Diskursprodukt sind, dann dürften die Texte, die in unserem Sozialsystem aufgesagt w erden eine erhebliche M acht auf uns ausüben und über uns haben, ja vielleicht können wir sogar so weit gehen, P ersonen als Texte zu sehen! (Devilder, 2001 S. 26).
7.4 · Therapie – Erstgespräch
Die F olgen einer s olchen Sich tweise f ür Therapie sind erheb lich: Die Erzähl ungen einer Person, die dies e s cheinbar c harakterlich f estschreiben, werden als Er gebnis der Erzähl praxis einer b estimmten k ommunalen G emeinschaft g esehen und in sofern w eitet sic h ein M öglichkeitsraum, die G eschichten a uch v öllig a nders zu erzählen; das P sychische wir d nic ht s o s ehr str ukturell (Oberflächenstruktur vs. T iefenstruktur, die das Eigentliche b eherbergt und die es zu er gründen oder zu deu ten gil t) s ondern p oststrukturell als Diskursprodukt gesehen und ka nn durch Dekonstruktion v erflüssigt w erden – wir p raktizieren Sprachkritik; G eschichten üb er un s k önnen un s krank machen oder auch gesund. 7.4
Therapie – Erstgespräch
Herr G ruber beg innt m it dem H inweis, das s es ihm jetzt ja sc hon besser gehe, seitdem er Tabletten nehme. Aber er wo lle nicht ständig darauf angewiesen sein. Außerdem hoffe er, durch die Therapie noch weitere S chritte zu sc haffen. Ob m ir den n n ichts aufgefallen sei bei der Be grüßung. Nun, die Art wie er mir die Hand gegeben hätte – lediglich die Fingerspitzen – sei sc hon u ngewöhnlich gewe sen, a ber e s sei für mich nicht eindeutig zu entscheiden gewesen, ob es si ch l ediglich um e ine z ufällige Fehlkoordination unserer Hände gehandelt habe, oder o b System dahinter stecke. Es habe System, erklärt Herr Gruber mit einem verschmitzten Lächeln. Er habe Angst, die Hand zu ge ben, aus Angst, sich anzustecken. Diese Angst h abe s ich i m Gef olge der g rößten E nttäuschung seines Lebens entwickelt, als ihn sein Freund und K ompagnon u m ei ne g rößere S umme Ge ldes betrogen und er s ich beschmutzt gefühlt habe. Kurz darauf habe er a ufgrund g rößter Ekelgefühle nichts mehr anfassen können, wovon er annehmen musste, dass es von dies em vorhe r be rührt wor den s ei. I m Laufe der Zeit habe sich dieses Unwohlgefühl auf alle möglichen Bereiche ausgedehnt und er habe eine Art von Si cherungs-System e ntwickelt, um m öglichen Verschmutzungen u nd A nsteckungen zu en tgehen. Dies habe ihn zunehmend eingeengt, sein Leben zu einem kom plizierten Reg elsystem g emacht, we lches er i rgendwann ei nmal n icht m ehr h abe bewä ltigen können. A m Ra nde ei nes N ervenzusammenbruchs
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sei er zu ei nem Psychiater gegangen, der ih n medikamentös ve rsorgt ha be. D ie M edikamente hä tten geholfen, weil er ge genüber den A ngst- u nd Ek elgefühlen e twas gleic hgültiger gewo rden wä re u nd demzufolge seine Regeln und Praktiken hätte lockern können. Sein soziales Umfeld leide jedoc h nach wie vor unter seiner mangelnden Spontaneität, diversen umständlichen R itualen u nd e ntsprechender G ereiztheit, wenn er bei der Ausführung dieser Abläufe gestört oder unterbrochen werde. Er selbst schwanke hinsichtlich der Notwendigkeit, etwas zu verändern, aber er wolle natürlich, dass seine Umwelt sich wohl mit ihm f ühle, und auch er se lbst könne sich schon ein et was u nbeschwerteres L eben vo rstellen. N un wolle er aber etwas von mir wissen. Ich erzä hle ih m vo n m einer t herapeutischen Basis, d ie ic h a ls lö sungs- u nd zie lfokussiert c harakterisiere. D abei w ürden sei ne ers trebenswerten Entwicklungsvorstellungen v on si ch s elbst un d s einem Le ben so wie sei ne Ä nderungsideen a ls Kl ient eine gew ichtige Ro lle s pielen. Die Th erapie, we lche ich i hm a nbieten k önne, sei se hr h andlungsorientiert. D. h. e s gebe so g ut w ie i mmer e twas f ür ih n zu t un zw ischen den S itzungen, was sc hon ei ne Herausforderung bedeuten werde. Therapie sei harte Arbeit, d ie s ich je doch so g ut w ie i mmer lo hne, wenn j emand in Ri chtung s einer Zi ele ak tiv w erde. Eine w ichtige Ro lle wer de a uch ei ne A nalyse der Problembedingungen, di e i hn auf s einem Weg z um Ziel b lockieren, sp ielen. B edingungen, we lche das Problem auslösen oder a ktivieren gen auso, w ie Bedingungen, welche zu seinem Weiterbestehen beitragen. Und letztlich ginge es natürlich auch um geeignete S chritte u nd Mittel bei d iesem Voranschreiten – d iese k önnten vo n ih m se lbst gef unden oder vo rgeschlagen werden, sie könnten aber auch aus dem gesammelten Wissen g ut g eprüfter psy chotherapeutischer Verfahren s tammen, das ic h ih m ger ne zu r Verfügung stellen wolle. Nachdem Herr Gr uber dur ch Rü cksendung d er Fragebögen sei n I nteresse a n ei ner A ufnahme der Therapie bekundet hatte, hatte ich mich mit ihm in Verbindung ge setzt u nd den ers ten Th erapietermin vereinbart. Die ser Termin so llte dazu gen utzt wer den, um Unklarheiten bezüglich seiner Angaben im lebensgeschichtlichen F ragebogen zu k lären. D ann wollte ic h u nmittelbar zu r Z ielklärung ü berleiten, um m öglichst sc hnell mit Herrn G ruber ei ne m oti-
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apitel 7 · Narrative Ansätze: Nützliche Geschichten als Quelle für Hoffnung und K raft
vierende Vision seiner Zukunft zu en twerfen. Doch es k am a nders. S ehr sc hnell s ignalisierte m ir H err Gruber, das s er ei n g roßes Bed ürfnis h abe, sei ne Leidensgeschichte zu m ers ten M al jem andem u mfassend da rzulegen. U nd e s w urde a uch deu tlich, dass er dies als Voraussetzung dafür ansah, wirklich verstanden zu werden. Folglich k reisten m eine Fragen u m das Th ema, was ich alles wissen müsse, um gut verstehen zu können, wo rum e s bei sei ner Pr oblematik u nd sei nem Anliegen hier in der Therapie gehe. Da w ir d ie S itzungen – m it A usnahme einiger A bstecher zu s ichtbar gewo rdenen S tärken und R essourcen – problemorientiert z ugebracht hatten, bat ic h ih n a m E nde der S itzung, u m den Fokus wieder auf eine lösungsorientierte Perspektive zu verlagern, bis zum nächsten Mal all das zu beobachten und z u notieren, was in s einem L eben trotz sei ner Pr oblematik a ktuell i n Or dnung sei, womit er zu frieden sei, was so b leiben k önne und solle und sich auch durch eine Therapie keinesfalls ändern solle.
Gergens zentrale Merkmale einer sozialkonstruktiven Therapie Schwerpunkt auf Bedeutungen Im Gegensatz zu traditionellen Therapien, in denen es oft um das Herausfinden von Ursachen für psychische Störungen geht, das nach einem medizinischen Modell angestrebt wird (Was steckt hinter dem Gesagten?), geht es nun um konstruier te Bedeutungen, die sich in den Er zählungen und Geschichten der Klienten finden lassen ( Was wird unmittelbar in dem Gesagten sichtbar?); Therapie als Co-Konstruktion. Der Klient erhält in der Entfaltung seiner Er zählungen und Geschichten zunächst einen Freiraum; die Art der Reaktion, der Nachfragen, der Reformulierungsangebote, subtiler Betonungen etc. durch den Therapeuten lässt dann gemeinsam mit dem Erzählenden neue Optionen im Verständnis, in der Erzählweise, in der Schwerpunktbildung und in den daraus resultierenden Folgen
7.5 P
sychotherapietheoretische Basis
Bei der S childerung der B eschwerden v on H errn Gruber wird sicher verhaltenstherapeutischen Kollegen sofort das Modell der Behandlung von Zwängen, wie es z. B. L akatos und Reinec ker (1999) vorgelegt haben, in den Sinn g ekommen sein. Vertreter anderer Schulen werden entsprechende Störungs- und B ehandlungsmodelle ass oziieren. I ch will a n dies er S telle j edoch das A ugenmerk a uf den narrativen Aspekt der Thera pie lenken. D azu brauche ic h Ar gumente, w elche die ob en skizzierte erkenntnistheoretische Basis mit einigen mir vertrauten S pielarten v on Thera pie v erbindet, die Narrationen besonderes Augenmerk schenken. Gergen (2002) nenn t vier zen trale M erkmale, die c harakteristisch f ür ein Thera pieverständnis unter dem Aspekt der sozialen Konstruktion sind: ▬ Schwerpunkt auf Bedeutungen ▬ Therapie als Co-Konstruktion ▬ Schwerpunkt auf Beziehungen ▬ W ertesensibilität
(z. B. auf der Handlungsebene) entstehen; letztlich entwickelt sich eine neue Geschichte zwischen den Beteiligten; d. h. zwischen Therapeut und Klient.
Schwerpunkt auf Beziehungen. Die strenge Fokussierung auf das »Innenleben des Geistes« wird zugunsten eines starken Interesses für das Netzwerk sozialer Beziehungen und dort kommunal erzeugter Bedeutungen und ihrer Folgen im Handeln (mit sich selbst oder sig nifikanten Anderen) verschoben; Wertesensibilität. Aufgrund der bisher genannten Merkmale wird die Bedeutung der Werte der Therapeuten im Prozess der Therapie deutlich und Wertneutralität zur Illusion; daher wird eine Offenlegung der Werte des Therapeuten obligatorisch, wenn kritische Situationen im Therapieverlauf dies erforderlich erscheinen lassen.
7.5 · Psychotherapietheoretische Basis
Es gibt mittlerweile neben den explizit sog. narrativen Ansätzen in sehr vielen traditionellen Therapierichtungen auch Versuche, dies e narrativ zu in terpretieren. S cholz (2002) b erichtet v on Versuchen, eine na rrative W ende in der P sychotherapie a uszurufen und v erweist auf Machado und G oncalves (1999), die eine V ielfalt v on demen tsprechenden Ansätzen in psy chodynamischen, syst emischen, kognitiven und k onstruktivistischen Thera pien konstatieren. Als der en g emeinsame A uffassung wird beschrieben, dass es Aufgabe von Therapie sei, »Klienten dabei zu helfen, ihre alten Geschichten zu revidieren und neue zu k onstruieren, die v on größerer Relevanz und Sinn für ihr gegenwärtiges und zukünftiges Leben seien.« (Scholz 2002, S. 232). Die beiden Spielarten, die hier zuer st skizziert werden sollen, sind gewissermaßen komplementär zueinander. Es handelt sich um kognitiv-konstruktivistische einer seits und s ozialkonstruktionistische A uffassungen v on N arrationen a ndererseits. McNamee (1997, Üb ersetzung v on S cholz 2002, S. 239) f ormuliert dies e K omplementarität – a ber auch ein gewisses Spannungsverhältnis – so: »Konstruktivistische Verständnisweisen menschlichen A ustausches gest ehen den so zialen P rozessen, in w elchen wir unser e Welten k reieren, Bedeutsamkeit zu. Jedoch g ibt es einen r esidualen Individualismus noch fest intakt im Konstruktivismus. Die gemeinsamen Aktivität en, in w elchen sich Personen engagieren, sind bedeutsam, insofern sie die Quelle für kog nitive Veränderungen und/oder Stabilität lief ern. (…) I m Kontr ast dazu g ibt S ozial-Konstruktion insgesamt den Begriff eines orig inären Individuums auf. Anstatt Individuen und ihr e kog nitiven Struktur en als Startplatz für ir gendein Verständnis menschlichen Austauschs anzusetzen, schlägt Sozial-Konstruktion vor, dass wir Bez ogenheit (relatedness) – das heißt, was Leute zusammen in einem interaktiven Moment tun – untersuchen und jeglichen Sinn v on I ndividualität, int ernalen Konstrukt en oder Überzeugungen als aus diesen Formen von Bezogenheit auftauchend verstehen.
Diese K omplementarität, die eine en tsprechende Komplementarität in den Sich tweisen dess en, was als Probl em ange sehen we rden s oll, b efördert, e rlebe ich a ls Thera peut a ls w eitende O ption. Sie
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eröffnet mir die Möglichkeit, Geschichten und Erzählungen meiner K lienten wahl weise a us einer Perspektive indi vidueller K onstruktion vs. einer Perspektive do minanter N arration eines s ozialen Netzwerks zu verstehen und dementsprechend verflüssigend anzugehen. Mit dem Terminus »verflüssigen« w erden hier B emühungen im t herapeutischen Diskurs bezeichnet, einschränkende, entmutigende und p athologisierende G eschichten und Bedeutungszuschreibungen in ihrem Absolutheitsanspruch und ihr er Allein gültigkeit in F rage zu stellen und mögliche alternative Sichtweisen in Betracht zu ziehen. G ergens vier zen trale Merkmale, die er f ür Thera pie un ter der P erspektive eines sozialen Konstruktionismus formuliert hat, lassen sich a uch f ür eine k ognitive Perspektive disk utieren. Dies in sbesondere deshalb , w eil er s elbst die Möglichkeiten v on V erbindungen dies er An sätze wertschätzend hervorhebt (Gergen 2002, S. 294). Schwerpunkt auf Bedeutungen ka nn b ei einem k ognitiven V erhaltenstherapeuten wie M eichenbaum z. B. heißen, das s er die j e individuellen Geschichten der Klienten nicht nur sorgfältig entfalten lässt, s ondern dabei hilf t, sich b ewusst zu w erden, wie K lienten die mi t dies en G eschichten v erbundenen Wirklichkeiten erschaffen. Dabei hilft zu erkennen, welche Konsequenzen das f ür ihr L eben hat, und dass es nicht die eine wirkliche Wirklichkeit gibt, sondern viele mögliche Erzählungen, die mehr oder we niger e rmutigende u nd hof fnungsvolle B egleitgefühle erzeug en (M eichenbaum, 1996). B ei einem s ozialkonstruktivistischen Thera peuten wie z. B. N eimeyer wir d hin gegen die sic h en tfaltende Geschichte v or dem H intergrund der K ultur o der Subkultur des B etreffenden gehört und hin sichtlich ihrer I nkohärenz erzeug enden o der un terdrückenden Wirkung geprüft (Neimeyer & Raskin, 2000). Es werden gä ngige S kripte und Disk urse hin sichtlich ihrer den Möglichkeitsraum einengenden Funktion betrachtet und den K lienten angeboten, hoffnungsvollere Lebensgeschichten zu entwerfen. In b eiden An sätzen wir d s o a uch s chon deu tlich, was es bedeutet, Therapie als Co-Konstruktion zu v erwirklichen. B eide V ertreter b egreifen sich nicht mehr als Exp erten f ür zielsic here L ösungen von Problemen, sondern vielmehr als Exp erten für nützliche und hilf reiche S prachangebote, w elche zu er mächtigenden und er mutigenden G eschich-
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apitel 7 · Narrative Ansätze: Nützliche Geschichten als Quelle für Hoffnung und K raft
ten und Erzähl ungen f ühren s ollen. S ie b egreifen sich gewissermaßen als »story-dealer« (vgl. Kaimer, 2003). Und es liegt auf der Hand, dass sie das nur in enger Kooperation mit ihren Klienten tun können. Es liegt a ber a uch a uf der H and, dass un ter diesen Vorgaben Thera pie f olgerichtig un ter dem Schwerpunkt auf Beziehungen gesehen wird. Die sich entwickelnden Geschichten und Erzähl ungen formen sich ja einer seits Stück f ür Stück im R ahmen der t herapeutischen B eziehung und sie m üssen sich andererseits im k ommunalen Diskurs des sozialen Netzwerks bewähren, müssen dort überleben können, anschlussfähig werden. Als vier ten Punk t na nnte G ergen die Wertesensibilität einer Thera pie un ter der P erspektive sozialer Konstruktion. B eide Perspektiven, individuelle Konstruktion ebenso wie dominante Narrationen eines s ozialen N etzwerks, w erfen et hische Fragen auf, die eine mög lichst große Transparenz im Rahmen der Thera pie hinsichtlich der im plizit und explizit vertretenen Werte wünschenswert erscheinen lassen. Eine dr itte Spielart halte ich deswegen f ür äußerst reizvoll, weil sich beide Komplementaritäten gewissermaßen in ihren theoretischen Grundlagen vorfinden lassen und dort ein akzeptiertes Nebeneinander eingegangen sind. Es handelt sich um die klinische Hypnosetherapie. Zu ihren theoretischen Erklärungsansätzen g ehört einer seits die N eodissoziationstheorie von Hilgard (Revenstorf & Peter, 2001), welche eine kognitive Theorie ist und dementsprechend auf die individuelle Verarbeitung von Konstruktionen dies er Welt f okussiert. Es g ehört andererseits a ber a uch die Theo rie der s ozialen Rolleninvolviertheit sensu Barber, Sarbin oder Spanos (s. P eter, K raiker & Re venstorf, 1991, Re venstorf & P eter, 2001) dazu , w elche die B edeutung des s ozialen Kontextes der j eweiligen Therapie in den V ordergrund des h ypnotherapeutischen G eschehens und der Arb eit mit Trance rückt. Nimmt man hier die gä ngige Annahme dazu , dass Trance und S uggestion All tagsphänomene sind und dass Menschen, welche Therapie aufsuchen, sich bereits in einer Art »Problemtrance« befinden, dann ist der Schritt zu einem s ozialkonstruktionistischen Verständnis der W irklichkeitserzeugung nic ht mehr weit. Denn der Kontext, in dem die Problemtrance induziert wur de, en tspricht dem s ozialen, k om-
munalen Disk urs, der mi t s einem B edeutungssog manchmal g eradezu »v erhext« (wie es W ittgenstein generell als Potenzialität von Sprache konstatierte, Wittgenstein, 1971). D er soziale Kontext, in dem da nn L ösungstrance en twickelt w erden s oll, kann wiederum nur auf der B asis kommunal und damit k ulturell v ermittelter M uster des »h ypnotischen« Sich-in-Beziehung-Setzens zwischen Klient und Thera peut wirk en. U nd das gil t a uch da nn, wenn dies n ur unter der V oraussetzung indi vidueller S uggestibilität bzw . H ypnotisierbarkeit v on Individuen bewirkt werden kann – die andere, kognitiv-konstruktivistische – Seite der Medaille. 7.6 F
olgende Therapiesitzungen I
Herr G ruber k ommt i n d ie n ächste Th erapiesitzung u nd sc hildert ei ne ga nze M enge vo n Di ngen, die ihm in Bearbeitung der Therapie-Empfehlungen zufriedenstellend a ufgefallen s ind. E r sc hildert s ie im K ontrast zu f rüheren E inschränkungen – was auch i mmer w ieder zu Kla gen ü ber Pr obleme der Gegenwart führt. Die E rzählungen folgen eine zeitlang vergangenen Erfolgen, spüren seinen Ideen über aktuelle Lösungsschritte nach. Wir versuchen ein gemeinsames E xperiment, indem w ir eine Art Utopie entwerfen: das Le ben vo n H errn G ruber n achdem ein Wunder pas siert sei, we lches das Pr oblem, das ihn in Therapie gebracht habe, gelöst habe. Für eine gewisse Zeit ist es möglich, Herrn Gruber bei d ieser positiven Vision zu halten und er entfaltet sie in unterschiedlichsten L ebensbereichen. D arüber h inaus konkretisiert er s ie und schildert sie sogar aus dem Blickwinkel anderer Personen. Nach ei ner Weile t ritt da nn bei H errn G ruber wieder das a ktuelle Leid i n den Vordergrund – das Unverständnis, was da m it ih m ges chehe, was der Grund für diese Problematik sei. Gemeinsam versuchen wir, diesem »Grund«, der ihm ein großes Anliegen und auch Teil seiner persönlichen Lösung ist, auf die Spur zu k ommen. Ich biete ihm das f unktionale Modell von Kanfer et al. (2004) a ls eine Ordnungsstruktur für unsere Suche an. Die Einbettung seiner Problematik in au slösende un d auf rechterhaltende Bedingungen is t f ür ih n p lausibel u nd en tspricht wohl auch seiner Art zu denken. Er nutzt jedoch das angebotene M odell a uf ei ne s ehr id iosynkratische
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7.7 · Gemeindepsychologische Perspektive
Art und Weise. Die f unktionale Analyse, die ich als Grundlage für die Finanzierung durch die Krankenkasse der Th erapie erstelle, und seine neu sich entwickelnde Geschichte von auslösenden Bedingungen, die t eils m it sei ner Kindheit, t eils m it E rfahrungen in sei nem so zialen U mfeld so wie m it persö nlichen Gewohnheiten zu tun haben, unterscheiden sich dabei er heblich. M an k önnte e twas s pitzfindig da von sprechen, d ass im Gr unde g enommen s ogar dr ei verschiedene G eschichten m iteinander i nteragieren: Meine Ge schichte w ird d urch d ie Ra hmenvorgaben seitens des S elbstmanagementmodells s owie noch komplexitätsreduzierender sei tens der V orgaben durch das G utachtersystem der K rankenkassen zu r formalen A nalyse. H errn Gr ubers G eschichte, w elche e benfalls a ls M odell betr achtet wer den kö nnte, bleibt f ormal r elativ u ngebunden u nd f lexibel u nd ähnelt (wollte man es zu F ormalisierungsversuchen in Be ziehung se tzen) am ehesten einem Systemmodell sensu S chiepek & K aimer (1996). D iese beiden Geschichten tr eten im th erapeutischen D iskurs im mer wieder zueinander in Beziehung und es entsteht so et was D rittes, a n dem w ir beide u nseren A nteil haben. Es en tsteht eine Ge schichte, ein Sprachspiel, das u ns miteinander verb indet, welches u ns i mmer wieder di e Su che n ach A nschlussfähigkeit a bnötigt, uns Gefühle des Verstehens ebenso wie des Missverstehens beschert und gleichzeitig auf der Basis kulturell vorgegebener Muster gespielt werden will. Jede in dividuell e rzeugte G eschichte i st w iederum nützlich für den je be stimmten kommunalen Diskurs, indem sie eingebracht wird. Meine formale Analyse stellt eine Bezugnahme zu anerkannten Modellen psychischer Not und Möglichkeiten ihrer Bearbeitung her und erlaubt eine relativ rationale Rechtfertigung d em Gutach ter g egenüber, d ass h ier e ine Konstellation vo n mens chlichem L eid vo rliegt, d ie plausibel t herapeutisch a ngegangen wer den k ann. Sie s tellt i nsofern n ur ei ne m ögliche A nalyse u nd damit E rzählweise u nter m ehreren m öglichen da r, als auch gänzlich andere Fallkonzeptionen denkbar sind (vgl. Cas par, 1996). H err G rubers Ge schichte wird zumindest in den Be ziehungen mit den A ngehörigen seiner Familie und den Kollegen am Arbeitsplatz Wirkung entfalten. In der Therapie gewinnt er jedenfalls a uf d iese Art u nd Weise zu nehmend das Gefühl, s ich se lbst be sser ei nordnen u nd vers tehen zu können, was ihm wiederum Ansatzpunkte für Lö-
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sungsschritte liefert. Diese er wartet er s ich teils von mir u nd den p sychotherapeutischen A nsätzen, d ie ich ver trete, er wa ndelt s ie je doch i nteressiert n ach seinen eigenen Bedürfnissen und gemäß seiner persönlichen Ä nderungstheorie a b. D asselbe g ilt a uch für andere Anregungen, die er s ich w ünscht – z. B. Bücher. Er liest die empfohlene Literatur gerne und relativ zü gig. E r wä hlt a us, was ih m s timmig u nd passend scheint für seine aktuelle Situation. Die s ich en twickelnden u nd en tfaltenden Geschichten f inden of fensichtlich au ch Eing ang in s einen A lltag. E r ber ichtet i mmer w ieder vo n Gesprächen m it sei ner F rau, m it A rbeitskollegen, m it befreundeten Personen, wobei Teilstücke der i n der Sitzung en tstandenen G eschichten s ichtbar wer den. Darüber h inaus ber ichtet er vo n V eränderungen, die s ich i n sei ner a lltäglichen Le benspraxis er geben. N atürlich – d ie Ge schichten h aben F olgen i m Handeln. U nd das E rzählen u nd H andeln er fährt Rückmeldung i n sei nem k ommunalen F eld u nd e s entscheidet s ich so , was le bbar is t u nd was n icht. Daraus e ntwickelt si ch au ch e in g anz in dividuelles Muster von Beschleunigung und Verlangsamung von Veränderungen bezogen auf die therapeutischen Ziele. D azu ge hören e benfalls w ieder Ge schichten und Erzählungen, die diese Prozesse begründen, von ihnen ablenken, in ihnen ermutigen und herausfordern. Auch die Änderung der t herapeutischen Ziele findet in di esem R ahmen d es N euerzählens un d Umerzählens immer wieder statt – m anchmal ganz subtil, manchmal dramatisch. 7.7 G
emeindepsychologische Perspektive
Schon lange, b evor das N arrative im R ahmen der therapeutischen G emeinde zum (p ost)modernen Begriff wurde, beschäftigten sich gemeindepsychologische Theoretiker und P raktiker mit der g estaltenden K raft v on G eschichten im R ahmen v on Empowermentprozessen (Stark, 1992, 1996). Mit Em powerment ist die , a us der K ritik expertendominierter P räventionsprogramme er wachsene, S tärkung der s alutogenen Ress ourcen von Menschen gemeint. Konkret sollen Menschen dabei un terstützt w erden, M öglichkeiten zu f inden o der auszubauen, die ihnen ein Op timum an
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apitel 7 · Narrative Ansätze: Nützliche Geschichten als Quelle für Hoffnung und K raft
Kontrolle üb er das eig ene L eben (zur ück)geben (Rappaport, 1985; Keupp, 1998; Stark, 1996). Dabei soll besonders sensibel ein Gleichgewicht zwischen Anerkennung vorhandener Stärken und Bereitstellung von Hilfestellungen durch psychosoziale Helfer gefunden werden. Die G rundlagen f ür s olche a nzustrebenden Prozesse liegen: ▬ in einem Wechsel des S chwerpunkts von einer Defizit- o der Pathologieperspektive hin zu einer Ressourcen- oder Kompetenzperspektive; ▬ In einer Änder ung der Sich t der E xperten – st att Exp erten-Lösungen g eht es um eine Unterstützung selbstbestimmter und s elbstverantworteter Lösungen; ▬ In einer Üb erwindung v on »D emoralisation« und Er möglichung der Er fahrung v on S elbstwirksamkeit; ▬ Im An stoßen v on Ein gebundenheit in s oziale Netzwerke und die N utzung der da mit v erknüpften Ressourcen (Netzwerkförderung). Solche Empowermentprozesse können sowohl auf der indi viduellen Eb ene, der Eb ene der unmi ttelbaren sozialen Netzwerke, wie auch auf struktureller, s ozialpolitischer Eb ene a ngeregt w erden und wirken. In diesem Zusammenhang sind folgende Zitate aufschlussreich und p rogrammatisch f ür ein psychosoziales Handeln unter einer gemeindepsychologischen Perspektive: Zentrales M edium für die Gestaltbarkeit des eigenen Lebens, die Ent deckung sozialer Ressourcen und die F örderung von S elbstorganisation sind Erzählungen und Geschichten … (Stark 1996, S. 47) Die in den Geschicht en angelegt en Prozesse der S elbstthematisierung und auch S elbstmythologisierung sind w esentliche S chubkräfte für Empo wermentprozesse. Sie machen das Veränderungspotential dieser P rozesse aus , schaffen Einheit, Identität und Kraft. Es sind die Geschichten, und nicht die Ergebnisse, die den Aufforderungscharakter besitz en selbst aktiv zu werden, die eigene Geschichte zu beginnen und weiterzuerzählen. (Stark 1996, S. 49)
Das B esondere einer G eschichtenperspektive, wie sie a us g emeindepsychologischem D enken kommt, is t ihr e eminen t p olitische Dimen sion. Diese zeigt sic h im a nalytischen H erangehen a n die jeweiligen Geschichten und die dort gefundene und her gestellte V erbindung zwis chen p ersönlichen S chicksalen und g esellschaftlichen P rozessen eb enso, wie in den er frischend a nregenden, Mut machenden und unmi ttelbar a ktivierenden Anteilen v on indi viduellen G eschichten. Gleich Reaktionen in chemischen Prozessen neigen diese Anteile dazu, Verbindungen mit den Erzählungen und G eschichten a nderer b eteiligter Z uhörender einzugehen (Stark, 1992). Diese er mutigenden, s elbstbemächtigenden Aspekte in g emeindepsychologischen Geschichten stammen un ter a nderem a uch a us den a uf eine wünschenswerte Zukunft gerichteten Erzählanstößen (hier s ehr ähnlich lösungsfokussierten Ansätzen – s u.) Denn Empowermentgeschichten gehen über die B eschreibung der V ergangenheit – i hre Erfolge und Niederlagen – hinaus und richten sich regelmäßig a uf »Handlungs- und Phantasieanr e-
gungen für eine (mit) zu gestalt ende Z ukunft«
(Stark 1992, S. 41). Am beeindruckendsten scheint mir dies er r essourcenorientierte An satz bzw . die Ressourcen-Schöpfung in den Erzähl werkstätten beobachtbar zu s ein, in denen indi viduelle Empowermentprozesse parallel zu kommunal bezogenen erfahrbar werden (vgl. Stark, 1992, 1996). Mehrere Veranstaltungen der letzt en J ahre mi t S tudierenden im F achbereich K linische Psychologie a n der Universität Bamberg sowie eine Diplomarbeit über eine Erzähl werkstatt mi t einer S elbsthilfegruppe »Verwaiste E ltern« (B erger & B ornschlegel, 1996) konnten dies eindrucksvoll demonstrieren. 7.8 F
olgende Therapiesitzungen II
Immer w ieder f indet e ine R ückbesinnung a uf da s von Herrn Gruber geschilderte »Wunder« statt. D. h. immer w ieder vers uche ic h, gemei nsam m it ih m herauszufinden, inwieweit er eine persönliche Vision für sein zukünftiges Leben hat, wie diese ausschaut, welches di e Asp ekte di eser G eschichte sin d, di e i hm besonders ers trebenswert sc heinen. I mmer w ieder bitte ich ihn, einzuschätzen, wie viel er bereit ist, für
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7.8 · Folgende Therapiesitzungen II
einzelne A spekte d ieser V ision zu t un. W ie zu versichtlich er ist, dies mit den gemeinsam er-/gefundenen Mitteln erreichen zu können. Und immer wieder beschäftigen w ir u ns m it Z eiten vo r der Th erapie oder zwischen den Sitzungen: Wo ein kleines Stückchen des Wunders bereits stattgefunden hat. Wir versuchen h erauszufinden, i nwieweit er d ies a ls u nter seiner Kontrolle stehend erlebte oder als Zufall. Dies ist so wohl f ür H errn G ruber w ie m ich m anchmal eine ä ußerst a nstrengende K onkretisierungsarbeit, wenn es darum geht, das Wann? Wo? Wie? Von wem beobachtet? i n der S itzung ge sprächsweise s ichtbar und über die Kraft der Vorstellung auch erlebbar zu machen. All d ies vers uchen w ir a ls Pr ozess a nschaulich zu m achen – m it S kalen, m it der M etapher ei nes Prozesses, einer persönlichen Entwicklung, in der er sich be findet. Wir n utzen the rapeutische K onzepte, mit denen er sich bibliotherapeutisch bereits auseinandergesetzt h at, und se tzen diese in Be ziehung zu seiner Ä nderungstheorie. A uch g reifen w ir i mmer wieder das a uf, was er i n kritischen Situationen zu sich s elbst s agt, überprüfen gemeinsam w ie zielführend, nützlich und – aufgrund seiner Wahrnehmung – zutreffend das Gesagte ist. Von Zeit zu Zeit fordert er auch mein Wissen, meine Erfahrung, meine Sichtweise ein. Herr Gruber erhält am Ende einer jeden Sitzung eine kompakte Rückmeldung, welche anerkennende, wertschätzende, m anchmal f ür ih n a nregende u nd überraschende Ele mente e nthält. D ie R ückmeldung soll sei ne S ichtweise ö ffnen h insichtlich m öglicher anderer Geschichten, wenn er sich allzu festgelegt auf eine mögliche Geschichte sieht. Sie soll ihm Distanz ermöglichen, wenn die von ihm erzählten Geschichten eher einengenden, pathologisierenden Charakter haben. S ie so ll ih n be stätigen h insichtlich sei ner Ressourcen u nd S tärken m ittels r espektvoller K omplimente. Dies soll unter anderem seine Geschichten schlüssig und in si ch stim mig mache n. Si e s oll ih m außerdem p lausible S chritte f ür den wei teren E ntwicklungsprozess empfehlen, die meist bereits in der Sitzung gemeinsam geplant wurden. Zwischen den S itzungen sc hicke ic h ih m ge legentlich ei nen B rief, wen n ic h ih m ei ne h ilfreiche Idee anbieten möchte. Auch er schickt mir Nachrichten, um von Entwicklungserfahrungen – F ortschritten und Misserfolgen – zu berichten.
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Besondere Be deutung h aben a uch Be schreibungen, die Herr Gruber mir hinsichtlich der Reaktionen seiner Umwelt erzählt. Dabei können das genauso gut erwartete o der pha ntasierte z ukünftige R eaktionen und B eobachtungen sig nifikanter M itglieder s eines sozialen N etzwerks sei n w ie t atsächlich be obachtete in der Gegenwart. Die persönliche Entwicklung durch die Brille der w ichtigsten Sozialpartner ressourcenfokussiert z u s ehen, e röffnet ih m i mmer w ieder ne ue Perspektiven. Aber immer wieder lehnt er auch Angebote, anders oder neu zu sehen ab. Immer wieder einmal signalisiert er m ir, dass er a n einem bestimmten Punkt, h insichtlich ei ner bes timmten P erspektivrichtung nicht folgen mag, diese vorgeschlagene Sichtweise nicht einnehmen möchte. Je nach Einschätzung folge ich ihm oder h ole mir d ie E rlaubnis, ihn respektvoll mit »meiner« Sichtweise zu konfrontieren. Zentrale Phasen und Elemente des Therapieprozesses ▬ Erarbeiten einer persönlichen Vision als »Leitstern« der Therapie
▬ Einschätzung der Bereitschaft für Schritte in die Richtung der Vision etwas zu tun
▬ Aufgreifen und Würdigen von spontanen
▬ ▬ ▬
▬ ▬
oder willkürlichen Schritten in die richtige Richtung, egal ob sie vor Beginn der Therapie, zwischen den Sitzungen, unsystematisch oder zufällig auftreten Neugieriges Konkretisieren der Änderungstheorie der Klienten und Herausarbeiten von Folgerungen für den Änderungsprozess Empfehlungen erarbeiten, die gegebenenfalls eine Falsifikation der Änderungstheorie erlauben Rückmeldungen geben, die sowohl Wertschätzung und Heraushebung und Konkretisierung vorhandener Ressourcen betonen als auch in der jeweiligen Sitzung erarbeitete Schritte im Sinne einer Empfehlung beinhalten Aufgreifen dieser geplanten Schritte sowie der Reaktionen der sozialen Umwelt darauf zu Beginn einer jeden Sitzung Visualisieren der jeweiligen Zielannäherung mittels individuell zugeschnittener Skalen
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7.9 P
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apitel 7 · Narrative Ansätze: Nützliche Geschichten als Quelle für Hoffnung und K raft
sychotherapietechnische Basis
Der Ausgangspunkt na rrativ-sozialkonstruktivistischer Ansätze ist Sprache. Sprache als Aktivität, die na türlich ein gebettet ist in einen g estischmimischen K ontext. Und v or allem in einen s ozialen Kontext eingebettet ist, in dem jema nd zu jemandem unter bestimmten Bedingungen etwas sagt. In diesem Kontext entsteht dann die Bedeutung des G esagten d urch einen b estimmten G ebrauch. Narrativ-sozialkonstruktivistische An sätze haben a us der Er fahrung im U mgang mi t S prache und – aller dings etwas spä ter – a us t heoretischen Überlegungen Sprachfiguren beschrieben, die helfen sollen, der sp eziellen Funktionalität einengender, p athologisierender, st igmatisierender, do minierender und demo ralisierender G eschichten zu begegnen. Eine Fülle s olcher S prachfiguren f ür na rrative Spielarten einer k ognitiven (V erhaltens)Therapie beschreibt Scholz, 2002 z. B.: ▬ den An satz v on D onald M eichenbaum, der viele Ähnlichkeiten mit den w eiter unten skizzierten P rinzipien na rrativer Thera pie v on White und Epston (1990) hat, ▬ den An satz v on N eimeyer, der k ognitive und sozialkonstruktionistische P erspektiven zu integrieren sucht, ▬ den An satz v on G oncalves a ls viel leicht radikalster s ozialkonstruktivistischer I nterpretation k ognitiver Thera pie und s eine eig enen Weiterentwicklungen R ational Emo tiver Therapie (Machado & Goncalves, 1999). Ich will die Beschreibung narrativer Sprachfiguren im S inne v on Disk ursangeboten a n die K lienten auf ein paa r B eispiele b eschränken, die ic h s elbst alltäglich in meinen Thera pien n utze. W eitere Beispiele sind in der a ngegebenen L iteratur zu finden. Um dies e An gebote ga nz gr ob zu c harakterisieren, ist es stimmig, die V orgehensweisen un ter die Üb erschriften eines erkundenden, bef ragenden Interviewstils einer seits und eines respektvoll an bietenden, zu r V erfügung s tellenden E rzähl- oder Interventionsstils andererseits zu versammeln.
Sprachfigur: Erkundender, befragender Interviewstil ▬ Einladungsfr agen ▬ W under- bzw. Zielklärungsfragen ▬ Fragen nach Fluktuationen ▬ Sk alenfragen ▬ Bewältigungsfr agen Zu dem erk undenden, b efragenden I nterviewstil gehören Einladungsfragen, Wunder- bzw. Z ielklärungsfragen, F ragen nac h Fl uktuationen, S kalenfragen und B ewältigungsfragen, wie sie in den Publikationen des lösun gsfokussierten An satzes beschrieben w orden sind (vg l. de J ong & B erg, 1998; de S hazer, 1992; de S hazer, 1996). I ch ha be diese Diskursangebote an anderer Stelle etwas ausführlicher b eschrieben (K aimer, 2005) und will mich deshalb beschränken auf: ▬ Einladungsfragen kreisen darum, die Klienten dabei zu un terstützen Anlass, Anlieg en, A uftrag und K ontrakt S tück f ür S tück s orgfältig herauszuarbeiten und da bei vorschnelles Festlegen aufgrund eines wie auch immer gearteten »klinischen Blicks« von Helferseite zu v ermeiden (eine vorzügliche Darstellung dieser Arbeit bietet Loth, 1998; 2005). ▬ Wunder- b zw. Zielk lärungsfragen r egen a n, den S uchraum f ür eine wün schenswerte Z ukunft zu ö ffnen, indem dem eig enen S ehnen mittels anregenden Visionen Platz gegeben wird. Die sich entfaltende Vision wird in einem nächsten Schritt so konkretisiert, dass kleine, realisierbare, wünschenswerte, körperlich aktivierende Zielschritte entstehen (Bamberger, 2005). ▬ Fragen nach F luktuationen v ersuchen, P roblemstabilität zu dek onstruieren und die A ufmerksamkeit auf das A uftreten s owie die R ahmenbedingungen von minimalen Zielzuständen zu fokussieren. Sie unterstellen, dass es s owohl vor Beginn der Therapie als auch zwischen den Therapiesitzungen signif ikante Er fahrungen gibt, die mögliche Schritte in Richtung der akribisch beschriebenen Vision bahnen können. ▬ Skalenfragen eröffnen die M öglichkeit, sic h selbst prozessual hin a uf eine wün schenswerte Zukunft zu erzählen. S ie g eben dies em viel-
7.9 · Psychotherapietechnische Basis
leicht ma nchmal vag en P rozess Or ientierung und S truktur, s odass die erzähl te G eschichte kohärenter und stimmiger wird. ▬ Bewältigungsfragen helf en, in Z eiten der Stagnation und dr ohender D emoralisation einerseits g laubwürdig hin sichtlich der ak tuellen S timmungslage der K lienten zu b leiben (»joining«), a ndererseits denno ch v orhandene Aktivität und Bewältigung zu würdigen, sodass dies (gerade noch) annehmbar und sehbar ist. Sprachfigur: Respektvoll anbietender, Ressourcen zur Verfügung stellender Erzähl- oder Interventionsstil ▬ Ex ternalisieren (Dekonstruktion dominanter Erzählungen)
▬ Rück meldungen anbieten (Vervollständigen inkohärenter und Öffnen geschlossener Erzählungen
Zu dem r espektvoll a nbietenden, Ress ourcen zur Verfügung stel lenden Erzä hl- o der I nterventionsstil g ehören z. B. Werkzeuge, wie v on W hite und Epston, 1990 (vg l. auch Sluzki, 1996) b eschrieben. Die Grundideen, die die B egründer der narrativen Therapie v erfolgen, sind dr eigeteilt: D ominante Erzählungen sollen dekonstruiert, inkohärente Erzählungen vervollständigt und geschlossene Erzählungen geöffnet werden. Um nun »eigene« Erzählungen zu en twickeln, Stimmigkeiten und gu te Gestalten im Erzählen zu erzeugen und Möglichkeiten im Erzählen zu eröffnen, wird erst einmal das Problem »externalisiert«. Dies wird als spielerisches Angebot formuliert, um pathologisierenden G eschichten im Sinne eines medizinischen K rankheitsmodells eine Al ternativoption en tgegenzustellen. Externalisieren heißt, dass üb er das p räsentierte P roblem in einer v ergegenständlichten und g leichzeitig a ußerhalb des Klienten lokalisierten Form gesprochen wird. Dies geht oft natürlich nur schrittweise, da sich Klienten im Laufe eines Prozesses der Selbst- und Fremddiagnose indi viduell pa thologisiert ha ben o der v on Professionellen dahingehend festgeschrieben wurden. S chrittweise ka nn a lso er st einma l z. B. v on einem zwa nghaften Teil, dem a ndere ga nz a nders
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gestimmte Teile gegenüberstehen, gesprochen werden. Wenn sich eine s olche Art, die G eschichte zu erzählen als a nschlussfähig er wiesen hat und eine Weile im G ebrauch war, kann ein w eiter gehendes Angebot g emacht w erden. D er zwa nghafte T eil wird viel leicht a ls C hor einer g riechischen Tragödie b eschrieben (P app, 1989), der v ersucht, den Klienten zu bestimmten Handlungen zu bringen. Das V ervollständigen ink ohärenter Erzähl ungen und Öf fnen g eschlossener Erzähl ungen ka nn mithilfe zweier Angebote realisiert werden: Da ist zum einen die R ückmeldung von wertschätzenden, reflektierenden Sichtweisen von weiteren b eobachtenden P ersonen wä hrend o der a m Schluss einer jeden Therapiesitzung. Diese R ückmeldung währ end der S itzung wurde durch die Arbeiten des norwegischen Psychiaters Andersen und s ein Konzept des »Ref lecting Team« entwickelt (Andersen, 1990, s. a. Hargens & Schlippe 2002). Ziel ist es, angemessen ungewöhnliche I deen o der S ichtweisen üb er w ertschätzend geäußerte P erspektiven, G edanken o der F ragen der helf enden P ersonen (im I dealfall ein T eam von mehr eren Personen) a nzubieten, w elche dem oder den B etroffenen einen An stoß zur er neuten Selbstkonstruktion g eben. V on Thera peutenseite ist g efordert, in dies em P rozess zus ätzlich zu s einen Beiträgen im »äußeren Dialog« mit den Klienten auch nützliche und fruchtbare Teile des parallel ablaufenden »inneren« Dialogs zu v eröffentlichen. Damit wir d a ngestrebt, er stens K ooperation im Sinne ema nzipatorischer B estrebungen zu b efördern, und zw eitens v on den Er wartungen einer konvergenten we gzukommen h in z u d ivergenten Lösungsmöglichkeiten. Dies wir d im Falle der Arbeit mi t einem T eam f olgendermaßen r ealisiert: Während z. B. das T eam die Thera pie üb er einen Einwegspiegel beobachtet und zuhö rt, reflektieren nach einem a ngemessenen Z eitraum die T eammitglieder üb er das G ehörte währ end n un die Familie, das Paar oder die Einzelperson beobachtet und zuhört. D ann wechselt der Thera peut wieder »die S eiten« und sp richt üb er das G ehörte und Gesehene mi t den K lienten. I m w ohl hä ufigeren Fall der Arb eit o hne T eam b ietet der Thera peut zu einem g eeigneten Z eitpunkt a n, dem K lienten eigene Ideen, S ichtweisen o der ausgelöste B efindlichkeiten im S inne der S timmen eines »inner en
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apitel 7 · Narrative Ansätze: Nützliche Geschichten als Quelle für Hoffnung und K raft
Teams« mi tzuteilen. (B eispiel: »Während ein T eil in mir S ie b edingungslos er mutigen mö chte, den als no twenig erka nnten S chritt st ärkerer Risik en zu g ehen, stimm t ein a nderer T eil a uch dies er Tendenz zu mehr Vorsicht und einer eher gemächlicheren Gangart – nach dem Motto Eile mit Weile – zu.«). Rückmeldungen am Ende der S itzung wurden z. B. von dem Team des Brief Family Therapy Center in den USA (D e Jong & B erg, 1998; De Shazer, 1992; De Shazer, 1996, vg l. auch Bamberger, 2005, Kaimer, 2005) en twickelt. H ier g eht es da rum, die K ohärenz v on G eschichten einer seits d urch angemessene B estätigung des g eschilderten L eids andererseits d urch w ertschätzendes H erausheben bestehender S tärken o der Q ualitäten a ber a uch anregender Sichtweisen des Teams zu f ördern. Ergänzend werden bei entsprechendem Auftrag auch die Em pfehlung v on L ösungsschritten, die meis t in der S itzung s elbst entwickelt wurden o der sic h logisch aus den entstandenen Geschichten ableiten lassen, angeboten. Eine zw eite M öglichkeit b esteht in der V ermittlung v on I deen, Ref lexionen o der w eiteren Perspektiven mi ttels B riefen, E-M ails o der S MS. Für Briefe haben das W hite und E pston, 1990 gu t nachvollziehbar b eschrieben. D er V orteil dies es Vorgehens b esteht in der b esseren U nterstützung des Klienten, die innerhalb der S itzung entwickelten G eschichten in s einen All tag zu üb ertragen und gleichzeitig umgekehrt Informationen darüber zu erhalten, welche Geschichten und Erzähl ungen alltagstauglich sind. Zu dem r espektvoll a nbietenden, Ress ourcen zur Verfügung st ellenden Erzähl- o der Interventionsstil gehört für mich aber auch, mein Wissen und meine Er fahrung mit dem P ool an Möglichkeiten b ewältigungsorientierter V erfahren s owie klärungsorientierter Vorgehensweisen anzubieten – s ofern das g ewünscht wird und die V oraussetzungen stimmen. D azu gehört für mich, dass die lösungsfokussierten O ptionen a usgeschöpft sind und meine Lösungsangebote die eigenen Ressourcen der K lienten nic ht un tergraben o der b ehindern. In diesem ganzen Prozess muss die jeweilige Expertenschaft g esichert b leiben: der K lient ist Experte f ür s ein L eben und letzt lich f ür die L ösung s einer P robleme; ic h als Thera peut b in Ex-
perte f ür die B egleitung eines s olchen P rozesses, für das Angebot von Fragen, die Co-Konstruktion befreiender, M ut machender , H andlungs-Optionen er öffnender o der zumindest B ewältigung sichernder G eschichten. An dies er S telle s ei a uf Hargens und s ein b eharrliches P lädoyer f ür eine Sichtweise der »K undigkeit« v on K lienten v erwiesen. Die Bet onung liegt darauf , die unt erschiedlichen Bereiche der K undigkeit – hier die F achlichkeit der TherapeutIn, dor t die Kompet enz für das eigene L eben – ausdrück lich zu würdigen, zu r espektieren, anzuerkennen und zu nutzen. (Hargens 2005, S. 15.)
Auch b ei der psy chotherapietechnischen B asis möchte ich die Möglichkeiten einer ressourcenorientierten Hypnosetherapie (vgl. B ongartz & B ongartz, 2000; O’Hanlon & Martin, 1992) erwähnen. Dies um so mehr , w eil in der Ein schätzung der Durchschnittsbevölkerung und a uch b ei s o ma nchen Professionellen das Bild der Hypnosetherapie nach wie v or v on Vorstellungen der mac htvollen Beeinflussung d urch einen exter nen Thera peuten charakterisiert ist. Grundsätzlich beginnt auch hier das Z ur-Verfügung-Stellen nach Er reichen der oben geschilderten Voraussetzungen. Eine ressourcenorientierte H ypnosetherapie s cheint mir (wenigstens) zw ei Vorteile zu b ieten: Z um einen fällt K lienten, die mi t dies em An satz gu t a rbeiten k önnen, in T rance der Z ugang zu emo tionalen An teilen g eschilderter G eschichten und der Ausdruck ders elben leich t (erleb te K ohärenz der Geschichten). Zum anderen eröffnet das Spiel mit Möglichkeiten un ter den R ahmenbedingungen des hypnotischen Rituals einen beachtlichen Variationsraum (z. B. An stoßen inner er S uchprozesse mit Hilfe von Metaphern oder Bildern – vgl. Bongartz & Bongartz, 2000; Revenstorf & Peter, 2001). Entscheidend f ür eine B ewertung dies es An satzes als s ozialkonstruktivistische Arb eitsweise ist auch hier wieder die Ar t der Vermittlung (Trance als na türliche F ähigkeit v on M enschen, N utzung der eigenen Vorstellungskraft durch den K lienten selbst …). En tscheidend ist a ber auch die Ar t der angebotenen B eziehung (als B egleiter bei eigenen Entwicklungsprozessen, der An stöße gib t (s äen) und das, was sic h als a nschlussfähig und n ützlich
7.11 · Gesellschafts- und geschichtenkritische Anmerkungen
erweist (A ufgehen der Saa t), w eiter g emeinsam mit den Klienten verfolgt) sowie die Art, wie mögliche N utzungswege v orgeschlagen und v erfolgt werden. 7.10
Zeit zwischen den Therapiesitzungen
Die E rwartungen vo n Kl ienten h insichtlich ih rer Psychotherapie werden mei st durch die in den M edien p raktizierte F okussierung a uf das, was i n der Therapiesitzung geschieht und was die Therapeuten tun, gep rägt (Du ncan & M iller, 2000). U nd s ie wird meist auch dahingehend geprägt, dass sich die Gespräche um das i m Alltag vorzufindende Leid zu drehen hätten und die Therapeuten daraufhin eine Intervention vorschlagen – eine deutliche Anlehnung an das den m eisten M enschen n ur a llzu ver traute medizinische M odell der K rankheit. H err G ruber hatte ja gen au das ber eits im Rahmen seiner ersten Behandlung mit M edikamenten e rlebt. I rgendwie war ih m sc hon k lar, das s d ies bei ei ner p sychologischen Th erapie a nders sei n m üsse, a ber er wa r unsicher und gleichzeitig neugierig. Diese Offenheit machte e s m öglich, d ie ge schilderten E rwartungen, die a uch H errn G ruber zu mindest va ge lei teten, einer Über prüfung zu u nterziehen. N ach ei n pa ar Sitzungen k onnte das Ge schehen zw ischen den S itzungen, das, was er a ls Klient in und außerhalb der Sitzungen tat, was es an Leid ebenso wie an Stärken und (zumindest teilweisen) Erfolgen in seinem Alltag gab, gen auso i n den F okus u nserer Ge spräche gerückt werden. Es konnten natürliche Fluktuationen, das alltägliche Auf und Ab herausgearbeitet werden. Und w ir k onnten gem einsam en tscheiden, o b w ir den immer wieder kehrenden »Aufs« und ihren Bedingungen m ehr Aufmerksamkeit s chenken w ollten oder den »Abs«. Am Ende einer jeden Sitzung erhielt Herr Gruber regelmäßig eine Rückmeldung, die die zentralen Punkte der je weiligen S tunde betr af (A nerkennung von Leid, Komplimente bezüglich erreichter Schritte oder Einsichten, aber auch bezüglich zutage getretener S tärken u nd Be sonderheiten, so wie wer tschätzende Ref lexionen des Teams im Sinne Andersens), und er er hielt eine oder m ehrere Empfehlungen f ür die Zeit bis zur nächsten Sitzung. Relativ bald wurde klar, dass es günstig sein könnte, auch zwischen den
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Sitzungen Möglichkeiten f ür gegenseitige Mitteilungen zu er öffnen. Wir ei nigten u ns a uf ge legentliche E-Mails. Diese wurden im Sinne der sich im Rahmen der Th erapiesitzungen en twickelnden Ge schichten von Bewältigung, Zuversicht, Hoffnung und Erweiterung von Perspektiven genutzt. Am Be ginn je der S itzung s tand d ie F rage danach, was er i n der Z wischenzeit nutzbringend f ür sich ver folgen ko nnte. D . h. was er a us der je weils letzten S itzung f ür s ich n utzen k onnte e benso, was er a llein gef unden u nd a usprobiert h atte. Welchen Unterschied das für ihn persönlich mache. Wir konkretisierten di ese Er fahrungen hin sichtlich s eines sozialen F eldes (gew issermaßen a us ei ner po tenziellen B eobachterperspektive: Wer konnte wann was genau wa hrnehmen u nd h at w ie da rauf r eagiert? ). Hatte s ich n ichts oder wen ig geä ndert, vers uchten wir, sorgfältig Fluktuationen herauszuarbeiten, wobei der F okus der A ufmerksamkeit w iederum a uf die Aufschwünge gerichtet wurde, und wir versuchten h erauszuarbeiten, we lche E rfahrung m it d ieser Phase verbunden war. Anschließend bem ühten w ir u ns da rum, d iese Fundstücke in die bereits erzählten Geschichten hineinzuweben, einzubauen, auf Stimmigkeit zu überprüfen, zu er weitern … u nd n ächste S chritte zu besprechen. 7.11
Gesellschafts- und geschichtenkritische Anmerkungen – Grenzen des narrativen Möglichkeitsraums
Vertreter na rrativer An sätze g eraten in ihr er B egeisterung für das Erzählen und Neu-Erzählen von Geschichten als Quelle f ür H offnung und K raft leicht in einen men talen Bann, den K eupp Gesellschaftsvergessenheit genannt hat (Keupp, 2002). Diese Gesellschaftsvergessenheit verstellt den Blick darauf und v erhindert die Ref lexion der T atsache, dass der diagnostizier te V erlust der gr oßen Metaerzählungen nich t L eere hin terließ, s ondern eine F ülle v on Er satznarrationen her vorgebracht hat. A uch f ür P sychotherapie sind s olche Ers atznarrationen im S inne von »Identitätserzählungen, die den S ubjekten Plä tze und Op tionsräume f ür ihre Selbstverortung anbieten« (S. 561), benennbar. Und Thera peutinnen k önnten g ewissermaßen als
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apitel 7 · Narrative Ansätze: Nützliche Geschichten als Quelle für Hoffnung und K raft
»story dealer« gesehen werden, wenn sie denn eine Bewusstheit für diese Perspektive hätten. Keupp benennt fünf Typen von Identitätserzählungen, wie sie f ür psychotherapeutisch-psychosoziale Konzeptionen gegenwärtig auffindbar sind:
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Der »proteische Typus« sieht in der Erosion moderner L ebensgehäuse die g roße Chanc e für den Einzelnen, sich flexibel, kreativ, geschmeidig und mobil in immer neuen Gestalt en verwirklichen zu können. Er vertritt einen neoliberalen Freiheitsmythos. Der »fundamentalistische T ypus« lehnt all das ab, was vom ersten Typus als »Freiheitsgewinn« des Subjekts verbucht wird und verspricht die unverrückbaren Behausungen, in denen man sein gesicher tes Identitätsfundament finden könne. H ier wird in Gestalt des Angebots v on »unverrückbaren Ordnungen« ein Skript geboten, das sich jeder hist orisch-kulturellen Reflexion entzieht. Der »reflexiv-kommunitäre Typus«, für den der gegenwärtig wirksame I ndividualisierungsschub und Ent wurzelungs-Prozess Anlass für die Suche und F örderung v on posttr aditionalen Ligatur en darst ellt, in denen M enschen sich selbstbestimmt v ernetzen und darüber kollektive Handlungs- und Gestaltungsr essourcen schaffen. Der »Typus S elbstsorge«, der sich den heimlichen F esseln der allgegen wärtigen »P astoralmächte« entzieht und in Empo werment-Prozessen Eigensinn und S elbstbemächtigung zu entwickeln versucht. Der »Typus ‚beschädigtes Leben’«, der im Gegensatz zu den anderen vier auf positive Veränderungsmöglichkeiten setz enden Typen auf der provokativen Gegenposition beharr t: »Es g ibt kein richtiges Leben im falschen«. (Keupp 2000, S. 569)
Dieser B lick a uf v orzufindende L ebensskripte, in die wir un sere p ersönlichen Erzähl ungen zumindest t eilweise immer ein schreiben, er öffnet un s zumindest zwei wichtige Optionen: Erstens sollte un s da mit mög lich s ein, un s selbst kr itisch zu hin terfragen, w elcher L ieblingsnarration wir als Therapeuten anhängen. Zu reflek-
tieren, bei welchen Skriptangeboten wir un s selbst in un serer A us- und W eiterbildung b edient und sie in un seren Identitätsbausatz als psy chosozialer Helfer eingebaut haben. Und es sollte uns möglich sein, un s in kr itischer Dist anz b ei un serer Arb eit als »story de aler« zu b eobachten und dies e Tatsache im Sinne der oben benannten Wertesensibilität zu veröffentlichen. Zweitens könnte uns gerade die fünfte Identitätserzählung den Blick für etwas offen halten, was sich im Disk urs des S ozialen K onstruktivismus, der D ekonstruktion v on T exten, der W irklichkeitserzeugung via S prache leich t zu v ernebeln scheint: die Verhältnisse. In vielen therapeutischen Konzeptionen gab es Strömungen, die sich zumindest eine Z eit lang den B lick f ür gesellschaftliche Verhältnisse o ffen hiel ten. K ritische P sychoanalytiker b efassten sich mi t H errschaftsstrukturen und vielfäl tigen F ormen v on U nterdrückung. Gemeindepsychologische V erhaltenstherapeuten unterschieden sorgfältig hinsichtlich der Z ielrichtungen von psy chosozialen Aktivitäten zwis chen »Änderung des V erhaltens« vs. »Änder ung der Verhältnisse«. Und a uch lösun gsorientierte P raktiker em pfahlen, g enau hin sichtlich »fac ts« und »meaning« zu un terscheiden. N ur L etzteres s ei therapeutisch »v erhandelbar«, w ohingegen es b ei den »facts« um k onkrete Aktionen zur Änder ung der Verhältnisse g ehe. Unter g egebenen s ozialen, finanziellen, j uristischen, p olitischen R ahmenbedingungen f inden »N ützliche G eschichten als Quelle v on K raft und H offnung« a uch G renzen. Bewältigungsoptimismus m uss in allen E hren gehalten w erden, do ch nic ht gr enzenlos und zu Lasten der B etroffenen. W ir P sychotherapeuten, die wir gerade erst unsere staatliche Anerkennung erhalten ha ben und a us vielfäl tigen G ründen natürlich daran interessiert sind, uns als ho cheffektive P raktiker da rzustellen, k önnten die Cha nce unseres entstandenen Prestiges auch im Sinne der fünften Erzählung nutzen. Wir könnten z. B. über unsere S tandesvertretungen a uch immer wieder verlautbaren lass en, dass »N ützliche G eschichten als Q uelle von Kraft und H offnung« einer g ewissen gesellschaftlichen Basis bedürfen, und dass wir uns keineswegs dazu missb rauchen lassen wollen, gesellschaftliche Widersprüche mittels narrativem Palliativ abzupuffern.
7.12 · Auf dem Weg sein
Und da ist no ch etwas: B ei all meiner F aszination für Sozialen Konstruktivismus und der da mit einhergehenden P erspektive der W irklichkeit a ls diskurserschaffendes sprachliches Phänomen, gibt es do ch no ch ein w eiteres nach haltig korrigierendes, persönliches Unbehagen. Wenn ic h dies em U nbehagen nac hgehe, fäll t mir die Unterscheidung von Stern zwischen Wortwissen und W eltwissen in der En twicklung des Menschen ein (S tern, 2003). I ch erinnere mich an meine Res onanz a uf s eine D arstellung der Z weischneidigkeit des Spracherwerbs, welche eine Spaltung im Erleb en des S elbst erzwin ge und da mit die G efahr der En tfremdung in sic h b erge. I ch erinnere a uch die unmi ttelbare, fast s chon k örperliche Z ustimmung zu s einer D arstellung, dass manche Erlebensweisen – in sbesondere des K ernSelbst – unverbalisiert bleiben und seiner Meinung nach eine namenlose, aber nichtsdestoweniger sehr wirksame Existenz führen. Mir fä llt aber auch meine L ektüre von D uden (2002) ein, die mic h für die Janusgesichtigkeit von Fortschrittlichkeit s ensibilisiert ha t, wenn nä mlich sp rachlich ver mittelte Wahrnehmungsmuster zu einer A uflösung der s elbstbestimmt g efühlten Körperlichkeit im p ostmodernen Disk urs f ühren. Duden ka nn die Ar gumentation b ezüglich des Wandels weiblicher Erfahrung in Schwangerschaft, Geburt, K rankheit üb erzeugend mi t H ilfe ihr er Methode »diszi plinierter En tfremdung« f ühren. Sie v ergleicht die b arocken P atientinnengeschichten hin sichtlich der g enannten Phä nomene mi t heutigen Erfahrungen und Praktiken und gewinnt daraus eine sowohl fortschritts- wie auch geschichtenkritische P erspektive. Ähnlic hes wün schte ic h mir f ür Psychotherapie und da mit v erbunden die Option, die eigene Begeisterung für eine bestimmte Praxis na rrativer P sychotherapie (o der viel leicht Psychotherapie insgesamt) immer wieder auch distanziert und kritisch hinterfragen zu können. 7.12
Auf dem Weg sein
Die Therapie mit Herrn Gruber dauert noch an. Die Sitzungen sind nun etwas seltener geworden, weil er nach ers ten k leinen E rfolgen e twas m ehr Zei t zw ischen den Sitzungen haben wollte, um neue Schritte
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auszuprobieren. Offensichtlich ist er s ich noch nicht so ga nz s icher, w ie wei t er t atsächlich ge hen w ill und kann. Er persönlich ist ganz zufrieden mit dem Erreichten. S eine Umwelt, w ichtige Personen s eines sozialen N etzwerkes se hen wei teren Ä nderungsbedarf u nd das »d rückt« n un w iederum ih n. Die se Personen se hen se hr w ohl F ortschritte, w ünschen sich jedoch eine weitere Normalisierung. Er s cheint abzuwägen: A ufwand u nd er wartbaren E ffekt. Die gemeinsam a usgeloteten Ge schichten k reisen n un nicht m ehr nur um s ein aug enblickliches K ontrollund S icherungsverhalten, so ndern t asten s uchend hin zu sei ner Gef ühlswelt, zu V erbindungen bestimmter Gef ühle m it B iografischem. D a s pürt er vage, das s ih m m ulmig w ird, das s Ge schichten zu r Sprache k ommen k önnten, die er g ut ver packt und weggesteckt hat. Ich frage einfach, gebe ihm Zeit für innere S uchprozesse – u nd w iderstehe der V ersuchung, allzu konkrete eigene Ideen oder Modelle, die mir gelegentlich durch den Kopf gehen, ohne Auftrag anzubieten. I ch bem ühe m ich, das H ypothetische eigener Ideen, wenn ich sie denn einmal formuliert habe, he rauszustreichen. H err G ruber s oll da mit »spielen«, soll sie sorgfältig für sich prüfen und dann entscheiden, w ie weiter damit zu ver fahren sei. Ob sie f ür den S uch- u nd Lö sungsprozess n ützlich wären, oder o b s ie be sser ver worfen wer den so llten. Nach den ersten, relativ schnellen Verbesserungen ist dies nun ein langsamerer Prozess, und der A usgang ist u ngewiss. I m Vordergrund s teht, d ie er reichten Verbesserungen zu halten. Und so werden diese auch immer w ieder Be standteil de s Ge sprächs, be halten ihren Platz in den erzählten Geschichten. Vielleicht w ird d ieses Ausloten noc h ei ne Weile dauern, v ielleicht w ird es H errn G ruber mög lich sein, sei ne Ge schichten u m em otionale Elem ente anzureichern und sein Erleben hier zu intensivieren – auch wenn dies schmerzhaft sein könnte. Vielleicht gelingt es ihm, alte Bewältigungsmuster durch neue »erwachsene« Lö sungen zu mindest t eilweise zu er setzen. Vielleicht been det er a ber d ie Th erapie i n ei n paar Sitzungen und beschließt, dass es vorerst einmal genug s ei. D ann g ibt e s j a n och d as Folgegespräch« in einem halben Jahr, und die Gelegenheit, sich neu zu entscheiden. Grundlegend scheint mir, dass Herr Gruber das Wissen und Gefühl behält, dass er – wie auch immer – auf seinem We g i st.
100 K
apitel 7 · Narrative Ansätze: Nützliche Geschichten als Quelle für Hoffnung und K raft
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Über das gemeinsame (Be-)Finden: von Ressourcen, Lösungen und Wohl-Befinden Therapieziel »Wohlbefinden« in der systemischen (Familien-)Therapie Elke Zwingmann 8.1
Wohlbefinden in der systemischen (Familien-)Therapie
8.2
Vom »Ich« zum »Wir« – 104
8.3
Vom Unwohl-»Sein« zum Wohl-Befinden
8.4
Von Problemen, Wünschen und Aufträgen
8.5 St
örmanöver der Therapeuten Literatur –
115
– 113
– 109 – 111
– 104
104 K
8.1
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apitel 8 · Über das gemeinsame (Be -)Finden: von Ressourcen, Lösungen und Wohl-Befinden
Wohlbefinden in der systemischen (Familien-)Therapie
Welche Ro lle sp ielt »Wohlbefinden« als Thera pieziel in der syst emischen (F amilien-)Therapie und wie wir d es er reicht? U m die Ro lle des Themas Wohlbefinden hier zu v erorten, ist es zunäc hst wichtig, zen trale En twicklungsstränge innerhalb der systemischen Therapie zu kennen, denn sie sind maßgeblich f ür eine tradi tionelle Ein bettung des Themas innerha lb dies es Thera pieverfahrens. I m Folgenden w erde ic h neb en dies en En twicklungssträngen zeig en, dass W ohlbefinden nic ht n ur f ür Therapiekunden ein zentrales Anliegen ist, sondern auch für Therapeuten eine handlungsleitende Strategie zur L ösung von problematischen Verhaltensund Erlebensweisen darstellt. Veranschaulicht wird dieser G edanke a nhand der Erlä uterung s pezifischer Vorgehensweisen innerhalb der systemischen (Familien-)Therapie und a usgewählter B eispiele aus der Arb eit mit K lienten bzw. Kunden. Es w erden V orgehensweisen der systemis chen Thera pie erläutert, die a uf Ress ourcenorientierung und L ösungssuche beruhen, und versuchen, Wohlbefinden nicht n ur als Thera pieziel zu er reichen, s ondern dies bereits als Mittel zur Veränderung einsetzen. 8.2
Vom »Ich« zum »Wir«
Die B edeutung fa miliärer B eziehungen v on P atienten hinsichtlich ihrer Symptomatik wird seit den späten 40-er J ahren untersucht und s eit den 50-er und 60-er J ahren in der psy chotherapeutischen Behandlung b erücksichtigt1. Ander s als etwa in der Psychoanalyse oder der Gesprächstherapie gibt es in der F amilientherapie nich t einen g enialen Begründer. Vielmehr gibt es in der G eschichte der systemischen (F amilien-)Therapie viele En twickler, D enker und exp erimentierfreudige P raktiker,
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Satir begann 1951 in die Behandlung einer schiz ophrenen jungen Frau zunächst der en Mutter und spät er auch den Vater mit einzubeziehen. Damit bew egte sie sich im damaligen Behandlungsverständnis am Rande eines »Kunstfehlers«. So et wa die I ntimität der Über tragungsbeziehung z wischen Klient und Therapeut, die Vermeidung realer Kontakte zu Angehörigen der Klienten (vgl. Levold & Martens-Schmid, 1999).
die die bis dahin gültigen Grundlagen der vorwiegend ana lytisch ge prägten P sychotherapie i nfrage stellten2. Theoretischer Wandel: Wesentliche Punkte ▬ zirkuläre Kausalitäten und Wechselwirkungen ▬ S elbststeuerung und Kooperation ▬ Ressourcen- und Lösungsorientierung ▬ w eniger ist mehr Zirkuläre Kausalitäten und Wechselwirkungen Von einem mec hanistisch a usgerichteten Weltbild mit linearen Vorstellungen über Ursachen und Wirkungen v ollzieht sic h der W andel hin zu einem konstruktivistischen Verständnis von Wirklichkeit, dem Anna hmen zu zirk ulären und f luktuierenden Kausalitäten u nd ge genseitigen B eeinflussungen zugrunde lieg en. D as mec hanistisch, ob jektivistische Paradigma beschäftigt sich mit der Analyse der Ursachen v on P roblemen und suc ht, dies e d urch die B eseitigung der U rsachen zu lös en3. M it der Nutzung v on syst emtheoretischem G edankengut für das psy chotherapeutische B ehandlungssetting verändert sic h dies e F rage. N icht die En tstehung der P robleme ist f ür ihr e A uflösung in teressant, sondern vielmehr die F rage nac h A ufrechterhaltung, Sinnhaftigkeit und Mustern von symptomatischem Verhalten. Problematische Muster betrachtet man vor dem Hintergrund wechselnder Interpunktionen der B eteiligten. Dies führte zu einer Abkehr von der V ergangenheit, der k eine en tscheidende Rolle b ei En tstehung und A ufrechterhaltung dieser M uster zug eschrieben wir d. D amit st ellt sic h für die syst emische Familientherapie nun vielmehr
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Das »Dur charbeiten« sch wieriger K indheitsereignisse sei hier als k lassisches Beispiel der tief enpsychologisch orientierten P sychotherapie auf geführt. Da Vergangenheit (z. B. Kindheit) nicht wirklich verändert werden kann, wird ihre kognitive und affektive Bewertung verändert. Hingegen würde die psy chiatrische Tradition v on chemischen Ungleichge wichten und körperlichen P rädispositionen als Ursache für psychische Krankheit ausgehen und daher v orwiegend Medikamentierung zur Beseitigung chemischer Ungleichge wichte einsetzen.
8.2 · Vom »Ich« zum »Wir«
die Aufgabe zur I rritation und V erstörung problematischer M uster, um den B etroffenen da bei zu unterstützen, s elbst neue M uster zu en twickeln. Therapeutenkompetenz ist hier neb en einer p rozessorientierten B eobachtungsgabe und T oleranz gegenüber un terschiedlichen W irklichkeitsvorstellungen, v or allem K reativität, die zum Ref raming (Umdeutung problematischen Verhaltens), zur Ressourcenorientierung und zum Finden ir ritierender Vorschläge für Verhaltensexperimente notwendig.
Selbststeuerung und Kooperation Von einem d urch die I dee der Ob jektivität b eschriebenen E xpertenmodell en twickelt sich die Therapietheorie hin zu einem d urch S elbststeuerung k omplexer S ysteme b eschriebenen K ooperationsmodell (S chiepek, 1999). D amit wir d der »Patient« (der L eidende) zum »K unden« (der f ür sich K undige4), der g leichberechtigt und g leichwertig s einen En twicklungsprozess st euert. Dies e schlicht anmutende Konsequenz hat es in sich. Ein Therapiekunde muss sich keineswegs so verhalten, wie ein Thera peut es f ür psy chohygienisch a ngemessen hält. Einen Therapiekunden tatsächlich als Kunden zu b etrachten f ührt u . a. dazu , dass das Phänomen des Widerstands verschwindet (Zwingmann & Schwertl, 1998). Ein langsamer Kunde hat vermutlich ein anderes Timing als sein Therapeut, ein sic h eig en-sinnig en twickelnder M ensch ha t lediglich eine a ndere V orstellung üb er s eine Z ukunft, als der Thera peut dies ha ben mag, und ein verharrender Kunde fühlt sich möglicherweise von seinem Thera peuten zu s ehr b edrängt o der unter Veränderungs-Druck gesetzt. L etztlich bleiben Formen ge- oder misslungener Kooperation. Diese jedoch ist nic ht typischer Ausdruck eines s peziellen Symptoms, s ondern vielmehr ein H inweis auf notwendige K orrekturen im Thera pieverlauf b zw. im Therapeutenverhalten. Auch die Konzeption des Therapieauftrags und der Thera pieziele wur de hier neu g edacht, bzw .
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Ludewig (1992) v erweist hier auf die althochdeutschen Wortstämme »kund« (gewusst, gek annt) und »kundo« (Einheimischer) und akz entuiert A utonomie und M itwirkung: »Der Kunde weiß, was ihm f ehlt, was er will und v or allem, was ihm hilft« (S 195).
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er- und g efunden. D as G enerieren eines Therapieauftrags hängt nicht mehr v om Vorhandensein von stö rungsspezifischen Thera pieprogrammen ab. Auch gilt es nic ht, die M otivation des K unden zu stärken. Ein M ensch, eine F amilie, die a us welchen Gründen auch immer, die Schwelle einer psychotherapeutischen P raxis üb ertritt, ist mo tiviert. Es liegt a m Thera peuten, hera uszufinden und zu verhandeln, wozu dies e Menschen motiviert sind. De Shazer (1995) und Berg (2006) haben es in vielen Jahren Arbeit mit Suchtthematiken meisterlich entwickelt, v orhandene M otivationen zu n utzen. Hierzu zählen a uch Thera piezugänge, die d urch Druck, Z wang und A uflagen (z. B. Thera pie st att Strafe, Therapie statt Kindesentzug, Therapie oder Trennung) zus tande k ommen. S ystemische (F amilien-)Therapeuten wiss en, dass es d urchaus ein ausreichender und guter Grund sein kann, »einem Anderen zulieb e« in die Thera pie zu g ehen, und dass die V ermeidung nega tiver K onsequenzen als nutzbringende V oraussetzung a bsolut a usreichen kann. N otwendige K ompetenz v on Thera peuten dieses S ettings ist es als o, v erschiedene K ooperationsangebote mac hen zu k önnen und t olerant sowie f lexibel in der B egegnung mi t un terschiedlichen K unden-Wirklichkeiten zu s ein. H ierfür wiederum ist eine V oraussetzung, dass Thera peuten v on einem W eltbild a usgehen, das a nerkennt, wie sehr Wirklichkeiten verhandelbar und variabel sind. D amit v ersteht sic h die syst emische (F amilien-)Therapie als ein Prozess zur C o-Konstruktion neuer, a nderer und a ngenehmerer fa miliärer Wirklichkeit und angenehmeren Erlebensformen.
Ressourcen- und Lösungsorientierung Die system theoretischen G rundlagen zu Rek ursivität und D ynamik s ozialer S ysteme f ührten wie bereits er wähnt zu P erspektivenwechsel hin sichtlich der H altung den F amilien und ihr en P roblemen g egenüber. Die K onzepte zur A utonomie, Autopoiesis und zur S elbststeuerung dynamischer Systeme f ührten zu K undenorientierung und der Orientierung a n ihr en Wünschen. Die k ommunikationstheoretischen Erkenntnisse der Gruppe um Watzlawick (1969; 1974; 1989) und die Arb eiten von Cio mpi (1982;1997), a ber a uch die Arb eiten zahlreicher a nderer A utoren (vg l. v . S chlippe & Schweitzer, 1997) f ührten s eit den spä ten 70-er
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apitel 8 · Über das gemeinsame (Be -)Finden: von Ressourcen, Lösungen und Wohl-Befinden
Jahren zu einer A bwendung der k lassischen P roblemorientierung hin zu einer Orientierung an den Ressourcen der F amilien, der Einzelnen und des sozialen K ontexts. Die k lassische P sychotherapie wird a uch heu te no ch zu s ehr p roblemorientiert gelehrt. L ediglich in den B ereichen G esundheitspsychologie und P rävention ist s eit Badura (1981) die Nutzung von Ressourcen ein relevantes Thema. Badura (1981) p lädierte f ür eine A bkehr v on der Belastungsforschung und f ührte in den deu tschsprachigen S ozialwissenschaften den B egriff der Ressource ein. S ehr f rühzeitig ha ben syst emische (Familien-)Therapeuten sich von Pathogenese zur Salutogenese orientiert und vielfäl tige Vorgehensweisen en twickelt, die fa miliäre, indi viduelle und soziale Ress ourcen a nalysieren und n utzen. Dies e Vorgehensweisen dienen nic ht etwa der L eugnung von Leiden, sondern sind hier a ls Mittel zur Aufweichung v on P roblemtrancen im S inne der oben er wähnten C o-Konstruktion n ützlicher und angenehmer fa miliärer M uster des Erleb ens und Handelns zu s ehen. D amit erläutert sich auch der Begriff der »Ressource«. Ressource Unter diesem Begriff subsumiere ich alle Fähigkeiten, Erinnerungen, Erfahrungen und Hoffnungen, die sich auf die Erlangung eines gewünschten Zieles richten und dabei hilfreich sein können. Hierbei kann es sich sowohl um interne Ressourcen wie individuelle Merkmale und Fähigkeiten handeln als auch um ex terne Ressourcen im Sinne von Zuneigung, Hilfsbereitschaft und Kooperation anderer Menschen.
Weniger ist mehr Eine zunächst letzte K onsequenz der t heoretischen und p raktischen En twicklung innerha lb der syst emischen (F amilien-)Therapie b ezieht sic h a uf das Behandlungssetting. Im medizinischen Denkmodell findet eine Be-Handlung des Problems während der Therapie d urch einen E xperten st att. Ein ka riöser Zahn wird zum Dentisten getragen, dort vom Karies befreit, mi t K unststoff neu g efüllt und als g eheilt (oder gelindert) nach Hause geschickt. Dies ist natürlich eine gr obe Vereinfachung, die hier ledig lich
veranschaulichen s oll, dass es sic h b ei P roblemen des Verhaltens und Erlebens um andere Dynamiken und P rozesse ha ndelt, a uf die sic h das medizinische D enken nic ht wirk lich üb ertragen lässt. J eder Psychotherapeut – unabhängig von seiner therapietheoretischen A usrichtung – w eiß, dass üb er den Erfolg einer Thera pie nic ht im Thera pieraum s ondern dra ußen, im r ealen L eben en tschieden wir d. Nur Vorschläge und Erkenntnisse, die man aus den Therapiesitzungen mitnimmt, erinnert, erprobt und umsetzt, sind t auglich f ür die g ewünschte V eränderung. D er Rest wir d v on den Thera piekunden vergessen, uminterpretiert, verworfen. Die eig entlichen Therapiesitzungen stellen also den Kontext zur Verfügung, in dem Therapeuten den Versuch unternehmen, durch das N adelöhr »Wahrnehmung« der Kunden zu k ommen. Das Mittel hierfür ist ein b egrenzt wirksames: Kommunikation. Diese therapeutische K ommunikation v ersucht, a m Thera piekunden a nzuschließen und hilf reich f ür Veränderung sein zu d ürfen. Hierbei ist es no twendig, dass dies e Kommunikation ausreichend an der Logik des Kunden a nkoppelt, um f ür ihn v ertrauenswürdig und vertraut zu s ein. Gleichzei tig m uss dies e K ommunikation a usreichend un gewöhnlich s ein, um den Kunden zu neuen Erleb nissen, B ewertungen und Erfahrungen zu v erhelfen. Demnach muss sie a uch verstörend und ir ritierend s ein, um H erausforderungen und Chancen darzustellen bzw. zu eröffnen. Während der Thera piesitzung k ommt es als o zu I rritationen im S inne neuer I deen, al ternativer Erklärungen, un gewöhnlicher V orschläge, neuem Informationsaustausch der B eteiligten. D as t herapeutische S etting ist Anr eger, nic ht U msetzer. In der sys temischen (Familien-)Therapie hat dies e Sichtweise dazu g eführt, viel Z eit für den T ransfer zwischen den S itzungen zu lass en. F ür psy chische Störungen gilt die medizinis che Idee »bei viel S törung braucht man viel Medikament« ebenso wenig wie »b ei la ng a ndauernder S törung da uert a uch die B ehandlung lang«, ebenso wenig wie »f ür eine spezifische Störung gibt es eine spezifische Behandlung«. Es f inden w enige S itzungen st att, die sic h jedoch üb er einen lä ngeren Z eitraum er strecken: Mit durchschnittlich 1,4 S itzungen pro Monat und zumeist unter 10, selten über 20 Therapiesitzungen beschreibt Schiepek (1999) die syst emische (Familien-)Therapie als »lange Kurzzeittherapie« (S. 106).
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8.2 · Vom »Ich« zum »Wir«
Durch die I nterventionen innerhalb der S itzungen werden Veränderungen angeregt, die systemspezifische Anpassungen erfordern. Diese benötigen Zeit in der Eig endynamik des K undensystems. Z uviel Therapie, als o zu viele S itzungen innerhalb k urzer Zeit, ka nn sic h nac hteilig a uswirken. Thera pie als Kommunikationskontext b edeutet, viel mi teinander zu sprechen und im Dialog zu sein. Wenn zuviel und zu hä ufig miteinander g esprochen wird, können zentrale und passende Ideen in einer Sprachflut untergehen. Dies e b enötigen jedo ch Z eit f ür den experimentellen Transfer in das L eben der Therapiekunden. D aher sind F amilientherapeuten s parsam mit Terminen und ihrer zeitlichen Sparsamkeit steht ein ho her A ufwand in der G estaltung des Kommunikationssettings ge genüber: Wann i mmer möglich, a rbeiten syst emische (F amilien-)Therapeuten im Z weier-Team. Dies ist sicherlich nich t durchgängig möglich – weder in der Praxis noch in der ö ffentlich f inanzierten B eratungsstelle. I n der Regel wir d a uch heu te no ch mi t dem Z wei-Kammern-System gearbeitet, wobei die Therapiesitzung der A bfolge »I nterview-Pause-Kommentar« f olgt. Hierbei verfolgt zumeist der zw eite Therapeut den Interview-Abschnitt hin ter einer Ein wegscheibe und era rbeitet in F orm eines b rainstormartigen kollegialen Feedbacks während der P ause mit dem interviewführenden K ollegen die K ommentare, Feedbacks und V orschläge f ür die F amilie o der das Paar. Auch wenn man als einzelner Thera peut mit Familien (also ohne zweiten Kollegen) arbeitet, empfiehlt sich die Pause kurz vor Abschluss der Sitzung oder in Momenten, in denen die Verwicklungen des Therapeuten in die Sprach- und Denkmuster der F amilien zu g roß w erden. Die P ause dien t sowohl der Konzentration bzw. Refokussierung des Therapeuten, als a uch der Era rbeitung n ützlicher Kommentare und V orschläge. J ede S itzung wir d hypothesengeleitet v or- und nac hbereitet, hä ufig werden t herapeutische B riefe a n die K unden g eschrieben (White & Epstein, 1990) und mit »Reflecting«-Teams (Andersen, 1990) gearbeitet.5 Das t herapeutische S etting wir d f lexibel g estaltet, d. h. nicht in j eder Sitzung sind alle F amilienmitglieder zwa ngsweise a nwesend. Wer k ommen möchte, um en tweder hilfreich bei Lösungen mitzuhelfen o der um eig ene W ünsche mi t einzubringen, i st in d er T herapie willk ommen. D ies
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kann z. B. b edeuten, dass in der F amilientherapie eines mi t ADS-diagnostizier ten K indes f ür eine Sitzung die K lassenlehrerin hinzuk ommt. I n a nderen F ällen ka nn der üb erweisende P sychiater als C o-Therapeut die F amilientherapie hin ter der Einwegscheibe mitverfolgen. Die T echniken zur G estaltung des t herapeutischen Dialogs sind durchdacht und erfordern erhebliche Übung, auch wenn sie b ei er fahrenen Therapeuten leichtfüßig erscheinen mögen. Die Entwicklung s pezifischer T echniken zur Dialog gestaltung hängt eng mit der Tatsache zusammen, dass es einen erheblichen U nterschied mach t, ob man mi t ei ner Person in einem k lassischen einzel therapeutischen Setting arbeitet, oder ob ma n es im G espräch mit 2 bis 6 Personen zu tun hat. Hier muss der Therapeut ein zumeist k omplexeres Niveau handhaben. Während in der Individualtherapie die Wirklichkeitskonstruktion des Kunden thematisiert wird, hat man es bei einem Gespräch mit zwei bis drei Generationen zumeist mit divergierenden Wirklichkeitskonstruktionen der Einzelnen zu t un, die sich u. U. lautstark und emotional G ehör und Verständnis verschaffen und a lle g leichzeitig v om Thera peuten mi t ho her Neutralität (Allparteilichkeit) und Wohlwollen aufgenommen werden müssen. Die moderne systemische (Familien-)Therapie wählt als o ein q ualitativ unterschiedliches Herangehen an symptomatisches und leid volles Erleb en und Verhalten im Vergleich zur traditionellen Psychotherapie, die sic h vorwiegend mit dem I ndividuum beschäftigt. Das Leiden oder auch »verrücktes Verhalten« einer Person ist eingebettet in einen sozialen K ontext, w obei der fa miliäre (o der p artnerschaftliche) Lebenszusammenhang zumeist den wichtigsten B estandteil dies es s ozialen K ontexts ausmacht. W ährend die f rühe F amilientherapie durch die Ausdehnung des medizinischen Modells (nicht eine P erson ist kra nk, sondern die F amilie)
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Hierbei handelt es sich um Therapeutenteams von 3-5 fachlichen Profis, die in der Pause vor den Augen und Ohren des familiären K undensystems so wie dem int erviewführenden Therapeuten einen bestimmt en Regeln (Konstruktivität, Ressourcenorientierung, K reativität, Ideengenerierung) f olgenden Dialog mit einander führ en. Dabei wir d das K undensystem mit seinem Therapeuten zum »beobacht enden Lauscher« der Therapeutenbesprechung.
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apitel 8 · Über das gemeinsame (Be -)Finden: von Ressourcen, Lösungen und Wohl-Befinden
das Risiko hatte, zum Familienbeschuldigungskontext zu w erden, versucht die mo derne systemische (Familien-)Therapie familiäre Bindungen und Ressourcen f ür die V eränderung leid vollen Erleb ens und V erhaltens zu n utzen. A uch w enn fa miliäre Interaktionsmuster, die zumeis t aus Fürsorge oder Hilflosigkeit en tstehen, hä ufig zur A ufrechterhaltung sym ptomatischen V erhaltens und Erleb ens beitragen, so ist dies hier nicht im Sinne einer Verursachung zu v erstehen. S ymptome, L eiden und Probleme k önnen s owohl L ösungsversuche eines Konflikts sein als auch zufällig entstehen. Sind Probleme j edoch erst einma l in stalliert, s o g ruppiert sich ein fa miliäres bzw . s oziales S ystem da rum herum und p roblematische I nteraktionsmuster können en tstehen und c hronifizieren. Dur ch diesen An passungsprozess eines S ystems an einen ungelösten K onflikt o der a n ein p roblematisches Verhalten/Erleben g eht der eig ene Blick a uf v orhandene, systemimmanente und indi viduelle Ressourcen verloren. Mit der Entscheidung für Therapie, als o f ür Veränderung, b eginnt manchmal der Leid-Besitzer (P atient) und ma nchmal ein An gehöriger, F reund o der K ollege, der einen An stoß geben mö chte. S ymptomatisches V erhalten ei ner einzelnen P erson v erführt zu der Annahme , dass bei dies er Person das L eiden am g rößten s ei. Üblicherweise wird s odann die indi vidualtherapeutische Vorgehensweise gewählt. Jedoch ist häufig das Leiden unter einer Situation, einem Konflikt, einer ungelösten Aufgabe keineswegs hierarchisiert oder verteilt. N icht un bedingt ist der L eidensdruck eines drogenabhängigen Jugendlichen größer als der seiner E ltern. Nicht immer ist die Ein schränkung durch die S ymptome einer g eneralisierten An gst oder eines Alkoholmissbrauchs bei der Person, die diese S ymptome zeigt, gr ößer als b ei der P erson, die das L eben mit ihm o der ihr t eilt. Die leid vollen A uswirkungen der – ob erflächlich b etrachtet – indi viduellen S ymptomatiken, b etreffen hä ufig Angehörige, F reunde, K ollegen, L ehrer und a ndere. Ihre Ein beziehung in die Thera pie ist daher auch für sie s elbst von Vorteil, da sic h im Er folgsfalle auch ihr Leben verändert. Zugleich bietet die therapeutische Ein beziehung des fa miliären bzw . partnerschaftlichen S ystems f ür alle die M öglichkeit, sich s elbst zu en twickeln und g leichzeitig die Entwicklung des bzw. der Ander en mit zu erleb en
und somit ein gemeinsames Veränderungserlebnis miteinander zu teilen. In ca. 20% meiner d urchgeführten Therapien ging eine Einzeltherapie bei anderen Therapeuten voraus. S o etwa die g elungene Behandlung einer g eneralisierten An gststörung einer F rau. N ach jahr elangen An passungen des Partners a n die S ymptomatik s einer F rau, f ührte deren Er -Mut-igung zu massi ven P artnerschaftsproblemen. Dies en wieder um b egegnete die B etroffene mit Rückfällen in ihre Angstsymptomatik. Damit wird das neu era rbeitete Wohlbefinden des Einen zum Alptraum für den Anderen und umgekehrt. Einzel therapien v erführen die Thera peuten gelegentlich dazu , die V erursachung eines indi viduellen P roblems in den B eziehungen innerhalb einer P artnerschaft o der F amilie zu s ehen. D a ist z. B. der Therapeut, der einem Mann während seines Klinikaufenthaltes aufgrund einer H erzphobie dazu rät, sich von der E hefrau zu tr ennen, da ihr e eheliche B eziehung die U rsache seiner Ängste s ei. Der K lient v erliebt sic h no ch im K rankenhaus in eine a ndere F rau und die S ituation eskalier t. F ür den Einzel therapeuten wa r da mit der F all a bgeschlossen und als t herapeutischer Erfolg verbucht. Die S cherben las en wir a nderthalb J ahre sp äter in einer P aartherapie a uf. Dies e b eiden B eispiele mögen v erdeutlichen, wie wic htig es s ein ka nn, das B ezugssystem eines un ter psy chischen S ymptomen L eidenden mi t einzub eziehen. G elingende Einzeltherapien führen zu Veränderungen, die das soziale Netz oftmals nur sprunghaft mitbekommt, auf die es k einen Einf luss zu ha ben s cheint und die es a ls Verunsicherung erleb t. I n dies en F ällen kann es p assieren, dass die An gehörigen sogar die Veränderungen des Einzelnen ak tiv zu verhindern versuchen. Es kommt zu unnötigen Rückfällen, die den Status quo wie der her stellen. S o gesehen g ibt es neb en den ein gangs er wähnten, dr ei zen trale Gründe zur B ehandlung des fa miliären bzw. partnerschaftlichen Systems: 1. Freunde, Kollegen, Angehörige sind oftmals MitTragende des Leidens und haben daher ein eigenes Interesse an L inderung. Sie sind ho ch motiviert, zur Linderung von Leiden beizutragen. 2. Soziale, fa miliäre P artner sind nic ht n ur M itTragende von Leid, sondern bringen eigene Fähigkeiten, Ressourcen und Ideen in die Therapie mit. Eine V ielzahl v on I deen und S ichtweisen
8.3 · Vom Unwohl-»Sein« zum Wohl-Befinden
steigert die Chance, zu einer f ür alle passenden Lösung und Veränderung zu kommen. 3. Symptomatisches Verhalten ist in zumeist langfristige I nteraktionsmuster e ingebunden. E ine Veränderung des sym ptomatischen Verhaltens hat nicht nur Auswirkungen auf die familiären Interaktionsmuster s ondern b edarf a uch i hrer Kooperation, um st abil und o rganisch v erändert zu werden. Diese drei Faktoren sowie die Ress ourcenorientierung sind meines Erac htens der H auptgrund, warum systemische (Familien-)Therapie mit letztlich so wenig Stundenaufwand zu g leich guten Ergebnissen wie andere Therapien kommt6. 8.3 V
om Unwohl-»Sein« zum Wohl-Befinden
Unabhängig da von, ob ein L eiden s omatisch o der verhaltensbedingt ist, zeigt sich das subjektive Empfinden derer, die psy chotherapeutische Hilfe erwägen, als eines, das durch das Gefühl des Er-Leidens geprägt ist. K aum ein Thera piekunde k ommt und beschwert sich über das, was er tut: »Ich mache mir zu viele nega tive G edanken«, »I ch tr inke b is zur Besinnungslosigkeit«, »Ich lasse mich vom Geheimdienst abhören«, »Ich habe mich entschieden, meine Person als wertlos zu empfinden«, »Ich schlage meinen Mann«, »Ich wasche mir die H aut vom Leib«. Vielmehr ist die em pfundene Qualität des L eidens eine passive und ertragende. Ein Mensch, der leidet, leidet unter etwas, nicht »über« etwas. Er empfindet sich als schwächer, als das was er t ut. Diese sprachliche Distanzierung vom Symptom umfasst oftmals unbekannte Kräfte, die stärker als die Person erlebt werden: »Suchtdruck«, »Zwang«, »Es k ommt üb er mich«, »die K rankheit«. S prachlich ist das L eiden häufig nic ht n ur a n em pfundene P assivität b zw. Erleiden geknüpft, sondern auch an Qualitäten des Seins: »I ch b in dep ressiv«, »I ch b in Alk oholiker«, »Ich b in w ertlos«, »I ch b in ag gressiv«, »I ch b in zwanghaft«. Dies ist nic ht anders, wenn man Paare
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Für einen umfassenden Überblick zu Out come-Studien vgl. Schiepek (1999).
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oder Familien bzw. Mehrpersonensysteme in Therapie sieht. Im vorangegangenen Abschnitt war von der Verantwortung der Thera peuten f ür die En tstehung der s ozialen W irklichkeit innerhalb des Problemlösesettings »Thera pie« die Rede . W enn soziale Wirklichkeit durch Sprache ver- und ermittelt wir d, s o b edeutet dies, dass Thera peuten die Sprach- und Erleb ensgewohnheiten ihr er K unden nicht annehmen, s ondern i hnen eine A lternative anbieten. Diese Alternative ist insbesondere in den frühen Phasen der Psychotherapie ungewohnt und für einige daher auch unangenehm. Auf der Eb ene von Thera peutenverhalten b edeutet dies, zunehmend – bei laufender Prüfung der Akzeptanz durch den Kunden – v on En tscheidung und »T un« st att von »Erleiden« und »S ein« zu sp rechen. Z udem wird da bei die Ein bettung des p roblematischen Verhaltens in den s ozialen Kontext (Partnerschaft, Familie, Beruf) berücksichtigt. Diese Einbettung in den sozialen Kontext wird u. a. durch sog. zirkuläre Fragetechniken verdeutlicht. Beispiele für zirkuläre Fragen ▬ »Woran erkennt Ihre Frau, dass Sie in wenigen Minuten beginnen, sich zu betrinken?«
▬ »Wer in ihrer Familie leidet am meisten darunter, dass sie sich fürs Hungern entschie den haben?« ▬ »Wer merkt es nach Ihnen zuerst, dass Sie sich der Traurigkeit hingeben?« ▬ »Wie machen Sie das, so gar keine Freude zu empfinden?«
Diese Art der F ragen ist, wie er wähnt, ungewöhnlich. Daher ist es notwendig, sich immer wieder einer guten therapeutischen Beziehung zu versichern, um nicht Gegenwehr durch subjektiv empfundene Schuldzuschreibung zu p rovozieren. L eidvolles Verhalten und Erleb en al s ak tive H andlung und Entscheidung zu b enennen kann leicht als Abwertung und U nverständnis em pfunden w erden. Of tmals ist es bei dieser Vorgehensweise günstig, wenn der Therapeut seine Sprache erläutert (Beispiel »Ich gehe davon aus, dass Sie Ihr Problem lösen werden, daher spreche ich auch so, dass etwas in Ihnen die Kraft dafür hat, im Guten wie im L eidvollen.« »Ich
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apitel 8 · Über das gemeinsame (Be -)Finden: von Ressourcen, Lösungen und Wohl-Befinden
meine nicht, dass Sie selbst Schuld haben, ich meine nur, dass S ie s elbst Verantwortung f ür sic h tra gen und diese auch nutzen können.«) Ziel ist es, d urch eine an Aktivität ausgerichteter Sprache, dem Therapiekunden ein G efühl der S elbstmächtigkeit zu vermitteln und damit eine Fokusveränderung (vom Unwohl-Sein zum Wohlbefinden) zu er möglichen. Unsere S prache v ermittelt W irklichkeit und dies e wiederum s chlägt sic h in S prache nieder, die wiederum Wirklichkeit vermittelt. Es entsteht im Falle von L eiden ein chr onifizierender P rozess, den der Therapeut zu un terbrechen, zu ir ritieren versucht. Ebenso wie L eid sich s elbst erzeugt, s o ist es a uch mit Gl ück, Z ufriedenheit und W ohlbefinden. I n der Suche nach Veränderungsmöglichkeiten stellen sich nicht nur zum symptomatischen, sondern auch zum g ewünschten V erhalten a n Ak tivität a usgerichtete Fragen: »Wer kann dazu beitragen, dass Sie Ihren Wert erkennen?«, »Was könnten Sie tun, um sich vom Alkohol zu verabschieden?«, »Wie würde Ihr Vater reagieren, wenn Sie sich für das Leben einer jungen, lebendigen Frau entscheiden würden?«. Im Unterschied zu Zufriedenheit, die auch dadurch entstehen kann, dass man sich mit unabänderlichen Bedingungen a bfindet, ist W ohlbefinden ein ak tiv gestalteter Zustand. Dabei verstehe ich »Wohlbefinden« als einen Z ustand k örperlicher und g eistiger Gesundheit und Freiheit. Der Auffassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) folgend, ist da bei Gesundheit und W ohlbefinden nic ht ledig lich die Abwesenheit v on K rankheit und L eiden, s ondern ein aktiver Prozess des G estaltens der eig enen L ebensbedingungen. M enschen, die P sychotherapie in Anspruch nehmen, ha ben den Wunsch und die Hoffnung, dies es G estalten wieder in die eig ene Mächtigkeit üb ernehmen zu k önnen. A uch L eiden ist ein ak tiv g estalteter P rozess, der v on einer negativen Emo tion g eprägt ist. Z umeist ist dies er Prozess in s oziale I nteraktionen ein gebunden, s ei es in der F amilie, sei es in Or ganisationen des G esundheitssystems o der der s ozialen F ürsorge. I n der syst emischen (F amilien-)Therapie wir d dies er Prozess zunäc hst dad urch zu ir ritieren v ersucht, dass Denk- und Sprachgewohnheiten des Kundensystems thematisiert, infrage gestellt und mit Alternativen versehen werden. Eine a n Aktivität ausgerichtete Sprache des Therapeuten fokussiert hierbei in dreierlei Weise den beklagten Zustand.
An Aktivität ausgerichtete Sprache des Therapeuten ▬ Betonung des Problems als aktiv hergestellter leidvoller Zustand
▬ eruieren, ob die Symptomatik in das Leben mehrerer Personen eingebettet ist (Auswirkungen auf Familie, Freunde, Kollegen sowie deren Einflussmöglichkeiten auf die Symptomatik). ▬ h ypothetische Installation einer angenehmen und gewünschten Zukunft. (Hierzu gehören vorwiegend hypothetische Fragen, die sich auf die Zeit »nach dem Problem« beziehen: »Angenommen, Sie haben sich angewöhnt, optimistisch in Ihre Zukunft zu blicken, wer wird es als Erster bemerken?«, »Wie wird es sich auf Ihre Partnerschaft auswirken, wenn Ihre Tochter demnächst wieder mit Freude isst und sich vermehrt ihrem eigenen Leben als junge Frau widmet?«).
Zusammengefasst wir d hier der A spekt der A utonomie leb ender S ysteme b etont. Die The orie versteht unter Autonomie die Eig ensteuerung biopsychischer und sozialer Systeme. Die an Aktivität und Entscheidung ausgerichtete Sprache des Therapeuten transferiert dies in die I dee von Freiheit, Dinge s o o der a uch a nders t un und erleb en zu können. D amit f okussiert sie einen w esentlichen Bestandteil von Gesundheit und Wohlbefinden. Insbesondere in der Anfa ngsphase v on F amilientherapie st ellen die g enannten Vorgehensweisen eine s chrittweise und la ngsame Annäher ung an die P roblemauflösung da r. I n der P raxis k ommen M enschen zu einem Z eitpunkt in Thera pie, zu dem die S ymptomatiken b ereits lä ngere Z eit existiert ha ben und in der Reg el b ereits un terschiedliche L ösungsversuche un ternommen w orden sind. Demnach ist damit zu rechnen, dass der Fokus des K undensystems auf dies e chronifizierte Problematik g erichtet is t. Die F okussierung a uf eine gewünschte Zukunft, geschieht zu Beginn der Therapie durch eine ausführliche Auftragsklärung. Dabei wird – wie im f olgenden Abschnitt erläutert – in der systemis chen (F amilien-)Therapie n ur bedingt Wert auf eine ausführliche Problemanalyse
8.4 · Von Problemen, Wünschen und Aufträgen
gelegt. V ielmehr ist neb en der H erstellung eines guten Arb eitskontrakts mi t der F amilie, die a usführliche Erläuterung und Operationalisierung des Zielzustandes von Bedeutung. Hierin wird ein erster Schritt zur Problemauflösung gesehen. 8.4 V
on Problemen, Wünschen und Aufträgen
In Anlehnung an den v orangegangenen Abschnitt zeigt sich, dass L eiden vorwiegend als passiv, ohnmächtig und mit Seins-Qualität erlebt wird. Dementsprechend w erden W ünsche v om K undensys-
Drei Kriterien für handlungswirksame Ziele 1. Kunden benötigen Annäherungsziele, keine Vermeidungsziele Annäherungsziele enthalten den Zustand, der erreicht werden soll. In ihrem Überblick zeigen Storch & Krause (2005), dass Menschen, die vorwiegend Vermeidungsziele formulieren, schlechtere Stimmung, erhöhte Angst, geringere Zufriedenheit, geringeres Kompetenzerleben und auch eine schwächere Gesundheit aufweisen. Da unsere Kunden häufig mit Vermeidungszielen zu uns kommen, besteht also ein wichtiger Schritt zu Beginn der Therapie darin, durch Fragen konkrete Wünsche, Vorstellungen und Pläne zu installieren bzw. zu aktualisieren.
2. Wünsche und Ziele müssen in der Weise operationalisiert werden, dass ihre Erreichbarkeit der eigenen Kontrolle unterliegen Die Orientierung auf Ressourcen der Beteiligten nutzt hier insbesondere Fähigkeiten und Gewohnheiten des Kundensystems, die zu anderen Zeiten und in anderen oder auch vergleichbaren Situationen als hilfreich empfunden wurden. Die im vorherigen Abschnitt benannte zirkuläre Fragetechnik kann dazu verwendet werden, dass die Familienmitglieder übereinander Positives berichten: Wer hat in der Familie bereits Krisen gelöst, welche Fähigkeiten haben die anderen Familienmitglieder, was glauben sie, tut den anderen gut, welches sind herausragende Stärken des Symptomträgers etc. Dialoge über eigene Ressourcen und Stärken
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tem bezüglich der B eendigung von Leid sehr häufig nega tiv und a usschließend f ormuliert: »nic ht mehr dep ressiv, süc htig, psy chotisch, un sicher, aggressiv, zwa nghaft s ein«. Die V erneinung des problematischen Z ustands ist j edoch k ein a bbildbarer W unsch, k ein er reichbares Z iel, denn V erneinungen lass en sic h nic ht k onkret und p rüfbar vollziehen. Die akademische Psychologie weist eine Fülle gu t a bgesicherter Er gebnisse zur F rage der Auswirkung v on Z ielen a uf H andlungen a uf. D amit Z iele ha ndlungswirksam w erden k önnen und mit psychischem Wohlbefinden in Zusammenhang stehen, leiten Storch & Krause (2005) drei Zielkriterien aus der Forschung ab (vgl. Übersicht).
erweisen sich hier also hilfreich auf zwei Ebenen: Die Gewahrwerdung eigener Stärken und Einflussmöglichkeiten und die damit verbundene emotionale Aufhellung, die sich in solchen Dialogen er gibt. Eine weitere Ressource ist zunächst auch die Entscheidung für eine Psychotherapie, die ein Mindestmaß an vorhandener subjektiver Einflussmöglichkeit impliziert. Innerhalb des Psychotherapieprozesses erweist sich zudem die therapeutische Beziehung als gewichtige Ressource (Grawe, 1998). Es ist hierbei Aufgabe des Therapeuten, mit dem Kundensystem gemeinsam zu überlegen, was genau der Veränderung bedarf und wie die Kunden dies erreichen können. Damit installieren sich konkrete, auf Lösungen ausgerichtete Dialoge, die wiederum eine alternative soziale Wirklichkeit zur Problemtrance schaffen.
3. Es ist vorteilhaft, die formulierten Wünsche und Ziele mit positiven, somatischen Markern zu versehen Hierbei wird einerseits der Tatsache Rechnung getragen, dass Empfindungen sich körperlich und körpersprachlich abbilden und gleichzeitig diese wiederum auf die Empfindungen zurückwirken. Eine der klassischen systemischen Therapiestrategien ist das »So-tun-als-ob«, bei dem der Symptomträger dazu ermuntert wird, sich zunächst kurzfristig zu verhalten, als ob das Problem bereits gelöst sei. Dieses Vorgehen ermöglicht dem Kunden nicht nur die Erkenntnis, dass er sich auch alternativ verhalten kann, sondern aktiviert zudem ein angenehmes körperliches Empfinden.
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apitel 8 · Über das gemeinsame (Be -)Finden: von Ressourcen, Lösungen und Wohl-Befinden
In der K lärung v on W ünschen und Z ielen des Kundensystems de cken sich die t heoretischen Grundlagen mo derner F amilientherapie mi t F orschungsergebnissen aus kognitiver und Neuro-Psychologie sowie der Verhaltensmedizin. Die traditionelle Ress ourcen- und Z ukunftsorientierung der
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systemischen (F amilien-)Therapie kn üpft als o a n die Erkenntnis an, dass neur onale Netze im S inne habitueller Er regungsmuster ha ndlungswirksam sind. Diese können als Denk- und Wahrnehmungsgewohnheiten die V ermeidung eines P roblems beinhalten, was wieder um s ein A uftreten wahr -
II
Frau S. wurde als Vergewaltigungsopfer gemeinsam mit ihrem Mann zu mir überwiesen. Die Opferberatungsstelle war davon ausgegangen, dass es für beide hilfreich sein könnte, sich gemeinsam der schwierigen Thematik zu stellen. Da zudem ein erster Termin vor dem Strafgericht avisiert war, kamen beide und brachten ihre kleine Tochter sowie einen halbjährigen Säugling mit. 7 Die Voraussetzungen für eine gelungene Therapie könnte man in einem skeptischen Licht sehen: Die Vergewaltigung erfolgte zu Hause durch einen Nachbarn, nach gemeinschaftlichem Trinkgelage. Der Ehemann lag betrunken im Bett, währ end der Nachbar die Ehefrau vergewaltigte. Dies ließ ein erhebliches Maß an Schuld und Vorwürfen erwarten. Das Ehepaar S. entstammte sehr einfachen Verhältnissen. Damit ist gemeint, dass beide über so gut wie keine Schulbildung verfügten (Therapeuten vermuten hier vorschnell mangelnde Reflektionsfähigkeit), an der Armutsgrenze und zudem auf engstem Raum mit zwei kleinen Kindern lebten. Das Auflisten dieser Bedingungsfaktoren soll verdeutlichen, wie naheliegend hier das Einnehmen einer Problemperspektive ist. Das Fokussieren der Ressourcen des Paares jedoch führte zu einem verblüffenden und kurzen Verlauf der Gespräche mit dem Ehepaar S. Völlig unbeeindruckt von den Sichtweisen psychosozialer Helfer und Überweiser waren ihre Wünsche klar und überschaubar: Sie wollte Sicherheit gewinnen, um den Prozess zu überstehen. Er wollte hilfreich für sie sein. Eine psychotherapeutische »Bearbeitung« der Vorfälle erschien beiden nutzlos. Dem Vorgehen de Shazers (1995) folgend, fragte ich nach Veränderungen vor der ersten Therapiesitzung. Dem zugrunde liegt das Phänomen, das ähnlich wie beim Zahnar ztbesuch, sich häufig Beschwernisse vor der ersten Therapiestunde verändern bzw. reduzieren. Der
Mann antwortete, dass er seit dem Vorfall keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken habe, Frau S. antwortete, dass sie mit Ausmachen des Erstgesprächs bereits innerlich zu mehr Ruhe gekommen sei. Beide berichteten, dass ihre Beziehung sich nicht verschlechtert habe, sondern im Gegenteil sie sich einander nähergekommen waren. Noch im ersten Gespräch weinte der Mann bittere Tränen des Schuldgefühls, weil er seine Frau vor der Vergewaltigung nicht habe beschützen können. Sie war darüber komplett erstaunt und erleichtert, da sie wiederum die heimliche Angst gehabt hatt e, er könne sie nach der Vergewaltigung abstoßend finden. Um es abzukürzen: Die Therapie bestand aus vier Paargesprächen, die eigentlich kein ande res Thema als die Hauptressource des Paares hatte: die Liebe für einander und für ihr e Kinder. Über die Nebenwirkungen ressourcenorientierter Fragen (hier: atmosphärisch dichte Dialoge über Liebe und Zuneigung) ergaben sich die eingangs formulierten Ziele von allein. Selbstverständlich war für diesen kurzen und gelungenen Prozess auch maßgeblich die Tatsache hilfreich, dass es sich hier nicht um ein chronifiziertes Problem handelte, sondern die Therapie zeitnah an das kritische Ereignis anknüpfte8.
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Frau S. und ihr M ann hatt en kein Geld , um Bab ysitter zu bezahlen. Er arbeit ete als ungelernt er Arbeit er auf dem Bau, während Frau S., die keine S chulbildung hatte, zu Hause den Haushalt und die K inder v ersorgte. Daher brachten sie die K inder mit zur Therapie, obwohl das a visierte Thema selbstverständlich keines ist, bei dem Kinder dabei sein sollen. Um die 5-jährige Tochter kümmerte sich daher eine P raktikantin, während der Säugling zu F üßen des Vaters in einem kleinen Sitz vor sich hinschlummerte. Ich sah das P aar ein halbes Jahr nach dem Gerichtspr ozess zu einem kurzen Abschlussgespräch zum letzten Mal und beide P artner macht en einen ausgeglichenen und zufriedenen Eindruck.
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8.5 · Störmanöver der Therapeuten
scheinlicher macht. Die Umorientierung auf Wünsche und konkrete Ziele stellt damit die Etablierung neuer habitueller Erregungsmuster im G ehirn dar und er möglicht zudem a ngenehme Er fahrungen des K undensystems mi teinander. Die t herapeutische A ufgabe ist da bei v orwiegend das Erk ennen und F ördern v on G elegenheiten, die es dem Kundensystem ermöglichen, den Zustand der Problemtrance zugun sten eines a ngenehmen und er wünschten Zustands zu verlassen. Schiepek (1999) definiert P sychotherapie in dies em Z usammenhang als »dynamisiertes Schaffen von Bedingungen für die Möglichkeit von Selbstorganisationsprozessen in psychischen und sozialen Systemen« (S. 30). Die syst emtheoretischen G rundlagen, die b ereits in Kap. 8.1 näher erlä utert wur den ha ben neben der Ress ourcen- und L ösungsorientierung zu einem K onzept der K undenorientierung g eführt. Dem liegt die Erfahrung zugrunde, dass Menschen sich nur bedingt Be-Handeln lassen, sondern vielmehr ihre eigenen Prozesse gestalten. Daher ist die Klärung der Wünsche und Ziele innerhalb der systemischen (F amilien-)Therapie a usschließlich a n den Wünschen der Kunden orientiert. Dabei sollen die Vorstellungen des Therapeuten über gutes und richtiges Leben, über richtige und falsche Kommunikation oder hinsichtlich psychohygienischer Gütesiegel in der Auftragsklärung keine Rolle spielen. Auftragsklärung meint in dies em Zusammenhang den g elungenen P rozess, der An liegen (P robleme nicht mehr ha ben) in W ünsche (Z ustand X er reichen) und g emeinsame A bsprachen (wie und was können wir mit dem Therapeuten gemeinsam tun) üb erführt. D ennoch zeigt sic h in dem b isher Dargestellten, das die im K ontext systemischer (Familien-)Therapie ein gesetzten S trategien und Fragetechniken zwa r zielo rientiert der B ehebung von L eiden dienen s ollen, j edoch a uch F aktoren des W ohlbefindens s ozusagen als N ebenwirkung im t herapeutischen P rozess in stallieren. Dies v erdeutlicht das folgende Beispiel. Im letzt en A bschnitt wir d a nhand typ ischer systemischer Thera pieinterventionen und -v orgehensweisen veranschaulicht, dass Wohlbefinden in seinen möglichen Operationalisierungen von Kundenwünschen nic ht n ur Thera pieziel ist, s ondern gleichzeitig N ebenwirkung und P rozessvariable von Therapie.
8.5 Störmanö
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ver der Therapeuten
Soziale Systeme sind Systeme in Sprache. In der systemischen (Familien-)Therapie sehen wir den Therapeuten nic ht als una bhängigen B eobachter und Be-Handler, sondern als Teil eines ProblemlösungsSettings. Innerhalb dieses Settings ist er mi tverantwortlich für die in der Therapie entstehende soziale Wirklichkeit. Dur ch s eine H altung v on Resp ekt, Neugier und N eutralität (S elvini P alazzoli et al ., 1981) sowie durch die Or ientierung an Wünschen und Ressourcen des Kundensystems wird der Therapeut zum Begleiter eines Veränderungsprozesses. Dabei ist s eine Aufgabe jedoch nicht die eines passiven B egleiters s ondern die eines V erstörers, der zugunsten neuer fa miliärer Muster bei der Verstörung der leid vollen und g gfs. Chronifizierten, also stabilisierten, Muster aktiv hilft. Schiepek et al . (2000) b eschreiben Thera pie als Veränderungsprozess zur D e-Stabilisierung von Problemmustern. Dabei ist De-Stabilisierung nicht immer ein a ngenehmer Zustand, denn die A ufgabe leidvoller Konstellationen bedeutet auch, gewohntes Terrain zu verlassen und Neues auszuprobieren, das noch un geübt und un gewohnt ist. Thera pie mi t Mehrpersonensystemen muss hier zusätzliche Komplexität v erarbeiten, die dad urch zust ande k ommt, dass nicht alle Beteiligten immer und zum g leichen Zeitpunkt dieselben Wünsche haben. Damit verläuft insbesondere eine M ehrpersonentherapie in un terschiedlichen Geschwindigkeiten: Es gibt sprunghafte Entwicklungen, stetige Entwicklungen, Rückfälle in bekannte M uster un d S tillstände. S oziale S ysteme haben ihre eigene Zeit und ihre eigene Geschwindigkeit, die es von den Therapeuten zu berücksichtigen und zu p rüfen gil t (»I st dies jetzt ein gu ter Z eitpunkt, u m d as vorge schlagene E xperiment du rchzuführen?«). Lösungs- und Ress ourcenorientierung besteht auch darin, dieses zu berücksichtigen. Die I nstrumente und V orgehensweisen in der systemischen (Familien-)Therapie rekurrieren dabei auf die K ontexte C o-Konstruktion v on B edeutung und V erhalten, V erstörung c hronifizierter M uster und Etablierung von Lösungen. Diese drei Bereiche sind jedoch nicht scharf voneinander abzugrenzen, denn was f ür einen Thera piekunden ledig lich eine neue Sichtweise ist, stel lt f ür einen a nderen b ereits eine massi ve D estabilisierung da r. Dies s ei a nhand
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apitel 8 · Über das gemeinsame (Be -)Finden: von Ressourcen, Lösungen und Wohl-Befinden
zweier Praxisbeispiele aus der Sexual- bzw. Paartherapie erläutert. Die wä hrend der Thera pie verwendete T echnik ist das s og. »F eed-Forward« (P enn, 1986) und en tstammt der syst emischen Tradition, sich zu einem gr ößtmöglichen Teil mi t Z ukunftsprojektionen zu b eschäftigen. Eine Umsetzung dieses Instrumentenpools besteht darin, die Thera piekunden einen Erfolgsfilm drehen zu lassen. Sie werden gebeten, innerlich in die Ro lle eines Regiss eurs zu s chlüpfen u nd e inen F ilm z u d rehen, d er e twa lauten könnte »Die Lust des Paares M.« oder »Unser fulminantes L eben«. Die Anr egung p hantasievoller L ösungsgedanken wird hierb ei üb er die g enaue Szenenbeschreibung er reicht. I n der An wendung innerhalb von Paartherapien werden b eide Partner nacheinander gebeten, diesen Film zu drehen.
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Beispiel
II
▬ Paar A kam in die Therapie aufgrund stetig zunehmender Unzufriedenheit der Frau und vermehrten Streiteskalationen. Im Verlauf der Therapie kam es zum Einsatz dieses I nstruments, und die Frau erzählte ihren »Wunschfilm«, der aus drei Szenen bestand: einer gemeinsamen Reiseszene, einer gemeinsamen Sexszene und einer Familienszene, die ein kleines Kind beinhaltete. Nach Abschluss ihrer Filmdarstellung herrschte Knistern und Stille im Therapieraum. Der Mann strahlte sie gerührt an und teilte seine Fassungslosigkeit darüber mit, wie herrlich er ihren Film fände und wie sehr er sich das Gleiche wünscht e. Innerhalb von zwei Stunden hatte dieses Paar A seine Problemtrance (Streit, Eskalation) zugunsten gemeinsamer Sehnsüchte und Wünsche ver-rückt. In diesem Beispiel entstand hier bereits während des »Filmdrehens« Wohlbefinden: Lächeln, Rührung, tiefes Durchatmen, Strahlen. Das Nörgeln der Frau bekam eine neue Bedeutung, nämlich beide sahen es als Anstoß für Entwicklung. Zugleich entstand Verstörung, denn mit Romantik und Herzklopfen hatte in diesem Moment keiner gerechnet. Und es schlichen sich Lösungen ein, nämlich die Frage nach Familiengründung und mehr Zeit füreinander.
Sicherlich wa r hier dies e V erstörung der st abilen P roblembeschreibung f ür die w eitere En twicklung notwendig. Was hierdurch gezeigt werden soll ist, dass die Or ientierung a n Ress ourcen und Wünschen nicht immer Wohlbefinden erzeugt. Mir ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass bei allen Worten zu L ösung, Ress ource und W ünschen der Eindruck vermieden wird, Therapie sei ein spaßiger Prozess, b ei dem L eiden ig noriert wir d. D em ist nicht s o. J edoch ist es wirk ungsvoll und n ützlich, immer wieder in Thera pieprozessen mit Mehrpersonensystemen die Momente einer plötzlich auftauchenden Aufweichung harter Fronten, des herzhaften Lachens und Staunens zu ermöglichen. Nur im Tun, also im Vorwegnehmen des eigentlichen Ziels, kann dieses erreicht werden. Ein Paar, dessen Liebe
▬ Anders bei Paar B. Dieses Paar kam mit der Beschreibung zur Therapie, sie sei lustvoll und würde gerne häufiger mit ihrem Mann sexuellen Kontakt genießen. Der Mann stimmte dieser Beschreibung zu und beschrieb sich selbst als eher lustlos und »ohne Libido«. A uch mit Paar B drehte ich nach einigen Stunden, in denen sich absolut nichts bewegt hatte, den zuvor beschriebenen Lustfilm. Der Mann begann und entwickelte im Erzählen der Filmszenen sehr erotische und deftige Bilder. Die Spannung im Raum war hoch erotisch aufgeladen und eigentlich hätte ich das Paar am liebsten sofort nach Hause geschickt, um die entstandene Stimmung nicht zu zerreden. Jedoch sollte auch Frau B. ihren Film drehen und damit entstand eine absolut uner wartete Situation. Ihre Szenen spielten im gemeinsamen Haus, sie wurden unterbrochen von abzuschließenden Türen und läutenden Telefonen und enthielten detaillierte Beschreibungen des Badezimmerfußbodens. Von Lust keine Spur. Das Verhalten des Paares B. in dieser Therapiesituation führte bei beiden zu großen Irritationen, die sie als sehr unange nehm empfanden. Hatte sich die von beiden unterschriebene Problembeschreibung doch fast in ihr Gegenteil verkehrt.
Literatur
verloren gegangen scheint, wird etwa zu Beginn der Gespräche g ebeten, zu erzählen, wie sie eina nder kennengelernt haben. Dies ist eine S ituation, in der in den meisten F ällen trotz aller aktuellen Schwierigkeiten über die Aktivierung positiver Erinnerungen eine andere, angenehmere Atmosphäre im Therapiezimmer entsteht. Diese »wohlige« Atmosphäre wiederum ist eine s ehr günstige Voraussetzung für Lösungsdialoge. Man denkt leichter über Kompromisse und Veränderungen nach, wenn man sich an das G efühl des Gl ücks er innert, als w enn ma n in Streitfronten einander gegenüber sitzt. Eine w eitere p ositive Verstörung ist die Arb eit mit Komplimenten und Reframings. In den Pausen der Thera pie-Interviews b ereiten die Thera peuten ihre K ommentare a n die F amilien v or. Z entraler Bestandteil dies er K ommentare ist – neb en dem Vorschlagen v on Exp erimenten – die W ürdigung der v om Thera peuten b eobachteten Ress ourcen und Fähigkeiten. Gleiches gilt für die Arbeit reflektierender Teams (Andersen, 1990), bei denen gleich mehrere Teammitglieder vor den Augen und Ohren des Kundensystems eine ö ffentliche, lösungsorientierte Expertensitzung abhalten. Eine Familie etwa, die mi t einem sic h s elbst v erletzenden K ind zur Therapie kommt, erlebt sich in der Reg el weder als kompetent no ch als ac htenswert. Ein Exp erte, als der der Therapeut hier gesehen wird, der es schafft, die gu ten Din ge zu b enennen, der K omplimente ausspricht und S tärken erk ennt, trägt a uch hier nicht nur langfristig zur Stärkung selbiger Faktoren bei, s ondern in stalliert zunäc hst in dies em M oment Erleichterung, Ermutigung und Freude. Diese wiederum sind m. E. notwendige Bedingungen für eine g elingende N eustrukturierung p roblematischer Muster des V erhaltens und Erleb ens. D amit ist »Wohlbefinden« oftmals eine er ste Irritation in einem problemfokussierten System. S o ist es nic ht nur als Therapieziel der Kunden zu sehen, sondern auch als ein Lösungsinstrument des Therapeuten.
Literatur Andersen, T. (H rsg.) (1990). Das r eflektierende Team. Dor tmund: Modernes Lernen. Badura, B. (1981). Zur sozialepidemiologischen Bedeutung sozialer Bindungen und Unterstützung. In B. Badura (Hrsg.).
115
8
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III
Teil III
Facetten des Wohlbefindens fördern
Kapitel 9
Freuden-Biografie: Die Freuden der Kindheit wieder erleben – 119
Kapitel 10
Körperliches Wohlbefinden durch Selbstregulation verbessern – 131
Kapitel 11
Sinnliche Lebendigkeit erfahren – Wohlbefinden durch Sinnesgenüsse erleben – 145
Kapitel 12
Sinnvolle Werte und Lebensziele entwickeln – 159
Kapitel 13
Selbstakzeptanz fördern
Kapitel 14
Identitätsstärkung – Fördert Authentizität das Gesundwerden nach Krebs? – 189
Kapitel 15
Suche nach Geborgenheit: Bindungswünsche realisieren – 203
Kapitel 16
Partnerschaftspflege
Kapitel 17
Vergeben: Eine Quelle von Wohlbefinden
– 179
– 213 – 227
9
Freuden-Biografie: Die Freuden der Kindheit wieder erleben Verena Kast 9.1 F
reude als Ressource
– 120
9.2
Freuden der Kindheit aus der Sicht der Er wachsenen
9.3
Rekonstruktion der Freuden-Biografie – 122
– 121
9.3.1 V orgehen – 122 9.3.2 S elbstversuch – 122
9.4
Freuden aus der Freuden-Biografie – 125
9.5
Sich einfach anstecken mit den Freuden der Kindheit Literatur –
129
– 128
120 K
9.1
9
apitel 9 · Freuden-Biografie: Die Freuden der Kindheit wieder erleben
Freude als Ressource
Freude ist eine p rimäre Emotion. Erste Formen des Lachens tr eten s chon v or dem 2. M onat währ end des REM-S chlafes a uf. Die F reude zeigt sic h w enig später a m L ächeln des Sä uglings, das mi t dem Lächeln der B eziehungspersonen k orrespondiert. Über das L ächeln, s o sind sic h viele einig, f indet man einen Zugang zu der Freude, ohne dass Lächeln und Lachen immer Freude ausdrücken muss. Freude ka nn erleb t w erden a ls Emo tion, die uns für einen Moment überwältigt, uns durchzückt, aber a uch als ein b enennbares G efühl des sic h in einer bestimmten Weise Freuens, oder auch als eine Stimmung der H eiterkeit und der Z ufriedenheit. Emotion, Gefühl und Stimmung können ineinander übergehen. Es s cheint mir wic htig, S paß und F reude v oneinander zu un terscheiden. B eim S paß s cheinen eher Interesse und Erregung zu interagieren, bei der Freude ist w eniger Er regung b eteiligt, da für mehr Interesse. Eine Freude, die mit Erregung und Interesse verbunden ist, ist die Vorfreude. Freude er eignet sich, sie ist ein N ebenprodukt einer Er fahrung, einer T ätigkeit, eines Er eignisses im Leben. Wir freuen uns, wenn uns etwas g elingt, etwas widerfährt, das besser ist, als zu erwarten war, wenn etwas stimmig ist, un s etwas uner wartet als ein G eschenk des L ebens o der der U mstände, er scheint. In der Vorfreude, einer unserer besten Freuden, beziehen wir uns auf die Zukunft, als könnte sie uns ein deu tliches Mehr an Freude, Lebensqualität, Zufriedenheit und Gl ück b escheren. Vorfreude ist verbunden mit der Hoffnung auf das Bessere. Wesentlich ist, dass wir die F reude in ihr er Gefühlsqualität dann wahrnehmen, wenn wir sie erleben. In der Er innerung können wir sie in der F olge dann immer wieder zur ückholen, indem wir die S ituation, die Freude ausgelöst hat, uns in unserer Vorstellung so lebendig als möglich vergegenwärtigen. Freude ist sic htbar: Es gib t viele A usdrucksgesten der F reude. F reude wir d d urch S trahlen a usgedrückt: die A ugen s trahlen, g länzen, G esichter leuchten, hellen sich auf. Freude weckt den Eindruck von etwas S trahlendem, Leuchtenden, Lichtem. Die Bewegungen, die wir mit der Freude verbinden, sind Bewegungen in der Vertikalen, Bewegungen, die zur Höhe hin tendieren. So gehen die Mundwinkel nach
oben, wenn wir un s f reuen o der wenn wir läc heln. Wir könnten vor Freude Luftsprünge machen o der wir werfen etwas hoch in die Luft. Freude lässt Menschen singen, eher ho ch und la ut; sie b ewegen sich beschwingt, erleb en sich a ls vital. S o wird deutlich, dass in der Freude ein Gegengewicht zur Dunkelheit, zur Erdenschwere ist: Sie macht uns leicht und weit, lässt uns uns in unserer Vitalität und in der Verbundenheit mit uns selbst, mit anderen, mit dem Leben als Ganzem erleben. Wenn wir uns freuen, dann fühlen wir eine Wärme in uns aufsteigen, eine körperlich erfahrbare, a ber a uch eine s eelische Wärme. Dies e lässt uns offener und lebendiger werden. Das Selbstgefühl, das wir bei der Freude erleben, ist ein Gefühl des selbstverständlichen Selbstvertrauens, das daraus resultiert, dass wir im Moment der Freude uns selbst, die Innenwelt, die M itwelt akzeptieren können, wie sie ist, weil uns eh mehr zugekommen ist, weil etwas besser ist, als wir er wartet haben. Zu diesem selbstverständlichen Selbstvertrauen gehört, dass man sich bedeutsam f ühlt, o hne es s ein zu m üssen. Dies es selbstverständliche Selbstvertrauen, das wir als Menschen im Z ustand der F reude erleb en, lässt un s uns ö ffnen: W ir m üssen un sere I ch-Grenzen nic ht stur behaupten, können uns miteinander verbinden, fühlen un s a nderen v ertraut, k önnen leich ter v ertrauen und ha ndeln s olidarischer. F reude b ewirkt, dass wir mehr P erspektiven sehen, dass a uch wenig eingeübtes Verhalten möglich wird, dass wir mutiger sind, und dass wir un s besser fühlen. Freude ist eine Ressource in vielfältiger Weise. Den Ausdruck von Emotionen kontrollieren wir: Erwachsene zeigen ihre Freude oft nur noch verhalten, wenn überhaupt. Freude zu sehr zu zeigen wird als kindlic h b eurteilt. E twas a usgelassener da rf sie gezeigt w erden b ei G emeinschaftsereignissen, die Freude auslösen, etwa bei einem wichtigen Fußballspiel, das g ewonnen wurde. Im Alltag indessen versuchen Erwachsene, besonders erwachsene Männer, nicht zu viel davon zu zeig en, denn es k önnte Neid wecken, die anderen herausfordern, uns beschämen. Kinder, b esonders j unge K inder, zeig en i hre Freude unkontrolliert: Sie k önnen sich »maßlos« – in den Augen der Erwachsenen – freuen, sind dann allerdings a uch »ma ßlos« en ttäuscht o der wü tend, wenn die Freude verdorben wird. Befragt man Kinder nach ihren Freuden, erzählen sie davon, was sie im Moment gerade gerne spielen oder lesen – a ber
121
9.2 · Freuden der Kindheit aus der Sicht der Er wachsenen
die G espräche sind eher uner giebig. D as ist nic ht die Perspektive des Kindes: Kinder freuen sich, aber sie reflektieren kaum über die Freude. Sie lehnen ab, was sie nic ht f reut. »D as mag ic h nic ht«, heisst es dann. Freude ist indessen ein Thema f ür Kinder im Zusammenhang mit Beziehungen: Kinder möchten, dass die B eziehungspersonen sic h a n ihnen f reuen und dies e F reude a uch a usdrücken. D as ist w ohl eine frühe gute Erfahrung, die sic h das K ind – und auch in einem g ewissen R ahmen der Er wachsene – immer wieder erhalten möchte. Emotionstheoretiker (K rause 2001, S. 941) g ehen davon aus, dass sich im ersten halben Jahr etwa 30.000 L ächelinteraktionen zwis chen Säugling und Erwachsenen er eignen. I n dies er Z eit p flegt der Säugling mi t einem L ächeln a uf ein G esicht eines Mitmenschen zu reagieren, was meistens wiederum mit einem Lächeln beantwortet wird. Das – so meinen Entwicklungspsychologen – gibt dem Kind das noch un bewusste G efühl, ein er freulicher M ensch in einer er freulichen Welt zu s ein, ein M ensch, der Freude a uslöst. Dies es f reudige I nteresse, das ein Kind b ekommt – w enn es das b ekommt – st eht im Dien ste der B indung und des V ertrauens und könnte den existen tiellen K ern der P ersönlichkeit festigen. Lächeln bedeutet weiter auch freudige Zustimmung zu dem, was ein K ind g erade mac ht, steuert a lso V erhalten. L ächelinteraktionen, a uch im sp äteren L eben, v ersichern M enschen, dass sie anerkannt sind. Üb er diesen glückhaften Bindungsaspekt sp rechen K inder: Womit ha ben sie einem ihnen wich tigen M enschen eine F reude g emacht. Sie ha ben eine f eine Wahrnehmung da für, ob die Freude echt oder bloß gespielt ist, f ür die Nuancen, in der F reude ausgedrückt worden ist. Sie dr ücken auch das Bedauern oder die Wut darüber aus, wenn es ihnen nicht gelungen ist, Freude auszulösen. Gerade für Kinder, die ihr e Beziehungspersonen auch ärgern, ist es wic htig zu wiss en, dass und wie sie diese Personen auch erfreuen können, wie sie a uch eine vertraute Situation herstellen können. In den Familien wird unterschiedlich über freudige Er fahrungen g esprochen. Die Ar t, wie Er fahrungen in einem Narrativ elaboriert werden, beeinflusst s owohl die a utobiografischen Er innerungen (Markowitsch & Welzer, 2005, S. 201 ff.) im späteren Leben, als auch den Wahrnehmungsstil für freudige Erfahrungen.
9.2
9
Freuden der Kindheit aus der Sich t der Erwachsenen
Fragt man Erwachsene nach den Freuden der Kindheit, ist die A uskunft a usführlicher. Wurde in der Herkunftsfamilie üb er F reude g esprochen, w erden f reudige Er fahrungen eher er innert. E twa die erste B ergtour mit dem V ater ganz alleine: F reude und S tolz v erbinden sic h und w erden a ußerdem noch verknüpft mit einer starken bergsteigerischen Leistung, die je nac h E laboration der Erzähl ung – darüber wurde ja zu H ause gesprochen – immer heldenhafter wurde. Wenn F reude eine Ress ource ist, da nn ist es wichtig, diese Ressource aktivieren zu können. Das kann gelingen, indem man die Biografie der Freude rekonstruiert. Normalerweise erzählen wir un sere L ebensgeschichte un ter dem A spekt v on S chwierigkeiten: Wir erzählen, w elchen S chwierigkeiten wir un s gestellt, allenfalls a uch, w elche wir üb erwunden haben – und das kann dann auch mit etwas Freude verbunden sein. In der Freuden-Biografie nehmen wir eine ganz andere Perspektive ein: Wie habe ich Freude erlebt in meinem Leben, wie habe ich sie auch abgewehrt, wie wurde sie mir v erwehrt – und: Was ist a us der Freude im Laufe des Lebens geworden: Ist sie weniger geworden, ist sie mehr geworden? In der Regel werden beim Erstellen einer Freuden-Biografie ganz andere Aspekte der Persönlichkeit beleuchtet als in einer normalen Anamnesenerhebung, dennoch werden wichtige Veränderungen im Leben durchaus sichtbar, ja in ihrer emotionalen Bedeutung s ogar greifbarer, als w enn wir eine übliche Ana mnese v or un s ha ben. D as Erleb en v on Freude mac ht die M enschen s elbstsicherer, und auf der B asis des gu ten S elbstwertgefühls k önnen auch leid volle Er fahrungen b esser zug elassen und verarbeitet werden. Beim Rek onstruieren einer F reuden-Biografie sind die Freuden der Kindheit Ausgangspunkt und Quelle. Da Kinder die F reuden nicht oder nur wenig kontrollieren, sind diese auch in der Erinnerung prägnanter und zugä nglicher als die F reuden im späteren L eben, w o sie na türlich a uch d urch en tsprechende H inweise g esucht und g efunden w erden können. Auch weiß man, dass K inder um das
122 K
apitel 9 · Freuden-Biografie: Die Freuden der Kindheit wieder erleben
6. L ebensjahr her um ein r elativ st abiles G edächtnissystem ha ben, G eschichten a us ihr em L eben erzählen und dies e a uch spä ter er innern k önnen. (Markowitsch & Welzer 2005, S. 229 ff.) Natürlich gehen wir nic ht davon aus, dass die jeweils vorge stellten E rfahrungen a kkurat d enen in der Kindheit entsprechen. Es ist auch hier damit zu rechnen, dass die kreativ-konstruktive Funktion des G edächtnisses wirk t, und dass d urch die en tsprechende Aufforderung speziell freudige Erinnerungen gefunden werden. Sind sie einmal geweckt, wecken sie leicht weitere – noch freudigere – denn die S timmung, in der wir er innern, fä rbt die Er innerung ein. S ie k önnen die S ehnsucht w ecken, ähnliche Erfahrungen auch im späteren Leben wieder zu machen. 9.3 Rek
9
onstruktion der Freuden-Biografie
9.3.1 V orgehen
Man stellt sich vor, wie man als Vorschulkind oder zu B eginn der S chulzeit etwa a usgesehen hat. Dabei kann man sich in die H aut des K indes hineinversetzen, sich also mit dem Kind, das man einmal gewesen ist, iden tifizieren, o der sich s elber a uf einem F oto o der einem V ideo b etrachten. Dies e Vorstellungen w erden da nn b esonders leb endig, wenn wir alle Kanäle der Wahrnehmung nützen. Nun st ellt ma n sic h als K ind in einem b ewegten o der in einem r uhigen S piel v or, das da mals große Freude ausgelöst hat. Diese Imagination, die sich leicht einstellt, b esonders, wenn man sich a uf Körperbewegungen konzentriert, ist der Ausgangspunkt für die Freudenbiografie. (Kast 1991, S. 55 ff.) Durch die Imagination kann man sich in die Situation, die man erinnert, hineinversetzen, verbunden mit der Emo tion, die da mals erlebt wurde. Möglicherweise a ttribuieren wir ak tuell dies e Emo tion, weil es uns passend erscheint – aber so oder so: Wir kommen mi t dies en sp eziellen F reuden wie der in Kontakt. Die Imagination kann weiter angeregt werden durch Erzählungen von Eltern, Geschwistern usw.; auch Fotos können weitere Erinnerungen wecken, Kinderbücher, die ma n b esonders geliebt hat, alte
Spielsachen, Z eichnungen, T räume usw . D amit können w eitere F reudensituationen a ngesprochen werden, die da nn wieder um imagina tiv v ertieft werden können, sodass die Freude wieder emotional erlebbar wird. Die Rekonstruktion der F reuden-Biografie hat die F unktion, un s a n un serer L ebensfreude, die schon einmal erlebbar war, zu erinnern, uns erneut an ihr zu er freuen. Es g eht um eine »S elbstansteckung« mit Freude. Außerdem wird deutlich, was aus der Emo tion der F reude im L aufe der Z eit geworden ist. Z udem wir ft die F reuden-Biografie ganz neue Lichter auf unsere Biografie. 9.3.2 S elbstversuch Beispiel
II
Anleitung zur Erinnerung Erinnern Sie bewegte Spiele, Spiele, in denen die Bewegung eine wichtige Rolle gespielt hat, die Sie als Kind besonders geliebt haben? War da Freude? Wenn Sie sich nicht gern bewegt haben, oder sich nicht bewegen konnten, versuchen Sie, sich an ein ruhiges Spiel zu erinnern, das Sie hingebungsvoll spielen konnten. Versetzen Sie sich nun in die Rolle des K indes. Sie können in die Haut des K indes schlüpfen, Sie können die Spielsituation auch als Video betrachten. Welche Bilder sehen Sie? Wie haben Sie Ihre Freude ausgedrückt? Waren Sie allein oder gab es andere Kinder? Gab es Menschen, denen Sie Ihre Freude gezeigt haben? Wenn keine Menschen da waren, was haben Sie dann mit Ihrer Freude gemacht? Wenn Sie in der Haut des Kindes gesteckt haben, dann schlüpfen Sie wieder in Ihre erwachsene Haut, wenn Sie ein Video gesehen haben, schalten Sie es aus.
An die Phas e der Imagination schließt eine s elbstreflexive Phase an, in der üb erlegt wird, ob es eine Beziehung v on der imaginier ten Er fahrung v on Freude zu F reuden in der ak tuellen L ebenssituation g ibt. G ibt es dies e F reuden no ch, a llenfalls in verwandelter Form? Gibt es eine B eziehung zu der Art heute, Freude zu erleben, sie auszudrücken oder sie gerade nicht auszudrücken?
9.3 · Rekonstruktion der Freuden-Biografie
Besonders wirks am wir d je weils das Erleb nis der wie der er innerten und dad urch a uch a ktuell erlebten Freude, wenn die I magination jemandem erzählt werden kann. Diese Imaginationen können gut in einer Gruppe geübt werden. Werden sie untereinander ausgetauscht, werden weitere freudige Beispiel
123
Spielsituationen er innert, d urch das erzählen v erfestigen sich s owohl die B ilder a ls auch die da mit verbundenen Emotionen. Dieses B eispiel f ür F reuden der K indheit, g ewonnen aus einer Imagination und einer anschließenden Narration zur Freuden-Biografie kann als
II
Eine 68-jährige Frau stellt sich eine grundlegende Freude ihrer Kindheit vor. »Ich bin 5 Jahre alt, ein lebhaftes, sehr neugieriges Kind, bestürme meinen Onkel O tto, »den Herrn Dorfschullehrer« im solothurnischen, ländlichen Zuchwil, wo ich in den Ferien bin, dass er mich in die Schule mitnehmen solle. Meinem stürmischen Temperament kann er nicht widerstehen und so hüpfe ich mehr als gehend, freudig und stolz an der Hand meines Onkels in die Schule, wo er unterrichtete. Naturkunde nannte man das Fach damals, das meine allererste Schulstunde zum unauslöschbaren, freudvollen Erlebnis werden liess. Mucksmäuschenstill, »fast einem Wunder gleich bei meinem Temperament« lauschte ich gebannt, was mein Onkel über Vögel erzählte. Ich vermag noch heute das gezeichnete, farbige Bild, kein Foto, einer Ente vor mir zu sehen, die der »Herr Lehrer« der Schulklasse zeigte. Noch aufregender und freudvoller war dann für mich, dass auf einem langen Holztisch eine Unmenge, so kam es mir damals jedenfalls vor, Farbstifte lagen. Die damals ca. 9-jährigen Schulkinder und sogar auch ich, durften Farbstifte auswählen, dazu ein großes weißes Blatt und sollten nun einen Vogel malen. Meine gemalte Ente glich allerdings eher einem Dinosaurier als einem Entenvogel, (Kommentar meines Onkels in späteren Jahren) dafür aber besaß sie das ganze Zeichenblatt ausfüllend, eine Unmenge Federn in allen Farben. Ich erinnere mich noch genau daran, dass mein Vogel der Farbenprächtigste von allen gemalten Vögeln war und ich von den anderen Kindern bewundert wurde. Das war für mich eine R iesenfreude und auch ein tolles Stolzgefühl. Ich durfte noch viele weitere Male mit meinem Onkel in die S chule gehen. Fasziniert und begeistert hörte ich vor allem den spannenden Ausführungen über Tiere
9
und Pflanzen zu, und während die Schulkinder Rechen- und Schreibunterricht hatten, durfte ich malen. Wenn dann in der Pause einige der Kinder zu mir kamen und meine »Malkünste« bewunderten, platze ich fast vor Stolz und Hochgefühlen. Ganz toll für mich war dann auch, dass ich meinen »Schulkameraden« erklären konnte, was meine stets bunten Bilder überhaupt darstellen sollten, und sie meine in allen Farben gemalte, nichtgrüne Wiese, schön fanden. Das waren die tollsten, freudvollsten Ferien, an die ich mich als Kind zurückbesinnen kann. Von da an wurden für mich nicht nur das Z eichnen und Malen eine freudvolle Passion, sondern auch das Interesse an Naturwissenschaft. Die Freude am Malen hat mich bis zum heutigen Tag nicht verlassen, ich male heute noch leidenschaftlich gerne, das Malen ist für mich eine unerschöpfliche Quelle der Freude und auch Entspannung, die mich gut und lebendig fühlen lässt, besonders dann, wenn mir ein Bild als gelungen erscheint. Zur Freude am Selber-Malen, kam nun auch bald die Freude dazu, Gemälde von »echten« berühmten Künstlern in Museen zu bestaunen. Nun nicht mehr an der Hand meines Onkels, sondern 21jährig an der Hand meines damaligen F reundes, der Grafiker und Modedesigner war, besuchten wir leidenschaftlich gern Museen, in denen ich mich, umgeben von herrlichsten Gemälden, wie in einem wunderschönen Zuhause fühlte und so wurde die Kunst zu einer neuen Quelle der F reude, die mich bis heute begleitet. Ich bin überzeugt, dass mir in ein paar Jahr en, als dann vielleicht tattrige Greisin, der Besuch von Kunstausstellungen immer noch ein freuderfülltes Leuchten in mein Herz zaubern wird und mich dadurch vielleicht sogar für Stunden oder gar Tage das »Tattrige« vergessen lässt.«
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9
apitel 9 · Freuden-Biografie: Die Freuden der Kindheit wieder erleben
exemplarisch gesehen werden. Man kann sich mit Leichtigkeit in die F reude dies es 5-jähr ige M ädchen einf ühlen, das in die S chule g ehen da rf, a n der H and des L ehrers, der a uch no ch der On kel ist. In die S chule gehen wie die G roßen, und der Vergleich und die Akzep tanz mi t den G roßen spielt denn a uch in der F olge eine wich tige Rolle. Groß zu sein ist ja w ohl die größte Sehnsucht, die man als K ind hat. Immer sehnt man sich danach, älter zu s ein, gr ößer zu s ein, und st ellt sic h v or, wie wunderba r da nn das L eben s ein wir d. B ei diesem Schulbesuch wird dieser Wunsch für einen Nachmittag fast erfüllt. Vorfreude und Freude vermischen sich hier b ei einem M ädchen mit einem lebendigen T emperament, das die F reude a uch auszudrücken v ersteht. E twas erzähl t b ekommen – ein G eschenk – und nic ht etwa eine K indergeschichte! U nd da nn w eitere »G eschenke«: F arbstifte! Die Freude mag die Anzahl der S tifte etwas vermehrt haben – a ber s o kam es dem K ind vor: Die F reude zeigte sich a uch in der U nmenge der Federn, die in allen F arben gemalt wurden. Können, Stolz, Freude über das Können, und über die Anerkennung der ä lteren S chüler verbinden sich. Es ist typ isch, dass sic h da nn Er innerungen a n weitere S chulbesuche a nschließen. B eginnt ma n mit einer Freuden-Biografie, dann werden weitere Erinnerungen a n f reudige S ituationen g eweckt. Es ist aller dings a uch mög lich, dass p lötzlich schmerzliche Er fahrungen a uch er innert w erden. Gerade w eil ma n die F reuden zug elassen ha t, ist das S elbstwertgefühl st ärker, ausbalancierter, und so k önnen a uch s chwierige Er fahrungen leich ter zugelassen werden. In den F reuden der K indheit sind o ft die Ressourcen des spä teren L ebens zu f inden. D as wir d besonders b ei dies em Er fahrungsbericht deu tlich: immer noch ist es eine Q uelle der Freude und der Entspannung. Zur Freude am Malen kommt auch die Freude an den Gemälden: Die persönliche Ressource steht in Res onanz zu einer k ulturellen Ressource – und ist auch mit der Hoffnung verbunden, eine Ress ource f ür das hö here Al ter zu s ein, eine Freude, die auch im Alter erlebbar ist. Ein 72-jähr iger M ann b eklagt sic h da rüber, dass ihn nichts anspricht, dass ihm alles gleichgültig sei, dass er sich langweile. Er hat eine Theorie, die b esagt, dass im hö heren Al ter die L ebens-
freude nic ht mehr v orhanden s ei, mi t Ausnahme der Schadenfreude, die er b ei sich, v or allem aber bei a nderen M enschen, wahrzunehmen g laube. Ich s chlug eine I magination zu den F reuden der Kindheit vor . E s gel ang i hm m ühelos – e r w ar offenbar ein zur F reude b egabtes Kind. Zu vielen Spielen, in denen die B ewegung eine Rolle spielte, fiel ihm immer wieder eine T ätigkeit ein, die ihn fasziniert hatte. Beispiel
II
»Ich habe aus Hölzern und aus vielem Zeug, das ich überall aufgelesen habe, sehr zum Ärger meines Vaters, der sehr ordentlich war, Häuser gebaut, große, kleine, Ställe, Hütten. Ich kann mich noch sehen, wie ich sehr sor gfältig alles geklebt, es verschönert habe, verändert, bis es mir sehr gelungen erschien. Das war keine helle Freude, aber eine große Zufriedenheit. Ich konnte meine Bauten bei den Großeltern deponieren, die hatten viel Raum. Der Großvater war sehr interessiert an dem, was ich gebaut hatte, machte manchmal auch noch Verbesserungsvorschläge. Das war schön: der Großvater und ich, auf dem Estrich – und wir betrachteten gemeinsam, was wir gebaut hatten. Da war ich stolz – und zufrieden. Ja zufrieden. Ich habe dieses Werken ganz vergessen. Vielleicht gibt es diese Häuser noch. Vielleicht hat sie auch jemand weggeworfen. Aber sonderbar, dass ich das so ganz und gar v ergessen habe. Ich hatte wohl keine Zeit mehr, andere Interessen, der Großvater starb.«
Er wunderte sich immer wie der darüber, dass eine so b efriedigende T ätigkeit einfac h »a bgebrochen« war in s einem L eben. S ein B eruf hatte nic hts mi t Konstruieren zu t un, im H aushalt war er zwa r geschickt, aber eigentlich auch nicht besonders daran interessiert, etwas zu ba uen. Er ha tte dies e s eine Leidenschaft v ergessen. Er v ersetzte sich in der Imagination immer wie der in dies e Kindheitssituation zurück. Dann meinte er, das sei zu intellektuell, das Werken sich immer nur im Kopf vorzustellen – und er »ba ute« k onkret wieder eines s einer »Häuser«. Dann packte es ihn, und er st ellte nicht
9.4 · Freuden aus der Freuden-Biografie
mehr H äuser, s ondern K unstgegenstände – meist aus Abfall – her, was ihm eine gr oße Befriedigung gab. Ganz besonders freute es ihn, w enn Kollegen, von denen er g laubte, sie wür den s eine S pielerei, wie er seine Tätigkeit selber nannte, verachten, von ihm ein Werk als Geschenk erbaten. In den F reuden der K indheit ste cken o ft die Freuden, die im späteren Alter in etwas umgewandelter F orm wieder zu gr oßer B efriedigung f ühren k önnen und F reude a uslösen k önnen. D abei scheint es r echt oft s o zu s ein, dass B etätigungen, die F reude a usgelöst ha ben, zunäc hst einmal v ergessen werden. 9.4
Freuden aus der Freuden-Biografie
So ganz und gar vertieft Immer wieder wird in den Freuden-Biografien davon gesprochen, wie verblüffend es ist, dass man in der Imagination das so ganz und gar Vertieftsein in ein Spiel wieder erleb en kann. Dieses Vertieftsein, nicht gestört sein von Kummer, Sorgen und Pflichten, s cheint es denn a uch zu s ein, was die F reude in der K indheit ausmacht und sie a uch so speziell macht. Was v on Csikszen tmihalyi (1987, S. 61 ff) als »Flo w« b eschrieben wir d, s cheint im hin gebungsvollen Spiel der Kinder einfach vorhanden zu sein. Sie leben ganz im Augenblick, gehen ganz in ihrer Tätigkeit auf. Sie sind mit ihrer Beschäftigung eins. Dies e Zustände, die einem a uch als Er wachsenem a ttraktiv er scheinen, ka nn ma n sic h in s Bewusstsein zurückholen, indem man die Freuden der frühen Kindheit wieder erinnert. Alles, was es auf dieser Welt gibt, kann Freude auslösen. D ennoch g ibt es b enennbare F reuden aus der Kindheit, die häufiger vorkommen. Es gibt Freuden, die b ei der Rek onstruktion der F reuden-Biografie hä ufig b enannt w erden. F olgende Beispiele, die ich zur Anregung anfüge, illustrieren dies: Die Freude an der Bewegung Die F reude a n der B ewegung ist eine der immer wieder genannten Freude der Kindheit. Dabei geht es um B ewegungen, die etwas r iskant sind , wie etwa s ehr ho ch s chaukeln o der a ber einem alles abverlangen.
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9
»Wir sind herumgerannt, bis wir einfach umfielen. Und das war toll.«
Auch die S piele mi t B all w erden in der F reudenBiografie oft erinnert. »Ich hatt e of t keine Spielk ameradinnen, ich wohnte auf dem Ber g. Dann nahm ich den Ball – und der war eigentlich wie ein ander er Mensch. Natürlich versuchte ich, mit ihm so zu spielen, dass er mir gehor chte, aber das tat er nie ganz. Es g ibt ein Bild v on mir, da spiele ich mit strahlendem Gesicht mit dem Ball . O ffenbar habe ich nicht gemerkt, dass ich f otografiert worden bin.«
Viele Freuden, wie a uch die F reude an der B ewegung, hä ngen mi t der Er fahrung v on Eig enwirksamkeit zus ammen, mi t der F reude a m eig enen Körper, a uch da mit, dass ma n etwas neu g elernt hat, es ka nn, es a nwenden kann, es viel leicht auch den Freunden zeigen kann. Beim Sk ifahren: »Plötzlich konnt e ich mit ge schlossenen Beinen fahr en wie mein ält erer Bruder. Das war ein unglaubliches Gefühl . Ich habe es sof ort meinem F reund auch beige bracht. Als er es auch konnt e, haben wir uns sehr gefreut. Dann haben wir es dem Gr oßvater gezeigt, und der freute sich auch mit uns.«
Kann die F reude mi t a nderen M enschen g eteilt werden, wird sie verstärkt. Die Freude am Schlamm Zur Freude an der B ewegung gehört die Freude an Materialien, mi t denen ma n s o s chön s chmieren kann, die Freude an Schlamm, an Sand, an Wasser. »Eigentlich waren wir schon zu g roß, aber uns packte eine k indliche F reude, als wir uns am See mit S chlamm, mit so warmen, gär enden, etwas stinkenden S chlamm gegenseitig be warfen, uns damit »eink remten«, immer so zwischen Lachen und Ekel – wir er zählen uns das immer noch, 40 Jahre später!.«
Die B erührung, die Er fahrung der W elt üb er den Tastsinn, löst große Freude aus. Diese Freuden sind meistens noch verbunden mit Konstruktionen und mit dem Spiel mit dem Wasser.
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apitel 9 · Freuden-Biografie: Die Freuden der Kindheit wieder erleben
Heimliche Freuden Viele der F reuden der K indheit sind »heim liche Freuden«. Nicht etwa, dass diese Freuden verboten gewesen wären, was natürlich auch gelegentlich zutraf, sondern der b esondere Reiz lag g erade darin, dass niemand davon wusste. Die Freude spielte sich in einem Raum ab, der nur für das Kind zugänglich war, und deshalb a uch ein b esonderes G efühl der Identität vermittelte, eine erste Autonomie erlebbar machen ließ.
9
»Wir – Nachbarkinder und ich – wir hatt en uns eine Hütt e im Wald gebaut. N iemand dur fte wissen, dass es sie gab , und w o sie war . Natürlich haben wir immer wieder Gegenstände aus dem Haus dafür »entliehen«, und w enn wir darauf angespr ochen wur den, haben wir herumgedruckst. Als diese Hütt e eingericht et war, haben wir Geschicht en er funden, in de nen diese Hütt e der M ittelpunkt war. Das war schon eine Freude. Die größte Freude, vielleicht auch eher St olz, war es , dass über eine lange Zeit niemand v on dieser Hütt e wusst e – so dachten wir es uns damals zumindest. Heut e, als Er wachsener, k ann ich mir das nicht mehr so richtig vorstellen. Wahrscheinlich waren unsere Eltern einfach disk ret, haben mit gespielt. Wir kamen uns so g roß vor, so er wachsen, wir übernahmen Verantwortung für die Hütt e: Im Winter konnt en wir sie nicht brauchen, w enn es aber viel geschneit hatte, sind wir hingegangen um sie eventuell zu verstärken.« »Noch, heut e habe ich eine Vorliebe für N ischen des Lebens, die mich mit Freude erfüllen und v on denen ich nicht will , dass ander e sie kennen. Das sind nicht et wa »schlimme Dinge«, die ich v erbergen müsst e, ich will es bloß für mich ganz allein haben und mich ganz allein, oder mit ausgewählten Menschen, darüber freuen. Mich freut es ganz besonders , wenn ich mir ein paar Stunden frei genommen habe, und niemand davon weiß.«
Finden und erfinden Diese F reude er innert a n die vielen F reuden, die das Finden und Er finden a uslösen. D abei g eht es nic ht n ur um K enntnisse, s ondern a uch um irgendwelche G egenstände, von d enen man üb er-
zeugt wa r, dass sie s ehr n ützliche Dien ste leisten k önnen, w obei die E ltern d urchaus nic ht der gleichen An sicht s ein m ussten. Es g eht a uch um Geschichten, die ma n er funden ha t – ma nchmal auch mi t a nderen zus ammen, um ein V ideo, das man gedreht hat. Auch dass ma n herausgefunden hat, wie denn eine M usikanlage zusammen gebaut werden m usste, ka nn eine f reudige Er innerung auslösen, a ndere f reuen sic h da rüber, dass sie es endlich geschafft haben, eine Klippe in einem Musikstück zu bewältigen. Das Finden und Er finden hat zum einen wirklich viel zu tun mit dem Glückhaften, etwas gefunden zu ha ben, was einen b erührt. Of t a ber g eht es um kr eative P rozesse, b ei denen ma n immer wieder eine L ösung f indet. Dies e F reuden s cheinen a m ehest en nic ht v ergessen zu w erden, sie scheinen ins Er wachsenenleben mitgenommen zu werden. D ann f reut ma n sic h a n der K ompetenz, aber auch daran, dass es immer wieder g lückhafte Zustände gibt, wo einem ganz unverdientermaßen etwas zufällt. Etwas bekommen – etwas schenken Etwas geschenkt bekommen – möglichst unerwartet – löst e eb enfalls viel F reude a us. Eb enso, und manchmal sogar noch mehr, das eigene Schenken. »Ich weiß gar nicht, was mir mehr F reude ge macht hat, das Geschenke Bekommen oder das S chenken. Natürlich habe ich of t et was geschenkt bekommen. Und darüber habe ich mich auch immer sehr gefr eut. Aber in besonders freudiger Erinnerung habe ich den Tag, als ich einen neuen Zirkel geschenkt bekommen habe. Der war wunderschön – und ich k am mir g ross v or. Diese Er fahrung ist untr ennbar verbunden damit, dass ich meinen alt en Zirkel meinem kleinen Bruder geschenkt habe – und der freute sich ungemein. Noch heute erinnert er sich daran, und ich auch. Ich glaube , diese Erfahrung war noch wichtiger für mich. Dazu kam, dass ich mich überwunden hatte. Ich war ein wenig geizig als K ind – eigentlich hätt e es zu mir gepasst, dass ich auch noch den alt en Zirkel für mich behalt en hätte. Wahrscheinlich machte mich die Freude großzügig – und dann gefiel es mir, großzügig zu sein.«
9.4 · Freuden aus der Freuden-Biografie
Auch Menschen, die p lötzlich wieder a uftauchen, können wie ein Geschenk große Freude auslösen. »Mein Vater war lange im Spital . Plötzlich fuhr ein A uto v or – er stieg aus . Ich wusst e v or lauter F reude nicht, wie ich mich benehmen sollte. Ich schlug einen P urzelbaum – das war meine Beg rüßung. Ich habe mich unendlich gefreut.«
Freude am Auslösen von Freude bei anderen Die F reude, die ma n s elber b ei a nderen M enschen a usgelöst a us, nimm t einen gr oßen Pla tz in den F reuden der K indheit ein. D as mag da mit zusammenhängen, dass un sere er sten v ertrauten Beziehungen über das Lächeln hergestellt werden. Es geht b ei dies er Freude an der F reude, die ma n selber ausgelöst hat, nicht nur um das G efühl des Anerkanntseins, s ondern a uch da rum, dass ma n sich a ls g ebender, g önnender M ensch erleb t, und dass man Nähe herstellen kann. »Ich habe meiner Großmutter geholfen. Sie hat sich sehr gefr eut. Ich wur de dann noch hilf sbereiter. Sie strahlt e, ich wahrscheinlich auch. Das war ein sehr gut es Gefühl. Wenn ich mich da hineinversetze, dann spüre ich noch heut e, wie mich das vitalisier t hat! Ich fr eue mich sehr, w enn ich ander e M enschen so richtig zum Strahlen bringe , aber das ist gar nicht so einfach.«
Schadenfreude Die S chadenfreude g ehört d urchaus a uch zu den Freuden der Kindheit. »Wir haben einen Geldbeut el an einer N ylonschnur bef estigt, auf den Boden gelegt. Die Erwachsenen, auch die g rößeren S chüler, die vorbeigekommen sind , haben sich gebückt, manche fr euten sich schon richtig , und wir – natürlich v ersteckt hinter einem Busch – haben an der S chnur gezogen. Die meist en waren wüt end, oder erschr ocken. Das hat uns großen Spaß gemacht. I rgendwie fühlt en wir uns überlegen. Gr ößere S chüler sagt en uns dann, es sei gemein. Wir fanden das eigentlich nicht. Höchstens bei alt en Menschen, die sich
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nicht so gut bücken konnt en. Da hatt en wir dann die Freude am Spiel verloren.«
Bei der Schadenfreude geht es um Dominieren, darum, sich in einer Situation überlegen zu fühlen, in der man eigentlich noch unterlegen ist. Zu diesem Thema gehört auch das »H ineinlegen«, das Üb ertölpeln, was nic ht un bedingt mi t S chadenfreude verknüpft sein muss. »’Wo ist meine Brille? ’ fragt der Vater. Der 5Jährige: »Sie war auf dem Tisch«. Der Vater geht zum Tisch. Die Brille ist nicht dor t. Der Sohn gluckst: ‚Ich habe doch gesagt, sie war auf dem Tisch, jetzt ist sie auf dem F enstersims.’ Das K ind lacht unbändig und fr eut sich. Es hat den Vater ausgetrickst. Wenn der Vater mitlachen kann, dann ist die Freude noch größer, wenn nicht, wir d diese F reude wohl bald verdorben sein.«
Witziger zu s ein als die G roßen, die den W itz doch g epachtet ha ben, a uch zumindest f ür einen Moment k lüger, in telligenter zu s ein, löst F reude aus. Kinder, die immer wieder dieses Muster angewandt haben, erinnern sich in der Freuden-Biografie an diese Situationen. Vorfreude Die Vorfreude ist eine sp ezielle Form der F reude, verbunden mi t N eugier, ist sie die F reude, die am meist en Er regung in sic h ha t. D azu g ehören Vorfreude a uf ein F est, a uf eine S chulreise, a uf die Ferien, auf den W iederbeginn der S chule. Die Art, wie die B eziehungspersonen mi t der V orfreude um gegangen sind, fä rbt den U mgang der Kinder mit ihr. Da gibt es Familien, die sich da mit sehr schwer tun, Vorfreude zuzulassen, denn ma n könnte do ch en ttäuscht w erden, was v ermieden werden muss. Andere schwelgen mit den K indern in Vorfreude, malen sich so richtig aus, wie ein Fest etwa s ein k önnte, tr effen V orbereitungen, da mit das Fest auch ihren Vorstellungen entspricht, und vermitteln so den K indern, dass die V orfreude einen eigenen Raum hat, dass man sie pflegen kann, und dass die V orfreude einem v on niema ndem weggenommen w erden ka nn, a uch w enn das Er eignis, worauf man sich gefreut hat, nicht den Er wartungen en tsprechen s ollte. Die V orfreude leb t
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apitel 9 · Freuden-Biografie: Die Freuden der Kindheit wieder erleben
von der I magination, die mi t eig enen b estehenden Er innerungen v erglichen wird. P robleme, die auftauchen k önnten, w erden b ereits mi tbedacht. Zielvorstellung ist es, ein ga nz und ga r gelungenes Fest, einen gelungenen Anlass zu ermöglichen. Die Imaginationen der V orfreude können auch in der Freuden-Biografie s ehr ela boriert s ein. Aller dings sind sie a uch oft dadurch gekennzeichnet, dass jemand viele Befürchtungen äußert, das Anstehende nur als mög liche En ttäuschung sieh t, s odass die Vorfreude gar nicht richtig aufkommen kann.
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»Ich habe mich auf ein S chulfest gefr eut. Ich hüpfte im Haus herum, sprach ohne Punkt und Komma, was es alles S chönes geben w erde: Kuchen, Eis, Cola, Marzipan – v or allem M arzipan. Ich ließ mich länger darüber aus , welche Formen v on M arzipan, ich st eigerte mich ge radezu in einen M arzipanrausch hinein. Dann wusste ich auch, dass es Wettbewerbe geben würde, und ich wür de bestimmt einen Hauptpreis bekommen, vielleicht sogar einen richtigen Elefant en. Da wur de es meinem Vater zu bunt und er schrie mich an, ich solle aufhör en, ich sei ein unr ealistisches K ind, das führ e zu nichts Gutem … ich war dann sehr enttäuscht über den Vater, dass der sich nicht fr euen konnte mit mir . Ich g ing dann zu den Nachbarn – dort waren andere Kinder, wir sprachen weiter über das Fest. Ich war aber ruhiger.«
Das K ind, das sic h in einen »M arzipanrausch« hineinsteigerte, dr ückte da mit a us, dass die V orstellung dies es F estes sich mi t B ildern des S chlaraffenlandes tra fen; es gin g um eine wunderba re, erregende F reude, v erbunden mi t einer I magination der g rößten B efriedigungen. Es g ing dem Kind gar nicht um die F rage, ob das Fest dann der Vorfreude entsprechen würde, das ist erwachsenes Denken. D arum a ber gin g es dem V ater. Er ha tte Angst um sein »unrealistisches« Kind, und verdarb ihm die V orfreude – zumindest v orübergehend. Viele K inder v erinnerlichen da nn nac h und nac h die B edenken dies er Er wachsenen, die sug geriert haben, dass es riskant sei, Vorfreude zu haben, weil man en ttäuscht w erden k önnte. A ber das nimm t nicht die V orfreude w eg, in der a uch imagina tiv zum Ausdruck kommt, was man wirklich brauchen würde, um eine große Freude zu erleben.
Erleben M enschen die V orfreude in der Rekonstruktion der Freuden-Biografie, dann wird der Unterschied zum aktuellen Vorfreudeverhalten besonders deutlich. D er eine o der andere f ragt sich, wo dies e Vorfreude denn g eblieben ist, w o a uch dieses Vertrauen in eine gu te Z ukunft hin gekommen ist. Verdorbene Freude Nicht n ur die V orfreude ka nn einem v erdorben werden, die F reude ga nz g enerell ka nn g edämpft oder v erleidet w erden. A uch das g ehört zu den Freuden der Kindheit. Das beginnt damit, dass im unpassendsten Moment – v om Kind aus gesehen – zum Ess en gerufen wir d, ma n in s B ett g ehen m uss, das Z immer aufräumen s ollte. A ber a uch allzu w ohlmeinende Eltern, die den K indern immer no ch ein zus ätzliches S pielangebot mac hen, ob wohl sie g erade in eine Tätigkeit v ertieft sind , v erderben die F reude, die do ch zu einem gr oßen Teil da raus r esultiert, dass man sich in etwas v ersenken kann, bis es natürlicherweise zu einem Ende kommt. Es gib t a uch Er wachsene, die die F reude der Kinder nicht aushalten k önnen, sie sind neidis ch, sagen den Kindern auch schon voraus, dass sie sich eines T ages nic ht mehr s o hemm ungslos f reuen können werden – und sie bereiten sie schon darauf vor. Wird man dafür getadelt, dass man sich freut, wird einem die F reude vergiftet, es s ei denn, ma n ist g egen das G ift b ereits imm un. S o wie einem selber die Freude verdorben worden ist, so verdirbt man in der F olge sic h s elber wie a uch a nderen Menschen die Freude. 9.5
Sich einfach anstecken mit den Freuden der Kindheit
Die Q uellen der F reude sind unend lich za hlreich. Wir beachten sie o ft nur nicht. Das Leben könnte viel b efriedigender s ein, wür den wir un s a uf die Freuden beziehen, würden wir uns eher mit Freude anstecken als mi t M issmut. D as g elingt durch die Reaktivierung der F reuden der K indheit. Die Rekonstruktion der F reuden-Biografie, die na türlich nicht b ei den K inderfreuden a ufhört, b ringt den Kontakt zu sic h s elbst als freudigen Menschen.
Literatur
In der Er innerung wird die F reude wie der b elebt, und damit werden Situationen wieder lebendig, in denen man mit sich und mi t der Welt einverstanden wa r. D amals wa r ma n b ereit, sic h zu ö ffnen, mit anderen zu t eilen, man hat erlebt, dass L eben einem auch etwas geben kann, das über das Erwartete hina usgeht. W ir f ühlen un s ga nz, im M odus des V erbundenseins mi t a nderen M enschen, in einem W elterleben, das un s das L eben in s einer unerwarteten Fülle zeigt. Wir werden dadurch außerdem auf die aktuellen Erfahrungen von Freude sensibilisiert.
Literatur Csikszentmihalyi M. (1987). Das Flow-Erlebnis. Stutt gart: K lettCotta: Kast V. (1991). Freude, Inspiration, Hoffnung. Olten: Walter. Kotre J. ( 1996). Weiße Handschuhe. Wie das Gedächtnis Lebensgeschichte schreibt. München: Hanser. Krause R. (2001). A ffektpsychologische Überlegungen zur menschlichen Destruktivität. Sonderheft P syche, Zur P sychoanalyse menschlicher Destruktivität, 9/10, 934-960. Markowitsch H.J. & Welzer H. (2005.) D as autobiographische Gedächtnis. Hirnor ganische Grundlagen und bioso ziale Entwicklung. Stuttgart: Klett-Cotta.
129
9
10
K örperliches Wohlbefinden durch Selbstregulation verbessern Renate Frank 10.1 K
örperliches Wohlbefinden als Therapieziel
– 132
10.2
Was sind die wesentlichen Merkmale körperlichen Wohlbefindens? – 133
10.3
Sieben Dimensionen des körperlichen Wohlbefindens
10.4
Unter welchen Lebensbedingungen stellt sich Wohlbefinden ein? – 134
– 133
10.5
Programm zur Selbstregulation körperlichen Wohlbefindens (SR-KW) – 135 10.5.1 Indikation von körperbezogener Wohlbefindensregulation – 135 10.5.2 Neun Schritte zur Selbstregulation körperlichen Wohlbefindens – 135 10.6
Effekte einer Beeinflussung des körperlichen Wohlbefindens – 141 Literatur –
143
132
Kapitel 10 · Körperliches Wohlbefinden durch Selbstregulation verbessern
10.1 K örperliches Wohlbefinden
als Therapieziel
10
Körperliches W ohlbefinden wir d v on P atienten überwiegend als Negation formuliert: Patienten mit chronischen Schmerzen möchten wieder schmerzfrei s ein, P atienten mi t einer B urn-Out-Symptomatik mö chten sich nich t mehr ers chöpft u nd ausgelaugt f ühlen, P atienten mi t P anikstörungen erhoffen sic h, dass das una ngenehme H erzrasen nicht mehr a uftritt, Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen wün schen sic h, dass ihr K örper wieder problemlos funktioniert und P atienten mit depressiven S törungen mö chten z. B. nic ht mehr antriebslos und apathisch sein. Können diese Menschen davon ausgehen, dass a utomatisch körperliches Wohlbefinden resultiert, wenn i hre körperlichen Missempfindungen beseitigt sind? Zumeist wir d dies nic ht der F all s ein. Ga nz sicher aber dann nicht, wenn ein g estörtes Verhältnis zum eig enen Körper v orliegt, wie dies z. B. b ei Essstörungen (vg l. Vocks & L egenbauer, 2005), b ei Borderline-Persönlichkeitsstörungen (vgl. Joraschky et al., 2006) o der bei körperdysmorphen Störungen (vgl. Stangier, 2002) der Fall ist. Diese Patienten zeigen aufgrund von perzeptiven, affektiven und Verhaltensauffälligkeiten e ine st arke kör perbezogene Vermeidung und a usgeprägte S törungen des K örperbildes (vg l. B ohus & B rokuslaus, 2006; Tho mpson et al ., 1999). K örperliches Wohlbefinden muss hier auch ein wesentliches Ziel der Therapie sein. Körperliche Störungen und körperliches Wohlbefinden w erden im F olgenden als distink te A spekte b etrachtet. Dies b edeutet, dass die B eseitigung k örperlicher S ymptome no ch k ein k örperliches Wohlbefinden ga rantiert. Vielmehr stel lt die Verbesserung k örperlichen W ohlbefindens eine eigenständige t herapeutische A ufgabe da r. D amit wird die V orstellung a ufgegeben, dass W ohlbefinden als b ipolares K ontinuum mi t sp iegelbaren Polen des Missbefindens einerseits und Wohlbefindens andererseits zu verstehen ist. Inzwischen gibt es er ste em pirische B elege mi t neur oendokrinen und kardiovaskulären Biomarkern, die für die Unabhängigkeit von Missbefinden und Wohlbefinden sprechen (R yff et al ., 2006). I mmer da nn, w enn Patienten a uch eine V erbesserung i hres k örperlichen W ohlbefindens d urch i hre P sychotherapie
anstreben, müssen folglich spezifische Interventionen zum Aufbau körperlichen Wohl-Befindens als Therapiekomponenten berücksichtigt werden. Im Folgenden wenden wir uns vier Fragen zu: 1. Was sind die w esentlichen Merkmale körperlichen Wohlbefindens? 2. Welche unterschiedlichen Qualitäten körperlichen Wohlbefindens gibt es? 3. Unter w elchen L ebensbedingungen st ellt sic h körperliches Wohlbefinden ein? 4. Wie kann körperliches Wohlbefinden erhalten oder wiedererlangt werden? Ausgehend von der 4. F rage werde ich ein v erhaltenstherapeutisches S elbstregulations-Programm (SR-KW) v orstellen, das ic h a uf der B asis v on empirischen Befunden zum körperlichen Wohlbefinden entwickelt hab e. B ei dies em S elbstregulationsansatz geht es um eine aufmerksame Beachtung des körperlichen B efindens. D er gewählte Zugang unterscheidet sich v on k örpertherapeutischen Methoden, die den K örper m it einbeziehen, um dadurch eine Em pfindens- und Erleb ensdimension zu aktivieren, die über einen rein sprachlichen Therapiezugang nic ht v erfügbar ist (vg l. z. B. G endlin, 1997; Marlock & Weiss, 2006; Remmel et al., 2006; Sulz, Schrenker & Schricker, 2005). Während k örpertherapeutische An sätze den Körper als M edium n utzen, um G efühle b esser klären und r egulieren zu k önnen, in teressiert der Körper b eim S R-KW-Ansatz unmi ttelbar als hedonistischer Er fahrungsraum. An gestrebt wir d eine K örperwahrnehmung mi t zen traler B eachtung angenehmer K örperempfindungen. Zumeist sind b ei P sychotherapie-Patienten V orstellungen von unangenehmen Körperempfindungen deutlich präsent und leicht abrufbar, dagegen werden angenehme oft missachtet oder sind schwer zugänglich. Es ist f olglich ein erk lärtes Z iel des hier v orgestellten S elbstregulations-Programms, f ür positive Empfindungen zu sensibilisieren, diese bewusst als angenehme Z ustände zu r egistrieren und als p ositive mentale Bilder zu sp eichern, um sie k ünftig als er wünschte Z ielzustände a brufen zu k önnen. Mithilfe sp ezifischer t herapeutischer S trategien (z. B. M editation, ho ffnungsvolle G edanken o der Interventionen zum Aufbau von Lust, Genuss und körperlichem W ohlbefinden) k önnen da bei a uch
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10.3 · Sieben Dimensionen des körperlichen Wohlbefindens
störende Körpersignale ignoriert werden, z. B. solche, die Schmerzen übermitteln würden. Es entstehen dad urch zwa r »fals che« V erarbeitungen v on Körperempfindungen, die sich aber günstig auf das aktuelle Handeln auswirken (zu »s omatic marker« vgl. Damasio, 2005). Über das Experimentieren mit unterschiedlichen Alltagssituationen, die dem Körper z. B. Vitalität v erleihen, Ruhe v ermitteln o der Genuss b ieten, s ollen s chließlich k örperbezogene Regulationsfertigkeiten aufgebaut werden, die eine wohltuende Regulierung und Rhythmisierung von An- und En tspannung ermöglichen. Ein a bschließender Abschnitt befasst sich mit der Frage, welche Effekte sic h b ei einer g ezielten B eeinflussung des körperlichen Wohlbefindens feststellen lassen. 10.2
Was sind die wesentlichen Merkmale körperlichen Wohlbefindens?
Mit folgender Definition möchte ich verdeutlichen, was ich unter körperlichem Wohlbefinden verstehe: Definition Körperliches Wohlbefinden ist ein subjektives Phänomen. Es geht dabei um Sinnesreize (sehen, hören, tasten/spüren, riechen, schmecken) und interozeptive Reize (Empfindungen innerhalb des eigenen Leibes wie z. B. Körpertemperatur, viszerale und genitale Empfindungen, Gleichgewicht), welche körperliche Empfindungen hervorrufen, die im gesamten Körper oder in Teilen des Körpers spürbar sind und in positiver Weise wahrgenommen und bewertet werden. Sie gehen mit einem zumeist bewussten, als lebendig, lustvoll bzw. genussvoll erlebten Bezug zum eigenen Körper einher und werden als Zustand des Behagens empfunden. Körperliches Wohlbefinden kann demgegenüber aber auch als ein Zustand erlebt werden, bei dem der eigene Körper in der Wahrnehmung gänzlich zurücktritt und als vollkommene Selbstverständlichkeit empfunden wird, so dass uneingeschränkte Zuwendung des Bewusstseins auf die Umwelt möglich wird. Wichtig ist schließlich, dass körperliches Wohlbefinden nicht gleichzusetzen ist mit körperlicher Gesundheit oder Fitness und sich nicht auf das Erleben von körperlicher Funktionstüchtigkeit oder Leistungsfähigkeit beschränkt.
10
Körperliches W ohlbefinden s etzt gr undsätzlich eine Bereitschaft zu Positiverfahrungen voraus sowie die Fähigkeit, wohlbefindensförderliche Bedingungen erlangen und nutzen zu können (Wechselwirkungsmodell von Dispositions- und Situationsfaktoren, vgl. Grom, 1987). Z u berücksichtigen ist zudem die Wechselwirkung zwischen biologischen Regulationsmechanismen, Befinden und Verhalten (z. B. Porges, 2006; Tewes & Schedlowski, 1994; vgl. a. Kap. 21). Körperlichem Wohlbefinden wird als eine zentrale Dimen sion v on G esundheit b etrachtet (vg l. Mayring, 2003; S chmidt, 1998), stimm t a ber mi t objektiven G esundheitskriterien (z. B. k örperliche Funktionsprüfungen, Arzt urteil) t eils n ur mä ßig überein. D enn a uch k örperlich kra nke M enschen können sich partiell oder trotz körperlicher Symptomatik subjektiv wohlfühlen, sofern die Intensität und das Ausmaß ihrer Beschwerden nicht vollends bewusstseinsbestimmend sind. Und niemand wird daran zw eifeln, dass a uch K örperbehinderte, die teilweise n ur üb er ein M inimum a n k örperlicher Funktionsfähigkeit v erfügen, hö chste F reude und Genuss b ei den ihnen no ch mög lichen k örperlichen Bewegungen empfinden können. Körperliche Gesundheit ist zwa r eine elemen tare B edingung für unein geschränktes Erleb en v on k örperlicher Funktions- und L eistungsfähigkeit, b ietet allein aber k eine Ga rantie da für, dass a uch t atsächlich körperliches Wohlbefinden erleb t wir d. F ehlt die Bereitschaft zur W ahrnehmung v on a ngenehmen Empfindungen o der wur den im V erlauf des eig enen Lebens keine Fähigkeiten zu genussvollen, behaglichen oder vitalisierenden Körpererfahrungen gefördert, da nn b leibt das men schliche Erleb en eingeschränkt. L ebenswichtige Gr undbedürfnisse werden nicht ausreichend b efriedigt und wic htige psycho-soziale und g esundheitliche S chutzfaktoren k önnen nic ht en twickelt w erden (z. B. Taylor, 1990; Mittag, 1998). 10.3
Sieben Dimensionen des körperlichen Wohlbefindens
Da die meist en Fragebögen zum k örperlichen Befinden le diglich B eschwerden er fassen und p ositive, körperliche Befindensaspekte allenfalls global
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10
Kapitel 10 · Körperliches Wohlbefinden durch Selbstregulation verbessern
oder a usschnitthaft a bbilden, er schien es un s a ngebracht, a uf der B asis em pirischer S tudien zum Wohlbefinden einen Fragebogen zur Erfassung des aktuellen k örperlichen W ohlbefindens (F AW) zu entwickeln, der ausschließlich positive Aspekte des körperlichen Befindens berücksichtigt (vgl. Frank, Vaitl & Walter, 1990; Frank, 1991, 2003). Eine fak torenanalytische Üb erprüfung der Struktur des ak tuellen k örperlichen W ohlbefindens er gab 7 F aktoren, die sic h in einer Rep likationsstudie gu t b estätigen ließen. M it ihnen ka nn körperliches B efinden dif ferenziert b eschrieben werden. ⊡ Tab. 10.1 gib t einen Üb erblick üb er die Teilbereiche körperlichen Wohlbefindens (und damit zugleich die S kalen des FAW sowie die j eweils höchstladenden Items). Der FAW er fasst ak tuelles k örperliches Wohlbefinden zu verlässig und valide (vg l. F rank 1991, 2003). S ubjektiv g esunde und g esundheitsbeeinträchtigte Personen (er fasst mi t der F rage: B eeinträchtigt Sie Ihr mo mentaner Gesundheitszustand dabei, Dinge zu tun, die Sie gerne tun würden?) unterscheiden sich b edeutsam in i hrem körperlichen Wohlbefinden. Bis auf nachlassende Anspannung, die v on sub jektiv G esundheitsbeeinträchtigten in stärkerem M aße erleb t wir d, und G enussfreude,
die v on G esundheitsbeeinträchtigung nic ht t angiert wird, sind im übrigen alle Skalen des FAW bei subjektiv Gesunden stärker ausgeprägt (vgl. Frank, Vaitl & Walter, 1995). Der FAW stellt einen geeigneten Parameter der Lebensqualität dar, wie Studien mit Hypertonikern (Vaitl, Frank & Walter, 1991), Herztransplantierten (Giesel, 1996), Lungenkrebs-Patienten (Vaitl et al ., 1995) und Rückenschmerz-Patienten (Walter, Vaitl & Frank, 1997; Walter, 2000) zeigen konnten. 10.4
Unter welchen Lebensbedingungen stellt sich Wohlbefinden ein?
»Was tun Sie, um sich etwas zu gönnen, sich selbst zu verwöhnen, sich zu entspannen und körperlich wohlzufühlen?« fragten wir 172 Personen im Alter von 16–87 J ahren. Anzug eben wa r, wie hä ufig 30 verschiedene w ohlbefindenssteigernde M öglichkeiten g enutzt wur den. Die a nschließende fa ktorenanalytische A uswertung der D aten erb rachte neun Faktoren, die in sgesamt 61% der G esamtvarianz aufklärten (vgl. ⊡ Tab. 10.2). Die N utzung der einzelnen B edingungen ist bis a uf En tspannung/Rückzug, F reizeit/Familie
⊡ Tab. 10.1. Struktur des körperlichen Wohlbefindens Faktor / Skala (FAW)
Itembeispiele (Kurzfassung)
Zufriedenheit mit dem momentanen Körperzustand
▬ mit körperlichem Zustand einverstanden ▬ kann meinen Körperzustand genießen
Ruhe und Muße
▬ genieße die beschauliche Ruhe um mich herum ▬ spüre, dass körperliche Erholung einsetzt
Vitalität und Lebensfreude
▬ spüre nachwirkende freudig Erregung ▬ verspüre Tatendrang
nachlassende Anspannung, angenehme Müdigkeit
▬ fühle mich angenehm schläfrig ▬ bin rechtschaffen müde
Genussfreude / Lustempfinden
▬ spüre, dass eine angenehme Berührung nachwirkt ▬ habe mir Genüsse verschafft
Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit
▬ kann mich gut konzentrieren ▬ bin zu konzentrierten Bewegungen fähig
Gepflegtheit, Frische, angenehmes Körperempfinden
▬ fühle mich sauber und frisch ▬ fühle mich gepflegt
Fragebogen zum aktuellen körperlichen Wohlbefinden (FAW), Version mit 58 Items; s. Anhang A.
10.5 · Programm zur Selbstregulation körperlichen Wohlbefindens (SR-KW)
und k örperbezogene M aßnahmen al tersabhängig. Frauen wählen En tspannung/Rückzug hä ufiger als M änner und v erschaffen sic h eher W ohlbefinden durch Konsumgenuss und k örperbezogene Maßnahmen. Subjektiv gesundheitsbeeinträchtigte Personen b eeinflussen i hr Wohlbefinden s eltener durch S port und nehmen a uch s eltener in tellektuelle/kulturelle Anr egungen wahr als sub jektiv Gesunde, was mi t k örperlichen Ein schränkungen zusammenhängen mag. I nteressanterweise nutzen subjektiv Gesundheitsbeeinträchtigte aber auch seltener die f ür sie d urchaus zugänglichen körperbezogenen Möglichkeiten wie B aden o der Dus chen, um ihr Wohlbefinden zu b eeinflussen. Stattdessen tendieren sie zu S chonung und v ersuchen, ihr B efinden d urch la nges A usschlafen zu v erbessern. Insgesamt b etrachtet n utzen sie eine s chmalere Palette a n M öglichkeiten zur B eeinflussung ihres W ohlbefindens als s ubjektiv G esunde. B isher wurde nic ht g eprüft, ob b ereits die Anzahl der Wohlfühlmöglichkeiten ein entscheidender Faktor ist oder ob es w esentlicher ist, üb er persönlich bedeutsame Einflussmöglichkeiten zu verfügen, auch wenn es nur wenige sind.
⊡ Tab. 10.2. Komponentenstruktur wohlbefindensförderlicher Bedingungen Nr.
Bezeichnung des Faktors
% aufgeklärte Varianz
1
Partnerschaft
31
2
Anregung/Geselligkeit
13
3
Entspannung/Rückzug
11
4
Konsumgenuss
10
5
Freizeit/Familie
8
6
aktiver körperlicher Ausgleich
7
7
intellektuelle/kulturelle Aktivitäten
7
8
Fernsehen
7
9
körperbezogene Maßnahmen
6
10.5
135
10
Programm zur Selbstregulation körperlichen Wohlbefindens (SR-KW)
10.5.1 Indikation von körperbezogener
Wohlbefindensregulation
Wann wir d eine B eeinflussung des k örperlichen Befindens notwendig? Eine I ndikation zu k örperbezogener Wohlbefindensregulation ergibt sich vor allem ▬ als P räventionsmaßnahme b ei sub klinischer Symptomatik ▬ bei Residualsymptomen des affektiven Missempfindens (z. B. bei affektiven Störungen, sozialen Phobien, Panikstörungen oder Zwängen) als gezielte Fokussierung von p ositiven, körperbezogenen Erlebens- und Bewältigungmöglichkeiten ▬ bei stressbedingten Erkrankungen als Hilfe zur raschen R ückregulaton v on B elastungsauswirkungen (k örperliche En tlastung), zur S ensibilisierung für eigene körperliche Möglichkeiten und Grenzen und zum A ufbau stressgemilderter L ebensalternativen mi t g eeigneter R hythmisierung von An- und Entspannung ▬ bei S törungen des K örperbildes und der K örperwahrnehmung (z. B. b ei Essstörungen, körperdysmorphen Störungen, somatoformen Störungen) ▬ zur Verbesserung der L ebensqualität bei chronischen Erkrankungen und zur K ompensation bei körperlichen Einschränkungen und B ehinderungen ▬ im R ahmen der G esundheitsförderung in der Rehabilitation ▬ zur U nterstützung der allg emeinen B ehandlungs-Compliance ▬ als M aßnahme zur a bschließenden S tabilisierung. 10.5.2 Neun Schritte zur Selbstregulation
N=172, 16-87 Jahr e, 30 I tem-Liste, er fasst wur de die Häufigkeit der Nutzung der einz elnen w ohlbefindensförderlichen Bedingungen; varimax -rotierte Neun-F aktoren-Lösung; v gl. Frank,1991
körperlichen Wohlbefindens
Achtsamkeit für den eigenen Körper hat bereits therapeutische Funktion. Sie ist der Ausgangspunkt für Selbstregulation des k örperlichen W ohlbefindens, wie sie anhand des von mir entwickelten Programms
136
Kapitel 10 · Körperliches Wohlbefinden durch Selbstregulation verbessern
(SR-KW) in neun S chritten aufgebaut oder verbessert werden soll. Selbstbeobachtung, Alltagsplanung von Möglichkeiten zum Erleben körperlichen Wohlbefindens und g ezielte Anlei tungen zur S elbstverstärkung sind dabei maßgeblich. Ergänzend können spezifische k örperbezogene Üb ungen hinzuk ommen (g eeignete Anr egungen dazu f inden sic h z. B. bei Görlitz, 1998 a+b, 2005; Klinkenberg, 2000). Ein grundsätzliches Anliegen im SR-KW-Ansatz ist es, immer wieder ga nz gezielt die positive Seite des körperlichen Befindens zu f okussieren und genau zu b etrachten. M it t herapeutischer H ilfe wir d dann ein p ositives men tales A bbild k örperlicher Empfindungen erarbeitet. Bei der Formulierung der Therapieziele ist da rauf zu ac hten, dass Annäherungsziele, d . h. a nstrebenswerte positive Körperzustände f ormuliert w erden. D urch syst ematische Lenkung der A ufmerksamkeit a uf die a ngenehme Seite des k örperlichen Em pfindens s oll ein neuer Blickwinkel eröffnet werden, der das symptombezogene Behandlungsvorgehen sinnvoll ergänzt.
10
Schritt 1: Für angenehme körperliche Empfindungen sensibilisieren Zunächst ist es nö tig, Änder ungsmotivation b eim Patienten a ufzubauen, die da rauf a bzielt, a uch die positive S eite des k örperlichen B efindens in den Blick nehmen zu w ollen, also weg zu kommen von einer Z iel-Definition, die W ohlbefinden ledig lich in einer N egation fasst (»… mö chte diese unangenehmen Körperempfindungen nicht mehr haben«). Um für verschiedene Formen körperlichen Wohlbefindens zu s ensibilisieren und eig ene k örperbezogene Ress ourcen (wieder) zu en tdecken, ist es hilfreich, Erinnerungen an bereits erlebtes positives Körpererleben zu wecken. Wesentlich ist dabei, dass das Interesse immer wieder a uf angenehme Empfindungen gelenkt wird. Wichtig ist auch, dass das, was a n a ngenehmen K örpererfahrungen b erichtet wird, v on t herapeutischer S eite mi t I nteresse und durch em pathisch-begeistertes M itgehen v ertieft wird (vgl. Bauer, 2005: Spiegelneurone). Ist das Potenzial an angenehmen Körpererfahrungen s ehr g ering a usgeprägt, fäll t es M enschen schwer, B ewegungs-, Entspannungs- und G enusssituationen sowie soziale Kontaktsituationen so zu imaginieren, dass sp ürbares Behagen entsteht. Oft lassen sic h a ber d urch F ragen zu L ieblingsspielen
in der Kindheit Erinnerungen wecken, die zumindest S puren v on p ositiven k örperlichen Em pfindungen wachrufen. Auch die V isualisierung von Orten, die in der Kindheit R ückzugsmöglichkeiten g eboten ha ben, kann positive Körpererinnerung hervorrufen. Dass dies a uch d ann mög lich ist, wenn eine eher b elastete K indheit erleb t wur de, zeigt das f olgende Beispiel. H ier er innert eine a n M ultipler Sk lerose erkrankte 35-jähr ige P atientin, der en K indheit durch ständigen Streit der E ltern mit körperlicher Gewalt gegen sie und ihre Geschwister geprägt war, im R ahmen der Erheb ung ihr er »WohlbefindensBiografie« eine S ituation, die f ür sie mit (körperlichem) Wohlbefinden verbunden war. Beispiel
II
»Ja, immer wenn es ganz schlimm wurde, bin ich in den Garten gelaufen und habe mich auf einen Stein unter dem Rhododendronbusch gesetzt. Da fand ich Schutz, kam zur Ruhe, fühlte mich sicher, konnte wieder Luft holen und fühlte mich körperlich wohl.«
Was ist un ter »Wohlbefindens-Biografie« zu v erstehen? Er mittelt w ird d abei, welche Er eignisse in K indheit, J ugend und im spä teren L eben mi t positivem Erleb en und a ngenehmen k örperlichen Empfindungen verbunden waren (s. a. Freude-Biografie, Kap. 9). Erinnerungen an Lieblingsspielzeug, K indergeburtstage, W eihnachten, A usflüge, Urlaub etc. bieten sich als stimulierende Stichworte an. (»W as ha t Ihnen F reude g emacht? W as wa r dabei f ür S ie das S chönste? Welche a ngenehmen körperlichen Em pfindungen k lingen b ei dies en Erinnerungen no ch a n? K önnen S ie dies e näher beschreiben? ) J eder sp ürbare An knüpfungspunkt an positive Körpererfahrungen kann dann als Motivator f ür eine W eiterbeschäftigung mi t dem aktuellen Körpererleben genutzt und später auch immer wieder aufgegriffen werden (zu Wohlbefinden von Kindern vgl. Brodbeck et al., 1998). Als H ausaufgabe wir d v ereinbart, sic h immer wieder zu f ragen: Wie fühle ich mich jetzt ger ade
körperlich? Gibt es dabei auch ir gendetwas, was angenehm ist? Was ist es , was ich als angenehm empfinde? Gezielter kann dies erfolgen, indem Pa-
10.5 · Programm zur Selbstregulation körperlichen Wohlbefindens (SR-KW)
tienten gebeten werden, täglich für einige Zeit am Nachmittag oder Abend den FAW (s. Anhang A ) auszufüllen, der das körperliche Wohlbefinden differenziert abfragt. Schritt 2: Art und Ausmaß des gegenwärtigen körperlichen Wohlbefindens ermitteln Bei der g emeinsamen B esprechung der v orangegangenen Hausaufgabe (nach Auswertung des Fragebogens; mit grafischer Darstellung der Ergebnisse über die einzelnen Tage der Woche hinweg) können Ressourcen und D efizite syst ematisch f ür die 7 Wohlbefindensaspekte b eleuchtet w erden. Welche Aktivitäten und L ebensbedingungen rufen derzeit Wohlbefinden hervor? Gibt es bedeutsame Schwankungen im Laufe der Zeit? Wovon hängen sie ab? Zunächst kann no ch nich t d amit ger echnet werden, dass M enschen, die sic h eher a us einem negativen Blickwinkel mit ihrem Körper beschäftigen, in hinreichender Weise auf angenehmes Empfinden achten. Wird aber der therapeutische Fokus weiterhin auf die Wahrnehmung von angenehmen körperlichen Z uständen g erichtet, da nn g elingt Beispiel
II
Eine 55-jährige Patientin kommt mit einer Panikstörung, die seit ihrer Jugend immer wieder auftrat, und somatoformen Störungsanteilen. Sie wurde bereits mehrfach psychotherapeutisch behandelt. Fast täglich plagen sie körperliche Missempfindungen, immer wieder treten massive Panikanfälle auf, die durch einen Herzklappenfehler mitbedingt sind. Trotz ihrer Beeinträchtigungen übt sie einen anspruchsvollen Beruf kontinuierlich aus, jedoch gelingt ihr dies in ihr en Augen nicht »wirklich gut«. Sie klagt über angstbedingte Lebenseinschränkungen und reduzierte Lebensfreude. Sozial ist sie gut eingebettet, hat wohlgeratene, erwachsene Kinder, die eine gute Beziehung zu ihr pflegen und lebt in stabiler P artnerschaft mit finanzieller Sicherheit. Hedonistisches Potenzial ist vorhanden, aber eingeschränkt. Sie hat sich im Laufe ihres Lebens zu regelmäßigem Joggen diszipliniert, das sie – möglichst täglich – mit Freude ausübt. Sie fühlt sich danach fit. Auf die Frage: Was ist es, was Sie dann
137
10
dies zunehmend b esser. Grundsätzlich s ollten dabei alle 7 Wohlbefindensaspekte erfragt werden: ▬ Womit b in ic h – tr otz der g egebenen S ymptomatik – a uch (körperlich) zufrieden ? I n welchen Momenten empfinde ich meinen Körperzustand als gut oder angenehm? ▬ Wann und wie erleb e ic h k örperliche K raft? Was bedeutet für mich Vitalität? ▬ Was sp üre ic h, w enn ic h ruhig und gelassen bin? Wann ist das der Fall? ▬ Wie erziele ic h den Übergang v on A nspannung zu Entspannung ? Woran merke ich, dass ich mich zunehmend beruhige bzw. entspanne? ▬ Was b edeutet f ür mic h Genuss? Wobei em pfinde ich Lust? ▬ Gelingt mir eine gu te Körperkoordination, kann ic h die B alance hal ten, f inde ic h einen stabilen Stand (z. B. beim Sport, beim Tanzen)? Wie spüre ich dabei meinen Körper? ▬ Wie fühle ich mich beim Duschen, nach einem warmen B ad, in der Sa una, nach dem Eincr emen meines Körpers etc.? Wann fühle ich mich gepflegt und frisch ?
spüren? In welchen Partien Ihres Körpers spüren Sie diese angenehmen Empfindungen? beschreibt sie ein diffus-angenehmes Körpergefühl. Es ist nur von kurzer Dauer, denn sehr bald verlagert sie den Fokus ihrer Aufmerksamkeit wieder auf unangenehme Körperempfindungen. Der erwünschte Zielzustand des körperlichen Wohlfühlens hat eindeutigen Anreiz für sie und ist so attraktiv, dass sie ihn tatsächlich anstrebt (vgl. »Mögen« und »Wollen« Kap. 21). Er wird durch das Joggen auch erreicht, aber in seinem funktionalen Wert als Selbstregulationsmöglichkeit nicht ausreichend wertgeschätzt. Und er kann auch nicht durch mentalen Abruf als angenehme Körperempfindung wiedergewonnen werden. Zudem sagt sich die Patientin auch nicht: »Ja, ich kann mich körperlich zeitweilig auch sehr wohlfühlen« oder »Ja, ich kann meinen Körper positiv beeinflussen«. Dieses Selbstverständnis, diese neue Standardsetzung und diese Form der Selbstverstärkung werden jedoch im Laufe der weiteren Behandlung angestrebt.
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Kapitel 10 · Körperliches Wohlbefinden durch Selbstregulation verbessern
Patienten k önnen da bei ler nen, un terschiedliche Facetten körperlichen Wohlbefindens zu beachten. Sie k önnen zudem d urch die stete A ufmerksamkeitslenkung a uf positive Körperempfindungen lernen, sic h akzep tierend zuzug estehen, dass es auch in Z eiten mi t stö renden S ymptomen M omente gibt, in denen sie sich punktuell wohlfühlen. Schließlich können sie lernen, eine bessere Balance zwischen S törendem und An genehmem und eine raschere R ückregulation v on k örperlich U nangenehmem zu Angenehmem zu erreichen. Dies illustriert Beispiel S. 137: Die f ür dies en S chritt r elevante H ausaufgabe besteht darin, an jedem Tag jeweils auf einen der
7 Wohlbefindensaspekte gezielt zu acht en und festzustellen, ob die betr effende K örperempfindung im Laufe des jeweiligen Tages bewusst hervorgerufen w erden k ann. Die P atienten w erden
gebeten, dies einfac h nur zu b eobachten und ihr e Beobachtungen dazu zu protokollieren.
10
Schritt 3: Bilanzieren und Erarbeitung eines körperbezogenen Therapieziels Vielleicht b erichten die P atienten, dass es nich t gelungen sei, positive Empfindungen hervorzurufen. Dies gibt dann dazu Anlass, r egelhaft zu vereinbaren, dass von therapeutischer Seite dennoch der Blick immer wie der a uf das An genehme g elenkt werden wird, um a uch das n ur ansatzweise Vorhandene zu erk ennen (und »a nzuerkennen«). Primäres Ziel der Hausaufgabe ist darüber hinaus zunächst auch nur, aus den b erichteten Beobachtungen zum G elingen o der M isslingen im k onkreten L ebensalltag a bleiten zu k önnen, w elche angenehmen K örperempfindungen s elbst leich t in G ang gebr acht we rden kön nen u nd wel che störenden K örperempfindungen in letzter Z eit auftraten. Es kann zudem alltagstauglich ermittelt werden, w elches a ngenehme K örperempfinden für Patienten b esondere Rele vanz b esitzt (Vitalität? Ruhe? Nachlassende Anspannung? Genuss?). Im An schluss da ran wir d a usgehend v on den aufgetretenen Körpersymptomen ein Therapieziel abgeleitet, d as positiv f ormuliert w erden m uss. Zumeist fäll t dies s chwer und m uss g emeinsam erarbeitet werden. Das folgende Beispiel verdeutlicht, dass dies aber auch ohne größere Schwierigkeiten gelingen kann.
Beispiel
II
Eine attraktive 43- jährige Patientin, verheiratet, zwei Kinder, kommt wegen stressbedingter beruflicher Belastungen, Schlafstörungen und einer leichten depressiven Verstimmung zur Therapie. Sie möchte sich stabilisieren und wieder lebensfroher werden. Lerngeschichtlich ist von Bedeutung, dass sie vor 16 Jahren an Brustkrebs erkrankte und beide Brüste verloren hat. Sie erhielt Implantate, die nun dringend entfernt müssen, da sie sich auflösen. Durch die bevorstehende Brustoperation werden alte Ängste wieder aktiviert und sie erlebt ihren Körper, den sie bis dahin wieder uneingeschränkt akzeptieren konnte, neuerlich als Quelle großer Angst. Es fällt dieser Patientin jedoch nicht schwer, ein klares positives Therapieziel bezüglich ihres erwünschten körperlichen Befindens zu formulieren: »Ich möchte nach der Operation möglichst schnell wieder körperliche Vitalität verspüren und mich ungestört bewegen, auch wenn ich vielleicht keine neuen Implantate mehr erhalten kann, weil die verbliebene Haut nicht ausreicht«.
Ermittelt wird, ob es in hinr eichendem Maße Zeiten gibt, in denen positive körperliche Empfindungen erlebt werden. Ist das der F all, dann lässt sic h bereits d urch eine b ewusste R hythmisierung v on Zeiten der An- und En tspannung eine B esserung erzielen. Z u k lären ist zudem, ob sym ptomfreie Zeiten v on P atienten a ls »st abilisierende K raft« wahrgenommen werden. Ist ihnen diese Erfahrung in Zeiten, in denen sie unter ihren Symptomen leiden, im Sinne einer Wohlfühl-Fähigkeit mental zugänglich? Wenn nicht, muss dies trainiert werden. Am Ende s ollte eine B ilanzierung k enntlich machen, welche Form des körperlichen Wohlbefindens Patienten anstreben, ob b ereits basale Erfahrungen dazu v orliegen und w elche An satzpunkte einen ras chen Er folg b ezüglich des Erleb ens v on körperlichen Wohlbefinden vermuten lassen. Schritt 4: Gegenwärtig verfügbare Quellen für körperliches Wohlbefinden besser erkennen Bis zum näc hsten S chritt wir d wieder um t äglich der F AW a usgefüllt, w obei n un das A ugenmerk darauf g erichtet w erden s oll, w odurch das mehr
139
10.5 · Programm zur Selbstregulation körperlichen Wohlbefindens (SR-KW)
oder w eniger in tensiv erleb te Wohlbefinden a usgelöst wird. In der Therapie wird dann gemeinsam ermittelt, was die ma ßgeblichen Quellen des eig enen Wohlbefindens sind und vereinbart, dass diese möglichst hä ufig g enutzt w erden s ollen. Ein B eispiel v erdeutlicht, dass dies e A useinandersetzung mit dem V erfügbaren g erade b ei den M enschen besonders wic htig ist, die k örperliche Ein schränkungen kompensieren müssen. Beispiel
II
Die 36-jährige Studentin kommt mit Konzentrations- und Schlafstörungen zur Therapie. Es fällt ihr sehr schwer, ihr Studium zu absolvieren. Sie klagt über ausgeprägte Zukunftssorgen und große Erschöpfung. Lerngeschichtlich ist ein Unfall von Bedeutung, der 10 Jahre zurück liegt, in dessen Folge sie einige Wochen im Koma gelegen hat und durch zahlreiche Rehabilitationsmaßnahmen nahezu alle Körperfunktionen wieder neu erlernen musste. Auch heute noch leidet sie unter körperlichen Einschränkungen, die sie bisher nur schwer akzeptieren konnte. Durch Verhalten mit zwanghaft anmutendem Charakter versucht sie, diese zu kompensieren, was immer wieder zu Über forderung führt. Neben anderen therapeutischen Maßnahmen werden auch Formen der regenerativen Stressbewältigung vermittelt, bei denen das körperliche Wohlbefinden im Mittelpunkt steht. Klassische Entspannungstechniken lehnt die Patientin jedoch ab. Aber sie lässt sich nach der Erhebung der Biografie ihres Wohlbefindens dazu motivieren, – in stärkerem Maße als bisher – regelmäßig Aktivitäten zur Erholung in ihren Alltag einzuplanen, die sie als körperlich wohltuend erlebt: den Fischen im Aquarium zuschauen, wieder im Chor singen, malen. Dies sind Aktivitäten, die ihre Muskelspannung reduzieren und ihren Kopf frei machen. Das Singen wird als belebend erlebt. Ihre Stimmung verbessert sich und ihre Vitalität nimmt durch die neue Rhythmisierung von Anund Entspannung zu. Durch die Wiederaufnahme des Singens im Chor treten zudem positive Selbstwertanteile in ihr Blickfeld, die ihr durch den Unfall und seine Folgen entglitten waren.
10
Schritt 5: Barrieren erkennen, die das eigene Wohlbefinden behindern Bei der B efragung zur N utzung v orhandener Quellen des eig enen Wohlbefindens können auch behindernde F aktoren deu tlich w erden. D as f olgende B eispiel eines 57-jähr igen Mannes mi t hypochondrischen Än gsten, der sic h g erade gr oße Sorgen machte, er könne Lungenkrebs haben, verdeutlicht dies: Beispiel
II
»Ich war ganz euphorisch. Der Ar zt hat mich angerufen und mir mitgeteilt, dass alles in Ordnung ist. Ich habe mir dann sof ort vorgenommen, dass ich die nächsten Tage ganz bewusst genießen will. Ich bin mit meiner Frau nach Dresden gereist. Eine wundervolle Stadt! Wir waren in der Semperoper, eigentlich war alles wunderbar, aber ich habe gemerkt, ich habe Schwierigkeiten mit dem Genießen. Ich konnte mich gar nicht richtig auf die Oper konzentrieren. Bei jedem Husten hinter mir kam mir sofort in den Sinn: Du wirst Dich anst ecken! Ich saß völlig verspannt da und war schließlich froh, als die Oper zu Ende war. So gern hätte ich das Ganze locker, entspannt und ganz konzentriert genießen wollen. Alles war dahin, ich kann einfach nichts entspannt genießen«. Der Patient stellt fest, dass er »gar nichts genießen« kann. Hier wird es erforderlich, ungünstige Erziehungsstile (Genussverbot, aber auch überhöhte Ansprüche; einseitige Festlegung auf Pflichterfüllung, Gehorsam, Disziplin, Unterdrückung von Gefühlen) mit in Betracht zu ziehen und dysfunktionale Denkweisen zu korrigieren. Konnte der Patient wirklich »gar nichts« genießen? Eine nähere Betrachtung mit Fokussierung des Positiven (nach Verständigung auf die vereinbarte Regel, doch immer auch nach den positiven Empfindungen zu suchen und seien sie noch so punktuell) ergibt, dass der Patient mit großem Genuss und körperlich entspannt einen Gottesdienst in der Frauenkirche erlebt hat (»akustischer Genuss, fühlte mich innerlich warm und lebendig«). ▼
140
Kapitel 10 · Körperliches Wohlbefinden durch Selbstregulation verbessern
Der Patient kommt zu dem Schluss, dass er durchaus fähig ist, zu genießen und lernen will , ungestörten Momenten mehr Beachtung zu schenken. Wir einigen uns darauf, dass er sich auch in den sorgenvollsten Momenten bewusst fragen will: »Hast du dich heute auch mal – und sei es nur kurz – wohl gefühlt? Wie war dieses Körpergefühl? Wie war es genau?«
Schritt 6: Wege und Mittel suchen, mit denen das eigene körperliche Wohlbefinden gezielt verbessert werden kann Eine dir ekte B eeinflussung des eig enen k örperlichen Befindens kann auf verschiedene Weise angestrebt werden. Ziel dabei ist, mit dem eigenen Körper pfleglich umzugehen und ihm Gutes zu tun: ▬ durch s ensorische Er fahrungen (vg l. dazu Kap. 11)
10
▬ durch erfolgreiches Handeln (z. B. Erleben von Vitalität, von nachlassender Anspannung, von Ruhe, v on K onzentrations- und Re aktionsfähigkeit) ▬ durch soziale Zuwendung (vgl. dazu Kap. 15, Kap. 16, vgl. auch Reschke & Schröder, 2000) ▬ d urch Phantasietätigkeit/Tagträumen/imaginatives Wiedererinnern angenehmer körperlicher Empfindungen ▬ durch b ewusste W ahrnehmung v on g lücklichen Umständen, die die g erade v orliegenden körperlichen B edürfnisse in ide aler Weise er füllen. Diese Möglichkeiten werden mit den Patienten besprochen. Ihre Umsetzung im eig enen Alltag wird gezielt geplant. Zudem werden Kriterien erarbeitet, anhand der er üb erprüft w erden ka nn, ob der intendierte Wohlbefindenseffekt eingetreten ist. Schritt 7: Experimentieren: Wohlbefinden auf verschiedene Weise auslösen und die körperliche Wirkung spüren Die therapeutische Interventionen zielen n un darauf ab, den eigenen Anspruch zu senken und mutig und mit Bereitschaft zum Ausprobieren von Neuem solche Situationen aufzusuchen oder solche Aktivitäten a uszuüben, die f ür den je weiligen Patienten
realisierbar sind und Wohlbefinden versprechen (s. hierzu auch Arbeitsblatt »Angenehme körperbezogene Tätigkeiten« , Vocks & Legenbauer, 2005 und »Mehr B ewegung in den All tag b ringen«, K aluza, 2004). Die A ufmerksamkeit der P atienten wir d dabei a uf die erziel te W irkung, in sbesondere die körperliche gelenkt (f reie B eobachtung; t äglicher Einsatz des FAW). Schritt 8: Routineprogramm entwerfen Aus den Erkenntnissen, die beim Experimentieren gewonnen wurden, wird dann ein P rogramm entworfen, f ür das R aum f ür (körperliches) Wohlbefinden im eigenen Alltag geschaffen werden muss. Das bedeutet, dass b estimmte Zeiten (Tageszeiten, Wochentage) f ür das eig ene Wohlbefinden r eserviert werden, was vielleicht erstmals geschieht, wie das folgende Beispiel einer Patientin zeigt. Beispiel
II
Die 48-jährige Patientin kommt nach einem Hörsturz und mit anschließendem komplexen chronischen Tinnitus sowie einer Burn-OutSymptomatik zur Therapie. Es handelt sich um eine beruflich sehr er folgreiche Person mit hoher Leistungsorientierung und großem Pflichtgefühl, die ihren Erfolg aber als etwas ansieht, das sich zwangsläufig ergeben hat. Lebensgeschichtlich ist von Bedeutung, dass sie aufgrund der Berufstätigkeit beider Eltern bereits früh für ihre vier jüngeren Geschwister verantwortlich war. In zum Teil wenig für sie durchschaubaren Konfliktsituationen fiel ihr stets die Aufgabe zu, für eine Lösung zu sorgen, die sie dann durch zupackendes Handeln erzielte. Unterstützung und Verständnis sowie Raum für eigene Bedürfnisse und Gefühle erlebte sie kaum. Bei der Vereinbarung von Zeiten für eigenes Wohlbefinden wird die Regel aufgestellt, dass am Wochenende nicht gearbeitet wird. Die Pt. ist irritiert: »Am Wochende wird nicht gearbeitet?« Sie ist fassungslos. Die Erläuterung, dass sie das Wochenende brauche, um ihren Haushalt zu organisieren – das sei schon Arbeit ▼
10.6 · Effekte einer Beeinflussung des körperlichen Wohlbefindens
genug – und im übrigen dazu, sich zu erholen, kann sie zwar nachvollziehen. Sie äußert aber Zweifel, dass sie sich an die Regel halt en kann. »Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, nicht zu arbeiten. Was soll ich dann tun? Wie soll ich mich erholen? Ich weiß nicht, wie das geht … ich kenne diesen Zustand überhaupt nicht. Wohlfühlen … das ist für mich immer damit verbunden, dass ich meine anstehenden Aufgaben alle abgearbeitet habe. Dann lässt der Druck nach … Das ist für mich wohlfühlen.« Die Patientin ist aber bereit, zu experimentieren. Im Laufe der nächsten Wochen hält sie sich an die Regel »Am Wochenende wird nicht gearbeitet« und entdeckt neue Lebensmöglichkeiten, die vor allem auch soziale Kontakte beinhalten. Nach Monaten berichtet sie, dass sie nun langsam wisse, was Erholung bedeute und nun auch den Zustand des Entspanntseins gut kenne. Diesen Zustand habe sie früher nie erlebt. Den habe sie erst dur ch die stetige Fokussierung auf positives körperliches Erleben in der Therapie und Anleitungen zur Entspannung kennengelernt.
Um sich dann auch tatsächlich an die vereinbarten Wohlbefindenszeiten zu erinnern, kann es hilfreich sein, einen »S tein des An stoßes« als Erinnerungshilfe zu n utzen. G emeint ist wirk lich ein k leiner Kiesel-Stein (ein H andschmeichler, eine K astanie …), den die Patienten in ihrer Jackentasche spüren können o der in ihr em Arb eitszimmer o der a n einem sonstigen Ort sichtbar platzieren. Als Reg el wird v ereinbart, dass immer da nn, w enn sie in Kontakt mit dies em Stein des An stoßes kommen, sich f ragen s ollen, ob sie s chon f ür ihr k örperliches Wohlbefinden gesorgt haben und die nächste Möglichkeit nutzen sollen, dies zu tun. Schritt 9: Längerfristig die Selbstregulation des körperlichen Wohlbefindens sicherstellen Um das eigene körperliche Wohlbefinden langfristig zu pflegen, müssen Patienten lernen, immer wieder zu üb erprüfen, wie sie sic h k örperlich f ühlen und Bilanz zu ziehen, ob k ein A spekt des k örperlichen Wohlbefindens zu k urz g ekommen ist. I nsgesamt
141
10
geht es bei einer optimalen Regulation des körperlichen Wohlbefindens darum, eine Balance zwischen den Polen der folgenden 3 Dimensionen zu erzielen: 1. Herausforderungen annehmen vs. Vermeidung von Stress 2. Aktivierung/Erregungssteigerung vs. En tspannung/Erregungsminderung 3. K ompetition/wettbewerbsorientierter Sozialkontakt vs. K ooperation/Nutzung der un terstützenden Komponenten sozialer Kontakte. Sinnvoll ist es, dies e Bilanzierung in Wochenabständen, mindest ens aber einmal pr o Mona t durchzuführen, v oraussehbare B elastungen r echtzeitig zu erk ennen und v orsorglich g esonderte Phasen der En tlastung einzu planen, w enn B elastungen überhand nehmen. 10.6 Eff ekte einer Beeinflussung
des körperlichen Wohlbefindens
Zur S elbstregulation k örperlichen W ohlbefindens liegen b isher ledig lich wirk ungsbestätigende B erichte v or. D a die B eeinflussung des k örperlichen Wohlbefindens zumeist n ur eine T eilkomponente komplexerer Behandlungsmaßnahmen ist, lässt sich nicht eindeutig entscheiden, bei welchen Beschwerden P atienten v on dies er S chwerpunktsetzung b esonders p rofitieren (st örungsspezifische W irkung von Entspannung vgl. Vaitl & Petermann, 2004; Gesundheitsförderung vgl. Bengel & Herwig, 2003). Im F olgenden w erden sp ezifische B elege f ür die p ositive k örperliche W irkung v on En tspannung, Sport und v on s ozialen Kontakten bzw. s ozialer V erbundenheit b erichtet. Z u Ef fekten v on genussfördernden I nterventionen s. Kap. 5 und 11; Auswirkungen von Ernährung, Schlaf und S exualität beschreibt Demling (1986a+b). Autogenes T raining, P rogressive M uskelrelaxation s owie e ine h ypnotherapeutische, m usikunterlegte S tereotiefensuggestion b ewirkten in nicht-klinischen G ruppen nach lassende An spannung, Zunahme von Ruhe und Genussfreude, vermehrte F rische b zw. a ngenehmes H autempfinden sowie gr ößere Z ufriedenheit mi t dem K örperzustand (B ös, 1992; K rüger, 1991). D arüber hina us zeigten sic h v erfahrensspezifische Ef fekte: S tereo-
142
10
Kapitel 10 · Körperliches Wohlbefinden durch Selbstregulation verbessern
tiefensuggestion r ief in s tärkerem M aße V italität bzw. Lebensfreude, Genussfreude sowie subjektive Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit hervor als Progressive Muskelrelaxation (vgl. Frank, 1991). Martiny (1993) fa nd in einer S tudie mi t F reizeitsportlern, b ei der A uswirkungen v on R udern vs. Ef fekte einer R uder-Imagination üb erprüft wurden, dass sic h die T eilnehmer nac h dem R udern deu tlich r eaktions- und k onzentrationsfähiger f ühlten, d . h. es wa r eine sp ezifisch p ositive Wirkung f estzustellen. D agegen f ühlten sic h die Teilnehmer nach der I magination g epflegter, f rischer und r uhiger; zudem wa ren sie mi t i hrem momentanen Körperzustand zuf riedener als nac h dem realen Rudern. Demnach können sich erfahrene S portler a uch d urch I magination ihr es L ieblingssports k örperliches W ohlbefinden v erschaffen, das a ber von ganz anderer Art ist als das, was sie nach realer körperlicher Betätigung erleben (zu Sport und Bewegung vgl. auch Schlicht, 2003). Dass körperliches Wohlbefinden durch soziale Kontakte p ositiv b eeinflusst w erden ka nn, zeig en Befunde, w onach die Z ufriedenheit mi t K ontakten zu F amilie, F reunden und gu ten B ekannten mit k örperlichem W ohlbefinden, g emessen mi t dem F AW, p ositiv k ovariiert (s. ⊡ Tab. 10.3). Är -
ger, Angst, Enttäuschung, Deprimiertheit und G ereiztheit sind gering ausgeprägt, wenn körperliches Wohlbefinden erleb t wir d. P ositive Z usammenhänge b estehen zwis chen V italität/Lebensfreude sowie Ruhe/Muße (FAW) und positiver Stimmung (vgl. Frank, 1991). Bei der Beurteilung der Effekte wohlbefindensförderlicher I nterventionen sind g rundsätzlich Einflüsse von Alter und Geschlecht, habitueller Lebenszufriedenheit und Extraversion mit zu berücksichtigen, wie wir b ei Ein satz des F AW f eststellen konnten (s. ⊡ Tab. 10.3): Leider werden Interventionen, die eine Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens anstreben, noch zu selten anhand von Parametern der Lebensqualität überprüft. Vocks et al. (2006) führten eine Körperbildtherapie bei Essgestörten durch, bei der auch gezielt positive Körperaspekte berücksichtigt und positive körperbezogene Aktivitäten angeleitet wurden. Die Behandlung erwies sich bezüglich der kognitiv-affektiven K örperbildkomponente als er folgreich; dies b ildete sich u.a. in einer V erminderung der körperlichen Unzufriedenheit und der ablehnenden Körperbewertung ab; ob damit zugleich auch d as Wohl-Befinden a nstieg, lässt sich nich t beantworten, da k eine en tsprechende P arameter
⊡ Tab. 10.3. Kovariierende Variablen des Körperlichen Wohlbefindens Skala
Lebenszufriedenheit
Extraversion1
befriedigende soziale Kontakte
Zufriedenheit mit dem momentanen Körperzustand
+
+
+
Ruhe und Muße
+
+
+
+
+
+
Vitalität und Lebensfreude
Alter
Geschlecht
+
Nachlassende Anspannung/ angenehme Müdigkeit
+2
Genussfreude/Lustempfinden
+
(+)
(+)
Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit
+
(+)
+
+
Gepflegtheit, Frische, angenehmes Körperempfinden
+
(+)
+
F>M
+ signifikante positive Korr., F=Frauen, M=M änner; 1 FPI-R von Fahrenberg et al . (1984); 2 Häufigkeit der Kontakt e (vgl. Frank, 1991; Frank, Walter & Vaitl; 1989)
Literatur
erfasst wur den. I n einem st ationären B ehandlungsprogramm f ür Alkoholiker war dies der F all (Domma et al., 2001). Hier kam es zu Verbesserungen des k örperlichen Wohl-Befindens (FAW), wobei sich a uch beachtenswerte Zusammenhänge zu objektiven G esundheitsindikatoren (Ga mma-GT, korpuskuläres Er ythrozyten-Volumen) er gaben. Ein S chulungsprogramm f ür K oronargefährdete, das a us in tensiver G esundheitsberatung und En tspannungstraining b estand, v erbesserte eb enfalls das k örperliche Wohl-Befinden (S charfenstein & Basler, 1993), was bei einer Standardbehandlungen nicht der F all wa r. D ass das W ohlbefinden eine ideale mo tivationale B asis f ür eine eig enständige Fortführung g esundheitbezogener M aßnahmen bietet, wird diskutiert. Abschließend ka nn f estgehalten w erden, dass eine Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens mit g ezielten I nterventionen in sp ezifischer Weise erreicht w erden ka nn, dass sich dies a uch in objektiven Gesundheitsparametern niederschlägt und mit positivem psychischen Befinden verbunden ist.
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Kapitel 10 · Körperliches Wohlbefinden durch Selbstregulation verbessern
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11
Sinnliche Lebendigkeit erfahren – Wohlbefinden durch Sinnesgenüsse erleben Eva Koppenhöfer 11.1
Einleitung und theoretischer Kontext – 146
11.2
Fragen zur Indikation
11.3 T
– 146
herapieprogramm – 146
11.3.1 Über geordnete Therapieziele – 146 11.3.2 P raktisches Vorgehen – 147 11.3.3 Genussr egeln – 148 11.3.4 I maginationsübung – 149 11.3.5 Ablauf des Programms – 150
11.4
Auswirkung der Imaginationsübung auf das Wohlbefinden – 151
11.5 Über 11.6 Kr 11.7 E
geordnete Wirkfaktoren des Behandlungsprogramms
ankheitsbildbezogene Wirkfaktoren valuation Literatur –
– 156 157
– 154
– 152
11
146
Kapitel 11 · Sinnliche Lebendigkeit erfahren – Wohlbefinden durch Sinnesgenüsse erleben
11.1
Einleitung und theoretischer Kontext
Im F olgenden wir d ein r essourcenorientiertes v erhaltenstherapeutisches Behandlungsprogramm vorgestellt, das – orientiert an den fünf Sinnen – Wohlbefinden und g esundes Verhalten f ördert und er fahrbar macht: »Die Kleine Schule des Genießens«. In der Reg el wird das Thera pieziel »Sich w ohl und g esund f ühlen« im K ontext v on K rankheitsmodellen def iniert: z. B. K rankheit und G esundheit (und damit »Wohlfühlen«) sind zwei sich ausschließende Z ustände (en tweder kra nk o der g esund) oder sie sind als P ole auf einem Kontinuum zu v erstehen (je w eniger kra nk um s o g esünder) oder a ber sie st ellen zw ei una bhängige Koordinaten da r (s owohl kra nk als a uch g esund). Or ientiert a n einem s olchen Verständnis st eht da nn zu allererst die B eseitigung und/o der M odifikation der P athologie und da mit des b elastenden und misslichen Erlebens im M ittelpunkt der t herapeutischen B emühungen. D as gil t a uch f ür die V erhaltenstherapie. Hier wird der B ehandlungsansatz im Kontext einer Verhaltensanalyse erarbeitet und diese richtet sich in ihrem Kern am Problemverhalten, am Missempfinden aus, an dem, was geändert werden soll. Dies entspricht im Übrigen auch dem klassischen medizinischen Vorgehen. Andererseits kann es d urchaus sinnvoll s ein, auch eine Verhaltensanalyse f ür das g esunde Verhalten, f ür Wohlbefinden zu erstel len. Denn von seinem Ursprung her ist der f unktionale D enkansatz nic ht a uf die Analyse von Pathologie eingeschränkt. Da »Die K leine S chule des G enießens« das Ziel v erfolgt, Wohlfühlen a uf dir ektem Wege a nzuleiten, f olgt sie dem zuletzt a ufgezeigten v erhaltenstherapeutischen V erständnis. Sie versuch t dabei, f ür k lare S timulusbedingungen (z. B. sp ezifische An gebote v on M aterialien, die p otenziell Wohlfühlen a uslösen o der un terstützen k önnen; die innerlic he Aufforderung, die A ufmerksamkeit lediglich da rauf a uszurichten, sic h einen A ugenblick Z eit zu nehmen, et c.) zu s orgen und dem gesunden Erleben hinderliche, nega tiv sanktionierende G egebenheiten (b estrafende K onsequenzen wie G enussverbote) a ufzuheben. D as neue (g esunde) Wohlfühl-Verhalten wird dann durch entsprechende Ein stellungsänderungen o der d urch
ein sich s elbst p ositiv verst ärkendes angenehmes Erleben und Handeln langfristig stabilisiert. 11.2
Fragen zur Indikation
Die »K leine S chule des G enießens« (Lutz & K oppenhöfer, 1983; K oppenhöfer & L utz, 1985; K oppenhöfer, 2004) wurde ursprünglich für depressive Patienten (K oppenhöfer & L utz, 1983; K oppenhöfer, 1998) en twickelt. D a sie das Z iel v erfolgt, die Entwicklung gesunden Verhaltens unabhängig von d er j eweiligen E rkrankung an zuregen, t ritt die Frage nach der störungsspezifischen Indikation jedoch eher in den H intergrund. W ird die G enusstherapie als Gruppenprogramm durchgeführt, können deshalb in der G ruppe Patienten mi t unterschiedlichen Kra nkheitsbildern (E ssstörungen, Abhängigkeitserkrankungen, S omatisierungsstörungen, P sychophysiologische I nsomnia, s omatoforme S chmerzstörungen, B orderline-Störungen) vertreten sein. 11.3 T herapieprogramm
Die »K leine S chule des G enießens« ist a ls ha lbstandardisiertes G ruppenprogramm f ür eine g eschlossene G ruppe mi t etwa ac ht T eilnehmern konzipiert, das zehn ca. 90-min ütige S itzungen umfasst. Sie kann jedoch auch als »offene« Gruppe sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich angeboten werden. Einzelne Themenbereiche des P rogramms k önnen a ber a uch o hne g rößere Schwierigkeiten in ein einzel therapeutisches Vorgehen integriert werden. 11.3.1 Über geordnete Therapieziele
▬ S ensibilisierung der Sinnesmodalitäten: Der Zugang zu g esundem, p ositivem Erleb en er folgt über die fünf Sinne. ▬ Aufbau eines sp ezifischen U mgangs mi t p otenziell G enussvollem: D er G enusstherapeut erwartet nicht, dass das alleinige Vorgeben von potenziell genussvollen Materialien und Anr egungen automatisch zu Wohlfühlerleben führt.
147
11.3 · Therapieprogramm
11
Er g ibt desha lb en tsprechende An leitung in Form von sog. Genussregeln (s. u.). ▬ Aktualisierung angenehmer Vorerfahrungen in der V orstellung: J eder M ensch ha t in s einem Gedächtnis p ositive B ilder und F antasien g espeichert. I n der j e a ktuellen b elastenden B efindlichkeit oder Lebenssituation ist der Zugang zu diesen Erinnerungen oftmals verschüttet und muss neu entdeckt und gepflegt werden. ▬ Stärkung der A utonomie: B ei der G enusstherapie kann der P atient die Er fahrung machen, dass er a uf s eine G efühle und S timmungen zumindest üb er eine k urze Z eiteinheit hinweg Einfluss nehmen kann. Seine Selbstverantwortlichkeit und Unabhängigkeit wird erhöht.
vergleichbare G egenstände wa hrnehmen und g gf. mitbringen s ollen, k önnen a ngeschlossen w erden (z. B. einen »S chnupper-«, einen »H orchspaziergang« unternehmen).
11.3.2 P raktisches Vorgehen
Riechen
Auswahl der Materialien Über je zwei Sitzungen hinweg wird ein Sinnesbereich in den M ittelpunkt gestellt (Riechen, Tasten, Schmecken, S chauen, H orchen). D abei si tzen die Teilnehmer im K reis um ein in der M itte a usgebreitetes Tuch, auf dem p otenziell angenehme Stimulanzien zu dem gerade thematisierten Sinnesbereich (also lauter Dinge, die gut riechen, interessant anzuschauen sind , et c.) a usgebreitet sind . I n der ersten S tunde b ringt der Thera peut M aterial mi t, in der zw eiten S tunde die P atienten. D er B ezug zur aktuellen Lebenssituation wird am ehesten gewährleistet, w enn die Anima tionsmaterialien eine Verbindung zum Alltag (Geruch von frisch gemahlenem K affee o der f risch g ebackenem B rot, B erührung der g latten Fläche des T isches oder eines Seidentuchs, das Geräusch klappernder Teetassen) und/oder zur je weiligen Jahreszeit herstellen (G eruch v on Er dbeeren im F rühjahr, B erührung v on rieselndem Sa nd im S ommer, das G eräusch b eim Laufen d urch hera bgefallenes L aub im H erbst). Sollen T eile des P rogramms jedo ch unmi ttelbar aus der t herapeutischen S ituation hera us in die einzeltherapeutische Arb eit in tegriert w erden, is t es sinn voll, üb er ein S ortiment hal tbarer Therapiematerialien zu v erfügen: k onservierte D üfte, Handschmeichler, M andeln und G ummibärchen, buntes T onpapier, e ine Sp ieluhr, e tc. Hau saufgaben, b ei denen die P atienten in ihr er U mgebung
Thematische Schwerpunkte ▬ R iechen ▬ T asten ▬ S chmecken ▬ S chauen ▬ Hor chen Bei einig en Sinnen w erden verschiedene Wahrnehmungsaspekte thematisiert: ▬ Riechen von Essenzen. Tasten
▬ Erfassen von Gegenständen unter dem A spekt von ha rt – w eich, leic ht – s chwer, ra u – g latt, warm – kalt. ▬ Zuordnen von einer passenden, gleichförmigen Bewegung (eine H aselnuss zwis chen D aumen und Z eigefinger hin- und her drehen, einen Luftballon knautschen, etc.). ▬ b erührt w erden (z. B. v on einem L ufthauch, von Wasser, von einer Bürste). ▬ sich s elbst b erühren (z. B. b ei der M orgentoilette, beim Duschen, beim Einseifen, beim Abtrocknen). Schmecken
▬ taktiles E rfassen u nterschiedlicher K onsistenzen v on N ahrungsmitteln (w eich – ha rt, tr ocken – saftig). ▬ Wahrnehmen vo n ges chmacklichen N uancen (süß, sauer, bitter, salzig). Schauen
▬ Wahrnehmen von Farben. ▬ Wahrnehmen von Strukturen (Anordnung von Dachziegeln, Geflecht eines Korbes, etc.). ▬ Wahrnehmen g leichförmiger B ewegungsabläufe (Pendel einer Standuhr, Lavalampe, Meereswellen etc.).
148
Kapitel 11 · Sinnliche Lebendigkeit erfahren – Wohlbefinden durch Sinnesgenüsse erleben
Horchen
▬ Wahrnehmen von Klängen einfacher Musikinstrumente (Triangel, Kastagnetten etc.). ▬ Wahrnehmen alltäglicher Geräusche (Rascheln der Z eitung, Knarren von Dielen, T ropfen des Wasserhahns, Ticken der Uhr etc.). 11.3.3 G enussregeln
▬ ▬ ▬ ▬
Genuss braucht Zeit Genuss muss erlaubt sein Genuss geht nicht nebenbei Genuss ist Geschmackssache/jedem das Seine ▬ w eniger ist mehr ▬ ohne Erfahrung kein Genuss ▬ Genuss ist alltäglich
11
Gesundes Verhalten und Erleb en wir d g efördert, wenn b estimmte psy chologische P rinzipien b erücksichtigt w erden. Dies e w erden zu B eginn der Therapie in F orm v on »G enussregeln« a ls An leitung f ür den U mgang mit p otenziell genussvollen Stimulanzien erläutert. Sie stel len den üb ergeordneten Leitfaden für das Programm dar. 1. Genuss braucht Zeit Die En twicklung eines emo tionalen Z ustandes ist ein Prozess, der Z eit benötigt. Deshalb werden die Patienten aufgefordert, sich Zeit zu verschaffen. Sie sollen k leine, um grenzte F reiräume wahr nehmen und a ufgreifen ler nen: Z eit f ür einen B lick a us dem Fenster, Zeit zu duschen, für den Fußweg zur Arbeit, etc.: ! Um sich wohl zu fühlen, brauchen Sie nicht viel Zeit. Es geht um Augenblicke, die als angenehm und genussvoll erkannt und als solche festgehalten und genutzt werden sollen.
2. Genuss muss erlaubt sein Damit neues V erhalten a ufgebaut w erden ka nn, müssen nega tive bzw . hemmende K onsequenzen aufgegeben und/o der verändert werden. Die P atienten w erden desha lb a ngehalten, G enussverbote (das ist sinnlos, ohne Fleiß kein Preis, Übermut tut
selten gut, an frisch gemähtem Gras zu r iechen ist albern, dem Fl ug der Z ugvögel mit den A ugen zu folgen ist Z eitvergeudung, sie f liegen ja jedes J ahr fort, etc.) aufzuspüren, ihre Gültigkeit zu überprüfen und zu korrigieren: ! Es geht darum, dass wir unsere alltäglichen kleinen Genüsse entdecken, sie wertschätzen und bewahren lernen.
3. Genuss geht nicht nebenbei Hier geht es darum zu lernen, die Aufmerksamkeit zu zen trieren. B eispiel: »U m einer Sac he g erecht zu w erden, ist es nö tig, un sere v olle A chtsamkeit darauf a uszurichten und st örende B edingungen auszuschalten: L ediglich dies e F arbe s oll im A ugenblick wic htig s ein und nic ht a ndere G egebenheiten der Situation wie Geräusche oder Gedanken an die Anforderungen des Tages.« ! Wollen Sie Genuss erfahren, dann müssen Sie andere Tätigkeiten ausschalten und sich ganz auf diesen einlassen.
4. Genuss ist Geschmackssache/jedem das Seine »Geschmäcker sind v erschieden.« Es ist deshalb notwendig, die P atienten da rin zu un terstützen, ihre indi viduellen G enüsse a uszukundschaften und sie vor verfälschenden Reaktionen (»Igitt! Das findest du gut!?«) zu schützen: ! Jeder muss entdecken, was für ihn und nur für ihn gut ist, was bei ihm Wohlbefinden bewirkt. Genüsse wirken unterschiedlich und jeder mag etwas ganz anderes schön finden. Das muss jeder selbst ausprobieren, dazu muss jeder selbst stehen.
5. Weniger ist mehr Damit ist g emeint, dass d urch B eschränkung das Besondere er st fassb ar wir d. Es en tspricht einer infantilen Annahme , dass ein G enuss d urch »immer mehr« g esteigert werden kann. Das Gegenteil ist r ichtig. Sä ttigung s chlägt in A blehnung und Ekel um: B eispiel: »Wollen S ie sic h w ohl f ühlen, müssen Sie das, was S ie genießen wollen, zwar intensiv auf sich wirken lass en, ein Z uviel s chwächt die Wirksamkeit des An genehmen j edoch ab und wirkt störend.«
149
11.3 · Therapieprogramm
! Es geht darum, den Zeitpunkt zu erspüren, an
wirkt das Ganze stimmiger und früheres positives Erleben färbt den neuen Eindruck zusätzlich ein.
dem »genug« ist, um sich dadurch die Sehnsucht nach diesem spezifischen Genuss zu erhalten.
6. Ohne Erfahrung kein Genuss Hier geht es darum zu lernen, klare Unterscheidungen vorzunehmen, Ausweitungen zu erproben und das ak tuelle Erleb en f rüheren Er fahrungen zuzuordnen: Wir k önnen um so n uancenreicher wahrnehmen, je genauer wir eine Sache kennen. Je mehr Erfahrung wir ha ben, z. B. b eim S chmecken v on Käse-, K artoffel-, Apfel-, Teesorten, um s o det aillierter k önnen k leinste U nterschiede g eschmacklicher N uancierung, der Z usammensetzung, H erstellung, Herkunft usw. registriert werden. Es gilt, die Patienten anzuleiten, entsprechende Vorerfahrungen a ufzubereiten, den ak tuellen Eindr uck in das vorhandene Vorwissen zu in tegrieren, um das genussvolle Erleben zu erhöhen: ! Spricht Sie ganz aktuell ein angenehmer Gegenstand an, so kann das positive Erleben durch die Erinnerung an ähnliche Vorerfahrungen verstärkt werden. Die neue Erfahrung wird wie ein Puzzleteil in ein bereits vorhandenes Wissen eingefügt. Damit
Beispiel
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7. Genuss ist alltäglich In der Regel ist die Bereitschaft groß, Genüssliches in den Z usammenhang mi t a ußergewöhnlichen Ereignissen zu st ellen. Dem wird entgegengewirkt und die Er fahrung vermittelt, dass G enuss im Alltag erlebbar ist: Am Frühstückstisch beispielsweise der Geruch von frisch gemahlenem Kaffee und der Druckerschwärze der Tageszeitung. ! Viele Genüsslichkeiten sind um uns herum zu finden. Es gilt, die Außerordentlichkeit des Alltags zu erkennen, Angenehmes und Schönes in der Umgebung zu entdecken.
11.3.4 Imagina tionsübung
An die A useinandersetzung mi t den, zur j eweiligen Sinnesmo dalität p assenden, G egenständen werden V orstellungsübungen un ter En tspannung angeschlossen, w obei die I nstruktion die I nhalte der Genussregeln aufgreift.
II
Für den Umgang mit einem bestimmten Duft, den sich der Patient ausgesucht hat, lautet die Anleitung z. B. so: »Haben Sie einen Geruch entdeckt, der Sie anspricht, dann bleiben Sie eine Weile dabei. Ich gebe I hnen Suchfragen vor, die Ihnen dabei helfen sollen, typische Aspekte, die zu Ihrem Duft passen, aufzufinden. Sollten Sie diese Fragen eher behindern, so blenden Sie sie aus und folgen Ihren eigenen Bildern und Fantasien. Tauchen störende oder negative Gedanken und Bilder auf, dann schicken Sie sie weg und gehen neu auf den Duft zu (Genuss braucht Zeit, geht nicht nebenbei, muss erlaubt sein). Suchen Sie Ausweitungen zu ihrem Duft: Wo taucht dieser Duft noch auf? Welcher andere Duft ist diesem am ähnlichsten? Welche Farbe passt zu dem Duft? (Ohne Erfahrung kein Genuss). Vielleicht taucht ja eine Farbnuance auf, die mit der aktuellen Farbe des duftenden Gegenstands, den Sie in Händen halten, überhaupt nichts zu tun hat? Forschen Sie
weiter nach, was den Eindruck des Duf tes abrunden könnte. Möglicherweise passen ja die Töne eines bestimmten Musikinstrumentes dazu: Der Klang einer Harfe, einer Trompete, eines Klaviers, eines Schlagzeugs, einer Piccoloflöte. Das Rasseln von Kastagnetten oder das Geläut eines Windspiels. Gibt es eine ganz bestimmte Art von Musik, zu der Sie dieser Duft führt? Klassische Musik, Rock, Jazz, Hip-Hop, Techno, Country-Musik, Volksmusik oder geistliche Musik? Eventuell fällt Ihnen ein Stück Ihrer Lieblingsband dazu ein, der Satz aus einer Symphonie oder eine Passage aus einem Jazzkonzert. Vielleicht taucht auch die Melodie eines Schlagers, eines Chansons, einer Opernarie oder eines Chorals auf. Spüren Sie den Vorschlägen nach und falls sich eine stimmige Er gänzung einstellt, greifen Sie sie auf und lassen Sie sich w eiter darauf ein. Falls nicht, ist das auch in Or dnung. Jedem tut Unterschiedliches gut. Jeder soll seine ▼
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Kapitel 11 · Sinnliche Lebendigkeit erfahren – Wohlbefinden durch Sinnesgenüsse erleben
ganz persönlichen Eindrücke entdecken und dazu stehen (jedem das Seine). Versuchen Sie nun weitere Verbindungen herzustellen. Gibt es vielleicht Worte, die bei diesem Duft auftauchen? Vielleicht ein Werbeslogan, der Name eines Märchens, eine Redewendung, ein Vers aus einem Kinderreim, eine Strophe aus einem Gedicht, eine Zeile aus einem Lied oder ein Psalm aus der Bibel? Nehmen Sie sich Zeit und verweilen Sie einen Augenblick dabei. Nun machen Sie sich weiter auf die Suche. Führt Sie dieser Duft vielleicht an einen ganz bestimmten Ort? Führt er Sie in ein bestimmtes Haus und dort in ein Zimmer, in die Küche, in die Speisekammer, ins Bad oder in die S cheune? Oder führt er Sie in eine Waldhütte, in ein Gartenhaus, in eine Fischerkate, in eine Berghütte oder vielleicht auf die Zinnen eines Bur gfrieds, in eine schottische Trutzburg oder in ein Schloss an der Loire? Vielleicht passt zu Ihrem Duft noch besser das Innere einer Kathedrale, der Kreuzgang eines Klosters oder vielleicht das unterirdische Gewölbe in einer Höhle? Oder führ t Sie der Duft in eine charakteristische Landschaft? Wiese oder Wald, eine Landschaft von Hügeln durchzogen oder die Weite einer Flussebene, Meeresstrand oder Hochgebirge? Welche Atmosphäre geht von dieser aus? Vielleicht passt zu dem Duft und der Landschaft ja auch eine ganz bestimmte Jahreszeit (Genuss
11.3.5 Ablauf des Programms
Einführung in das Programm und Erläuterung der oben da rgestellten »G enussregeln« f ür den A ufbau einer en tsprechenden G rundhaltung und zur Anleitung f ür den U mgang mi t den g enussvollen Stimulanzien. Thematisierung eines S innesbereichs, Erlä uterung v erschiedener A spekte dies er Sinnesmo dalität, er ste g emeinsame Er fahrungen mi t en tsprechendem Anima tionsmaterial (G eruch: Es wir d eine f risch a ngeschnittene A pfelsinenhälfte v on einem zum a nderen w eitergereicht. T asten: Ein raues, trockenes, leichtes Stück Baumrinde wird im Kontrast zu einem k ühlen, glatten, schweren Stein mit der Hand abgetastet).
ist alltäglich): Frühling, Sommer, Herbst oder Winter? Und dann passen vielleicht auch Geräusche aus der Natur dazu: Das Geplätscher eines Bachs , Knacken von Geäst im Unterholz, Gezwitscher der Vögel, Summen der Bienen, Fallen von Regentropfen, das Knistern eines Feuers, Hundegebell in der Ferne, der Schrei einer Möwe, Meeresrauschen, Rascheln von Herbstlaub, Donnergrollen, das sich langsam entfernt, die Stille einer Winternacht oder überhaupt: einfach nur Stille? Ich überlasse Sie jetzt für eine kurze Zeit sich selbst. Folgen Sie Ihren Bildern, Fantasien und Eindrücken und bleiben Sie eine Weile dabei. Ich werde Sie dann nach einigen Minuten wieder hierher zurückholen.« Diese Übung muss nicht unbedingt mit geschlossenen Augen und in der Vorstellung durchgeführt werden. Fällt es einer Gruppe oder einem einz elnen schwer, sich auf dieses Setting einzulassen, so können diese Aspekte und Querverbindungen auch in Form eines Gesprächs zusammengetragen und ausgetauscht werden. Die Auseinandersetzung mit der jeweils ausgewählten Substanz wird in vergleichbarer Weise bei allen Sinnesbereichen so angeleitet. Eine Ausnahme stellt das Schmecken dar. Hier wird das Wahrnehmen und Erspüren von Konsistenzen durch den Therapeuten angeleitet und die korrespondieren Erfahrungen im Anschluss innerhalb der Gruppe ausgetauscht.
Die P atienten wä hlen a us dem a usgebreiteten Angebot ihre bevorzugte Stimulanz aus. Der Thera peut demo nstriert mo dellhaft die den G enussregeln en tsprechende F orm des U mgangs mit den Stimulanzien (Zeit lassen, Aufmerksamkeit darauf richten, sich Genuss erlauben etc.) oder er instruiert die Patienten entsprechend. Danach werden die Eindr ücke, Bilder, Vorstellungen exploriert. ! Hausaufgaben: Der eingeleitete Lernprozess soll auf die alltägliche Umgebung generalisiert werden. Die Patienten werden aufgefordert, dort für den entsprechend thematisierten Sinnesbereich wohltuende Stimulanzien ausfindig zu machen und einige Beispiele zur nächsten Therapiestunde mitzubringen.
11.4 · Auswirkung der Imaginationsübung auf das Wohlbefinden
▬ Die Patienten stellen die mitgebrachten Stimulanzien vor. Erläuterung der k orrespondierenden Eindr ücke, A ustausch und V ergleich der jeweiligen Erfahrungen. ▬ Vertiefung der Anregungen, evtl. Vereinbarung von gemeinsamen Aktivitäten der Gruppenteilnehmer für die Z eit zwischen den Therapiesitzungen. ▬ Vorstellung eines neuen S innesbereiches und entsprechender Ablauf wie oben. 11.4
Auswirkung der Imaginationsübung auf das Wohlbefinden
Beschäftigung mit neutralen, tendenziell positiven gedanklichen Inhalten Mit H ilfe der V orstellungsübungen w erden A ssoziationen nahegelegt, Bilder angeregt und Er innerungen g eweckt. D adurch, dass zu vor p otenziell Genussvolles ausgesucht wurde, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich neutrale bzw. positive Eindrücke ein stellen. D abei ist der V erbindlichkeitsgrad solcher Imaginationen für den Therapieerfolg nicht ausschlaggebend, wie die evaluativen Studien belegen (vg l. Kap. 11.7: E valuation). Die V ariationsbreite r eicht v om r einen Aneina nderreihen (»das r iecht a uch s o, das sieh t a us wie«) b is hin zum Ak tualisieren leb ensgeschichtlich b edeutsamer Er eignisse. W esentlich s cheint zu s ein, dass sich der Patient für eine gewisse Zeit im neutralen bis positiven Erlebensbereich aufhält. Hinzufügen von Bedeutung Es werden individuelle Bedeutsamkeiten entdeckt. Beispielsweise erinnert sich der Patient beim Wahrnehmen des Duf tes eines A pfels a n die A tmosphäre im Haus seiner Großeltern. Diese hingen im Herbst Apfelringe zum Trocknen im Treppenhaus auf und der Apfelduft durchzog alle Räume. Dieser sinnliche Eindruck und die korrespondierende Erinnerung b edeutete für ihn K larheit, Einfachheit, Bodenständigkeit, G eborgenheit und »heim g ekommen zu sein«. Vervollständigung der aktuellen Situation Da die A ufmerksamkeit auf andere und neue A spekte im ak tuellen Erleb en g erichtet wir d, ka nn
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eine zunäc hst ledig lich als b elastend wahr genommene Gegebenheit relativiert werden: Eine Patientin, die auf dem Nachhauseweg im nahe gelegenen Park bewusst dem Gezwitscher der Vögel und dem Geplätscher der Wasserspiele lauscht, erkennt, dass auch dies es Erleb en ihr e derzei tige L ebenssituation ausmacht und nicht nur die Mobbingsituation am Arb eitsplatz. Dur ch das H inzufügen s olcher Aspekte, r ealisiert sie M öglichkeiten der Dist anzierung. Die B elastung kann in einem üb ergeordneten K ontext wahr genommen und s o vielleic ht sogar bewältigt werden. Auffinden individueller Bewältigungsstrategien Im Z usammenhang mi t der I maginationsübung können a uch indi viduelle B ewältigungsstrategien entdeckt w erden. S o er innert sich ein t rauernder Vater, der a uch nac h zw ei J ahren den T od s eines 4-jähr igen Buben nicht verwunden hat, angesichts eines b unten Aho rnblattes, dass der gr oße Ahornbaum in der Nähe seines Elternhauses in der Kindheit f ür G eborgenheit, Sicherhei t und R uhe stand. Er er innert sic h a n die K raft, die dies er ausstrahlte und er mac ht sic h auf die S uche nac h einem v ergleichbar w ohltuenden Or t. Er f indet schließlich einen ähnlich gewachsenen Baum und lernt dort, diese positiven Gefühle aktuell wahrzunehmen und zu er neuern. S ehr viel spä ter, als die Trauerarbeit bereits abgeschlossen war, verwendet er die Aktualisierung solcher kraftspendenden Bilder a uch in s chwierigen Arb eitssituationen und bei zwischenmenschlichen Konflikten. Ein anderes Beispiel: Ein Patient, der an einem Tinnitus leidet, erinnert sich beim Vertiefen in die Abbildung einer Allee im Morgenlicht an die Stille, die er vor seiner Erkrankung »hören« konnte. Er erleb t, dass er die Stille in sich trägt und erlernt sie so für s ich selbst »hörbar« wieder zu aktualisieren. Abrunden der eigenen Geschichte Eine Patientin er innert sic h, währ end sie Sa nd in einem Weckglas durch ihre Finger rieseln lässt, an die Zeit als ihr e Kinder klein waren, sie mi t ihnen in der Sa ndkiste »K uchen« bac kte o der a m B aggersee B urgen a uftürmte. S ie erk ennt, dass a uch solche Erleb nisse zu ihr g ehören und nic ht n ur die quälenden, den ganzen Körper beherrschenden Muskelschmerzen.
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Kapitel 11 · Sinnliche Lebendigkeit erfahren – Wohlbefinden durch Sinnesgenüsse erleben
Hilfe bei der Therapiezielfindung Einem Patienten fällt beim Duft von Bohnerwachs der G eruch im K lassenzimmer s einer J ugendzeit ein. Sein Vater war Lehrer und er leb te mit seiner Familie im S chulhaus. M ontagmorgens wa r der Patient der erste, der das f risch g ebohnerte, a ufgeräumte K lassenzimmer b etrat. Er er innert das schöne Gefühl von damals: Sauberkeit, Überschaubarkeit, U nberührtheit, K larheit und das Gl ücksempfinden, eine ga nze, no ch un berührte W oche vor sich liegen zu ha ben. Er f indet Zugang zu der Trauer, in s einem ak tuellen L eben s o w enig Or dnung und S truktur v orzufinden. D as ass oziierte Bild wird somit zur symbolischen Therapiezieldefinition und motiviert ihn auf ganz besondere Weise, seine Suchtproblematik in Angriff zu nehmen. 11.5 Über geordnete Wirkfaktoren
des Behandlungsprogramms
▬ Sensibilisierung für die Wahrnehmung positiver Aspekte
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▬ wissen, was gut tut ▬ diff erenzieren lernen ▬ von einander lernen ▬ A chtsamkeit lernen ▬ Einfluss auf die Stimmung nehmen ▬ Stellenwert von sinnlich-positivem Erleben erhöhen
▬ Vervollständigung des Selbstbildes ▬ Selbstdarstellung in der Gruppe ▬ therapeutische Kontaktgestaltung ▬ Auswirkungen auf die soziale Umgebung ▬ M odelllernen innerfamiliär und über Generationen hinweg
▬ Modelllernen über Kulturen und Völker hinweg
Sensibilisierung für die Wahrnehmung positiver Aspekte Während der therapeutischen Sitzungen werden die Patienten immer wie der a ufgefordert, a us einem Angebot p otenziell g enussvoller M aterialien das auszuwählen, was sie ak tuell in ir gendeiner F orm positiv a nspricht. Dies und a uch die im An schluss
angeleiteten A usweitungen f ühren dazu, dass sie unmerklich und eher neb enbei lernend für sinnlich anregende G egebenheiten s ensibler w erden. Dies e Achtsamkeit weitet sich – nicht nur im Kontext der Hausaufgaben – a uf alle mög lichen alltäglichen Situationen und Verrichtungen aus. Natürlich tauchen gelegentlich a uch nega tive B ilder a uf. I n dies em Fall w ird eine a nnehmende Haltung gefördert. Die gleichzeitig a nwesenden a ngenehmen A spekte s ollen jedoch auch Gültigkeit und Bedeutung erhalten. Wissen, was gut tut Im Verlauf d es B ehandlungsprogramms e rwerben oder aktualisieren die Patienten ein Wissen darüber, was ihnen ganz persönlich und speziell gut tut. Beispiel: »Ich bevorzuge warmes Wasser, ich liebe klare einfache Gegenstände, dieser Duft versetzt mich in eine a nregende S timmung, dies e F arbe v erbreitet eine w ohlige A tmosphäre, ic h lieb e die S pielerei mit dem Schwamm beim Duschen.« Dabei kommt es oft vor, dass der eine o der andere entdeckt, dass ihm wohliges und a ngenehmes Erleben mit einem seiner fünf Sinne leichter fällt als mit den a nderen. Auch dies ist eine wic htige Erkenntnis: Werden die Belastungen einmal besonders groß, dann ist es einfacher, mit Hilfe dieses Sinns (»Schokoladen-Sinn«) einen Ausgleich herzustellen. Differenzieren lernen Die G enusstherapie gib t H ilfestellung da bei, g enau und det ailliert un terscheiden zu ler nen: Einen Zwangspatienten quält z. B. b eim Autofahren die An gst, einen M enschen üb erfahren zu ha ben, wenn durch Unebenheiten der Straße das Fahrzeug holpert und da mit das g leichmäßige F ahrgefühl unterbrochen wird. Im Zusammenhang mit seinem Hobby F ahrradfahren ler nt er die un terschiedlichen Erschütterungen und die v erschiedenartigen Geräusche beim Fahren über Kies, Asphalt, feuchten Waldboden »sinnlich« zu b egreifen und damit deutlicher zu unterscheiden. Voneinander lernen Wird die G enusstherapie im R ahmen einer G ruppenbehandlung durchgeführt, ergibt sich für jeden einzelnen die M öglichkeit, von anderen Gruppenmitgliedern zu ler nen. N eben der a nsteckenden Heiterkeit, die in G enussgruppen im Gegensatz zu
11.5 · Übergeordnete Wirkfaktoren des Behandlungsprogramms
problemzentrierten Gruppen häufiger vorherrscht, geht es a uch darum, vom anderen ganz konkrete, persönlich erprobte Anregungen und Tipps zur genussvollen Alltagsgestaltung zu erhalten. Beispiele: »Häng mal ein Bund Zitronenmelisse, die so üppig in deinem Ga rten wäc hst, in s B adewasser.« »I ch erkläre dir, wie du Erdbeerbutter machen kannst.« »Ich hal te a uf der F ahrt zur Arb eit s chon einmal an, wenn die Berge besonders gut zu sehen sind.« Achtsamkeit lernen Die P atienten ler nen, sich a uf den P rozess der Ausführung eines a lltäglichen H andlungsablaufs zu k onzentrieren. D abei un terstützen v or allem gleichförmige, sic h wie derholende B ewegungsabläufe das En tstehen v on W ohlbefinden: z. B. in immer der s elben g leichförmigen B ewegung einen Apfel schälen, ein A uto wienern, einen N agel einschlagen, ein G emüsebeet hac ken, einen Pulli stricken, einen Puddin g a nrühren. S ie ler nen, f ür eine kurze Zeit lediglich im Hier und Jetzt zu s ein und durch die Ausrichtung der gesamten Achtsamkeit auf die Ausführung des Handlungsablaufs den Kopf frei zu b ekommen von störenden und b elastenden Gedanken. Für eine kleine Zeiteinheit wird das Gefühl fassbar, »einfach nur da zu sein«. Einfluss auf die Stimmung nehmen Die Patienten erleben, dass sie unabhängig von anderen Personen oder von chemischen Mitteln, ihre Befindlichkeit verändern und ihr e Stimmungslage selbst positiv beeinflussen können. Sie lernen, sich auf a ngenehmes Erleb en, lieb enswerte B ilder und Erinnerungen einzulass en. S ie ler nen, in ihr em Alltag kleine Zäsuren zu setzen, bewusst Angenehmes in den M ittelpunkt der A ufmerksamkeit zu stellen und H andlungsabläufe, die sie s owieso zu erledigen haben, neu wahr nehmen. Das wirkt der »erlernten Hilflosigkeit«, dem Eindruck des Ausgeliefertseins entgegen. Das in der Verhaltenstherapie übergeordnete Therapieziel »Stärkung der Autonomie« wird dadurch ganz wesentlich gefördert. Stellenwert von sinnlich-positivem Erleben erhöhen Gewohnheitsmäßige H andlungsabläufe k önnen auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden und unter dem Aspekt der A usweitung genüsslichen Erlebens
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modifiziert w erden. B eispielsweise ka nn sich ein Schmerzpatient zu s einer Erleich terung erla uben, morgens um 4.00 Uhr im eigenen Haus ein warmes Bad zu nehmen. Ein Manager stellt eine Schneekugel auf s einen S chreibtisch und b evor er zum T elefonhörer greift, um ein s chwieriges Telefonat zu erledigen, schüttelt er sie und wa rtet, bis der S chnee zur Ruhe gekommen ist. So können alltägliche Verrichtungen und Anf orderungen d urch die V erbindung mit genussvollen Arrangements erleichtert werden. Die Bedeutung, die kleine positive Erlebnisse in der Alltagsgestaltung einnehmen, ka nn a n f olgendem Bild (B alancemodell) v erdeutlicht w erden: »S tellen Sie sic h v or, S ie wieg en die nega tiven und die p ositiven Er eignisse, die Ihnen b egegnen a uf einer Waage. Wenn die Waagschale mit dem b elastenden Erleben s chwerer wiegt, da nn w erden S ie kra nk. Wiegt um gekehrt die W aagschale mi t dem p ositiven Erleb en s chwerer, s o w erden S ie nic ht kra nk. Im G egenteil: S ie v erfügen s ogar üb er einen S pielraum, um zusätzliche Gewichte auf der belastenden Waagschale a usgleichen zu k önnen. Dies er Ef fekt ist durch wissenschaftliche Untersuchungen immer wieder bestätigt worden. Sorgen Sie also dafür, dass die W aagschale mi t den er freulichen Er eignissen immer etwas schwerer wiegt. Sammeln Sie sorgfältig alle auch noch so kleinen Möglichkeiten, um sicherer und g eschützter Ihr L eben zu meis tern.« Die Funktion des emo tionalen Zustands »Wohlfühlen« wird so als Schutz-, Gegen- und Heilmittel vor psychogenen Noxen nochmals herausgestellt. Vervollständigung des Selbstbildes Wenn die Patienten zur Therapie kommen, sind sie in ihr er S elbstwahrnehmung a uf den P rozess des Krankheitsgeschehens ausgerichtet: »Das kann ich nicht mehr, das b ereitet Mühe, S chmerzen, Üb erforderung, An gst.« M it H ilfe der G enusstherapie werden sie sensibel für brachliegende oder vergessene Ress ourcen: »Dies ka nn ic h ja no ch, jenes gelingt mir sogar besonders gut.« Das können und sollen All täglichkeiten s ein, wie z. B.: »I ch f inde es immer wieder in teressant, wie der B aum v or meinem Fenster die Jahreszeiten widerspiegelt. Die warme Dus che am Morgen ist f ür mich ein gu ter Start in den T ag. I ch ha be ein b esonders w ohlschmeckendes Olivenöl, mit dem ic h beinahe jede Mahlzeit verfeinere. Ich trage über das ga nze Jahr
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Kapitel 11 · Sinnliche Lebendigkeit erfahren – Wohlbefinden durch Sinnesgenüsse erleben
hinweg drei Kastanien in meiner H osentasche. Ich nehme sie immer wieder in die H and und s piele mit ihnen. Das ist sehr beruhigend.« Selbstdarstellung in der Gruppe Die Patienten treten in einer Genussgruppe auch vor den G ruppenmitgliedern a nders in Ers cheinung, als b eispielsweise in einer P roblemlösegruppe. D a ist nic ht der S teuerberater, der v on Zwangsgedanken g equält wir d, s ondern der jenige, der dies es ganz besondere morbide Rot liebt. Da ist nicht die Erzieherin, die a n einer E ssstörung leidet, s ondern diejenige, die w eiß, in w elchem Wald gerade Maiglöckchen b lühen. D a ist nic ht der B auarbeiter, dessen B ewegungsradius durch P anikattacken bestimmt wird, sondern derjenige, der erklären kann, wie »falscher Schweinepfeffer« zubereitet wird.
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Therapeutische Kontaktgestaltung Auch der Therapeut lernt den Patienten unter dem Aspekt seiner Ressourcen und lieb enswerten Seiten k ennen. A uch er lässt sic h lieb er v on M aiglöckchen im Wald erzählen als v om fünfmaligen Erbrechen a m Tag. Hinzu k ommt: Wenn sic h die Sichtweise des Thera peuten an problemfernen Eigenschaften orientiert, verändert sich auch die therapeutische Interaktion. Sie kann wertschätzender und lösungsorientierter gestaltet werden. Auswirkungen auf die soziale Umgebung In der Genussgruppe wird die »normale« Alltagskonversation aufgewertet und in ihr er kommunikativen Bedeutung hervorgehoben. Beginnt der Patient auch in der häuslichen Umgebung wieder von angenehm erlebten alltäglichen Verrichtungen zu erzählen, fällt es dem G egenüber leichter, zuzuhören und sic h am Gespräch zu beteiligen als wenn nur und immer wieder v on b elastendem Erleb en b erichtet wird. D enn unsere Alltagskonversation hat oft »nichtige«, kleine, neutrale bzw. angenehme Begebenheiten zum Inhalt. Außerdem kann auf diesem Weg aufgezeigt werden, dass Krankheitsverhalten im kommunikativen Kontext häufig positive Verstärkung gefunden hat. Modelllernen innerfamiliär und über Generationen hinweg Aktuell ge nussvolle Wahrnehmungen kön nen auch dazu a nregen, M itglieder der H erkunftsfamilie un-
ter dem A spekt zu b etrachten, wa nn und wie sie sich Wohlbefinden v erschafften und erla ubten: S o erinnert sic h eine P atientin a ngesichts einer ga nz besonders a parten r oten F arbe, dass ihr e M utter immer, w enn sie f ein a usging, einen L ippenstift in dieser Farbe auflegte. Ein P atient, dess en Vater ein Molkereigeschäft b etrieb, b eschreibt, dass immer , wenn der Frühsommer kam und der Vater dank der gestiegenen Außentemperaturen nicht mehr die langen kratzigen Unterhosen tragen musste, ein kleines Fest mit Erdbeeren und Schlagsahne gefeiert wurde. Modelllernen über Kulturen und Völker hinweg Die A useinandersetzung mi t p ositivem Erleb en regt dazu a n, P arallelen in a nderen Kulturkreisen zu entdecken: So wird z. B. festgestellt, dass in der Katholischen Kirche der D uft von Weihrauch eine geistlich erha bene Stimmung f ördert o der dass in orientalischen L ändern, in denen der G enuss von Alkohol verboten ist, ein jahrhundertealtes Wissen über die a nregende und eu phorisierende Wirkung verschiedenster D üfte a nzutreffen ist. Es wir d er innert, dass b ereits die Rö mer ausgesprochen viel von B ade- und Sa unakultur s owie v on der K unst der Massage verstanden. Und dass in mediterranen Gegenden der H andschmeichler o der das Fin gerspiel, bei dem j ede einzelne P erle einer H andkette in g leichmäßiger A bfolge d urch die H and g leitet, das Feierabendgefühl unterstützt. Ähn liches ka nn auch b ei den tib etanischen M önchen b eobachtet werden, die s o die inner e A chtsamkeit erhö hen. Auch das B eten eines Ros enkranzes ka nn ähnliches b ewirken. Die g enauere B etrachtung wie Wohlfühlen entsteht, weitet den Horizont. Werden Ähnlichkeiten in a nderen kulturellen Zusammenhängen a ufgefunden, s o erhö ht dies die V erbindlichkeit des eigenen vergleichbaren Erlebens. 11.6 Kr ankheitsbildbezogene
Wirkfaktoren
In dies em Kapitel werden einige K rankheitsbilder unter dem Aspekt betrachtet, an welcher Stelle die Genusstherapie a uch das s törungsspezifische und problemzentrierte therapeutische Vorgehen unterstützen kann.
11.6 · Krankheitsbildbezogene Wirkfaktoren
Angst/pathologische Trauer/posttraumatische Belastungsstörung Diese Erkrankungen bringen es mit sich, dass sich die Betroffenen hauptsächlich im aversiven, unangenehmen Erlebensbereich aufhalten. Bei allen drei Krankheitsbildern sieht die Verhaltentherapie in irgendeiner Weise die intensive Auseinandersetzung mit den belastenden Emotionen vor: Konfrontation mit der Angst (Reizüberflutungstherapie), mit dem Verlust (B ereavementtherapie), mi t dem erleb ten Trauma (Neutralisierung durch Nacherleben). Hat der Patient jedoch den Z ugang zu p ositivem Erleben verloren, so wird durch eine Intensivierung der negativen Em pfindungen k eine A daptation und damit k eine Erleichterung er reicht. D as G egenteil wird b ewirkt: eine hef tige Verschlimmerung. Die Fähigkeit, sich w enigstens in einig en B ereichen wohl zu f ühlen ist er forderlich, damit die g eschilderten I nterventionsformen i hre hei lsame W irkung en tfalten k önnen. Die G enusstherapie ka nn die Voraussetzungen dafür schaffen. Essstörungen Hier ist in der Reg el die K örperwahrnehmung verändert: D er K örper wir d in s einen A usmaßen unkorrekt ein geschätzt und hä ufig in sgesamt a bgelehnt. Durch die Sensibilisierung der Sinne wird eine b ehutsame A ussöhnung mi t dem k örperlichen Em pfinden ein geleitet; denn j ede sinnlic he Erfahrung ist a uch eine K örperwahrnehmung. Außerdem ka nn d urch die g eleitete Er fahrung, sich in einen üb erschaubaren P rozess sinnlic hen Erlebens zu b egeben und ihn in s einer I ntensität und Ausgestaltung selbst steuern zu lernen, der oft vorliegenden generellen Angst vor dem Verlust der Selbstkontrolle entgegen gewirkt werden. Natürlich wird speziell durch die G enussübungen zum S inn »Schmecken« ein v eränderter W ahrnehmungsfokus b eim Ess en der all täglichen M ahlzeiten a ufgebaut: Es wir d a ngeregt, ga nz b ewusst zu ess en und die K onsistenz der N ahrung wahrzunehmen anstatt die Kalorien zu zählen. Alkohol- und Drogenmissbrauch oder -abhängigkeit Bei einer S uchterkrankung m uss emo tional und real A bschied v om gr oßen s uchtmittelbedingten »Kick« erfolgt sein, damit Psychotherapie sinnvoll
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ist. Ist dies e Voraussetzung g egeben, da nn v erstehen die P atienten s ehr s chnell, dass sie d urch die Genusstherapie andere Möglichkeiten, zum Wohlgefühl zu g elangen, wiederentdecken bzw. neu er werben können. Natürlich geht es hierb ei um v ergleichsweise kleine und unspektakuläre Erlebnisse, da die Sensibilität für Nuancen erst aufgebaut werden m uss. A ber sie wiss en: J e gr ößer die V ariationsbreite des p ositiven Erleb ens ist, um s o eher sind sie gefeit gegenüber Versuchungssituationen. Depression Um die Passivität depressiver Patienten aufzufangen, werden in der Reg el Ak tivitätspläne erstel lt. Dies e listen jedoch häufig nur die Verrichtung alltäglicher Pflichten a uf. Die »K leine S chule des G enießens« zeigt Tätigkeiten von potenziell angenehmem Charakter auf, sodass ein Wechsel zwischen eher unangenehmen Notwendigkeiten und sic h davon deutlich a bhebenden er freulichen Ak tivitäten mög lich wird. Zusätzlich besteht die Cha nce, dass die P atienten durch die Beschäftigung mit den fünf Sinnen allmählich wieder wacher und empfindungsfähiger werden. Auf die Möglichkeiten, wie die Selbstwahrnehmung i n p ositiver R ichtung ve rändert we rden kann, wurde oben schon hingewiesen. Borderlinestörung Bei dies en P atienten liegt eine ler ngeschichtlich begründete Angst vor, sich unbekümmert einer aktuellen G egebenheit zu stel len. Die A ufmerksamkeit wechselt sehr rasch. Hier ist es no twendig, die Fähigkeit zur A chtsamkeit zu erhö hen und da mit das Erleb en im »H ier und J etzt« zu er möglichen. Die Genusstherapie unterstützt dies in b esonderer Weise. Allerdings muss bei diesen Patienten darauf geachtet w erden, dass im K ontext der I nstruktionen für den Umgang mit den Materialien lediglich angeregt wir d, die Er fahrungen eher neu tral zu beschreiben. Die Aufforderung zu dezidiert positivem Erleben kann sehr rasch Kontrollverlustangst auslösen. Somatoforme Schmerzstörung Patienten, die unter dieser Erkrankung leiden, verbinden mit Körperwahrnehmung oft nur Schmerzempfinden. Dies es ist im w eitesten V erständnis zum t aktilen Erleb en zu zählen. Die A usrichtung
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Kapitel 11 · Sinnliche Lebendigkeit erfahren – Wohlbefinden durch Sinnesgenüsse erleben
der Aufmerksamkeit auf weitere Sinne eröffnet die Möglichkeit, in un belasteten S innesbereichen p ositives körperliches Erleben zu erfahren. Zusätzlich kann die W ahrnehmung v on p ositivem t aktilem Empfinden rä umlich w eit en tfernt v om S chmerzzentrum eine en tlastende Erfahrung s ein. Es wir d deutlich, dass der Schmerz sich auf einen begrenzten Bereich zentriert. Unabhängig davon ist jedoch vor allem wichtig, dass eine Stärkung der Fähigkeit zur K onzentration und zur A ufmerksamkeitsumlenkung er folgt. B eides spielt b ei der B ewältigung von Schmerzerleben eine zentrale Rolle.
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Psychophysiologische Schlafstörung Um den Körper wieder an einen normalen SchlafWachrhythmus zu g ewöhnen, ist es u . a. no twendig, nächtliche Wachphasen bis zum Erreichen des nächsten Ein schlafzeitpunkts zu üb erbrücken. Es ist wic htig, dass der P atient dies e Z eit a ußerhalb des B ettes zub ringt. D amit dies e W achzeit nic ht mit Grübeln oder dem Verrichten liegen gebliebener Verpflichtungen zug ebracht wir d, ist es sinnvoll, Tätigkeiten zu kennen, die zu einem wohligen und en tspannten Z ustand b eitragen, da mit der nächste, physiologisch bedingte »tote Punkt« auch tatsächlich f ür das Ein schlafen g enutzt w erden kann. M ithilfe der G enusstherapie ka nn hier für ein vielfäl tig g estaltetes, indi viduelles P rogramm zusammengestellt werden. Schizophrenie Bei der v erhaltenstherapeutischen Arb eit mi t a n Schizophrenie erkrankten Patienten geht es darum, den Betroffenen einen bewältigenden Umgang mit dieser Erkrankung zu er möglichen. Orientiert am Vulnerabilitätskonzept wir d ein G espür f ür das Auftreten v on indi viduellen S tress- und B elastungssituationen ve rmittelt. F alls n icht ge gengesteuert wir d, k ommt es in s olchen S ituationen zu einer Reizüberflutung. Der »kognitive« Filter wird durchlässig, eine S törung der I nformationsverarbeitung ist die F olge, Prodromalsymptome treten auf. Um dies zu verhindern, muss rechtzeitig dafür Sorge getragen werden, den I nformationsinput zu reduzieren. Dies es kann z. B. durch die Anlei tung zur A ufmerksamkeitszentierung g eschehen, die unauffällig in b elastenden S ituationen ein gesetzt werden kann. Die »K leine S chule des G enießens«
bietet viele G elegenheiten, sich in dies er Fertigkeit zu üben. 11.7 E valuation
Das Programm wurde in zwei Studien mit depressiven Patienten (N=80; überdurchschnittliche Werte auf der D-S kala v on v. Z erssen) e valuiert (B rotzler, 1983; B ausch, 1984; K oppenhöfer, 1990). Es war der S tandardbehandlung b zw. einem Z usatztherapieangebot (Ak tivitätsprogramm) b ezüglich des R ückgangs der dep ressiven Em pfindung im Mittelwertsvergleich ho ch sig nifikant üb erlegen. Die durch das Programm wiedererlangte bzw. neu entdeckte Genussfähigkeit schränkte die Beschäftigung mit negativen Inhalten ein, die Auseinandersetzung mit positiven Aspekten der eigenen Person sowie der a ktuellen L ebenssituation wur de a ngeregt. G enerell wur de j edoch b elastendes Erleb en nicht negier t o der baga tellisiert. S tattdessen ka m es zu einer umfass enderen S ichtweise: Z usätzlich zum P roblematischen wur de a uch An genehmes wahrgenommen. Die »K leine S chule des G enießens« hat in den vergangenen 20 J ahren in vielen k linischen Einrichtungen Ein gang in die a mbulante und st ationäre V ersorgung g efunden. S ie ist vieler orts zu einem f esten B estandteil eines S tandard-Behandlungsangebots geworden. In diesem Kontext liegen inzwischen a uch Er fahrungsberichte und w eitere empirische Studien vor, in denen die G enusstherapie – in der Reg el im R ahmen eines st örungsspezifischen B ehandlungsprogramms – ein ma nchmal a uch etwas mo difizierter Thera piebaustein darstellt: S tressbewältigung (K aluza, 1998, 2004), Schmerz und rheuma tische Erkra nkungen ( Jungnitsch, 1992; K lammer, 1999), Z wangserkrankungen (Ecker, 1994; Flecks & Lieb-Rutt, 1999), Adipositas (Höfner, 1994) sowie im Rahmen einer Gruppentherapie (Zorneck, 1994) und im K ontext einer Gesundheitsgruppe (Dusi & B roda, 1999). Eine aktuelle Evaluation der G enusstherapie erfolgt derzeit durch die Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation a n der Cha rité U niversitätsmedizin Berlin im Reha-Z entrum S eehof T eltow. W eitere Hinweise auf empirische Befunde zur Wirksamkeit dieses Behandlungsansatzes siehe Kap. 4.
Literatur
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157
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12 Sinn volle Werte und Lebensziele entwickeln Psychotherapie mit kognitiv-behavioralen Methoden der Imagination und Hypnose Hans-Christian Kossak 12.1 Einleitung 12.2 L 12.3
– 160
ebensziele: Begriffsbestimmung – 160 Ziele: Aspekte in der Psychotherapie –
160
12.3.1 V ermeidung und Widerstand – 160 12.3.2 Zielhierar chien – 161 12.3.3 Realitätsgehalt von Ziel und Zielerreichung – 161
12.4
Lebensziele, Therapieziele und subjektives Wohlbefinden – 162
12.5
Therapieziele: Funktionen, Analysen, Möglichkeiten – 162
12.5.1 F unktionen der Therapieziele – 162 12.5.2 Klarheit und Orientierung der Zielvorstellungen des Patienten – 163 12.5.3 Ressour cenanalyse – 163 12.5.4 Erfassung und Analyse von Therapiezielen – 163
12.6 Kognitiv-behaviorale Methoden der Imagination und Hypnose – 164 12.6.1 Ziel: Symptomheilung und Rückgewinnung von Selbstkontrolle – 165 12.6.2 Werte und Lebensziele über eine Metapher wiederfinden – 167 12.6.3 Klarheit durch Distanz (Der geheime Raum) – 168 12.6.4 Ziel: Entscheidungen herbeiführen (Straße der Entscheidung) – 168 12.6.5 Ziele aus der Vergangenheit müssen erreicht werden?! – 169 12.6.6 Langz eitziel blockiert Gegenwart – 170 12.6.7 Zielerreichung durch Selbstkontrolle ermöglichen – 170 12.6.8 Zwischenziel: Emotionale Blockaden abbauen (Wegwerftechniken) – 171 12.6.9 Handlungsziele endlich realisieren (Lernbeginn, Arbeitsbeginn) – 171 12.6.10 Ziel vorstellung: Selbstvertrauen und Selbstsicherheit als Lebensbasis – 172 12.7 Vorteile, methodische Hinweise und Abgrenzungen – 173 12.7.1 Vorteile der Kombination von kognitiv-behavioralen Methoden und Hypnose – 173 12.7.2 M ethodische Hinweise – 173 12.7.3 P raxishinweise – 173 12.7.4 Gr enzen, Kontraindikationen – 174 12.7.5 Eff ektivität und neurophysiologische Erklärungsversuche – 174 Literatur –
175
160
Kapitel 12 · Sinnvolle Werte und Lebensziele entwickeln
12.1 Einleitung
Der s ehr umfa ngreiche W issenschaftsbereich zur Erforschung v on Thera piezielen, L ebenszielen und Werten umfasst zahlreiche Theorien und Forschungsergebnisse. Für unsere Zwecke kann hierzu nur ein gr undsätzlicher Üb erblick g egeben w erden, der pragmatisch orientiert ist. Im zweiten Teil werden exemplarisch verschiedene kognitiv-behaviorale M ethoden der I magination und H ypnose vorgestellt, mit deren Hilfe solche Ziele und Werte therapeutisch erarbeitet und umgesetzt werden. 12.2 L ebensziele: Begriffsbestimmung
12
Lebensziele b einhalten p ersönliche Anlieg en oder B estrebungen einer P erson, die sie er reichen möchte, die sie verfolgt und durch konkrete Handlungen zu er reichen v ersucht. L ebensziele und auch Therapieziele lass en sich nie k omplett er fassen o der s ogar erk lären, s ollten jedo ch in en gem Zusammenhang gesehen werden. Mit beiden Zielarten sind nur selektive Ausschnitte zu erfassen, die eventuell nur die aktuelle Situation wiedergeben. Ziele sind immer in der I nteraktion des I ndividuums und in A bhängigkeit v on s einem s ozialen und ö kologischen Umfeld zu s ehen (B runstein & M aier, 1996). V erschiedene Z ielebenen w erden durch die individuellen und altersbezogenen Erwartungen bestimmt und haben unter anderem Einfluss auf das individuelle Verhalten (Freund, 2003). ! Lebensziele sind somit ein dynamischer Prozess, der sich wandeln kann, wenn sich die Bedingungen ändern (Emmons, 1986). Entsprechend müssen sie kontinuierlich geklärt und aktualisiert werden. Ein Therapieziel ist dann unter anderem, dass der Klient später selbst diese Zielerforschung vornimmt, um sein Verhalten danach eigenständig auszurichten (Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 2005).
Durch die L ebensziele und d urch die Arb eit zur Annäherung ä ndert sic h die W ahrnehmung des Menschen, a uch s eine K ognitionen, Emo tionen und Handlungen (Klinger, 1987). Ziele sind ha ndlungssteuernd, was j edoch f ür ein im plizites M otivationssystem und f ür W erte nicht gelten muss. Werte sind nur potenzielle Ziele
und s omit p ersönliche P räferenzen; sie m üssen nicht un bedingt H andlungen b edingen (K anfer, Reinecker & S chmelzer, 2005). M otive und W erte sind meist ho ch g eneralisiert und sp rachlich o ft nicht repräsentiert. ! Lebensziele sind Orientierungspunkte, die wir in der nahen oder fernen Zukunft erreichen wollen. Dazu bedarf es unterschiedlich komplexer Verhaltensweisen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die mitunter nur z. T. in einer Psychotherapie erlernt werden können.
Mitunter m uss die Rele vanz und der Re alitätsgehalt der L ebens- und Thera pieziele in der P sychotherapie b esprochen w erden; dies er A spekt st ellt dann ein Thera pieziel f ür sic h da r. En tsprechend müssen a uf der B asis der neu er worbenen a lternativen B etrachtungsweisen Z iele era rbeitet o der geändert w erden. (B eispiel: B ei g eringer k ognitiver Kompetenz wäre das Ziel »Hochschulstudium« unrealistisch, a ber eine st ark p raktisch o rientierte Ausbildung anzustreben wäre ratsam.) Nicht zu v ergessen ist, dass Z iele auch als pathologische F aktoren wirks am s ein k önnen, die zur En tstehung und A ufrechterhaltung psy chischer Störungen b eitragen können (S chulte, 1996; Schulte & Eifert, 2002). 12.3
Ziele: Aspekte in der Psychotherapie
Zu B eginn einer P sychotherapie s ehen P atienten wenig an En twicklungsperspektiven; sie sind ho ffnungslos und f okussieren i hre A ufmerksamkeit stark auf ihre Probleme. Ihnen ist es kaum möglich, sich a uch f ür p ositive Z ukunftsaspekte zu ö ffnen (Koban & W illutzki, 2001). T eilweise dad urch b edingt haben Klienten zu Therapiebeginn oft unklare oder nur implizite Zielvorstellungen, die mehr oder weniger bewusste Zielkonflikte beinhalten (Michalak, Heidenreich & Hoyer, 2004) und somit zu ihrer Beunruhigung oder zu Sorgen beitragen können. 12.3.1 V ermeidung und Widerstand
Durch i hre ein geengte Sich tweise b esonders zu Beginn der P sychotherapie r eagieren K lienten
12.3 · Ziele: Aspekte in der Psychotherapie
mehr mi t V ermeidungszielen (K anfer, Reinec ker & Schmelzer, 2005). (Beispiele: Ich will nicht mehr Angst v or Hunden ha ben.« »I ch will nicht dur ch die Prüfung fallen.«)
Vermeidungsmotivation trägt jedo ch zur En tstehung und A ufrechterhaltung der P sychopathologie b ei (G rosse H oltforth, G rawe, E gger & B erking, 2005). ! Jede therapeutische Veränderung, also auch das Vorgehen zur Zielerreichung, kann nicht isoliert betrachtet werden, denn es verursacht durchaus auch Veränderungen, die sich im sozialen oder materiellen Umfeld des Klienten auswirken – oder von dort gehemmt werden. Entsprechend kann der Klient Widerstände oder Vermeidungsverhalten aufbauen, wenn er diese Faktoren möglicherweise negiert oder antizipiert und überstarke positive oder negative Attributionen damit verbindet (Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 2005).
Psychotherapie ziel t da nn j e nach P atientenproblem da rauf a b, mi t dem P atienten g eeignete Alternativreaktionen (motorisch, emotional, kognitiv etc.) zum b isherigen Verhalten bzw. zum V ermeidungsverhalten zu f inden; dies ka nn a uch b einhalten, v ollkommen neue V erhaltensweisen o der Einstellungen zu erarbeiten. Grundsätzlich gil t es hier , positiv e Zi elkonzepte aufzubauen. 12.3.2 Zielhier archien
Wenn a ngestrebte Z iele zu k omplex und un übersichtlich sind, dann sollte eine Aufteilung in Ober-, Zwischen- und Unterziele erfolgen, eventuell müssen sie in F orm v on En tscheidungsbäumen und Planhierarchien v eranschaulicht w erden (C aspar, 1998; C aspar & G rawe, 1981). B ei dies em s ehr sinnvollen Vorschlag setzen Kanfer und Busemeyer (1982) nic ht n ur hö here k ognitive/intellektuelle Fähigkeiten v oraus, s ondern a uch, dass K lienten bereits Üb ersichts- und Pla nungsfähigkeit b esitzen, die sie mög licherweise jedoch erst durch eine Therapie erwerben werden.
161
12
! Aufgabe des Therapeuten ist es auch, den K lienten auf Kognitionen und Verhaltensweisen in Richtung auf die vereinbarten Ziele hinzuführen. Auf dem Weg dorthin muss ergründet werden, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten Voraussetzung für die Zielerreichung sind, und welche gegebenenfalls als Zwischenziele erworben werden müssen. Hierbei sind auch zahlreiche kognitive Fertigkeiten zu erkennen und aufzubauen wie z. B. effektives Problemlösen, relevante Alternativen zu erkennen und gegeneinander abzuwägen, aber auch (positive wie negative) Konsequenzen zu erkunden und Verhaltensweisen auszuprobieren.
Nach a usführlicher t herapeutischer M otivationsklärung kann durchaus als (ein) Thera pieziel erarbeitet werden, das Unabänderliche zu akzeptieren, wenn d urch un terschiedliche G renzen g esetzte Veränderungen nic ht mög lich sind (S chmelzer, 1998). 12.3.3 Realitätsgehalt von Ziel
und Zielerreichung
Eine der K ünste in der P sychotherapie b esteht darin, gemeinsam mit dem Klienten seine relevanten Z iele o der Unterziele zu f inden, die v on ihm erreichbar sind, die a ber auch im R ahmen der B ehandlung möglich sind. (Beispiel: »Ich möchte bei Frauen charmant auftreten.« ist sehr schwer durch klare V erhaltensbeschreibungen zu er fassen und bedarf so komplexer Fertigkeiten, dass sie vielleicht kaum erlernbar sind. Das Ziel »Ich will selbstsicher in der G egenwart von Frauen s ein.« lässt sic h detailliert in k lare Unterziele aufteilen, in k onkreten Verhaltensweisen definieren und in therapeutische Übungen umsetzen.) ! Bei der Überprüfung des Realitätsgehaltes der Zielperspektiven sollte zunächst eine rationale Zensur weitgehend ausgeschaltet sein. Danach erst sollte eine Überprüfung erfolgen, ob die einzelnen Alternativen auch umsetzbar sind (K anfer, Reinecker & Schmelzer, 2005). Dann sollten dem Klienten die Prozesse vermittelt werden, mit denen er mit der Zeit die Fähigkeit erwirbt, den Realitätsgehalt der Ziele selbst zu überprüfen.
162
Kapitel 12 · Sinnvolle Werte und Lebensziele entwickeln
12.4 L ebensziele, Therapieziele
und subjektives Wohlbefinden
Unabhängig von ihrer theoretischen Orientierung messen P sychotherapeuten f olgenden Thera pieziele besondere Wichtigkeit bei: Verbesserung der Qualität s ozialer B eziehungen, A ufbau und S tärkung des S elbstwert- und I dentitätsgefühls und Entwicklung neuer S ichtweisen zu G efühlen und Verhaltensweisen (Am bühl & Orlin sky, 1999). In der G rundlagenforschung wur de g ezeigt, dass Therapieziele für das subjektive Wohlbefinden des Menschen eine ho he B edeutung ha ben, f ür s eine psychische G esundheit, s eine p ersönlichen Z iele (z. B. B runstein & M aier, 1996; S chmuck & S heldon, 2001; R yan & D eci, 2000). Die A bhängigkeit des sub jektiven Wohlbefindens v on einig en Z ielmerkmalen wurde belegt.
12
Die relevanten Zielmerkmale für subjektives Wohlbefinden (Vorw. nach Boelicke, 2004): 1. K onkretheit: K onkret f ormulierte Z iele sind leichter er reichbar und die K larheit der Z ielerreichbarkeit ist gegeben, damit die Sicherheit in der Rich tung der Z ielerreichung und i hr Erfüllungspunkt (Emmons, 1992). 2. P ersönliche Bedeutsamkeit: I st ein Z iel f ür die Person persönlich von Wichtigkeit, so wird sein Er reichen in ho hem M aße zum W ohlbefinden beitragen. 3. I ntrinsische Regulation: Ist die Z ielverfolgung durch sic h s elbst er füllend und b elohnend, wirkt sie sic h p ositiv a us. W ird das Z iel n ur angestrebt, w eil allein ä ußere B elohnung (extrinsische Regulation) oder innerer Druck wie Schuldgefühle v orliegen, sind ka um p ositive Ergebnisse zu erwarten. 4. Art des Anreizes (etwas erreichen statt vermeiden w ollen): B ei V ermeidungsverhalten t ritt der a versive (k ognitive) S timulus mi t all s einen (emo tionalen, p hysiologischen und imaginativen et c.) K omponenten st ets da nn a uf, wenn eig entlich v on einer p ositiven Veränderung ge sprochen we rden s oll. D amit w ird d as Problemverhalten w eiterhin nahezu zwin gend durch die Zieldiskussion ausgelöst. 5. Wird das Ziel positiv definiert, werden dadurch die gewünschten alternativen Verhaltensweisen
definiert. D urch i hre k onkrete F ormulierung und Op erationalisierung b einhalten sie o ft klare Handlungsanweisungen. 6. Realisierbark eit: W erden r ealisierbare Z iele formuliert und a ngestrebt, können sie mi t hoher Wahrscheinlichkeit erreicht werden. Damit verbunden kann sich die Therapie immer mehr einem positiven Abschluss nähern. 7. Motivk ongruenz: Li egt M otivkongruenz v or, dann b estehen k eine K onflikte innerhalb des eigenen (Wert-)Systems oder mit dem anderen Personen. Entsprechend kann der K lient ohne diese Widerstände konstruktiv an der Zielerreichung arbeiten und Wohlbefinden erlangen. 8. S elbst-Konkordanz: W ohlbefinden tr itt a uch auf, wenn Ziele in das S elbstsystem des K lienten gut integriert sind (Sheldon, 2001). 12.5 T
herapieziele: Funktionen, Analysen, Möglichkeiten
Da die Z iele so große Bedeutung in der men schlichen Entwicklung ha ben, muss ihnen in der P sychotherapie eb enfalls ein ho her S tellenwert zug eordnet w erden. M it der Diagnostik und der Therapie werden die Z iele und die M öglichkeiten der Zielerreichung erkundet und erprobt. 12.5.1 F unktionen der Therapieziele
Es lass en sich za hlreiche F unktionen v on Therapiezielen in der P sychotherapie un terscheiden (Driessen et al., 2001): 1. Ziele als Entscheidungsgrundlage für die Therapieplanung: Hier ist die Z ielanalyse die
Grundlage für die Indikationsstellung. Dies erfordert ein M inimum a n P roblemerkenntnis und -strukturierung. 2. Ziele als Krit erium der Er folgskontrolle: N ur durch den V ergleich v orher f estgelegter Z iele lässt sic h er mitteln, ob die Thera pie ihr Z iel erreicht hat (s. u. Verfahren der Skalierung von Zielerreichung). 3. Ziele bewirken eigene therapeutische Effekte: Der Patient wird angehalten, seine jetzige Lage und seine gewünschte Lage zu vergleichen; da-
12.5 · Therapieziele: Funktionen, Analysen, Möglichkeiten
bei soll er ler nen, realistische Zielperspektiven und die dazu g ehörenden Z wischenziele zu erkennen und umzusetzen. 4. Ziele zur Erfüllung ethischer Funktionen: Ve reinbarungen und D okumentationen v on Therapiezielen lassen nach erfolgter Aufklärung des Patienten a uch zu , die M öglichkeiten, F olgen, Risiken und G renzen zu erk ennen. S ie sind damit die B asis f ür die inf ormierte Ein willigung des P atienten (Sack, Schmidt-Ott, Lempa & Lamprecht, 1999). Dies b einhaltet insgesamt hohe T ransparenz und dad urch A bbau t herapeutischer Macht (Driessen et al ., 2001). D emnach m üssen Z iele immer mi t dem P atienten abgesprochen und individualisiert sein. 5. Ziele zur Erpr obung v on Unt erschieden und Gemeinsamkeiten unt erschiedlicher Therapierichtungen: H ier b esteht mehr das aka-
demische I nteresse, Z iele und M ethoden der relevanten Therapierichtungen miteinander zu vergleichen und a uf i hre Ef fektivität hin zu überprüfen.
12.5.2 Klarheit und Orientierung der
Zielvorstellungen des Patienten
Patienten v erfügen üb er un terschiedlich k lare Zielvorstellungen o der Verarbeitungsformen von Zielen: 1. Klar e und realistische Vorstellungen: Die von ihnen a ngegebenen Z iele sind er reichbar, sie schätzen ihre Ressourcen angemessen ein und können aktiv an der Zielerreichung arbeiten. 2. Keine oder unk lare Vorstellungen: Sie bedürfen zahlreicher Impulse und Methoden, um an mögliche Ziele herangeführt zu werden, bis sie dann in der Lage sind, konkrete eigene Ziele zu entwickeln. 3. Unr ealistische Vorstellungen: Die Z ielvorstellungen sind v orhanden, jedo ch unter den G egebenheiten kaum o der nic ht er reichbar. Hier bedarf es en tweder za hlreicher Z wischenziele oder einer deutlichen Umorientierung, mit der dann r ealistische Z iele erka nnt und er reicht werden können. Hier ist die Zieldiskussion und Realitätserkennung mög licherweise der K ern der Therapie.
163
12
4. Zielk onflikte: M ehrere Z iele des P
atienten können mi teinander k onkurrieren o der mi t den Z ielen a nderer P ersonen (z. B. P artner) kollidieren (M ichalak, H eidenreich & H oyer, 2004).
5. Festhalten an alt en Zielen und Verhaltensweisen: Gerade zu Therapiebeginn halten Kli-
enten sehr an alten Zielen fest oder an solchen, die für sie unangemessen sind oder die sie nicht erreichen können (Brunstein, 1999). 6. V erneinung als Ziel, Vermeidungsverhalten: Häufig können Patienten nur die N egation ihrer derzei tigen Si tuation f ormulieren; sie b eschreiben da mit a usschließlich i hre V ermeidungsverhalten und mö chten dies es e ventuell weiterführen. 12.5.3 Ressour cenanalyse
Die Er fassung und dif ferenzierte A bklärung v on Therapiezielen er fordert Ress ourcenorientierung, die als ein W irkfaktor v on P sychotherapie gil t (Grawe, D onati & B ernauer, 1994). En tsprechend muss eine Ress ourcenanalyse v orgenommen w erden, die zur Planung und Durchführung lösungsorientierter Ansätze beiträgt (Willutzki, 1990; 2000; Willutzki, Koban & Neumann, 2005). ! Ressourcen sind hier »… alles, was von einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation wertgeschätzt wird oder als hilfreich erlebt wird« (Nestmann 1996, S. 362). Darunter fallen die internen und externen subjektiven und objektiven Ressourcen, die es zu finden und zu aktivier en gilt. Diese sind z. B. Überzeugungssysteme, eigene Handlungsmöglichkeiten, aber auch soziale und materielle Hilfen in dem Umfeld des Klienten.
12.5.4 Erfassung und Analyse
von Therapiezielen
Therapieziele k önnen mi tunter n ur Teile der L ebensziele da rstellen. M it einer det aillierten Z ielanalyse s ollten mög liche Diskr epanzen zwis chen Therapie- und L ebensziel erka nnt und g eklärt werden.
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Kapitel 12 · Sinnvolle Werte und Lebensziele entwickeln
! Ziel jeder Zielanalyse ist es, möglichst klare, konkrete und verhaltensorientierte Aussagen über die erwünschten Verhaltensweisen und Zustände zu erhalten, denn erst dann wird der Klient in der Lage sein, daraus konkrete Veränderungen seines Verhaltens und auch seiner Kognitionen abzuleiten und einzusetzen.
Zur Er fassung v on Thera piezielen k önnen unterschiedliche M ethoden g enutzt w erden (det aillierte D arstellung in: M ichalak, G rosse H oltforth & V eith, 2005). D abei ist es sic herlich sinn voll, diesen S uchbereich mög lichst w enig einzuen gen, jedoch optimal zu b egrenzen. Lebensbereiche zur Zielerfassung wä ren: F amilie, P artnerschaft, B eruf, Freizeit, allgemeines und spezielles Sozialverhalten usw. Methoden zur Zielerfassung, Übersicht:
12
1. Interview und Exploration des Patienten Hier können vom Patienten sowohl frei formulierte Ziele genannt, aber auch konk rete Fragen vom Therapeuten gestellt werden, um Ziele zu ermitteln. Diese gebräuchliche verbal-kognitive Methode ist durch die Verbalisierungsfähigkeit des Klienten begrenzt. Teilweise fehlen die geeigneten Impulse des Therapeuten – oder die Befragungsinhalte sind so verborgen/vergessen/unbewusst, dass sie mit einer konventionellen Verbalbefragung nicht oder nur sehr schwer oder undifferenziert zu erreichen sind. 2. List en, Fragebögen, Tests Nur Teile der realen Lebensziele können durch Listen, Tests etc. dargestellt werden und erleichtern oder standardisieren die Sucharbeit. So werden Listen vom Patienten erstellt und von ihnen oder anderen Personen gewichtet (Karoly & Ruehlman, 1995) oder Ziele, die sie durch die Therapie erreichen wollen, werden vom Patienten markiert (Michalak & Schulte, 2002). Als standardisierte Zielfragebögen sind z. B. zu nennen: Fragebogen zur Analyse Motivationaler Schemata (FAMOS; Grosse Holtforth ▼
& Grawe, 2001) und der Fragebogen zu persönlichen Therapiezielen (FRAPT, Driessen et al., 2001). Ein Verfahren zur Erfolgsmessung ist die Goal Attainment Scale (GAS; Kisurek, Smith & Cardillo, 1994) mit ihren Weiterentwicklungen. 3. Arbeit mit Imaginationen
Strukturierte Arbeit mit Imaginationen Der Klient wird dazu a ngeregt, positive Zukunftsimaginationen (auch unrealistische) zu entwickeln und zu b erichten. D anach a nalysieren K lient und Therapeut g etrennt die T on- o der Videoaufzeichnung der Sitzung, um sie da nn gemeinsam durchzusprechen. D araus w erden g emeinsam p ositive Ziele abgeleitet. (Manual zur E laboration wohlgestalteter Z iele in der Thera pie, EPOS; W illutzki, 2000; Willutzki & Koban, 1996). Situationsbezogene Arbeit mit Imaginationen Je nach diag nostischen Er fordernissen w erden während der Thera pie I maginationsphasen eingelegt, in denen der K lient k onkret s eine S ituation betrachtet, daraus konkrete Ziele ableitet und gleichzeitig er probt. H äufig k önnen dies e Er probungen in un terschiedlichen V arianten er folgen, in denen der K lient s eine Z iele in der I magination u. a. auf ihre Durchführbarkeit und in B ezug auf S chwierigkeit in der Er reichung etc. er probt. Durch diese breit angelegte Form der Analyse und Diagnostik ist g leichzeitig der na htlose Übergang zur Thera pie (und um gekehrt) g egeben (K ossak, 1989; 2004a). Dies er An satz ist nac hfolgend umrissen. 12.6 K ognitiv-behaviorale Methoden
der Imagination und Hypnose
Wie b ereits da rgestellt, sind W erte und M otive selten sp rachlich k lar r epräsentiert; a uch L ebensund Thera pieziele k önnen a nfangs o ft n ur unklar verbalisiert werden. Meist werden sie er st im psychotherapeutischen P rozess era rbeitet. H auptschwerpunkt ist da nn nic ht allein die ra tionale Information, sondern Ziel ist es a uch, imaginative
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12.6 · Kognitiv-behaviorale Methoden der Imagination und Hypnose
und emo tionale V erarbeitungsprozesse zu er reichen, da mi t ihnen alle r elevanten S inne (hö ren, riechen, sehen, schmecken usw.), aber auch unausgesprochene Wünsche und S ehnsüchte verbunden sind. Für diesen Such- und Anal yseprozess bieten sich b esonders I maginationsmethoden und H ypnose a n. Auf dies em Weg lass en sich leich ter p ositive Ziele erkennen und davon Handlungsweisen ableiten (K linger, 1987; W illutzki & K oban, 2004 oder sogar erproben (Kossak, 2004a, 2007a). ! Als effektive Basis wird hier der kognitiv-behaviorale Ansatz vorgestellt, in dem moderne Verhaltenstherapie mit moderner Hypnose kombiniert wird (Kossak, 1983, 2004a, 2007a). Die therapeutischen Anwendungen von Imaginationen und Hypnose sind aus unterschiedlichen Therapiebereichen bekannt und werden je nach deren theoretischen und methodischen Ansätzen unterschiedlich genutzt (z. B. Petermann & Kusch, 2004; Lazarus, 2000; Kossak, 2002, 2004a, 2004b, 2007a, 2007b).
Die nachfolgenden Methoden stellen Impulse dar, u. a. mi t Blo ckaden o der V ermeidungsverhalten umzugehen, die das Erk ennen, En twickeln und Erreichen v on Z ielen v erhindern. Weiter w erden Methoden vorgestellt, mit denen die zu den Z ielen gehörenden, E instellungen u nd V erhaltensweisen aufgebaut, er probt und ein geübt w erden k önnen. Insgesamt ka nn hier n ur ein k leiner Abriss er folgen. Die spä ter zitierten Fallbeispiele sind K ossak (2004a) entnommen. 12.6.1 Ziel: Symptomheilung und Rück-
gewinnung von Selbstkontrolle
Bei chronischen (körperlichen) Erkrankungen fühlen sich P atienten ihrer Krankheit und der en Folgen ausgeliefert, erleben sich s elbst nicht mehr a ls Lenker ihr es L ebens (»ext ernal lo cus o f co ntrol«, Rotter, 1966), sind in ihr em All tagsleben ein geschränkt, ihre Depressionen und Suizidgefährdung nehmen zu . S innvolle Z iele sind b ei dera rtigen Erkrankungen, die H eilung der K rankheit s elbst, ihre einzelnen S ymptome o der F olgeprobleme zu bewältigen bzw. a bzubauen und wie der eine b essere Lebensqualität zurückzugewinnen. Dieser Ab-
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schnitt zur K rankheitsbewältigung wir d hier da rgestellt, da imagina tive Verfahren und b esonders Hypnose in hohem Maße geeignet sind, diese Ziele zu er reichen. D azu wir d häufig S elbsthypnose erlernt, um darüber Selbstkontrollmechanismen aufzubauen, die es dem Patienten ermöglichen, wieder über sic h s elbst zu b estimmen (»internal lo cus o f control«). Dies b einhaltet auch das Erler nen hypnotischer En tspannung zur S tressreduktion und zur sp ezifischen S ymptombeeinflussung (s. u.), aber a uch die k onkrete Veränderung des L ebensstils wie z. B. Arb eitsstrukturierung, -r eduktion, Pausen, T agesstrukturierung, F reizeitgestaltung, Sport, Essv erhalten g gf. in H ypnose zu er proben und einzuüben. Zur Symptombehandlung w erden Imaginationen und S uggestionen gewählt, die üb er bekannte Erfahrungen des Patienten dessen spezifische physiologische Systeme ansprechen, die sonst nicht der direkten Kontrolle zugänglich sind. Colon irritabile (Reiz darm): B ei dies er k omplexen Erkra nkung b egegnen wir zw ei mo dernen und sehr effektiven Vorgehensweisen, die mi t unterschiedlichen t herapeutischen Z wischenzielen arbeiten. Das M anchester-Modell (z. B. G onsalkorale, 2006) ist da ran ausgerichtet, die P atienten in h ypnotischen M ethoden zu un terweisen, mi t denen sie ih re Da rmfunktionen wi eder n ormalisieren können, was üb er En tspannung und A bbau v on psychischem Stress hinausgeht. Ein Teil dieser Methoden ist: Beispiel
II
Handwärme auf dem Abdomen: Der Patient wird gebeten, eine Hand auf sein Abdomen zu legen, bis drei zu zählen (= späterer Auslösereiz) und sich auf das Gefühl der Wärme oder des Wohlbehagens zu konzentrieren, das die »Kraft des Geistes in den Verdauungstrakt leitet, ihn dadurch beruhigt und ihm das Gefühl des Wohlbehagens gibt, mit dem er Kontrolle über den Darm bekommt und ihn wieder zum Normalen führt.«
In dem P rogramm des N orth C arolina P rotocol (z. B. P alsson, 2006) s teht mehr im V ordergrund,
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Kapitel 12 · Sinnvolle Werte und Lebensziele entwickeln
durch hypnotische Suggestionen die Aufmerksamkeit vom Symptom abzulenken und die A bnahme der S chmerzintensität und S chmerzhäufigkeit zu fördern. Beispiel
II
Suggestionen für multisensorische Imagination (Beispiel): Der Patient stellt sich eine warme, gemütliche und stabile Holzhütte in den Bergen vor; er liegt in einem weichen, warmen Bett nahe einem warmen und knisternden Kamin und erlebt die dazu gehörenden Geräusche, Gerüche, Temperaturen, Farben und Tastwahrnehmungen. Diese Imaginationen werden mit den suggerierten Symptomveränderungen (am Darm) verbunden: »Auch wenn es draußen stürmt, können Sie das in der sicheren und bequemen Hütte kaum hören. In der gleichen Weise sind Sie mehr und mehr jeden Tag geschützt vor dem Schmerz und dem Unwohlsein in Ihrem Magen und Darm. Sie nehmen dieses Unwohlsein oder den Schmerz immer weniger und weniger wahr, bis Sie nichts mehr in I hren Eingeweiden stören und irritieren kann« (Palsson 2006, S. 53).
12
Psychologische B ehandlungen hab en sich hier a ls effektive Alternativen zur medizinis chen B ehandlung er wiesen. Em pirische D aten b elegen, dass allein die k ognitiv-behavioralen M ethoden und Hypnosebehandlungen in hohem Maße zur Symptomverbesserung beitragen (Palsson, 2006). Weitere Z iele und U nterziele b ei c hronischen Erkrankungen Adipositas: Von den vielen er folgreichen B ehandlungen mi t H ypnose s chneidet eb enfalls die Kombination mi t V erhaltenstherapie b esonders gut a b. H ierbei sind a uch in spä teren S tudien die Methoden er folgreich, b ei denen der A ufbau v on Selbstkontrolle im Vordergrund steht wie z. B. Auslöser des Essv erhaltens f inden (F rustration et c.), Stimuluskontrolle der una ngemessenen K ognitionen und S elbstkontrolle in V ersuchungssituationen zu er werben (z. B. B ornstein und D evine, 1980; Coman & Evans, 1996; Heusinger & Krause, 1991).
Beispiel
II
Beispiel von Bornstein und Devine (1980): In Hypnose beobachten die Patienten Modelle, die als Vorbilder für Bewältigungsstrategien agieren, so z. B. beim Einkaufen, einen schlanken Gemüsehappen essen, sich selbst Kontrollinstruktionen geben. Gleichzeitig werden diese erfolgreichen Modelle in Hypnose gelobt für ihre Gewichtsreduktion.
Chronischer und akuter Schmerz (in unterschied-
lichen Systemen). Bei dieser komplexen Problematik wird mit sehr komplexen Vorgehensweisen gearbeitet. Fast immer b einhalten sie: S elbsthypnose und dadurch S elbstkontrolle, S enkung der Er wartungsangst, Veränderung der S chmerzqualität und damit der S chmerzintensität, dad urch Erhö hung von Aktivität und Funktionsfähigkeit der Patienten (Rückgewinnung von Autonomie) und Red uktion des Medikamentenkonsums (z. B. Jacobs & B osseDüker, 2005; Scholz, 2006). Beispiel
II
Therapieziel Schmerzwahrnehmung: Bei einem Patient mit Migräneanfällen ist ein Teil der hypnotherapeutische Intervention: »Ich möchte Sie einladen, diesen Anfall mit mir als einen Film anzusehen von seinem Beginn bis zu dem Zeitpunkt der schlimmsten Folter … Und wir können den Film uns jetzt rückwärts ansehen, können ihn anhalten, beliebig vorund zurückspiele. (Scholz 2006, S. 183). Therapieziel Schmerzbewältigung: Bei einem 63 Jahre alten Patienten mit starken Hüftschmerzen, die auch Gehbehinderungen bedingen, wird in Hypnose eine umfangreiche metaphorische Anekdote zu seiner Problematik erzählt. Nachfolgend der Abschnitt zum Bedeutungsreframing: »Also, Sie möchten nicht immer und ausschließlich auf den Rollstuhl und damit auf andere angewiesen sein. Sie möchten sich mehr bewegen und sich bei anderen nützlich machen. – Was bringt Ihnen das ein?« fragt der Arzt. »Nun ich wäre dann weniger auf meine Familien angewiesen. Ich käme unter ▼
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12.6 · Kognitiv-behaviorale Methoden der Imagination und Hypnose
die Leute. Ich könnte meine allerpersönlichsten Dinge selbst erledigen … Und auf jeden F all hätte ich weniger Grund launisch und missmutig zu sein.« (Scholz 2006, S. 197).
Allergische Rhinitis (Heuschnupfen): durch Selbstkontrollmaßnahmen wie A utosuggestionen U nempfindlichkeit g egenüber den k onkreten Al lergenen b ewirken (Wyler-Harper, 1993; L angewitz, Izakovic, Schindler, Kiss & Bircher, 2005). Beispiel
II
Ziel ist hier, das Immunsystem anzusprechen, zu stärken und die Sensibilität gegenüber bestimmten (allergenen) Reizen zu reduzieren. Die Heuschnupfenpatienten erhalten während der Hypnoseentspannung die positiven Suggestionen: »Meine Augen sind bequem – Meine Nase ist frei – Ich kann gut atmen – Mein Hals ist ruhig – Ich k ann den Frühling genießen.« Damit verbunden wird der posthypnotische Auftrag, diese Entspannung mit den Suggestionen wiederholt als Selbsthypnose durchzuführen (Wyler-Harper, 1993).
Raynaud-Erkrankung: Z iel ist hier das Er reichen
angemessene S teuerung des T onus in den p eripheren Gefäßen der Extremitäten durch u. a. Imagination v on S ommer-Sonnenwärme, w odurch die Hand- und F ußwärme erhalten bleibt und die pathogene Vasokonstriktion bei niedrigen Außentemperaturen v erhindert wir d (S chreiber, S chreiber & Weeks, 1998). Beispiel
II
Suggestionen der Temperaturzunahme in der Haut werden gegeben wie z. B.: »Sie sitzen vor einem offenen Kamin, spüren seine strahlende Wärme … und halten nun Ihre Hände dieser Wärme entgegen. Sie spüren deutlich, wie Ihre Hände wärmer und wärmer werden.« Sehr schnell kann ein Temperaturanstieg von bis zu 3,9°C erreicht werden und die Dauer der R aynaud-Attacken wird dadurch deutlich verkürzt (Weber & Haustein, 1995).
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Krebserkrankung. I m Vordergrund st ehen un ter anderem die S tärkung des I mmunsystems d urch Autohypnose mit bestimmten Bildern zur Abwehr, zur S chmerzreduktion und zur zunehmenden aktiven Lebensgestaltung (z. B. Simonton et al., 1982; Susen, 1996). Beispiel
II
Auszug aus den Suggestionen von Susen (1996, S. 79): »Ich stehe am Ufer und schaue dem Strom zu … spüre die Kraft, die von ihm ausgeht … und genieße das Bewusstsein, dass dies mein Strom ist … der mich durchfließt und alle meine Organe und Zellen mit Energie versorgt … Ich steige in ein Boot, lasse mich vom Strom erfassen … und treibe auf der Strommitte … ruhig … voller Vertrauen …«
12.6.2 Werte und Lebensziele über
eine Metapher wiederfinden
Besonders b ei g ravierenden und chr onischen Krankheiten lass en sic h im r einen V erbaldialog nur s chwer W erte und Z iele f inden. W enn zusätzlich die direkte Ansprache über Imaginationen nicht mög lich ist, ka nn der P atient leich ter üb er Metaphern erreicht werden. Beispiel
II
Die 37 Jahre alte Klientin leidet nach einer Wirbelsäulenoperation unter partieller Halbseitenlähmung. Auf dem Weg zu ihr in die K linik verunglückte ihr Freund tödlich. Sie lebt seitdem sehr zurückgezogen, ist spärlich eingerichtet, leidet unter starken Depressionen, Schuldgefühlen und ist stark suizidgefährdet, kann keine für die Therapie hilfreichen Ressourcen, Nahziele oder sogar Lebensziele nennen. Potenzielle Ziele müssten für sie relativ attraktiv und sehr einfach zu erreichen sein, damit sie diese akzeptiert; auch ihre Körperbehinderung ist zu berücksichtigen. Da sie nicht in der ▼
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12
Kapitel 12 · Sinnvolle Werte und Lebensziele entwickeln
Lage ist, direkte Änderungen vorzunehmen, soll versucht werden, sie indirekt über die Metapher des Wachsens und Entfaltens zu erreichen; erprobt wird das Bild der sich langsam entwickelnden Blütenpflanze. Da die Patientin zur Therapie mit der Bahn anreist, erlebt sie in Hypnose das Schaufenster des Blumenladens in der Bahnhofhalle, darin die Topfpflanzen mit ihren unterschiedlichen Formen und Blütenfarben. An ihrer Mimik stellt sich nach wenigen Minuten erkennbar Interesse und Freude ein. Nun soll sie sich die Pflanze auswählen, die ihr am besten gefällt. In der anschließenden Besprechung der Intervention wird ihr vorsichtig nahe gelegt, diese Pflanze zu kaufen, was sie recht widerwillig befolgt. Im Verlauf der nächsten Tage und Wochen hat sie jedoch immer mehr Freude daran. Schließlich kauft sie mehr Topfpflanzen, ist froh, sie so gut versorgen zu können, dass sie sogar blühen. Unterstützt von therapeutischen Gesprächen bekommt die Patientin immer mehr Interesse an ihrer Umgebung, gestaltet ihre Wohnung nett, lädt Freundinnen ein, wird wieder Mitglied im Kirchenchor, nimmt an Ausflügen teil, traut sich trotzt ihrer einseitigen Armspastik das Fahrradfahren zu und nimmt eine stundenweise Tätigkeit in einer Bücherei an. An ihren Freund muss sie noch oft denken, zwar mit Trauer, aber ohne Depression. Ihr Lebensziel ist nun, den Tag zu genießen und Freude im Hier und Jetzt zu haben.
und i hrem P roblem g ewinnen und da nn leich ter Ziele und Lösungen erkennen. Beispiel
II
Methode: Der geheime Raum Der Person wird vorgeschlagen, ihren geheimen privaten Raum zu finden, in dem sie sich sicher fühlt und von dort aus einer Distanz heraus Geschehnisse beobachten kann. Das kann das Baumhaus der Kindheit sein, die Hängematte an einem exotischen Strand, die Kuschelecke auf dem Sofa oder der etwas versteckte Sonnenplatz am Springbrunnen im Garten. Angeleitet durch den Therapeuten erlebt der Klient (distanziert) das relevante Geschehen und kann nun mit diesem Abstand über seine Meinungen und Gefühlen dazu berichten. Bei zu starken Belastungen kann er sich in seinen geheimen Raum weiter zurückziehen, kann nach Bedarf die Distanz zum Geschehen verkleinern oder vergrößern, wodurch ihm Beziehungen und Problemlagen bewusster werden können. Er erkennt leichter, welche Grenzen und Veränderungen er für sich realisieren möchte. Möglicherweise gelingt es ihm auch, aus dem geheimen Raum hervorzutreten und dann selbst zu intervenieren. Er kann dabei in der Interaktion mit den relevanten Personen ihre und seine veränderten Einstellungen und die damit verbundenen Verhaltenweisen auf unterschiedlichen Ebenen erproben.
12.6.3 Klarheit durch Distanz
12.6.4 Ziel:
Befindet sich eine Person (zeitlich, räumlich, emotional, inhaltlich) zu dicht an ihrem Problem, kann sie e ventuell n ur no ch dies es o der s eine Verneinung formulieren, nicht jedoch sinnvolle Ziele und die da mit v erbundenen er folgreichen L ösungen. Hilfreich sind hier M ethoden, die a uf D ezentrierung, Distanzierung, Dissoziation basieren: Durch z. B. rä umlichen P erspektivenwechsel, H ineinversetzen in eine andere Person, Wechsel der Zeitperspektive etc. kann der Klient Abstand zu sich selbst
Liegen zw ei v ermeintlich g leich a ttraktive Z iele vor, kann davon jedoch nur eines realisiert werden, treten starke Entscheidungskonflikte auf. Derartige Konflikte lieg en z. B. b ei f olgenden Al ternativen vor: die b estehende E he f ortsetzen b zw. die E he auflösen; den b isherigen B eruf b eibehalten / zu einem a nderen w echseln. H ier ist es da nn s ehr hilfreich, über rationale Argumente hinausgehend Imaginationen und da mit emotionale Aspekte anzusprechen, die bislang kaum zum Tragen kamen.
(Der geheime Raum)
Entscheidungen herbeiführen (Straße der Entscheidung)
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12.6 · Kognitiv-behaviorale Methoden der Imagination und Hypnose
Beispiel
II
Methode: Straße der Entscheidung Die Person geht auf der Straße der Entscheidung, bis sie an eine Weggabelung gelangt, die entsprechend den Alternativen in die Straßen A und B führt. Hier muss sie sich entscheiden, welchen der beiden Wege sie nun gehen will. Nachdem sie einige Zeit dort entlanggeschritten ist, sind 10 Jahre vergangen. Die Person erwacht morgens, erblickt sich um zehn Jahre gealtert im Spiegel und erlebt nun einen Tagesablauf in diesem Lebensbereich. Abends schaut sie wieder in den Spiegel und spür t deutlich ihre Gefühle, die mit diesem Tag verbunden sind. Nun befindet sie sich wieder auf der Str aße der Entscheidung, kommt an die Wegesgabelung, geht den Weg der anderen Alternative und erlebt dort wieder einen Tagesablauf, usw. Danach kommt sie nochmals über die Str aße der Entscheidung zur Weggabelung und soll nun sehr plastisch ihre Gefühle jeweils zu Lösung A und B wahrnehmen.
Sehr viele K lienten k önnen hier s ehr s chnell und mit sic htlich ho her emo tionaler B eteiligung die Vor- u nd N achteile der A lternativen b erichten und sich r echt sicher en tscheiden. D urch dies e Methode k önnen sie ihr e b islang un terdrückten Gefühle zulass en (z. B. wie s ehr wic htig dies er Partner tr otz aller A useinandersetzung no ch ist; welche Ängste vor dem Allein sein b estehen), als o ihre Ängste, Wünsche, Sehnsüchte, die für die Erreichung sinn voller L ebensziele in ho hem M aße entscheidend sind. 12.6.5 Ziele aus der Vergangenheit
müssen erreicht werden?!
Ein Kindheitstrauma kann oft daran hindern, Lebensziele zu en twickeln o der zu v erwirklichen. Nur d urch die A ufarbeitung des T raumas ka nn dann eine W eiterentwicklung er folgen. Sinn volle Ziele sind hier meist: L ösung der f rüheren Pr oblematik.
Beispiel
12
II
Die 49 Jahre alte Klientin leidet seit ihrer Kindheit unter generalisierter Sozialangst und Minderwertigkeitsgefühlen und glaubt, sie dür fe deshalb nicht Kontakte mit anderen Menschen aufnehmen. Sie lebt trotz ihrer großen Familie sehr zurückgezogen, weint sehr oft, hat Magenbeschwerden und starke Brechreize. Rein verbal-exploratorische Methoden erbringen wenig brauchbare Informationen. Jedoch bei einer Altersregression in Hypnose erlebt sie im Alter von sieben Jahren sehr plastisch eine Szene, in der ihr durch Falschaussagen ein Unrecht geschieht, für das sie sich auf Geheiß der Mutt er entschuldigen muss. Als sie sich widerstrebend bei der Verleumderin entschuldigt, ruft diese sinngemäß: »Aus dir wird nie etwas. Dich wird nie ein Mensch mögen.« Deutlich ist bei diesem wiederholten Erleben in Hypnose ihre starke emotionale Beteiligung zu erkennen. In Hypnose kann sie nun ihr seit 42 Jahr en bestehendes Ziel realisieren, sich (nun mit Zustimmung der Mutter) nicht entschuldigen zu müssen. Sobald sie diese durch sie selbst bestimmte Handlung (ebenfalls in Hypnose) durchführt, tritt ab sofort keines ihrer Symptome und Probleme mehr auf; der als Fluch empfundene Ausruf der Verleumderin von damals hat keine Wirkung mehr. Sie kann nun ein ganz normales Leben führen; auch in einem Katamnesezeitraum von über fünf Jahren sind keine Rückfälle festzustellen (Kossak, 1989).
Beispiel
II
Die Medizinstudentin (27 Jahre) wacht seit Beginn ihres Studiums morgens mit nicht zu erklärenden Brechdurchfällen und Depressionen auf, die sie für mehrere Tage lern- und arbeitsunfähig machen. Ihre Ziele sind: das Studium erfolgreich beenden und wieder unbe einträchtigte Lebensfreude zu erreichen. Nach einer langen Explorationsphase werden erst in der Altersregression in Hypnose die Ursachen deutlich: Ihr Aufenthalt auf einer Isolierstation, ▼
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Kapitel 12 · Sinnvolle Werte und Lebensziele entwickeln
dabei ihre Verlassenheit und Hilflosigkeit als Kleinkind und die psychischen Hospitalisierungsschäden (Depression, Retardierung). Als Intervention wird mit ihr »realisiert«, als Kind die Klink eigenständig zu verlassen. Als ihr dieses selbstbestimmte Verhalten in Hypnose gelingt, ist ihre gesamte Symptomatik abrupt beendet. In einem Katamnesezeitraum von sechs Jahren wird nur noch von weiterem beruflichen und privaten Wohlbefinden berichtet.
Für beide Klientinnen war es besonders bedeutsam und sinnvoll, eine L ösung zu erhal ten, mit der sie aktiv und s elbstständig ihr un bewusstes Z iel der Autonomie er reichen k onnten – a uch w enn dies e Lösung scheinbar über Jahrzehnte zurück lag. 12.6.6 Langzeitziel blockiert Gegenwart
12
Zu hoch gesetzte oder unrealistische Langzeitziele können zu überhöhten Erwartungen, zu Stress und sowohl psy chischen a ls a uch p hysischen Erkra nkungen führen, die sich auf die gegenwärtigen Entfaltungsmöglichkeiten a uswirken und da mit die zukünftige Zielerreichung blockieren können. Beispiel
II
Christoph (13 Jahre) leidet seit ungefähr 9 Monaten unter Colitis ulcerosa. Durch Cortison ist sein Gesicht entstellt, seine körperliche Entwicklung ist retardiert; eine Colonresektion wird diskutiert. Das Langzeitlebensziel ist für ihn, das Abitur zu machen und zu studier en. Seine Schulanforderungen und viele Freizeitbereiche bewirken emotional Stress und dadurch Symptomverschlimmerung. In Absprache mit ihm und den Eltern erfolgt Stressreduktion durch den Wechsel auf die Realschule, von der er ggf. später wieder auf das Gymnasium zurück wechseln kann. Darauf lässt er sich ein, erlernt S elbsthypnose zur Entspannung und Suggestionen zur »Darmregulation«; er übt in Hypnose, sich in konkreten sozialen Stresssituationen ruhiger ▼
zu verhalten. Nach einigen Wochen kann die Behandlung erfolgreich beendet werden. Die Katamnese über 20 Jahre zeigt: Seine Krankheit tritt später – wenn überhaupt – in sehr schwacher Form auf; er kann sie dann mit Selbsthypnose und Selbstkontrolle bewältigen. Mit zunehmender Verbesserung kann er sich mehr Leistung zutrauen, das Abitur schaffen, einen höheren Beruf ergreifen und danach zwei Studiengänge abschließen. Er ist froh, dieses für ihn wichtige Lebensziel erreicht zu haben.
12.6.7 Zielerr eichung durch
Selbstkontrolle ermöglichen
Nicht immer k önnen K lienten Z iele f ormulieren. Durch ih re g egenwärtige P roblematik s ind s ie meist s o b eansprucht, dass sie ka um K apazitäten frei ha ben, üb er a ndere sinn vollere P erspektiven nachzudenken. Beispiel
II
In Thorstens (13 Jahre) Problemelternhaus treten häufig Konflikte auf, die vom Vater nur mit Aggressionen »gelöst« werden. Entsprechend reagiert Thorsten bereits auf nichtige Anlässe in der Schule mit verbalen und körperlichen Aggressionen, sodass ihm der dritte Schulverweis droht. Sein Ziel ist, auf der S chule bleiben zu dürfen. Weitere Fernziele sind für ihn zu abstrakt. In einer intensiven und komplexen Verhaltenstherapie in Hypnose erlernt er Selbstkontrolle und kann sich bereits nach einer Sitzung ange messen verhalten: Er meldet sich, spricht sachbezogen, benutzt keine Schimpfwörter, kann Konflikte ohne Gewalt austragen etc. In einem Katamnesezeitraum von fünf Jahren berichtet er: Mit 16 Jahren leitet er mit Freude eine christliche Jugendlichengruppe, kümmert sich dort besonders um aggressive Kinder, besteht seinen Schulabschluss und seine Lehre mit gutem Erfolg. Er betont immer wieder, dass ihm erst die Verhaltensänderung die Sichtweise für Lebensziele ermöglichte – und auch deren Erreichung.
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12.6 · Kognitiv-behaviorale Methoden der Imagination und Hypnose
Beispiel
II
Aufbau von Selbstkontrolle bei Jugendlichen. Delinquente Jugendliche haben meist geringe Selbstkontrollmechanismen, sind schnell frustriert und reagieren bei nichtigen Anlässen gereizt und ungesteuert aggressiv. Wenn sie aus einem sog. sozial benachteiligten Milieu kommen, haben sie selten Lebensziele oder solche, die für ihre Möglichkeiten unrealistisch sind. Selbst Jugendstrafen nehmen sie dann scheinbar gleichgültig hin. Bei Mellor (1960) erlangen sie mit Imaginationen und Hypnose eine verbesserte Selbstwahrnehmung, mit der sie erkennen, dass die Ursachen für ihr e Aggressionen z. B. an den morgendlichen Auseinandersetzungen im Elternhaus liegen. Sie erlernen Selbstkontrolle, Aufbau von Selbstvertrauen und können sich dann wesentlich angemessener verhalten. Siehe hierzu auch die Vorgehensweise von Signer-Fischer (2000).
12.6.8 Zwischenziel: Emotionale Blockaden
abbauen (Wegwerftechniken)
Sind Z ukunftsziele k lar, s o k önnen denno ch g egenwärtige q uälende G edanken a n die V ergangenheit (z. B. S chuldgefühle) o der an die Z ukunft (z. B. S orge, ob ma n dem neuen B eruf g ewachsen s ein wir d) der en Re alisierung b eeinträchtigen. Wenn hier k eine Lösungen in der G egenwart möglich sind, können starke psychische Blockaden zu Handlungseinschränkungen führen. In solchen Fällen helf en s o g enannte Wegwerf- o der A bfalltechniken (Kossak, 2004a) wie z. B. die s ehr effektive folgende von Walch (1976). Beispiel
II
Methode: Roter Ballon Man stelle sich eine Kiste vor, in die man sein Problem (quälender Gedanke, Gegenstand, unangenehmer Mensch) packt, die Kiste sicher verschließt, dann an einen großen roten Ballon bindet und sie mit ihm in die F erne entschwin▼
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den lässt. Gleichzeitig stelle man sich vor, wie mit der Entfernung der Kiste das Problem immer kleiner und unbedeutender wird. Es ist stets zu beobachten, wie schnell und wirkungsvoll diese Imaginationsmethode den »inneren Frieden« wieder ermöglicht und wie die Person nun zuversichtlicher und strebsamer ihre bislang blockierten Ziele verfolgen kann.
12.6.9 Handlungsziele endlich realisieren
(Lernbeginn, Arbeitsbeginn)
Mitunter sind un s die Z iele r elativ k lar, jedo ch der B eginn ihr er Re alisierung ist s o s chwer, dass er üb er la nge Z eit v ermieden o der v erschoben wird, b esonders b ei una ngenehmen H andlungen. Obwohl das k ognitive H auptziel wie z. B. »Examensarbeit bzw. Ref erat s chreiben« k lar def iniert ist, r eagiert ma n mi t Vermeidungsverhalten, w eil kein k onkreter Pla n b esteht, den ma n a barbeiten könnte. Ein Teil der Lern- und Leistungsstörungen und Exa mensprobleme ist en g da mit v erbunden (Kossak, 2006). Beispiel
II
Methode: Den Handlungsbeginn mental einüben Der Klient sollte sich anfangs räumlich vollkommen vom Arbeitsfeld (Schreibtisch) zurückziehen und für einige Minuten entspannen; dadurch gewinnt er mentalen Abstand zu seinem Ziel (= Distanzierung, s. o.). Nun stellt er sich detailliert vor, wie er das relevante Buch aus dem Regal nimmt, sich an den S chreibtisch setzt, das Buch aufschlägt, das Inhaltsverzeichnis aufmerksam überfliegt. Dann sucht er (weiterhin in der Imagination) das relevante Kapitel heraus und schreibt daraus Stichworte auf. Plastisch vorgestellt nimmt er nun sein S chreibgerät (Kuli oder PC-Tastatur) und macht Notizen. Nun imaginiert er nochmals diesen gesamten Ablauf, öffnet dann seine Augen, steht auf, begibt sich an seinen Arbeitsplatz und realisiert die ihm inzwischen bekannten Arbeitsschritte.
172
Kapitel 12 · Sinnvolle Werte und Lebensziele entwickeln
Auch hier ist es immer wie der s ehr erst aunlich, wie leich t und sicher die U msetzung in das r eale Handlungsziel ist. 12.6.10 Zielv orstellung: Selbst-
vertrauen und Selbstsicherheit als Lebensbasis
Angemessenes Selbstvertrauen beinhaltet unter anderem die dif ferenzierte S elbstwahrnehmung, ein möglichst stabiles Selbstkonzept, Sicherheit im Umgang mi t dies em K onzept und die r ealistische B ewertung und Erwartung von Erfolg und Misserfolg, damit v erbunden die a ngemessene Ein schätzung von R ückmeldungen. H ier ka nn in H ypnose mi t folgenden Methoden gearbeitet werden: S elbstkonfrontation, Altersregression, Probehandeln, Betrachten imaginierter Videos über das eig ene Verhalten, Reframing, kognitive Umstrukturierung etc. Beispiel
II
Aufbau des Selbstvertrauens in Hypnose
12
In der Hypnose können folgende Aspekte berücksichtigt werden (Signer-Fischer, 2000, S. 51 f): ▬ Einüben kritischer Selbstwahrnehmung in Bezug auf positive und negative Qualitäten und in Bezug auf Persönlichkeitseigenschaften ▬ Umgang mit positiven und negativen Qualitäten und Persönlichkeitseigenschaften, diese akzeptieren und in das Selbstbild einfügen ▬ Analyse von Erfolgs- und Misserfolgssituationen und Finden von möglichen Gründen für internale und externale Erfolge und Misserfolge ▬ Er folgserlebnisse erinnern und sammeln und diese ins Selbstbild einfügen ▬ Einbeziehung der Bezugspersonen, die angemessene Rückmeldungen über Erfolg und Misserfolg geben sollen
Aufbau v on S elbstsicherheit: Besonders F rauen übernehmen s oziale und k ulturelle Reg eln üb erstark für sich wie z. B. anderen zu gefallen, anderen den Vortritt zu geben und dabei eigene Bedürfnisse
hintenanzustellen. H ier m uss eine U mbewertung erfolgen, g egenüber a nderen G renzen s etzen zu können o der S elbstsicherheit zu erler nen. D azu kann Hypnose hilfreich sein, die angestrebten Ziele einerseits bewusst zu mac hen und sie a ndererseits z. B. mit Probehandeln zu erk unden, auszuprobieren und einzuüben. Methode: Idealisiertes Selbstbild Die von Susskind (1970) en twickelte Methode des idealisierten S elbstbildes (IS B) ist ein S elbstkontrollverfahren zum A ufbau v on S elbstvertrauen, Selbstsicherheit, zur W ahrnehmung eig ener F ähigkeiten und zur S elbstverstärkung. Die Methode kann als rein imaginatives Verfahren oder in Hypnose bzw. Selbsthypnose angewandt werden. Beispiel
II
Instruktion zum idealisierten Selbstbild 1. »Schließen Sie Ihre Augen und sehen Sie sich als Ihr idealisiertes Selbstbild, sehen Sie sich, wie Sie alle Eigenschaf ten, Merkmale und alle Qualitäten haben, die Sie gerne haben möchten.« a) Der Patient soll nun ein ISB ent werfen, das er in der Realität innerhalb kur zer Zeit erreichen kann. Durch eine allmähliche Annäherung wird das ISB stets den Realisierungen angepasst. b) Der Patient lernt, das ISB mit seinen eigenen Worten zu beschreiben und formuliert dadurch seine Verhaltensziele, die ggf. unangemessen oder überhöht sein können und deshalb unter Umständen korrigiert werden müssen. 2. »Streifen Sie das idealisierte Selbstbild über Ihr derzeitiges Selbstbild und beobachten Sie die Unterschiede und Veränderungen.« Dieses ISB soll nun nicht in Tagträumereien, sondern in konkreten Handlungen aktualisiert werden, die auf die vorher definierten Ziele ausgerichtet sind. 3. »Um das idealisierte Selbstbild auch zu verdeutlichen bzw. zu erreichen, rufen Sie sich ein erfolgreich gemeistertes Ereignis etc. in Erinnerung und die damit verbundenen ▼ Erfolgsgefühle.«
173
12.7 · Vorteile, methodische Hinweise und Abgrenzungen
4. »Lassen Sie diese Erfolgsgefühle auf sich wirken und ausdehnen auf gegenwärtige Handlungen und planen Sie diese Handlungen für die nächste Zukunft. Also: konzentrieren Sie sich auf das Erreichte und Ihren Erfolg. Das heißt nicht, dass Sie die Misserfolge und Fehler ignorieren, sondern dass Sie diese als ein »Stoppsignal« sehen und als Möglichkeit, Ihre Lernprozesse zu überprüfen. Sie können sich dann fr agen: Was tue ich, damit es falsch wir d? Wie kann ich meine Taktiken ändern? Wie mache ich von hier aus weiter?« 5. »Identifizieren Sie sich mit dem idealisierten Selbstbild. Bei allen Tätigkeiten während des Tages im Büro, zu Hause, beim Einkaufen sollen Sie sich so verhalten, so fühlen und so Beziehungen herstellen wie Ihr idealisiertes Selbstbild. So wie Sie sich sehen, werden auch die anderen Sie sehen. Und weiter: So wie Sie sich wahrnehmen, so werden Sie handeln, fühlen und sich gegenüber anderen verhalten.« Diese Methode erfordert einiges an Übung, bis man schließlich in der Lage ist, P läne und Handlungsziele zu entwerfen und sie in der Imagination zu erproben. Auch hier gelingt dann die Umsetzung in die Realhandlung leichter und erfolgreicher.
12.7
Vorteile, methodische Hinweise und Abgrenzungen
Hier ka nn n ur ein k urzer A briss er folgen; dif ferenziertere A usführungen sind z. B. b ei K ossak (2004a; 2004b) zu finden. 12.7.1 Vorteile der Kombination
von kognitiv-behavioralen Methoden und Hypnose
Vorteile der I nterventionen a uf der V orstellungsebene (Imagination o der Hypnose = I nnenbilder) sind z. B.:
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▬ Die Arb eit mi t I nnenbildern erleich tert den Zugang zu den mi t ihnen v erbundenen Emotionen und Blo ckaden, erleich tert a ber a uch Suchprozesse, S elbstbeobachtung und P robehandlungen. ▬ Relevante B edingungen wie U mgebung, P ersonen, A ufgaben, S chwierigkeitsabstufungen lassen sich leichter den therapeutischen Anforderungen anpassen. ▬ Übungsschritte sind nahezu b eliebig unterteilbar, wie derholbar mo difizierbar, zu er proben – s o a uch Al ternativhandlungen und der en Auswirkungen. ▬ Die b islang r ein a uf der V orstellungsebene durchgeführten Handlungen werden wie Realhandlungen mit all ihr en Erfolgskomponenten abgespeichert. In der Re alsituation können sie dann als bereits erprobte Erfahrungen abgerufen und durchgeführt werden (Kossak, 2004a). 12.7.2 Methodische
Hinweise
In der S ituation der I magination, b esonders in Hypnose, ist eine P erson s ehr o ffen f ür neue Er fahrungen und G efühle. D eshalb is t sie extr em verletzlich und b edarf eines b esonderen S chutzes: Abschirmung v on ä ußeren S törfaktoren, b ehutsamer U mgang mi t ihr en A ussagen und G efühlen, keine Überforderung. Es wird eine hohe Kompetenz des Therapeuten verlangt, da d urch das in tensive Erleb en p lötzliche und starke Emotionen auftreten können. Auch sollte der Thera peut im g leitenden Übergang zwischen den sic h er gebenden Diagnos e- und Therapieinformationen ha ndeln k önnen. D as heißt Hypothesen a bleiten, Thera pieziele und The oriehintergrund b eachten, I nterventionen g gf. mo difizieren, M ethoden a bwägen und ein bringen, in Imaginationen und S uggestionen umsetzen, Sprache beachten usw. 12.7.3 P raxishinweise
In der Praxis sollte beachtet werden: ▬ Dem K lienten s ollte das V orgehen erk lärt werden, s o a uch w elche Szene er g leich ima-
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Kapitel 12 · Sinnvolle Werte und Lebensziele entwickeln
ginieren s oll (z. B. g enaue B eschreibung der Problemsituation am Arbeitsplatz: Ort, Personen). ▬ Der K lient s ollte da rüber inf ormiert w erden, dass seine Imaginations-Erlebnisse und Aussagen dazu nic ht als fals ch oder richtig bewertet werden k önnen, s ondern mög lichst sp ontan sein sollten. ▬ Die F ormulierungen des Thera peuten s ollten wenig direktiv sein, sondern mehr Impulse enthalten, mi t denen der K lient s eine B ilder und Szenen und die da mit v erbundenen Emo tionen, Wünsche und Motive entwickelt. ▬ Instruktionen, Anregungen, Fragen sollten stets in kurzen Sätzen mit einfacher Grammatik im Indikativ g estellt w erden. (»S ie b efinden sic h in X« a nstatt: »S ie wür den sic h n un in X b efinden« oder »Was tun Sie jetzt?« anstatt »Was hätten sie dann getan?«) ▬ Es s ollten n ur p ositive F ormulierungen v erwandt w erden wie z. B. »S ie sind im Exa men entspannt, w eil S ie g elernt ha ben«. N egative Formulierungen wie »S ie ha ben keine Angst im Examen« aktivieren die damit verbundenen Assoziationen der Angst und sind für Zielerreichungen schädlich. ▬ Innenbilder s ollten v om K lienten wie na ive Erlebnisse behandelt werden, die er st später in der N achbesprechung der Si tzung r eflektiert werden. ▬ Dur ch regelmäßige therapeutische Hausaufgaben wir d der K lient a ktiviert, s eine v orher erlebten und geplanten Therapieschritte weiter selbst zu planen und anzuwenden. 12.7.4 Gr enzen, Kontraindikationen
Da mi t den M ethoden s ehr un terschiedliche Er lebensweisen a nsprechbar sind , ka nn dies dazu verführen, sie losg elöst v on einer B asistherapie anzuwenden (Lazarus, 1998). Zu leicht kann dabei eine s aubere Diag nostik und eine k lare Therapieplanung v ernachlässigt w erden und mehr ein methodisch uns auberes K onglomerat en tstehen. Falls man damit erfolgreich war, ordnet man diese Vorgehensweise da nn nac hträglich einer b ekannten Methode zu.
Durch Patienten bedingte Grenzen sind d urch seine K ommunikationsfähigkeiten g egeben (z. B. Alter, M indestintelligenz, S prachfähigkeit, Kulturkreis), Behandlungen von z. B. Kindern oder geistig Ret ardierten sind jedo ch mög lich (Olness & Kohen, 2001; Kossak, 2007). Bei Ablehnung der Methode oder Passivität des Patienten s ollte keine Hypnose er folgen, b ei Kontrollverlustängsten m uss A ufklärung st attfinden, um dann ggf. mit Hypnose zu arbeiten. Kontraindikationen sind meist b ei Psychosen und Borderline-Patienten gegeben; hier sollten nur in dies en B ereichen er fahrene und in I magination o der H ypnose g eschulte Thera peuten t ätig werden. B ei häufiger Re alitätsflucht des P atienten kann diese mit Imagination/Hypnose eventuell gefördert werden. 12.7.5 Effektivität und neuro-
physiologische Erklärungsversuche
Meta-Analysen zeig en, dass die k ognitiv-behavioralen bzw . h ypno-behavioralen M ethoden a llen anderen P sychotherapieformen üb erlegen sind, auch der alleinig en An wendung v on V erhaltenstherapie (z. B. Lynn et. al ., 2000; K irsch, Montgomery & Sa pirstein, 1995, K ossak, 2004a). S ie sind dann b esonders wirk ungsvoll, w enn p ositive Verhaltensziele entwickelt werden sollen, für die dann konkrete Verhaltensweisen era rbeitet w erden, die in der Thera pie er probt und im All tag r ealisiert werden sollen. ! Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell ge rade mit Hypnose grundlegende therapeutische Änderungen möglich sind; einige der vorgenannten Fall-Kurzdarstellungen verdeutlichen dies.
Neuropsychologische Forschungsergebnisse lassen trotz der H eterogenität der U ntersuchungsmethoden und die K omplexität der B efunde zum T eil Erklärungen zu (Vaitl, 2003). Die H ypnose-Einleitung b ewirkt p lastische Veränderungen des men schlichen G ehirns, d . h. neurophysiologische V eränderungen im C ortex (z. B. H alsband, 2004). S o st eht o kzipitale Al phasuppression in Verbindung mit dem Erleb en tiefer Hypnose (Konradt, Deeb & Scholz, 2004).
Literatur
! Anzunehmen ist, dass durch die Suggestionen in Hypnose im Thalamus Regel- und Filterprozesse angesprochen werden (Kossak, 1989). Dadurch erfolgt eine hypnotische Veränderung der Wahrnehmungsverarbeitung (Spiegel & Kosslyn, 2004; De Pascalis, 2004) und der Frontalhirn-Funktionen (Gruzelier, 2004).
Eine verminderte Verbindung zwis chen dem do rsolateralen p räfrontalen C ortex und dem a nterioren Cin gulus b edingt wahr scheinlich die r eduzierte Konflikt-Wahrnehmung bzw. geminderte Kritikfähigkeit unter Hypnose, d. h. Widersprüche im Erleben und Verhalten können besser toleriert werden. Gleichzei tig liegt eine F okussierung der Aufmerksamkeit vor, die in der Therapie für Suchprozesse bedeutsam ist. Je nac h Thera pieziel der H ypnose (z. B. Schmerzreduktion) w erden nac hweisbar un terschiedliche H irnareale a ktiviert o der de aktiviert. Im G ehirn ha t H ypnose s omit T op-Down-Einflüsse. D araus ist a bzuleiten, dass die in H ypnose bewirkten Veränderungen wie z. B. kognitive Umstrukturierungen a uch in ihr en Einzelelemen ten (Attribution, M otivation, Emo tion, I magination, Motorik, Ph ysiologie) nic ht n ur v ordergründige Veränderungen er fahren. M it ihnen sind a uch komplexe hir nphysiologische Veränderungen v erbunden. Dies e neur opsychologische U mstrukturierung erk lärt da nn die o ft ras che, tief gr eifende und so stabile Therapiewirkung der Hypnose.
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S elbstakzeptanz fördern Friederike Potreck-Rose 13.1 Einführung
– 180
13.2
Theoretische Grundlagen vermitteln
13.3
Inne halten und achtsam werden
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13.4
Eine wohlwollende Grundhaltung sich selbst gegenüber einnehmen – 183 13.4.1 Einen wohlwollenden Begleiter wählen – 184 13.4.2 Den inneren Kritiker identifizieren – 184 13.4.3 Den Faulpelz rehabilitieren – 185 13.5 Eigene Werte und Normen finden 13.5.1 Biog rafischer Zugang – 186 13.5.2 Aktueller Zugang – 187 13.6 G
edanken zum Schluss Literatur –
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Kapitel 13 · Selbstakzeptanz fördern
13.1 Einführung
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Sich s elbst annehmen, s o w ie man ist, mi t a llen Stärken und Schwächen, Stimmungen und Einstellungen, Vorlieben und W idersprüchen. Ja zu sich sagen, zu den Eig enschaften und G ewohnheiten, die ma n sic h s elbst nic ht s o g ern ein gesteht o der die ma n g ern v erstecken wür de. Ja zu sic h s agen, obwohl ma n nic ht s o ist, wie ma n g erne wä re … Das ist ein s chwieriger P rozess, eine s chwierige Aufgabe – und widersp richt es nich t dem Z iel der Psychotherapie, sich zu ä ndern auf einen Z ustand hin, der dem nahe kommt, wie man gerne wäre? Ist es nicht ein W iderspruch in sich, S elbstakzeptanz als t herapeutisches Z iel zu def inieren und g leichzeitig V eränderungsziele a nzugeben, die mi t der eigenen P erson, den p ersönlichen Eig enschaften und Gewohnheiten, Einstellungen und Verhaltensweisen verbunden sind? Welcher Therapeut kennt nicht das eigene Dilemma und das Rin gen des Patienten, der im therapeutischen Prozess aufbegehrt und s agt »S o will ic h nic ht s ein, das ka nn ic h a n mir nicht akzeptieren!«? Wie ist es n un vereinbar in der P sychotherapie, Selbstakzeptanz zu f ördern und g leichzeitig Änder ungsziele zu v erfolgen, die genau nic ht das S o-Sein b einhalten, s ondern das Anders-Sein anstreben? Ein B lick in die Erk enntnisphilosophie hi lft, das K onzeptverständnis zur S elbstakzeptanz zu vertiefen: D er f ranzösische Philos oph Rico eur (2006) führt dazu aus, dass Anerkennen im er sten Schritt heißt, etwas o der j emanden zu iden tifizieren, etwas o der jemanden für wahr zu halten und es oder ihn anzunehmen. Dieser Prozess kann sich auf die eigene Person beziehen oder – in einem anderen Schritt – auf andere Personen. Anerkennung führt über das Für-wahr-halten zur Gewissheit der Identität. So betrachtet ist leich t verständlich, dass Akzeptanz der er ste Schritt im P rozess der Veränderung ist, dass es s ogar gar nicht anders geht, als zunächst a nzuerkennen, was ist, um im näc hsten Schritt zu ändern, was nicht sein soll. Wichtig ist hier v or allem die U nterscheidung zwischen dem Anerk ennen im S inne des F ührwahr-haltens auf der einen S eite und im S inne des Gutheißens, des p ositiv B ewertens, a uf der a nderen S eite. Of tmals löst sic h der W iderstand, das Aufbegehren der P atienten komplett auf, wenn in
der Therapie die Dif ferenzierung zwischen diesen Bedeutungshorizonten gelungen ist: Sich selbst zu akzeptieren heißt nic ht, sic h gu t zu heißen in allem, was ist, s ondern es heißt (an)erkennen, w as ist. Dies ist zunächst frei von jeder Bewertung und bedeutet auch, im 2. Schritt noch frei zu sein, zu einer differenzierten Bewertung zu gelangen und im 3. Schritt auch, etwas an sich ändern zu können. In diese Grundhaltung f ließt die Er fahrung ein, dass Patienten es oft nicht als ausreichend positive Perspektive für eine Psychotherapie erleben, »sich selbst anzunehmen«, insbesondere dann nicht, wenn sie mit vielen S eiten i hrer P ersönlichkeit o der vielen ihrer Verhaltensweisen unzufrieden sind. Die I nterventionen, die in dies em K apitel zur Förderung der S elbstakzeptanz v orgeschlagen werden, sind in er ster L inie da rauf g erichtet, den Blick der P atienten a uf sich s elbst zu er weitern, die Vielfalt in der eig enen Person wahrzunehmen und über das (An-)Erk ennen der V ielfalt zu einer positiven Wertschätzung zu g elangen. Damit wird die selektive Wahrnehmung der negativ bewerteten Aspekte der eigenen Person gleichsam unterlaufen und a bgeschwächt. Dies wir d zum einen üb er einen t heoretischen Z ugang er reicht, der im S inne eines psy choedukativen E lements f ür die P atienten t herapeutisch g enutzt w erden ka nn (s. hierzu Kap. 13.2, Theo retische G rundlagen v ermitteln), über einen A chtsamkeits-basierten Z ugang (s. hierzu Kap. 13.3, I nnehalten und ac htsam w erden) s owie üb er einen erleb nisorientierten üb enden Zugang, der die positive Selbstzuwendung unterstützt (s. hierzu Kap. 13.4, Eine w ohlwollende Grundhaltung sic h s elbst g egenüber einnehmen), und einen kognitiven Zugang (s. hierzu Kap. 13.5, Eigene Werte und Normen finden). 13.2 T heoretische Grundlagen
vermitteln
Üblicherweise b egegnen wir in B eratungssituationen und in der P sychotherapie g lobalen und generalisierten A ussagen v on P atienten wie »I ch kann mic h nic ht akzep tieren«, »I ch ha be einen schlechten S elbstwert« o der a uch »I ch b in nic hts wert«. Dies e S ichtweisen und B ewertungen sind in der Reg el w eit da von en tfernt, dem M enschen
13
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13.2 · Theoretische Grundlagen vermitteln
Allgemeines Selbstkonzept Leistungsselbstkonzept Schule/ Studium
Beruf
Soziales Selbstkonzept Freunde
Emotionales Selbstkonzept
Kollegen
emotionaler Zustand
Physisches Selbstkonzept Fähigkeiten
Erscheinung
⊡ Abb. 13.1. Konkretisierungsebenen des Selbstkonzepts nach Shavelson et al. (1976)
in s einer G esamtheit, in s einer V ielfalt und in seinen Entwicklungsmöglichkeiten gerecht zu werden. Um Patienten dabei zu unterstützen, sich eine differenziertere S ichtweise a uf die eig ene P erson zu eröffnen, hilf t ein B lick in die em pirische Forschung und Konzeptbildung zum Selbstwert. Hier wir d zwis chen globalem und ber eichsspezifischem S elbstwert un terschieden. D er g lobale S elbstwert k ommt v on der K onzeption her einem Eig enschaftsbegriff (»T rait«-Konzept) a m nächsten. E r l ässt sich r eliabel mess en mi t einem einzig en Sa tz, nä mlich »I ch ha be einen hohen Selbstwert« (Robins, u. a. 2001), o der mit der Rosenberg-Skala, die den g lobalen S elbstwert a uf einer Dimen sion mi t mehr eren I tems misst (Rosenberg, 1965; deu tsche Üb ersetzung d urch F erring & Fili pp, 1996). Es ist g enau dies er g lobale Selbstwert, mit dem Patienten operieren, wenn sie sich als »Versager«, »Dummkopf« oder gar »Idiot« verurteilen. Eine v öllig andere Sichtweise eröffnen Ansätze, die den S elbstwert als S umme p ositiver Selbstbewertungen a us mehr eren (L ebens-) B ereichen b etrachten. Theo retisch g eht dies e K onzeptionalisierung a uf die M öglichkeit der Dif ferenzierung des S elbstkonzepts a uf v erschiedenen Konkretisierungsebenen zur ück (S havelson et al ., 1976, siehe zur V eranschaulichung ⊡ Abb. 13.1). Auf dies en t heoretischen G rundannahmen basierend misst die M ultidimensionale S elbstwertskala (MSWS) von Schütz und S ellin (2006) den S elbstwert als A ggregation a us den S kalenwerten: (1) allgemeine Selbstwertschätzung, (2) soziale Selbstwertschätzung, (3) leis tungsbezogene S elbstwertschätzung und (4) S elbstwertschätzung physischer Attraktivität. Sie erlaubt damit eine Abbildung der Variabilität individueller »Selbstwerte«.
Crocker und W olfe (2001) v erfolgen einen etwas a nderen, no ch w eiter dif ferenzierten An satz: Sie a rbeiten mi t 7 B ereichen v on s ogenannten Selbstwertkontingenzen. D amit sind F aktoren g emeint, der en Veränderung p ositive o der nega tive Auswirkungen auf die Selbstwertschätzung hat: ▬ Externale Kontigenzen, die man nur z. T. selbst steuern kann: 1. fa miliäre Unterstützung, 2. Anerk ennung durch andere 3. W ettbewerb 4. A ussehen ▬ internale Kontingenzen, die man selbst regulieren kann: 5. Religiosi tät 6. K ompetenz 7. T ugend Wie bedeutsam eine Person die Kontingenzen für sich einschätzt, wird mit Hilfe einer v on den A utorinnen k onstruierten S kala er fasst (Cr ocker & Wolfe, 2001). Besonderes Merkmal der Selbstwertkontingenzen ist, dass sie nic ht statisch sind, sondern, dass sie mi t dem wa hrgenommenen Er folg oder Misserfolg im jeweiligen Bereich fluktuieren. Außerdem er weist sich die B evorzugung internaler Kontingenzen als gün stiger, weil sie in traindividuell reguliert werden können und weniger von äußeren F aktoren a bhängen a ls ext ernale K ontingenzen. F ruchtbar f ür die k linisch-psychotherapeutische P raxis ist a n dies er S ichtweise, dass sie die M öglichkeit f ür P atienten er öffnet, sic h selbst und ihr en S elbstwert nic ht als g lobale und statische G röße zu b etrachten. D as Erleb en v on Selbstwert kann d ahingehend dif ferenziert wer den, dass es v on L ebensbereich zu L ebensbereich
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Kapitel 13 · Selbstakzeptanz fördern
unterschiedlich sein und mit den Lebenserfahrungen schwanken kann. Damit steht nicht ein global bewerteter A spekt des S elbst im M ittelpunkt des Erlebens und der B ewertung, s ondern es ist eine Vielzahl von unterschiedlich zu b ewertenden Aspekten. Therapeutische Schritte in Kurzform: ▬ Vermittlung der Modelle »globaler Selbstwert« versus »bereichsspezifischer Selbstwert« ▬ Identifikation der globalen Selbstbewertung ▬ Erarbeiten von Alternativen: z. B. durch Rückgriff auf das Modell oder Einsatz der Multidimensionalen Selbstwertskala
13.3
13
Inne halten und achtsam werden
Wenn es in der Einleitung hieß, dass ein Wirkprinzip der I nterventionen zur F örderung der Akzeptanz da rin b estehe, den F okus der A ufmerksamkeit eines M enschen um b isher nic ht o der w enig wahrgenommene Aspekte der Person zu erweitern, dann bezog sich dies in b esonderer Weise auf den Achtsamkeits-basierten Z ugang zur P erson. Die in der Allg emeinen und K linischen P sychologie geläufigen Konzepte der Selbstaufmerksamkeit bilden in g ewisser Weise eine V orstufe zur H altung der A chtsamkeit (s. dazu a uch Kap. 6). I n dem hier v orgestellten An satz w erden dies e K onzepte erweitert und d urch Aspekte aus dem B ereich der buddhistischen M editationspraxis (Thic h, 1999) und der Feldenkrais-Pädagogik (Feldenkrais, 1996; Klinkenberg, 2000) mo difiziert. D abei sp ielt die Fokussierung der nic ht w ertenden K örpererfahrung eine hera usragende Ro lle. S o er öffnet A chtsamkeit den W eg zu einer G rundhaltung gr ößtmöglicher, p ositiv g efärbter A ufmerksamkeit a uf sich selbst in B ezug auf alle g egenwärtigen Erfahrungen, Erlebnisse und Körperempfindungen. Damit sind elementares Wohlwollen und Freundlichkeit sich selbst gegenüber gemeint, nicht etwa das ausschließliche Fokussieren positiver Erfahrungen und Erlebnisse (ausführlich dazu: P otreck-Rose & Jacob, 2006; Potreck-Rose, 2006).
! Achtsamkeit in der buddhistischen Meditationspraxis
Achtsamkeit ist das »aufmerksame unvoreingenommene Beobachten aller Phänomene, um sie wahrzunehmen und zu erfahren, wie sie in Wirklichkeit sind, ohne sie emotional oder intellektuell zu verzerren.« (Solé-Leris, 1994)
In der sp eziellen Kombination mit Elementen der Feldenkrais-Pädagogik erla ubt das Ein üben v on Achtsamkeit den Patienten, 1. sich üb er die nic ht-wertende W ahrnehmung des Körpers ihrer selbst gewahr zu werden, 2. dem S o-Sein der P erson üb er dies e Wahrnehmung Wert einzuräumen und 3. durch Wiederholung dies es P rozesses S chritte zur Akzeptanz dieses (zunächst körperbezogenen) So-Seins der eigenen Person zu tun.
Therapeutisches Vorgehen Die P atienten w erden s chrittweise a ngeleitet, die Grundhaltung der A chtsamkeit so oft wie mög lich im Alltag einzunehmen. D er Aufbau der Üb ungen folgt einem M uster, das in A bhängigkeit v om g ewählten Aspekt individuell variiert wird. Im ersten Schritt geht es darum, einen bestimmten Körperaspekt (sitzen, gehen, atmen etc.) wahrzunehmen und zu b eobachten, wie er sic h auf das K örperempfinden auswirkt. Anschließend werden Varianten dazu erprobt und deren Auswirkungen wahrgenommen. Dabei ka nn a uch nach einem o ptimalen U mgang gesucht und die N eigung r eflektiert w erden, suboptimale H altungen und H andlungen un bemerkt zu r eproduzieren (z. B. mi t ho chgezogenen S chultern zu sitzen oder ganz vorne auf der Stuhlkante). Durch den spielerischen Umgang mit den verschiedenen Möglichkeiten (zu sitzen, zu gehen, zu atmen …) werden neue Erfahrungshorizonte eröffnet und Handlungsspielräume erweitert.
Übungsfeld: Achtsamkeit für den Körper Mögliche A spekte: si tzen, st ehen, g ehen, a tmen; alltägliche Bewegungsabläufe (Lasten tragen, Treppen st eigen, t elefonieren, p utzen …); B edürfnisse des K örpers (Dur st, Hunger, F euchtigkeit a uf der Haut, Wärme …). Als Ein stieg ha ben sic h Üb ungen zum S itzen oder G ehen b ewährt. An ihnen lässt sic h in der
13.4 · Eine wohlwollende Grundhaltung sich selbst gegenüber einnehmen
Therapiesituation das P rinzip der A chtsamkeit b is ins Detail exemplarisch erläutern ( Beispiel unten).
Übungsfeld: Achtsamkeit für die Sinne Mögliche A spekte: s ehen, hö ren, r iechen, s chmecken, tasten. Es ist ra tsam, sic h je weils n ur a uf einen der Sinne zu konzentrieren. Zur Vertiefung der Übungen lohnt es sic h, Patienten anzuregen, b esondere Situationen a ufzusuchen, b eispielsweise Or te in der Natur oder Orte der Stille. Übungsfeld: Achtsamkeit für Gefühle und Bedürfnisse Mögliche Aspekte: Freude, Glück; Wut, Z orn, Ärger; Traurigkeit, En ttäuschung; L ust, U nlust; G eborgenheit, Sicherheit, Ruhe. Es empfiehlt sich unbedingt, im er sten S chritt Gefühle mi t p ositiver Quali tät a uszuwählen und
Beispiel
II
Übung zum achtsamen Sitzen Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit nur für sich selbst. Um sich wahr zunehmen, sich zu beobachten. Zum Beispiel beim Sitzen. Bei der Achtsamkeit geht es nur darum, sich seiner selbst, des eigenen Körpers, der eigenen Befindlichkeit und des eigenen Tuns bewusst zu werden und sich genau so sein zu lassen, wie man gerade ist. Halten Sie also inne und vergegenwärtigen Sie sich: Wie sitze ich gerade? Gerade und aufrecht? Oder angelehnt, bequem und entspannt? Wie fühlen sich mein Rücken, mein Po, meine Beine an? Sind meine Schultern entspannt? Locker und gleichmäßig? Vielleicht ändert sich durch die aufmerksame Wahrnehmung etwas? Gibt es vielleicht einen Bewegungsimpuls, Ihre Sitzposition zu verändern? Wollen Sie Füße oder Beine bewegen? Etwas zurechtrutschen? Dann geben Sie diesem Bewegungsimpuls nach und prüfen Sie: Was ist jetzt anders? Wenn Sie keinen Bewegungsimpuls spüren, dann lassen Sie sich genauso sein, wie Sie gerade sind und genießen Sie den Augenblick des Sitzens.
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die Patienten anzuleiten, ihre Aufmerksamkeit im Alltag da für zu erhö hen, ihr e W ahrnehmung zu schärfen und spielerisch den Ausdruck der Gefühle zu variieren. Die G rundhaltung der A chtsamkeit ist n ur in einem L ernprozess zu erla ngen, der k ontinuierliche A ufmerksamkeit, wie derholte t herapeutische Anr egung s owie U nterstützung er fordert. Am Anfa ng st eht nic ht st renges Üb en, s ondern spielerisches Er proben, das die N eugier f ördert, verschiedene F ormen des S o-Seins einer P erson, zunächst a uf der k örperlichen Er fahrungsebene, später auf komplexeren Eb enen zu erleb en. Auswahl und Reihenf olge der im t herapeutischen Kontext vorge schlagenen Ü bungen r ichten s ich ausschließlich da nach, w elcher Z ugang und w elcher L ebensbereich f ür den P atienten der gün stigste ist. Therapeutische Schritte in Kurzform: ▬ Prinzip der Achtsamkeit erläutern ▬ eine oder mehrere Körperübungen anleiten ▬ einen Aspekt auswählen, der sich zum spie lerischen Erproben und Einüben der Achtsamkeit eignet, und eine Vereinbarung über das Üben treffen ▬ Erfahrungen mit der Grundhaltung der Achtsamkeit kontinuierlich auswerten und vertiefen, möglicherweise auch durch wiederholtes Anleiten
13.4
Eine wohlwollende Grundhaltung sich selbst gegenüber einnehmen
Ziel der hier v orgestellten I nterventionselemente ist, den F okus der A ufmerksamkeit v on den a ls negativ und da mit als inakzep tabel erleb ten A spekten der P erson a uf p ositive A spekte zu v erlagern und da mit eine a ngemessenere G rundlage für die Bewertung der eigenen Person zu schaffen. Dieses V orgehen b asiert a uf der Anna hme, dass die F okussierung v on a usschließlich o der mehr heitlich als negativ erlebten Eigenschaften, Verhaltenweisen o der Er fahrungen der eig enen P erson ein w esentlicher F aktor ist, der S elbstakzeptanz
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Kapitel 13 · Selbstakzeptanz fördern
verhindert. Wenn es gelingt, einen Prozess in Gang zu setzen, der zum einen die A ufmerksamkeit von diesen Er fahrungen a blenkt, zum a nderen a ber auch neue und v or allem vielfäl tige Er fahrungen ermöglicht, unterstützt dies Patienten dabei, Wohlwollen f ür sic h s elbst als G rundlage der S elbstakzeptanz zu en twickeln. Z ur I nitialisierung dies es Prozesses dienen v erschiedene I nterventionen: Die W ahl eines lieb evollen B egleiters o der einer wohlwollenden B egleiterin, die I dentifikation des inneren Kritikers und die Exploration der Rolle des Faulpelzes in der Selbstbewertung. 13.4.1 Einen
wohlwollenden Begleiter wählen
Der lieb evolle B egleiter r epräsentiert in dies em Interventionsmodell die Persönlichkeitsanteile, die der P erson w ohl g esonnenen sind , die mi t in teressierter, p ositiv ger ichteter A ufmerksamkeit i hr Denken, F ühlen und H andeln b egleiten. Es gib t verschiedene Möglichkeiten, Kontakt zu dies er inneren Instanz herzustellen: 1. dialogis che Formen, 2. k ognitive Strategien, 3. I maginationsübungen 4. Repräsentation durch ein Symbol.
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Die W ahl der I nterventionsstrategie hä ngt w eitestgehend v on der P erson des P atienten a b: F ür den überforderten Filialleiter kann der imaginierte wohlwollende C oach (k ognitive S trategie k ombiniert mit Imagination) möglicherweise die Rolle des wohlwollenden Begleiters am besten übernehmen, während der überforderte Jura-Student mit extrem leistungsorientiertem Vater wa hrscheinlich b esser von s einem a lten T eddy, der der zu verlässigste Freund s einer K indertage wa r, b egleitet und unterstützt wird (Repräsentation durch Symbol). Alle Interventionsstrategien dienen dazu, Aufmerksamkeits- und B ewertungsprozesse zu un terstützen, die den Einf luss des lieb evollen B egleiters stärken und ihm einen f esten Pla tz im L eben einrä umen. So werden liebevolle Begegnungen mit sich selbst, die die P erson in ihr er Vielfalt und ihr em So-Sein an-erkennen, nach und nach verlässlich im Alltag etabliert.
Beispiel
II
Übung zum wohlwollenden Begleiter Stellen Sie sich möglichst lebendig vor, Sie hätten einen ständigen Begleiter, der Sie wie ein allerbester Freund in Ihrem Alltag wohlwollend beobachtet. Dieser Begleiter richtet sein Augenmerk auf die Dinge, die Ihnen in Ihrem Alltag gelingen oder die Sie gut machen. Er ist besonders aufmerksam und registriert auch die vielen kleinen Dinge, die oft so bedeutungslos erscheinen, aber unseren Alltag und unsere Stimmung sehr stark beeinflussen können: der eingehaltene Sporttermin, ein erledigter schwieriger Anruf, ein Lächeln für einen schlecht gelaunten Kunden, eine Kuschelstunde mit den Kindern … Nehmen Sie sich möglichst jeden Tag ein paar Minuten Zeit für ein Rendezvous mit Ihrem wohlwollenden Begleiter und versuchen Sie, sich ganz lebendig vorzustellen, was dieser im Laufe des Tages beobachtet haben könnte. Am besten schreiben Sie immer ein paar Stichworte dazu in ein k leines Tagebuch. So können Sie jeden Tag üben, mit sich selbst so w ohlwollend zu sein, wie Sie, ohne zu zögern, mit Ihrem besten Freund umgehen würden.
13.4.2 Den inneren Kritiker identifizieren
Aus tiefenpsychologischer Perspektive würde man den K ritiker dem Üb er-Ich und s einen r igiden Normen zuordnen. Diese Figur vertritt die Instanz der in ternalisierten W ertvorstellungen und ist in aller Regel der mac htvolle Gegenspieler des w ohlwollenden Begleiters. Während die liebevoll- anerkennenden Persönlichkeitsanteile in der Reg el b ei Menschen mi t s chwachem S elbstwert und g eringer Selbstakzeptanz unterrepräsentiert sind, findet sich g ewöhnlich eine Üb ermacht der kr itisch-abwertenden I nstanz. D er wic htigste er ste S chritt für P atienten ist, dies es U ngleichgewicht und die zerstörerische F unktion dies er M echanismen zu erkennen. Im konkreten therapeutischen Vorgehen geht es zunäc hst da rum, den K ritiker mi t s einen Standards und s einem Vorgehen zu iden tifizieren.
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13.4 · Eine wohlwollende Grundhaltung sich selbst gegenüber einnehmen
Dafür bieten sich wiederum entweder die Auswahl einer Figur a n, die den K ritiker symbolisiert, oder kognitive S trategien, mi t denen der Einf luss des Kritikers a uf die Einen gung der W ahrnehmung und auf die Selbstbewertung herausgearbeitet wird. Die Interventionen des zweiten Schritts dieser Arbeitsphase zielen darauf ab, die Macht des Kritikers auf ein s elbstwertdienliches M aß zu r eduzieren. Das ka nn zum einen d urch un terstützte Dialog e zwischen dem, d urch die v orangegangenen I nterventionen g estärkten, w ohlwollenden B egleiter und dem K ritiker er folgen. Zum anderen können Interventionen eingesetzt werden, die die kr itische Auseinandersetzung mi t dem der B ewertung zugrunde lieg enden N ormsystem und dess en Re vision gezielt in Gang setzen. Beispiel
II
Übung zum inneren Kritiker Wählen Sie einen Lebensbereich, in dem Sie besonders unzufrieden mit sich sind und nehmen Sie sich die Zeit, aufmerksam auf die Stimme Ihres inneren Kritikers zu hören. Setzt er Ihnen Ziele, die Sie, wenn Sie realistisch sind, nie und nimmer erreichen können? Hängt er die Latte so hoch, dass Sie sie mit Sicherheit reißen werden? Hören Sie sich die Kommentare Ihres inneren Antreibers gut an und notieren Sie ausführlich, was er Ihnen sagt. Und dann trauen Sie sich, Widerstand zu leisten gegen die ewige Nörgelei: Geben Sie Widerworte und setzen Sie sich zur Wehr. Schreiben Sie auf, was Sie dem Kritiker an Widerworten entgegenhalten können.
13.4.3 Den Faulpelz rehabilitieren
Zur F örderung des V erständnisses der D ynamik zwischen den hohen Anforderungen des Über-Ichs und der H ilflosigkeit des I chs, diese Forderungen in der W irklichkeit s elten er füllen zu k önnen, ist die B erücksichtigung einer dr itten G röße in diesem K räftespiel unerlässlic h: T atsächlich k ommt es oft genug vor, dass in Re aktion auf die Flut der Ansprüche und üb erzogenen Er wartungen V er-
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weigerung ein tritt. S tatt A ufgaben zu erledig en, bleiben sie lieg en, an die S telle von Aktivität tr itt Passivität, N ichtstun und F aulheit. H ier k ommt der F aulpelz in s S piel. D a g erade M enschen mi t geringer S elbstakzeptanz F aulheit als eine s ehr negative E igenschaft b ewerten u nd s ie b esonders scharf wahr nehmen, w enn sic h dies e Eig enschaft in ihr em L eben nieder schlägt, ist es un bedingt notwendig, diese selbstwertschädigende Dynamik aktiv zu un terbrechen. Z um einen ist da bei im therapeutischen V orgehen zu b erücksichtigen, dass P atienten sich d urch V erhaltensweisen w ie Aufschieben und Vermeiden tatsächlich Anlass zu berechtigter S elbstkritik g eben (die f reilich nic ht so scharf ausfiele, wenn da nicht die üb erzogenen Ansprüche wä ren). Z um a nderen muss integriert werden, dass der F aulpelz ja a uch die I nstanz der Person vertritt, die f ür die no twendige Regeneration v on psy chischer und p hysischer G esundheit verantwortlich ist. Die Reha bilitation des Faulpelzes er folgt in zw ei en g mi teinander v erknüpften Schritten: Z um er sten durch die ob en er wähnten Interventionen zur Mäßigung des Kritikers, durch Beispiel
II
Übung zum Faulpelz Damit der Faulpelz in Ihnen die Chance hat, ohne schlechtes Gewissen faul zu sein, sind zwei Schritte notwendig: a) Sie richten »garantierte Faulpelzzeiten« ein, feste Zeiträume pro Tag oder pro Woche, in denen nichts anderes auf dem Programm steht als Müßiggang. Planen Sie diese Zeiträume für eine Woche und achten Sie ganz streng darauf, sich daran zu halten. Dazu gehört unbedingt der zweite Schritt: b) Achten Sie darauf, wo sich Ihr Faulpelz Zeit ergaunert, wo er Sie dazu verführt, Dinge aufzuschieben oder Arbeit liegenzulassen. Und dann reduzieren Sie diese »ergaunerten Faulpelzzeiten« in kleinen Schritten, indem Sie sich vor Augen halten, dass Sie die vertrödelten Minuten nicht wirklich genießen und beginnen Sie Ihre Aufgabe ohne Aufschub. Im Gegenzug erhalten Sie die »garantierten Faulpelzzeiten«.
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Kapitel 13 · Selbstakzeptanz fördern
die kritische Revision der überzogenen Leistungsansprüche und Er wartungen. Zum zweiten durch Einräumen sic herer Reg enerationszeiten im Alltag. I n dies em Thera pieschritt wir d die U nterscheidung zwischen Faulsein im S inne von wohltuendem M üßiggang und F aulsein im S inne des Aufschiebens o der V ermeidens v on U nangenehmem erarbeitet. Therapeutische Schritte in Kurzform ▬ M odell der verschiedenen Persönlichkeitsanteile erläutern
▬ w ohlwollenden Begleiter wählen und stärken
▬ inneren Kritiker identifizieren und mäßigen ▬ den Faulpelz rehabilitieren ▬ das faire Zusammenspiel der drei beteiligten Instanzen unterstützen
13.5
13
Eigene Werte und Normen finden
In diesem Abschnitt geht es um v erschiedene Zugangswege, das ak tuelle W ert- und N ormsystem eines Patienten und seinen Einfluss auf das gegenwärtige Denken, Handeln und Erleb en kennenzulernen sowie im zw eiten Schritt den P atienten dabei zu unterstützen, dieses System einer kr itischen Revision zu un terziehen. Gleich gültig, w elchen therapie-theoretischen Hintergrund man wählt, es findet sic h k eine S chule, die nic ht die B edeutung der internalisierten Normen und Werte und deren Entstehungsgeschichte f ür die ak tuelle S elbstbewertung und Selbstakzeptanz einer Person betonen würde. Ein ak tuelles und w egen des b esonderen Stellenwerts für das Störungsverständnis besonders geeignetes Beispiel ist der s chematheoretische Ansatz von Young et al . (2005) s owie von Young und Klosko (2006). In dem M aße, in dem es einem M enschen gelingt, die Diskrepanz zu verringern zwischen dem, was er tun sollt e, und dem, was er ta tsächlich tut, in dem M aße wäc hst die S elbstakzeptanz der Person. Fast immer versuchen Patienten, sich so zu verändern, dass sie endlic h tun, was sie t un sollen, statt zu akzep tieren, dass sie M ühe ha ben und es
vielleicht n ur s ehr s elten s chaffen w erden, s o zu sein, wie sie sein sollen oder das zu tun, was sie tun sollen. Die Ein übung der A chtsamkeit s owie die wohlwollende Gr undhaltung d es W ertschätzens, was man tut und wie ma n es t ut, bilden eine gu te Grundlage, er folgreich a n der er sten S tellgröße, nämlich a n den eig enen S ollens-Anweisungen zu arbeiten, statt erfolglos mit der zw eiten Stellgröße, dem Müssen, zu r ingen. Das konkrete therapeutische Vorgehen ka nn zum einen a n der B iografie orientiert erfolgen, sich zum anderen an den aktuell beobachtbaren und er fahrbaren Werthaltungen orientieren. 13.5.1 Biogr afischer Zugang
Der b iografische Z ugang er öffnet sic h üb er das sorgfältige und a usführliche Er innern und Sa mmeln aller G ebote und L eitsätze, a usgesprochener und una usgesprochener, der L ebensabschnitte Kindheit, J ugend, f rühes und g egenwärtiges Er wachsenenalter. D amit sind alle im pliziten und expliziten (Verhaltens-)Anweisungen (»Tanz nicht aus der Reihe«), Aufträge (»Aus dir soll mehr werden als aus mir«), B enimm– und Verhaltensregeln (»Sei b escheiden«) g emeint, die wic htige B ezugspersonen v ertreten ha ben o der die den N ormen der wic htigsten s ozialen B ezugsgruppe en tsprochen ha ben (»Eine F rau g ehört a n den H erd«). Die Erinnerung und Sammlung wird durch Besinnungsübungen, aber auch durch die Arbeit mit biografischem Material wie F otos, S chulheften o der -zeugnissen, Briefen etc. gefördert. Die Gebote und Anweisungen w erden im er sten S chritt s orgfältig und a usführlich no tiert. N ach M öglichkeit wir d exploriert, v on w elcher P erson der j eweilige Sa tz stammt. Ein gün stiger N ebeneffekt dies er Arb eit besteht da rin, dass d urch die F okussierung a utomatische P rozesse der B ewertung d urch im plizite Anwendung der in ternalisierten N ormen g estört werden und allein dad urch la nge ein geübte S teuerungsmechanismen a bgeschwächt w erden. A uch ist es in dies er Therapiephase fast immer mög lich, den g roßen emo tionalen Einf luss der W erte und Normen der wichtigsten Bezugspersonen und ihre Bedeutung für das G efühl des G eliebt- und Aner kanntseins herauszuarbeiten.
187
13.6 · Gedanken zum Schluss
Im zw eiten S chritt w erden alle G ebote o der Maximen iden tifiziert, die heu te no ch B edeutung ha ben (g leichgültig, ob der P atient da mit zufrieden und einverstanden ist oder nicht). Darüber hinaus wird genau herausgearbeitet, wie sich diese M aximen a uf das H andeln zum einen und auf die S elbstbewertung zum a nderen auswirken. So kann der Patient Schritt für Schritt erarbeiten, welche der al ten G ebote sic h f ür das L eben als Erwachsener, der über das Recht und das Privileg verfügt, s eine G ebote a utonom f estzulegen, als schädlich o der hinderlich er weisen, und w elche unterstützend und sinn voll sind . S o w erden P atienten er mutigt, sic h eine W ertehierarchie zu erarbeiten, die ihr er P erson, ihr en G renzen und Möglichkeiten sowie ihrer aktuellen Lebenssituation angemessen ist. 13.5.2 A ktueller Zugang
Der ak tuelle Z ugang b eschränkt sic h a uf die Exploration der g egenwärtig gül tigen M aximen und deren Überprüfung. Die Patienten werden angeleitet, eine Z eit lang ihr H andeln und B ewerten aufmerksam in H inblick a uf una usgesprochene »Du musst-Sätze« zu beobachten (»Du musst Rücksicht nehmen«, »Du m usst f leißig s ein«) und dies e a uf einer L iste zus ammen mi t den en tsprechenden Situationen zu no tieren. Wenn Patienten das eine Weile mac hen, en tsteht nahezu a utomatisch eine Übersicht über die wichtigsten Werthaltungen, die ihr Alltagshandeln, -erleben und -denk en bestimmen. I n der t herapeutischen Arb eit g eht es da nn um die Auseinandersetzung mit diesem »Müssen«: Wer f ordert das, w elche I nstanz ha t das D efinitionsrecht f ür die Er wartungen, ka nn ma n mi t der I nstanz v erhandeln? S ind die Anf orderungen realistisch, k önnen sie er füllt w erden? In w elchen Bereichen, f ür w elche A spekte ist das »M üssen« zugleich ein »Wollen«? Womit ist der P atient einverstanden? In welchen Bereichen möchte er selbst neu def inieren, ein »I ch will« f ormulieren, s tatt widerstrebend ein »I ch muss« a nzunehmen (»Für meine b erufliche W eiterbildung will ic h f leißig sein, b ei der Ga rtenarbeit nic ht.«). S o k ommt er Schritt für Schritt zu einer Re vision seiner aktuellen Wertehierarchie.
Beispiel Übung
13
II
Sammeln Sie eine Woche lang »Ich mussSätze«: Halten Sie immer wieder im Alltag inne und horchen Sie in sich hinein. Welche »Ich muss-Sätze« hören Sie? Notieren Sie möglichst viele davon. Kennzeichnen Sie in einem z weiten Schritt, mit welchen Sätzen Sie einverstanden sind und mit welchen nicht.
Therapeutische Schritte in Kurzform ▬ Bedeutung elterlicher Erziehungsnormen für die Selbstwertschätzung erläutern
▬ Liste der biografisch bedeutsamen Maximen und Gebote der wichtigsten Bezugspersonen und -gruppen erstellen ▬ Liste der aktuell bedeutsamen Maximen und Gebote erstellen ▬ Differenzierung zwischen den hilfreichen und den schädlichen Maximen fördern: »Ich muss-Sätze« streichen oder in »Ich willSätze« umwandeln
13.6
Gedanken zum Schluss
Die hier v orgestellten I nterventionen sind dazu konzipiert, die K ompetenz einer P erson zu er höhen, sich s elbst mög lichst u nvoreingenommen, das heißt f rei von generalisierenden B ewertungen und mit Blick auf bisher nicht Wahrgenommenes, in ihr er V ielfalt zu erk ennen und a nzunehmen. Sie wirken damit wie ein K orrektiv der s elektiven Wahrnehmung von Schwächen und Kompetenzdefiziten und lenk en den B lick auf die meis t verborgenen und miss achteten Ressourcen einer P erson. Sowohl in der t herapeutischen P raxis als a uch in der theoretischen Diskussion regt dieses Vorgehen gelegentlich zu kritischen Einwänden an. Da gibt es zum einen die Ein wände von Patienten selbst, die den Blick auf die positiven, bisher nicht wahr genommene S eiten ihr er P erson wie eine unzulässige Ablenkung vom Negativen empfinden o der s ogar als S elbstbetrug a blehnen. S ie
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Kapitel 13 · Selbstakzeptanz fördern
können in der k onkreten Arb eit dann t atsächlich großen Widerstand mobilisieren und ihrerseits erhebliche Ablenkungsmanöver in szenieren. Dies er Widerstand hängt oft eng mit der S cham zus ammen, die ak tualisiert wir d, w enn es um L ob und Anerkennung g eht, die sic h dies e P atienten ja s o besonders in tensiv wün schen und g leichzeitig s o wenig a nnehmen k önnen. In s olchen S ituationen kann es s ehr hilf reich s ein, sic h in der Therapie zunäc hst mi t dem K ritiker zu b efassen, ihm Raum für seine Unzufriedenheit und s eine hohen Ansprüche zu lass en, i hm g leichsam eine B ühne zu s chaffen, auf der er sic h austoben kann, bis er müde ist. M it g roßer Sicherhei t st ellen sic h im Anschluss an einen s olchen Auftritt Er schöpfung und Traurigkeit ein. Dies e Gefühle bieten für den Patienten eine gu te M öglichkeit, den w ohlwollenden, p ositiv k orrigierenden, ma nchmal a uch tröstenden Blick auf sich selbst zu en tdecken und zu intensivieren. Zum anderen ist der Ein wand zu b erücksichtigen, dass in der t herapeutischen Förderung der Selbstakzeptanz do ch auch die G efahr des unkr itischen und s ogar noch extern legitimierten Bejahens v on inakzep tablen P ersönlichkeitsmerkmalen oder Verhaltensweisen verborgen liegt. Das ist prinzipiell richtig, nur geraten Psychotherapie-Patienten, für die es ein angemessenes und wichtiges Therapieziel ist, die S elbstakzeptanz zu erhö hen, in der Reg el nic ht in die G efahr v on na rzisstischer Selbstüberschätzung oder Schönfärberei. Oft ist ihr e nega tive S elbstbewertung s eit la ngem a uf niedrigstem N iveau st abilisiert, v erfestigt zu der Überzeugung, »ganz und gar inakzeptabel zu sein« und »für sich selbst und für andere einen geringen Wert« zu ha ben. S ie sind M eister im En tdecken und En ttarnen eig ener S chwächen und neig en eher zur Üb erhöhung a nderer, als sic h s elbst mi t rosaroter B rille zu b etrachten. D eshalb ist die größte Gefahr bei der t herapeutischen Arbeit mit diesen P atienten eher da rin zu s ehen, dass sie hartnäckigen Widerstand entwickeln, sich mit den »akzeptablen« Seiten ihrer Person zu beschäftigen und den B lick v on S chwächen und U nzulänglichkeiten abzuwenden. Gleichwohl ist die Arb eit nur glaubwürdig und et hisch vertretbar, wenn sie dort den Blick nich t a bwendet, w o b ei P atienten die Entwicklung von größerer Selbstakzeptanz mit
rücksichtslosem E gozentrismus ein hergeht o der sie missv erstanden wir d als Einlad ung zur En twertung anderer.
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14
Identitätsstärkung – Fördert Authentizität das Gesundwerden nach Krebs? Elmar Reuter 14.1 Überblick
– 190
14.2
Das Selbst als Denkfigur
14.3
Identität als Kraftquelle und Attraktor – 192
14.4
Rolle des Selbst beim gesunden Überleben einer Krebserkrankung – 192
14.5
Gibt es ein zelluläres Selbst? Identität aus immunologischer Perspektive – 193
14.6
Der Krebskranke in Psychotherapie: Bausteine zur Identitätsstärkung – 194
14.7
Empirische Befunde zur Lernbarkeit von Identitätsstärkung
14.8
Resümee und zukünftige Forschungsfragen Literatur –
200
– 190
– 200
– 199
190
Kapitel 14 · Identitätsstärkung – Fördert Authentizität das Gesundwerden nach Krebs?
14.1 Überblick
Aus der P erspektive eines nie dergelassenen V erhaltenstherapeuten, der im R ahmen der Ric htlinienpsychotherapie Krebsbetroffenen Einzeltherapie anbietet, werden die hä ufig in Thera pien benannten Themen Selbst, Identität und Authentizität aus psychologischer, s oziologischer und imm unologischer Sicht b eleuchtet. D abei wird die G efahr der »Selbstverformung« und »S elbstverkümmerung« durch üb erstarke K onformitäts- und N ormalitätsbedürfnisse und die da mit v erbundene ho he Sensibilität für Außenatmosphären des »typ ischen Krebspatienten« b eschrieben. Mit dies en üb erentwickelten S trategien gehen u nterentwickelte S trategien hinsichtlich der Wahrnehmung der eigenen Belastung, des eig enen Lebensrhythmus, der eig enen Bedürfnisse und überhaupt einer differenzierten Innenperson einher. Im R ahmen einer A utonomie f ördernden Selbstmanagementtherapie wir d ein c urricular ausformulierter Thera piebaustein da rgestellt, der die Identitätsstärkung und die Förderung authentischen Erlebens und Verhaltens zum Z iel hat. Eine erste empirische Überprüfung zeigt eine deutliche Selbstkonzeptverbesserung und die V erringerung symptomatischen Beschwerdedrucks nach entsprechender Intervention. Ob aus der psychologischen Stärkung des Eigenen immunologisch eine Verbesserung, »Fremdes« zu erkennen, abgeleitet werden kann, wird als Denkfigur eingeführt.
14
14.2
Das Selbst als Denkfigur
Konstruktivistische I dentitätstheorien betra chten den M enschen zu B eginn s eines L ebens a ls Or iginal, dess en K ern sich im R aum a ngemessener empathischer Re aktionen s eines U mfeldes en twickeln und entfalten kann. Die Anerkennung seiner Individualität und die F örderung der T alente b ei gleichzeitiger F reiheit und T oleranz b egünstigen die En twicklung eines k ohärenten S elbst. M angelnde Em pathie, M issachtung und Einen gung können um gekehrt ein f ragiles S elbst et ablieren (Kohut, 1981). Üb liche M echanismen zur S elbstvergewisserung und Selbstbefestigung sind anfangs das Stimulieren erogener Zonen, die Konzentration
auf l ustbringende Ak tivitäten, spä ter das B etonen sozialer F ähigkeiten und der da mit v erbundene Anerkennungsgewinn. Maß o der Üb ermaß lass en diese Kompensation gesund erscheinen oder engen die Entwicklung des Selbst ein. Im E cho des F remdbildes et abliert sich ein Selbstbild, das sic h d urch L ob und Rep utationsgewinn zu einer immer st ärker w erdenden En twicklung s ozialer F ähigkeiten und L eistungen provoziert fühlen kann. Diese aufrechterhaltenden Bedingungen k önnen zum M otor der W eiterentwicklung w erden und die Dis position zur b ereitwilligen Üb ernahme s ozial a nerkannter Ro llen in Familie, Beruf und Gesellschaft legen. Eine st arke S ensibilität f ür fa miliäre und g esellschaftliche Res onanz g ehört in F olge zu den überentwickelten S trategien ho ch s ozialisierter Personen. Die S timme des Eig enen, der p ersönlichen I ch-nahen B edürfnisse wir d in g leichem Maße leiser und fällt damit als Orientierungsmarke einer g esunden En twicklung zwis chen den P olen autonomer S elbstbestimmung und An passung in Bindung aus. Unter Krebskranken – und davon berichten wir im Folgenden – findet sich dieser freundliche, umgängliche, a uf Ro llenerfüllung und die W ahrnehmung d er B edürfnisse And erer b ezogene Mensch häufig (Vetter, 1989, L ermer, 1982; Ec kensberger et al., 1994). Er ist in der Reg el belastbar und leistungsbereit und b eschreibt sic h g erne als »v öllig normal«. I st der W unsch nac h N ormalität üb ermäßig ausgeprägt, spricht Büntig (2002) von »Normopathie«. Wenngleich die Exis tenz einer s og. K rebspersönlichkeit b estritten wir d (S chwarz, 2004), eb en auch, w eil b ei den w enig k lagsamen »N ormalen« psychopathologische A bweichungen p rämorbid wenig a uftreten, g elten in der L iteratur do ch die allgemeine Tendenz zur An passung, K onformität und als F olge dies er A usrichtung der S elbstentwicklung, die Unterdrückung persönlicher Bedürfnisse a ls üb ereinstimmende M erkmale K rebserkrankter (Tschuschke 2005). So zeig en sic h a uch in den L ebensgeschichten von Krebspatienten kaum markant b elastende »Life-Events«. Reuter (2005) w ertete üb er 70 na rrative I nterviews mi t b rustkrebsbetroffenen P atientinnen aus und f ührte daraufhin gezielt weitere
14.2 · Das Selbst als Denkfigur
Explorationen mit Betroffenen durch. Rollenbelastung im All tagsleben, verbunden mit einer o ft berichteten Harmoniebedürftigkeit wurde als Hauptstressor erleb t. D ann k onnte a ber die kr isenhaft erlebte Krankheit kritische Selbstreflexion in Gang bringen, und einen als emanzipatorisch empfundenen Prozess der Selbstentwicklung anregen. Selbstgefährdung, b is hin zum S elbstverlust, kann nicht nur durch überstarke Hinwendung der Selbstausrichtung auf die Bedürfnisse anderer definiert werden, sondern auch durch etwas eintreten, was F romm (2000) »V erdinglichung« nenn t: »I ch bin Arzt«; »I ch b in Vater v on dr ei K indern« sind Selbstbeschreibungen, die ein A ufgehen gr oßer Teile des Selbst in einer Rolle deutlich machen. In p ostmodernen G esellschaften – und da rin leben wir z. Z t. in Europa – kann das S elbst durch ständige N euadaptationen »m ultipel« w erden, es kann sich »entgrenzen«, »neu erfinden«, kann sich in Subgruppen »inszenieren« und sich auch dadurch vom kohärenten Kern entfernen (Funk, 2005; S iefer & Weber, 2006). Einig e Autoren soziologischer Provenienz sp rechen v on »multiplen Identitäten«, »Patchwork-Identitäten« o der »f lexiblen I dentitäten« (vgl. Überblick über post- oder spätmoderne Identitätskonzepte, Keupp et al., 1999). Das S elbst, zu B eginn des L ebens einziga rtig, kann sich also durch unterschiedliche gesellschaftliche P rozesse und die inner e A usrichtung a uf entsprechenden Rep utationsgewinn k lischeehaft transformieren und sic h d urch st ändiges »f unktionieren« f estigen. (Der a ktuelle Versuch der N eurowissenschaften, das S elbst ma teriell a bzubilden, zeigt eine f luide Figur v on Nervenverschaltungen, die sich allerdings durch häufigen Gebrauch festigen, und sich dadurch kontinuierlicher konfigurieren können (vgl. Siefer & Weber, 2006).) Krise, Krankheit, S cheitern s etzen gewöhnlich dieses Funktionieren in Rollen zeitweise aus, schaffen einen v orübergehenden Freiraum und k önnen Rückbesinnung und S elbstreflexion in Ga ng bringen. D as S elbst als üb erdauernde und im W andel der Verhältnisse ze itstabile in nere Instanz k ommt in den Blick, mischt sich ein und kann einen intrapsychischen Dialog anstoßen. ! »Was will ich eigentlich?« »Worum geht es mir denn wirklich?«
191
14
Das gr undsätzliche und üb erdauernd W erthafte bekommt eine Stimme in täglichen Entscheidungsprozessen Wenngleich eine K risensituation a ls »Anr egungsbedingung f ür eine S elbstentwicklung« er lebt werden kann (Eckesberger et al ., 1994), s o ist in dies em P rozess g ewöhnlich a uch eine st arke Anforderung im S inne v on N eulernen en thalten. Diese A nforderung w ird n ach a kuter E rkrankung spätestens da nn erleb t, w enn sic h der F reiraum mit zunehmender Gesundung verflüchtigt und das Selbst sich wieder fremden Erwartungen ausgesetzt sieht. Genau an dieser Schnittstelle werden jedoch auch die s ozialen B edingungen f ür f rüheren A utonomieverlust deutlicher und die S uche nach Lösungen ka nn b eginnen (G rossarth-Maticek, 2000; Reuter & Schneider, 2005). Das N eulernen wir d er schwert d urch die U nfassbarkeit des S elbst. E s handel t sich d abei nich t um etwas M essbares, s ondern ledig lich um etwas Fühlbares. Die »Operationalisierbarkeit« unterliegt ähnlichen S chwierigkeiten, wie w enn wir L iebe oder H eimweh def inieren w ollten. W ir k önnen diese den I nnenraum b eherrschenden G efühle gewöhnlich n ur a n st arkem B indungs- und P assungsempfinden erk ennen (V erbundenheit mi t dem L iebespartner, der H eimat, mi t sic h s elbst), und umgekehrt an einem v erschärften Empfinden des Fremden und U npassenden. Das Differenzbewusstsein kann zur K lärung und N euorientierung erheblich b eitragen. H ierbei w erden g ewöhnlich starke K räfte f rei. D as S elbst wir d, im P rozess des F reiwerdens v on Verfremdung, D eformation, Verkümmerung, als st arkes A ggregat em pfunden. Aus S icht v on K rebsbetroffenen wir d d urch die Aktivierung dies er, im S elbst r uhenden K räfte, auch S elbstheilung in Ga ng g ebracht, zumindest die S tärkung der W iderstandskraft g egen K rankheitsdruck. D as P otenzial dies er S elbstheilungskräfte zeigt sic h jedo ch v om Z ustand des S elbst abhängig: Ein k ohärentes, v om I ch g ewürdigtes und unterstütztes Selbst stärkt, ein »fals ches« oder negatives Selbst schwächt oder zerstört. Die eigene Bewertung des S elbst ist a n den F ormen inner en Dialoges gu t zu erk ennen. B ecker (1991) zeigt in einem Circumplexmodell selbstbezogenen Verhaltens dif ferenziert die un terschiedlichen K ommunikations- und Verhaltensformen des Ich mit dem
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Kapitel 14 · Identitätsstärkung – Fördert Authentizität das Gesundwerden nach Krebs?
Selbst. V on der S elbstvernachlässigung üb er die Selbstabwertung bis zur S elbstunterdrückung und umgekehrt, von der Selbstachtung über die Selbstbestätigung bis hin zur Selbstanleitung und -sorge, zeigt sich der R aum inneren Dialogs als Lernraum und ka nn als Res source in v erändertem U mgang mit sich selbst genutzt werden. ! Das Selbst – eine fluide Figur – kann durch Sozialisationsprozesse inkohärent werden. Krise, Krankheit, Scheitern setzt wiederum Reparaturprozesse mit dem Ziel der Selbststärkung in Gang.
14.3 Iden tität als Kraftquelle
und Attraktor
14
Identität und A uthentizität wir d als gr ößtmögliche Passung zwischen dem I nnen-Selbst und dem Außen-Ich erlebt. Wenn sie v erloren gegangen ist, kann sie wiedergewonnen werden. Der a uthentische M ensch i st a ttraktiv, w enn auch nic ht immer einfac h zu nehmen. M it sic h selbst a uthentisch se in ist da s Ch arakteristikum charismatischer Menschen. Sie können als »G ute« oder »S chlechte« erleb t w erden, sind j edoch unverfälscht und erk ennbar. Identität erlaubt Identifikation und Or ientierung und wird als markanter Navigationspunkt im U mgang mit sich selbst und anderen erlebt. Die kr itische A useinandersetzung mi t sic h – häufig initiiert durch Scheitern, Krise oder Krankheit – mac ht »I dentitätsarbeit« no twendig, um Kraft und Or ientierung zur ückzugewinnen und in die L age zu kommen, sich neue Z iele zu setzen. Nach Keupp et al . (1999) wir d Identitätsarbeit als fortlaufender P rozess un bewusster, t eilbewusster und bewusster Selbstkontrolle aufgefasst, der retround prospektiv im Er fahrungsfluss des L ebens die Bewältigung wic htiger L ebensthemen, kr itischer Lebensereignisse der Vergangenheit als auch aktuelle und zukünftige Rollenausfüllung selbstreflexiv gestaltet und da mit ein »P lateau gesicherter Identität« schafft. Lorenz (2004) b emerkt, wie w enig dem S elbst und den S elbstgefühlen eines M enschen B eachtung ge schenkt w ird, we il e s s o s elbstverständlich und unhinterfragt »seinen Dienst tut«. »Erst dann,
wenn dies e S elbstverständlichkeiten b rüchig w erden, wenn wir in Krisen geraten, in denen wir un s selbst nicht mehr wie dererkennen … da nn entwickeln wir ein G efühl f ür die B edeutung p ositiver Selbstgefühle (und f ür das Empfinden), sich selbst vertrauen zu können« (Lorenz, 2004, S. 72). Aus Sicht der Psychoanalyse ist die Zeit der frühen K indheit f ür die En twicklung des S elbst en tscheidend. Er ikson (1973) b ezieht sic h in s einem bekannten I dentitätsmodell a uf die Z eit b is zur Adoleszenz. Ak tuell g eht ma n jedo ch v on einem lebensfortschreitenden P rozess und einer d ynamischen I dentitätsentwicklung und -v eränderung aus. Dabei können sich frühe Entwicklungsphasen als la bilisierende o der st abilisierende G rundbedingungen er weisen, die spä terhin eine G efährdung von I dentität b egünstigen o der u mgekehrt, die Widerstandsfähigkeit in B elastungssituationen stärken können. Auch Antonovsky (1982) hält das von ihm def inierte Kohärenzgefühl (»sense of coherence«) f ür f rüh a ngelegt und n ur in en gem Rahmen veränderbar. Wir g ehen da von a us, dass I dentität d urch traumatische Er fahrung f ragmentiert, d urch unbemerkte Anpassung an die Er wartungen anderer verformt, d urch Än gstlichkeit, U nsicherheit und mangelnde Selbstreflexion verkümmern und durch strapaziöse Neuinszenierungen inkohärent werden kann. Identität ist nic ht einfac h da o der nic ht da, sondern stellt sich ständig neu her. Neuherstellung stabilisiert. I nnere A chtsamkeit erleic htert dies en Prozess. Psychotherapie kann einen v erstärkenden Resonanzraum für diesen Prozess bereitstellen. ! Identisch zu werden und sich authentisch zu fühlen wird als Kraftquelle spürbar. Dieser Prozess kann starke Motivation freisetzen.
14.4
Rolle des Selbst beim gesunden Überleben einer Krebserkrankung
Block üb erschrieb s o einen V ortrag, den er 1996 anlässlich der J ahrestagung der Öster reichischen Gesellschaft für Psychoonkologie in Ischl hielt. Als Untertitel wählte er: »Die Perspektive aus vorderster F ront der K rebshandlung«. B lock en twickelt
14.5 · Gibt es ein z elluläres Selbst? Identität aus immunologischer Perspektive
hier in s ehr dif ferenzierter F orm die V erschränkung psy chologischer und imm unologischer Sichtweisen und zeigt die syner gistische K raftentfaltung des g leichzeitig a uf P syche und S oma einwirkenden S elbst, mac ht a ber a uch deu tlich, wie w enig em pirisch un terstützt dies e D enkfigur noch ist. Besser un tersucht ist das S elbst, w enn es sic h in der A usprägung dif ferenter B ewältigungsstile (»Copingmechanismen«) nac h Ein bruch der Krebserkrankung zeigt. P rägt es sic h dep ressivresignativ aus, scheint es nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Üb erlebenszeit nach Krebs ungünstig zu beeinflussen. Aktiviert das S elbst ein problemorientiertes Herangehen an Krankheit und Behandlung, zeig en sic h p ositive A uswirkungen, nicht nur auf das L ebensgefühl, sondern durchaus auch auf die Lebenszeit (Fawzy et al., 1993; Watson et al., 1999; Heim, 1988). Das S elbst mo duliert nic ht n ur die An twort auf Krankheit, sondern auch die Re aktion auf Behandlung und zeigt sic h in der C ompliance- und der Placebo-Forschung als erhebliche positive bzw. negative W irkgröße (T schuschke, 2005). M öglicherweise b eeinflusst es a uch dir ekt die W irkung medizinischer B ehandlung. S o k onnte W alker et al. (1999) in einer ra ndomisierten p rospektiven Studie ne oadjuvant- chemo therapeutisch b ehandelter B rustkrebspatientinnen st arke Re duktionen der T umorgröße und eine eb enso sig nifikante Verbesserung der histo logischen Virulenz des Tumorgewebes na chweisen, we nn P atientinnen ge ringere An gst- und D epressionswerte a ufwiesen. Bei ä ngstlich-depressiveren P atientinnen f ührte die g leiche C hemotherapie zu einem sig nifikant schlechteren Ergebnis. Zentrale, im Selbst liegende Gefühlszustände erwiesen sich also als signifikanter P rädiktor k linischer und pa thologischer B ehandlungswirkung (»The higher the score (HADSWerte), the poorer the response«). In der v erhaltenstherapeutischen Literatur zeigen Interventionen zur Verbesserung sog. »Selbstmanagements« (K anfer et al ., 1996), und der »Selbsteffizienz« (B andura, 1977) p ositiven Einfluss a uf das G esundwerden b ei psy chischen und somatischen Erkrankungen. In der psy choonkologischen L iteratur wies en Krebstherapeuten lä nger s chon a uf v erschiedene
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14
Aspekte v on »S elbstblockaden« hin. G rossarthMaticek (2000) b etont zum B eispiel die N otwendigkeit, aus alten, abhängig machenden Bindungsmustern a utonom hera uszuwachen. S imonton et al. (1992) leiten Patienten an, negative und kra nkmachende Ein stellungen und Üb erzeugungen in gesündere umzu wandeln. L eShan (1993) heb t die Wichtigkeit des p ersönlichen R hythmus her vor und f ührt P atienten dazu , ihr L ied, ihr e L ebensmelodie, zu f inden. B üntig (2002) b etont die B efreiung vom unbewussten Normalitätsdruck. Bilek (2001) b erichtete üb er in teressante Er fahrungen hinsichtlich des Z usammenhangs v on K rankheit und Konflikt. Er häl t die I dentifikation eines zentralen K onfliktes in der L ebenswelt des B etroffenen, s eine B ereitschaft, da ran zu a rbeiten, und die M öglichkeit, hin sichtlich s einer zuk ünftigen Lebensgestaltung in ein f reieres Feld zu k ommen, geradezu f ür einen p rotektiven F aktor im s omatischen V erlauf der Erkra nkung. V ielfach wur de Krankheit a uch al s » Weg« (Dethl efsen & Dahlk e, 2000) o der als Cha nce der Er neuerung g esehen. (»Krebs ist ein pa radoxer L ehrmeister, er k onsumiert oder er erneuert uns«, vgl. Block 1996, S. 42.) Hier sehen wir allerdings auch das Problematische: Bei eintretendem Krankheitsprogress können sich Betroffene auf diesem Weg schnell als Versagende und S cheiternde erleb en. D er G rat zwis chen der Suche nach dem Si nn u nd der S uche nach der Schuld ist schmal (vgl. Steinweg, 2006). ! Das Selbst moduliert nicht nur die Antwort auf die Erkrankung, sondern auch die Reaktion auf die Behandlung. Psychoonkologische Interventionen, die sich auf Selbststärkung richten, können auch günstige somatische Auswirkungen haben.
14.5
Gibt es ein zelluläres Selbst? Identität aus immunologischer Perspektive
Das S elbst lässt sic h nicht verallgemeinern. Es er weist sic h a ls einziga rtiger G enotyp einer P erson und sucht sich stets einen s ehr persönlichen Weg, um eine Krise zu bewältigen. Dabei nimmt es aber offensichtlich Einf luss a uf das N erven-, I mmunund Hormonsystem, zeigt sich im psychologischen
194
14
Kapitel 14 · Identitätsstärkung – Fördert Authentizität das Gesundwerden nach Krebs?
Raum als G edanke o der G efühl und im s omatischen möglicherweise als Dirigent vielfältiger, miteinander in Verbindung stehender nervöser, endokriner und immunologischer Prozesse (Schubert et al., 2003). D ass Krankheit Selbstreflexion und k lärende Suchprozesse überhaupt auslöst, kann sicher als Bestandteil des »sickness behaviour« und damit als Teil der unmittelbar einsetzenden Selbstreparatur gefasst werden. Die Ro lle des I mmunsystems b eim G esundwerden nac h K rebs ist un bestritten, w enn a uch in der F unktionsweise unk lar. Z entrale A ufgabe des I mmunsystems ist es, S elbst und F remd im Körper a useinanderzuhalten und g eeignete A bwehrschritte g egen F remdes einzulei ten. Was b ei eingedrungenen Viren o der B akterien no ch leicht gelingt, gestaltet sich angesichts der zur »G uerillataktik« neig enden Tumorzellen s chwierig. K rebszellen sind wandelb ar und können sozusagen »als blinde Passagiere« die laufende »Passkontrolle« des Immunsystems umgehen (Miketta, 1991). Stärkung des Immunsystems heißt also nicht nur Steigerung von abwehrstärkenden Zellverbänden (z. B. B-Zellen, NK-Zellen usw.), sondern auch, den Grad der Wachheit und des regelrechten Funktionierens des Immunsystems zu fördern. Dabei m üssen eine V ielzahl v on Z ellen, Z ellverbänden, Molekülen und Botenstoffen so miteinander k ommunizieren, dass A bwehr k oordiniert funktioniert. D as B ild eines v om Dir igenten gu t geführten Orchesters (Zänker, p ersönliche Mitteilung) und das einer indi viduellen L ebensmelodie könnte sich a ls p assender er weisen a ls das einer starken K ampftruppe. D abei ist das I mmunsystem eines M enschen in gr oßen Teilen einziga rtig und n ur b ei eineiig en Z willingen a ustauschbar. Ähnliche B ilder g elten f ür das S elbst. A uch dessen Aufgabe b esteht da rin, sic h b ei B indung und Anpassung a n »F remdes« st ändig als Eig enes zu bewahren und sic h – wie das I mmunsystem – v or übergroßer Toleranz zu schützen. Varela (1996) en twickelt die D enkfigur, das Immunsystem könne sich als s omatischer Ast des Selbstgefühls zeig en. Durch die g emeinsame Aufgabe, S elbst und F remd a useinander zu hal ten, seien Brückeneffekte denkbar. Beides, Selbstgefühl und I mmunsystem, k önnten a us dem g emeinsamen genetischen Kern, der D NA, entstanden sein
und sich als psychische und somatische Kontrollinstanz entwickelt haben. Die psy cho- und neur oimmunologische F orschung beschäftigt sich mit Wechselwirkungen von Psyche und Immunsystem. Soweit über die immunologischen A uswirkungen sp ezifischer psy chotherapeutischer Interventionen berichtet wird (vgl. Garssen & Goodkin, 1999; Miller & Cohen, 2001), zeigen sich lediglich milde Effekte. McGregor et al. (2004) und C unningham et al . (2000) v erweisen darauf, nicht nur die Interventionen zu betrachten, sondern a uf P ersoneigenschaften der T eilnehmer, und hier b esonders auf den G rad der »A ufbruchstimmung« und des »in volvements« zu achten. Sie finden signifikante immunologische Effekte besonders bei den psychologisch Bewegten. Auch unsere Erfahrungen in mittlerweile 180 gut dokumentierten Langzeittherapien bei Krebspatienten v erweisen auf die N otwendigkeit, das je weilige Ansprechen auf Psychotherapie differenziert einzuschätzen, und klinische und ggf. auch immunologische Effekte mit dem G rad der inner en Bewegtheit von Patienten im P sychotherapieprozess in Verbindung zu bringen. Wandel nach Krebs – Neuorientierung und I dentitätsstärkung in der P sychotherapie – kann stark oder schwach in Gang kommen. Dabei rücken wiederum Basisfaktoren, wie das aus der Salutogenese-Forschung st ammende Kohärenzgefühl, der Eig ensinn, die F ähigkeit in S chlechtem a uch Gutes zu sehen (»benefit-finding«) wie auch die von Bilek (2001) b etonte K onfliktzentrierung als möglicherweise p rotektive P ersönlichkeitsmerkmale in den B lickpunkt. K onformismus »N ormopathie«, aber a uch undif ferenzierte F reundlichkeit k önnte sich eher als »g efährliche« Eig enschaften er weisen, die den Nutzen von Psychotherapie einschränken. ! Das Selbst zeigt sich aus immunologischer Perspektive als Dirigent vielfältiger, miteinander in Verbindung stehender nervöser, endokriner und immunologischer Prozesse.
14.6
Der Krebskranke in Psychotherapie: Bausteine zur Identitätsstärkung
Unter psychoonkologischer Psychotherapie werden diverse, hin sichtlich I nhalt, S truktur und D auer
14.6 · Der Krebskranke in Psychotherapie: Bausteine zur Identitätsstärkung
sehr un terschiedliche I nterventionen zus ammengefasst, die b eispielsweise v on einer d urchschnittlich 5-st ündigen un terstützenden B egleitung im Akutkrankenhaus vor und während des operativen Eingriffs (Küchler et al ., 1999), üb er str ukturierte 10–20-stündige S chulungsprogramme (F awzy et al., 1993), ein jährige G ruppentherapien (S piegel et al., 1989; G oodwin et al ., 2001) b is hin zu s ehr individuellen Einzel therapien r eichen (L iteratur und kr itische B ewertung b ei T schuschke, 2005). Die I nanspruchnahme psy chologischer Z usatzoptionen scheint von unterschiedlichen Motiven der Betroffenen, von d er ve rgangenen Z eit na ch D iagnosestellung, a ber a uch v on B edingungen des Medizinsystems a bzuhängen (Reh se et al ., 2003; Reuter et al ., 2004). G emeinsame E lemente der unterschiedlichen Interventionen liegen in der Unterstützung des P atienten d urch I nformationsvermittlung über Erkrankung und Behandlung, in der Ermöglichung, D enken und G efühle a uszudrücken, im Angstabbau und in der Verringerung von Hilflosigkeit, im W iedergewinn v on K ontrolle, in der Autonomiestärkung und in der F örderung der Bereitschaft, sich aktiv mit der Erkrankung, der eigenen Biografie, den Konflikten, aber auch den eigenen Ressourcen auseinanderzusetzen. Einzeltherapien und ma nche Formen von Gruppentherapie erlauben dem Patienten die vertiefte Auseinandersetzung mit sich selbst, dem Erleben der Krise, des Aufbruchs und tiefg ehenden W andelns v on Einstellungen, H altungen, B ewertungen und L ebenszielen. Was sind n un die H auptlinien psy choonkologischer Einzel therapie? N achfolgend s oll das dargestellt we rden a us d er Si cht e iner ve rhaltenstherapeutischen P raxis, die K rebsbetroffenen eine Selbstmanagementtherapie mi t dem Z iel a nbietet, ihre A utonomie in Z eiten der K rise zu b ehalten oder wie der zu g ewinnen und i hre S elbsteffizienz durch B ewältigung der B elastung und d urch b ewussten Wandel zu erhöhen. Alle Patienten b efinden sich primär in medizinischer B ehandlung und b ringen ihr e B efunde zum Erstgespräch mit. Die Psychotherapie ist kassenfinanziert, vom behandelnden Arzt (Konsiliararzt) b efürwortet und gil t als k omplementärmedizinisches An gebot. I nhaltlich st eht im V ordergrund das Verringern identifizierbarer Stressoren,
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die als » Energieräuber« eingestuft werden (akute oder auch andauernde Konfliktlagen mit den entsprechenden An gst-, A bhängigkeits- und H ilflosigkeitsgefühlen, d ysfunktionalen Einstellungen, mangelnde s oziale U nterstützung usw.). Die a ndere L inie b eschäftigt sic h mi t den S tärken des Patienten und der en Ausbau (Verbesserung sozialer K ompetenz und K ommunikationsfähigkeit, auch im A ustausch mi t B ehandlern, A usdruck und V erstärkung p ersönlicher G edanken und Gefühle zu K rankheit, B ehandlung, E tablierung neuer p assender W erthaltungen und k onkreter Lebensziele). W ir s prechen hier v on » Energiebringern«. In diesem Teil unterscheidet sich die psychoonkologische Thera pie w enig v on der P sychotherapie somatisch Gesunder. Danach, wenn die inner e Landschaft v on gr oben Konflikten »g ereinigt« ist, gewinnt die Üb erprüfung der I dentität und des Echten und Authentischen an Wert für den Betroffenen. Fragen wie »Wie habe ich bisher gelebt? Was ist mit mir passiert? Wie habe ich gedacht, gefühlt, geliebt? Wo b in ic h da bei g eblieben? Wie g eht es mir wirk lich? W as ist mir wic htig und was will ich üb erhaupt? K ann ic h mic h f ühlen, meine B edürfnisse spüren, kann ich Ziele definieren und sie auch er reichen? K ann ic h a uf meine Erkra nkung Einfluss nehmen und meine Gesundung unterstützen?« stellen sich jetzt. In dies em P rozess t aucht b eim P atienten fast regelhaft das B ild v om zur ückgestellten, v erkümmerten, durch übermäßige Anpassung verformten Selbst auf; zei tgleich der I mpuls, den eig enen B edürfnissen näher zu k ommen, sie zu sp üren und im All tag d urchzusetzen, sic h da bei ec hter und authentischer zu fühlen, »ehrlicher nach innen«. Im K onzept der S elbstmanagementtherapie (Kanfer et al ., 1996) üb ernimmt der Thera peut die Rolle eines »A ssistenten des P atienten«, der ihn im »selbstentdeckenden Lernen« unterstützt. Psychotherapie bildet den R aum dafür, s chult die Dia logfähigkeit des Patienten mit sich über den Dialog mit seinem Therapeuten. Psychotherapie ist Res onanzraum f ür die a nfangs ka um g espürten S elbsterlebnisse und Selbstveränderungen. Der Therapeut regt die differenzierte Innen-Wahrnehmung und zunehmend die S elbstverstärkung a n. Üb ergeordnetes Ziel ist die Förderung von Autonomie in Bindung.
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Kapitel 14 · Identitätsstärkung – Fördert Authentizität das Gesundwerden nach Krebs?
Beispiel
II
Im klassischen Fall beschreibt sich z. B. eine brustkrebsbetroffene Patientin als ein harmoniebetonter Mensch mit überstarker Sensibilität für die Bedürfnisse anderer, eingespannt in Pflege und Sorge um wichtige Personen in ihrem Leben, ohne Gefühl für die eigene P erson, ohne Sensibilität für die eigenen Bedür fnisse, ohne Raum für sich. Ein ausgeprägtes Bild des Eigenen, Originellen fehlt. Von »Ich« wird wenig gesprochen, von »man« viel. Die Patientin berichtet, sehr ausgeprägte Antennen für atmosphärische Bedingungen der Umgebung zu haben, ihre Sinnesorgane für die Erspürung der Bedür fnisse anderer zu benutzen. Das führt sie fast automatisch zur Erkenntnis, diese nicht zur Erkundung des persönlichen Innenraums eingesetzt zu haben, vielleicht gar keine Empfindung für die eigenen Bedürfnisse, keine nach innen gerichteten Antennen zu besitzen.
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Im F olgenden w erden einig e B austeine da rgestellt, die das B ewusstsein v om S elbst – einer spürbaren I nnenperson – s chärfen. S ie w erden in den v erschiedenen Phas en der S elbstmanagementtherapie thematisiert, entwickeln sich jedoch auch Stufe um Stufe weiter. Die Bausteine spiegeln von P atienten hä ufig b enannte Themen wie der und sind a us der Arb eit mi t K rebskranken en tstanden. I n der j etzt 10-jähr igen P sychotherapiearbeit mit On kologiepatienten ha ben sic h aus diesen B austeinen r egelrechte »Üb ungen« en twickelt, die sic h mi t der S chulung des inner en Wahrnehmens und Erleb ens, mi t dem W andel des B ewusstseins und dem Er proben neuer U mgangsformen mi t sic h und a nderen s owie der 1. Übungen zur Schärfung der inneren Wahrnehmung – W ahrnehmungsschulung hinsichtlich Entlastung/Belastung in der täglichen Rollenerfüllung (»Die Krankheit hat mir plötzlich einen Freiraum geschaffen, jetzt merke ich erst, wie belast et ich war«.)
Während die Charakteristik anderer genau beschrieben werden kann, bleibt ihr Bild vom Eigenen schwach ausgeprägt oder erscheint uninteressant oder gar wertlos. Die klischeehafte, mit Tugendhaftigkeit in Verbindung gebrachte Selbstlosigkeit kann ihr im Therapieverlauf als erschreckende Verantwortungslosigkeit gegenüber der eigenen Person vorkommen. Achtsamkeit – ein von Kabat-Zinn (1995) eingeführter Begriff – gilt anderen, nicht ihr selbst. Strategien, sich sensibel und oft in pflegend-sorgender und verantwortungsvoller Funktion an den Wünschen anderer zu orientieren, werden von ihr als hochtrainiert und überentwickelt beschrieben. Strategien, sich achtsam, fürsorglich und respektvoll mit sich selbst zu beschäf tigen, als deutlich unterentwickelt. Hier setzt im psychotherapeutischen Prozess die Identitätsstärkung an.
Auseinandersetzung mi t sp irituellen F ragen b eschäftigen. Der therapeutische Umgang mit diesen »Übungen« o rientiert sich a m M ethodenrepertoire der Selbstmanagement-Therapie und f olgt der a usdrücklichen Z ielsetzung, das S elbstgefühl zu s tärken und im P atienten die F ähigkeit zu f ördern, identischer zu leb en und a uthentischer (ehrlicher nach innen) zu f ühlen. M anche P atienten en twickeln daraus in Eig enarbeit regelrechte Imaginationsübungen und sind v on der Vorstellung geleitet, Selbstheilungsprozesse damit zu unterstützen. Wir begegnen diesen Vorstellungen angesichts der w enig en twickelten F orschungslandschaft mi t woh lwollender Zurückhaltung. – W ahrnehmungsschulung zur Erkennung von Anpassungshaltungen (»Ich merke, dass andere etwas von mir erwarten, ich kann aber auch erkennen, dass ich vermeintlichen Erwartungen anderer folge, also eigenen Erwartungen an mich, die ich in den Blick anderer hineinlege. Ich merke, ▼
14.6 · Der Krebskranke in Psychotherapie: Bausteine zur Identitätsstärkung
dass ich ein Bild von mir habe, das sich an vorhandenen Bildern in der Gesellschaft misst, so wie ich Mann bin oder Frau, Partner oder Partnerin, Vater oder Mutter eines Kindes, Sohn oder Tochter von Eltern, so wie ich im Job bin usw.«)
– Erkunden innerer Motoren dieser Anpassung (»Tue ich das, weil ich normal sein will, geliebt werden will, aus Harmoniezwang oder bin ich einfach konfliktscheu?«)
– W ahrnehmungsschärfung für innere Bedürfnisse und den Wandel von Bedürfnissen und eigenen Antrieben (»Was will ich eigentlich? Ich muss lernen, herauszufinden, was ich wirklich will, und was ich nur Anderen zuliebe tue. Ich will irgendwie andere Dinge als früher.«) – Förderung des inneren Dialogs (»Wenn ich mich wahrnehme, werden die unterschiedlichen Bedürfnisse und Motive deutlicher wahrnehmbar?– Wie in einem Parlament.«)
2. Übungen, die Sensibilität im Umgang mit Anderen zu schärfen – S ensibilisierung für unterschiedliche zwischenmenschliche Beziehungserfahrungen (»Ich trenne schärfer, verbinde mich aber auch inniger. Ich mache Unterschiede, merke den Unterschied deutlich. Das ist wirklich anders geworden. Ich stelle mir die Frage, von wem habe ich überhaupt etwas – und von wem nicht?«)
– Bewusstes Wahrnehmen von Stärken in der eigenen Person, Stärken Anderer und Erkennen und Nutzen von Hilfsmöglichkeiten von außen (»Das kann ich gut, das ist mir bisher of t gelungen. Das können andere gut, ihre Hilfe kann ich nutzen.«)
– Erleben von Öffnung dem Anderen gegenüber (»Ich merke, dass ich mich öffnen kann. Ich spüre meine Verschlussmechanismen deutlicher. Ich merke, wie ich bei mir und einem Anderen gleichzeitig sein kann. Bei mir zu sein ist ja gar kein Egoismus!«)
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3. Übungen zentrale Konflikte zu erkennen
– Wahrnehmung des inneren Zensors (»Ist das eigentlich mein Gewissen oder meine Erziehung oder die Gesellschaft, die da in mir spricht?«).
– Wahrnehmen von zentralen Konflikten als sinnhaftem Aufeinandertreffen eigener Wünsche und Neigungen und der Wünsche und Neigungen anderer (»Ich habe wirklich eine ganz andere Auffassung über manche Dinge im Leben als meine Mutter/mein Partner. Wenn wir Konflikte darüber haben, liegt das ja in der Natur der Sache . Ich darf die Unterschiede nicht einfach so abtun, als gäbe es sie nicht.«) – A ushalten von Konflikten (»Ich muss eine Meinungsverschiedenheit auch mal aushalten können und nicht immer sof ort klein beigeben, um des lieben Friedens willen.«)
4. Übungen zur Stärkung von Identität und Authentizität – Wahrnehmungsschärfung für den eige nen Tagesrhythmus, eigene Gewohnheiten, persönlichen Geschmack usw. (»Ich merke meine persönliche Handschrift im Alltag deutlicher, fühle mich aber auch leichter gestört. Was ich tue, tue ich auf meine Weise.«)
– Bilder machen vom eigenen Selbst als innerer Person und Abgrenzung vom Pseudo-Selbst (»In vielen Dingen war ich gar nicht ich selbst, hab nur so getan als ob, hab funktioniert und dabei ein freundliches Gesicht gemacht. Jetzt merke ich erst einmal, dass ich im Inneren eine eigene Person habe, die offensichtlich ich selbst bin.«) – Identität und Authentizität im AlltagsHandeln, insbesondere auch die Erfahrung, gleichzeitig bei sich und Anderen sein zu können (»Ich habe gemerkt, wenn ich mich gebe, wie ich bin und so handele , wie mir ist, dass ich dann nicht egoistischer, sondern sogar mehr bei meinem jeweiligen ▼
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Kapitel 14 · Identitätsstärkung – Fördert Authentizität das Gesundwerden nach Krebs?
Gegenüber bin. Ich merke, wenn ich echt bin, kann dann auch sehr aufmerksam sein.«)
– Erleben von Konstanz und Kontinuität im Werden des eigenen Lebens und der verschiedenen Stationen, »das erzählte Selbst« (»Im Erzählen wird mir erst klar, dass ich bei allem Werden und Wechsel doch auch gleich geblieben bin.«) – Spüren von Kongruenz (»Ich bin ganz bei mir, ganz ich selbst.«) und Selbstverfremdung (»Das bin nicht ich.«) im Alltagsleben. Förderung des Unterschiederlebens.
5. Übungen zur Sensibilisierung für spirituelles Erleben – Stärkung der Bewusstheit und des Re spekts dem Eigenen gegenüber (»Ich merke, dass ich mich selbst pfleglicher behandeln muss. Ich merke, wie ich mich belaste, fast ausbeute. Ich muss mich bei mir manchmal entschuldigen.«)
– Hereinnahme des Todes in das eigene Leben und Nachdenken über die Folgen (»Seit mir bewusst geworden ist, wie schnell ich sterben kann, lebe ich viel intensiver. Ich denke aber auch oft darüber nach, wie es ist, wenn ich nicht mehr da bin, w o ich dann bin und wie es den anderen geht.«)
– Sich der Angst vor Tod und Sterben öffnen (»Ich kann mit niemandem über meine
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Angst sprechen. Mein Partner will nichts davon wissen, ich soll »positiv« denken. Aber die Ängste kommen häufig, tags und in der Nacht. Die Angst macht mich ganz v errückt und vergiftet mein Leben.«)
– Anderen Umgang mit Todesangst erleben (»Früher habe ich Fenster und Türen meines Hauses verschlossen, dann stieg die Angst durchs Kellerfenster rein. Jetzt öffne ich Fenster und Türen: Die Ängste kommen, halten sich auf im Haus und v erschwinden wieder, die Sonnenstrahlen aber auch.«)
– Erleben von Transzendenz und Spiritualität (»Ist die Krankheit ein Signal, dass sich was ändern soll? Will mir da einer was sagen? Habe ich ein Unbewusstes, das mich
korrigiert? Ich nehme mich irgendwie anders wahr, auch die Natur erlebe ich anders , vielleicht bin ich stärker verbunden mit allem um mich herum.«)
6. Schärfen des Differenzbewusstseins im Wandel – W ahrnehmungsschärfung für überdauernde Werte und Überzeugungen und eventuellen Wandel (»Was ist mir das Wichtigste in meinem Leben? Was folgt dann? Ändert sich das? Wie ändert sich das?«)
– Wahrnehmung des Wandels/der Verringerung von Symptom- und Beschwerdedruck bei echterem und authentischerem Leben (»Komischerweise habe ich in manchen Situationen jetzt überhaupt keine Angst mehr. Mein Essen hat sich normalisiert, mein Blutdruck ist herunter gegangen. Auch die häufigen Kopfschmerzen früherer Zeiten habe ich nicht mehr so – seltsam.«)
– W ahrnehmung verstärkten Selbstbewusstseins durch stärkere Bewusstheit des Selbst (»Mein Selbstbewusstsein hat sich deutlich verstärkt, vielleicht dadurch, dass ich so viel über mich nachgedacht habe? Mich nun deutlicher wahrnehme? Mein Selbst erkenne?«)
– Erlernen entsprechender Selbstverstärkung (»Der Prozess hat zwar durch die Krankheit angefangen, jetzt bin ich es aber selbst, der den Prozess in Gang hält. Ich muss das deutlich wahrnehmen und gutheißen. Ich spüre die Kraft in mir.«) – Z eigen des Selbst – Offenheit und Authentizität und das Wahrnehmen von Angst und Lust (»Manchmal habe ich richtig Lust, mich zu zeigen und zu präsentieren, wovor ich früher Angst hatte. Ich bin auch viel gelöster und überhaupt in allem offener geworden. Ich kann leichter Nein sagen, aber auch richtig Ja.«)
– Spüren von Bedeutsamkeit und Sinnhaftigkeit (»Die Krankheit ist wie ein Ge schmacksverbesserer, ich weiß viel besser, was mir wichtig ist und tue mehr Dinge , die mir sinnvoll erscheinen.«)
14.7 · Empirische Befunde zur L ernbarkeit von Identitätsstärkung
Der Therapeut fragt nach diesen Wahrnehmungen, insbesondere unter dem A spekt von Unterschiedlichkeit im Erleben der eigenen Person in Situationen des Alltagslebens: ▬ Was habe ich Neues an mir bemerkt? ▬ Welche V eränderungen ha be ich r egistriert? Bei mir? Bei dem Gegenüber? ▬ Spüre ich meine Wünsche? ▬ Bin ich ehrlich meinen Gefühlen gegenüber? ▬ Kann ic h meinen R hythmus im T ag sp üren? Spüre ich Rhythmusstörungen? Die v om P atienten b erichteten Wahrnehmungen, Erlebnisse und Er fahrungen werden in allen Therapiesitzungen exp lizit b esprochen und hin sichtlich differenten Bewusstseins vom Wandel und der Veränderung (früher – heute) markant verstärkt. Dadurch gewinnt das S elbst im Dialog des P atienten mi t sich und dem Thera peuten a llmählich Kontur, die Sinnesorgane werden empfänglicher für die eigenen Gefühle, Gedanken, Bedürfnisse, Rhythmen. Gleichzeitig nimmt gewöhnlich die überstarke Sensibilität für Außenatmosphären ab. Ist das Selbst einmal in Sicht, mischt es sich ein und wächst durch Bewusstsein von sic h, Achtung vor sic h, S orge um sich und Gla ube a n sic h. M it zunehmender A uthentizität wächst die Unterscheidungsfähigkeit von »Schädlichem und Nützlichem« erkennbar und fordert Konsequenzen in L ebensführung, Tagesrhythmus und in der Auswahl sozialer Beziehungen. ! Psychoonkologische Psychotherapie hat das Ziel, Stressoren zu verringern und Ressourcen zu stärken. Das wird durch gezielte Verstärkung der Selbstwahrnehmung und eine Verbesserung des Selbstmangements erreicht. Die Stärkung der Identität kann durch auf das Selbsterleben gerichtete Therapiebausteine erleichtert werden.
14.7
Empirische Befunde zur Lernbarkeit von Identitätsstärkung
Identitätsstärkung s cheint ler nbar zu s ein. W ir überprüften die W irksamkeit einer iden titätsstärkenden S elbstmanagementtherapie a n e iner Gruppe kr ebsbetroffener P atientinnen und P ati-
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enten, die un ter den H auptdiagnosen akute Belastungsreaktion I CD-10 F 43.0, An passungsstörung ICD-10 F 43.2 und An gst und dep ressive Störung gemischt ICD-10 F 41.2 in a mbulanter Einzeltherapie standen. Insgesamt 71 kr ebsbetroffene P atienten nahmen v on 2000 b is 2003 eine s olche identitätsstärkende Selbstmanagementtherapie in An spruch. In diesem Z eitraum g ewann der B austein Identitätsarbeit im R ahmen der S elbstmanagementtherapie für die Therapeuten eine zunehmende B edeutung. Vollständige D atensätze lieg en v on 50 P atienten vor. A cht P atienten si nd versto rben, 1 3 ko nnten wegen er neuter Erkra nkung, Thera piepause o der aus a nderen G ründen die F ragebögen zum P ostZeitpunkt nicht bearbeiten. Die s oziografischen und kra nkheitsbezogenen Daten der T eilnehmer einer iden titätsstärkenden S elbstmanagementtherapie: in sgesamt N=50 Krebsbetroffene; Al tersmittelwert 49,64 (33-67; SD= 8,58), N=47 F rauen, N=3 M änner; K rebsart: N=41 B rustkrebs, N=9 a ndere T umoren; K rebsstadium: lokaler Tumor ohne und mit Lymphknotenbefall N=41, mehr faches Auftreten/Fernmetastasen N=9. Allen P atienten wur den zu zw ei M esszeitpunkten (in der p robatorischen Phas e und nac h Abschluss einer d urchschnittlich 25-st ündigen Kurzzeittherapie) st andardisierte F ragebögen zur Selbsteinschätzung vorgelegt (detaillierte Beschreibung b ei Reu ter & S chneider, 2005). W ir na hmen a n, dass sic h mi t S tärkung der I dentität das Selbstbild der P atienten v erbessern wür de und psychische und s omatische S ymptome a n K raft verlören. Dies er Üb erlegung f olgend s etzten wir die F rankfurter S elbstkonzeptskalen (FS KN; D eusinger, 1986) zur Er fassung des S elbstbildes und die Symptom-Checkliste zur Erfassung subjektiver Beeinträchtigungen durch körperliche und psychische Symptome ein (SCL 90-R; F ranke, 1995, bzw. dessen Kurzform BSI; Franke, 2000), Tatsächlich ka m es in der psy chometrischen Überprüfung der Therapieeffekte im Mittelwert zu einer ho chsignifikanten A bnahme der B elastung durch psy chische und s omatische S ymptome und zu einer eb enfalls ho chsignifikanten Stärkung des Selbstkonzeptes (⊡ Tab. 14.1).
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Kapitel 14 · Identitätsstärkung – Fördert Authentizität das Gesundwerden nach Krebs?
⊡ Tab. 14.1. Therapieeffekte (N=50; Prozentränge) Fragebogen
SCL 90-R / BSI
FSKN
Messzeitpunkte
prae
post
prae
post
Mittelwerte Range Standardabweichung
77,62 7-100 26,14
65,72 2-100 31,47
40,80 1-91 23,71
48,96 2-96 25,62
Signifikanzniveau
p < 0,1
p < 0,01
Normwerte Gesunder
16-84
16-84
Mittelwertsvergleich (t-Test) hinsichtlich Symptombelastung und Selbstkonzept vor und nach einer 25-stündigen identitätsstärkenden Selbstmanagement-Therapie bei Krebspatienten. Niedrige Werte bei SCL 90-R/BSI werden mit geringer Symptombelastung, hohe Werte bei FSKN mit einem guten Selbstkonzept gleichgesetzt.
! Patienten mit Krebserkrankung zeigen im Anschluss an eine durchschnittlich 25-stündige identitätsstärkende Psychotherapie signifikant weniger Beschwerdedruck durch Symptombelastung und eine bedeutsame Verbesserung des Selbstkonzeptes.
14.8
14
Resümee und zukünftige Forschungsfragen
Identität bleibt schwer zu fassen, der Weg zum Selbst kaum abbildbar. Wir konstruieren unser Selbst, machen a us Fl uidem etwas F estes, a uch d urch die erzählte G eschichte un seres L ebens. D as S elbst ist nicht vorhanden, sondern stellt sich ständig neu her. Dabei wird eine st arke Motivation frei. Krisenhafte Zeiten – wie sie zum B eispiel durch den Ein bruch einer Krebserkrankung gegeben sind – initiieren die Wiederherstellung. Es k önnte sic h da bei um einen Schritt der »Selbstreparatur« handeln. Unter wissenschaftlicher Perspektive stellen sich viele Fragen, wie z. B.: Ist Identität operationalisierbar und auf einem Kontinuum zwis chen w enig iden tisch und ho ch identisch a bbildbar? L ässt sich I dentitätssuche a ls Copingmechanismus verstehen, und lässt sich seine Verteilung im S pektrum a nderer C opingstrategien beschreiben? G ibt es r egelhafte Z usammenhänge zwischen I dentitätsarbeit, M otivation und A ufbruchstimmung? Hat Identitätsstärkung Einfluss auf die I mmunlage a uf den s omatischen Verlauf nac h Krebs, bzw. die Re aktion auf medizinische Behandlung? Gibt es personimmanente protektive Faktoren
(z. B. Eig ensinn, A utonomie, K ohärenzsinn, k onfliktzentrierte subjektive Krankheitstheorie, Authentizität usw.)? Lassen sich diese protektiven Faktoren fassen, f ördern und g ewinnen sie Einf luss a uf den Krankheits- bzw. Gesundungsverlauf nach Krebs? Eine entsprechende ausgearbeitete Forschungslandschaft dazu f ehlt w eitgehend. Aller dings lässt der jüngst aufgelegte umfangreiche Förderschwerpunkt Psychoonkologie der diesb ezüglichen größten deu tschen F örderinitiative ho ffen (D eutsche Krebshilfe, F örderschwerpunktprogramm »P sychosoziale Onk ologie«, 2006). B is dahin b leiben Erfahrungen, Ergebnisse und Gedanken zu Identitätsstärkung und der en mög lichen Auswirkungen fragmentarisch. Körperliches Gesundwerden nach Krebs muss dabei kein Ziel sein. Sich authentischer zu f ühlen und zu leb en ka nn a uch k urz v or dem Tod als Gewinn erlebt werden. ! Identisch werden und sich authentisch zu fühlen erweist sich als schwer operationalisierbar und ist als Copingmechanismus oder protektiver Faktor bei der Bewältigung von Krebs wissenschaftlich kaum untersucht.
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Kapitel 14 · Identitätsstärkung – Fördert Authentizität das Gesundwerden nach Krebs?
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Suche nach Geborgenheit: Bindungswünsche realisieren Hans-Peter Hartmann 15.1 Einleitung
– 204
15.2
Biologische Grundlagen der Suche nach G eborgenheit – 204
15.3
Von der Biologie zur Psychologie – Bindung, Geborgenheit und emotionale Regulation – 206
15.4
Suche nach Geborgenheit – mit und ohne Er folg
15.4.1 Sicher es Bindungsmuster – 206 15.4.2 Unsicheres und desorganisiertes Bindungsmuster
15.5
– 206
– 207
Wie kann die Suche nach Geborgenheit Erfolg haben? Therapeutische Ansätze aus bindungstheoretischer Sicht Literatur –
211
– 209
204
Kapitel 15 · Suche nach Geborgenheit: Bindungswünsche realisieren
15.1 Einleitung
Die Suche nach G eborgenheit ist üb erlebenswichtig und ha t als e volutionäre G rundlage die S uche nach Sicherheit und da mit Schutz vor Gefahr. Diese S icherheits- und G eborgenheitssuche en tspringt einem b ei B aby und M utter ak tivierten Bindungsverhaltenssystem, das ein w esentliches Motivationssystem in zwis chenmenschlichen B eziehungen bis zum Erwachsenenalter darstellt. Das Pendant zur G eborgenheitssuche b eim Sä ugling stellt d as üb er G enerationen wei tergegebene F ürsorgeverhalten dar. Prototypisch für dieses Fürsorgeverhalten ist die Mutterliebe. Aus ihr haben sich nach Eib l-Eibesfeld (1970) alle a nderen F ormen der B indung zwis chen Menschen entwickelt, d. h. Mitgefühl, Mitleid, romantische Liebe bei Erwachsenen und sonstige Geselligkeitsformen. ! Bindungsverhaltenssystem oder Pflegesystem: Nach Bowlby (1989) handelt es sich bei der Bindung zwischen Mutter und Kind um ein angeborenes artspezifisches Pflegesystem, bei Menschen und auch bei Säugetieren bei dem Mutter und Kind sich gegenseitig über eine Rück kopplungsschleife regulieren.
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Dieses Pflegesystem besteht aus den bei Eltern und Kind k omplementär a ngelegten V erhaltenssystemen der B indung und der P flege/Fürsorge. D er Ausdruck v on K ummer und V erlassenheitsangst (Schreien, R ufen) des Sä uglings f ührt zu a utomatischen S chutzreaktionen der M utter (S uchen, Zurückholen und W iedervereinigen) und b ei G efahr suc ht der Sä ugling T rost, Z uwendung und Schutz bei ihr (Bindungsverhalten). Dieser Prozess der B indungsentwicklung ha t b is zum Ende des ersten Le bensjahres be reits e ine g ewisse S tabilität erreicht, o hne dass hier durch eine v öllige D etermination sp äteren Verhaltens zust ande kä me. I m Kontext der B edürfnisse des K indes und s einer Wünsche nach Aufmerksamkeit und Sicherheit hat sich ein b estimmtes I nteraktionsmuster zwis chen Kind und p rimärer Bezugsperson, meist der M utter, entwickelt. Das Bindungssystem entfaltet seine Wirkung nic ht n ur a uf psy chologischer, s ondern auch a uf b iologischer Eb ene und ka nn deshalb auch a uf b eiden Eb enen – psy chologisch üb er Verhalten und Rep räsentation, physiologisch über
z. B. S tresshormone und I mmunreaktionen – untersucht werden. Zugleich st eht das B indungssystem mi t dem Explorationssystem in en ger Verbindung. Voraussetzung eines umfassenden Explorationsverhaltens ist ein eindeu tiges Sicherheitsgefühl durch Geborgenheit in einer B eziehung zu einer w esentlichen Bezugsperson. ! Das Bindungssystem ist zwar nur ein Verhaltenssystem unter anderen, ist es aber aktivier t, sind alle anderen Systeme deaktiviert, denn es dient der Überlebenssicherung.
Diese k urze Cha rakterisierung dess en, was in der Bindungstheorie als B indung v erstanden wir d (Überblick b ei D ornes, 1998; G rossmann et al ., 2003), w eist a uf eine a nthropologische G rundannahme hin, die die v erschiedenen P sychotherapietheorien b erücksichtigen müssen, wenn sie die Ergebnisse der B indungsforschung in tegrieren wollen. Denn in der B indungsforschung wird eine präadaptierte ge genseitige R egulation z wischen Säugling und U mwelt (meist der M utter) a ngenommen. Dabei ist dies e Gegenseitigkeit dem Alter des Sä uglings b zw. K leinkindes en tsprechend durchaus asymmetrisch. Bindungsbedürfnisse sind jedoch eb enso b edeutsam im Er wachsenenalter und ihr A uftreten ist k ein Z eichen v on S chwäche oder Regression. Es g eht also nicht darum, auf sie im Zuge der Entwicklung zur reifen Persönlichkeit zu v erzichten. A utonomie ist g eradezu die F olge sicherer B indung, die es er möglicht, kr eativ und spielerisch zwis chen Exp loration und S icherheitssuche hin und her zu w echseln. ! Eine sichere Bindung ermöglicht autonomes Handeln.
15.2
Biologische Grundlagen der Suche nach Geborgenheit
Bowlby (1973, S. 187 ff.) trifft die U nterscheidung zwischen einem ä ußeren und inner en Rin g lebenserhaltender S ysteme. D er ä ußere Rin g wir d durch das B indungsverhaltenssystem (und spä ter durch die repräsentationale Ebene des inneren Arbeitsmodells) g ebildet, währ end der inner e Rin g
15.2 · Biologische Grundlagen der Suche nach Gebor genheit
basale physiologische Prozesse umfasst, denen wir uns jetzt zunächst zuwenden wollen. Dieser innere Ring wird jedoch dann umso mehr beansprucht, je dysfunktionaler der äußere Ring ist. Wenn wir v om F ürsorgeverhalten a usgehen, so wir d dies es p hysiologisch u . a. d urch die O xytocin-Ausschüttung währ end der G eburt, b eim Stillen, beim Körperkontakt, aber auch beim Sexualverkehr unterstützt (Uvnäs-Moberg & Petersson, 2005). O xytocin ka nn daher a uch als B indungshormon b ezeichnet w erden, dess en F reisetzung der einzig e G rund ist, wa rum M enschen a uch in der unfruchtbaren Zeit miteinander Sexualverkehr haben. Paare sollen dadurch aneinander gebunden werden, um g emeinsam f ür den N achwuchs zu sorgen. Langfristige Auswirkungen früh fehlenden Körperkontakts d urch mehr jährigen H eimaufenthalt zeigen sich in fehlendem Oxytocin-Anstieg bei späterem Körperkontakt mit den Adoptiveltern im Vergleich zu den b ei ihren Eltern aufgewachsenen Kindern (Wismer Fries et al., 2005). Bei der W iedervereinigung v on M utter und Kinder f indet ma n – zumindest in T ierversuchen mit Affen – einen erheb lichen Anstieg der Endo rphinausschüttung bei Mutter und Kind. Dies kann als Verstärker der Bindung angesehen werden, wir entwickeln s ozusagen eine S ucht nac h B indung. Diese Endo rphinausschüttung f indet b ereits b eim gegenseitigen Anblicken statt (Schore, 2003). ! Oxytocin ist die biologische Basis für eine Zunahme des prosozialen Annäherungsverhaltens und Vertrauens, während Endorphine Wiedervereinigungsverhalten verstärken. Beide unterstützen auf diese Weise das Bindungs- und das Pflegeverhalten.
Weitere p hysiologische P rozesse va riieren mit der Erfahrung v on F ürsorgeverhalten und da mit einher g ehender Feinfühligkeit der B ezugsperson im Umgang mit dem Kind, denn die b ei der Fürsorge entstehende B indungsorganisation b eim K ind ha t bedeutsame r egulatorische A uswirkungen a uf die Arousal-Reaktion. Eine sic here B indung ka nn er heblich die Stressreaktivität beeinflussen und regulieren. Dies er Bindung voraus bzw. parallel zu ihr gehen die v on Hofer (2003) a n Ratten beschriebenen r egulierenden I nteraktionen a uf p hysiologischer Ebene, die aber in vieler H insicht auch beim
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15
Menschen b estätigt wur den. Er gebnis wa r, dass neugeborene R atten deu tlich v on v ersteckter Regulation a bhängig wa ren. Dur ch S tillen un d K örperkontakt wurde der no rmale Herzrhythmus, die Körpertemperatur und ein p assendes Aktivitätsniveau erzeugt. Das Aktivitätsniveau dieser regulatorischen Abläufe reduzierte sic h b ei Trennung von der Mutter erheblich. Die Regulation des infantilen ZNS, also der inneren psychophysischen Zustände des J ungtieres, er folgt d urch das r eifere ZNS des Erwachsenen (d. h. von außen) unter Berücksichtigung auch gegenseitiger Regulation. Deutlich wird hier bereits, wie frühe Bindungs- bzw. Umgebungserfahrung die An passung des Sä uglings a n S tress beeinflussen ka nn. I nsbesondere Verlusterfahrungen wirken sich endokrinologisch aus und können, zumindest im T ierversuch, die H irnentwicklung mit der Folge einer veränderten Stressantwort beim Erwachsenen (dauerhaft höhere Liquorkonzentrationen v on CRF) b eeinflussen (H ofer, 2003). I n ähnliche Richtung weisen die B efunde von Spangler und G rossmann (1993) a us der B indungsforschung, die den hö chsten C ortisol-Response b ei unsicher gebundenen Kindern fanden. ! Solche physiologischen Regulationserfahrungen sind die Grundlage, auf der spätere mental organisierte Regulationserfahrungen gemacht werden und sie bestehen parallel neben letzteren als physiologische Reaktionen weiter.
Aber nic ht n ur endo krinologische F olgen f rühkindlicher T rennungen v on den E ltern o der v on fehlendem el terlichen F ürsorgeverhalten sind zu beobachten. Es zeig en sic h a uch la ng a nhaltende Veränderungen in den syna ptischen Verschaltungen v or allem im lim bischen S ystem, die dess en funktionelle Reif ung en tscheidend b eeinflussen (Braun & H elmeke, 2004). Dies ka nn ein H inweis dafür s ein, warum manche Menschen ihren Partnern oder Kindern kein Geborgenheitsgefühl vermitteln k önnen und b ei ihnen die M echanismen der Liebe versagen. Die Annahme liegt daher nahe, dass fehlende frühe eigene positive Bindungserfahrung sic h nac hhaltig und nega tiv a uf die spä tere Liebesfähigkeit des Erwachsenen auswirkt. Neurobiologisch g ibt es a ußerdem deu tliche Hinweise dafür, dass die En twicklung der r echten Hemisphäre des Gehirns, die in den ersten drei Le-
206
Kapitel 15 · Suche nach Geborgenheit: Bindungswünsche realisieren
bensjahren dominant und sp ezialisiert auf Affekte und s oziale K ognition ist (S chore, 2003b , 2005), durch eine sichere Bindung optimal gefördert wird. Da das rechte Gehirn auch die Stressbewältigungssysteme beinhaltet, beeinflusst die B indungsbeziehung a uch der en Reif ung. N ach S chore (2003a) sind dies elben Hirnstrukturen, die die Af fekte regulieren, auch für die Entwicklung der Mentalisierung notwendig, insbesondere der r echte präfrontale Kortex und dort der Orbitofrontalbereich. 15.3
15
Von der Biologie zur Psychologie – Bindung, Geborgenheit und emotionale Regulation
Die Entwicklung und der A ufbau einer B indungsbeziehung zu den primären Bezugspersonen ist eng verzahnt mit dem A ufbau der F ähigkeit des Sä uglings zur Emo tionsregulierung b zw. zur S elbstregulation v on inner en Z uständen (F onagy et al ., 2002, Fonagy & Target, 2003). Der Bindungsperson kommt somit eine hera usragende Funktion in der Regulierung der kindlic hen Emo tionen zu . M it Hilfe der I nteraktion zwis chen Sä ugling und p rimärer Bezugsperson erfährt das Kind zunächst eine interpsychische Regulierung seiner somato-psychischen Z ustände und v erinnerlicht dies e im L aufe der Entwicklung zu der F ähigkeit zur in trapsychischen Regula tion. A usgangspunkt dies es k omplexen P rozesses ist die Af fektspiegelung (G ergely & Watson, 1996). (Eine g enaue D arstellung dies es Prozesses f indet sic h b ei D ornes (2006, S. 166209), a uf den a us Pla tzgründen hier v erwiesen wird.) Mittels dieses Modells der Af fektspiegelung ist a uch Af fektregulation a uf einer elemen taren Stufe mög lich. I n einem w eiteren S chritt w erden nach G ergely und W atson üb er die Af fektreaktionen (G esichtsausdruck) der B ezugspersonen des Säuglings dessen Gefühlszustände repräsentierbar. Nach Dornes (2000) wird so der Gesichtsausdruck der Eltern zu einer Rep räsentanz der eig enen Gefühlszustände des Sä uglings. I m w eiteren Verlauf der Entwicklung wird nun jedes Mal, wenn das primäre Gefühl entsteht, auf das die Eltern mit Spiegelung reagierten, die (s ekundäre) Repräsentanz des Gefühls mit aktiviert. Die sekundäre Repräsentanz übernimmt da mit die Af fektregulierungsfunktion
des primären Gefühlsfeedbacks. Über diese Externalisierung eig ener inner er emo tionaler Z ustände im Gesichtsausdruck des anderen und der allmählichen Rep räsentation dies er Interaktion ler nt das Kleinkind s eine a ffektiven I mpulse zu r egulieren und es f indet der Er werb s elbstreflexiver F unktionen statt, die s og. Mentalisierung, welche Affektregulation a uf r epräsentationaler Eb ene erla ubt. Nach F onagy und T arget (2002) ist die En twicklung der F ähigkeit zur M entalisierung in trinsisch mit der En twicklung der S elbstregulation verbunden. D enn S elbstregulation b enötigt die Rep räsentation men taler Z ustände v on sic h s elbst und dem Anderen, um sic h selbst – o hne die k onkrete Anwesenheit eines regulierenden Anderen – regulieren zu können. Emotionale Regu lation g elingt o ptimal b ei sicherer Bindung. Über Affektspiegelung und M entalisierung entwickelt sich ein inner es Arb eitsmodell üb er eine B indungsfigur. Dies e V orstellung über ein M uster v on B indung b estimmt die w eiteren B eziehungen b zw. die in tersubjektiven A bwehrstrategien. 15.4 Suche
nach Geborgenheit – mit und ohne Er folg
15.4.1 Sicher es Bindungsmuster
Eine wes entliche Ursache einer sicheren Bindung (Überblick über die verschiedenen Bindungsmuster bei Hartmann, 2003) wird in der m ütterlichen (väterlichen) F einfühligkeit g egenüber dem K ind gesehen. Dies e F einfühligkeit wir d a nhand einer mehrstufigen Skala eingeschätzt. Zunächst einmal muss die Mutter die S ignale des B abies bemerken und f ür sie zugä nglich s ein. D ann muss sie dies e Signale richtig interpretieren, sich auf die S ignale hin angemessen verhalten und schließlich prompt darauf reagieren. Trotz mütterlicher Feinfühligkeit kann allerdings auch das Unvermögen des Kindes, seine B edürfnisse k lar a uszudrücken, der En twicklung einer sicher en Bindung entgegenstehen. Insofern spielt neben der mütterlichen Feinfühligkeit auch die Orientierungsfähigkeit des Säuglings eine wesentliche Rolle beim Aufbau der Bindungsorganisation.
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15.4 · Suche nach Geborgenheit – mit und ohne Er folg
Nach Sroufe (1995) ist die B indungsbeziehung wesentlich g ekennzeichnet d urch die d yadische Regulation der Er regungszustände, d. h. der emotionalen Regula tion des Sä uglings. Sä uglinge sind noch nicht in der L age, ihre Emotionen alleine zu regulieren. Sie benötigen hierzu die Unterstützung ihrer p rimären B ezugsperson. Emo tionen sind ein w esentliches M erkmal f rühkindlicher Ak tivität und die Er fahrung ihr er Regulation d urch die wesentliche B indungsfigur, meis t die M utter, ist Voraussetzung für die spätere Selbstregulationskapazität des Kleinkindes (s. o.). Sicher g ebundene Sä uglinge ha ben Vertrauen in die Verfügbarkeit ihrer Mutter als Quelle von Sicherheit und Beruhigung wenn sie Kummer haben und darauf, dass sie s elbst in der L age sind, dies e Verfügbarkeit, w enn nö tig, zu er reichen. S chon mit 12 Monaten haben sie feinere und komplexere Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung als unsicher gebundene Säuglinge. Im Kindergartenalter haben sicher gebundene gegenüber unsicher gebundenen K indern k ompetentere K onfliktbewältigungsstrategien und ein a ngemesseneres S elbstbild (r ealistische V orstellungen ihr er F ähigkeiten und M öglichkeiten). S ie sp ielen a usgeglichener und k onzentrierter und sind w eniger f eindselig. Ebenso hab en sie eine p ositivere W ahrnehmung (weniger P rojektion) s ozialer K onfliktsituationen. Ihr e B etreuer ur teilen, dass sie ein b esseres Selbstwertgefühl, mehr Selbstvertrauen haben und empathischer mi t a nderen K indern um gehen. Sie zeigen mehr Phantasie und nutzen, nach einer Probierphase mi t dem V ersuch einer eig enständigen Lösung, die H ilfe der B ezugsperson. Die B alance zwischen Bindung und Exp loration ist als o ausgewogener. Ebenso wie im K indergartenalter zeig en sicher g ebundene K inder a uch im S chulalter höhere soziale Kompetenz, sind beziehungsorientierter und ha ben mehr und b essere B eziehungen zu Gleichaltrigen. Gleicher maßen v erfügen sie üb er eine p ositive s oziale Wahrnehmung. Z ehnjährige suchen b ei K ummer, An gst o der Är ger eher U nterstützung b ei den E ltern und ha ben in sgesamt einen b esseren und f lüssigeren Z ugang zu ihr en Gefühlen. S icher g ebundene J ugendliche sind in der L age, ihr e F reundschaftsbeziehungen eb enso als sic here B asis zu erleb en wie f rüher die B ezie-
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hung zu ihrer Mutter. Sie sind gut eingebunden in die P eer-Gruppe und akzep tiert, b enutzen hä ufiger aktive B ewältigungsstrategien und zeig en eine größere I ch-Flexibilität. I m j ungen Er wachsenenalter s chließlich ka nn eine sic here Rep räsentation der P artnerschaft (gr oße W ertschätzung, o ffener Ausdruck von Zu neigung, ge genseitige Unterstützung, verlässlich) aus der mütterlichen Feinfühligkeit und der S icherheit mit sechs Jahren abgeleitet werden. Üb er alle Al tersgruppen hinweg zeichnet sich eine sicher e Bindungsorganisation durch eine effektive Regulierung von Verhalten und Af fekten und da mit der en a ngemessene B ewältigung a us. Auf diese Weise entstehen Eigenschaften, die p rotektiv wirksam sind. Der Erwerb einer sicheren Bindung ermöglicht im Er wachsenenalter eine a ngemessene A bwehr frustraner B indungsbeziehungen – A bwehr wir d dabei als interpersonelles und nicht als intrapsychisches Konzept verstanden – und eine ausgewogene Balance zwis chen B indung und Exp loration v erbunden mit dem G efühl von Kompetenz und der Möglichkeit von Intimität in Beziehungen. 15.4.2 Unsicher es und desorganisiertes
Bindungsmuster
Unsicher-vermeidend gebundene Säuglinge zeigen einen ein geschränkten emo tionalen A usdruck, während un sicher-ambivalent g ebundene Sä uglinge ü bertriebene a ffektive Reak tionen ze igen, häufig passi v er scheinen und w enig exp lorieren. Im FST (Fremde-Situation-Test) zeigen unsichere und desorganisierte Kinder einen deutlichen Cortisolanstieg, b indungssichere K inder nic ht, d . h. physiologische Stressreaktionen werden durch sichere Bi ndungen ( kompetente S trategien) nich t notwendig. Im Kindergarten fa llen unsicher-vermeidend g ebundene K inder (üb erwiegend J ungen) hä ufig d urch ag gressives Verhalten a uf und lösen auch bei ihren Erziehern häufiger strafendes Verhalten aus. Auf diese Weise reproduzieren sich die Erfahrungen der Ablehnung von Gefühlen aus der U rsprungsfamilie. I n S pielsituationen g eben sie b ei unlösba ren A ufgaben s chnell a uf o hne länger auszuprobieren o der gar die H ilfe der B ezugsperson zu suc hen. U nsicher-ambivalent g e-
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15
Kapitel 15 · Suche nach Geborgenheit: Bindungswünsche realisieren
bundene Kinder sind ehe r ve rhaltensgehemmt, werden nic ht s elten Op fer ag gressiver An griffe und er nten b ei ihr en Erzieher n eher N achsicht und Behütung. Diese Unterschiede setzen sich im Schulalter fort. Zehnjährige Kinder mit unsichervermeidender Bindung vermeiden in emotionalen Belastungsituationen die N ähe ihr er E ltern b zw. können keine klare Strategie für den Umgang mit solchen b elastenden Si tuationen en twickeln. Sie bringen gr undsätzlich ihr L eid ka um zum A usdruck, w eil sie o ffenbar g elernt ha ben, dass eine vertraute, sie u nterstützende B ezugsperson nich t zur Verfügung steht. Unsicher-ambivalent gebundene 10-J ährige ha ben die w enigsten F reunde und a m meist en mi t ihnen S chwierigkeiten. J ugendliche, die un sicher g ebunden sind , zeig en weniger I ch-Flexibilität und hä ufig ein nega tives Selbstkonzept, v ermehrt H ilflosigkeit, Än gstlichkeit und F eindseligkeit. I n dies em Verhalten kommt die ma ngelhafte emotionale Regu lationsmöglichkeit b ei un sicher g ebundenen K indern und Jugendlichen zum Ausdruck. Sie handeln bei komplexen Problemlösungsaufgaben eher planlos und inef fektiv (un sicher-ambivalent) b zw. k önnen tr otz gu ter M otivation und Exp loration die zur Verfügung st ehende I nformation nic ht o ptimal nutzen (unsicher-vermeidend). Alles in allem ist f estzuhalten, dass die W ahrscheinlichkeit von Verhaltensstörungen und emotionalen Problemen ausgehend vom Säuglingsalter bis zur A doleszenz b ei un sicherer B indung deu tlich zunimmt. Die p athogenetisch b edeutsamsten A uswirkungen a uf die En twicklung v on K indern b is in s Erwachsenenalter hat jene – unsichere – Bindungsqualität, die zus ätzlich zu den dr ei bisher erwähnten B indungsmustern k lassifiziert wir d, nä mlich die des organisierte/desorientierte B indung. T ypisches des organisiertes V erhalten ist z. B. ä ngstliches Verhalten gegenüber der Bezugsperson (Mutter/Vater). K inder s chreien b ei W iederkehr der Mutter nach der Trennung im FST, werfen sich auf den B oden o der ha lten die H and v or den M und, ziehen die S chultern ho ch. A uffällig sind a uch konfligierende Verhaltensweisen (Annä herung a n die Bezugsperson und sich dabei im Kreis drehen, anstatt dir ekt da rauf zuzug ehen o der a uf die B ezugsperson zug ehen und k urz v orher a bdrehen)
oder diss oziative Re aktionen (einf rieren aller B ewegungen, Versinken in einen Trancezustand). Im Kindergartenalter zeigen Kinder mit desorganisierter Bindungsqualität mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit als a ndere K inder deu tliche Aggressivität, R ückzug und I solation o der a uch merkwürdige, nic ht-zusammenhängende o der belästigende U mgangsweisen mi t Gleicha ltrigen. Im S chulalter fa llen s olche K inder hä ufig d urch dissoziative S ymptome a uf und J ugendliche b erichten s elbst da von, wie sie o ft t agträumen, sic h wie im N ebel fühlen oder die Z eit aus den A ugen verlieren. Für dies es a uffällige B indungsverhalten sind mittlerweile mehr ere em pirisch üb erprüfte U rsachenkomplexe gefunden worden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit a uslösend sind (nac h J acobvitz et al., 2001) ▬ körperlicher und s exueller M issbrauch des Kindes ▬ unverarbeiteter Verlust/Trauma in der f rühen Kindheit ▬ Trennung/Scheidung der Eltern und Gewalt in der Ehe ▬ psychische Erkrankung der Mutter (z. B. chronische und schwere Depression) ▬ Suchterkrankungen der E ltern (v . a. Alk ohol, wegen des häufig damit einhergehenden Missbrauchs von Kindern) Diese U rsachen f ühren aller dings nic ht dir ekt zu dem desorganisierten Bindungsverhalten der Kleinkinder, sondern dieses wird wahrscheinlich durch ein g eängstigtes und/o der ä ngstigendes Verhalten der E ltern ausgelöst (Lyons-Ruth et al ., 1999). D a Kinder in ä ngstigenden Si tuationen g ewöhnlich Trost und S icherheit b ei der B indungsperson und deshalb ihr e N ähe suc hen, ist dies e N ähe jedo ch zugleich Angst auslösend. Die B indungsperson ist jetzt also gleichzeitig Quelle der An gst des K indes und Mittel zu deren Auflösung. Es entwickeln sich widersprüchliche Verhaltensstrategien b eim Kind, die letzt endlich in einem una bgeschlossenen B indungsverhalten enden. Unsichere und des organisierte B indungsmuster führen zum Suchen von Nähe bei unzuverlässigen und a bweisenden Bindungsfiguren, bei denen dem en tsprechend die S uche nac h G eborgenheit
15.5 · Wie kann die Suche nach Geborgenheit Erfolg haben?
erfolglos bleibt. Im einzelnen ist das v ermeidende Muster g ekennzeichnet d urch die Annahme , dass zum Er reichen v on S icherheit zwa r die N ähe zur Bindungsperson notwendig ist, diese aber die eigenen Annäherungen aufgrund der da mit einhergehenden belastenden Affekte zurückweisen könnte, weshalb Bedürfnisse und Gefühle bezogen auf sich selbst als auch auf die Bindungsperson unterdrückt werden und eine r ein k ognitive S ituationsbewertung vorgenommen wird. Beim ambivalenten Muster lautet die Annahme, dass man sich in der Nähe der Bindungsperson aufhalten muss, da diese sonst nicht r eagieren o der zu na he k ommen k önnte. Durch Ank lammern a n die B indungsperson wir d dann v ersucht zu er reichen, dass sie r eagiert und sich k ümmert mi t dem g leichzeitig v orhandenen Gefühl geringer Selbstwirksamkeit hinsichtlich der eigenen Z iele als a uch in B eziehungen. I m F alle von Vermeidung wir d Är ger und W ut häufig unterdrückt, im F alle v on Am bivalenz Exp loration. Bei desorganisierter Bindung ist die Beziehung zur Bindungsperson v on U nberechenbarkeit g eprägt, so dass hier k eine G eborgenheitsgefühle a ufkommen können. Intimität entsteht b ei keinem dies er Bindungsmuster. 15.5
Wie kann die Suche nach Geborgenheit Erfolg haben? Therapeutische Ansätze aus bindungstheoretischer Sicht
Beziehungen zwischen Patienten und Therapeuten können aus guten Gründen als Bindungsbeziehungen v erstanden w erden, denn P atienten suchen Therapeuten g ewöhnlich in B elastungssituationen auf, d . h. ihr B indungssystem ist ak tiviert. S ie s uchen eine P erson, die s tärker und k lüger als sie selbst ist und en twickeln da bei Er wartungen a n den Thera peuten, die a us ihr en B eziehungen zu ihren primären Bindungspersonen herrühren (Dozier & B ates, 2004). Z uerst geht es da rum, ob der Therapeut – und dies hä ngt mit Therapeutenvariablen, aber natürlich auch mit dem Bindungsmuster des P atienten zus ammen – als sic her und v erlässlich wahrgenommen wird. Angesprochen sind hier w eniger k ognitive Ein schätzungen, s ondern emotionale Erfahrungen aus dem Umgang mitein-
209
15
ander, die erleb te Af fektregulation, Unterstützung und Einfühlung. Wenn der Thera peut als sic here B asis er fahren w erden ka nn, erleich tert dies die E xploration und da mit a uch die Erk undung der eig enen L ebensgeschichte. Dies fördert wiederum die reflexive Funktion des Nachdenkens über sich selbst und die Integration b iografisch b edeutsamer p ositiver und negativer Er fahrungen im S inne der F ähigkeit zur Mentalisierung. D a das inner e Arb eitsmodell f ür emotional b edeutsame B eziehungen j edoch hä ufig unbewusst und kognitiv nicht zugänglich ist, gelingt dessen V eränderung eher üb er die in t herapeutischen B eziehungen er fahrene emo tionale Regu lation, die als Selbstregulation verinnerlicht wird. ! Wesentlich sind dabei neue Beziehungser fahrungen, denn nur diese können die bisherigen Vorstellungen über wichtige Beziehungen verändern. In therapeutischen Beziehungen geht es dabei um das Erleben von Vertrauen, Zuverlässigkeit, einfühlendem Verständnis, Unterstützung, Akzeptanz und liebevollem Zugewandtsein.
Solche Er fahrungen k önnen da nn in psy chischen Belastungssituationen helf en, a ngstvolle Af fekte zu regulieren und eine F ragmentierung des S elbst verhindern. S ogar w enn An gstgefühle als f remd und bedrohlich wahrgenommen werden, kann die Erinnerung an die Erfahrung von Geborgenheit in Beziehungen zumindest dazu v erhelfen, die An gst zu r elativieren und nic ht da von üb erwältigt zu werden. Unter dies en Voraussetzungen kann man durchaus b ei dem t herapeutischen An gebot einer sicheren B asis von einem allg emeinen Wirkfaktor in Psychotherapien sprechen. Therapeuten k önnen j edoch eb enso wie a lle anderen M enschen a uch ein H indernis f ür die Erfahrung v on G eborgenheit w erden. Dies g eschieht da nn, w enn sie a ufgrund ihr es eig enen Bindungsmusters ga r nic ht in der L age sind , eine sichere B asis und einen sic heren H afen f ür ihr e Patienten da rzustellen. I mmerhin zeig en em pirische U ntersuchungen mi ttels F ragebogen (BFP E – B ielefelder F ragebogen zu P artnerschaftserwartungen) v on g esprächspsychotherapeutisch und t iefenpsychologisch o rientierten P sychotherapeuten mi t a bgeschlossenem P sychologie- o der Medizinstudium, dass sie üb erwiegend üb er ein
210
15
Kapitel 15 · Suche nach Geborgenheit: Bindungswünsche realisieren
unsicher-vermeidendes B indungsmodell v erfügen (Nord et al., 2000). Ganze ähnliche Ergebnisse fanden Schauenburg et al . (2006) mi ttels Anwendung des Er wachsenenbindungsinterviews b ei psy chodynamisch-psychoanalytischen P sychotherapeuten. Möglicherweise gelingt es diesen Therapeuten, ihre B indungsbedürfnisse d urch die B erufswahl zu kompensieren. Sie sind da bei in einer P osition, in der sie eig ene Bedürfnisse nach Bindung durch Übernahme der H elferrolle de aktivieren k önnen. Dies ist einer Ro llenumkehr b ei P arentifizierung ähnlich. Die A uswirkungen sind d urchaus b edenkenswert. N ach S chauenburg und S trauß (2002) kann mi t V orsicht da von a usgegangen w erden, dass zwis chen ä ngstlich-vermeidenden Therapeuten und der t herapeutischen Arbeitsbeziehung ein negativer Zusammenhang und bei sicheren Therapeuten ein positiver Zusammenhang besteht. Nur auf die B indungsmuster der P atienten bezogen g ilt, dass der B ehandlungserfolg a m b esten durch das Ausmaß der Bindungssicherheit vorhergesagt w erden ka nn (S trauß, 2006). W ie g elangt man jedoch bei unsicherer Bindung zum B ehandlungserfolg? B ei einem un sicher-vermeidenden Bindungsmodell k ommt es da rauf a n, die Ä ußerung v on B indungsbedürfnissen zu f ördern und zu ermutigen, auch wenn diese Patienten sich und ihre B edürfnisse g ewöhnlich hin ter g roßer S elbständigkeit und Klaglosigkeit verstecken. Sie haben ein inneres Arb eitsmodell, welches auf Er wartungen f ußt, b eim Z eigen v on B indungsbedürfnissen auf Ablehnung und Zurückweisung zu stoßen, d. h. nicht liebenswert zu sein. Dementsprechend zeigen Therapeuten b ei dies en P atienten hä ufig zur ückweisende Reaktionen (Strauß, 2006). Gerade wegen der Vermeidung von Intimität durch diese Patienten ist jedo ch die E tablierung eines emo tionalen Kontakts b esonders wic htig. D es Weiteren ist die Integration nega tiver, hä ufig a ggressiver G efühle bedeutungsvoll, da sie o ft mi t der Er fahrung v on Bindungsabweisung verknüpft sind. Die Bindungstheorie erlaubt durch ihr Verständnis der Entwicklungsbedingungen des jeweiligen Bindungsmodells eine Erweiterung des empathischen Verständnisses für s olche P atienten, die b ei Z urückhaltung des Therapeuten hä ufig die B ehandlung a bbrechen, da sie diese als Wiederholung ihrer frühen Abweisungserfahrung verstehen.
Beispiel
II
Eine Krankenschwester, 39 Jahre, sucht mich auf, als sie nach 12-jähriger Ehe Suizidideen angesichts der Trennung von ihrem Ehemann entwickelt. Sie könne eigentlich keine H ilfe annehmen, mache alles mit sich ab. Ich sage: »Sie scheinen Bedenken zu haben, mich mit ihren Gefühlen zu belasten.« Die Patientin nickt und beginnt zu weinen. Sie teilt mit, dass sie ohne ihre Suizidideen nie therapeutische Hilfe gesucht hätte, obwohl ihr dies schon öfter nahegelegt worden sei. Meine Aufgabe ist es, ihr nur zuzuhören, ihre Stimmung zu tragen und ihre berechtigten Bedürfnisse nach Wahrgenommenwerden anzuerkennen, sie in ihrem häufigen Weinen zu begleiten. Die Patientin hat ein unsicher-distanziertes Bindungsmuster, welches sich auch in der therapeutischen Beziehung wiederholt und seine Grundlagen in einer in der Beziehung zu ihren bedürftigen Eltern aufgebauten zwanghaften Fürsorglichkeit hat. Die Eltern, besonders die Mutter, waren vermutlich wegen traumatischer Erinnerungen nicht in der Lage, auf die Bindungsbedürfnisse ihrer Tochter angemessen zu reagieren. Öfter kam es auch zu abrupten und unangekündigten Trennungen mit kurzfristiger Fremdunterbringung des Mädchens. Für ihre Einsamkeit und Verzweiflung hat die Patientin keine Begleitung gehabt, die geholfen hätte, ihre Affekte zu regulieren, kompensatorisch wählte sie einen helfenden Beruf. Auch in der Psychotherapie beschäftigt sie sich anfangs mehr damit, dass es mir gut geht (z. B. dass ich genügend Honorar erhalte), als mit ihren eigenen Nöten. Mein aktives Eingehen auf die, hinter dem unsicher-distanzierten Bindungsmodell liegenden, Bedürfnisse nach Sicherheit und Geborgenheit führt nach längerer Zeit zu einer Veränderung der Bindungsstrategie in Richtung sekundärer Sicherheit.
Patienten mi t einem un sicher-ambivalenten (v erstrickten) Bindungsmuster haben eine unzuverlässige B eziehungserfahrung v erinnerlicht und sind deshalb kaum in der L age, sich angemessen selbst zu beruhigen bzw. zu regulieren. Dementsprechend
211
Literatur
fällt es ihnen schwer, Hilfe anzunehmen und an die Verlässlichkeit des Thera peuten zu g lauben (vg l. Köhler, 1998). Dies er ist nic ht selten darüber enttäuscht und wütend und zeigt sic h so gerade nicht als sichere Bindungsfigur, sondern genauso hilflos wie der Patient. ! Der therapeutische Umgang mit Patienten mit verstrickten Bindungsmodellen sollte strukturierend und vorhersagbar gestaltet werden, damit diese Patienten sich wieder orientieren können und nicht erneut von Gefühlen überschwemmt werden. Explorationsbedürfnisse sollen gestärkt werden.
Auch bei diesem Bindungsmuster ist die Integration ärgerlicher Gefühle des Patienten bedeutsam, damit er er fahren ka nn, dass die B eziehung zum Therapeuten nicht abbricht, wenn er dessen Erwartungen nicht en tspricht. H ohe K ränkbarkeit ka nn jedo ch besonders b ei erst kurz andauernder Psychotherapie schnell zu Behandlungsabbrüchen führen. Besonders s chwierig ist es, P atienten mi t einem desorganisierten Bindungsmuster bei der Realisierung ihrer Bindungswünsche zu unterstützen. Häufig liegen diesem Muster unverarbeitete Traumata zugr unde (V erlust, M issbrauch, M isshandlung) mit der Folge extremer Formen von Vermeidung und Ambivalenz ohne jede sichere Basis, mit neurophysiologischer En tsprechung in V eränderungen der Am ygdala (L emche et al . 2005). W esentliches therapeutisches Ziel ist die En twicklung von V ertrauen zum Thera peuten, was v orrangig durch dess en B eständigkeit, Z uverlässigkeit und Einstimmung geschieht. Selbstschädigende Verhaltensweisen k önnen a ls S uche nach einer sic heren Basis positiv konnotiert werden. Dennoch besteht eine permanente Gefahr von sich unbewusst in der Beziehung wiederho lenden tra umatischen Er fahrungen. D er Thera peut b enötigt g enügend B ewegungsfreiheit, damit auch der Patient erleben kann, dass Sicherheit nur aus der Gewissheit des Fehlens absoluter S icherheit en tstehen ka nn. U m dies er schwierigen t herapeutischen A ufgabe g ewachsen zu sein, ist eine psychotherapeutische Haltung von Bedeutung, die die er schwerte Fähigkeit des P atienten zur P erspektivenübernahme und Em pathie berücksichtigt und v ermehrt die eig ene Wahrnehmung und die eigenen Absichten des Psychothera-
15
peuten deutlich macht. Denn erst die Fähigkeit zur Mentalisierung erlaubt die I ntegration und S teuerung uner träglicher Af fekte, denen die P atienten sich sonst ausgeliefert fühlen. Eine b indungstheoretisch inf ormierte P sychotherapie – z. B. »b rief attachment-based intervention« (BABI, vgl. Holmes, 2001) kann der Realisierung v on B indungswünschen d urch B earbeitung von f ünf S chlüsselthemen zum Er folg v erhelfen (Holmes, 2006): 1. eine sic here t herapeutische B asis v ermitteln (durch a ffektive Ein stimmung, Af fektregulation, Förderung autobiographischer Kohärenz) 2. dem ec hten Trauma mehr R aum g eben, o hne die Wirkung der Fantasie zu vernachlässigen 3. die a ffektive V erarbeitung in sbesondere v on Verlust und Trennung fördern 4. bindungsbezogene K ognitionen in der Therapie a ufgreifen (das inner e Arb eitsmodell v on Bindung ist das V erbindungsglied zwis chen affektiver B eziehung und men taler Rep räsentation) 5. eine pa rtnerschaftliche I nteraktion zwis chen Therapeut und Patient anstreben.
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Kapitel 15 · Suche nach Geborgenheit: Bindungswünsche realisieren
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16
P artnerschaftspflege Guy Bodenmann 16.1 Einleitung
– 214
16.2
Warum ist Partnerschaftspflege nötig?
– 214
16.3
Was ist der Unterschied zwischen Partnerschaftspflege und Prävention von Beziehungsstörungen – 215
16.4
Empirisch fundierte Präventionsprogramme für Paare im deutschen Sprachraum – 216 16.4.1 Ein Partnerschaftliches Lernprogramm (EPL) – 216 16.4.2 Freiburger Stresspräventionstraining für Paare (FSPT) – 217 16.5
Wissenschaftlich fundierte Ratgeber für Paare
– 218
16.6
Neue Wege in der Partnerschaftspflege
16.7
Allgemeine Inhalte einer gezielten Partnerschaftspflege – 219
– 218
16.7.1 Sensibilisierung für die Wichtigkeit der Partnerschaft – 219 16.7.2 Angemessene Erwartungen an die Partnerschaft – 220 16.7.3 D yadische Kompetenzen – 220
16.8
Wann ist Partnerschaftspflege nötig?
16.9 Ein
– 221
wände gegen Partnerschaftspflege
– 222
16.10 Wie wirksam ist Partnerschaftspflege?
– 222
16.11 Z usammenfassung Literatur –
224
– 223
214
Kapitel 16 · Partnerschaftspflege
16.1 Einleitung
250 200
Die P rävention b ei P aaren ist demen tsprechend ein B ereich der K linischen P sychologie, der in den letzten Jahren in hohem Maße ein gesteigertes Forschungsinteresse gefunden hat, was sic h in der signifikanten Zunahme der Pub likationshäufigkeit zu diesem Thema widerspiegelt (s. ⊡ Abb. 16.1). 16.2 Warum ist Partnerschaftspflege nötig?
16
a) Weil sich Menschen eine glück liche und stabile Zweierbeziehung wünschen.
Wie S tudien zeig en, wün schen sic h die meist en Menschen in fast allen Kulturen ein Leben in einer intimen st abilen P artnerschaft (B uss, 1995). Dies schlägt sich mitunter in der ho hen Zahl an Personen (ca. 90%) in den w estlichen Industrieländern nieder, die mindest ens einmal in ihr em L eben verheiratet sind . L ebenszufriedenheit und L iebe, Partnerschaft und F amilie sind ho ch k orreliert (Ruvolo, 1998) und eine er füllende P artnerschaft wird häufig als zentraler Faktor des Wohlbefindens genannt (K öcher, 1993). Eine g lückliche P artner-
150 100 50 51 19 195 56 5 19 1960 61 19 19 6 66 5 19 19 7 71 0 19 19 7 76 5 19 198 81 0 19 198 86 5 19 19 9 91 0 19 19 9 96 5 20 20 0 01 0 -2 00 5
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Das Thema der W ohlbefindenspflege ist in den letzten J ahren zus ehends in den Blic kpunkt der Forschung und P raxis g erückt. Dies e Abkehr v on einer p rimär def izitorientierten S icht v on Störungen und der en B ehandlung geht mit dem G edanken einher, dass Wohlbefindenspflege und Prävention wichtige Alternativen zu reparativem Handeln sind. I m R ahmen der P aartherapie ha t dies es B ewusstsein s eit den 80-er J ahren in den USA und seit den 90-er Jahren im deutschen Sprachraum in Europa zunehmend Akzeptanz gefunden. Dies aus mehreren Gründen: 1. weil bekannt ist, dass Paartherapie in nur rund 50% der Fälle erfolgreich ist, da die P aare häufig zu spät in Therapie kommen, 2. weil b ekannt ist, w o a ngesetzt w erden m uss, um eine destruktive Partnerschaftsentwicklung zu verhindern (Kompetenzförderung), 3. weil man davon ausgeht, dass es ef fizienter ist, wenn Paare Kompetenzen erwerben, solange sie dazu besonders motiviert und in der L age sind und nicht bereits in einer tiefen Krise stecken.
⊡ Abb. 16.1. Publikationshäufigkeiten in den letzt en 50 Jahren zum Thema »Prävention bei Paaren« (PsycINFO)
schaft zählt damit zu den wic htigsten Prädiktoren für L ebensfreude und psy chisches W ohlbefinden (Campell, Converse & Rodgers, 1976) und wir d in sämtlichen Studien als einer der wichtigsten Werte für das allgemeine Lebensglück genannt, entweder im gleichen Zuge wie G esundheit oder gar an erster Stelle (vgl. Bodenmann, 2005). Diese wic htige Ress ource gil t es zu erhal ten und zu st ärken, will ma n die psy chische G esundheit der Bevölkerung fördern. b) Weil Menschen in der Regel zu Beginn glücklich in ihrer Zweierbeziehung sind und dieses Glück erhalten werden sollte.
Wie eine Reihe v on Studien zeigt, sind zum Z eitpunkt der Eheschließung rund 70% der Paare sehr zufrieden und 23% der P aare zufrieden, d. h. dass rund 93% zum Z eitpunkt der E heschließung mi t ihrer P artnerwahl zufri eden s ind od er s ich al s glücklich b ezeichnen (B odenmann, 2005; B odenmann, Meyer, Ledermann, Binz & Brunner, 2006). Dieser p ositive Z ustand hä lt a uch nach der E heschließung an, wonach auch in den er sten Ehejahren ähnlic h ho he Z ufriedenheitswerte (80–85%) berichtet werden (vg. Gallup, 1990). In einer epidemiologischen Studie von Bodenmann et al . (2006) gaben 60% aller b efragten verheirateten Paare an, mit ihr er gr oßen L iebe zus ammenzuleben. Dies e anfangs s ehr ho he Z ufriedenheit mi t der P artnerschaft und dem P artner f indet sic h s elbst b ei später g eschiedenen P aaren. S o ga ben üb er 90% geschiedener P ersonen r etrospektiv a n, dass sie zum Z eitpunkt der E heschließung eine s tarke b is sehr st arke L iebe zum P artner em pfunden hä tten (Bodenmann, Bradbury & Madarasz, 2002).
16.3 · Was ist der Unterschied zwischen Partnerschaftspflege und Prävention
Dies b edeutet, dass es ein B estreben der G esundheitsförderung s ein s ollte, die ur sprünglich vorhandene L iebe und P ositivität in der Z weierbeziehung zu erhal ten und zu f ördern. Dies um so mehr, a ls heu te b ekannt ist, w ie dies ges chehen kann. c) Weil heute bekannt ist, wie eine Zweierbeziehung nachhaltig gepflegt werden kann.
Es ist b ekannt, dass nic ht die ur sprüngliche Liebe, Attraktivität, S tatus, I ntelligenz o der S ex-Appeal eine P artnerschaft lä ngerfristig a ufrechterhalten (vgl. Hahlweg, 1986), s ondern, dass f ür die B eziehungspflege K ompetenzen nö tig sind . A ufgrund des W issens, w elche die Risik ofaktoren f ür einen negativen P artnerschaftsverlauf und S cheidung sind (vg l. B odenmann, 2001; K arney & B radbury, 1995), kann abgeleitet werden, bei welchen B ereichen im R ahmen der G esundheitsförderung und Prävention a ngesetzt w erden s ollte. Dies ist, nach neuestem W issensstand, v or a llem b ei dr ei K ompetenzen sinnvoll: a) d yadische Kommunikation b) p artnerschaftliche Problemlösung c) individueller und d yadischer U mgang mi t Stress. Je mehr b eide P artner die dr ei g enannten K ompetenzen a ufweisen, dest o gün stiger ist der P artnerschaftsverlauf und die lä ngerfristige P rognose des Paares. d) Weil zu wenige Paare professionelle Hilfe suchen, wenn sich ihre Partnerschaft verschlechtert.
Ein 4. Grund für Partnerschaftspflege ist die Tatsache, dass beide Partner eigentlich selber die besten Experten f ür ihre B eziehung sind und daher s ehr genau wiss en k önnten, was sie t un m üssen, um ihre P artnerschaft vi tal und g esund zu erhal ten. Wird dies e r egelmäßige und k onsequente P flege der B eziehung j edoch vers äumt, s chleichen sich Unzufriedenheit und P robleme ein, die sic h zu größeren Krisen auswachsen können. Doch selbst dann r eagieren viele P aare nic ht o der zu s pät. Es wird g eschätzt, dass ledig lich 10% der P aare eine Eheberatung oder Therapie in An spruch nehmen, wenn sie in einer Krise sind (vgl. Halford, 1999).
215
16
Dies v erdeutlicht, dass eine G esellschaft, die zufriedenstellende und längerfristig stabile Partnerschaften als Kernzellen einer gesunden Bevölkerung und Volkswirtschaft verstehen, ein ho hes Interesse an einer w eit verbreiteten Partnerschaftspflege haben s ollte. Partnerschaftspflege er möglicht es, vielen P aaren f rühzeitig M öglichkeiten a n die H and zu geben, um ihre Partnerschaft zu verbessern und deren Substanz nachhaltig zu erhalten. e) Weil Paartherapie nicht mehr maximal effektiv ist, wenn sie zu spät beansprucht wird.
Weiter sp richt die T atsache f ür eine r echtzeitige Partnerschaftspflege, das s die W irksamkeit v on Eheberatungen oder Paartherapien leider begrenzt ist und um so mehr a bnimmt, je lä nger die P aare warten, um p rofessionelle Hilfe zu b eanspruchen. Je länger Konflikte und nega tive Interaktionsmuster des P aares chronifizieren und zu ein geschliffenen Verhaltensmustern werden, desto s chwieriger wird eine positive Veränderung. Entsprechend liegt der längerfristige Erfolg im Sinne der klinischen Signifikanz (d. h. unzufriedene Partner sind nach der Therapie mi t der B eziehung zuf rieden) der wirksamsten Paartherapien (vgl. Verhaltenstherapie mit Paaren) zwei Jahre nach Therapieende bei maximal 50% (Hahlweg, 2002). I n der t äglichen Praxis der Eheberatung im deutschsprachigen Raum sind die Erfolgsquoten mi t ca. 25% zudem no ch niedr iger (vgl. Klann & Hahlweg, 1994). Eine b ewusste P artnerschaftspflege o der g ezielte B reitbandprävention v on P artnerschaftsstörungen sollte vor diesem Hintergrund ein ernstzunehmendes Postulat sein. 16.3
Was ist der Unterschied zwischen Partnerschaftspflege und Prävention von Beziehungsstörungen
Die B eziehungspflege un terscheidet sic h v on der Prävention von Beziehungsstörungen in dreifacher Hinsicht: 1. Es ha ndelt sic h um ein alle P aare b etreffendes Phänomen, das zum g lücklichen V erlauf und Erhalt einer Partnerschaft dazugehört, unabhängig v on D ysfunktionen und S törungen, die in der Prävention zu verhindern versucht werden.
216
Kapitel 16 · Partnerschaftspflege
2. Partnerschaftspflege ist deu tlich niederschwelliger als P rävention, da sie v om P aar s elber ausgeübt w erden ka nn, im All tag st attfindet und nic ht zwin gend B esuche v on S eminaren, Kursen oder das Aufsuchen von Beratungsstellen erfordert. 3. P artnerschaftspflege b etont s alutogenetische Aspekte, während Prävention auf die S enkung der I nzidenzrate v on P artnerschaftsstörungen abzielt und da mit v on einem no rmativen Störungsverständnis ausgeht.
16
Auf der anderen Seite kann jedoch auch zu Recht argumentiert w erden, dass P artnerschaftspflege und P rävention v on B eziehungsstörungen H and in H and gehen, d a eine er folgreiche P artnerschaftspflege mi t einer g esunden P artnerschaft einhergehen s ollte, w omit B eziehungsstörungen die G rundlage w eitgehend en tzogen wir d, was erklärtes Z iel der P rävention ist. En tsprechend liegen die beiden Ansätze in der P raxis sehr nahe beieinander und viele B estrebungen der P artnerschaftspflege w erden un ter P räventionsprogramme subsumiert. Terminologisch ist es in Anlehnung an die Definition von präventiven Ansätzen v on M razek und H aggerty (1994) aller dings wichtig f estzuhalten, dass n ur die universelle Prävention mi t der P artnerschaftspflege im w eitesten Sinne g leichgesetzt werden kann, während die indizierte oder selektive Prävention eindeutig dem P räventionsbereich zuzuo rdnen sind , da sie explizit die Red uktion o der V erhinderung v on Partnerschaftsstörungen bei entweder bereits vorliegenden oder sich anbahnenden Störungen (indizierte Prävention) oder bei spezifischen Risikogruppen (s elektive P rävention) a nstreben. In der Fachliteratur w erden üb licherweise v erschiedene Formen vo n P artnerschaftspflege u nterschieden (vgl. Übersicht). Neben kirchlichen Programmen (z. B. »Sanctus marriage enr ichment«; vg l. Sag er & Sag er, 2005) wird heu te eine R eihe vo n üb erkonfessionellen, wissenschaftlich f undierten P rogrammen a ngeboten wie in den USA b eispielsweise das PREP (Markman, Floyd, Stanley & Jamieson, 1984) o der PAIRS (vg l. D eMaria & H annah, 2003), die eine breite Akzep tanz in der B evölkerung ha ben. L eider ist jedo ch nac h wie v or nur ein B ruchteil der
existierenden An gebote wiss enschaftlich f undiert oder empirisch überprüft (vgl. Jakubowski, Milne, Brunner & Miller, 2004). Formen von Partnerschaftspflege ▬ »enrichment« ▬ Ehev orbereitung ▬ P aaredukation ▬ P artnerschaftsbegleitung ▬ Prävention von Konflikten in Paaren (vgl. Berger & Hannah, 1999; Bowling, Hill & Jenicus, 2005; Halford, Markman, Kline & Stanley, 2003)
16.4
Empirisch fundierte Präventionsprogramme für Paare im deutschen Sprachraum
Im deu tschen S prachraum ha ben sic h v or allem zwei wiss enschaftlich f undierte Präventionsprogramme f ür P aare d urchgesetzt: (1) das Ein Partnerschaftliches L ernprogramm (EP L) und (2) das F reiburger S tresspräventionstraining f ür Paare (FS PT). B eide P rogramme sind k ognitivverhaltenstherapeutisch a usgerichtet und zielen auf eine F örderung d yadischer K ompetenzen a b (s. ⊡ Tab. 16.1). 16.4.1 Ein
Partnerschaftliches Lernprogramm (EPL)
Das EPL (Hahlweg, Markman, Thurmaier, Engl & Eckert, 1998) wurde in Anlehnung an das «Premarital Relationship Enhancement Program« (PREP) von Markman, Floyd, Stanley und Jamieson (1984) und M arkman, Renic k, Flo yd, S tanley und Clements (1993) en twickelt und f ür D eutschland adaptiert. Es wir d a ktuell vor a llem im R ahmen der kirchlichen E hevorbereitung a ngeboten (st ärker im R ahmen der ka tholischen Kirche, j edoch auch in der reformierten Kirche). Seit seiner Einführung hat das EP L eine gr oße Verbreitung, insbesondere in D eutschland er fahren, w o mi ttlerweile mehr als 1.400 a usgebildete EPL -Trainer r egelmäßig
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16.4 · Empirisch fundierte Präventionsprogramme für Paare
⊡ Tab. 16.1. EPL und FSPT im Überblick Programm/Autoren
Theoretischer Hintergrund
Themen
Setting/Anzahl Paare
Dauer
Ein Partnerschaftliches Lernprogramm (EPL) Hahlweg et al. (1998)
operante, soziale und kognitive Lerntheorien
Verbesserung der Kommunikation, Verbesserung der Problemlösung; Erwartungen an die Partnerschaft; Sexualität und Partnerschaft
strukturierter Aufbau; 5 Module; 4-6 Paare mit einem Verhältnis von 2:1 (Paare:Trainer)
16 Stunden
Freiburger Stresspräventionstraining (FSPT) Bodenmann (1997, 2000a)
operante, soziale und kognitive Lerntheorien; individuelle und dyadische Stressund Copingtheorien; Austausch- und Equitytheorie
Verbesserung des individuellen und dyadischen Copings; Verbesserung der Kommunikation und Problemlösung; Sensibilisierung für Fairness, Gerechtigkeit, Distanz-Nähe in der Partnerschaft
strukturierter Aufbau; 6 Module; 4-8 Paare mit einem Verhältnis von 2:1 (Paare:Trainer)
15 Stunden
EPL-Kurse f ür in teressierte P aare a nbieten. D as Programm ist ma nualisiert und in ho hem M aße strukturiert. Es umfasst sechs Module: 1. K ommunikationsregeln 2. Ä ußern negativer Gefühle 3. P roblemlöseschema 4. Erwartungen an die Partnerschaft 5. Partnerschaft und Sexualität 6. f reie Themenwahl. Ziel von EPL ist es, b ei heiratswilligen oder frisch verheirateten P aaren mi ttels einer k onsequenten Förderung von Kommunikations- und Problemlösekompetenzen bei den Partnern und dem Aufbau angemessener Erwartungen an die Paarbeziehung, die Häufigkeit negativer Austauschprozesse zu r eduzieren und das A usmaß positiver Interaktionen im All tag zu erhö hen, s odass sic h das V erhältnis von positivem zu nega tivem Interaktionsverhalten insgesamt gün stiger g estaltet, was als Z eichen f ür eine gu t f unktionierende P artnerschaft g ilt (vg l. Gottman, 1994). Das EPL ha t s eine W irksamkeit in mehr eren Untersuchungen nach weisen kö nnen ( vgl. H ahlweg & Bodenmann, 2003).
16.4.2 F reiburger Stresspräventions-
training für Paare (FSPT)
Das F reiburger S tresspräventionstraining (FS PT) von B odenmann (1997; 2000a) und B odenmann und Shantinath (2004) basier t zum einen a uf denselben theoretischen Konzepten wie das EPL (k ognitiv-verhaltenstherapeutischer Hintergrund), zum anderen auf Erkenntnissen der Stress- und Copingforschung bei Paaren. Das F reiburger S tresspräventionstraining ist modular a ufgebaut und umfasst 18 S tunden, in denen sechs Module angeboten werden: 1. Einführung in das Thema Stress 2. Verbesserung des indi viduellen U mgangs mi t Stress 3. Verbesserung des dyadischen Copings 4. Fairness und Gerechtigkeit in Partnerschaften 5. K ommunikationstraining 6. P roblemlösetraining. Zu jedem Thema erfolgt jeweils: a) eine kurze theoretische Einführung mit Bezugnahme auf den aktuellen Forschungsstand b) eine Sensibilisierung für relevante Aspekte anhand von Modellpaaren (Videobeispiele)
218
Kapitel 16 · Partnerschaftspflege
c) eine eigene diagnostische Abklärung d) das k onkrete Ein üben der a ngestrebten K ompetenzen in Übungen oder Rollenspielen e) eine Evaluation im Plenum. Es wird im Rahmen der Ehevorbereitung (im Sinne der universellen Prävention) ebenso wie mit Paaren in längerer Partnerschaft (im Sinne der indizierten Prävention) o der mi t Paaren mi t b estimmten B elastungsprofilen (Ärzt epaare, M anagerpaare et c.) im Sinne der s elektiven P rävention a ngewendet. Ziel des FS PT ist es, zen trale K ompetenzen der Partner (K ommunikation, P roblemlösung, S tressbewältigung) zu fördern, um die B eziehungsqualität nachhaltig verbessern und erhalten zu können. Wie b eim EPL er folgt eine en ge B etreuung der Paare im Verhältnis von 2:1 (2 P aare pro Trainer). Die Wirksamkeit des FSPT ist in mehr eren Längsschnittstudien er folgreich nach gewiesen w orden (s. Bodenmann & Shantinath, 2004). 16.5 W issenschaftlich fundierte
Ratgeber für Paare
16
In den letzen J ahren sind v ermehrt wissenschaftlich f undierte R atgeber a uf den M arkt g ekommen, die P aaren k onkrete H ilfestellungen g eben, um ihr e P artnerschaft zu p flegen und zu f ördern. Während die Schriften von Gottman (1995) Glücklich verheiratet?, Gottman (1999) Die sieben Geheimnisse d er glücklichen Ehe od er N otarius und M arkman (1995) Wir k önnen u ns doc h ver stehen. P aare ler nen mit Di fferenzen le ben au s dem a merikanischen S prachraum st ammen, haben B odenmann (2005) Beziehungskrisen: E rkennen, verstehen und bewältigen, Bodenmann (2006) Stress un d P artnerschaft. G emeinsam d en A lltag bewältigen, En gl und Th urmaier (1996) Wie r edest Du m it mir? Fehler und Möglichkeiten in der Paarkommunikation oder Schindler, Hahlweg und Revenstorf (1999) Partnerschaftsprobleme: M öglichkeiten zu r Bewä ltigung R atgeber p ubliziert, die ihr en U rsprung in F orschungsarbeiten des deutschen Sprachraums haben. Diese Bücher eignen sic h zur P artnerschaftspflege in einem f rühen S tadium, w enn das P aar k eine gra vierenden Probleme hat, da sie f ür wic htige Partnerschafts-
belange sensibilisieren und M öglichkeiten aufzeigen, den B eziehungsalltag zuf riedenstellend und positiv zu g estalten. A us ler ntheoretischer S icht kann jedo ch s elbst in einem f rühen Stadium von sich anbahnenden Beziehungsstörungen nicht auf das konkrete, angeleitete und su pervidierte Üben von F ertigkeiten v erzichtet w erden, was mi ttels eines B uchs nic ht ef fizient g enug g eschieht, da das P aar k ein k ompetentes F eedback erhäl t. I nsofern is t die I ndikation s olcher B ücher s ehr b eschränkt. Ihre Eignung als Inspirationsquelle und Instrument f ür eine ge zielte S ensibilisierung f ür wichtige P artnerschaftsaspekte st ellen sie jedo ch unter B eweis. Zur Bewältigung von entstehenden Krisen sind dies e B ücher aller dings un geeignet. In dies en F ällen sind en tweder P räventionskurse (indizierte P rävention), E heberatung o der P aartherapie angezeigt. 16.6
Neue Wege in der Partnerschaftspflege
Neben dem herk ömmlichen K ursangebot und der wiss enschaftlich f undierten R atgeberliteratur sind v ereinzelt B emühungen zu f inden, die die Partnerschaftspflege des P aares a utodidaktisch z u unterstützen v ersuchen, s o mi ttels eines I nternetAngebots (vg l. Online-P aarberatung w ww.theratalk.de) o der d urch CD-Ro m. G erade letzt erer Zugang s ollte in Z ukunft no ch mehr B eachtung finden. Dies v or allem a us zwei Gründen: Erstens sollte v ersucht w erden, d urch v erschiedene niederschwellige An gebote mög lichst viele P aare zu erreichen, die w eder die I nanspruchnahme eines Präventionstrainings f ür P aare no ch den S chritt in eine P aarberatungsstelle wag en, j edoch d urchaus in teressiert sind , sic h mi t ihr er P artnerschaft gezielt auseinanderzusetzen. Zweitens könnten autodidaktische H ilfsmittel (D VD, CD-R OM) eine nützliche M öglichkeit da rstellen, um den P aaren bei der lä ngerfristigen Aufrechterhaltung ihr er in Trainings o der B eratungen g elernten K ompetenzen zu helf en. Wie et liche Studien zeigen, ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft, Paare noch stärker bei der Aufrechterhaltung ihrer Kompetenzen zu un terstützen, w obei dies e H ilfsmittel von großem Nutzen sein könnten.
16.7 · Allgemeine Inhalte einer gezielten Partnerschaftspflege
16.7
Allgemeine Inhalte einer gezielten Partnerschaftspflege
Unabhängig v on einzelnen P rogrammen sind b estimmte Inhalte beschrieben, die im Rahmen einer gezielten Beziehungspflege zu berücksichtigen sind. Diese können wie folgt zusammengefasst werden: ▬ Sensibilisierung f ür die W ichtigkeit, die P artnerschaft lebendig zu erhalten ▬ angemessene Erwartungen an die Partnerschaft ▬ Kompetenzen bezüglich der d yadischen Kommunikation ▬ K ompetenzen bezüglich Problemlösung ▬ Kompetenzen bezüglich des indi viduellen und dyadischen Copings
Förderung des Bewusstseins für die Partnerschaft ▬ Der Partnerschaft muss mindestens derselbe ▬
▬ ▬
▬
▬
Stellenwert zugedacht werden wie wichtigen anderen Bereichen im Leben (z. B. Beruf ). Für die Partnerschaft müssen sich beide Partner Zeit nehmen, da nur ausreichende, den Bedürfnissen beider Partner Rechnung tragende gemeinsame Zeit das »Wir-Gefühl« des Paares schaffen und erhalten kann. Emotionale Selbstöffnung, ebenso wie Intimität und Sexualität bedürfen gemeinsamer Zeit, Muße und Begegnung. Eine Partnerschaft bedeutet konstante Investition und Engagement beider Partner, damit sie emotional tragfähig wird und bleibt. Paare sollten Partnerschaftsrituale pflegen (z. B. Hochzeitstag, Verlobungstag, Tag des Kennenlernens, wichtige Tage für einen oder beide Partner wie Geburtstage, Feste etc.). Paare sollten alte Erinnerungen immer wieder aufwärmen und im Bewusstsein behalten. Sie sollten ihre Beziehung immer wieder Revue passieren lassen, um sich ihrer Bedeutung bewusst zu sein und das gemeinsam Erlebt e zu schätzen und zu würdigen. Die Stimulierung von schönen Erfahrungen und Erlebnissen im Alltag gehör t zu den
219
16
16.7.1 Sensibilisierung für die
Wichtigkeit der Partnerschaft
Eine a ngemessene P artnerschaftspflege er fordert das B ewusstsein f ür die W ichtigkeit der P artnerschaft und ihr er P flege. W ie ob en g ezeigt wur de, belegt eine Reihe v on S tudien, dass die P artnerschaft zu den zen tralsten B edürfnissen des M enschen gehört, dementsprechend gilt es, sie zu p flegen und zu f ördern. Eine g esunde und da uerhafte Partnerschaft b edarf der g efühlsmäßigen I nvestition b eider P artner. G ottman (1999) und B odenmann (2005) g eben einig e H inweise in ihr en B üchern, wie dieses Bewusstsein für die Partnerschaft gestärkt werden kann (s. Übersicht).
wichtigen Dingen einer gut funktionierenden Partnerschaft. Beide Partner sollten sich darum bemühen, im Alltag immer wieder Überraschungen einzubauen, die dem anderen Freude bereiten und die Beziehung lebendig erhalten. In diesem Zusammenhang sollte auch das gegenseitige Verwöhnen stehen. ▬ Um den Partner in seiner Entwicklung und seinen damit verbundenen Veränderungen wahrzunehmen und zu kennen, braucht es eine ständige Erneuerung des Wissens bezüglich des Partners. Wünsche, Ziele, Erwartungen, Einstellungen verändern sich im Verlauf der Beziehung und sollten immer wieder gegenseitig erfragt werden. Je besser beide Partner die Entwicklung des anderen wahrnehmen und ihr folgen können, desto zufriedenstellender ist die Beziehung. Bedürfnisse nach Nähe und Distanz et c. müssen immer wieder neu bestimmt und berücksichtigt werden. ▬ Beide Partner sollten wachsam auf Veränderungen in der Beziehung achten. Frühe Anzeichen einer abnehmenden Beziehungsqualität ernst nehmen, mit dem Partner besprechen und frühzeitig nach Möglichkeiten suchen, um eine sich anbahnende Unzufriedenheit oder Krise abzuwenden
220
Kapitel 16 · Partnerschaftspflege
16.7.2 A ngemessene Erwartungen
an die Partnerschaft
Eine Reihe v on S tudien zeigt, dass f unktionale, realistische Er wartungen an die P artnerschaft f ür deren Qualität und B estand v on großer Wichtigkeit sind. So zeigt eine S tudie von Kurdek (1993), dass dysfunktionale Erwartungen und Vorstellungen v on der E he b zw. dem P artner un ter a nderen k ognitiven F aktoren (z. B. g eringer Gla ube an die P artnerschaft, niedr ige in trinsische M otivation b ezüglich der P aarbeziehung) wic htige Scheidungsprädiktoren sind (vg l. a uch E pstein & Eidelson, 1981). Es ist daher f ür eine ha rmonische P artnerschaft wich tig, dass b eide P artner realistische Erwartungen an die Beziehung haben. Je hö her die Er wartungen sind und je w eniger der P artner dies e er füllen ka nn, dest o g eringer die Z ufriedenheit mi t der P artnerschaft. Partnerschaftspflege b eginnt daher a uch b ei der F rage, welche Er wartungen, Vorstellungen und Z iele jeder Partner von der Partnerschaft hat und w elche dieser Aspekte insgesamt überhaupt erfüllt werden können, respektive welche der Partner in der Lage ist zu erfüllen. 16.7.3 D yadische Kompetenzen
16
Neben dies en k ognitiven A spekten, g ehört heu te zweifellos auch die F örderung v on Kompetenzen zu den wic htigsten Ec kpfeilern einer a ngemessenen P artnerschaftspflege. D as allg emeine W issen, dass nic ht allein das Reden üb er Din ge, s ondern das praktische Üben und Anwenden von zentraler Bedeutung ist, unterstreicht die Notwendigkeit, für das B eziehungsglück r elevante K ompetenzen zu fördern. W ie b ereits er wähnt, zählen heu te in sbesondere dr ei K ompetenzen zu den wic htigsten Fertigkeiten eines Paares, die einen günstigen Partnerschaftsverlauf und eine hohe Stabilität der Partnerschaft vorhersagen: ▬ K ommunikationsfertigkeiten ▬ P roblemlösekompetenzen ▬ individuelle und dyadische Stressbewältigungsressourcen (vgl. Bodenmann, 2001; Gottman, 1994; Karney & Bradbury, 1995).
Kommunikationskompetenz Der K ommunikationskompetenz k ommt b ei der Prävention von Beziehungsstörungen und der Paartherapie seit längerem die größte Bedeutung zu (vgl. Weiss & H eyman, 1997). Eine a ngemessene Kommunikation zähl t zu den wic htigsten P rädiktoren für E heerfolg (H ahlweg, 1986), w eshalb die F örderung einer gu ten Kommunikation (in der Reg el mittels Sprecher- und Zuhörerregeln) integraler Bestandteil vieler P räventionstrainings für Paare oder Paartherapien ist (vg l. B erger & H annah, 1999). Einige relevante Aspekte einer angemessenen Kommunikation sind in folgender Übersicht aufgeführt. Zentrale Aspekte einer hohen Kommunikationskompetenz ▬ offenes, interessiertes Zuhören (sich in den Partner hineinversetzen, offene Fragen stellen etc.) ▬ dem Partner persönlich Relevantes erzählen (Selbstöffnung) und auch in Konflikten bei sich und seinen Gefühlen und Bedür fnissen bleiben ▬ auf Übereinstimmung von verbalen (inhaltlichen) Botschaften und non- und paraverbalen Botschaften (Körperhaltung, Gestik, Mimik, Tonfall etc.) achten ▬ im Alltag häufig Positivität zeigen (Loben, Zuhören, Komplimente machen, Zärtlichkeiten austauschen; Wertschätzung und Achtung zeigen, Faszination mitteilen, Interesse für Belange des Partners zeigen, aufmerksam gegenüber dem Partner sein) ▬ auf Fairness, Wechselseitigkeit und Ausgewogenheit zwischen beiden Partnern achten (beide Partner kommen in gleichem Maße zum Zuge. Zwischen Geben und Nehmen besteht ein Gleichgewicht). ▬ nach Konflikten bemühen sich beide Partner um Versöhnung (durch Humor, Akzeptanz oder Kompromisse, Verständnis)
Problemlösekompetenz Da in vielen F ällen inkompetent bewältigte Alltagsprobleme (z. B. w er b ringt die K inder zur K rippe, wer mac ht w elche A ufgaben im H aushalt und in
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16.8 · Wann ist Partnerschaftspflege nötig?
anderen Bereichen) unnötigen Zündstoff für dyadische Konflikte bieten, sollten Paare bereits früh lernen, wie sie All tagsanforderungen ohne zu gr oßen Aufwand zielführend lösen. Ein erster Schritt hierzu ist üb erhaupt, P robleme zu erk ennen (d. h. b eide Partner m üssen sie wahrha ben w ollen), w omit er neut die K ommunikationskompetenz eine zen trale Grundlage einer effektiven Problemlösung darstellt. Die Frage, wa rum eine Si tuation o der ein Z ustand für den einen oder den anderen Partner (oder beide) ein Problem darstellt und gelöst werden sollte, muss gemeinsam k onstruktiv disk utiert w erden k önnen. Wichtig für eine ef fektive Problemlösung sind a ber auch Kreativität b ei der L ösungssuche (an der sic h beide Partner beteiligen), sowie das Bemühen beider Partner um fa ire L ösungen (g leichberechtigte Ro llenaufteilung zwischen den Partnern). Paare sollten in einer umfass enden P artnerschaftspflege ler nen, dass sie P robleme nic ht un ter den T eppich k ehren (da sich die meisten Probleme nicht von selbst lösen, sondern sic h a nhäufen), s ondern ak tiv g emeinsam lösen sollten. Neben einer gu ten Kommunikationsfähigkeit, der Motivation beider Partner sowie ihrer Kreativität b ei der L ösungssuche sp ielt a uch die Kompromissbereitschaft b eider P artner eine wichtige Rolle für eine funktionale Problemlösung.
Stressbewältigung Die Q ualität der indi viduellen und d yadischen Stressbewältigung ist v on gr oßer W ichtigkeit f ür die P artnerschaftsqualität, der en Verlauf und das Scheidungsrisiko, wie eine Reihe von Studien nahe legt (vgl. für einen Üb erblick Bodenmann, 2000b; 2004). Dies hat mehrere Gründe: a) In den meist en F ällen ha t S tress s einen U rsprung a ußerhalb der P artnerschaft (r ein a ufgrund der Tatsache, dass beide Partner quantitativ mehr Z eit außerhalb als innerhalb der P artnerschaft v erbringen). Dies er S tress wir d da nn nach H ause g ebracht (»s pill-over«), w enn der davon betroffene Partner nicht angemessen damit umzugehen in der L age ist, d. h. wenn sein individuelles Coping nicht effektiv genug ist, um den Stress wirksam zu bewältigen. Durch dieses Nachhausetragen wird die P artnerschaft kontaminiert und das Risik o für Konflikte innerhalb des P aares s teigt. D araus f olgt, das s eine wirk-
16
same Partnerschaftspflege die Verbesserung der individuellen Copingfertigkeiten beider Partner mit ein schließen s ollte. J e b esser j eder P artner mit seinem individuellen Stress umgehen kann, desto seltener bringt er ihn nach Hause und belastet damit umso weniger die Partnerschaft. b) Stress, der nac h H ause g ebracht wir d, wirk t sich s owohl nega tiv a uf die K ommunikation des Paares wie auch auf die Problemlösung aus. Selbst b ei P aaren, die in N ormalsituationen durchaus a ngemessen mi teinander k ommunizieren o der P robleme lös en k önnen, k önnen diese Kompetenzen unter Stress einbrechen. c) Wird S tress, der die indi viduellen B ewältigungsressourcen eines P artners übersteigt, dyadisch b ewältigt (vg l. su pportives d yadisches Coping oder gemeinsames dyadisches Coping) steigt da mit die W ahrscheinlichkeit, dass der Stress w irksam ab gebaut we rden k ann, wo durch der primär vom Stress betroffene Partner ebenso wie die D yade insgesamt entlastet werden und das S ystem s chneller s eine H omöostase wiederfindet. Gesundheitliche, soziale und partnerschaftsbezogene negative F olgen von Stress werden dadurch minimiert. d) Die d yadische B ewältigung v on S tress f ördert das »Wir-Gefühl« und die Intimität des Paares, schafft w echselseitiges V ertrauen ineina nder und das B ewusstsein, dass der P artner einem hilfreich zur Seite steht, wenn man ihn braucht. Diese Er fahrungen sind zen trale E lemente im Aufbau und dem Erhalt der Beziehungsqualität und d er l ängerfristigen S tabilität von P artnerschaften. Entsprechend s ollte die P artnerschaftspflege die Förderung v on C opingressourcen b eim P aar ebenso zentral zum I nhalt haben, wie die V erbesserung v on K ommunikations- o der P roblemlösekompetenzen. 16.8
Wann ist Partnerschaftspflege nötig?
Obgleich die P flege der P artnerschaft ein Thema eines j eden P aares wä hrend der g esamten D auer seines g emeinsamen Weges ist, gib t es Phas en, in denen eine k onsequentere P flege der B eziehung
222
Kapitel 16 · Partnerschaftspflege
noch st ärker indizier t ist. T extor (1998) b etont in diesem Zusammenhang vor allem die N otwendigkeit einer s olchen P flege im Z usammenhang mi t spezifischen Übergängen (Erstelternschaft, »empty nest«, Üb ertritt in den R uhestand et c.), da im Zuge solcher Transitionen (normative kritische Lebensereignisse) b esondere A daptationsleistungen des P aares er forderlich w erden, a uf die das P aar präventiv v orbereitet w erden ka nn. I nsbesondere im R ahmen der Erstel ternschaft sind da her einige P rogramme en twickelt w orden, die P aaren helfen, ihr e P artnerschaft un ter den v eränderten Bedingungen, die die Geburt eines Kindes mit sich bringt, zu st ärken und mi t da mit v erbundenen Schwierigkeiten um gehen zu ler nen (vg l. C owan & C owan, 2000; Reic hle, 1999). W ünschenswert wäre es, wenn eine breite Palette unterschiedlicher wissenschaftlich f undierter P rogramme zur P artnerschaftspflege für verschiedene Paartypen (heterosexuelle, ho mosexuelle, kinderlos e P aare, P aare mit K indern, un terschiedliche P aartypen s ensu Gottman, 1994), in En tsprechung zu b estimmten Partnerschaftsphasen (z. B. neu verheiratete Paare, Übergang zur Elternschaft, Auszug der Kinder, Pensionierung), unterschiedlichen Zielen (z. B. Aufbau einer P aaridentität, Erha lt der P artnerschaftsqualität, konstruktive Trennung vom Partner) und in Abhängigkeit der b enötigten U nterstützung (z. B. universelle, s elektive o der indizier te P rävention) angeboten wür den. V on einem s olchen An gebot sind wir heu te zwar no ch weit entfernt, do ch immerhin ist die Wichtigkeit der Beziehungspflege in der Bevölkerung präsenter als noch vor Jahren. 16.9 Ein wände gegen
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Partnerschaftspflege
Vereinzelt wurden in der Vergangenheit auch Stimmen laut, die den N utzen der Partnerschaftspflege und die L egitimation von Enrichmentkursen oder Präventionsprogrammen f ür P aare inf rage st ellen (z. B. Riehl-Emde , 1994). B egründet wir d dies e Skepsis hä ufig mi t dem Ar gument, dass ma n er st dann in der L age s ei, eine K rise zu b ewältigen, wenn ma n sie er fahren ha be. Dies e P osition, die von psy chodynamischen K onzepten in spiriert ist, wird v on v erhaltenstherapeutisch-orientierten
Theoretikern und P raktikern nic ht g eteilt. V ielmehr wir d v on einer ler ntheoretischen Warte aus angenommen, dass es zu jedem Z eitpunkt möglich und sinn voll ist, K ompetenzen zu er werben und dass dies e Kompetenzen dann zur Verfügung stehen, w enn sie g ebraucht w erden. Es ist daher in den meist en F ällen er strebenswert, die K ompetenzen v orgängig b ereits a ufzubauen, um ihr e Verfügbarkeit in den S ituationen, in denen B edarf b esteht, zu sic hern. H inzu k ommt, dass die erwähnten K ompetenzen b esser g elernt w erden können, w enn das P aar in einer p ositiven D ynamik st eht und nic ht zunäc hst st ark ein geschliffene, negative Verhaltensmuster verändert werden müssen (vg l. R aush, B arry, Hertel & S wain, 1974; Ridley, Jorgensen, Morgan & Avery, 1982). Neuere Untersuchungen zeigen zudem eindeu tig, dass die Effekte der Partnerschaftspflege oder die Wirksamkeit v on P räventionsprogrammen f ür P aare da nn am stärksten sind, wenn die Paare noch relativ gut funktionieren und nic ht bereits in einer s chweren Krise sind (vgl. Sullivan & Bradbury, 1997). 16.10 Wie wirksam ist
Partnerschaftspflege?
Es ist k ein leic htes Unterfangen, die W irksamkeit von Partnerschaftspflege quantitativ zu b eurteilen, zumal es a uch schwierig ist, die je weilige Qualität der Beziehungspflege im Alltag zu operationalisieren und zu er fassen. En tsprechend gib t es ka um Studien zur Wirksamkeit von Partnerschaftspflege. Kaiser (1998) ha t in einer M etaanalyse die W irksamkeit von Enrichment-Programmen untersucht. Sie fa nd heraus, dass unmi ttelbar nac h dem T raining (d. h. zum Zeitpunkt des Post-Tests) über alle Studien g emittelt eine r elativ g eringe Ef fektstärke von d=.20 v orlag. Eine a usschließliche Anal yse solcher Studien, in w elchen die P aare aktiv Kommunikationsfertigkeiten erlernten, ergab hingegen eine mittlere Effektstärke von d=.62. C ombs, Bufford, Campbell und Halter (2000) berichten Effektstärken eines k ognitiv-verhaltenstherapeutischen Enrichmentprogramms für die P artnerschaftsqualität (gemessen mit dem DAS) von d=.95 zum Zeitpunkt des Post-Tests und von d=.78 zum Zeitpunkt des Follow-up. Damit trifft die eher nega tive Ein-
16.11 · Zusammenfassung
schätzung des N utzens v on Enr ichmentprogrammen, wie sie von etlichen Autoren geteilt wird (vgl. Textor, 1998) nur dann zu, wenn diese Programme nicht übungs- und k ompetenzorientiert sind, sondern eher narrativen Charakter haben. Unabhängig v on der F rage der em pirischen Wirksamkeit dies er Enr ichmentprogramme zeigt eine Studie von Hawley und Ols on (1995), in der drei v erschiedene Enr ichmentprogramme v erglichen wurden, dass die Z ufriedenheit der T eilnehmer in allen dr ei P rogrammen s ehr ho ch wa r und sie die P rogramme w eiterempfehlen wür den. Es s cheint daher , das s P rogramme zur P artnerschaftspflege im allg emeinen b ei den P aaren gu t ankommen. Bodenmann, Moser, Widmer und Cina (2001) versuchten, die F rage nac h der W irksamkeit v on Partnerschaftspflege im R ahmen einer Bibliointervention zu untersuchen, allerdings ohne Anspruch auf G eneralisierbarkeit. I n dies er U ntersuchung wurde üb erprüft, w elche Veränderungen im H inblick auf verschiedene individuelle und d yadische Kompetenzen b ei P aaren innerhalb eines J ahres nachweisbar wa ren, w enn das P aar ein S elbsthilfebuch für Paare gelesen und b earbeitet hatte. Die Ergebnisse zeigten, dass nac h einem J ahr lediglich schwache b is mi ttlere Ef fekte v orlagen, w onach zwar Kompetenzverbesserungen bezüglich des individuellen und d yadischen Copings, jedoch nicht bezüglich der K ommunikation o der der P artnerschaftsqualität nac hweisbar wa ren. Es gil t aller dings zu erwähnen, dass die Stichprobe lediglich 50 Paare (25 P aare Interventions- und 25 P aare Kontrollgruppe) umfasst e und b ereits D eckeneffekte vorlagen, da es sic h um mehrhei tlich zuf riedene Paare handelte. Fundierteres und b reiter a bgestütztes W issen liegt heute zur Wirksamkeit von Prävention bei Paaren vor. In den USA sind bereits mehrere universell präventive P artnerschaftsprogramme em pirisch untersucht worden, wobei vorliegende Metaanalysen zur Ef fektivität dies er P räventionsprogramme mittlere E ffektstärken von d=.53 (G iblin, 1986) berichten. F ür k ognitiv-verhaltenstherapeutisch orientierte P rogramme w erden Ef fektstärken v on d=.79 angegeben (Hahlweg & Markman, 1988). Gemäß einer Literaturanalyse von Jakubowski, Milne, Brunner und Miller (2004), die einen Über-
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16
blicksartikel zur Verbreitung und zur Wirksamkeit von gängigen empirisch fundierten Präventionsprogrammen für Paare verfassten, erfüllen heute sechs Präventionsprogramme für Paare die Kriterien für statistische und k linische Wirksamkeit. Es ha ndelt sich nach Jakubowski, Milne, Brunner und M iller (2004) um das P revention a nd Rela tionship Enhancement Program (PREP) von Markman, Floyd, Stanley und Jamieson (1984), das Relationship Enhancement (RE) v on G uerney (1977), das M innesota Couples Communication Program (MCCP) von M iller, N unnally und W ackman (1975), das Couple CARE (H alford, Moore, K eithia, F arrugia & D yer, 2004; S ullivan, P asch, E ldridge, & B radbury, 1998), das F reiburger S tresspräventionstraining f ür P aare (FS PT) von B odenmann (1997, 2000a) s owie B odenmann und S hantinath (2004) sowie die Association for Couples in Marriage Enrichment (ACME) von Dyer und Dyer (1999). 16.11 Z usammenfassung
In dies em B eitrag wur de v ersucht, die W ichtigkeit einer k ontinuierlichen B eziehungspflege im Sinne einer a llgemeinen F örderung der P artnerschaftsqualität und einer uni versellen P rävention von P artnerschaftsstörungen zu v erdeutlichen. Dabei gil t es, s owohl b ei der W ahrnehmung der Notwendigkeit eines s olchen B emühens um die Partnerschaft a nzusetzen wie a uch b ei den, im Rahmen dies er An strengungen v ermittelten, I nhalten. H ier wur de, a ufbauend a uf einem ler ntheoretischen Verständnis, vorgeschlagen, dass die in der S cheidungsursachenforschung g efundenen relevanten P rädiktoren f ür B eziehungsstörungen und S cheidung, d . h. K ompetenzen der P artner, fokussiert werden sollten. Das Herzstück einer angemessenen P artnerschaftspflege ist demen tsprechend die Förderung von Kommunikationskompetenzen, Problemlösefertigkeiten und indi viduellen und dyadischen Copingkompetenzen, da sich diese drei Aspekte als die besten Prädiktoren für den längerfristigen Er folg von engen B eziehungen er wiesen ha ben. Eine umfass ende P artnerschaftspflege sollte zudem a n die sp ezifischen B edürfnisse des jeweiligen Paares und der Phase, in welcher sie sich befinden, angepasst sein. Gerade in diesem Bereich
224
Kapitel 16 · Partnerschaftspflege
gibt es noch viel zu tun und neue Programme und Angebote für Paare sind zu entwickeln. Insgesamt kann festgestellt werden, dass sich in den letzt en zehn J ahren zwar einig es im H inblick auf die P artnerschaftspflege g etan ha t, dass a ber immer noch ein großer Bedarf an wissenschaftlich fundierten und em pirisch überprüften Angeboten besteht. W ie die zurzei t v orliegenden M etaanalysen und Üb erblicksartikel zeig en, ist das W issen über die W irksamkeit nieder schwelliger B eziehungsförderungsangebote (»enr ichment«) no ch defizitär. Als gesichert darf hingegen die Wirksamkeit von einschlägigen, wissenschaftlich fundierten Präventionsprogrammen (z. B. EPL, FS PT) gelten, die ihrerseits einen wic htigen Beitrag zur P artnerschaftspflege leist en, jedo ch d urch w eitere An gebote ergänzt werden sollten.
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17
Vergeben: Eine Quelle von Wohlbefinden Annette Kämmerer 17.1 Einleitung 17.2 Definition:
– 228 Was ist Vergebung ?
– 228
17.3
Zum Stand der Forschung zu Vergebung – 229
17.4
Vergebung im therapeutischen Kontext – 231
17.5 V 17.6
ergebung als Prozess
– 232
Vergebung als eine Quelle von Wohlbefinden – 234 Literatur –
235
228
Kapitel 17 · Vergeben: Eine Quelle von Wohlbefinden
17.1 Einleitung
Für viele M enschen ist es s chwierig, s chmerzliche Erfahrungen aus der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Besonders dann, wenn es sich um erlittenes Unrecht, um seelische Verletzungen, erfahrene Ungerechtigkeit und ähnlic hes ha ndelt, trag en nac hhaltige G efühle des G rolls, des Är gers, der B itterkeit und Wut, des H asses und Z orns dazu b ei, die Vergangenheit zu einem – zumindest emo tional – ständig präsenten Teil der Gegenwart werden zu lassen. Die F olge dies er unabgeschlossenen, unerledigten Lebenserfahrungen ist in aller Reg el, dass Niedergeschlagenheit und D epressivität v orherrschen und hä ufig psy chotherapeutische H ilfe in Anspruch g enommen w erden m uss. Eine M öglichkeit, erli ttenes Unrecht zu b ewältigen und die damit verbundenen negativen Er fahrungen hinter sich zu lassen, stellt die Vergebung dar. 17.2
17
Definition: Was ist Vergebung?
In s einer ur sprünglichen B edeutung mein t das Wort V ergebung, »etwas f ortgeben, hin weggeben, im Besitze übertragen«. Hieraus entwickelte sich der Wortsinn »eine Sac he aufgeben, d. h. hingehen lassen, was strafend zu verfolgen eine Person berechtigt wäre«. Dies em S inn en tsprechend b edeutet Vergebung das Erlass en der S trafe und im kir chlichen Sinne das Erlass en der S ünden. Dies er k lerikale Gebrauch des Wortes ist b ereits in f rühen althochdeutschen T exten zu f inden (»V ergib’ un s un sere Schuld«). Ab dem 18. J ahrhundert wandelt sich das Vergeben zu einem H öflichkeitsausdruck, den ma n in möglichst demütiger Haltung benutzt (»Bitte vergeben Sie mir meine Ungeschicklichkeit«). (Grimmsches Wörterbuch, Grimm & Grimm, 1956). Besonders b edeutsam ist die A bgrenzung des Verzeihens v om V ergeben. W ährend im äl teren Niederhochdeutschen V erzeihen und V ergeben ohne Bedeutungsunterschied benutzt werden, setzt im ausgehenden 18. J ahrhundert eine Dif ferenzierung ein, die eine g eringere Sinntiefe des B egriffs Verzeihen g egenüber dem V ergeben v erdeutlicht. Vergeben b leibt a n die c hristliche Erlösun gslehre gebunden, und meint einen Vorgang der »Entsühnung«, der v on der V orstellung der Schenkung
(Gabe) einer S chuld o der B ußleistung a usgeht, während V erzeihen mehr im hö fisch-rechtlichen Bereich b enutzt wir d und n ur den Verzicht a uf die zu b eanspruchende B uße mein t (G rimm & Grimm, 1956). B etont wir d b ei b eiden B egriffen das Erlassen von Strafe, der Verzicht auf Vergeltung aus freiem Willen und ebenso der »seelische Akt«, der von Opfer und T äter eine emo tionale Haltung verlangt, nä mlich G üte und H erzensbildung a uf Seiten der v ergebenden/verzeihenden Person und Reue auf Seiten der anderen Person (o. c.). Auch wenn die B egriffe Vergeben und Verzeihen Üb erschneidungen a ufweisen, s o s ollen sie hier denno ch u nterschiedlich geb raucht wer den. Das Vergeben, s o meine Üb erzeugung, b einhaltet stärker das B eenden eines S chuldvorwurfs, das Erlassen der S chuld, währ end das V erzeihen die Person, die U nrecht get an ha t, in d as G eschehen einbezieht und die T at v erzeiht. I m t herapeutischen Kontext, auf den ic h weiter unten eingehen werde, kann aber gerade das sich Distanzieren von der P erson, die U nrecht g etan ha t, ein wic htiges Anliegen s ein. V ergebung en tschuldigt nic ht die Tat, sondern ist eine Haltung einer Person gegenüber: Der verletzenden Person wird ihr schuldhaftes Verhalten nicht weiter vorgeworfen, die Verletzung als s olche jedo ch nicht relativiert. In diesem Sinne ist auch die Selbstvergebung bedeutsam, d. h. eine Person kann sich selbst vergeben, ohne dadurch die Verantwortung für eine zu verurteilende Handlung zu negieren. In der neueren Forschung werden – wie bereits in der ur sprünglichen Wortbedeutung – der Ak t des freien Willens und das Rationale der Entscheidung zur Vergebung betont: Personen, die rational erkennen können, dass sie ungerecht behandelt w orden sind , v ergeben, indem sie bewusst Gr oll und damit einher gehende Reaktionen (auf die sie ein Recht haben) abstellen und sich bemühen, dem Urheber auf der moralischen Basis v on Güt e zu begeg nen, die auch M itleid, unbedingt e Wertschätzung, Großzügigkeit und Liebe einschließt, auf die der Urheber der v erletzenden Tat auf grund dieser Tat naturgemäß kein Recht hat. (Enright & F itzgibbons 2000, S. 24; Überset zung A.K.).
229
17.3 · Zum Stand der Forschung zu Vergebung
An a nderer S telle r ückt Enr ight (2006, S. 33) die vergebende Person stärker in den M ittelpunkt seines B emühens um eine K lärung des B egriffs der Vergebung, indem er deutlich macht, dass die Verletzung, die einer P erson zugefügt worden ist, ein Unrecht da rstellt und immer eines b leiben wir d, dass die vergebende Person einen moralischen Anspruch auf die eigene Wut und die Forderung nach Respekt hat, und s chließlich, dass Vergebung voraussetzt, g enau da rauf (f reiwillig und a us inner er Überzeugung) zu v erzichten, nä mlich a uf dies es Recht auf Zorn, Wut oder Bitterkeit. Andere Autoren b eleuchten st ärker die in trapsychischen Veränderungen, die mit der Entscheidung zum Vergeben verbunden sind. McCullough, Worthington und Rachal (1997) sehen hauptsächlich mo tivationale Veränderungen als b edeutsam an: I m P rozess des V ergebens v erändert sic h die motivationale interpersonale Struktur eines M enschen: Indem die Intention zur Vergeltung gegenüber der unr echt ha ndelnden P erson a bnimmt, steigt diejenige zu Versöhnung und gu tem Willen an. Mit diesen definitorischen Überlegungen stellen die A utoren die V ergebung in die T radition prosozialen H andelns (z. B. B atson, 1991; B atson & S haw, 1991; T angney, 1991) o der, g enauer g esagt, in den B ereich des em pathischen Handelns. Sie gehen davon aus, dass Empathie gegenüber der verletzenden P erson die w esentliche B edingung für das V ergeben ist. Dies e erleichtert es der v erletzten Person, die Aufmerksamkeit für eventuelle Schuldgefühle oder Unbehagen seitens der verletzenden Person nicht zu v erlieren, deren Isolation in der d urch die v erletzende Tat belasteten Beziehung wahrzunehmen und s chließlich, I nteresse daran zu zeig en, trotz erlittenen Unrechts, wieder an der V erbesserung der B eziehung zu a rbeiten (s. a. R usbult, Verette, W hitney, S lovik & L ipkus, 1991). Durch die zuletzt er wähnten K onzeptualisierungen eines psy chologischen Verständnisses v on Vergebung wird deutlich, dass mi t dem K onstrukt der Em pathie a uch p ersönlichkeitspsychologische Komponenten ins Spiel kommen, die eine günstige Voraussetzung f ür V ergebung da rzustellen s cheinen. D as er öffnet den B lick a uf die em pirischen Grundlegungen, die ein theoriegeleitetes Verständnis von Vergebung anreichern.
17.3
17
Zum Stand der Forschung zu Vergebung
Relativ umfangreich sind die em pirischen B efunde zu den psychologischen Bedingungen des Vergebens in en gen P artnerschaften (DiB lasio, 2000; K achadourian, Fincham & D avila, 2005; K arremans, van Lange, Ou werkerk & K luwer, 2003; M cCullough, Worthington & Rachal, 1997; McCullough, Rachal, Sandage, Worthington, Brown & Hight, 1998). McCullough et al . (1997) k onnten zeigen, dass Em pathiefähigkeit gegenüber einem verletzenden Partner die Bereitschaft zur Vergebung erhöht und die v erletzte P erson in der P artnerschaft dazu mo tiviert, beziehungsstabilisierende, ve rgebungsorientierte Verhaltensweisen zu zeigen. Empathiefähigkeit und Vergebungsbereitschaft korrelierten in dieser Studie mit r=.67 ho ch mi teinander (N=239 S tudierende, mittleres Alter 19 J ahre). Entschuldigungen seitens der v erletzenden P erson b eeinflussen die V ergebungsbereitschaft der v erletzten Person dann positiv, wenn deren Empathiefähigkeit hoch ist, s odass man sagen kann, dass Entschuldigungen nicht automatisch zu V ergebung f ühren, s ondern als v ermittelnde V ariable die Em pathiefähigkeit der P erson wichtig ist. Dennoch betonen die Autoren, dass Empathie und Vergebung unterschiedliche Konstrukte darstellen: Vergebung s ei ei ne p roximale, an ko nkrete si tuationale G egebenheiten g eknüpfte H andlung, währ end Em pathie als eine üb ergeordnete, situationsunspezifische Haltung anzusehen sei. Sowohl die Empathie als auch die Vergebungsbereitschaft sind in en gen, b efriedigenden P artnerschaften in tensiver als in g estörten P artnerbeziehungen (M cCullough et al ., 1998). H ingegen hat – so diese Autoren – eine in tensive ruminative Beschäftigung mi t der v erletzenden T at s eitens der v erletzten P erson k einen Einf luss a uf die B ereitschaft zur V ergebung. Z war b eeinflusst eine ruminative A useinandersetzung mi t der T at das Ausmaß an erlebter Verletzung, aber nicht die B ereitschaft zur Vergebung (Greenberg, 1995). Zu etwas g enaueren Ergebnissen kommen Kachadourian et al . (2005), die un tersucht ha ben, inwiefern eine a mbivalente Ein stellung zur P artnerschaft den P rozess des V ergebens b eeinflusst und ob dieser durch eine ruminative Auseinandersetzung mit der verletzenden Tat modifiziert wird.
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Kapitel 17 · Vergeben: Eine Quelle von Wohlbefinden
Dem Untersuchungskonzept lag die Annahme zugrunde, dass in ambivalenten Partnerschaften, d. h. in s olchen, die d urch eine Fl uktuation in der Z ufriedenheit mi t der P artnerschaft g ekennzeichnet sind, die Verletzung durch einen der P artner eher zu einem in tensiven G rübeln üb er die nega tiven Seiten der Partnerschaft führt und dieses wiederum die Vergebungsbereitschaft des v erletzten Partners negativ b eeinflusst. I n der S tudie wur den N=86 amerikanische E hepaare b efragt, die im S chnitt zwischen 43 (M änner) und 41 (F rauen) J ahre al t waren. Es zeigt e sic h, dass Z ufriedenheit in der Partnerschaft signif ikant mi t V ergebung k orrelierte, wobei die K orrelation bei den E hemännern mit r=.43 deutlich höher war als bei den Ehefrauen (r=.29). W ährend M cCullough et al . (1998) k einen Zusammenhang zwischen einer grüblerischen Beschäftigung mit der V erletzung und der V ergebungsbereitschaft fanden, war dieser in der S tudie von K achadourian et al . (2005) signif ikant v orhanden: F ür M änner fa nden sie eine K orrelation von r=-.50 zwis chen R umination und V ergebung und f ür F rauen b etrug sie r=-.62. En tsprechend hoch war auch der korrelative Zusammenhang von Ambivalenz gegenüber der Partnerschaft und Vergebung: r=-.51 b ei den M ännern und r=-.34 b ei den F rauen. Obg leich die zi tierten Autoren k eine differenzierte g eschlechterspezifische Anal yse ihrer D aten vornehmen, zeigt sic h an der H öhe der Korrelationskoeffizienten, dass F rauen die B ereitschaft zu v ergeben weniger von der Z ufriedenheit mit der Partnerschaft abhängig machen und mehr als die Ehemänner zur Vergebung bereit sind, auch dann wenn sie die B eziehung als a mbivalent erleben. Aber sie grübeln offensichtlich intensiver über die verletzende Tat nach, was ihre Bereitschaft zur Vergebung beeinflusst. Weitere P ersönlichkeitsvariablen, die das V ergeben mo derieren, sind eine N eigung zu R ache, eine nega tiv g etönte Af fektivität und eine g eringe Lebenszufriedenheit (McCullough, B ellah, Kilpatrick & J ohnson, 2001). Findet ein V ergeben nac h Partnerschaftskonflikten s tatt, e rhöht d as au f a lle Fälle das s eelische Wohlbefinden der v ergebenden Person – w obei dies er Z usammenhang in en gen Partnerschaften gr ößer ist als b ei w eniger en gen, eher alltäglichen interpersonellen Konflikten (etwa Freundschaften) (Karremans et al., 2003).
Die b isher skizzier ten em pirischen B efunde zum Vergeben b eschäftigten sic h v orwiegend mi t verschiedenen psy chischen B efindlichkeiten, die einen Einf luss a uf das V ergeben ha ben, etwa mi t der Em pathiefähigkeit, der P artnerschaftszufriedenheit oder dem Bedürfnis nach Rache. Zu einem g enaueren V erständnis der B edingungen, die das V ergeben erleic htern o der er schweren, g ehört a ber a uch der U mgang mi t der verletzenden T at d urch die v erletzende P erson. Spielt eine En tschuldigung s eitens des T äters eine Rolle b eim Vergeben o der ein Z eigen von B edauern, v on Reue? S chmitt, G ollwitzer, F örster und Montada (2004) sind dies er F rage nac hgegangen. Sie wollten herausfinden, inwiefern die Darstellung einer verletzenden, schlimmen Tat durch den Täter die emotionale Reaktion des »Op fers« beeinflusst. Die Autoren ba ten N=480 P ersonen (263 F rauen, 217 M änner; eine H älfte der S tichprobe wa ren Erstsemesterstudierende im F ach Psychologie, die andere Hälfte eine heterogene Gruppe Nichtstudierender; das mittlere Alter aller betrug 29 Jahre, SD 11,05 Jahre), anhand eines vorgegebenen Szenarios verschiedene Arten der D arstellung und K ommunikation einer s chlimmen Tat durch den T äter zu bewerten. In dem in der Untersuchung vorgelegten Szenario wir d die V ersuchperson (V pn) g ebeten, sich vorzustellen, dass ein guter Freund ihr Fahrrad ausleiht und es nic ht zum v erabredeten Zeitpunkt zurückgibt. Nach mehreren vergeblichen Anr ufen (seitens der Vpn) geht der Freund, der das Fahrrad geliehen hatte, schließlich ans Telefon und gibt eine Erklärung ab, warum er das F ahrrad nicht zurück gebracht ha t. Dies e je weilige Erk lärung wur de in dem Versuchsaufbau in f ünf v erschiedenen Varianten manipuliert. Variante eins bestand aus einem Eingeständnis eines F ehlers d urch den F reund, Variante zw ei a us dem Ein geständnis eines a ngerichteten S chadens, Variante d rei i m A usdruck von B edauern, Variante vier in der B itte um En tschuldigung und V ariante f ünf im An bieten v on Wiedergutmachung. G esamt g esehen f ührten v or allem zwei Komponenten zu einer w eniger negativen emotionalen Re aktion auf S eiten des G eschädigten, nämlich das Ein geständnis eines a ngerichteten Schadens und das An bieten von Wiedergutmachung. L ediglich um En tschuldigung zu b itten reicht nicht aus, um die g eschädigte Person milde
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17.4 · Vergebung im therapeutischen Kontext
zu stimmen und Vergebung zu erlangen, da die geschädigte Person schnell den Eindruck bekommen kann, dass sic h die s chädigende Person mi t einer raschen En tschuldigung a us der Af färe zu ziehen versucht. W irkliche En tschuldigungen, die da nn eine En tscheidung zur V ergebung b ewirken k önnen, müssen eine Anerk ennung des a ngerichteten Schadens und ein An gebot, f ür dies en aufzukommen, b einhalten. B estimmte P ersönlichkeitsvariablen a uf der S eite der g eschädigten (und da mit der p otenziell v ergebenden) P erson b eeinflussten die subjektive Wahrnehmung der v on der s chädigenden P erson vorge tragenen E rklärungen. E ine dispositionelle Neigung zu Är ger und U nverzeihlichkeit er schwerte das V ergeben, währ end in terpersonelles Vertrauen dieses eher erleichterte. Für ein b esseres V erständnis des V ergebens sind diese Ergebnisse der Studie von Schmitt et al. (2004) v on B edeutung, denn sie zeig en, dass eine Entschuldigung alleine nic ht a usreicht, um b eim anderen ein Vergeben zu bewirken. Vielmehr muss das Eingeständnis eines fals chen Verhaltens durch eine s chädigende Person gekennzeichnet s ein von der Ein sicht, S chaden a ngerichtet zu ha ben und etwas wiedergutmachen zu müssen. Und das heißt ja nic hts a nderes, als das s a uch die s chädigende Person Empathie für die B elange der geschädigten Person z eigen m uss. S odass fest zuhalten bleib t, dass Empathie nicht nur eine erleichternde Bedingung für das Vergeben ist, sondern auch zu Vergebung motivieren kann. ! Empathiefähigkeit und interpersonelles Vertrauen sind eine wesentliche Voraussetzung für die Fähigkeit zu vergeben. Geringe Lebenszufriedenheit, negativ getönte Affektivität und eine Neigung zu R ache und Ärger erschweren das Vergeben. Entschuldigungen für eine verletzende Tat sind keine notwendige Voraussetzung für das Vergeben. Sollen Entschuldigungen die geschädigte Person zum Vergeben motivieren, müssen sie eine Anerkennung des angerichteten Schadens und ein Angebot zur Wiedergutmachung enthalten.
Wie ein gangs er wähnt, s chwang in der ur sprünglichen Bedeutung des Wortes Vergebung eine r eligiös gefärbte Komponente mit (Weingardt, 2000). Vor dies em H intergrund st ellt sic h die F rage, ob
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die religiöse Orientierung bei Personen, die Vergebung für sich in Betracht ziehen, stärker ist. Mullet, Barros, Frongia, Usai, Neto & Shafigi (2003) konnten zeigen, dass es weniger der religiöse Glaube ist, der die B ereitschaft zum Vergeben beeinflusst, als vielmehr das Befolgen religiöser Riten, wie z. B. der Kirchgang, o der das A blegen r eligiöser G elübde, wie es Ordensangehörige tun. Für ältere Menschen war der Z usammenhang von religiösem Praktizieren und der B ereitschaft zur Vergebung intensiver als für jüngere. Interessanterweise g ibt es a uch S timmen, d ie dem Vergeben eine unmo ralische B edeutung b eimessen, da das V ergeben die v erletzende P erson nur noch mehr dazu a nregen würde, weitere Missetaten zu b egehen (M ullet, G irard & B akhshi, 2004). Die in dieser Studie von Mullet et al. (2004) untersuchten Personen (N=1.029) wurden nach ihren subjektiven Konzepten zum Vergeben befragt. In den Ergebnissen zeigte sich allerdings, dass nur wenige dies e mo ralisch f ragwürdige B edeutung des Vergebens in den V ordergrund r ückten. V iel nachhaltiger wur de die M einung v ertreten, dass Vergeben eine V eränderung nega tiver Emo tionen in positive mit sich bringt (s. a. McCullough et al., 1997, 1998). D as b edeutet, dass die Or ientierung auf die v erletzende P erson a us der S icht der b efragten »Laien« gar nicht so sehr im Vordergrund steht. So kann Vergebung auch gegenüber Gruppen stattfinden, d. h. eine K enntnis des Einzelnen, der verletzt hat, ist gar nicht unbedingt nötig (Mullet et al., 2004; Denton & Martin, 1998). 17.4
Vergebung im therapeutischen Kontext
Vergebung w ird a ls e in w ichtiger B estandteil p sychotherapeutischer V eränderung a ngesehen (Enright & Fi tzgibbons, 2000; Hope, 1987; K ämmerer & Kapp, 2002, 2006; Tausch, 1994). Vor allem deshalb, weil über den Prozess des Vergebens negative Gefühle, v or allem Är ger und W ut, üb erwunden und positive Gefühle wieder erlebt werden können. Ärger und Wut sind meistens auf eine andere Person gerichtet, sie werden oft als sehr intensiv erlebt, binden A ufmerksamkeit und Ener gie und f ühren dazu, dass die v erletzte Person emotional und
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Kapitel 17 · Vergeben: Eine Quelle von Wohlbefinden
kognitiv mi t der v erletzenden P erson und der en Taten beschäftigt ist und da mit in einer Op ferrolle gebunden bleibt. Nicht g elingende Vergebung, s o k onnten Enright und Fi tzgibbons (2000) zeig en, g eht mi t er höhter D epressivität, mi t Än gstlichkeit und ga nz allgemein mi t erhö hter F eindseligkeit einher , die wiederum eine dir ekte B eziehung zum allg emeinen G esundheitsstatus, ha uptsächlich zu k oronaren H erzkrankheiten, a ufweisen. G elingt es, W ut und F eindseligkeit mi ttels Vergebung zu b ewältigen, verbessert sich das allg emeine Wohlbefinden beträchtlich (Enright, 2006). Die p ositiven W irkungen er folgreich a bgeschlossener Vergebungsprozesse k onnten in zahlreichen Studien nachgewiesen werden (u.a. Al-Mabuk, Enr ight & C ardis, 1995; B erry & W orthington, 2001; C arson, Keefe, Goli, Fras, Lynch, Thorp & Buechler, 2005; Freedman & Enright, 1996; Hebl & Enr ight, 1993; M altby, Macaskill & D ay, 2001). Immer zeigt e sic h, dass V ergebung zunäc hst n ur zweifelnd oder mit Vorbehalten von den B etroffenen in Er wägung gezogen wurde, aber schließlich einen befreienden Effekt hatte. ! Vergebung kann dazu beitragen, negative Gefühle zu überwinden und sich aus der Opferrolle zu befreien.
17.5
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Vergebung als Prozess
Enright & Fi tzgibbons (2000) ha ben das Vergeben als eine psychotherapeutische Strategie ausgearbeitet, die als ein p rozesshaftes Geschehen in mehr eren Schritten durchlaufen wird (s. a. Enright, 2006; Kämmerer & Kapp, 2002, 2006). Insgesamt b esteht der V ergebungsprozess a us vier Phasen. Phase 1: Eigene Wut und Verletzung freilegen und sich damit auseinandersetzen Zu B eginn sollte zunächst eine motivationale Abklärung er folgen und die F rage g estellt w erden, warum sich die b etreffende Person auf den Vergebungsprozess einlass en mö chte. G ründe k önnten z. B. s ein: »I ch b in des S chmerzes, der W ut, des Ärgers überdrüssig und möchte, dass diese Gefühle
aufhören«; »I ch will nic ht, dass dies e P erson, die mich bereits verletzt hat, mir weitere Verletzungen zufügt« etc. In der ersten Phase auf dem Weg zu Vergebung soll R aum da für s ein, die v erletzenden Er fahrungen genau zu erinnern und zu bearbeiten. Wesentlich ist, dass die v erletzte P erson ihr e W ut- und Hassgefühle nic ht v erdrängt, s ondern dass eine Auseinandersetzung mit ihnen stattfindet, die auch die, d urch die V erletzung d urch a ndere b ewirkte, Minderung der eig enen S elbstachtung und das verminderte S elbstwertgefühl e inschließt. H äufig treten Scham- und Schuldgefühle auf, die beachtet werden müssen (Kämmerer, 2004). Durch das W iedererleben und die Ref lexion der eigenen Gefühle kann es zu einer ersten distanzierten Betrachtung der interpersonalen Problematik k ommen, die die I nvolviertheit der v erletzten Person in d as in terpersonale G eschehen, d. h. in die erli ttene V erletzung und ihr e V erarbeitung, einschließt. So kann z. B. gefragt werden, wie sic h das Leben der verletzten Person durch die Wut und den Groll, der nach wie vor an die verletzende Tat erinnert, v erkompliziert ha t. Dur ch dies e r eflektierende B earbeitung und K lärung s oll ein er ster Schritt in Ric htung auf eine inner e Dist anzierung von dies em G eschehen er folgen, um die verlet zte Person aus der Rollenzuschreibung von »Täter und Opfer« herauszuführen. Indem die Op ferrolle allmählich a bgestreift wir d, ka nn eine M odifikation des S elbstkonzepts er folgen und dies e wieder um ist die V oraussetzung da für, sic h v om Anlass der Verletzung zum er sten M al zu dist anzieren, was zu einer weiteren Stabilisierung des Selbstkonzepts beitragen ka nn. B esonders ist da rauf zu ac hten, dass k eine V erharmlosung der v erletzenden T at stattfindet, nichts soll beschönigt oder verharmlost werden. Das Z iel des er sten S chritts ist das W iedergewinnen v on inner er Dist anz und dad urch v on innerer Bewegungsfreiheit – a uch in Ric htung auf neue G efühle. Gleich wohl er fordert dies er S chritt von der betroffenen Person Mut zur Selbsterkenntnis und das Durcharbeiten intensiver Leidgefühle. ! Vergebung in Betracht zu ziehen, er fordert von der verletzten Person Mut zur Selbsterkenntnis und zum Durcharbeiten intensiver Leidgefühle.
17.5 · Vergebung als Prozess
Phase 2: Auseinandersetzung mit der verletzenden Person, Bereitschaft zum Perspektivenwechsel Die A useinandersetzung mi t der v erletzenden Person ha t zum Z iel, ein k omplexeres und differenzierteres Verständnis der B eweggründe der anderen P erson zu g ewinnen. A uch in dies er Phase g eht es nic ht darum, die T at o der die v erletzende P erson zu en tschuldigen, s ondern um den V ersuch, die P erspektive der a nderen P erson einzunehmen, und v or allem g eht es um die emo tionale Dist anz dies er Person g egenüber. Was waren die G ründe f ür das H andeln der v erletzenden P erson? Dies e lass en sic h zwa r nich t rechtfertigen, aber vielleicht lassen sie sich nachvollziehen? Was für ein Mensch ist die verletzende Person, w enn sie a us einer g lobalen P erspektive betrachtet wir d und nic ht n ur a us der S icht der eigenen V erletztheit? S olche und ähnlic he F ragen können hilfreich sein, um eine P erspektivenveränderung a uf die v erletzende P erson zu er reichen. Das Ziel dieser zweiten Phase ist es, Em pathie für die v erletzende Person zur ückzugewinnen, sie wieder als ein ha ndelndes S ubjekt zu s ehen und sie nic ht allein d urch den Fil ter der eig enen Er wartungen und B ewertungen zu b etrachten und zu beurteilen. Wie b ereits er wähnt, sp ielt Em pathie im P rozess der V ergebung eine b edeutende Ro lle (M cCullough et al., 1997, 1998). Zu betonen ist, dass es innerhalb des V ergebungsprozesses nic ht s o s ehr um eine a ffektive Em pathie im S inne des M itgefühls o der des Einf ühlens in den a nderen g eht, sondern mehr um eine »k ognitive« Em pathie im Sinne der V eränderung v on A ttributionsmustern über die V erletzung und die M otive des a nderen für die V erletzung. D as b edeutet aller dings a uch, die eigenen Grenzen der Empathiefähigkeit auszuloten und diese anzuerkennen. Am Ende dies er b eiden Phas en s ollte es der sich u m V ergebung b emühenden P erson mö glich sein, einen P erspektivwechsel vornehmen zu können, der eine v eränderte Wahrnehmung der eigenen P erson (»R aus a us der Op ferrolle«), der verletzenden P erson (»Dies er M ensch ist mehr als ein T äter.«) und der V erletzung s elbst b einhaltet.
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! Auf dem Weg zum Vergeben ist es für die verletzte Person notwendig, die verletzende Person aus einer veränderten Perspektive wahrzunehmen; die Grenzen der eigenen Empathiefähigkeit sind dabei sorgfältig auszuloten.
Phase 3. Entscheidung zu vergeben und negative Gefühle loszulassen Vergebung im pliziert einen W illensakt, eine En tscheidung (B ieri, 2001). S ie er folgt nic ht automatisch o der als eine zwin gende K onsequenz a us den vorausgegangenen Auseinandersetzungen mit sich selbst und der v erletzenden Person. Vielmehr bedeutet V ergebung die b ewusste En tscheidung, nicht lä nger un ter dem V orfall leiden zu w ollen und der a nderen P erson wie der mi t Of fenheit zu begegnen (DiBlasio, 2000). Vergebung bleibt somit ein v olitionaler Ak t, eine W ahl, die eine P erson hinsichtlich ihr er s elbst tr ifft, indem sie da rüber entscheidet, wie sie mi t der eig enen und der g emeinsamen Vergangenheit um gehen mö chte und wie die G egenwart und Z ukunft zu g estalten sind. Insofern ist die V ergebung s owohl eine H andlung in Ric htung a uf eine a ndere P erson als a uch in Richtung auf das eigene Selbst. So no twendig dies e En tscheidung zur V ergebung ist, so wenig hinreichend in einem umfassenden Sinne ist sie . Erst das L oslassen der nega tiven Gefühle f ührt dazu, dass sich die v erletzte Person innerlich v on der v erletzten B egebenheit b efreit. Enright (2006) gib t den R at, den S chmerz zu akzeptieren und sic h um M itgefühl und Verständnis nicht nur für die verletzende Person, sondern auch für sic h s elbst zu b emühen. Wut und G roll k önnen besser verschwinden, wenn Mitgefühl mit sich selbst, angemess ene Trauer und S elbstfürsorglichkeit an ihre Stelle treten. Das Ziel dieser dritten Phase ist es, die V ergebung nich t v on den Re aktionen der v erletzenden Person a bhängig zu mac hen, s ondern als einen autonomen W illensakt der v ergebenden P erson zu s ehen. Die W iedergewinnung v on Autonomie, von Selbstbestimmtheit und Würde ist ein zen trales Merkmal d es Vergebungsprozesses. D ie ve rgebende Person entscheidet sich f ür eine neue S icht auf sich s elbst und a uf den a nderen, verletzenden Menschen und nimm t da bei G efühle der T rauer und des Schmerzes in Kauf.
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Kapitel 17 · Vergeben: Eine Quelle von Wohlbefinden
! Vergebung ist ein Willensakt. Es ist eine Entscheidung in Richtung auf das Wiedergewinnen von Autonomie und die Gestaltung der eigenen Z ukunft.
Phase 4. Am Vergebungsprozess arbeiten, Neues beginnen Das d urch die V ergebung und die da mit einher gehenden k ognitiven, emo tionalen und v olitionalen P rozesse en tstandene, v eränderte V erhältnis zu der v erletzenden Person s ollte auch mit einem neuen Verhalten verbunden sein. Dieses kann sehr vielfältig sein. Vielleicht helfen symbolische Handlungen, wie das »B egraben der al ten Geschichten« oder a ndere H andlungsweisen, die g eeignet sind , das Beenden des al ten Grolls und der B itterkeit in die T at umzus etzen. V ielleicht g ibt es a ber a uch eine Wiederannäherung an die verletzende Person im S inne einer V ersöhnung. O der es f indet eine Distanzierung v on der v erletzenden P erson st att, sei dies e t emporär o der endgül tig im S inne eines Abschieds und eines Beendens der Beziehung. ! Vergeben bedeutet nicht unbedingt, sich mit der verletzenden Person zu versöhnen. Auf jeden Fall sollten neue Verhaltensweisen an die Stelle des alten Grolls treten.
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Auch w enn das K onzept der V ergebung d urch diese Aufteilung in verschiedene Schritte bzw. Phasen r echt k lar g egliedert ist, b leibt der P rozess schwierig. Psychotherapeuten müssen berücksichtigen, dass ihr eig enes Engagement f ür die Vergebung nic ht un bedingt v on ihr en P atienten g eteilt wird. I mmer b edeutet Vergebung eine W ahl, eine Entscheidung, die jema nd tr ifft o der nic ht tr ifft. Geht ein Patient den Weg des Vergebens, konfrontiert er sich mit vielen s chmerzlichen Gefühlen, es werden alte Wunden aufgerissen und G efühle der Traurigkeit, Enttäuschung und W ut zunäc hst v erstärkt auftreten. Insofern ist die Entscheidung zum Nicht-vergeben-wollen zu respektieren. Besonders s orgfältig ist da rauf zu ac hten, dass es keinen subtilen moralischen Dr uck zum Vergeben gibt, etwa in der Familientherapie. Vergeben ist kein Schwamm, mit dem über etwas gewischt wird, das damit aus der Welt geschafft sein soll. Personen, die andere substantiell geschädigt oder verletzt haben, haben keinen moralischen Anspruch auf Ver-
gebung, etwa nach dem Motto »Gib mir eine zweite Chance« o der »Er/S ie ist do ch D ein Vater/Deine Mutter…«. In der Therapie ist rechtzeitig einer solchen möglichen Entwicklung entgegenzusteuern. Ebenfalls sollte bedacht werden, dass Personen in d er U mgebung d er ve rgebenden P erson d iese Entscheidung zur Vergebung hinterfragen können. Patienten müssen da rauf v orbereitet w erden, dass andere mög licherweise zu R ache und N ichtannäherung raten und die Entscheidung zur Vergebung ablehnen oder nicht verstehen. ! Vergebung ist eine Wahl, eine Entscheidung, die jemand trifft. Sie darf auf keinen Fall mit moralischem Druck einhergehen.
17.6
Vergebung als eine Quelle von Wohlbefinden
Blickt ma n in die all tägliche L ebenswelt, s cheint Vergebung keinen p opulären Platz einzunehmen. Eher kann man den Eindruck gewinnen, als würde Vergebung a ls e ine p ersönliche S chwäche ange sehen und G ewalt und R ache die »no rmale, a ngemessene« Re aktion a uf erleb tes U nrecht s ein. Angst vor neuen Verletzungen, Angst, sich lächerlich zu mac hen, An gst, das v ertraute G efühl der Wut und B itterkeit hin ter sic h zu lass en, An gst, den K ürzeren zu ziehen, S elbstmitleid, fa lsch verstandene B egriffe v on E hre – alles das sind mächtigen B arrieren, die das V ergeben a us der realen Alltagswelt fernzuhalten versuchen (Hegge & Ochsmann, 2000). In der Vergebung erschließt sich das Bewusst sein eines neuen Anfangs . Ent gegen der aus der Übeltat entspringenden Befür chtung, nun sei Endgültiges geschehen, w eil es nicht mehr rückgängig zu machen ist, damit sei »alles gelaufen«, die Z ukunft gleichsam v orprogrammiert, eröffnet die Vergebung eine neue Z ukunft, die aus der Übeltat nicht ableitbar ist. Dur ch sie wird Hoffnung gew eckt: N ichts ist endgültig festgelegt, nichts so schlimm, als dass es nicht einen Ausweg gäbe, nichts muss einfach seinen Lauf nehmen; es gibt einen neuen Anfang. (Hegge & Ochsmann 2000, S. 35).
Literatur
In diesem Sinn ist Vergeben eine Quelle von Wohlbefinden, da die v ergebende Person die Er fahrung eines N euanfangs machen ka nn, der mi t neuem Selbstvertrauen und v or allem mi t einer hinzugewonnenen S elbstverantwortung ve rbunden ist . Vergebung ba nnt die V ergangenheit und er öffnet eine Zukunft. In der V ergebung b egegnet die P erson sic h selbst. Sie macht die Erfahrung, sich den Realitäten der Bitterkeit, des Hasses und Ärgers ebenso stellen zu können wie denen der T rauer und des S chmerzes. In deren Überwindung bzw. in deren bewusster Annahme kann sie die Erfahrung machen, dass die nega tiven G efühle nac hlassen, neue , p ositive Gefühle a uftauchen und s o etwas wie emo tionale Erleichterung ein tritt. A uch in dies em Sinn ka nn Vergebung zu p ersönlichem Wohlbefinden beitragen, weil der Vielfalt des inneren Erlebens und der eigenen Gefühle neuer Raum gegeben wird. Vergebung b einhaltet eine En tscheidung f ür das eigene Selbst, für die eigene Vitalität und letztlich für die eigene Lebenskraft. Sie ist der Ausdruck eines p ersönlichen M enschenbilds und in sofern Ausdruck der eig enen p ersönlichen Üb erzeugungen und W erthaltungen. S chlussendlich lässt sic h durch Vergebung nic ht n ur die B eziehung zu einer a nderen P erson »k lären«. S ie ist immer a uch ein Ausdruck der eig enen Verantwortlichkeit und potenziellen Fehlbarkeit. In diesem Wiedergewinnen von innerer Freiheit liegt f ür mich der gr ößte Nutzen der Vergebung und somit die bedeutendste Quelle für das Wohlbefinden.
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Kapitel 17 · Vergeben: Eine Quelle von Wohlbefinden
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17
IV
Teil IV Wohlbefinden in der Lebensbiografie
Kapitel 18
Wohlbefinden im Jugendalter: Widerstandskräfte entwickeln – 239
Kapitel 19
Subjektives Wohlbefinden und Ressourcen im Alter – 249
18
Wohlbefinden im Jugendalter: Widerstandskräfte entwickeln Günther Opp 18.1
Wohlbefinden in der Pubertät
– 240
18.2
Das Jugendalter in modernen Gesellschaften
– 240
18.3
Risiko- und Schutzfaktoren in der Jugendzeit
– 242
18.3.1 Resilienzf orschung – 242 18.3.2 S chule und Wohlbefinden – 242 18.3.3 P eerbeziehungen und Wohlbefinden
18.4 P
ositive Peerkultur
18.5 F
azit
– 246
Literatur –
246
– 244
– 243
18
240
Kapitel 18 · Wohlbefinden im Jugendalter: Widerstandskräfte entwickeln
18.1
Wohlbefinden in der Pubertät
Was ist un ter Wohlbefinden zu v erstehen, w enn Kinder in die st ürmische Zeit der Pub ertät kommen, w enn sie in eine En twicklungsphase hineingleiten, in der es nic ht n ur um die A blösung v on den E ltern g eht, in der das G ehirn eine Ar t Baustelle (G iedd, 2003) ist, in der die Jugendlichen mi t ho rmonellen W echselbädern überschwemmt und der K örper sich in hef tigen Wachstumsschüben v erändert? F ür die K inder werden die Eltern dann schwierig und ungerecht. Die E ltern st ellen sic h die F rage, was sie in der Erziehung ihr er K inder fals ch g emacht ha ben. Sie v erstehen ihr e K inder nic ht mehr, und es ist zumindest phasenweise fraglich, ob sic h die K inder s elbst v erstehen. Tendenziell w ollen sic h die Kinder nun nicht mehr von den Erwachsenen erziehen lass en. Die gr undsätzliche K ooperationsbereitschaft v on K indern mi t den Er wachsenen in i hren L ebenswelten w ird s chrittweise ab gelöst durch eine v erstärkte Or ientierung a n Peergruppen und die Er weiterung eigener Entscheidungsräume. Die E ltern b ehalten d abei, a uch wenn sich die B eziehung zu ihr em K ind neu str ukturiert, eine wic htige Ro lle b ei. D er R at und die H ilfe der Eltern, sowie auch der Schutzraum der Familie als R ückzugsraum werden durchaus geschätzt und g ebraucht. Dies tr ifft v or allem da nn zu , wenn dies e Ress ourcen als hilf reiche An gebote verstanden werden können, über deren Gebrauch man auch selbst entscheiden kann, respektive die nicht als Ein griff in eig ene A utonomieansprüche gesehen werden. Es t ut der eig enen Autonomieentwicklung gu t, w enn sie sich a uf el terliche Unterstützung und fa miliären Rückhalt verlassen kann. Man kann mehr Exp loration wagen, wenn man sic h a uf ein g eordnetes R ückzugsfeld im Notfall verlassen kann. Gleichzeitig gewinnen die sozialen U nterstützungsangebote a ußerhalb der eigenen Familie im J ugendalter, insbesondere die tragende Ein bindung in p ositive P eerkontexte, zunehmend a n B edeutung f ür die w eitere En twicklung. Die Kinder ziehen sich mit Beginn der Adoleszenz zunehmend zur ück in eig ene Welten oder in Peergruppen, die ihnen zu einer Ar t zweiter Fami-
lien w erden k önnen. D as alles s cheint »no rm«-al zu sein. Gleichwohl beschreiben wir eine Entwicklungsphase, die sic h d urch tief e K risen, K onflikte auf vielen Eb enen, d urch Ein samkeit, das G efühl nicht v erstanden zu w erden und o ft a uch d urch Langeweile a uszeichnet. W ie gottverlassen sich Kinder in dies em Alter fühlen können, kann man in dem einf ühlsamen Buch Kindergeheimnisse von Tramitz (2003) nac hlesen. Die P roblematik zeigt sich a ber a uch in wiss enschaftlichen B efunden. In einem neuer en G esundheitssurvey der WH O berichten 16–20% der b efragten J ugendlichen von kinder - und j ugendpsychiatrisch r elevanten Problemen, un ter denen sie leiden (H urrelmann et al ., 2003). W issenschaftliche P rävalenzstudien bestätigen dies e sub jektiven Ein schätzungen (vg l. Barkmann, 2004). In dies em Themenzus ammenhang w erden im Folgenden drei Fragestellungen betrachtet: 1. Mit welchen Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben sind J ugendliche in mo dernen Gesellschaften konfrontiert? 2. Welche R ahmen- und K ontextbedingungen unterstützen J ugendliche b ei der M eisterung dieser A ufgaben und st ärken ihr W ohlbefinden? 3. Welche F olgerungen ha ben dies e Z usammenhänge f ür eine mo derne P ädagogik im S inne ihres Selbstverständnisses und ihrer Praxis? Eine k urze S kizze des Arb eitsansatzes positiver Peerkultur, indem sic h J ugendliche b ei der B ewältigung ihr er all täglichen P robleme g egenseitig unterstützen, steht am Ende des Beitrags. 18.2
Das Jugendalter in modernen Gesellschaften
Im L aufe des letzt en J ahrhunderts ha t sic h die Geschlechtsreife v on J ugendlichen um etwa zw ei Jahre nac h v orne v erschoben. S ie s etzt b ei M ädchen etwa mit 11,5 und bei Jungen mit 12,5 Jahren ein (Hurrelmann 2002, S. 245). Es sind hera usfordernde En twicklungsaufgaben, die a ufgrund v erbesserter Ernährungs- und Aufwachsbedingungen in einem immer früheren Alter zu bewältigen sind (vgl. folgende Übersicht).
18.2 · Das Jugendalter in modernen Gesellschaften
Entwicklungsaufgaben im Jugendalter ▬ Identifik ation mit Geschlechterrollen ▬ erste Erfahrungen von Liebe und Sexualität ▬ Loslösung von den Eltern ▬ Suche nach Unabhängigkeit und Autonomie
▬ Ent wicklung eigener Wertsysteme ▬ V erfolgung zukunftsträchtiger Bildungsentscheidungen
Gegenläufig zur f rüher einsetzenden Geschlechtsreife verlängert sich die A bhängigkeit der J ugendlichen v om E lternhaus a uf G rund v erlängerter Bildungszeiten immer mehr in das f rühe Er wachsenenalter. Angesichts der b edrohlichen Fülle von riskanten Optionen wird das E lternhaus zu einem immer wichtigeren Schutzraum, der ungern aufgegeben wird. Zentrale Fragen von Jugendlichen ▬ Wer bin ich? ▬ Wie will ich sein? ▬ Welche Ziele will ich verfolgen? Kindheit und J ugendzeit wur den lä ngst er fasst von den b eschleunigten I ndividualisierungsprozessen und -zwängen, die moderne Gesellschaften auszeichnen. »Moderne K indheit f indet in einer Fülle von Erlebnis- und Erfahrungsbezügen statt, die sic h a ber in k ein G esamtbild mehr f ügen« (Keupp 1996, S. 133). Das Individuum wird dafür verantwortlich g emacht, dies es G esamtbild f ür sich selbst zu en twerfen, eine stimmig e Biografie zu basteln und zu inszenieren. Die Widersprüche, die dabei auftreten, müssen reflektiert, gelöst oder ausgehalten w erden. Die »K inder der F reiheit« (Beck, 1997) g enießen die V orteile er weiterter Partizipationschancen in ihr en L ebensräumen. Sie sind mi t mehr En tscheidungsmöglichkeiten ausgestattet, sind a ber g leichzeitig zu vielfä ltigen Entscheidungen biografischer S elbstinszenierung gezwungen, deren kurz- und langfristigen Risiken und Folgeprobleme schwer kalkulierbar sind (vgl. Übersicht).
241
18
Die Antworten auf diese Fragen haben durchaus K onsequenzen, in sofern jede En tscheidung wiederum Alternativen ausschließt und g leichzeitig Einschränkungen und Risik en impliziert. Versuche b iographischer S elbstinszenierung g ehen einher mi t der F rage: Welche Einschr änkungen und R isiken gehe ich dafür ein? D as sind En tscheidungen, die ein k omplexes S elbstverhältnis des Menschen zu sich s elbst, entwickelte Ref lexionsfähigkeiten und vielfac h ho he S elbstdisziplin verlangen (B rater, 1997). Dies sind a uch Anf orderungen, in denen sich das t raditionelle Verhältnis v on F remd- und S elbsterziehung umk ehren. Selbsterziehung wird immer wichtiger. Gerade Jugendliche brauchen für die Meisterung dieser Aufgaben b reite s oziale U nterstützung. Die F eststellung neuerer Bildungsstudien (Prenzel et al., 2003; Statistisches B undesamt, 2004), dass das s oziale Kapital der Herkunftsfamilie die Bildungschancen der J ugendlichen do miniert, ist nich t zu letzt in diesen g esteigerten An sprüchen a n j ugendliche Selbstbestimmung begründet. Es gib t w enig G rund a nzunehmen, dass K inder heu te s chlechter erzog en w erden a ls f rüher. Vielmehr ist zu v ermuten, dass viele K inder heute von Partizipationschancen und einer B erücksichtigung ihr er En twicklungsbedürfnisse in einem bisher u nbekannten Ausmaß prof itieren ( Modernisierungsgewinner). Im Rahmen schulischer Selektionsprozesse werden diese Vorteile aber unter der Hand zu einem gravierende Selektionsnachteil der K inder und J ugendlichen, die nic ht in den Genuss solcher Vorteile kamen oder gar in dep rivierten V erhältnissen a ufwuchsen ( Modernisierungsverlierer). Das Schwinden der Einbettung in t raditionelle Gemeinschaften und der V erlust v on G eborgenheit und G emeinschaftserfahrungen in na türlich gewachsenen L ebensräumen w erden zu einem signifikanten En twicklungsrisiko v or allem da nn, wenn die H erkunftsfamilien k ompensatorische Funktionen nic ht üb ernehmen k önnen. I nsofern geht es nic ht p rimär um eine A usdehnung ö ffentlicher Erzieh ungsaufgaben. Es g eht v or allem darum, q ualitativ ho chwertige s oziale U nterstützungsangebote zu en twickeln und b ereitzustellen, die die J ugendlichen b ei der M eisterung mo derner I ndividualisierungsaufgaben un terstützen, die
242
Kapitel 18 · Wohlbefinden im Jugendalter: Widerstandskräfte entwickeln
ihnen helf en, b iografische T extur zu en twickeln, die Herausforderungen ihres Lebens zu v erstehen, sich dies en Aufgaben g ewachsen zu f ühlen s owie auch dem S tress und den B elastungen in ihr em Leben einen S inn a bgewinnen zu k önnen (vg l. Übersicht). Individualisierungsaufgaben von Jugendlichen ▬ biog rafische Textur entwickeln ▬ Herausf orderungen des Lebens verstehen ▬ sich Lebensaufgaben gewachsen fühlen ▬ Stress und Belastungen im Leben einen Sinn abgewinnen können
Ausgestattet mit einem G efühl, dass die Din ge im Leben zus ammenhängen und einen S inn er geben (Kohärenzsinn) k önnen Risik en im L eben nic ht nur üb erwunden, s ondern im gün stigsten F all in eigene S tärken v erwandelt w erden (An tonovsky, 1997). Ein s olches G efühl der K ohärenz f ür das eigene L eben, den S innfaden in den eig enen L ebenserfahrungen zu weben, ist eine ga nz wesentliche Voraussetzung für Wohlbefinden und gewinnt als Entwicklungsherausforderung vor allem in der Adoleszenzphase Bedeutung, in der das Puzzle des eigenen Lebens neu ausgelegt werden muss. 18.3 R
isiko- und Schutzfaktoren in der Jugendzeit
18.3.1 Resilienzf orschung
18
Neuere Er gebnisse der Resilienzf orschung (Op p & Fin gerle, 2007) ö ffnen einen zunehmend kr itischeren Blick a uf die W iderstandskräfte v on K indern und J ugendlichen g egenüber un günstigen Umwelteinflüssen. N eben der B erücksichtigung genetischer Einf lüsse zeigt sic h immer deu tlicher der p rägende Einf luss f rüher B indungserfahrungen für den weiteren Lebenslauf. Gleichwohl liegen vielfältige wiss enschaftliche B efunde v or, die r isikosteigernde o der En twicklung s chützende Einflüsse j ugendlicher L ebenswelten do kumentieren. Dabei scheint es im K ern darum zu g ehen, ob J u-
gendliche in relevanten Lebensbereichen – wie der Schule und ihr er Peergruppe – Z ugehörigkeit und Gemeinschaft (»b elonging«) erleb en k önnen. D as Gefühl, mi t der U mwelt p ositiv v erbunden und vernetzt zu s ein (»co nnectedness«) ist v or allem auch im J ugendalter eine zen trale Grundlage subjektiven Wohlbefindens. Im Jugendalter besteht die besondere En twicklungsherausforderung g erade darin, die s ozialen B eziehungsgeflechte außerhalb der Familie neu zu weben. Die Ablösung von der Herkunftsfamilie erfolgt im Z usammenhang mi t der g esteigerten B edeutung der P eergruppe, die zu einer Ar t zw eiter Familie wird und zen trale normative und k onsumorientierende Funktionen üb ernimmt. Ein zentraler Or t f ür die An bahnung und Or ganisation dieser P eergeflechte ist die S chule. Die I nklusions- r espektive Exk lusionserfahrungen im »lif e space« der S chule und der P eergruppe haben hohen prognostischen Wert für jugendliche Entwicklung. Unter den A spekten der Z ugehörigkeit und Gemeinschaft s ollen im F olgenden F orschungsbefunde zum Z usammenhang v on S chule und Wohlbefinden und P eergruppeneinbindung und Wohlbefinden diskutiert werden. 18.3.2 S chule und Wohlbefinden
Zuletzt zeigten die Er gebnisse des WH O-Gesundheitssurveys (H urrelmann et al ., 2003; M elzer, 2006) einen deu tlichen Z usammenhang zwis chen der wahrgenommenen Kultur der besuchten Schule und dem psy chischen und k örperlichen Wohlbefinden der befragten 10- bis 16-jährigen deutschen Jugendlichen. Die sub jektiv ein geschätzte s chulische K ompetenz, S chulfreude, U nterrichtsqualität und die Mitschülerunterstützung beeinflussen sich dabei w echselseitig. F ür die indi viduellen S chülerinnen und S chüler mac ht es einen gr oßen Unterschied, … ob sie die Schule für einen guten, für ihr Leben wichtigen Ort betrachten oder einen, den sie lieber meiden wür den, ob sie entspannt im Unt erricht sitz en oder ständig auf der Hut sind, weil sie A ttacken und Demütigungen er warten, ob sie dor t mit der Sicherung ihr er so-
243
18.3 · Risiko- und Schutzfaktoren in der Jugendzeit
zialen Existenz beschäftigt sind oder Aufmerksamkeit für andere Themen frei haben. Folglich beeinflusst die Qualität des M iteinanders in der S chulklasse ihr e Beziehungsw elt und die Stellung eines Kindes in ihr sämtliche Aktivitäten und auch das Lernen der Kinder. (Krappmann 2006, S. 219 f.).
Es ist eine p lausible Vorstellung, dass die sub jektiven S chulerfahrungen der K inder und J ugendlichen d urch die Quali tät der b esuchten S chulen überlagert werden, und dass die s chulischen Leistungsergebnisse d avon b eeinflusst we rden. D abei ist die D atenlage, zumindest was den Z usammenhang von Schulqualität und schulischen Leistungserfolgen betrifft, eher unklar (Baumert et al., 2001; OECD, 2004). D er Z usammenhang zwis chen den Schulerfahrungen und der el terlichen U nterstützung sollte dabei nicht übersehen werden. Aber es deutet sic h a n, dass g erade da nn, w enn hä usliche Unterstützung f ehlt, der Einf luss der S chulkultur besonders bedeutsam sein könnte. Die H äufigkeit v on S chulabbruch, S chulversagen, G ewaltvorkommen und das W ohlbefinden der S chüler st eht in einem en gen Verhältnis mi t der Qualität einer Schule (Whelage & Rutter, 1985; Rutter, 1988; Testerman, 1996; Ro eser et al ., 2000; Melzer, Schuberth & Ehninger 2004; Melzer, 2006). Studien im P roblemkreis v on S chulabbruch zeigen, dass die Drop-out-Quoten deutlich verringert sind in S chulen, in denen die S chüler individuelle soziale Unterstützung durch Lehrer erfahren (Rutter, 1988; T esterman, 1996) und ein G efühl der Zugehörigkeit und P artizipation – im S inne v on Wahl- und M itbestimmungsmöglichkeiten – im Schulleben en twickeln k önnen (Ro eser, M idgely & U rdan, 1996; M cNeely, N onnemaker & B lum, 2002; Smerden, 2002). Die Schule, die sie besuchen, spielt eine bedeutende Rolle im Leben der Kinder und Jugendlichen und – oft übersehen – auch im Leben ihrer Eltern. Längstens wirk en die S chulen in die F amilien hinein, üb erlagern s chulische L eistungserfolge und Misserfolge die fa miliären I nteraktionsprozesse (Combe & Helsper, 1994). Die S chulen prägen das Lebensgefühl ihrer S chüler in einem w eitaus umfassenderen Sinn als sic h dies die meist en Schulen und P rofessionellen s elbst zusp rechen. D abei ist
18
Schule nich t g leich S chule. Es g ibt o ffensichtlich starke U nterschiede b ezüglich der Q ualität d er Einzelschule (F end, 1998; B aumert et al ., 2001; Köller & Trautwein, 2003). Was sich Schüler vor allem wünschen, ist, dass ihre Lehrer ihnen zuhören, ihre Sorgen ernst nehmen, ihre Anstrengungen um schulische L eistungserfolge a nerkennen und sic h aktiv für ihre Lernerfolge engagieren (Phelan et al., 1992; Opp & Wenzel, 2006). 18.3.3 P eerbeziehungen
und Wohlbefinden
In allen L ebensphasen nähr t sic h men schliche Entwicklung a us s ozialen B eziehungen mi t a nderen. B ereits die Quali tät der P eerbeziehungen im Vorschulalter wur de als P rädiktor f ür s chulische und s oziale P robleme im J ugendalter b eschrieben (Hamre & Pianta, 2001). Die Ablehnung durch andere Kinder birgt erhebliche G efahren f ür sp ätere Schulprobleme (O`Neil et al ., 1997; B uhs & L add, 2001; Gazell & L add, 2003). K inder und J ugendliche b rauchen Gleicha ltrige S piel- und I nteraktionspartner, von denen sie ler nen können, von denen sie Unterstützung erfahren und mi t denen sie soziale Beziehungen ausprobieren und aushandeln können. G ute Peerbeziehungen ha ben eine st arke entwicklungsförderliche Bedeutung. ! Wer … gute und vielfältige soziale Beziehungen in der Welt der Gleichaltrigen hat, dür fte bessere Chancen für seine kognitive Entwicklung und damit für seine schulischen Leistungen haben als schlecht integrierte Schüler. (Krappmann & Oswald 1995, S. 210)
Die Z ugehörigkeit zu einer P eergruppe und die Art der s ozialen I nteraktionen innerhalb dies er Gruppe trag en zum W ohlbefinden der K inder ganz wesentlich bei (Krappmann & Oswald, 1995; Eder, 1995) und ha ben deu tliche A uswirkungen auf die Entwicklung sozialer Kompetenzen (Ladd, 1999). Kinder und J ugendliche, denen der An schluss an eine positive Peergruppe nicht gelingt, könnten verstärkt v ersuchen, ihr e Z ugehörigkeitsbedürfnisse üb er die M itgliedschaft in »p rekären Cliquen« einzulös en (Wetzstein et al ., 2003, S. 841).
244
Kapitel 18 · Wohlbefinden im Jugendalter: Widerstandskräfte entwickeln
Der G eneralverdacht hin sichtlich des nega tiven Einflusses von Peergruppen ist insofern begründet, als in »nega tiven« P eerkulturen die no twendige Gruppenkohäsion d urch ho hen K onformitätsdruck erzeugt wird, der häufiger mit jugendlichem Risikoverhalten wie Dr ogenkonsum, gewaltförmigem Verhalten und Delinquenz verbunden ist. ! Charakteristisch für Jugendliche in prekären Gruppen
… ist eine externale Kontrollüberzeugung: Das Leben ist für sie mehr durch Zufälle bestimmt als durch eigene Leistung und ungünstige Umstände und Pech sind für Misserfolg verantwortlich. Sie geben an, ihre Probleme nicht selbständig lösen zu können und für ihren Lebensweg nicht selbst verantwortlich zu sein. Sie fühlen sich anomisch verunsichert über das Leben in der Gesellschaft und ihre Zukunftserwartungen. (Dietz et al. 1997, S. 76).
18
Dies sind J ugendliche, die herumhängen und eventuell den Kick in Dr ogen und D elinquenzerfahrungen f inden. G esucht w erden S timulation, Erfahrungen der Anerk ennung, des Resp ekts und Möglichkeiten der S elbstaufwertung. I n vielen Fällen wir d v ersucht, den b iografischen S chmerz leidvoller L ebenserfahrungen zu b eruhigen und zu v erdrängen. Dies sind vielfac h J ugendliche, die g etroffen und v erletzt sind v on den A usgrenzungs-, Verlust- und A bwertungserfahrungen, die sie erleb ten. Sie suc hen nach dem S chutz in der stärkenden G ruppe und g eben sic h »co ol«, unverletzlich und üb er den Din gen st ehend. D abei scheint es zur A usprägung schichtspezifischer Delinquenzmuster zu k ommen. W ährend J ugendliche aus mittleren Sozialschichten in der Reg el um die Bedeutung schulischer Ausbildung wissen und delinquentes V erhalten eher in a ußerschulischen Bereichen situieren, scheinen sich Jugendliche aus unteren Sozialschichten und mit Migrationshintergrund v erstärkter durch demonstrative oppositionelle Maskulinität gegen die sub jektive Er fahrung schulischer Entmündigung zu w ehren. Sie s etzten ihre schulischen Leistungserfolge damit zusätzlich ins Risiko. Es ist wohl wahr, dass man »… von den Gleichaltrigen nic ht n ur G utes ler nt« (O swald 2006, S. 236), dass g erade a uch P eergruppen ein v er-
stärkendes U mfeld f ür abweichendes V erhalten darstellen k önnen. Ander erseits ist un verkennbar, dass im Z usammenhang mi t dem R ückgang familiärer Erziehungsfunktionen und einer um sic h greifenden s ozialen V erunsicherung g erade a uch unter J ugendlichen, die iden titäts- und g emeinschaftsstiftende F unktion d er P eergruppe a n B edeutung g ewinnt. D abei ist zwis chen zw ei Ar ten von P eergruppen zu un terscheiden. D as sind einerseits P eergruppen, die sic h a uf der B asis v on Ausgrenzungserfahrungen als »S chicksalsgemeinschaften« konstituieren und Gruppenkohäsion vor allem d urch G ruppenzwang, g ewaltförmiges Verhalten und g emeinsame D elinquenzerfahrungen generieren. Ander erseits sind dies P eergruppen, die S elbstbildung, L eistungs- und K ompetenzerfahrungen fördern und in denen die J ugendlichen mit Reg eln und Ri tualen exp erimentieren, die in partizipativen Z usammenhängen en twickelt w erden können. Ein mo dernes pädag ogisches P rofessionsverständnis m üsste da raufhin o rientiert s ein, die aktiven, a uf den Z ögling a usgerichteten Erziehungsfunktionen zumindest t eilweise dad urch zu ersetzen, dass die En tstehung v on P eerkulturen stimuliert wir d, in denen die J ugendlichen die Chance haben, sich solidarisch und unter Verzicht auf habituelle Coolness mit ihren alltäglichen Sorgen, Nöten und B edrängnissen a useinanderzusetzen. Das Konzept der positiven Peerkultur verfolgt diesen Ansatz in der Praxis. 18.4 P ositive Peerkultur
Das Konzept p ositiver Peerkultur (»p ositive p eer culture«, PPC) wur de in den 70-er J ahren in den USA im H eimalltag mi t delinq uenten J ugendlichen entwickelt (Vorrath & Brendtro, 1985; Brendtro, 2006). Die ur sprüngliche Intention war die Auflösung der negativen Alltagskultur in amerikanischen Erziehungsheimen. Man organisierte regelmäßige G ruppentreffen, in denen die J ugendlichen un ter der An leitung eines er wachsenen Moderators lernen sollten, ihre Probleme und Sorgen offen und solidarisch mit anderen Jugendlichen zu t eilen. Die J ugendlichen üb ernehmen für ihr e P robleme V erantwortung (»o wnership
18.4 · Positive Peerkultur
of p roblems«) und en twickeln im G espräch mi t ihren P eers L ösungen, die sie in ihr em All tag umsetzen sollten. Dabei ha ndelt es sic h um einen st ärkenorientierten Ansatz (Nissen, 2006). Es wir d davon ausgegangen, dass die J ugendlichen s elbst die Exp erten für ihre Probleme sind, und dass sie sich bei der Lösung ihrer Probleme gegenseitig helfen können. Fehlverhalten wird nicht unterdrückt, sondern thematisiert. Die Probleme und das Problemverhalten von J ugendlichen we rden a ls A usgangspunkt von Lernprozessen v erstanden. Die A ufgabe der Er wachsenen beschränkt sich im P rinzip auf die Organisation der Gruppentreffen und die Moderation der G espräche. I n s olchen p roblemfokussierten Peerinteraktionen er fahren die J ugendlichen, dass sie nicht allein sind mi t ihren Problemen, und sie erleben b ei der B ewältigung dies er P robleme die Unterstützung und Hilfe durch andere Jugendliche, denen sie s elbst a uch H ilfen g eben. Ander en zu helfen st eigert das S elbstwertgefühl: Wer a nderen helfen kann, ist s elbst nicht wertlos! Das bietet die Chance, die a ufgesetzte Rolle der »C oolness« aufzugeben und sich mit drängenden eigenen Problemen zu b eschäftigen und En twicklungsblockaden aufzulösen. Mehrjährige Er fahrungen p ositiver P eerkulturarbeit mi t st ark p roblembelasteten J ugendlichen in un terschiedlichen o rganisatorischen S ettings haben wir vor kurzem zusammengefasst und der F achöffentlichkeit vorge stellt ( Opp & U nger, 2006). Es wa ren d urchgängig er mutigende Er fahrungen, von denen wir b erichten können. Die Jugendlichen ha ben eine st arke I dentifikation zu diesen Gruppen entwickelt und ein p ositives G efühl der Zugehörigkeit erlebt. Sie begannen, untereinander soziale Beziehungen und Freundschaften zu entwickeln, die manchmal auch als Sprungbrett für andere Freundschaften dienten. Sie haben die Gruppentreffen genützt, um ihre alltäglichen Probleme zu t hematisieren und die Ref lexions- und Lösungshilfen a nderer J ugendlicher ein gefordert und f ür sic h nutzbar g emacht. D abei gin g es um den Tod eines g eliebten M enschen, M obbing a uf dem P ausenhof, die T rennung der E ltern, das Scheitern, mi t dem leib lichen Vater K ontakt a ufzunehmen, die g efühlte H ilflosigkeit im Z usammenhang mit einem inha ftierten Vater und vieles
245
18
andere. Die Pädagogen der Institutionen, in denen wir arbeiteten, berichteten, dass L ernerfahrungen und soziale Kompetenzen die die J ugendlichen in Peergruppentreffen gelernt hatten, in Alltagssituationen transferiert wurden. Der Reiz dies es An satzes p ositiver P eerkultur liegt f raglos in s einer Einfach heit. Die M oderatoren dies er G ruppen m üssen mi t den P rinzipien dieser Arb eit v ertraut s ein. S ie s ollten p rofessionelle Er fahrungen in pädag ogischen H andlungsfeldern besitzen, aber sie b rauchen keine langwierige therapeutische Ausbildung. Die Regeln für die Gruppentreffen sind einfac h (vg l. Üb ersicht) und wurden v on den J ugendlichen erst aunlich zu verlässig eingehalten: Regeln für Gruppentreffen 1. Wir behandeln uns gegenseitig mit Respekt. 2. Wir lassen den anderen ausreden. 3. Alles, was in der Gruppe besprochen wird, bleibt vertraulich!
Trotzdem mö chte ich v or s ozialromantischen Er wartungen wa rnen. Es ist nic ht s o, dass ma n die Jugendlichen in Gruppen über ihre Probleme sprechen lässt und da mit alle P robleme lös en ka nn. Die Dynamik der G espräche basiert auf der Kompetenz der Moderatoren, diese Gespräche im Fluss zu hal ten. U nd: die D ynamik der G espräche ist durchaus s chwankend. Es fäll t den J ugendlichen nicht immer leich t, i hre N öte zu b erichten. Er fahrungen p ositiver Peerkultur er setzen nic ht das notwendige Vorbild Er wachsener in den all täglichen L ebenswelten der J ugendlichen. S ie ist a uch kein Ersatz für therapeutische Angebote, wenn sie von den J ugendlichen b enötigt w erden. P ositive Peerkultur ist gleichwohl eine Variante sozialer Arbeit mit Jugendlichen, durch die die Kompetenzen Jugendlicher im U mgang mit ihren Alltagsproblemen g efördert, ein G efühl der Z ugehörigkeit und des Vertrauens zur G ruppe erleb t, s elbstwertsteigernde Erfahrungen, anderen helfen zu könne, gewonnen, basale kommunikative Kompetenzen des Zuhörens erler nt, b iografische T extur en twickelt und Resp ekt und S olidarität Gleicha ltriger er fahren werden kann.
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Kapitel 18 · Wohlbefinden im Jugendalter: Widerstandskräfte entwickeln
Effekte einer positiven Peerkultur ▬ Kompetenzerwerb im Umgang mit Alltagsproblemen
▬ Erleben von Zugehörigkeit und Vertrauen ▬ selbst wertsteigernde Erfahrungen, anderen helfen zu können
▬ Erwerb von Kompetenzen des Zuhörenkönnens ▬ Ent wicklung einer biografischen Textur ▬ Respekt und Solidarität von Gleichaltrigen
Auf dies er G rundlage k önnen J ugendliche b eginnen, Dist anzierungsformen der C oolness a ufzugeben, sich ihren Problemen zuzuwenden und die bitteren L ektionen, die sie in ihr em L eben v on Erwachsenen ler nen mussten, zu üb erwinden. Sie lernen, anderen zu helf en, zu g eben und viel leicht auch den Wert zu erk ennen der da rin liegt, a nderen zu verzeihen. 18.5 F azit
18
Die Phas e der J ugendzeit ist k ein En twicklungsmoratorium, sondern eine Zeit in der hochriskante und f olgenträchtige b iografische En tscheidungen getroffen we rden m üssen. D ie J ugendlichen we rden v on wirk ungsvollen äst hetischen und k onsumorientierten N ormen b edrängt, f iktive C omputer- und M edienwelten und ho he Er wartungen an ihr e s chulische L eistungsfähigkeit, S elbstständigkeit und S elbstdisziplin. I n einer G esellschaft, die ihrem Nachwuchs systematische Unterstützung immer mehr en tzieht, wäc hst den F amilien eine Bedeutung f ür die Erzieh ung der K inder und J ugendlichen zu , die sie a uch a ngesichts ala rmierender Armutsentwicklungen (vgl. Martens, 2005) vielfach nicht mehr er füllen können. Es zeigt sic h ein deu tlicher S chereneffekt zwis chen J ugendlichen, die in erzieh ungsstarken und a utonomiefördernden F amilien a ufwachsen und J ugendlichen, die eher deprivierende Erziehungswelten erleben. Der Schwerpunkt dieses Beitrags lag in der Fokussierung auf die B edeutung, die die P eergruppe im Ablösungsprozess v on der F amilie üb ernimmt und in den A uswirkungen, die p ositive Peer-Ein-
bindungen inner- und außerhalb der Schule für das Wohlbefinden und die p ositive En twicklung v on Jugendlichen haben. Der Clou eines Wohlbefinden fördernden Erzieh ungsansatzes f ür J ugendliche liegt da rin, dass er L ernen in S ozialisierungsprozesse in der Peergruppe statt in abstrakte Lernprozesse einbindet. ! Die Peergruppe hilft bei der Ablösung vom Elternhaus. Einbindung in die positive Peergruppe fördert Wohlbefinden von Jugendlichen durch gegenseitige Hilfestellung.
Mit dieser Vorstellung einer mo dernen Pädagogik wird zumindest teilweise die traditionelle Ausrichtung a uf indi viduelle F örderung d urch das Z iel ersetzt, positive Peerkulturen zu schaffen, in denen sich die J ugendlichen g egenseitig Hilfe bieten. Im Kern b edeutet dies eine sinn volle En tlastung der Pädagogen, indem die P eergruppe Verantwortung für pädagogische Förder- und Unterstützungsangebote übernimmt und damit gleichzeitig das Wohlbefinden v on J ugendlichen st eigert, die sic h v on Erwachsenen nicht mehr erziehen lassen wollen.
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19
Subjektiv es Wohlbefinden und Ressourcen im Alter Bernhard Grom 19.1 Einleitung
– 250
19.2
Emotionale Befindlichkeit oder »Altern ist kein depressiver Prozess« – 250
19.3
Hohe Lebenszufriedenheit trotz Einschränkungen
19.4
Was macht die Lebenszufriedenheitskompetenz aus?
19.4.1 Bewältigungsstrat egien – 253 19.4.2 Befriedigungsstrat egien – 254 19.4.3 Religiosität als soziale und personale Ressource
19.5 A
usblick Literatur –
– 257 258
– 256
– 251 – 251
250
Kapitel 19 · Subjektives Wohlbefinden und Ressourcen im Alter
19.1 Einleitung
Die Alternsforschung der beiden letzten Jahrzehnte war mi t einem g erontologischen Op timismus v erbunden, der zu einem verstärkten Selbstbewusstsein der älteren Generation, einem besseren Verständnis ihrer Chancen, und einer aktiveren Altenförderung beigetragen hat. Die erhö hte Lebenserwartung, die bessere medizinische Versorgung, dank welcher die heute 70-Jährigen körperlich so fit sind wie v or 30 Jahren die 65-J ährigen, s owie neue Erk enntnisse bezüglich der k ognitiven Res erven, emo tionalen Intelligenz, L ebenserfahrung und An passungsfähigkeit haben die im Alter mögliche Lebensqualität in einem s ehr gün stigen L icht er scheinen lass en – w enigstens im H inblick a uf das s og. Dr itte L ebensalter der 60- b is 80-J ährigen, w eniger f ür das Vierte Lebensalter der über 80- bis 85-Jährigen, die oft mehrere Belastungen gleichzeitig zu b ewältigen haben, sic h da bei w eniger gu t a n ihr e S ituation anpassen können und wo von den mehr als 90-Jährigen fast jeder Z weite an einer Form von Demenz leidet (B altes & Smi th, 2003). I st dies er g enerelle Optimismus auch bei näherer psychologischer Betrachtung berechtigt, und – falls dies zu b ejahen ist _ wie ka nn er in der psy chologischen Lebensberatung zur Geltung kommen? Einem b reiten K onsens g emäß s oll hier Lebensqualität als Konstrukt mit den beiden Hauptdimensionen (1) objektive L ebensbedingungen (Einkommen, Ausbildung, G esundheit, Wohnverhältnisse usw.) und (2) subjektives Wohlbefinden verstanden werden. Letzteres kann sowohl im Hinblick auf die emotionale Befindlichkeit (gemessen als Gl ücklichsein mi t einzelnen L ebensbereichen bzw. mit dem L eben im Ga nzen, als p ositiver Affekt, als A bwesenheit v on D epressivität u . a.) als auch mehr k ognitiv in B ezug a uf Zufriedenheit (mit einzelnen L ebensbereichen bzw. mit dem L eben im Ganzen) erhoben werden. Welches Maß an subjektivem Wohlbefinden ist im Alter möglich?
19
19.2
Emotionale Befindlichkeit oder »Altern ist kein depressiver Prozess«
In Bezug auf die emotionale Befindlichkeit bestätigen die Forschungsergebnisse weder das Stereotyp
des traurigen Greises, der – wie auf dem bekannten Gemälde von Vincent van Gogh – s einen Kopf in beiden H änden v ergräbt und n ur no ch den T od erwartet, noch die Bilder der Werbung, die unentwegt strahlende Senioren zeigen. Die Befunde sind nicht immer ein heitlich, weil verschiedene Altersspannen untersucht und unterschiedliche Messinstrumente verwendet wurden, doch zeichnen sie ein alles in allem positives Bild. Zur Beziehung zwischen positivem Affekt (Gestimmtheit) und Al ter hat Pinquart (1997) in den 40 Studien, die er einer Metaanalyse unterzog, eine durchschnittliche K orrelation v on n ur r=-0,04, d. h. eine ka um nennenswerte Abnahme mit dem Alter f estgestellt. S pinhoven et al . (1997) fa nden in der niederländischen Allgemeinbevölkerung für Depressivität eine schwache mit dem Alter einhergehende Zunahme von r=0,15, für Angst aber eher einen Rückgang (r=-0,04) – b eides gemessen nach der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) (Zigmont & S naith, 1983), der en Items sic h nic ht auf schwerwiegende, sondern auf mildere Störungen b eziehen. N ach den g leichen H ADS-Skalen ermittelten Schwarz, Gunzelmann, Hinz & Brähler (2001) in einer deutschen Zufallsstichprobe aus der Allgemeinbevölkerung b ei den üb er 61-J ährigen keine signif ikante B eziehung zwis chen Angst und Alter (und a uch k eine signif ikanten G eschlechtsunterschiede); f ür D epressivität ergab sich j edoch ein Anstieg, der allerdings nicht stark war und eindeutig unterhalb der Grenze zu klinisch relevanten Störungen lag (s. ⊡ Tab. 19.1). Die Autoren w eisen da rauf hin, dass die Z ahl der Personen mi t v erhältnismäßig ho hen D epressivitätswerten (9 Punk te und mehr) v on 20,1% in
⊡ Tab. 19.1. Depressivität im Sinne der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-D von Herrmann, Buss & Snaith, 1995); Auszug aus Schwarz et al. (2001) Alter
Mittelwerte
61 – 65 Jahre
5,34
66 – 70 Jahre
6,68
71 – 75 Jahre
6,19
76 Jahre und älter
7,38
251
19.4 · Was macht die Lebenszufriedenheitskompetenz aus?
der G ruppe der 61- b is 65-J ährigen a uf 35,4% in der Gruppe der üb er 76-Jährigen steigt. Auch hier handelt es sic h um B eschwerden, die diess eits der Kriterien v on ICD-10 und DS M-IV lieg en, w obei zu beachten ist, dass D epressivität bei Älteren eng mit k örperlichen S ymptomen (M ultimorbidität) und Ein schränkungen der L eistungsfähigkeit zusammenhängt und als Antwort darauf interpretiert werden kann. So äußern auch nach der Bonner Längsschnittstudie (L ehr & Tho mae, 1987) und der B erliner Altersstudie (Mayer & B altes, 1999) jene Al ten am ehesten g eringeres sub jektives W ohlbefinden, die über er nsthafte g esundheitliche, fa miliäre und f inanzielle P robleme b erichten; zu dies er G ruppe der w enig Z ufriedenen g ehören mehr F rauen a ls Männer. Wahrscheinlich hat sich aufgrund solcher Belastungen b ei gut der H älfte der 65- b is 80-Jährigen, die ma n in der B onner L ängsschnittstudie 12 J ahre la ng b efragt ha t, die S timmungslage v erschlechtert, während sie bei 46% von ihnen über die Jahre hinweg konstant b lieb o der sic h s ogar etwas aufhellte (Lehr & Thomae, 1987). Dies erklärt wohl auch, wa rum nac h einer a nderen L ängsschnittstudie die emotionale Befindlichkeit (positiver Affekt) von 65-Jährigen in den weiteren 23 Jahren leicht abnahm (Charles, Reynolds & Ga tz, 2001). B ei einer Untersuchung von Chipperfield, Perry und Weiner (2003) wur den al te M enschen (Al tersdurchschnitt der S tichprobe: 80 J ahre) g efragt, w elche v on 14 vorgegebenen Emotionen sie in den b eiden letzten Tagen erlebt haben. Sie berichteten positive und negative Erfahrungen, doch überwogen die p ositiven Gefühle G lück, Z ufriedenheit, Da nkbarkeit, H offnung, S tolz und Erleic hterung k lar die nega tiven: Frustration, Traurigkeit, Ärger, Langeweile, Schuld, Angst und S cham. Gl ück erleb ten b eispielsweise 94,2%, Frustration aber nur 43,6% der Befragten. In einem Üb erblick üb er 25 U ntersuchungen stellt Feinson (1989) f est, dass alle – a ußer zweien – kein häufigeres Auftreten von D epressionen b ei älteren, verglichen mit jüngeren Er wachsenen, ermittelt ha ben. Obwohl die S uizidrate nac h 65 zunimmt, gil t: »Al tern ist k ein dep ressiver P rozess. Nicht die Z ahl der Verluste löst zwa ngsläufig eine Schwermut aus, sondern wie Alternde ihre Verluste subjektiv bewerten, ob sie gelernt haben, Trauer zu bewältigen und sich an einem Sinn zu orientieren.
19
Je höher die Fähigkeit, flexibel sinn- und zukunftsorientiert Ein bußen zu b ewältigen, um so s eltener werden sie schwermütig« (Grond 2001, S. 43). 19.3 Hohe
Lebenszufriedenheit trotz Einschränkungen
Im Unterschied zur emo tionalen Gestimmtheit ist die Lebenszufriedenheit v on Al ten hö her als die von bestimmten jüngeren Altersgruppen. Nach den neuesten Daten des World Values Survey, das unterschiedliche Länder wie USA, China, die Schweiz und R ussland ein bezog, ä ußern 80-J ährige etwas mehr Lebenszufriedenheit als die 20- b is 30-Jährigen. Auch die deutsche Bundesgesundheitsumfrage 1998 st ellt f est, dass die 60- b is 79-J ährigen eine höhere Zufriedenheit mit dem Leben bekunden als die 20- bis 39-Jährigen (s. ⊡ Abb. 19.1). Zwar hat jede Altersstufe ihre spezifischen Befriedigungschancen und B elastungen, do ch nehmen die Belastungen durch eingeschränkte Beweglichkeit, prekäre G esundheit, v erminderte g eistige Leistungsfähigkeit, Er schöpfungszustände, Verlust von na hestehenden P ersonen u. a. in den J ahren über 60 sic her zu, und demen tsprechend sinkt die Zufriedenheit mit diesen Bereichen. Wenn aber die Lebenszufriedenheit tr otzdem erhal ten und s ogar etwas gesteigert werden kann, muss dies – eb enso wie der Erha lt einer r elativ ho hen emo tionalen Gestimmtheit – mehr v on der P erson als v on der (wechselnden) S ituation a bhängen. D as »P aradox des subjektiven Wohlbefindens« (Staudinger, 2000) verweist a uf eine Emo tions- und V erhaltensregulation, die mi t ihr en B ewältigungsstrategien und Befriedigungsformen ein ausreichendes Niveau an emotionaler G estimmtheit und L ebenszufriedenheit gewährleistet. 19.4
Was macht die Lebenszufriedenheitskompetenz aus?
Was mac ht dies e Gl ücks- b zw. L ebenszufriedenheitskompetenz a us; w elche p ersonalen Ress ourcen tragen dazu bei? Ein zuf riedenheitserhaltendes P ersönlichkeitsmerkmal ist sicher emotionale Stabilität. Denn die
252
Kapitel 19 · Subjektives Wohlbefinden und Ressourcen im Alter
Allgemeine Lebenszufriedenheit (%)
7
6 8,
9 71 6 5,
6 4,
6
4
6 7,
7 0, 6 6 1,
63
,9
,4 65
4 5 2,
5 2,
4 9,
2
2
5 5 2,
5 4,
1
6 0,
62
8
,3
2 6 3,
,4
4
6 2,
7 63
53
60
5 8,
6 3,
4
3
,1
75
,6
80
7 7,
3
100
40
20
0
20-29 J.
30-39 J.
Männer-West
40-49 J.
Männer-Ost
50-59 J.
Frauen-West
60-69 J.
70-79 J.
Frauen-Ost
⊡ Abb. 19.1. Personen, die sich als sehr zufrieden mit dem L eben im Allgemeinen bezeichnen (Angaben in Prozent), nach Bundesgesundheitssurvey, 1998 (Auszug aus Ellert & Knopf, 1999)
ihm en tgegengesetzte Disp osition, Neurotizismus (emotionale L abilität), lässt b ei a lten M enschen – mehr noch als schlechte Gesundheit – negative Gestimmtheit vorhersagen (Isaacowitz & Smith, 2003). Neurotizismus, die Neigung zu Stimmungsschwankungen, Reizba rkeit, U nzufriedenheit, T raurigkeit und Angst, ist in hohem Maß eine Quelle negativer Gefühle. Dies e Eig enschaft ist üb er die L ebensspanne hin weg wei tgehend b eständig; sie nimm t im hö heren Al ter n ur g eringfügig zu . Emo tionale Labilität und S tabilität s cheinen w eitgehend g enetisch bedingt und darum nur indirekt beeinflussbar zu sein. Dies gilt auch f ür eine w eitere Ress ource: psychologische Widerstandsfähigkeit, Resilienz ge genüber Distress (S taudinger, F reund, L inden &
19
Maas, 1999). Wer mit dieser Eigenschaft ausgestattet ist, wir d von b elastenden Er fahrungen weniger hart getroffen als Sensible mit hoher Vulnerabilität. Doch w er tr otz der er wähnten V erluste und Einschränkungen mi t dem L eben zuf rieden s ein kann, m uss a uch üb er Ress ourcen v erfügen, die nicht a ngeboren sind , s ondern eig ener Emo tions-
und Verhaltensregulation entstammen. Als theoretische Dachkonstruktion, unter der sich viele Beobachtungen dazu eino rdnen lassen, bietet sich das bekannte Modell der selektiven Optimierung mit Kompensation (SOK ) a n (B altes & B altes, 1989; Baltes & Carstensen, 1996). Diesem Ansatz zufolge kann man dann erfolgreich altern, wenn es einem gelingt, a ngesichts der b iologischen, psy chologischen und s ozialen G egebenheiten Entwicklungsaufgaben w ie A utonomie, S elbstverwirklichung und soziale Integration günstig zu lös en und dank seiner Ress ourcen die V erluste mög lichst niedr ig und die Gewinne möglichst hoch zu halten. Dabei sind die persönlichen Ziele und Wertvorstellungen entscheidend (s. ⊡ Tab. 19.2). Selektion ka nn b edeuten, dass ma n b eispielsweise – w eil ma n mi t s einen K räften ha ushalten muss – soziale Kontakte, die einem weniger wichtig sind, einschränkt und Beziehungen, die einem viel bedeuten, intensiviert, optimiert. Optimierung heißt, dass man Fertigkeiten verfeinert und tra iniert, die das w eitere Er reichen der g esetzten Z iele und eine inner e B ereicherung
253
19.4 · Was macht die Lebenszufriedenheitskompetenz aus?
19
⊡ Tab. 19.2. Das Modell der selektiven Optimierung mit Kompensation (SOK) nach Baltes & Baltes (1989); Baltes & Carstensen (1996) Persönliche Ziele →
trotz Beeinträchtigung →
dank Bewältigung durch
▬ Soziale Integration, ▬ Autonomie, ▬ Sinnerfüllung
sozialer Art, biologischer Art, psychologischer Art
Selektion, Optimierung, Kompensation
ermöglichen – seien es Merkfähigkeit, soziale Kontakte o. a. Kompensation ist nötig, wenn man eine Fertigkeit nic ht mehr a usüben ka nn, das Z iel a ber w eiterhin verfolgen will. Wenn etwa ein passio nierter Leser erb lindet und sic h a uf das Anhö ren v on Hörbüchern umstellt; wenn man b ei b eginnender Vergesslichkeit neue Gedächtnisstrategien einsetzt, oder wenn eine B erufsmusikerin, die wegen Arthrose in den Finger- und Handgelenken nicht mehr auftreten ka nn, dies en Verlust d urch das Er teilen von Musikunterricht o der das S chreiben von Kritiken ausgleicht. Im R ahmen dies es M odells s oll hier a uf zw ei grundlegende Verhaltensweisen hin gewiesen w erden: Einer seits a uf B ewältigungsstrategien (»coping«), die die En twicklungsaufgabe lös en s ollen, kritische L ebensereignisse o der D auerbelastungen so zu v erarbeiten, dass sic h F rustration, Traurigkeit, An gst und Är ger in G renzen hal ten und die allgemeine L ebenszufriedenheit tr otz der U nzufriedenheit in Einzelbereichen erhalten bleibt; und andererseits a uf B efriedigungsstrategien, die der Entwicklungsaufgabe dienen, positive Erfahrungen zu erleb en und da mit die L ebenszufriedenheit zu erhalten oder zu steigern. 19.4.1 B ewältigungsstrategien
Je nach Gesichtspunkt kann man verschiedene Bewältigungsstrategien unterscheiden (Künzel-Schön, 2000). B eispielsweise aktive P roblemlösung, die auf die V eränderung ä ußerer G egebenheiten a bzielt – etwa das Suchen einer altersgerechten Wohnung o der das B estellen v on Ess en a uf R ädern – im Unterschied zu emotionsregulierenden Verhaltensweisen wie S elbstermutigung, K ampfgeist oder das Herausstellen der guten Seite einer Sache.
Aus der Er forschung der K rankheitsverarbeitung ist bekannt, dass Grübeln und Hadern, rein passive Kooperation mi t Arzt- und P flegepersonal s owie sozialer Rückzug mit niedrigerer Lebenszufriedenheit einhergehen. Speziell im Hinblick auf die Situation von alten Menschen un terscheidet H irsch (2001) f olgende Kategorien (Zusammenfassung s. ⊡ Tab. 19.3): 1. leistungsbezogene Verhaltensweisen: etwa a uf der V erhaltensebene: r eisen, neue K ontakte knüpfen. B eispiele a uf der k ognitiven Eb ene: neues W issen er werben, p ositive U mdeutungen finden. 2. Anpassungstechniken: B eispiele a uf d er V erhaltensebene sind: sich Merkzettel machen, um das Gedächtnis zu unterstützen; sich langsamer bewegen, um das H erz zu s chonen; S eniorenhilfe und -v ergünstigungen in An spruch nehmen; sich auf das Leben im Heim einlassen. Beispiele a uf der k ognitiven Eb ene: uner füllbare Wünsche zur ückstellen; neue L ebensumstände akzeptieren; die Dinge von der heiteren Seite nehmen. 3. defensive Verhaltensweisen: So tun, als sei nichts geschehen; etwas nicht zur Kenntnis nehmen; an bisherigen L ebensgewohnheiten fe sthalten; b estimmte Gesprächsthemen vermeiden; sich und andere ablenken; auf die eigene Stärke pochen. 4. regressive Verhaltensweisen: etwa wegen jeder Kleinigkeit um R at f ragen; sich innerlich aufgeben, sic h nic hts mehr zu trauen; sic h hilf los zeigen; w einen, v erzagt s ein, nic ht mehr w eiter wissen; dem B etreuer auf Schritt und Tritt folgen. 5. evasive Verhaltensweisen. b eispielsweise einer Situation o der P erson a us dem W eg g ehen; verreisen, f liehen, ausweichen; sich zur ückziehen; sich in Ersatzaktivitäten flüchten; sich auf andere Gedanken bringen.
254
Kapitel 19 · Subjektives Wohlbefinden und Ressourcen im Alter
6. aggressive Verhaltensweisen: anderen grundlos Vorwürfe machen, anklagen, jammern; jemanden er pressen; sic h g ekränkt und v erletzt zeigen oder als Opfer darstellen; jemanden kränken, verletzen. Verluste, die bewältigt werden müssen, sind in erster Linie der Tod des Partners oder naher B ezugspersonen, der Verzicht auf den mit der Berufstätigkeit v erbundenen s ozialen S tatus, die B eeinträchtigung s einer L eistungsfähigkeit s owie u . U. die Abhängigkeit v on P flegepersonen. B eim V erlust von nahest ehenden P ersonen heißt B ewältigung, dass sich der Betroffene seinen Trauerschmerz eingesteht, die da mit v erbundene D epression er trägt und lernt, mit dem Verlust zu leb en (Langenmayr, 1999). N ur s o ka nn er G rübeln und H adern v ermeiden und wie der b efriedigende K ontakte p flegen und sic h neu Er fahrungen ö ffnen, die ein Weiterleben lohnend erscheinen lassen. Die gün stige B ewältigung der a nderen B eeinträchtigungen d ürfte ma ßgeblich v on V orgängen abhängen, die man als kognitive Umstrukturierung zusammenfassen kann: Einerseits kann der er folgreich Al ternde die An sprüche, die er a ns L eben stellt, an das a npassen, was no ch mög lich ist, und mit dies er S enkung des An spruchsniveaus a nhaltende Unzufriedenheit v ermeiden. Dies e S elbstbescheidung wir d o ft erleich tert d urch den s ozialen Vergleich, zumal den A bwärtsvergleich, der einem zeigt, wie andere mit noch größeren Einschränkungen und P roblemen zur echtkommen m üssen und können. Die U mstrukturierung o der N eubewer-
⊡ Tab. 19.3. Zusammenfassung: Reaktionsmuster auf Belastungen im Alter nach Hirsch (2001)
19
Verhaltensweisen
Beispiele
▬ leistungsbezogen
neue Kontakte knüpfen
▬ anpassungsorientiert
sich langsamer bewegen
▬ defensiv
sich und andere ablenken
▬ regressiv
sich nichts mehr zutrauen
▬ evasiv
sich zurückziehen
▬ aggressiv
sich als Opfer darstellen
tung v ermeidet s chließlich die G efahr, zur b loßen Resignation zu w erden, wenn alte Menschen Ziele, die uner reichbar g eworden sind , nic ht n ur hera bstufen, s ondern da für a ndere Z iele, die sic h no ch verwirklichen lassen, aufwerten und s o einen Ausgleich f ür den a kzeptierten Verzicht f inden. Eine solche »k ompensatorische Z ielregulation« (M eier, 1992) k önnte b eispielsweise nac h dem M uster er folgen: »I ch hö re zwa r s chlecht, da rf mein H erz nicht üb eranstrengen und b rauche eine G ehhilfe, doch interessiere ich mich noch für viele Dinge und unterhalte gute B eziehungen zu meinen F amilienangehörigen – und das ist mir n un noch wichtiger als früher und macht mein Leben reich.« 19.4.2 B efriedigungsstrategien
Während B ewältigungsstrategien zum Erhal t v on Lebenszufriedenheit b eitragen, k önnen sie B efriedigungsstrategien nic ht n ur erha lten, s ondern etwas st eigern. N ach einer S tudie v on B runstein (1999) fördert es die Lebenszufriedenheit von älteren Menschen, wenn sie persönliche Ziele haben, die sie f ür erreichbar halten und entschlossen verfolgen. S olche Z iele nannten die b efragten 60- b is 80-jährigen Frauen und M änner vor allem in f ünf Bereichen: (1) Familie (»I ch mö chte die gu te B eziehung, die ich zu meinen Enkeln habe, weiter pflegen.«) (2) Freunde, B ekannte (»I ch mö chte hä ufig meinen Alten-Club besuchen.«) (3) persönliche I nteressen (»I ch mö chte wieder häufiger ins Theater gehen.«) (4) Gesundheit und k örperliche Ak tivität (»I ch möchte ein- b is zw eimal die W oche wa ndern.«) (5) Wohnen, H aushalt, Fina nzen (»I ch suc he einen Job, mit dem ic h meine Ren te aufbessern kann.«) Die Z iele, a us denen a lte M enschen B efriedigung ziehen können, sind je nac h ihren Interessen und Werten individuell verschieden, doch dürften drei Befriedigungschancen sehr verbreitet sein: B efriedigende Ak tivität, emo tional b edeutsame s oziale Beziehungen und p ositives S elbstwertgefühl (s. ⊡ Tab. 19.4).
19.4 · Was macht die Lebenszufriedenheitskompetenz aus?
⊡ Tab. 19.4. Verbreitete Befriedigungsstrategien und -chancen, um persönliche Ziele und Lebenszufriedenheit zu erreichen Befriedigungschancen P
ersönliche Ziele/ Lebenszufriedenheit
befriedigende Aktivität
Autonomie
emotional bedeutsame soziale Beziehungen
soziale Integration
positives Selbstwertgefühl
Lebenszufriedenheit, Wohlbefinden
Nach verschiedenen Studien
Befriedigende Aktivität Für die Al ternsforschung gil t als er wiesen, dass aktive alt e Menschen , s elbst w enn sie nich t g esund sind, mehr W ohlbefinden, Gl ücklichsein und L ebenszufriedenheit erleb en als inak tive (Deusinger & Eb erts, 1995; M enec, 2003; M orrow-Howell, H interlong, Ro zario & T ang, 2003). Dabei fühlen sie sic h wohl nicht nur b esser, weil sie ak tiver sind , s ondern sind a uch ak tiver, w eil sie sic h b esser f ühlen. Die 65- b is 84-jähr igen Deutschen sind vor allem in drei Feldern tätig: im ehrenamtlichen En gagement, in der B etreuung von P flegebedürftigen, s ei es in der eig enen F amilie, sei es außerhalb, und in der B etreuung von Kindern – meist ens der eig enen Enk el (K ohli & Künemund, 1996). I n den USA, w o der P rozentsatz der ehr enamtlich t ätigen Al ten zw eieinhalb Mal s o ho ch ist wie in D eutschland, ha t sic h gezeigt, dass Frauen und Männer über 60, die f ür ihren f reiwilligen Einsatz etwa zw ei Stunden pro Woche a ufwenden, mehr W ohlbefinden ä ußern als jene, die weniger Zeit dafür investieren, gleich, für welche Organisation o der welchen Zweck sie sich engagieren. Befriedigende Ak tivität ka nn in Ga rtenarbeit, im Einsatz für das Rote Kreuz, in der Er forschung der Heimatgeschichte und in ma ncherlei anderem bestehen. Es is t zu v ermuten, dass sie als um so wertvoller erleb t wir d, j e mehr sie – üb er einen bloßen Zeitvertreib hinaus – Motive wie Wirksamsein, K ontrollstreben, W issen, S elbstwertstreben und prosoziales Empfinden befriedigt.
255
19
Emotional bedeutsame soziale Beziehungen Das B edürfnis nac h b edeutsamen s ozialen B eziehungen, An schluss, An teilnahme und Anerk ennung b leibt – al tersgemäß b efriedigt – b is zum Lebensende eine En twicklungsaufgabe und B efriedigungschance. Qua ntitativ nimm t die s oziale Interaktion im Al ter zwa r a b, do ch ist nic ht deren Ausmaß (Lee & M arkides, 1990), s ondern die Stärke der emotionalen Bindungen (Antonucci & Jackson, 1987) en tscheidend für das psy chische Wohlbefinden. So spricht Vieles für die Theorie der sozialemotionalen S elektivität (C arstensen, 1992), wonach a lte M enschen i hre K ontakte absich tlich auf eine Kerngruppe von ausgewählten Sozialpartnern beschränken, weil dies den emo tionalen Gewinn st eigert und die s ozialen und emo tionalen Risiken und Kosten mindert. Der Berliner Altersstudie zufolge bleibt die Besuchshäufigkeit v on K indern und F reunden üb er die J ahre st abil; n ur kinderlos e und v erwitwete Heimbewohner sind ö fter sozial isoliert. Die S ichtung mehr erer S tudien d urch L ehr (2000) er gibt, dass bei Jung und Alt die familiären Beziehungen zu Partner, Kindern, Enkeln und Geschwistern die wichtigste s oziale Ress ource b ilden. I n w estlichen Ländern heißt dies nicht, dass man als Großfamilie in einem H aushalt zus ammen leb t; vielmehr w ollen viele Familienangehörige getrennt wohnen, um die G efahr v on K onflikten zu v ermeiden, jedo ch auch regelmäßige Kontakte pflegen durch Besuche oder Telefongespräche: »Innere Nähe durch äußere Distanz« (Ros enmayr & K öckeis, 1961). N ach einer deu tschen B efragung ha ben 86% der 70- b is 85-jährigen Eltern mindestens einmal wöchentlich Kontakt mit ihren Kindern. Am meisten d ürfte eine zuf riedenstellende Partnerschaft zur L ebenszufriedenheit b eitragen. Während b eispielsweise die Z ufriedenheit v on Männern üb er 70 mi t ihr er S exualität deu tlich abnimmt, b leibt i hre Z ufriedenheit mi t E he und Partnerschaft p raktisch a uf ders elben H öhe w ie in f rüheren Al tersgruppen (F ahrenberg, M yrtek, Schumacher & B rähler, 2000). Of fensichtlich ist die B eziehungszufriedenheit leic hter a ufrechtzuerhalten a ls die Z ufriedenheit mi t der s exuellen Vitalität. Butler und Lewis (1996) sehen denn auch eine Cha nce und En twicklungsaufgabe al ternder Paare da rin, eine »zw eite S prache der S exualität«
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Kapitel 19 · Subjektives Wohlbefinden und Ressourcen im Alter
zu en twickeln, in der »das B edürfnis im V ordergrund st eht, der Z uneigung zur P artnerin/zum Partner s owie der B ewunderung, der V erbundenheit und anderen positiven Gefühlen Ausdruck zu verleihen.« Positives Selbstwertgefühl Keine L ebenszufriedenheit o hne p ositives S elbstwertgefühl! Die F rage, ob sic h dies es im Al ter g egenüber früher verändert, wird von den vorliegenden Untersuchungen uneinheitlich beantwortet, was auch mit den verwendeten unterschiedlichen Messinstrumenten zus ammenhängen d ürfte. W ährend Robins und Trzesniewski (2005) eine Abnahme feststellten, registrierten Bengtson, Reedy und Gordon (1985) eine Z unahme, und nac h Deusinger (1995) weisen 70- b is 79-J ährige mehr S elbstwertgefühl auf als 20- b is 29-Jährige; lediglich Frauen über 80 Jahren zeig en da von w eniger als F rauen zwis chen 60 und 79 Jahren. Selbstwertgefühl ist alles in allem ein ziemlic h st abiles P ersönlichkeitsmerkmal. Angesichts einer in un serer G esellschaft v erbreiteten Neigung, L eistung und V italität als H öchstwerte und die äl tere G eneration ökonomisch als »Al tenlast« zu b etrachten, k önnen sic h al te M enschen bei der A ufrechterhaltung ihr es S elbstwertgefühls kaum auf die öffentliche Meinung stützen, sondern sind auf ihre Selbstbewertung und die B estätigung durch Gleich gesinnte a ngewiesen. N ach B eendigung der B erufsarbeit und E lternrolle m üssen sie ihre S elbstwertschätzung a us der Er innerung a n ihre Le bensleistung, g egebenenfalls a us ih rer aktuellen Rolle als G roßeltern, aus einer ehr enamtlichen T ätigkeit, ihr en I nteressen, K enntnissen und Erfahrungen ziehen. D abei ka nn das Rela tivieren von Vorzügen, die a bnehmen, und das A ufwerten von noch möglichen Leistungen und Eigenschaften im Sinne einer »kompensatorischen Zielregulation« (Meier, 1992) hilfreich sein. 19.4.3 Religiositä t als soziale
und personale Ressource
19
Von den D eutschen üb er 60 J ahren erk lären 55%, dass sie aus dem Glauben »Trost und K raft« ziehen (Noelle-Neumann & K öcher, 2002). Ob wohl ma nche Er gebnisse s chwer zu deu ten sind (Alba ni et
al., 2004), ist gu t b elegt, dass äl tere Menschen, die häufig den Gottesdienst besuchen, persönlich beten oder in der B ibel les en, mehr L ebenszufriedenheit äußern als a ndere, die dies s eltener o der ga r nic ht tun. Von den 17 U ntersuchungen, die dazu in den USA d urchgeführt wur den und die L evin (1997) gesichtet ha t, zeigt en elf eindeu tig einen s olchen Zusammenhang, während sechs keine überzufällige Beziehung a ufwiesen und k eine einzig e b ei den religiösen M enschen eine g eringere L ebenszufriedenheit f eststellte als b ei nic htreligiösen. A uch die Überblicksarbeiten von Idler und Kasl (1992), Koenig et al. (1995) s owie Van Ness und L arson (2002) ergeben, dass religiöse Alte mehr Wohlbefinden und niedrigere nic ht-klinische D epressivität a ufweisen – zumal weniger gesundheitsbezogene Depressivität (Wink, Dillo n & L arsen, 2005). Die K orrelationen sind in all diesen Studien allerdings nicht stark. Diesen positiven Zusammenhang zwischen Religiosität und L ebenszufriedenheit, den ma n auch in a nderen Al tersstufen b eobachtet ha t, erk lären Psychologen g ewöhnlich da mit, dass r eligiöser Glaube B ewältigungsstrategien un terstützen und mit dieser Pufferwirkung im Hinblick auf Depressivität protektiv wirken kann; indes heben Soziologen die soziale Unterstützung durch die Kirchen-, Synagogen- oder Moscheegemeinde her vor. B eide Ressourcen, die s oziale und die p ersonale, sind nachgewiesen. Z ur p ersonalen Gla ubensressource gehören a ber w ohl nic ht n ur r eligiös mo tivierte Bewältigungs- s ondern a uch B efriedigungsstrategien, denn religiöses Erleben wurzelt nicht nur im Streben nac h si tuationsbezogener und emo tionaler K ontrolle b ei b edeutsamen L ebensereignissen, sondern auch in anderen Motiven (Grom, 2007). Bei einer qualitativen Befragung von 55 Personen, die im R ahmen des B etreuten Wohnens b egleitet wurden, haben sich folgende religiösen Bewältigungsformen hera uskristallisiert: S ie s etzten ihren Glauben ein, um die K ontinuität mit ihrem früheren Leben aufrechtzuerhalten, sich Linderung in ihren körperlichen und emo tionalen Beschwerden zu verschaffen, Zugang zu einer Gemeinschaft zu finden, sich Mut zu mac hen, einen L ebenssinn aufrechtzuerhalten und sic h auf den Tod vorzubereiten ( Patterson, Ki ng, B all, Wh ittington & P erkins, 2003). Diese Liste ist sicher nicht vollständig. In den USA wur de – b ei Personen verschiedenen
257
19.5 · Ausblick
Alters – f estgestellt, dass eine k ooperative Gla ubenseinstellung, die die B eziehung zu G ott als Er mutigung zur S elbsthilfe a uffasst, st ärker mi t L ebenszufriedenheit einher geht als eine r ein passi ve Einstellung, die alles G ott überantwortet, oder die Auffassung, B eschwerden s eien eine S trafe G ottes (Pargament, 1997). Eine umfass ende und a bgesicherte Theorie dazu gibt es nicht, doch kommt folgenden Hinweisen ein ho hes Maß an Plausibilität zu. Im Hinblick auf Bewältigungsstrategien kann eine Gla ubenseinstellung, die die Emo tions- und Verhaltensregulation beeinflusst, ▬ bei Trauer und Schmerz zur Klage vor Gott ermutigen, was – g esprächspsychotherapeutisch betrachtet – die A useinandersetzung mi t den negativen Gefühlen fördern und innerhalb des Trauerprozesses ei ne t ranssoziale U nterstützung erfahren lassen kann; ▬ die Übergeneralisierung von Negativerfahrungen (»I ch w erde nie mehr g lücklich; es ha t alles k einen S inn mehr«) als un vereinbar mi t dem Gla uben a n einen gu ten S chöpfer wahr nehmen und zur S uche und A ufwertung v on noch mög lichen P ositiverfahrungen im Sinne der er wähnten k ognitiven U mstrukturierung anregen; ▬ mit der H offnung a uf ein e wiges L eben das Denken a n den T od en tkatastrophisieren und mit der eigenen Sterblichkeit versöhnen. Im Hinblick auf die genannten Befriedigungsstrategien ka nn eine f ür die Emo tions- und V erhaltensregulation bedeutsame Glaubenseinstellung ▬ im b efriedigenden T ätig- und N eugierigsein eine sinnvolle Weise erblicken, die S chöpfung Gottes zu b earbeiten und zu erk unden, o der auch – w enn mög lich – in einem ehr enamtlichen s ozialen En gagement Nächstenliebe zu üben; ▬ in emotional b edeutsamen s ozialen B eziehungen etwas v om I deal der G eschwisterlichkeit erleben lassen. Dass gläubige Eheleute eine etwas höhere Beziehungszufriedenheit berichten als a religiöse, ist wahr scheinlich da mit zu er klären, dass sie Partnerschaft höher bewerten; ▬ bezüglich des Selbstwertgefühls – entgegen den erwähnten g esellschaftlichen T endenzen zur Abwertung des Al ters – dem M enschen unab-
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hängig von Alter, Leistungsfähigkeit, Attraktivität und Eink ommen den S tatus eines P artners/ Gottes als am wichtigsten zuerkennen. ▬ durch ihr e K ultur der D anksagung, wie sie auch einfac hen Glä ubigen d urch L ieder und Gebete v ermittelt wir d, die B ereitschaft f ördern, ve rgangene u nd ge genwärtige P ositiverfahrungen stärker zu beachten und dadurch die Lebenszufriedenheitsbilanz zu verbessern. 19.5 A usblick
Die psychologische Lebensberatung muss die u. U. fortgeschrittenen und nic ht umk ehrbaren Einschränkungen und V erluste k örperlicher, neur ologischer und s ozialer Ar t, die al te K lienten b elasten, er nst nehmen. S ie da rf die G renzen der noch möglichen Befriedigungsmöglichkeiten nicht verkennen – die er wähnten Chancen, die L ebenszufriedenheit zu erha lten o der wie derzuerlangen, aber auch nicht gering s chätzen. B erater und K lient s ollten sic h v or v erfrühter Resigna tion h üten. Altersstereotype wirk en a ls sich s elbst er füllende Prophezeiungen: N egative Vorstellungen m indern die G edächtnisleistung, das S elbstvertrauen und die körperliche Gesundheit, während positive diese Bereiche gün stig b eeinflussen (L evy, H ausdorff, Hencke & W ei, 2000). H elfen ka nn die B eratung dadurch, dass sie die U mstellung a uf die g ewandelte Situation begleitet und im v erstehenden und anregenden G espräch die L ebenszufriedenheitskompetenz des Klienten stärkt. Schematisierend ka nn die I ntervention in f olgende Schritte gegliedert werden: 1. Bestandsaufnahme: Was em pfindet der K lient an s einer S ituation als un befriedigend? B elastungen, V erluste, uner füllte Er wartungen, innere Leere? 2. Wie ha t er b isher v ersucht, s eine B eeinträchtigungen zu v erarbeiten und s ein B efinden zu verbessern? 3. Ress ourcensuche: Einerseits: Welche Bewältigungsversuche könnten angemessener und ef fizienter sein, um die Belastungen aufzufangen? Andererseits: Welche Positiverfahrungen k önnen v erstärkt g esucht w erden? W elche Z iele,
258
Kapitel 19 · Subjektives Wohlbefinden und Ressourcen im Alter
Werte (H öherbewertungen? ) und I nteressen lassen sich a ktivieren, um s o b efriedigende Tätigkeit, s oziale B eziehungen, S elbstwertgefühl und andere Erfüllungen zu gewährleisten, und welche weltanschaulichen Überzeugungen können Kraft und Sinn vermitteln? Ein Schema dafür gibt es nic ht, s ondern nur den »s okratischen Dialog« (Frankl, 1982).
Literatur
19
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259
19
V
Teil V Neuroanatomie und Biochemie des Wohlbefindens Kapitel 20
Neuronale Grundlage positiver Emotionen
Kapitel 21
Neuromodulatorische Einflüsse auf das Wohlbefinden: Dopamin und Oxytocin – 273 Momentanes körperliches Wohlbefinden Ressourcen-Checkliste
– 289
Stichwortverzeichnis – 293
– 263
– 285
20
Neur onale Grundlage positiver Emotionen Rudolf Stark u. Sabine Kagerer 20.1
Einleitung und Überblick
– 264
20.2
Positive Emotionen und ihre Auslöser – 264
20.3
Emotionen im Gehirn
– 265
20.3.1 Limbisches System – neuronale Basis der Emotion 20.3.2 Belohnungssy stem – 267
20.4 Empirische 20.5
Befunde
– 268
Zusammenfassung und Ausblick Literatur –
271
– 270
– 266
264
Kapitel 20 · Neuronale Grundlage positiver Emotionen
20.1
Einleitung und Überblick
In dies em K apitel g eht es um die F rage, was im Gehirn passiert, wenn positive Gefühle – eine zentrale F acette v on Wohlbefinden – erleb t w erden. Moderne b ildgebende V erfahren wie die P ositronen-Emissions-Tomographie und in sbesondere die f unktionelle K ernspintomographie ha ben sic h im letzt en J ahrzehnt zu s ehr wic htigen U ntersuchungsinstrumenten in den N eurowissenschaften entwickelt, da sie die o rtsbezogene M essung der neuronalen Aktivität im G ehirn ermöglichen. Die funktionelle K ernspintomographie we ist ge genüber der P ositronen-Emissions-Tomographie den Vorteil a uf, dass sie ein nic ht-invasives Verfahren ohne bekannte Nebenwirkungen darstellt. Die experimentelle Untersuchung positiver Gefühle im Humanbereich erfordert verschiedene konzeptuelle Klärungen. Deshalb werden im folgenden Abschnitt zunäch st einma l v erschiedene A spekte positiven Erleb ens t hematisiert. D anach f olgt ein Überblick über die wichtigsten Hirnstrukturen, die bei der emo tionalen Verarbeitung generell und b ei dem Erleben positiver Emotionen spezifisch, beteiligt sind. Schließlich werden exemplarische Studien vorgestellt, die im H umanbereich die B edeutung des B elohnungssystems f ür das Erleb en des p ositiven Af fekts zeig en. H ierbei w erden S tudien v ertieft dargestellt, in denen erotische Reize verwendet wurden, um A ppetenz a uslösen. Die V erwendung solcher Stimuli hat den Vorteil, dass 1. mit starken Effekten zu rechnen ist, da das Reagieren auf sexuelle Reize sehr stark biologisch determiniert ist, sich 2. in vielen Arb eiten g ezeigt ha t, das s U ntersuchungsteilnehmer d urch er otische B ilder in eine a usgeprägte p ositive S timmung v ersetzt werden können und schließlich 3. hier ein F orschungsschwerpunkt in un serer Arbeitsgruppe liegt.
20
Diese S chwerpunktbildung b edeutet nich t, dass die A utoren da von a usgehen, dass das Re agieren auf s exuelle Reize zen tral f ür das W ohlbefinden insbesondere von Patienten sei. Viel mehr k önnen Studien in dies em F orschungsfeld a ufgrund der oben a ufgeführten V orteile a ls p aradigmatische Vorlagen f ür zukünftige Studien dienen, die da nn
weitere, mög licherweise t herapeutisch wich tigere, Aspekte des Wohlbefindens untersuchen. Eine Z usammenfassung r undet dies es K apitel ab. 20.2
Positive Emotionen und ihre Auslöser
Emotionen werden oft umgangssprachlich mit Gefühlen g leichgesetzt. D abei sind p ositive Emo tionen mi t einem angenehmen, nega tive Emo tionen mit einem una ngenehmen Affekt verbunden. Tatsächlich geht man aber in der Emo tionsforschung heute da von a us, da ss da s Ge fühl al s s ubjektive Erlebensentität n ur einen T eilaspekt v on Emo tionen da rstellt. D aneben w erden Emo tionen in der Regel von charakteristischen Kognitionen begleitet und Emotionen lösen motorische Handlungen aus, die aus komplexen Handlungssequenzen bestehen können, aber auch mimisches Ausdrucksverhalten umfassen. Ergänzt wird das emotionale Geschehen durch körperliche Veränderungen, die sich z. B. in endokrinologischen o der imm unologischen P arametern, a ber a uch in V eränderungen a utonomer Reaktionen wie der H erzrate wider spiegeln k önnen. D eshalb s chlagen verschiedene Emotionsforscher, wie z. B. L ang (1993) v or, dass emo tionale Geschehen a uf mindestens dr ei Eb enen zu b eschreiben: einer sub jektiv emotionalen Eb ene, die nur d urch I ntrospektion und B efragung er fasst werden kann, einer mo torischen Verhaltensebene, die z. B. d urch V erhaltensbeobachtung g emessen werden kann und einer a utonom-physiologischen Ebene, die üb er g eeignete M essaufnehmer r egistriert werden kann. Biologisch orientierte Emotionsforscher wie Ekman (1992), Panksepp (1998) o der Öhman (2001) gehen da von a us, dass die E volution neur onale Netzwerke her vorgebracht ha t, die den Or ganismus in die Lage versetzen, auf bestimmte Umweltsituationen o ptimal, d . h. z. B. mög lichst s chnell im F all einer ak tuellen B edrohung, zu r eagieren. In dies er K onzeption er geben die Re aktionen a uf den v erschiedenen Eb enen Sinn: D as sub jektive Gefühl mo tiviert zur Annäher ung o der A bwendung, der mimis che Ausdruck kann der s chnellen Kommunikation mit den Ar tgenossen dienen und die p hysiologischen V eränderungen b ereiten den
20.3 · Emotionen im Gehirn
Organismus z. B. auf muskuläre Reaktionen vor. In dieser Denktradition geht man davon aus, dass es eine b estimmte Anzahl v on B asisemotionen gib t, die sich dadurch auszeichnen, dass sie: 1. ein spezifisches physiologisches Grundmuster besitzen, 2. univ ersal sind, also in allen K ulturen vorkommen 3. ont ogenetisch früh auftreten 4. einen hohen ev olutionären A npassungswert besitzen.
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20
Positive Emotionen werden in der Reg el durch Reize in der U mwelt ausgelöst, können aber prinzipiell a uch d urch in terne S timuli wie G edanken ausgelöst w erden. Dies e Reize k önnen dir ekt b elohnend (p ositive V erstärker) o der indir ekt dadurch b elohnend wirk en, indem sie b estrafende Ereignisse v ermeiden. B ei den p ositiven Verstärkern wird weiter zwischen primären und sekundären Verstärkern unterschieden. Primäre Verstärker lösen p er s e p ositive Emo tionen a us, o hne dass hierzu L ernen nö tig wä re. F ür die Exis tenz v on angeborenen p rimären V erstärkern sp richt, dass schon Sä uglinge f ür alle S inneskanäle zwis chen angenehm und una ngenehm un terscheiden. Z um Beispiel wird ein süßer G eschmack einem bitteren Geschmack v orgezogen, o der ein unf reundliches Gesicht löst Fl ucht, ein f reundliches G esicht Z uwendung aus. Zu beachten ist, dass der Anreizwert von p rimären Verstärkern v on der ak tuellen B edürfnislage a bhängt. Ein o pulentes Ess en löst b ei einem na hrungsdeprivierten M enschen sicherlich andere Reaktionen aus, als bei jemandem, der kurz vorher gerade eine M ahlzeit b eendet ha t. S ekundäre Verstärker setzen Lernprozesse meist in Form klassischer o der o peranter K onditionierung mi t primären Verstärkern v oraus. S o ist zum B eispiel der An blick v on G eld erst b elohnend, w enn der symbolische Wert von Geld gelernt wurde. Ein we iterer w ichtiger A spekt von R eizen ist nach Berridge (1996) die F rage, ob sie ein W ollen/ Begehren (»wa nting«) und ein M ögen/Genießen (»liking«) auslösen. Der Anblick eines wunderschön dekorierten Eisbechers erzeugt in der Regel ein positives Gefühl, das v erbunden ist mi t dem Wunsch des Einverleibens (Wollen/Begehren). Der Verzehr dieses Eisbechers erzeugt einen unmi ttelbaren Genuss und Befriedigung (Mögen/Genießen).
Je nach Autor werden aber verschiedene Anzahlen von Basisemotionen postuliert: Izard (1992) nimmt z. B. 10, Pl utchik (1989) 8 und P anksepp (1998) 7 Basisemotionen a n. I nteressanterweise w erden in allen T axonomien mehr nega tive a ls p ositive B asisemotionen b eschrieben, was da rauf hindeu ten könnte, dass den p ositiven Emo tionen b isher zuwenig Aufmerksamkeit in der Forschung geschenkt wurde. Dem K onzept v on distink ten B asisemotionen steht ein dimen sionaler An satz g egenüber, der a nnimmt, dass es ein Annäherungs- und Vermeidungssystem gibt, und dass sic h die Emotionen darin unterscheiden, welches der beiden Systeme mit welcher Intensität aktiviert wird. Schon Wundt (1903) nahm an, dass sich alle Emotionen auf zwei grundlegenden Dimensionen abbilden lass en, nämlich Valenz und Erregung. V alenz b eschreibt hierb ei, ob etwas als angenehm oder unangenehm erlebt wird und Er regung gibt die Intensität eines Gefühls an. Den b iologisch-orientierten The orien stehen kognitionspsychologische Emotionsmodelle gegenüber: M odelle wie das v on S chachter und S inger (1964) oder Scherer (1984) nehmen an, dass Emotionen das Ergebnis von Bewertungsprozessen sind. Inzwischen wer den verst ärkt Versuche u nternommen, dies e v erschiedenen An sätze zu in tegrieren. Stemmler (2002) z. B. verbindet in seinem 20.3 Emotionen im Gehirn Modell der B asisemotionssysteme v erschiedene biologisch orientierte Emotionstheorien und komIs emotion a mag ic pr oduct, or is it a ph ysiobiniert sie mi t kognitiven Ansätzen. Er nimm t an, logic process which depends on an anat omic dass die Ak tivierung eines B asisemotionssystems? mechanism (P apez, 1937) von v erschiedenen G efühlen b egleitet s ein ka nn. Das ak tuelle G efühl r ichtet sic h da nach, in w el- In diesem Kapitel werden die Strukturen im Gehirn chem Ausmaß das Ziel eines aktivierten Basisemo- beschrieben, die nac h heutigem Kenntnisstand am tionssystems erreicht wurde. emotionalen G eschehen b eteiligt sind. Ein Pio nier
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Kapitel 20 · Neuronale Grundlage positiver Emotionen
der b iologischen G rundlagen v on Emo tionen wa r der N europathologe P apez (1937). P apez iden tifizierte die M ammilarkörperchen, den H ypothalamus, den Thalamus, den anterioren zingulären Kortex, den Hippokampus und die Fornix als Teile eines neuronalen Netzwerkes, das eine sp ezifische Ro lle bei der emotionalen Verarbeitung spielen sollte und später nach ihm als P apez-Kreis bezeichnet wurde. Seine Arb eiten wur den v on M acLean (1949) f ortgeführt, der s chließlich den B egriff des lim bischen Systems etablierte, der ursprünglich auf Brocas Arbeit über den »grand lobe limbique« (1878) zurückgeht. Dieses im Gehirn weit verzweigte System fasst die Strukturen zusammen, die bei der emotionalen Verarbeitung v on B edeutung sind , w obei es zum Teil un terschiedliche A uffassungen da rüber gib t, welche S trukturen im Einzelnen dem lim bischen System zuzur echnen sind , und w elche nic ht. I m Folgenden werden die wic htigsten Strukturen und ihre Funktionen kurz beschrieben. 20.3.1 Limbisches System – neuronale
Basis der Emotion
Das L imbische System b esteht aus Strukturen des Mittelhirns (v entrales t egmentales Ar eal, zen trales H öhlengrau), des Z wischenhirns (Thala mus, Hypothalamus) und des Endhir ns (Amygdala, insulärer K ortex, or bitofronaler K ortex, an teriorer zingulärer K ortex, H ippokampus, B asalganglien). Die B edeutung der einzelnen S trukturen s oll a n einem Beispiel erläutert werden. Das zugrunde gelegte neur obiologische Emo tionsmodell in tegriert vor allem die Arb eiten v on Ro lls (1999), L eDoux (2000) und Damasio (1994). Beispiel
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II
Stellen Sie sich vor, es ist ein heißer Tag, sie haben Hunger, stehen vor einer Eisdiele und sehen ein Plakat mit dem oben schon er wähnten Eisbecher. Sie fühlen sich durch das Bild sehr angesprochen, betreten die Eisdiele und geben sich dem gustatorischen Genuss des Eisverzehrs hin. Was sind die zu dieser Verhaltenssequenz korrespondierenden Prozesse im Gehirn?
In ⊡ Abb. 20.1 ist die T opographie der wic htigsten Strukturen und der en f unktionelles Z usammenspiel da rgestellt. Z unächst wir d die visuelle I nformation in der Retina des A uges in N ervenimpulse umgesetzt. Dies e w erden wie nahezu alle s ensorischen Eingänge zunächst im Thalamus umgeschaltet, weshalb er auch als Tor zum Kortex bezeichnet wird. Nach den Arb eiten von L eDoux (2000) g eht man heute davon aus, dass es v om Thalamus zwei parallele Wege der weiteren Verarbeitung gibt, nämlich einem schnellen, aber »ungenauen« Weg direkt zur Amygdala und ein hierzu im V ergleich langsameren, aber elaborierteren Verarbeitungsweg üb er den K ortex zur Am ygdala. D er Am ygdala k ommt die zentrale Aufgabe zu, die emotionale Bedeutung einer Wahrnehmung zu b estimmen. Das Faszinierende an der Vorstellung einer direkten Verbindung vom Thalamus zur Amygdala liegt darin, dass diese emotionale Verarbeitung o hne B ewusstheit a blaufen ka nn. Z um Z eitpunkt des Ein treffens der I nformation im Thalamus wissen wir noch nicht, was wir g erade s ehen. Trotzdem k önnen p hysikalische Charakteristika der Reize dazu f ühren, dass wir uns unmittelbar angezogen oder abgestoßen fühlen, ohne dass wir wiss en wa rum. Dies e v orbewusste Verarbeitung f unktioniert wa hrscheinlich b ei e volutionär b edeutsamen Reizen, wie z. B. S chlangen und Spinnen. Ob auch positive Reize so verarbeitet werden k önnen, ist no ch nic ht b ekannt. D er üb liche Verarbeitungsweg geht im F alle eines visuellen Stimulus über den Okzipitallappen, in dem die primäre und s ekundäre vis uelle Verarbeitung er folgt. Über den weiteren Verarbeitungsweg im Temporallappen erkennen wir schließlich die Bedeutung des Gesehenen, wobei hier Gedächtnisspuren, also Lernerfahrungen von großer Bedeutung sind. Für Gedächtnisleistungen ist ein in takter Hippokampus, der im S chläfenlappen liegt, V oraussetzung. W ie oben schon erwähnt wird nun das Gesehene einem Bewertungsprozess un terworfen, w obei hier der Amygdala im Zusammenspiel mit dem orbitofrontalen Kortex, dem Teil des Frontallappens, der über den Augenhöhlen liegt, zukommt. Beide Strukturen sind s ehr st ark wechselseitig mit anderen Strukturen des Gehirns verbunden. Falls das Ergebnis dieses B ewertungsprozesses da rin b esteht, dem Reiz eine Bedeutung einzuräumen – egal ob positiv oder negativ – w ird dem O bjekt mehr A ufmerksamkeit
20.3 · Emotionen im Gehirn
geschenkt. Hierbei ist der anteriore zinguläre Kortex von besonderer Bedeutung, der in V erbindung
mit Aufmerksamkeitsnetzwerken im Parietallappen und dem do rsolateralen präfrontalen Kortex steht. Ist die B edeutung einer Si tuation erka nnt, w erden durch R ückprojektionen d er A mygdala d ie vor verarbeitenden S trukturen im H interhauptlappen und im S chläfenlappen zus ätzlich r eaktiviert um eine optimale Informationsverarbeitung zu gewährleisten. Die Am ygdala ist ef ferent en g mi t dem Hypothalamus und dem zentralen Höhlengr au im M ittelhirn v erbunden. Dies e Ef ferenzen st euern die p hysiologischen B egleiterscheinungen der Emotion, z. B. dass einem das W asser im M unde zusammenläuft. Dem präfrontalen Kortex kommt die Rolle des Regisseurs zu. Hier laufen die kognitiven Prozesse ab, die zielg erichtete Handlungen zur Folge haben, die über die Basalganglien in offenes Verhalten münden. Nach Damasio (1998) wird eine Handlungsentscheidung ma ßgeblich v on f rüheren
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emotionalen Er fahrungen b eeinflusst. K örperliche Erfahrungen in früheren Situationen dienen als sog. somatische M arker, die un s un bewusst zu H andlungen v eranlassen, die mi t a ngenehmeren Er innerungen verbunden sind. Hierbei kommt dem assoziativen soma tosensorischen Kortex und dem insulären Kortex offensichtlich eine wic htige Rolle zu. Die hier b eschriebenen P rozesse d ürften w eitgehend sowohl bei negativen, als auch bei positiven Emotionen a blaufen. Er gänzend und da mit sp ezifisch f ür p ositive Emo tionen wir d a ber das s og. Belohnungssystem im v entralen S triatum d urch angenehme Reize stimuliert. 20.3.2 B elohnungssystem
Ein M eilenstein in der Er forschung p ositiver G efühle st ellte die zufällig e En tdeckung des B elohnungssystems d urch Olds und M ilner in den 50-
⊡ Abb. 20.1. Pfade der emotionalen Verarbeitung bei positiv en visuellen Reiz en. Am y=Amygdala; AZK=ant eriorer zingulär er Kortex; NAcc=Nucleus Accumbens; OfK=orbitofrontaler Kortex; OK=okzipitaler Kortex; Thal=Thalamus
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Kapitel 20 · Neuronale Grundlage positiver Emotionen
er J ahren des letzt en J ahrhunderts da r (1950). I n ihren E xperimenten mi t R atten b eobachteten sie, dass elek trische Reizun gen in b estimmten H irnarealen offensichtlich extrem positiv erlebt wurden. Konnten R atten sic h s elbst üb er Tastendrücke in diesen Regio nen stim ulieren, v erloren sie jeg liches I nteresse an ander en A ktivitäten, sie gab en sogar das F ressen a uf. S tattdessen dr ückten sie bis zu 5000mal in der S tunde die Taste, was ihnen offensichtlich hö chste Gl ücksgefühle ver mittelte. Die a m B elohnungssystem b eteiligten S trukturen umfassen B ereiche im H irnstamm als a uch das entwicklungsgeschichtlich f rüh en tstandene S triatum im G roßhirn mi t dem N ucleus A ccumbens als der wichtigsten Struktur im Belohnungssystem. Neuere Arb eiten k onnten die b esondere B edeutung des Nucleus Accumbens bestätigen. In einem Überblicksartikel trägt B erridge (2003) tier experimentelle B efunde und L äsionsstudien im H umanbereich zus ammen, die naheleg en, dass dem Nucleus A ccumbens s owohl b eim Wollen/Begehren als a uch b eim Mögen/Genießen eine zen trale Rolle zukommt, wobei bei letzterem besonders ein spezifischer Bereich des Nucleus Accumbens beteiligt zu s ein scheint, der s ehr viele Opiatrezeptoren enthält. Auf die b esondere B edeutung des N eurotransmitters D opamin im B elohnungssystem g eht Kap. 21 ein. 20.4 Empirische
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Befunde
Die empirische G rundlage f ür die in Kap. 20.3.2 dargestellte f unktionelle Neuroanatomie der p ositiven Emo tionen b ilden v or a llem t ierexperimentelle Studien. Im Folgenden werden Untersuchungen v orgestellt, die b elegen, dass a uch b ei M enschen p ositive G efühle mi t der Ak tivierung des Belohnungssystems ein hergehen. Hierbei liegt ein Schwerpunkt auf Experimenten, die sexuelle Reize zur Induktion positiver Gefühle verwendeten. Mittlerweile wur den einig e s ehr un terschiedliche und z. T. s ehr einfallsr eiche U ntersuchungen durchgeführt, bei denen Menschen in positive Stimmungen versetzt wurden, während ihre Hirnaktivität g emessen wur de. I n nahezu allen dies en Experimenten zeigt e sic h, dass hedo nistische G efühle mit Reaktionen in v erschiedenen Strukturen
wie der Amygdala, des insulären Kortex, des anterioren zingulären Kortex o der des o rbitofrontalen Kortex einher gingen, alles S trukturen, die hä ufig aber auch b ei negativen Emotionen aktiviert werden. D as s pezifische a n den p ositiven G efühlen scheint a ber die B eteiligung des B elohnungssystems und hier in sbesondere die des N ucleus A ccumbens zu sein. Eine Ak tivierung des B elohnungssystems fa nden b eispielsweise B lood und Z atorre (2001) b ei ihren U ntersuchungsteilnehmern, die d urch ihr e Lieblingsmusikstücke in eine p ositive S timmung versetzt wur den. I n a nderen S tudien (K nutson et al ., 2001; K irsch et al ., 2003) k onnte g ezeigt werden, dass s elbst die A ussicht a uf B elohnung schon zu einer Ak tivierung des B elohnungssystems führen kann. In diesen Experimenten konnten Teilnehmer Geld verdienen, wenn sie bei einer Aufgabe s chnell g enug r eagierten. S mall, Z atorre, Dagher, Evans und J ones-Gotman (2001) zeigt en, dass Schokolade das Belohnungssystem von hungrigen U ntersuchungsteilnehmern a ktivierte, d ass aber dies e W irkung mi t zunehmender Sä ttigung der T eilnehmer vers chwand. A uch mens chliche Nähe, Vertrauen und Sicherhei t lös en in der Regel p ositive Emo tionen a us. U m die neur onale Korrelate dies er G efühle zu un tersuchen, f ührten B artels und Z eki (2000) eine U ntersuchung durch, in der sie die neur onalen Re aktionen v on Untersuchungsteilnehmern v erglichen, w enn sie entweder die B ilder v on i hren g eliebten P artnern sahen oder Bilder von Freunden. In einer anderen Studie wur den Müttern en tweder die B ilder i hrer eigenen Babys oder die von fremden Babys gezeigt (Nitschke et a l., 2004). I n b eiden U ntersuchungen fa nden sich a llerdings k eine Ak tivierungen im B elohnungszentrum, s ondern v or allem Ak tivierungen im a nterioren zin gulären K ortex und im o rbitofrontalen K ortex. M öglicherweise wa ren methodische S chwächen (z. B. S tichprobenumfang) f ür das N icht-Auffinden einer Ak tivierung im Belohnungssystem verantwortlich. Zunehmend wer den U ntersuchungen ve röffentlicht, die die W irkung v on s exuellen Reizen auf das men schliche G ehirn un tersuchen. S exuelle Reize ha ben einen ho hen Anr eizwert ("s ex sells") und s exuelle B efriedigung wir d hä ufig als der I nbegriff k örperlichen G enusses g esehen. D a
20.4 · Empirische Befunde
das Re agieren a uf s exuelle Reize V oraussetzung für die W eitergabe v on G enen a n nac hfolgende Generationen ist, kann man davon ausgehen, dass die durch Erotika ausgelöste Anreizmotivation auf phylogenetisch s ehr al ten H irnmechanismen b eruht. I n en tsprechenden U ntersuchungen ka men entweder Imaginationen (Rauch et al ., 1999), er otische B ilder (Mouras et a l., 2003; H amann et a l., 2004) o der a m hä ufigsten Filme (S toléru et al ., 1999; B eauregard et al ., 2001; Ar now et al ., 2002) zum Einsatz. Auch in dies en Studien wurden viele Hirnstrukturen ak tiviert, die nic ht sp ezifisch f ür den positiven Affekt sind. Dies wa ren unter anderem die Am ygdala, der Thala mus, der p räfrontale Kortex, der a nteriore zinguläre Kortex, der H ypothalamus, der in suläre Kortex, ausgedehnte B ereiche im visuellen K ortex, und in einig en S tudien auch der Nucleus Accumbens. Die bisher dargestellten Studien zielten darauf ab, s exuelle Er regung, a ber nich t s exuelle B efriedigung, zu erzeug en. Tatsächlich gibt es a ber auch eine Studie von Holstege, Georgiadis, Paans, Meiners, va n der G raaf und Reinder s (2003), die die neuronalen G eschehnisse währ end eines Or gasmus untersucht haben. Hierbei wurden 11 Männer in einem PET S canner von ihren Partnerinnen bis zum Or gasmus ma nuell stim uliert. N icht üb erraschend, wurde zum Z eitpunkt des Or gasmus eine vermehrte neuronale Aktivität im B elohnungssystem beobachtet, was wieder um die b esondere B edeutung dieses Systems für hedonistische Gefühle dokumentiert. In eigenen Untersuchungen sind wir der F rage nachgegangen, ob die Aktivierung des Belohnungssystems einfac h d urch die s exuellen Reize p er s e ausgelöst w erden, als o r eizimmanent ist, o der ob die Aktivierung des Belohnungssystems die individuellen sexuellen Präferenzen widerspiegelt. Zur Beantwortung dieser Frage hat unsere Arbeitsgruppe in zw ei S tudien un tersucht, ob und wie die neur onalen Re aktionen zw eier G ruppen unterschiedlich ausfallen, wenn die gezeigten Erotika v on ih nen e ntweder al s h och a ttraktiv od er als a bstoßend ein gestuft w erden. I n einer er sten Studie (Stark et al ., 2005) wur de eine G ruppe von Männern und F rauen (6 M änner und 6 F rauen), die sic h s elbst als Sado masochisten b ezeichneten, mit einer gleich großen Gruppe von Männern und
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Frauen v erglichen, die w eder s adomasochistische Erfahrungen b esaßen no ch dies e wün schten. Die Gruppe der Sado masochisten wa ren k eine Sadomasochisten im p athologischen S inne, s ondern sind b esser als V ertreter einer S ubkultur v on s exuell E xperimentierenden zu v erstehen, deren s exuelle Lust eng mit Dominanz und U nterwerfung verknüpft is t, w obei sie b ei ihr en P raktiken das gegenseitige Ein verständnis b etonen. Einen Einblick in dies e Subkultur in D eutschland bietet die Untersuchung von Wetzstein et al. (1994). In der v on un s d urchgeführten k ernspintomographischen U ntersuchung s ahen die b eiden Gruppen neben neutralen und ek elinduzierenden Bildern entweder Bilder mit eindeutigem Anreizwert f ür s adomasochistische U ntersuchungsteilnehmer (z. B. eine nac kte g efesselte F rau o der einen nackten Mann, der a n einem H alsband geführt wir d) o der B ilder, die zu vor v on heter osexuellen M ännern und F rauen o hne s adomasochistische N eigungen als s exuell ho ch er regend eingestuft wur den. B eide G ruppen st uften die sexuelle A ttraktivität der g ezeigten B ilder nac h dem Experiment ein. Das Ergebnis zeigt, dass die nicht sadomasochistischen Untersuchungsteilnehmer die B ilder mi t s adomasochistischem I nhalt als s ehr w enig s exuell er regend b eurteilten, während umgekehrt die Untersuchungsteilnehmer mit sadomasochistischer s exueller Or ientierung zwa r ihr sp ezifisches er otisches M aterial mi t A bstand als a m s exuell er regensten ein stuften, a ber a uch bei den Er otika o hne exp liziten s adomasochistischen B ezug eine a usgeprägte sexuelle Attraktivität angaben. Die Ana lyse der neur onalen Ak tivität zeigte, dass die emotionalen Bilder, also die erotischen und die ekelinduzierenden Bilder, im Vergleich zu den neutralen B ildern a usgeprägte Ak tivierungsherde in visuellen Arealen hervorbrachten, was durch die erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber diesen Bildern erklärt w erden ka nn. W eiter f ührten die emo tionalen B ilder una bhängig v on der indi viduellen Präferenz zu erhö hter neur onaler Ak tivität in der Amygdala. Eine gr uppenspezifische Ak tivierung wurde a ber im N ucleus A ccumbens b eobachtet: Das er otische B ildmaterial f ührte b ei der jenigen Untersuchungsgruppe, d ie d ieses M aterial b evorzugte, zu signif ikant hö heren Ak tivierungen im
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Kapitel 20 · Neuronale Grundlage positiver Emotionen
Belohnungssystem als dies bei der anderen Gruppe der Fall war. In einer zw eiten no ch un veröffentlichten S tudie wurden die Re aktionen von 11 homosexuellen Männern mit denen v on 10 het erosexuellen Männern verglichen, wenn sie entweder homosexuelles oder heterosexuelles erotisches Bildmaterial sahen. Anders als in der vorherigen Studie wurde die sexuelle Attraktivität der Bilder nicht nach der Untersuchung, sondern direkt nach j eder Bildpräsentation im Magnetresonanztomographen erhoben. Wieder zeigte sic h ein signif ikanter U nterschied im B elohnungssystem zwischen den b eiden Gruppen, je nachdem, ob ein B ild präferiert wurde oder nicht. Die Art des experimentellen Aufbaus erlaubte aber auch die B earbeitung einer a nderen Fragestellung. Gibt es Gehirnregionen, die umso stärker aktiviert werden j e hö her die b erichtete s exuelle Er regung ist? T atsächlich zeigt en die en tsprechenden st atistischen Anal ysen, dass die neur onale Ak tivität im medialen T eil des o rbitofrontalen K ortex und im N ucleus A ccumbens mi t der a ngegebenen s exuellen Er regung k orreliert wa r. ⊡ Abb. 20.2 zeigt das Ergebnis der G ruppenanalyse in einem C oronarschnitt auf der H öhe des N ucleus Accumbens. Die H elligkeit der F arbe k odiert die S tärke des Zusammenhangs zwis chen der neur onalen Ak tivierung und der angegebenen sexuellen Erregung.
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⊡ Abb. 20.2. Aktivierung des Nucleus A ccumbens bei sexueller Erregung
20.5 Z usammenfassung und Ausblick
Dieser B eitrag b eschäftigt sic h mi t der F rage, ob sich p ositive G efühle im G ehirn lo kalisieren lassen. H ierbei wur de g ezeigt, dass eine S timulation mit p ositiven Reizen na hezu die g leichen H irnstrukturen aktiviert, die auch durch negative Reize angeregt werden. Dies sp richt dafür, dass es k eine für einzelne Emotionen hoch spezialisierten Netzwerke g ibt, s ondern vielmehr die g leichen S trukturen mi t siche rlich u nterschiedlichen An teilen bei den v erschiedenen Emo tionen b eteiligt sind. Jedoch leg en die r eferierten B efunde nahe , dass hedonistische G efühle mi t der Ak tivität des B elohnungssystems, mit dem Nucleus Accumbens als zentraler Struktur, verbunden sind. Weitere Unterstützung b ekommt dies e Annahme dad urch, dass auch S ucht erzeug ende, eu phorisierende, psy chotrope Substanzen entweder direkt oder indirekt das Belohnungssystem stimulieren. In der Aktivierung des B elohnungssystems d urch p rimäre Verstärker liegt aber auch eine nic ht zu un terschätzende Gefahr: Wie b ei einer S ubstanzabhängigkeit ka nn es auch b ei dies en na türlichen Verstärkern zu einer Toleranzentwicklung k ommen, die sic h in einem gesteigerten, zum Teil suchtartigen Konsum niederschlägt. Beispielsweise scheint die leichte und anonyme Verfügbarkeit von pornographischen Reizen im Zeitalter des Internets kritische Entwicklungen (Stichwort S exsucht) zu f ördern. S omit k önnen die belohnenden Effekte von Sexualität, aber auch die aller anderen positiv wirkenden Reize wie z. B. Nahrung durchaus zu einem Problem werden. Der B eitrag macht deutlich, dass mi t den modernen b ildgebenden V erfahren, in sbesondere der f unktionellen K ernspintomographie, U ntersuchungsinstrumente zur V erfügung st ehen, die es erla uben, H irnprozesse zu lo kalisieren. W orin könnte der Einsatz dieser Methodik in Zukunft im Klinischen Bereich liegen? Prinzipiell denkbar sind Einsätze sowohl in der Diagnostik als a uch in der Therapie. I nsbesondere in der V eränderungsdiagnostik könnte der Ein satz dieser Verfahren helfen, den N utzen v erschiedener I nterventionsverfahren zu b eurteilen. Eine t herapeutische An wendung könnte im N eurofeedback m ittels fu nktioneller Kernspintomographie lieg en. S o k önnten z. B. Schlaganfall-Patienten d urch die R ückmeldung
Literatur
der neur onalen Ak tivität in g eschädigten Ar ealen diese g ezielt tra inieren. Ob sic h a uch Wohlbefinden durch gezielte Rückmeldung der N ucleus Accumbens Aktivität intensivieren lässt – die Zukunft wird es zeigen. Wir hoffen, dass wir mit diesem Beitrag die Bedeutung neur owissenschaftlicher F orschung v erdeutlicht ha ben. Dies e wir d sic herlich in Z ukunft die En twicklung der P sychotherapie b eeinflussen, wie es a uch Grawe (2004) in s einem Buch Neuropsychotherapie prognostiziert.
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Kapitel 20 · Neuronale Grundlage positiver Emotionen
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20
21
Neuromodulatorische Einflüsse auf das Wohlbefinden: Dopamin und Oxytocin Peter Kirsch u. Harald Gruppe 21.1 Einleitung: Wohlbefinden als positiver Affekt 21.1.1 Positive Affekte aus biologischer Sicht – 274
– 274
21.2 Dopamin und Wohlbefinden – 275 21.2.1 Neurophysiologische Grundlagen des dopaminergen Systems – 275 21.2.2 Beeinflussung des Wohlbefindens durch Dopamin – 277 21.3 O xytocin und Wohlbefinden – 279 21.3.1 Ph ysiologische Grundlagen – 279 21.3.2 Beeinflussung des Wohlbefindens durch Oxytocin – 280 21.4
Zusammenfassung: Interaktion von Dopamin und Oxytocin bei der Entstehung von Wohlbefinden – 281 Literatur –
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Kapitel 21 · Neuromodulatorische Einflüsse auf das Wohlbefinden: Dopamin und Oxytocin
21.1 Einleitung:
Wohlbefinden als positiver Affekt
Nähert ma n sich dem Phä nomen des W ohlbefindens a us neur obiologischer Sich t, s o stel lt sich das P roblem, dass es sic h b ei W ohlbefinden um einen sub jektiven Zust and handel t. Dies e sub jektive Qualität macht die Erforschung und Beschreibung der neur obiologischen und neur ochemischen G rundlagen s chwierig. D arüber hina us ist Wohlbefinden eine F orm a ffektiven Erleb ens, die vom G esamtzustand des I ndividuums b eeinflusst wird. A ufgrund der sub jektiven Erleb nisqualität und g lobalen Determiniertheit des Phä nomens kann davon ausgegangen werden, dass die k örperlichen und psy chologischen Einf lussfaktoren a uf das Wohlbefinden, respektive sein Fehlen, äußerst vielfältig sind . Eine Annäher ung a n die neur obiologischen G rundlagen er fordert da her zunäch st eine Red uzierung a uf allg emeine P rinzipien, die dem Wohlbefinden als subjektiver Erlebensqualität zugrunde lieg en. Rele vante Aspekte müssen da nn gegenüber ähnlichen Konstrukten abgegrenzt und operationalisiert, d. h. exp erimentell ma nipulierbar und messbar gemacht werden. Auf einer no ch s ehr a bstrakten Eb ene ka nn Wohlbefinden als p ositiver Af fekt k onzeptionalisiert w erden (vg l. hierzu a uch Kap. 20). Eine solche K onzeptualisierung ist zwa r un spezifisch, sie b eschreibt jedo ch die vielfäl tigen F acetten von W ohlbefinden und mac ht es einer O perationalisierung un ter Ein schluss v on T iermodellen zugä nglich. Eine sp ezifische A bgrenzung des Wohlbefindens v on a nderen p ositiven Af fekten kann allerdings auf neurobiologischer Ebene nicht erwartet werden, da selbst herkömmliche psychologische T axonomien p ositiver Af fekte W ohlbefinden nic ht als eig enständige Emo tion k ennen (vgl. E kman, 1994, I zard, 1991, S temmler, 2002). Darüber hinaus ist generell im Bereich der Neurophysiologie w enig üb er die G rundlagen p ositiver Affekte bekannt, weit weniger als über die Grundlagen negativer Af fekte wie z. B. Angst (Burgdorf & Panksepp, 2006). Die F rage, inwiefern sic h ein spezifisches, a natomisch-funktionell def iniertes und eingegrenztes »Wohlbefindens-System« identifizieren ließe, b leibt a ngesichts der vielfä ltigen Aspekte o ffen. N immt ma n a n, dass p ositive Af-
fekte d urch die B efriedigung v on B edürfnissen entstehen, s o m üsste ein s olches S ystem, neb en anderem, s o un terschiedliche U rsachen p ositiver Affekte wie die B efriedigung k örperlicher, homöostatischer B edürfnisse d urch k onsumatorische Ak tivitäten und R uhe o der die B efriedigung v on B edürfnissen nach emo tional p ositiv gefärbten Ak tivitäten wie N eugierverhalten und Spiel umfassen, wie auch die Entstehung positiver Hintergrundempfindungen beim Wechsel von Beund En tlastung (vg l. B urgdorf & P anksepp 2006, S. 175). I n Er mangelung eines s olchen, in sic h geschlossenen Systems b ehandeln wir hier ex emplarisch zwei gr undlegende Aspekte des Wohlbefindens, für die zunehmend die I dentifikation der neurobiologischen G rundlagen g elingt. Dies sind zum einen die Phä nomene v on M otivation und Belohnung, denen zu a llererst das do paminerge System zugrunde liegt, und zum anderen die Phänomene v on G eborgenheit und in terpersoneller Nähe, die maßgeblich von dem Neuropeptid Oxytocin beeinflusst werden. 21.1.1 Positive Affekte aus biologischer
Sicht
Affektive Em pfindungen en tstehen d urch neur onale Aktivitäten im limbischen Systems (Panksepp, 2005; H eimer & va n H oesen, 2006). N eben den zentralnervösen Prozessen, die zu positivem, affektivem Erleben führen, spielt aber beim Wohlbefinden als ga nzheitlicher Er fahrung a uch die W ahrnehmung von Vorgängen in der K örperperipherie eine entscheidende Rolle. Solche Wahrnehmungen haben zwa r nic ht die ka usale B edeutung f ür a ffektives Erleb en, wie dies v on der einf lussreichen James-Lange-Theorie der Emo tion a m Ende des 19. J ahrhunderts p ostuliert wur de ( James, 1884; Lange, 1887), es ist aller dings da von a uszugehen, dass ein zen tralnervöses F eedback p eripher-physiologischer Korrelate von Emotionen oder andere Körperwahrnehmungen das a ffektive Em pfinden modulieren (vgl. Davidson, Jackson & Kalin, 2000). Es k onnte nä mlich g ezeigt w erden, dass s elbst subtile V eränderungen in der K örperperipherie der b ewussten o der v orbewussten in terozeptiven Wahrnehmung zugä nglich sind (vg l. Vaitl, 1996).
21.2 · Dopamin und Wohlbefinden
Speziell be im Wohlbefinden al s po sitivem A ffekt fällt der Wahrnehmung körperlicher Zustände eine wichtige Ro lle zu , da sie im en geren S inne eine wichtige D eterminante des allg emeinen W ohlbefindens d arstellt. Dies es W echselspiel z wischen zentralem N ervensystem und K örperperipherie beim Entstehen oder Vergehen von Wohlbefinden findet eine Entsprechung bei den Trägersubstanzen der zugr unde lieg enden b iologischen I nformationsverarbeitung. Die En tstehung positiver Affekte basiert im G ehirn a uf der I nformationsvermittlung d urch zen tralnervöse N eurotransmitter wie Dopamin o der O xytocin. Üb er dies e W irkungen hinaus haben diese Substanzen aber vielfach auch peripher-physiologische W irkungen. Die S ignale zur S teuerung der p eripher-physiologischen P rozesse w erden da bei en tweder üb er das p eriphere Nervensystem in Form peripherer Transmitter auf die Erfolgsorgane übertragen oder sie nehmen als Hormone den h umoralen Weg über die B lutbahn. Obwohl b ei der En tstehung und M odulation v on Wohlbefinden a us den ob en g enannten G ründen sowohl zen tralnervöse als a uch p eripher-physiologische W irkungen v on D opamin und O xytocin eine Rolle spielen, werden periphere Mechanismen im Folgenden nur gestreift. 21.2 Dopamin
und Wohlbefinden
Betrachtet ma n W ohlbefinden a us e volutionärer Sicht, so könnte man argumentieren, dass das Aufsuchen von Situationen, die mi t Wohlbefinden assoziiert sind , eine f undamentale B edeutung f ür das Üb erleben des Or ganismus und der S pezies hat und da mit als S elektionsvorteil a nzusehen is t (Nesse, 2004; B uss, 2000). P ositive Emo tionen im Allgemeinen a ber a uch Wohlbefinden und Gl ück im Speziellen sind in er ster Linie mit Ereignissen, aber auch mit Ressourcen und Möglichkeiten, verbunden, Z iele zu er reichen (N esse, 2004, Diener & Fujita, 1995), die der a ngestrebten Befriedigung physischer und s ozialer B edürfnisse dienen. D as Anstreben v on Z ielen und ihr e Er reichung hä ngt von der Anr eizmotivation a b (B erridge & Ro binson, 1998), der en neur obiologische G rundlage auch als »behavioral approach system« beschrieben wurde (G rey, 1995). Dies e Anr eizmotivation ist
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21
weitgehend d opaminerg ve rmittelt, s odass D opamin als zentraler Neurotransmitter des Wohlbefindens angesehen werden kann. 21.2.1 Neur ophysiologische Grundlagen
des dopaminergen Systems
Das D opaminsystem g ehört zus ammen mi t dem noradrenergen und dem s erotonergen S ystem zu den k lassischen mo noaminergen N eurotransmittersystemen im G ehirn. Während die im F olgenden b eschriebenen g rundlegenden M echanismen im Wesentlichen auf tierexperimentellen Untersuchungen b eruhen, wur den mi t mo dernen b ildgebenden Verfahren a uch im H umanbereich B elege für die Bedeutung eines intakten Dopaminsystems für das W ohlbefinden g efunden (V erhoeff et al ., 2003). D opamin p roduzierende N eurone lieg en im M esenzephalon, im H ypothalamus und a uch in Or ganen der K örperperipherie, wie der N iere, dem Herzen und den G efäßen (Re ymond & P orter, 1985; B ek et al ., 2001). L etztere sind a n der Regulierung des K reislaufes b eteiligt und k önnen damit in sofern einen indir ekten Einf luss a uf das Wohlbefinden a usüben, als K reislauffunktionen bei konkretem Verhalten von Bedeutung sind und die Empfindung des eigenen Körpers während des Verhaltens beeinflussen. Diesen Aspekt werden wir aber im Folgenden nicht weiter erörtern. Auch der Einfluss von Dopamin auf die Prolaktin-Sekretion im H ypothalamus, b ei der D opamin in die B lutbahn hypothalamischer Gefäße ausgeschüttet wird und da mit a uf ho rmonelle Weise wirk t, s oll hier nur erwähnt werden. Zentralnervöse Einflüsse auf die Em pfindung von W ohlbefinden üb en die do paminproduzierenden N eurone im M esenzephalon a us, die zusammen m it ih ren k ortikalen un d s ubkortikalen Projektionsarealen a ls mes otelenzephales D opaminsystem bezeichnet werden (Roth & E lsworth, 1995). D opaminerge N eurone ha ben in ihr en Projektionsarealen im weitesten Sinne integrative Funktion und sp ielen eine en tscheidende Ro lle bei der S teuerung mo torischer Ak tivität, b ei der sensumotorischen I ntegration und Re aktionsselektion, bei emotionalen, motivationalen und kognitiven Prozessen oder beim assoziativen Lernen
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21
Kapitel 21 · Neuromodulatorische Einflüsse auf das Wohlbefinden: Dopamin und Oxytocin
(Le M oal & S imon, 1991; B erridge & Ro binson, 1998). Die do paminergen Zellengruppen im M esenzephalon, deren Begrenzungen unscharf sind, werden als A8, A9 und A10 b ezeichnet. Die A9 Gruppe liegt im do rsalen B ereich der subst antia nigra pa rs co mpacta und b ildet zus ammen mi t Zellen a us der G ruppe A8, die la terocaudal und etwas do rsaler zur A9 G ruppe liegt, das s og. nigrostriatale D opaminsystem mi t P rojektionen überwiegend zum nucleus caudatus und Putamen sowie zur Am ygdala. B eim P arkinson-Syndrom führt Dopaminverlust in diesem System aufgrund einer D egeneration der do paminergen N eurone zu Fehlfunktionen bei der Steuerung motorischer Aktivität im do rsalen S triatum, die U rsache f ür die S ymptome dies er K rankheit wie Akinesien, Hypokinesien, Rigor und Tremor sind. Die N euronengruppe A10 liegt v entral zu A9 im B ereich des v entralen T egmentums und b ildet mi t ihren Projektionsarealen das mes ocorticolimbische Dopaminsystem. Die in dies em Z usammenhang wichtigsten P rojektionsareale s ind da s v entrale Striatum mi t dem N ucleus A ccumbens (N Acc, mesolimbisches D opaminsystem) und der p räfrontale Kortex (mesocortikales Dopaminsystem). Es wir d a ngenommen, dass P rojektionen zum dorsolateralen p räfrontalen K ortex eher a n k ognitiven P rozessen und P rojektionen zum o rbitofrontalen K ortex eher a n a ffektiven P rozessen beteiligt sind . S törungen dies er S ysteme k önnen u. a. zu psy chotischen S ymptomen f ühren, die auf ein Üb erangebot a n D opamin im S triatum zurückgehen. D aher w erden die U rsachen v on Krankheiten wie S chizophrenie und M anie o der das en tstehen psy chotischer S ymptome im R ahmen einer D opamin-Substitutionstherapie b ei Parkinson in einer S törung insbesondere des mesolimbischen D opaminsystems g esehen (C arlsson, 1995; Moore et al., 1999). Der NAcc hat als Teil des mesolimbischen Dopaminsystems neben diesen integrativen sensumotorischen Funktionen auch zentrale Bedeutung für das B elohnungssystem des G ehirns. Während die sensumotorischen D opaminfunktionen im F alle einer S törung (P arkinson, S chizophrenie) einen negativen Einfluss auf das Wohlbefinden ausüben, kann man das B elohnungssystem a ls Q uelle p ositiver a ffektiver Er fahrung und da mit als eine der
neurophysiologischen Grundlagen des Wohlbefinden ansehen. Erste Konzepte über die zentrale Rolle des Dopamins im B elohnungssystem (Wise, 1980) wur den a ufgrund v on S tudien üb er die elek trische (Phillips & Fibiger, 1978) oder pharmakologische (vgl. K oob & G oeders, 1989) S elbststimulation des Gehirns entwickelt. Die Vorstellung einfacher »pleasure cen ters« er wies sic h a ber b ald a ls zu einfach (vg l. L e Moal & S imon, 1991). B eim I neinandergreifen un terschiedlicher mo noaminerger und p eptiderger Neurotransmittersysteme im Rahmen von Reward-Prozessen nimmt aber auch in heutigen Vorstellungen das mes ocorticolimbische Dopaminsystem eine zentrale Rolle ein (vg l. McBride et al ., 1999). Die Ro lle des D opamins als Üb erträgersubstanz f ür b elohnungsbezogene Signale wir d da bei a ber s ehr viel dif ferenzierter gesehen. Ausgehend v on der T atsache, dass das D opaminsystem v on B elohnungen wie N ahrungsaufnahme, s exuellem V erhalten, Dr ogenkonsum, Selbststimulation bestimmter Hirnzentren, positiv bewerteten S pielen und a uch b ei a n sic h neu tralen Reizen, die d urch K onditionierungsprozesse an derartige Belohnungen gebunden sind, aktiviert wird, un terscheiden B erridge & Rob inson (1998) beim B elohnungsprozess zw ei A spekte, die una bhängig voneinander reguliert werden und b ewusst oder a uch un bewusst a blaufen: M ögen (»likin g«) und W ollen (»wa nting«). M ögen b ezeichnet die hedonische E valuation eines Reizes, der p ositive, genussorientierte Em pfindungen a uslöst. W ollen initiiert das a uf ein g emochtes Ziel gerichtete Verhalten, die Z uwendung zu einem Anr eiz o der die Konsumation des Z ielobjektes. D opamin s cheint nach diesem Konzept die en tscheidende Rolle dabei zu sp ielen, dass ein Reiz mi t hedo nischem Potenzial (M ögen), der a ber zunäc hst als neu tral erlebt wir d, t atsächlich f ür das I ndividuum a ttraktiv wir d und a ppetitives V erhalten (W ollen) auslöst. Dies er a uf do paminergen M echanismen beruhende V organg wir d als ‚ incentive s alience‘ bezeichnet. Ein v on S chultz (1998) en twickeltes K onzept der D opaminfunktion b eim B elohnungsprozess bezieht sic h a uf eine k urzzeitige Erhö hung der Aktivität von dopaminergen Zellen im Zeitbereich
21.2 · Dopamin und Wohlbefinden
von w eniger als einer vier tel S ekunde, w enn p rimäre o der s ekundäre, d. h. k onditionierte, B elohnungsreize wa hrgenommen w erden. Dies e t ransiente, p hasische Ak tivitätserhöhung s cheint a ber nur da nn a ufzutreten, w enn ein B elohnungsreiz zu einem nic ht er warteten Z eitpunkt auftritt, also »besser« als er wartet ist. D as A usbleiben dies es Reizes f ührt dag egen zu einer V erringerung der Aktivität s olcher N eurone. Dies e do paminergen Neurone s cheinen als o üb er eine k urzzeitige Änderung ihrer Aktivität einen Vorhersagefehler hinsichtlich des Auftretens eines B elohnungsreizes zu signalisieren. Ein s olches F ehlersignal (»r eward prediction error signal«) unterstützt Lernprozesse, die zu Annäher ungsverhalten an B elohnungsreize führen. Redgrave, Prescott und G urney (1999) s ehen allerdings die F unktion der k urzzeitigen Antwort dopaminerger Neurone auf unerwartete Reize eher im B ereich v on Re aktionsauswahlprozessen. Bei Wahrnehmung v on Reizen, die f ür das I ndividuum v on B edeutung sind , löst das k urzzeitige Dopaminsignal die U nterbrechung des mo mentanen Verhaltens und die A uswahl v on Verhaltensmustern a us, die eine adäq uate Re aktion a uf den unerwarteten Reiz erlauben. 21.2.2 B eeinflussung des Wohlbefindens
durch Dopamin
Die stärksten Hinweise auf die zentrale Bedeutung des D opamins f ür das W ohlbefinden st ammen aus p harmakologischen U ntersuchungen und Selbststimulationsstudien. Bereits vor mehr als 50 Jahren b erichtete der P sychiater Heath, dass psychiatrische Patienten, denen eine E lektrode in das Tegmentum oder das S eptum implantiert worden war, die S timulation als A uslöser eines Gl ücksgefühl b ezeichneten. (H eath, 1963; 1972). Ob wohl diese U ntersuchungen zu Rec ht um stritten sind , zeigen sie do ch, dass die Ak tivierung do paminerger N eurone nic ht n ur b eim T ier, wie zu vor von Olds und M illner (1954) g ezeigt, s ondern auch beim Menschen zu a usgesprochen angenehmen G efühlen f ührt. I nteressanterweise wur den in j üngster Z eit in S tudien mi t T iefenstimulation be i P arkinson-Patienten äh nliche Ein flüsse auf die p ositive S timmung g efunden (S chneider
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et al ., 2003), die denen der Ga be des D opaminVorläufers L-DOPA vergleichbar waren. Auch die pharmakologischen W irkungen v on K okain und Amphetaminen auf die B efindlichkeit können als Steigerung des W ohlbefindens in terpretiert w erden. Diese Substanzen erhöhen die A usschüttung von D opamin im V TA und im N Acc und f ühren so zu einer S timulierung des mes olimbischen Dopaminsystems (Dr evets et al ., 2001, Di Cia no et al ., 1995). S o k onnten Dr evets et al . (2001) in einer S tudie mi t H ilfe der P ositron Emissio ns Tomographie (PET) zeig en, dass das A usmaß a n hedonischer Re aktion a uf Am phetamine p ositiv korreliert wa r mi t der S tärke der D opaminausschüttung im v entralen Striatum. Allerdings zeigt die neurobiologische Forschung der letzten J ahre, dass nicht allein solche, dem Wohlbefinden langfristig üb eraus a bträglichen S ubstanzen zu einer Erhöhung des mes olimbischen D opaminsignals führen. Vielmehr kristallisiert sich heraus, dass der dem Wohlbefinden förderliche Placebo-Effekt offensichtlich auch auf dopaminergen Mechanismen beruht (de la F uente-Fernández et al ., 2002). Die Erwartung einer V erbesserung des g esundheitlichen Zustandes führt zur Z unahme der D opaminausschüttung im N Acc. Dies er Ef fekt er reichte bei Parkinson-Patienten sogar eine S tärke, wie sie bei Gesunden nach der Gabe von Amphetaminen beobachtet werden kann (de la F uente-Fernández et al., 2002). H iermit korrespondierende B efunde haben sich auch in a nderen Bereichen gezeigt. So zeigen Field, H ernandez-Reif, Dieg o, S chanberg und K uhn (2005) in einer Üb ersichtsarbeit, dass der dem Wohlbefinden zuträgliche und S tress reduzierende Ef fekt einer M assagebehandlung mi t einer S timulation des do paminergen S ystems einhergeht. A uch d urch M editation (K jaer et al ., 2002), den G enuss von Musik (Menon & L evitin, 2005) o der der L ieblingsmahlzeit (S mall et al ., 2003) scheint das mes olimbische Dopaminsystem aktiviert zu werden. Ein indir ekter B eleg f ür die B edeutung des Dopamins für das Wohlbefinden kann auch in der dysphorischen Wirkung von Dopamin-Antagonisten g esehen w erden. S o k onnten V oruganti und Kollegen (Voruganti et al ., 2001) zeig en, dass unmedizierte Patienten mit Schizophrenie nach Gabe eines Dopaminantagonisten eine dysphorische Re-
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Kapitel 21 · Neuromodulatorische Einflüsse auf das Wohlbefinden: Dopamin und Oxytocin
aktion zeigen, deren Ausmaß mit der Bindung des Antagonisten a n den str iatalen D opamin-D2-Rezeptor korreliert war. Die se lektive Z erstörung m esolimbischer Do paminbahnen f ührt im T iermodell zu einer dramatischen Steigerung lokomotorischen Verhaltens, das als S uche nach potenziellen Verstärkern angesehen wir d (S mith, 1976). Die U nteraktivierung des mes olimbischen D opaminsystems lässt sic h daher als eine Form des Fehlens von Wohlbefinden interpretieren, die Or ganismen dazu a ntreibt, diesen unangenehmen Zustand durch die Suche nach potentiellen Verstärkern zu r eduzieren. F ür einen solchen Z usammenhang sp rechen a uch U ntersuchungen zum s og. »r eward def iciency syndr ome« (Blum et al ., 2000). Es wur de wiederho lt nac hgewiesen, dass P ersonen, die einen sp ezifischen Polymorphismus des D opamin-D2-Rezeptorgens (DRD2 TaqIA Polymorphismus) aufweisen, ein erhöhtes Risik o f ür eine S uchterkrankung b esitzen. Der s o g enannte A1-A1 G enotyp ist mi t einer signifikanten Red uktion v on D2-Rezep toren im mesolimbischen Dopaminsystem assoziiert. Träger dieses Genotyps scheinen eine in tensivierte Suche nach do paminerger S timulation zu un ternehmen, um den una ngenehmen Z ustand zu r eduzieren, der mi t einem B elohnungssystem v erbunden ist, das im S inne des »r eward def iciency syndr oms« deviant ist. In diesem Sinne wäre das als »craving« bezeichnete S uchtmittel suc hende V erhalten als Äquivalent zur erhöhten lokomotorischen Aktivität der Tiere mit Läsion im mesolimbischen Dopaminsystem z u verstehen . I nteressanterweise kon nten wir da rüber hina us zeig en, dass die T räger dies es A1-A1 Genotyps unter der Ga be vom Bromocriptin, einem selektiven D2-Rezeptor-Agonisten, eine verstärkte Ak tivierung des B elohnungssystems in der Er wartung eines mo netären V erstärkers a ufweisen (Kirsch et al., 2006). Eine mit mangelndem Wohlbefinden ass oziierte, reduzierte Aktivität des mesolimbischen D opaminsystems f ührt s omit zu einer erhöhten Sensitivität für potenzielle Verstärker in der U mwelt, w enn das S ystem d urch eine dopaminerge Stimulation aktiviert wird. Dass die Fähigkeit, antizipatorische Freude und damit positive Affekte zu erleben, individuell stark variiert, hat auch in der Persönlichkeitspsychologie dazu geführt, die B edeutung von Neurotransmit-
tern, wie dem D opamin, für die A usprägung von Persönlichkeitsmerkmalen zu b erücksichtigen. So gehen Depue und C ollins (1999) in ihr er psychobiologischen Theorie davon aus, dass das Ausmaß an dopaminerger Transmission individuelle Differenzen im Ausprägungsgrad von Extraversion und damit beim Auftreten positiver Emotionen erklärt. Das A uftreten dies er do paminerg v ermittelten, positiven Emotionen erklären sie mi t einer d urch das Dopamin vermittelten Anreizmotivation. Ihre Persönlichkeitstheorie ist daher en g a n die P ersönlichkeitstheorie v on G rey (s. o.) a ngelehnt. I n jüngster Zeit (Reuter & Hennig, 2005; Reuter et al., 2006) konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass der G enotyp hinsichtlich verschiedener G ene des dopaminergen S ystems P ersönlichkeitsmerkmale wie Extra version und V erstärkersensitivtät o der das »behavioral approach system« beeinflusst. Die g enannten B efunde sp rechen da für, dass die An sprechbarkeit des do paminergen S ystems und damit auch die Fähigkeit, positive Affekte und Wohlbefinden zu erleb en, deu tlich zwis chen v erschiedenen P ersonen va riieren, eine Erk enntnis, die a uch im psy chotherapeutischen K ontext v on großer B edeutung ist. Dies e An sprechbarkeit des dopaminergen S ystems s cheint a uch Einf luss a uf die Fähigkeit zu ha ben, L iebe und N ähe zu em pfinden und da mit in der L age zu s ein, soziale Beziehungen aufzubauen. S o fand sich, dass s owohl frisch Verliebte beim Betrachten von Bildern ihrer Partner (Ar on et al ., 2005) als a uch Mütter b eim Betrachten von Bildern der eig enen Kinder (B artels & Zeki, 2004) eine Aktivierung der Strukturen des mes olimbischen D opaminsystems zeigen. B ei der Aufrechterhaltung derartiger sozialer Bindungen s cheint O xytocin eine en tscheidende Ro lle zu sp ielen. Es k onnte tier experimentell g ezeigt werden, dass s olche T iere da uerhaft mo nogam leben, die eine gr oße Dic hte a n O xytocin-Rezeptoren im N Acc b esitzen (I nsel & S hapiro, 1992). Vergleichbare Z usammenhänge f inden sich a uch beim S orgeverhalten f ür den N achwuchs (Olazabal & Y oung, 2006). D as mes olimbische D opaminsystem und das Oxytocinsystem scheinen also zu in teragieren, w enn es um p ositive Af fekte im Bereich sozialer Interaktionen geht. Im folgenden Abschnitt b etrachten wir dies es Oxytocin-System genauer.
21.3 · Oxytocin und Wohlbefinden
21.3 O
xytocin und Wohlbefinden
21.3.1 Ph ysiologische Grundlagen
Während die B edeutung des D opaminsystems für positives a ffektives Em pfinden s chon s eit lä ngerer Zeit Gegenstand intensiver Forschung ist, sind positive a ffektive W irkungen des O xytocins er st in jüngerer Z eit zunehmend ein S chwerpunkt des Forschungsinteresses g eworden. O xytocin ist ein Nonapeptid, das im H ypothalamus in den N euronen des n ucleus pa raventricularis und des n ucleus su praopticus g ebildet wir d. Es wir d üb er die Axone der Z ellen zum Hypophysen-Hinterlappen, der N eurohypophyse, tra nsportiert und ist da bei an N europhysin, ein gr ößeres P eptid, g ebunden. In den N ervenendigungen wird Oxytocin in Vesikeln zwischengespeichert. Die Ausschüttung in die Kapillaren der Hypophyse erfolgt, wenn die Oxytocin-Zellen durch Aktionspotenziale erregt werden. Neben dieser hormonellen Funktion wirkt Oxytocin a uch als N eurotransmitter im zen tralen N ervensystem. S owohl die ho rmonellen als a uch die Neurotransmitter-Wirkungen des Oxytocin dienen zum großen Teil der Steuerung von Vorgängen, die mit der F ortpflanzung in Z usammenhang st ehen (vgl. Gimpl & Fahrenholz, 2001). Die Plasmaspiegel von Oxytocin sind während des Or gasmus b ei M ännern und F rauen erhö ht (Murphy et al ., 1990; B laicher et al ., 1999). B ei Frauen ä ndert sic h der O xytocinspiegel im B lut während des Menstruationszyklusses (Mitchell et al., 1981; Salo nia et al ., 2005). O xytocin ist g enerell un ter Ö strogeneinfluss erhö ht (Amico , S eif & Rob inson, 1981; M cCarthy, 1995). Es s teuert über Re zeptoren in der G ebärmuttermuskulatur den G eburtsvorgang, indem M uskelkontraktionen a usgelöst w erden. N ach der G eburt r eguliert Oxytocin die L aktation. Durch den Sa ugreiz werden M echanorezeptoren in den B rustwarzen aktiviert, die en tsprechende S ignale a n die O xytocin p roduzierenden Z ellen im H ypothalamus senden. Dort kommt es zu rhythmischer Aktivität von Verbänden Oxytocin produzierender Z ellen, die s chließlich zu p ulsatiler, b olusartiger A usschüttung v on O xytocin in die B lutbahn f ührt. Die Synchronisierung der Ak tivität b enachbarter Neurone im n ucleus pa raventricularis und n uc-
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leus supraopticus, die zu plötzlichen Entladungen in den entsprechenden Neuronenverbänden führt, erfolgt a utoregulativ d urch die W iederaufnahme des als N eurotransmitter wirk enden O xytocins über A utorezeptoren a uf den Z ellkörpern der oxytocinproduzierenden Z ellen (F reund-Mercier & S toeckel, 1995). Dies e p ulsatile O xytocinausschüttung muss b ei der Er fassung der O xytocinKonzentration im Blutplasma berücksichtigt werden. D as a us dem Bl ut üb er Re zeptoren a n den Milchdrüsen a ufgenommene O xytocin b ewirkt Kontraktionen der B rustdrüsen und da mit einen Ausstoß der Milch. Die zen tralnervösen und psy chologischen Effekte des Oxytocins werden über Oxytocinrezeptoren im G ehirn vermittelt (Buijs et al., 1985; Gimpl & Fahrenholz, 2001). O xytocin findet sich u. a. in weiteren Kernen des Hypothalamus, im Thalamus, im Hippocampus, in der Am ygdala, im M esenzephalon und im H irnstamm. S chon la nge b ekannt sind negative Einflüsse von Oxytocin auf Lernprozesse (Kovacs & de W ied, 1994). O xytocin b eeinflusst k omplexe s oziale V erhaltensweisen, die im Zusammenhang mit der Fortpflanzung stehen. Pedersen und Prange (1979) induzierten mütterliches Verhalten b ei R atten durch O xytocin-Injektion in die Hirnventrikel. Insel und Shapiro (1992) fanden unterschiedliche Verteilungen der O xytocinrezeptoren im G ehirn b ei mo nogam o der p olygam lebenden Wühlmausarten. Eine Studie von Insel und Hulihan (1995) er gab, dass b ei weiblichen, monogam lebenden Wühlmausarten Oxytocin eine en tscheidende Rolle bei der Paarbildung hat, während es bei männlichen Tieren einen ähnlichen Einfluss von Vasopressin gab. Aufgrund dieser und weiterer Befunde entwickelte Insel ein M odell der b iologischen B asis f ür s oziale B indungen, in dem O xytocin und V asopressin eine zen trale Ro lle s pielen (Insel, 1997). O xytocin ha t a ußerdem eine str essreduzierende (z. B. Windle et al . 1997; N eumann, 2002) und a ngstdämpfende W irkung (W indle et al., 1997, Uvnäs-Moberg et al., 1994), insbesondere bei g leichzeitiger Ga be v on Öst rogen (M cCarthy et al., 1996). U vnäs-Moberg, Arn und M agnusson (2005) generalisierten dies e psychologischen Wirkungen des Oxytocins zum Konzept des »calm and connection systems«, das dem Wohlbefinden und der Sozialisation zugrunde liegt und einen G egen-
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Kapitel 21 · Neuromodulatorische Einflüsse auf das Wohlbefinden: Dopamin und Oxytocin
pol zu dem b ekannten »f ight-flight syst em« der Stressreaktion darstellt. 21.3.2 B eeinflussung des Wohlbefindens
durch Oxytocin
Will man die zentralnervösen Wirkungen des Oxytocins, die sic h a uf das W ohlbefinden a uswirken, zusammenfassen, s o s cheinen dr ei F unktionen zentral zu s ein, die aller dings nic ht una bhängig von einander zu betrachten sind: 1. Red uzierung von Furcht 2. Dämpfung von Stressreaktionen 3. Bildung von engen sozialen Beziehungen Während die meis ten B efunde zur W irkung des Oxytocins nach wie v or aus Tierstudien stammen, gibt es in j üngerer Z eit Untersuchungen a us dem Humanbereich, die da rauf hin weisen, dass s olche Ergebnisse auch auf den Menschen übertragen werden können. So wurden im R ahmen naturalistischer Settings stillende Frauen untersucht, bei denen ein erhöhter Oxytocinausstoß zu er warten ist. Heinrichs et al . (2001) zeigt en, dass F rauen nac h dem S tillen b ei der B ewältigung des T rier-StressTests eine r eduzierte Aktivität der H ypothalamusHypophysen-Nebennieren-Achse im S inne einer reduzierten Ausschüttung von ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) und Cortisol aufwiesen. Auch die intranasale Gabe von Oxytocin f ührt zu einer Reduzierung der str essbezogenen C ortisolausschüttung und berichteten Stressymptomen (Heinrichs et al., 2003). Das interessanteste Ergebnis dieser Studie war aber, dass sic h der Ef fekt durch zusätzliche soziale Unterstützung deutlich verstärken lies. Während s oziale Unterstützung währ end der Bewältigung des S tress-Tests und O xytocin-Gabe vergleichbare Er gebnisse erb rachten, f ührte die Kombination b eider st ressreduzierender F aktoren zu der signif ikant st ärksten Reduktion von physiologischen und sub jektiven S tressfaktoren. Dies er Befund ist a uch a us psychot herapeutischer Sich t interessant, da er da rauf hin weist, dass O xytocin möglicherweise zu einer Verstärkung psychotherapeutischer Interventionen, möglicherweise über die Verbesserung der Of fenheit für soziale Interaktionen, führen kann. Die W irksamkeit von Oxytocin
als Adjuvans b ei einer Reizk onfrontationstherapie wurde bereits vor längerem demonstriert (Pitman, Orr & L asko, 1993). Die A utoren v erabreichten Oxytocin nas al a n V ietnam-Veteranen, die un ter einer p osttraumatischen B elastungsstörung li tten. Während einer in-s ensu-Konfrontation fanden sie reduzierte p hysiologische S tressreaktionen un ter Oxytocin, verglichen mit Placebo und Vasopressin. Vergleichbare Effekte fanden Heinrichs et al. (2006) bei s ozialen Phob ikern, die nac h O xytocin-Gabe einer An gstkonfrontation mi t dem T rier-StressTest ausgesetzt wurden. Auch hier zeigt e sich, wie in der ä lteren Arb eit a n G esunden (H einrichs et al., 2003), eine zus ätzliche p ositive W irkung b ei sozialer Unterstützung. Die geschilderten Befunde sind wahrscheinlich auf eine a ngstdämpfende W irkung v on O xytocin zurückzuführen, die in sbesondere un ter s ozialen Interaktions-Bedingungen zu b eobachten ist. S o zeigten Z ak, Kurzbahn und M atzner (2003), dass Personen mi t hö herem Plasma-O xytocin-Spiegel in einem S piel, b ei dem ma n einem M itspieler Geld a nvertrauen ka nn, ein hö heres V ertrauen zu ihr en M itspielern ha tten. W ährend dies e S tudie nur einen indir ekten Hinweis auf die zen trale Wirkung des O xytocins a uf das V ertrauen zeigt e, konnten K osfeld, H einrichs, Z ak, Fis chenbacher und F ehr (2005) demo nstrieren, dass a uch die intranasale Ga be v on O xytocin zu einer V erstärkung des Vertrauens in einem Spiel führt, bei dem man einem Mitspieler Geld anvertrauen muss. Anscheinend beruht die vertrauensbildende Funktion von O xytocin a uf einem Z usammenspiel s einer angstreduzierenden und b indungsverstärkenden Wirkungen. Neurophysiologisch g esehen sp ielt b ei dies en Funktionen die Amygdala eine zentrale Rolle, von der man weiß, dass sie s owohl an der En tstehung von k omplexen s ozialen B eziehungen (A dolphs, 2003) als a uch a n der v on An gstreaktionen (L eDoux, 2000) ma ßgeblich b eteiligt ist. I n j üngster Zeit ist gezeigt worden, dass sich in der Am ygdala Rezeptoren befinden, durch die Oxytocin und Vasopressin deren Aktivität modulieren können (Huber, Veniante, & S toop, 2005). Es ist daher a nzunehmen, dass O xytocin seine Wirkung durch eine Modulation der Am ygdala erzielt. Wir haben dies erstmalig in einem H umanversuch zeigen können
21.4 · Zusammenfassung: Interaktion von Dopamin und Oxytocin
(Kirsch et al ., 2005). D abei haben wir mä nnlichen Probanden p er N asenspray O xytocin v erabreicht und da nn mi t H ilfe der f unktionellen M agnetresonanztomographie die Aktivierung der Amygdala während der B etrachtung angstauslösender Bilder betrachtet. Wir fanden eine im V ergleich zu einer Placebogabe r eduzierte Ak tivierung der Am ygdala un ter O xytocin, in sbesondere a uch b ei der Betrachtung von G esichtern mit ho chängstlichem Gesichtsausdruck. Die B edeutung des O xytocins f ür die s oziale Bindung mac hen a uch B efunde deu tlich, die b elegen, dass eine Störung des Oxytocin-Systems bei bestimmten psy chischen S törungen v orzuliegen scheint. B esonders a usführlich wir d dies b ereits seit lä ngerer Z eit im Z usammenhang mi t A utismus disk utiert (z. B. G reen et al ., 2001). Dies erscheint nahelieg end, w eil s oziale I nteraktionsstörungen dem autistischen Krankheitsbild immanent sind. Erste B ehandlungsversuche (Hollander et al ., 2007) zeig en, dass O xytocin die s ozialen Kognitionen v on Autisten v erbessern ka nn. D arüber hina us wir d a uch üb er die B edeutung des Oxytocins f ür a ndere psy chische S törungen mi t devianter sozialer Interaktion spekuliert, wie z. B. der B orderline-Persönlichkeitsstörung (B artz & Hollander, 2006). In diesem Zusammenhang wird die M öglichkeit disk utiert, dass eine S törung des Oxytocinsystems, die zu einer V ulnerabilität f ür die En tstehung v on B eziehungsstörungen f ühren könnte, durch die f rühkindliche Deprivation hinsichtlich en ger s ozialer B indungen en tsteht. S o haben F ries, Z iegler, K urian, J acoris und P ollak (2005) in einem na turalistischen S etting g ezeigt, dass b ei K indern, die s ozial und emo tional depriviert in einem r ussischen o der r umänischen Waisenhaus a ufgewachsen wa ren und die später adoptiert wurden, b eim körperlichen Kontakt mit der Adoptivmutter weniger Oxytocin im Urin nachweisbar war als bei leiblichen Kindern, die die ersten Lebensjahre in behüteten Verhältnissen verbracht ha tten. Ob wohl dies e S tudie met hodische Schwächen aufweist, gibt sie doch einen wichtigen Hinweis da rauf, wie f rühkindliche Er fahrungen durch eine Veränderung biologischer Systeme die soziale B eziehungsfähigkeit und da mit a uch das Wohlbefinden im spä teren Leben maßgeblich beeinflussen können.
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21.4 Z usammenfassung: Interaktion
von Dopamin und Oxytocin bei der Entstehung von Wohlbefinden
Fasst ma n die o ben r eferierten B efunde zus ammen, s o k önnte ma n zu einem st ark v ereinfachten neur obiologischen M odell v on Wohlbefinden als p ositivem Af fekt k ommen, der sic h d urch die Befriedigung von Bedürfnissen einstellt. Hinsichtlich s ozialer B edürfnisse wä re Wohlbefinden mi t einem Z ustand v on s ozialer Nähe, S icherheit und Geborgenheit ass oziiert, in dem O xytocin und Dopamin eine zen trale Ro lle sp ielen (vg l. hierzu auch Es ch & S tefano, 2004; 2005). D abei wür de das Erleb en s ozialer N ähe und B indung eine Reduzierung v on S tress und An gst üb er die Ein wirkung v on O xytocin a uf die Am ygdala b ewirken. Darüber hinaus führt die gleichzeitige Stimulation von O xytocinrezeptoren im N Acc zu einer Ak tivierung des mes olimbischen D opaminsignals, die über die Erhö rung a ntizipatorischer F reude und die Steigerung von Aktivität zu einer Erhöhung des Wohlbefindens führen (Liu & Wang, 2003, Young et al ., 2001). D as D opaminsystem wür de da bei über die Erhö hung der Anr eizmotivation auch zu einer S teigerung k onsumatorischer Ak tivitäten, oder allgemein emotional positiv gefärbter Aktivitäten beitragen. A us psychot herapeutischer Sich t w ichtig ist , dass die An sprechbarkeit b eider S ysteme b eim Menschen s ehr un terschiedlich a usgeprägt ist. Für das O xytocinsystem ist die An sprechbarkeit möglicherweise ma ßgeblich d urch f rühkindliche Erfahrung det erminiert, b eim D opaminsystem insbesondere d urch g enetische P rädispositionen, wobei zu er warten ist, dass die F orschung in der nahen Z ukunft s owohl w eitere g enetische und Umweltfaktoren a ls a uch G en-Umwelt-Interaktionen (C aspi & M offitt, 2006) iden tifizieren wir d, die die An sprechbarkeit v on Transmittersystemen maßgeblich beeinflussen. Es ist a nzunehmen, dass solche Unterschiede zum einen auch die Ansprechbarkeit a uf psy chotherapeutische I nterventionen, egal ob sie dir ekt dem Wohlbefinden dienen o der allgemein psy chotherapeutischer N atur sind , b eeinflussen. Zum anderen zeigt sich aber auch, dass sowohl das D opamin- als a uch das O xytocin-System d urch psy chologische F aktoren mo dulierbar
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Kapitel 21 · Neuromodulatorische Einflüsse auf das Wohlbefinden: Dopamin und Oxytocin
sind und s omit eine V eränderung dies er S ysteme durch psychotherapeutische Intervention zu einer Steigerung des Wohlbefindens führen kann. Literatur Adolphs, R. (2003). C ognitive neur oscience of human social behaviour. Nature Reviews Neuroscience, 4, 165-178. Amico, J . A., S eif, S. M. & Robinson, A. G. (1981). Ox ytocin in human plasma: c orrelation with neur ophysin and stimulation with estrogen. The Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism, 52, 988-993. Aron, A., F isher, H., M ashek, D. J., Strong, G., Li, H. & Br own, L. L. (2005). Reward, motivation, and emotion systems associated with early-stage int ense r omantic lo ve. Journal of Neurophysiology, 94, 327-337. Bartels, A. & Z eki, S. (2004). The neural correlates of mat ernal and romantic love. Neuroimage, 21, 1155-1166. Bartz, J . A. & Hollander , E. (2006). The neur oscience of affiliation: F orging links bet ween basic and clinical r esearch on neur opeptides and social beha vior. Hormones and Behavior, 50, 518-528. Bek, M. J., Eisner, G. M., F elder, R. A. & Jose , P. A. (2001). Dopamine r eceptors in h ypertension. Mount Sinai Journal of Medicine, 68, 362-369. Berridge, K . C. & Robinson, T. E. (1998). What is the r ole of dopamine in reward: hedonic impact, reward learning, or incentive salience? Brain Research Reviews, 28, 309-369. Blaicher, W., Gruber, D., Bieglmayer, C., Blaicher, A. M., Knogler, W. & Huber, J. C. (1999). The role of oxytocin in relation to female sexual arousal. Gynecologic and Obstetric Investigation, 47, 125-126. Blum, K., Braverman, E. R., Holder , J. M., L ubar, J. F., Monastra, V. J., Miller, D. et al . (2000). Rewar d deficiency syndrome: a biogenetic model f or the diag nosis and tr eatment of impulsive, addic tive, and c ompulsive beha viors. Journal of Psychoactive Drugs, 32 Suppl., 1-112. Buijs, R. M., de Vries, G. J. & van Leeuwen, F. W. (1985). The distribution and synaptic r elease of o xytocin in the c entral nervous sy stem. I n J . A. Amic o & A. G. Robinson (Eds .), Oxytocin. Clinic al and labor atory studies (S. 77-86). Amsterdam: Elsevier. Burgdorf, J . & P anksepp, J . (2006). The neur obiology of positive emotions . Neuroscience and Biobehavior al Reviews , 30, 173-187. Buss, D. M. (2000). The evolution of happiness . American Psychologist, 55, 15-23. Carlsson, A. (1995). The dopamine theor y r evisited. I n S. R. Hirsch & D . R. Weinberger (Eds .), Schizophrenia (S. 379400). Oxford: Blackwell Science. Caspi, A. & Moffitt, T. E. (2006). Gene-environment interactions in psy chiatry: joining f orces with neur oscience. Nature Reviews Neuroscience, 7, 583-590. Davidson, R. J ., Jackson, D . C. & K alin, N. H. (2000). Emotion, plasticity, c ontext, and r egulation: perspec tives fr om
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284
21
Kapitel 21 · Neuromodulatorische Einflüsse auf das Wohlbefinden: Dopamin und Oxytocin
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Momen tanes körperliches Wohlbefinden
286
Momentanes körperliches Wohlbefinden
Momentanes körperliches Wohlbefinden (FAW) Im Folgenden finden Sie eine Reihe von Aussagen zum körperlichen Wohlbefinden. Bitte lesen Sie jede Aussage durch und geben Sie an, wie gut sie Ihren momentanen Zustand beschreibt. Füllen Sie den Bogen bitte auch dann aus, wenn Sie sich im Moment nicht völlig wohlfühlen. Sie können immer zwischen fünf verschiedenen Antworten wählen. Je nachdem, was im Moment auf Sie zutrifft, kreuzen Sie bitte an: 0 = gar nicht zutreffend 1 = wenig zutreffend 2 = in mittlerem Maße zutreffend 3 = überwiegend zutreffend 4 = völlig zutreffend Bitte lassen Sie keine Aussage unbeantwortet. Wählen Sie in Zweifelsfällen die Antwort, die noch am ehesten auf Sie zutrifft. Im Moment trifft auf mich zu …
gar nicht
wenig
in mittlerem Maße
überwiegend
völlig
1
Ich bin körperlich belastbar.
0
1
2
3
4
2
Ich fühle mich behaglich.
0
1
2
3
4
3
Ich spüre nachwirkende freudige Erregung.
0
1
2
3
4
4
Ich bin angenehm erschöpft.
0
1
2
3
4
5
Ich bin genussfreudig.
0
1
2
3
4
6
Ich bin reaktionsfähig.
0
1
2
3
4
7
Ich fühle mich gepflegt.
0
1
2
3
4
8
Ich fühle mich körperlich gesund.
0
1
2
3
4
9
Ich bin in Mußestimmung.
0
1
2
3
4
10
Ich verspüre Tatendrang.
0
1
2
3
4
11
Ich bin rechtschaffen müde
0
1
2
3
4
12
Ich höre genussvoll Musik
0
1
2
3
4
13
Ich bin mit meiner Arbeitsleistung zufrieden.
0
1
2
3
4
14
Ich fühle mich sauber und frisch.
0
1
2
3
4
15
Ich fühle mich körperlich ausgeglichen.
0
1
2
3
4
16
Ich bin von Druck befreit.
0
1
2
3
4
17
Ich bin neugierig-gespannt.
0
1
2
3
4
18
Ich verspüre nachlassende Anspannung.
0
1
2
3
4
19
Ich spüre, dass eine angenehme Berührung nachwirkt.
0
1
2
3
4
20
Ich kann mich gut konzentrieren.
0
1
2
3
4
21
Mein Körper riecht gut.
0
1
2
3
4
22
Ich bin mit meinem gegenwärtigen Körperzustand einverstanden.
0
1
2
3
4
23
Ich habe das Gefühl, Zeit zu haben.
0
1
2
3
4
24
Ich habe das Gefühl, durchstarten zu können.
0
1
2
3
4
25
Ich fühle mich angenehm schläfrig.
0
1
2
3
4
26
Ich habe Lust, meine körperlichen Grenzen auszutesten.
0
1
2
3
4
▼
287
Momentanes körperliches Wohlbefinden
Im Moment trifft auf mich zu …
gar nicht
wenig
in mittlerem Maße
überwiegend
völlig
27
Ich bin zu konzentrierten Bewegungen fähig.
0
1
2
3
4
28
Ich habe ein angenehmes Hautgefühl.
0
1
2
3
4
29
Ich bin durchhaltefähig.
0
1
2
3
4
30
Ich spüre, dass körperliche Erholung einsetzt.
0
1
2
3
4
31
Ich bin innerlich erfüllt.
0
1
2
3
4
32
Ich spüre, wie die Alltagsbelastung nachlässt.
0
1
2
3
4
33
Ich bin leidenschaftlich gestimmt.
0
1
2
3
4
34
Ich habe einen klaren Kopf.
0
1
2
3
4
35
Ich habe einen angenehmen Duft in der Nase.
0
1
2
3
4
36
Mein Kreislauf ist stabil.
0
1
2
3
4
37
Ich habe das Gefühl, frei zu atmen.
0
1
2
3
4
38
Ich strahle Energie aus.
0
1
2
3
4
39
Ich verspüre eine angenehme Schwere in meinen Gliedern.
0
1
2
3
4
40
Ich fühle mich sexuell erlebnisfähig
0
1
2
3
4
41
Ich bin mit Dingen beschäftigt, die mich interessieren.
0
1
2
3
4
42
Meine Haut ist gut durchblutet.
0
1
2
3
4
43
Ich kann meinen augenblicklichen Körperzustand genießen.
0
1
2
3
4
44
Ich genieße die beschauliche Ruhe um mich herum.
0
1
2
3
4
45
Ich bin heiter gestimmt.
0
1
2
3
4
46
Ich fühle mich wohlig warm.
0
1
2
3
4
47
Ich habe eine Verschnaufpause verdient.
0
1
2
3
4
48
Ich kann meinen Wünschen freien Lauf lassen.
0
1
2
3
4
49
Ich bin wach.
0
1
2
3
4
50
Ich habe ein angenehmes Körpergefühl.
0
1
2
3
4
51
Mein Körperzustand ist mir vertraut.
0
1
2
3
4
52
Die Hauptanstrengungen des heutigen Tages liegen hinter mir.
0
1
2
3
4
53
Meine Haut ist gepflegt.
0
1
2
3
4
54
Ich habe mir Wohlgenüsse verschafft.
0
1
2
3
4
55
Ich habe meine heutigen Anforderungen im Griff.
0
1
2
3
4
56
Meine Frisur ist in Ordnung.
0
1
2
3
4
57
Ich kann mich auf das Wesentliche konzentrieren.
0
1
2
3
4
58
Ich bin von einem schönen Tagesereignis erfüllt.
0
1
2
3
4
Datum: _______________ U hrzeit: _______________ Haben Sie jetzt Freizeit? ■ Arbeitszeit? ■ Was haben Sie unmittelbar vor dem Ausfüllen dieses Fragebogens gemacht? _____________________________________________________________________________________________________________________________ Alter: ____________ Geschlecht: männlich ■ weiblich ■ Beeinträchtigt Sie Ihr momentaner Gesundheitszustand dabei, Dinge zu tun, die Sie gerne tun würden? Ja ■ nein ■ Frank; Verfahrensbeschreibung s. Frank (2003)
288
Momentanes körperliches Wohlbefinden
Auswertung Addieren Sie die a ngekreuzten Punktwerte für die zu der jeweiligen Skala gehörenden Items: 1. Zufriedenheit mi t dem a ktuellen K örperzustand: 1, 8, 15, 22, 29, 36, 43 (7 I tems) 2. Ruhe/Muße: 2, 9, 16, 23, 30, 37, 44, 46, 51 (9 Items) 3. Vitalität/Lebensfreude: 3, 10, 17, 24, 31, 38, 45 (7 Items) 4. nachlassende Anspannung: 4, 11, 18, 25, 32, 39, 47, 52 (8 Items) 5. Genussfreude/Lustempfinden: 5, 12, 19, 26, 33, 40, 48, 54, 58 (9 Items) 6. subjektive K onzentrations- und Re aktionsfähigkeit: 6, 13, 20, 27, 34, 41, 49, 55, 57 (9 Items) 7. G epflegtheit, F rische, a ngenehmes K örperempfinden: 7, 14, 21, 28, 35, 42, 50, 53, 56 (9 Items). Zur V erlaufsbetrachtung em pfiehlt sic h f ür j ede Skala eine grafische Darstellung der Ergebnisse.
Ressourcen-Checkliste
290
Ressourcen-Checkliste
Die Ressourcen-Checkliste ist eine Aufstellung der wichtigsten f ür s eelisches W ohlbefinden v erantwortlichen s ozialen, um weltbezogenen und p ersönlichkeitsbezogenen Stärken (Ress ourcen) einer Person. Kein Mensch besitzt alle diese Ressourcen, aber d ie me isten Menschen b esitzen e inige d avon in ihrem Leben. Bitte schreiben Sie in die linke Spalte, wie sehr Sie denken, dass sie die betreffende Ressource mo-
mentan in Ihren Leben besitzen auf einer Skala von 0 (gar nicht) bis 3 (sehr). Bitte schreiben Sie in die rechte Spalte, wie wichtig es Ihnen gr undsätzlich ist, dies e Ress ource in Ihrem Leben zu besitzen oder zu erwerben auf einer Skala von 0 (gar nicht wichtig) bis 3 (sehr wichtig). Es gib t k eine r ichtigen und fals chen An tworten, bitte ur teilen Sie ganz nach Ihrem momentanen Gefühl.
Name .............................................................. Datum: ..................... Ich besitze momentan diese Ressource ... 0 – gar nicht 1 – ein wenig 2 – ziemlich 3 – sehr ↓
Wie wichtig ist mir diese Ressource? 0 – gar nicht wichtig 1 – ein wenig wichtig 2 – ziemlich wichtig 3 – sehr wichtig ↓
1. ein(e) Partner(in), dem/der ich mich nahe fühle und dem/der gegenüber ich mich vollkommen öffnen kann 2. ein(e) Partner(in), auf den/die ich mich verlassen kann und dem/der ich vollkommen vertraue 3. ein(e) Partner(in), mit dem/der zusammen ich positive Gefühle erlebe 4. ein erfülltes, gelöstes Sexualleben, das mir Vitalität gibt und Freude bereitet 5. einige nahe Freunde, denen gegenüber ich mich öffnen und denen ich vollkommen vertrauen kann 6. Familienangehörige (Eltern, Geschwister, Kinder, etc.), denen ich vollkommen vertraue und bei denen ich mich gefühlsmäßig aufgehoben fühle 7. Familienangehörige, die mich respektieren und bedingungslos lieben 8. ein Beruf, der mir Freude macht, der meinen Fähigkeiten entspricht und in dem ich mich weiterentwickeln kann 9. sympathische Arbeitskollegen, mit denen ich mich gut verstehe 10. berufliche Vorgesetzte, denen ich vertrauen kann und die mich fördern 11. eine zufriedenstellende finanzielle Situation 12. ein guter Ausgleich zwischen Arbeits- und Freizeit 13. Freizeitbeschäftigungen, die mir Freude bereiten und in denen ich meine Talente und Neigungen verwirklichen kann 14. eine unbezahlte ehrenamtliche Tätigkeit, die ich zu Gunsten anderer ausübe 15. eine Wohnung, in der ich mich wohl und geborgen fühle 16. ein Wohnort (Haus, Nachbarschaft, Gemeinde, Land), in dem ich mich wohl fühle und wo ich gerne lebe 17. gute körperliche Gesundheit 18. ein Körper, in dem ich mich wohl fühle, und der mir gut gefällt 19. körperliche Betätigung, die mir gut tut 20. das Gefühl einer guten seelischen Gesundheit
Ressourcen-Checkliste
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21. Zeiten der Erholung und Entspannung, in denen ich Energie tanken kann 22. Zeiten der Aktivität und der Spannung, in denen ich mich ganz lebendig fühle 23. die Fähigkeit, mich selber ganz so anzunehmen und zu lieben, wie ich bin 24. ein starkes Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen in mich und meine Fähigkeiten 25. ein sicheres Auftreten in sozialen Situationen (nein sagen können, Gefühle äußern können, um einen Gefallen bitten können, etc.) 26. die Fähigkeit, mühelos auf andere Menschen zuzugehen und mit ihnen in Kontakt zu treten 27. die Fähigkeit, gute Gespräche mit verschiedenen Arten von Menschen zu führen 28. die Fähigkeit anderen Menschen gegenüber geduldig und tolerant zu sein und sie so zu akzeptieren, wie sie sind 29. die Fähigkeit, anderen Menschen gegenüber gewissenhaft, verlässlich und treu zu sein 30. die Fähigkeit, anderen Menschen echt, offen und unverstellt zu begegnen und mich ihnen so zu zeigen, wie ich bin 31. die Fähigkeit, anderen Menschen Liebe, Nähe, Geborgenheit und Zärtlichkeit zu schenken 32. die Fähigkeit, von anderen Menschen Liebe, Nähe, Geborgenheit und Zärtlichkeit anzunehmen 33. ein friedfertiges und freundliches Herz 34. die Fähigkeit, Mitleid zu empfinden 35. die Fähigkeit zu selbstlosem Handeln 36. die Fähigkeit, mich selber nicht zu ernst zu nehmen und über mich selber lachen zu können 37. die Fähigkeit, feinfühlig auf andere Menschen und ihre Bedürfnisse eingehen zu können 38. Mut, mich in gefürchtete und ungewisse Situationen hinein zu begeben 39. die Fähigkeit, mich selber weiter zu entwickeln und alte Begrenzungen zu überwinden 40. ein starker Wille, Dinge zu tun, die ich als richtig und wichtig erkenne 41. Ausdauer, eine wichtige Tätigkeit bis zum Ziel durchzuhalten 42. eine Beschäftigung, in der ich einem Talent, einer Neigung oder einem Interesse Ausdruck verleihe und die mich mit Sinn erfüllt 43. Lust an kreativer, schöpferischer Tätigkeit, in der ich alles andere um mich herum vergessen kann 44. das Gefühl, mein Leben in wichtigen Belangen zu einem großen Teil selber beeinflussen zu können 45. ein sorgloses und heiteres Gemüt 46. Vertrauen in die Zukunft und in die Verwirklichung meiner Wünsche 47. die Fähigkeit, Dinge loszulassen, die ich nicht selber beeinflussen kann 48. ein starker Glaube an die Sinnhaftigkeit der Welt und meines Lebens 49. der Glaube an eine allmächtige Kraft (Gott), die mich stets behütet, und an ein ewiges Leben 50. der Glaube an eine allliebende Kraft (Gott) und das Gefühl, von ihr angenommen und geliebt zu werden, so wie ich bin
A. Dick, revidierte Version, Ursprüngliche Fassung s. Dick, A. (2003). Psychotherapie und Glück (S.169-174). Bern: Huber.
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Ressourcen-Checkliste
Auswertung und Verwendung der Ressourcen-Checkliste Die Ress ourcen-Checkliste ka nn o hne w eitere Auswertung zunäc hst s o b enutzt w erden, wie S ie ausgefüllt wurde. In der Psychotherapie kann zum Beispiel ein v ertieftes G espräch üb er diejenig en Ressourcen stattfinden, die vom Patienten/von der Patientin als wichtig (2 und 3) eingeschätzt wurden (rechte S palte), indem w eiter exp loriert wir d, wie einige dies er wic htigen Ress ourcen, üb er die der Patient/die P atientin v erfügt (2 o der 3 in link er Spalte) genutzt und wie diejenig en wichtigen Ressourcen, üb er die der P atient/die P atientin nic ht oder n ur un genügend v erfügt (0 o der 1 in link er Spalte) aufgebaut oder weiterentwickelt we rden könnten. Ferner k önnen die einzelnen Ress ourcen zu größeren Einhei ten zus ammengefasst w erden, indem die Werte der linken und die Werte der rechten Spalte s eparat f ür die b etreffenden I tems addier t und anschließend durch die Anzahl der (a usgefüllten) Items pro Gruppe dividiert werden, so dass sich zwei Dur chschnittswerte p ro Res sourcen-Gruppe ergeben, einer f ür die mo mentane Verwirklichung der Ressource (linke Spalte) und einer für die Wichtigkeit der Ressource (rechte Spalte): ▬ Umweltbezogene und soziale Ressourcen (1-16) – Partnerschaft, intime Beziehung (1, 2, 3, 4) – Familie, Freunde (5, 6, 7) – Beruf, Einkommen, Lebensstandard (8, 9, 10, 11, 12) – Freizeit (12, 13, 14) – Wohnort, Wohnsituation (15, 16) ▬ Persönlichkeitsbezogene Ressourcen (17-50) – Gefühl der G esundheit, L ebendigkeit, A usgeglichenheit (17, 18, 19, 20, 21, 22) – Selbstwertgefühl, Selbstakzeptanz (23) – Selbstsicherheit, s oziale K ompetenz, Extraversion (25, 26, 27) – Liebesfähigkeit, Beziehungsfähigkeit (27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37) – Mut, Willenskraft (38, 39, 40, 41) – Kreativität, Schaffenskraft (42, 43) – K ontrollgefühl (44) – Gelassenheit, Z uversicht, H eiterkeit (45, 46, 47) – Religiöser Glaube, Spiritualität (48, 49, 50)
Anstelle eines Fragebogens, der vom Patienten ausgefüllt wird, kann die Ress ourcen-Checkliste auch vom Therapeuten als Gedankenstütze im Gespräch mit dem P atienten v erwendet o der s ogar v ollständig im H inblick a uf den P atienten a usgefüllt werden, um das U rteil des Thera peuten üb er den Patienten zu er fassen und e v. mi t der eig enen Einschätzung des Patienten zu vergleichen. Grundsätzlich kann die Ress ourcen-Checkliste von jeder Person für eine a ndere bekannte Person ausgefüllt und das U rteil anschließend mit dem eig enen Urteil der betreffenden Person, um die es geht, verglichen werden. Mitteilungen und F ragen zur Verwendung der Ressourcen-Checkliste nimmt der Autor gerne entgegen.
Stichwortverzeichnis
A Acceptance and Commitment Therapy 73 Achtsamkeit 69, 70, 182, 192 Achtsamkeitstraining 49 Adaptationsniveautheorie 8 Adipositas 166 Adoleszenz – Selbsterziehung 241 – Geschlechtsreife 240 Affekt, positiver 10, 274–275 Aktivität 255 Akzeptanz 77 Alkoholabhängigkeit 53, 155 Alkoholmissbrauch 155 Alter 7, 13, 142 Altern 249–259 – Befriedigungsstrategie 254–257 – Bewältigungsstrategie 253–254 – emotionale Befindlichkeit 250–251 – Lebensqualität 250–253 – Lebenszufriedenheit 251
– L ebenszufriedenheitskompetenz 251–258 – Modell der selektiven Optimierung mit Kompensation 252–253 – Religiosität 256–257 Altruismus 4, 13 Amphetamine 277 Amygdala 276, 280–281 Angst 155, 279–281 Annäherungsziel 136 Anreiz-Modell 8 Anspruchsniveautheorie 8 Arbeit 10, 13 Arbeitsfähigkeit 9 Arbeitsmodell, inneres 209 Armutsentwicklung 246 Askese – genießen 65 – asketisch sein 65 Atem 77 Aufklärung 24 Aufmerksamkeit 62 – Aufmerksamkeitslenkung 70 – gleichschwebende 72 Authentizität 190 Autismus 281
Autogenes Training 141 Autonomie 6, 13, 110, 233 Autonomieverlust 191 Autopilotenmodus 70
B Baby 62 Balance-Modell 57–58, 61, 63, 153 Barriere 77 Basis, sichere 207 Bedürfnis 50 – Grundbedür fnis 35–37 Bedürfnisbefriedigung 7 Bedürfnishierarchie 8 Beeinflussbarkeit 60 behavioral approach system 275, 278 Belastungsstörung, posttraumatische 155 Belohnungssystem 264, 267–268, 276–278, 281 – Reward 276 Beratung 24, 48 Besonnenheit 47
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Stichwortverzeichnis
Bewältigungsfrage 95 Bewältigungsstrategie 151 Beziehung 47 – soziale 255, 278–281 – therapeutische 209 Beziehungsarbeit 25 Beziehungsgestaltung 37–41 Bildung 13 bildgebendes Verfahren 264 Bindung – soziale 279–281 – unsicher-vermeidende 208 – unsicher-ambivalente 208 – desorganisierte/desorientierte 208 – sichere 206 Bindungsforschung 204 Bindungsmuster 210 – Patient 210 Bindungsverhalten 208 Bindungsverhaltenssystem 204 Body-Scan 73 Borderline-Persönlichkeitsstörung 132, 155 Bottom-up-Theorie 7 Broaden-and-Build-Theorie 11–12, 35 Buddhismus 71 Burnout 140
C Colon irritabile – Reizdarm 165 Compliance 11, 135 Coping, dyadisches 217 Copingstrategie 200 Cortisol 205 craving 278
D Daseinsanalyse 49, 60 Demoralisierung 21
Depression 47, 76, 155 Dialog, innerer 191 Differenzbewusstsein 191 Distanz, emotionale 233 Disziplinierung 23 Dopaminsystem, mesolimbisches 276–278, 281 – Dopamin 275–278 Dramatherapie 65 Drogenmissbrauch 155 Dummheit 60
E Eheberatung 215 Eigenwirksamkeit 125 EPL, Ein Partnerschaftliches Lernprogramm 216 Einkommen 7, 10, 13 Einladungsfrage 94 Einschüchterung 23 Eltern 240 Emotion 46, 120 – Ärger 50 – Basisemotion 265 – Emotionstheorie 48 – Gefühle 50 – Trauer 50 – Wut und Hassgefühle 232 Emotionsmodell 265 Emotionstheorie 265 Empathie 49, 229, 233 Empfindungsfähigkeit, prosoziale 13 Empowerment 20, 91 – Empowermentprozess 92 Endorphin 205 Entfremdung 99 Entspannung 77, 141 Erleben, euthymes Verhalten 63 Erzählpraxis 87 Erziehungsnorm, elterliche 187 Essstörung 132, 135, 155 Euthyme Intervention 64–65
Expansivität 6, 13 Expertenschaft 96 Explorationssystem 204 Exposition 72 Externalisierung 95 Extraversion 9, 13, 47, 142
F Fallkonzeption 91 Familie 10, 13 Familientherapie, systemische 104 Feindseligkeit 232 Feinfühligkeit 206 Feldenkrais-Pädagogik 182 felt-sense 78 Finden und Erfinden 126 Flow 5, 10, 46 Fluktuation 94 Freiburger Stresspräventionstraining für Paare 216 Fremde-Situation-Test (s. FST) Freude – Ausdrucksgeste 120 – Selbstgefühl 120 – kontrollierte 120 – anstecken mit 128 Freuden-Biografie – Erinnerung 121 FST (Fremde-Situation-Test) 207 Fürsorglichkeit 61–62
G Geborgenheit, Suche nach 204 Gefühlsarbeit 25 Gegenwart 72 Genotyp 278 Genuss 61 – akustischer 139 Genussfähigkeit 9, 13 Genussfreude 134, 137, 142 Genussregel 64
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Stichwortverzeichnis
Gerechtigkeit 47 Geschlecht 7, 13, 142 Geschlechtsreife 240 Gesellschaftsvergessenheit 97 Gesprächspsychotherapie 78 Gesundheit 13 – Gesundheitsförderung 56, 135, 141 – Gesundheitskriterien, objektive 133, 143 – Modell zu Gesundheit und Krankheit 56f – objektiver Gesundheitsindikator 143 – Schutzfaktor 133 – seelische 5–7, 9–10, 62–63, 65 – T rierer Persönlichkeitsfragebogen (TPF) 6 Gestalttherapie 49 Gewinn-Verlust-Bilanz 10 Glaube 47 Glück – Ersatzglück 45 – Glückseligkeit 46 – Scheinglück 45 – Seligkeit 46 Glückspotenzial 12 Gruppenprogramm 146 Gruppentherapie 49
H Haltefunktion 22 Handeln, prosoziales 229 HEDE-Kontinuum 57 Hedonic Treadmill-Theorie 11 Heilung 48 Heterostase 61 Heuristik, therapeutische 37–41 Heuschnupfen 167 Hier-und-Jetzt 76 Hirnstruktur 264, 266–268 Hoffnung 47 Hypnose 164, 173–175 – Praxishinweise 173f – Selbsthypnose 166
Hypnosetherapie 90 – ressourcenorientierte 96
I Identität 190 Identitätsarbeit 192 Identitätserzählung 98 Identitätskonzept 191 Imagination 122, 125, 142, 146, 151, 166 – Entscheidung 168f – geheimer Raum 168 – situationsbezogene 164 – Vergangenheit 169f – Wegwerftechnik 171 Immunsystem 194 Individualpsychologie 49 Individualisierungsprozess 241 Intimität 207 Itemformat 57
K Katatymes Bildeerleben 49 Kernspintomographie, funktionelle 264 Kleine Schule des Genießens 56ff Kohärenzgefühl 60–61, 192 Kohärenzsinn 242 Kommunikation 106, 215 Kompetenz 214 – soziale 48 Konformität 49, 190 Konfrontation 23, 49 Kongruenz 36 Konkordanz 36 Konsistenz 35–37 Konstruktivismus – kognitiver 85 – sozialer 85–87 Kontrolle – Kontrollerwartung 47
B–M
Kooperation 105 Körperbildtherapie 142 Körperdysmorphe Störung 132, 135 Körperempfindung, angenehme 138 Körpererinnerung, positive 136 Körperkoordination 137 Körperperipherie 274–275 Körperwahrnehmung 132 Körperzentrierte Psychotherapie 49 Krankheitsmodell 146 Krebserkrankung 167 Krisenmanagement 27–28 Kurzzeittherapie 106
L Lächelinteraktion 121 Lebensinvestment, persönliches 8 Lebensqualität 5, 11, 134–135, 142 – gesundheitsbezogene 5 – alt ersbezogene 250–253 Lebenssinn 6, 13 Lebensziel 14, 162 – Begriffsbestimmung 160 – Metapher 167f. – pathologischer Faktor 160 Lebenszufriedenheit 45, 251 Leiden 71 Lernen, selbstentdeckendes 195 Liebe 46 Liebesfähigkeit 6, 9, 13 Lösungsorientierung 105 Lust – Lustgewinn 51
M Machtgefälle 29 Mäßigung 47
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Stichwortverzeichnis
Meditation 49, 70 – formell 73 – informell 73 Mentalisierung 206 Metaanalyse 76 Mindfulness 69 Modelllernen 154 Motivation 275–278 – Anreizmotivation 278 Mut 47 Mutter-Kind-Beziehung 61
N Netz, neuronales 112 Neurotizismus 47, 51 Neurotransmitter 275 Neutralität 113 Nische, hedonistische 63–64 Normsystem 185–186 Nucleus Accumbens 268, 276–278, 281
O Oberplan 64 Optimismus 4, 9, 13, 22, 47 Orgasmus 279 Oxytocin 205, 275, 279–281
P Paartherapie 214 Pänomenologie 48 Partnerschaft 10, 13, 135 Partnerschaftspflege 215 Peerkultur – Gruppentreffen 245 – negative 244 – Peerbeziehung 243 – Peergruppe 244 – positive 244–245
Peerkulturarbeit, positive 245 Persönlichkeit 278 Persönlichkeitsstörung 21 Pessimismus 61 Phänomenologie 46 Placeboeffekt 5 Positive Psychologie 4–5, 50 Positronen-Emissions-Tomographie 264 Präsenz 72, 78 Prävention 59, 135 – bei Paaren 214 Priming 34–37 – Annäherungspriming 36–37 Problemlösung 215 Progressive Muskelrelaxation 141–142 Psychotherapie – achtsamkeitsbasierte kognitive 73 – bindungstheoretisch informierte 211 – dialektisch-behaviorale 73 – euthyme 62 – gesprächspsy chotherapeutische 49 – kognitive 49 – kognitiv-behaviorale 164–175 – psychoanalytische 49 – rational-emotive 49 – ressourcenorientierte 12 – sozialkonstruktive 88 – stärkenorientierte 245 – störungsspezifische 65
R Raynaud-Erkrankung 167 Reaktanz 22 Reflecting Team 95 Regulation, emotionale 206 Regulationsfertigkeit, körperbezogene 133 Reiz, sexueller 268–270 Religiosität 256–257 Resilienz 12
Ressource 5, 47, 59, 106, 121, 124, 137 – im Alter 14 – körperbezogene 136 – materielle 72 – natürliche 72 – Ressourcenliste 11 Ressourcenanalyse 163 Ressourcenaktivierung 37–41 – prozessgestaltende 39 Reue 230 – Entschuldigung 230 reward deficiency syndrome 278 Rhinitis, allergische 167 Rhythmus 63 Risikofaktor 215 Rückfallursache 28 Rückmeldung 95–96
S Schadenfreude 127 Scheidung 215 Scheidungsprädiktor 220 Schizophrenie 156, 276–278 Schlafstörung, psychophysiologische 156 Schlüsselthema 211 Schmerz 166 Schmerzstörung, somatoforme 155 Schonung 135 Schulqualität 243 Selbst 46, 190 Selbstachtung 232 Selbstaktualisierung 6, 9, 13 Selbstakzeptanz 13, 14 Selbstaufmerksamkeit 182 Selbstbeobachtung 136 Selbstbewertung, globale 182 Selbstbild, idealisiertes 172f Selbsteffizienz 193 Selbsterkenntnis 232 Selbstfürsorge 65–66 Selbstheilung 191
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Stichwortverzeichnis
Selbstkontrolle 170f – Rückgewinnung 165 Selbstmanagement 193 Selbstreflexion 191 Selbstregulation 6, 14, 206 – körperliches Wohlbefinden 132, 135–141 Selbstsicherheit 172 Selbststimulation 277 Selbstüberschätzung, narzistische 188 Selbstvergessenheit 6, 13 Selbstvertrauen 51, 172 Selbstwert 181 – bereichsspezifischer 181 – globaler 181 – Messung von 181 – Selbstwertkontingenz 181 Selbstwertgefühl 6, 13, 47, 62, 256 Selbstwertskala (MSWS) 181 Selbstwirksamkeit 60 Set-Point 11 Sexualität 270 Sinnhaftigkeit 60, 198 SOK-Modell 7, 10 Somatischer Marker 3 Sozialarbeit 48 Sozialer Kontakt – prosoziales Handeln 229 – soziale Zuwendung 140–142 – unterstützend 141 – wettbewerbsorientiert 141 Sozialkonstruktivismus 85 Spiegelneuron 136 Spiritualität 198 – religiöse Aktivität 47 – religiöse Erfahrung 47 – spirituelle Orientierung 46 Sport 135, 141–142 Sprache 94 – Sprachfigur 94 Stabilität, emotionale 72 Stärke 4, 7, 48 – Definition 7 – Strength Survey 7 Störung, psychische 47 story dealer 90, 98
Stress 59, 75, 141, 221, 277, 279–281 – Cortisol 280 – ACTH 280 Stressbewältigung 218 – regenerative Form 139 Stressreaktivität 205 Stressreduktion, achtsamkeitsbasierte 73 Suggestion 166–167 Supervision 29 System, limbisches 266–268 – anteriorer cingulärer Kortex 266 – Basalganglien 266 – Hippokampus 266 – insulärer Kortex 266 – orbitofrontaler Kortex 266 – Thalamus 266 – ventrales tegmentales Areal 266 – zentrales Höhlengrau 266 Systemmodell 91 Systemische Therapie 49
M–V
– Traumarbeit 49 – Übertragungsdeutung 25–27 Therapieziel 52, 160, 166f – Analyse 162–164 – Funktion 162–164 – körperbezogenes 138 – Schmerzbewältigung 166 – Schmerzwahrnehmung 166 – W ohlbefinden (s. Wohlbefinden) Tiefenpsychologie 78 Tinnitus, chronischer 140 Toleranz 194 Top-down-Theorie 9 Transaktionsanalyse 49 Training sozialer Kompetenz 49 Transparenz 25, 90 Trauer, pathologische 155 Trauma 48 – unverarbeitetes 211 Tugend 4, 7, 13 – Charakterstärke 47 – tugendhaft 46
U T Tastsinn 125 Therapeut 210 – ängstlich-vermeidender 210 – Bindungsbedürfnis 210 Therapiebeziehung 26, 37–41 – bond 38 – hope bonding 38 – motivorientierte 37, 38, 40 Therapieoptimismus 23 Therapieplanung 51 Therapietechnik – BABI (brief attachment based intervention) 211 – Focusing 49 – Katharsis 49 – Morita-Therapie 49 – paradoxe Intention 49 – Rollenspiel 49 – Sokratischer Dialog 49
Umweltfaktor, wohlbefindensförderlicher 9, 13 Undoing-Hypothese 11 Unterstützung, soziale 280 Urvertrauen 61
V Veränderung 24 Vergebung – Entschuldigung 229 – in Partnerschaften 229 – Prozess des Vergebens 229 – religiöse Orientierung 231 – Selbstvergebung 228 – Willensakt 233 Vergebungsprozess 232 Vergleichsniveautheorie 8 Verhalten, euthymes 63
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Stichwortverzeichnis
Verhaltensanalyse 146 Verhaltensstörung 208 Verhaltenstherapie 4, 12 Verhältnisse, gesellschaftliche 13, 98 Verlust von Positiva 59 Vermeidung 160f Vermeidungsmotivation 161 Vermeidungsziel 161 Verstärker – positiver 265 – primärer 265 – sekundärer 265 Verstehbarkeit 60 Verzeihen 228 Vitalität 134, 137–139, 142 Vorfreude 127
W Wahrnehmungsschärfung 197 Wandel 198 Well-Being-Therapie 12 Wende, narrative 89 Werthierarchie 187 Wertsystem 186 Wertvorstellung, internalisierte 184 WHO-Gesundheitssurvey 242 Widerstand 160f Widerstandskraft 14 Widerstandsquelle 57 – generalisierte 58, 60 Wirkfaktor 154 – psychischer Heilprozess 48 Wirklichkeitskonstruktion 107 Wohlbefinden 5, 45, 63, 70, 108, 240, 246 – eudaimonisches 5 – habituelles 47 – hedonisches 5 – körperliches (s. auch Selbstregulation) 134 – F ragebogen zur Erfassung des aktuellen körperlichen Wohlbefindens (FAW) 134, 286
– Persönlichkeitsfaktor 47 – soziales 14 – subjektives 45, 162 – Theorie 7–10 – Zielmerkmal 162 Wunder- bzw. Zielklärungsfrage 94
Y Yoga 74
Z Ziel (s. auch Therapieziel) – persönliches 254–256 – Realitätsgehalt 161 – Zielhierarchie 161 Zielerreichung 161 – emotionale Blockade 171 – Realisierung 171 – Zwischenziel 171 Zielvorstellung 160 – Analyse 163 – Erfassung 163 – Imagination 164 – Klarheit 163 – Orientierung 163 Zuverlässigkeit 62 Zwei-Prozess-Modell 35–37
Druck: Krips bv, Meppel Verarbeitung: Stürtz, Würzburg