Roland Wassermann Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten
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Roland Wassermann Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten
GABLER RESEARCH Strategisches Kompetenz-Management Herausgegeben von Univ.-Prof. Dr. Klaus Bellmann, Universität Mainz Univ.-Prof. Dr. Christoph Burmann, Universität Bremen Univ.-Prof. Dr. Jörg Freiling (geschäftsführend), Universität Bremen Univ.-Prof. Dr. Hans Georg Gemünden, Technische Universität Berlin Univ.-Prof. Dr. Peter Hammann (†), Universität Bochum Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Hans H. Hinterhuber, Universität Innsbruck Univ.-Prof. Dr. Thomas Mellewigt, Freie Universität Berlin Univ.-Prof. Dr. Dietrich von der Oelsnitz, Technische Universität Braunschweig Univ.-Prof. Dr. Heike Proff, Zeppelin University Friedrichshafen Univ.-Prof. Dr. Christoph Rasche, Universität Potsdam Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Günter Specht, Technische Universität Darmstadt Prof. Dr. Michael Stephan, Universität Marburg Univ.-Prof. Dr. Erich Zahn, Universität Stuttgart
Der Resource-based View und – in enger Verbindung dazu – das Management von (Kern-)Kompetenzen haben in den vergangenen Jahren die Unternehmensführung nachhaltig beeinflusst. Wissenschaft und Praxis beteiligen sich gleichermaßen an Fragen der ressourcenorientierten Unternehmensführung und des Knowledge Managements. Die Schriftenreihe greift diese Entwicklung auf und schafft ein Forum für wissenschaftliche Beiträge und Diskussionen.
Roland Wassermann
Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten Eine pfadorientierte Analyse am Beispiel deutscher Maschinenbauunternehmungen
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Jörg Freiling
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Bremen, 2009
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Sabine Schöller Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2234-2
Geleitwort Wie sollen Unternehmen Märkte mit ihren Leistungen erschließen? Ist es sinnvoll, einen gestuften Einstieg zu wählen, so dass zunächst die Kernleistung angeboten wird und Sekundärleistungen sowie komplette Systemleistungen später folgen? Oder werden die Unternehmen zunehmend dazu gedrängt, gleich zu Beginn ihr volles Leistungsarsenal auszuspielen? Die Internationalisierungsprozessforschung hat sich dieses Themas bislang vor allem mit Akzent auf die Logik der so genannten „Product Chain“ angenommen. Diese Kette, die auf die Arbeiten der Helsinki School insbesondere um Luostarinen zurückgeht, legt eine sukzessive Markterschließung nahe. Nicht wenige empirische Beiträge der jüngeren Zeit erheben aber zunehmend Zweifel an der Berechtigung dieser Product Chain. Speziell vor dem Hintergrund des internationalen Angebots von Sach- und Dienstleistungsbündeln im Bereich des Business-to-Business-Geschäfts drängt die Beantwortung der o.g. Fragestellung immer mehr. Auch die jüngere Auseinandersetzung um die „hybride Wertschöpfung“ im Sinne von untrennbaren Kopplungen von Sach- und Dienstleistungen wird immer mehr auch in die Richtung dieser Fragestellung geführt. Vor diesem Hintergrund ist die hier vorliegende Arbeit von Roland Wassermann, die in die beschriebene Forschungslücke um das Timing der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte stößt, eigentlich überfällig. Roland Wassermann konzentriert sich in seiner Arbeit auf den deutschen Maschinenbau, der in besonderer Weise von der internationalen Geschäftstätigkeit betroffen ist, dessen Wettbewerbsfähigkeit maßgeblich von der Erbringung begleitender Dienstleistungen abhängig ist und der mit seiner überwiegend mittelständischen Struktur ein Rückgrat der deutschen Wirtschaft schlechthin darstellt. Im Maschinenbau stehen besonders viele Unternehmen vor der Frage, ob sie im Zielland ein funktionsfähiges Service-Netz aufbauen wollen, wenn bereits der Aufbau einer Vertriebs-Infrastruktur für die Maschinen beträchtliche Mittel in Anspruch nimmt. V
Roland Wassermann untersucht im Rahmen seiner Arbeit dezidiert die Ursachen, die im Rahmen der Auslandsmarkterschließung von Unternehmungen die zeitliche Taktung bei der Markteinführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte beeinflussen. Dabei bedient er sich der evolutorischen Theorie, um die Pfadabhängigkeit getroffener Entscheidungen zu Beginn der Markterschließung erfassen zu können. Es ist für den Leser äußerst lehrreich, im Spannungsfeld wettbewerblicher Anforderungen die Auswirkungen von Entscheidungen auf den Internationalisierungspfad zu verfolgen. Seine theoretisch fundierten Überlegungen spiegelt Roland Wassermann empirisch anhand von Fallstudien aus dem deutschen Maschinenbau, die er erhoben hat. Wie wichtig eine kritische Grundhaltung zur Logik der Product Chain ist, wird im Verlauf der Arbeit herausgestellt. Mit der vorliegenden Arbeit setzt Roland Wassermann einen wichtigen Meilenstein in der Internationalisierungsforschung an der bislang nur wenig bearbeiteten Schnittstelle zwischen dem Internationalen Management und dem Management von Dienstleistungen. Ich wünsche der Arbeit eine große Resonanz in der Leserschaft und allen Lesern eine anregende Lektüre.
Prof. Dr. Jörg Freiling
VI
Danksagung Die vorliegende Arbeit wurde im Sommer 2009 an dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Universität Bremen als Dissertation angenommen. Ermöglicht wurde sie durch die tatkräftige Unterstützung zahlreicher Personen, denen ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Jörg Freiling, von dem ich in akademischer Hinsicht und auch darüber hinaus vieles lernen durfte. Herr Prof. Freiling hat mich in allen Phasen der Erstellung dieser Arbeit mit wertvollen Anregungen und konstruktiver Kritik unterstützt und stand mir immer als Diskussionspartner zur Verfügung. Bedanken möchte ich mich auch für die Freundlichkeit, die jedes unserer Gespräche und auch die Atmosphäre am Lehrstuhl prägte, sowie für die mir gewährten Freiräume und die stets schnellen Rückmeldungen auf meine Emails. Kurz gesagt: Ich hatte das Glück, eine rundum hervorragende Betreuung zu genießen. Danken möchte ich zudem Herrn Prof. Dr. Burmann, der sich sofort bereit erklärte, die zeitintensive Aufgabe des Zweitgutachters zu übernehmen und dies in unkomplizierter und freundlicher Weise tat. Darüber hinaus möchte ich den (Ex-)Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lehrstuhls für Existenzgründung und Entrepreneurship (LEMEX) danken. Besonderer Dank gebührt Herrn Dr. Michael Welling, der mir insbesondere in den frühen Phasen der Arbeit als nicht immer einfacher, aber stets ausgesprochen konstruktiver Diskussionspartner zur Verfügung stand und die Arbeit durch seine Anregungen in Bezug auf Themenschärfung und Grobstruktur mit prägte. Meiner Patentante Heidi Ceynowa danke ich herzlich dafür, dass sie die vollständige Korrektur der Arbeit übernahm. Mein größter Dank gilt meinen lieben Eltern, Ingeborg und Hans Wassermann, die mir meinen beruflichen und akademischen Werdegang erst ermöglichten und
VII
mir bei all meinen Entscheidungen stets tiefstes Vertrauen entgegenbrachten. Die Erstellung der vorliegenden Arbeit, die sich durch eine ausgeprägte dynamische Perspektive auszeichnet, schärfte mein Bewusstsein für zeitliche Zusammenhänge und machte mir somit auf besondere Weise deutlich, wie viel ich meinen Eltern verdanke. Ihnen widme ich diese Schrift. Zuletzt sei natürlich auch meiner lieben Katrin von Herzen gedankt, die das disputable Vergnügen hatte, mich während der Erstellung der Arbeit täglich zu sehen und mir viel Verständnis und moralische Unterstützung entgegenbrachte.
Roland Wassermann
VIII
Inhaltsübersicht 1 Problemstellung und Vorgehen ............................................................. 1 1.1
Einleitung und Problemstellung ......................................................................... 1
1.2
Zielsetzung und Aufbau der Arbeit ................................................................... 4
2 Grundlagen zur Erforschung zeitlich-dynamischer Aspekte bei der Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten .......................................... 9 2.1
Grundlagen der Forschung über produktbegleitende Dienstleistungen und hybride Produkte ......................................................................................... 9
2.2
Grundlagen der Internationalisierungsprozessforschung ............................. 48
2.3
Zusammenfassende Betrachtung...................................................................... 57
3 Forschungsmethodik und Festlegung einer geeigneten Referenztheorie zur Beantwortung der Forschungsfrage ................59 3.1
Darlegung des Ansatzes zur Erkenntnisgenerierung ..................................... 59
3.2
Anforderungen an die Referenztheorie zur Untersuchung der Forschungsfrage ................................................................................................. 64
3.3
Diskussion und Festlegung der Referenztheorie ............................................. 71
4 Die Competence-based Theory of the Firm (CbTF) als referenztheoretische Basis einer pfadorientierten Perspektive ......................93 4.1
Einleitung und Aufbau des Kapitels ................................................................ 93
4.2
Grundlagen der CbTF ....................................................................................... 96
4.3
Ausarbeitung einer pfadorientierten Perspektive in der CbTF .................. 107
4.4
Zusammenfassung ........................................................................................... 167
IX
5 Zeitlich-dynamische Aspekte bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten ................................................................................169 5.1
Die Bedeutung positiver Rückkopplungen bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten ............................................................................................. 169
5.2
Kontextspezifische Restriktionen der betrachteten Internationalisierungs(prozess)entscheidung ................................................ 206
5.3
Zusammenfassung der abgeleiteten potenziellen Ursachen für die zeitlichen Muster bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten .............................. 226
6 Empirische Plausibilitätsprüfung des abgeleiteten Modells ...........231 6.1
Entwicklung einer geeigneten Untersuchungsmethodik .............................. 231
6.2
Aufbau, Durchführung und Auswertung der empirischen Plausibilitätsprüfung ............................................................................................................. 235
7 Fazit und Ausblick ..............................................................................285 7.1
Zusammenfassung der zentralen Aussagen .................................................. 285
7.2
Grenzen der Argumentation und weiterer Forschungsbedarf .................... 289
Literaturverzeichnis .................................................................................299
X
Inhaltsverzeichnis Geleitwort..................................................................................................... V Danksagung ..............................................................................................VII Inhaltsübersicht ......................................................................................... IX Inhaltsverzeichnis ...................................................................................... XI Abbildungsverzeichnis ........................................................................... XVI Abkürzungsverzeichnis.......................................................................... XIX
1 Problemstellung und Vorgehen ............................................................. 1 1.1
Einleitung und Problemstellung ......................................................................... 1
1.2
Zielsetzung und Aufbau der Arbeit ................................................................... 4
2 Grundlagen zur Erforschung zeitlich-dynamischer Aspekte bei der Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten .......................................... 9 2.1
Grundlagen der Forschung über produktbegleitende Dienstleistungen und hybride Produkte ......................................................................................... 9
2.1.1
Vorbemerkung zur Bedeutung der terminologischen Basis ............................ 9
2.1.2
(Sach- und Dienst-)Leistungsbegriff und Leistungsbündelgedanke ............. 10
2.1.3 Das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen ..................................... 15 2.1.3.1 Terminologische Grundlagen ................................................................ 15 2.1.3.2
Klassifizierungen und Beispiele ............................................................ 16
2.1.3.3
Nutzenpotenziale des Angebots produktbegleitender Dienstleistungen 20
2.1.4 Das Angebot hybrider Produkte .................................................................... 29 2.1.4.1 Terminologische Grundlagen ................................................................ 29 2.1.4.2
Klassifizierung und Beispiele ................................................................ 38
2.1.4.3
Nutzenpotenziale des Angebots hybrider Produkte .............................. 42
2.1.5
Forschungsstand zur Internationalisierung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte....................................................... 46
XI
2.2
Grundlagen der Internationalisierungsprozessforschung ............................. 48
2.2.1
Forschungsgegenstand verschiedener Internationalisierungsprozesse: Product Chain, Establishment Chain und Psychic Distance Chain .............. 48
2.2.2
Bedeutung, Charakterisierung und Inhalte marktspezifischen Wissens ....... 53
2.3
Zusammenfassende Betrachtung...................................................................... 57
3 Forschungsmethodik und Festlegung einer geeigneten Referenztheorie zur Beantwortung der Forschungsfrage ................59 3.1
Darlegung des Ansatzes zur Erkenntnisgenerierung ..................................... 59
3.2
Anforderungen an die Referenztheorie zur Untersuchung der Forschungsfrage ................................................................................................. 64
3.2.1
Katalog inhaltlicher Kriterien zur Festlegung der Referenztheorie .............. 64
3.2.2
Wissenschaftstheoretische Anforderungen an die Referenztheorie .............. 69
3.3
Diskussion und Festlegung der Referenztheorie ............................................. 71
3.3.1
Vorbemerkung zur Abgrenzung ökonomischer Ansätze .............................. 71
3.3.2
Neoklassische Mikroökonomik..................................................................... 74
3.3.3
Ansätze der Neuen Institutionenökonomik ................................................... 75
3.3.4 Ökonomische evolutorische Ansätze ............................................................ 78 3.3.4.1 Marktprozesstheorie/Modern Austrian Economics ............................... 79 3.3.4.2
Lehre von den Unternehmerfunktionen nach Schneider ....................... 81
3.3.4.3
Ressourcenbasierte und kompetenzbasierte Ansätze ............................ 83
3.3.5
Festlegung der Referenztheorie..................................................................... 89
4 Die Competence-based Theory of the Firm (CbTF) als referenztheoretische Basis einer pfadorientierten Perspektive ......................93 4.1
Einleitung und Aufbau des Kapitels ................................................................ 93
4.2
Grundlagen der CbTF ....................................................................................... 96
4.2.1 Annahmen des harten Kerns der CbTF ......................................................... 96 4.2.1.1 Methodologischer Individualismus ....................................................... 96
XII
4.2.1.2
Subjektivismus ...................................................................................... 97
4.2.1.3
Bedeutung der Zeit ................................................................................ 97
4.2.1.4
Radikale Unsicherheit ........................................................................... 99
4.2.1.5
Homo Agens als Annahme des Entscheidungsverhaltens ..................... 99
4.2.1.6
Nicht-konsummatorischer Ansatz und gemäßigter Voluntarismus ..... 100
4.2.2
Terminologische Grundlagen der CbTF ..................................................... 100
4.2.3
Die Kausalstruktur der CbTF ...................................................................... 102
4.3
Ausarbeitung einer pfadorientierten Perspektive in der CbTF .................. 107
4.3.1 Grundlagen der pfadorientierten Forschung ............................................... 107 4.3.1.1 Einführung in das Konzept der Pfadabhängigkeit ............................... 107 4.3.1.2
„History matters“ als Feststellung ....................................................... 109
4.3.1.3
Positive Rückkopplungen als konstitutives Element pfadbezogener Prozesse............................................................................................... 110
4.3.1.4
Eigenschaften pfadabhängiger Prozesse.............................................. 111
4.3.1.5
Beeinflussbarkeit und (Un-)Erwünschtheit pfadbezogener Prozesse .. 113
4.3.2
Ansätze pfadbezogener Perspektiven in der ressourcenorientierten Forschung ................................................................................................... 117 4.3.2.1 Ansätze pfadbezogener Überlegungen im Dynamic Capabilities Approach ............................................................................................. 119 4.3.2.2
Ansätze pfadbezogener Überlegungen im Competence-based Strategic Management......................................................................... 120
4.3.2.3
Ansätze pfadbezogener Überlegungen in der Competence-based Theory of the Firm .............................................................................. 122
4.3.3 Erweiterung der CbTF um die Pfadperspektive .......................................... 123 4.3.3.1 Notwendigkeit der Klärung des pfadorientierten Verständnisses der CbTF ............................................................................................. 123 4.3.3.2
Vorarbeiten in der Literatur zur Klärung der pfadorientierten Positionierung der CbTF ..................................................................... 125
4.3.3.3
Klärung und Ausbau der pfadorientierten Positionierung der CbTF .. 133
4.3.4 Ursachen positiver Rückkopplungen .......................................................... 140 4.3.4.1 Methodik der Identifikation positiver Rückkopplungen ..................... 140 4.3.4.2
Ursachen positiver Rückkopplungen in der Literatur der Pfadforschung ..................................................................................... 142
4.3.4.2.1
Positive Rückkopplungen im technologischen Bereich .............. 142
4.3.4.2.2
Positive Rückkopplungen im institutionellen Bereich ................ 144
4.3.4.2.3
Positive Rückkopplungen im betriebswirtschaftlichen Bereich .. 145
4.3.4.2.4
Zusammenfassung der Vorarbeiten in den verschiedenen Anwendungsbereichen pfadorientierter Forschung ..................... 147
4.3.4.3
Ursachen positiver Rückkopplungen aus Perspektive der CbTF ........ 151
4.3.4.3.1
Skaleneffekte und anbieterseitige Lerneffekte ............................ 151
4.3.4.3.2
Nachfrageseitige Lerneffekte ...................................................... 155
4.3.4.3.3
Investitionseffekte ....................................................................... 156
4.3.4.3.4
Komplementaritätseffekte ........................................................... 160
4.3.4.3.5
Koordinationseffekte ................................................................... 162
XIII
4.4
4.3.4.3.6
Machteffekte ................................................................................ 163
4.3.4.3.7
Erwartungen ................................................................................ 164
Zusammenfassung ........................................................................................... 167
5 Zeitlich-dynamische Aspekte bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten ................................................................................169 5.1
Die Bedeutung positiver Rückkopplungen bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten ............................................................................................. 169
5.1.1
Hintergrund der pfadorientierten Betrachtung der Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten als alternative Perspektive zur Product Chain .................................................. 169
5.1.2
Hinweise pfadorientierter Betrachtungen in der Literatur zur Beantwortung der Forschungsfrage ............................................................ 172 5.1.2.1 Pfadorientierte Betrachtungen in der Internationalisierungsprozessforschung................................................................................. 172 5.1.2.2
Pfadorientierte Betrachtungen in der Literatur zu produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten .......................................... 173
5.1.3
Potenzielle Ursachen für positive Rückkopplungen im Kontext der Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten ..................................................................................... 174 5.1.3.1 Skaleneffekte und anbieterseitige Lerneffekte .................................... 174 5.1.3.2
Nachfrageseitige Lerneffekte .............................................................. 182
5.1.3.3
Investitionseffekte ............................................................................... 185
5.1.3.4
Komplementaritätseffekte ................................................................... 192
5.1.3.5
Koordinationseffekte ........................................................................... 197
5.1.4
5.2
Zusammenfassende Betrachtung der Bedeutung positiver Rückkopplungen im Kontext der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten.................... 197
Kontextspezifische Restriktionen der betrachteten Internationalisierungs(prozess)entscheidung ................................................ 206
5.2.1
Hemmnisse für eine frühzeitige Einführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte im Auslandsmarkt..................... 207 5.2.1.1 Finanzielle und personelle Ressourcenengpässe bei der Leistungseinführung im Auslandsmarkt ............................................................. 207 5.2.1.2
XIV
Ressourcen- und Kompetenzdefizite bezüglich der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte ............ 211
5.2.1.3
Mangelnde Nachfrage nach produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten im Zielmarkt ................................................ 220
5.2.1.4
Geringe installierte Basis im Zielmarkt............................................... 222
5.2.2
Notwendigkeit einer frühen Einführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte im Auslandsmarkt..................... 223 5.2.2.1 Unselbstständigkeit der Sachleistung .................................................. 224
5.3
5.2.2.2
Kundenerwartung im Zielmarkt aufgrund bestehender Konkurrenzangebote ........................................................................... 225
5.2.2.3
Identität der Geschäftsbeziehung in Ziel- und Heimatmarkt............... 226
Zusammenfassung der abgeleiteten potenziellen Ursachen für die zeitlichen Muster bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten .............................. 226
6 Empirische Plausibilitätsprüfung des abgeleiteten Modells ...........231 6.1
Entwicklung einer geeigneten Untersuchungsmethodik .............................. 231
6.2
Aufbau, Durchführung und Auswertung der empirischen Plausibilitätsprüfung ............................................................................................................. 235
6.2.1
Auswahl und Gestaltung der Fallstudien .................................................... 235
6.2.2
Voith Paper ................................................................................................. 240
6.2.3
Karmann ...................................................................................................... 262
6.2.4
Zusammenfassende Betrachtung................................................................. 280
7 Fazit und Ausblick ..............................................................................285 7.1
Zusammenfassung der zentralen Aussagen .................................................. 285
7.2
Grenzen der Argumentation und weiterer Forschungsbedarf .................... 289
Literaturverzeichnis .................................................................................299
XV
Abbildungsverzeichnis Abb. 1-1: Struktur der Arbeit .................................................................................. 7 Abb. 2-1: Beispiele produktbegleitender Dienstleistungen .................................. 19 Abb. 2-2: Definitionen hybrider Produkte ............................................................ 31 Abb. 2-3: Internationalisierungsprozesse in den Skandinavischen Schulen......... 52 Abb. 2-4: Die vier Dispositionsebenen des Marketing ......................................... 57 Abb. 3-1: Systematisierung der ressourcenorientierten Forschung ...................... 83 Abb. 4-1: Zentrale Begrifflichkeiten in der Argumentationslogik der CbTF ..... 102 Abb. 4-2: Das Wettbewerbsmodell von Hamel und Prahalad ............................ 104 Abb. 4-3: Der Open System View nach Sanchez und Heene ............................. 105 Abb. 4-4: „Könnenhaben“ und „Habenkönnen“................................................. 128 Abb. 4-5: Überblick über potenzielle Ursachen positiver Rückkopplungen in der Pfadforschung .......................................................................... 148 Abb. 5-1: Der Open System View nach Sanchez und Heene ............................. 177 Abb. 5-2: Die vier Dispositionsebenen des Marketing im Kontext des Informationspotenzials produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte .............................................................................. 182 Abb. 5-3: Szenarien der Entwicklung kundenseitiger Präferenzen hinsichtlich der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte durch den Sachleistungshersteller oder durch alternative Quellen ............................................................................................... 200 Abb. 5-4: Stufenmodell produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte ............................................................................................. 214
XVII
Abb. 5-5: Potenzielle Ursachen positiver Rückkopplungen im Kontext der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten ............................................................ 229 Abb. 5-6: Kontextspezifische Restriktionen im Kontext der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten ........................................................................... 230 Abb. 6-1: Das Leistungsspektrum von Voith Paper (Auswahl) ......................... 242 Abb. 6-2: Das Leistungsspektrum der Geschäftsfelder Werkzeugbau und Produktionssysteme in Karmanns Geschäftsbereich Betriebsmittelbau (Auswahl) .......................................................................... 266
XVIII
Abkürzungsverzeichnis Abb.
Abbildung
Aufl.
Auflage
BMW
Bayerische Motoren Werke AG
BMWA
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit
BWL
Betriebswirtschaftslehre
bzw.
beziehungsweise
ca.
cirka
CbTF
Competence-based Theory of the Firm
CBV
Competence-based View
CNC
Computerized Numerical Control
CRM
Customer Relationship Management
d.h.
das heißt
DIW
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
ebd.
ebenda
et al.
et alii
etc.
et cetera
EUR
Euro
f.
und folgende Seite
ff.
und folgende Seiten
XIX
FN
Fußnote
ggf.
gegebenenfalls
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Hrsg.
Herausgeber
IB
installed base
IBM
International Business Machines Corporation
i.d.R.
in der Regel
i.e.
id est
i.e.S.
im engeren Sinne
inkl.
inklusive
insb.
insbesondere
Jg.
Jahrgang
JVC
Victor Company of Japan, Limited
km
Kilometer
m
Meter
m/min.
Meter pro Minute
Mrd.
Milliarden
Nr.
Nummer
OEM
Original Equipment Manufacturer
o.V.
ohne Verfasser
PSA
Peugeot Société Anonyme
XX
RBV
Resource-based View
RW
Roland Wassermann
RWTH
Rheinisch Westfälische Technische Hochschule
S.
Seite
SCA
Svenska Cellulosa Aktiebolaget
sog.
sogenannte
Sp.
Spalte(n)
t
Tonnen
u.a.
unter anderem
USA
United States of America
usw.
und so weiter
u.U.
unter Umständen
u.v.a.
und viele andere
VDMA
Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau
vgl.
vergleiche
VHS
Video Home System
Vol.
Volume
vs.
versus
VW
Volkswagen
WiSt
Wirtschaftswissenschaftliches Studium
z.B.
zum Beispiel
XXI
ZfB
Zeitschrift für Betriebswirtschaft
zfbf
Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung
ZWF
XXII
Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb
1 Problemstellung und Vorgehen 1.1
Einleitung und Problemstellung
Maschinenbauunternehmungen bieten ihren Kunden nicht nur Maschinen, sondern traditionell auch produktbegleitende Dienstleistungen an, indem sie beispielsweise bei der Montage und Inbetriebnahme unterstützen oder Wartungsund Reparaturarbeiten übernehmen.1 Dabei ist zu konstatieren, dass die Bedeutung produktbegleitender Dienstleistungen in den vergangenen Jahren aufgrund technologischer und marktlicher Veränderungen auf Kunden- und Anbieterseite stark zugenommen hat.2 Um den Kunden umfassende Problemlösungen anbieten zu können, werden Sach- und Dienstleistungen dabei zunehmend zu komplexen und kaum noch trennbaren Leistungsbündeln kombiniert,3 die in der jüngeren Literatur als hybride Produkte bezeichnet werden.4 Da viele Unternehmungen der deutschen Maschinenbaubranche nicht nur auf dem Heimatmarkt, sondern auch auf Auslandsmärkten agieren5 und die Internationalisierung der Branche (noch immer) weiter voranschreitet,6 stellt sich angesichts der großen Bedeutsamkeit produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte die praxeologisch wichtige Frage, wie das Angebot dieser Leistungen zeitlich in den Internationalisierungsprozess der Unternehmungen integriert wird.
1 2 3 4 5 6
Vgl. z.B. Lay/Jung Erceg 2002, S. 5. Vgl. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 211; Stille 2003, S. 336; Nippa 2005, S. 1; Lay/Jung Erceg 2002, S. 5; Busse 2005, S. 1; VDMA 1998; VDMA 2002; BMWA 2003; Baumbach 2004. Vgl. Kersten/Zink/Kern 2006, S. 189; Stille 2003, S. 336; Spath/Demuß 2006, S. 464; Böhmann/Krcmar 2007, S. 241. Die Begriffe Leistungsbündel, produktbegleitende Dienstleistung und hybrides Produkt werden in den Abschnitten 2.1.2, 2.1.3.1 bzw. 2.1.4.1 definiert. Wie bedeutsam die ausländischen Absatzmärkte für die Branche sind, zeigt sich beispielsweise daran, dass im vergangenen Jahr 70% der Umsätze im Ausland generiert wurden (vgl. VDMA 2007). Vgl. z.B. IW Consult GmbH 2006; VDMA 2007; VDMA 2008a.
1
Auch wenn die Bedeutung der Erforschung zeitlich-dynamischer Fragestellungen der Internationalisierung zunehmend erkannt wird,7 ist anzumerken, dass sich bisherige Arbeiten der Internationalisierungsprozessforschung hauptsächlich mit zeitlichen Mustern bei der Marktselektion sowie bei der Wahl von Marktbearbeitungsformen befassen.8 Die Bedeutung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte wird zwar auch im Kontext der Internationalisierung vielerorts betont,9 doch die Erforschung der zeitlichen Muster bei ihrer Einführung in Auslandsmärkten steht trotz ihrer hohen praxeologischen Relevanz (mit wenigen ersten Ausnahmen) weiterhin aus. Grundsätzlich ist es denkbar, produktbegleitende Dienstleistungen und hybride Produkte im Rahmen einer Auslandsmarkterschließung entweder direkt bei Markteintritt oder aber dem Angebot von Sachleistungen zeitlich nachgelagert anzubieten. Gemäß der sog. Product Chain, die von Luostarinen im Rahmen seiner Forschung zu Internationalisierungsprozessen empirisch bestätigt wurde,10 wäre eine nachgelagerte, sukzessive Ergänzung des Sachleistungsangebots zunächst um produktbegleitende Dienstleistungen und später um hybride Produkte zu erwarten.11 Allerdings zeigte sich in einer 2006 durchgeführten Umfrage zur Internationalisierung mittelständisch geprägter deutscher Unternehmungen ein anderes Bild:12 Die Mehrheit der befragten Unternehmungen, die im Zielmarkt Sachleistungen und produktbegleitende Dienstleistungen anbieten, führten beide Leistungsarten gleichzeitig bei Markteintritt ein. Zahlreiche Unternehmungen differenzierten nach Art der produktbegleitenden Dienstleistung und boten einige
7
Vgl. z.B. Kutschker/Schmid 2005, S. 1057; Doz/Prahalad 1991, S. 145; Melin 1992, S. 112ff.; Bäurle 1996, S. 39. 8 Vgl. z.B. Nordström 1991; Johanson/Vahlne 1992; Vahlne/Nordström 1993. 9 Vgl. z.B. Simon 1992, S. 410; Hünerberg/Mann 1996, S. 103; Luczak/Winkelmann/Hoeck 2005; S. 389ff.; Mann 1998; Belz 2000. 10 Vgl. Luostarinen 1989, S. 95ff. 11 Auf die Product Chain und die Rahmenbedingungen, unter denen sie empirisch bestätigt wurde, wird in Abschnitt 2.2.1 näher eingegangen. 12 Die Umfrage wurde in Kooperation zwischen der Unternehmensberatung McKinsey und dem Lehrstuhl für Mittelstand, Existenzgründung und Entrepreneurship (LEMEX) an der Universität Bremen unter Mitwirkung des Verfassers durchgeführt.
2
ihrer Leistungen direkt ab Markteintritt und andere erst deutlich später an. Nur wenige der befragten Unternehmungen handelten gemäß der Product Chain. Das in den Ergebnissen der genannten Umfrage reflektierte Realphänomen unterschiedlicher Vorgehensweisen hinsichtlich der frühzeitigen oder nachgelagerten Internationalisierung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte wirft die Frage nach den Ursachen für die Unterschiede in den zeitlichen Mustern auf. So stellt sich beispielsweise die Frage, warum sich viele der befragten Unternehmungen für ein frühzeitiges Angebot produktbegleitender Dienstleistungen im Auslandsmarkt (d.h. im Idealfall direkt ab Markteintritt) entschieden und somit ein von der Product Chain abweichendes zeitliches Muster wählten, andere jedoch diese Leistungen erst später im Auslandsmarkt anboten.13 Obwohl die grundsätzliche Frage, ob Industrieunternehmungen produktbegleitende Dienstleistungen und hybride Produkte im Rahmen ihrer Internationalisierung anbieten sollten, in der Literatur vielfach bejaht wird,14 ist die Frage des entsprechenden Timings bei der Markteinführung bisher nicht erforscht worden. Somit ist hier eine Forschungslücke zu konstatieren. Auf der Suche nach Hinweisen zur Beantwortung dieser Frage ist es zweckmäßig, sich neben der Literatur zur Erforschung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte auch der Internationalisierungsprozessforschung zuzuwenden: Dieser Forschungsbereich brachte die Überlegungen zur genannten Product Chain hervor; darüber hinaus wird sich in diesem Bereich intensiv mit weiteren zeitlichen Mustern der Internationalisierung auseinandergesetzt (etwa im Hinblick auf das „Wo“ (Psychic Distance Chain) und das „Wie“ (Establishment
13 Vgl. hierzu die dieser Arbeit zugrunde liegende Definition produktbegleitender Dienstleistungen in
Abschnitt 2.1.3.1, die für den Absatz zwingend erforderliche Dienstleistungen (z.B. die Bereitstellung eines Minimums an Informationen, etwa in Form eines Verkaufsgesprächs, oder ein Minimum an Unterstützung zur Verschaffung des Besitzes an der Sachleistung) grundsätzlich von der Betrachtung ausschließt (vgl. ergänzend Fußnote 66). 14 Die Aussage, dass die genannten Leistungen im Rahmen einer Internationalisierung angeboten werden sollten, ist – etwas überspitzt formuliert – zum „klassischen Einleitungssatz“ für Arbeiten zur Internationalisierung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte avanciert. So werden z.B. die folgenden Arbeiten auf diese Weise eingeleitet: Belz 2000, S. 430; De Meyer 1998, S. 262; Simon 1992, S. 404; Hünerberg/Mann 1996, S. 95.
3
Chain).15 Hierbei ist festzustellen, dass im Kontext der Erschließung von Auslandsmärkten dem Bestand und der Generierung auslandsmarktspezifischen Wissens eine zentrale Bedeutung beigemessen wird.16 Beispielsweise basieren die zeitlichen Muster der Psychic Distance Chain und der Establishment Chain maßgeblich auf der Veränderung marktspezifischen Wissens.17 Hierauf aufbauend wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit von der vorläufigen Hypothese ausgegangen, dass auch die zeitlichen Muster bei der Markteinführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte durch den Bestand und die Generierung auslandsmarktspezifischen Wissens beeinflusst werden. Erste Vorüberlegungen und Gespräche mit an der genannten Umfrage beteiligten Unternehmungen haben diese Hypothese unterstützt.18 Aufgrund des breiten Spektrums der von Unternehmungen des deutschen Maschinenbaus angebotenen Leistungsbündel wird davon ausgegangen, dass eine für alle Unternehmungen einheitliche Beantwortung der Forschungsfrage nicht möglich ist. Vielmehr ist sie voraussichtlich kontextspezifisch und unter Berücksichtigung des Leistungsspektrums der jeweiligen Unternehmung zu beantworten. Die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit wird wie folgt formuliert: Welche Ursachen beeinflussen im Rahmen der Auslandsmarkterschließung von Unternehmungen die zeitlichen Muster bei der Markteinführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte?
1.2
Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
Wie eingangs dargestellt, steht die Erforschung der zeitlichen Muster bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte im
15 Vgl. z.B. Johanson/Vahlne 1977 und 1992; auf den Forschungsstand wird im Abschnitt 2.2.2 näher
eingegangen. 16 Hierauf wird in Abschnitt 2.2 näher eingegangen. 17 Vgl. z.B. Johanson/Vahlne 1977; Vahlne/Nordström 1993. 18 Beispielsweise wiesen einige Unternehmungen darauf hin, dass durch das frühzeitige Angebot produkt-
begleitender Dienstleistungen Erfahrungen über den Markt und die Kundenwünsche gesammelt werden, die für die Gestaltung des weiteren Verlaufs der Markterschließung eingesetzt werden können.
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Rahmen der Erschließung von Auslandsmärkten trotz ihrer hohen praxeologischen Relevanz (mit wenigen ersten Ausnahmen) weiterhin aus. Das Realphänomen unterschiedlicher Vorgehensweisen hinsichtlich der frühzeitigen oder nachgelagerten Internationalisierung der genannten Leistungen lässt sich mit den derzeit zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Ansätzen – z.B. der Product Chain von Luostarinen – nicht hinreichend erklären. Daher soll in der vorliegenden Arbeit ein alternativer Erklärungsansatz entwickelt werden, der die Frage nach den Ursachen für die Unterschiede in den zeitlichen Mustern besser zu beantworten vermag als bestehende Ansätze. Somit wird in der Arbeit das Ziel verfolgt, einen Beitrag zur Schließung der genannten Forschungslücke zu leisten und dabei das Konzept der Product Chain kritisch zu hinterfragen. Mit der Entwicklung des alternativen Ansatzes wird dabei beabsichtigt, sowohl das junge Forschungsfeld der Internationalisierung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte als auch die Internationalisierungsprozessforschung mittels Einnahme einer dynamischen Perspektive zu bereichern. So hebt sich der im Folgenden entwickelte dynamisch orientierte Erklärungsansatz zum einen deutlich von den in der Dienstleistungsforschung vorherrschenden (komparativ-) statischen Ansätzen ab und bietet hierdurch die Chance, einen Beitrag zur Dynamisierung der Dienstleistungsdiskussion zu leisten. Zugleich kann dem Aufruf nach einer weiteren Dynamisierung der Internationalisierungsforschung gefolgt werden. Wie im weiteren Verlauf der Arbeit zu sehen sein wird, bietet die Competencebased Theory of the Firm (CbTF) eine geeignete theoretische Basis, um einen dynamisch orientierten Ansatz zu deduzieren. Allerdings weist die noch junge CbTF in ihren Grundannahmen noch Lücken auf, deren Schließung es für die beabsichtigte Verwendung als Referenztheorie vorab bedarf. Aus dieser Feststellung leitet sich als weiteres Ziel dieser Arbeit die entsprechende Weiterentwicklung der CbTF ab. Durch die Weiterentwicklung soll die Verwendbarkeit der CbTF über den Kontext der vorliegenden Arbeit hinausgehend auch für die Beantwortung weiterer dynamischer Fragestellungen verbessert werden. 5
Für die Verfolgung dieser Ziele ist die Arbeit wie folgt strukturiert: Nachdem im vorliegenden Kapitel 1 auf die Forschungsfrage sowie auf die Ziele und den Aufbau der Arbeit eingegangen wurde, schafft Kapitel 2 eine begriffliche Basis, wie sie gemäß der wissenschaftstheoretischen Forschungskonzeptionen nach Chmielewicz vor der Verfolgung weiterer Wissenschaftsziele erfolgen sollte (nominalistisches Wissenschaftsziel).19 Zudem wird in Kapitel 2 der Forschungsstand zu zentralen Aspekten der Arbeit aufgearbeitet. In Kapitel 3 wird auf die Forschungsmethodik der Arbeit eingegangen und mit Hilfe inhaltlicher und wissenschaftstheoretischer Kriterien eine für die Beantwortung der Forschungsfrage geeignete Referenztheorie festgelegt. Hierbei handelt es sich um die Competence-based Theory of the Firm (CbTF). In Kapitel 4 werden zunächst die Grundlagen der CbTF in knapper Form dargestellt, bevor die CbTF im weiteren Verlauf des Kapitels unter Verwendung von Erkenntnissen aus der Pfadforschung im oben angesprochenen Sinne weiterentwickelt wird. Im Anschluss wird die (weiterentwickelte) CbTF in Kapitel 5 zur Herleitung eines dynamisch orientierten Modells verwendet, das die potenziellen Ursachen für die Unterschiede in den zeitlichen Mustern bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten zu erklären vermag (theoretisches Wissenschaftsziel).20 Das entwickelte Modell wird in Kapitel 6 einer ersten Plausibilitätsprüfung unterzogen. Daher wird in diesem Kapitel auf die Methodik, Durchführung und Auswertung der empirischen Untermauerung eingegangen. Abschließend werden in Kapitel 7 Implikationen für die Praxis diskutiert sowie ein Ausblick über den weiteren Forschungsbedarf gegeben. Die beschriebene Struktur ist überblicksartig in Abb. 1-1 graphisch dargestellt.
19 Vgl. Chmielewicz 1994, S. 8ff. 20 Vgl. Chmielewicz 1994, S. 8ff.
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1 Problemstellung und Vorgehen 2 Grundlagen zur Erforschung zeitlich-dynamischer Aspekte bei der Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten 2.1 Grundlagen der Forschung über produktbegleitende Dienstleistungen und hybride Produkte
2.2 Grundlagen der Internationalisierungsprozessforschung
3 Forschungsmethodik und Festlegung einer geeigneten Referenztheorie zur Beantwortung der Forschungsfrage 3.1 Darlegung des Ansatzes zur Erkenntnisgenerierung 3.2 Anforderungen an die Referenztheorie zur Untersuchung der Forschungsfrage 3.3 Diskussion und Festlegung der Referenztheorie
4 Die Competence-based Theory of the Firm (CbTF) als referenztheoretische Basis einer pfadorientierten Perspektive 4.2 Grundlagen der CbTF 4.3 Ausarbeitung einer pfadorientierten Perspektive in der CbTF
5 Zeitlich-dynamische Aspekte bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten 5.1 Die Bedeutung positiver Rückkopplungen bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten 5.2 Kontextspezifische Restriktionen der betrachteten Internationalisierungs(prozess)entscheidung 5.3 Zusammenfassung der abgeleiteten potenziellen Ursachen für die zeitlichen Muster bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten
6 Empirische Plausibilitätsprüfung des abgeleiteten Modells 6.1 Entwicklung einer geeigneten Untersuchungsmethodik 6.2 Aufbau, Durchführung und Auswertung der empirischen Plausibilitätsprüfung
7 Fazit und Ausblick
Abb. 1-1: Struktur der Arbeit21
21 Die Darstellung umfasst die erste und zweite Gliederungsebene. Die Untergliederungen des Eingangs-
und des Schlusskapitels (Kapitel 1 respektive Kapitel 7) sowie vorwiegend einleitende und zusammenfassende Abschnitte sind in Abb. 1-1 nicht berücksichtigt.
7
2 Grundlagen zur Erforschung zeitlich-dynamischer Aspekte bei der Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten 2.1
2.1.1
Grundlagen der Forschung über produktbegleitende Dienstleistungen und hybride Produkte Vorbemerkung zur Bedeutung der terminologischen Basis
„No scientific field can advance far if the participants do not share a common understanding of key terms in their field.“22 Diese Auffassung teilend, misst beispielsweise der Betriebswirt und Wissenschaftstheoretiker Chmielewicz der eindeutigen Klärung verwendeter Begrifflichkeiten in jeder wissenschaftlichen Arbeit grundlegende Bedeutung bei. Deutlich wird dies in seinem vierstufigen Ansatz aufeinander aufbauender Wissenschaftsziele, in dem die Schaffung eindeutiger und zweckmäßiger Definitionen als Fundament für die Verfolgung aller weiteren Wissenschaftsziele dient.23 In ähnlicher Weise weist Schneider nachdrücklich auf die Bedeutsamkeit hin, Begrifflichkeiten vor ihrer weiteren Verwendung eindeutig zu klären.24 Bezogen auf das dieser Arbeit zugrunde liegende Explanandum ist dabei zu konstatieren, dass in der Literatur zu den recht jungen Forschungsgebieten produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte ein beträchtlicher Begriffs- und Definitionswirrwarr zu beklagen ist.25 So weist z.B. Voeth darauf hin, dass Hammann den Begriff der produktbegleitenden Dienstleistung „zu den schillerndsten Begriffen der BWL“ zählt.26 In Anbetracht der Vielfalt der in der
22 Ostrom 1986, S. 4. 23 Stufenweise auf dem nominalistischen Wissenschaftsziel aufbauend, unterscheidet Chmielewicz
zwischen theoretischen, technologischen und normativen Wissenschaftszielen (vgl. Chmielewicz 1994, S. 8ff.). 24 Vgl. Schneider 2001, S. 492. 25 Hierauf wird in den Abschnitten 2.1.3.1 respektive 2.1.4.1 näher eingegangen. 26 Vgl. Voeth 2007, Sp. 1607 unter Verweis auf Hammann 1993, Sp. 2477. Relativierend ist anzumerken, dass sich Hammann an der von Voeth zitierten Stelle nicht auf den Begriff der produktbegleitenden Dienstleistung, sondern auf den früher häufig verwendeten Begriff des Kundendienstes bezieht und
9
Literatur verwendeten Begriffe ist es daher dringend angeraten, zu Beginn der vorliegenden Arbeit der Schaffung einer eindeutigen und zweckmäßigen Begriffsbasis des Explanandums die entsprechende Beachtung zukommen zu lassen. 2.1.2
(Sach- und Dienst-)Leistungsbegriff und Leistungsbündelgedanke
Die verwirrende Vielfalt verwendeter Definitionen für den Begriff der produktbegleitenden Dienstleistung und den Begriff des hybriden Produkts ist mitunter der Tatsache geschuldet, dass diese Definitionen auf dem Begriff der Dienstleistung aufbauen, der seinerseits in der Literatur keinesfalls einheitlich verwendet wird.27 Daher ist es für die Klärung der beiden erstgenannten Begriffe zweckmäßig, vorab kurz auf den Dienstleistungsbegriff einzugehen. Da die grundsätzliche Schwierigkeit der Schaffung einer allgemeingültigen Dienstleistungsdefinition bereits Gegenstand zahlreicher Beiträge war und die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Definitionen des Dienstleistungsbegriffs somit in mehreren Arbeiten dokumentiert sind, sei für die Details dieser Diskussion auf die entsprechenden Beiträge verwiesen.28 Vor dem Hintergrund des Bestehens unterschiedlicher Begriffsauffassungen ist es jedoch wichtig, das Begriffsverständnis der vorliegenden Arbeit zu explizieren.29 Dieses orientiert sich an der Sichtweise von Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer, die zu dem Schluss kommen, dass eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Sach- und
diesen „zu den schillernden [RW: nicht: „schillerndsten“] und am wenigsten einheitlich definierten Begriffen der BWL“ zählt (vgl. Hammann 1993, Sp. 2477). Dies ändert jedoch nichts an der Richtigkeit der Feststellung, dass für das zugrunde liegende Realphänomen eine fast unüberschaubare Anzahl unterschiedlicher Definitionen und synonymer Begriffe existiert (vgl. Abschnitt 2.1.3.1). 27 Vgl. z.B. Meyer 1991, S. 196f.; Kleinaltenkamp 2001, S. 29ff.; Woratschek 1996, S. 59. Knoblich/Oppermann merken gar an, dass „seit Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Dienstleistungen […] nur wenige Sachverhalte so intensiv diskutiert worden [sind] wie der Dienstleistungsbegriff selbst“ (Knoblich/Oppermann 1996, S. 13). 28 Vgl. z.B. Corsten 1988, S. 17ff.; Hilke 1989, S. 10ff.; Rosada 1990, S. 9ff.; Meyer 1991, S. 196f.; Kleinaltenkamp 2001, S. 29ff. Knoblich/Oppermann 1996, S. 13. Dem Ziel einer allgemeingültigen Definition der Dienstleistung wurde sich auf unterschiedliche Arten genähert, z.B. durch Negativabgrenzungen, enumerative Aufzählungen sowie anhand einzelner konstitutiver Merkmale (z.B. Immaterialität, Integrativität) oder einer Kombination konstitutiver Merkmale (vgl. z.B. Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 398ff.; Kleinaltenkamp 2001, S. 29ff.; Forschner 1988, S. 34ff.). 29 Eine eindeutige Bestimmung der verwendeten Begriffe und eine überprüfbare Konstruktion einer Forschungsarbeit wird beispielsweise von Moldaschl gefordert (vgl. Moldaschl 2007, S. 21).
10
Dienstleistungen nicht möglich ist.30 Die Autoren schlagen daher vor, grundsätzlich alle (Absatz-)Leistungen mit Hilfe der beiden Kriterien Integrativität und Immaterialität zu typologisieren31 und eine vermarktete Leistung stets als zusammengesetztes Bündel mehrerer Teilleistungen zu begreifen („Leistungsbündel“).32 Obgleich sich in der Literatur verschiedene Vorschläge finden, den dargestellten Ansatz hinsichtlich der verwendeten Typologisierungskriterien zu modifizieren,33 ist der Leistungsbündelgedanke und die Zweckmäßigkeit einer allgemeinen Leistungstypologie weitgehend akzeptiert.34 Der von Engelhardt/ Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer in diesem Zusammenhang geäußerte Vorschlag, konsequenterweise auf das Begriffspaar der Sach- und Dienstleistung gänzlich zu verzichten, wird hingegen von verschiedenen Autoren abgelehnt.35 So sprechen sich beispielsweise Meffert/Bruhn dafür aus, die Begriffe der Sach- und Dienstleistung als Extremausprägungen von Kontinuen aufzufassen, um die in Praxis und Wissenschaft bewährten Begriffe als Orientierungsrahmen zu erhalten und hierdurch „die ansonsten nicht zu verhindernde Zersplitterung in eine Vielzahl typenspezifischer Partialtheorien aufzuhalten.“36 Dieser Argumentation folgend, wird in Anlehnung an die Leistungstypologie von Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer der Begriff der Dienstleistung in der vorliegenden Arbeit (vereinfachend) für eine Leistung verwendet, die durch
30 Vgl. Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 395ff. 31 Mit der Verwendung der Kriterien Integrativität und Immaterialität greift die Leistungstypologisierung
32 33
34 35 36
von Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer sowohl auf die Dimension des Leistungserstellungsprozesses als auch auf die Dimension des Leistungsergebnisses zurück (für die Darstellung der drei Leistungsdimensionen Bereitstellungsleistung, Leistungserstellungsprozess und Leistungsergebnis vgl. z.B. Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 398ff.). Vgl. Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 395ff. Beispielsweise schlägt Woratschek vor, auf das Kriterium der Immaterialität zu verzichten und stattdessen auf die Verhaltensunsicherheit abzustellen (vgl. Woratschek 1996). Hier soll jedoch der Auffassung von Kleinaltenkamp gefolgt werden, der die Immaterialität bei der Leistungstypologisierung weiterhin mit berücksichtigt und darauf hinweist, dass dies „am meisten mit dem allgemeinen Sprachgebrauch in Einklang steht“ (vgl. Kleinaltenkamp 2001, S. 33ff.). Zur Relevanz des Kriteriums der Immaterialität vgl. auch Meffert, der sich ebenfalls für die Verwendung der Immaterialität zur Typologisierung realer Absatzobjekte ausspricht (vgl. Meffert 1994, S. 522). Vgl. z.B. Woratschek 1996, S. 59; Meffert 1995, S. 682. Vgl. z.B. Meffert 1994, S. 525; Meffert 1995, S. 682; Meffert/Bruhn 1996, S. 35; Teichmann 1994, S. 11f.; Friege 1995, S. 34; Mengen 1993, S. 10ff.; Bauer 1995, S. 44ff. Meffert/Bruhn 1996, S. 35. Sehr ähnlich äußert sich Meffert: „Sach- und Dienstleistungen können letztlich nur als Extremausprägungen von Kontinuen aufgefasst werden, wobei im Gegensatz zu Engelhardt et al. für eine Beibehaltung der Begriffe plädiert wird“ (Meffert 1995, S. 679).
11
einen hohen Integrativitäts- und Immaterialitätsgrad charakterisiert ist, während sich eine Sachleistung durch eine geringe Integrativität und Immaterialität auszeichnet. Auch der im Zusammenhang mit dem Leistungsbündelgedanken nach Engelhardt/ Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer verwendete Begriff des Leistungsbündels wird in der Literatur unterschiedlich verwendet. Da dem Begriff in der vorliegenden Arbeit eine erhebliche Bedeutung zukommt, soll in Anbetracht der unterschiedlichen Begriffsverwendungen auch für diesen Begriff das dieser Arbeit zugrunde liegende Verständnis vorab geklärt werden. Als Ausgangspunkt der Diskussion sei zunächst die oben dargestellte Verwendung des Leistungsbündelbegriffs durch Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer etwas näher betrachtet, nach der sich ein Absatzobjekt stets als zusammengesetztes Bündel mehrerer Teilleistungen auffassen lässt.37 Im Rahmen ihrer Argumentation unterscheiden die Autoren zwischen einerseits (nicht vermarktbaren) Teilleistungen38 und andererseits vermarktbaren Leistungen, die immer ein Bündel von Teilleistungen umfassen. Eine Differenzierung der Begriffe Leistung und Leistungsbündel wird von den Autoren hingegen nicht vorgenommen; vielmehr erfolgt eine weitgehend synonyme Verwendung dieser beiden Begriffe.39 Eine andere Verwendung erfährt der Begriff des Leistungsbündels im Kontext preispolitischer Forschungsarbeiten,40 in denen es beispielsweise um die Frage geht, ob ein Anbieter mehrere Leistungen entweder als Bündel gemeinsam
37 Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 407. 38 Vgl. z.B. Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 407; an anderer Stelle verwenden die
Autoren weitgehend synonym die nicht explizit definierten Begriffe Ergebnisbestandteile (z.B. ebd., S. 416f.) und Leistungsergebniskomponenten (z.B. ebd., S. 417). 39 Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer weisen in diesem Kontext darauf hin, dass die Verwendung des Begriffs Leistung lediglich „eine sprachliche Vereinfachung darstellt“ (Engelhardt/ Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 407, FN 48). Diese sprachliche Vereinfachung wird auch in der vorliegenden Arbeit verwendet, wobei die in diesem Abschnitt noch folgenden Ausführungen zur Präzisierung des Leistungsbündelbegriffs zu beachten sind. 40 Vgl. z.B. Roth 2006; Roth/Woratschek 2006; Friege 1995.
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bepreisen sollte („bundling“)41 oder ob es für ihn vorteilhafter ist, die Leistungen einzeln zu bepreisen („unbundling“).42 Im Gegensatz zur Begriffsverwendung bei Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer ist dabei unter einem Leistungsbündel die Kombination mehrerer Leistungen zu verstehen, die aus preispolitischen Erwägungen gemeinsam bepreist werden („bundling“), grundsätzlich aber auch separat bepreist und vermarktet werden könnten.43 Bei diesem Begriffsverständnis wird somit – anders als bei Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer – deutlich zwischen den Begriffen Leistung und Leistungsbündel unterschieden.44 In Hinblick auf die Festlegung eines eindeutigen Begriffsverständnisses für die vorliegende Arbeit ist somit zunächst festzuhalten: (a) Der Begriff des Leistungsbündels ist aufgrund seiner bisherigen Verwendung in der Literatur recht unterschiedlich vorbelegt. (b) Eine begriffliche Differenzierung der beiden mit dem Leistungsbündelbegriff umschriebenen Sachverhalte ist im Sinne einer möglichst eindeutigen Begriffsverwendung für den weiteren Verlauf der Arbeit anzustreben.45 (c) Der oben dargestellte Leistungsbündelgedanke, nach dem sich eine (marktfähige) Leistung stets als Bündel mehrerer (nicht vermarktbarer) Teilleistun-
41 „Broadly defined, bundling is the practice of marketing two or more products and/or services in a single
'package' for a special price.“ (Guiltinan 1987, S. 74, Hervorhebung im Original). 42 Dabei werden die englischen Begriffe des (pure) bundling, unbundling und – als Zwischenform – mixed
bundling auch in der deutschsprachigen Literatur verwendet. 43 Vgl. z.B. die Definition bei Roth: „Durch das gemeinsame Anbieten mehrerer Absatzleistungen, die auch
isoliert eigenständige Marktfähigkeit aufweisen, entstehen Leistungsbündel im Sinne der hier verfolgten Definition“ (Roth 2006, S. 58; ähnlich auch Roth/Woratschek 2006, S. 315). 44 Ergänzend sei zudem auf den Vorschlag von Friege hingewiesen, der mit dem Begriff des „Leistungsverbunds“ einen weiteren Begriff einführt, den Leistungsbündelbegriff jedoch ähnlich verwendet wie Roth und Roth/Woratschek. Danach bezeichnen „Leistungsbündel […] den Vertrieb eines Leistungsverbunds in einer Transaktion (Bundling)“ (Friege 1995, S. 53.). An anderer Stelle führt Friege über den von ihm verwendeten Begriff des Leistungsverbunds aus: „Während Leistungsbündel nach Engelhardt/ Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993 stets den gebündelten Absatz unterstellen, können Leistungsverbunde auch entbündelt abgesetzt werden“ (Friege 1995, S. 34). 45 So gibt Ostrom zu bedenken: „The multiplicity of uses for a key term […] signals a problem“ (Ostrom 1986, S. 4). Vgl. zudem die in Abschnitt 2.1.1 zitierten Forderungen von Chmielewicz 1994, S. 8ff. und Schneider 2001, S. 492.
13
gen auffassen lässt, ist weitgehend unstrittig und wird auch dieser Arbeit zugrunde gelegt.46 In Anbetracht dieser Aspekte soll im weiteren Verlauf der Arbeit von einem integrierten Leistungsbündel gesprochen werden, wenn sich dieses Bündel aus nicht einzeln vermarktbaren Teilleistungen zusammensetzt. Mit dieser Definition wird dem Leistungsbündelgedanken Rechnung getragen und der Verwendung des Leistungsbündelbegriffs
von
Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer
grundsätzlich entsprochen. Hingegen soll im weiteren Verlauf von einem kombinierten Leistungsbündel die Rede sein, wenn das Bündel aus mehreren grundsätzlich auch einzeln vermarktbaren Leistungen bzw. – bei konsequenter Anwendung der soeben eingeführten Terminologie – aus mehreren integrierten Leistungsbündeln besteht. Ergänzend ist hier anzumerken, dass jede Differenzierung von Leistungsbündeln, die auf der eigenständigen Marktfähigkeit der einzelnen (Teil-)Leistungen aufbaut, unabhängig von den verwendeten Begrifflichkeiten das Problem beinhaltet, dass eine allgemeingültige strikte Trennung kaum erfolgen kann, sondern eine Zuordnung in vielen Fällen nur kontextabhängig vorzunehmen ist.47 Dieser Tatsache wird durch die ähnliche Wortwahl der beiden verwendeten Begriffe (integriertes Leistungsbündel und kombiniertes Leistungsbündel) auf subtile Weise Rechnung getragen.48 Nachdem somit das der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Verständnis der Begriffe Sachleistung, Dienstleistung und Leistungsbündel expliziert wurde, soll hierauf aufbauend in den folgenden Abschnitten eine nähere Betrachtung der produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkte erfolgen.
46 Auch die genannten Beiträge zur Preispolitik zweifeln den Leistungsbündelgedanken grundsätzlich nicht
an, obgleich sie den Begriff des Leistungsbündels anders als Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer verwenden, indem sie ihn – wie dargestellt – nicht mit dem Begriff der Leistung gleichsetzen. 47 Zu diesem Schluss kommt zwangsläufig beispielsweise auch Roth bei der Differenzierung der von ihm verwendeten Begriffe Absatzleistung und Leistungsbündel (vgl. Roth 2006, S. 58). 48 Die dargestellte Abgrenzungsschwierigkeit zwischen den beiden Leistungsbündelarten hängt unmittelbar mit der Schwierigkeit zusammen, die (ebenfalls ähnlichen) Begriffe der nicht eigenständig vermarktbaren Teilleistung und der eigenständig vermarktbaren Leistung allgemeingültig voneinander abzugrenzen.
14
2.1.3
Das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen
2.1.3.1 Terminologische Grundlagen Auch für das Betrachtungsobjekt, das im Folgenden mit dem Begriff der produktbegleitenden Dienstleistung bezeichnet werden soll, konnte sich bislang in der Literatur weder eine einheitliche Bezeichnung noch eine einheitliche Definition durchsetzen.49 Mit teils nur geringen Abweichungen in der Bedeutung finden sich unter anderem die folgenden Bezeichnungen: additive, produktbegleitende, kernproduktbegleitende, produktbezogene, produktnahe, produktdifferenzierende, funktionelle, komplementäre sowie industrielle Dienstleistungen i.e.S.50 Eine dezidierte und vollständige Gegenüberstellung der einzelnen Definitionen ist vor dem Hintergrund der hier im Fokus stehenden Forschungsfrage und in Anbetracht der in der Literatur vorzufindenden Fülle an Definitionsvorschlägen nicht zielführend,51 so dass für weitere Details auf die Beiträge verwiesen sei, die verstärkt die unterschiedlichen Definitionsansätze diskutieren.52 Weitgehende Einigkeit herrscht zwischen den Autoren darüber, dass produktbegleitende Dienstleistungen (bzw. die oben dargestellten weitgehend synonym verwendeten Bezeichnungen) eine bestimmte Gruppe an Dienstleistungen darstellen,53 die sich gegenüber anderen Dienstleistungen insbesondere durch die folgenden Kriterien abgrenzen lassen:54 (a) Die Erbringung erfolgt für externe Abnehmer (in Abgrenzung zu internen Dienstleistungen).
49 Vgl. Voeth 2007, Sp. 1607; Homburg/Garbe 1996c, S. 255ff.; Sanche 2002, S. 19. 50 Vgl. zu dieser Aufstellung z.B. auch Homburg/Garbe 1996c, S. 255ff.; Lorenz-Meyer 2004, S. 32; Voeth
51 52 53 54
2007, Sp. 1607; Kleinaltenkamp/Plötner/Zedler 2004, S. 629; Buttler/Stegner 1990, S. 934; Sanche 2002, S. 19f. So hat Sanche allein für den Begriff industrielle Dienstleistung fünfzehn verschiedene Definitionen identifiziert (vgl. Sanche 2002, S. 24f.). Z.B. Homburg/Garbe 1996c, S. 253ff.; Sanche 2002, S. 24f. Vgl. z.B. Forschner, der hierzu anmerkt, „[…] dass es sich bei derartigen (Zusatz-)Leistungen um typische Dienstleistungen handelt“ (Forschner 1988, S. 34). Vgl. z.B. Busse 2005, S. 22; Sanche 2002, S. 21; Homburg/Garbe 1996c, S. 259. In Einklang mit Buttler/Stegner sei jedoch angemerkt, dass die Übergänge hinsichtlich verschiedener Kriterien fließend sind und es daher nicht zielführend ist, „eine akribische Abgrenzung zu versuchen“ (Buttler/Stegner 1990, S. 934).
15
(b) Bei den externen Abnehmern handelt es sich um Unternehmungen (investive Dienstleistungen in Abgrenzung zu konsumtiven Dienstleistungen).55 (c) Die Leistungen weisen einen inhaltlichen Zusammenhang mit einer zugrunde liegenden Sachleistung auf. (d) Die Unternehmung erbringt sowohl die zugrunde liegende Sachleistung als auch die produktbegleitende Dienstleistung (in Abgrenzung zu Dienstleistungen, die z.B. von Dienstleistungsunternehmungen erbracht werden). Unter Berücksichtigung dieser Kriterien und den Anmerkungen zum Dienstleistungsbegriff im vorangegangenen Abschnitt sei somit in Anlehnung an Voeth unter einer produktbegleitenden Dienstleistung eine investive Dienstleistung verstanden, die von einem Anbieter von Sachleistungen zusätzlich zu diesen angeboten wird und dabei inhaltlich mit der zugrunde liegenden Sachleistung zusammenhängt, obgleich sie bei Bedarf auch separat von dieser vermarktet werden könnte.56 2.1.3.2 Klassifizierungen und Beispiele In der Literatur finden sich unterschiedliche Klassifizierungen produktbegleitender Dienstleistungen, denen in Abhängigkeit der jeweilig untersuchten Forschungsfrage verschieden große Bedeutung beizumessen ist. Differenziert wird beispielsweise nach:57 Æ der Erbringungsnotwendigkeit zwischen obligatorischen und fakultativen Leistungen,58
55 Die in der Literatur häufig vorzufindende Fokussierung auf investive Dienstleistungen (vgl. z.B. Engel-
hardt/Reckenfelderbäumer 2006; Busse 2005; Forschner 1988; Sanche 2002; Homburg/Garbe 1996c) wird angesichts der hier untersuchten Maschinenbaubranche auch in der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt. 56 Vgl. Voeth 2007, Sp. 1609. Die Separierbarkeit, die Voeth in seiner Definition produktbegleitender Dienstleistungen explizit fordert, soll vor dem Hintergrund der Forschungsfrage zusätzlich zu den zuvor genannten Charakteristika auch für die vorliegende Arbeit Bestand haben. 57 Für die im Folgenden angeführten sowie für weitere Klassifizierungskriterien vgl. z.B. Voeth 2007, Sp. 1609f.; Busse 2005, S. 26; Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 226ff.; Mann 1998, S. 60ff.; Kleinaltenkamp/Plötner/Zedler 2004, S. 632ff. Eine sehr umfassende Auflistung unterschiedlicher Klassifizierungskriterien findet sich zudem bei Forschner 1988, S. 78. 58 Einige Autoren schlagen eine Dreiteilung vor. So unterscheidet z.B. Chisnall zwischen dem nicht selbstständig vermarktungsfähigen Produktkern (core product), dem minimalen Leistungsbündel zur
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Æ dem Erbringungszeitpunkt zwischen Pre-Sales-, At-Sales- und After-SalesLeistungen59 sowie Æ dem Bezugsobjekt zwischen personen- und objektbezogenen Leistungen.60 Wie in diesem Abschnitt zu sehen sein wird, kommt der Unterscheidung in obligatorische und fakultative produktbegleitende Dienstleistungen in Bezug auf die hier zu untersuchende Forschungsfrage eine besondere Bedeutung zu, so dass auf dieses Begriffspaar etwas genauer eingegangen werden soll.61 Unter obligatorischen produktbegleitenden Dienstleistungen werden solche Leistungen verstanden, die von den Kunden vorausgesetzt werden und zwingend angeboten werden müssen, um die Vermarktungsfähigkeit eines Leistungsbündels herzustellen.62 Fakultative produktbegleitende Dienstleistungen sind hingegen „für die Vermarktungsfähigkeit des (materiellen) Produkts nicht die Voraussetzung, sondern zielen auf die Schaffung eines Zusatznutzens ab, den Konkurrenzangebote möglicherweise nicht zu bieten haben.“63 Engelhardt/Reckenfelderbäumer weisen darauf hin, dass die Zuordnung einer Leistung als obligatorisch oder fakultativ nicht allgemeingültig vorgenommen werden kann, da diese von den spezifischen Vorstellungen des jeweiligen Kunden abhängt und sich sogar für ein und denselben Kunden im Zeitablauf ändern kann.64 Während diese Sichtweise auch in der vorliegenden Arbeit vertreten wird, ist hierzu ergänzend anzumerken, dass es auch unter Berücksichtigung der Subjektivität der Kundensicht durchaus produktbegleitende Dienstleistungen gibt, die regelmäßig als obligatorisch einzustufen sind. Hierzu zählen beispielsweise
59
60 61 62 63 64
Erstellung der Vermarktungsfähigkeit (formal product) und dem um weitere Leistungen angereicherten differenzierungsfähigen Leistungsbündel (augmented product); (vgl. Chisnall 1985, S. 50 sowie Engelhardt 1993, S. 379). Vgl. z.B. Kleinaltenkamp/Plötner/Zedler 2004, S. 633. Für eine detailliertere Unterscheidung, die sich gleichfalls an der zeitlichen Stellung der Leistung im Kaufprozess orientiert, vgl. z.B. Buttler/Stegner 1990, S. 936. Eine Auflistung verschiedener produktbegleitender Dienstleistungen, der dieses Klassifizierungskriterium zugrunde liegt, findet sich z.B. bei Mann 1998, S. 61. Die Klassifizierungskriterien des Erbringungszeitpunkts und des Bezugsobjekts werden im Rahmen der Diskussion der Nutzenpotenziale in Abschnitt 2.1.3.3 aufgegriffen. Vgl. z.B. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 250. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 251. Vgl. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 251; ebenso Engelhardt 1993, S. 379; Baumbach 2004, S. 26.
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Leistungen, deren Angebot durch gesetzliche Bestimmungen zwingend vorgeschrieben sind (z.B. Auflagen hinsichtlich der Überwachung und Wartung von Maschinen).65/66 Bezogen auf obligatorische produktbegleitende Dienstleistungen, ohne die die Vermarktungsfähigkeit der Sachleistung nicht hergestellt werden kann, ist die Forschungsfrage schnell beantwortet: Sie müssen gleichzeitig mit der Sachleistung im Zielmarkt eingeführt werden. Somit wird deutlich, dass es sich bei den Service-Leistungen, die im Rahmen der Product Chain von Luostarinen betrachtet werden, ausschließlich um fakultative Leistungen handelt und obligatorische Leistungen in der Untersuchung Luostarinens ausgeblendet werden.67 Die Mitberücksichtigung obligatorischer Leistungen vervollständigt die Betrachtung des Forschungsgegenstands (aller) produktbegleitenden Dienstleistungen und liefert mit der hier geführten Diskussion einen ersten (kleinen) Beitrag zur Beantwortung der Forschungsfrage.68 Jenseits des dargestellten unbedingten Erfordernisses einer gleichzeitigen Markteinführung aufgrund nachfrageseitiger oder gesetzlicher Zwänge gibt es zahlreiche weitere Ursachen, die die zeitlichen Muster bei der Einführung verschiedener Leistungsarten im Auslandsmarkt beeinflussen. Die Analyse dieser Ursachen, die somit insbesondere hinsichtlich fakultativer Leistungen relevant sind, erfordert
65 Auf verschiedene Aspekte gesetzlicher Bestimmungen gehen beispielsweise Forschner und Ahlert/Flocke
ein (vgl. Forschner 1988, S. 102ff.; Ahlert/Flocke 1982, S. 237ff.). 66 Leistungen wie die Bereitstellung eines Minimums an Informationen (z.B. in Form eines Verkaufs-
gesprächs) oder ein Minimum an Unterstützung zur Verschaffung des Besitzes an der Sachleistung werden zwar ebenfalls regelmäßig mit dem Verkauf einer Sachleistung verbunden sein, werden im Rahmen der hier vorgenommenen Definition jedoch nicht als produktbegleitende Dienstleistungen aufgefasst, da diese Leistungen im Regelfall nicht separat von der zugrunde liegenden Sachleistung vermarktet werden könnten. Die Vermarktbarkeit gesetzlich vorgeschriebener Leistungen ist hingegen grundsätzlich denkbar, beispielsweise dann, wenn sich gesetzliche Vorschriften auf bestimmte Marktsegmente beschränken. 67 Dies zeigt sich darin, dass gemäß der Product Chain zunächst die Sachleistungen in den Auslandsmarkt eingeführt werden und die Einführung von Dienstleistungen erst zeitlich nachgelagert erfolgt. Im Falle obligatorischer Dienstleistungen ist dies jedoch nicht möglich. 68 Dieser und die folgenden Aspekte werden in Abschnitt 5.2.2 noch einmal aufgegriffen.
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eine weitaus komplexere Betrachtung und bildet einen Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit.69 Nachdem die im weiteren Verlauf der Arbeit verwendete Definition produktbegleitender Dienstleistungen dargestellt und auf wesentliche Klassifizierungen dieser Leistungen hingewiesen wurde, soll im Folgenden kurz aufgezeigt werden, welche Leistungen beispielhaft hierunter zu fassen sind. Einen Eindruck von der Vielfalt des Angebots produktbegleitender Dienstleistungen vermittelt Abb. 2-1.70
Beispiele produktbegleitender Dienstleistungen Schulungen/Seminare
Recycling/Verschrottung
Dokumentation
Wartung Reparatur
Beratungsleistungen Simulationen
Ersatzteildienst Inspektion
Inbetriebnahme Hotline
Herstellbarkeitsanalyse
Problemanalysen
Umweltverträglichkeitsprüfung Instandhaltung
Montage/Installation
Prozessplanung
Abb. 2-1: Beispiele produktbegleitender Dienstleistungen
69 Vgl. vornehmlich die Ausführungen in den Kapiteln 4 und 5. 70 Ein umfassender Überblick über mögliche produktbegleitende Dienstleistungen ist hierbei nicht ange-
strebt. Vielmehr sollen dem Leser einige illustrative Beispiele für die hier betrachtete Maschinenbaubranche an die Hand gegeben werden. Ähnliche Auflistungen produktbegleitender Dienstleistungen finden sich z.B. bei Busse 2005, S. 26ff.; Forschner 1988, S. 70ff.; Walti 1999, S. 260; Steven/GroßeJäger 2003, S. 27; Backhaus/Kleikamp 2001, S. 80.
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Gemäß einer Studie von Stauss wird in der Maschinenbaubranche den folgenden produktbegleitenden Dienstleistungen eine besonders große Bedeutung beigemessen (nach Anzahl der Nennungen in absteigender Reihenfolge):71 (-) Reparatur (-) Ersatzteildienst (-) Wartung/Inspektion (-) Installation/Montage (-) Beratung (-) Schulung (-) Information/Dokumentation 2.1.3.3 Nutzenpotenziale des Angebots produktbegleitender Dienstleistungen Mit dem Angebot produktbegleitender Dienstleistungen können für den Hersteller – abhängig vom situativen Kontext und der Art der Leistung – eine Reihe unterschiedlicher „Vorteile“ verbunden sein,72 die in der Literatur teils als Nutzenpotenziale bezeichnet werden.73 Obgleich die Nutzenpotenziale produktbegleitender Dienstleistungen in der Literatur bisher weitgehend statisch diskutiert wurden, ist deren Analyse im Kontext der Forschungsfrage hilfreich, so dass sie in die dynamischen Betrachtungen im weiteren Verlauf der Arbeit einbezogen werden.74 Aus diesem Grunde soll im Folgenden auf die in der Literatur identifizierten Nutzenpotenziale eingegangen werden.75
71 Vgl. Stauss 1993, S. 211. Zu besonders bedeutsamen produktbegleitenden Dienstleistungen vgl. auch
Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 234; Kleinaltenkamp/Plötner/Zedler 2004, S. 628. 72 Vgl. Baumbach 2004, S. 31ff.; Oliva/Kallenberg 2003, S. 160; Beyer 2007, S. 4ff.; Beyer/Stephan 2006,
S. 188; Hildenbrand/Gebauer/Fleisch 2006, S. 80; Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 241; Meffert 1987; Friege 1994, S. 2; Mann 1998, S. 71ff.; Vandermerwe/Rada 1988, S. 319ff.; Luczak/Winkelmann/ Hoeck 2005, S. 391. 73 Vgl. z.B. Baumbach 2004, S. 31ff.; Luczak/Winkelmann/Hoeck 2005, S. 391; Hildenbrand/Gebauer/ Fleisch 2006, S. 80. Inhaltlich ähnliche Ausführungen (mit teils etwas anderem Fokus) finden sich unter den Bezeichnungen „Einsatzzwecke und Aufgabenfelder“ (Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 241), „Rationales“ (Oliva/Kallenberg 2003, S. 160), „Funktionen und Ziele“ (Mann 1998, S. 71ff.), „Funktionen“ (Fassott 1995, S. 127ff.; Speth 2001, S. 22ff.) und „Ziele“ (Forschner 1988, S. 31ff.). 74 Vgl. Kapitel 4 bis 6. 75 Vorab sei darauf hingewiesen, dass die im Folgenden dargestellten Nutzenpotenziale in der Praxis nicht voneinander unabhängig und oftmals gleichzeitig wirken.
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Differenzierungspotenzial/Akquisitionspotenzial Ein Aspekt, der in der Literatur im Zusammenhang mit dem Angebot produktbegleitender Dienstleistungen häufig hervorgehoben wird, ist die Möglichkeit der Hersteller, sich durch ein solches Angebot gegenüber ihrer Konkurrenz zu differenzieren.76 Dabei wird auf die in vielen Branchen zunehmende Ähnlichkeit der Sachleistungen verwiesen, die zu größerer Vergleichbarkeit und infolgedessen zu einem verstärkten Preiswettbewerb zwischen den Herstellern führt, so dass diese zunehmend versuchen, eine Differenzierung über das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen zu erreichen. In diesem Kontext bescheinigen zahlreiche Autoren produktbegleitenden Dienstleistungen gegenüber Sachleistungen einen deutlich höheren Imitationsschutz.77 Dieser Schutz basiert auf mehreren Ursachen, die sich mit Hilfe der bei Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer
diskutierten
Leistungsdimensionen
erfassen lassen.78 Hinsichtlich der Potenzialebene ist zu konstatieren, dass die Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen ein erhebliches Bereitstellungspotenzial – beispielsweise in Bezug auf geeignete Organisationsstrukturen und entsprechend geschultes Personal – erfordert, dessen Aufbau mit erheblichem Zeitaufwand verbunden ist.79 Auf Prozess- und Ergebnisebene führen die integrativen Leistungserstellungsprozesse und die Immaterialität der Leistungs-
76 So konstatieren beispielsweise Engelhardt/Reckenfelderbäumer: „Den Schwerpunkt vieler Abhandlungen
zum [industriellen] Service-Management bildet traditionell der Aspekt der Produktdifferenzierung“ (Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 242). Speth bezeichnet „die Differenzierung gegenüber aktuellen und potenziellen Konkurrenten“ als „gegenwärtig dominierende Funktion“ (vgl. Speth 2001, S. 22). Beyer verweist auf die „enorme Differenzierungskraft“ entsprechender Angebote (Beyer 2007, S. 5). Forschner nennt in diesem Kontext differenzierend die Ziele der „Abhebung gegenüber Konkurrenzprodukten“ und die „Schaffung eines preispolitischen Spielraumes“ (Forschner 1988, S. 32). Jörissen sieht im Angebot der hier betrachteten Leistungen gar das „wirkungsvollste Mittel […] [, um] der fortschreitenden Homogenisierung von Leistungsprogrammen und dem damit zunehmendem Preiswettbewerb entgegenzutreten“ (Jörissen 2004, S. 98). 77 So folgern Oliva/Kallenberg: „Services […] are much more difficult to imitate, thus becoming a sustainable source of competitive advantage“ (Oliva/Kallenberg 2003, S. 160). Sehr ähnlich argumentiert Baumbach (vgl. Baumbach 2004, S. 32f.). Hierzu ist kritisch anzumerken, dass die Autoren aus der schwierigen Imitierbarkeit etwas vorschnell und verkürzt auf das Vorhandensein eines nachhaltigen Wettbewerbsvorteils schließen, ohne beispielsweise auch auf die Erschwerung der Substituierbarkeit einzugehen, die hierzu ebenfalls gegeben sein müsste (vgl. z.B. Freiling 2001a, S. 102; Burmann 2002, S. 59). 78 Vgl. Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 398ff. 79 Vgl. z.B. Baumbach 2004, S. 31ff.; Homburg/Garbe 1996a, S. 71; Homburg/Garbe 1996b, S. 34.
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ergebnisse dazu, dass es sich für Konkurrenten als äußerst schwierig erweist, die Prozesse und Leistungsergebnisse (z.B. „geschulter Kunde“) nachzuvollziehen,80 so dass sowohl Imitations- als auch Substitutionsbestrebungen der Konkurrenz erschwert werden.81 Marktpotenzial/Ertragspotenzial Ferner wird verschiedentlich auf das große Marktpotenzial82 sowie auf die im Vergleich zum Sachleistungsgeschäft höheren Gewinnspannen83 hingewiesen, die mit dem Angebot produktbegleitender Dienstleistungen verbunden sein können. Obgleich das Markt- und das Ertragspotenzial hier keinesfalls in Frage gestellt werden sollen, scheint in diesem Kontext der Hinweis angeraten, dass viele Unternehmungen von großen Schwierigkeiten berichten, mit dem Angebot produktbegleitender Dienstleistungen selbstständige Umsätze und Erträge zu erwirtschaften.84 So stellt Simon zusammenfassend fest: „The pricing of industrial services turns out to be a tricky issue: Most customers expect that services accompanying a product are provided free of charge, i.e. are covered by the product's price.“85 Unter Verweis auf verschiedene empirische Studien kommen in ähnlicher Weise Engelhardt/Reckenfelderbäumer zu dem Schluss, dass „viele Service-Leistungen den Kunden nicht in Rechnung gestellt werden.“86
80 Vgl. z.B. Baumbach 2004, S. 32. 81 Vgl. Freiling 2001a, S. 138. 82 So spricht z.B. Beyer von einem „enormen Umsatzpotenzial“ (Beyer 2007, S. 4), Oliva/Kallenberg
83
84 85 86
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sprechen von „substantial revenues“ (Oliva/Kallenberg 2003, S. 160) und Wise/Baumgartner von „large new sources of revenue“ (Wise/Baumgartner 1999, S. 134). Beyer spricht von „hohen Gewinnspannen“ (Beyer 2007, S. 4); Oliva/Kallenberg stellen fest: „services […] have higher margins than products“ (Oliva/Kallenberg 2003, S. 160) und Wise/Baumgartner bemerken: „Downstream markets […] tend to have higher margins […] than product manufacturing“ (Wise/ Baumgartner 1999, S. 134). Vgl. z.B. Simon 1992, S. 409; Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 239; Stauss 1993. Simon 1992, S. 409. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 239. Dabei ist zu konstatieren, dass die Analyse einzelner Arten produktbegleitender Dienstleistungen ein differenziertes Bild ergibt. So kommt Stauss in einer Studie zu dem Ergebnis, dass im Maschinenbau „die Leistungen Reparatur, Wartung/Inspektion, Transport, Installation/Montage und Ersatzteildienst […] zu über 95% von den anbietenden Unternehmen auch in Rechnung gestellt werden,“ für die Leistungen Kundenschulungen (60%), Projektierungen (32,1%), Information/Dokumentation (25,6%) und Beratung (14,7%) ist dies hingegen weit weniger üblich (vgl. Stauss 1993).
Diffusionspotenzial Auf das sogenannte Diffusionspotenzial produktbegleitender Dienstleistungen wird in der Literatur insbesondere im Kontext technologischer Innovationen eingegangen.87 Im Kern geht es dabei um die Möglichkeit, mit Hilfe des Angebots von Informations- und Beratungsdienstleistungen die Diffusion (Ausbreitung) der zugrunde liegenden Sachleistungen in einem Markt zu unterstützen.88 Grundsätzlich soll dabei mit den genannten Leistungen der kundenseitigen Unsicherheit entgegengewirkt werden, die damit verbunden ist, dass der Kunde ein (innovatives) Angebot des Herstellers sowie die damit einhergehenden Chancen und Risiken in Ermangelung an Informationen bzw. Wissen89 oftmals nur sehr unzureichend einzuschätzen vermag.90 Informationspotenzial Ein Wissenszuwachs kann jedoch nicht nur kundenseitig (wie im Falle des eben dargestellten Diffusionspotenzials), sondern auch anbieterseitig erfolgen. So wird vielfach auf die mit der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen verbundenen Interaktionen zwischen den Mitarbeitern des Anbieters und des Kunden hingewiesen,91 mit denen für den Hersteller die Möglichkeit verbunden sein kann, einen Einblick in die kundenseitigen Produktionsprozesse und den Einsatz der von ihm hergestellten Maschinen zu gewinnen. Auf diese Weise kann der Hersteller nicht nur wertvolle Informationen über die Sicht des Kunden hinsichtlich der
87 Vgl. z.B. Olemotz 1995; S. 74ff.; Speth 2001, S. 23f.; Vandermerwe/Rada 1988, S. 320. 88 Es soll hier lediglich der Grundgedanke des Diffusionspotenzials produktbegleitender Dienstleistungen
skizziert werden. Ergänzend sei auf die Marketing-Management-Literatur verwiesen, in der im Kontext von Diffusions- und Adoptionsprozessen u.a. ausführlich auf die individuell unterschiedliche „Innovationsfreudigkeit“ (Kotler/Bliemel 1999, S. 557) sowie auf zugrunde liegende (großenteils psychologische und sozioökonomische) Merkmale eingegangen wird (vgl. z.B. Kotler/Bliemel 1999, S. 554ff.; Bruhn 2004, S. 143f.). 89 Die Begriffe Information und Wissen werden in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet. Hierauf wird in Abschnitt 2.2.2 näher eingegangen. 90 Vgl. z.B. Olemotz 1995, S. 74ff. Wie stark sich die Reduzierung der nachfrageseitigen Unsicherheit auf die Adoptionsbereitschaft der potenziellen Nachfrager auswirkt, hängt u.a. von psychologischen und sozioökonomischen Faktoren ab, die beispielsweise die individuelle Risikobereitschaft und Änderungsresistenz beeinflussen (vgl. Olemotz, S. 76), worauf an dieser Stelle nicht vertiefend eingegangen werden soll (vgl. auch Fußnote 88). 91 Vgl. z.B. Baumbach 2004, S. 31ff.; Beyer 2007, S. 6; Hildenbrand/Gebauer/Fleisch 2006, S. 80; Meffert 1987; Forschner 1988, S. 31ff.; Fassott 1995, S. 127ff; Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 241.
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Qualität und Funktionalität der Maschinen, sondern darüber hinaus beispielsweise auch über sich ändernde Bedürfnisse des Kunden erlangen.92 Das Informationspotenzial produktbegleitender Dienstleistungen bezieht sich jedoch nicht nur auf Informationen auf der Ebene einzelner Transaktionen oder Kundenbeziehungen. Vielmehr besteht zudem die Möglichkeit, dass der Hersteller beispielsweise auch Informationen über Konkurrenzprodukte, über weitere potenzielle Kunden sowie über Nachfragetrends und weitere Anwendungsbereiche seiner Maschinen erlangt.93 Somit ist zu konstatieren, dass sich das Informationspotenzial produktbegleitender Dienstleistungen auf alle vier Dispositionsebenen des Marketing (d.h. auf die Transaktions-, Geschäftsbeziehungs-, Marktsegment- und Marktebene)94 erstrecken kann. Vor dem Hintergrund dieses vielschichtigen Informationspotenzials verwundert es kaum, dass im Kontext der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen zum Teil von einem „besonderen Faktor der Marktforschung bzw. Markterkundung“95 gesprochen wird. Ergänzend ist anzumerken, dass das Ausmaß des Informationspotenzials zwischen den verschiedenen Arten produktbegleitender Dienstleistungen erheblich differiert. So wird in der Literatur in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung personenbezogener produktbegleitender Dienstleistungen hingewiesen, bei denen es im Regelfall zu intensiven und unmittelbaren Kontakten zwischen den Mitarbeitern der Kunden- und der Herstellerunternehmung kommt.96 Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass sich das Informationspotenzial weitgehend auf derartige Leistungen beschränkt. Vielmehr kann die Erlangung wertvoller Informationen auch auf der Erbringung objektbezogener produktbegleitender Dienstleistungen beruhen. So lassen sich beispielsweise Informationen über Verschleißerscheinungen, die Fehleranfälligkeit der Maschinen sowie über die
92 Vgl. z.B. Beyer 2007, S. 6. 93 Vgl. z.B. Baumbach 2004, S. 38; Forschner 1988, S. 31ff.; Mann 1998, S. 73. 94 Zu den vier Dispositionsebenen des Marketing vgl. auch Abschnitt 2.2.2 sowie z.B. Freiling/Recken-
felderbäumer 1996; Freiling 2002, S. 208. 95 Fassott 1995, S. 130. 96 Vgl. z.B. Mann 1998, S. 72.
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Durchführbarkeit von Wartungs- und Reparaturarbeiten durch die Erbringung dieser Leistungen generieren, ohne dass es intensiver und umfangreicher Interaktionen zwischen Mitarbeitern der Kunden- und Herstellerunternehmung bedarf. Kundenbindungspotenzial Nicht zuletzt aufgrund der regelmäßigen und teils recht intensiven Kundenkontakte, die mit der Erbringung einiger produktbegleitender Dienstleistungen verbunden sind,97 kann das Angebot dieser Leistungen erheblich zur Vertiefung von Geschäftsbeziehungen beitragen.98 Engelhardt/Reckenfelderbäumer betonen in diesem Zusammenhang insbesondere die Bedeutung von After-SalesServices.99 In ähnlicher Weise führt Baumbach hierzu aus: „Für Maschinen- und Anlagenbauer bietet vor allem der technisch notwendige After-Sales-Service […] einen guten Anknüpfungspunkt zum Kundenstamm- und Beziehungsmanagement, um die Phasen zwischen den Maschinen- und Anlagenkäufen der Kunden zu überbrücken.“100 Vandermerve/Rada argumentieren, dass sich produktbegleitende Dienstleistungen insofern zur Intensivierung von Kundenbindungen nutzen lassen, als ihr Angebot zum Aufbau von „barriers to competitors“ und „barriers to third-parties“ beitragen kann.101 Greift man in diesem Kontext den Vorschlag von Bliemel/Eggert auf, Kundenbindung konzeptionell in Verbundenheit und Gebundenheit zu unterscheiden,102 so zeigt sich, dass die von Vandermerve/Rada dargestellten „Barrieren“ vornehmlich im Bereich der kundenseitigen Verbundenheit zu sehen sind.103 Ergänzend sei hierzu angemerkt, dass es sich bei den genannten Barrieren jedoch nicht um den „Aufbau von Markteintrittsbarrieren“104 handelt, wie dies Friege unter Verweis auf Vandermerve/Rada darstellt, sondern vielmehr um Isolations-
97 Vgl. z.B. Baumbach 2004, S. 36. 98 Vgl. z.B. Beyer 2007, S. 7; Hildenbrand/Gebauer/Fleisch 2006, S. 80; Forschner 1988, S. 31ff. 99 Vgl. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 241f. 100 Baumbach 2004, S. 35. 101 Vgl. Vandermerve/Rada 1988, S. 319. 102 Vgl. Bliemel/Eggert 1998, S. 37ff. 103 Vgl. Vandermerve/Rada 1988, S. 319 in Verbindung mit Bliemel/Eggert 1998, S. 37ff. 104 Friege 1994, S. 2.
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elemente im Sinne der ressourcen- und kompetenzbasierten Forschung. Den Unterschied zwischen Markteintrittsbarrieren und Isolationselementen verdeutlichen beispielsweise Bharadwaj/Varadarajan/Fahy, indem sie hierzu ausführen: „A key difference between entry barriers and barriers to imitation is that though the former are prone to free-riding (because they are the private collective asset of the industry), the latter are endogenous and idiosyncratic (i.e., firm-specific).“105 Imagepotenzial Des Weiteren wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen Auswirkungen auf das Image eines Maschinenherstellers haben kann.106 Zum Teil wird dabei in Effekte unterschieden, die sich entweder auf das Image der zugrunde liegenden Sachleistung beziehen („Schaffung eines positiven Produktimages“107; „positiver Imagetransfer auf die Primärleistung“108) oder eher das Image der Gesamtunternehmung betreffen („Stärkung des Herstellerimages im Markt“109; „positiver Imagetransfer auf […] das gesamte Leistungsprogramm des Unternehmens“110). Obgleich in der hier vorgenommenen Betrachtung der Nutzenpotenziale die positiven Auswirkungen im Vordergrund stehen, ist bezüglich der mit der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen verbundenen Imageeffekte anzumerken, dass diese auch negativ wirken können.111 Dem kommt insofern große Bedeutung zu, als empirische Studien darauf hindeuten, dass Kunden dazu tendieren, negative Erfahrungen häufiger weiterzugeben als positive.112
105 Bharadwaj/Varadarajan/Fahy 1993, S. 86, zitiert nach Freiling 2001a, S. 99. Zur Kritik des Begriffs
Imitationsbarriere (bzw. in der zitierten Stelle: barriers to imitation) vgl. Freiling 2001a, S. 101f. 106 Vgl. z.B. Baumbach 2004, S. 37f.; Hildenbrand/Gebauer/Fleisch 2006, S. 80; Forschner 1988, S. 32;
Fassott 1995, S. 128. 107 Forschner 1988, S. 32. 108 Fassott 1995, S. 128. 109 Forschner 1988, S. 32. 110 Fassott 1995, S. 128. 111 Vgl. Baumbach 2004, S. 37f. 112 Vgl. Sanche 2002, S. 44.
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Zudem gilt es zu bedenken, dass das für die Unternehmung mit dem Angebot der produktbegleitenden Dienstleistungen verbundene Image konsistent zum Image des Sachleistungsangebots der Unternehmung sein sollte. So kann es sich z.B. als problematisch erweisen, als Premiumanbieter von Sachleistungen produktbegleitende Dienstleistungen anzubieten, die dem hohen Qualitätsniveau der Sachleistungen nicht entsprechen.113 Beschäftigungspotenzial/Umsatzglättungspotenzial Einige Autoren weisen ferner auf die Möglichkeit hin, dass das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen zur Glättung der Ressourcenauslastung und der Umsätze einer Unternehmung beitragen kann.114 Obgleich diese Möglichkeit nicht grundlegend auszuschließen ist, sprechen aus Sicht des Verfassers einige in diesem Kontext bisher kaum erwähnte Aspekte dafür, das Potenzial zur Beschäftigungs- und Umsatzglättung kritisch zu sehen. Hinsichtlich der Beschäftigungsglättung ist zu bedenken, dass das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen häufig andere personelle Ressourcen und Kompetenzen erfordert als die Erstellung einer Sachleistung.115 Somit ergibt sich z.B. die Frage, wie flexibel Mitarbeiter einer Unternehmung auch für die Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen eingesetzt werden können. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass gegenüber der Erstellung von Sachleistungen die Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen grundsätzlich mit der Problematik einer fehlenden bzw. stark eingeschränkten Lagerfähigkeit dieser Leistungen verbunden ist.116 Die in diesem Zusammenhang geführte Diskussion um die Problematik der Kapazitätsplanung im Dienstleistungsbereich (beispiels-
113 Vgl. Bullinger/van Husen 2006, S. 18. 114 Vgl. z.B. Luczak/Winkelmann/Hoeck 2005, S. 391f.; Baumbach 204, S. 39; Homburg/Garbe 1996b,
S. 32. 115 Vgl. z.B. Buttler/Stegner 1990, S. 941; Beyer 2007, S. 274; Homburg/Garbe 1996a, S. 71; Homburg/
Garbe 1996b, S. 34; Gerybadze/Beyer 2006, S. 39ff. 116 Vgl. z.B. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 274; Wildemann 2006, S. 58; Beyer 2007, S. 28f.;
Beyer/Stephan 2006, S. 194.
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weise die Frage der Kapazitätsausrichtung am Spitzenbedarf)117 deutet darauf hin, dass die Eignung des Angebots produktbegleitender Dienstleistungen zur Beschäftigungsglättung auch vor diesem Hintergrund kritisch zu hinterfragen ist. Während sich die genannten Argumente insbesondere auf das Potenzial zur Beschäftigungsglättung beziehen, ist hinsichtlich des Potenzials einer Umsatzstabilisierung anzumerken, dass dies die Durchsetzung einer separaten Fakturierung der produktbegleitenden Dienstleistung gegenüber den Kunden erfordert. Hiervon kann jedoch in Anbetracht der verschiedentlich geäußerten Hinweise auf die diesbezüglichen Schwierigkeiten nicht in jedem Falle ausgegangen werden.118
Wie der Überblick über die einzelnen Nutzenpotenziale produktbegleitender Dienstleistungen gezeigt hat, können sich diese von Leistung zu Leistung erheblich unterscheiden. Für eine vertiefende Betrachtung der mit verschiedenen Leistungen verbundenen Nutzenpotenziale kann es sich dabei als zweckmäßig erweisen, auf die im vorangegangenen Abschnitt dargestellten Klassifizierungskriterien zurückzugreifen.119 Nachdem im Rahmen der Ausführungen zu den einzelnen Nutzenpotenzialen bereits auf einige wesentliche Unterschiede hinsichtlich der Klassifizierungskriterien Erbringungszeitpunkt und Bezugsobjekt eingegangen wurde,120 soll abschließend auf das Klassifizierungskriterium der Erbringungsnotwendigkeit zurückgekommen werden, das in der Literatur im Kontext der Diskussion der Nutzenpotenziale bisher weitgehend unbeachtet blieb, obgleich sich für die verschiedenen Nutzenpotenziale teils recht unterschiedliche Aussagen ergeben.
117 Vgl. z.B. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 274; Buttler/Stegner 1990, S. 940; Wildemann 2006,
S. 58; Beyer 2007, S. 28f.; Beyer/Stephan 2006, S. 194. 118 Vgl. hierzu die Ausführungen zum Ertragspotenzial auf Seite 22. 119 Vgl. Abschnitt 2.1.3.2. 120 Vgl. z.B. die Ausführungen zum Informationspotenzial hinsichtlich personen- und objektbezogener
produktbegleitender Dienstleistungen sowie die Ausführungen zum Kundenbindungspotenzial von AfterSales-Leistungen.
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So ist der definitorischen Unterscheidung zwischen obligatorischen und fakultativen Leistungen zu entnehmen, dass sich das Differenzierungs- bzw. Akquisitionspotenzial grundsätzlich auf fakultative Leistungen beschränkt, da obligatorische Leistungen „von allen Herstellern gleichermaßen angeboten werden müssen.“121 Für andere Nutzenpotenziale gilt diese Einschränkung auf fakultative Leistungen hingegen nicht. So kann beispielsweise mit der Durchführung von Wartungsarbeiten ein Informationspotenzial verbunden sein, das weitgehend unabhängig davon besteht, ob die Wartungsarbeiten im Einzelfall als obligatorisch oder als fakultativ einzustufen sind. Die Auswirkungen der Erbringungsnotwendigkeit auf die Nutzenpotenziale können je nach Einzelfall aber auch zwischen diesen beiden Polen (d.h. der Beschränkung eines Nutzenpotenzials auf fakultative Leistungen wie im ersten Fall bzw. keine Auswirkung der Erbringungsnotwendigkeit auf ein Nutzenpotenzial wie im zweiten dargestellten Fall) liegen. So ist es beispielsweise denkbar, dass das mit einer Leistung verbundene Ertrags-, Kundenbindungs- oder Imagepotenzial bei einer obligatorischen Leistung durch die in diesem Falle ähnliche Leistungserbringung aller Konkurrenten zwar reduziert, aber nicht aufgehoben wird. Nachdem in den vorigen Abschnitten mit den Ausführungen zu Terminologie, Klassifizierungen und Nutzenpotenzialen der Untersuchungsgegenstand der produktbegleitenden Dienstleistung präzisiert wurde, soll nachfolgend in analoger Weise der Untersuchungsgegenstand des hybriden Produkts betrachtet werden. 2.1.4
Das Angebot hybrider Produkte
2.1.4.1 Terminologische Grundlagen Auch für das Betrachtungsobjekt, das im Folgenden mit dem Begriff des hybriden Produkts bezeichnet werden soll, konnte sich bislang in der Literatur weder ein
121 Forschner 1988, S. 30 in Anlehnung an Engelhardt 1976, S. 87. Relativierend ist hierzu anzumerken, dass
jedoch grundsätzlich auch bei der Erbringung obligatorischer Leistungen Qualitätsunterschiede zwischen verschiedenen Anbietern denkbar sind.
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einheitlicher Begriff noch eine einheitliche Definition durchsetzen.122 Während jedoch hinsichtlich des Begriffs der produktbegleitenden Dienstleistung die Fülle unterschiedlicher Definitionen nahezu unüberschaubar geworden ist und in zahlreichen Arbeiten die Begriffs- und Definitionsvielfalt (zum Teil vergleichend) diskutiert wurde,123 ist die Situation hinsichtlich des Begriffs des hybriden Produkts eine andere: Zum Ersten ist die Anzahl bisheriger Definitionsversuche noch verhältnismäßig überschaubar, so dass Anlass zur Zuversicht besteht, dass eine „Begriffsproliferation“ wie sie im Fall des Begriffs der produktbegleitenden Dienstleistung zu konstatieren ist, hinsichtlich des Begriffs des hybriden Produkts durch die frühzeitige Aufarbeitung vielleicht noch vermieden werden kann. Zum Zweiten steht eine Gegenüberstellung verschiedener Definitionsversuche noch weitgehend aus. Abb. 2-2 zeigt exemplarisch die Definitionen wesentlicher Vertreter des noch jungen Forschungsgebiets.
122 Neben dem Begriff des hybriden Produkts (vgl. z.B. Korell/Ganz 2000; Zahn/Foschiani/Lienhard/Meyer
2004; Spath/Demuß 2006; Kersten/Zink/Kern 2006; Böhmann/Krcmar 2007) werden in der Literatur z.B. auch die Begriffe hybride Wertschöpfung (vgl. Ernst 2007), hybrides Leistungsbündel (vgl. Meier/Uhlmann/Kortmann 2005; Meier/Kortmann/Golembiewski 2006; Meier/Krug 2006) und hybrides Produktangebot (vgl. Reiss 2006) verwendet. 123 Vgl. z.B. Homburg/Garbe 1996c, S. 253ff.; Sanche 2002, S. 24f.
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Autoren
Begriff
Definition
Korell/Ganz 2000
hybrides Produkt
„Unter einem hybriden Produkt versteht man eine auf die Bedürfnisse des Kunden ausgerichtete individuelle Problemlösung. Diese setzt sich zusammen aus einem in sich stimmigen, auf den Kundennutzen ausgerichteten Mix aus Produkt und Dienstleistungen. Das hybride Produkt zeichnet sich durch eine hohe Anpassungsfähigkeit gegenüber den Kundenwünschen aus.“ (S. 154)
Zahn/Foschiani/Lienhard/Meyer 2004
hybrides Produkt
„[Ein hybrides Produkt stellt] ein auf den Kundennutzen ausgerichtetes, integriertes Leistungssystem aus Sach- und Dienstleistungen [dar].“ (S. 209)
Meier/Uhlmann/Kortmann 2005 (identisch: Meier/Kortmann/Golembiewski 2006, S. 26)
hybrides Leistungsbündel
„Ein hybrides Leistungsbündel ist gekennzeichnet durch eine integrierte und sich gegenseitig determinierende Planung, Entwicklung, Erbringung und Nutzung von Sach- und Dienstleistungsanteilen einschließlich ihrer immanenten Softwarekomponenten. Dabei wird die Möglichkeit der Substitution der jeweiligen Sach- und Dienstleistungsanteile vorausgesetzt.“ (S. 529)
Spath/Demuß 2006
hybrides Produkt
„Hybride Produkte sind komplexe Problemlösungen für den Kunden, die sich aus einem stimmigen, auf den Kundennutzen ausgerichteten Mix aus materiellen und immateriellen Leistungsergebniskomponenten zusammensetzen, dabei der materielle Anteil überwiegttund der immaterielle Anteil die Integration des Kunden in den Leistungserstellungsprozess erfordert.“ (S. 472, Hervorhebung hinzugefügt)
Kersten/Zink/Kern 2006
hybrides Produkt
„Ein hybrides Produkt ist ein Leistungsbündel, das sich aus einer speziell aufeinander abgestimmten Kombination aus Sach- und Dienstleistungsanteilen zusammensetzt und eine auf die individuellen Bedürfnisse des Kunden ausgerichtete Problemlösung darstellt. [...] Während bei der Kombination von Produkten und produktbegleitenden Dienstleistungen stets eine klare Dominanz der Sachleistung besteht [...], umfassen hybride Produkte zusätzlich auch solche Leistungsbündel, bei denen eine Dominanz des Dienstleistungsanteils festzustellen ist.“ (S. 191, Hervorhebung hinzugefügt)
Meier/Kortmann/Krug 2006
hybrides Produkt
„Hybride Leistungsbündel sind individualisierte, kundennutzenorientierte Konfigurationen von Sach- und Dienstleistungsanteilen, die sich auf Grund der integrierten Entwicklung und Erbringung gegenseitig beeinflussen.“ (S. 431)
Böhmann/Krcmar 2007
hybrides Produkt
„Hybride Produkte sind Kombinationen aus Sach- und Dienstleistungen, die am Markt als integrierte Leistungsbündel angeboten werden. Ziel der Kombination von Produkten und Dienstleistungen ist es, kundenspezifische Problemlösungen anbieten zu können.“ (S. 241)
Abb. 2-2: Definitionen hybrider Produkte124 Vergleicht man die verschiedenen Definitionen miteinander, so zeigen sich einige grundlegende Gemeinsamkeiten. Beispielsweise wird deutlich, dass sich ein
124 Zu den hervorgehobenen Textstellen vgl. die Ausführungen auf Seite 32f.
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hybrides Produkt aus Sach- und Dienstleistungsbestandteilen zusammensetzt. Diese Feststellung ist angesichts des grundsätzlich etablierten und oben dargestellten Leistungsbündelgedankens für sich genommen nicht vollkommen neu.125 Als weitere Gemeinsamkeit kommt in den Beiträgen zur hybriden Wertschöpfung (und auch größtenteils in den verwendeten Definitionen) der weitgehende Konsens zwischen den Autoren zum Ausdruck, dass die Sach- und Dienstleistungsbestandteile nicht nur gleichzeitig angeboten, sondern vielmehr „speziell miteinander verschmolzen“126 werden, um den Kunden individuelle Problemlösungen zu offerieren.127 Die in der Literatur über hybride Produkte mit unterschiedlichen Schwerpunkten geführte Diskussion über die Integration von Sachund Dienstleistungsbestandteilen bietet dabei die Möglichkeit, an die Argumentation der bestehenden Vorarbeiten zum Leistungsbündelgedanken anzuknüpfen. Hierauf wird im Anschluss an die Betrachtung grundsätzlicher Unterschiede zwischen den angeführten Definitionen zurückgekommen.128 Unterzieht man die grundlegenden Beiträge über hybride Produkte einer genaueren Untersuchung, offenbart sich die Tatsache, dass die Autoren für eine exakte Beschreibung des von ihnen mit dem Begriff des hybriden Produkts umschriebenen Sachverhalts nicht mit einer knapp gefassten Definition auskommen, sondern teils an mehreren Stellen ihrer Beiträge die jeweiligen Definitionen modifizieren oder um Erklärungen und präzisierende Beispiele ergänzen.129 In Anbetracht dieser Ergänzungen wird deutlich, dass trotz der Verwendung zunächst ähnlich erscheinender Definitionen sehr wohl Verständnisunterschiede
125 Weitgehend neu ist in diesem Zusammenhang aber die explizite Fokussierung auf solche Leistungs-
bündel, die sich aus Sachleistungs- und Dienstleistungsbestandteilen zusammensetzen. So weisen Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer zwar darauf hin, dass Leistungsbündel grundsätzlich stets Dienstleistungsbestandteile beinhalten. Sie konzentrieren sich dabei aber nicht auf Leistungsbündel mit Sach- und Dienstleistungsanteilen, sondern schließen in ihre Betrachtung auch Leistungsbündel ein, die sich ausschließlich aus Dienstleistungsbestandteilen zusammensetzen (vgl. Engelhardt/Kleinaltenkamp/ Reckenfelderbäumer 1993, S. 408f. unter Verweis auf Corsten 1990, S. 114f. und Meyer 1991, S. 204). 126 Ernst 2007, S. 12. 127 Vgl. die in Abb. 2-2 dargestellten Definitionen sowie die dazugehörigen Ausführungen. 128 Vgl. Seite 34ff. 129 Vgl. stellvertretend z.B. die Beiträge von Kersten/Zink/Kern 2006 sowie Böhmann/Krcmar 2007.
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zwischen den Autoren darüber bestehen, welche Leistungsangebote unter den Begriff des hybriden Produkts zu fassen sind. So herrscht zwar beispielsweise Konsens darüber, dass es sich bei hybriden Produkten um Leistungsbündel handelt, die Sach- und Dienstleistungskomponenten umfassen, doch die Ansichten darüber, ob bzw. welche dieser Komponenten in einem solchen Leistungsbündel dominieren, gehen deutlich auseinander: Während etwa für Spath/Demuß das Überwiegen des materiellen Anteils für hybride Produkte konstitutiv ist, heben Kersten/Zink/Kern gerade hervor, dass der Begriff des hybriden Produkts – im Gegensatz zur Kombination von produktbegleitenden Dienstleistungen und einer zugrunde liegenden Sachleistung – auch solche Leistungsbündel umfasst, bei denen der Dienstleistungsanteil dominiert.130 Darüber hinaus zeigt sich in den verschiedenen Beiträgen, dass der Begriff des hybriden Produkts recht unterschiedlich weit gefasst wird. Während einige Autoren den Begriff so allgemein fassen, dass bereits jegliche Erweiterung einer Sachleistung um produktbegleitende Dienstleistungen darunter fällt, fokussieren andere Beiträge stärker auf komplexe integrative Leistungsbündel. Eine weite Begriffsauslegung zeigt sich beispielsweise bei Kersten/Zink/Kern, die als Beispiele hybrider Produkte „Bauteile mit der Fertigung vorangegangenen Engineering-Leistungen, Anlagen mit Wartung, Instandhaltung und Schulung, Betreibermodelle und die Montage von Modulen im Rahmen der Fertigung des Abnehmers“ anführen.131 Meier/Uhlmann/Kortmann bezeichnen als hybrides Produkt sogar das ganze Spektrum „vom Verkauf einer reinen Sachleistung, bei der ein Kunde alle nach dem Kauf anfallenden Maßnahmen […] eigenverantwortlich durchführt, bis hin zu komplexen Betreibermodellen, bei denen der Ausrüster die Verantwortung für Produktionsprozesse übernimmt“.132 Eine engere Begriffsauffassung, die – wie im Folgenden zu sehen sein wird – die Besonderheiten hybrider Produkte gegenüber bereits etablierteren Kombinations-
130 Vgl. die Hervorhebungen in Abb. 2-2 sowie Spath/Demuß 2006, S. 472; Kersten/Zink/Kern 2006, S. 191. 131 Kersten/Zink/Kern 2006, S. 191f. 132 Meier/Uhlmann/Kortmann 2005, S. 530.
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formen von Sach- und Dienstleistungen133 deutlicher hervorhebt und auch der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt wird, vertreten beispielsweise Böhmann/ Krcmar. Sie betonen dabei, dass mit einem hybriden Produkt der Abnehmer „nicht nur ein beliebig zusammengestelltes Produkt- und Dienstleistungsbündel [erwirbt], sondern ein auf seine Nutzenanforderungen abgestimmtes […] Gesamtsystem“134, wobei es – so die Autoren weiter – zu Performance-ContractingVereinbarungen kommen kann. Ein ähnliches Verständnis äußern z.B. Spath/ Demuß, die als Beispiele für hybride Produkte insbesondere Sondermaschinen und Betreibermodelle anführen.135 Die Ansicht über die Notwendigkeit der Anbieter, sich über immer stärker miteinander verzahnte und am individuellen Kundennutzen ausgerichtete Leistungsbündel zu differenzieren, wird von den Befürwortern der oben dargestellten weiten und engen Begriffsauffassungen geteilt.136 In diesem Zusammenhang weisen verschiedene Autoren auf die Entwicklung hin, mit der sich traditionell sachleistungsfokussierte
Unternehmungen
zunehmend
zu
„Problemlösern“
wandeln, da sie sich der wachsenden Bedeutung der Integration von Sach- und Dienstleistungsbestandteilen immer mehr bewusst werden.137 Die wachsende Bedeutung hybrider Produkte wird dabei teils mit „sich verändernden Kundenanforderungen nach individuellen, auf die spezifischen Bedürfnisse ausgerichtete Problemlösungen“ begründet.138 Durch die in diesem Kontext verschiedentlich vorgenommene Betonung des Leistungsergebnisses (kundenspezifischer) Problemlösungen nimmt die Leistungsergebnisdimension in der
133 Hierunter ist z.B. die Erweiterung des Leistungsspektrums einer Maschinenbauunternehmung um
produktbegleitende Dienstleistungen zu fassen (vgl. Abschnitt 2.1.3). 134 Böhmann/Krcmar 2007, S. 244. 135 Vgl. Spath/Demuß 2006, S. 474. 136 Vgl. z.B. Meier/Uhlmann/Kortmann 2005, S. 528; Kersten/Zink/Kern 2006, S. 189; Korell/Ganz 2000,
S. 153f.; Spath/Demuß 2006, S. 464; Böhmann/Krcmar 2007, S. 241. 137 Vgl. z.B. Korell/Ganz 2000, S. 153. Backhaus/Kleikamp sprechen in diesem Zusammenhang von der
Entwicklung zum „produzierenden Dienstleister“ (vgl. Backhaus/Kleikamp 2001, S. 80); ähnlich äußern sich z.B. auch Spath/Demuß 2006, S. 46. 138 Korell/Ganz 2000, S. 153; vgl. zudem z.B. Meier/Uhlmann/Kortmann 2005, S. 528.
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Mehrzahl der angeführten Beiträge eine bedeutende Stellung ein.139 Das Leistungsergebnis setzt sich dabei – besonders deutlich im Definitionsvorschlag von Spath/Demuß formuliert – aus materiellen und immateriellen Bestandteilen zusammen.140 Zudem wird in zahlreichen Beiträgen zur hybriden Wertschöpfung auf die Prozessdimension Bezug genommen, wobei insbesondere auf den integrativen Charakter der Leistungserstellungsprozesse hingewiesen wird.141 Hierzu ist grundsätzlich anzumerken, dass eine hohe Integrativität der Erstellungsprozesse auch für die verschiedenen in Abschnitt 2.1.3 angeführten produktbegleitenden Dienstleistungen festzustellen ist.142 Obgleich in der Literatur die „spezielle Verschmelzung“ der Sach- und Dienstleistungsbestandteile eines hybriden Produkts häufig betont wird,143 äußern sich jedoch nur wenige Beiträge zu den Besonderheiten, die sich hieraus hinsichtlich der Leistungserstellungsprozesse hybrider Produkte ergeben. Vereinzelte Beiträge geben über diese im Regelfall als bedeutsam hervorgehobene, aber nur oberflächlich dargestellte144 Eigenschaft hybrider Produkte etwas genaueren Aufschluss, indem sie den Sachverhalt der Integration der Leistungsbestandteile zu konkretisieren versuchen. Eine dieser Ausnahmen bildet der Beitrag von Meier/Uhlmann/Kortmann, die darauf hinweisen, dass es vor dem Hintergrund des angestrebten Leistungsergebnisses einer möglichst stark am Kundennutzen orientierten Problemlösung von Bedeutung ist, dass die Leistungserstellungsprozesse der Sach- und Dienstleistungsbestandteile interdependent verlaufen und sich die Planung, Entwicklung und Erbringung der Sach- und Dienstleistungskomponenten „gegenseitig determinieren“.145
139 Vgl. z.B. die Definitionen von Korell/Ganz 2000; Spath/Demuß 2006; Kersten/Zink/Kern 2006; Böh-
mann/Krcmar 2007 in Abb. 2-2. 140 Vgl. Spath/Demuß 2006, S. 472. 141 Vgl. z.B. Korell/Ganz 2000, S. 54; Zahn/Foschiani/Lienhard/Meyer 2004, S. 11; Meier/Kortmann/
Golembiewski 2006, S. 26. 142 Vgl. Abschnitt 2.1.3.1 in Verbindung mit den Ausführungen zum Dienstleistungsbegriff in Abschnitt
2.1.2. 143 Vgl. die in Abb. 2-2 angeführten Definitionen und Beiträge. 144 Vgl. ebd. 145 Vgl. Meier/Uhlmann/Kortmann 2005, S. 529; zudem Meier/Kortmann/Krug 2006, S. 431.
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Aus dieser für hybride Produkte charakteristischen Verzahnung der Sach- und Dienstleistungsbestandteile ergeben sich für die anbietende Unternehmung große Herausforderungen, da – im Vergleich mit einer eher unabhängig voneinander verlaufenden Erbringung von Sach- und Dienstleistungen – zusätzlich die Komplexität der Integration sehr unterschiedlich geprägter Erstellungsprozesse für die verschiedenen Leistungsbestandteile zu bewältigen ist. Kersten/Zink/Kern weisen in diesem Kontext darauf hin, dass das Ausmaß der Integration der Leistungen besonders hoch ist, wenn Dienstleistungsbestandteile eine hohe Sachleistungsspezifität aufweisen und deren Erbringung somit ein besonders umfassendes Know-how über die Sachleistungskomponenten erfordert, wie dies beispielsweise im Rahmen von Performance-Contracting-Vereinbarungen der Fall ist.146 Verglichen mit den Dimensionen des Leistungsergebnisses und des Leistungserstellungsprozesses wird der Potenzialdimension in den Beiträgen zur hybriden Wertschöpfung tendenziell eine geringere Beachtung zuteil, obgleich auch diesbezüglich Ausnahmen existieren, die auf die Potenzialdimension eingehen. So weisen etwa Meier/Uhlmann/Kortmann darauf hin, dass die Anforderungen, die sich einer Unternehmung aufgrund der oben dargestellten Besonderheiten auf der Leistungsergebnis- und der Prozessdimension stellen, „strukturelle Änderungen in der Unternehmensorganisation notwendig [machen].“147 Zudem stellt die Erbringung hybrider Produkte neuartige Anforderungen an das Personal, so dass „die kontinuierliche Personalqualifizierung […] ein unverzichtbarer Bestandteil der Unternehmen sein [wird], die […] hybride Leistungsbündel anbieten wollen.“148 Ein weiteres Beispiel liefern Freiling/Buse/Weißenfels, die gleichfalls auf die Potenzialdimension eingehen und die von Meier/Uhlmann/Kortmann angeführten organisationalen und personellen Aspekte im Kontext von Betreibermodellen
146 Vgl. Kersten/Zink/Kern 2006, S. 192f. 147 Meier/Uhlmann/Kortmann 2005, S. 530. 148 Ebd.
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diskutieren und um weitere Aspekte – beispielsweise um unternehmungskulturelle Voraussetzungen – ergänzen.149 Vor dem Hintergrund der Vorarbeiten, die bezüglich des Leistungsbündelgedankens und produktbegleitender Dienstleistungen bereits bestehen, sowie angesichts der dargestellten Wertschöpfungsbesonderheiten, die vornehmlich für Leistungsbündel gelten, die auch nach einem engen Begriffsverständnis als hybrides Produkt anzusehen sind, wird sich an dieser Stelle grundsätzlich für ein enges Verständnis des Begriffs des hybriden Produkts ausgesprochen. Ein allzu weit gefasster Begriff, der neben innovativen (Dienstleistungs-)Konzepten auch jegliche Form produktbegleitender Dienstleistungen umfasst, die zum Teil traditionell von Maschinenherstellern erbracht werden (z.B. Wartung), würde den Fokus auf die oben angeführten Wertschöpfungsbesonderheiten hybrider Produkte tendenziell aufweichen. Weitere Erkenntnisfortschritte – beispielsweise hinsichtlich der Managementherausforderungen, die insbesondere mit dem Angebot innovativer (Dienstleistungs-)Konzepte einhergehen – könnten durch eine zu weite Begriffsfassung erschwert werden. Unter Berücksichtigung der diskutierten Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehender Definitionen sei im Folgenden unter einem hybriden Produkt ein (integriertes) Leistungsbündel verstanden, das sich aus einer speziell aufeinander abgestimmten, kaum trennbaren Kombination von Sach- und Dienstleistungsanteilen zusammensetzt und eine auf die individuellen Bedürfnisse des Kunden ausgerichtete Problemlösung darstellt.150 Neben den bereits dargestellten Überlegungen sprechen für die verwendete Definition aus Sicht des Verfassers weitere Gründe, denen insbesondere im Rahmen der vorliegenden Arbeit eine erhebliche Bedeutung zukommt, da sie mit der Forschungsfrage und den Zielen der Arbeit zusammenhängen.
149 Vgl. Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 65ff. 150 Die Definition erfolgt in Anlehnung an Kersten/Zink/Kern 2006, S. 189.
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So ist in Anbetracht der Forschungsfrage zu konstatieren, dass eine terminologische Basis, die produktbegleitende Dienstleistungen als Teilmenge hybrider Produkte begreift, ungeeignet wäre, um zwischen den Zeitpunkten der Einführung dieser Leistungsarten in einem Auslandsmarkt zu differenzieren. Die hier gewählte enge Begriffsauffassung ermöglicht dies hingegen. Darüber hinaus ist es für die beabsichtigte kritische Hinterfragung der Product Chain zweckmäßig, die verschiedenen Leistungsarten in (weitgehend) analoger Weise zum Vorgehen von Luostarinen voneinander abzugrenzen. Das hier präferierte Verständnis des Begriffs des hybriden Produkts kommt dabei – wie anhand der Beispiele im folgenden Abschnitt zu sehen sein wird – dem von Luostarinen verwendeten Begriff „systems“, den er zwar nicht näher definiert, aber anhand der Beispiele „turn-key-deliveries“ und „co-production-arrangements“ präzisiert,151 inhaltlich recht nahe. 2.1.4.2 Klassifizierung und Beispiele Im vorigen Abschnitt wurden unter Verweis auf einige Beiträge bereits verschiedene Leistungen angeführt, die unter den Begriff des hybriden Produkts zu fassen sind. So werden bei Zugrundelegung eines engen Begriffsverständnisses in der Literatur insbesondere Sondermaschinen sowie innovative (Dienstleistungs-) Konzepte wie Performance-Contracting-Vereinbarungen bzw. Betreibermodelle als grundlegende Beispiele angeführt.152 Die folgenden Ausführungen dienen dem Zweck, das Spektrum der unter den Begriff des hybriden Produkts subsumierten Leistungen anhand der angeführten Beispiele zu verdeutlichen.
151 Vgl. Luostarinen 1989, S. 97. 152 So stellen etwa Spath/Demuß fest: „Performance-Contracting-Leistungen und Betreibermodelle sind
aktuelle Beispiele für das kundenindividuelle Lösungsgeschäft, welches vor allem für die Investitionsgüterhersteller als eigenständiges Geschäft eine zunehmend wichtige Rolle spielt.“ (Spath/Demuß 2006, S. 464). An anderer Stelle führen sie Sondermaschinen und Betreibermodelle als Beispiele für hybride Produkte an (vgl. Spath/Demuß 2006, S. 474). Vgl. zudem z.B. Böhmann/Krcmar 2007, S. 244 mit Verweis auf Backhaus/Kleikamp 2001.
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Sondermaschinen Während in der Literatur zu den produktbegleitenden Dienstleistungen der Fokus oftmals auf Leistungen liegt, die nach dem Verkauf der zugrunde liegenden Sachleistung erbracht werden („After-Sales-Services“),153 erfolgt in der Literatur zu den hybriden Produkten eine vergleichsweise stärkere Betonung auch der Leistungen, die vor dem Verkauf einer Leistung erbracht werden. So werden Aspekte einer verstärkten Individualisierung der Sachleistung (z.B. technische Spezifikationen einer noch zu produzierenden Maschine) bzw. der materiellen und immateriellen Leistungsbestandteile diskutiert. Das Spektrum an unterschiedlichen Leistungen, die im Rahmen des Angebots von Sondermaschinen und individualisierten Systemen von einem Hersteller erbracht werden, sei anhand des Beispiels von Siemens ElectroCom, einem Hersteller von Sortiermaschinen und -systemen für Postsendungen, veranschaulicht. Siemens ElectroCom unterstützt seine Kunden bereits „bei der Definition der Projektziele, von der Basisdatenerhebung bis zur Prinzipanalyse“.154 Hofmann, Mitarbeiter bei Siemens ElectroCom, führt hierzu aus: „In der Grobplanung erfassen wir alle Einflussgrößen und erarbeiten Alternativen im Hinblick auf den Materialfluss, die Raumnutzung, die Ausbaufähigkeit und den Automatisierungsgrad. Außerdem vergleichen wir Systemkonzepte und beziehen äußere Einflussgrößen ein. Für die voraussichtlichen Investitions- und Betriebskosten legen wir Richtwerte fest. […] Wir übernehmen auch das Projektengineering und -management, die Systemintegration, Finanzierung und die Konsortialführung zum Aufbau von Brief- und Frachtzentren.“155 Der After-Sales-Phase kommt im Rahmen der Diskussion hybrider Produkte hingegen insbesondere im Kontext der verschiedenen Ausprägungen von Perfor-
153 Dies zeigt sich nicht nur an Beiträgen, die vollständig auf After-Sales-Services fokussieren (z.B.
Baumbach 2004; Engelhardt 1993), sondern auch anhand der Ausführungen und Beispiele in Beiträgen, die sich allgemein mit dem Betrachtungsobjekt produktbegleitender Dienstleistungen befassen (z.B. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006; Voeth 2007, Sp. 1609; Voeth/Gawantka 2005, S. 481; Stauss 1993. 154 Hofmann 1999, S. 597. 155 Hofmann 1999, S. 597f.
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mance-Contracting-Vereinbarungen eine wesentliche Bedeutung zu. Diese sind Gegenstand der beiden folgenden Abschnitte. Performance-Contracting der 1. Stufe: Leistungsverkauf (-garantie) Beim Leistungsverkauf überlässt der Hersteller dem Kunden die Sachleistung (beispielsweise eine Maschine) für einen bestimmten Zeitraum zu einem Festpreis und stellt die vereinbarte Verfügbarkeit dieser Sachleistung durch Erbringung hierfür erforderlicher Dienstleistungen (z.B. Wartung und Reparatur) sicher.156 Dabei verbleibt das technische Risiko vollständig beim Hersteller. „Kommt es z.B. zu unvorhergesehenen Kosten für die Erstellung beziehungsweise Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft der Sachleistung durch mangelnde Haltbarkeit oder außergewöhnlichen Ausfall einzelner Teile der Sachleistung, trägt der Hersteller diese Kosten.“157 Performance-Contracting der 2. Stufe: Leistungsergebnisverkauf (-garantie) Beim Leistungsergebnisverkauf übernimmt der Hersteller nicht nur das technische Risiko, sondern betreibt seine Maschine auch selbst, indem er z.B. das hierfür erforderliche Personal stellt.158 Dabei übernimmt der Hersteller im Vergleich zum Leistungsverkauf weitere Risiken und trägt beispielsweise auch „Kosten, die durch Unfälle, Fehlbedienungen oder Fehlnutzungen entstehen.“159 Des Weiteren kann die Vereinbarung mit dem Abnehmer vorsehen, dass der Hersteller zusätzlich zu den genannten Risiken auch das Auslastungsrisiko trägt, indem er ausbringungsabhängig entlohnt wird.160 Zum Teil wird in der Literatur für Vereinbarungen dieser Art der Begriff des Betreibermodells verwendet.161 Dabei ist zu konstatieren, dass (auch) für den Begriff des Betreibermodells kein einheitliches Verständnis existiert, sondern in
156 Vgl. z.B. Backhaus/Kleikamp 2001, S. 80; Kleikamp 2002, S. 22ff.; Spath/Demuß 2006, S. 468. 157 Backhaus/Kleikamp 2001, S. 80. 158 Vgl. z.B. Backhaus/Kleikamp 2001, S. 81; Kleikamp 2002, S. 24ff.; Spath/Demuß 2006, S. 469. 159 Backhaus/Kleikamp 2001, S. 81. 160 Vgl. Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 74; die Übernahme des Auslastungsrisikos ist grundsätzlich auch
im Rahmen eines Leistungsverkaufs denkbar (vgl. Backhaus/Kleikamp 2001, S. 83). 161 Vgl. z.B. Kleikamp 2002, S. 30.
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der Literatur eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen verwendet werden.162 Harms/Famulla weisen darauf hin, dass der Begriff des Betreibermodells ursprünglich im Kontext von Großprojekten im Kraftwerkbereich entwickelt wurde.163 „Klassische Betreibermodelle“ finden sich zudem insbesondere im Infrastruktur- und Telekommunikationsbereich.164 Die Investitionen und Risiken sowie die inhaltlichen Anforderungen, die mit Betreibermodellen für den Hersteller bzw. Betreiber einhergehen, sind häufig so umfangreich, dass eigens für deren Abwicklung Konsortien bzw. Projektgesellschaften gebildet werden, denen neben den Herstellern beispielsweise auch Banken, Versicherungen und eine Vielzahl weiterer Parteien angehören können.165 Der Begriff des Betreibermodells wird jedoch nicht ausschließlich für Großanlagen der beschriebenen Art verwendet, sondern beispielsweise auch im Kontext des Betriebs einzelner Maschinen durch ihre Hersteller.166 So wird in der Literatur auf entsprechende Modelle verwiesen, die beispielsweise von Kompressorenherstellern sowie von Herstellern von Maschinen zur Vakuumwärmebehandlung angeboten werden.167 In der vorliegenden Arbeit werden Betreibermodelle, die von einer Maschinenbauunternehmung in der zuletzt beschriebenen Art hinsichtlich ihrer selbsterstellten Maschinen angeboten werden, als extreme Ausprägung hybrider Produkte aufgefasst. Von Konsortien angebotene Betreibermodelle, wie sie aus dem Kraftwerkbau und Infrastrukturbereich bekannt sind, werden vor dem Hintergrund der Forschungsfrage im weiteren Verlauf hingegen nicht näher betrachtet.
162 Vgl. z.B. Westkämper/Niemann/Stierle 2004, S. 461. 163 Vgl. Harms/Famulla 2002, S. 13. 164 Als „Beispiele für klassische Betreibermodelle“ führen Harms/Famulla den Eurotunnel zwischen
Frankreich und England, die erste TGV-Strecke in Australien sowie Mobilfunknetze in Brasilien an (vgl. Harms/Famulla 2002, S. 14). 165 Vgl. z.B. Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 63ff. 166 Vgl. z.B. Westkämper/Niemann/Stierle 2004; Freiling/Buse/Weißenfels 2004; Fleischer/Nesges 2004. 167 Vgl. Lay/Schröter 2006, S. 343f.; Lay/Meier/Schramm/Werding 2003, S. 10f.; Osing/Minarski 2001; Dudda/Radgen/Schmid 2004.
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2.1.4.3 Nutzenpotenziale des Angebots hybrider Produkte In der Literatur werden im Zusammenhang mit dem Angebot hybrider Produkte weitgehend die gleichen Nutzenpotenziale genannt, wie sie in Abschnitt 2.1.3.3 für das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen diskutiert wurden.168 Aus diesem Grunde wird ergänzend zu den Ausführungen in Abschnitt 2.1.3.3 an dieser Stelle lediglich auf einige Besonderheiten hingewiesen, die sich hinsichtlich der dargestellten Nutzenpotenziale insbesondere mit dem Angebot hybrider Produkte ergeben. Differenzierungspotenzial/Akquisitionspotenzial Das Differenzierungspotenzial/Akquisitionspotenzial erhöht sich tendenziell mit zunehmender Komplexität der Leistungen, da diese zunehmend schwieriger von Wettbewerbern imitiert oder substituiert werden können.169 Somit sind die genannten Potenziale bei hybriden Produkten häufig stärker ausgeprägt als bei produktbegleitenden Dienstleistungen.170 Marktpotenzial/Ertragspotenzial Zusätzlich zu den in Abschnitt 2.1.3.3 dargestellten Markt- und Ertragspotenzialen können durch Performance-Contracting-Vereinbarungen der zweiten Stufe (Leistungsergebnisverkauf) zum Teil völlig neue Käuferschichten erschlossen werden. So ist es beispielsweise möglich, durch ein entsprechendes Angebot Unternehmungen anzusprechen, denen für das Betreiben hoch entwickelter Maschinentechnologie das hierzu erforderliche Know-how (bzw. das hinreichend qualifizierte Personal) fehlt.171
168 Vgl. z.B. Harms/Famulla 2002, S. 14f.; Meier/Uhlmann/Kortmann 2005, S. 528; Freiling 2002, S. 212. 169 Vgl. hierzu die Argumentation zum Differenzierungspotenzial/Akquisitionspotenzial produktbegleitender
Dienstleistungen in Abschnitt 2.1.3.3. 170 Vgl. z.B. Spath/Demuß 2006, S. 470. 171 Vgl. Lay/Meier/Schramm/Werding 2003, S. 10. Hornschild/Kinkel/Lay merken hierzu an: „Da die
wachsende Komplexität moderner Maschinenkonzepte es vielen Kunden schwerer macht, mit eigenem Personal die wirtschaftlichen Potenziale der Maschinen und Anlagen voll auszuschöpfen, entstehen hier neue Absatzmärkte“ (Hornschild/Kinkel/Lay 2004, S. 370).
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Die Bedeutung dieses Arguments kann in Abhängigkeit vom jeweiligen Ländermarkt stark variieren. So wird beispielsweise in Bezug auf China verschiedentlich auf die dramatisch schwierige Situation bei der Rekrutierung kompetenten Fachpersonals hingewiesen.172 Bezogen auf den hier als Beispiel angeführten chinesischen Markt, kommt eine stark ausgeprägte Personalfluktuation hinzu,173 so dass es auch unter Kontinuitäts- und Verfügbarkeitserwägungen für den Kunden sinnvoll sein kann, eine Anlage von dem Maschinenhersteller betreiben zu lassen, obgleich der Kunde womöglich gegenwärtig über entsprechend geschultes Personal verfügt, jedoch nicht das Risiko tragen möchte, dieses auch künftig halten zu müssen. Des Weiteren ist es im Rahmen von Performance-Contracting-Vereinbarungen auch denkbar, dass der Maschinenhersteller eine Maschine nicht nur für einen, sondern für mehrere seiner Kunden betreibt. Durch derartige Modelle lassen sich bei hoher individueller Leistungsgestaltung möglicherweise Kunden gewinnen, deren Kapazitätsbedarf für den Erwerb einer Maschine nicht ausreichend ist.174 Diffusionspotenzial In Abschnitt 2.1.3.3 wurde darauf hingewiesen, dass das Diffusionspotenzial in der Literatur insbesondere in Verbindung mit technologischen Innovationen diskutiert wird. Kundenseitige Wissensdefizite und daraus resultierende Unsicherheiten, wie sie in diesem Kontext dargestellt werden, können jedoch in vergleichbarer Weise auch im Zusammenhang mit dem Angebot innovativer (Dienstleistungs-)Konzepte bestehen.175 Allerdings ergibt sich hieraus keine Aussage über das Diffusionspotenzial hybrider Produkte, sondern vielmehr über die Notwendigkeit, kundenseitige Wissensdefizite und Unsicherheiten, die
172 Vgl. German Industry & Commerce 2008. Das Phänomen erheblicher Herausforderungen bei der Rekru-
tierung von Fachkräften beschränkt sich jedoch keinesfalls allein auf China, sondern ist beispielsweise auch ein aktuelles Thema in Bezug auf den deutschen Arbeitsmarkt (vgl. z.B. Financial Times Deutschland 2008a). 173 Vgl. German Industry & Commerce 2008. 174 Vgl. Lay/Meier/Schramm/Werding 2003, S. 10f. 175 So weisen etwa Backhaus/Kleikamp darauf hin, dass „beim Performance Contracting […] der hiermit verbundene Nutzen durch die Kunden häufig nicht (sofort) wahrgenommen beziehungsweise richtig eingeschätzt werden kann“ (Backhaus/Kleikamp 2001, S. 98).
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hinsichtlich des Angebots hybrider Produkte bestehen mögen, abzubauen. Dies zeigt, dass es durchaus erforderlich sein kann, das Angebot hybrider Produkte mit entsprechenden Informations- und Beratungsdienstleistungen zu begleiten. Informationspotenzial Sowohl die Herstellung einer Sondermaschine als auch die Erbringung von Leistungen im Rahmen von Performance-Contracting-Vereinbarungen sind im Regelfall mit einer umfassenden Kommunikation zwischen Mitarbeitern des Herstellers und denen der Kundenunternehmung verbunden. Somit ist davon auszugehen, dass sich dem Hersteller mit dem Angebot hybrider Produkte grundsätzlich erhebliche Chancen zur Generierung von Wissen bieten, das sich – analog zu den Ausführungen in Abschnitt 2.1.3.3 über das Informationspotenzial produktbegleitender Dienstleistungen – auf alle vier Dispositionsebenen des Marketing erstrecken kann.176 Abhängig vom jeweiligen Kontext ist es dabei denkbar, dass das mit der Erbringung hybrider Produkte verbundene Informationspotenzial aufgrund der intensiven Zusammenarbeit teilweise das Informationspotenzial produktbegleitender Dienstleistungen sogar noch übersteigt. Im Falle des Leistungsergebnisverkaufs kommt hinzu, dass der Hersteller dadurch, dass er seine Maschine selbst betreibt, unmittelbares Anwenderwissen erwirbt. Dieses lässt sich beispielsweise zur Optimierung künftiger Maschinengenerationen einsetzen.177 Des Weiteren erlangt der Hersteller genaue Kenntnisse über Kostengrößen (z.B. über Betriebskosten und Recyclingkosten), die nicht nur teils für die Weiterentwicklung der Maschinen wertvoll sind, sondern darüber hinaus die Kalkulationsgrundlage für weitere Performance-Contracting-Angebote verbessern.178
176 Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen in Abschnitt 2.1.3.3. 177 Vgl. Harms/Famulla 2002, S. 15. 178 Vgl. z.B. Freiling 2003, S. 33.
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Kundenbindungspotenzial Auch das mit der Erbringung von hybriden Produkten verbundene Kundenbindungspotenzial kann – nicht zuletzt aufgrund der starken Einbindung des Herstellers in die Prozessabläufe des Kunden sowie der intensiven Kommunikation zwischen den Mitarbeitern der beiden Unternehmungen – mitunter erheblich sein.179 So ergibt sich für den Hersteller im Rahmen eines Leistungsverkaufs beispielsweise die Möglichkeit, seine Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit regelmäßig zu demonstrieren und somit die Verbundenheit der Kunden positiv zu beeinflussen.180 Noch größer dürfte das Kundenbindungspotenzial grundsätzlich im Falle eines Leistungsergebnisverkaufs sein, bei dem das vom Maschinenbauer gestellte Personal oftmals in permanentem Austausch mit Mitarbeitern des Kunden steht.181 So weist etwa Freiling darauf hin, dass sich dem Hersteller mit dem Betrieb der eigenen Anlage die erhebliche Chance bietet, Kundenbeziehungen zu vertiefen und langfristig abzusichern.182 Beschäftigungspotenzial/Umsatzglättungspotenzial Da der Hersteller sowohl beim Leistungsverkauf als auch beim Leistungsergebnisverkauf im Gegenzug für die von ihm erbrachten Leistungen regelmäßige Zahlungen erhält,183 dürften sich derartige Vereinbarungen grundsätzlich besser zur Umsatzglättung eignen als die Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen.184 Allerdings steht dem genannten Effekt der Umsatzglättung die Übernahme zum Teil schwer kalkulierbarer Risiken entgegen (z.B. technische Risiken, Betreiberrisiken). Erheblich erschwert wird die Kalkulierbarkeit einer
179 Vgl. Harms/Famulla 2002, S. 15. 180 Zu dem Begriff der Verbundenheit vgl. Bliemel/Eggert 1998, S. 37ff., die in Bezug auf die Kunden-
bindung vorschlagen, konzeptionell zwischen Verbundenheit und Gebundenheit zu differenzieren. 181 Es sei angemerkt, dass das Ausmaß an Kundenbindungspotenzial nicht mit der Häufigkeit der Kommu-
nikationsmöglichkeiten gleichzusetzen ist. Dennoch lässt sich die Möglichkeit regelmäßiger Kommunikation als Chance zur Verbesserung der Kundenbindung betrachten. 182 Vgl. Freiling 2003, S. 33. 183 Vgl. z.B. Harms/Famulla 2002, S. 15. 184 Vgl. hierzu die Argumentation zum Umsatzglättungspotenzial produktbegleitender Dienstleistungen in Abschnitt 2.1.3.3.
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Performance-Contracting-Vereinbarung für den Hersteller insbesondere dann, wenn dieser zusätzlich auch das Auslastungsrisiko trägt. Somit sind hinsichtlich des Glättungspotenzials im Falle hybrider Produkte teils andere Voraussetzungen gegeben als bei einem Angebot produktbegleitender Dienstleistungen. Das Argument des Glättungspotenzials wird jedoch auch im Kontext hybrider Produkte kritisch gesehen. 2.1.5
Forschungsstand zur Internationalisierung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte
Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten das dieser Arbeit zugrunde liegende Verständnis produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte expliziert wurde, soll im Folgenden geprüft werden, inwiefern zur Beantwortung der Forschungsfrage auf bestehende wissenschaftliche Arbeiten aufgebaut werden kann, die sich mit der Internationalisierung der genannten Leistungen auseinandersetzen. Obgleich die Anzahl an Veröffentlichungen zu produktbegleitenden Dienstleistungen in den vergangenen Jahren allgemein zugenommen hat,185 wird auch in jüngeren Beiträgen darauf hingewiesen, dass das Forschungsfeld in Anbetracht seiner hohen praxeologischen Relevanz bisher nicht in angemessenem Umfang erforscht wurde.186 Verstärkt gilt dies für das relativ junge Forschungsgebiet der hybriden Produkte, zu dem nur vereinzelte Arbeiten existieren,187 so dass der Forschungsstand als unzureichend bezeichnet werden kann.188 Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass der Bestand an verwendbaren Vorarbeiten zu dem speziellen Thema der Internationalisierung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte recht begrenzt ist.
185 Vgl. z.B. Buse 2005; Lorenz-Meyer 2004; Kieffer 2002; Luczak 2004; Malleret 2006; Wise/Baumgartner
1999; Boyt/Harvey 1997. 186 Vgl. z.B. Busse 2005. 187 Vgl. zu dieser Feststellung auch Kersten/Zink/Kern 2006, S. 189. Auf grundlegende Beiträge dieses
Forschungsbereichs wurde im Rahmen des Abschnitts 2.1.4 eingegangen. 188 Ähnlich äußern sich z.B. auch Böhmann/Krcmar 2007, S. 241.
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Die Literatur, die das Thema der Internationalisierung produktbegleitender Dienstleistungen aufgreift, lässt sich grob in drei Gruppen unterteilen. Zur ersten Gruppe werden Arbeiten gezählt, die zwar die große Bedeutung der Internationalisierung dieser Leistungen hervorheben, jedoch kaum vertiefend auf internationalisierungsrelevante Aspekte eingehen und daher im Folgenden nicht weiter betrachtet werden.189 Der zweiten Gruppe werden Arbeiten subsumiert, die zwar einen vom Thema der Internationalisierung abweichenden Schwerpunkt haben, bei dessen Bearbeitung jedoch teils auf internationalisierungsrelevante Aspekte eingegangen wird.190 Darüber hinaus existieren vereinzelt Arbeiten, die sich direkt dem Thema der Internationalisierung produktbegleitender Dienstleistungen widmen und im Rahmen dieses Überblicks als dritte Gruppe zusammengefasst werden. Hierunter fallen beispielsweise der Beitrag von Hünerberg/Mann, die von einer „stiefmütterlichen Behandlung“ des Themas sprechen191 sowie der Beitrag von Luczak/Winkelmann/Hoeck, in dem ein recht allgemein gehaltenes Konzept zur Unterstützung von Internationalisierungsentscheidungen erarbeitet wird, das jedoch – wie die Autoren selbst anmerken – weiterer Detaillierung bedarf.192 Arbeiten, die sich speziell mit der Internationalisierung von hybriden Produkten befassen, konnten im Rahmen der Literaturrecherche nicht identifiziert werden, so dass hier Belz zuzustimmen ist, der auf die diesbezügliche Forschungslücke hinweist und in diesem Kontext einige allgemeine Hinweise zu ausgewählten Aspekten der Internationalisierung gibt (z.B. zur Länderselektion und -segmentierung).193 Die Bedeutsamkeit, die jedoch dem Thema beizumessen ist, zeigt sich beispielsweise in der Einschätzung von Meier/Uhlmann/Kortmann, nach der „nur das Angebot einer integrierten Lösung aus Fertigungsanlage und produktbezogenen Dienstleistungen es deutschen Unternehmen des Maschinen-
189 Vgl. z.B. Johnston/Czinkota 1985; De Meyer 1998; Simon 1992. 190 Vgl. z.B. Mann 1998, der in seiner Arbeit zum strategischen Servicemanagement auf die Internationa-
lisierung des Angebots produktbegleitender Dienstleistungen als eine von mehreren strategischen Möglichkeiten eingeht. 191 Vgl. Hünerberg/Mann 1996, S. 97. 192 Vgl. Luczak/Winkelmann/Hoeck 2005, S. 411. 193 Vgl. Belz 2000, S. 445; Belz verwendet den Begriff Leistungssystem, dessen Definition mit der hier verwendeten Definition hybrider Produkte weitgehend übereinstimmt.
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und Anlagenbaus [ermöglicht], ihre hochkomplexen Produkte auch künftig auf globalen Märkten erfolgreich zu vermarkten.“194 Als Zwischenfazit ist zu konstatieren, dass es im Rahmen der Literatur zur Internationalisierung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte nur wenige Vorarbeiten gibt, auf die im Rahmen des Forschungsvorhabens aufgebaut werden kann.
2.2 2.2.1
Grundlagen der Internationalisierungsprozessforschung Forschungsgegenstand verschiedener Internationalisierungsprozesse: Product Chain, Establishment Chain und Psychic Distance Chain
Wie in Abschnitt 1.1 angemerkt wurde, ist es in Anbetracht der wenigen Vorarbeiten zum Thema der Internationalisierung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte zweckmäßig, sich auf der Suche nach Hinweisen zur Beantwortung der Forschungsfrage ergänzend dem Bereich der Internationalisierungsprozessforschung zuzuwenden. Diesem Forschungsbereich sind beispielsweise die Überlegungen zur Product Chain von Luostarinen zuzuordnen, die der aufgeworfenen Forschungsfrage thematisch besonders nahestehen.195 Demnach bieten Unternehmungen im Rahmen einer Auslandsmarkterschließung zunächst Sachleistungen an und erweitern ihr Angebot im Auslandsmarkt erst anschließend um (produktbegleitende) Dienstleistungen196, Systeme197 und Know-how198 (in dieser Reihenfolge). Luostarinen begründet die gemäß der Product Chain sequentielle Markteinführung verschiedener Leistungsarten recht grob und allgemein mit der zwischen den Leistungsarten zunehmenden lateralen Rigidität,
194 Meier/Uhlmann/Kortmann 2005, S. 528. 195 Für eine ausführliche Darstellung der Product Chain vgl. Luostarinen 1989. 196 Luostarinen betrachtet in seiner Studie produzierende Unternehmungen und führt als Dienstleistungen
„planning, supervising, installation, testing, training, development, servicing and maintenance services“ an (Luostarinen 1989, S. 96). Im Folgenden wird weiterhin von produktbegleitenden Dienstleistungen gesprochen, auch wenn der Begriff von Luostarinen nicht explizit verwendet wird. 197 Z.B. „turn-key deliveries“ und „coproduction arrangements“ (Luostarinen 1989, S. 97). 198 Z.B. „management know-how“, „technological know-how“ und „marketing know-how“ (Luostarinen 1989, S. 97).
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die in seiner Studie zugleich die Basis für die Begründung zeitlicher Muster bei der Marktbearbeitungsform und bei der Reihenfolge bearbeiteter Ländermärkte bildet.199 Bevor im weiteren Verlauf der Arbeit auf Luostarinens Überlegungen zur Product Chain zurückgekommen wird, sei angemerkt, dass sie bestimmten Rahmenbedingungen unterliegen. Auf diese soll im Folgenden kurz eingegangen werden. Die Product Chain wurde von Luostarinen auf Basis einer empirischen Erhebung unter finnischen Unternehmungen (induktiv) hergeleitet.200 Luostarinen gibt an, dass sein Modell insbesondere für Unternehmungen aus industrialisierten Ländern mit kleinen und offenen Märkten gilt201 und verweist auf die große Bedeutung, die der Internationalisierung für die jeweilige Unternehmung unter diesen Bedingungen zukommt.202 Zudem äußert Luostarinen die Ansicht, dass sein Modell insbesondere für die Internationalisierung kleinerer Unternehmungen Gültigkeit besitzt, und weist auf deren „limited financial, physical, human and other resources“ im Vergleich zu multinationalen Großunternehmungen hin.203 Ob die Product Chain auch für Unternehmungen gilt, die unter abweichenden Rahmenbedingungen agieren, lässt Luostarinen weitgehend offen.204 Obgleich teils offenkundige Unterschiede zwischen den Rahmenbedingungen der von Luostarinen untersuchten finnischen Unternehmungen und denen der in der vorliegenden Arbeit im Fokus stehenden deutschen Maschinenbauunternehmungen bestehen,205 lässt Luostarinens Darstellung der Rahmenbedingungen teils
199 Vgl. Luostarinen 1989; zum Begriff der lateralen Rigidität vgl. auch Bäurle 1996, S. 92. Luostarinens
Betrachtungen der zeitlichen Muster bei der Marktbearbeitungsform und bei der Reihenfolge bearbeiteter Ländermärkte entspricht dem Untersuchungsgegenstand der Establishment Chain respektive dem der Psychic Distance Chain. Da diese Begriffe jedoch stärker mit den Arbeiten der Uppsala-Schule verbunden werden, wird auf deren Verwendung im Kontext der Arbeiten Luostarinens hier bewusst verzichtet. 200 Vgl. Luostarinen 1989. 201 Vgl. Luostarinen 1989, S. 202. 202 So stellt Luostarinen fest: „[…] internationalization seems to be crucial for many companies in terms of survival and growth“ (Luostarinen 1989, S. 203). 203 Vgl. ebd. 204 Vgl. Luostarinen 1989, S. 202. 205 So ist hinsichtlich der Größe des jeweiligen Heimatlandes z.B. zu konstatieren, dass das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands etwa vierzehn Mal so groß ist wie das Bruttoinlandsprodukt von Finnland (gemessen am nominalen Bruttoinlandsprodukt 2007; vgl. Internationaler Währungsfonds 2008).
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auch einige Parallelen zur Situation deutscher Maschinenbauunternehmungen erkennen. So ist grundsätzlich die Ansicht vertretbar, dass es sich sowohl bei Finnland als auch bei Deutschland um Industrienationen mit (weitgehend) offenen Märkten handelt.206 Auch die Feststellung, dass die Erschließung ausländischer Märkte für das Wachstum vieler Unternehmungen von großer Bedeutung ist, lässt sich nicht nur für die von Luostarinen untersuchten Unternehmungen, sondern auch für den deutschen Maschinenbau treffen.207 Bedenkt man zudem, dass in der deutschen Maschinenbaubranche der Anteil mittelständisch geprägter Unternehmungen recht hoch ist,208 so sind Parallelen auch in Bezug auf die Rahmenbedingungen hinsichtlich der Größe betrachteter Unternehmungen nicht kategorisch von der Hand zu weisen. In Anbetracht dieser zumindest teilweise feststellbaren Parallelen in den Rahmenbedingungen sowie der Tatsache, dass Luostarinen die potenzielle Anwendbarkeit der Product Chain auch unter abweichenden Rahmenbedingungen grundsätzlich nicht ausschließt, wird die Product Chain im Folgenden als ein erster Anhaltspunkt zur Beantwortung der Forschungsfrage betrachtet. Hinsichtlich der Product Chain ist jedoch zu konstatieren, dass die ihr zugrunde liegende Argumentation zum Teil recht unspezifisch geführt wird und der internationalisierenden Unternehmung durch die deterministische Prägung kein gestalterischer Spielraum zugestanden wird.209 Zeitliche Muster, die von der dargestellten sukzessiven Einführung gemäß der Product Chain abweichen, können mit Luostarinens Ansatz nicht erklärt werden. Hinsichtlich der deterministischen Ausrichtung merken Kutschker/Schmid kritisch an, dass sich in der Praxis zeigt, dass eine Internationalisierung „auch eindeutig voluntaristische Züge trägt“.210
206 Einschränkend ist hierzu anzumerken, dass Luostarinen nicht dezidiert darstellt, was er z.B. genau unter
einem offenen Markt versteht. 207 Zu der beträchtlichen Bedeutung ausländischer Absatzmärkte für deutsche Maschinenbauunterneh-
mungen vgl. z.B. IW Consult GmbH 2006; VDMA 2007; VDMA 2008a. 208 Vgl. z.B. VDMA 2008b, S. 70f.; VDMA 2009; Köhn 2006. 209 Vgl. z.B. Bäurle 1996, S. 101. 210 Vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 463; Schmid 2002, S. 390.
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Der Erklärungsansatz von Luostarinen wurde zwar in den vergangenen Jahren in einigen Studien verwendet, doch kam es dabei zu keinen für die Beantwortung der Forschungsfrage relevanten Weiterentwicklungen oder Spezifizierungen des Modells.211 Durch eine gewisse inhaltliche Nähe zu Luostarinens Beiträgen212 zeichnen sich die Arbeiten der bereits erwähnten Uppsala-Schule aus,213 die den „mit Abstand populärsten prozessualen Ansatz im Internationalen Management“ darstellen.214 Angesichts ihrer großen Bedeutung und ihrer im Vergleich mit Luostarinens Arbeiten ähnlichen Argumentation soll auf diese Ansätze gleichfalls eingegangen werden.215 Die Arbeiten der Uppsala-Schule befassen sich insbesondere mit zeitlichen Mustern bei der Marktbearbeitungsform (Establishment Chain) sowie mit der Reihenfolge bearbeiteter Ländermärkte (Psychic Distance Chain) und wurden in der Literatur – verglichen mit der Product Chain – weitaus stärker diskutiert.216 Einen knappen Überblick über die drei in den Skandinavischen Schulen217 betrachteten Internationalisierungsprozesse (Product Chain, Establishment Chain und Psychic Distance Chain) vermittelt Abb. 2-3.
211 Vgl. Luostarinen 1994a; Luostarinen 1994b; Luostarinen/Hellman 1994. 212 Z.B. Luostarinen 1989; Welch/Luostarinen 1988; Luostarinen/Hellman 1994. 213 Zu dieser Auffassung gelangen auch Kutschker/Schmid (vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 464). So weisen
die Arbeiten teils deutliche Parallelen hinsichtlich des Untersuchungsgegenstands und der Argumentation auf. 214 Simon 2007, S. 62; vgl. zudem Bäurle 1996, S. 66; Kutschker/Schmid 2005, S. 458; Johanson/Mattsson 1989, S. 287. 215 Für weitere Ansätze, die der Internationalisierungsprozessforschung subsumiert werden können, vgl. z.B. Simon 2007, S. 39ff. Eine vollständige Darstellung der Internationalisierungsprozessforschung ist an dieser Stelle nicht beabsichtigt. Vielmehr dienen die Ausführungen der Identifikation von zweckdienlichen Hinweisen zur Beantwortung der Forschungsfrage. Ergänzend sei auf Kutschker/Schmid 2005 und die dort angeführte Literatur verwiesen. 216 Vgl. z.B. O'Grady/Lane 1996; Stöttinger/Schlegelmilch 1998; Evans/Treadgold/Mavondo 2000; Stöttinger/Schlegelmilch 2000. 217 Die Arbeiten von Luostarinen werden in der Literatur teils als Helsinki-Schule bezeichnet bzw. dieser zugerechnet (vgl. z.B. Kutschker/Schmid 2005, S. 464). Unter dem Begriff der Skandinavischen Schulen sind hier die Arbeiten der Helsinki-Schule und der Uppsala-Schule zu verstehen.
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„Product Chain“
• Fokus: Reihenfolge der Leistungsarten
• Verlauf: Internationalisierung zunächst mit Sachleistungen, später Ergänzung erst um produktbegleitende Dienstleistungen, dann um Systeme und Know-how
„Establishment Chain“
thematisch am nächsten
• Keine Erklärung abweichender Internationalisierungsmuster
• Erklärungsansatz weist teils Ähnlichkeiten zur Argumentation im Kontext der Establishment Chain und Psychic Distance Chain auf
• Fokus: Reihenfolge der Markteintritts- und Marktbearbeitungsformen
• Verlauf: Internationalisierung beginnt mit Exportaktivitäten; später über Handelsvertreter, dann Gründung eigener Vertriebsgesellschaften und Ergänzung um Produktionsgesellschaften „Psychic Distance Chain“
• Fokus steht der Forschungsfrage
• Fokus: Reihenfolge bearbeiteter Ländermärkte
• Verlauf: Internationalisierung zunächst in „psychisch nahe“ Ländermärkte, später in „psychisch weiter entfernte“ Ländermärkte
• In Literatur recht umfassend diskutiert
• Deterministisch geprägte Argumentation
• Hervorhebung der Bedeutung auslandsmarktspezifischen Wissens im Kontext des Internationalisierungsprozesses
• Hinweise auf die Bedeutung aktiver Marktteilnahme zur Generierung auslandsmarktspezifischen Wissens
Abb. 2-3: Internationalisierungsprozesse in den Skandinavischen Schulen Da Luostarinen hinsichtlich der Product Chain ähnlich argumentiert wie im Kontext der zeitlichen Muster bei der Marktbearbeitungsform und der Reihenfolge bearbeiteter Ländermärkte,218 erscheint es zweckmäßig, die in den Arbeiten der Uppsala-Schule im Kontext der Establishment Chain und der Psychic Distance Chain verwendeten Erklärungsansätze mitzubetrachten und die Möglichkeit einer Übertragung auf den Kontext der Forschungsfrage zu prüfen. Hierbei ist festzustellen, dass für beide Konzepte das Konstrukt der Psychic Distance zentral ist. Obgleich diese von verschiedenen Autoren unterschiedlich definiert und operationalisiert wurde,219 besteht grundsätzlicher Konsens über die große Bedeutung, die dem auslandsmarktspezifischen Wissen bei der Auslandsmarkterschließung im Kontext der Establishment Chain und der Psychic Distance
218 Vgl. Luostarinen 1989. 219 Vgl. z.B. Johanson/Vahlne 1977, S. 24; Nordström/Vahlne 1994, S. 42; O'Grady/Lane 1996, S. 330; zur
Diskussion der Operationalisierung insbesondere auch Stöttinger/Schlegelmilch 1998; Evans/Treadgold/ Mavondo 2000; Stöttinger/Schlegelmilch 2000.
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Chain zukommt.220 Mehrere Autoren weisen dabei darauf hin, dass insbesondere die aktive Teilnahme an den Marktprozessen des Auslandsmarktes dazu beiträgt, fremde Kulturen, ausländische Märkte, Kunden und Wettbewerber besser zu verstehen.221 Vor diesem Hintergrund soll auf die Bedeutung des marktspezifischen Wissens im folgenden Abschnitt näher eingegangen werden. 2.2.2
Bedeutung, Charakterisierung und Inhalte marktspezifischen Wissens
Angesichts der großen Bedeutung, die dem marktspezifischen Wissen im Rahmen der Internationalisierungsprozessforschung beigemessen wird222 und die durch mehrere empirische Studien bestätigt wurde,223 überrascht es, dass grundlegende Beiträge dieses Forschungsbereichs kaum bzw. nur oberflächlich auf Arten und Inhalte des marktspezifischen Wissens eingehen.224 Für den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wird es hingegen als zweckmäßig erachtet, zwischen verschiedenen Arten und Inhalten marktspezifischen Wissens zu differenzieren, so dass im Folgenden einige diesbezügliche Grundlagen geklärt werden sollen. Zu Beginn sei darauf hingewiesen, dass der Begriff des Wissens in der wissenschaftlichen Literatur äußerst vielseitig verwendet und diskutiert worden ist.225 So wird in einigen Beiträgen eine Unterscheidung in Daten, Informationen und Wissen vorgeschlagen,226 die jedoch – wie beispielsweise Romhardt anmerkt – kaum konsequent aufrechtzuerhalten ist.227 In der Literatur zur Internationalisierungsprozessforschung wird weitgehend auf die begriffliche Trennung verzichtet, wobei insbesondere die Begriffe Information und Wissen synonym
220 Vgl. z.B. Johanson/Wiedersheim-Paul 1975; Johanson/Vahlne 1977; O'Grady/Lane 1996. 221 Vgl. z.B. Johanson/Vahlne 1977; Denis/Depelteau 1985; Seringhaus 1986; Bauer 2002, S. 70. 222 Vgl. Abschnitt 2.2.1 und die dort angeführten Quellen. 223 Vgl. z.B. Eriksson/Johanson/Majkgard/Sharma 1997; Erramilli/Rao 1990. 224 Vgl. z.B. die Beiträge von Johanson/Vahlne 1977; Luostarinen 1989. 225 Vgl. z.B. Akbar 2003, S. 1999: „Knowledge is defined in different, and often controversial ways“ sowie
Romhardt 1998, der von einer „erheblichen Begriffsverwirrung“ spricht (Romhardt 1998, S. 5). 226 Vgl. z.B. Albrecht 1993, S. 46. 227 Vgl. Romhardt 1998, S. 40.
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verwendet werden.228 Auch der vorliegenden Arbeit liegt ein weites Begriffsverständnis zugrunde, das auf eine Differenzierung zwischen den genannten Begriffen verzichtet. Charakterisierung marktspezifischen Wissens Für die Untersuchung von Wissensaspekten hat es sich forschungsbereichsübergreifend als zielführend erwiesen, Wissen anhand von Dichotomien zu charakterisieren.229 Welche Dichotomie(n) dabei im Einzelfall verwendet werden, hängt maßgeblich von dem Forschungsbereich und der jeweiligen Zielsetzung des Forschungsvorhabens ab.230 An dieser Stelle soll jedoch kein umfassender Überblick über mögliche Unterteilungen von Wissen gegeben werden, sondern insbesondere auf diejenigen Dichotomien eingegangen werden, die im weiteren Verlauf der Arbeit passim aufgegriffen werden. Eine im Rahmen der Internationalisierungsprozessforschung häufig verwendete Dichotomie bezieht sich auf die Art, mit der marktspezifisches Wissen erworben werden kann.231 Verschiedene Arbeiten kommen diesbezüglich zu dem Schluss, dass für die Wissensgenerierung insbesondere der aktiven Marktteilnahme eine erhebliche Bedeutung zukommt.232 Hierauf wird im weiteren Verlauf der Arbeit zurückgekommen, wobei das von Johanson/Vahlne vorgeschlagene Begriffspaar (objective knowledge und experiential knowledge) verwendet wird.
228 Dies zeigt sich z.B. an der von Johanson/Vahlne verwendeten Definition: „By market knowledge we
mean information about markets, and operations in those markets […]“ (Johanson/Vahlne 1977, S. 26, Hervorhebungen hinzugefügt). 229 Vgl. z.B. Romhardt 1998, S. 27. 230 Für eine forschungsbereichsübergreifende Aufstellung von 40 verschiedenen Dichotomien, die in der Literatur zur Untersuchung von Wissen verwendet werden, vgl. Romhardt 1998, S. 28f. 231 Johanson/Vahlne 1977 verwenden hierfür unter Verweis auf Penrose 1966 das Begriffspaar objective knowledge („can be taught“) und experiential knowledge („can only be learned through personal experience“); vgl. Johanson/Vahlne 1977, S. 28. 232 Vgl. z.B. Johanson/Vahlne 1977, S. 27: „Market-specific knowledge can be gained mainly through experience in the market“; O'Grady/Lane 1996, S. 327: „[…] having had direct experience in the market was critical“; ausführlicher und aktueller zudem Johanson/Vahlne 2003, S. 90: „Only by doing business in a specific country is it possible to learn how customers, intermediaries, competitors, and public authorities act and react in different situations. This subtle understanding of the market can never be replaced by general market information and surveys.“
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Die Frage verschiedener Möglichkeiten des Wissenserwerbs steht der Frage der Übertragbarkeit bzw. der Diffusionsgefahr von Wissen inhaltlich recht nahe.233 In diesem Zusammenhang findet oftmals die Dichotomie des expliziten und impliziten Wissens Verwendung, die in ihren Grundzügen auf Polanyi zurückzuführen ist und nicht zuletzt aufgrund der Arbeiten von Nonaka und Takeuchi eine recht hohe Popularität genießt.234 Eine weitere Dichotomie, die sich für die Betrachtungen in der vorliegenden Arbeit als nützlich erweist, ist die Unterscheidung in internes und externes Wissen.235 Als internes Wissen soll dabei Wissen bezeichnet werden, das innerhalb einer Unternehmung vorhanden ist. Unter dem Begriff des externen Wissens ist hingegen Wissen zu verstehen, das außerhalb der Unternehmung – beispielsweise bei Kunden oder Wettbewerbern – vorliegt. Neben der Charakterisierung des Wissens anhand von Dichotomien erweist es sich für die folgenden Ausführungen als zweckmäßig, auch inhaltliche Aspekte marktspezifischen Wissens aufzugreifen. Hierauf soll im Folgenden eingegangen werden. Inhalte marktspezifischen Wissens Kutschker/Schmid stellen fest, dass grundsätzlich alle die Makroumwelt und Mikroumwelt des Zielmarktes betreffenden Informationen für eine Unternehmung im Kontext einer Internationalisierung relevant sind.236 Als Beispiele führen sie
233 Vereinfachend dargestellt, handelt es sich um zwei unterschiedliche Sichtweisen für (nahezu) identische
Sachverhalte: So stellt sich die Frage des Wissenserwerbs insbesondere aus Sicht desjenigen, der das Wissen erwerben möchte, während sich die Frage der (geplanten) Wissensübertragung bzw. der (ungeplanten) Wissensdiffusion vornehmlich mit der Perspektive des Wissensträgers befasst (vgl. z.B. Freiling 2001a, S. 122; Sanchez 1997, S. 164). Inhaltlich ähnliche Dichotomien finden sich sowohl innerhalb als auch außerhalb der Internationalisierungsprozessforschung. Für eine Übersicht zum Teil sich deutlich überlappender Parallelbegriffe vgl. z.B. von Krogh/Venzin 1995. 234 Vgl. z.B. Romhardt 1988, S. 33ff.; Polanyi 1967; Nonaka 1994; Nonaka/Takeuchi 1995 sowie Freiling 2001a, S. 116ff., der aus ressourcenorientierter Sicht auf die diesbezügliche Bedeutung der Kodifizierbarkeit und Kommunizierbarkeit des Wissens eingeht. Einen etwas anderen Ansatz als die zuvor genannten Autoren schlägt Heene vor, der zwischen vier Stufen differenziert (vgl. Heene 1993; zudem Freiling 2001a, S. 120ff.). 235 Vgl. z.B. Romhardt 1998, S. 57f. 236 Vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 916; zur Differenzierung in Makro- und Mikroumwelt vgl. Kutschker/ Schmid 2005, S. 434f.
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u.a. Informationen über die wirtschaftliche Umwelt sowie über Kunden und Konkurrenten an.237 Eine sehr umfassende Darstellung verschiedener Wissensinhalte findet sich zudem bei Wood/Robertson, die in einer diesbezüglichen Literaturanalyse mehr als 200 verschiedene Informationskategorien identifizierten.238 In der Literatur zur Internationalisierungsprozessforschung finden sich hingegen nur vereinzelte Hinweise auf die Inhalte marktspezifischen Wissens. So konkretisieren Johanson/Vahlne ihr Verständnis marktspezifischen Wissens wie folgt: „Very generally, the knowledge relates to present and future demand and supply, to competition and to channels of distribution, to payment conditions and the transferability of money, and those things vary from country to country and from time to time.“239 Johanson/Mattsson weisen in Bezug auf die Internationalisierung von Industrieunternehmungen ferner auf die Bedeutung von kunden- und anbieterspezifischem Wissen hin,240 das häufig nur auf Basis gemeinsamer Transaktionen erworben werden kann.241 Wie die Beispiele zeigen, finden sich in den Beiträgen, die sich zu Inhalten marktspezifischen Wissens äußern, mehrfach Hinweise, dass neben Wissensinhalten, die sich auf den Gesamtmarkt beziehen, auch solche Inhalte für eine internationalisierende Unternehmung relevant sein können, die sich auf Teile des Marktes – etwa auf einzelne Kunden oder Kundengruppen – beziehen. Wie in Abschnitt 2.1.3.3 anklang, kann dieser Informationsbedarf über das Informationspotenzial produktbegleitender Dienstleistungen teilweise befriedigt werden.242 Der Feststellung, dass sich sowohl der Informationsbedarf einer internationalisierenden Unternehmung als auch das Informationspotenzial der betrachteten
237 Vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 916. 238 Vgl. Wood/Robertson 2000; Robertson/Wood 2001. 239 Johanson/Vahlne 1977, S. 27 unter Verweis auf Carlson 1974. 240 Vgl. Johanson/Mattsson 1989, S. 289: „[…] suppliers and customers need extensive knowledge about
each other […].“ 241 Vgl. Johanson/Mattsson 1989, S. 289: „Much of that knowledge can in fact only be gained after trans-
actions have taken place.“ 242 Analog gilt dies auch für das Informationspotenzial hybrider Produkte, das in Abschnitt 2.1.4.3 diskutiert
wurde.
56
Leistungen auf verschiedene Dispositionsebenen beziehen kann, wird im weiteren Verlauf der Arbeit durch die Verwendung eines Bezugsrahmens Rechnung getragen, der es zulässt, analytisch zwischen mehreren Dispositionsebenen zu differenzieren.243 Abb. 2-4 stellt die vier betrachteten Dispositionsebenen dar und enthält einige Beispiele ebenenspezifischer Informationen. Durch die Differenzierung der Ebenen ist es beispielsweise möglich, eine Information, von der die Unternehmung im Rahmen eines (integrativen) Leistungserstellungsprozesses Kenntnis erlangt, danach zu beurteilen, ob sie ausschließlich für den konkreten Leistungserstellungsprozess von Bedeutung ist oder ob sie auch hinsichtlich höherer Aggregationsebenen (d.h. über die Einzeltransaktion hinausgehend auch im Rahmen der Betrachtung der Kundenbeziehung, des Marktsegments oder des Marktes) für die Unternehmung von Belang ist.
Dispositionsebene
Beispiele ebenenspezifischer Informationen
Marktebene
• Rechtliche Rahmenbedingungen • Steuerliche Rahmenbedingungen
Segmentebene
• Größe eines Marktsegments • Wachstum eines Marktsegments
Geschäftsbeziehungsebene
• Marktstellung des Kunden • Aufbauorganisation der Einkaufsabteilung des Kunden
Transaktionsebene
• Zahlungsmodalitäten der betrachteten Transaktion • Erforderliche Spezifikationen einer Maschine
Abb. 2-4: Die vier Dispositionsebenen des Marketing
2.3
Zusammenfassende Betrachtung
Mit dem vorliegenden Kapitel wurden die Grundlagen für den weiteren Verlauf der Arbeit geschaffen. Zum einen wurde – ganz im Sinne des nominalistischen
243 Vorschläge zur Verwendung eines Bezugsrahmens, der die Unterscheidung in vier Dispositionsebenen
ermöglicht, finden sich beispielsweise bei Freiling/Reckenfelderbäumer 1996 und Freiling/Gersch 2006.
57
Wissenschaftsziels nach Chmielewicz – das Verständnis für die Arbeit grundlegender Begriffe geklärt.244 Zudem wurden verschiedene Aspekte des Untersuchungsgegenstands diskutiert, denen im Kontext der Festlegung einer zur Beantwortung der Forschungsfrage geeigneten Referenztheorie erhebliche Bedeutung zukommt und auf die im folgenden Kapitel zurückgekommen werden wird. Ferner wurde auf die in der Literatur identifizierten Nutzenpotenziale produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte eingegangen, die in die dynamischen Betrachtungen der Kapitel 4 bis 6 einfließen werden. Darüber hinaus wurde auf bestehende Arbeiten zur Internationalisierung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte sowie ergänzend auf Beiträge der Internationalisierungsprozessforschung eingegangen, die potenziell für die Beantwortung der Forschungsfrage hilfreiche Hinweise enthalten. Es wurde deutlich, dass die Literatur zu produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten zwar wichtige Vorarbeiten zu den begrifflichen Grundlagen und zur Klassifizierung dieser Leistungen enthält, nennenswerte Vorarbeiten zu den im Kontext der Forschungsfrage relevanten Internationalisierungsaspekten sich indes kaum finden lassen. Im Rahmen der Internationalisierungsprozessforschung bieten hierzu insbesondere die Arbeiten zur Product Chain einen Anhaltspunkt. Außerdem liefern Arbeiten, die sich mit weiteren zeitlichen Mustern (Establishment Chain, Psychic Distance Chain) auseinandersetzen, einige Hinweise, die bei der Beantwortung der Forschungsfrage zu berücksichtigen sind. Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass eine systematische Auseinandersetzung mit der in der vorliegenden Arbeit betrachteten Thematik bislang nicht annähernd erfolgte und eine entsprechende Forschungslücke besteht. Das folgende Kapitel geht auf das Design der Forschungsmethodik sowie auf die Festlegung einer geeigneten Referenztheorie ein, mit deren Hilfe die vorliegende Arbeit einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke leisten möchte.
244 Vgl. Chmielewicz 1994, S. 8ff.
58
3 Forschungsmethodik und Festlegung einer geeigneten Referenztheorie zur Beantwortung der Forschungsfrage 3.1
Darlegung des Ansatzes zur Erkenntnisgenerierung
In den beiden vorangegangenen Kapiteln wurde deutlich, dass dem Realphänomen zeitlicher Muster bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten – ungeachtet der hohen praxeologischen Relevanz der Thematik – von Seiten der Wissenschaft bisher eine recht geringe Aufmerksamkeit zuteil wurde. Im Rahmen der verhaltenswissenschaftlich argumentierenden Helsinki-Schule konnte jedoch mit der Product Chain zumindest ein theoretischer Ansatz identifiziert werden, der sich mit der hier untersuchten Forschungsfrage auseinandersetzt. Dabei ist jedoch zu konstatieren, dass die Product Chain lediglich geeignet ist, eine sukzessive Einführung von Sachleistungen, produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten zu erklären. Der Beobachtungssachverhalt hiervon abweichender zeitlicher Muster – beispielsweise die gleichzeitige Einführung der genannten Leistungen in einem Auslandsmarkt – lässt sich mit ihrer Hilfe hingegen nicht begründen.245 Der Ansatz der Helsinki-Schule lässt sich jedoch nicht nur hinsichtlich seiner eingeschränkten Erklärungsmacht, sondern auch in Bezug auf sein methodisches Vorgehen kritisch hinterfragen. Dies trifft beispielsweise auf den induktiven Theoriebildungsprozess des Ansatzes zu.246 So weist etwa Simon unter Verweis auf Franke darauf hin, dass bezüglich der (vereinfachenden) Unterscheidung zwischen induktiver und deduktiver Vorgehensweise „die theoretisch-deduktive Vorgehensweise mehr Zustimmung in den meisten Wissenschaftszweigen
245 Vgl. Kapitel 1. 246 Vgl. Simon 2007, S. 74. Das gleiche gilt für das eklektizistische Vorgehen, worauf im weiteren Verlauf
des Abschnitts noch eingegangen wird.
59
findet“.247 Vereinfacht dargestellt, wird beim induktiven Vorgehen der Versuch unternommen, einzelfallbezogene Aussagen zu verallgemeinern.248 Eine solche Verallgemeinerung erscheint hinsichtlich der Beantwortung der Forschungsfrage aus Sicht des Verfassers problematisch, da es sich bei produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten um Leistungen handelt, die stark an den jeweiligen Bedürfnissen der Kunden ausgerichtet sind und angesichts des hohen Integrativitätsgrads der Leistungserstellungsprozesse individuellen Charakter haben.249 Nicht zuletzt aufgrund dieser ausgeprägten Heterogenität der betrachteten Leistungen werden sich die Rahmenbedingungen von Unternehmung zu Unternehmung deutlich voneinander unterscheiden, so dass die Möglichkeit, von einem Einzelfall auf weitere Fälle zu schließen, erheblichen Einschränkungen unterliegt.250 Daher soll im weiteren Verlauf der Arbeit theoriebasiert ein Modell entwickelt werden, das den Beobachtungssachverhalt verschiedener zeitlicher Muster besser zu erklären vermag als dies mit der (induktiv hergeleiteten) Product Chain möglich ist.251 Es wird dabei angestrebt, sowohl das (komparativ-) statisch geprägte Forschungsfeld der Internationalisierung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte als auch die Internationalisierungsprozessforschung durch die Entwicklung eines verstärkt dynamischen Erklärungsansatzes zu bereichern, der dem Charakter der Forschungsfrage gerecht wird. Beiden Forschungsbereichen (d.h. der Dienstleistungsforschung und der Internationalisierungsprozessforschung) ist gemeinsam, dass sich dem Untersuchungsgegenstand grundsätzlich entweder durch eine verhaltenswissenschaftliche oder
247 Simon 2007, S. 52 mit Verweis auf Franke 2002, S. 20. 248 Vgl. z.B. Chmielewicz 1994, S. 89, der in diesem Zusammenhang auf das sog. Induktionsproblem hin-
weist. 249 Vgl. Kapitel 2. 250 Vgl. ergänzend die Ausführungen zur Notwendigkeit der Berücksichtigung unternehmungsspezifischer
Charakteristika auf Seite 67f. 251 Zur Grundidee des wissenschaftlichen Fortschritts und der Konkurrenz verschiedener Erklärungsansätze
vgl. z.B. Albert 1991; Chalmers 2001, S. 52ff.
60
durch eine ökonomisch orientierte Perspektive genähert werden kann.252 So spielen im Rahmen der Dienstleistungsforschung sowohl verhaltenswissenschaftliche als auch ökonomische Theorien eine bedeutende Rolle, ohne dass sich bisher „eine weithin akzeptierte Universaltheorie als Bezugsrahmen“ durchsetzen konnte.253 Bezogen auf die Internationalisierungsprozessforschung ist eine Dominanz verhaltenswissenschaftlicher Ansätze festzustellen,254 wobei – insbesondere in jüngerer Zeit – auch die Anzahl ökonomischer Ansätze in diesem Forschungsbereich steigt.255 Vor diesem Hintergrund ist eine Grundsatzentscheidung dahingehend zu treffen, der vorliegenden Arbeit entweder einen verhaltenswissenschaftlichen oder einen ökonomischen Ansatz zugrunde zu legen.256 Reckenfelderbäumer weist in einem ähnlichen Kontext darauf hin, dass es diesbezüglich keine
„richtige“
oder
„falsche“
Sichtweise
gibt.257
Vielmehr
–
so
Reckenfelderbäumer weiter – „[…] muss [es] dem einzelnen Betrachter vorbehalten bleiben, welche Perspektive er einnehmen will.“258 Ergänzend sei hierzu angemerkt, dass die Wahl der Perspektive das verfolgte Erkenntnisziel zu berücksichtigen hat. Während sich der Forschungsfrage bisher vorwiegend mit dem verhaltenswissenschaftlichen Ansatz der Product Chain genähert wurde und deren Erklärungsmacht – wie dargestellt – als unzureichend bezeichnet werden muss, soll mit der vorliegenden Arbeit der Versuch unternommen werden, sich der Forschungsfrage alternativ mit einem Erklärungsansatz zu nähern, der auf einer ökonomischen
252 Vgl. im Kontext der Dienstleistungsforschung z.B. Reckenfelderbäumer 2001, S. 145ff.; Freiling/Gersch
2007, S. 76 und im Kontext der Internationalisierungsprozessforschung z.B. Simon 2007, S. 4ff. 253 Freiling/Gersch 2007, S. 76. 254 Vgl. zu dieser Einschätzung z.B. Simon 2007, S. 118. 255 Zu nennen sind hier beispielsweise die Prozesstrilogie von Kutschker (vgl. Kutschker/Schmid 2005,
S. 1086ff.) sowie der ressourcenorientierte Ansatz von Simon (vgl. Simon 2007). 256 Eine Vermischung verhaltenswissenschaftlicher und ökonomischer Ansätze wird hingegen aufgrund der
deutlichen Unterschiede in den zugrunde liegenden Annahmen und der damit verbundenen Eklektizismusgefahr als äußerst problematisch angesehen (vgl. z.B. die ausführliche Darstellung bei Elschen 1982a und 1982b). 257 Vgl. Reckenfelderbäumer 2001, S. 146 im Kontext der Diskussion einer geeigneten Referenztheorie zur Erforschung zentraler Dienstleistungsbereiche. 258 Reckenfelderbäumer 2001, S. 148.
61
Theorie basiert. Dabei wird der Grundidee des theoretischen Pluralismus259 gefolgt, der im Sinne eines Wettbewerbs um Erklärungskraft dazu auffordert, nach alternativen Konzeptionen zu forschen, die möglicherweise besser als bisher verwendete Ansätze geeignet sind, einen bestimmten Sachverhalt – im vorliegenden Fall also die zeitlichen Muster bei der Einführung der betrachteten Leistungen in einem Auslandsmarkt – zu erklären.260 Da keinesfalls nur eine, sondern zahlreiche ökonomische Theorien existieren261 und auch mehrere dieser Theorien als Analysebasis in Betracht kommen können, ergibt sich grundsätzlich die Frage, inwiefern sich unterschiedliche Theorien möglicherweise zum Zwecke der Erkenntnisgenerierung kombinieren lassen. Wie bereits hingewiesen wurde, ist es jedoch im Falle einer gleichzeitigen Verwendung mehrerer Theorien erforderlich, die Kompatibilität der jeweils zugrunde gelegten Annahmen kritisch zu prüfen, um nicht wissenschaftstheoretisch problematische Formen eklektizistischen Vorgehens der Arbeit zugrunde zu legen.262 Weitere Möglichkeiten, mit derartigen Problemen umzugehen, bestehen erstens darin, im Rahmen der Analyse zwar auf mehrere Theorien zurückzugreifen, diese jedoch nicht miteinander zu kombinieren, sondern die auf unterschiedlichen Theorien basierenden Analyseergebnisse strikt voneinander getrennt zu halten.263 Zweitens kann einer einheitlichen Referenztheorie der Vorzug gegeben werden, wie es auch im Rahmen dieser Arbeit (weitgehend) erfolgt. Somit wird hier der Ansicht von Foss gefolgt, der sich mancherorts ebenfalls für die Bevorzugung eines einheitlichen theoretischen Bezugsrahmens ausspricht und hinsichtlich der Eklektizismusgefahr zu Bedenken gibt, dass „ideas may come with
259 Vgl. z.B. Albert 1991. 260 Ein vergleichbares Vorgehen wählt z.B. Welling, der das vornehmlich verhaltenswissenschaftlich unter-
suchte Erkenntnisobjekt Marke unter ökonomischer Perspektive analysiert (vgl. Welling 2006, S. 12f.). 261 Vgl. z.B. Franck/Opitz 2007, Sp. 1307ff.; Schneider 2007, Sp. 594f.; Picot/Dietl/Franck 2005, S. 31ff.;
Furubotn/Pejovich 1972, S. 1137ff.; Fehl 2005, S. 78 mit Verweis auf Priddat 2002; Welling 2006, S. 119f.; Reckenfelderbäumer 2001, S. 145 mit Verweis auf Albach 1993, S. 16 und Hopfenbeck 1995, S. 29ff. sowie die dort jeweils angeführte Literatur. 262 Vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 12f.; Elschen 1982a, S. 886. 263 Vgl. z.B. Albert 1991. Konsequenterweise ist es dann für eine zusammenfassende Darstellung der generierten Erkenntnisse in diesem Falle jedoch stets erforderlich, die den einzelnen Erkenntnissen jeweilig zugrunde liegenden Annahmen separat auszuweisen.
62
invisible luggage of a methodological or ontological sort“.264 Soweit es sich im weiteren Verlauf der Arbeit als zweckmäßig erweist, auf Erkenntnisse Bezug zu nehmen, die auf von der Referenztheorie abweichenden theoretischen Grundlagen basieren, werden diese Erkenntnisse erst nach Prüfung der Kompatibilität und unter Explikation der getroffenen Annahmen verwendet.265 Aus der getroffenen Grundsatzentscheidung, die Forschungsfrage auf Basis einer ökonomischen Referenztheorie zu untersuchen, erwächst die Anschlussfrage, welche der verschiedenen ökonomischen Theorien als Basis der vorliegenden Untersuchung gewählt werden soll.266 Daher wird zum Zwecke der Bestimmung einer geeigneten Referenztheorie im folgenden Abschnitt ein Kriterienkatalog entwickelt, der sowohl dem Charakter des Untersuchungsgegenstands als auch der Forschungsfrage Rechnung trägt. Dieses Vorgehen scheint insofern zweckmäßig, als sich bisher weder in dem Forschungsfeld produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte noch in der Internationalisierungsprozessforschung eine Leittheorie durchsetzen konnte. Wie in Abschnitt 1.3 hingewiesen wurde, ist zudem beabsichtigt, das im weiteren Verlauf der Arbeit auf Basis der noch zu bestimmenden Referenztheorie abgeleitete Modell einer empirischen Plausibilitätsprüfung zu unterziehen (vgl. Kapitel 6). Da die empirische Methodik jedoch nicht allein vom Betrachtungsobjekt und der Forschungsfrage, sondern darüber hinaus beispielsweise auch von der gewählten theoretischen Basis abhängt, wird auf die empirische Methodik
264 Foss 2000, S. 67 im Zusammenhang mit dem Versuch von Hunt, mehrere Theorien in der sog. Resource-
Advantage Theory zu integrieren (vgl. Hunt 2000). Dabei kommt Foss zu dem Schluss, dass Hunts Integrationsversuch aufgrund „excessive eclecticism“ wissenschaftstheoretischen Anforderungen nicht genügt (Foss 2000, S. 65ff.). Es sei jedoch angemerkt, dass auch Foss nicht in all seinen Beiträgen einen einheitlichen theoretischen Bezugsrahmen verwendet. 265 Dies wird beispielsweise von Elschen gefordert, der zum Eklektizismusproblem ausführt: „Wer sich auf den Standpunkt stellt, er könne, ehe andere Forscher ihm das Gegenteil bewiesen haben, von der Irrelevanz der Bedingungsunterschiede ausgehen, enthebt sich der Voraussetzungsexplikation und immunisiert Übernahmebemühungen […] gegen Kritik. Eine solche Immunisierung vermeidet nur, wer deutlich macht, warum er bestehende Bedingungsunterschiede für 'unschädlich' hält.“ (Elschen 1982a, S. 886, Hervorhebung im Original). 266 Auf die einzelnen zu berücksichtigenden ökonomischen Theorien und die Schwierigkeit ihrer Abgrenzung wird in Abschnitt 3.3 eingegangen.
63
nicht an dieser Stelle, sondern erst nach Festlegung der verwendeten Theorie eingegangen (vgl. Abschnitt 6.1).
3.2
Anforderungen an die Referenztheorie zur Untersuchung der Forschungsfrage
Auf Basis der Ausführungen in den vorangegangenen Kapiteln wird in Abschnitt 3.2.1 ein Katalog inhaltlicher Kriterien entwickelt, anhand dessen die inhaltliche Eignung verschiedener ökonomischer Theorien im Anschluss geprüft werden soll.267 Der zu wählende Ansatz muss jedoch nicht nur inhaltlich für die Beantwortung der Forschungsfrage geeignet sein, sondern hat auch wissenschaftstheoretische Kriterien zu erfüllen, auf die in Abschnitt 3.2.2 eingegangen wird. 3.2.1
Katalog inhaltlicher Kriterien zur Festlegung der Referenztheorie
Um der Natur der Forschungsfrage und dem Charakter des Untersuchungsgegenstands im weiteren Verlauf der Arbeit gerecht werden zu können, ist die Verwendung einer theoretischen Basis erforderlich, die die Betrachtung damit verbundener Aspekte ermöglicht. Somit leiten sich aus der Forschungsfrage und dem Untersuchungsgegenstand inhaltliche Anforderungen ab, die an die festzulegende theoretische Basis zu stellen sind. Diese Kriterien werden nachfolgend zusammenfassend diskutiert. Berücksichtigung des zeitlich-dynamischen Charakters der Forschungsfrage Um dem zeitlich-dynamischen Charakter der Forschungsfrage gerecht werden zu können, ist von der Referenztheorie eine prozessorientierte, evolutorische Sichtweise zu fordern. So ist es in Anbetracht der Forschungsfrage als grundlegende Voraussetzung anzusehen, dass mit der Referenztheorie zeitliche Internationalisierungsmuster abgebildet werden können. Über deren Abbildung hinausgehend, sollte die Referenztheorie ferner prozessorientierte Betrachtungen zulassen, die
267 Die Abgrenzung der zu berücksichtigenden ökonomischen Theorien wird in Abschnitt 3.3.1 diskutiert.
64
die Ursachen für die zeitlichen Muster betreffen, z.B. inwiefern ein frühzeitiges Angebot produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte potenziell den weiteren Verlauf der Auslandsmarkterschließung beeinflusst.268 Auch in Anbetracht des erklärten Ziels, die Erforschung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte sowie die Internationalisierungsprozessforschung durch einen verstärkt dynamisch ausgerichteten Ansatz zu bereichern, ist von der zu wählenden Referenztheorie zu fordern, dass diese eine prozessorientierte Sichtweise zulässt. Berücksichtigung von Informations- bzw. Wissensaspekten269 Wie den beiden vorangegangenen Kapiteln zu entnehmen ist, kommt der Berücksichtigung von Informations- bzw. Wissensaspekten im Kontext der vorliegenden Arbeit in mehrfacher Hinsicht eine zentrale Bedeutung zu. So ist hinsichtlich der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte zu konstatieren, dass „die Beziehung zwischen Anbieter und Nachfrager […] durch eine unvollkommene und ungleiche Informationsverteilung geprägt [ist].“270 Des Weiteren zeigen die Ausführungen in Abschnitt 2.2 zur Internationalisierungsprozessforschung, dass dem marktspezifischen Wissen eine zentrale Bedeutung in der Erklärung unterschiedlicher Internationalisierungsprozesse (Product Chain, Establishment Chain und Psychic Distance Chain) zukommt. Die auszuwählende Theorie sollte folglich grundsätzlich für die Betrachtung von Informations- bzw. Wissensaspekten geeignet sein.
268 Zur Darstellung des dynamischen Charakters der Forschungsfrage vgl. Abschnitt 1.3. 269 Die Begriffe Information und Wissen werden im Rahmen dieser Arbeit synonym verwendet (vgl. hierzu
die Ausführungen in Abschnitt 2.2.2). 270 Henkens 1992, S. 2 im Kontext der Dienstleistungserbringung; vgl. auch Freiling/Gersch 2007, S. 77. Die
Unvollständigkeit und Verteilungsungleichheit der Informationen beziehen sich beispielsweise auf die Bereitstellungsleistung der jeweiligen Marktgegenseite. Der Bereitstellungsleistung des Kunden kommt insofern Bedeutung zu, als dieser durch die Integrativität der Leistungserstellungsprozesse an der Erbringung der produktbegleitenden Dienstleistungen bzw. hybriden Produkte beteiligt ist (vgl. Kapitel 2; zudem z.B. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 229).
65
Darstellung der drei Leistungsdimensionen Die zu bestimmende Referenztheorie sollte ferner die Analyse der drei Leistungsdimensionen (Bereitstellungsleistung, Leistungserstellungsprozess und Leistungsergebnis) ermöglichen. So wird im Rahmen der Leistungslehre deutlich, dass sich Leistungen hinsichtlich ihrer Wertschöpfungsbesonderheiten durch die drei genannten Dimensionen analytisch erschließen lassen.271 Zudem stellen die Leistungsdimensionen eine wesentliche Grundlage der im Rahmen dieser Arbeit verwendeten Definitionen der verschiedenen Leistungsarten (Sachleistungen, produktbegleitende Dienstleistungen und hybride Produkte) dar, so dass die Abbildung der Leistungsdimensionen für eine differenzierte Betrachtung der in der Forschungsfrage genannten Leistungsarten erforderlich ist.272 Vor diesem Hintergrund ist gemeinsam mit Freiling/Gersch zu fordern, dass „ein geeigneter theoretischer Bezugsrahmen […] in der Lage sein [muss]“, die drei Leistungsdimensionen zu erfassen.273 Berücksichtigung von Entscheidungsspielräumen Angesichts der mehrfach geäußerten Kritik an der deterministischen Ausprägung der Product Chain (sowie der Establishment Chain und Psychic Distance Chain)274 und in Anbetracht des Hinweises von Kutschker/Schmid, dass eine Internationalisierung „auch eindeutig voluntaristische Züge trägt“,275 ist von der Referenztheorie zudem zu fordern, dass sie von einer partiellen Gestaltbarkeit des Internationalisierungsprozesses ausgeht und die kritisierte deterministische Perspektive der genannten Ansätze um voluntaristische Betrachtungen ergänzt. Die Zweckmäßigkeit, einen Ansatz zugrunde zu legen, der (auch) voluntaristische Betrachtungen zulässt, liegt jedoch nicht allein in dem oben dargestellten Inter-
271 Vgl. Freiling/Gersch 2006, S. 6; Freiling/Gersch 2007, S. 73. 272 Für die in der Arbeit verwendeten Definitionen vgl. Abschnitt 2.1.2 (Definition der Sachleistung),
Abschnitt 2.1.3.1 (Definition produktbegleitender Dienstleistungen) sowie Abschnitt 2.1.4.1 (Definition hybrider Produkte). 273 Freiling/Gersch 2006, S. 6. 274 Vgl. Abschnitt 2.2.1 sowie die dort angeführten Quellen. 275 Vgl. Abschnitt 2.2.1 sowie Kutschker/Schmid 2005, S. 463; Schmid 2002, S. 390.
66
nationalisierungsaspekt begründet, sondern ergibt sich auch aus dem Untersuchungsgegenstand produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte. So ist zu konstatieren, dass im Rahmen der Erstellungsprozesse der genannten Leistungen der Integrativität eine bedeutende Rolle zukommt.276 Hinsichtlich der hier interessierenden Frage der Gestaltbarkeit weist Freiling im Kontext der Integrativität auf die damit verbundenen Anpassungsprozesse zwischen Nachfrager und Kunde hin, wobei er zu dem Schluss kommt, dass „der Anbieter nachweisbaren Einfluss auf die verfügbaren Inputgüter des Nachfragers nimmt“.277 Weitere Hinweise für die Zweckmäßigkeit der hier diskutierten Anforderung an die Referenztheorie ergeben sich etwa aus der Unterscheidung in obligatorische und fakultative Dienstleistungen278 sowie aus der Diskussion der Nutzenpotenziale. So scheint in Anbetracht des Differenzierungs- und Akquisitionspotenzials die Annahme vertretbar, dass den Marktteilnehmern beispielsweise ein Entscheidungsspielraum dahingehend zuzubilligen ist, ob bzw. mit welchen Marktteilnehmern sie Transaktionen durchführen.279 Ferner wird in der Literatur im Kontext der Nutzenpotenziale teils explizit auf die „Möglichkeiten eines proaktiven Einsatzes von Dienstleistungen im Investitionsgütermarketing“ hingewiesen.280 Berücksichtigung unternehmungsspezifischer Charakteristika In Abschnitt 1.3 wurde angedeutet, dass eine für alle Unternehmungen einheitliche Beantwortung der Forschungsfrage voraussichtlich nicht möglich sein wird, sondern beispielsweise das Leistungsspektrum der jeweiligen Unternehmung mit zu berücksichtigen ist. Die bisherigen Ausführungen unterstreichen die Bedeutung
276 Vgl. die Definition des Dienstleistungsbegriffs (Abschnitt 2.1.2), die die Eigenschaft eines hohen Integra-
tivitätsgrads als konstitutives Element enthält, sowie die darauf aufbauenden Definitionen produktbegleitender Dienstleistungen (Abschnitt 2.1.3.1) und hybrider Produkte (Abschnitt 2.1.4.1). 277 Vgl. Freiling 2001a, S. 94f.; Freiling weist an gleicher Stelle darauf hin, dass dieser Einfluss nicht unbegrenzt ist und grundsätzlich beidseitig wirkt. 278 Vgl. Abschnitt 2.1.3.2. 279 Andernfalls wäre die oftmals betonte Bedeutung des Differenzierungs- und Akquisitionspotenzials produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte (vgl. Abschnitt 2.1.3.3 und 2.1.4.3) kaum zu erklären. Ergänzend ist anzumerken, dass auch dieser Spielraum Grenzen unterliegen kann, wie sich am Beispiel monopolistischer und oligopolistischer Marktstellungen verdeutlichen lässt. 280 Vgl. Sanche 2002, S. 27f., die eine rein reaktive Sichtweise explizit ablehnt.
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der Berücksichtigung unternehmungsspezifischer Charakteristika, zu deren Abbildung die Referenztheorie im Stande sein sollte. So wurde deutlich, dass es sich bei den hier betrachteten Leistungen um sehr umfangreiche Leistungsspektren handelt, die von Unternehmung zu Unternehmung stark variieren und darüber hinaus aufgrund der Integrativität der Leistungserstellung vom jeweiligen Kunden mitbeeinflusst werden und in unterschiedlichem Maße an den individuellen Bedürfnissen und Wünschen des Kunden ausgerichtet sind.281 In Verbindung mit dem vorgenannten Kriterium der Ergänzung um voluntaristische Betrachtungen kommt hinzu, dass – je nach Nutzung des voluntaristischen Spielraums – die Situation bzw. der Zeitverlauf sich von Unternehmung zu Unternehmung unterscheidet. Um den dargestellten Aspekten Rechnung tragen zu können, ist von der Referenztheorie zu fordern, dass diese geeignet ist, unternehmungsspezifische Charakteristika zu berücksichtigen. Berücksichtigung der vier Dispositionsebenen des Marketing Freiling/Gersch kommen bezogen auf das Erfahrungsobjekt Dienstleistung zu dem Schluss, dass es der theoretische Bezugsrahmen grundsätzlich zulassen sollte, die Handlungsebenen Markt, Marktsegment, Geschäftsbeziehung und Einzeltransaktion zu erfassen.282 So zeigen die Autoren, dass hierdurch eine differenziertere Sichtweise der drei Leistungsdimensionen ermöglicht wird. Beispielsweise lassen sich bilaterale Anpassungen der Bereitstellungsleistung insbesondere auf der Ebene der Einzeltransaktion und der Geschäftsbeziehung diskutieren, während Veränderungen der Bereitstellungsleistung auf der Marktsegment- und der Marktebene grundsätzlich kundenunspezifisch erfolgen.283 Die Diskussion der Leistungsdimensionen kann dabei auch ebenenübergreifend erfolgen, indem beispielsweise „vorbereitende Handlungen auf Markt-, Segment-
281 Vgl. in diesem Kontext z.B. die Definition hybrider Produkte in Abschnitt 2.1.4.1. 282 Vgl. Freiling/Gersch 2006, S. 6f.; Freiling/Gersch 2007, S. 74f. 283 Vgl. Freiling/Gersch 2006, S. 8.
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und Geschäftsbeziehungsebene […] auf der Transaktionsebene genutzt [werden]“.284 Weitere Vorzüge einer Referenztheorie, die zur Berücksichtigung der vier genannten Dispositionsebenen in der Lage ist, ergeben sich aus den Ausführungen zum Informationspotenzial produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte285 sowie aus der Diskussion der Inhalte marktspezifischen Wissens.286 3.2.2
Wissenschaftstheoretische Anforderungen an die Referenztheorie
Nachdem im letzten Abschnitt der Kriterienkatalog aufgestellt wurde, mit dessen Hilfe die inhaltliche Eignung verschiedener ökonomischer Ansätze im weiteren Verlauf zu diskutieren ist, soll im Folgenden auf die wissenschaftstheoretischen Anforderungen eingegangen werden, die im Rahmen dieser Arbeit an die Referenztheorie gestellt werden. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um die von Schneider explizierten Anforderungen, die allgemein an eine Theorie zu stellen sind und diese von der Vielzahl der Ansätze abgrenzt, die sich zum Teil zwar ebenfalls als Theorien bezeichnen, jedoch eher „Vorstufen einer Theorie“287 darstellen. Somit wird vermieden, dass für die Bearbeitung der Forschungsfrage auf eine theoretische Basis zurückgegriffen wird, die (noch) gravierende wissenschaftstheoretische Defizite aufweist, weil beispielsweise die Modellbildung in sich nicht widerspruchsfrei ist. Auf die Definition des Theoriebegriffs durch Schneider und die damit verbundenen wissenschaftstheoretischen Anforderungen sei nachfolgend eingegangen. Laut Schneider sind „Theorien […] in Strukturkernen ausgeformte Problemlösungsideen, deren Ergebnisse, durch Musterbeispiele in wissenschaftliche Beobachtungssprachen übersetzt, über Hypothesen Problemlösungen behaup-
284 Ebd. 285 Vgl. die Abschnitte 2.1.3.3. und 2.1.4.3. 286 Vgl. Abschnitt 2.2.2. 287 Freiling/Reckenfelderbäumer 2007, S. 43.
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ten.“288 Schneider führt hierzu jedoch aus, dass die zitierte Definition ein Ideal fordert, dem „in der Wissenschaftsgeschichte der Theorienbildung […] anfänglich (und teils noch heute)“ nicht in allen Merkmalen entsprochen werden konnte.289 Gemäß der obigen Definition sollte eine Theorie die folgenden Bestandteile aufweisen:290 (a) Problemstellung: Die Problemstellung besteht aus einer Fragestellung und einer entsprechenden Lösungsidee. (b) Strukturkern: Der Strukturkern umfasst die Bildung eines (abstrakten und vereinfachenden) Modells, das die Problemstellung inklusive der Lösungsidee unter Verwendung möglichst eindeutiger und zweckmäßiger Begriffe expliziert.291 (c) Musterbeispiele: Musterbeispiele stellen beobachtbare Sachverhalte dar, die „als Anwendungsfälle der Problemlösungsidee bzw. als geeignete Übersetzung eines Modellergebnisses“ anerkannt werden. Die Bildung von Musterbeispielen setzt dabei die erfolgreiche Transformation der im Modell verwendeten Begriffe in solche Begriffe voraus, die zur Beschreibung beobachtbarer Sachverhalte geeignet sind. (d) Hypothesen: Mit der Hypothesenbildung wird das Ziel verfolgt, Modellergebnisse durch Musterbeispiele empirisch zu bestätigen und anschließend zu verallgemeinern. Die Verwendung der vier dargestellten Elemente als Katalog wissenschaftstheoretischer Anforderungen an eine Theorie eignet sich nicht nur zur Bewertung
288 Schneider 2001, S. 15. Mit der Formulierung der hier zitierten eigenen Theoriedefinition begegnet
Schneider der Unschärfe und Mehrdeutigkeit des Theoriebegriffs. Schneider weist darauf hin, dass allein im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum der Begriff Theorie in mindestens vier unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird (vgl. Schneider 2001, S. 13ff. sowie Schneider 1995, S. 164ff.). Für einen weiteren Überblick über die Verwendung des Theoriebegriffs siehe zudem Franke 2002, S. 178f. 289 Schneider 2001, S. 15. 290 Vgl. Schneider 1987, S. 54ff.; Schneider 1995, S. 167ff.; Schneider 1997a, S. 5; Schneider 2001, S. 15ff. 291 Schneider weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Verständnis des Modellbegriffs in Wirtschaftstheorie und Mathematik voneinander abweicht (vgl. Schneider 1995, S. 171; Schneider 2001, S. 18).
70
von (vermeintlichen) Theorien, sondern ermöglicht darüber hinaus eine strukturierte Prüfung, worin die Defizite eines theoretischen Ansatzes bestehen. Je nach Art des Defizits lassen sich verschiedene Fälle differenzieren, von denen einige von Schneider explizit erwähnt und mit eingängigen Bezeichnungen bedacht werden.292 Da es hinsichtlich der Beantwortung der Forschungsfrage keinen Mehrwert bieten würde, inhaltlich hierzu ungeeignete theoretische Ansätze auf die Erfüllung wissenschaftstheoretischer Anforderungen zu prüfen, werden die Ansätze nachfolgend zunächst hinsichtlich ihrer inhaltlichen Eignung diskutiert. Im Anschluss wird der Ansatz, der für die Beantwortung der Forschungsfrage inhaltlich am besten geeignet ist, auf seine wissenschaftstheoretische Fundierung hin untersucht.293
3.3 3.3.1
Diskussion und Festlegung der Referenztheorie Vorbemerkung zur Abgrenzung ökonomischer Ansätze
Das Vorhaben, anhand des erarbeiteten Kriterienkatalogs eine ökonomische Referenztheorie auszuwählen, wird durch den Umstand erschwert, dass „die möglichen theoretischen Konzeptionen kaum exakt voneinander abgegrenzt werden können, da zwischen den einzelnen Zweigen zahlreiche Verwandtschaften und Interdependenzen bestehen.“294 Die Problematik der Abgrenzung verschiedener ökonomischer Ansätze findet in der Literatur im Kontext mehrerer Forschungsbereiche Berücksichtigung, so etwa in wirtschaftstheoretischen Betrachtungen295 sowie z.B. in Beiträgen zur Management- und Organisationsfor-
292 So spricht Schneider je nach Art des Defizits von „Theoriegebrösel“, „Theorieversprechen“ oder
„Theoriegefasel“ (vgl. Schneider 1995, S. 212ff.; Schneider 2001, S. 25). 293 Zu den Vorteilen der gewählten Prüfungsreihenfolge vgl. insbesondere Lierow 2006, S. 19, der eine
analoge Vorgehensweise wählt. Ein ähnliches methodisches Vorgehen findet sich zudem etwa bei Reckenfelderbäumer 2001, S. 141ff. 294 Reckenfelderbäumer 2001, S. 150. Ähnlich äußert sich z.B. Fehl 2005, S. 78. 295 Vgl. z.B. Fehl 2005; Priddat 2002 sowie Arbeiten, die insbesondere auf Ansätze der Neuen Institutionenökonomik fokussieren, z.B. Richter/Furubotn 1996; Erlei/Leschke/Sauerland 1999; Göbel 2002.
71
schung.296 Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass neben den verschiedenen ökonomischen Ansätzen in den angeführten Forschungsfeldern auch verhaltenswissenschaftliche Ansätze diskutiert werden.297 Aus den in Abschnitt 3.1 dargestellten Gründen fokussiert die Diskussion im vorliegenden Abschnitt jedoch auf ökonomische Ansätze.298 Ausdrücklich eine ökonomische Perspektive einnehmend, unterscheiden beispielsweise Picot/Dietl/Franck zwischen neoklassischen, neoinstitutionalistischen und evolutorischen Ansätzen.299 Dabei gehen sie vertiefend lediglich auf die neoklassischen und neoinstitutionalistischen Ansätze ein und ordnen letzteren die Transaktionskostentheorie, die Principal-Agent-Theorie sowie die PropertyRights-Theorie zu.300 Einen in den Grundzügen vergleichbaren Systematisierungsansatz ökonomischer Theorien schlägt Reckenfelderbäumer vor; jedoch wird in seinem Vorschlag den ökonomischen evolutorischen Ansätzen eine größere Beachtung zuteil als in der knappen Darstellung von Picot/Dietl/Franck.301 Ein weiterer Systematisierungsvorschlag, der gleichfalls eine Differenzierung verschiedener ökonomischer evolutorischer Ansätze vornimmt und als zweckmäßige Ergänzung der diesbezüglichen Ausführungen Reckenfelderbäumers angesehen werden kann, findet sich bei Welling.302 Zur Strukturierung der Diskussion der inhaltlichen Eignung verschiedener ökonomischer Ansätze anhand des zuvor abgeleiteten Kriterienkatalogs wird sich im Folgenden an den Systematisierungen von Picot/Dietl/Franck sowie von Reckenfelderbäumer und Welling orientiert.303 Nachdem die Systematisierung von Picot/
296 Vgl. z.B. Rumelt/Schendel/Teece 1991; Picot/Dietl/Franck 2005; Franck/Opitz 2007; Wolf 2003. 297 Vgl. z.B. Schreyögg/Conrad 2002; Kieser/Ebers 2006; Kieser 2007. 298 Vgl. Seite 60ff. 299 Vgl. Picot/Dietl/Franck 2005, S. 31ff. 300 Vgl. Picot/Dietl/Franck 2005, S. 46. 301 Vgl. Reckenfelderbäumer 2001, S. 150ff. 302 Vgl. Welling 2006, S. 97ff., zu den ökonomischen evolutorischen Ansätzen insbesondere S. 125f. 303 In Teilen abweichende Strukturierungsvorschläge existieren beispielsweise hinsichtlich der Zuordnung
der Informationsökonomie sowie hinsichtlich der Strukturierung der verschiedenen ökonomischen evolutorischen Ansätze. Hierauf wird im Folgenden unter Nennung alternativer Vorschläge an den entsprechenden Stellen eingegangen. Von einer dezidierten Diskussion der Vor- und Nachteile einzelner
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Dietl/Franck bereits skizziert wurde, sollen nachfolgend auch die Systematisierungsvorschläge von Reckenfelderbäumer und Welling kurz dargestellt werden. Unter Verweis auf die Möglichkeit alternativer Benennungen und Systematisierungen differenziert Reckenfelderbäumer zwischen den folgenden ökonomischen Konzeptionen: Neoklassische Mikroökonomie, Neue Institutionenökonomik sowie evolutorische Ökonomik, wobei er der Neuen Institutionenökonomik den Transaktionskostenansatz, den Property-Rights-Ansatz, die Principal-Agent-Theorie sowie – eine Sonderstellung einnehmend – die Informationsökonomik zurechnet.304 Im Rahmen der evolutorischen Ökonomik nennt Reckenfelderbäumer insbesondere die Modern Austrian Economics sowie die Lehre von den Unternehmerfunktionen nach Schneider.305 Die von Welling vorgeschlagene Systematisierung weist mit der eben vorgestellten weitgehende Gemeinsamkeiten auf, und auch Welling verweist auf die „Verästelung“ ökonomischer Theorieansätze sowie auf widersprüchliche Systematisierungen in der Literatur.306 Gegenüber dem Systematisierungsvorschlag von Reckenfelderbäumer fällt hier insbesondere die umfangreichere Differenzierung verschiedener ökonomischer evolutorischer Ansätze auf, zu denen Welling die Modern Austrian Economics, die Beiträge der sog. radikalen Subjektivisten, die Lehre von den Unternehmerfunktionen nach Schneider sowie ressourcenorientierte Ansätze zählt.307 In den folgenden Abschnitten wird nach einer bewusst knapp gehaltenen Einleitung über den jeweiligen Ansatz dessen inhaltliche Eignung im hier betrachteten Kontext diskutiert. Da es nicht zielführend ist, einen Ansatz, der sich aufgrund der Nichterfüllung zentraler Kriterien frühzeitig als ungeeignet herausstellt, noch umfassend weiter zu prüfen, erfolgt die Diskussion der einzelnen Systematisierungsvorschläge wird an dieser Stelle abgesehen, da es hier vornehmlich darum geht, die folgende Diskussion zu strukturieren. 304 Vgl. Reckenfelderbäumer 2001, S. 151ff. 305 Vgl. Reckenfelderbäumer 2001, S. 154ff. 306 Vgl. Welling 2006, S. 97ff. 307 Vgl. Welling 2006, S. 125. Welling weist dabei darauf hin, dass z.B. Rese die Beiträge der sog. radikalen Subjektivisten der neuen österreichischen Schule zurechnet (vgl. Welling 2006, S. 125 mit Verweis auf Rese 2000, S. 67ff.).
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theoretischen Ansätze bewusst in unterschiedlichem Umfang und nicht in jedem Fall anhand aller Kriterien. Diesbezüglich ist zu klären, welche der zuvor dargestellten Kriterien eine so zentrale Stellung einnehmen, dass ihre Erfüllung als zwingend erforderlich angesehen wird, und welche Kriterien unter Abwägungsaspekten gegebenenfalls eine Lockerung des Anspruchs an die Referenztheorie zulassen.308 In Anbetracht des zeitlich-dynamischen Charakters der Forschungsfrage und der in Abschnitt 1.2 dargestellten Forschungsziele wird hier der Standpunkt vertreten, dass der Möglichkeit einer prozessorientierten Betrachtungsweise eine zentrale Bedeutung im dargestellten Sinn zukommt. Daneben wird die Möglichkeit der Berücksichtigung von Informations- und Wissensaspekten als entscheidend angesehen, da sich – wie oben dargestellt – deren Betrachtung sowohl in der Dienstleistungsforschung als auch in der Internationalisierungsprozessforschung als sehr bedeutsam herausgestellt hat.309 Zu der Hervorhebung dieser beiden Kriterien sei ergänzend angemerkt, dass auch hiervon abweichende Ansichten vertretbar sind, da gemäß der Ausführungen in Abschnitt 3.2.1 im Kontext der vorliegenden Arbeit auch die übrigen diskutierten Kriterien bedeutsam sind. 3.3.2
Neoklassische Mikroökonomik
Obgleich die Beiträge, die der Neoklassischen Mikroökonomik subsumiert werden, teils Unterschiede in ihren Annahmen aufweisen,310 lässt sich verallgemeinernd feststellen, dass diese Ansätze aufgrund ihrer restriktiven Annahmen311 häufiger Kritik ausgesetzt sind.312 Als Annahmen werden u.a. Homogenität der
308 Grundsätzlich wäre eine Referenztheorie zu bevorzugen, die alle Kriterien erfüllt. Eine Lockerung dieses
Anspruchs ist zu prüfen, sofern kein entsprechender theoretischer Ansatz identifiziert werden kann. 309 Vgl. z.B. Seite 65. 310 Vgl. z.B. Welling 2006, S. 119. 311 Zu den Annahmen vgl. z.B. Schneider 1993, S. 238ff.; Picot/Dietl/Franck 2005, S. 38ff. 312 Aus der allgemeinen Kritik an den restriktiven Annahmen der Neoklassischen Mikroökonomik gingen
weitere ökonomische Ansätze hervor, so etwa die nachfolgend betrachteten Ansätze der Neuen Institutionenökonomik (vgl. z.B. Göbel 2002, S. VII), die zum Teil der Neuen Institutionenökonomik hinzugerechnete Informationsökonomie (vgl. z.B. Weiber/Billen 2005, S. 86) sowie der Ansatz der New Austrian Economics (vgl. z.B. Ehret 2000, S. 94).
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Leistungen, vollständige, symmetrische Informationen sowie die Nichtexistenz von Präferenzen unterstellt.313 Hinsichtlich der Eignung als Referenztheorie für die vorliegende Arbeit ist zu konstatieren, dass prozessorientierte Betrachtungen, wie sie zu Beginn des Kriterienkatalogs gefordert wurden, im Rahmen des Annahmengerüsts der Neoklassischen Mikroökonomik nicht möglich sind.314 Die Berücksichtigung von Informations- bzw. Wissensaspekten – etwa die Bedeutung von marktspezifischem Wissen und die Berücksichtigung von Informationsasymmetrien zwischen den Marktteilnehmern – ist mit den dargestellten Annahmen der Neoklassischen Mikroökonomik gleichfalls weitgehend unvereinbar. Da die Neoklassische Mikroökonomik diese zentralen Anforderungen nicht abzubilden vermag und somit die mangelhafte Eignung bereits an dieser Stelle offensichtlich wird, soll hier auf eine weitere Vertiefung der Betrachtung verzichtet und sich dem nächsten theoretischen Ansatz zugewendet werden. 3.3.3
Ansätze der Neuen Institutionenökonomik
Freiling/Gersch bezeichnen die Neue Institutionenökonomik und die Informationsökonomie als „die wohl am weitesten ausformulierten Theoriezweige für den Dienstleistungsbereich“.315 Bevor die Eignung dieser Theoriezweige für die vorliegende Arbeit anhand der abgeleiteten Kriterien diskutiert wird, sollen sie in knapper Form dargestellt werden.
313 Vgl. z.B. Reckenfelderbäumer 2001, S. 153; Welling 2006, S. 119; Schneider 1993, S. 238ff. Aufgrund
der verschiedenen Beiträge innerhalb der Neoklassischen Mikroökonomik ist dies als verallgemeinernde Aussage aufzufassen, die sich jedoch in vielen Lehrbüchern wiederfindet (vgl. Welling 2006, S. 119). Welling weist beispielsweise auf Modifikationen hin, die einen Teil der restriktiven Annahmen – beispielsweise die Annahme der Güterhomogenität – lockern (vgl. Welling 2006, S. 120). 314 Vgl. z.B. Freiling 2001a, S. 64. 315 Freiling/Gersch 2006, S. 10. Die im Zitat separate Nennung der Informationsökonomie deutet darauf hin, dass die Autoren die Informationsökonomie nicht zur Neuen Institutionenökonomik hinzuzählen. Zum uneinheitlichen Vorgehen in der Literatur, die Informationsökonomie entweder zur Neuen Institutionenökonomik hinzuzuzählen oder sie separat zu betrachten, vgl. insbesondere Fußnote 321.
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Transaktionskostentheorie Im Zentrum der Transaktionskostentheorie steht die Beantwortung der Frage, wie ökonomische Koordinationsprobleme möglichst effizient gelöst werden können.316 Beispiele für die dem Ansatz namengebenden Transaktionskosten sind u.a. Such-, Anbahnungs-, Verhandlungs- und Änderungskosten. Neben der Tatsache, dass diese Kosten mit zunehmender geografischer und psychischer Entfernung an Bedeutung gewinnen317 und somit deren Betrachtung im Kontext von Fragestellungen zu Internationalisierungsprozessen grundsätzlich von Interesse ist, sind einige der Annahmen der Transaktionskostentheorie weitaus besser mit dem abgeleiteten Kriterienkatalog vereinbar als die der zuvor betrachteten Neoklassischen Mikroökonomik. Beispielsweise geht die Transaktionskostentheorie von der Annahme der Unsicherheit im wirtschaftlichen Handeln sowie von einer Ungleichverteilung von Informationen zwischen den Wirtschaftssubjekten aus.318 Principal-Agent-Theorie Die Principal-Agent-Theorie ist mit der Transaktionskostentheorie eng verwandt.319 Die betrachteten Leistungsbeziehungen werden als AuftraggeberAuftragnehmer-Beziehungen (bzw. Principal-Agent-Beziehungen) charakterisiert. Dabei wird wie bei der Transaktionskostentheorie davon ausgegangen, dass das Wissen ökonomischer Akteure unvollständig und meist ungleich verteilt ist. Das primäre Erklärungsziel der Principal-Agent-Theorie ist es, Koordinationsund Motivationsprobleme zwischen Principal und Agent zu erklären und zu lösen, wobei Informationsprobleme wie Adverse Selection, Moral Hazard und Hold-up eine bedeutende Rolle spielen.
316 Vgl. z.B. Freiling/Reckenfelderbäumer 2007, S. 47. 317 Vgl. Simon 2007, S. 5. 318 Vgl. z.B. Freiling/Reckenfelderbäumer 2007, S. 47. 319 Vgl. hierzu und zum Folgenden Picot/Dietl/Franck 2005, S. 72.
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Property-Rights-Theorie Auch die Property-Rights-Theorie ist mit der Transaktionskostentheorie eng verwandt.320 Ferner gibt es eine große Schnittmenge der Erklärungs- und Gestaltungsbeiträge dieser beiden Theorien. Als weitere Felder der Erklärungs- und Gestaltungsbeiträge kommen bei der Property-Rights-Theorie insbesondere die Ausgestaltung alternativer Rechtsverteilungen, Modularisierungen und die Verdünnung von Property Rights im Falle prohibitiver Transaktionskosten hinzu. Informationsökonomie Wie bereits angedeutet wurde, herrscht unter den verschiedenen Autoren Uneinigkeit darüber, ob die Informationsökonomie der Neuen Institutionenökonomik hinzuzurechnen ist oder nicht.321 „Allgemein analysiert die Informationsökonomie die Informationsbeschaffung (Screening) und -übertragung (Signaling) zwischen Wirtschaftssubjekten und untersucht die Auswirkungen eines unterschiedlichen Informationsstands der Beteiligten im Transaktionsprozess auf die Funktionsweise ökonomischer Systeme.“322
Hinsichtlich der Eignung als Referenztheorie ist den Ansätzen der Neuen Institutionenökonomik gemeinsam, dass sie einige der rigiden Annahmen der zuvor dargestellten Neoklassischen Mikroökonomik lockern.323 Hierzu zählen insbesondere die Annahmen hinsichtlich der Verteilung und Verfügbarkeit von Informationen. So stellen Freiling/Gersch fest, dass sich die Erkenntnisfortschritte, die mit Hilfe der Ansätze der Neuen Institutionenökonomik in der Dienstleistungsforschung zu verzeichnen sind, „sich vor allem auf die auftretenden Probleme unvollständiger und ungleich verteilter Informationen beziehen“.324
320 Vgl. hierzu und zum Folgenden Picot/Dietl/Franck 2005, S. 53. 321 Der Neuen Institutionenökonomik zugerechnet wird die Informationsökonomie z.B. von Freiling 1995,
S. 93ff.; Adler 1996, S. 5ff. und Marra 1999, S. 45f. Abgelehnt wird ihre Zurechnung hingegen z.B. von Jacob 1995, S. 150f., Bayón 1997, S. 16ff. und Gersch 1998, S.78 (vgl. Welling 2006, S. 99f.). 322 Weiber/Billen 2005, S. 86. 323 Vgl. z.B. Göbel 2002, S. VII. 324 Freiling/Gersch 2006, S. 10.
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Somit ist zu konstatieren, dass die hier subsumierten Ansätze im Unterschied zur Neoklassischen Mikroökonomik das zentrale Kriterium der Berücksichtigung von Informations- bzw. Wissensaspekten besser erfüllen als die Neoklassische Mikroökonomik. Das ebenfalls zentrale Kriterium der Berücksichtigung des zeitlich-dynamischen Charakters der Forschungsfrage ist aufgrund der (komparativ-) statischen Natur der Ansätze hingegen nicht erfüllt. So merken Freiling/Gersch – nebst weiteren Kritikpunkten – an, dass die genannten Ansätze für eine „Erfassung zeitlicher Verbundeffekte von Entscheidungen der marktlichen Akteure“ ungeeignet sind.325 Für die Überwindung der „evolutorischen Lücke“326 eignen sich insbesondere die verschiedenen im folgenden Abschnitt betrachteten ökonomischen evolutorischen Ansätze, so dass auf diese etwas detaillierter eingegangen wird. 3.3.4
Ökonomische evolutorische Ansätze
Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich auch hinsichtlich der im Folgenden diskutierten Ansätze, die hier in Anlehnung an Welling unter dem Begriff ökonomische evolutorische Ansätze zusammengefasst werden. So schlagen Gersch/Freiling/Goeke vor, die Modern Austrian Economics, die Lehre von den Unternehmerfunktionen sowie die Competence-based Theory of the Firm (CbTF) unter dem Dach der Marktprozesstheorie zusammenzufassen.327 Freiling/Reckenfelderbäumer bezeichnen hingegen die Marktprozesstheorie als Zweig der Modern Austrian Economics.328 Weitere Autoren (z.B. Rese) verwenden die
325 Freiling/Gersch 2006, S. 10; vgl. zudem Freiling/Gersch 2007, S. 77. Als weiteren Kritikpunkt führen die
Autoren die mangelnde Berücksichtigung der „proaktive[n] Schaffung marktlicher Opportunitäten“ und der „Nutzung vorhandener Chancen“ an (vgl. Freiling/Gersch 2006, S. 11), so dass neben der hier als zentral erachteten Forderung nach einer dynamischen Betrachtungsweise auch das Kriterium der Berücksichtigung von Entscheidungsspielräumen grundsätzlich nicht erfüllt wird. 326 Freiling/Gersch 2006, S. 10. 327 Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 77, Abb. 14. 328 Vgl. Freiling/Reckenfelderbäumer 2007, S. 61f.
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Begriffe der Marktprozesstheorie und der Modern Austrian Economics – wie es auch im Folgenden geschehen wird – weitgehend synonym.329 Nachfolgend wird zunächst auf die Marktprozesstheorie/Modern Austrian Economics und daran anschließend auf die Lehre der Unternehmerfunktionen nach Schneider eingegangen, die in den angeführten Systematisierungsvorschlägen von Reckenfelderbäumer, Welling und Gersch/Freiling/Goeke Erwähnung findet. Danach wird in Anlehnung an Welling die Eignung ressourcenorientierter Ansätze diskutiert, wobei auch auf die von Gersch/Freiling/Goeke oben angeführte Competence-based Theory of the Firm zurückzukommen sein wird. 3.3.4.1 Marktprozesstheorie/Modern Austrian Economics Vereinfacht dargestellt, besteht das primäre Ziel der Marktprozesstheorie darin, „das Funktionieren von Märkten zu beschreiben und zu erklären.“330 Hierbei nimmt die Marktprozesstheorie – im Gegensatz etwa zur neoklassischen Sichtweise – explizit eine Prozessperspektive ein,331 wodurch die Marktprozesstheorie das Kriterium der Berücksichtigung des zeitlich-dynamischen Charakters der Forschungsfrage deutlich besser erfüllt als die zuvor betrachteten Ansätze der Neoklassik und der Neuen Institutionenökonomik. Hinsichtlich der potenziellen Eignung als Referenztheorie ebenfalls positiv zu werten ist die ausgeprägte Berücksichtigung von Wissensaspekten, die den Ansatz auszeichnet.332 So bezeichnen Freiling/Reckenfelderbäumer „die Unsicherheit im wirtschaftlichen Handeln und die Ungleichverteilung von Wissen unter den Marktteilnehmern“ als „wichtigste Grundannahmen der Marktprozesstheorie.“333
329 Vgl. Rese 2004, S. 121 sowie Rese 2000, S. 66, der als Vertreter der neuen österreichischen Schule neben
Hayek, Kirzner und Mises ohne weitere Differenzierung auch die teils separat genannten „radikalen Subjektivisten“ Lachmann und Shackle anführt. 330 Rese 2000, S. 66. 331 Vgl. z.B. Rese 2000, S. 68; Rese 2004, S. 124; Fließ 2001, S. 285; Ehret 2000, S. 97ff. 332 Vgl. z.B. Freiling/Reckenfelderbäumer 2007, S. 62; Rese 2000, S. 69; Rese 2004, S. 124f.; Fließ 2001, S. 285; Ehret 2000, S. 97ff. 333 Freiling/Reckenfelderbäumer 2007, S. 62.
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Als drittes Kriterium wurde in Abschnitt 3.2.1 die Möglichkeit zur Darstellung der drei Leistungsdimensionen (Bereitstellungsleistung, Leistungserstellungsprozess und Leistungsergebnis) gefordert. Diesbezüglich ist zu konstatieren, dass sich die Marktprozesstheorie aufgrund ihrer Fokussierung auf Marktprozesse hierzu als weitgehend ungeeignet erweist. So merkt Rese an, dass „einzelwirtschaftliches Handeln nie im Fokus der marktprozesstheoretischen Überlegungen stand. Was der einzelne Anbieter oder Nachfrager tut […]“, so Rese weiter, „wurde nicht betrachtet und war aus der übergeordneten Perspektive auch wenig interessant.“334 Die „fehlende betriebswirtschaftliche Ergänzung der Marktprozesstheorie bzw. der New Austrian Economics“ wird allgemein von mehreren Autoren beklagt.335 Die in diesem Kontext zu konstatierenden „Erklärungslücken bezüglich der Generierung von Marktzufuhrprozessen“336, die in der Literatur teils als Realisierungslücke bezeichnet werden,337 sind aus den in Abschnitt 3.2.1 genannten Gründen hinsichtlich der Eignung der Marktprozesstheorie als Referenztheorie als besonders problematisch einzustufen: So ist z.B. die Analyse der im Kontext der Erstellung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte bedeutsamen integrativen Leistungserstellungsprozesse unter Verwendung der Marktprozesstheorie nicht möglich. Die Vernachlässigung betriebswirtschaftlicher Aspekte wirkt sich jedoch nicht nur auf die Erfüllung des Kriteriums der Abbildung der Leistungsdimensionen aus, sondern beeinträchtigt zudem die Erfüllung des Kriteriums der Berücksichtigung unternehmungsspezifischer Charakteristika. So geben Gersch/Freiling/Goeke zu bedenken, dass in der Marktprozesstheorie nicht thematisiert wird, „welche Bedeutung unternehmensindividuelle Unterschiede bei der Gestaltung der
334 Rese 2004, S. 122. 335 Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 85; vgl. zudem die dort angeführte Literatur. 336 Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 37; Rese spricht diesbezüglich von einer „Unterbelichtung des Wissens
um den Leistungserstellungsprozess“ in der Marktprozesstheorie (Rese 2002, S. 272). 337 Vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 15 und S. 85; Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 37 und S. 68ff.;
Freiling/Gersch/Goeke 2006a, S. 9.
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Leistungsbereitschaft und den Marktzufuhrprozessen haben können“338 und auch Rese merkt an, dass in der Marktprozesstheorie „eine unternehmensindividuelle Perspektive in den Hintergrund gedrängt [wurde].“339 „Doch genau hier“, so Rese mit Blick auf ressourcen- und kompetenzbasierte Erklärungsansätze weiter, „setzt die Ressourcen- und Kompetenzen-Betrachtung an.“340 Als Zwischenfazit ist somit festzuhalten, dass die Marktprozesstheorie als erste der untersuchten Ansätze die geforderte Prozessperspektive ermöglicht und zugleich die ebenfalls als zentral erachtete Berücksichtigung verschiedener Wissensaspekte zulässt. Schwierigkeiten ergeben sich jedoch aus der sog. Realisierungslücke, die die Anwendung der Marktprozesstheorie auf betriebswirtschaftliche Fragestellungen erheblich einschränkt.341 Als Referenztheorie ist die Marktprozesstheorie daher nur eingeschränkt geeignet. Rese weist jedoch darauf hin, dass die dargestellte Erklärungslücke möglicherweise im Rahmen ressourcenund kompetenzbasierter Ansätze überwunden werden kann.342 Bevor diesem Hinweis gefolgt und auf die genannten Ansätze eingegangen wird, soll sich – dem eingangs dargestellten Systematisierungsansatz entsprechend – zuvor der Lehre von den Unternehmerfunktionen nach Schneider zugewendet werden. 3.3.4.2 Lehre von den Unternehmerfunktionen nach Schneider Zentrales Element der Lehre von den Unternehmerfunktionen nach Schneider ist die Verringerung von Einkommensunsicherheiten, wobei „jedes Individuum als Unternehmer seines Wissens, seiner Arbeitskraft und seines sonstigen Vermögens zu betrachten ist.“343 Jedes Wirtschaftssubjekt übt als Unternehmer (in unterschiedlichem Ausmaß) Unternehmerfunktionen aus, von denen bei Schneider insbesondere die Funktionen der „Übernahme von Einkommensunsicherheit“, der
338 Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 86. 339 Rese 2002, S. 256. 340 Ebd. 341 So weisen z.B. Freiling/Gersch/Goeke unter Nennung zahlreicher Quellen darauf hin, dass die
Realisierungslücke „in der Literatur als erheblicher Mangel der Marktprozesstheorie […] angesehen [wird].“ (Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 68). 342 Vgl. Rese 2002, S. 256. 343 Freiling/Reckenfelderbäumer 2007, S. 70.
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„Erzielung von Arbitragegewinnen“ sowie der „Durchsetzung von Änderungen in wirtschaftlicher Führerschaft“ betrachtet werden.344 Die Annahmen, die Schneider zugrunde legt, sind weitgehend auf das Annahmengerüst der Marktprozesstheorie zurückzuführen.345 Somit gelten die obigen Ausführungen hinsichtlich der Eignung der Marktprozesstheorie als Referenztheorie teils auch für den hier betrachteten Ansatz. Verglichen mit der Marktprozesstheorie ist positiv hervorzuheben, dass die Lehre von den Unternehmerfunktionen nicht allein auf Marktprozesse fokussiert, so dass die im Kontext der Marktprozesstheorie dargestellte Realisierungslücke für die Lehre von den Unternehmerfunktionen nicht festzustellen ist. Negativ anzumerken ist hingegen, dass Schneider kein Menschenbild hinsichtlich des Entscheidungsverhaltens präzisiert, so dass der Ansatz diesbezüglich vage bleibt.346 Zudem ist zu konstatieren, dass der Ansatz derzeit noch ein sehr hohes Abstraktionsniveau aufweist.347 Dies mag mit dazu beitragen, dass Freiling/Gersch hinsichtlich der Verwendung der Lehre von den Unternehmerfunktionen als Explanans zur Erforschung von Dienstleistungen zu dem Schluss kommen, dass deren Eignung „noch nicht hinreichend evident“ ist.348 Somit ist festzuhalten, dass die Lehre von den Unternehmerfunktionen gegenüber bisher diskutierten Ansätzen teils Vorteile bietet, auf der anderen Seite aber auch hinsichtlich dieses Ansatzes einige Einschränkungen zu beanstanden sind, aufgrund derer sich die Lehre von den Unternehmerfunktionen gleichfalls nur bedingt als Referenztheorie anbietet.
344 Vgl. Freiling/Reckenfelderbäumer 2007, S. 71; Schneider 1993, S. 28ff.; Reckenfelderbäumer 2001,
S. 185ff. 345 Vgl. hierzu auch Gersch/Freiling/Goeke: „Schneiders Überlegungen basieren im Wesentlichen auf Prä-
missen der Marktprozesstheorie (ausdrücklich sogar auf den Grundlagen der 'Modern Austrian Economics')“ vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S.82, Hervorhebung im Original; vgl. zudem Reckenfelderbäumer 2001, S. 159; Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 70. 346 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 82. 347 Vgl. z.B. Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 70. 348 Vgl. Freiling/Gersch 2006, S. 10.
82
3.3.4.3 Ressourcenbasierte und kompetenzbasierte Ansätze Der Systematisierung Wellings weiter folgend, wird in diesem Abschnitt untersucht, inwiefern im Feld ressourcenorientierter Forschung Ansätze existieren, die sich möglicherweise noch besser als die zuvor diskutierten Ansätze als Referenztheorie für die vorliegende Arbeit eignen. Dabei werden in Anlehnung an Gersch/Freiling/Goeke dem (Ober-)Begriff der ressourcenorientierten Forschung sowohl ressourcenbasierte als auch kompetenzbasierte Forschungsansätze subsumiert (vgl. Abb. 3-1).349
Resource-based View
Knowledge-based View
Dynamic Capability Approach
Competence-based Strategic Management
(Core-) Competences
Resource-Endowment Theory
Resource-Advantage Theory
Resource-based Theory
Resource-based and Competence-based Research
Competence-based View
Abb. 3-1: Systematisierung der ressourcenorientierten Forschung350
349 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 7ff. Die ressourcenbasierten
Forschungsansätze werden im Folgenden auch als Ansätze des Resource-based View bezeichnet. Entsprechend wird im Kontext kompetenzbasierter Forschungsansätze auch von Ansätzen des Competencebased View gesprochen. 350 Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 8. Auf den Knowledge-based View wird hier nicht vertiefend eingegangen, da dieser durch seine lerntheoretischen Wurzeln stark verhaltenswissenschaftlich orientiert ist (vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 11; Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 40). Zudem fokussiert der Knowledge-based View ganz auf Wissen (vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 11) und bietet daher gegenüber anderen ressourcenorientierten Ansätzen hinsichtlich des Betrachtungsgegenstands eine deutlich eingeschränkte Perspektive.
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Obgleich der Resource-based View und der Competence-based View mehrere grundlegende Gemeinsamkeiten in ihren Annahmen aufweisen,351 arbeiten insbesondere Gersch, Freiling und Goeke in verschiedenen Beiträgen heraus, dass sich unter dem Dach der ressourcenorientierten Forschung unterschiedliche Partialansätze entwickelt haben, die sich zum Teil deutlich in ihren Erkenntniszielen, theoretischen Verankerungen, Terminologien und Konzeptionen voneinander unterscheiden.352 Aus dieser Vielfalt erwachsen einige Kritikpunkte, die verbunden mit wissenschaftstheoretisch begründeten Bedenken dazu beigetragen haben, dass die ressourcenorientierte Forschung zum Teil heftiger Kritik ausgesetzt ist.353 Auf die Kritikpunkte wird im Anschluss an die Prüfung der inhaltlichen Eignung ressourcen- und kompetenzbasierter Ansätze explizit eingegangen. Ein Teil der in Abschnitt 3.2.1 dargestellten inhaltlichen Anforderungen kann auf Basis der übereinstimmenden Annahmen für den Resource-based View und den Competence-based View gemeinsam diskutiert werden. Für die Überprüfung der übrigen Kriterien ist hingegen eine Betrachtung erforderlich, die zwischen den beiden Ansätzen differenziert.354 Den Fokus zunächst auf grundsätzliche Gemeinsamkeiten der ressourcen- und kompetenzbasierten Ansätze gerichtet, sind die folgenden (weitgehend) übereinstimmenden Annahmen hervorzuheben:355 Æ Annahme unvollständiger Information und (radikaler) Unsicherheit im wirtschaftlichen Handeln, Æ asymmetrische Verteilung von Wissen, Wollen und Können,
351 Vgl. z.B. Freiling 2004a, S. 30. 352 Vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 7ff.; Freiling/Gersch/Goeke 2006a, S. 5f.; Freiling/Gersch/
Goeke 2006b, S. 40ff. 353 Für eine ausführliche Darstellung der vorherrschenden Kritikpunkte vgl. z.B. Freiling/Gersch/Goeke
2006b, S. 42f. sowie die dort angeführte Literatur. 354 Vor diesem Hintergrund werden die Kriterien aus Darstellungsgründen in entsprechender Reihenfolge
diskutiert. Vorwegnehmend sei darauf hingewiesen, dass ein Teil der hier betrachteten Ansätze (insbesondere die kompetenzbasierten Ansätze) die zentralen Kriterien einer dynamischen Betrachtungsweise sowie die Berücksichtigung von Informations- bzw. Wissensaspekten grundsätzlich erfüllen, so dass auch die Untersuchung der weiteren Kriterien zweckmäßig ist. 355 Vgl. Freiling 2004a, S. 30.
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Æ Ablehnung einer streng deterministischen Sichtweise und Æ Betonung der Einzigartigkeit jeder einzelnen Unternehmung. Die beiden erstgenannten Aspekte deuten darauf hin, dass die ressourcen- und kompetenzbasierten Ansätze grundsätzlich geeignet sind, die in Abschnitt 3.2.1 dargestellte Forderung der Berücksichtigung von Informations- bzw. Wissensaspekten zu erfüllen. Die Ablehnung einer streng deterministischen Perspektive steht im Einklang mit dem Kriterium der Ergänzung um voluntaristische Betrachtungen. Die Annahme der Einzigartigkeit jeder einzelnen Unternehmung lässt zudem die Berücksichtigung unternehmungsspezifischer Charakteristika zu, wie sie im Rahmen des Kriterienkatalogs gefordert wurde. Zur Diskussion der noch ausstehenden Kriterien bedarf es einer Betrachtung, die zwischen ressourcenbasierten und kompetenzbasierten Ansätzen differenziert. Aus diesem Grunde soll kurz auf die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Resource-based View und dem Competence-based View eingegangen werden, um im Anschluss die Prüfung der Eignung als Referenztheorie anhand der noch ausstehenden Kriterien vervollständigen zu können. Freiling hebt insbesondere die folgenden Unterschiede hervor:356 Æ Ausmaß der Betrachtung dynamischer Prozesse: Das erste Unterscheidungsmerkmal ist in dem Ausmaß zu sehen, mit dem der Resource-based View und der Competence-based View die Analyse dynamischer Prozesse ermöglichen. Obgleich bereits der Resource-based View von einigen Autoren als dynamisch bezeichnet wird,357 sind die Möglichkeiten dynamischer Betrachtungen im Rahmen des Resource-based View im Vergleich zum Competence-based View deutlich eingeschränkt. Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass im Competence-based View Veränderungen und Diskontinuitäten deutlich größere Beachtung geschenkt wird, während der Resource-based View traditionell eher auf die zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbaren Ressourcen
356 Für weitere Details der hier verkürzt wiedergegebenen Darstellung vgl. Freiling 2004a, S. 31. 357 Vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 10 sowie Freiling 2004a, S. 30.
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abstellt.358 Beispielsweise sind Betrachtungen prozessualer Veränderungen der Ressourcenausstattung sowie Rückkopplungseffekte im Rahmen des Resourcebased View im Vergleich mit dem Competence-based View bestenfalls unter erheblichen Einschränkungen möglich. Æ Unterschiede in der Kausalstruktur: Der Resource-based View erklärt Performance-Unterschiede zwischen einzelnen Unternehmungen primär durch ihre unterschiedliche Ressourcenausstattung. In der Logik des Competence-based View hingegen ist die unterschiedliche Ressourcenausstattung
allein
nicht
ausreichend,
um
die
Performance-
Unterschiede zu erklären. Vielmehr bedarf es zusätzlich des Vorhandenseins von Kompetenzen, die eine Unternehmung in die Lage versetzen, (homogene) Inputgüter und (unternehmungsspezifische) Ressourcen entsprechend zu nutzen, und zur Weiterentwicklung des Systems beitragen.359 Zudem wird in der Perspektive des Competence-based View das Vorhandensein (unternehmungsspezifischer) Ressourcen nicht vorausgesetzt, sondern modellendogen durch (Veredelungs-) Kompetenzen erklärt.360 Somit ist mit Freiling und Sanchez zu konstatieren: „All in all, compared with the resource-based view the competence perspective offers new conceptual dimensions which capture more aspects of the complex and dynamic interplay of assets, resources, and competences.“361
358 Vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 10 sowie Freiling 2004b, S. 7, der diesbezüglich ausführt: „[…]
werden die Unterschiede zwischen dem (eher zeitpunktbezogenen) Resource- und dem Competencebased View deutlich.“ Sehr deutlich wird der Unterschied bei Simon: „Auch wenn einzelne Autoren dem RBV eine dynamische Komponente zugestehen, so besitzt er doch eine primär statische Perspektive mit seinem Fokus auf die bestehenden Ressourcen eines Unternehmens.“ (Simon 2007, S. 131, Hervorhebungen im Original) sowie an anderer Stelle: „Der ursprüngliche RBV [besaß] noch eine primär statische Perspektive mit wesentlichem Fokus auf bestehende Ressourcen eines Unternehmens; erst mit dem CBV wurde eine primär dynamische Perspektive eingenommen“ (Simon 2007, S. 163f.). 359 Die Definition der im weiteren Verlauf der Arbeit verwendeten Begriffe Inputgüter, Ressourcen und Kompetenzen erfolgt in Abschnitt 4.2.2. 360 So merkt z.B. Freiling an: „[…] it takes competences in order to build resources by asset refinement processes“ (Freiling 2004a, S. 31). 361 Freiling 2004a, S. 31 unter Verweis auf Sanchez 2001.
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Æ (Tendenzielle) Innenorientierung vs. ganzheitliche Perspektive: Teilweise wird die ressourcenorientierte Forschung für ihren ausgeprägten Fokus bzw. ihre (vermeintliche) Beschränkung auf unternehmungsinterne Aspekte kritisiert.362 Obgleich deutlich wird, dass Freiling diese Auffassung bereits für den Resource-based View nicht uneingeschränkt teilt,363 weist er darauf hin, dass sich der Competence-based View durch eine noch stärkere Berücksichtigung auch unternehmungsexterner Aspekte gegenüber dem Resource-based View abhebt.364 Zum Ausdruck kommt diese ganzheitliche, d.h. sowohl unternehmungsinterne als auch -externe Faktoren berücksichtigende Perspektive des Competence-based View beispielsweise dadurch, dass der Ansatz die Bedeutung sowohl von firmspecific resources als auch von firm-addressable resources betont.365 Zudem weisen Freiling/Gersch explizit darauf hin, dass „sich die Notwendigkeit [ergibt], interne und externe Faktoren zu kombinieren.“366 Wie in der nun anschließenden Diskussion der drei noch zu betrachtenden inhaltlichen Kriterien zu sehen sein wird, sind es insbesondere diese dargestellten Unterschiede, die dazu führen, dass die Eignung der kompetenzbasierten Ansätze als Referenztheorie höher einzustufen ist als die ressourcenbasierter Ansätze. Hinsichtlich der Berücksichtigung des zeitlich-dynamischen Charakters der Forschungsfrage sei auf die dargestellte Überlegenheit des Competence-based View bei der Betrachtung dynamischer Prozesse verwiesen.367 Weitere Vorteile des Competence-based View gegenüber dem Resource-based View, die insbesondere aus den dargestellten Unterschieden in der Kausalstruktur sowie der stärkeren Berücksichtigung auch externer Faktoren resultieren, werden
362 So stellt z.B. Freiling fest: „The resource-based view is sometimes (mis-)understood as an inside-out
approach“ (vgl. Freiling 2004a, S. 31). 363 Vgl. z.B. Freiling 2001a, S. 8f.; Freiling 2004a, S. 31. 364 Vgl. Freiling 2004a, S. 31f. 365 So führt Freiling in Anlehnung an Madhok sowie Sanchez/Heene aus: „Firm-specific competences do not
necessarily refer to internal resources. […] the competence-based logic acknowledges the phenomenon of open boundaries (Madhok 2002, S. 544) by touching on the necessity to combine firm-addressable and firm-specific resources in order to attain the goals (Sanchez/Heene 1997)“ (vgl. Freiling 2004a, S. 32). 366 Freiling/Gersch 2007, S. 82. 367 Vgl. Seite 85f.
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in Bezug auf die geforderte Möglichkeit zur Darstellung der drei Leistungsdimensionen deutlich. Zwar ist der Resource-based View – ebenso wie der Competencebased View – grundsätzlich in der Lage, die Bereitstellungsleistung besser abzubilden als die zuvor dargestellten Ansätze, doch ist es für die Erstellung des Leistungsergebnisses erforderlich, diese Bereitstellungsleistung auch zu aktivieren.368 Hierzu bedarf es entsprechender Kompetenzen, deren Abbildung insbesondere die Kausalstruktur des Competence-based View ermöglicht.369 Hinzu kommt, dass die Berücksichtigung der Integrativität der Leistungserstellungsprozesse eine theoretische Basis erfordert, die eine Betrachtung sowohl interner als auch externer Faktoren ermöglicht. Der Competence-based View bietet diesbezüglich aufgrund seiner stärkeren Berücksichtigung auch externer Aspekte sowie der Unterscheidung in firm-specific resources und firm-addressable resources besonders gute Voraussetzungen.370 Als letztes Kriterium ist die Möglichkeit zur Berücksichtigung der vier Dispositionsebenen des Marketing zu betrachten. Obgleich eine Unterscheidung der vier Ebenen grundsätzlich sowohl im Kontext ressourcenbasierter als auch kompetenzbasierter Untersuchungen erfolgen kann, ist zu konstatieren, dass der Competence-based View auch in Bezug auf dieses Kriterium gegenüber dem Resource-based View Vorteile bietet. So wird das Potenzial einer zwischen den Ebenen differenzierenden Betrachtung insbesondere dann ausgeschöpft, wenn auch zwischen den drei Leistungsdimensionen unterschieden werden kann.371 Beispielsweise ist die Dispositionsebene der Einzeltransaktion bei der Untersuchung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte stark durch den integrativen Charakter der Leistungserstellungsprozesse geprägt. Eine Betrachtung auf Basis des Resource-based View ist somit nur eingeschränkt möglich. Ferner fehlt es im Resource-based View an Möglichkeiten zur Betrach-
368 Vgl. z.B. Freiling/Gersch 2007, S. 80. 369 Vgl. ebd. 370 Vgl. z.B. Freiling/Gersch 2006, S. 11. 371 In den Worten des Abschnitts 3.2.1 wird durch die Berücksichtigung der einzelnen Ebenen eine
differenziertere Sichtweise der drei Leistungsdimensionen ermöglicht.
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tung ebenenübergreifender Interdependenzen wie es im Rahmen des Competencebased View durch die Berücksichtigung von Kompetenzen möglich ist.372 Zusammenfassend ist zu festzuhalten, dass insbesondere der Competence-based View die inhaltlichen Kriterien erfüllt, während der Resource-based View hinsichtlich einiger Kriterien erheblichen Einschränkungen unterliegt. 3.3.5
Festlegung der Referenztheorie
In Anlehnung an die Systematisierungen ökonomischer Ansätze von Picot/Dietl/ Franck, Reckenfelderbäumer und Welling wurden in den vorangegangenen Abschnitten die Neoklassische Mikroökonomik, die Ansätze der Neuen Institutionenökonomik sowie ökonomische evolutorische Ansätze anhand des zuvor abgeleiteten Kriterienkatalogs auf ihre inhaltliche Eignung geprüft. Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass unter Berücksichtigung dieser Kriterien insbesondere die kompetenzbasierten Ansätze für die Untersuchung der Forschungsfrage geeignet sind. Bevor jedoch der Competence-based View im weiteren Verlauf der Arbeit zur Beantwortung der Forschungsfrage herangezogen werden kann, ist auch seine wissenschaftstheoretische Eignung zu prüfen. Hierzu ist anzumerken, dass in der Literatur verschiedene wissenschaftstheoretisch begründete Kritikpunkte an der kompetenzbasierten Forschung angeführt werden, die sich beispielsweise auf die terminologische Basis und die theoretische Verankerung beziehen.373 Einige der wesentlichen Kritikpunkte sind weitgehend auf den oben dargestellten Umstand zurückzuführen, dass es sich bei dem Competence-based View nicht um eine einheitliche Theorie, sondern vielmehr um eine Sammlung untereinander diver-
372 So merken Freiling/Gersch an, dass Kompetenzen erforderlich sind, „um das handlungsebenenüber-
greifende Zusammenspiel von Prozessen erfassen zu können“ (Freiling/Gersch 2007, S. 83). 373 Die Kritikpunkte gelten größtenteils nicht nur für die kompetenzbasierte Forschung, sondern in ähnlicher
Weise auch für den Resource-based View. Im Folgenden wird auf die kompetenzbasierte Forschung fokussiert, da diese als inhaltlich besonders geeignet identifiziert wurde. Zu den einzelnen Kritikpunkten vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 7ff.; Freiling/Gersch/Goeke 2006a, S. 7f.; Freiling/Gersch/ Goeke 2006b, S. 40ff. sowie die dort jeweils angeführte Literatur.
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gierender Ansätze handelt.374 In Anbetracht der genannten Kritik kommen Freiling/Gersch/Goeke zu dem Urteil, dass „die Forschung im Umfeld der ressourcen- und kompetenzorientierten Ansätze offenbar einen für wissenschaftliche Forschungsprogramme zentralen Schritt, nämlich die Erarbeitung wissenschaftstheoretisch fundierter Grundlagen, schlicht übersprungen zu haben scheint“ und die diesbezüglich in der Literatur geäußerte Kritik berechtigt ist.375 Vor diesem Hintergrund präsentieren die Autoren mit der Competence-based Theory of the Firm (CbTF) im Rahmen der kompetenzbasierten Forschung einen theoretischen Ansatz, der explizit auf die in der Literatur angeführten Kritikpunkte eingeht und in seiner Ausgestaltung – z.B. bei der Formulierung des Erkenntnisziels, der Terminologie und der zugrunde liegenden Prämissen – berücksichtigt.376 Die CbTF versteht sich dabei „als wissenschaftstheoretisch verankerte Weiterentwicklung des Resource- und des Competence-based View […], [die] berechtigte Vorwürfe am bisherigen Entwicklungsstand der ressourcen- und kompetenzorientierten Forschung [überwindet].“377 Durch die bewusste Berücksichtigung wissenschaftstheoretischer Aspekte gelingt es den Autoren im Rahmen der von ihnen vorgenommenen „Rekonzeptionalisierung“ der ressourcenorientierten Forschung,378 dem von Schneider formulierten Ideal für eine Theorie recht nahe zu kommen. So zeigt Lierow, dass die von Schneider geforderten und in Abschnitt 3.2.2 dargestellten Kriterien von der CbTF grundsätzlich erfüllt werden.379 Die Ergebnisse der diesbezüglichen Diskussion bei Lierow werden im Folgenden knapp dargestellt und um einige insbesondere im Rahmen der vorliegenden Arbeit relevante Aspekte ergänzt.
374 Vgl. ebd. 375 Freiling/Gersch/Goeke 2006a, S. 8 unter Verweis auf Moldaschl/Fischer 2004; Foss/Foss 2004; Knudsen
1996; Peteraf/Barney 2003. 376 Für eine detaillierte Darstellung der Competence-based Theory of the Firm vgl. z.B. Gersch/Freiling/
Goeke 2005, vgl. zudem z.B. Freiling/Gersch/Goeke 2006a; Freiling/Gersch/Goeke 2008. 377 Freiling/Gersch 2007, S. 77. 378 Vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 8ff.; Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 37ff. 379 Vgl. Lierow 2006, S. 115f.
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Problemstellung und Strukturkern: Die aus der Fragestellung und der entsprechenden Lösungsidee bestehende Problemstellung sowie der Strukturkern im Sinne Schneiders sind innerhalb der CbTF (hauptsächlich) von Freiling, Gersch und Goeke in verschiedenen Beiträgen expliziert worden.380 Musterbeispiele: Musterbeispiele wurden in Abschnitt 3.2.2 als beobachtbare Sachverhalte eingeführt, die „als Anwendungsfälle der Problemlösungsidee bzw. als geeignete Übersetzung eines Modellergebnisses“ anerkannt werden.381 Diesbezüglich ist zu konstatieren, dass in der Literatur verschiedene Musterbeispiele für die CbTF vorliegen. Die Anwendungsfälle umfassen dabei teils Themenstellungen, die einen gewissen Bezug zur vorliegenden Arbeit aufweisen, etwa Fragestellungen zur Dienstleistungsforschung,382 daneben aber auch beispielsweise Fragestellungen der Unternehmungskultur383 und des Markenmanagements.384 Hypothesen: Das in Abschnitt 3.2.2 dargestellte Ideal einer Theorie sieht neben dem Vorhandensein von Problemstellung, Strukturkern und Musterbeispielen die Formulierung von Hypothesen vor.385 Diese bestehen im Rahmen der Competence-based Theory of the Firm derzeit nur vereinzelt, so dass die CbTF in diesem Punkt am weitesten von dem von Schneider postulierten Idealzustand einer Theorie abweicht.386 Dies mag teils darauf zurückzuführen sein, dass es sich bei der CbTF um einen noch recht jungen Ansatz handelt, der sich jedoch – betrachtet man beispielsweise die deutliche Zunahme an Musterbeispielen in den vergangenen Jahren – rasant entwickelt. Die CbTF stellt somit einen Ansatz dar, bei dessen Ausgestaltung die wissenschaftstheoretischen Kritikpunkte gegenüber der ressourcen- und kompetenz-
380 Vgl. Fußnote 376. 381 Vgl. Abschnitt 3.2.2 sowie die dort angeführten Quellen. 382 Vgl. z.B. Freiling/Gersch 2006 und 2007. 383 Vgl. Fichtner/Freiling 2008. 384 Vgl. Keller/Freiling 2008. 385 Vgl. Abschnitt 3.2.2 sowie die dort angeführten Quellen. 386 Zu dieser Einschätzung gelangt auch Lierow 2006, S. 114.
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basierten Forschung explizit berücksichtigt werden und der den idealtypischen Anforderungen, die gemäß Schneider an eine Theorie zu stellen sind, bereits recht nahe kommt. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass mit der Competence-based Theory of the Firm ein theoretischer Ansatz zur Verfügung steht, der sich durch eine hohe inhaltliche Eignung zur Durchdringung des Untersuchungsgegenstands der vorliegenden Arbeit auszeichnet und zugleich den wissenschaftstheoretischen Anforderungen Rechnung trägt. Daher wird auf Grundlage der Ausführungen in diesem Kapitel die CbTF zur Untersuchung des Forschungsgegenstands und zur Beantwortung der Forschungsfrage als Referenztheorie herangezogen. Das folgende Kapitel geht auf die Grundlagen der CbTF sowie auf die für den weiteren Verlauf der Arbeit erforderlichen Erweiterungen des Ansatzes ein.
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4 Die Competence-based Theory of the Firm (CbTF) als referenztheoretische Basis einer pfadorientierten Perspektive 4.1
Einleitung und Aufbau des Kapitels
In Kapitel 3 wurde im Kontext der Diskussion zur Bestimmung einer geeigneten theoretischen Basis betont, dass die Untersuchung der Forschungsfrage ein analytisches Instrumentarium erfordert, das – nebst weiteren Anforderungen – insbesondere eine dynamische Sichtweise zulässt und über die (komparativ-) statischen Betrachtungen vieler theoretischer Ansätze deutlich hinausgeht. Dabei wurde die Competence-based Theory of the Firm (CbTF), die sowohl dieses Kriterium als auch die übrigen weitgehend erfüllt, als geeignete referenztheoretische Basis für die vorliegende Arbeit identifiziert. Da sich die Veröffentlichungen zu diesem zwar vielversprechenden, aber noch recht jungen Theorieansatz auf einige wenige Beiträge beschränken, wird in Abschnitt 4.2 zunächst auf die für den weiteren Verlauf der Arbeit relevanten Grundlagen der CbTF eingegangen. Hierbei sollen die den folgenden Argumentationen zugrunde liegenden Annahmen sowie die Logik der verwendeten Kausalstruktur transparent gemacht werden. Zudem erscheint es in Anbetracht der in der kompetenzbasierten Literatur (und nicht nur dort) ubiquitär verwendeten, jedoch zum Teil recht unterschiedlich definierten Begriffe ratsam, Klarheit über die in den folgenden Kapiteln verwendete Terminologie zu schaffen. Dies betrifft z.B. die zentralen Begriffe Ressource und Kompetenz. Wie in diesem Kapitel gezeigt werden wird, bietet das Annahmengerüst der CbTF durch die vielseitige Berücksichtigung zeitlicher Aspekte grundsätzlich gute Voraussetzungen für die Untersuchung der Forschungsfrage.387 Im weiteren Verlauf des Kapitels wird allerdings auch deutlich werden, dass es hierzu
387 Vgl. insbesondere Abschnitt 4.2.1.3, in dem auch deutlich wird, dass es sich nach Gersch/Freiling/Goeke
2005 hierbei um eine besonders zentrale Annahme des harten Kerns der CbTF handelt.
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erforderlich ist, die CbTF unter Beachtung der Annahmen ihres harten Kerns zum Teil zu detaillieren und weiterzuentwickeln.388 So greifen Gersch/Freiling/Goeke bei der Ausgestaltung der Annahme des harten Kerns über die Bedeutung der Zeit mehrfach auf Vorarbeiten aus dem Bereich der Pfadforschung zurück, wobei sie – wie auch in anderen Artikeln zur CbTF – auf verschiedene Beiträge dieses Forschungsfeldes rekurrieren.389 Hierbei handelt es sich um ein Forschungsfeld, das sich mit dem Ziel, (komparativ-) statische Sichtweisen zu überwinden und zeitliche Zusammenhänge in den Fokus der Betrachtung zu stellen, in den vergangenen 20 Jahren stark entwickelt hat. Im weiteren Verlauf des Kapitels wird gezeigt werden, dass die Pfadforschung wertvolle Beiträge zur Beantwortung der Forschungsfrage leisten kann. Zudem wird die Auffassung von Gersch/ Freiling/Goeke geteilt, dass einige Konzepte der Pfadforschung grundsätzlich in die CbTF integrierbar sind.390 Allerdings ist anzumerken, dass der Pfadforschung (bisher) kein einheitliches Begriffsverständnis zugrunde liegt. Ferner werden von verschiedenen Autoren zu zentralen Aspekten des Forschungsfeldes divergierende und zum Teil konträre Grundpositionen vertreten.391 In Anbetracht der uneinheitlichen Verwendung zentraler Begriffe und Konzepte in den originären Beiträgen zur Pfadforschung und den in der Literatur zur CbTF bisher recht allgemein gehaltenen Verweisen auf die Pfadforschung – aus denen zwar die ihr beigemessene große Bedeutung, nicht aber eine differenzierte Positionierung der CbTF deutlich wird –, erscheint es ratsam, detaillierter auf den Stand der pfadorientierten Forschung einzugehen, als dies in den bisherigen Arbeiten zur CbTF erfolgte. Wie zu zeigen sein wird, lassen sich auf Basis der originären Pfadforschungsbeiträge Argumente ableiten, die – nach Prüfung der Kommensurabilität – in Verbindung mit der Perspektive der CbTF wesentlich zur Beantwortung der Forschungsfrage beitragen.
388 Zum Begriff des harten Kerns sowie zu den einzelnen Annahmen vgl. Abschnitt 4.2.1. 389 Vgl. z.B. die Bezugnahme auf Ackermann 2003 und Schreyögg/Sydow/Koch 2003 in Gersch/Freiling/
Goeke 2005, S. 20 und 53; Freiling/Gersch/Goeke 2006a, S. 11, 14 und 21 sowie Freiling/Gersch 2007, S. 87. 390 Vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 20. 391 Hierauf wird in Abschnitt 4.3.1 näher eingegangen.
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In Abschnitt 4.3 wird daher vertiefend auf die Pfadforschung und die pfadorientierte Perspektive im Rahmen der CbTF eingegangen. Neben der Beantwortung der Forschungsfrage wird hiermit das theoretische Wissenschaftsziel verfolgt, die CbTF entsprechend weiterzuentwickeln.392 Hierzu wird zunächst auf den Status quo der pfadorientierten Forschung eingegangen, wobei u.a. die wesentlichen terminologischen Grundlagen sowie zentrale Konzepte und Positionen der Pfadforschung geklärt werden (Abschnitt 4.3.1). Daran anschließend wird ein Überblick über bisherige Ansätze pfadbezogener Perspektiven im Bereich kompetenzbasierter Forschung gegeben (Abschnitt 4.3.2). Dies erfolgt vor dem Hintergrund, dass die CbTF im Rahmen der kompetenzbasierten Forschung keinesfalls isoliert zu betrachten ist, sondern auch Elemente weiterer kompetenzbasierter Ansätze – z.B. aus dem Dynamic Capabilities Approach und dem Competence-based Strategic Management – in ihrer Argumentation berücksichtigt.393 Auf diesen Abschnitten aufbauend, wird eine mit den Annahmen der CbTF kommensurable pfadorientierte Perspektive geschaffen, wobei die in der Literatur zur CbTF bestehenden Vorarbeiten zu diskutieren und zu berücksichtigen sind (Abschnitt 4.3.3). Schließlich werden die Ursachen positiver Rückkopplungen diskutiert, die im Kontext der Erforschung verschiedener Untersuchungsobjekte im Rahmen der Pfadforschung identifiziert wurden und im weiteren Verlauf der Arbeit zur Beantwortung der Forschungsfrage aufgegriffen werden (Abschnitt 4.3.4). Abschnitt 4.4 fasst die Ergebnisse der Diskussion des vorliegenden Kapitels zusammen.
392 Zu den Zielen der vorliegenden Arbeit vgl. Abschnitt 1.3. 393 Vgl. z.B. die Ausführungen bei Gersch/Freiling/Goeke zum Wettbewerbsmodell von Hamel/Prahalad
(vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 54ff.) sowie zum Open System View von Sanchez/Heene (vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 58ff.).
95
4.2 4.2.1
Grundlagen der CbTF Annahmen des harten Kerns der CbTF
In Abschnitt 3.3.5 wurde im Zusammenhang mit der Diskussion über die Festlegung einer geeigneten Referenztheorie auf zentrale Kritikpunkte an der kompetenzbasierten Forschung hingewiesen Um dem „erheblichen Grad an Desorientierung in der Forschung dieses Bereichs“394 entgegenzuwirken, führen Gersch/Freiling/Goeke 2005 – im Kontext des Kompetenzansatzes erstmalig – die Diskussion über die Elemente eines harten Kerns. Hierbei handelt es sich nach Lakatos um diejenigen Annahmen eines Forschungsprogramms,395 die als gültig vorausgesetzt und nicht mehr hinterfragt werden.396 Zu hinterfragen und im Falle widersprüchlicher Erfahrungen zu modifizieren oder gar aufzugeben, sind nach Lakatos hingegen solche Annahmen und Zusatzhypothesen, die dem sogenannten Schutzgürtel eines Forschungsprogramms zuzurechnen sind.397 Da die Competence-based Theory of the Firm der vorliegenden Arbeit als referenztheoretische Grundlage dient und somit verschiedentlich auf die von Gersch/Freiling/Goeke formulierten Annahmen des harten Kerns der CbTF Bezug genommen wird, sollen diese im Folgenden kurz dargestellt werden.398 Dabei ist zu beachten, dass es zwischen den einzelnen Annahmen des harten Kerns zahlreiche Interdependenzen gibt, die in den folgenden Ausführungen zum Teil bereits durchklingen, jedoch erst an späterer Stelle detailliert aufgegriffen werden. 4.2.1.1 Methodologischer Individualismus Das Grundverständnis des methodologischen Individualismus besagt, dass Handlungen und Entscheidungen stets auf Individuen als Akteure bzw. Entscheidungs-
394 Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 17. 395 Zu dem von Lakatos geprägten Begriff des Forschungsprogramms vgl. auch Chalmers 2001, S. 107ff.
sowie Schneider 1995, S. 154ff. 396 Für eine ausführliche Darstellung zum Begriff des harten Kerns vgl. Lakatos 1974, S. 129ff. 397 Vgl. Lakatos 1974, S. 130; Chalmers 2001, S. 108. 398 Zu den Ausführungen der einzelnen Annahmen des harten Kerns vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005,
S. 17ff.; Freiling/Gersch/Goeke 2006a, S. 10ff.; Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 45ff.; Freiling/Gersch/ Goeke 2008, S. 1148ff.
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subjekte zurückzuführen sind.399 Eine Unternehmung als Ganzes ist hingegen nicht in der Lage zu handeln oder Entscheidungen zu treffen. Allerdings schließt dies nicht aus, Unternehmungen (oder Teile davon) im Rahmen der CbTF zu analysieren, solange die Handlungen und Entscheidungen auf Individuen zurückgeführt werden.400 4.2.1.2 Subjektivismus Im Rahmen der Annahme des Subjektivismus wird davon ausgegangen, dass sich die Akteure hinsichtlich ihres Wissens, Wollens und Könnens eindeutig voneinander unterscheiden. „Auf eine verhaltenswissenschaftliche Interpretation, zum Beispiel von Wahrnehmungs- oder psychologisch motivierten Verhaltensunterschieden, wird [dabei] verzichtet.“401 Zudem wird angenommen, dass das Wissen, Wollen und Können eines Akteurs im Zeitablauf Veränderungen unterliegt. 4.2.1.3 Bedeutung der Zeit Wie die Diskussion inhaltlicher Kriterien bei der Bestimmung einer geeigneten Referenztheorie zeigte, liegt in der Berücksichtigung von Zeit einer der wesentlichen Vorteile, durch die sich kompetenzbasierte Ansätze gegenüber anderen in Kapitel 3 diskutierten Theorien auszeichnen. Hinsichtlich der CbTF und ihrer Annahmen des harten Kerns betonen Gersch/Freiling/Goeke, dass sich „insbesondere die Beachtung der Bedeutung von Zeit als bedeutsame grundlegende Annahme [erweist], da sie eine Reihe von Implikationen für die Interpretation und Ausgestaltung der anderen Elemente des harten Kerns begründet.“402 In Anbetracht des dynamischen Charakters der Forschungsfrage ist die Aufmerksamkeit, die der Bedeutung der Zeit in den Basisannahmen der CbTF zuteil wird, ausdrücklich zu begrüßen. Da im weiteren Verlauf der Arbeit die Beachtung zeit-
399 Vgl. z.B. Popper 2000, S. 329. 400 Vgl. Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 45f. sowie Freiling/Gersch/Goeke 2008, S. 1148, die zu verschie-
denen in der Literatur diskutierten Interpretationsmöglichkeiten des methodologischen Individualismus Stellung beziehen. 401 Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 47; vgl. auch die Ausführungen zum Homo Agens in Abschnitt 4.2.1.5. 402 Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 28f.
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licher Aspekte im Rahmen der CbTF vertiefend aufgegriffen wird,403 soll im Folgenden ein Überblick gegeben werden, inwiefern die Bedeutung der Zeit in den Annahmen des harten Kerns der CbTF berücksichtigt ist:404 (a) Grundlage prozessualen Denkens: Die Berücksichtigung von Zeit ist unabdingbare Grundlage für die Betrachtung von Prozessen (z.B. bei der Veredelung von Inputgütern zu Ressourcen oder der Bildung von Kompetenzen).405 (b) Beachtung von Pfadabhängigkeiten: Gersch/Freiling/Goeke weisen darauf hin, dass Pfadabhängigkeiten sowohl unternehmungsintern als auch -extern (z.B. bei Wettbewerbern oder Kooperationspartnern sowie hinsichtlich relevanter Rahmenbedingungen) auftreten können. (c) Irreversibilität von Entwicklungen und Entscheidungen: Der Kontext, in dem eine Entscheidung getroffen wird, ist einmalig und nicht rekonstruierbar, so dass eine Entscheidung auch nicht vollständig revidiert werden kann.406 (d) Trajektorien: Mit der Berücksichtigung von Trajektorien wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Handlungsraum für künftige Entscheidungen von den Auswirkungen zuvor getroffener Entscheidungen beeinflusst wird („Historizität der Entscheidung“).407 (e) Zeitindizierung: In Anbetracht der Veränderungen, denen Wettbewerbsfähigkeit und einmal erarbeitete Wettbewerbsvorteile im Zeitablauf unterliegen, ist es zweckmäßig, eine „Zeitindizierung“ vorzunehmen, um die zeitlich begrenzte Gültigkeit bzw. Veränderungen im Zeitablauf erfassen zu können.
403 Vgl. z.B. Abschnitt 4.3.3. 404 Vgl. zu den folgenden Ausführungen insbesondere Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 20ff. 405 Die Begriffe Inputgüter, Ressourcen und Kompetenzen werden in Abschnitt 4.2.2 definiert. 406 Vgl. auch Freiling 2001a, S. 153. 407 Hierauf wird in Abschnitt 4.3.1.2 vertiefend eingegangen.
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4.2.1.4 Radikale Unsicherheit Ähnlich wie in der Marktprozesstheorie wird auch im Rahmen der CbTF unterstellt, dass Akteure unter radikaler Unsicherheit handeln. Verglichen mit der Annahme marktprozesstheoretischer Prägung geht die Sichtweise der CbTF jedoch in einigen Aspekten über diese hinaus. So wird die Annahme radikaler Unsicherheit nicht nur auf unternehmungsexternes Wissen, sondern auch auf unternehmungsinternes Wissen bezogen.408 Dabei wird mit Blick auf das unternehmungsinterne Wissen davon ausgegangen, dass (unternehmungs-)interne Akteure gegenüber Außenstehenden zwar einen Informationsvorsprung haben, jedoch auch die internen Akteure aufgrund kausaler Mehrdeutigkeiten unter radikaler Unsicherheit handeln. Ferner werden die marktprozesstheoretisch betrachteten Kategorien marktrelevanten Wissens409 um eine vierte Kategorie ergänzt („Wissen, das es aufgrund der Offenheit der Zukunft noch nicht gibt“). Des Weiteren umfasst die Annahme radikaler Unsicherheit im Rahmen der CbTF nicht nur Aspekte der Umweltunsicherheit, sondern auch der Verhaltensunsicherheit.410 4.2.1.5 Homo Agens als Annahme des Entscheidungsverhaltens Im Rahmen der CbTF wird auf das von Mises vorgeschlagene Menschenbild des Homo Agens zurückgegriffen, um u.a. die paradigmatische Kompatibilität zur Marktprozesstheorie zu gewährleisten.411 Zentral für das Entscheidungsverhalten ist hiernach (vereinfachend) eine grundsätzliche Wachsamkeit hinsichtlich der im Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Handlungsoptionen, unter denen der Homo Agens unter Berücksichtigung seines individuell unterschiedlich stark ausgeprägten Gestaltungswillens rational wählt („Ökonomisieren“). Zudem wird dem Homo
408 Auf die genannte dichotome Unterscheidung in unternehmungsexternes und -internes Wissen wurde in
Abschnitt 2.2.2 eingegangen. 409 Bei den Kategorien handelt es sich um Wissen, (a) das der Akteur hat, (b) von dem der Akteur weiß, aber
es nicht nachfragt oder (c) von dem der Akteur nichts weiß (vgl. auch Rese 2000, S. 70). 410 Vgl. Freiling 2004b; Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 24. 411 Vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 25ff.
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Agens „Findigkeit“ unterstellt, die es ihm ermöglicht, den bestehenden Handlungsrahmen mit dem Ziel besserer Entscheidungen aktiv zu gestalten.412 4.2.1.6 Nicht-konsummatorischer Ansatz und gemäßigter Voluntarismus Nicht-konsummatorische Ansätze unterstellen, dass sich „Entwicklungen mit einem offenen Endergebnis vollziehen und daher unbestimmt und nicht determiniert sind“.413 Hiermit eng verbunden ist die Annahme des gemäßigten Voluntarismus, die besagt, dass der Akteur – abhängig von der jeweiligen Situation und dem betrachteten Zeithorizont in mehr oder minder begrenztem Ausmaß – Möglichkeiten zur Gestaltung seiner Umwelt hat. Mit dieser Annahme wird von den traditionell vorherrschenden Standpunkten deterministischer und voluntaristischer Prägung abgewichen und ein Mittelweg zwischen diesen Polen beschritten. 4.2.2
Terminologische Grundlagen der CbTF
Auf die Bedeutung, die der Verwendung einer möglichst präzisen und zweckmäßigen Terminologie im Rahmen dieser Arbeit beigemessen wird, wurde bereits verschiedentlich im Kontext des Explanandums hingewiesen.414 Dass ein sorgsamer terminologischer Umgang auch im Kontext des Explanans sicherzustellen ist, zeigt das folgende Zitat von Gersch/Freiling/Goeke: „Schwächen und verwirrende Vielfalt in den bisherigen terminologischen Grundlagen haben unter anderem auch zu der zum Teil massiven Kritik an der ressourcenorientierten Forschung [RW: und somit auch an den kompetenzbasierten Ansätzen] geführt.“415 Moldaschl gelangt diesbezüglich zu der Ansicht, dass Kompetenztheoretiker sich chronisch um die Präzisierung der Grundbegriffe drücken.416
412 Für eine detaillierte Darstellung des Menschenbildes des Homo Agens vgl. z.B. Rese 2000, S. 72 mit
Verweis auf Mises 1949 und Kizner 1978. 413 Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 27 in Anlehnung an Hodgson 1993 sowie Hunt/Morgan 1996, S. 111f. 414 Vgl. z.B. Abschnitt 2.1.1. 415 Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 39. 416 Vgl. Moldaschl 2007, S. 3.
100
Um der genannten „verwirrenden Vielfalt“ nicht weiter Vorschub zu leisten, wird im Rahmen dieser Arbeit soweit möglich auf die bereits bestehende und sich zunehmend durchsetzende Basisterminologie von Gersch/Freiling/Goeke rekurriert. Es werden nur dort Ergänzungen und Modifikationen vorgenommen, wo es vor dem Hintergrund dieser Forschungsarbeit unumgänglich erscheint.417 Für den weiteren Verlauf der Argumentation ist es erforderlich, zwischen Inputgütern, Ressourcen und Kompetenzen zu unterscheiden. Unter Verweis auf Gersch/Freiling/Goeke werden diese wie folgt definiert:418 Inputgüter sind homogene, prinzipiell marktgängige, unternehmungsextern oder -intern erstellte Faktoren, die den Ausgangspunkt weiterer Verwertungs- oder Veredelungsaktivitäten bilden. Ressourcen sind das Ergebnis durch Veredelungsprozesse weiter entwickelter Inputgüter, die wesentlich zur Heterogenität der Unternehmung und zur Sicherstellung aktueller und zukünftiger Wettbewerbsfähigkeit beitragen (sollen). Kompetenzen sind wiederholbare, auf der Nutzung von Wissen beruhende, durch Regeln geleitete und daher nicht zufällige Handlungspotenziale einer Organisation, die zielgerichtete Prozesse sowohl im Rahmen der Disposition zukünftiger Leistungsbereitschaften als auch konkreter Marktzufuhr- und Marktprozesse ermöglichen. Sie dienen dem Erhalt der als notwendig erachteten Wettbewerbsfähigkeit und gegebenenfalls der Realisierung konkreter Wettbewerbsvorteile. Abb. 4-1 skizziert den Zusammenhang zwischen Inputgütern, Ressourcen und Kompetenzen im Rahmen der Argumentationslogik der CbTF.
417 Vgl. beispielsweise die Ausführungen zur Präzisierung des Begriffs pfadbezogener Prozesse in Abschnitt
4.3.1.3. 418 Für weitere Ausführungen zu den Definitionen vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 44ff.
101
„Meta-Kompetenzen“ Gestaltung der Leistungserstellung (Marktzufuhrprozesse)
Gestaltung der Leistungsbereitschaft
Marktprozesse
Visionäre Gestaltung
Transaktion?!
Leistungsangebot
Prozesse
(Marktzufuhr-)
Kompetenzen
Ressourcen
(Veredelungs-)
Kompetenzen
Input
Marktrückkopplungen
Grds. Veredelbarkeit
Konkrete Veredelung
Grds. Aktivierbarkeit
Konkrete Aktivierung
Marktangebot
Abb. 4-1: Zentrale Begrifflichkeiten in der Argumentationslogik der CbTF419 4.2.3
Die Kausalstruktur der CbTF
Ein Teil der Kausalstruktur der CbTF ist bereits aus Abb. 4-1 ersichtlich, die schematisch darstellt, wie auf Basis von Inputgütern durch entsprechende Veredelungsprozesse (unternehmungsspezifische) Ressourcen und Kompetenzen entstehen, die letztlich eine Unternehmung in die Lage versetzen, Leistungen am Markt anzubieten. Bezogen auf einen Zeitpunkt ist hierbei zu konstatieren, dass eine Unternehmung über eine Kombination an Inputgütern, Ressourcen und Kompetenzen verfügt, durch die ihr (zeitpunktbezogenes) Handlungsvermögen bestimmt ist (Ortmann verwendet hierfür den Begriff Könnenhaben).420 Die dynamische Perspektive der
419 Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 44. 420 Vgl. Ortmann 2004, S. 11f.; Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 52.
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CbTF ermöglicht es, über die zeitpunktbezogene Betrachtung hinausgehend, Veränderungsprozesse dieses Handlungsvermögens zu analysieren. Ausgehend vom Könnenhaben in einem Zeitpunkt, ist dabei – ganz im Sinne der noch ausführlich zu diskutierenden Historizität – innerhalb eines betrachteten Zeithorizonts nur ein bestimmter Handlungsraum verfügbar, innerhalb dessen Grenzen das Handlungsvermögen verändert werden kann (Ortmann verwendet hierfür den Begriff Habenkönnen).421 Die damit verbundenen Anpassungsprozesse lassen sich unter Verwendung des von Hamel/Prahalad vorgeschlagenen dreiphasigen Wettbewerbsmodells illustrieren (vgl. Abb. 4-2). Da das Modell an späterer Stelle aufgegriffen wird, sollen seine Grundlagen im Folgenden kurz dargestellt werden.422 Grundsätzlich ist in Bezug auf die genannten Anpassungsprozesse zu konstatieren, dass die Handlungskorridore von Phase zu Phase tendenziell enger werden.423
421 Vgl. Ortmann 2004, S. 11f.; Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 52. Auf die Argumentation von Ortmann
wird in Abschnitt 4.3.3.2 im Kontext der Klärung der pfadorientierten Positionierung der CbTF zurückgekommen. 422 Für eine detaillierte Darstellung der drei Phasen des Wettbewerbsmodells vgl. z.B. Hamel/Prahalad 1994, S. 45ff.; Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 55f. 423 Hierauf wird im Kontext der Forschungsfrage in Kapitel 5 näher eingegangen.
103
1 Wettbewerb um die intellektuelle Führung • Vorausblick auf die Zukunft von Märkten durch sorgfältige Erforschung der Erfolgsdeterminanten und Antriebskräfte eines Marktes
• Bildung einer kreativen Vorstellung hinsichtlich der möglichen Entwicklung von • Kundenbedürfnissen • Leistungen • Kompetenzen
2 Gestaltung von Migrationsprozessen • Präventiver Aufbau von Kompetenzen, Entwicklung alternativer Leistungskonzepte und Neugestaltung der Schnittstelle zum Kunden
3 Wettbewerb um Marktanteile • Aufbau eines weltweiten Zuliefernetzwerks
• Ausarbeitung einer geeigneten Strategie zur Marktpositionierung
• Aufbau und Führung dafür notwendiger Allianzen von Unternehmungen
• Konkurrenten in entscheidenden Märkten zuvorkommen
• Abdrängung der Konkurrenz auf teurere, längere und weniger effektive Migrationsprozesse
• Maximierung von Effizienz und Produktivität
• Zusammenfassung dieser Vorstellung in einem strategischen Rahmenplan zur Gestaltung von Zukunftsmärkten („strategische Architektur“)
• Management des Umgangs mit Konkurrenten
Abb. 4-2: Das Wettbewerbsmodell von Hamel und Prahalad424 In der ersten Phase versuchen einzelne Akteure, potenzielle zukünftige Marktbedürfnisse vorherzusehen. Basierend auf diesem „industriellen Vorausblick“ werden Prognosen darüber entwickelt, welche Inputgüter, Ressourcen und Kompetenzen erforderlich sind, um in der prognostizierten zukünftigen Marktsituation wettbewerbsfähig zu sein. In der zweiten Phase steht die Beschaffung gemäß der in Phase 1 entworfenen „strategischen Architektur“ im Mittelpunkt. Es wird davon ausgegangen, dass nicht alle gemäß der „strategischen Architektur“ erforderlichen Inputgüter, Ressourcen und Kompetenzen der Unternehmung vollständig zur Verfügung stehen, sondern zum Teil erst akquiriert, entwickelt oder modifiziert werden müssen. Grundsätzlich wird es sich dabei als zweckmäßig erweisen, die sogenannten firm-specific resources um firm-addressable resources zu ergänzen.425 In der dritten Phase, in der die angebotenen Leistungen bereits weitgehend im Markt etabliert sind und von Wettbewerbern – teils unter Modifi-
424 Eigene Darstellung nach Freiling/Gersch 2006, S. 23 mit Verweis auf Hamel/Prahalad 1995, S. 86. 425 Zur Unterscheidung zwischen firm-specific resources und firm-addressable resources vgl. z.B. Sanchez/
Heene 1997 Im Zusammenhang mit dem Open System View wird hierauf noch näher einzugehen sein.
104
kationen – imitiert werden, nehmen die Ausgestaltungsfreiheiten der Akteure weiter ab. Unternehmungen stehen im Wettbewerb um Marktanteile. Nachdem im Rahmen der Ausführungen zum Könnenhaben und Habenkönnen sowie zum dreiphasigen Wettbewerbsmodell von Hamel/Prahalad verstärkt auf prozessuale Aspekte der Kausalstruktur der CbTF fokussiert wurde, soll im Anschluss auf den sogenannten Open System View von Sanchez/Heene eingegangen werden, der geeignet ist, die Argumentationslogik der CbTF unter einer weiteren Perspektive zu konkretisieren. Im Rahmen dieses Modells wird eine Unternehmung als „offenes System“ interpretiert, das in ständiger Interaktion mit Systemen seiner Umwelt steht. Die wesentlichen Elemente des „offenen Systems Unternehmung“ sind in Abb. 4-3 dargestellt.426 Umfeld (Scanning, Benchmarking, Berater, neue Manager etc.)
Grenzen der Unternehmung als offenes System
Strategic Logic Entscheidungen, Prozeduren
Daten
Daten
Daten
Intangible Assets (u.a. Wissen, Rechte, Reputation, Beziehungen)
Tangible Assets (u.a. physisches Anlageund Umlaufvermögen)
Operative Prozesse (Durchführung der Leistungserstellung und Ressourcenveredelung)
(zugängliche externe Ressourcen)
Management-Prozesse (Koordinationsmechanismen zwecks Ressourcenerwerb und -entwicklung)
Firm-addressable Resources
Zunehmende Intransparenz, zunehmende organisationale Trägheit
(Gemeinsame Grundlagen der Zielerreichung)
Produkte (Leistungsbündel)
Marktinformationen
Märkte für Produkte
Wettbewerb
Abb. 4-3: Der Open System View nach Sanchez und Heene427
426 Vgl. hierzu z.B. Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 63f. 427 Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 54 in Anlehnung an Sanchez/Heene 1996, S. 41.
105
Da das Modell von den Autoren recht ausführlich erklärt wird,428 wird hier auf eine detaillierte Darstellung bewusst verzichtet. Allerdings sei an dieser Stelle auf zwei Aspekte des Modells hingewiesen, denen im weiteren Verlauf der Arbeit besondere Bedeutung zukommt. Zum Ersten sei betont, dass der Open System View geeignet ist, die Individualität einer Unternehmung zu veranschaulichen. Dies zeigt sich zum einen auf Ebene der einzelnen „System-Elemente“ (beispielsweise der Strategic Logic, den Management-Prozessen und den unternehmungsindividuellen Ressourcen und Kompetenzen). Zum anderen ist davon auszugehen, dass sich Unternehmungen auch hinsichtlich des Bezugs zu ihrer jeweiligen Umwelt deutlich voneinander unterscheiden. Der zweite hervorzuhebende Aspekt betrifft die Tatsache, dass im Rahmen des Open System View nicht nur absatzseitige Interaktionen betrachtet werden, sondern eine ganzheitlichere Perspektive eingenommen wird, die beispielsweise auch die „Sicherung des Zugangs zu geeigneten Informationen, Inputgütern, Ressourcen und Kompetenzen sowie deren Kombination mit unternehmungseigenen Elementen“ berücksichtigt.429 Beide Aspekte werden im weiteren Verlauf aufzugreifen sein. Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten die Grundlagen der CbTF dargestellt wurden, soll im Folgenden auf die Pfadforschung eingegangen werden, auf die im Rahmen der Annahmen des harten Kerns der CbTF über die Bedeutung der Zeit verschiedentlich Bezug genommen wird.
428 Vgl. z.B. Sanchez/Heene 1996, S. 39ff.; Sanchez/Heene 2004, S. 46ff. 429 Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 61.
106
4.3 4.3.1
Ausarbeitung einer pfadorientierten Perspektive in der CbTF Grundlagen der pfadorientierten Forschung
4.3.1.1 Einführung in das Konzept der Pfadabhängigkeit Als Ursprung des Konzeptes der Pfadabhängigkeit werden gemeinhin die wirtschaftshistorischen Betrachtungen Davids angesehen.430 In deren Folge haben mehrere Autoren das Konzept der Pfadabhängigkeit auf weitere Untersuchungsobjekte im technologischen Bereich angewendet.431 Zudem wurde das Konzept auf andere Anwendungsbereiche übertragen, so etwa auf die Entwicklung von Institutionen432 sowie auf Fragestellungen im Bereich der Politikwissenschaften433 und der historischen Soziologie.434 Eine Verwendung im betriebswirtschaftlichen Bereich fand bisher nur vereinzelt statt.435 Ackermann, der seinerseits das Konzept der Pfadabhängigkeit im Kontext der Genese von Institutionen verwendet und als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren zum Thema Pfadabhängigkeit angesehen wird,436 weist nachdrücklich darauf hin, dass das an sich wertvolle Konzept der Pfadabhängigkeit aufgrund der inflationären Verwendung des Begriffs, der Nachlässigkeit hinsichtlich der Präzision der verwendeten Definitionen und der vielen damit einhergehenden Konnotationen Gefahr läuft, „alles und nichts“ zu erklären.437 Auch David beklagt zwölf Jahre nach dem Erscheinen seines vielzitierten Artikels „Clio and the Economics of QWERTY“, dass der Begriff Path Dependence „has come to be invoked more frequently than it is defined“438 und widmet dem
430 Vgl. z.B. Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 260. 431 Vgl. z.B. Arthur 1988; Arthur 1994; Farrell/Saloner 1986. 432 Vgl. z.B. North 1990; Kiwit/Voigt 1995; Ackermann 2001; Ackermann 2003. 433 Vgl. z.B. Pierson 2000; Thelen 1999; Lindner 2003. 434 Vgl. z.B. Mahoney 2000. 435 Vgl. z.B. Schreyögg/Sydow/Koch 2003; Schäcke 2006. Erste Ansätze finden sich nach Ansicht von
Schreyögg/Sydow/Koch zudem bei Ortmann 1995 sowie bei Teece/Pisano/Shuen 1997 (vgl. Schreyögg/ Sydow/Koch 2003, S. 259). 436 Vgl. Schäcke 2006, S. 65. 437 Vgl. Ackermann 2001, S. 1 und S. 9. 438 David 1997, S. 4.
107
alleinigen Ziel der Klärung von „meaning und significance“ des Begriffs einen über vierzigseitigen Artikel.439 Vor diesem Hintergrund ist eine Präzisierung dessen, wie der Begriff der Pfadabhängigkeit sowie hiermit im Zusammenhang stehende Begriffe im Rahmen der CbTF und im Verlauf der vorliegenden Arbeit verwendet werden sollen, dringend geboten.440 Als Ausgangspunkt der Diskussion des Pfadabhängigkeitskonzeptes bietet es sich an, kurz auf das Beispiel der QWERTY-Tastaturbelegung einzugehen, die im Zentrum von Davids für das gesamte Forschungsgebiet richtungsweisenden Artikel steht,441 und sich – einem roten Faden gleich – durch die Arbeiten der Pfadforschungsliteratur zieht.442 In dem Beispiel untersucht David die Etablierung der noch heute üblichen Tastaturbelegung, die gemäß der Tastenfolge in der obersten Reihe auch als QWERTY-Standard bezeichnet wird.443 David rekapituliert, dass die QWERTYTastaturbelegung mit der Lösung vormals bestehender mechanischer Schwierigkeiten zusammenhängt. Er führt dabei die Entstehung des De-facto-Standards auf zufällige historische Ereignisse zurück, die der QWERTY-Tastatur gegenüber konkurrierenden Tastaturen einen Vorsprung verschafften, obgleich letztere aufgrund einer anderen technischen Lösung Tastenanordnungen wählen konnten, die sich für fehlerfreies und schnelles Tippen besser eigneten. Wie David herausarbeitet, ist der Vorsprung des QWERTY-Standards gegenüber konkurrierenden Tastaturen dadurch verstärkt worden, dass die Schreibbüros den Kauf von Schreibmaschinen mit derjenigen Tastatur präferierten, die von den meisten Bürokräften bedient werden konnte. Künftige Bürokräfte entschieden sich im
439 Vgl. David 1997. David führt hierzu aus: „My purpose in this paper […] is simply that of clarifying the
meaning and significance of the term path dependence.“ (David 1997, S. 4, Hervorhebung im Original). 440 Zur Bedeutung eindeutig definierter Begriffe vgl. ergänzend die Ausführungen in Abschnitt 2.1.1 (im
Kontext produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte) sowie in Abschnitt 4.2.2 (im Kontext der CbTF). 441 Vgl. zu den folgenden Ausführungen David 1985, S. 332ff. 442 So finden sich vergleichbare Darstellungen des QWERTY-Beispiels etwa bei Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 264f. und bei Schäcke 2006, S. 27. Erwähnung findet das QWERTY-Beispiel zudem z.B. bei Ackermann 2001, Farrell/Saloner 1986; Kiwit/Voigt 1995; Balmann/Odening/Weikard/Brandes 1996; Ackermann 2003 u.v.m. 443 Es handelt sich dabei um die amerikanische Tastaturbelegung.
108
Zuge ihrer Ausbildung ihrerseits für das Erlernen derjenigen Tastatur, die bei potenziellen Arbeitgebern am stärksten verbreitet war und ihnen somit die größten Aussichten auf eine Anstellung verhieß.444 4.3.1.2 „History matters“ als Feststellung Das QWERTY-Beispiel illustriert einmal mehr die für die vorliegende Arbeit zentrale Feststellung, dass sich ökonomische Prozesse nicht vollkommen voraussetzungsfrei entfalten, sondern ein Status quo als „in einem Zeitpunkt geronnene […] Folge vergangener Ereignisse“445 interpretiert werden kann. Obgleich diese allgemeine Feststellung recht intuitiv erscheint, wurde dieser Sachverhalt in der wissenschaftlichen Diskussion lange Zeit ignoriert.446 In jüngerer Zeit wird jedoch zunehmend darauf hingewiesen, dass „history matters“.447 Freiling/Gersch/Goeke schätzen in diesem Zusammenhang „that we are over halfway towards [a] […] paradigm shift, from non-evolutionary, functionalist theories to evolutionary theories“.448 Die Einsicht, dass die Historizität von Ereignissen in die Analyse mit einbezogen werden sollte, stellt einen beachtlichen Fortschritt gegenüber statischen Betrachtungsweisen dar und findet sich, wie in Abschnitt 4.2.1.3 dargestellt, beispielsweise im harten Kern der CbTF als Annahme über die Bedeutung der Zeit wieder. Sie ist als Voraussetzung für die Analyse zeitlicher Prozesse aufzufassen, wirft jedoch die Frage auf, wie diese Analyse auf systematische Weise erfolgen kann. Auch für die Untersuchung von Pfadabhängigkeiten stellt die Feststellung, dass „history matters“, eine wichtige Voraussetzung dar. Einige Beiträge verwenden den Begriff der Pfadabhängigkeit jedoch recht oberflächlich und tragen somit zu der Ansicht des von Ackermann konstatierten inflationären Gebrauchs und der
444 Vgl. David 1985, S. 332ff.; Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 264f.; Schäcke 2006, S. 27. 445 Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 21 in Anlehnung an Dietl 1993, 1995. 446 Vgl. z.B. Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 261. 447 Vgl. z.B. Teece/Pisano/Shuen 1997, S. 522. 448 Freiling/Gersch/Goeke 2008, S. 1160.
109
Gefahr des „alles und nichts Erklärens“ bei.449 Abgesehen von diesen Arbeiten besteht in der Pfadforschung weitgehender Konsens hinsichtlich einiger Grundannahmen pfadartiger Prozesse, die Antworten auf die Frage einer systematischen Analyse geben können. Auf diese Aspekte soll im Folgenden eingegangen werden. 4.3.1.3 Positive Rückkopplungen als konstitutives Element pfadbezogener Prozesse Ein zentrales Element pfadorientierter Forschung ist die Annahme der Existenz positiver Rückkopplungen, die die Ursache für die Ausbildung pfadbezogener Prozesse bilden.450 Hierbei handelt es sich um Selbstverstärkungseffekte, die zur Folge haben, dass „die Zunahme einer bestimmten Variablen zu einer weiteren Zunahme dieser Variablen führt. Gleiches gilt bei einer Abnahme der Variablen“.451 Bezogen auf das QWERTY-Beispiel besteht der selbstverstärkende Effekt etwa in dem Zusammenspiel der Präferenz der Schreibbüros, Maschinen mit QWERTY-Tastatur zu kaufen, und der Entscheidung künftiger Auszubildender, den weit verbreiteten Standard zu lernen. Wie anhand des QWERTY-Beispiels gezeigt werden kann, führt die Existenz positiver Rückkopplungen dazu, dass sich im Laufe des Prozesses einer von mehreren Zuständen über die Zeit zunehmend stabilisiert.452 In der Pfadforschung wird diesbezüglich von nicht-ergodischen bzw. non-ergodischen Prozessen gesprochen.453 Obgleich die von verschiedenen Autoren im Rahmen der Pfadforschung verwendeten Definitionen teils voneinander abweichen, lässt sich die auf die Existenz von positiven Rückkopplungen zurückzuführende Nonergodizität
449 Im weiteren Verlauf des Kapitels wird auf einige dieser Arbeiten im Kontext der ressourcenorientierten
Forschung beispielhaft hingewiesen. 450 Vgl. z.B. Arthur 1994, S. 111f.; Ackermann 2001, S. 16f. 451 Schäcke 2006, S. 36. Es sei explizit darauf hingewiesen, dass der im weiteren Verlauf der Arbeit
verwendete Begriff der positiven Rückkopplung im Sinne der obigen Definition verwendet wird und nicht normativ auszulegen ist, wie es der Bestandteil „positiv“ ggf. nahelegen könnte. In Anlehnung an die Wortwahl der obigen Definition wird im weiteren Verlauf der Begriff selbstverstärkender Effekt synonym verwendet. 452 Vgl. z.B. David 1985, S. 332ff. 453 Vgl. z.B. David 1985, S. 332; Ackermann 2001, S. 9f.
110
als elementarer Bestandteil der Definitionen ausmachen. Im weiteren Verlauf soll daher die folgende Definition verwendet werden: Ein Pfad ist ein auf positive Rückkopplungen zurückzuführender Entwicklungsprozess, in dem sich einer von mehreren möglichen Zuständen im Laufe der Zeit stabilisieren wird.454 Gegenüber der im Kontext der vorliegenden Arbeit zwar wichtigen, aber auch recht allgemeinen Feststellung, dass „history matters“, bietet der Ansatz der Pfadabhängigkeit mit der hier verwendeten Definition den Vorteil, dass sich die Analyse auf die zugrunde liegenden potenziellen Ursachen positiver Rückkopplungen fokussieren lässt. So wurden im Rahmen bisheriger Arbeiten zur Pfadforschung verschiedene Ursachen für positive Rückkopplungen identifiziert. Das breite Anwendungsspektrum des Forschungsfeldes führte dabei zu verschiedenen Systematisierungen, denen im Kontext der hier untersuchten Forschungsfrage unterschiedlich große Bedeutung zukommt.455 Grundsätzlich ist jedoch zu konstatieren, dass die innerhalb der Pfadforschung geführte Diskussion über potenzielle Ursachen positiver Rückkopplungen für die vorliegende Arbeit wertvolle Ansatzpunkte liefert. Bevor auf diese Ansatzpunkte näher eingegangen wird, soll zunächst geklärt werden, welche weiteren grundsätzlichen Auffassungen innerhalb der Pfadforschung bestehen und für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind. 4.3.1.4 Eigenschaften pfadabhängiger Prozesse Unter Bezugnahme auf Arthur identifiziert Ackermann drei Eigenschaften pfadabhängiger Prozesse.456 Hierbei handelt es sich um Nichtvorhersagbarkeit, Inflexibilität und potenzielle Ineffizienz. Da an späterer Stelle auf die Implika-
454 Die Begriffe Pfad, pfadbezogener Prozess und pfadartiger Prozess werden im weiteren Verlauf synonym
verwendet. 455 Hierauf wird in Abschnitt 4.3.4 detailliert eingegangen. 456 Vgl. hierzu und zu den folgenden Ausführungen Ackermann 2001, S. 19ff.
111
tionen dieser Eigenschaften verschiedentlich zurückzukommen sein wird, sollen diese Eigenschaften im Folgenden kurz dargestellt werden. Nichtvorhersagbarkeit Weitgehender Konsens besteht in der Literatur hinsichtlich des Kriteriums der Nichtvorhersagbarkeit. Hierunter ist zu verstehen, dass ex ante keine Aussage darüber getroffen werden kann, welches von mehreren möglichen Ereignissen sich letztlich im Laufe eines pfadbezogenen Prozesses einstellen wird.457 Mit anderen Worten ist das Ergebnis eines Pfades nicht ex ante aufgrund der in einer Ausgangssituation bestehenden Parameter determiniert, sondern kontingent. Während so weit in der Literatur (weitgehend) Einigkeit herrscht, lässt der Begriff der Kontingenz zunächst offen, inwiefern der Prozess (vollständig) emergent verläuft oder zu einem (wie auch immer geringen) Teil intendierte Aspekte umfassen kann.458 Inflexibilität Mit der Eigenschaft der Inflexibilität ist der Umstand angesprochen, dass der durch positive Rückkopplungen im Laufe der Zeit erreichte Zustand relativer Stabilität nicht ohne weiteres wieder verlassen werden kann. Ackermann gibt diesbezüglich zu bedenken, dass sich die Inflexibilität zwar über einen gewissen Zeitraum erstrecken kann, aber dennoch zeitlichen Beschränkungen unterliegt und nicht endgültig ist.459 Potenzielle Ineffizienz Wie Ackermann anmerkt, handelt es sich bei der potenziellen Ineffizienz um eine „normative Implikation der ersten beiden Eigenschaften“.460 Sie besagt, dass sich bei pfadabhängigen Prozessen Zustände relativer Stabilität entwickeln können, die potenziell ineffizient sind.
457 Vgl. z.B. Ackermann 2001, S. 19. 458 Dieser Aspekt wird in Abschnitt 4.3.1.5 vertiefend aufgegriffen. 459 Ackermann 2001, S. 20 führt hierzu aus: „Historische Betrachtungen lehren uns, dass in der realen Welt
nichts endgültig ist, dass es also, mit anderen Worten, so etwas wie vollkommene Inflexibilität nicht gibt.“ 460 Ackermann 2001, S. 20.
112
In einigen Beiträgen zur Pfadforschung wurde stark auf diese Eigenschaft abgestellt und dabei auf Davids Arbeit zur QWERTY-Tastatur rekurriert.461 David selbst macht später jedoch deutlich, dass er der Eigenschaft der potenziellen Ineffizienz nicht den Rang einräumt, wie es teils in den Beiträgen, die sich auf seine Arbeit beziehen, aufgefasst wird. Er stellt in diesem Zusammenhang klar, dass er – davon ausgehend seiner (ökonomisch geschulten) Zuhörerschaft durch die Verwendung des Begriffs Ineffizienz besondere Aufmerksamkeit entlocken zu können – das Argument der Ineffizienz in seinem Vortrag vornehmlich aus „Verkaufsgründen“ anführte.462 4.3.1.5 Beeinflussbarkeit und (Un-)Erwünschtheit pfadbezogener Prozesse In diesem Abschnitt wird auf zwei teils konträre Standpunkte eingegangen, die sich in den Arbeiten zur Pfadforschung identifizieren lassen und Fragen der Beeinflussbarkeit und der (Un-)Erwünschtheit pfadbezogener Prozesse tangieren. Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Standpunkten zeigt die Heterogenität, durch die sich die Beiträge zur Pfadforschung hinsichtlich grundlegender Fragen auszeichnen, und illustriert zugleich die Notwendigkeit, die diesbezügliche Positionierung der CbTF zu klären, wobei potenziell auftretende Widersprüche zu den oben genannten Annahmen des harten Kerns der CbTF zu vermeiden sind.463 Besondere Relevanz kommt dieser Klärung auch deshalb zu, weil einige der in der CbTF-Literatur zum Thema Pfadabhängigkeit meistzitierten Quellen – beispielsweise die Arbeiten von Ackermann und Schreyögg/Sydow/Koch – teils unterschiedliche Standpunkte vertreten.464 Die Beiträge zur Pfadforschung lassen sich gemäß ihrer Standpunkte zur Beeinflussbarkeit und (Un-)Erwünschtheit (vereinfachend) in zwei Gruppen unterteilen. Auf der einen Seite lässt sich eine Gruppe an Beiträgen identifizieren, die
461 Vgl. z.B. Liebowitz/Margolis 1990 und 1995. 462 David führt zu seinen diesbezüglichen Überlegungen aus: „What is the subject that jolts economists even
more than mention of sex? Inefficiency!“ (David 1997, S. 9). 463 Die Darstellung der in der Pfadforschung vorzufindenden Standpunkte bildet somit die Basis für die in
Abschnitt 4.3.3.3 erfolgende Klärung der pfadorientierten Positionierung der CbTF. 464 Für eine detaillierte Darstellung der Zitierungen siehe Abschnitt 4.3.3.2.
113
pfadabhängige Prozesse als emergentes Phänomen betrachten465 und explizit gegenüber intendierten Prozessen abgrenzen.466 Dieser Standpunkt soll im Folgenden vereinfachend als Standpunkt der „Gruppe 1“ bezeichnet werden. Wie nachfolgend am Beispiel der in der CbTF-Literatur passim zitierten Arbeiten von Ackermann467 gezeigt werden soll, ist bei diesem Standpunkt die Entstehung pfadabhängiger Prozesse grundsätzlich mit deutlich negativen Konnotationen verbunden. Zum Ersten spiegelt sich Ackermanns Fokus auf unerwünschte pfadabhängige Prozesse in seinem Verständnis von Lock-in-Situationen wider, die er als „unerwünschte Zustände“ bezeichnet.468 Zum Zweiten zeigt sie sich in der von ihm vorgenommenen Abgrenzung von Pfadabhängigkeit gegenüber – in Ackermanns Worten – anderen „möglichen Erklärungen für Inflexibilität und die Persistenz 'unerwünschter' oder 'ineffizienter' Institutionen“.469 Zum Dritten kommt sie im Kontext seiner Ausführungen zu institutionellen Reformen und Transformationen zum Ausdruck,470 zu denen es nur dann einen Anlass gibt, wenn bestehende institutionelle Zustände als reform- bzw. transformationsbedürftig angesehen werden. In Abgrenzung zu den vorgenannten Arbeiten lässt sich in der Pfadforschungsgemeinschaft eine zweite Gruppe an Beiträgen identifizieren („Gruppe 2“),471 die hinsichtlich
der
aufgeworfenen
Fragen
zur
Beeinflussbarkeit
und
(Un-)Erwünschtheit pfadbezogener Prozesse andere Schwerpunkte setzen, indem sie die Möglichkeit intentionaler Beeinflussung von Pfadverläufen – teilweise bis
465 Z.B. David 1985; Arthur 1989; Ackermann 2001 und 2003 (vgl. Windeler 2003, S. 299). 466 Vgl. z.B. Ackermann 2001, S. 45; Ackermann 2003, S. 232. 467 Vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, Freiling/Gersch/Goeke 2006a und 2006b, Freiling/Gersch 2007. 468 Vgl. Ackermann 2001, S. 20: „Dann bedeutet dies, dass unerwünschte Zustände erstens möglich sind und
zweitens von Dauer sein können. In diesem Sinn soll der Begriff Lock-in hier verwendet werden.“ 469 Vgl. Ackermann 2001, S. 45, Hervorhebungen im Original. 470 Vgl. Ackermann 2001, S. 163ff. 471 Dieser Gruppe können beispielsweise die Beiträge Schreyögg/Sydow/Koch 2003, Windeler 2003, Garud/
Karnoe 2001 und Hirsch/Gillespie 2001 zugerechnet werden.
114
hin zur aktiven und intentionalen Pfadkreation – explizit in ihre Betrachtungen aufnehmen.472 Das Konzept intentionaler Pfadkreation geht dabei nicht nur von der Annahme der Beeinflussbarkeit pfadartiger Prozesse aus, sondern impliziert zudem, dass ein Pfadverlauf – unter bestimmten Voraussetzungen – durchaus erstrebenswert sein kann. Diese Sichtweise soll anhand des Beitrags von Schreyögg/Sydow/Koch (2003) verdeutlicht werden, so dass – analog zur Vorgehensweise bei der Gruppe 1 – auch bezüglich der Gruppe 2 auf ein Beispiel zurückgegriffen wird, das in der CbTF-Literatur häufige Erwähnung findet.473 Teils aufbauend auf Arbeiten der Gruppe 1, diskutieren Schreyögg/Sydow/Koch die Eignung des Konzeptes der Pfadabhängigkeit für die Analyse betriebswirtschaftlicher Prozesse. Dabei schlagen sie vor, das in volkswirtschaftlichen Beiträgen vorherrschende Drei-Phasen-Modell474 um die Konzepte der Pfadbrechung und der Pfadkreation zu erweitern.475 Die Tatsache, dass „Pfade aus betriebswirtschaftlicher Perspektive keineswegs notwendig einen negativen Sachverhalt [konstituieren]“476, illustrieren die Autoren anhand der Etablierung des VHS-Standards im Heimvideobereich.477 Damit greifen sie auf ein Beispiel zurück, das als eines der Paradebeispiele der Pfadforschung bezeichnet werden kann.478 Die Autoren argumentieren, dass die auf positiven Rückkopplungen basierende Etablierung des VHS-Standards zu einer (Markt-)Situation führte, die aus Sicht der Unterneh-
472 Vgl. z.B. Hirsch/Gillespie: „Path dependence […] allow that outcomes can result from either conscious
decision making or as an unexpected consequence of previous decisions“ (Hirsch/Gillespie 2001, S. 76) und einige Seiten später: „there is no reason why path dependence cannot be intentionally created, as well as unintentionally emergent“ (Hirsch/Gillespie 2001, S. 85). 473 Vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, Freiling/Gersch/Goeke 2006a und 2006b sowie Freiling/Gersch 2007. 474 Vgl. Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 263f. 475 Vgl. insbesondere Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 268f. 476 Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 280. 477 Für eine detaillierte Darstellung dieses Beispiels vgl. Cusumano/Mylonadis/Rosenbloom 1992. 478 Das Beispiel wird häufig angeführt, wenn es um die Illustration positiver Rückkopplungen geht, die auf die Komplementarität technologischer Systeme zurückzuführen sind. Dabei wird den selbstverstärkenden Effekten, die auf der Komplementarität von Videorekordern und Videokassetten beruhen, eine erhebliche Bedeutung dafür zugesprochen, dass sich der VHS-Standard von JVC gegenüber dem Betamax-Standard von Sony durchsetzte und sich – bis zu seiner sukzessiven Ablösung durch digitale Systeme – als weltweiter Standard etablieren konnte. Erwähnung findet das Beispiel etwa auch bei Ackermann 2001, S. 65; Schäcke 2006, S. 41f.; Bassanini/Dosi 2001, S. 45 u.v.a.
115
mungen, die von der Etablierung profitierten (also z.B. JVC sowie deren Kooperationspartner), äußerst positiv zu beurteilen ist, da der VHS-Standard für einen gewissen Zeitraum eine wirkungsvolle Markteintrittsbarriere darstellte.479 Aus der Perspektive der Unternehmung Sony, die den konkurrierenden Betamax-Standard favorisierte, ist der gleiche Sachverhalt hingegen negativ zu beurteilen.480 Wie das Beispiel des VHS-Standards zeigt, kann die Beantwortung der Frage hinsichtlich der (Un-)Erwünschtheit eines pfadartigen Verlaufs maßgeblich davon abhängen, aus wessen Perspektive die Beurteilung vorgenommen wird.481 Somit wird deutlich, dass ein pfadbezogener Verlauf im betriebswirtschaftlichen Kontext keinesfalls zwangsläufig einen negativen Sachverhalt darstellen muss, so dass die Motivation für eine intendierte Pfadkreation durchaus bestehen kann. Obgleich die Idee der Pfadkreation in den Worten von Schreyögg/Sydow/Koch „an die Stelle des emergenten Entstehungsprozesses als alternative Möglichkeit die willentliche Erzeugung eines Pfades“ setzt,482 bedeutet dies jedoch keinesfalls, dass sich die Vertreter der zweiten Gruppe von den in den letzten Abschnitten dargestellten Grundlagen der Pfadforschung gänzlich distanzieren und die Akteure im Falle der Pfadkreation ohne jegliche Restriktion und frei nach ihrem Willen Pfade gestalten können. So weist beispielsweise Windeler, der den Gedanken der Pfadkreation aufgreift und der zweiten Gruppe zugeordnet werden kann, auf das zugrunde liegende Verständnis kontingenter Entwicklungen hin.483 Hierbei wird sich von der – beispielsweise von Ackermann vertretenen – emergenten Sichtweise gelöst, ohne dass jedoch die konstituierenden Grundlagen
479 Am Rande sei angemerkt, dass der Fall zudem die zeitlich begrenzte Gültigkeit von Wettbewerbs-
vorteilen illustriert und somit ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit einer „Zeitindizierung“ von Wettbewerbsvorteilen liefert, wie sie in Abschnitt 4.2.1.3 im Kontext der Ausführungen zum harten Kern der CbTF thematisiert wurde. 480 Als Beispiel für eine vergleichbare Situation in der jüngeren Vergangenheit lässt sich der Wettbewerb um ein Nachfolgeformat für die DVD im Bereich digitaler optischer Speichermedien anführen, der sich weitgehend zwischen dem Format Blu-ray Disc (favorisiert z.B. von Panasonic, Pioneer, Philips, Sony, Thomson, LG Electronics, Hitachi, Sharp und Samsung) und dem konkurrierenden Format HD DVD (favorisiert z.B. von NEC, Microsoft, Toshiba, Intel, IBM und Hewlett Packard) abspielte. 481 So auch Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 280f. 482 Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 286. 483 Vgl. die Ausführungen zur Nichtvorhersagbarkeit pfadartiger Prozesse in Abschnitt 4.3.1.4.
116
pfadbezogener Prozesse – d.h. die Bedeutung positiver Rückkopplungen sowie die Möglichkeit mehrerer Zustände, von denen sich einer stabilisiert484 – in Frage gestellt werden. Wie bei der emergenten Sichtweise der Gruppe 1 gilt auch bei dem von den Anhängern der Gruppe 2 vertretenen Verständnis kontingenter Entwicklungen, dass das Ergebnis weder determiniert ist noch durch Planung und Steuerung determiniert oder vorhergesehen werden kann.485 Die Sichtweise der Vertreter der Gruppe 2 bedeutet auch keinesfalls eine Distanzierung von der Annahme der Historizität von Entscheidungen. Auch im Falle der (intendierten) Pfadkreation gilt, dass „history matters“. So stellen beispielsweise Garud/Karnoe in diesem Zusammenhang klar: „Path creation does not mean entrepreneurs can exercise unbounded strategic choice.“486 4.3.2
Ansätze pfadbezogener Perspektiven in der ressourcenorientierten Forschung
487
Die Anwendung des Konzeptes der Pfadabhängigkeit auf Ebene der Einzelunternehmung beschränkt sich bisher auf einige wenige Beiträge. Diese heben hervor, dass im betriebswirtschaftlichen Kontext der Analyse der Ressourcen und handelnden Akteure eine weitaus größere Rolle zukommt als dies für andere Anwendungsbereiche pfadorientierter Forschung gilt.488 Hinsichtlich der Übertragbarkeit des Konzeptes der Pfadabhängigkeit auf den Kontext der Unternehmung kommt beispielsweise Schäcke zu dem Schluss, dass diese unter geringfügigen Modifikationen möglich ist, wobei er betont, dass „für eine umfassende Analyse des Pfadabhängigkeitsphänomens […] bei den prozessualen Verläufen
484 Vgl. Abschnitt 4.3.1.3. 485 Vgl. z.B. Windeler 2003, S. 298. 486 Garud/Karnoe 2001, S. 2. 487 Der ressourcenorientierten Forschung werden gemäß der Ausführungen in Abschnitt 3.3.4.3 ressourcen-
basierte und kompetenzbasierte Ansätze subsumiert. 488 Vgl. Schäcke 2006, S. 124; Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 270; Windeler 2003, S. 314ff.
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[…] die Akteure und Ressourcen als Auslöser von Pfadabhängigkeit berücksichtigt werden [müssen].“489 In Anbetracht der Bedeutung, die der Berücksichtigung von Ressourcen im Rahmen der Analyse pfadbezogener Prozesse auf Unternehmungsebene beigemessen wird, erscheint es zweckmäßig, diesbezüglich bestehende Ansätze in der Literatur ressourcenorientierter Forschung in die Betrachtung einzubeziehen. Dieser Logik folgend, richtet beispielsweise auch Schäcke seine Aufmerksamkeit auf verschiedene Strömungen der ressourcenorientierten Forschung. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die Mehrheit ressourcenorientierter Arbeiten aufgrund ihres komparativ-statischen Ansatzes für die Analyse pfadbezogener Prozesse ungeeignet ist.490 Als Ausnahme identifiziert Schäcke mit dem Dynamic Capabilities Approach jedoch einen Ansatz, der sich aufgrund seiner verstärkt prozessualen Ausrichtung deutlich besser für die Analyse von Pfadabhängigkeiten eignet als die „klassischen“ Ansätze der Ressourcentheorie.491 Als zweiten „weiterentwickelten ressourcenbasierten Ansatz“ erwähnt Schäcke den wissensbasierten Ansatz, ohne auf diesen näher einzugehen.492 Zu den Ausführungen von Schäcke ist kritisch anzumerken, dass der Dynamic Capabilities Approach und der wissensbasierte Ansatz nicht die einzigen Ansätze mit verstärkt prozessualer Ausrichtung sind, die sich der ressourcenorientierten Forschung subsumieren lassen. Insbesondere das Competence-based Strategic Management493 sowie die Competence-based Theory of the Firm494 sind in diesem Kontext gleichfalls zu nennen und versprechen weitere Einsichten.
489 Schäcke 2006, S. 124; auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Ressourcen und Akteuren gehen
auch Windeler sowie Schreyögg/Sydow/Koch ein (vgl. Windeler 2003, S. 314; Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 270). 490 Vgl. Schäcke 2006, S. 87. Hinsichtlich der Einschätzung von Schäcke zum komparativ-statischen Charakter ressourcenorientierter Arbeiten vgl. ergänzend die Ausführungen in Abschnitt 3.3.4.3, in denen – zurückgehend auf Gersch/Freiling/Goeke 2005 – zwischen den „tendenziell zeitpunktbezogenen Ansätzen des Resource-based View“ und den „tendenziell dynamischeren Ansätzen“ des Competencebased View unterschieden wurde. 491 Vgl. Schäcke 2006, S. 87f. 492 Vgl. Schäcke 2006, S. 91. Von einer dezidierten Diskussion des bei Schäcke nur kurz erwähnten wissensbasierten Ansatzes wird hier aus den in Abschnitt 3.3.4.3 genannten Gründen abgesehen. 493 Vgl. z.B. Sanchez/Heene/Thomas 1996; Sanchez/Heene 2004.
118
In den folgenden Abschnitten wird auf die Ansätze pfadbezogener Überlegungen in den genannten Strömungen ressourcenorientierter Forschung eingegangen. Hierbei werden die (aus den genannten Gründen als unvollständig zu bezeichnenden) Vorarbeiten von Schäcke berücksichtigt und insbesondere um die Betrachtung des Competence-based Strategic Management und der Competencebased Theory of the Firm ergänzt. Anschließend wird in Abschnitt 4.3.3 ein Vorschlag erarbeitet, wie sich die Erkenntnisse der Pfadforschung annahmekonform und widerspruchsfrei in die CbTF integrieren lassen, wobei auf die obigen Ausführungen zur Pfadforschung (Abschnitt 4.3.1) und die nachfolgend zu diskutierenden Vorarbeiten in der ressourcenorientierten Forschung (Abschnitte 4.3.2.1 bis 4.3.2.3) aufgebaut wird. 4.3.2.1 Ansätze pfadbezogener Überlegungen im Dynamic Capabilities Approach Der von Teece/Pisano/Shuen vertretene Dynamic Capabilities Approach ist durch seine dynamische Ausrichtung in der Lage, die im bisherigen Verlauf der Arbeit passim genannte Grundvoraussetzung einer prozessualen Perspektive zu erfüllen. Dabei heben die Autoren in ihrem Ansatz explizit die Historizität von Entscheidungen hervor.495 Obgleich diese Sichtweise eine bedeutende Weiterentwicklung gegenüber vielen anderen Ansätzen der ressourcenorientierten Forschung darstellt,496 kann der Ansicht von Schäcke, dass „innerhalb der Ressourcentheorie […] sich vor allem der Dynamic Capabilities Ansatz mit dem Konzept der Pfadabhängigkeit auseinandergesetzt [hat]“,497 nur unter dem einschränkenden Hinweis zugestimmt werden, dass ähnliche Auseinandersetzungen auch im Competence-based Strategic Management sowie in der Competence-based Theory of the Firm erfolgen.498 Zu dem Verständnis von Pfadabhängigkeit, das dem Dynamic
494 Vgl. insbesondere Gersch/Freiling/Goeke 2005. 495 Vgl. Teece/Pisano/Shuen 1997, S. 522. 496 Dies gilt insbesondere gegenüber den Ansätzen des Resource-based View, vgl. Abb. 3-1 in Abschnitt
3.3.4.3. 497 Schäcke 2006, S. 110. 498 Vgl. die Ausführungen in den Abschnitten 4.3.2.2 und 4.3.2.3.
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Capabilities Approach zugrunde liegt, merken Schreyögg/Sydow/Koch kritisch an, dass Teece/Pisano/Shuen „bereits dann von Pfadabhängigkeit […] sprechen, wenn vorlaufende Entscheidungen spätere mitprägen.“499 Dieses weit gefasste Verständnis – so die Autoren weiter – hat die „fatale Konsequenz zur Folge“, dass letztlich alle Prozesse als Pfade bezeichnet werden müssten, so dass „die Theorie der Pfadabhängigkeit […] Gefahr [liefe], ihren Informationsgehalt zu verlieren.“500 Das weitgefasste Verständnis des Pfadabhängigkeitsbegriffs von Teece/Pisano/ Shuen weicht deutlich von dem im Rahmen der vorliegenden Untersuchung verwendeten Gebrauch des Begriffs ab.501 Es ist weitaus unspezifischer502 und kann als Beispiel für die in Abschnitt 4.3.1.1 beklagte Nachlässigkeit hinsichtlich der Präzision verwendeter Definitionen des Pfadabhängigkeitsbegriffs gesehen werden. 4.3.2.2 Ansätze pfadbezogener Überlegungen im Competence-based Strategic Management Der insbesondere von Sanchez und Heene vertretene Ansatz des Competencebased Strategic Management, auf den die Literatur zur CbTF verschiedentlich Bezug nimmt,503 greift mehrere Aspekte auf, die im Kontext der bisherigen Ausführungen für eine pfadorientierte Sichtweise von Bedeutung sind. Der als Grundvoraussetzung für die Analyse zeitlicher Verläufe geforderten dynamischen Sichtweise kommt im Ansatz des Competence-based Strategic Management zentrale Bedeutung zu. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass sie
499 Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 271. 500 Ebd. 501 Vgl. zu letzterem die Ausführungen in Abschnitt 4.3.1.3, in dem dargestellt wird, dass pfadbezogene
Prozesse auf positive Rückkopplungen zurückzuführen sind. 502 Letztlich umfasst es alle Entwicklungsprozesse, die historisch geprägt sind. 503 So wird in der CbTF-Literatur häufig auf das aus dem Competence-based Strategic Management
stammende Modell des Open System View verwiesen, vgl. Abschnitt 4.2.3 sowie z.B. Gersch/Freiling/ Goeke 2005, S. 58ff.; Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 63f.; Freiling/Gersch/Goeke 2006a, S. 19.
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eine der vier fundamentalen „Eckpfeiler“ des Ansatzes darstellt, auf denen die Autoren den Ansatz aufbauen.504 Ebenfalls als für die Analyse pfadbezogener Prozesse zweckmäßig wurde die Möglichkeit der Berücksichtigung handelnder Akteure genannt.505 Der Ansatz des Competence-based Strategic Management bietet hierfür gute Voraussetzungen, indem er explizit das (Top-)Management als handelnde Akteure berücksichtigt.506 In diesem Zusammenhang stellt sich die in Abschnitt 4.3.1.5 aufgeworfene Frage, inwieweit der Akteur in der Lage ist, pfadbezogene Prozesse zu beeinflussen. Vereinbar mit den Aussagen der Befürworter einer kontingenten Sichtweise („Gruppe 2“) machen Sanchez/Heene in ihren Ausführungen deutlich, dass zeitliche Verläufe keinesfalls für das Management im Voraus planbar sind. Vielmehr wird die Planbarkeit durch „structural complexity“, „dynamic complexity“, „incomplete and imperfect information“ sowie „irreducible uncertainty“ erheblich eingeschränkt.507 Somit ist festzustellen, dass der Ansatz des Competence-based Strategic Management für eine Analyse pfadabhängiger Prozesse vergleichbare Vorzüge bietet wie der Dynamic Capabilities Approach und gegenüber diesem mit seinen Explizierungen zur Rolle des Managements eine detailliertere Sichtweise handelnder Akteure bietet. Auf der anderen Seite ist jedoch zu konstatieren, dass die beiden Ansätze – bezogen auf den hier betrachteten Kontext – auch einige Defizite teilen. So verwenden auch Sanchez/Heene den Begriff der path dependency,508 versäumen es aber, diesen Begriff zu definieren. Aus ihren Ausführungen geht – in Ermangelung einer expliziten Definition jedoch nur implizit – hervor, dass auch sie sich (weitgehend) auf die Logik beschränken, dass „history matters“ und den Begriff
504 Vgl. z.B. Sanchez/Heene 2004, S. XVII, die im Original von „cornerstones“ sprechen, zudem Sanchez/
Heene/Thomas 1996, S. 11. 505 Vgl. Seite 117f. 506 Vgl. z.B. Sanchez/Heene 2004, S. 35. 507 Vgl. Sanchez/Heene 2004, S 146ff. 508 Vgl. z.B. Sanchez/Heene 2004, S. 34f.
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der Pfadabhängigkeit nicht im Sinne der vorliegenden Arbeit verwenden.509 Eine Diskussion der Bedeutung positiver Rückkopplungen sowie die Diskussion über potenzielle Ursachen positiver Rückkopplungen unterbleibt daher auch in diesem Ansatz. Somit gilt die in Abschnitt 4.3.2.1 im Kontext des Dynamic Capabilities Approach geäußerte diesbezügliche Kritik in vergleichbarer Weise auch für den Ansatz des Competence-based Strategic Management. 4.3.2.3 Ansätze pfadbezogener Überlegungen in der Competence-based Theory of the Firm In Kapitel 3 wurde vornehmlich wissenschaftstheoretisch argumentiert, warum in der vorliegenden Arbeit unter den kompetenzbasierten Ansätzen die CbTF als Referenztheorie ausgewählt wurde.510 Im vorliegenden Abschnitt soll darauf hingewiesen werden, dass sich die CbTF – bezogen auf den Kontext der vorliegenden Arbeit – auch unter inhaltlichen Aspekten von den zuvor diskutierten kompetenzbasierten Ansätzen (positiv) abhebt. Da im Rahmen der anschließenden Diskussion und Erweiterung der pfadorientierten Perspektive innerhalb der CbTF auf die Vorarbeiten pfadbezogener Überlegungen in der CbTF-Literatur sehr viel detaillierter einzugehen ist, soll hier nur in sehr knapper Form auf die diesbezüglichen Ansätze in der CbTF hingewiesen werden, um diese den Ausführungen zum Dynamic Capabilities Approach und zum Competence-based Strategic Management gegenüberzustellen. Eine dezidierte Darstellung der folgenden Aussagen erfolgt in den anschließenden Abschnitten. Wie die Ausführungen über den harten Kern in Abschnitt 4.2.1 zeigten, erfüllt auch die CbTF die mehrfach genannte Basisanforderung einer dynamischen Sichtweise. Die Aussagen über die handelnden Akteure und die kontingente Sichtweise, wie sie im Zusammenhang mit dem Competence-based Strategic
509 Zur „History-matters-Argumentation“ vgl. Abschnitt 4.3.1.2; zum Verständnis pfadorientierter Prozesse
im Rahmen der vorliegenden Arbeit, die das Bestehen positiver Rückkopplungen als konstitutives Element ansieht, vgl. Abschnitt 4.3.1.3. 510 Vgl. Abschnitt 3.3.5.
122
Management im vorigen Abschnitt getroffen wurden, sind – wie noch zu zeigen sein wird – grundsätzlich auch mit den Annahmen der CbTF vereinbar. Wodurch sich die CbTF auf inhaltlicher Ebene von den zuvor diskutierten kompetenzbasierten Ansätzen abhebt, ist die explizite Berücksichtigung und (weitgehende) Unterscheidung von Prozessen, die auf allgemeiner Historizität basieren, und Pfadabhängigkeiten, die auf positive Rückkopplungen zurückzuführen sind. Obgleich sich die CbTF zumindest im Ansatz durch das der Arbeit zugrunde liegende Verständnis von Pfadabhängigkeit511 auszeichnet, erfolgt auch in der CbTF-Literatur bisher (nahezu) keine Diskussion über mögliche Ursachen positiver Rückkopplungen. Auch hierauf wird nachfolgend detailliert einzugehen sein. 4.3.3
Erweiterung der CbTF um die Pfadperspektive
4.3.3.1 Notwendigkeit der Klärung des pfadorientierten Verständnisses der CbTF In den vorangegangenen Ausführungen wurde gezeigt, dass es verschiedene Arbeiten gibt, die sich der Terminologie der Pfadforschung bedienen, ohne die verwendeten Begriffe zu definieren und teils auch, ohne die originär mit den Begriffen beschriebenen Konzepte zu meinen.512 Wie am Beispiel des Begriffs der Pfadabhängigkeit zu sehen ist, besteht jedoch bei der Verwendung mehrdeutig belegter Begrifflichkeiten ohne hinreichende Klärung der zugrunde gelegten Definitionen die erhebliche Gefahr, eher zur Verwirrung denn zur Erklärung beizutragen.513 Verstärkt wird diese Gefahr insbesondere dann, wenn in einem Forschungsfeld verschiedene Ansichten
511 Vgl. Abschnitt 4.3.1; insbesondere Abschnitt 4.3.1.3, der auf den konstitutiven Charakter positiver Rück-
kopplungen für pfadbezogene Prozesse eingeht. 512 In diesem Kontext sei an die von Ackermann beklagte inflationäre Verwendung des Begriffs der
Pfadabhängigkeit erinnert, der zum Teil losgelöst von dem in Abschnitt 4.3.1 ausführlich dargestellten Konzept lediglich als „Buzzword“ verwendet wird (vgl. z.B. die diesbezügliche Feststellung zum Beitrag Teece/Pisano/Shuen 1997 in Abschnitt 4.3.2.1). 513 Vgl. auch Abschnitt 2.1.1.
123
vertreten werden und auf Grund dessen ein Begriff mit verschiedenen Bedeutungen verwendet wird.514 Wird sich eines solchen mehrdeutigen Begriffs bedient, ohne Stellung zu beziehen, mit welcher Bedeutung und Konnotation dieser Begriff verwendet werden soll, sind Unklarheiten und Missverständnisse nahezu vorprogrammiert. Die Ausführungen in Abschnitt 4.3.2 zeigten, dass eine umfassende und weitgehend missverständnisfreie Integration der Erkenntnisse der Pfadforschung im Rahmen ressourcen- und kompetenzbasierter Ansätze bisher nicht erzielt wurde. Vielmehr wurde deutlich, dass das Konzept der Pfadabhängigkeit nicht einmal von allen Autoren mit positiven Rückkopplungen in Verbindung gebracht, sondern teils als Synonym für Historizität verwendet wird. Zudem wurde gezeigt, dass auch innerhalb der pfadorientierten Forschung zu zentralen Aspekten der Pfadorientierung – etwa zur Beeinflussbarkeit pfadartiger Prozesse – teils deutlich voneinander divergierende Grundpositionen vertreten werden.515 Somit ist zu konstatieren, dass die Bedeutungen und Konnotationen des Begriffs der Pfadabhängigkeit in der Literatur überaus vielfältig sind. Um die wertvollen Vorarbeiten der Pfadforschung für die Erforschung der zeitlichen Muster bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten dennoch in Verbindung mit der CbTF nutzen zu können, ist in Anbetracht der dargestellten Begriffsvielfalt eine eindeutige Stellungnahme zur Verwendung des Pfadabhängigkeitskonzeptes im Rahmen der CbTF zwingend erforderlich. Daher soll im Folgenden – aufbauend auf den obigen Ausführungen – das den weiteren Betrachtungen zugrunde gelegte Verständnis geklärt werden. Wie zu sehen sein wird, ist es hierbei nicht ausreichend, durch Sprachkonventionen der genannten (und sich teils auch in der Literatur zur CbTF abzeichnenden) Gefahr von sprachlichen Missverständnissen
514 Vgl. Ackermann 2001, S. 1. 515 Insbesondere wird von einigen Autoren, der emergente Charakter und die „Unerwünschtheit“ pfadbezo-
gener Prozesse stark betont („Gruppe 1“, z.B. Ackermann 2001 und 2003), während sich andere Autoren explizit von dieser Perspektive lösen und von einer „partiellen Pfadgestaltbarkeit“ ausgehen („Gruppe 2“, z.B. Garud/Karnoe 2001; Windeler 2003; Schreyögg/Sydow/Koch 2003), vgl. Abschnitt 4.3.1.5.
124
entgegenzuwirken. Vielmehr gilt es, eine in sich widerspruchsfreie und mit den Annahmen des harten Kerns der CbTF zu vereinbarende pfadorientierte Perspektive der CbTF zu schaffen, die im weiteren Verlauf der Arbeit zur Beantwortung der Forschungsfrage verwendet werden kann. Sowohl in den Grundlagenbeiträgen zur CbTF516 als auch in Beiträgen zur Anwendung der CbTF im Dienstleistungsbereich517 finden sich hierzu bereits einige Anknüpfungspunkte, auf die im Folgenden eingegangen werden soll. Hierbei wird auch deutlich, an welchen Stellen zum derzeitigen Stand der CbTF bereits mit Unklarheiten und Interpretationsspielräumen zu rechnen ist. Während im folgenden Abschnitt auf die Bestandsaufnahme der Hinweise in der CbTFLiteratur fokussiert wird, erfolgt die Kommentierung und Weiterentwicklung in den darauf folgenden Abschnitten. 4.3.3.2 Vorarbeiten in der Literatur zur Klärung der pfadorientierten Positionierung der CbTF Die in den Beiträgen zur CbTF bestehenden Anknüpfungspunkte zur Klärung der pfadorientierten Positionierung des Ansatzes lassen sich in die drei folgenden Themenblöcke gruppieren: Æ Aussagen und Hinweise über die Unterscheidung und Berücksichtigung allgemeiner Historizität und Pfadabhängigkeit, Æ Aussagen und Hinweise über das Verständnis hinsichtlich der Beeinflussbarkeit und (Un-)Erwünschtheit pfadbezogener Prozesse und Æ Aussagen und Hinweise über potenzielle Ursachen positiver Rückkopplungen. Die folgende Darstellung der Vorarbeiten in der CbTF-Literatur wird entsprechend dieser drei Themenblöcke strukturiert. Mit den ersten beiden Themenblöcken können die Aspekte, die sich in den Abschnitten 4.3.1 und 4.3.2 als strittig und infolgedessen als besonders klärungsbedürftig erwiesen haben,
516 Hierunter sind insbesondere der ausführliche Arbeitsbericht von Gersch/Freiling/Goeke 2005 sowie z.B.
die Beiträge Freiling/Gersch/Goeke 2006a, 2006b und 2007 zu verstehen. 517 Z.B. Freiling/Gersch 2006 und 2007.
125
weitgehend berücksichtigt werden. Der dritte Themenblock befasst sich mit den Vorarbeiten zu der Frage, welche der in der Pfadforschung diskutierten Ursachen positiver Rückkopplungen unter dem Blickwinkel der CbTF betrachtet werden (können).518 Eine zusammenfassende Veröffentlichung der wesentlichen Grundlagen der CbTF erfolgte erstmalig und am bislang umfassendsten mit dem „Arbeitsbericht 100“ von Gersch/Freiling/Goeke 2005, auf den sich weitere Arbeiten zur CbTF häufig beziehen. Aus diesem Grunde erscheint es zweckmäßig, den Arbeitsbericht 100 als Basis für die folgenden Ausführungen zu verwenden und auf weitere Beiträge insbesondere dann einzugehen, wenn deren Ausführungen zu den obigen Themenblöcken über die Darstellung im Arbeitsbericht 100 hinausgehen oder von dieser abweichen. Zur Unterscheidung und Berücksichtigung allgemeiner Historizität und Pfadabhängigkeiten Gersch/Freiling/Goeke weisen im Arbeitsbericht 100 darauf hin, dass die Berücksichtigung von Zeit in mehrfacher Hinsicht für die CbTF grundlegend ist.519 Die Beachtung von Pfadabhängigkeit ist dabei einer von fünf aufgeführten Aspekten.520 Die Darstellung der Pfadabhängigkeit beschränkt sich jedoch auf lediglich drei Zeilen,521 während sich beispielsweise die Ausführungen zur Historizität über mehrere Seiten erstrecken.522 Bereits an dieser Stelle lassen sich erste Schlüsse ziehen, die sowohl in Bezug auf die beabsichtigte Weiterentwicklung der CbTF als auch für die Beantwortung der Forschungsfrage bedeutsam sind:
518 Da diesem Aspekt noch große Bedeutung zukommen wird, jedoch diesbezüglich kaum auf Vorarbeiten
zurückgegriffen werden kann, wird auf die Diskussion möglicher Ursachen positiver Rückkopplungen noch vertiefend einzugehen sein. 519 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 20. 520 Vgl. hierzu auch Abschnitt 4.2.1.3. 521 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 20. 522 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 21 und S. 51ff.
126
(-) Die CbTF differenziert bewusst zwischen Historizität und Pfadabhängigkeit,523 wodurch sie sich gegenüber anderen Ansätzen kompetenzbasierter Forschung deutlich abhebt. (-) Die CbTF beschränkt sich nicht auf eine prozessuale Betrachtung, sondern berücksichtigt zudem Pfadabhängigkeiten.524 (-) Die Berücksichtigung von Pfadabhängigkeiten im Rahmen der CbTF steht noch ganz am Anfang, so dass es einer diesbezüglichen Weiterentwicklung des Ansatzes bedarf.525 Zur Verdeutlichung der „History-matters-Argumentation“ verweisen Gersch/ Freiling/Goeke auf die Ausführungen Ortmanns, der zwischen „Könnenhaben“ und „Habenkönnen“ unterscheidet.526 Unter dem Begriff Könnenhaben ist dabei das Handlungsvermögen einer Unternehmung in einem bestimmten Zeitpunkt zu verstehen. Dieses hängt von den in diesem Zeitpunkt bestehenden Inputgütern, Ressourcen und Kompetenzen ab. Ortmann weist darauf hin, dass das Handlungsvermögen sich durch Aktivierungen im Zeitablauf verändert. Bezogen auf künftige Zeitpunkte ergibt sich durch die Entwicklungen des Handlungsvermögens im Zeitablauf ein Spektrum möglicher Handlungsvermögen, das um so größer ist, je weiter sich der betrachtete Zeitpunkt in der Zukunft befindet (vgl. den sich öffnenden Trichter in Abb. 4-4). Das Spektrum zukünftig realisierbarer Handlungsvermögen bezeichnet Ortmann als Habenkönnen.
523 Besonders deutlich wird dies in Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 20, FN 76. 524 D.h. im Rahmen der CbTF wird nicht nur die Unterscheidung prozessualer Betrachtungen und Pfad-
abhängigkeiten vorgenommen, sondern auch beide für wichtig erachtet (vgl. Abschnitt 4.2.1.3). 525 In diesem Kontext sei auf die Anmerkung der Autoren am Ende des Arbeitsberichts 100 hingewiesen,
dass es sich bei ihrem Beitrag um eine Grundlagenarbeit handelt und es weiterer intensiver wissenschaftlicher Arbeit bedarf, um den Ansatz weiter auszubauen (vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 98f.). 526 Auf die Unterscheidung von Könnenhaben und Habenkönnen wurde im Kontext der Kausalstruktur in
Abschnitt 4.2.3 bereits kurz hingewiesen. Vgl. zu den folgenden Ausführungen Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 51ff. in Anlehnung an Ortmann 2004.
127
(Handlungsspielraum)
Variationsbreite
Ursprünglich vermuteter Handlungsraum in t0 (Antizipiertes „Habenkönnen“ t0)
-
t0
t1
Vorhandener Handlungsraum in t0 (Tatsächliches „Könnenhaben“ t0)
Zeit Erfolgreiche Transaktion in t1 (Leistungsangebote = Marktanforderung in t1)
Abb. 4-4: „Könnenhaben“ und „Habenkönnen“527 Bildlich gesprochen illustriert die Darstellung von Könnenhaben und Habenkönnen in Abb. 4-4 die Feststellung, dass „history matters“, indem sie veranschaulicht, dass das Habenkönnen (= alle Kombinationen von Inputgütern, Ressourcen und Kompetenzen, die sich innerhalb des sich öffnenden Trichters befinden), vom Könnenhaben in einem zeitlich vorgelagerten Zeitpunkt (= der Spitze des Trichters) abhängt. Aussagen über pfadbezogene Prozesse, die auf Selbstverstärkungseffekte zurückzuführen sind,528 finden sich im Rahmen der Darstellung hingegen nicht. Wie zuvor dargestellt wurde, wird die Unterscheidung zwischen Historizität einerseits und Pfadabhängigkeit andererseits in den Annahmen des harten Kerns der CbTF zur Bedeutung der Zeit deutlich herausgestellt529 und die Feststellung,
527 Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 53. 528 Vgl. Abschnitt 4.3.1.3. 529 Vgl. z.B. Abschnitt 4.2.1.3.
128
dass „history matters“, im Rahmen der CbTF intensiv diskutiert.530 Kritisch anzumerken ist in diesem Kontext, dass die somit deutlich gewordene und zu begrüßende terminologische Differenzierung zwischen „lediglich auf Historizität basierenden Prozessen“ und pfadbezogenen Prozessen an anderen Textstellen Gefahr läuft, abgeschwächt zu werden. Beispielsweise grenzen die Autoren die Berücksichtigung von Zeit „als Grundlage prozessualen Denkens […] [im Kontext] der Veredelung von Inputs zu Ressourcen [und] der Herausbildung von Kompetenzen“ explizit von der „Beachtung der Pfadabhängigkeit“ ab,531 sprechen aber auf den Folgeseiten von „(zeitpfadabhängigen) Entwicklungen von Veredelungsprozessen (Inputgüter zu Ressourcen bzw. Herausbildung von Kompetenzen)“.532 In ähnlicher Weise potenziell verwirrend ist z.B. die Anmerkung der Autoren in einem späteren Beitrag, in dem sie ausführen, dass „the competence perspective acknowledges the importance of time and historicity in economic decisionmaking by referring to organizational paths“533 und somit die Begriffe historicity und path nicht mehr in der im Arbeitsbericht 100 vorgenommenen klaren Weise voneinander abgrenzen, sondern tendenziell miteinander vermengen.534 Zum Verständnis der Pfadorientierung (insbesondere hinsichtlich der Beeinflussbarkeit und (Un-)Erwünschtheit pfadbezogener Prozesse) Nachdem auf Basis der obigen Ausführungen festgehalten werden kann, dass in der CbTF-Literatur (weitgehend) nur dann von Pfadabhängigkeit gesprochen wird, wenn selbstverstärkende Effekte vorliegen, soll nachfolgend auf die in der CbTF-Literatur bestehenden Hinweise fokussiert werden, die etwas genaueren Aufschluss über das präzise Verständnis der Pfadorientierung geben. In
530 Vgl. z.B. die obigen Ausführungen zum Könnenhaben und Habenkönnen. 531 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 20. 532 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 22. 533 Freiling/Gersch/Goeke 2008, S. 1145. 534 Hierzu ist anzumerken, dass Historizität und pfadbezogene Prozesse nicht vollkommen unabhängig von-
einander zu sehen sind, sondern Historizität – wie in Abschnitt 3.3.1.2 dargestellt wurde – eine wichtige Voraussetzung für die Betrachtung pfadbezogener Prozesse darstellt. Dieser Zusammenhang wird jedoch in den angeführten Quellen nicht deutlich.
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Anbetracht der verschiedenen in der Pfadforschung vertretenen Standpunkte hinsichtlich der Beeinflussbarkeit und (Un-)Erwünschtheit pfadbezogener Prozesse535 ist dabei insbesondere von Interesse, welcher dieser Standpunkte in der CbTF-Literatur vertreten wird. Wie erwähnt beschränken sich die Ausführungen zur Pfadabhängigkeit im Arbeitsbericht 100 auf wenige Zeilen.536 Hinweise auf den vertretenen Standpunkt hinsichtlich der Beeinflussbarkeit und (Un-)Erwünschtheit pfadbezogener Prozesse finden sich darin nicht. Da sich in den Ausführungen zur Pfadabhängigkeit im Arbeitsbericht 100 ohne erkennbare Differenzierung gleichzeitig sowohl auf Ackermann (einem Vertreter der Gruppe 1) als auch auf Schreyögg/Sydow/ Koch (Vertreter der Gruppe 2) bezogen wird, ergibt sich hieraus ebenfalls kein Aufschluss.537 Der Umstand gleichzeitiger Zitierungen von Autoren, die innerhalb der Pfadforschung unterschiedliche Standpunkte vertreten, trifft gleichermaßen auf weitere Grundlagenbeiträge zur CbTF zu.538 Somit ergibt sich auch für die CbTF-Literatur die bereits im Kontext anderer kompetenzbasierter Ansätze als kritisch eingestufte Situation, dass nicht ersichtlich ist, was genau gemeint ist, wenn der Begriff der Pfadabhängigkeit verwendet wird.539 Da jedoch aus den in Abschnitt 4.3.3.1 dargestellten Gründen eine diesbezügliche deutliche Positionierung der CbTF für die Untersuchung der zeitlichen Muster bei
535 Vgl. Abschnitt 4.3.1.5. 536 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 20. 537 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 20, FN 76; zu den unterschiedlichen Auffassungen der Gruppe 1
und Gruppe 2 vgl. Abschnitt 4.3.1.5. Kurz dargestellt zeichnen sich die Vertreter der Gruppe 1 tendenziell durch eine emergente Sichtweise aus und sehen die Pfadausbildung als ein negatives Ereignis. Die Vertreter der Gruppe 2 hingegen schließen eine Pfadbeeinflussbarkeit bis hin zur Pfadkreation nicht vollständig aus und vertreten eine kontingente Sichtweise. Pfade können gemäß Ansicht der Gruppe 2 je nach eingenommener Perspektive als positive oder negative Ereignisse aufgefasst werden (vgl. Abschnitt 4.3.1.5). 538 Vgl. z.B. Freiling/Gersch/Goeke 2006a, S. 11 und 14; Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 47. 539 Hinsichtlich des Dynamic Capabilities Approach und des Competence-based Strategic Management resultieren die Unsicherheiten daraus, dass in diesen Ansätzen keine Unterscheidung zwischen „lediglich auf Historizität basierender Prozesse“ und pfadbezogenen Prozessen vorgenommen wird. In der CbTFLiteratur wird diese Unterscheidung zwar deutlich, doch ist nicht ersichtlich, ob sich das Verständnis der CbTF hinsichtlich pfadorientierter Betrachtungen an dem Verständnis der Gruppe 1 oder der Gruppe 2 orientiert.
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der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten als notwendig erachtet wird, erfolgt in Abschnitt 4.3.3.3 eine den Ausführungen der Arbeit zugrunde zu legende Positionierung der CbTF, bei deren Ausgestaltung die Annahmen des harten Kerns der CbTF zu berücksichtigen sind. Zur Berücksichtigung potenzieller Ursachen für positive Rückkopplungen Wie bereits angedeutet wurde, sind im Rahmen der Pfadforschung vielfältige Ursachen für positive Rückkopplungen diskutiert worden. Hierbei ist anzumerken, dass sich die identifizierten Ursachen je nach Anwendungsbereich (z.B. technologische oder institutionelle Entwicklungspfade) teils voneinander unterscheiden. Zudem besteht auch in Bezug auf ein und denselben Anwendungsbereich zum Teil Dissens zwischen den Forschern, welche Ursachen positiver Rückkopplungen zu unterscheiden sind. Um die vielschichtigen Erkenntnisse, die hinsichtlich der Erforschung der Ursachen positiver Rückkopplungen in der Pfadforschung bereits vorliegen, im Rahmen dieser Arbeit nutzbar machen, ergibt sich die Frage, welche der diskutierten Ursachen (und ggf. auch welche weiteren) im Kontext der CbTF als zweckmäßig erachtet werden bzw. welche mit den Annahmen der CbTF vereinbar sind. Der Arbeitsbericht 100 geht auf diese Fragen nicht ein. In den übrigen bisherigen Veröffentlichungen zur CbTF wird zwar verschiedentlich auf selbstverstärkende Effekte hingewiesen, doch bleiben die Aussagen meist sehr vage. Beispielsweise merken Freiling/Gersch/Goeke unter Verweis auf Arthur 2000 an, dass Ereignisse „not only inter-temporaly connected but also to a certain degree self-energizing“ sind,540 doch auf welche Ursachen dies zurückzuführen ist, wird nicht thematisiert. Der einzige etwas konkretere Hinweis auf Ursachen positiver Rückkopplungen findet sich in der CbTF-Literatur bei Freiling/Gersch 2007, die unter Verweis auf Ackermann die drei folgenden generischen Aspekte anführen: „(1) Koordinationseffekte, (2) Komplementaritätseffekte und (3) Lernprozesse
540 Freiling/Gersch/Goeke 2008, S. 1149.
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sowie sozio-emotionale und kognitive Prozesse.“541 Hierauf wird im nächsten Abschnitt näher einzugehen sein. Zusammenfassende Einordnung der Vorarbeiten in der CbTF-Literatur Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass sich hinsichtlich der Vorarbeiten in der CbTF-Literatur zu den drei dargestellten Themenblöcken ein recht differenziertes Bild ergibt: Hinsichtlich der Unterscheidung und Berücksichtigung allgemeiner Historizität einerseits und Pfadabhängigkeiten andererseits ist festzustellen, dass die CbTF als einziger der betrachteten kompetenzbasierten Ansätze eine explizite Differenzierung zwischen „lediglich auf Historizität basierenden Prozessen“ und pfadbezogenen Prozessen vornimmt. Die Unterscheidung findet sich in den Annahmen des harten Kerns wieder. Während die Perspektive zu den lediglich auf Historizität basierenden Prozessen dabei recht ausführlich dargelegt wird, fällt die Darstellung der pfadorientierten Perspektive sehr knapp und pauschal aus. So ist eine Positionierung der CbTF hinsichtlich der verschiedenen in der Pfadforschungsliteratur auszumachenden Auffassungen zur Beeinflussbarkeit und (Un-)Erwünschtheit pfadbezogener Prozesse in der CbTF-Literatur bislang nicht erfolgt. Vielmehr entsteht durch das gleichzeitige Zitieren von Autoren der Pfadforschung, die sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten, der Eindruck, dass bisher auf eine differenziertere Betrachtungsweise im Rahmen der CbTFLiteratur verzichtet wurde. Gleichzeitig wird jedoch durch die gesonderte Erwähnung pfadbezogener Prozesse in den Annahmen des harten Kerns über die Bedeutung der Zeit deutlich, dass pfadbezogenen Prozessen im Rahmen der CbTF große Bedeutung beigemessen wird. Hinsichtlich der Berücksichtigung potenzieller Ursachen positiver Rückkopplungen ist anzumerken, dass die wenigen Hinweise, die in der CbTF-Literatur auszumachen sind, grundsätzlich recht oberflächlich bleiben. Einzige Ausnahme
541 Freiling/Gersch 2007, S. 87.
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bildet ein Beitrag von Freiling und Gersch, in dem die Autoren unter Verweis auf Ackermann drei generische Aspekte anführen. Klärungsbedarf besteht somit insbesondere hinsichtlich des Verständnisses der CbTF zur Beeinflussbarkeit und (Un-)Erwünschtheit pfadbezogener Prozesse sowie zur Berücksichtigung potenzieller Ursachen positiver Rückkopplungen. Beide Aspekte werden nachfolgend unter Beachtung der dargestellten Vorarbeiten in der CbTF-Literatur und der Annahmen des harten Kerns der CbTF genauer diskutiert. 4.3.3.3 Klärung und Ausbau der pfadorientierten Positionierung der CbTF Nachdem im vorangegangenen Abschnitt anhand der bestehenden Aussagen und Hinweise in der CbTF-Literatur der derzeitige Stand pfadorientierter Ansätze in der CbTF geklärt wurde, soll nachfolgend auf den dabei identifizierten Klärungsbedarf eingegangen werden. Die CbTF soll dabei um eine in sich widerspruchsfreie Pfadperspektive erweitert werden, die mit den Annahmen des harten Kerns vereinbar ist. Die so erweiterte Referenztheorie wird im anschließenden Kapitel für die Beantwortung der Forschungsfrage verwendet, wobei sowohl Ursachen pfadbezogener Prozesse als auch Ursachen im Kontext „lediglich auf allgemeiner Historizität basierender Prozesse“ innerhalb der Referenztheorie abgebildet werden können. Zum Verständnis der Pfadorientierung (insbesondere hinsichtlich der Beeinflussbarkeit und (Un-)Erwünschtheit pfadbezogener Prozesse) Wie die Prüfung der in der Literatur zur CbTF bestehenden Vorarbeiten zeigte, ist die Positionierung der CbTF zu den verschiedenen Standpunkten, die innerhalb der Pfadforschung zum Konzept der Pfadorientierung bestehen, bisher nicht explizit diskutiert worden. In der vorliegenden Arbeit wird sich für einen Standpunkt ausgesprochen, der von einer partiellen Gestaltbarkeit pfadbezogener Prozesse im Sinne der Gruppe 2 ausgeht.542 Damit verbunden ist die Grund-
542 Vgl. zu diesem Standpunkt die Ausführungen in Abschnitt 4.3.1.5.
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haltung, dass pfadbezogene Prozesse nicht zwangsläufig als negative Ereignisse eingestuft werden müssen. Die vertretene Position basiert auf Überlegungen zur Vereinbarkeit des Standpunkts mit den Annahmen des harten Kerns der CbTF sowie auf Überlegungen zum Untersuchungsobjekt der vorliegenden Arbeit. Auf beide Aspekte soll im Folgenden eingegangen werden. Die soeben vorgeschlagene Präzisierung zum CbTF-seitigen Verständnis der Pfadorientierung ist als Ergänzung zu den bereits bestehenden Annahmen des harten Kerns der CbTF hinsichtlich der Bedeutung der Zeit begreifbar. Versteht man die Annahmen des harten Kerns – ganz im Sinne Lakatos – als nicht mehr zu hinterfragende Elemente, so darf eine Ergänzung nicht im Widerspruch mit diesen (als gültig akzeptierten) Annahmen des harten Kerns stehen.543 Bei der Prüfung auf Widersprüchlichkeiten ist es erforderlich, sich nicht nur auf die Annahme des harten Kerns zur Bedeutung der Zeit zu beschränken, sondern auch die übrigen Annahmen des harten Kerns sowie bestehende Interdependenzen zwischen den Annahmen zu berücksichtigen. Wie mehrfach angesprochen wurde, unterscheiden sich die Sichtweisen der beiden in der Pfadforschung identifizierten Gruppen – in Abschnitt 4.3.1.5 vereinfachend als Gruppe 1 und Gruppe 2 bezeichnet – zum einen dahingehend, ob es den handelnden Akteuren möglich ist, auf den Verlauf pfadbezogener Prozesse partiell Einfluss zu nehmen oder nicht. Nähert man sich dieser Frage mit den Annahmen des harten Kerns der CbTF,544 so ist diesbezüglich u.a. auf die Annahme des gemäßigten Voluntarismus zu verweisen, nach der „der Akteur bedingten Einfluss auf seine Umwelt hat“.545 Bevor hieraus der sofortige Schluss gezogen wird, dass somit nur die Sichtweise der Gruppe 2 mit den Annahmen des harten Kerns vereinbar ist, soll auf die Aussage des „bedingten Einflusses“ mit
543 Für die Forderung der Widerspruchsfreiheit ist es dabei unerheblich, ob die hier eingenommene
Perspektive zur Pfadorientierung als (ebenfalls) zum harten Kern dazugehörig oder als Bestandteil des Schutzgürtels interpretiert wird. Ließe man Widersprüche zu den bestehenden Annahmen des harten Kerns zu, so ergäben sich im ersten Fall Widersprüche innerhalb des harten Kerns. Im zweiten Fall würden Annahmen des harten Kerns bei der Ausgestaltung des Schutzgürtels ignoriert werden. Beides gilt es zu vermeiden. 544 Ein Überblick über die Annahmen des harten Kerns erfolgte in Abschnitt 4.2.1. 545 Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 27.
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Blick auf die übrigen Annahmen des harten Kerns etwas detaillierter eingegangen werden. Aufbauend auf den Ausführungen zum Habenkönnen und Könnenhaben im vorigen Abschnitt ist dabei festzustellen, dass in der Literatur zur CbTF davon ausgegangen wird, dass das Ausmaß des bedingten Einflusses u.a. von dem betrachteten Zeithorizont abhängt, wobei unterstellt wird, dass die Gestaltungsspielräume mit zunehmender Fristigkeit weniger stark vorstrukturiert sind. Neben diesem zeitlichen Aspekt mag für das Ausmaß des bedingten Einflusses das individuelle Wissen, Wollen und Können der handelnden Akteure eine Rolle spielen. Den Akteuren wird dabei im Rahmen des Menschenbildes des Homo Agens unterstellt, dass sie sich durch „Findigkeit“ auszeichnen, die es ihnen ermöglicht, den bestehenden Handlungsrahmen aktiv mit zu gestalten. Somit ist festzuhalten, dass in den Annahmen des harten Kerns der CbTF verschiedene Aspekte angesprochen werden, die das Ausmaß des Einflusses der handelnden Akteure beeinflussen. Die Sichtweise der partiellen Beeinflussbarkeit pfadbezogener Prozesse gemäß der Vertreter der Gruppe 2 ist mit diesen Annahmen gut vereinbar. Wie dargestellt wurde, ist mit dem Standpunkt der Gruppe 2 über die partielle Beeinflussbarkeit pfadartiger Prozesse die Grundhaltung verbunden, dass diese nicht zwangsläufig als negative Ereignisse aufzufassen sind.546 Mit anderen Worten ist es je nach Kontext und eingenommener Perspektive möglich, pfadbezogene Prozesse entweder als Risiko oder auch als Chance einzustufen. Hinsichtlich der CbTF ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass es sich um einen Ansatz handelt, der sich – beispielsweise im Gegensatz zu einigen weitverbreiteten Theorien der Dienstleistungsforschung547 – gerade dadurch auszeichnet, dass er sowohl die Betrachtung von Risiken als auch von Chancen ermöglicht.548
546 Vgl. z.B. den in Abschnitt 4.3.1.5 dargestellten Fall zum VHS-Standard. 547 Hiermit sind insbesondere die Ansätze der Neue Institutionenökonomik inkl. der Informationsökonomie
gemeint, die von Freiling/Gersch als „die wohl am weitesten ausformulierten Theoriezweige für den Dienstleistungsbereich“ bezeichnet werden (vgl. Freiling/Gersch 2006, S. 10). 548 Auf den Vorteil der CbTF, nicht nur Risiken, sondern auch Chancen in die Betrachtung einzubeziehen,
wird sowohl auf allgemeiner Ebene (vgl. z.B. Freiling 2004a, S. 49) als auch im Kontext der Dienstleistungsforschung (vgl. z.B. Freiling/Gersch 2006, S. 7ff.; Freiling/Gersch 2007, S. 88) hingewiesen.
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Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die pfadorientierte Positionierung der CbTF vor dem Hintergrund der Annahmen ihres harten Kerns sich an der Sichtweise der Gruppe 2 orientieren sollte, die von einer bedingten Beeinflussbarkeit pfadbezogener Prozesse ausgeht und diese nicht zwingend als negative Ereignisse betrachtet. Nachdem in den vorigen Ausführungen insbesondere darauf fokussiert wurde, welche der in der Pfadforschung auszumachenden Sichtweisen innerhalb der CbTF vor dem Hintergrund der Annahmen ihres harten Kerns einzunehmen ist, soll im Folgenden darauf eingegangen werden, ob diese Sichtweise auch vor dem Hintergrund des Untersuchungsgegenstands der vorliegenden Arbeit zweckmäßig erscheint. So ist die Beantwortung der Frage, ob sich ein Realphänomen besser durch die Sichtweise der Gruppe 1 oder die Sichtweise der Gruppe 2 erfassen lässt, ohne die Berücksichtigung des Untersuchungsgegenstands kaum möglich. Beispielsweise muss die emergente Sichtweise der in der CbTF-Literatur häufig zitierten Arbeit von Ackermann klar vor dem Hintergrund des Untersuchungsgegenstands seiner Arbeit gesehen werden. So mag eine emergente Sichtweise beispielsweise im Kontext der Entstehung informeller Regeln eine durchaus treffende Annahme darstellen. Wie jedoch Schreyögg/Sydow/Koch betonen, ist hingegen im betriebswirtschaftlichen Kontext die Frage zu stellen, ob nicht mit dem (Top-) Management ein Akteur existiert, der partiell in der Lage ist, pfadbezogene Prozesse zu beeinflussen und Pfade zum Teil auch intentional zu schaffen.549 Diese dem (Top-)Management eine aktive Rolle zugestehende Perspektive weist deutliche Gemeinsamkeiten mit der Betrachtung der Ausübung von Unternehmerfunktionen auf, die aufgrund des „gemeinsamen Daches der Marktprozesstheorie“ mit der CbTF grundsätzlich paradigmatisch kompatibel ist.550
549 Vgl. Schreyögg/Sydow/Koch 2003, ähnlich auch Windeler 2003 sowie Garud/Karnoe 2001. 550 Vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 74ff.; vgl. zudem die Ausführungen der Autoren zur Berück-
sichtigung von Unternehmerfunktionen im Rahmen der CbTF (Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 87ff.).
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In der vorliegenden Arbeit wird hinsichtlich der Einführung verschiedener Leistungsarten in Auslandsmärkten von dem Verständnis ausgegangen, dass es sich dabei grundsätzlich um Prozesse handelt, die zwar einerseits von externen Faktoren in nicht vollständig planbarer Weise beeinflusst werden, die sich jedoch andererseits ebenso wenig vollkommen unabhängig von den Entscheidungen des Managements entfalten.551 In Bezug auf das Verständnis der Pfadorientierung erscheint das kontingente Verständnis der Vertreter der Gruppe 2 für die Untersuchung der Forschungsfrage daher angemessener als das emergente Verständnis der Gruppe 1. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auf Basis der Ausführungen zu den Annahmen des harten Kerns der CbTF und unter Berücksichtigung des Untersuchungsgegenstands der vorliegenden Arbeit eine Positionierung vorgenommen wird, die von einer partiellen Pfadbeeinflussbarkeit durch die handelnden Akteure ausgeht und es ermöglicht, nicht nur die Risiken, sondern auch die Chancen, die mit pfadbezogenen Prozessen verbunden sein können, zu berücksichtigen. Somit entspricht die hier eingenommene Perspektive dem Standpunkt der Gruppe 2. Zur Berücksichtigung potenzieller Ursachen für positive Rückkopplungen Die Competence-based Theory of the Firm versteht sich als theoretischer Ansatz, der grundsätzlich in der Lage ist, an die Strategiediskussion anzuknüpfen und die „strategische Lücke“ anderer Ansätze zu schließen.552 Um diesem Anspruch gerecht zu werden, erscheint die Erkenntnis, dass pfadbezogene Prozesse auf positive Rückkopplungen zurückzuführen sind, und die Möglichkeit, diesen Sachverhalt im Rahmen der CbTF erklären zu können, allein nicht ausreichend. Insbesondere mit Blick auf die zu den Annahmen des harten Kerns passende Sichtweise, die die Möglichkeit der partiellen Beeinflussbarkeit pfadbezogener Prozesse nicht kategorisch ausschließt, sollte die Analyse auch die Abbildung
551 Vgl. hierzu die vorgenannte Feststellung von Kutschker/Schmid, dass Internationalisierungsprozesse
weder als vollständig deterministisch noch als vollständig voluntaristisch bezeichnet werden können (vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 463). 552 Vgl. z.B. Freiling/Gersch 2006, S. 10ff., die dies als Vorteil der CbTF gegenüber der Informations-
ökonomie und der Neuen Institutionenökonomik im Kontext der Dienstleistungsforschung herausstellen.
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möglicher Ursachen dieser Pfade umfassen. Besteht beispielweise die Intention, einen pfadbezogenen Prozess partiell zu beeinflussen – sei es im Sinne einer (partiellen) Pfadkreation oder einer beabsichtigten Pfadbrechung – so ist eine Vorstellung oder noch besser ein profundes Verständnis der Ursachen erforderlich, auf die die positiven Rückkopplungen des betrachteten pfadbezogenen Prozesses zurückzuführen sind.553 Der aus diesem Grunde wichtigen Frage, welche potenziellen Ursachen im Rahmen einer CbTF-basierten Analyse betrachtet werden (können), soll sich zunächst anhand des im letzten Abschnitt identifizierten Hinweises bei Freiling/ Gersch 2007 genähert werden, in dem unter Verweis auf Ackermann drei generische Aspekte angeführt wurden.554 Vorwegnehmend sei angemerkt, dass der Detaillierungsgrad dieses Hinweises als unzureichend angesehen wird und – entgegen der Auffassung der Autoren – hier die Meinung vertreten wird, dass auch nicht alle Ursachen positiver Rückkopplungen den drei genannten Aspekten subsumiert werden können.555 Dessen ungeachtet unterstreicht der Hinweis die Auffassung der Autoren über die grundsätzliche Vereinbarkeit der Kausalstruktur der CbTF mit den Grundzügen der Pfadforschung. Ferner demonstriert der Hinweis einmal mehr, dass die pfadbezogenen Aspekte in der CbTF weiter vorangeschritten sind als in anderen kompetenzbasierten Ansätzen. Zur Einordnung der drei generischen Aspekte ist es hilfreich, kurz auf deren Herleitung bei Ackermann einzugehen. In seinem Beitrag befasst sich Ackermann mit pfadabhängigen Verläufen bei Institutionen bzw. Regeln556 und räumt der Analyse möglicher Ursachen pfadbezogener Prozesse – ebenso wie es in der vorliegenden Arbeit getan wird – eine große Bedeutung ein. Er greift daher die zahlreichen in der Pfadforschungsliteratur bereits bestehenden Überlegungen zu
553 Dies gilt auch in Bezug auf den spezifischen Kontext der Forschungsfrage. 554 Vgl. Seite 131f. sowie Freiling/Gersch 2007, S. 87. 555 Eine detaillierte Diskussion potenzieller Ursachen für positive Rückkopplungen erfolgt in Abschnitt
4.3.4. 556 Ackermann verwendet die beiden Begriffe weitgehend synonym (vgl. Ackermann 2001, S. 85: „Im
Wesentlichen sollen hier die Begriffe 'Institution' und 'Regel' synonym verwendet werden“, Hervorhebung im Original).
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potenziellen Ursachen positiver Rückkopplungen auf und diskutiert, welche dieser Ursachen sich auf den von ihm untersuchten Kontext anwenden lassen. Die von Freiling/Gersch aufgegriffenen Aspekte sind somit das Ergebnis der von Ackermann geführten Diskussion, in der er die Übertragbarkeit der in der Literatur in unterschiedlichem Kontext identifizierten Ursachen auf sein spezifisches Untersuchungsobjekt prüft, wobei er die seiner Arbeit zugrunde gelegten Prämissen berücksichtigt. Folglich handelt es sich bei den drei Aspekten um die Ursachen positiver Rückkopplungen, die die beiden folgenden Kriterien erfüllen: die Anwendbarkeit auf das von Ackermann betrachtete Untersuchungsobjekt sowie die Vereinbarkeit mit den seiner Arbeit zugrunde liegenden Prämissen. Ackermann weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass es im Kontext anderer Anwendungsbereiche neben den von ihm letztlich betrachteten Ursachen weitere potenzielle Ursachen geben mag, die jedoch im Rahmen seiner Arbeit nicht anwendbar sind.557 Somit ist festzuhalten, dass es für die Übertragung potenzieller Ursachen positiver Rückkopplungen auf einen anderen Untersuchungsgegenstand sowie bei Verwendung einer anderen theoretischen Basis erforderlich ist, auf die originären Vorschläge in der Pfadforschung einzugehen. Die Übertragung einer einzelnen Zusammenfassung potenzieller Ursachen (z.B. der von Ackermann) ist hingegen aus den dargestellten Gründen äußerst problematisch. Es ergibt sich die Notwendigkeit, bei der Ermittlung potenzieller Ursachen positiver Rückkopplungen auf verschiedene Quellen der Pfadforschung zurückzugreifen, um auf dieser (breiteren) Basis diejenigen potenziellen Ursachen zu identifizieren, die sich mit den Prämissen der eigenen theoretischen Basis vereinbaren lassen und vor dem Hintergrund des eigenen Untersuchungsgegenstands in Betracht kommen. Nachdem erstens gezeigt wurde, dass es nicht ausreichend ist, bei dem Analyseschritt zu verharren, dass pfadbezogene Prozesse durch positive Rückkopplungen verursacht werden, sondern die Folgefrage zu stellen ist, worauf positive Rück-
557 Vgl. Ackermann 2003, S. 236.
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kopplungen potenziell zurückgeführt werden können, zweitens darauf eingegangen wurde, dass es hierzu kaum Vorarbeiten in der CbTF-Literatur gibt und drittens gezeigt wurde, dass verschiedene Arbeiten der Pfadforschung in die Untersuchung einzubeziehen sind, da andernfalls die Gefahr besteht, dass die Betrachtung auf eine „Vorselektion“ gestützt wird und für den Kontext der eigenen Arbeit wesentliche Ursachen nicht berücksichtigt werden, soll sich mit den potenziellen Ursachen positiver Rückkopplungen in den folgenden Abschnitten ausführlicher auseinandergesetzt werden. 4.3.4
Ursachen positiver Rückkopplungen
4.3.4.1 Methodik der Identifikation positiver Rückkopplungen Aufbauend auf den Vorarbeiten in der CbTF-Literatur, wurde in den vorangegangenen Abschnitten die Positionierung der CbTF hinsichtlich einer pfadorientierten Perspektive präzisiert. Hiermit wurde eine Basis geschaffen, die Diskussion um potenzielle Ursachen positiver Rückkopplungen im kompetenztheoretischen Kontext konsistent führen zu können. Auf dieser Basis soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, welche Ursachen positiver Rückkopplungen im Rahmen der CbTF grundsätzlich denkbar – d.h. mit ihrem Annahmengefüge des harten Kerns vereinbar – sind. Wie in Abschnitt 4.3.2 gezeigt wurde, greifen zwar verschiedene kompetenzbasierte Ansätze auf den Begriff der Pfadabhängigkeit zurück, doch unter ihnen weist lediglich die CbTF erste Ansätze der Verwendung des Pfadabhängigkeitskonzeptes im hier verstandenen Sinne auf. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich in der Literatur kompetenzbasierter Forschung nahezu keine Hinweise auf Ursachen für positive Rückkopplungen finden.558 Um die zahlreichen wertvollen Vorarbeiten der Pfadforschung erschließen zu können, wird das folgende Vorgehen gewählt: Zunächst wird – strukturiert nach
558 Die wesentliche Ausnahme bildet der Hinweis bei Freiling/Gersch 2007, auf den in den Abschnitten
4.3.3.2 und 4.3.3.3 eingegangen wurde.
140
den primären Anwendungsbereichen der Pfadforschung – ein kurzer Überblick über die in der Literatur diskutierten Ursachen positiver Rückkopplungen gegeben. Darauf aufbauend werden die Ursachen, die mit der in den vorigen Abschnitten erarbeiteten pfadorientierten Perspektive der CbTF vereinbar sind, einzeln diskutiert. Betrachtet man die nachfolgend genannten, sich auf unterschiedliche Anwendungsbereiche beziehenden Beiträge der Pfadforschung, so fällt einerseits auf, dass die Ursachen, die in einem spezifischen Anwendungsbereich zu positiven Rückkopplungen führen können, teils von diesem abhängen. Andererseits wird durch den darauf folgenden anwendungsbereichsübergreifenden Vergleich deutlich, dass sich die hinsichtlich unterschiedlicher Anwendungsbereiche identifizierten Ursachen positiver Rückkopplungen in ihren Grundzügen ähneln und sich zu Gruppen zusammenfassen lassen.559 Auf Basis des anwendungsbereichsübergreifenden Vergleichs wird in den darauf folgenden Abschnitten ein Katalog an potenziellen Ursachen positiver Rückkopplungen erstellt, die mit dem Annahmengerüst der CbTF grundsätzlich vereinbar sind. Hierdurch soll erstens ein Beitrag zur Weiterentwicklung der CbTF hinsichtlich ihrer pfadorientierten Ausgestaltung geleistet werden.560 Zweitens bildet dieser 'CbTF-konforme Ursachenkatalog' die Basis für die Untersuchung pfadbezogener Aspekte im Kontext der Forschungsfrage in Kapitel 5. Die Verwendung des Katalogs für die Untersuchung zeitlicher Muster bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten bietet somit ein Beispiel dafür, wie sich die um eine konsistente Pfadperspektive erweiterte CbTF auf ein konkretes Explanandum anwenden lässt und sich dabei die potenziellen Ursachen positiver Rückkopplungen in einem bestimmten Kontext spezifizieren lassen.
559 Vgl. Abb. 4-5. 560 Vgl. Abschnitt 1.3.
141
4.3.4.2 Ursachen positiver Rückkopplungen in der Literatur der Pfadforschung Der folgende Überblick über die in der Pfadforschungsliteratur diskutierten Ursachen positiver Rückkopplungen dient dem Zweck, das Spektrum an bereits identifizierten potenziellen Ursachen für positive Rückkopplungen aufzuzeigen. Hierzu wird beispielhaft auf die Arbeiten wesentlicher Vertreter der Pfadforschung eingegangen.561 Nicht beabsichtigt ist eine erschöpfende Diskussion der zahlreichen Nuancen, die sich hinsichtlich der verwendeten Bezeichnungen und der konkreten Ausgestaltung einzelner Ursachen in den zahlreichen Beiträgen finden lassen. Die zu konstatierende Variantenvielfalt der Grundkonzepte ist dabei teils der eingangs erwähnten Ausrichtung auf den jeweils spezifischen Kontext geschuldet. Die in der Literatur diskutierten Vorschläge für Ursachen positiver Rückkopplungen basieren überwiegend auf der Betrachtung von Fallstudien.562 Während der folgende Überblick die identifizierten Vorschläge lediglich kurz skizziert und dabei etwaige inhaltliche Überschneidungen toleriert, erfolgt daran anschließend eine vertiefende kritische Diskussion der Vorschläge, die die zahlreichen Nennungen anwendungsbereichsübergreifend strukturiert.563 4.3.4.2.1 Positive Rückkopplungen im technologischen Bereich Dem technologischen
Anwendungsbereich
pfadorientierter
Forschung
ist
beispielsweise die bereits zitierte Arbeit von David zur QWERTY-Tastaturbelegung zuzuordnen.564 David identifiziert in diesem Zusammenhang die drei
561 Die Auswahl der je Anwendungsbereich genannten Arbeiten unterliegt somit einer gewissen Subjektivität
des Verfassers, die jedoch teils dadurch relativiert wird, dass es sich größtenteils um Arbeiten handelt, die innerhalb der Pfadforschung häufig zitiert werden. 562 Beispielsweise identifiziert David drei potenzielle Ursachen positiver Rückkopplungen anhand seiner
Fallstudie zur QWERTY-Tastatur (vgl. Abschnitt 4.3.4.2.1); Beiträge, die – wie z.B. Arthur 1988 – „Learning by Using“ als potenzielle Ursache anführen, beziehen sich verschiedentlich auf Rosenbergs Fallstudie zur Flugzeugbauindustrie (vgl. Rosenberg 1982), und im Zusammenhang mit indirekten Netzexternalitäten ist z.B. auf die VHS-Fallstudie von Cusumano/Mylonadis/Rosenbloom 1992 zu verweisen. 563 Die erstmalige Nennung der einzelnen Vorschläge erfolgt bewusst in der jeweiligen Originalsprache der Veröffentlichung (d.h. in Englisch oder in Deutsch), um dem Leser die Originalbezeichnungen offenzulegen und somit die Nachvollziehbarkeit der anschließenden vergleichenden Betrachtungen zu erhöhen. 564 David 1985.
142
folgenden Ursachen positiver Rückkopplungen:565 Economies of Scale, Quasiirreversibility of Investment und Technical Interrelatedness. Arthur (1988) betont hingegen die Bedeutung von Scale Economies in Production, Informational Increasing Returns, Learning by Using, Technological Interrelatedness und Network Externalities.566 In einer späteren Arbeit (1994) spricht er sich für eine Unterteilung der Ursachen in vier Gruppen aus, namentlich in Large Set-up or Fixed Costs, Learning Effects, Coordination Effects und Selfreinforcing Expectations.567 Farrell/Saloner führen hingegen Cost Savings, Interchangeability of Complementary Products und Ease of Communication an.568 Auf diesen Arbeiten basierend gelangt Ackermann zu der Ansicht, dass die folgenden vier Ursachen „als der 'harte Kern' angesehen werden können“569, der sich für den technologischen Anwendungsbereich ergibt: dynamische und statische Skalenerträge, Lerneffekte, Komplementarität der Bestandteile eines 'technologischen Systems' und direkte Netzexternalitäten.570 Neben diesen Beiträgen gibt es eine Vielzahl weiterer Arbeiten, die positive Rückkopplungen bezogen auf technologische Anwendungsbereiche diskutieren.571 Während die angeführten Arbeiten von David, Arthur, Farrell/Saloner und Ackermann als Beispiele für Arbeiten dienen, die innerhalb eines Beitrags auf mehrere verschiedene Ursachen positiver Rückkopplungen Bezug nehmen,
565 Vgl. David 1985, S. 334ff. 566 Vgl. Arthur 1988, S. 590f. 567 Vgl. Arthur 1994, S. 112. 568 Vgl. Farrell/Saloner 1986, S. 940. 569 Ackermann 2001, S. 58, Hervorhebung im Original. 570 Vgl. Ackermann 2001, S. 58, Hervorhebung im Original. An anderer Stelle verwendet er für die vier
angeführten Ursachen die Bezeichnungen Skalenerträge, technologische Systeme, 'Lernen' und Wahrnehmung, Komplementarität in technologischen Systemen und Netzexternalitäten (vgl. Ackermann 2001, S. 59ff., Hervorhebung im Original). 571 Z.B. Rosenberg 1982; Farrell/Saloner 1987; Katz/Shapiro 1985; Cowan 1990; Cusumano/Mylonadis/ Rosenbloom 1992.
143
konzentrieren sich andere Beiträge verstärkt darauf, einzelne Wirkungsmechanismen detailliert zu erklären.572 573
4.3.4.2.2 Positive Rückkopplungen im institutionellen Bereich
Ackermann bezeichnet North und David als die beiden wichtigsten Vertreter der Pfadforschung im institutionellen Bereich.574 North proklamiert für den institutionellen Bereich die grundsätzliche Übertragbarkeit der von Arthur im technologischen Bereich identifizierten Ursachen und unterscheidet in Initial Setup Costs, Learning Effects, Coordination Effects und Adaptive Expectations.575 David unterscheidet als Ursachen positiver Rückkopplungen im institutionellen Bereich Information Channels and Codes as 'Sunk' Organizational Capital, Interrelatedness, Complementaries and Precedents und Mutually Consistent Expectations and Coordination.576 Auf Basis der genannten Arbeiten von North und David kommt Ackermann auf die folgenden drei Ursachen positiver Rückkopplungen: Institutionelles Lernen und mentale Modelle, Komplementaritätseffekte und Koordinationseffekte.577 Wie zuvor North wählen auch Kiwit/Voigt die im technologischen Bereich diskutierten Ursachen als Ausgangspunkt für die Identifikation von Ursachen positiver Rückkopplungen im institutionellen Bereich.578 Anders als North
572 Hierunter fallen beispielsweise der Beitrag von Cusumano/Mylonadis/Rosenbloom 1992, der stark auf
indirekte Netzexternalitäten fokussiert, sowie der Beitrag von Katz/Shapiro 1985, der sich ebenfalls verstärkt mit Netzexternalitäten (direkten und indirekten) auseinandersetzt. 573 Aufgrund der Vielschichtigkeit des Begriffs Institution lassen sich dem hier betrachteten institutionellen Anwendungsbereich recht unterschiedliche Betrachtungsobjekte subsumieren. Kiwit/Voigt nennen einige Beispiele: „Sitten, Konventionen, Gesetze, Verträge, Schiedsgerichte, Supermärkte und der Preismechanismus: es scheint kaum ein Phänomen zu geben, das nicht unter den Begriff der Institution gefasst wird“ (vgl. Kiwit/Voigt 1995, S. 117). Somit ließen sich grundsätzlich auch betriebswirtschaftliche Betrachtungsobjekte hierunter fassen. Vor dem Hintergrund der betriebswirtschaftlichen Fragestellung der vorliegenden Arbeit erscheint es jedoch zweckmäßig, auf die im betriebswirtschaftlichen Bereich identifizierten Ursachen separat einzugehen. Daher werden diese im anschließenden Abschnitt 4.3.4.2.3 gesondert dargestellt. 574 Vgl. Ackermann 2001, S. 87; ähnlich auch Koch/Süß 2008, S. 15. 575 Vgl. North 1990, S. 95. 576 Vgl. David 1994, S. 209ff., Hervorhebung im Original. 577 Vgl. Ackermann 2001, S. 97ff. 578 Vgl. Kiwit/Voigt 1995, S. 129ff.
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kommen sie jedoch zu dem Ergebnis, dass für eine Übertragung auf den institutionellen Bereich zum Teil erhebliche Modifikationen der im technologischen Bereich identifizierten Ursachen erforderlich sind. Sie unterscheiden schließlich in spezifische Investitionen in Sachkapital, spezifische Investitionen in Humankapital, Netzwerkeffekte und kognitive Verankerung.579 Die Arbeiten von Ackermann, Kiwit/Voigt und weiteren Autoren berücksichtigend, extrahiert Schäcke für Institutionen die folgenden fünf positiven Rückkopplungsmechanismen: Koordinationseffekte, Investitionseffekte, Machteffekte, Lerneffekte und Komplementaritätseffekte.580 Auch im institutionellen Bereich findet sich neben den angeführten Beispielen eine Vielzahl weiterer Anwendungen des Konzeptes der Pfadabhängigkeit, die hinsichtlich der untersuchten Fragestellungen sehr stark untereinander variieren.581 4.3.4.2.3 Positive Rückkopplungen im betriebswirtschaftlichen Bereich Verglichen mit den zahlreichen pfadorientierten Arbeiten im technologischen und institutionellen Bereich ist die Anzahl der Beiträge, die das Pfadabhängigkeitskonzept auf betriebswirtschaftliche Fragestellungen anwenden, (noch) relativ gering.582 Eine Diskussion potenzieller Ursachen positiver Rückkopplungen wie sie in den Bereichen technologischer und institutioneller Fragestellungen zu konstatieren ist, fand – bezogen auf betriebswirtschaftliche Fragestellungen – bisher kaum statt. Zu den Ausnahmen gehört z.B. ein Beitrag von Ackermann, der die drei von ihm für den institutionellen Bereich identifizierten Ursachen positiver Rückkopplungen (weitgehend) übernimmt und im betriebswirtschaftlichen Kontext von
579 Vgl. Kiwit/Voigt 1995, S. 136. 580 Vgl. Schäcke 2006, S. 54. 581 Hierunter fallen beispielsweise die Arbeiten von Blankart/Knieps 1993; Thelen 1999; Mahoney 2000;
Pierson 2000 und Lindner 2003. 582 Als Beispiele lassen sich Garud/Karnoe 2001; Schreyögg/Sydow/Koch 2003; Ackermann 2003; Windeler
2003 und Schäcke 2006 anführen.
145
Koordinationseffekten, Komplementaritätseffekten sowie tradierten Denkweisen bzw. gemeinsamen mentalen Modellen spricht.583 Schreyögg/Sydow/Koch weisen ergänzend „ganz im Sinne der originären Theorie der Pfadabhängigkeit“584 auf die Berücksichtigung der Ressourcendimension hin, wobei sie insbesondere die Sunk-Costs sowie Machteffekte ansprechen.585 Mit dem Vorgehen von Ackermann vergleichbar überträgt Schäcke die von ihm selbst für den institutionellen Bereich identifizierten fünf Ursachen positiver Rückkopplungen auf den betriebswirtschaftlichen Bereich. Dabei kommt er jedoch – im Gegensatz zu Ackermann – zu dem Schluss, dass die Übertragung zwischen den Anwendungsbereichen einige Modifikationen in der konkreten Deutung der Ursachen erfordert und unterscheidet im betriebswirtschaftlichen Bereich Koordinationseffekte, Investitionseffekte, asymmetrische Machtverteilungen, Lerneffekte/mentale Modelle und Komplementaritätseffekte.586
583 Vgl. Ackermann 2003, S. 225. 584 Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 270. 585 Vgl. Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 270f. 586 Vgl. Schäcke 2006, S. 147.
146
4.3.4.2.4 Zusammenfassung der Vorarbeiten in den verschiedenen Anwendungsbereichen pfadorientierter Forschung Die vorangegangenen Abschnitte vermitteln einen Eindruck von den intensiven Vorarbeiten, die in den verschiedenen Anwendungsbereichen der pfadorientierten Forschung zur Identifikation potenzieller Ursachen für positive Rückkopplungen existieren. Die in den Abschnitten angeführten Beispiele sind in Abb. 4-5 zusammenfassend dargestellt. Hierbei wurden die von den verschiedenen Autoren identifizierten Ursachen – sowohl innerhalb der einzelnen Anwendungsbereiche als auch anwendungsbereichsübergreifend – vergleichend gegenübergestellt.587
587 Wie in den vorangegangenen Abschnitten deutlich wurde, sind die dargestellten Vorschläge der einzelnen
Autoren (meist) nicht vollkommen unabhängig voneinander entwickelt worden, sondern bauen teils aufeinander auf. Das Spektrum der von den genannten Autoren identifizierten Ursachen lässt sich anhand der in der Abb. 4-5 dargestellten Gruppen positiver Rückkopplungen recht vollständig abbilden (siehe Spaltenköpfe). Schwieriger gestaltet sich hingegen die exakte Zuordnung. Auf diese Schwierigkeit wird in der Abbildung in drei Fällen durch das Zeichen (*) hingewiesen, wobei die Zuordnungsschwierigkeit (in geringerem Maße) weitere Fälle betrifft. Bestehende vergleichende Überlegungen wurden bei der Erstellung der Abb. 4-5 mitberücksichtigt. Beispielsweise weist auch Ackermann auf die Ähnlichkeit der zugrunde liegenden Argumentation der Netzexternalitäten und der Koordinationseffekte hin (vgl. Ackermann 2001, S. 92f.).
147
Abb. 4-5: Überblick über potenzielle Ursachen positiver Rückkopplungen in der Pfadforschung
148 Lerneffekte
Ackermann 2001
"Technologische Systeme, Lernen und Wahrnehmung"
"Learning Effects"
"Informational Increasing Returns" und "Learning by Using"
"Quasi-irreversibility of Investment" (*)
"Investitionseffekte"
"Spezifische Investitionen in Sach- und Humankapital"
"Information Channels and Codes as 'Sunk' * Organizational Capital" (*)
"Quasi-irreversibility of Investment" (*)
Investitionseffekte
"Tradierte Denkweisen" bzw. "Gemeinsame mentale Modelle" "Tradierte Denkweisen" bzw. "Gemeinsame mentale Modelle" "Lerneffekte / mentale Modelle"
Ackermann 2003
Schreyögg/Sydow/ Koch 2003
Schäcke 2006
"Investitionseffekte"
"Berücksichtigung der Ressourcendimension"; "Sunk-Cost"
Beispiele aus dem betriebswirtschaftlichen Anwendungsbereich
"Lerneffekte"
Kiwit/Voigt 1995
Schäcke 2006
"Kognitive Verankerung"
"Learning Effects"
"Institutionelles Lernen und mentale Modelle"
"Initial Setup Costs"
Ackermann 2001
David 1994
North 1990
Beispiele aus dem institutionellen Anwendungsbereich
"Cost Savings"
"Large Set-up or Fixed Costs"
Arthur 1994
"Skalenerträge"
"Scale Economies in Production"
Arthur 1988
Farrell/Saloner 1986
"Economies of Scale"
David 1985
Beispiele aus dem technologischen Anwendungsbereich
Economies of Scale
"Komplementaritätseffekte"
"Komplementaritätseffekte"
"Komplementaritätseffekte"
"Komplementaritätseffekte"
"Komplementaritätseffekte"
"Interrelatedness, Complementaries and Precedents"
"Komplementarität in technologischen Systemen"
"Interchangeability of Complementary Products"
"Technological Interrelatedness"
"Technical Interrelatedness"
Komplementarität (bzw. indirekte Netzexternalitäten)
"Koordinationseffekte"
"Koordinationseffekte"
"Koordinationseffekte"
"Koordinationseffekte"
"Netzwerkeffekte"
"Koordinationseffekte"
- "Mutually Consistent * Expectations and Coordination" (*)
- "Information Channels and Codes as 'Sunk' * Organizational Capital" (*)
"Coordination Effects"
"Netzexternalitäten"
"Ease of Communication"
"Coordination Effects"
"Network Externalities"
Koordinationseffekte (bzw. Netzexternalitäten)
"asymmetrische Machtverteilungen"
"Machteffekte"
"Machteffekte"
Machteffekte
"Mutually Consistent Expectations and Coordination" (*)
"Adaptive Expectations"
"Self-reinforcing Expectations"
Erwartungen
Die bisherigen Ausführungen und der Überblick in Abb. 4-5 deuten auf einige für die anschließende Diskussion der einzelnen Ursachen wesentliche Aspekte hin, die vorab kurz zusammengefasst werden sollen: (a) Grundsätzlich ist Ackermann darin zuzustimmen, dass sich die von verschiedenen Autoren angeführten Ursachen positiver Rückkopplungen zum Teil voneinander unterscheiden und „die Verwendung der Begriffe […] uneinheitlich und nur teilweise überlappend“ ist.588 (b) Viele der identifizierten potenziellen Ursachen weisen jedoch anwendungsbereichsübergreifende Parallelen auf, so dass eine genauere Betrachtung der Ursachen dahingehend, ob sie auch bezogen auf den hier betrachteten Untersuchungsgegenstand von Bedeutung sind, grundsätzlich vielversprechend ist. (c) Das in der Pfadforschungsliteratur diskutierte Spektrum potenzieller Ursachen geht weit über die drei in der CbTF-Literatur angeführten Vorschläge Ackermanns hinaus. Aus dem Überblick in Abb. 4-5 wird somit nochmals deutlich, dass eine Beschränkung auf Ackermanns Auflistung positiver Rückkopplungen mit der Gefahr verbunden ist, diskussionswürdige Aspekte von vornherein auszuschließen.589 (d) Die strikte Unterteilung in verschiedene Ursachen erfolgt vornehmlich aus analytischen Zwecken. In der Praxis wird ein Sachverhalt – wie anhand des Untersuchungsgegenstands in Kapitel 5 noch auszuführen sein wird – oftmals mehrere der diskutierten Ursachen tangieren.590 Die nachfolgende Diskussion der einzelnen Selbstverstärkungseffekte weist gegenüber der Struktur in der Abb. 4-5 zwei Abweichungen auf. So erscheint es zweckmäßig, die in der Abb. 4-5 recht allgemein bezeichnete Kategorie der Lerneffekte dahingehend zu differenzieren, ob es sich im Einzelnen um anbieterseitige oder um nachfrageseitige Lerneffekte handelt. Wie noch zu sehen sein
588 Ackermann 2001, S. 57, vgl. ferner Fußnote 587. 589 Vgl. Abschnitt 4.3.3.3. 590 Vgl. auch Arthur 1988, S. 591.
149
wird, sind die Argumentationen hinsichtlich der damit verbundenen positiven Rückkopplungen recht unterschiedlich.591 Zudem weisen die anbieterseitigen Lerneffekte teilweise eine logische Nähe zu den Skaleneffekten auf.592 Daher werden im Folgenden die anbieterseitigen Lerneffekte im Zusammenhang mit den dynamischen Skaleneffekten diskutiert. In diesem Kontext ist kritisch anzumerken, dass sich anbieterseitige Lerneffekte jedoch keinesfalls – wie bei Ackermann dargestellt – allein auf dynamische Skaleneffekte beschränken.593 Die Diskussion der einzelnen Ursachen orientiert sich weitgehend an der folgenden Struktur: Zunächst wird die jeweilige potenzielle Ursache inklusive der Argumentation des verbundenen Selbstverstärkungseffekts unter Berücksichtigung ergänzender Quellen kurz dargestellt. Bezug nehmend auf die Annahmen des harten Kerns der CbTF wird anschließend darauf eingegangen, ob zentrale Annahmen, die der Darstellung des Effekts zugrunde liegen, eine Berücksichtigung im Rahmen einer auf die CbTF gestützten Betrachtung problematisch erscheinen lassen.594 Abschließend erfolgt jeweils ein kurzer Hinweis darauf, ob der Effekt in Kapitel 5 im Kontext der Forschungsfrage aufgegriffen und vertiefend diskutiert wird.
591 Vgl. die Abschnitte 4.3.4.3.1 und 4.3.4.3.2. 592 So unterscheidet Ackermann bezogen auf den technologischen Anwendungsbereich in statische und
dynamische Skalenerträge und erwähnt im Zusammenhang mit letzteren auch nachfrageseitige Lerneffekte (vgl. Ackermann 2001, S. 59f.). 593 Ackermann geht auf anbieterseitige Lerneffekte nur im Rahmen dynamischer Skalenerträge ein. Die bei ihm unter der Bezeichnung Technologische Systeme, Lernen und Wahrnehmung zusammengefassten Selbstverstärkungseffekte beziehen sich hingegen auf nachfrageseitige Lerneffekte (vgl. Ackermann 2001, S. 67ff.). 594 Auf eine jeweilig vollständige Wiederholung, welche Voraussetzungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, wird in Anbetracht der ausführlichen Diskussionen in Kapitel 3 und 4 hinsichtlich der Eignung und der Annahmen der CbTF verzichtet. Stattdessen wird auf potenziell problematische Aspekte fokussiert und das Fazit genannt, ob eine Berücksichtigung des Effekts im Rahmen der CbTF möglich ist.
150
4.3.4.3 Ursachen positiver Rückkopplungen aus Perspektive der CbTF 4.3.4.3.1 Skaleneffekte und anbieterseitige Lerneffekte Statische und dynamische Skaleneffekte Wie der Abb. 4-5 zu entnehmen ist, weisen mehrere Autoren auf Skaleneffekte als Ursache positiver Rückkopplungen hin. Dabei wird allgemein argumentiert, dass die bei steigender Ausbringungsmenge sinkenden Stückkosten zu Preissenkungspotenzialen führen, die (zum Teil) an die Nachfrager weitergegeben werden, wodurch sich die Nachfrage weiter erhöht.595 Folgt man der von Junius vorgenommenen Klassifizierung von Skaleneffekten, so lassen sich statische und dynamische Skaleneffekte voneinander unterscheiden.596 Statische Skaleneffekte sind hiernach vornehmlich auf Fixkostendegressionseffekte zurückzuführen.597 Dynamische Skaleneffekte, die auch als Lernkurveneffekte bezeichnet werden, beruhen hingegen darauf, dass mit kumulativ steigender Ausbringungsmenge Effizienzgewinne erzielt werden.598 Im Kontext dynamischer Skaleneffekte wird neben dem Preissenkungspotenzial verschiedentlich das Potenzial für Produktverbesserungen (z.B. Qualitätssteigerungen) angeführt.599 Die Selbstverstärkung kann bei Vorliegen dynamischer Skaleneffekte somit auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sein (insbesondere Preissenkungspotenziale und Produktverbesserungspotenziale). Werden die hiermit verbundenen Vorteile (zum Teil) an die Nachfrager weitergegeben – so die Argumentation des Selbstverstärkungseffekts –, kann dies zu einer weiteren Nachfrageerhöhung beitragen.
595 Vgl. z.B. Arthur 1988, S. 591; Arthur 1994, S. 112; Ackermann 2001, S. 59. Der Argumentation liegt die
Annahme zugrunde, dass die Nachfrage bei einer Verringerung des Preises steigt (negative Preiselastizität der Nachfrage). 596 Vgl. Junius 1997, S. 3ff. Des Weiteren unterscheidet Junius zwischen Skaleneffekten auf Unternehmungs-, Branchen- und Regionenebene (vgl. Junius 1997, S. 2ff.). 597 Als weitere Ursachen von statischen Skaleneffekten nennt Junius z.B. „technical-physical relationships“ und „economies of increased dimensions“ (vgl. Junius 1997, S. 5). 598 Vgl. Junius 1997, S. 3. Wie aus den folgenden Ausführungen hervorgeht, sind im betrachteten Kontext insbesondere die dynamischen Skaleneffekte relevant, so dass die Diskussion statischer Skaleneffekte, die in der Literatur insbesondere im Zusammenhang mit Sachleistungen bereits umfassend erfolgte, nicht vertiefend geführt wird. 599 Vgl. z.B. Ackermann 2001, S. 59 und die dort angeführte Literatur.
151
Über die dargestellten Rückkopplungen können Skaleneffekte zu einem sogenannten First-mover advantage führen, der sich zunehmend verstärkt.600 Ein solcher Vorteil ist dabei nicht nur auf Ebene der Einzelunternehmung, sondern beispielsweise auch auf Ebene ganzer Branchen und Technologien beobachtbar.601 Für die Analyse dynamischer Skaleneffekte ist ein Ansatz erforderlich, der es ermöglicht, zeitliche Aspekte und – hierauf aufbauend – Aspekte der Wissensakkumulation zu berücksichtigen. Die CbTF ist hierzu aufgrund ihrer Annahmen des harten Kerns und ihrer Kausalstruktur grundsätzlich in der Lage.602 In Anbetracht des Untersuchungsgegenstands der Arbeit ist im Zusammenhang mit dem Angebot von Sachleistungen, produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten zudem auf die Möglichkeit von Economies of Scope hinzuweisen.603 Diese können beispielsweise durch die gemeinsame Nutzung eines Vertriebsnetzes entstehen, wodurch sich die Stückkosten gegebenenfalls weiter reduzieren. Ähnliches gilt für Kosten, die im Zusammenhang mit dem Aufbau und der Pflege von Geschäftsbeziehungen entstehen. Anbieterseitige Lerneffekte Anbieterseitige Lerneffekte werden in der Literatur zur Pfadforschung hauptsächlich im Kontext dynamischer Skaleneffekte diskutiert, wobei stark auf (technolo-
600 Vgl. z.B. Ackermann 2001, S. 59; Schäcke 2007, S. 39. 601 Als prominentes und häufig zitiertes Beispiel sei Cowans Untersuchung zur Kernreaktortechnologie
angeführt, in der er die Dominanz von Leichtwasserreaktoren gegenüber anderen Technologien (insbesondere gasgekühlter Reaktoren) auf einen First-mover advantage zurückführt, der aufgrund starker dynamischer Skaleneffekte für konkurrierende Technologien nicht aufzuholen war (vgl. Cowan 1990). 602 Zur Bedeutung der Zeit im Rahmen der Annahmen des harten Kerns der CbTF vgl. Abschnitt 4.2.1.3. Zur Berücksichtigung von Akkumulationseffekten im Rahmen der Kausalstruktur, vgl. z.B. die Ausführungen zum Könnenhaben und Habenkönnen in Anlehnung an Ortmann (z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 51ff.). Auch auf den Zusammenhang einer dynamischen Betrachtung und der Berücksichtigung von Akkumulationseffekten wird in der CbTF-Literatur explizit hingewiesen. So stellen beispielsweise Freiling/Gersch/Goeke fest: „Time matters, in many ways, and causes accumulation effects that are institution-specific“ (vgl. Freiling/Gersch/Goeke 2008, S. 1160). 603 Auch Junius 1997 geht in seiner Untersuchung der empirischen Literatur zu Economies of Scale eingangs auf Economies of Scope ein und betrachtet sie mit. Aufgrund der in der Praxis häufig schwierigen Differenzierung zwischen Economies of Scale und Economies of Scope fasst er vereinfachend beide Effekte zusammen, indem er seiner Untersuchung die Annahme von Ein-Produkt-Unternehmungen zugrunde legt. Da es in der vorliegenden Arbeit jedoch explizit um das Angebot verschiedener Leistungen (bzw. Leistungsarten) geht, erscheint der Hinweis auf Economies of Scope ungeachtet der in der Praxis schwierigen Abgrenzung zu Economies of Scale relevant.
152
gische) Lernaspekte im Produktionsprozess von Sachleistungen fokussiert wird.604 Hiervon abzugrenzen – aber ebenfalls (weitgehend) auf technologische Lerninhalte fokussierend – sind Beiträge, die positive Rückkopplungen auf 'Learning by Using' zurückführen.605 Hierbei wird argumentiert, dass einige technologische Verbesserungen (insbesondere im Kontext hochgradig komplexer Leistungen wie sie beispielsweise im Flugzeug- oder im Kraftwerkbau zu beobachten sind) erst durch die Nutzung der produzierten Leistung und die hierbei gewonnenen Erfahrungen ermöglicht werden.606 Obgleich in den genannten Beiträgen nicht näher darauf eingegangen wird, wie das 'Learning by Using' in die Entwicklung und Produktion späterer Leistungen eingeht, wird in den entsprechenden Ausführungen deutlich, dass im Falle des 'Learning by Using' wie auch im oben dargestellten Fall dynamischer Skaleneffekte „technological improvements“607 bzw. produktionsbezogene Aspekte im Fokus der Betrachtung stehen. Die Argumentation der Rückkopplungseffekte im Falle des 'Learning by Using' ist dabei die folgende: Je mehr eine Technologie genutzt wird, desto mehr wird über diese gelernt. Infolgedessen kommt es zu weiteren technologischen Verbesserungen, die wiederum zu einer Nachfrageerhöhung beitragen können.608 Doch mit der Betrachtung dynamischer Skaleneffekte und 'Learning by Using' erscheint das Feld anbieterseitiger Lerneffekte keinesfalls umfassend abgedeckt. So sind anbieterseitige Lerneffekte nicht nur in Forschung und Produktion, sondern grundsätzlich auch in weiteren funktionalen Bereichen möglich und müssen sich zudem keinesfalls auf technologische Aspekte beschränken.
604 Vgl. z.B. Ackermann 2001, S. 59, FN 9 unter Verweis auf Maggi 1993, S. 115: „experience in production
affects not only the cost but also the quality of the products, and in general the technological capabilities of the firm (industry).“ 605 Vgl. z.B. Arthur 1988, S. 591 unter Verweis auf Rosenberg, der zwischen Learning by Using und dynamischen Skaleneffekten differenziert (vgl. insbesondere Rosenberg 1982, S. 121 und S. 125). 606 Somit findet das Learning by Using genau genommen nicht originär beim Hersteller, sondern beim Nutzer statt. Da jedoch die Argumentation des einhergehenden Rückkopplungseffekts Parallelen zum Rückkopplungseffekt im Falle anbieterseitigen Lernens aufweist und die Selbstverstärkung im Falle des Learning by Using zudem nur dann auftritt, wenn auch der Hersteller von dem „Gelernten“ Kenntnis erlangt, erfolgt hier die Betrachtung des Learning by Using gemeinsam mit den „originär“ anbieterseitigen Lerneffekten. 607 Rosenberg 1982, S. 135. 608 Vgl. z.B. Arthur 1988, S. 591.
153
Beispielsweise ist es denkbar, dass Unternehmungen im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit Wissen über einzelne Kunden (z.B. über deren Anforderungen und deren Geschäftsgebaren) sowie über einzelne Marktsegmente und Märkte (z.B. über Markttrends) akkumulieren.609 Gerade im Internationalisierungskontext kann derartigen anbieterseitigen Lerneffekten eine erhebliche Bedeutung zukommen.610 Ein besseres Kunden- bzw. Markt(segement)verständnis kann dabei – ähnlich wie im Falle dynamischer Skaleneffekte im Kontext technologischen Lernens – sowohl zu einer Kostenverringerung (beispielsweise durch verbesserte Kapazitätsplanung) als auch zu einer optimierten Ausrichtung an den (besser verstandenen) Kundenbedürfnissen beitragen und infolgedessen zu einer Nachfrageerhöhung führen. Die Analyse anbieterseitiger Lerneffekte als Ursache positiver Rückkopplungen erfordert ein Explanans, das in der Lage ist, Lernaspekte im Zeitablauf zu erfassen. Zudem deuten die Ausführungen sowohl zum 'Learning by Using' als auch zur Bedeutung des Kunden- bzw. des Markt(segment)verständnisses darauf hin, dass das Explanans in der Lage sein sollte, über eine reine Innenperspektive der Unternehmung hinausgehend, auch deren Umwelt mitzuerfassen. Die obigen Ausführungen zu den Annahmen des harten Kerns der CbTF sowie zu ihrer Kausalstruktur zeigen, dass die CbTF diesen Anforderungen gerecht wird und für die Untersuchung anbieterseitiger Lerneffekte grundsätzlich geeignet ist.611 Im Kontext der Forschungsfrage kommt den anbieterseitigen Lerneffekten vor dem Hintergrund des in Kapitel 2 genannten Informationspotenzials produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte eine erhebliche Bedeutung zu. Da die Skaleneffekte und anbieterseitigen Lerneffekte – wie die Ausführungen im vorliegenden Abschnitt gezeigt haben – nicht streng voneinander trennbar sind, wird auf die genannten Effekte in Abschnitt 5.1.3.1 gemeinsam einzugehen sein.
609 Für eine detaillierte Darstellung marktspezifischen Wissens auf den genannten Dispositionsebenen vgl.
Abschnitt 2.2.2. 610 Vgl. z.B. Meffert 2000, S. 504ff. 611 Zu den Annahmen des harten Kerns und der Kausalstruktur der CbTF vgl. die Abschnitte 4.2.1 und 4.2.3.
154
4.3.4.3.2 Nachfrageseitige Lerneffekte Eine detaillierte Analyse nachfrageseitiger Lerneffekte als Ursache positiver Rückkopplungen erfolgt beispielsweise bei Arthur/Lane.612 Die Autoren fokussieren in ihrer Untersuchung auf „technically-based products“613 und betonen, dass der Kauf einer solchen Leistung auf Seiten der Nachfrager mit beträchtlichen Unsicherheiten verbunden ist.614 Die Unsicherheiten führen dazu – so die Autoren weiter – dass sich potenzielle Käufer vor dem Kauf bei bisherigen Nutzern der Leistung (z.B. einer Maschine) über deren Einschätzung der Leistung erkundigen und deren Urteil bei ihrer eigenen Kaufentscheidung berücksichtigen. Mit zunehmender Verbreitung einer Leistung im Markt (d.h. mit zunehmender Marktdurchdringung) steigt dabei die Chance, dass sich potenzielle Käufer bei bisherigen Nutzern über deren Erfahrungen mit der fraglichen Leistung informieren können, so dass es zu Selbstverstärkungseffekten kommt.615 Die Betrachtung des von Arthur/Lane dargestellten Effekts erfordert – neben der passim angeführten Möglichkeit der Berücksichtigung zeitlicher Entwicklungen – insbesondere die Erfassung der Unsicherheit potenzieller Käufer als zentrale Annahme der Argumentation von Arthur/Lane. Die CbTF ist aufgrund ihrer Annahme der radikalen Unsicherheit in der Lage, diesen für die Argumentation wesentlichen Aspekt zu berücksichtigen.616 Die Analyse nachfrageseitiger Lerneffekte scheint somit grundsätzlich im Rahmen der CbTF möglich. Unterstellt man – gemäß der Annahmen des harten Kerns der CbTF – zudem die Möglichkeit, dass die handelnden Akteure (in eingeschränktem Maße) Einfluss
612 Vgl. Arthur/Lane 1993 und 1994. Eine Diskussion nutzerseitiger Lerneffekte erfolgt zudem bei David
1985 im Rahmen seiner Untersuchung zur QWERTY-Tastaturbelegung. Wie mehrere Autoren darstellen, weisen Davids Ausführungen jedoch nicht auf positive Rückkopplungen, sondern lediglich auf die mit hohen Wechselkosten verbundene Inflexibilität bisheriger Nutzer hin, so dass hierauf nicht näher eingegangen werden soll (für eine ausführlichere Darstellung vgl. z.B. Ackermann 2001 S. 67f.; Schäcke 2006, S. 42). 613 Arthur/Lane 1994, S. 81. 614 Die zentrale Voraussetzung der beträchtlichen Unsicherheiten, die Arthur/Lane ihren Ausführungen zugrunde legen, passt grundsätzlich gut zu den Leistungen, die von den in der vorliegenden Arbeit betrachteten Maschinenbauunternehmungen erbracht werden (vgl. hierzu z.B. die Ausführungen zum Diffusionspotenzial produktbegleitender Dienstleistungen in Abschnitt 2.1.3.3). 615 Vgl. Arthur/Lane 1993, S. 81f. 616 Zur Annahme der radikalen Unsicherheit vgl. Abschnitt 4.2.1.4.
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auf ihre Umwelt nehmen können,617 so ergibt sich aus Anbieterperspektive die naheliegende Frage, wie man als Anbieter mit dem dargestellten und von Arthur/ Lane als information contagion bezeichneten Phänomen möglicherweise umgehen sollte. Hierauf wird in Abschnitt 5.1.3.2 näher eingegangen. 4.3.4.3.3 Investitionseffekte In Abschnitt 4.3.2 wurde auf die erhebliche Bedeutung eingegangen, die der Ressourcenbetrachtung insbesondere im betriebswirtschaftlichen Anwendungsbereich pfadorientierter Forschung beizumessen ist.618 So wird in einigen Beiträgen der Pfadforschung hervorgehoben, dass Investitionen in Ressourcen zu positiven Rückkopplungen führen können.619 Schäcke verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff der Investitionseffekte. Hierzu sei angemerkt, dass der Arbeit von Schäcke ein weiter gefasstes Ressourcenverständnis zugrunde liegt als jenes, das im Rahmen der CbTF und somit im Rahmen der vorliegenden Arbeit verwendet wird.620 Im Anschluss an die Darstellung der Investitionseffekte als Ursache positiver Rückkopplungen wird daher zu klären sein, ob das unterschiedliche Verständnis des Ressourcenbegriffs Auswirkungen auf die Betrachtung der Investitionseffekte im weiteren Verlauf der Arbeit hat. Die Erklärung positiver Rückkopplungen aufgrund von Investitionen basiert auf der zentralen Annahme, dass die Investitionen eine noch näher zu betrachtende Verwendungsspezifität aufweisen, so dass sich die investierende Unternehmung mit ihrer Investition in bestimmter Weise festlegt.621 Damit es auf Grundlage
617 Vgl. die Ausführungen zum gemäßigten Voluntarismus in Abschnitt 4.2.1.6 sowie zur vorgenommenen
Positionierung hinsichtlich der Beeinflussbarkeit pfadbezogener Prozesse in Abschnitt 4.3.3.3. 618 Vgl. auch Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 270; Windeler 2003, S. 314ff.; Schäcke 2006, S. 124. 619 Vgl. z.B. Kiwit/Voigt 1995, S. 131ff; Schäcke 2006, S. 110. 620 Schäcke verwendet den Ressourcenbegriff von Barney, der Ressourcen definiert als „all assets,
capabilities, organizational processes, firm attributes, information, knowledge, etc. controlled by a firm that enable the firm to conceive of and implement strategies that improve efficiency and effectiveness.“ (Schäcke 2006, S. 127 mit Verweis auf Barney 1991, S. 101). Für eine kritische Stellungnahme zu diesem Begriffsverständnis vgl. z.B. Freiling 2001a, S. 19. 621 Vgl. z.B. Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 270; Schäcke 2006, S. 228. In diesem Zusammenhang wird verschiedentlich der Begriff der Sunk Costs angeführt (vgl. Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 270; Schäcke 2006, S. 56). Zur Entscheidungsrelevanz von Sunk Costs vgl. auch Schneider, der anmerkt: „In nicht-evolutorischen Theorien gilt das frühere als erledigt (z.B. werden Sunk Costs darin als nicht entscheidungsrelevant betrachtet, was keineswegs immer stimmt (vgl. R., S. 419f.) [RW: Schneider
156
dieser verwendungsspezifischen Investition zu positiven Rückkopplungen kommen kann, ist es zudem erforderlich, dass die Investition zu Folgeinvestitionen führt: Zwar ändert sich das (derzeitige und zukünftige) Handlungsvermögen der Unternehmung bereits durch die Durchführung einer (verwendungsspezifischen) Investition, doch hierauf basierende, sich selbstverstärkende Effekte können erst dann auftreten, wenn mit der getätigten Investition weitere zukünftige Investitionen verbunden sind.622 Balmann/Odening/Weikard/Brandes verdeutlichen dies anhand eines Modells, in dem sie zeigen, wie zuvor getätigte Investitionen Folgeinvestitionen beeinflussen können.623 Dabei heben die Autoren hervor, dass den hier dargestellten Investitionseffekten eine deutlich andere Argumentation zugrunde liegt als den positiven Rückkopplungen, die auf Economies of Scale zurückzuführen sind.624 Schäcke stellt die selbstverstärkende Wirkung im Rahmen von Investitionseffekten am Beispiel eines IT-Systems dar und kommt zu dem Schluss, dass selbstverstärkende Investitionseffekte grundsätzlich „für jede Art von Investition“ denkbar sind.625 An anderer Stelle unterscheidet er zwischen materiellen und immateriellen Ressourcen und verweist für eine konkretere Differenzierung auf Burmann, der in einer empirischen Untersuchung neben sachlich-materiellen und finanziellen Ressourcen unter anderem auch Kundenbeziehungen und Markt-Know-how als Ressourcenkategorien anführt.626 Nach dieser kurzen Darstellung und der beispielhaften Nennung einiger Ressourcen sei auf die obige Anmerkung über das unterschiedliche Verständnis des Ressourcenbegriffs zurückgekommen. Diesbezüglich ist zu konstatieren, dass der oben dargestellte Effekt in dem Begriffsverständnis der CbTF nicht auf Ressourcen beschränkt ist, sondern grundsätzlich auch bei Investitionen in Inputgüter und 1997b, S. 419f.]. Für evolutorische Theorien trifft das Gegenteil zu: „history matters“ (Teece/Rumelt/ Dosi/Winter).“ (Schneider 1997a, S. 42, Hervorhebung im Original). 622 Vgl. Schreyögg/Sydow/Koch, die darauf hinweisen, dass nicht jede (verwendungsspezifische) Investition zu positiven Rückkopplungen führen muss (vgl. Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 270); ähnlich argumentiert Schäcke, der im Kontext verwendungsspezifischer Investitionen von einer „notwendige[n], aber nicht hinreichende[n] Bedingung“ für das Zustandekommen positiver Rückkopplungen spricht (vgl. Schäcke 2006, S. 228). 623 Vgl. Balmann/Odening/Weikard/Brandes 1996, S. 159ff. 624 Vgl. ebd. 625 Er bekräftigt dies mit der Feststellung, dass sich „diese Einschätzung […] mit den Ansichten vieler […] Arbeiten zur Pfadabhängigkeit [deckt]“ (Schäcke 2006, S. 146). 626 Vgl. Schäcke 2006, S. 127 mit Verweis auf Burmann 2002, S. 322ff.
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die Veredelung von Inputgütern und Ressourcen zu Kompetenzen denkbar ist.627 Allerdings sei hinsichtlich der Inputgüter nochmals explizit angemerkt, dass Investitionseffekte nur dann auftreten können, wenn sich eine Unternehmung mit einer Investition in bestimmter Weise festlegt. Sofern eine Unternehmung 'prinzipiell marktgängige' Inputgüter verlustfrei veräußern könnte, ist mit deren Erwerb bzw. deren Erstellung für die Unternehmung keine Festlegung verbunden. Bevor im folgenden Abschnitt auf die nächste der aus der Pfadforschungsliteratur ableitbaren Ursachen positiver Rückkopplungen eingegangen wird, soll an dieser Stelle auf Ghemawats Überlegungen zu Lock-in- und Lock-out-Effekten hingewiesen werden, die eine deutliche inhaltliche Nähe zu den hier diskutierten Investitionseffekten aufweisen, obgleich sie weitgehend unabhängig von den bislang zitierten Beiträgen der Pfadforschung entwickelt wurden. Nicht zuletzt aufgrund ihrer unabhängigen Herleitung stellen die Ausführungen Ghemawats eine wertvolle Bereicherung der hier geführten Diskussion dar.628 Lock-in-Effekte Ghemawat versteht unter einem Lock-in die Situation, dass eine Unternehmung über Inputgüter bzw. Ressourcen verfügt, die sich durch Langlebigkeit, ein hohes Maß an Verwendungsspezifität sowie weitgehende Unverkäuflichkeit auszeichnen.629 Inputgüter bzw. Ressourcen, die sich mit diesen Eigenschaften charakterisieren lassen, bezeichnet Ghemawat als sticky factors, da ihr Eigner aufgrund der genannten Eigenschaften stark in seinem Handlungsspielraum eingeschränkt wird und „faktisch gezwungen […] [ist, die sticky factors] auch weiterhin zu nut-
627 Die Definition der hier verwendeten Begriffe Inputgüter, Ressourcen und Kompetenzen erfolgte in
Abschnitt 4.2.2. 628 Ghemawat diskutiert Lock-in- und Lock-out-Effekte als Ursachen für das Entstehen organisationalen
Commitments (vgl. Ghemawat 1991, S. 17ff.; für eine Darstellung des von Ghemawat verwendeten Commitment-Begriffs vgl. insbesondere Ghemawat 1991, S. 14f.). Daneben nennt er als weitere Ursachen Lags und Inertien, deren mangelnde Trennschärfe und unterschiedliche Betrachtungsebenen zu Kritik veranlassen (vgl. Freiling 2001a, S. 155ff.; Freiling 2001b, S. 149ff.). Lags und Inertien sind – unter Beachtung der genannten Kritik – im Rahmen der allgemeinen Feststellung anzuführen, dass „history matters“ (vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 21). Sie führen aber nicht zu positiven Rückkopplungen im hier betrachteten Sinne. 629 Vgl. Ghemawat 1991, S. 17ff.; zudem Freiling 2001a, S. 155f.
158
zen.“630 Zur Illustration, welche Inputgüter bzw. Ressourcen als sticky factors vornehmlich in Betracht kommen, konkretisiert Ghemawat: „The theory of market failures predicts, and the evidence tends to confirm, that intangible factors (e.g., relationships and information) are typically less tradeable, and in that sense stickier, than tangible factors (e.g., plant, physical property and equipment).“631 Lock-out-Effekte Hinsichtlich der Lock-out-Effekte weist Ghemawat insbesondere auf Desinvestitionsentscheidungen hin, die sich im Nachhinein gar nicht oder nur teilweise rückgängig machen lassen.632 Freiling konkretisiert in diesem Zusammenhang, dass der mit einer Desinvestition verbundene Eingriff in das Inputnetzwerk einer Unternehmung negative Auswirkungen auf Prozesse der Ressourcen- und Kompetenzentwicklung zur Folge haben kann.633 Neben aktiven Desinvestitionsentscheidungen können Lock-out-Effekte auch daraus resultieren, dass eine Unternehmung inaktiv bleibt und eine mögliche Investition unterlässt. So fasst Ghemawat zusammen: „[…] shifting into reverse or staying in neutral can compel just as much commitment as pressing forward with investment.“634 Freiling führt hierzu
ergänzend
aus,
dass
Lock-out-Effekte
neben
Desinvestitionsent-
scheidungen auch auf unzureichende Ressourcenakkumulationseffekte oder auf die Knappheit an Inputgütern zurückzuführen sein können.635 Hinsichtlich der Charakterisierung der Inputgüter bzw. Ressourcen, mit denen Lock-out-Effekte am ehesten verbunden sein können, merkt Ghemawat Folgendes an: „Lock-out, like lock-in, looms largest as a source of dynamic constraint in relation to factors that are not traded on well-functioning markets.“636 So lassen sich auch im Kontext der Lock-out-Effekte Kundenbeziehungen und Informa-
630 Freiling 2001a, S. 156. 631 Ghemawat 1991, S. 18, Hervorhebung hinzugefügt. 632 Vgl. Ghemawat 1991, S. 19ff.; vgl. zudem die Feststellung der Irreversibilität von Entwicklungen und
Entscheidungen im Rahmen der Annahmen des harten Kerns in Abschnitt 4.2.1.3 sowie z.B. Gersch/ Freiling/Goeke 2005, S. 20; Freiling 2001b, S. 150; Freiling 2001a, S. 156. 633 Vgl. Freiling 2001a, S. 156f.; Freiling 2001b, S. 150. 634 Ghemawat 1991, S. 21. 635 Vgl. Freiling 2001b, S. 226, Abb. 8 und S. 230f. 636 Ghemawat 1991, S. 21.
159
tionen als Beispiele anführen, auf deren eingeschränkte Marktfähigkeit Ghemawat im Kontext der Lock-in-Effekte hinweist. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Ghemawats Ausführungen zu Lock-inund Lock-out-Effekten die auf Beiträgen der Pfadforschung basierende Diskussion der Investitionseffekte ergänzt und um interessante Einsichten bereichert. Während die Gedanken zu den Lock-in-Effekten mit den bisherigen Ausführungen weitgehend vergleichbar sind, bietet insbesondere die Diskussion der Lock-out-Effekte eine neue Perspektive. Positiv anzumerken ist zudem, dass sich die von Ghemawat geführte Diskussion auf die in der Pfadforschung tendenziell (noch) unterrepräsentierte Betrachtungsebene der Unternehmung bezieht.637 Während Burmanns explizite Erwähnung von Markt-Know-how und Kundenbeziehungen als separate Ressourcenkategorien bereits auf deren Bedeutung im Rahmen einer ressourcenorientierten Betrachtung hindeutet, zeigen Ghemawats Ausführungen zu Lock-in- und Lock-out-Effekten einmal mehr, dass Informationen und Kundenbeziehungen im Kontext der Investitionseffekte eine wesentliche Rolle spielen können. Auf die genannten Ressourcenkategorien wird in Abschnitt 5.1.3.3 im Zusammenhang mit dem Informationspotenzial und dem Kundenbindungspotenzial produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte detailliert eingegangen. 4.3.4.3.4 Komplementaritätseffekte Komplementaritätseffekte werden – in unterschiedlicher Ausgestaltung und unter verschiedenen Bezeichnungen – in allen drei angeführten Anwendungsbereichen der Pfadforschung als Ursache positiver Rückkopplungen angeführt. Hierzu zählen beispielsweise die „Technical Interrelatedness“ zwischen der QWERTYTastatur und den Schreibfertigkeiten der Anwender,638 die „Interchangeability of Complementary Products“ etwa im Falle von Computersoftware, Videokassetten
637 Zu dieser Einschätzung vgl. Abschnitt 4.3.4.2.3. 638 Vgl. David 1985, S. 334.
160
oder Kameralinsen,639 die Komplementarität von Institutionen640 sowie die Komplementaritätseffekte, die Schäcke zur Erklärung von Widerständen in Unternehmungen heranzieht.641 Die Untersuchung von Komplementaritätseffekten erfordert keine Annahmen, die der Kausalstruktur der CbTF zuwiderlaufen, so dass die Untersuchung von Komplementaritätseffekten im Rahmen der CbTF grundsätzlich erfolgen kann. So ist etwa für die Betrachtung der von Schäcke diskutierten Komplementaritätseffekte innerhalb einer Unternehmung eine theoretische Basis erforderlich, die die Abbildung einzelner Elemente einer Unternehmung ermöglicht. Die Kausalstruktur der CbTF, die zwischen verschiedenen Systembestandteilen einer Unternehmung differenziert und dabei die Bedeutung der Kombination von Inputgütern, Ressourcen und Kompetenzen zu unternehmungsindividuellen „Inputgüter-, Ressourcen- und Kompetenzgefügen“642 hervorhebt, bietet diesbezüglich eine geeignete Grundlage. Darüber hinaus beschränkt sich die CbTF nicht auf die Betrachtung unternehmungsinterner Faktoren, sondern bezieht – ganz im Sinne des Open System View nach Sanchez/Heene – auch unternehmungsexterne Faktoren ein, indem sie Austauschbeziehungen einer Unternehmung mit ihrer Umwelt berücksichtigt, wobei die Bedeutung der Kombination und Ergänzung der unternehmungsinternen Ressourcen und Kompetenzen mit sogenannten „firmaddressable resources“ betont wird.643 Dank dieser ganzheitlichen Perspektive ist es somit grundsätzlich möglich, auch Komplementaritätseffekte zwischen unternehmungsinternen und -externen Faktoren im Rahmen der CbTF zu betrachten. Hinsichtlich des Untersuchungsgegenstands der vorliegenden Arbeit ist zu konstatieren, dass die Komplementarität zwischen Sachleistung und produktbegleitenden Dienstleistungen (bzw. zwischen den Sach- und Dienstleistungsbestandteilen eines hybriden Produkts) als potenzielle Ursache positiver Rück-
639 Vgl. Farrell/Saloner 1986, S. 940. 640 Vgl. Ackermann 2001, S. 96 unter Verweis auf David 1994. 641 Vgl. Schäcke 2006, S. 313. 642 Vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 44ff. 643 Vgl. Abschnitt 4.2.3, zudem z.B. Freiling 2004a, S. 32 mit Verweis auf Sanchez/Heene 1997.
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kopplungen zu diskutieren ist. Hierauf wird vertiefend in Abschnitt 5.1.3.4 eingegangen. 4.3.4.3.5 Koordinationseffekte Auch Koordinationseffekte werden in den drei angeführten Anwendungsbereichen – zwar unter verschiedenen Bezeichnungen, aber mit durchaus vergleichbarer Argumentation – als Ursache positiver Rückkopplungen angeführt. Als Paradebeispiel im technologischen Anwendungsbereich können Kommunikationstechnologien wie etwa das Telefon gesehen werden.644 Der bei diesen Technologien wirkende Selbstverstärkungseffekt ist darauf zurückzuführen, dass der Nutzen der Anwender einer Technologie mit der Anzahl weiterer Anwender steigt.645 So ist der Nutzen eines Telefons – um bei dem Beispiel zu bleiben – für einen Anwender umso größer, je mehr Personen er mit dieser Technologie erreichen kann.646 Übertragen auf den institutionellen Bereich bedeutet das Vorliegen von Koordinationseffekten, dass es für den einzelnen Akteur von zunehmend großem Vorteil ist, eine Regel zu befolgen, je größer die Anzahl derjenigen ist, die dieser Regel ebenfalls Folge leisten.647 Sehr anschaulich lässt sich dies am Beispiel von Verkehrsregeln illustrieren: So ist es für den einzelnen Verkehrsteilnehmer beispielsweise umso vorteilhafter, auf der rechten Straßenseite zu fahren, je mehr andere Verkehrsteilnehmer sich ebenfalls nach dieser Regel richten.648 Ackermann kommt zu dem Schluss, dass die Wirkung vieler Institutionen mit der von technologischen Standards vergleichbar ist, da sie „den Kommunikationsaspekt menschlichen Handelns in der Gesellschaft 'standardisieren'“.649 Ähnlich
644 Vgl. z.B. Katz/Shapiro 1985, S. 424. Als weitere Beispiele führen sie „Telex, data networks, and over-
the-phone facsimile equipment“ an (ebd.). 645 Zum Teil wird in diesem Zusammenhang der Begriff der direkten Netzexternalitäten verwendet. Von
indirekten Netzexternalitäten wird hingegen zuweilen im Zusammenhang mit den zuvor dargestellten Komplementaritätseffekten gesprochen (vgl. z.B. Ackermann 2001, S. 62f.). 646 Vgl. z.B. Katz/Shapiro 1985, S. 424. 647 Vgl. z.B. Kiwit/Voigt 1995, S. 132. 648 Vgl. z.B. Ackermann 2001, S. 99ff. Ein weiteres häufig hervorgebrachtes Beispiel ist die Befolgung von Vorfahrtsregeln (vgl. z.B. Sugden 1986, S. 41ff.; Ackermann 2001, S. 112f.; Schäcke 2006, S. 55). 649 Ackermann 2001, S. 92, Hervorhebung im Original.
162
argumentiert Schäcke, der die Betrachtung von Koordinationseffekten auf den betriebswirtschaftlichen Bereich überträgt.650 Auch Koordinationseffekte lassen sich im Rahmen der CbTF grundsätzlich berücksichtigen. Hinzuweisen ist in diesem Kontext auf die Vereinbarkeit der Annahme des methodologischen Individualismus651 mit der den obigen Ausführungen zugrunde liegenden Betrachtungsebene, nach der sich die Vorteile standardkonformen Handelns auf den einzelnen Akteur – und nicht etwa auf die Gesamtheit aller Akteure – beziehen.652 Bezogen auf den Kontext der Forschungsfrage können durch Koordinationseffekte verursachte positive Rückkopplungen insbesondere im Zusammenhang mit der Ausgestaltung des Servicenetzes auftreten. Hierauf wird in Abschnitt 5.1.3.5 eingegangen. 4.3.4.3.6 Machteffekte Machteffekte werden in der Literatur zur pfadorientierten Forschung nur vereinzelt und nur im Kontext bestimmter Fragestellungen als potenzielle Ursache positiver Rückkopplungen angeführt653 und spielen somit im Rahmen der Pfadforschung nur eine untergeordnete Rolle. Schreyögg/Sydow/Koch weisen darauf hin, dass „sich die typische Erklärung von Stabilität durch Machteinflüsse deutlich von der Erklärung durch Pfadabhängigkeit unterscheidet.“654 Wie Schäckes Analyse von Widerständen bei Reorganisationsprojekten zeigt, sind
650 Vgl. Schäcke 2006, S. 205ff. 651 Vgl. Abschnitt 4.2.1.1. 652 Die zugrunde gelegte Betrachtungsebene des Individuums zeigt sich besonders deutlich in dem folgenden
Zitat von Kiwit/Voigt: „Je mehr Individuen eine Regel befolgen, desto mehr Vorteile verschafft es mir, diese Regel ebenfalls zu befolgen. Entscheidend ist demnach nicht, ob es für die Gesellschaft als Ganzes umso vorteilhafter ist, je mehr Individuen einer Regel folgen, sondern ausschließlich, wie sich der Sachverhalt aus der Sicht des Individuums darstellt“ (Kiwit/Voigt 1995, S. 132). 653 So wird Macht vornehmlich in pfadorientierten Arbeiten zu Fragestellungen aus der Politikwissenschaft diskutiert (vgl. z.B. Pierson 2000, S. 251ff.; Lindner 2003, S. 912ff.). Ferner verwendet Schäcke Machteffekte im Rahmen seiner Ursachenforschung über Widerstände bei Reorganisationsprojekten (vgl. Schäcke 2006, S. 234ff.). 654 Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 271. Ähnlich auch Ackermann, der die Berücksichtigung von Macht im Kontext pfadorientierter Forschung jedoch zusätzlich aufgrund seines emergenten Verständnisses der Pfadabhängigkeit strikt ablehnt (vgl. Ackermann 2001, S. 45ff.; zur Diskussion des emergenten Verständnisses von Ackermann vgl. Abschnitt 4.3.1.5).
163
jedoch grundsätzlich auch im betriebswirtschaftlichen Anwendungsbereich Beispiele denkbar, bei denen eine pfadorientierte Sichtweise, die asymmetrische Machtverteilungen
verschiedener
weiterer Erkenntnis führen
Akteurskoalitionen
mitberücksichtigt,
zu
kann.655
Hinsichtlich der diesbezüglichen Anwendbarkeit der CbTF ist zu konstatieren, dass ihre Annahmen des harten Kerns grundsätzlich geeignet sind, auch Machtaspekte abzubilden. So geben etwa Freiling/Gersch/Goeke im Rahmen ihrer Ausführungen zur Subjektivismus-Annahme656 zu bedenken, dass sich Akteure hinsichtlich ihrer Macht voneinander unterscheiden, wobei sie zu dem Schluss kommen: „[…] Some of them might be powerful people, others less so.“657 Unter Bezug auf die Annahme des gemäßigten Voluntarismus658 weisen die Autoren ferner darauf hin, dass die Möglichkeit der Machtausübung für die einzelnen Akteure und Akteurskoalitionen Beschränkungen unterliegt, da sie bei ihrem Handeln Rahmenbedingungen zu beachten haben, die sich nur teilweise von ihnen beeinflussen lassen.659 Bezogen auf die Forschungsfrage wird Macht (bzw. ihre asymmetrische Verteilung zwischen verschiedenen Akteuren oder Akteurskoalitionen) nicht als anwendbare Ursache positiver Rückkopplungen aufgefasst,660 so dass auf diesen Aspekt in Kapitel 5 nicht näher eingegangen wird. 4.3.4.3.7 Erwartungen Als weitere Ursache positiver Rückkopplungen werden verschiedentlich Erwartungen angeführt. Beispielsweise spricht David von „mutually consistent expectations“ und North von „adaptive expectations“.661 Ackermann greift diese Diskussion auf und gibt diesbezüglich zu bedenken, dass positive Rückkopp-
655 Vgl. Schäcke 2006, S. 57f. 656 Zur Annahme des Subjektivismus vgl. Abschnitt 4.2.1.2. 657 Freiling/Gersch/Goeke 2008, S. 1157. 658 Zur Annahme des gemäßigten Voluntarismus vgl. Abschnitt 4.2.1.6. 659 Vgl. Freiling/Gersch/Goeke 2008, S. 1149 sowie S. 1157. 660 Vgl. hierzu die obige Feststellung von Schreyögg/Sydow/Koch 2003, S. 271. 661 Vgl. David 1994, S. 205; North 1990, S. 95.
164
lungen durch Erwartungen zwar verstärkt, jedoch nicht durch diese verursacht werden können.662 Er führt hierzu näher aus, dass auch Beiträge, die die Bedeutung von Erwartungen im Kontext positiver Rückkopplungen explizit betonen, Erwartungen nicht separat, sondern stets in Verbindung mit weiteren potenziellen Ursachen selbstverstärkender Effekte anführen.663 Im Falle der von North dargestellten „adaptive expectations“ beziehen sich die Erwartungen etwa auf die potenziell zunehmende Etablierung einer Institution, mit der die bereits in Abschnitt 4.3.4.3.5 im Rahmen der Koordinationseffekte dargestellten Vorteile verbunden sind.664 Ackermann gelangt daher zu der Ansicht, dass sich „[…] in Norths Formulierung zeigt […], dass es eigentlich um Koordinationseffekte geht.“665 Auch in Arbeiten, die dem technologischen Anwendungsbereich der Pfadforschung zuzuordnen sind und teils gleichfalls auf die Bedeutung von Erwartungen eingehen, zeigt sich ein starker Bezug der Erwartungen auf weitere Ursachen positiver Rückkopplungen. So stellt Ackermann z.B. hinsichtlich der diesbezüglichen Ausführungen von Katz/Shapiro fest, dass „Erwartungen ihre Relevanz offensichtlich daraus [beziehen], dass sie in Verbindung mit Netzwerkexternalitäten auftreten.“666 Zusammenfassend kommt Ackermann zu dem Schluss, dass Erwartungen allein nicht ausreichend sind, um zu positiven Rückkopplungen zu führen, sondern es stets einer anderen Ursache bedarf, damit sich Erwartungen auf pfadbezogene Prozesse auswirken.667 Dem Standpunkt von Ackermann zustimmend, werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit Erwartungen nicht als eigenständige Ursache positiver Rückkopplungen betrachtet. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass Erwartungen im Kontext
662 Vgl. Ackermann 2001, S. 58 und S. 88. 663 Vgl. ebd. 664 Vgl. Abschnitt 4.3.4.3.5 sowie Ackermann 2001, S. 88 mit Verweis auf North 1990. 665 Ackermann 2001, S. 88. Ähnlich zu North argumentiert auch David, der gleichfalls nicht separat auf
Erwartungen eingeht, sondern zusammenfassend von „mutually consistent expectations and coordination“ schreibt (vgl. David 1994, S. 209). 666 Ackermann 2001, S. 58 mit Verweis auf Katz/Shapiro 1985, S. 439. Ein weiteres Beispiel findet sich an gleicher Stelle mit Verweis auf Habermeier 1992, S. 370f. 667 Vgl. Ackermann 2001, S. 58 und S. 88. Es sei darauf hingewiesen, dass die dargestellte Ansicht in Bezug auf den institutionellen Anwendungsbereich nicht von allen Autoren geteilt wird (vgl. z.B. Koch/Süß 2008, S. 15f.).
165
pfadbezogener Prozesse als wenig relevant erachtet werden. Vielmehr ist die hier eingenommene Position mit der Darstellung von Arthur aus dem Jahr 1988 vergleichbar, der auf die große Bedeutung von Erwartungen für den (auf andere Ursachen zurückzuführenden) Pfadverlauf hinweist, die Erwartungen jedoch (ebenfalls) nicht als eigenständige Ursache für positive Rückkopplungen ansieht.668 Aufgrund der Bedeutung, die den Erwartungen im Kontext pfadbezogener Prozesse zukommen kann, sei abschließend kurz darauf eingegangen, dass Erwartungen auch in den Annahmen des harten Kerns der CbTF berücksichtigt werden und die CbTF grundsätzlich geeignet ist, auch diesen Aspekt pfadorientierter Analysen abzubilden. So ist zu konstatieren, dass der als Annahme des Entscheidungsverhaltens im Rahmen der CbTF unterstellte Homo Agens Erwartungen in seine Entscheidungen einbezieht.669 Er ist sich dabei bewusst, dass er mit seinen Erwartungen Irrtümern unterliegen wird und dass sich Prozesse im Zeitverlauf anders entwickeln werden als von ihm erwartet.670 Zudem werden die Erwartungen von Akteur zu Akteur differieren, da sich diese „hinsichtlich ihrer Ausstattung, aber auch in ihrem Erlebten“ voneinander unterscheiden.671 In den weiteren Ausführungen werden Erwartungen somit als Element der verschiedenen Annahmen der CbTF implizit berücksichtigt.
668 Vgl. Arthur 1988, S. 601f. sowie S. 591. 669 Vgl. Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 56; vgl. zudem die Ausführungen zur Annahme des Homo Agens
in Abschnitt 4.2.1.5. 670 Vgl. Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 56; vgl. zudem die Ausführungen zur Annahme der radikalen
Unsicherheit in Abschnitt 4.2.1.4. 671 Freiling/Gersch/Goeke 2006a, S. 11; vgl. zudem die Ausführungen zur Annahme des Subjektivismus in
Abschnitt 4.2.1.2.
166
4.4
Zusammenfassung
Im vorliegenden Kapitel wurde zunächst auf die Grundlagen des noch recht jungen, aber vielversprechenden Theorieansatzes der CbTF eingegangen, der zuvor in Kapitel 3 als geeignete referenztheoretische Basis identifiziert worden war. In den Ausführungen zu den Annahmen des harten Kerns und zur Kausalstruktur der CbTF wurde deutlich, dass sich der Ansatz durch die vielfältige Berücksichtigung und starke Betonung dynamischer Aspekte auszeichnet, was beispielsweise in der Hervorhebung der Annahmen über die Bedeutung der Zeit gegenüber anderen Annahmen des harten Kerns sowie durch die verschiedentliche Bezugnahme auf Arbeiten der Pfadforschung zum Ausdruck kam. Obgleich gezeigt werden konnte, dass die Ansätze pfadbezogener Überlegungen in der CbTF weiter vorangeschritten sind als in anderen kompetenzbasierten Ansätzen, ergab sich aufgrund untereinander divergierender Ansichten innerhalb der Pfadforschung die Notwendigkeit, die diesbezügliche Positionierung der CbTF unter Beachtung der Annahmen ihres harten Kerns zu klären. Dabei wurde deutlich, dass die CbTF eine klare Unterscheidung zulässt in Pfade einerseits sowie lediglich auf allgemeiner Historizität basierende Prozesse andererseits. Diese Unterscheidung wird auch im Kontext der Beantwortung der Forschungsfrage im folgenden Kapitel von Bedeutung sein. Zudem führte die Diskussion über die Präzisierung der pfadorientierten Perspektive im Rahmen der CbTF zu dem Schluss, dass insbesondere eine Sichtweise, die von einer (partiellen) Beeinflussbarkeit der Zeitverläufe durch die Akteure ausgeht und es zulässt, pfadartige Prozesse grundsätzlich als Chance oder als Risiko aufzufassen, mit den Annahmen des harten Kerns der CbTF gut vereinbar ist. Überdies erfolgte die im Bereich der ressourcen- und kompetenzbasierten Forschung in diesem Umfang erstmalige Diskussion über potenzielle Ursachen positiver Rückkopplungen. Hierbei wurden folgende potenzielle Ursachen identifiziert, die mit den Annahmen der CbTF grundsätzlich vereinbar sind: 167
(1) Skaleneffekte und anbieterseitige Lerneffekte (2) Nachfrageseitige Lerneffekte (3) Investitionseffekte (4) Komplementaritätseffekte (bzw. indirekte Netzexternalitäten) (5) Koordinationseffekte (bzw. direkte Netzexternalitäten) (6) Machteffekte. Ferner wurde dargestellt, dass insbesondere die fünf erstgenannten Effekte im Rahmen der Untersuchung der zeitlichen Muster bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Kapitel 5 vertiefend aufzugreifen sind. Ebenfalls mit den Annahmen der CbTF vereinbar ist die Berücksichtigung von Erwartungen. Diese werden aus den oben angeführten Gründen im Rahmen dieser Arbeit nicht als eigenständige Ursache positiver Rückkopplungen angesehen, finden aber im Rahmen verschiedener Annahmen des harten Kerns der CbTF implizit Berücksichtigung. Auf Basis dieser präzisierten und erweiterten theoretischen Grundlage soll sich im folgenden Kapitel der Beantwortung der Forschungsfrage zugewendet werden.
168
5 Zeitlich-dynamische Aspekte bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten 5.1
5.1.1
Die Bedeutung positiver Rückkopplungen bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten Hintergrund der pfadorientierten Betrachtung der Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten als alternative Perspektive zur Product Chain
In Kapitel 2 wurde darauf eingegangen, dass mit der Internationalisierungsprozessforschung ein Forschungsfeld existiert, das – über eine (komparativ-) statische Betrachtung hinausgehend – prozessuale Phänomene der Internationalisierung untersucht. Hierbei wurde insbesondere auf die der vorliegenden Arbeit thematisch nahestehende Product Chain der Helsinki-Schule sowie auf Arbeiten der vielzitierten Uppsala-Schule Bezug genommen. Wie gezeigt wurde, ist beiden Schulen ursprünglich eine inkrementelle Sichtweise von Internationalisierungsprozessen gemeinsam, die hinsichtlich der Product Chain im einleitenden Kapitel aufgrund hierzu im Widerspruch stehender Realphänomene hinterfragt wurde. In jüngerer Zeit sind Hinweise auf ein Umdenken in den skandinavischen Schulen festzustellen, sich zunehmend für eine rasche Internationalisierung auszusprechen. Eine geradezu symbolische Aussagekraft geht dabei von der Tatsache aus, dass Johanson/Vahlne – in ihren früheren Arbeiten vehemente Verfechter inkrementeller Internationalisierungsprozesse672 – in einem neueren Beitrag die Aussage treffen, dass Unternehmungen zu einer schnellen Internationalisierung gezwungen sein können, weshalb die Autoren diesbezüglich „a need for new models of internationalization“ proklamieren.673 Ähnlich äußert sich Meffert im Kontext der Internationalisierung von Dienstleistungen unter Betonung des Ressourcen-
672 Vgl. z.B. Johanson/Vahlne 1977. 673 Johanson/Vahlne 2003, S. 83.
169
aspekts, indem er feststellt, dass „die Fähigkeit einer schnellen Neuausrichtung der vorhandenen Ressourcen erfolgskritisch [wird]“.674 Da es sich bei der dargestellten Befürwortung einer raschen Internationalisierung zunächst um eine recht unspezifische Aussage zu Internationalisierungsprozessen allgemein handelt, erscheint es erforderlich, diese für einzelne Internationalisierungsprozesse zu präzisieren. Ein inkrementelles Vorgehen hinsichtlich der Reihenfolge bei der Ländermarktselektion („Psychic Distance Chain“) und hinsichtlich der Sequenz von Marktbearbeitungsformen („Establishment Chain“) wird in Anbetracht von Realphänomenen wie „Immediate Internationalization“, „International New Ventures“, „Born Globals“ und „Born Internationals“ von verschiedenen Autoren kritisch hinterfragt.675 Eine Auseinandersetzung mit der für die vorliegende Arbeit zentralen Frage der zeitlichen Muster bei der Einführung verschiedener Leistungsarten in einem Auslandsmarkt ist hingegen bislang weitgehend unterblieben.676 Bezieht man die allgemeine Befürwortung eines raschen Vorgehens auf den Kontext der hier zugrunde liegenden Forschungsfrage, bedeutet dies für eine Unternehmung im Grundsatz, alle für den Absatz in einem bestimmten Auslandsmarkt vorgesehenen Leistungsarten „möglichst frühzeitig“ in diesen Markt einzuführen. Wie zuvor hingewiesen wurde, finden sich – im Gegensatz zu Fragestellungen der Ländermarktselektion oder der Marktbearbeitungsformen – jedoch für diese Betrachtungsdimension des Internationalisierungsprozesses sowohl allgemein als auch hinsichtlich der Frage nach den Ursachen für das dargestellte zeitliche Muster kaum Beiträge. In Kapitel 4 wurde mit den Ausführungen zur Pfadforschung gezeigt, dass in Bezug auf recht unterschiedliche Fragestellungen zeitliche Verläufe existieren, die eine Eigendynamik entwickeln und sich selbst verstärken. Diesbezüglich wurde auf Beispiele verwiesen, in denen Unternehmungen insbesondere von den
674 Meffert 2000, S. 509. 675 Vgl. z.B. Oesterle 1997, S. 125ff.; Oviatt/Phillips McDougall 1997, S. 85ff.; Bell 1995, S. 60ff.; Jones
2001, S. 191ff.; Bell/McNaughton/Young 2001, S. 173ff.; Kutschker/Schmid 2005, S. 241. 676 Vgl. ebd.
170
Entwicklungen in frühen Phasen profitiert haben.677 Es wurde gezeigt, dass die Selbstverstärkungseffekte auf verschiedene Ursachen(gruppen) zurückgeführt werden können, die ursächlich dafür sind, dass „frühe Tatsachen oftmals eine größere Auswirkung haben als späte“. Dabei wurde deutlich, dass diesen potenziellen Ursachen im Kontext diverser dynamischer Betrachtungen eine Erklärungsmacht zugesprochen werden kann und sie grundsätzlich auch im betriebswirtschaftlichen Bereich von Bedeutung sein können. In den folgenden Abschnitten wird argumentiert, dass die verschiedenen Ursachen positiver Rückkopplungen auch geeignet sind, einen Beitrag für die Erklärung zu leisten, warum es für eine Unternehmung im Rahmen einer Auslandsmarkterschließung grundsätzlich zweckmäßig sein kann, eine möglichst frühzeitige Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte anzustreben. So wird im Rahmen der CbTF argumentiert, dass es für Unternehmungen mit Blick auf ihre jeweilige Wettbewerbsfähigkeit erforderlich ist, sich im Markt gegenüber Wettbewerbern zu behaupten und sich gegenüber Lieferanten und Kunden im Marktprozess zu bewähren.678 Im weiteren Verlauf des Kapitels wird deutlich, dass ein frühzeitiges Angebot der betrachteten Leistungen in einem Auslandsmarkt aufgrund verschiedener potenzieller Ursachen positiver Rückkopplungen zu der Fähigkeit einer Unternehmung beitragen kann, sich in der dargestellten Weise in dem Markt behaupten und bewähren zu können. Diese erhöhte Fähigkeit des „Sich-behaupten-könnens“ und „Sich-bewähren-könnens“ kann wiederum die Wirkung des jeweilig diskutierten Effekts positiv beeinflussen.679 Für die Argumentation der einzelnen Rückkopplungen ist es erforderlich, die Aussagen in Kapitel 4 über die Ursachen positiver Rückkopplungen unter
677 Vgl. z.B. die Ausführungen zur QWERTY-Tastaturbelegung in Abschnitt 4.3.1.1 sowie zum VHS-
Standard im Heimvideobereich in Abschnitt 4.3.1.5. 678 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 41 mit Verweis auf Schneider 1997a, S. 68. 679 Vgl. Abschnitt 5.1.3.
171
Berücksichtigung der Besonderheiten, die sich im Kontext der Forschungsfrage ergeben, zu konkretisieren und auszugestalten.680 Hinsichtlich etwaiger Vorarbeiten ist zu konstatieren, dass es sowohl in der Internationalisierungsprozessforschung als auch in der Literatur zur Erforschung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte kaum Hinweise auf pfadorientierte Ansätze gibt, auf die im Kontext der Beantwortung der Forschungsfrage zurückgegriffen werden könnte. Hierauf soll kurz eingegangen werden, bevor daran anschließend die kontextspezifische Diskussion potenzieller Ursachen positiver Rückkopplungen erfolgt. 5.1.2
Hinweise pfadorientierter Betrachtungen in der Literatur zur Beantwortung der Forschungsfrage
5.1.2.1 Pfadorientierte Betrachtungen in der Internationalisierungsprozessforschung Obgleich einige Beiträge zur Internationalisierungsprozessforschung den Begriff der Pfadabhängigkeit verwenden, offenbart die genauere Betrachtung, dass diese Arbeiten nur sehr allgemein auf das Konzept eingehen. Somit ist Schäcke zuzustimmen, der hierzu anmerkt, dass in der Internationalisierungsprozessforschung zwar „Arbeiten existieren, die das Konstrukt der Pfadabhängigkeit in ihren Argumentationen berücksichtigen, […] ein erster Einblick in die Literatur [jedoch zeigt], dass das Phänomen der Pfadabhängigkeit [dort] lediglich oberflächlich betrachtet wird.“ Als Beispiele führt Schäcke die Arbeiten von Araujo/Rezende, Benito/Gripsrud, Madhok sowie Eriksson/Majkgard/Sharma an und kommt bezüglich dieser Arbeiten zu dem Schluss, dass sie auf positive Rückkopplungen
680 Die Konkretisierung der grundsätzlich identifizierten potenziellen Ursachen positiver Rückkopplungen ist
nicht nur vor dem Ziel der Beantwortung der Forschungsfrage erforderlich, sondern stellt gleichzeitig ein erstes Anwendungsbeispiel der in Kapitel 4 vorgenommenen Ausgestaltung der CbTF dar.
172
nicht näher eingehen und es diesen Arbeiten „an einer profunden theoretischen Aufarbeitung des Konzeptes fehlt.“681 Somit ist festzuhalten, dass die Internationalisierungsprozessforschung mit ihrer Befürwortung einer prozessorientierten Perspektive zwar den Boden für pfadorientierte Untersuchungen bereitet, bislang jedoch keine pfadorientierten Betrachtungen im Sinne der vorliegenden Arbeit im Bereich der Internationalisierungsprozessforschung existieren, auf die in den folgenden Ausführungen aufgebaut werden könnte. 5.1.2.2 Pfadorientierte Betrachtungen in der Literatur zu produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten Auch im Kontext der Erforschung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte ist das Konzept der Pfadorientierung im hier verstandenen Sinne bislang nicht verwendet worden. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die in der Dienstleistungsforschung682 dominierenden theoretischen Ansätze683 (komparativ-) statischer Natur sind und – wie Freiling/Gersch konstatieren – für eine dynamische Sichtweise eher ungeeignet sind.684 In der Überwindung dieser (komparativ-) statischen Sichtweise sehen Freiling/Gersch daher auch einen der wesentlichen Vorteile, die mit der Verwendung der CbTF für die Beantwortung dienstleistungsbezogener Fragestellungen verbunden sind.685 So bietet die CbTF – wie in Kapitel 4 gezeigt wurde – gute Ansatzpunkte für eine pfadorientierte Betrachtung. Dennoch stehen pfadorientierte Analysen unter Verwendung der CbTF im Allgemeinen – und somit auch im speziellen Kontext der
681 Schäcke 2006, S. 74 mit Verweis auf Araujo/Rezende 2003, S. 719ff.; Benito/Gripsrud 1992, S. 461ff.;
Madhok 1997, S. 39ff. und Eriksson/Majkgard/Sharma 2000, S. 307ff. Die angeführten Arbeiten stellen somit weitere Beispiele für die in Abschnitt 4.3.1.1 getroffene Aussage dar, dass das Konzept der Pfadabhängigkeit in der Literatur verschiedentlich recht oberflächlich verwendet wird. 682 Da es sich bei produktbegleitenden Dienstleistungen um Dienstleistungen handelt, die bestimmte Kriterien erfüllen, ist die Erforschung produktbegleitender Dienstleistungen als Teilbereich der Dienstleistungsforschung aufzufassen (vgl. Abschnitt 2.1.3.1). 683 Als solche sind die verschiedenen Ansätze der Neuen Institutionenökonomik (inkl. der Informationsökonomie) zu sehen (vgl. Freiling/Gersch 2006, S. 10 unter Verweis auf Kaas 1991; Gümbel/Woratschek 1995; Woratschek 2001 und Weiber/Billen 2005). 684 Vgl. zu dieser Einschätzung Freiling/Gersch 2006, S. 7f. 685 Vgl. Freiling/Gersch 2006, S. 3ff.
173
Erforschung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte – derzeit noch (weitestgehend) aus.686 Obgleich bislang keine pfadorientierten Beiträge hinsichtlich produktbegleitender Dienstleistungen oder hybrider Produkte existieren, lassen sich dennoch einige Erkenntnisse der bisherigen Forschung bezüglich dieser Leistungen für die Beantwortung der Forschungsfrage nutzen. So ist es zweckmäßig, sich im Kontext der Erforschung zeitlicher Muster bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in einen Auslandsmarkt vorab der Frage zu widmen, warum eine Unternehmung überhaupt diese Leistungen anbietet. Hierzu existieren in der wissenschaftlichen Literatur mit der differenzierten Betrachtung unterschiedlicher Nutzenpotenziale wertvolle Vorarbeiten, auf die in Kapitel 2 eingegangen wurde.687 In der nachfolgenden Diskussion der im betrachteten Kontext als relevant identifizierten Ursachen positiver Rückkopplungen werden die Erkenntnisse zu den unterschiedlichen Nutzenpotenzialen aufgegriffen. 5.1.3
Potenzielle Ursachen für positive Rückkopplungen im Kontext der Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten
5.1.3.1 Skaleneffekte und anbieterseitige Lerneffekte In Abschnitt 4.3.4.3.1 wurde bereits angedeutet, dass sich die Diskussion über Skaleneffekte in der Literatur insbesondere auf die Erstellung von Sachleistungen bezieht.688 So trifft etwa Friege die Annahme, dass „Dienstleistungen von Investitionsgüterproduzenten im Vergleich zur Sachleistungserstellung überproportional arbeitsintensiv sind“689, woraus er mit Verweis auf verschiedene empirische Studien schlussfolgert, dass „Economies of Scale [hinsichtlich der
686 Auf die Ansätze pfadorientierter Betrachtungen im Rahmen der CbTF wurde – sowohl im Allgemeinen
als auch im Kontext der Dienstleistungsforschung – in Kapitel 4 ausführlich eingegangen. 687 Vgl. die Abschnitte 2.1.3.3 und 2.1.4.3. 688 Verstärkt ist dies hinsichtlich statischer Skaleneffekte festzustellen (vgl. Fußnote 597). 689 Friege 1994, S. 5.
174
Dienstleistungsangebote] tendenziell keine bestimmende Bedeutung zukommt.“690 Zusätzliche Anhaltspunkte dafür, dass das Ausmaß von Economies of Scale bei der Erstellung von (produktbegleitenden) Dienstleistungen tendenziell beschränkt ist, ergeben sich aus der Betrachtung (weiterer) Wertschöpfungsspezifika dieser Leistungen. So sind die diesbezüglichen Leistungserstellungsprozesse grundsätzlich durch ein hohes Maß an Integrativität charakterisiert691 und durch die jeweiligen Besonderheiten der kundenseitig eingebrachten externen Faktoren geprägt.692 Hinsichtlich der Leistungsergebnisebene ist zu konstatieren, dass sich zahlreiche in der Literatur als Ursachen für Economies of Scale angeführte Faktoren weitgehend auf materielle Leistungen beziehen,693 während sich (produktbegleitende) Dienstleistungen hingegen durch einen tendenziell hohen Immaterialitätsgrad auszeichnen.694 Zudem handelt es sich bei produktbegleitenden Dienstleistungen oftmals um hochgradig individualisierte Leistungen, um den jeweiligen spezifischen Kundenbedürfnissen gerecht werden zu können.695 Zu den obigen Ausführungen ist anzumerken, dass angesichts des großen Spektrums an verschiedenen produktbegleitenden Dienstleistungen jedoch davon auszugehen ist, dass die Ausprägungen hinsichtlich der angeführten Charakteristika je nach Art der betrachteten Leistungen teils deutlich variieren können.696 Daher ist der Schlussfolgerung von Friege relativierend hinzuzufügen, dass für die Frage des Vorliegens von Economies of Scale im Einzelfall die Struktur der mit der Leistungserstellung verbundenen Kosten sowie die spezifischen Wertschöpfungscharakteristika zu analysieren sind und die Möglichkeit von Economies of Scale auch im Falle (produktbegleitender) Dienstleistungen nicht kategorisch ausgeschlossen werden sollte.
690 Ebd.; vgl. zudem die bei Friege 1994, S. 5 in FN 17 und FN 18 genannten Quellen. 691 Vgl. Abschnitt 2.1.2. 692 Vgl. z.B. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 221. 693 Vgl. neben Friege 1994 auch die von Junius angeführten Ursachen von statischen Skaleneffekten in
Abschnitt 4.3.4.3.1 (z.B. „technical-physical relationships“ und „economies of increased dimensions“). 694 Vgl. Abschnitt 2.1.2, zudem z.B. Baumbach 2004, S. 33; Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 221. 695 Vgl. z.B. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 217, die darauf hinweisen, dass produktbegleitende
Dienstleistungen zunehmend zur „Individualisierung und kundenspezifische[n] Anpassung“ eingesetzt werden. 696 Zur Vielfalt des Spektrums produktbegleitender Dienstleistungen vgl. Abschnitt 2.1.3.2.
175
Im Gegensatz zu Friege, der in seinen Ausführungen auf statische Effekte fokussiert,697 soll hier insbesondere auch die Möglichkeit dynamischer Skaleneffekte betrachtet werden.698 Während die dargestellten Charakteristika grundsätzlich mit einer erheblichen Einschränkung statischer Skaleneffekte einhergehen, ist hinsichtlich der Möglichkeit dynamischer Skaleneffekte zu konstatieren, dass es auch bei der Erstellung (produktbegleitender) Dienstleistungen und hybrider Produkte durchaus denkbar ist, dass es mit kumulierter Leistungserstellung zu anbieterseitigen Lerneffekten kommt, die zu Effizienzgewinnen führen und sich in Preissenkungs- und Produktverbesserungspotenzialen niederschlagen. Wie in Abschnitt 4.3.4.3.1 angeführt wurde, sind anbieterseitige Lerneffekte jedoch nicht nur im Rahmen dynamischer Skaleneffekte, sondern beispielsweise auch im Rahmen des 'Learning by Using' denkbar. Zudem sind die Lerneffekte nicht notwendigerweise auf technisches Wissen beschränkt, sondern können sich z.B. auch auf marktspezifisches Wissen beziehen.699 Differenziert man die verschiedenen Lerneffekte gemäß der in Abschnitt 2.2.2 eingeführten dichotomen Unterscheidung danach, ob die Wissensgenerierung innerhalb oder außerhalb der Unternehmung stattfindet, so ist zu konstatieren, dass sie im Kontext dynamischer Skaleneffekte (weitgehend) innerhalb und im Falle des 'Learning by Using' zunächst (weitgehend) außerhalb der Unternehmung erfolgt.700 Auch bei der Generierung auslandsmarktspezifischen Wissens wird grundsätzlich auf extern vorhandenes Wissen zurückgegriffen, das anschließend innerhalb der Unternehmung eine Weiterentwicklung erfährt.701
697 Vgl. Friege 1994, S. 4ff. 698 Zur Unterscheidung in statische und dynamische Skaleneffekte vgl. Abschnitt 4.3.4.3.1 sowie Junius
1997. 699 Wenn in den folgenden Ausführungen der Begriff des marktspezifischen Wissens verwendet wird, so ist
dies grundsätzlich als Oberbegriff gemeint, der sich nicht nur auf die höchste der vier Dispositionsebenen (Markt), sondern auch auf die übrigen Ebenen (Marktsegment, Geschäftsbeziehung und Transaktion) bezieht. 700 Vgl. hierzu Fußnote 606. 701 Die Weiterentwicklung kann beispielsweise darin bestehen, dass Wissenselemente unternehmungsspezifisch interpretiert und – je nach Erfordernis der Unternehmung – mit weiteren Wissenselementen kombiniert werden. Informationen, die grundsätzlich vielen Marktteilnehmern zur Verfügung stehen, werden auf diese Weise zu einer unternehmungsspezifischen Ressource weiterentwickelt, über die – in der auf die
176
Es wird deutlich, dass sich die beiden letztgenannten Fälle vom Lernen im Rahmen dynamischer Skaleneffekte darin unterscheiden, dass die Wissensgenerierung nicht nur innerhalb der Unternehmung erfolgt, sondern in hohem Maße auf extern vorhandenes Wissen zurückgegriffen wird. Für die vollständige Erfassung auf Lerneffekte basierender positiver Rückkopplungen ist es daher erforderlich, nicht nur die interne Wissensgenerierung, sondern auch die Nutzung externer Quellen zu berücksichtigen. Hierfür bietet sich z.B. der Open System View nach Sanchez/ Heene an, der in Kapitel 4 im Kontext der Kausalstruktur der CbTF kurz eingeführt wurde702 und in Abb. 5-1 nochmals dargestellt ist. Umfeld (Scanning, Benchmarking, Berater, neue Manager etc.)
Grenzen der Unternehmung als offenes System
Strategic Logic Entscheidungen, Prozeduren
(Koordinationsmechanismen zwecks Ressourcenerwerb und -entwicklung)
Daten
Daten
Daten
Intangible Assets (u.a. Wissen, Rechte, Reputation, Beziehungen)
Tangible Assets (u.a. physisches Anlageund Umlaufvermögen)
Operative Prozesse (Durchführung der Leistungserstellung und Ressourcenveredelung)
(zugängliche externe Ressourcen)
Management-Prozesse
Firm-addressable Resources
Zunehmende Intransparenz, zunehmende organisationale Trägheit
(Gemeinsame Grundlagen der Zielerreichung)
Produkte (Leistungsbündel)
Marktinformationen
Märkte für Produkte
Wettbewerb
Abb. 5-1: Der Open System View nach Sanchez und Heene703 Hiernach wird eine Unternehmung nicht von ihrer Umwelt isoliert betrachtet, sondern als offenes System dargestellt, das in mehrfacher Hinsicht in Interaktion
idiosynkratischen Belange der Unternehmung ausgerichteten Wissenskombination – kein anderer Marktteilnehmer verfügt. 702 Vgl. Abschnitt 4.2.3. 703 Freiling/Gersch/Goeke 2006b, S. 54 in Anlehnung an Sanchez/Heene 1996, S. 41.
177
mit anderen Systemen steht. Dabei wird berücksichtigt, dass eine Unternehmung für die Leistungserstellung nicht nur auf intern verfügbare Ressourcen zurückgreift, sondern auch auf sogenannte firm-addressable resources, die nicht im Verfügungsbereich der Unternehmung liegen.704 Diese Sichtweise bietet geeignete Ansatzpunkte, die Wertschöpfungscharakteristika produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte im Rahmen der CbTF modellendogen abzubilden. Insbesondere bietet die Betrachtung von firm-addressable resources eine passende Grundlage, um auf die für produktbegleitende Dienstleistungen und hybride Produkte charakteristische Integrativität der Leistungserstellungsprozesse einzugehen, indem die sogenannten externen Faktoren, die von den Nachfragern in den Leistungserstellungsprozess einzubringen sind, als firm-addressable resources berücksichtigt werden.705 Darüber hinaus wird im Rahmen des Open System View explizit auf die Bedeutung von Marktinformationen hingewiesen, die als Basis künftiger Modifikationen der Leistungserstellung auf die verschiedenen im Open System View dargestellten Elemente wirken.706 Hierbei kommt dem in Kapitel 2 dargestellten Informationspotenzial produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte insbesondere im Zusammenhang mit dem 'Learning by Using' und der Generierung marktspezifischen Wissens eine erhebliche Bedeutung zu, worauf im Folgenden eingegangen werden soll. Im Falle des 'Learning by Using' ist es für den selbstverstärkenden Effekt erforderlich, dass die im Rahmen der Nutzung gesammelten Erfahrungen den Hersteller erreichen.707 Nur dann ist es dem Hersteller möglich, das Wissen z.B. für weitere Leistungsverbesserungen zu nutzen. Wie in Abschnitt 4.3.4.3.1 hingewiesen
704 Somit wird deutlich, dass es sich bei der kompetenzbasierten Forschung eben gerade nicht um einen rein
innenorientierten Ansatz handelt, wie es des Öfteren fälschlicherweise dargestellt wird (vgl. Abschnitt 3.3.4.3). Vielmehr handelt es sich um einen Ansatz, dem eine stringent marktorientierte Systemarchitektur zugrunde liegt (vgl. Freiling/Gersch 2007, S. 82). 705 Vgl. hierzu auch Freiling/Gersch 2007, S. 82. 706 Vgl. hierzu die linke Seite der Abb. 5-1. 707 Grundsätzlich gilt dies nicht nur für die Nutzung einer Sachleistung (z.B. einer Maschine), sondern auch hinsichtlich der Inanspruchnahme einer Dienstleistung (z.B. einer Schulung, Dokumentation oder Problemanalyse).
178
wurde, wird der wichtige Aspekt, auf welche Weise das auf 'Learning by Using' basierende Wissen in die Entwicklung und Produktion späterer Leistungen eingeht, in der Literatur zum 'Learning by Using' kaum vertieft. Die oben dargestellte Sichtweise des Open System View bietet hierzu insbesondere im Zusammenhang mit der Betrachtung des Informationspotenzials produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte einen interessanten Ansatzpunkt und scheint geeignet, einen Beitrag zur Verringerung dieser in der Pfadforschungsliteratur zu konstatierenden Erklärungslücke zu leisten.708 Auch in Bezug auf die Generierung marktspezifischen Wissens kann das Informationspotenzial produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte äußerst relevant sein. Hierzu lässt sich zunächst einwenden, dass einer internationalisierenden Unternehmung grundsätzlich diverse andere Quellen zur Generierung marktspezifischen Wissens zur Verfügung stehen, die beispielsweise im Rahmen der internationalen Marketingforschung709 (inklusive der Auslandsmarktforschung710) umfassend betrachtet werden.711 Allerdings zeigt sich, dass die Generierung marktspezifischen Wissens durch 'herkömmliche Marktforschungsmethoden' mit vielfältigen Problemen behaftet ist. Beispielsweise stellen Berekoven/Eckert/Ellenrieder im Kontext der Marktforschung für Produktivgüter fest: „Für ihre [RW: d.h. für Anbieter von Produktivgütern] speziellen Informationsbedürfnisse sind z.B. das Sekundärmaterial äußerst lückenhaft, die vorhandenen Statistiken viel zu hoch aggregiert, Primärerhebungen verbieten sich u. U. aus mancherlei Gründen […]. Und natürlich potenzieren sich die Schwierigkeiten, wenn für ausländische Märkte nach geeignetem Informationsmaterial gesucht
708 Bezogen auf Abb. 5-1 stellt das Informationspotenzial der genannten Leistungen eine inhaltliche
Erklärung für den Pfeil dar, der die Grenze der Unternehmung kreuzt (in Abb. 5-1 unten links). 709 Bauer definiert die internationale Marketingforschung in Analogie zu dem anglo-amerikanischen Begriff
international marketing research als „systematischen Prozess der Gewinnung, Analyse und Interpretation von Informationen zur Fundierung von Entscheidungen im internationalen Marketing“ (Bauer 2002, S. 22). 710 Die Auslandsmarktforschung lässt sich als Teilgebiet der internationalen Marketingforschung auffassen (zur Abgrenzung der beiden Forschungsbereiche siehe Bauer 2002, S. 22). Sie befasst sich mit der systematischen Gewinnung und Analyse derjenigen Informationen, die der Erschließung und Bearbeitung ausländischer Märkte dienen (vgl. Simmet-Blomberg 1995, Sp. 108). 711 Vereinfachend sei im Folgenden diesbezüglich von „herkömmlichen Marktforschungsmethoden“ gesprochen.
179
werden muss.“712 Zu einem ähnlichen Schluss gelangt Simmet-Blomberg, die konstatiert: „Die Mehrzahl der vorhandenen Sekundärdaten ist makroökonomisch ausgerichtet bzw. branchenorientiert, so dass sie für betriebswirtschaftliche Fragestellungen eine nur begrenzte Aussagefähigkeit besitzen.“713 Bezieht man die zuvor genannten vier Dispositionsebenen in die Betrachtung ein, so ergibt sich hinsichtlich der Verwendbarkeit von Sekundärdaten, dass die Generierung marktspezifischen Wissens für die Ebene des Gesamtmarktes und (mit Einschränkungen) gegebenenfalls noch für einzelne Marktsegmente möglich sein mag, wobei bereits auf Schwierigkeiten (z.B. erhebliche Lücken, fragliche Vergleichbarkeit) hingewiesen wird. Wissen auf Geschäftsbeziehungsebene oder Transaktionsebene lässt sich aufgrund der aggregierten Darstellung auf diese Weise nicht generieren.714 Anders verhält es sich mit Wissen, von dem im Rahmen der Erbringung von Serviceleistungen – sei es im Rahmen produktbegleitender Dienstleistungen oder als Bestandteil eines hybriden Produkts – Kenntnis erlangt wird. Das Informationspotenzial dieser Leistungen entfaltet sich dabei im Rahmen einzelner Transaktionen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass die gewonnenen Informationen ausschließlich für die jeweilige Transaktion verwendbar sind. Vielmehr erhält die Unternehmung auch zahlreiche Informationen, die die Geschäftsbeziehung mit dem Kunden betreffen, beispielsweise über die Anforderungen und den Einsatzbereich der erbrachten Leistungen beim Kunden sowie über dessen operative und strategische Herausforderungen. Darüber hinaus erlangt die Unternehmung möglicherweise Informationen, die die Dispositionsebene des Marktsegments oder des Gesamtmarktes betreffen. Hierzu zählen z.B. Informationen über
712 Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2001, S. 305. 713 Simmet-Blomberg 1995, Sp. 112. 714 Hierdurch zeigt sich einmal mehr die große Bedeutung des auf aktiver Marktteilnahme basierenden
experiential knowledge, auf das im Kontext der Charakterisierung marktspezifischen Wissens in Abschnitt 2.2.2 hingewiesen wurde.
180
Konkurrenzprodukte (z.B. Stärken und Schwächen) sowie über marktliche Entwicklungen.715 Die Beispiele verdeutlichen, dass es im Kontext der Generierung marktspezifischen Wissens von großem Vorteil sein kann, herkömmliche Quellen der Marktforschung durch Nutzung des Informationspotenzials produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte zu ergänzen. Während sich beispielsweise hinsichtlich der Verwendung von Sekundärdaten das Problem ergibt, dass sie aufgrund ihres hohen Aggregationsgrads nicht für alle Dispositionsebenen verwendet werden können, kann sich das Informationspotenzial der genannten Leistungen grundsätzlich auf alle Dispositionsebenen erstrecken. Zunächst ermöglicht der Kundenkontakt, Informationen über Teilbereiche des Marktes (Konkurrenz, mögliche Abnehmer, Trends usw.) direkt zu erlangen. Darüber hinaus lassen sich die Informationen über einzelne Geschäftsbeziehungen möglicherweise zu Aussagen über Marktsegmente oder über den Gesamtmarkt aggregieren.716 Abb. 5-2 verdeutlicht dies und stellt die Chancen, die sich aus dem Informationspotenzial
produktbegleitender
Dienstleistungen
und
hybrider
Produkte ergeben können, den Möglichkeiten der Verwendung von Sekundärdaten gegenüber.
715 Vgl. z.B. Engelhardt 1993, S. 390. 716 Hierbei gilt es zu beachten, dass – je nach Wissensinhalt – nur ein Teil des Wissens aggregierbar ist, da
sich das Wissen auf den einzelnen Dispositionsebenen nicht nur hinsichtlich der Aggregationsstufe, sondern teils auch inhaltlich voneinander unterscheidet.
181
Informationspotenzial produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte
Verwendung von Sekundärdaten
Marktebene Aggregation gegebenfalls möglich
Marktsegmentebene
Marktebene Transformation auf Ebenen detaillierterer Spezifikation weitgehend unmöglich
Geschäftsbeziehungsebene
Transaktionsebene
Marktsegmentebene Aggregation gegebenenfalls möglich
Geschäftsbeziehungsebene
Bezug der vermittelten Information
Transaktionsebene
• Sekundärdaten sind vornehmlich für die Generierung marktspezifischen Wissens auf Markt- und Marktsegmentebene geeignet.
• Die Nutzung des Informationspotenzials produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte stellt eine sinnvolle Ergänzung zur Generierung marktspezifischen Wissens dar.
Abb. 5-2: Die vier Dispositionsebenen des Marketing im Kontext des Informationspotenzials produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im betrachteten Kontext der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in einem Auslandsmarkt den in Abschnitt 4.3.4.3.1 dargestellten dynamischen Skaleneffekten und anbieterseitigen Lerneffekten als potenzielle Ursache positiver Rückkopplungen in mehrfacher Hinsicht eine erhebliche Bedeutung zukommen kann. 5.1.3.2 Nachfrageseitige Lerneffekte In Abschnitt 4.3.4.3.2 wurde dargelegt, dass im Rahmen der Diskussion nachfrageseitiger Lerneffekte dem von Arthur/Lane thematisierten Phänomen der information contagion eine bedeutende Rolle zukommt. Die Autoren argumentieren dabei, dass sich potenzielle Käufer bei potenziellen bisherigen Nutzern nach
182
deren Erfahrungen erkundigen und deren Einschätzung bei der eigenen Kaufentscheidung berücksichtigen.717 Die Weitergabe von Informationen durch Kunden, die eine Leistung bereits verwenden, wird jedoch nicht nur in der Literatur zur Pfadforschung, sondern beispielsweise auch im Kontext der Nutzenpotenziale produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte diskutiert, so etwa im Rahmen der Ausführungen zum Imagepotenzial.718 Dabei wird argumentiert, dass bisherige Nutzer von ihren positiven und negativen Erfahrungen berichten, weshalb diese Nutzer zum Teil als Apostel (im Falle der Weitergabe positiver Erfahrungen) bzw. als Terroristen (im Falle der Weitergabe negativer Erfahrungen) bezeichnet werden.719 Die beiden dargestellten Betrachtungsperspektiven setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte. Während Arthur/Lane von einer aktiven Informationssuche der potenziellen Käufer ausgehen, fokussieren die Ausführungen zum Imagepotenzial auf die (tatsächlichen) bisherigen Nutzer der Leistungen. Trotz der unterschiedlichen Akzentuierung ist jedoch zu konstatieren, dass beide Perspektiven zu dem Schluss kommen, dass sich positive und negative Erfahrungen bisheriger Nutzer „herumsprechen“ und potenzielle Käufer diese Informationen gegebenenfalls in ihren Kaufentscheidungen berücksichtigen. Arthur/Lane unterstellen in ihrem Modell, dass dem potenziellen Käufer bei seiner Informationssuche im Vorfeld nicht bekannt ist, ob ein potenzieller bisheriger Nutzer, an den er sich wendet, die fragliche Leistung auch tatsächlich bezieht. Die
717 Vgl. Arthur/Lane 1993, S. 81ff. Während von potenziellen Käufern gesprochen wird, da diese sich noch
nicht zum Kauf einer bestimmten Leistung entschlossen haben, soll die Formulierung der potenziellen bisherigen Nutzer zum Ausdruck bringen, dass sich die potenziellen Käufer bei Personen bzw. Unternehmungen erkundigen, von denen sie ausgehen, dass diese die fraglichen Leistungen möglicherweise nutzen, da sie vergleichbaren Herausforderungen gegenüberstehen bzw. vergleichbare Bedürfnisse haben wie der potenzielle Käufer selbst. 718 Darüber hinaus wird das Phänomen kundenseitiger Weiterempfehlungen in verschiedenen Beiträgen der Marketingliteratur untersucht, wobei die dortigen Argumentationen teils deutlich verhaltenswissenschaftlich geprägt sind (vgl. z.B. Helm/Günter 2000, S. 105ff.; Homburg/Giering/Hentschel 1999, S. 81ff.; Eggert/Helm 2000, S. 63ff.; Kotler/Bliemel 1999, S. 946f. 719 Vgl. Heskett/Jones/Loveman/Sasser/Schlesinger 1994, S. 166; Baumbach 2004, S. 37f.; Sanche 2002, S. 43f.
183
positiven Rückkopplungen kommen in der Argumentation von Arthur/Lane nun dadurch zustande, dass die Wahrscheinlichkeit, bei der Informationssuche auf einen (tatsächlichen) Nutzer der fraglichen Leistung zu stoßen, mit zunehmender Verbreitung dieser Leistung steigt. Hierzu ist anzumerken, dass bei zunehmender Verbreitung einer Leistung auch tendenziell die Chance steigt, dass sich unter den bisherigen Nutzern Unternehmungen befinden, die sich aus Perspektive des potenziellen Käufers durch besonders ähnliche Bedürfnisse auszeichnen und sich daher als aussagekräftige Informationsquellen eignen. Anders als es Arthur/Lane unterstellen, ist es im Rahmen der Annahmen der CbTF dabei denkbar, dass die potenziellen Käufer ihre Informationssuche gezielt auf entsprechende bisherige Nutzer fokussieren. In Anbetracht der Annahme des gemäßigten Voluntarismus und des unterstellten Menschenbilds des Homo Agens besteht zudem grundsätzlich die Möglichkeit, dass der potenzielle Käufer bei seiner Informationssuche durch den Hersteller unterstützt wird, indem dieser ihm beispielsweise geeignete bisherige Nutzer als Referenzkunden nennt. Auf die Tatsache, dass die Informationsweitergabe von bisherigen Nutzern an potenzielle Käufer auch (bzw. insbesondere) im Zusammenhang mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten eine bedeutende Rolle spielen kann, weist beispielsweise Sanche hin, die die große Bedeutung von Mund-zu-Mund-Werbung bei der Neukundenakquisition hervorhebt und auf Heskett/Sasser/Schlesinger verweist, die diesbezüglich anmerken: „This is especially important for many industrial services […] for which potential customers have high levels of perceived risk […].“720 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die in der Pfadforschungsliteratur diskutierten nachfrageseitigen Lerneffekte als Ursache positiver Rückkopplungen im Zusammenhang mit dem Angebot produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte eine wesentliche Rolle spielen können, wobei der Anbieter möglicherweise die Chance hat, durch aktive und gezielte Unterstützung der
720 Vgl. Sanche 2002, S. 44 unter Verweis auf Heskett/Sasser/Schlesinger 1997, S. 63, Hervorhebung hinzu-
gefügt.
184
Informationssuche potenzieller Käufer den Pfadverlauf (geringfügig) zu seinen Gunsten zu beeinflussen. 5.1.3.3 Investitionseffekte In Abschnitt 4.3.4.3.3 wurde dargelegt, dass mit Investitionen in Zusammenhang stehende Selbstverstärkungseffekte (Investitionseffekte) grundsätzlich nicht nur bei Investitionen in materielle Inputgüter bzw. Ressourcen auftreten können, sondern (insbesondere) auch im Zusammenhang mit Investitionen in immaterielle Inputgüter bzw. Ressourcen. Zu den Investitionen, die für das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in einem Auslandsmarkt mitunter erheblich sein können, zählen beispielsweise die Investitionen in den Aufbau eines entsprechenden Servicenetzes.721 Es stellt einen wesentlichen Bestandteil der Bereitstellungsleistung dar und sollte ausreichend bemessen sein, um die angebotenen Leistungen zuverlässig und in angemessener Zeit erbringen zu können.722 Da die Erbringung vieler (produktbegleitender) Dienstleistungen recht personalintensiv ist,723 kommt dabei den mit dem Personal in Verbindung stehenden Investitionen (z.B. für die Rekrutierung und Schulung geeigneter Mitarbeiter) teils erhebliche Bedeutung zu.724 Damit im Zusammenhang mit den Investitionen zum Aufbau eines Servicenetzes positive Rückkopplungen auftreten können, ist es gemäß der allgemeinen Ausführungen zu den Investitionseffekten in Kapitel 4 zunächst erforderlich, dass die Investitionen einen verwendungsspezifischen Charakter aufweisen.725 Zusätzlich
721 Vgl. z.B. Engelhardt 1993, S. 386f. Hierunter sind Investitionen sowohl in materielle Inputgüter (z.B.
Räumlichkeiten, Werkzeuge etc.) als auch in immaterielle Inputgüter und Ressourcen (z.B. qualifiziertes Personal) zu verstehen. 722 Zur Dimensionierung der Bereitstellungsleistung im Kontext produktbegleitender Dienstleistungen vgl. z.B. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 274f., die im Kontext der Kapazitätsplanung die „Gratwanderung zwischen Leerkosten und Kundenunzufriedenheit“ thematisieren. Zudem weist Engelhardt darauf hin, dass die vorzuhaltende Bereitstellungsleistung ausreichend bemessen sein muss, „um die akquisitorisch wirksame schnelle und qualifizierte Leistungserstellung zu ermöglichen“ (Engelhardt 1993, S. 387). 723 Vgl. im Kontext produktbegleitender Dienstleistungen z.B. Engelhardt 1993, S. 387 sowie für Dienstleistungen allgemein z.B. Friege 1994, S. 5 mit Verweis auf Staffelbach 1988 und Schwenker 1989. 724 Vgl. z.B. Engelhardt 1993, S. 387. 725 Vgl. Abschnitt 4.3.4.3.3.
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ist zu fordern, dass die genannten Investitionen weitere Investitionen nach sich ziehen.726 Auf beide Aspekte soll anhand des Beispiels der Investitionen in geeignetes Personal eingegangen werden, da dieses eine wesentliche Voraussetzung für das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in einem Auslandsmarkt darstellt.727 Die Verwendungsspezifität dieser Investitionen liegt beispielsweise darin begründet, dass die Auswahl und Schulung der Mitarbeiter grundsätzlich für bestimmte Tätigkeiten erfolgt.728 Hierzu ist anzumerken, dass die Verwendungsspezifität weiter oder enger ausgeprägt sein kann, was im Folgenden anhand der Dispositionsebenen des Marketing illustriert werden soll. Spezifität auf Ebene des Auslandsmarktes kann etwa vorliegen bei Investitionen in die Beherrschung der Landessprache und in Kenntnisse (landes-)kultureller Besonderheiten sowie bei Investitionen in länderspezifisches juristisches und wirtschaftsrechtliches Knowhow.729 Eine engere Verwendungsspezifität liegt etwa bei Investitionen vor, die sich auf ein bestimmtes Marktsegment beziehen. Je nach betrachtetem Marktsegmentierungskriterium730 ist es beispielsweise denkbar, dass sich entsprechend geschultes Personal insbesondere für die Erbringung von Dienstleistungen hinsichtlich bestimmter zugrunde liegender Sachleistungen (z.B. für bestimmte Maschinenbaureihen oder -komponenten) einsetzen lässt oder die Leistungser-
726 Vgl. ebd. 727 Vgl. z.B. Luczak/Winkelmann/Hoeck 2005, S. 396f. mit Verweis auf O'Farrell/Scheuer/Schmidt 1999,
S. 54. 728 Dass die Erbringung von Serviceleistungen bestimmte Kompetenzen und Ausbildungsprogramme
erfordert, zeigt sich beispielsweise bei Freiling, der von einer unterentwickelten „Servicekompetenz aufgrund ungeeigneter Ausbildungsprogramme im Bereich des industriellen Servicemanagements“ spricht (vgl. Freiling 2003, S. 34); vgl. zudem z.B. Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 66. 729 Auf die große Bedeutung sprachlicher und kultureller Kenntnisse wird im Kontext der Internationalisierung mit (produktbegleitenden) Dienstleistungen in der Literatur verschiedentlich eingegangen. So kommt eine Umfrage von Luczak/Winkelmann/Hoeck zu dem Ergebnis, dass der sprachliche und kulturelle Zugang zum Kunden als wichtigster operativer Erfolgsfaktor gesehen wird (vgl. Luczak/Winkelmann/Hoeck 2005, S. 397). Ähnlich argumentieren O'Farrell/Scheuer/Schmidt im Kontext der Internationalisierung von Unternehmensdienstleistungen (vgl. O'Farrell/Scheuer/Schmidt 1999, S. 54) sowie Gößl im Kontext unternehmensnaher Dienstleistungen (vgl. Gößl 2004, S. 105f.). Diesbezügliche Investitionen umfassen beispielsweise die Rekrutierung von Muttersprachlern und sogenannten „Locals“ sowie sprachliche und kulturelle Schulungs- und Trainingsmaßnahmen für die Mitarbeiter. Auf die mitunter erhebliche Bedeutung (landesspezifischen) juristischen und wirtschaftsrechtlichen Know-hows weist etwa Freiling im Zusammenhang mit Betreibermodellen hin (vgl. Freiling 2003, S. 34). 730 Für eine Diskussion unterschiedlicher Marktsegmentierungskriterien vgl. z.B. Freter 2007, Sp. 1161ff.; Kleinaltenkamp 1995, S. 663; o.V. 2004, S. 1991f.
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bringung entsprechendes Know-how über die Branche bestimmter Kunden erfordert. Zudem ist es möglich, dass das Personal aufgrund der erforderlichen Nähe zum Kunden gegebenenfalls nur regional begrenzt eingesetzt werden kann. Eine noch engere Spezifität liegt z.B. dann vor, wenn die Investitionen nicht nur eine Markt- bzw. Marktsegmentspezifität aufweisen, sondern insbesondere auf die Verbesserung einzelner Kundenbeziehungen abzielen.731 Somit ist festzuhalten, dass sich die Spezifität von Investitionen auf einzelne Dispositionsebenen des Marketing beziehen kann und sich Investitionen nach ihrem Spezifitätsgrad unterscheiden lassen. Für die Entstehung positiver Rückkopplungen ist es neben der dargestellten Spezifität außerdem erforderlich, dass die Investitionen in den Aufbau eines Servicenetzes weitere Investitionen nach sich ziehen. Im Folgenden soll anhand der beispielhaft genannten Investitionen in geeignetes Servicepersonal kurz dargestellt werden, dass es keinesfalls ausreichend ist, in den Aufbau eines Servicenetzes (einmalig) zu investieren. Vielmehr erfordert der Unterhalt eines Servicenetzes nach dessen Aufbau kontinuierliche Folgeinvestitionen.732 So ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sich die Anforderungen, die an ein Servicenetz und – in Anbetracht der erwähnten Personalintensität – an die entsprechenden Mitarbeiter zu stellen sind, im Laufe der Zeit verändern.733 Die Veränderungen
731 Zu den kundenspezifischen Investitionen sei ergänzend angemerkt, dass diese auch im Rahmen der
Transaktionskostentheorie untersucht werden, wobei jedoch die dortige Diskussion mit einem vollkommen anderen Schwerpunkt erfolgt als in der hier zugrunde gelegten kompetenzbasierten Perspektive. So weist etwa Freiling darauf hin, dass sich im Rahmen transaktionskostentheoretischer Betrachtungen der Ressourcenspezifität „das Interesse in erster Linie auf die Gefahr opportunistischen Verhaltens der Marktgegenseite [konzentriert]“ (Freiling 2001a, S. 66). „Die starke Fokussierung auf das Problem opportunistischen Verhaltens“ spielt hingegen in kompetenzbasierten Ansätzen keine vergleichbare Rolle (Freiling 2001a, S. 66). Im Rahmen der hier erfolgten Ausführungen wird dies unter anderem dadurch deutlich, dass die Betrachtung kundenspezifischer Investitionen lediglich eine von mehreren Ebenen darstellt, auf der die Spezifität von Investitionen diskutiert wird. Vgl. ferner die Argumentation bei Burmann 2002, S. 61, der sich im Rahmen einer ressourcenbasierten Betrachtung gleichfalls zur Ressourcenspezifität äußert und dabei eine Abgrenzung zur Transaktionskostentheorie vornimmt. 732 Auf die hohen Kosten der Unterhaltung eines Servicenetzes weist beispielsweise Engelhardt hin (vgl. Engelhardt 1993, S. 386f.). 733 Dies trifft insbesondere dann zu, wenn die Leistungen in einem sehr dynamischen Umfeld zu erbringen sind. So wird zum einen dem Bereich produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte verschiedentlich eine große Dynamik attestiert (vgl. z.B. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 211ff.). Zum anderen erfolgt die Leistungserbringung in Auslandsmärkten, die zum Teil einer wesentlich höheren Dynamik unterliegen als der deutsche Heimatmarkt (vgl. z.B. Hornschild/Kinkel/Lay 2004, S. 370, die auf die diesbezüglichen Wachstumspotenziale in Emerging Markets hinweisen).
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können dabei entweder direkt von dem Dienstleistungsgeschäft ausgehen (z.B. aufgrund veränderter Kundenanforderungen hinsichtlich der produktbegleitenden Dienstleistungen) oder von Veränderungen der zugrunde liegenden Sachleistung herrühren.734 In beiden Fällen zeigt sich, dass eine einmalige Investition in das Know-how der Mitarbeiter keinesfalls ausreichend ist. Vielmehr erfordern die sich wandelnden Anforderungen kontinuierliche Schulungsmaßnahmen. Eine weitere Ursache für die Notwendigkeit permanenter Investitionen liegt in der Mitarbeiterfluktuation begründet, die in einigen Auslandsmärkten erheblich sein kann.735 Soweit Kundenbeziehungen von persönlichen Kontakten beeinflusst werden,736 kommt zu der Fluktuation der eigenen Mitarbeiter auch die kundenseitige Mitarbeiterfluktuation hinzu.737 Betrachtet man die beispielhaft dargestellten Investitionen in geeignetes Personal als notwendig, um produktbegleitende Dienstleistungen und hybride Produkte im Auslandsmarkt erbringen zu können, so sind die Investitionen gleichsam notwendig, um die mit dem Angebot der betrachteten Leistungen in Zusammenhang stehenden Nutzenpotenziale zu realisieren. Diese Perspektive einnehmend, soll im Folgenden kurz auf die von Burmann und Ghemawat beispielhaft genannten Ressourcen der Kundenbeziehungen und Informationen zurückgekommen werden.738 So wurde im Rahmen der Diskussion der Nutzenpotenziale in Kapitel 2 unter anderem auf die Chance eingegangen, das Angebot der betrachteten Leistungen sowohl zum Aufbau und zur Vertiefung von Kundenbeziehun-
734 Diesbezüglich sei beispielsweise auf den grundsätzlichen Trend sich verkürzender Produktlebenszyklen
(vgl. z.B. Freiling 2003, S. 33) sowie auf die zunehmende Komplexität technologischer Sachleistungen (vgl. z.B. Engelhardt 1993, S. 381) hingewiesen. 735 So weist beispielsweise die Erhebung Expansion 2010 – German Investments in China, die nach eigener Aussage „the most significant and extensive survey ever conducted of German operations in China“ darstellt, auf das massive Problem der Mitarbeiterfluktuation in China hin (vgl. German Industry & Commerce 2008). 736 Vgl. z.B. Engelhardt 1993, S. 389. 737 So kann z.B. sowohl die Personalfluktuation der eigenen Unternehmung als auch die kundenseitige Personalfluktuation zu der Notwendigkeit führen, einen neuen Key-Account-Managers aufzubauen. 738 Vgl. Abschnitt 4.3.4.3.3. Ghemawat verwendet in seinen Ausführungen den allgemeinen Begriff information (vgl. Ghemawat 1991, S. 18), Burmann spricht von Markt-Know-how (vgl. Burmann 2002, S. 322ff.). In den folgenden Ausführungen wird der in den bisherigen Kapiteln verwendete Begriff des marktspezifischen Wissens beibehalten.
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gen als auch zur Generierung marktspezifischen Wissens zu nutzen.739 Somit lassen sich Investitionen, die für das Angebot der genannten Leistungen erforderlich sind, aufgrund der damit verbundenen Nutzenpotenziale auch als Investitionen in die Ressourcen Kundenbeziehungen und marktspezifisches Wissen interpretieren: Bezogen auf die Ressource Kundenbeziehungen spielt insbesondere das in der Literatur oftmals betonte Akquisitionspotenzial sowie das Kundenbindungspotenzial eine wesentliche Rolle (im ersten Fall wird auf den Aufbau von Kundenbeziehungen fokussiert, im zweiten Fall auf deren Vertiefung). Mit Blick auf die Ressource marktspezifisches Wissen ist insbesondere das Informationspotenzial von Bedeutung.740 Die Tatsache, dass auf marktspezifisches Wissen nicht nur im hier betrachteten Kontext der Investitionseffekte, sondern auch im Zusammenhang mit anbieterseitigen Lerneffekten Bezug genommen wurde,741 sei an dieser Stelle zum Anlass genommen, kurz auf den in der Pfadforschungsliteratur verschiedentlich hervorgehobenen Hinweis einzugehen, dass positive Rückkopplungseffekte in der Praxis nicht separat voneinander, sondern oftmals in Kombination auftreten.742 Wie in Kapitel 4 hingewiesen wurde, erfolgt die separate Betrachtung einzelner positiver Rückkopplungen vornehmlich zum Zwecke der Analyse und sollte nicht über das in der Praxis gemeinsame Auftreten verschiedener Rückkopplungseffekte hinwegtäuschen. Im Folgenden wird daher das kombinierte Auftreten mehrerer Rückkopplungseffekte beispielhaft anhand der genannten im Zusammenhang mit marktspezifischem Wissen auftretenden positiven Rückkopplungen verdeutlicht, deren zugrunde liegende Argumentationen sich voneinander unterscheiden.
739 Vgl. die Abschnitte 2.1.3.3 und 2.1.4.3. 740 Neben den hier betrachteten Investitionen, die im Zusammenhang mit dem Angebot produktbegleitender
Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte stehen, sind natürlich auch Investitionen denkbar, die unabhängig von dem Angebot der genannten Leistungen dem Aufbau oder der Vertiefung von Kundenbeziehungen bzw. der Generierung marktspezifischen Wissens dienen können (hinsichtlich des Aufbaus bzw. der Vertiefung von Kundenbeziehungen z.B. Investitionen in eine CRM-Software und hinsichtlich der Generierung marktspezifischen Wissens z.B. der Erwerb von Marktberichten oder die Durchführung von Feldstudien). 741 Vgl. Abschnitt 5.1.3.1. 742 Vgl. Abschnitt 4.3.4.2.4 sowie z.B. Arthur 1988, S. 591.
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Im Rahmen der Argumentation anbieterseitiger Lerneffekte beruht die Rückkopplung grundsätzlich darauf, dass durch das bessere Verständnis der Marktanforderungen und der kundenspezifischen Bedürfnisse eine auf diese Anforderungen und Bedürfnisse gezielter ausgerichtete Leistungserbringung ermöglicht wird, die letztlich zu einer Nachfrageerhöhung führt.743 Die damit verbundene Intensivierung und Ausweitung der Interaktionen mit (potenziellen) Kunden bildet wiederum die Grundlage weiterer Chancen zur Generierung und Vertiefung marktspezifischen Wissens. Bei den im vorliegenden Abschnitt betrachteten Investitionseffekten wird hingegen betont, dass der Anbieter seine Ressourcen und Kompetenzen auf den Zielmarkt ausrichtet, indem er verwendungsspezifische Investitionen tätigt, die unternehmungsinterne Veränderungen bewirken (z.B. die Entwicklung eines in spezifischer Weise ausgebildeten Personals, das über entsprechendes Wissen und erforderliche Kompetenzen verfügt, um in einem bestimmten Auslandsmarkt zu agieren). Diese Investitionen ziehen in der oben dargestellten Weise weitere Investitionen nach sich und können zu weiterem Streben nach auslandsmarktspezifischem Wissen beitragen.744 Hierzu ist anzumerken, dass innerhalb der ressourcen- und kompetenzbasierten Forschung hinsichtlich der Aufnahme neuen Wissens verschiedentlich argumentiert wird, dass die Weiterentwicklung bestehenden Wissens grundsätzlich mit geringerem Aufwand verbunden ist als der Aufbau vollkommen neuen Wissens.745 Freiling gibt in diesem Kontext hinsichtlich der Aufnahme neuen Wissens etwa Folgendes zu bedenken: „Akzeptiert man, dass die Aufnahme neuen Wissens vom vorhandenen Wissensstand abhängig ist […], so wird man die Hypothese kaum ablehnen können, dass eine leichtere
743 Grundsätzlich lässt sich diesbezüglich auf allen vier Dispositionsebenen des Marketing (Markt-,
Marktsegment-, Geschäftsbeziehungs- und Transaktionsebene) argumentieren; vgl. Abschnitt 5.1.3.1. 744 So ist es z.B. denkbar (und mit der Annahme des methodologischen Individualismus vereinbar), dass bei
wachsendem Geschäft in einem bestimmten Auslandsmarkt das Interesse der Mitarbeiter steigt, entsprechendes spezifisches Wissen aufzubauen, um die eigenen persönlichen Karrieremöglichkeiten zu verbessern. 745 Die Diskussion der Wissensaufnahme wird im genannten Forschungsbereich von verschiedenen Autoren im Kontext der sogenannten Absorptive Capacity geführt (vgl. z.B. Rasche 1994; Freiling 2001a sowie die dort jeweils angeführte Literatur). Obgleich sich das Konzept der Absorptive Capacity grundsätzlich auf „alle externen Inputgüter“ beziehen lässt (Freiling 2001a, S. 148), fokussieren zahlreiche Beiträge insbesondere auf Wissensaspekte (vgl. Freiling 2001a, S. 147f.).
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Aufnahme von Wissen möglich ist, wenn dieses aus Sicht des Rezipienten in „vertrauteren“ Gebieten liegt. Der Grund“ – so Freiling weiter – „ist darin zu sehen, dass in solchen Fällen das verfügbare Vorwissen zu Zwecken der Wissensaufnahme zur Geltung kommt.“746 Abschließend sei im Kontext auslandsmarktspezifischer Investitionen – wie z.B. dem Aufbau eines Servicenetzes – darauf hingewiesen, dass eine Unternehmung durch die Investitionen ihre Entschlossenheit demonstriert, entsprechende Leistungen im Zielmarkt (längerfristig) anbieten zu wollen. Die Demonstration dieses organisationalen Commitments747 – um den von Ghemawat verwendeten Terminus aufzugreifen – kann potenziell dazu beitragen, kundenseitige Unsicherheiten, die beispielweise gegenüber der Unternehmung als zunächst neuem, unbekanntem und (kultur-)fremdem748 Marktteilnehmer bestehen mögen, zum Teil zu reduzieren. Der (längerfristige) Verbleib eines Anbieters im Zielmarkt kann kundenseitig beispielsweise dann von erheblicher Bedeutung sein, wenn der Kunde darauf angewiesen ist, für eine gekaufte Maschine zeitlich nachgelagerte Services (z.B. die Versorgung mit Ersatzeilen sowie Reparatur- oder Wartungsleistungen) beziehen zu können. Somit kann die Durchführung marktspezifischer Investitionen dazu beitragen, dass (potenzielle) Kunden im Zielmarkt eine Beauftragung der internationalisierenden Unternehmung (sowohl in Bezug auf Sachleistungen als auch in Bezug auf produktbegleitende Dienstleistungen oder hybride Produkte) eher in Betracht ziehen. Ferner sind die (potenziellen) Kunden aufgrund der spezifischen Investitionen der internationalisierenden Unternehmung
746 Freiling 2001a, S. 149, Hervorhebung im Original. Da sich die im Rahmen der Absorptive Capacity
geführte Diskussion der Wissensaufnahme grundsätzlich auf Organisationen bezieht (vgl. z.B. Freiling 2001a, S. 148), sei auch hier ergänzend auf die Vereinbarkeit mit der Annahme des methodologischen Individualismus hingewiesen (vgl. z.B. die diesbezüglichen Ausführungen zur Bedeutung der „individuellen Fähigkeiten der Mitarbeiter zur Aufnahme und Nutzung von Wissen“ (Freiling 2001a, S. 147f. mit Verweis auf Cohen/Levinthal 1990, S. 131) sowie zur Bedeutung von Grundwissen im individuellen Bereich (vgl. Freiling 2001a, S. 148, inkl. FN 228). 747 Es sei explizit darauf hingewiesen, dass der Begriff des Commitments neben der hier verwendeten und auf Ghemawat zurückzuführenden Bedeutung in der ökonomischen Literatur teils hiervon abweichend verwendet wird. Beispielsweise verwendet Söllner den Commitment-Begriff bei der Analyse des Verhältnisses zweier Organisationen zueinander (vgl. auch Freiling 2001a, S. 154 mit Verweis auf Söllner 1993). 748 Vgl. in diesem Zusammenhang die in Abschnitt 2.2.1 angeführte Literatur zur Psychic Distance, in der im Kontext verschiedener Operationalisierungsvorschläge teils auf diesbezügliche Aspekte eingegangen wird.
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möglicherweise eher dazu bereit, ihrerseits spezifische Investitionen hinsichtlich einer Geschäftsbeziehung mit dieser Unternehmung zu tätigen. 5.1.3.4 Komplementaritätseffekte Eine weitere potenzielle Ursache für selbstverstärkende Effekte besteht in der Komplementarität zwischen den Sach- und Dienstleistungsbestandteilen der angebotenen Leistungsbündel.749 Während zahlreiche Beiträge den Begriff der Komplementarität recht allgemein und unspezifisch verwenden und beispielsweise auf eine Unterscheidung verschiedener Arten von Komplementarität verzichten,750 sprechen sich Oxenfeldt und Guiltinan gegen eine pauschale Sichtweise aus und differenzieren zwischen drei verschiedenen Kategorien.751 Diese sollen zunächst kurz vorgestellt und anschließend dazu genutzt werden, die Diskussion der Komplementaritätseffekte im hier betrachteten Kontext zu strukturieren. Es lassen sich – in Anlehnung an Oxenfeldt und Guiltinan – folgende Kategorien unterscheiden: (a) Komplementarität, die auf die Erhöhung des Nutzens anderer Leistungen zurückzuführen ist, (b) Komplementarität aufgrund von „economies in time and effort“, die durch den gemeinsamen Bezug mehrerer Leistungen von einem Anbieter entstehen und (c) Komplementarität durch Verbesserung des „overall image of the seller“. Auf die einzelnen Kategorien sei im Folgenden eingegangen. zu (a): Auf den sich ergänzenden Nutzen verschiedener Leistungen wird im Kontext des Angebots produktbegleitender Dienstleistungen in zahlreichen Beiträgen hingewiesen.752 Stellvertretend für viele sei z.B. Baumbach zitiert, der anmerkt, dass sich durch das Angebot von After-Sales-Services „der Problem-
749 D.h. zwischen zugrunde liegender Sachleistung und den produktbegleitenden Dienstleistungen respektive
zwischen den Sach- und Dienstleistungsbestandteilen eines hybriden Produkts. 750 Für eine allgemeine Definition des Begriffs der Komplementarität vgl. z.B. o.V. 1997, S. 248f. 751 Vgl. Guiltinan 1987, S. 79 in Anlehnung an Oxenfeldt 1966, S. 143. 752 Vgl. z.B. Baumbach 2004, S. 32; Bullinger/van Husen 2006, S. 18; Oliva/Kallenberg 2003, S. 160ff.;
Luczak/Winkelmann/Hoeck 2005, S. 391ff.; Beyer/Stephan 2006, S. 199.
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lösungsbeitrag bzw. der Kundennutzen des Leistungsangebots häufig deutlich erhöhen [lässt].“753 Zudem wird verschiedentlich auf die Möglichkeit hingewiesen, den mit dem Angebot produktbegleitender Dienstleistungen einhergehenden Nutzenzuwachs des Kunden dazu zu verwenden, den Absatz der zugrunde liegenden Sachleistung zu erhöhen.754 Umgekehrt profitiert auch der Absatz produktbegleitender Dienstleistungen von dem Absatz der zugrunde liegenden Sachleistungen und von der Größe der installierten Basis.755 Die Komplementarität zwischen den Leistungsbestandteilen hybrider Produkte wurde im Zusammenhang mit der Definition des Begriffs hybrides Produkt in Kapitel 2 angedeutet. So heben die dort diskutierten Definitionsvorschläge sowohl die „spezielle Abstimmung“ der Sach- und Dienstleistungsbestandteile als auch deren Ausrichtung am individuellen Kundennutzen explizit hervor.756 Unter Verwendung der drei Leistungsdimensionen757 sei hierauf etwas detaillierter eingegangen: Fokussiert man die Betrachtung – wie dies z.B. in dem Definitionsvorschlag von Spath/Demuß zum Ausdruck kommt – auf die Ergebnisebene, so besteht das kundennutzenstiftende hybride Produkt aus aufeinander abgestimmten „materiellen und immateriellen Leistungsergebniskomponenten“.758 Dadurch, dass sie von demselben Anbieter bezogen werden, hat dieser grundsätzlich Gelegenheit, die mit den einzelnen Leistungsbestandteilen verbundenen (teils autonomen und teils integrativen) Leistungserstellungsprozesse frühzeitig mit dem Ziel bestmöglicher Befriedigung der Kundenbedürfnisse aufeinander
753 Baumbach 2004, S. 32. 754 Diese Argumentation erfolgt oftmals im Rahmen der Betrachtung des Akquisitions- bzw. des Differen-
zierungspotenzials, vgl. z.B. Bullinger/van Husen, die feststellen: „Produktbegleitende Dienstleistungen werden immer häufiger zur Differenzierung eingesetzt und sind oft sogar entscheidend für den Erfolg des Primärprodukts“ (Bullinger/van Husen 2006, S. 18). 755 Vgl. z.B. Oliva/Kallenberg 2003, S. 160ff.; Luczak/Winkelmann/Hoeck 2005, S. 391ff.; Beyer/Stephan 2006, S. 199. 756 Vgl. die Diskussion der verschiedenen Definitionsvorschläge hybrider Produkte in Abschnitt 2.1.4.1 sowie die Definitionen von Korell/Ganz 2000, S. 154; Zahn/Foschiani/Lienhard/Meyer 2004, S. 209; Spath/ Demuß 2006, S. 472; Kersten/Zink/Kern 2006, S. 191; Meier/Kortmann/Krug 2006, S. 431 in Abb. 2-2. 757 Vgl. Abschnitt 3.2.1 sowie z.B. Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 395ff. 758 Vgl. Abb. 2-2 sowie Spath/Demuß 2006, S. 472.
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abzustimmen.759 Die Koordination und Durchführung der teils sehr unterschiedlichen Leistungserstellungsprozesse führen dabei regelmäßig zu großen Herausforderungen auf der Potenzialebene, da die Bereitstellungsleistung für die Erbringung der unterschiedlichen Leistungsbestandteile ausgelegt sein muss.760 Die genannte Gelegenheit (und Herausforderung) der „speziellen Abstimmung“ der Sach- und Dienstleistungsbestandteile hat folglich auch Auswirkungen auf die Potenzialebene. Zusammenfassend wird somit deutlich, dass sich die Betrachtung der oben angeführten Komplementarität zwischen den einzelnen Leistungsbestandteilen nicht auf die Leistungsergebnisebene beschränken sollte; vielmehr setzt eine gegenseitige Erhöhung des Nutzens einzelner Leistungsbestandteile auch eine entsprechende Gestaltung der Leistungserstellungsprozesse auf der Prozessebene sowie eine geeignete Konfiguration der Bereitstellungsleistung auf der Potenzialebene voraus, so dass alle drei Leistungsdimensionen in die Betrachtung einzubeziehen sind. zu (b): Hinsichtlich der Komplementarität aufgrund von „economies in time and effort“, die durch den gemeinsamen Bezug mehrerer Leistungen von einem Anbieter entstehen mögen, weist Guiltinan insbesondere auf Einsparungen von Suchkosten hin.761 Hierzu ist einzuwenden, dass Einsparungen von Suchkosten – sowie von weiteren Transaktionskosten wie beispielsweise Anbahnungs- und Vereinbarungskosten762 – nicht die einzigen Aspekte sind, die sich der zweiten hier betrachteten Komplementaritätskategorie subsumieren lassen. Berücksichtigt man den hohen Integrativitätsgrad, durch den sich die Leistungserstellungsprozesse produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte auszeichnen, so ist zu konstatieren, dass der Bezug der genannten Leistungen für den
759 Hierbei hat der Anbieter im Rahmen der integrativen Leistungserstellung die vom Nachfrager in den
Prozess einzubringenden externen Faktoren zu berücksichtigen. 760 Vgl. Meier/Uhlmann/Kortmann 2005, S. 530; Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 65ff. 761 Vgl. Guiltinan 1987, S. 79. 762 Für eine Auflistung verschiedener Transaktionskostenarten vgl. z.B. Picot/Dietl/Franck 2005, S. 57 sowie
Freiling/Reckenfelderbäumer 2007, S. 58.
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Nachfrager mit erheblichem Aufwand verbunden sein kann, da er an den Erstellungsprozessen im Rahmen der Einbringung externer Faktoren direkt beteiligt ist.763 Beim Bezug mehrerer Leistungen von einem Anbieter ist es dabei grundsätzlich denkbar, dass sich für den Nachfrager der hiermit verbundene „time and effort“ gegenüber der Situation der Zusammenarbeit mit vielen verschiedenen Anbietern etwa dadurch reduziert, dass die externen Faktoren teils nur einmal zur Verfügung gestellt werden müssen. So ist es beispielsweise möglich, dass sich „Zeit und Aufwand“ für die Mitarbeiter des Nachfragers dadurch reduzieren, dass sie – als Experten des in der Organisation des Nachfragers bestehenden technologischen Status quo und der bestehenden Systemanforderungen – mit nur einem Anbieter zusammenarbeiten müssen. Auf einen weiteren Aspekt, der im Kontext der zweiten hier betrachteten Komplementaritätskategorie von Bedeutung ist, weist Roth unter Bezug auf Stremersch/ Tellis hin, indem er feststellt, dass der gemeinsame Bezug mehrerer Leistungen für den Kunden von Vorteil sein kann, „wenn es sich um komplementäre Güter handelt, deren Funktionsfähigkeit durch Integration sichergestellt werden muss.“764 Roth ist dabei darin zuzustimmen, dass dies häufig bei technischen Leistungen, wie sie beispielsweise von Maschinenbauunternehmungen erbracht werden, der Fall ist. Zur Veranschaulichung sei beispielhaft auf die Situation eingegangen, dass sich ein Kunde dazu entschließt, notwendige Wartungs- und Reparaturarbeiten an einer Maschine nicht von deren Hersteller, sondern von einem unabhängigen Dienstleistungsanbieter vornehmen zu lassen. In dieser Situation ist es denkbar, dass die langfristige Funktionsfähigkeit der Maschine möglicherweise dadurch beeinträchtigt wird, dass der beauftragte unabhängige Dienstleistungsanbieter im Vergleich zum Hersteller über ein geringeres technisches Wissen sowie über eine geringere Vertrautheit mit der Maschine verfügt. Darüber hinaus ist es bei Eintritt einer tatsächlich verminderten Funktionsfähigkeit der Maschine für den Kunden äußerst schwierig, den für die verminderte
763 Zu der Einbringung externer Faktoren vgl. z.B. Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993,
S. 401ff. 764 Roth 2006, S. 220 mit Verweis auf Stremersch/Tellis 2002, S. 55ff.
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Funktionsfähigkeit Verantwortlichen zu identifizieren und zur Rechenschaft zu ziehen.765 Dies gilt unabhängig davon, ob die verminderte Funktionsfähigkeit mit den Wartungs- bzw. Reparaturarbeiten in Zusammenhang steht oder nicht. So ist ex post nicht immer zweifelsfrei zu klären, ob eine verminderte Funktionsfähigkeit beispielsweise auf einem Produktionsfehler der Maschine oder auf unsachgemäßen Wartungs- bzw. Reparaturarbeiten beruht. Ist hingegen der Hersteller einer Maschine auch für deren Wartung und Reparatur verantwortlich, entschärft sich die oben dargestellte Problematik für den Kunden erheblich, da die Verantwortung für die verminderte Funktionsfähigkeit in diesem Falle nicht zwischen dem Hersteller und dem unabhängigen Dienstleistungsanbieter zu Lasten des Kunden hin und her geschoben werden kann. zu (c): Als dritte Kategorie führt Guiltinan Komplementarität durch die Verbesserung des „overall image of the seller“ an, das beispielsweise durch das Qualitätsniveau erbrachter Leistungen beeinflusst wird. In diesem Sinne kann eine hochwertige Leistungserbringung zu einer Verbesserung des allgemeinen Unternehmungsimages beitragen, die wiederum positive Auswirkungen auf den Absatz anderer Leistungen hat. Auch im Rahmen der Erforschung produktbegleitender Dienstleistungen wird die Möglichkeit des positiven Imagetransfers von der Erbringung besagter Leistungen auf das Image der Gesamtunternehmung thematisiert.766 Die differenzierte Betrachtung anhand der von Guiltinan und Oxenfeldt vorgeschlagenen Kategorisierung zeigt, dass im Kontext der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte verschiedene Ansatzpunkte bestehen, auf welche Weise die in Abschnitt 4.3.4.3.4 diskutierten Komplementaritätseffekte zur Ausbildung positiver Rückkopplungen beitragen können.
765 In dem Fall, dass sich der Kunde dazu entschließt, die genannten Wartungs- und Reparaturarbeiten selbst
zu erbringen, stellt sich die Situation hinsichtlich der begrenzten Möglichkeit der Schuldzuweisung recht ähnlich dar. 766 Hierauf wurde im Abschnitt 2.1.3.3 eingegangen, so dass hier auf eine Wiederholung der Ausführungen
verzichtet wird.
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5.1.3.5 Koordinationseffekte Koordinationseffekte können im Kontext des Angebots produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte beispielsweise hinsichtlich der Dichte eines Servicenetzes auftreten. Insbesondere in Bezug auf Leistungen, die kundenseitig sehr kurzfristig benötigt werden – etwa die Entstörung einer Maschine – ist es denkbar, dass der Kunde von der Dichte des Servicenetzes seines Maschinenzulieferers unmittelbar profitiert. Besonders deutlich wird der kundenseitige Vorteil eines dichten Servicenetzes in den Fällen, in denen ein vorübergehender Maschinenausfall für den Kunden mit erheblichen Produktionsausfällen verbunden ist. Die Dichte des Servicenetzes hängt wiederum u.a. von dem Ausmaß der installierten Basis (in einem Land oder in einer Region) ab, so dass sich positive Rückkopplungen in der in Abschnitt 4.3.4.3.5 dargestellten Weise ergeben können.767 Von dem dargestellten 'unmittelbaren' Vorteil, der kundenseitig mit einem dichten Servicenetz eines Maschinenherstellers verbunden sein kann, sind ('mittelbare') Vorteile zu unterscheiden, von denen die Kunden potenziell dadurch profitieren, dass der Maschinenhersteller dank einer großen (bzw. wachsenden) installierten Basis (zunehmend) in der Lage ist, die angebotenen Leistungen durch erzielte dynamische Skalenerträge zu verbessern bzw. deren Preise durch erzielte (statische oder dynamische) Skalenerträge zu senken.768 5.1.4
Zusammenfassende Betrachtung der Bedeutung positiver Rückkopplungen im Kontext der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten
In den vorangegangenen Abschnitten wurde unter systematischer Berücksichtigung der in der Pfadforschungsliteratur diskutierten potenziellen Ursachen positiver Rückkopplungen und unter Bezugnahme auf die Nutzenpotenziale
767 Zur Möglichkeit positiver Rückkopplungen im Zusammenhang mit Servicenetzen vgl. auch Katz/Shapiro
1985, S. 424. 768 Für die Darstellung von Selbstverstärkungseffekten, die auf Skaleneffekten bzw. anbieterseitigen Lern-
effekten basieren, vgl. Abschnitt 5.1.3.1.
197
produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte darauf eingegangen, dass verschiedene potenzielle Ursachen für positive Rückkopplungen existieren, die bei der Einführung der genannten Leistungen in einem Auslandsmarkt zu pfadbezogenen Prozessen führen können. Im Folgenden soll anhand eines mit den Annahmen der CbTF konformen Modells gezeigt werden, inwiefern die identifizierten potenziellen Selbstverstärkungseffekte grundsätzlich für eine möglichst frühzeitige Einführung der betrachteten Leistungen im Auslandsmarkt sprechen. Während die einzelnen potenziellen Ursachen in den vorangegangenen Abschnitten detailliert diskutiert wurden, stellt die folgende Darstellung nicht auf einzelne Ursachen ab, sondern dient dem Zweck, insbesondere den passim angedeuteten Sachverhalt zu veranschaulichen, dass sich die Existenz potenzieller Selbstverstärkungseffekte für die betrachtete Unternehmung im hier zugrunde gelegten Verständnis pfadbezogener Prozesse grundsätzlich positiv oder negativ auswirken kann.769 Der „marktorientierten Systemarchitektur“770 der CbTF Rechnung tragend, berücksichtigt die folgende Diskussion die kundenseitige Entscheidung, ob Leistungen, die mit einer Sachleistung (etwa einer Maschine) in Zusammenhang stehen – beispielsweise Leistungen aus dem in Abschnitt 2.1.3.2 dargestellten breiten Spektrum produktbegleitender Dienstleistungen oder das Betreiben einer Maschine – gleichfalls vom Hersteller der Maschine bezogen werden oder von alternativen Quellen erbracht werden (beispielsweise von unabhängigen Dienstleistungsanbietern oder vom Kunden selbst).771
769 Vgl. die Ausführungen in Abschnitt 4.3.3.3 zu der Feststellung, dass mit Selbstverstärkungseffekten
sowohl Chancen als auch Risiken verbunden sein können. 770 Freiling/Gersch 2007, S. 82. 771 Unterstellt wird somit, dass grundsätzlich Bedarf an Leistungen im Zusammenhang mit einer Sach-
leistung – z.B. einer Maschine – besteht (inklusive der potenziellen Eigenerbringung durch den Kunden). Alternativ müsste von einer Sachleistung ausgegangen werden, die beispielsweise keinerlei Wartung, Adjustierung, Bedienung durch fachkundiges Personal usw. bedarf. Dies erscheint – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der häufig betonten Komplexität und Erklärungsbedürftigkeit vieler Maschinen (vgl. z.B. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 217) – jedoch realitätsfern.
198
Abb. 5-3 visualisiert die Bedeutung positiver Rückkopplungen im hier betrachteten Kontext und soll nachfolgend erläutert werden.772 Die Abbildung stellt die Präferenz potenzieller Kunden dar, produktbegleitende Dienstleistungen bzw. hybride Produkte entweder vom Hersteller der Sachleistung zu beziehen oder auf alternative Quellen der Leistungserbringung zurückzugreifen.773 Unabhängig davon, ob es zu Selbstverstärkungseffekten kommt, ist gemäß der prozessualen Sichtweise der CbTF davon auszugehen, dass sich die kundenseitigen Präferenzen im Zeitablauf ändern (können). Auf der Zeitachse werden in der Abbildung drei Zeitpunkte (t0, t1 und t2) herausgegriffen, um verschiedene Szenarien zu diskutieren, wobei für die Zeitpunkte t1 und t2 mehrere Szenarien dargestellt sind, auf die gleichfalls eingegangen wird. Zunächst sei jedoch der Fokus auf den Zeitpunkt t0 gerichtet, der den Ausgangspunkt der folgenden Betrachtung bildet und den Zeitpunkt darstellt, zu dem die internationalisierende Unternehmung ihre Sachleistungen erstmalig im betrachteten Auslandsmarkt offeriert. Gemäß der Annahmen des harten Kerns der CbTF ist davon auszugehen, dass sich die potenziellen Kunden in ihren Präferenzen, bestimmte produktbegleitende Dienstleistungen bzw. hybride Produkte vom Hersteller der Sachleistung zu beziehen oder diese alternativ selbst zu erbringen bzw. anderweitig zu beziehen, voneinander unterscheiden.774 In Abb. 5-3 ist die Heterogenität der kundenseitigen Präferenzen in t0 durch die „Sternenwolke“ t0(H+) dargestellt.
772 Die folgenden Ausführungen lehnen sich teilweise an die Darstellung Arthurs zur Pfadabhängigkeit bei
miteinander konkurrierenden Technologien an, vgl. Arthur 1988, S. 590ff., insb. S. 600. 773 Als alternative Quellen der Leistungserbringung kommen die Beauftragung 'alternativer Anbieter' und die
Eigenerbringung durch den Kunden in Frage. In den folgenden Ausführungen wird auf die 'alternativen Anbieter' fokussiert. Es ist jedoch anzumerken, dass die folgende Argumentation für den Fall der kundenseitigen Eigenerbringung weitgehend analog gilt. 774 Vgl. z.B. die Ausführungen zur Annahme des Subjektivismus in Abschnitt 4.2.1.2.
199
/ / Kundenseitige Präferenz für Leistungserbringung durch Hersteller (H)
= Präferenz einer einzelnen Unternehmung
t2(H)
t1(H+) t0(H+) t2(H/aQ) Zeit t1(aQ+)
t2(aQ)
Kundenseitige Präferenz für Leistungserbringung durch alternative Quellen (aQ)*
t0
t1
t2
* z.B. durch Drittanbieter (‘alternative Anbieter‘) oder kundenseitige Eigenerbringung
Abb. 5-3: Szenarien der Entwicklung kundenseitiger Präferenzen hinsichtlich der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte durch den Sachleistungshersteller oder durch alternative Quellen Für diesen Zeitpunkt wird in dem Modell unterstellt, dass der Hersteller über einen (Wissens-)Vorsprung gegenüber 'alternativen Anbietern' verfügt, produktbegleitende Dienstleistungen oder hybride Produkte anzubieten, die auf die von ihm erstellten Sachleistungen abgestimmt sind.775 So konstatieren Wise/Baumgartner: „Because manufacturers have an intimate knowledge of their products and markets, they are well positioned to carry out many downstream activities.“776 Sehr ähnlich äußern sich Oliva/Kallenberg, indem sie feststellen: „Product manufacturers have unique advantages when serving their IB [RW: i.e., installed base]. […] many of the services provided to an IB require special knowledge about the product and its technology. The product manufacturer has an additional advantage
775 Wie in Fußnote 773 dargestellt, gilt dies analog gegenüber dem Kunden im Falle der kundenseitigen
Eigenerbringung. 776 Wise/Baumgartner 1999, S. 134.
200
as it has knowledge of the product service requirements over its life cycle.“777 Dieser Vorteil ermöglicht es dem Hersteller, Leistungen anzubieten, denen die meisten der potenziellen Kunden einen höheren Wert beimessen als entsprechenden Leistungen 'alternativer Anbieter'. In Abb. 5-3 wird dies durch die asymmetrische Verteilung der „Sternenwolke“ in t0 zugunsten der kundenseitigen Präferenz für eine Leistungserbringung durch den Hersteller sowie durch die Bezeichnung t0(H+) verdeutlicht.778 Betrachtet man die dargestellte Ausgangssituation in t0 im Rahmen der CbTF und in Anlehnung an das Wettbewerbsmodell von Hamel/Prahalad, so lässt sich der Vorteil des Herstellers gegenüber potenziellen 'alternativen Anbietern' etwa wie folgt erklären: Bereits vor dem Angebot der von ihm erstellten Sachleistung im betrachteten Auslandsmarkt hat der Hersteller aufgrund seiner profunden Kenntnis dieser Leistung und seinem Wissen, dass er die Sachleistung im Auslandsmarkt anbieten wird, die Möglichkeit, Inputgüter, Ressourcen und Kompetenzen, die für ein auf diese Sachleistung abgestimmtes (Dienstleistungs-)Angebot erforderlich sind, zu identifizieren sowie etwaige Ressourcen- und Kompetenzlücken zu schließen. 'Alternative Anbieter', die erst durch das konkrete Angebot der Sachleistung auf den Bedarf an hierauf abgestimmten (Dienstleistungs-) Angeboten aufmerksam werden, müssen ihrerseits zunächst die erforderlichen Inputgüter, Ressourcen und Kompetenzen identifizieren sowie bestehende Ressourcen- und Kompetenzlücken schließen. Dieser Prozess setzt – verglichen mit dem beim Hersteller erfolgten Prozess – nicht nur mit zeitlicher Verzögerung ein, sondern kann – insbesondere angesichts der geringeren Sachleistungskenntnis der 'alternativen Anbieter' – erhebliche Zeit in Anspruch nehmen und wird durch die Wirkung bestehender Isolationselemente zusätzlich erschwert.779
777 Oliva/Kallenberg 2003, S. 164. 778 Zur Bezeichnung t (H+): t bezieht sich auf den betrachteten Zeitpunkt, H+ darauf, dass die meisten 0 0
potenziellen Kunden die Leistungserbringung durch den Hersteller der Sachleistung bevorzugen. 779 Für eine ausführliche Darstellung möglicher Isolationselemente vgl. insbesondere Freiling 2001a, S. 98ff.
sowie die dort angeführte Literatur.
201
Der dargestellte Wissensvorsprung des Herstellers kann jedoch im Laufe der Zeit erodieren oder gar vollständig verloren gehen.780 Verzichtet der Hersteller etwa zunächst auf die Einführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte,781 so kann dies dazu führen, dass die Nachfrage nach entsprechenden (Dienstleistungs-)Angeboten von 'alternativen Anbietern' befriedigt wird (bzw. sich Kunden dazu entschließen, die erforderlichen Leistungen selbst zu erbringen). Durch die Erbringung der Leistungen lernen die 'alternativen Anbieter' sowohl die Sachleistung als auch beispielsweise die Bedürfnisse der Kunden zunehmend besser kennen und etablieren sich möglicherweise allmählich für die Kunden als kompetente Partner. Der Hersteller gibt somit seinen ursprünglichen Vorteil nach und nach an 'alternative Anbieter' ab. In Abb. 5-3 ist das beschriebene Szenario durch die „Sternenwolke“ t1(aQ+) symbolisiert. In dem skizzierten Szenario gibt es nur noch wenige potenzielle Kunden, die sich dennoch für eine Leistungserbringung durch den Hersteller der Sachleistung entscheiden würden (in Abb. 5-3 dargestellt durch die asymmetrische Verteilung der „Sternenwolke“ t1(aQ+)).782 Entschließt sich der Hersteller hingegen, produktbegleitende Dienstleistungen bzw. hybride Produkte im Markt anzubieten, wird er gemäß der dritten Phase des Wettbewerbsmodells von Hamel/Prahalad grundsätzlich damit rechnen müssen, mit 'alternativen Anbietern' um Marktanteile zu konkurrieren. Hierbei ist es dem Hersteller bei einem frühzeitigen Angebot der genannten Leistungen potenziell möglich, die zuvor dargestellte Erosion seiner vorteilhaften Ausgangsposition aus t0 zu verhindern und seinen Vorsprung gegenüber 'alternativen Anbietern' auszubauen. In Abb. 5-3 ist dieses Szenario durch die „Sternenwolke“ t1(H+) dargestellt.
780 Auf die grundsätzliche Vergänglichkeit der angesprochenen Isolationselemente weisen z.B. Gersch/
Freiling/Goeke 2005, S. 21 hin; vgl. zudem die Ausführungen zur „Zeitindizierung“ in Abschnitt 4.2.1.3, die auch in Abb. 5-3 zum Ausdruck kommt. 781 Auf potenzielle Ursachen hierfür wird in Abschnitt 5.2.1 eingegangen. 782 Zur Bezeichnung t (aQ+): t steht für den betrachteten Zeitpunkt; aQ+ für die mehrheitliche Präferenz für 1 1 eine Leistungserbringung durch alternative Quellen.
202
Je nach zeitlichem Verlauf dieser dritten Wettbewerbsphase können sich Selbstverstärkungsmechanismen, die auf den verschiedenen in den vorangegangenen Abschnitten diskutierten potenziellen Ursachen basieren, für den Hersteller der Sachleistung nun positiv oder negativ auswirken.783 So ist es denkbar, dass der Hersteller von positiven Rückkopplungen profitiert, die seinen oben dargestellten Vorteil verstärken und ihn in seinem Streben nach einem hohen Marktanteil unterstützen (vgl. Szenario t1(H+) sowie Szenario t2(H), in dem sämtliche potenzielle Kunden eine Leistungserbringung durch den Hersteller gegenüber der kundenseitigen Eigenerbringung oder der Erbringung durch 'alternative Anbieter' bevorzugen). Andererseits ist es aber auch möglich, dass die 'alternativen Anbieter' ihrerseits von positiven Rückkopplungen profitieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn es ihnen – beispielsweise durch ein verzögertes Angebot entsprechender Leistungen von Seiten des Sachleistungsherstellers – frühzeitig gelingt, sich als kompetenter Leistungsanbieter im Markt zu etablieren (vgl. Szenario t1(aQ+) sowie Szenario t2(aQ) in Abb. 5-3). Allerdings muss die Existenz positiver Rückkopplungen nicht zwangsläufig zu einem Szenario führen, in dem sich alle potenziellen Kunden entweder für die Leistungserbringung durch den Hersteller (Szenario t2(H)) oder für eine alternative Leistungserbringung (Szenario t2(aQ)) entscheiden. Solange es im Zeitablauf sowohl Kunden gibt, die die Leistungserbringung durch den Hersteller präferieren als auch solche, die eine alternative Leistungserbringung bevorzugen,784 können sich trotz positiver Rückkopplungen beide Gruppen parallel entwickeln (in Abb. 5-3 beispielhaft dargestellt durch das Szenario t2(H/aQ)). In der Logik des dargestellten Modells ist ein solches Szenario bei Vorliegen positiver Rückkopplungen erst dann auszuschließen, wenn in einem (früheren) Zeitpunkt alle potenziellen Kunden die gleiche Präferenz aufweisen. So ist beispielsweise für den Hersteller im Rahmen des dargestellten Modells bei Vorliegen positiver
783 An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Trennung der einzelnen Ursachen vornehm-
lich zu analytischen Zwecken erfolgte und verschiedene der in den letzten Abschnitten dargestellten Ursachen positiver Rückkopplungen in Kombination wirken können. 784 Eine solche Situation liegt beispielsweise in den für die Zeitpunkte t und t dargestellten Szenarien vor. 0 1
203
Rückkopplungen die Erschließung von Marktanteilen in einem Zeitpunkt t3 nicht mehr möglich, wenn im Zeitpunkt t2 das Szenario t2(aQ) bestand. Bezogen auf die Praxis ist hierzu jedoch einschränkend anzumerken, dass in der realen Welt ein solcher Zustand keinen zeitlich unbegrenzten Bestand hat.785 Es sei darauf hingewiesen, dass das Modell keine verhaltenswissenschaftliche Fundierung beansprucht und die grundsätzlich möglichen Szenarien stark vereinfacht dargestellt werden, um die Bedeutung positiver Rückkopplungen im Kontext der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in einem Auslandsmarkt zu verdeutlichen. So wurden in Abb. 5-3 aus Gründen der Komplexitätsreduktion z.B. nur einige wenige der insgesamt möglichen Szenarien dargestellt. Ferner wurde der kundenseitigen Präferenz für die Leistungserbringung durch den Hersteller das Aggregat der kundenseitigen Präferenz für eine alternative Leistungserbringung gegenübergestellt. Hierbei handelt es sich um eine Vielzahl unterschiedlicher Alternativen. Neben der Eigenerbringung durch den Kunden kommen als alternative Quellen der Leistungserbringung etwa spezialisierte Dienstleistungsunternehmungen sowie andere Maschinenbauunternehmungen in Betracht, die jeweils entweder aus dem Heimatmarkt des Herstellers, aus einem Drittland oder aus dem Zielmarkt selbst stammen können. Im Rahmen der hier eingenommenen Sichtweise der CbTF wird davon ausgegangen, dass die verschiedenen genannten Akteure mit dem Ziel, sich im Marktprozess zu behaupten und zu bewähren,786 aktiv versuchen werden, den eigenen Handlungsrahmen zu gestalten und zu nutzen.787 Ihre Gestaltungsmöglichkeiten werden in der dargestellten Situation beispielsweise durch die Aktivitäten der jeweils anderen Akteure sowie durch die mögliche Existenz positiver Rückkopplungen eingeschränkt, so dass die Annahme des gemäßigten Voluntarismus im hier betrachteten Kontext realitätsnah erscheint.788 Der künftige zeitliche Verlauf
785 Vgl. z.B. Ackermann 2001, S. 20. 786 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 41 in Anlehnung an Schneider 1997a, S. 68. 787 Vgl. die Ausführungen zum Homo Agens als Annahme des Entscheidungsverhaltens in Abschnitt 4.2.1.5
sowie z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 25ff. 788 Auf weitere den Handlungsrahmen beeinflussende Restriktionen wird in Abschnitt 5.2 eingegangen.
204
des Pfades ist dabei für die Akteure aufgrund der vielen Unwägbarkeiten – z.B. hinsichtlich der Aktivitäten der alternativen Anbieter und der kundenseitigen Präferenzen – nicht vorhersehbar.789 Deutlich wird jedoch, dass bei Vorliegen positiver Rückkopplungen dem Verlauf in den frühen Phasen eines Pfades große Bedeutung zukommt, da die Existenz selbstverstärkender Effekte einmal bestehende Vor- oder Nachteile gegenüber 'alternativen Anbietern' verstärken kann. Das Modell verdeutlicht somit im Kontext der Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten die grundlegende Feststellung, dass kleine Ereignisse in einer frühen Phase eines Pfades große Auswirkungen auf den weiteren zeitlichen Verlauf haben.790 Ferner unterstreichen die obigen Ausführungen die erhebliche Relevanz der Entscheidung, ab welchem Zeitpunkt ein Sachleistungshersteller auf seine Sachleistungen abgestimmte produktbegleitende Dienstleistungen und hybride Produkte im Auslandsmarkt anbietet, wodurch die Relevanz der Forschungsfrage nochmals zum Ausdruck kommt. Obgleich die genannten Akteure – ganz im Sinne des Menschenbildes des Homo Agens – versuchen, sich von potenziell bestehenden positiven Rückkopplungen einen Vorteil zu verschaffen, sind sie sich wie dargestellt jedoch bewusst, dass der zeitliche Verlauf nur in Grenzen beeinflussbar ist. Auf Aspekte, die den Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Festlegung des Markteinführungszeitpunktes produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte erheblich beeinflussen können, soll in den nächsten Abschnitten eingegangen werden.
789 Vgl. Abschnitt 4.3.1.4 zu den Eigenschaften pfadabhängiger Prozesse sowie Abschnitt 4.2.1.1 zur
Annahme des harten Kerns der CbTF über die radikale Unsicherheit. 790 Vgl. z.B. David 1997, S. 16; North 1990, S. 94.
205
5.2
Kontextspezifische Restriktionen der betrachteten Internationalisierungs(prozess)entscheidung
Im letzten Abschnitt wurde gezeigt, dass sich die Existenz der zuvor ausführlich diskutierten potenziellen Ursachen positiver Rückkopplungen für die betrachtete internationalisierende Unternehmung entweder als Katalysator der eigenen Bestrebungen oder aber als zusätzliche Herausforderung bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte im Auslandsmarkt erweisen kann. Zudem wurde argumentiert, dass die vorteilhafte oder nachteilige Wirkungsweise der Selbstverstärkungseffekte von dem Zeitpunkt der Markteinführung der genannten Leistungen beeinflusst wird. Obgleich dem Management der Unternehmung die Möglichkeit einer 'vorteilhaften Pfadentwicklung' (im Falle der frühzeitigen Markteinführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte) sowie einer 'nachteiligen Pfadentwicklung' (im Falle einer nachgelagerten Markteinführung dieser Leistungsarten) bewusst sein mag, ist der Entscheidungsspielraum des Managements gemäß der Annahme des gemäßigten Voluntarismus begrenzt und nimmt mit zunehmender Verfestigung der Marktstrukturen im Laufe der Zeit ab.791 In der Diskussion über die mögliche Entwicklung von vorteilhaften oder nachteiligen Pfaden wurde in Abschnitt 5.1.4 zum Zwecke der Analyse die Entwicklung im Auslandsmarkt in dem Sinne von der zeitlich vorgelagerten geschichtlichen Entwicklung separiert, dass das erstmalige Angebot der Sachleistung im Auslandsmarkt in dem Modell als Ausgangssituation t0 betrachtet wurde. Allerdings ist anzumerken, dass auch die Situation, in der die Entscheidung über das erstmalige Leistungsangebot getroffen wurde, in einen historischen Kontext eingebettet war.792 Da somit nicht nur für die im letzten Abschnitt diskutierten Geschehnisse im Auslandsmarkt, sondern auch für die Internationalisierungs-
791 Vgl. die Ausführungen zum Wettbewerbsmodell von Hamel/Prahalad in Abschnitt 4.2.3 sowie Gersch/
Freiling/Goeke 2005, S. 55ff. 792 Diese Feststellung erfolgt ganz im Sinne des Einwands von Schreyögg/Sydow/Koch zur A-Historizität
der ersten Phase des von ihnen dargestellten Modells des Pfadbildungsprozesses (vgl. Schreyögg/Sydow/ Koch 2003, S. 263ff.).
206
(prozess)entscheidung selbst gilt, dass „history matters“, erfolgt die betrachtete Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten vor dem Hintergrund bestimmter Rahmenbedingungen, die sich bereits vor Beginn des Internationalisierungsprozesses im Laufe der Zeit entwickelt haben und im Folgenden als kontextspezifische Restriktionen bezeichnet werden. Diese können dazu führen, dass eine frühzeitige Einführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte deutlich erschwert wird. Es ist aber auch denkbar, dass eine Einführung von Sachleistungen im Auslandsmarkt mehr oder minder die gleichzeitige Einführung von produktbegleitenden Dienstleistungen bzw. hybriden Produkten voraussetzt. Nachfolgend wird auf wesentliche Ursachen beider Situationen eingegangen. 5.2.1
Hemmnisse für eine frühzeitige Einführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte im Auslandsmarkt
Die folgenden Aspekte beschränken potenziell die Möglichkeit, produktbegleitende Dienstleistungen bzw. hybride Produkte frühzeitig im Auslandsmarkt einzuführen, und stellen somit potenzielle Ursachen für eine zeitlich nachgelagerte Einführung dieser Leistungen dar. Sie sind insofern aus Sicht der internationalisierenden Unternehmung als tendenziell problematisch einzustufen, da sie – bezogen auf die im vorangegangenen Abschnitt geführte Diskussion – der Ausbildung einer für die Unternehmung 'vorteilhaften Pfadentwicklung' zeitlich entgegengerichtet sind. 5.2.1.1 Finanzielle und personelle Ressourcenengpässe bei der Leistungseinführung im Auslandsmarkt In den vorigen Abschnitten wurde ausführlich darauf eingegangen, dass verschiedene Ursachen zu Selbstverstärkungseffekten führen können und somit in der in Abschnitt 5.1.4 dargestellten Weise dafür sprechen, produktbegleitende Dienstleistungen und hybride Produkte möglichst frühzeitig im Zielmarkt einzuführen. Das Angebot der genannten Leistungen in einem aus Sicht der Unternehmung neuen Auslandsmarkt wird jedoch meist eine Ressourcen- und Kompetenzausstat207
tung erfordern, die es teilweise zunächst noch aufzubauen gilt, um z.B. die notwendige Infrastruktur für ein effizientes und effektives Servicenetz im Zielmarkt zu schaffen.793 Da für die Leistungserbringung im Rahmen künftiger Beauftragungen grundsätzlich auf das Servicenetz zurückgegriffen werden kann, lassen sich dessen Aufbau sowie die Komplettierung der hierzu erforderlichen Ressourcen und Kompetenzen als Investitionen auffassen, die sich möglicherweise erst über einen längeren Zeitraum amortisieren.794 Diese Investitionen setzen jedoch voraus, dass die Unternehmung grundsätzlich über die hierzu erforderlichen finanziellen Ressourcen verfügt. So gibt beispielsweise Engelhardt zu bedenken, dass After-Sales-Services in vielen Fällen Kundennähe voraussetzen, für deren Sicherstellung ein Servicenetz erforderlich ist, das „mit großen Kosten aufgebaut und unterhalten werden muss“.795 Die vorzuhaltende Bereitstellungsleistung muss dabei ausreichend bemessen sein, „um die akquisitorisch wirksame schnelle und qualifizierte Leistungserstellung zu ermöglichen“796, womit erhebliche Fixkosten verbunden sind.797 Neben der teils beträchtlichen Höhe der erforderlichen Investitionen stellen die mit ihrer Planbarkeit verbundenen Unsicherheiten eine weitere Herausforderung für die Unternehmung dar. Auf die Ursachen der schwierigen Planbarkeit, die sich auch darin zeigt, dass Unternehmungen die für den Aufbau eines Servicenetzes erforderlichen Ressourcen oftmals deutlich unterschätzen,798 soll nachfolgend kurz eingegangen werden. Die Planbarkeit der erforderlichen Ressourcen für den Aufbau und den Betrieb eines Servicenetzes wird beispielsweise dadurch erschwert, dass das Ausmaß des kundenseitigen Abrufes der Leistungen für den Anbieter schwierig abzuschätzen
793 Vgl. die Ausführungen zur Bedeutung des Servicenetzes in Abschnitt 5.1.3.3. 794 Eine vergleichbare Argumentation erfolgt z.B. bei Freiling/Buse/Weißenfels im Kontext des Angebots
von Betreibermodellen (vgl. Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 65) sowie bei Freiling 2003, S. 34. 795 Engelhardt 1993, S. 386f. 796 Engelhardt 1993, S. 387. 797 Vgl. ebd. 798 Vgl. z.B. Homburg/Garbe 1996a, S. 68ff.; Homburg/Garbe 1996b, S. 31ff.; Harms/Famulla 2002, S. 15.
208
ist.799 Hiervon hängt jedoch die Bemessung der vorzuhaltenden Bereitstellungsleistung ab. Vor dem Hintergrund der Integration externer Faktoren in den Leistungserstellungsprozess ist weiterhin zu bedenken, dass die erforderlichen Ressourcen wesentlich von der Qualität der kundenseitig einzubringenden externen Faktoren beeinflusst sein können. So kann sich für den Anbieter etwa das Problem ergeben, dass er im Falle der kundenseitigen Bereitstellung qualitativ minderwertiger externer Faktoren weitere eigene Ressourcen zur Kompensation einsetzen muss, um eine zugesicherte Leistungserbringung zu gewährleisten. Darüber hinaus wird die Planbarkeit im hier betrachteten Kontext potenziell dadurch erschwert, dass das Servicenetz nicht im (vergleichsweise vertrauten) Heimatmarkt zu errichten ist, sondern in einem (möglicherweise weitgehend unbekannten) Auslandsmarkt.800 Zu den in der Internationalisierungsliteratur angeführten Unsicherheitsfaktoren, die allgemein mit Auslandsprojekten verbunden sein können,801 kommen weitere hinzu, die insbesondere bei der Erbringung von Dienstleistungen im Zielmarkt eine wesentliche Rolle spielen können. Beispielsweise mag die geringere Vertrautheit mit den kulturellen Besonderheiten des Zielmarkts zu Schwierigkeiten führen, die dort vorherrschende Servicementalität der Wettbewerber und die kundenseitigen Serviceansprüche richtig einzuschätzen. Zudem kommt es, bedingt durch den internationalen Kontext, potenziell zu einer weiteren Erhöhung der Planungsunsicherheiten hinsichtlich der oben angeführten Aspekte des Umfangs kundenseitiger Leistungsabrufe und der Qualität kundenseitig in den Leistungserstellungsprozess einzubringender externer Faktoren. Für die finanzielle Ressourcenplanung ergibt sich aus der dargestellten Planungsunsicherheit, dass die Unternehmung in der Lage sein sollte, ausreichend finan-
799 Vgl. z.B. Engelhardt 1993, S. 387. 800 Vgl. hierzu z.B. die in Abschnitt 2.2.1 angeführte Diskussion zur Psychic Distance inklusive der dort
angegebenen Literatur. 801 Beispielsweise Währungsrisiken, Zahlungsrisiken, Transferrisiken, Sicherheitsrisiken, etc. Für eine Auf-
listung weiterer internationalisierungsspezifischer Unsicherheitsfaktoren vgl. z.B. Kutschker/Schmid 2005, S. 929ff.
209
zielle Ressourcen vorzuhalten, um vorübergehende Verluste abzufangen und auch eine ex ante nicht exakt planbare „Durststrecke“ zu überwinden. Wie in Abschnitt 5.1.3.3. dargestellt wurde, ist für die Einführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte in einem Auslandsmarkt neben der Verfügbarkeit ausreichender finanzieller Ressourcen auch der Aufbau von spezifischen personellen Ressourcen und entsprechenden Kompetenzen erforderlich. Soweit eine Unternehmung durch die Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte im Heimatmarkt bereits über entsprechende Ressourcen und Kompetenzen verfügt, besteht die Herausforderung für die Unternehmung darin, diese vorhandene Ressourcen- und Kompetenzausstattung für die Leistungserbringung im Zielmarkt nutzbar zu machen. Während dies hinsichtlich einiger Ressourcen und Kompetenzen ohne größere Modifikationen möglich sein kann,802 werden für die Erbringung der Leistungen im Auslandsmarkt zum Teil auch Ressourcen und Kompetenzen erforderlich sein, über die die Unternehmung zunächst nicht verfügt.803 Ferner ist es aufgrund der oben angeführten, für die Erbringung der Leistungen erforderlichen Kundennähe oftmals notwendig, im Zielmarkt entsprechende personelle Ressourcen aufzubauen oder die Leistungserbringung durch alternative Lösungen sicherzustellen.804 Wurden vor der Auslandsmarkterschließung von der Unternehmung insgesamt – d.h. auch im Heimatmarkt – keine bzw. nur in geringem Umfang produktbeglei-
802 Denkbar ist dies beispielsweise im Zusammenhang mit organisatorischen Kompetenzen sowie mit
Kompetenzen des (Dienstleistungs-)Controllings. 803 Vgl. z.B. die Ausführungen zur Bedeutung der Marktpräsenz zum Aufbau marktspezifischen Wissens in
Abschnitt 2.2.2. 804 Grundsätzlich denkbare Alternativen umfassen beispielsweise die Erbringung der Leistungen durch
(entsprechend mobiles) Servicepersonal aus dem Heimatmarkt oder die Nutzung eines Kooperationspartners (für eine ausführliche Darstellung verschiedener Alternativen der Service-Trägerschaft vgl. z.B. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 255ff.). Der erste Fall wird in vielen Fällen z.B. aufgrund der erforderlichen Reaktionszeiten nicht möglich sein. Auf die Nutzung eines Kooperationspartners geht beispielsweise Engelhardt ein, der nachdrücklich auf die damit verbundenen Gefahren hinweist (vgl. Engelhardt 1993, S. 386). Gerade vor dem Hintergrund der verschiedenen ausführlich diskutierten Nutzenpotenziale, gilt es ferner zu bedenken, dass diese durch die Zwischenschaltung eines Kooperationspartners erheblich beeinträchtigt werden können (vgl. zu dieser Ansicht auch Engelhardt/Reckenfelderbäumer 1993, S. 291).
210
tende Dienstleistungen bzw. hybride Produkte erbracht und fehlt es somit in der gesamten Unternehmung an entsprechenden Ressourcen und Kompetenzen, so stellt sich die Situation deutlich schwieriger dar. Hierauf wird im folgenden Abschnitt näher eingegangen. 5.2.1.2 Ressourcen- und Kompetenzdefizite bezüglich der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte Unter den Autoren, die sich mit Fragestellungen des Angebots produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte befassen, herrscht weitgehend Konsens darüber, dass die Erbringung und Vermarktung dieser Leistungen die Unternehmungen aufgrund der gravierenden Unterschiede zu ihrem Stammgeschäft vor große Herausforderungen stellt.805 Gerybadze/Beyer merken hierzu an: „Der Aufbau des industriellen Servicegeschäfts unterscheidet sich hinsichtlich der Management-Anforderungen oft so grundlegend vom Sachleistungsgeschäft, dass der Erfolg [ …] vor allem davon abhängt, ob ein Unternehmen sich konsequent auf die Anforderungen und Besonderheiten des Servicegeschäfts einstellt.“806 Nippa gibt gleichermaßen zu bedenken, dass das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen ein „umfassendes Verständnis für die damit verbundenen Anforderungen, Rahmenbedingungen und Erfolgsfaktoren“ erfordert807 und Oliva/Kallenberg betonen „transitioning from product manufacturer into service provider constitutes a major managerial challenge.“808 Wie vielschichtig und umfassend die mit dem Management produktbegleitender Dienstleistungen einhergehenden Herausforderungen für einen Maschinenhersteller sind, deutet sich (stellvertretend für viele) in den Ausführungen von Gerybadze/Beyer an, die als Voraussetzungen „den Aufbau neuartiger Fähigkeiten, die Infragestellung tradierter Abläufe, […] die Umstellung auf service-
805 Vgl. z.B. Gerybadze/Beyer 2006, S. 30; Nippa 2005, S. 3; Backhaus/Voeth 2007, S. 563; Oliva/Kallen-
berg 2003, S. 161; Hildenbrand/Gebauer/Fleisch 2006, S. 73ff.; Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 231; Kleikamp 2002, S. 6. 806 Gerybadze/Beyer 2006, S. 30. 807 Nippa 2005, S. 3; Backhaus/Voeth 2007, S. 563. 808 Oliva/Kallenberg 2003, S. 161.
211
gerechte Organisationsstrukturen [sowie] die Überprüfung der bisherigen Erfolgsmaßstäbe, Performance-Metriken und Anreizmechanismen“ anführen.809 Hinsichtlich des Angebots hybrider Produkte sind die notwendigen Veränderungen und damit einhergehenden Herausforderungen für die Unternehmung häufig noch größer. So weist z.B. Kleikamp darauf hin, dass das Angebot von Performance-Contracting-Vereinbarungen vielfältige und einschneidende Konsequenzen mit sich bringt. Er führt hierzu aus, dass „der Anbieter vor grundlegend neue Probleme gestellt [wird], die eine gänzliche Neuausrichtung des Unternehmens bedingen.“810 Als Zwischenfazit ist somit festzuhalten, dass sich das Geschäft mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten deutlich vom traditionellen Sachleistungsgeschäft unterscheidet und die Herausforderungen, die sich einer Maschinenbauunternehmung dabei stellen, erheblich sind. Vor diesem Hintergrund mag es für Unternehmungen, die bislang grundsätzlich keine bzw. nur in sehr geringem Umfang produktbegleitende Dienstleistungen bzw. hybride Produkte erbracht haben und somit über eine nur geringe diesbezügliche Ressourcen- und Kompetenzausstattung verfügen, ratsam sein, diese zunächst durch entsprechende Angebote im (vergleichsweise vertrauten) Heimatmarkt aufzubauen, um hierdurch eine 'Internationalisierungs-Readiness' bezüglich dieser Leistungen zu erreichen. Andernfalls steht die Unternehmung vor der Schwierigkeit, Leistungsarten, über deren Erstellung und Vermarktung keine bzw. kaum Erfahrungen vorliegen, in einem neuen Auslandsmarkt an (oftmals) neue Kunden zu verkaufen, so dass allen in diesem und im letzten Abschnitt angeführten Herausforderungen gleichzeitig zu begegnen ist. Insbesondere wären sowohl die Transition vom Sachleistungshersteller zum Dienstleistungsanbieter mit ihren einschneidenden notwendigen kulturellen und organisatorischen Veränderungen als auch die Erschließung des Auslandsmarktes mit all ihren Herausforderungen –
809 Gerybadze/Beyer 2006, S. 30, ähnlich z.B. auch Oliva/Kallenberg 2003, S. 161; Freiling 2002, S. 217. 810 Kleikamp 2002, S. 6.
212
z.B. der Überbrückung sowohl der geografischen als auch der psychischen Distanz sowie der Handhabung der angeführten internationalisierungsspezifischen Unsicherheiten811 – gleichzeitig zu bewältigen. In etwas anderem Kontext geben Teece/Rumelt/Dosi/Winter zu bedenken: „If firms attempt to enter new markets with new technologies, failure is likely to be the norm.“812 Zwar handelt es sich im hier betrachteten Kontext nicht um die Einführung einer neuen Technologie, sondern um die Einführung neuer Leistungsarten; doch der warnende Hinweis von Teece/Rumelt/Dosi/Winter hinsichtlich einer möglichen Überforderung scheint auch im hier betrachteten Kontext durchaus angebracht. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass viele Unternehmungen sich mit der Transition vom (reinen) Sachleistungsproduzenten zum Dienstleistungsanbieter bereits ohne gleichzeitigen Internationalisierungsschritt recht schwer tun.813 Während in den bisherigen Ausführungen vereinfachend davon ausgegangen wurde, dass eine Unternehmung entweder über die erforderlichen Ressourcen und Kompetenzen zur Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte verfügt oder nicht, soll die Betrachtung im Folgenden um eine differenziertere Sichtweise ergänzt werden, die auch berücksichtigt, dass es sich bei den betrachteten produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten um ein großes Spektrum unterschiedlicher Leistungen handelt, die sich in ihrer Komplexität zum Teil deutlich voneinander unterscheiden.814 Abb. 5-4 stellt die genannten Leistungen in einem Stufenmodell dar, das u.a. die Unterscheidung in obligatorische und fakultative produktbegleitende Dienstleistungen sowie die ver-
811 Vgl. Fußnote 801. 812 Teece/Rumelt/Dosi/Winter 1994, S. 17. 813 Vgl. z.B. Reinartz/Ulaga, die diesbezüglich feststellen: „even the best stumble“ (Reinartz/Ulaga 2008,
S. 91ff.); Hildenbrand/Gebauer/Fleisch, die ebenso auf zahlreiche Schwierigkeiten eingehen (vgl. Hildenbrand/Gebauer/Fleisch 2006, S. 73ff.); Engelhardt/Reckenfelderbäumer, die unter Verweis auf eine empirische Untersuchung von Läbe/Stolpmann explizit auf besonders große Schwierigkeiten im Maschinenbau hinweisen (vgl. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 231; Läbe/Stolpmann 1993, S. 27) sowie Homburg/Garbe 1996b, S. 31ff. 814 Konkrete Beispiele produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte, die die Vielfalt der genannten Leistungsarten verdeutlichen, wurden in Abschnitt 2.1.3.2 sowie in Abschnitt 2.1.4.2 aufgeführt.
213
schiedenen in Abschnitt 2.1.4.2 dargestellten Arten hybrider Produkte berücksichtigt. Leistungsergebnisverkauf Leistungsverkauf Sondermaschinen komplexe fakultative Leistungen
zugrunde liegende Sachleistung
keine eigenständige Vermarktungsfähigkeit
Sachleistung
Kombination/ Integration
einfache fakultative Leistungen obligatorische Dienstleistungen (Minimal-)Leistungen zur Erlangung der Vermarktungsfähigkeit sowie Leistungen zur Erfüllung gesetzlicher Auflagen
produktbegleitende Dienstleistungen im Sinne dieser Arbeit
Übernahme technischer Risiken (z.B. Risiken mangelnder Haltbarkeit oder außergewöhnlichen Ausfalls einzelner Komponenten)
Übernahme (weiterer) Betreiberrisiken (z.B. Risiken durch Unfälle, Fehlbedienungen oder Fehlnutzungen)
mit ohne mit ohne Übernahme Übernahme Übernahme Übernahme des des des des Absatzrisikos Absatzrisikos Absatzrisikos Absatzrisikos des Kunden des Kunden des Kunden des Kunden
hybride Produkte im Sinne dieser Arbeit
Abb. 5-4: Stufenmodell produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte815/816 Ähnliche Stufenmodelle finden sich in einigen Beiträgen zur Erforschung von Leistungen, die in der vorliegenden Arbeit den hybriden Produkten subsumiert werden.817 Obgleich nicht immer in der gebotenen Deutlichkeit erwähnt, ist diesen Stufenmodellen gemeinsam, dass sie lediglich idealtypisch auf Abstufungen zwischen einzelnen Leistungen hinweisen. Es ist jedoch anzumerken, dass sowohl die Zuordnung bestimmter Leistungen zu den Stufen als auch die Reihenfolge der gebildeten Stufen nicht immer eindeutig möglich ist. So erfolgt in dem Modell von Spath/Demuß die Festlegung der Reihenfolge der von ihnen gebildeten Stufen anhand des zunehmenden Differenzierungspotenzials der verschiedenen Leistungen. Dabei bescheinigen sie beispielsweise der Stufe „Service als Beratung“, unter die sie z.B. „Konfigurationsberatungsleistungen“ fassen, ein höheres Differenzierungspotenzial als etwa einem „Full-Service“.818 Berücksichtigt man
815 Eigene Darstellung in Anlehnung an Spath/Demuß 2006, S. 470. 816 Auf die beispielhafte Nennung einzelner Dienstleistungsarten je Stufe wurde in der Abbildung bewusst
verzichtet, da eine Zuordnung oftmals nur unter Berücksichtigung der Einzelumstände möglich ist. Dies sei am Beispiel von Instandhaltungsleistungen verdeutlicht, die zum einen gesetzlich vorgeschrieben sein können und sich zum anderen erheblich in ihrer Komplexität unterscheiden können. Hinzu kommt die spezifische Ressourcen- und Kompetenzausstattung der jeweiligen Unternehmung, die sich ebenfalls auf die Zuordnung auswirken kann. 817 Vgl. z.B. Freiling 2002, S. 218; Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 74; Spath/Demuß 2006, S. 470; Kersten/Zink/Kern 2006, S. 193. 818 Der „Full-Service“ wird von den Autoren mit den Leistungen „Wartung, Instandhaltung und Ersatzteildienst“ zu der Stufe „Service als Betreuung“ zusammengefasst (vgl. Spath/Demuß 2006, S. 470).
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jedoch, dass das Differenzierungspotenzial der Leistungen einer Unternehmung auch von den angebotenen Leistungen der Wettbewerber beeinflusst wird, gegenüber denen sich die Unternehmung differenzieren möchte, so wird deutlich, dass die angeführte Festlegung einer eindeutigen Reihenfolge der Leistungen „Konfigurationsberatung“ und „Full Service“ hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Differenzierungspotenziale nicht allgemeingültig möglich ist. Vergleicht man die Stufenmodelle der verschiedenen Autoren, so fällt zudem auf, dass es zwischen ihnen teils deutliche Unterschiede gibt. So ordnen z.B. Spath/ Demuß „Finanzierungsleistungen“ in ihrem Modell der ersten Stufe zu, während Freiling sowie Freiling/Buse/Weißenfels in ihren Modellen diese Leistungen einer wesentlich höheren Stufe (Stufe 4) subsumieren.819 Die angeführten Beispiele und Beiträge deuten darauf hin, dass die Ausgestaltung der Stufenmodelle kontextspezifisch vorzunehmen ist und von der idealtypischen Darstellung der Modelle abweichen kann. Es zeigt sich aber auch, dass die Verwendung eines Stufenmodells grundsätzlich geeignet ist, der Betrachtung verschiedener Leistungsarten einen strukturierenden Rahmen zu geben. Gemäß dem in Abb. 5-4 dargestellten Stufenmodell werden verschiedene Leistungsarten – ausgehend vom Angebot der Sachleistung mit einem Minimum (obligatorischer) Dienstleistungen bis hin zum Leistungsergebnisverkauf – nach zunehmender Komplexität geordnet. Ähnlich der Reihenfolge produktbegleitender Dienstleistungen von relativ einfachen zu zunehmend komplexen Leistungen werden dabei auch die in Abschnitt 2.1.4.2 genannten Formen hybrider Produkte in eine Ordnung gebracht, wobei die ansteigende Komplexität der Leistungen
819 Vgl. Spath/Demuß 2006, S. 470; Freiling 2002, S. 218; Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 74. Hierbei ist
anzumerken, dass die jeweils ordnenden Dimensionen der verschiedenen Stufenmodelle zwar ähnlich, aber nicht identisch (und auch nicht immer eindeutig) sind. So ordnen Spath/Demuß grundsätzlich nach zunehmendem Differenzierungspotenzial, sprechen aber gleichzeitig von Reifestufen und setzen das Ausmaß des Differenzierungspotenzials mit der Höhe der Anforderungen bei der Leistungserbringung gleich. Freiling/Buse/Weißenfels konstatieren, dass von Stufe zu Stufe „der Umfang der Servicebestandteile sowie der Risikoübernahme […] mit höheren Stufen zu[nimmt]“ (Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 74). Freiling stellt ein ähnliches Stufenmodell vor, argumentiert aber den Aufbau des Modells verstärkt mit dem kundenseitigen organisationalen Wandel, der von Stufe zu Stufe zunimmt (vgl. Freiling 2002, S. 218).
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begleitet wird von einer zunehmenden Übernahme verschiedener Risiken.820 Auch bei dem hier verwendeten Stufenmodell ist zu betonen, dass es sich bei der Bildung und der Reihenfolge der Stufen um eine idealtypische Darstellung handelt. So ist es abweichend von der dargestellten Reihenfolge z.B. denkbar, dass sich die Planung und Herstellung einer Sondermaschine als weniger komplex erweist als die Erbringung 'komplexer fakultativer Leistungen'.821 Auch die Unterteilung in Leistungen ohne und mit Übernahme des Absatzrisikos der Kunden kann zu einer abweichenden Reihenfolge der Stufen führen. Beispielsweise ist es denkbar, dass sich ein Leistungsverkauf mit Übernahme des kundenseitigen Absatzrisikos komplexer gestaltet als die Erbringung eines Leistungsergebnisverkaufs ohne Übernahme dieses Risikos. Die von Stufe zu Stufe zunehmende Komplexität der Leistungen geht gemäß dem Stufenmodell mit steigenden Anforderungen an die Ressourcen und Kompetenzen des Anbieters dieser Leistungen einher.822 Freiling/Buse/Weißenfels identifizieren in Bezug auf die Anforderungen, mit denen sich traditionell sachleistungsorientierte Unternehmungen bei ihrer Transformation zum Anbieter hybrider Leistungen konfrontiert sehen, vier Bereiche relevanter Ressourcen und Kompetenzen, die sie unter dem Begriff der infrastrukturellen Voraussetzungen zusammenfassen.823 In ihrer stufenmodellbasierten Diskussion kommen sie diesbezüglich zu dem Schluss, dass „zu prüfen [ist], welche Stufe des Stufenmodells mit der vorhandenen Infrastruktur erreicht werden kann.“824 Eine zum Teil ähnliche und gleichfalls stufenmodellbasierte Diskussion erfolgt bei Spath/ Demuß, die der Auffassung sind, dass „ein erfolgreiches Dienstleistungsangebot
820 Vgl. hierzu Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 74. 821 Dies kann unter anderem durch die Länge der Zeiträume, über die sich die jeweilige Leistungserbringung
erstreckt, beeinflusst sein. Da sich sowohl die Erbringung komplexer produktbegleitender Dienstleistungen als auch die Planung und Herstellung von Sondermaschinen entweder über einen kurzen oder einen mehrere Monate oder gar Jahre umfassenden Zeitraum erstrecken kann, ist eine allgemeingültige Aussage hierzu nicht möglich. 822 Vgl. z.B. auch Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 65; Spath/Demuß 2006, S. 469. 823 Vgl. Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 65. Im Einzelnen handelt es sich um (a) Personal, (b) Mittel und Methoden, (c) unternehmungskulturelle Voraussetzungen sowie (d) Organisation. Die Identifikation erfolgte im Rahmen des Projektes INVEST-S (vgl. Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 64ff.). 824 Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 75.
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einer Reifestufe825 auf den organisatorischen Fähigkeiten und der unternehmerischen Wissensbasis der jeweils unteren Stufe aufbaut.“826 Hieraus leiten sie die Empfehlung ab, dass „möglichst keine Reifestufen übersprungen werden [sollten].“827 Während das Stufenmodell in Abb. 5-4 der sowohl bei Freiling/Buse/Weißenfels als auch bei Spath/Demuß dargestellten Grundidee folgt, dass die Anforderungen an die Ressourcen- und Kompetenzausstattung einer Unternehmung von Stufe zu Stufe zunehmen, wird die von Spath/Demuß abgeleitete Handlungsempfehlung aus den im Folgenden dargestellten Gründen kritisch betrachtet. Zunächst ist diesbezüglich anzumerken, dass die Argumentation von Spath/ Demuß aus einem stark ausgeprägten unternehmungsinternen Blickwinkel erfolgt, so dass unternehmungsexterne Aspekte bei der Ableitung ihrer Handlungsempfehlung weitgehend unberücksichtigt bleiben. In Verbindung mit den folgenden Abschnitten wird jedoch deutlich, dass es in Bezug auf das Angebot von Leistungen der verschiedenen Stufen zweckmäßig ist, die Ressourcen- und Kompetenzausstattung der Unternehmung auch im Zusammenhang mit unternehmungsexternen Faktoren zu betrachten, die in diesem Kontext gleichfalls von Bedeutung sind. So ist z.B. grundsätzlich zu berücksichtigen, wie stark die Leistungen verschiedener Stufen am Markt nachgefragt werden und in welchem Ausmaß vergleichbare Leistungen von Wettbewerbern angeboten werden.828 Bezieht man sowohl unternehmungsinterne als auch -externe Aspekte in die Betrachtung ein, so wird deutlich, dass die Handlungsempfehlung von Spath/Demuß nicht die
825 Spath/Demuß bezeichnen das von ihnen verwendete Stufenmodell auch als Reifemodell und die einzelnen
Stufen entsprechend als Reifestufen. Zu den Begriffen führen sie aus: „Lassen sich […] Fähigkeiten in Stufen differenzieren, wobei jede Stufe auf den Fähigkeiten der unteren Stufen aufbaut, so spricht man von einem Reifemodell, die einzelnen Stufen werden als Reifestufen bezeichnet.“ (Spath/Demuß 2006, S. 469, Hervorhebungen im Original). 826 Spath/Demuß 2006, S. 469. Anders als Freiling/Buse/Weißenfels, die mit ihren Ausführungen zu den infrastrukturellen Voraussetzungen explizieren, auf welche Ressourcen- und Kompetenzbereiche sie ihre Diskussion beziehen, gehen Spath/Demuß jedoch nicht näher darauf ein, was unter den angeführten „organisatorischen Fähigkeiten und der unternehmerischen Wissensbasis“ zu verstehen ist. 827 Ebd. 828 Die angeführten Aspekte werden in den folgenden Abschnitten aufgegriffen; vgl. zudem z.B. Freiling/ Buse/Weißenfels, die darauf hinweisen, dass der Anteil der Dienstleistungsbestandteile „an den Ansprüchen der Nachfrager […] auszurichten ist.“ (Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 74).
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einzige Schlussfolgerung ist, zu der man unter Berücksichtigung des Stufenmodells gelangen kann. Beispielsweise weist Freiling, der in seiner (gleichfalls stufenmodellbasierten) Diskussion nachfrageseitigen Aspekten einen hohen Stellenwert beimisst,829 explizit darauf hin, dass das Stufenmodell „auch größere Sprünge zu[lässt].“830 In seinen Ausführungen geht auch Freiling auf anbieterseitige organisationale Voraussetzungen ein. Im Gegensatz zu Spath/Demuß argumentiert er jedoch, dass abhängig von der Nachfrage nach Leistungen der einzelnen Stufen anbieterseitig die entsprechend erforderlichen „organisationalen Voraussetzungen zu schaffen sind.“831 Hinweise darauf, dass die von Spath/Demuß geäußerte Handlungsempfehlung zwar eine wichtige Handlungsalternative darstellen kann, darüber hinaus jedoch weitere potenziell zweckmäßige Handlungsalternativen denkbar sind, liefern z.B. Freiling/Buse/Weißenfels. Die Autoren argumentieren, dass eine Unternehmung durch die Beschränkung auf Leistungen, für deren Erbringung und Vermarktung sie die infrastrukturellen Voraussetzungen erfüllt, mit ihrem Leistungsangebot verbundene Risiken begrenzen kann.832 Als Handlungsalternative weisen die Autoren zudem aber auf die Möglichkeit hin, durch das Angebot von Leistungen einer Stufe, für die die bestehende Ressourcen- und Kompetenzausstattung bislang nicht ausreichend ist, entsprechende Defizite abzubauen. Sie führen hierzu aus: „Ein zögerliches Engagement in diesem Bereich führt dazu, dass wichtige Erfahrungen […] nicht schnell genug erworben werden […]. Dies führt zu einem verzögerten Aufbau integrierter Dienstleistungssysteme und zementiert die noch immer große Trägheit im Bereich der Dienstleistungsinnovationen.“833 Aus den dargestellten Gründen wird hier der Standpunkt vertreten, dass einer eindeutigen Handlungsempfehlung, wie sie etwa von Spath/Demuß auf Basis des Stufenmodells abgeleitet wird, mit Vorsicht zu begegnen ist. Wohl aber ist das
829 Vgl. Freiling 2002, S. 218. 830 Vgl. ebd.; dieser Aspekt wird in Abschnitt 5.2.1.3 noch einmal aufgegriffen. 831 Freiling 2002, S. 218. 832 Vgl. Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 81. 833 Ebd.
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Stufenmodell geeignet, die Diskussion steigender Anforderungen an die Ressourcen- und Kompetenzausstattung hinsichtlich des Angebots verschieden komplexer produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte zu strukturieren und in diesem Zusammenhang die verzögernde Wirkung zu verdeutlichen, die bei einer Auslandsmarkterschließung von einem Defizit an Ressourcen und Kompetenzen hinsichtlich des Angebots bislang von der Unternehmung nicht offerierter Leistungen ausgehen kann. Hierauf soll nachfolgend kurz eingegangen werden. Greift man den Gedanken der von Stufe zu Stufe zunehmenden Anforderungen an die Ressourcen- und Kompetenzausstattung auf, so sind diesbezügliche Defizite beispielsweise dann zu erwarten, wenn eine Unternehmung gegenüber ihrem bisherigen Leistungsangebot im Heimatmarkt in Erwägung zieht, im Rahmen einer Auslandsmarkterschließung eine (oder mehrere) Stufe(n) zu überspringen.834 Zu Verzögerungen des Leistungsangebots kann es in diesem Falle etwa dadurch kommen, dass sich die Unternehmung (der Handlungsempfehlung von Spath/ Demuß entsprechend) dazu entschließt, auf das „Überspringen einer Stufe“ zu verzichten und sich vorerst auf das Angebot von Leistungen der „dazwischen liegenden Stufe“ beschränkt, um zunächst die hierzu erforderlichen infrastrukturellen Voraussetzungen zu schaffen.835 In dem dargestellten Beispiel, dass eine Unternehmung erwägt, gegebenenfalls eine Stufe zu überspringen, kann es (gegenüber der Situation, dass die infrastrukturellen Voraussetzungen für das Leistungsangebot bereits erfüllt werden) aber auch dann zu Verzögerungen kommen, wenn sich die Unternehmung gemäß der zweiten von Freiling/Buse/Weißenfels dargestellten Handlungsalternative836 dazu entschließt, die Leistungen der hohen Stufe anzubieten.837 In diesem Falle
834 Dies bedeutet, dass eine Unternehmung im Heimatmarkt (und in angestammten Auslandsmärkten) z.B.
lediglich Sachleistungen und obligatorische Leistungen offeriert und erwägt, im neuen Auslandsmarkt erstmals 'komplexe fakultative Leistungen' anzubieten (zur Reihenfolge der Stufen vgl. Abb. 5-4). 835 Bezogen auf das angeführte Beispiel würde dies bedeuten, dass sich die Unternehmung entschließt, von einem Angebot 'komplexer fakultativer Leistungen' vorerst abzusehen und zunächst die Ressourcen und Kompetenzen für die Erbringung 'einfacher fakultativer Leistungen' aufzubauen. 836 Vgl. Seite 218. 837 Bezogen auf das angeführte Beispiel würde dies bedeuten, dass sich die Unternehmung entschließt, 'komplexe fakultative Leistungen' anzubieten.
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müssten die für das geplante erstmalige Leistungsangebot erforderlichen Ressourcen und Kompetenzen erst aufgebaut werden.838 Darüber hinaus ist gemäß der Annahme der von Stufe zu Stufe zunehmenden Anforderungen an die Ressourcen- und Kompetenzausstattung und der zum Abbau diesbezüglicher Defizite erforderlichen Zeit davon auszugehen, dass es bereits zu einer Verzögerung des Angebots von Leistungen kommt, wenn eine Unternehmung plant, im Zielmarkt Leistungen anzubieten, die im Vergleich zum bisherigen Leistungsangebot im Heimatmarkt (lediglich) der nächsthöheren Stufe zuzuordnen sind.839 Auch in diesem Falle sind die für das geplante Leistungsangebot erforderlichen Ressourcen und Kompetenzen erstmalig aufzubauen. Als Fazit ist festzuhalten, dass eine Unternehmung im Kontext der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in einen Auslandsmarkt das Ausmaß ihrer Ressourcen- und Kompetenzausstattung hinsichtlich der Erbringung und Vermarktung dieser Leistungen berücksichtigen sollte. Sofern die betreffenden Leistungen einer höheren Stufe zuzuordnen sind als die bislang von der Unternehmung generell offerierten Leistungen, kann die erforderliche Schließung diesbezüglicher Ressourcen- und Kompetenzdefizite auf die dargestellten Arten zu zeitlichen Verzögerungen führen. 5.2.1.3 Mangelnde Nachfrage nach produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten im Zielmarkt Den bisherigen Ausführungen liegt die Annahme zugrunde, dass eine entsprechende Nachfrage nach produktbegleitenden Dienstleistungen bzw. hybriden Produkten im Zielmarkt besteht. Diese Annahme ist für die vorliegende Arbeit insofern zweckmäßig, als sich die Frage nach zeitlichen Mustern bei der Einführung verschiedener Leistungsarten in einem Auslandsmarkt in der hier untersuch-
838 Folgt man der dargestellten Argumentation des Stufenmodells, dass die Ressourcen und Kompetenzen
von Stufe zu Stufe aufeinander aufbauen, so müssen auch die für die „dazwischen liegende Stufe“ erforderlichen Ressourcen und Kompetenzen aufgebaut werden. 839 Dies bedeutet, dass eine Unternehmung im Heimatmarkt (und in angestammten Auslandsmärkten) z.B.
lediglich Sachleistungen und obligatorische Leistungen offeriert und erwägt, im neuen Auslandsmarkt erstmals 'einfache fakultative Leistungen' anzubieten.
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ten Form nur dann stellt, wenn grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass eine entsprechende Nachfrage nach diesen Leistungen im Markt existiert. Im Folgenden wird unter Verwendung des im letzten Abschnitt eingeführten Stufenmodells eine differenziertere Sichtweise eingenommen. Während in den beiden vorangegangenen Abschnitten der Fokus auf der Ressourcen- und Kompetenzausstattung der internationalisierenden Unternehmung lag, soll an dieser Stelle die Aufmerksamkeit darauf gerichtet werden, dass auch kundenseitig entsprechende Ressourcen und Kompetenzen erforderlich sind, um – insbesondere komplexere – produktbegleitende Dienstleistungen bzw. hybride Produkte zu beziehen.840 So setzt der Bezug dieser Leistungen eine entsprechende kundenseitige Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft voraus, die – insbesondere, wenn die potenziellen Kunden nicht bereits ähnliche Leistungen (z.B. von Wettbewerbern) beziehen oder bezogen haben – grundsätzlich nicht immer vorausgesetzt werden kann. Freiling weist diesbezüglich darauf hin, dass „Nachfrager den moderaten Einstieg in das Dienstleistungsgeschäft [bevorzugen], weil der organisationale Wandel beim Einstieg in die genannten Extremformen [RW: z.B. Performance-Contracting-Modelle] als zu umfangreich und zu risikoreich empfunden wird.“841 Mit stärkerem Akzent auf die erforderliche Veränderungsbereitschaft weisen Freiling/Buse/Weißenfels zudem darauf hin, dass mit „etwaigen Widerständen des Nachfragers gegen das Outsourcing interner Servicefunktionen und -abteilungen“ zu rechnen ist.842 So ist etwa denkbar, dass potenzielle Nachfrager bestimmte Serviceleistungen teilweise selbst erbringen und einem Fremdbezug dieser Leistungen kritisch gegenüberstehen. Hinzu kommt, dass komplexe Leistungen der genannten Art – insbesondere, wenn sie wie im Falle der hybriden Produkte stark auf individuelle Kundenbedürfnisse zugeschnitten sind – gemeinsam mit dem Kunden entwickelt werden müssen.843
840 Vgl. z.B. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 229; Freiling 2003, S. 32ff. 841 Freiling 2002, S. 218. 842 Vgl. Freiling/Buse/Weißenfels 2004, S. 74f. mit Verweis auf Quinn/Doorley/Paquette 1990. 843 Vgl. z.B. Belz et al. 1991, S. 90.
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Somit ist festzuhalten, dass bei der Entscheidung über den Zeitpunkt der Einführung insbesondere komplexerer Leistungen in den Auslandsmarkt nicht nur die Ressourcen- und Kompetenzausstattung der internationalisierenden Unternehmung, sondern auch die der potenziellen Kunden zu berücksichtigen ist. Diese wird teils von den bislang im Zielmarkt üblichen Formen der Zusammenarbeit mitbeeinflusst. So ist es denkbar, dass in Zielmärkten, in denen komplexe Leistungen wie hybride Produkte weitgehend unüblich oder gar unbekannt sind, erst dann abgesetzt werden können, nachdem die potenziellen Kunden 'stufenweise' auf den Bezug derartiger Leistungen vorbereitet wurden. Da mit dem Aufbau entsprechender kundenseitiger Ressourcen und Kompetenzen grundsätzlich ein langer Zeitraum verbunden sein kann, leitet sich hieraus ein weiteres potenzielles Hemmnis für die frühzeitige Einführung hybrider Produkte (und komplexer produktbegleitender Dienstleistungen) in den Zielmarkt ab. 5.2.1.4 Geringe installierte Basis im Zielmarkt Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass das maximal zu erschließende Potenzial für produktbegleitende Dienstleistungen in einem Markt durch die derzeitig und zukünftig installierte Basis der zugrunde liegenden Sachleistungen in diesem Markt bestimmt wird.844 Somit verwundert es nicht, dass sich in der Literatur verschiedentlich die Schlussfolgerung findet, dass das Anbieten produktbegleitender Dienstleistungen insbesondere dann sinnvoll ist, wenn die in einem Markt befindliche Anzahl hergestellter Maschinen, in deren Zusammenhang derartige Leistungen erbracht werden können, möglichst groß ist.845 Hintergrund dieser Schlussfolgerung ist die Tatsache, dass das für das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen notwendige Servicenetz hohe Fixkosten verursacht,846 die unter
844 Vgl. z.B. Luczak/Winkelmann/Hoeck 2005, S. 393; Potts 1989, S. 100ff.; Steven/Schade 2004, S. 553f. 845 Vgl. z.B. Wise/Baumgartner 1999, S. 134; Beyer/Stephan 2006, S. 199; Beyer 2007, S. 8. 846 Vgl. Abschnitt 5.2.1.1.
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Rentabilitätsaspekten eine entsprechend hohe Auslastung des Servicenetzes erfordern.847 Da jedoch zum Zeitpunkt der Erschließung eines Auslandsmarktes die installierte Basis in dem Markt meist relativ gering sein wird und somit (zunächst) von einer relativ geringen Auslastung des aufzubauenden Servicenetzes auszugehen ist, spricht (auch) dieser Aspekt tendenziell für eine nachgelagerte Ergänzung des Sachleistungsangebots um produktbegleitende Dienstleistungen im Zielmarkt.848 5.2.2
Notwendigkeit einer frühen Einführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte im Auslandsmarkt
Neben den in den letzten Abschnitten dargestellten Aspekten, die potenziell gegen eine frühzeitige Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte sprechen, sind jedoch auch Situationen denkbar, die eine frühzeitige Einführung dieser Leistungen in den Auslandsmarkt erfordern. Auf diese Aspekte soll im Folgenden kurz eingegangen werden. Sie sind aus Sicht der in Abschnitt 5.1.4 dargestellten Argumentation, nach der sich Selbstverstärkungseffekte für eine Unternehmung entweder positiv oder negativ auswirken können, tendenziell weniger problematisch als die zuvor in Abschnitt 5.2.1 diskutierten Aspekte, da sie den begünstigenden positiven Rückkopplungen zeitlich gleichgerichtet sind. Den drei folgenden Abschnitten ist gemeinsam, dass sie auf Situationen hinweisen, in denen die Einführung der Sachleistung in den Auslandsmarkt mehr oder minder die (gleichzeitige) Einführung von produktbegleitenden Dienstleistungen bzw. hybriden Produkten erfordert. Es handelt sich folglich um Situatio-
847 Vgl. Oliva/Kallenberg: „once the service organization is in place, it becomes a fixed cost and the main
driver of profitability is capacity utilization“ (Oliva/Kallenberg 2003, S. 168). 848 Grundsätzlich ist es in Ausnahmefällen denkbar, dass die installierte Basis – beispielsweise durch den
Weiterverkauf von Gebrauchtmaschinen – in einem Auslandsmarkt bereits zum Zeitpunkt der Markterschließung durch den Hersteller eine attraktive Größe erreicht. Zwar ist es sogar denkbar, dass es sich dabei vornehmlich um ältere Maschinen handelt, die ein interessantes Potenzial beispielsweise für Wartungs- und Reparaturarbeiten darstellen, doch verschärft sich in dieser Situation das Problem für den Hersteller, den Verbleib der installierten Basis zu identifizieren. Luczak/Winkelmann/Hoeck 2005 sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Bekanntheitslücke“ (vgl. Luczak/Winkelmann/Hoeck 2005, S. 394).
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nen, in denen das Angebot dieser Leistungen (weitgehend) obligatorisch wird. Die Abschnitte stellen somit eine Ergänzung und Detaillierung der Ausführungen zu den obligatorischen produktbegleitenden Dienstleistungen in Abschnitt 2.1.3.2 dar. Dort wurde vornehmlich argumentiert, dass das Angebot bestimmter Leistungen erforderlich ist, um die Vermarktungsfähigkeit der zugrunde liegenden Sachleistungen herzustellen, weil beispielsweise gesetzliche Auflagen bestehen, die den Hersteller verpflichten, bestimmte produktbegleitende Dienstleistungen (z.B. Entsorgung) anzubieten. Darüber hinausgehend wurde jedoch nur kurz darauf hingewiesen, dass die Vermarktungsfähigkeit von den subjektiven Vorstellungen der (potenziellen) Kunden beeinflusst wird. Die folgenden Ausführungen gehen auf die Ursachen, die zu der Notwendigkeit eines frühzeitigen Angebots produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte führen können, etwas detaillierter ein. 5.2.2.1 Unselbstständigkeit der Sachleistung Während die Betrachtung der obligatorischen Leistungen in Abschnitt 2.1.3.2 stark auf Art und Inhalt der produktbegleitenden Dienstleistungen abstellte, soll an dieser Stelle stärker betont werden, dass die Frage der Einordnung produktbegleitender Dienstleistungen als obligatorisch oder fakultativ auch von der Art der zugrunde liegenden Sachleistung abhängt. So wurde etwa im Kontext des Differenzierungspotenzials auf die zunehmende Ähnlichkeit vieler Sachleistungen hingewiesen, die zu einem stärkeren Preiswettbewerb zwischen den Herstellern führt.849 In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass für deutsche Maschinenbauunternehmungen in Anbetracht eines immer stärkeren Zusammenwachsens internationaler Märkte850 die Herausforderung besteht, sich auch gegenüber Herstellern beispielsweise aus Osteuropa und Asien behaupten zu müssen, deren Angebote den Wettbewerbsdruck zum Teil erheblich erhöhen.851 Vor diesem Hintergrund wird die Ergänzung des Angebots um produktbegleitende Dienstleis-
849 Vgl. Abschnitt 2.1.3.3 sowie die dort angeführte Literatur. 850 Vgl. z.B. Albach 1993, S. 19; Mann 1998, S. 1f.; Hünerberg 1993, S. 205. 851 Vgl. ebd.
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tungen bzw. hybride Produkte für deutsche Maschinenbauunternehmungen verschiedentlich als notwendig erachtet, um ihre „Produkte auch künftig auf globalen Märkten erfolgreich zu vermarkten“.852 Darüber hinaus wird in der Literatur verschiedentlich auf den allgemeinen Trend verwiesen, dass zahlreiche Sachleistungen zunehmend komplexer und technologieintensiver werden, woraus sich ein wachsender Erklärungs- und Betreuungsbedarf ergibt. Obgleich sich dieser Trend als Chance zur Vermarktung entsprechender produktbegleitender Dienstleistungen – z.B. von Beratungs- und Schulungsleistungen – begreifen lässt, kann der Erklärungs- und Betreuungsbedarf auch zu der Notwendigkeit führen, produktbegleitende Dienstleistungen gleichzeitig mit der Sachleistung im Zielmarkt einführen zu müssen, da letztere ohne produktbegleitende Dienstleistungen womöglich nicht vermarktungsfähig ist.853 5.2.2.2 Kundenerwartung im Zielmarkt aufgrund bestehender Konkurrenzangebote Auch wenn eine Sachleistung ihrer Art nach grundsätzlich ohne das gleichzeitige Angebot umfangreicher produktbegleitender Dienstleistungen vermarktet werden könnte, ist es dennoch möglich, dass sich die Sachleistung aufgrund der Erwartungshaltung potenzieller Kunden nur in Kombination mit bestimmten Dienstleistungsangeboten – sei es in Form produktbegleitender Dienstleistungen oder im Rahmen der Integration in ein hybrides Produkt – absetzen lässt. Eine solche kundenseitige Erwartungshaltung kann beispielsweise darauf zurückzuführen sein, dass die genannten Leistungsarten bereits von Konkurrenten im Zielmarkt angeboten werden und sich die (potenziellen) Kunden auf dieses Angebot eingestellt haben. So ist es denkbar, dass potenzielle Kunden weder die Ressourcen vorhalten noch über die erforderlichen Kompetenzen verfügen, um etwaige Instandhaltungsleistungen an Maschinen durchzuführen, da sie hinsicht-
852 Meier/Uhlmann/Kortmann 2005, S. 528; vgl. auch Hünerberg 1998, S. V; Hünerberg/Mann 1996, S. 103;
Simon 1992, S. 410. 853 Vgl. z.B. Beyer 2007, S. 8 unter Verweis auf Jugel/Zerr 1989, S. 162 sowie Laakmann 1995, S. 4; Engel-
hardt 1993, S. 381; Baumbach 2004, S. 29; Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 217.
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lich ihres weiteren Maschinenparks entsprechende Vereinbarungen mit den jeweiligen Herstellern getroffen haben, die diese Leistungen für die jeweils von ihnen gelieferten Maschinen anbieten. 5.2.2.3 Identität der Geschäftsbeziehung in Ziel- und Heimatmarkt Eine weitere Situation, in der sich ein Maschinenhersteller mit der Herausforderung konfrontiert sehen kann, dass eine kundenseitige Erwartungshaltung hinsichtlich des Angebots produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte besteht, kann sich daraus ergeben, dass ein Kunde von dem Hersteller selbst gewohnt ist, derartige Leistungen in Anspruch nehmen zu können. Denkbar ist dies beispielsweise dann, wenn es sich bei dem Kunden um eine in verschiedenen Ländermärkten tätige Unternehmung handelt, die von dem Hersteller in mehreren dieser Märkte Leistungen bezieht und der in diesem Rahmen – beispielsweise im Heimatmarkt des Herstellers – produktbegleitende Dienstleistungen bzw. hybride Produkte bereits offeriert werden. Auch in dieser Situation verfügt der Kunde unter Umständen nicht über die erforderlichen Ressourcen und Kompetenzen, um derartige Leistungen selbst zu erbringen, und ist – beispielsweise mit dem Ziel international vergleichbarer Prozesse innerhalb seiner Unternehmung – auch nicht gewillt, diese aufzubauen.854
5.3
Zusammenfassung der abgeleiteten potenziellen Ursachen für die zeitlichen Muster bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten
In Kapitel 1 wurde einleitend dargestellt, dass Unternehmungen produktbegleitende Dienstleistungen und hybride Produkte im Rahmen einer Auslandsmarkterschließung grundsätzlich direkt bei Markteintritt oder aber dem Angebot von Sachleistungen zeitlich nachgelagert einführen. Bestehende Erklärungsansätze – zu nennen ist hier vor allem die Product Chain von Luostarinen – sind jedoch
854 Vgl. z.B. Engelhardt, der auf den teils feststellbaren Trend verweist, die Erbringung von Dienstleistungen
auf Zulieferer zu verlagern (vgl. Engelhardt 1993, S. 381).
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insbesondere ungeeignet, die gleichzeitige Einführung der genannten Leistungsarten zu erklären. In jüngerer Zeit konstatieren u.a. Wissenschaftler der skandinavischen Schulen die Notwendigkeit für neue Erklärungsansätze, die von der traditionell inkrementellen Sichtweise der skandinavischen Schulen abrücken. In dem vorliegenden Kapitel wurde ein Ansatz vorgestellt, der die gleichzeitige Einführung verschiedener Leistungsarten in einem Auslandsmarkt zu erklären vermag, jedoch auch Ursachen identifiziert, die dazu führen können, dass Unternehmungen in bestimmten Fällen von einer gleichzeitigen Einführung der verschiedenen Leistungsarten absehen (müssen). In Abschnitt 5.1 wurden die in Kapitel 4 systematisch identifizierten potenziellen Ursachen positiver Rückkopplungen, die mit den Annahmen der CbTF vereinbar sind, in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit konkretisiert. Anschließend wurde gezeigt, dass sich die auf diese Ursachen zurückzuführenden pfadbezogenen Prozesse für eine internationalisierende Unternehmung sowohl positiv als auch negativ auswirken können. Da zu Beginn eines pfadbezogenen Prozesses erfolgende Ereignisse eine große Wirkung für den weiteren Pfadverlauf entfalten, wurde bei Vorliegen von Selbstverstärkungseffekten die Bedeutung einer möglichst frühzeitigen Einführung der betrachteten Leistungen im Auslandsmarkt hervorgehoben. Während in Abschnitt 5.1 auf potenzielle Ursachen für Selbstverstärkungseffekte sowie auf die Bedeutung daraus resultierender pfadbezogener Prozesse für die internationalisierende Unternehmung fokussiert wurde, wurden in Abschnitt 5.2 weitere Ursachen identifiziert, die als 'kontextspezifische Restriktionen' bezeichnet wurden und als solche das zeitliche Muster der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte potenziell beeinflussen. In diesem Kontext wurde u.a. deutlich, dass sich auch die Situation vor dem Zeitpunkt der erstmaligen Einführung von Sachleistungen im Zielmarkt auf das zeitliche Muster bei der Einführung weiterer Leistungsarten auswirkt. So wurde gezeigt, dass einerseits Rahmenbedingungen vorherrschen können, die es einer Unternehmung erheblich erschweren, produktbegleitende Dienstleistungen bzw.
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hybride Produkte frühzeitig im Auslandsmarkt einzuführen, obgleich sich das Management bewusst sein mag, dass die Unternehmung hierdurch die Chance auf vorteilhaft wirkende Rückkopplungen verspielt und überdies Gefahr läuft, künftig gegen nachteilig wirkende Rückkopplungen ankämpfen zu müssen. Andererseits können auch Aspekte zu berücksichtigen sein, die ein frühzeitiges Angebot produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte im Auslandsmarkt notwendig machen. Somit ergibt sich aus der Diskussion in den vorangegangenen Kapiteln ein systematisch hergeleiteter Katalog potenzieller Ursachen zur Beantwortung der zu Beginn dieser Arbeit formulierten Forschungsfrage, die an dieser Stelle wiederholt sei: Welche Ursachen beeinflussen im Rahmen der Auslandsmarkterschließung von Unternehmungen die zeitlichen Muster bei der Markteinführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte? Nachfolgend werden die zur Beantwortung der Forschungsfrage beitragenden Ergebnisse zusammenfassend dargestellt. Unter Verwendung der CbTF und der Erkenntnisse aus der Pfadforschung wurde ein Ansatz entwickelt, der deduktiv zu erklären vermag, dass es grundsätzlich gewichtige Argumente gibt, mit dem Angebot produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte möglichst frühzeitig in den Markt einzutreten, da sich potenziell pfadbezogene Prozesse entwickeln werden. Diese können sich – abhängig vom Zeitpunkt der Einführung der genannten Leistungen im Auslandsmarkt – entweder positiv oder auch negativ für die internationalisierende Unternehmung auswirken. Abb. 5-5 stellt die in Abschnitt 5.1.3 für den hier betrachteten Kontext identifizierten potenziellen Ursachen positiver Rückkopplungen zusammenfassend dar.
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Potenzieller Selbstverstärkungseffekt
Beispiel
Skaleneffekte und anbieterseitige Lerneffekte
Generierung marktspezifischen Wissens („Informationspotenzial“)
Nachfrageseitige Lerneffekte
Frühzeitige Markteinführung
Späte Markteinführung
Frühzeitiger Aufbau marktspezifischen Wissens ermöglicht Wissensvorsprung gegenüber der Konkurrenz
Gefahr der unzureichenden/ zu späten marktspezifischen Wissensgenerierung im Vergleich zur Konkurrenz
Potenzielle Kunden lernen von bisherigen Nutzern („Imagepotenzial“)
Frühzeitige Marktpräsenz und damit ggf. verbundene erhöhte Aufmerksamkeit und/oder Marktdurchdringung erhöht Chance auf Weiterempfehlung
Dominierende Marktpräsenz der Konkurrenz kann zur Weiterempfehlung des Leistungsangebots der Konkurrenz führen
Investitionseffekte
Auf- und Ausbau von Kundenbeziehungen („Akquisitionspotenzial“/ „Kundenbindungspotenzial“)
Frühzeitiger Auf- und Ausbau eigener Kundenbeziehungen erschwert Markteinführung von Leistungen der Konkurrenz
Gefahr, dass Konkurrenten die „Servicelücke“ zunehmend schließen und ihrerseits zum Auf- und Ausbau von Kundenbeziehungen nutzen
Komplementaritätseffekte
Komplementarität zwischen zugrunde liegender Sachleistung und produktbegleitendenDienstleistungen
Gegenseitige Förderung der Nachfrage eigens angebotener Sachleistungen und produktbegleitender Dienstleistungen
Vorerst (weitgehend) blankes Sachleistungsangebot lässt Absatzpotenziale für Sachleistungen und produktbegleitende Dienstleistungen ungenutzt.
Nutzer profitieren direkt von der Dichte und Qualität des Servicenetzes der internationalisierenden Unternehmung
Dichtes Servicenetz für Nutzer der Sachleistung vorerst nicht verfügbar; ggf. Suche nach Anbietern mit entsprechendem Servicenetz
Koordinationseffekte Dichte des Servicenetzes
Abb. 5-5: Potenzielle Ursachen positiver Rückkopplungen im Kontext der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten Die in Abschnitt 5.2 diskutierten Rahmenbedingungen, die als kontextspezifische Restriktionen bezeichnet wurden und von denen einige Hemmnisse für eine frühzeitige Einführung der betrachteten Leistungen im Auslandsmarkt darstellen, während andere ein frühzeitiges Angebot erforderlich machen, sind in Abb. 5-6 zusammenfassend dargestellt.
229
Finanzielle und personelle Ressourcenengpässe bei der Leistungseinführung im Auslandsmarkt
Angebot produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte erfordert erhebliche Investitionen (z.B. Servicenetz) im Zielmarkt
Ressourcen- und Kompetenzdefizite bezüglich der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte
Zeitgleich mit Internationalisierung erfolgende Transition vom Sachleistungs- zum Dienstleistungsanbieter erhöht Komplexität des Angebots dieser Leistungen im Zielmarkt
Mangelnde Nachfrage nach produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten im Zielmarkt
Bezug insb. komplexerer Leistungen setzt kundenseitige Ressourcen und Kompetenzen voraus. Dies begrenzt Bereitschaft sowie Vermögen, derartige Leistungen zu beziehen
Geringe installierte Basis im Zielmarkt
Installierte Basis begrenzt das mit produktbegleitenden Dienstleistungen maximal zu erschließende Potenzial
Unselbstständigkeit der Sachleistung
Sachleistung ohne produktbegleitende Dienstleistungen bzw. ohne Integration in hybrides Produkt kaum nutzbar
Kundenerwartung im Zielmarkt durch bestehende Konkurrenzangebote
Produktbegleitende Dienstleistungen bzw. hybride Produkte durch Angebote der Konkurrenz im Zielmarkt bereits etabliert; Kunden erwarten diese Leistungen
Identität wesentlicher Geschäftsbeziehungen im Ziel- und Heimatmarkt
Kunde erwartet im Zielmarkt gleiches Leistungsangebot, wie er es bereits im Heimatmarkt des Herstellers beziehen kann
Hemmnisse für eine frühe Einführung produktbegleitender Dienstleistungen/ hybrider Produkte im Auslandsmarkt
Notwendigkeit einer frühen Einführung produktbegleitender Dienstleistungen/ hybrider Produkte im Auslandsmarkt
Abb. 5-6: Kontextspezifische Restriktionen im Kontext der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Auslandsmärkten Somit kommt das in dieser Arbeit hergeleitete Modell zu einem völlig anderen Ergebnis als Luostarinen mit seinem Erklärungsansatz der Product Chain. Während die Product Chain lediglich eine Erklärung für einen sukzessiven Internationalisierungsprozess liefert, ermöglicht der hier vorgestellte Erklärungsansatz eine wesentlich differenziertere Sichtweise. Insbesondere ist der Ansatz in der Lage zu erklären, warum einige Unternehmungen produktbegleitende Dienstleistungen bzw. hybride Produkte im Auslandsmarkt frühzeitig einführen, während andere Unternehmungen die genannten Leistungen den Sachleistungen erst deutlich nachgelagert einführen. Der hier entwickelte Erklärungsansatz wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit einer ersten empirischen Plausibilitätsprüfung unterzogen. Das folgende Kapitel geht auf das diesbezügliche Vorgehen sowie auf die Ergebnisse ein.
230
6 Empirische Plausibilitätsprüfung des abgeleiteten Modells
6.1
Entwicklung einer geeigneten Untersuchungsmethodik
In den vorangegangenen Kapiteln wurde unter Verwendung der Competencebased Theory of the Firm ein dynamisch orientierter Ansatz entwickelt, der zur Klärung der Frage nach den Ursachen für die zeitlichen Muster bei der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte im Kontext der Internationalisierung beitragen soll. Hiermit ist die Absicht verbunden, einen Beitrag zur Weiterentwicklung sowohl der Internationalisierungsprozessforschung als auch der Erforschung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte zu leisten, indem insbesondere ein alternativer Erklärungsvorschlag zur Product Chain erfolgt, die hinsichtlich der Forschungsfrage den derzeit einzigen verfügbaren Ansatz darstellt, jedoch lediglich ein sukzessives Vorgehen zu erklären vermag. Das in den vorangegangenen Kapiteln entwickelte Modell soll im Folgenden einer ersten Plausibilitätsprüfung unterzogen werden. Die hierfür auszuwählende Untersuchungsmethodik hat dabei sowohl dem Charakter des Untersuchungsgegenstands als auch der Forschungsfrage Rechung zu tragen. So fordert beispielsweise Mayring, dass „dem Gegenstand und der Fragestellung ein Primat gegenüber der Methode zuzubilligen“ ist.855 Zudem sollte die Untersuchungsmethodik mit der verwendeten Referenztheorie paradigmatisch vereinbar sein.856 Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen wurde für die Plausibilitätsprüfung ein fallstudienbasiertes Vorgehen gewählt. Im Folgenden soll auf die Überle-
855 Mayring 2001, vgl. auch Bortz/Döring 1995; Mason 1996. 856 So merkt Gephart an: „methodologies must be used in ways that are consistent with the theoretical or
paradigmatic view(s) adopted“ (Gephart 2004, S. 457).
231
gungen, die zu dieser Entscheidung führten, anhand der genannten Anforderungen an die Untersuchungsmethodik eingegangen werden. Zum Charakter des Untersuchungsgegenstands Hinsichtlich der bisherigen Erforschung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte wurde in Kapitel 2 festgestellt, dass es sich um ein noch recht junges Forschungsfeld handelt, dessen Forschungsstand in verschiedenen Bereichen als unzureichend einzustufen ist.857 Wie gezeigt wurde, gilt dies insbesondere für internationalisierungsspezifische Aspekte, so dass die bislang geringe theoretische Durchdringung des Untersuchungsgegenstands es erforderte, im Rahmen der vorliegenden Arbeit einen geeigneten Ansatz für die Beantwortung der hier untersuchten Forschungsfrage zu entwickeln. Des Weiteren wurde in Kapitel 2 deutlich, dass das Spektrum produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte, die von den Unternehmungen des Maschinen- und Anlagenbaus ihren Kunden angeboten werden, äußerst vielfältig ist. Dabei handelt es sich oftmals um sehr umfassende Leistungen, die auf Branchen- und Kundenspezifika zugeschnitten sind und deren Verständnis einen tiefen Einblick des Forschers in die jeweilige Branche erfordert. Insgesamt ist zu konstatieren, dass das Leistungsspektrum mit einer sehr hohen Komplexität verbunden ist.858 Dies gilt nicht nur für die Leistungsergebnisse, sondern auch für die beiden Dimensionen der Bereitstellungsleistung und der Leistungserstellungsprozesse.859 Eine für die beabsichtigte Modellplausibilisierung geeignete Untersuchungsmethodik hat sowohl dem geringen theoretischen Wissen als auch dem hohen Komplexitätsgrad des Untersuchungsgegenstands Rechnung zu tragen. So sind es
857 Vgl. Abschnitt 2.1.5. 858 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 2, zudem z.B. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 219ff. 859 Auf komplexitätsbedingte Schwierigkeiten sowohl der Bereitstellungsleistung (z.B. hinsichtlich der
Herausforderungen an die Unternehmungsstruktur im Falle der gleichzeitigen Erstellung von Sach- und Dienstleistungen) als auch des Leistungserstellungsprozesses (z.B. Herausforderungen, die aus der Integrativität der Leistungserstellung resultieren) wird in der wissenschaftlichen Literatur verschiedentlich hingewiesen (vgl. z.B. Busse 2005, S. 2f. sowie die dort angeführte Literatur).
232
gemäß Bonoma eben diese Eigenschaften eines Untersuchungsgegenstands – „the dual conditions of little theoretical knowledge and high complexity“ – die grundsätzlich für eine fallstudienbasierte Untersuchung sprechen.860 Zu dem Schluss, dass im Falle der Untersuchung produktbegleitender Dienstleistungen die Erfüllung dieser Anforderungen gegeben ist und dass sich für die Untersuchung dieser Leistungen Fallstudien besonders eignen, kommen beispielsweise auch Sanche und Beyer.861 Im Vergleich zu ihren Beiträgen ist hinsichtlich der vorliegenden Arbeit jedoch anzumerken, dass nicht nur produktbegleitende Dienstleistungen, sondern zudem auch hybride Produkte betrachtet werden, so dass das zugängliche theoretische Wissen tendenziell als noch lückenhafter und der Untersuchungsgegenstand als tendenziell noch komplexer einzustufen ist.862 Zur Natur der Forschungsfrage Neben den Eigenschaften des Forschungsgegenstands weist auch die Natur der hier untersuchten Forschungsfrage auf die grundsätzliche Zweckmäßigkeit eines fallstudienbasierten Vorgehens hin. So erfordert eine Forschungsfrage nach den Ursachen für ein bestimmtes Vorgehen – im vorliegenden Falle für die zeitlichen Muster bei der Einführung verschiedener Leistungsarten in einem Auslandsmarkt – nicht nur ein tiefes Verständnis der betrachteten Leistungen, sondern auch der spezifischen Situation der jeweiligen Unternehmung im Zeitablauf.863 Diese unternehmungsspezifischen Aspekte, die Einfluss auf die betrachteten zeitlichen Muster haben können, lassen sich im Rahmen eines fallstudienbasierten Vorgehens recht gut erfassen.864 Yin weist zudem darauf hin, dass Fragen, die – wie die hier betrachtete Forschungsfrage – das Warum oder das Wie eines Sachverhalts zu ergründen
860 Vgl. Bonoma 1985, S. 203. 861 Vgl. Sanche 2002, S. 11; Beyer 2007, S. 47. 862 Vgl. Abschnitt 2.1.5. 863 Dies betrifft eine Vielzahl verschiedener unternehmungsspezifischer Aspekte, z.B. Veränderungen des
Leistungsspektrums im Heimatmarkt, Veränderungen der Ausstattung mit für eine Internationalisierung relevanten Ressourcen und Kompetenzen, Veränderungen der Kunden sowie Veränderungen in deren Anforderungen und Wünschen. 864 Vgl. z.B. Gephart 2004, S. 455.
233
versuchen, durch eine fallstudienbasierte Forschungsmethodik besonders gut erschließbar sind.865 Darüber hinaus zeigte die Diskussion in Kapitel 2, dass die Begriffe der produktbegleitenden Dienstleistung und des hybriden Produkts sehr verschieden interpretierbar sind, so dass im Rahmen der empirischen Untersuchung ein erhebliches Maß an Erklärungsbedürftigkeit der verwendeten Begriffe zu konstatieren ist. Die Gefahr von Missverständnissen, die mit der Bedeutungsvielfalt der verwendeten Begriffe verbunden ist, lässt sich im Rahmen einer Interviewsituation866 weitgehend vermeiden.867 Zur Vereinbarkeit von empirischer Untersuchungsmethodik und theoretischer Basis Wie dargestellt wurde, sprechen sowohl die Eigenschaften des Untersuchungsgegenstands als auch die Natur der Forschungsfrage grundsätzlich für ein fallstudienbasiertes Vorgehen. Gephart weist darauf hin, dass die gewählte Methodologie zudem mit den Annahmen und der paradigmatischen Verortung der verwendeten theoretischen Basis vereinbar sein sollte.868 Die paradigmatische Verortung der Competence-based Theory of the Firm wird in verschiedenen Beiträgen zur CbTF ausführlich dargestellt,869 wobei vornehmlich das Schema von Burrell/Morgan herangezogen wird.870 Unter Einbeziehung der in Abschnitt 4.2.1 dargestellten Annahmen des harten Kerns der CbTF kommen die Autoren dabei zu dem Schluss, dass die CbTF dem interpretativen Paradigma
865 So äußert Yin: „In general, case studies are the preferred strategy when 'how' or 'why' questions are being
posed […].“ (Yin 2003, S. 1, Hervorhebungen im Original). Das Interrogativadverb Warum ist zwar in der Formulierung der Forschungsfrage nicht unmittelbar enthalten, doch besteht zwischen der Frage nach dem Warum und der hier gestellten Frage nach den Ursachen eine deutliche inhaltliche Nähe. So wird im allgemeinen Sprachgebrauch mit dem Interrogativadverb Warum erfragt, „aus welchem Grund“ etwas geschieht, während die Ursache – ohne hier näher auf die vier Ursachenarten nach Aristoteles einzugehen – den „Grund für ein Geschehen“ wiedergibt (vgl. z.B. Wahrig 2006). 866 Interviews stellen eine zentrale Informationsquelle im Rahmen der Durchführung von Fallstudien dar (vgl. z.B. Yin 2003, S. 89). 867 Vgl. z.B. Wrona 2005, S. 24. 868 Vgl. Gephart 2004, S. 455ff. 869 Vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 34ff.; Freiling/Gersch/Goeke 2008. S. 1152ff. 870 Zum Schema von Burrell/Morgan vgl. Burrell/Morgan 1979; zu dessen Eignung zur paradigmatischen Verortung der CbTF vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 34.
234
zuzuordnen
ist.871
Hinsichtlich
daraus
resultierender
methodologischer
Konsequenzen merken Freiling/Gersch/Goeke unter Verweis auf Burrell/Morgan und im Einklang mit Gephart an: „The subjective position tends towards ideographic methodology, favouring qualitative analysis governed by the subject matter of investigation.“872 Da Fallstudien den qualitativen Forschungsmethoden zuzurechnen sind,873 ist ein fallstudienbasiertes Vorgehen – wie es aufgrund der Charakteristika von Forschungsgegenstand und Forschungsfrage indiziert ist – somit grundsätzlich mit den Annahmen und der paradigmatischen Verortung der als Referenztheorie ausgewählten CbTF vereinbar. Aus den dargestellten Gründen wird der Plausibilitätsprüfung des deduktiv hergeleiteten Modells ein fallstudienbasiertes Vorgehen zugrunde gelegt, auf dessen Ausgestaltung in dem folgenden Abschnitt näher eingegangen wird.
6.2
6.2.1
Aufbau, Durchführung und Auswertung der empirischen Plausibilitätsprüfung Auswahl und Gestaltung der Fallstudien
Für die empirische Plausibilitätsprüfung wurden zwei Fallstudien durchgeführt, die nach den folgenden Kriterien ausgewählt wurden: Gemäß der Zugrundelegung des Maschinen- und Anlagenbaus als Referenzbranche sollten die für die Fallstudien ausgewählten Unternehmungen zunächst aus diesem Bereich stammen. Ergänzend wurde bei der Auswahl darauf geachtet, dass sich die beiden Unternehmungen dennoch möglichst deutlich voneinander unterscheiden (z.B. hinsichtlich ihrer angebotenen Leistungen, ihrer Kundenstruktur und ihrer Internationali-
871 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 34ff., in ähnlicher Form z.B. auch Freiling/Gersch/Goeke 2008,
S. 1154. Da die Diskussion an verschiedener Stelle geführt bzw. wiedergegeben wurde, sei für Details dieser Diskussion auf die angegebenen Quellen verwiesen. 872 Freiling/Gersch/Goeke 2008, S. 1153 unter Verweis auf Burrell/Morgan 1979, S. 2-7; vgl. zudem Gephart 2004, S. 456ff. 873 Vgl. z.B. Bonoma 1985, S. 199ff.; Gephart 2004, S. 458; Sanche 2002, S. 11.
235
sierungsstrategie). Ferner wurde in Anbetracht der Forschungsfrage Wert darauf gelegt, dass es sich um Unternehmungen handelt, die jeweils ein umfassendes Spektrum verschiedener Sach- und Dienstleistungskomponenten anbieten und darüber hinaus international tätig sind. Zusätzlich zu diesen inhaltlichen Auswahlkriterien mussten die Unternehmungen der Forschungsarbeit zugänglich sein. So bestand die Notwendigkeit, für die Durchführung von Experteninterviews auf Manager zurückgreifen zu können, die erstens über einen ausreichenden Erfahrungsschatz und Einblick verfügen, um nicht nur über die zeitlichen Muster, sondern auch möglichst umfassend über die Ursachen, die zu den zeitlichen Mustern führten, berichten zu können. Zweitens mussten die Manager die Bereitschaft zur Durchführung mehrmaliger und zeitintensiver Interviews mitbringen und zudem ihr Einverständnis für die anschließende Veröffentlichung der Ergebnisse im Rahmen dieser Arbeit geben. Unter Berücksichtigung der dargestellten Kriterien wurden mit Voith Paper und Karmann zwei Unternehmungen identifiziert, die sich – wie in diesem Kapitel zu sehen sein wird – in ihren Beiträgen zur hier beabsichtigten Plausibilitätsprüfung des Modells einander gut ergänzen. Bei der Durchführung der Fallstudien wurde das folgende Vorgehen gewählt: Zunächst wurde auf Basis intensiver Literatur- und Internetrecherchen ein Überblick über das Leistungsspektrum und das internationale Geschäft der jeweiligen Unternehmung erarbeitet.874 Hierbei wurde u.a. auf Geschäftsberichte, Kundenzeitschriften, Pressemitteilungen, Leistungsbeschreibungen sowie auf Medienberichte (z.B. Zeitungsartikel) zurückgegriffen. Diese Informationen wurden bei der Erstellung eines Leitfadens875 zur Durchführung halbstrukturierter Experteninterviews verwendet, die im Falle Karmann mit dem „Leiter Unternehmensentwicklung“ und im Falle Voith Paper mit einem ehemaligen Mitglied der Geschäftsführung im Juni und im September 2008 in persona durchgeführt
874 Ein umfassendes Verständnis des jeweiligen Leistungsspektrums schien erforderlich, um die Gründe für
das vorherrschende zeitliche Muster bei der Erschließung eines Auslandsmarktes beurteilen zu können. 875 Zum Aufbau und der Bedeutung des Interviewleitfadens vgl. z.B. Wrona 2005, S. 26.
236
wurden. Im Falle Karmann fanden drei Interviews mit einer jeweiligen Dauer zwischen anderthalb und zwei Stunden in Osnabrück statt; im Falle Voith Paper erfolgten zwei persönliche Gespräche mit einer Dauer von jeweils zwischen zwei und zweieinhalb Stunden. Für die Durchführung halbstrukturierter Interviews sprach insbesondere die im Vergleich zu vollstrukturierten Interviews größere Flexibilität bei der Interviewgestaltung, die im vorliegenden Kontext zur Erkenntnisgenerierung von erheblicher Bedeutung war. Auf diese Weise war es z.B. möglich, auf die vorgenannten idiosynkratischen Aspekte (beispielsweise auf das Leistungsspektrum und auf die Ressourcen- und Kompetenzausstattung der jeweiligen Unternehmung sowie auf deren Veränderungen im Zeitablauf) einzugehen. In den Interviews wurde zunächst die Forschungsfrage dargestellt und mit den Experten das zuvor erarbeitete Verständnis über das Leistungsspektrum sowie über die internationale Geschäftstätigkeit der Unternehmung präzisiert.876 Im Anschluss wurde die Frage geklärt, welche zeitlichen Muster im Internationalisierungsprozess der Unternehmung vorherrschen, wobei – je nach Zweckmäßigkeit und dem Kenntnisstand der Interviewpartner – auf die Erschließung bestimmter Ländermärkte fokussiert wurde. Im Anschluss wurden die Ursachen für die identifizierten zeitlichen Muster erörtert. Dabei wurde in der ersten Interviewrunde auf die Darstellung der deduktiv hergeleiteten Ergebnisse der vorliegenden Arbeit bewusst verzichtet, um die Interviewpartner möglichst wenig in ihren Ausführungen zu beeinflussen und auch die Möglichkeit der Nennung von weiteren Ursachen zu fördern. Im Rahmen weiterer Interviews wurden die deduktiven Ergebnisse den Experten zur Anregung der fortgesetzten Diskussion präsentiert und von diesen unter Berücksichtigung der idiosynkratischen Aspekte der jeweiligen Unternehmung interpretiert und kommentiert. Die in den folgenden
876 So war es beispielsweise vor Durchführung der Interviews zwar möglich, die offerierten Leistungen der
jeweiligen Unternehmung weitgehend zu identifizieren, doch konnte die relative Bedeutung der Leistungen erst im Rahmen der Interviews geklärt werden. Des Weiteren konnte anhand der genannten Dokumente der Status quo der internationalen Geschäftstätigkeit einigermaßen ermittelt werden, die Rekonstruktion der zeitlichen Entwicklung (sowohl hinsichtlich der Erbringung der diversen Leistungen als auch hinsichtlich der Entwicklung der internationalen Geschäftstätigkeit) war hingegen im Vorfeld der Interviews nur in sehr groben Zügen möglich.
237
Abschnitten dargestellten Ergebnisse wurden den Interviewpartnern nach Abschluss der Interviews nochmals vorgelegt, um die vollständige und korrekte Wiedergabe der Expertenaussagen zu gewährleisten. Anknüpfend an diese Ausführungen sei zusammenfassend auf einige Maßnahmen hingewiesen, die vornehmlich in Hinblick auf die Validität und Reliabilität der empirischen Arbeit ergriffen wurden. Zwar gibt Wrona zu bedenken, dass „in Bezug auf qualitative Untersuchungen […] geteilte Auffassungen darüber [existieren], inwieweit solche Gütekriterien […] überhaupt anwendbar sind“,877 doch weist er zugleich auf die mehrheitlich vertretene Ansicht hin, dass die Gütekriterien nach einer entsprechenden Anpassung an die Besonderheiten qualitativer Forschung zur kritischen Bewertung qualitativer empirischer Befunde herangezogen werden können.878 Als „problematische Besonderheit“ qualitativer Forschung wird dabei, neben der intensiv diskutierten Frage der Repräsentativität,879 der große Interpretationsspielraum des Forschers angeführt, der im Zusammenhang mit der zugrunde liegenden subjektivistischen Grundposition zu sehen ist,880 teils jedoch deutlich zur Erschwerung der Nachprüfbarkeit und Replizierbarkeit gewonnener Erkenntnisse führen kann.881 Da der Interpretationsspielraum des Forschers auch im Rahmen der hier betrachteten empirischen Arbeit grundsätzlich als erheblich eingestuft wird, wurden bei der Fallstudiendurchführung und der Darstellung ihrer Ergebnisse verschiedene Maßnahmen ergriffen, um den Einfluss und den Interpretationsspielraum des Forschers teils zu mindern882 und transparent zu machen. Die Transparenz wird dabei durch die klar
877 Wrona 2005, S. 39. 878 Vgl. Wrona 2005, S. 39ff. sowie Kirk/Miller 1986. Für eine ausführliche Darstellung von Gütekriterien
unter Berücksichtigung der Besonderheiten qualitativer Forschung vgl. zudem z.B. Lamnek 1995, S. 152ff. sowie Yin 2003, S. 33ff. 879 Vgl. z.B. Wrona 2005, S. 41f.; Yin 2003, S. 10f. An dieser Stelle sei nochmals explizit darauf hinge-
wiesen, dass die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte Empirie einer ersten Plausibilitätsprüfung des hergeleiteten Ansatzes dient und ihre Ergebnisse nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben. 880 Zur subjektivistischen Grundposition vgl. Seite 234f. 881 Vgl. z.B. Hecker 2003, S. 8 unter Verweis auf Lamnek 1995, S. 34 und Bonoma 1985, S. 204. 882 Hierzu zählt z.B. die oben angeführte, gegenüber den Interviewpartnern bewusst spät erfolgte Darstellung der deduktiv hergeleiteten Ursachen, mit der beabsichtigt wurde, die Interviewpartner möglichst wenig durch die Sichtweise des Forschers zu beeinflussen. Ein weiteres Beispiel ist die nach Abschluss der
238
strukturierte Darstellung der Ergebnisse in den folgenden Abschnitten gefördert, die eine Differenzierung zwischen den Aussagen der interviewten Experten und den darauf aufbauenden Interpretationen des Forschers zulässt und somit zur Nachvollziehbarkeit der Argumentation durch Dritte beiträgt. Die Nachvollziehbarkeit wird zusätzlich u.a. durch das Einstreuen zahlreicher Originalzitate aus den Experteninterviews und der Zitierung weiterer verwendeter Quellen unterstützt. Hinsichtlich des Kriteriums der Reliabilität weist Wrona unter Beachtung der Besonderheiten qualitativer Forschung insbesondere auf die Notwendigkeit der Dokumentation des Vorverständnisses des Forschers und der Erhebungsmethoden hin.883 Das Vorverständnis ergibt sich weitestgehend aus dem in den Kapiteln 4 und 5 abgeleiteten Ansatz und ist somit im Rahmen dieser Arbeit ausführlich dokumentiert. Auf die Vorgehensweise hinsichtlich der Durchführung der Fallstudien wurde im vorliegenden Abschnitt eingegangen. Für die Darstellung der Ergebnisse aus den Fallstudien wird die folgende Struktur gewählt: Zunächst wird auf die jeweilige Unternehmung sowie auf das betrachtete Leistungsspektrum eingegangen. Nachdem im Anschluss die internationale Geschäftstätigkeit der Unternehmung und das vorherrschende zeitliche Muster bei der Internationalisierung kurz dargestellt werden, erfolgt die Erörterung der Ursachen, die zu dem vorherrschenden zeitlichen Muster führten. Dabei wird auf die in Abb. 5-5 und Abb. 5-6 genannten potenziellen Ursachen Bezug genommen, sofern diese im spezifischen Kontext der jeweiligen Unternehmung von den interviewten Experten als relevant eingestuft wurden. Einleitend ist anzumerken, dass gemäß der Erwartung in beiden Fallstudien nicht jede der vorab identifizierten potenziellen Ursachen im spezifischen Kontext der beiden Unternehmungen von den Experten als für sie relevant erachtet wurde. Ferner ist zu konstatieren, dass sich sämtliche von den Experten in den Interviews angesprochenen Ursachen in das entwickelte Modell einordnen lassen, so dass Interviews mit den Experten vorgenommene Abstimmung der Ergebnisse, um die vollständige und korrekte Wiedergabe der Expertenaussagen zu gewährleisten. 883 Vgl. Wrona 2005, S. 43 unter Verweis auf Kirk/Miller 1986, S. 72f.
239
sich das Modell bei seiner Anwendung in den Fallstudien grundsätzlich als durchaus tragfähig erwies. 6.2.2
Voith Paper
Einleitung Die Voith AG mit Sitz in Heidenheim (Baden-Württemberg) ist mit über 4 Mrd. Euro Umsatz und über 37.000 Mitarbeitern eine der größten Familienunternehmungen Europas.884 Die Tätigkeitsfelder umfassen sehr verschiedene Branchen wie Papiermaschinen, Turbinen für Wasserkraftwerke sowie Antriebs- und Bremssysteme für Schienen-, Land- und Wasserfahrzeuge und sind in Tochterunternehmungen in der Rechtsform der GmbH & Co. KG bzw. der GmbH untergliedert. Der Auslandsanteil am Umsatz betrug im Berichtsjahr 2006/2007 ca. 77%.885 Die folgende Fallstudie betrachtet mit der Voith Paper Holding GmbH & Co. KG mit Sitz in Heidenheim (im Folgenden als Voith Paper bezeichnet) den mit Abstand größten der vier Unternehmensteile.886 Voith Paper trug im Berichtsjahr 2006/2007 mit einem Umsatz von über 1,7 Mrd. Euro zu 41% des Konzernumsatzes bei und erwirtschaftete ca. 45% des gesamten Konzernbetriebsergebnisses.887 Voith Paper ist der weltweit führende Hersteller von Papiermaschinen.888 Ein Drittel der weltweiten Papierproduktion wird auf Voith-Papiermaschinen produziert. Das umfangreiche Leistungsspektrum von Voith Paper umfasst eine Vielzahl verschiedener Sach- und Dienstleistungen für die Papierherstellung. Der Serviceanteil am Umsatz beträgt dabei etwa 30%. Voith Paper stellt sein Leistungsspektrum wie folgt dar: „Zu unseren Leistungen gehören maßgeschneiderte
884 Die Umsatz- und Mitarbeiterzahlen beziehen sich auf das Berichtsjahr 2006/2007 (vgl. Voith 2007a). 885 Vgl. Voith 2007a. 886 Die übrigen Unternehmensteile sind Voith Siemens Hydro, Voith Turbo und Voith Industrial Services
(vgl. Voith 2007a). 887 Vgl. Voith 2007a, S. 105 und S. 134f. 888 Hierzu zählen Maschinen zur Herstellung höchst unterschiedlicher Papierprodukte, z.B. graphische
Papiere, Zeitungspapier, Karton und Tissue.
240
Neuanlagen, Umbauten, Produkte und Service. Wir vereinen ein einzigartiges Prozesswissen, wodurch ganzheitliche Produkte und Lösungen entstehen – über den gesamten Papierherstellungsprozess hinweg.“889 Die Vielseitigkeit des Leistungsspektrums, das im Sinne der vorliegenden Arbeit Sachleistungen, Dienstleistungen und hybride Produkte umfasst und auf das im Folgenden näher einzugehen sein wird, sowie die ausgeprägte Internationalität ermöglichen anhand der verschiedenen von Voith Paper in Auslandsmärkten angebotenen Leistungsarten eine umfassende Betrachtung der zeitlichen Muster im Sinne der Forschungsfrage. Vor diesem Hintergrund ist Voith Paper für die Plausibilisierung des in den vorangegangenen Kapiteln abgeleiteten Modells in hohem Maße geeignet. Bevor die zeitlichen Muster bei der Internationalisierung sowie die potenziellen Ursachen für diese Muster diskutiert werden, soll zunächst auf das Leistungsspektrum und die Internationalität eingegangen werden. Überblick über das Leistungsspektrum Voith Paper bietet als einziger Papiermaschinenhersteller das komplette Leistungsspektrum zur Papierherstellung „von der Faser bis zur Papierrolle“ an.890 Das Angebot umfasst beispielsweise Maschinen zur Stoffaufbereitung, Maschinen der verschiedenen Stufen einer Papieranlage (Stoffauflauf, Siebpartie, Pressenpartie und Trockenpartie) sowie Maschinen der Schlussgruppe (z.B. Rollenschneider und Rollenpackanlagen) und zur Papierveredelung (z.B. Streichmaschinen und Glättwerke). Zudem bietet Voith Paper die dazugehörige Ausstattung (z.B. Pressfilze, Formiersiebe und Trockensiebe) sowie ein umfangreiches Angebot produktbegleitender Dienstleistungen an. Darüber hinaus hat Voith vor einigen Jahren damit begonnen, umfangreiche Rahmenverträge mit einer technischen Verfügbarkeitszusage anzubieten, wobei Voith Paper eng mit dem Unternehmensteil Voith Industrial Services zusammenarbeitet.
889 Vgl. Voith 2008a. 890 Vgl. Voith 2008b.
241
Abb. 6-1 skizziert das Leistungsspektrum von Voith Paper entlang des Papierherstellungsprozesses und führt beispielhaft einige Leistungen an, die teils im weiteren Verlauf des vorliegenden Abschnitts aufgegriffen werden.
Stoffaufbereitung
Papierherstellung Maschinen und Anlagen zur Herstellung von Papier, Karton, Pappe und Vliesstoffen; kontaktlose Trocknung und Wickeltechnik
Maschinen und Anlagen zur Aufbereitung von Primärfasern und Altpapier, inklusive Beschickungs-, Förder- und Entsorgungssysteme
• Rotoren • Fiberizer • Rejectsorter
Veredelung/Weiterverarbeitung
• • • •
Formiersiebe,Trockensiebe Pressfilze Transferbänder Walzensysteme, -bezüge und -beschichtungen • Total Roll Management
Maschinen und Anlagen für die Veredelung und Weiterverarbeitung von Papier
• • • •
Kalander, Janus Concept Soft- und Hardnip-Glättwerke Rollenschneider Rollentransport- und Rollenpackanlagen
Online-Sensoren, Stellglieder und Software für Qualitätsleit- und Überwachungssysteme Ersatzteile Field Service (z.B. Reparaturen, Vibrationsmessungen) Trainings Maschinenaudits
Abb. 6-1: Das Leistungsspektrum von Voith Paper (Auswahl) Eine Papiermaschine produziert innerhalb einer Minute bis weit über 1000 m aufgewickeltes Papier.891 Der große Materialdurchsatz und die hohen Geschwindigkeiten führen – in Kombination mit weiteren Faktoren – dazu, dass zahlreiche Komponenten einer Papiermaschine einem recht hohen Verschleiß unterliegen, so dass regelmäßige Wartungsarbeiten erforderlich sind. Beispielsweise ist es notwendig, die mehrere Tonnen schweren und bis ca. zehn Meter breiten Walzen in regelmäßigen Abständen zu schleifen, da es auf den Walzenoberflächen zu Material- und Chemikalienablagerungen kommt.892 Das präzise Schleifen bei
891 Die Produktionsgeschwindigkeit hängt von vielen Faktoren ab, u.a. von der Art des produzierten Papiers.
Für Zeitungsdruckpapier liegt der Geschwindigkeitsweltrekord z.B. bei 1980m/min. (erreicht am 25. April 2008 auf einer Voith-Papiermaschine; vgl. Voith 2008d). 892 Um die Ablagerungen gering zu halten, sind die meisten Walzen mit Schabern ausgestattet. Setzen sich
jedoch harte Gegenstände (z.B. Sandkörner) zwischen Schaberklinge und Walze, so führt dies zu Riefen auf der Walzenoberfläche, die die Qualität des produzierten Papiers beeinträchtigen (vgl. Voith 2003c, S. 64f.). Die Intervalle für das Schleifen sind von Walzenart zu Walzenart unterschiedlich. Aufgrund des
242
Walzen diesen Ausmaßes setzt den Einsatz umfangreicher Spezialmaschinen voraus,893 weshalb es in der Regel unumgänglich ist, die Walzen von Zeit zu Zeit auszubauen und in einem Service-Center, das über entsprechende Maschinen verfügt, zu überarbeiten.894 Zwar besteht die Möglichkeit, Walzen zwischenzeitlich beim Kunden vor Ort überzuschleifen und hierdurch die Intervalle einer notwendigen Überarbeitung der Walzen in einem Service-Center hinauszuzögern, doch ist das Schleifen vor Ort in Ermangelung der für das präzise Schleifen notwendigen Maschinen kein vollständiger Ersatz. Andere produktbegleitende Dienstleistungen – z.B. Vibrationsmessungen, Reparaturen am Stoffauflauf und an Trockenzylindern sowie die Unterstützung bei Walzenwechseln – werden hingegen beim Kunden vor Ort erbracht.895 Auf die Vielfalt weiterer notwendiger Wartungsarbeiten sei hier nur hingewiesen.896 In den vergangenen Jahren hat Voith Paper sein Leistungsspektrum um verschiedene Leistungen ergänzt, die nach dem dieser Arbeit zugrunde gelegten Begriffsverständnis als hybride Produkte zu bezeichnen sind. Hierzu zählt etwa das Total Roll Management, bei dem Voith Paper die Gesamtverantwortung für die Walzen einer Papiermaschine übernimmt und nach eigenem Ermessen notwendige Reparatur- und Wartungsarbeiten durchführt.897 Ferner bietet Voith Paper seit einigen Jahren einen komplexen Rahmenvertrag an, bei dem der Kunde eine technische Verfügbarkeitszusage für seine Papiermaschine erhält. Der individuell vereinbarte Vertrag kann u.a. die komplette Wartung der Maschine, anfallende Reparaturarbeiten, Ersatzteilservice, technische Reinigung und sogar die gebäudehohen Drucks werden beispielsweise die Presswalzen und die Glättwalzen einer Papiermaschine besonders stark beansprucht. Weniger stark belastet werden z.B. die Trockenzylinder und die Leitwalzen. 893 Z.B. Krananlagen, CNC-Dreh- und Schleifautomaten sowie Auswuchtaggregate (vgl. Voith 2000b, S. 44; Voith 2001a, S. 66; Voith 2003a, S. 63). Beispielsweise wurde das 2001 eingeweihte Service-Center in Karawang, Indonesien, für die Bearbeitung von Walzen bis zu einer Länge von 15 m, einem Gewicht von 100 t und einem Durchmesser von 2 m ausgelegt (vgl. Voith 2001a, S. 66). Die Ausstattung anderer Service-Center ist vergleichbar (vgl. z.B. Voith 2002a, S. 65). 894 Für die Zeit der Walzenüberholung in einem Service-Center halten die Papiermaschinenbetreiber grundsätzlich Austauschwalzen vor. 895 Vgl. Voith 2001a, S. 67. 896 Beispielsweise setzen sich mit der Zeit die Formier- und Trockensiebe zu, so dass sie regelmäßig gereinigt oder ausgetauscht werden müssen, die Lager der tonnenschweren Walzen verschleißen, der Wasserkreislauf enthält zahlreiche Pumpen, die gleichfalls regelmäßig gewartet werden müssen, die Löcher im Walzenbezug der Saugwalze setzen sich zu usw. 897 Vgl. Voith 2007b; Voith 2008c.
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technische Wartung bis hin zum Putzen der Fensterscheiben umfassen. Im Gegensatz zum Total Roll Management werden derart umfangreiche Serviceverträge derzeit im Ausland (noch) nicht angeboten.898 Darstellung der internationalen Geschäftstätigkeit Voith-Papiermaschinen werden weltweit in allen Regionen betrieben, die über eine nennenswerte Papierindustrie verfügen. Produktionsstandorte von Voith Paper befinden sich in Europa (z.B. Deutschland, Österreich, Großbritannien, Spanien, Frankreich, Niederlande, Schweden und Finnland), in Nord-, Mittel- und Südamerika (USA, Brasilien, Kanada, Mexiko) sowie in Asien (China, Indien, Indonesien und Japan). Für die Erbringung der umfangreichen Serviceleistungen kann Voith Paper auf ein globales Netz von derzeit ca. 35 Service-Centern zurückgreifen. Diese verfügen über die technischen und personellen Voraussetzungen (z.B. Maschinen, Werkstatteinrichtungen und erfahrene Serviceingenieure), um auch aufwändige und komplexe Reparatur- und Wartungsarbeiten durchzuführen.899 Leistungen, die ein besonders umfangreiches Know-how erfordern (beispielsweise ganzheitliche Prozessanalysen), werden weltweit größtenteils von Mitarbeitern der Standorte in Zentraleuropa erbracht. Eine vergleichbar umfangreiche und profunde Expertise wie an den europäischen Standorten gibt es darüber hinaus an Standorten in den USA (z.B. im Bundesstaat Wisconsin) sowie in Brasilien (Region Sao Paulo).900 Neben den genannten Regionen, die bereits seit einiger Zeit über moderne Papierindustrien verfügen und in denen Voith Paper seit vielen Jahrzehnten tätig ist,901
898 Auf die diesbezüglichen Ursachen wird im weiteren Verlauf noch einzugehen sein. 899 Einige der Service-Center sind vorrangig auf bestimmte Services ausgerichtet (z.B. auf die Überholung
von Maschinenteilen der Stoffaufbereitung). Über die erforderlichen Anlagen und das Know-how für das präzise Schleifen der Walzen verfügen 27 Service-Center (davon zwölf in Europa, sieben in Nordamerika, fünf in Südamerika und drei in Asien). 900 Zur verfügbaren Expertise an den Standorten in den USA vgl. z.B. Voith 2004a, S. 55ff.; zu jener am Standort Sao Paulo vgl. z.B. Voith 2000a, S. 58. 901 Vgl. z.B. Voith 2005a, S. 4f.; Voith 2008f; Voith 2008g; Voith 2008h; Voith 2008i.
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entwickelte sich die Papierindustrie in China in den vergangenen 10 bis 15 Jahren äußerst dynamisch902 und stellt mit seinen hohen Wachstumsraten für Voith Paper einen wichtigen Auslandsmarkt dar: „In den letzten Jahren haben wir insbesondere in China einige der größten und schnellsten Papiermaschinen der Welt aufgebaut.“903 Vor diesem Hintergrund wurden das nachfolgend dargestellte zeitliche Vorgehen sowie die Ursachen, die das zeitliche Muster bei der Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten beeinflussten, in den durchgeführten Experteninterviews am Beispiel der Erschließung des chinesischen Marktes diskutiert. Die folgenden Aussagen haben gemäß der durchgeführten Interviews jedoch grundsätzlich auch für die Erschließung anderer Auslandsmärkte Bestand. Eine Ausnahme, auf die hier hingewiesen werden soll, ergibt sich für den russischen Markt, in dem sich eine etwas abweichende Situation daraus ergibt, dass die Papierfabriken von staatlicher Seite als autarke Einheiten geplant wurden und daher über sehr gut ausgestattete Werkstätten verfügen. Eine weitere Besonderheit besteht für den russischen Markt darin, dass in der damaligen staatlichen Planung die Bildung eines regionalen Papierindustriezentrums – wie es sich in anderen Ländermärkten (z.B. in China) findet – gezielt vermieden wurde. Vor diesem Hintergrund ist es den ansässigen Papierfabriken erstens möglich, zahlreiche Wartungs- und Reparaturarbeiten selbst vorzunehmen. Zum Zweiten ist es aufgrund der geografischen Verteilung der Papierfabriken äußerst schwierig, einen geeigneten Standort für die Gründung eines Service-Centers zu identifizieren.
902 Bereits 1997 hatte China mit 33,5 Millionen Tonnen nach den USA den weltweit zweithöchsten
Papierverbrauch (vgl. Voith 1999, S. 56). Bis zum Jahr 2006 hat sich der Verbrauch in China auf 66,0 Millionen Tonnen knapp verdoppelt (vgl. Verband deutscher Papierfabriken 2008). 903 Vgl. ergänzend z.B. Voith 2002b, S. 4; Voith 2007a, S. 45. Sechs der fünfzehn im Geschäftsbericht
2006/2007 gesondert erwähnten Großaufträge von Voith Paper (40%) stammen aus China (vgl. Voith 2007a, S. 45).
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Zeitliches Muster bei der Internationalisierung mit verschiedenen Leistungsarten Grundsätzlich bietet Voith Paper im Rahmen der Erschließung eines Auslandsmarktes Sach- und produktbegleitende Dienstleistungen simultan an. Bei den Sachleistungen handelt es sich dabei meist um aufeinander abgestimmte Maschinen einer Prozessstufe (z.B. Maschinen zur Stoffaufbereitung) oder um komplette Papiermaschinen. Der Absatz einzelner Maschinenkomponenten hat hingegen (wieder) an Bedeutung verloren: „In den [19]80er Jahren gab es eine starke Tendenz, einzelne Maschinenkomponenten von verschiedenen Papiermaschinenherstellern zu einer Papiermaschine zu kombinieren. Es zeigte sich aber, dass die Schnittstellenproblematik massiv zunahm. Später, so in den [19]90er Jahren, ging man dann wieder verstärkt dazu über, zumindest komplette Maschinenabschnitte wie die Pressen- oder die Trockenpartie, von ein und demselben Hersteller zu beziehen.“ Neben den angeführten Sachleistungen bietet Voith Paper in den Auslandsmärkten ein umfangreiches Spektrum produktbegleitender Dienstleistungen an, das nicht nur obligatorische Leistungen wie die Störungsbehebung oder die Lieferung von Ersatzteilen, sondern von Beginn an auch umfangreiche fakultative Leistungen – beispielsweise einen umfassenden Walzenservice904 – einschließt. Wie oben dargestellt wurde, können verschiedene produktbegleitende Dienstleistungen nicht beim Kunden vor Ort, sondern nur in einem Service-Center mit einem entsprechenden Spezialmaschinenpark erbracht werden.905 Das Angebot dieser Leistungen hängt jedoch nicht davon ab, ob im jeweiligen Auslandsmarkt bereits ein Service-Center eröffnet wurde. Sofern (noch) kein Service-Center existiert, kann es je nach Art der Leistung erforderlich sein, Maschinenteile (z.B. Walzen) zwecks Überarbeitung zu verschiffen. So mussten die Papiermaschinenbetreiber in Indonesien (und anderen Ländern Südostasiens) ihre Biegeausgleichswalzen vor der Eröffnung des Voith-Paper-Service-Centers in
904 Der Walzenservice umfasst z.B. Schleifen, Beschichten, Auswuchten, Bezugsbohrungen, Zapfenerneue-
rungen sowie weitere mechanische Servicearbeiten (vgl. Voith 2004b, S. 54; Voith 2008e). 905 Vgl. Fußnote 893.
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Karawang zur Überholung nach Europa, Japan oder in die USA schicken.906 Drei Jahre nach seiner Gründung zählte das Service-Center in Karawang wichtige Papierfabriken in Australien, Neuseeland, Bangladesh, Thailand, Malaysia, den Philippinen, Taiwan, Südkorea und Indien zu seinen Kunden.907 Ebenso wurden vor der Eröffnung der Service-Center in China Walzen zur Beschichtung nach Europa, Japan oder in die USA verschifft, so dass die Walzen aufgrund der langen Transportwege häufig mehrere Monate nicht zur Verfügung standen.908 Zur Erbringung sehr komplexer Leistungen kann es zudem erforderlich sein, Spezialisten (z.B. aus Europa) einzufliegen. „Lokale Spezialisten mit dem erforderlichen intensiven Know-how aufzubauen, dauert viele Jahre. Was man eigentlich benötigt, sind altgediente Hasen, die schon vieles zu sehen bekommen haben.“ Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass nahezu alle der von Voith Paper angebotenen Services – obgleich nicht immer in vergleichbar hoher Qualität – auch von anderen Wettbewerbern erbracht werden können.909 In verschiedenen Ländermärkten wurden daher vor der Eröffnung eines Voith-Paper-Service-Centers derartige Leistungen von anderen, oftmals lokalen Anbietern erbracht. Durch die große Entfernung des nächsten Voith-Paper-Service-Centers konnten diese Anbieter trotz der zum Teil weit geringeren Qualität ihrer Leistungen aufgrund ihrer kürzeren Reaktionszeiten und niedrigeren Kosten im Markt bestehen.910 „In Regionen, wo es noch kein Service-Center gibt, ist es kleinen lokalen Playern möglich, den Markt mit Services zu versorgen. Für einige wird das durch die wachsende Zahl an Service-Centern aber immer schwieriger werden. Es sei denn, sie werden noch günstiger oder wachsen gehörig in ihrer Qualität.“
906 Vgl. Voith 2001a, S. 67; Karawang liegt ca. 60 km östlich von Jakarta. 907 Vgl. Voith 2004, S. 53. 908 Vgl. Voith 2003a, S. 62. 909 Eine Ausnahme stellt die ganzheitliche Prozessberatung im Rahmen von Maschinenaudits dar, die sehr
umfassende und profunde Kenntnisse des Zusammenspiels aller Komponenten einer Papiermaschine voraussetzt, über die nur wenige Wettbewerber – nebst Voith Paper beispielsweise noch Metso Paper – verfügen. 910 Für Ländermärkte, in denen bisher kein Service-Center eines großen Anbieters wie Voith Paper existiert, gilt dies zum Teil auch heute noch.
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Durch den Bau eines lokalen Service-Centers im Auslandsmarkt lassen sich die Reaktionszeiten, in denen die produktbegleitenden Dienstleistungen von Voith Paper erbracht werden können, erheblich reduzieren. Zudem verringern sich oftmals die mit der Leistungserbringung verbundenen Kosten, da beispielsweise Reise- und Transportkosten deutlich geringer ausfallen. Diese Vorteile ergeben sich sowohl für Leistungen, die von dem lokalen Service-Center koordiniert und direkt beim Kunden erbracht werden (beispielsweise akute Störungsbehebungen, etwa durch Reparaturen am Stoffauflauf) als auch für Leistungen, die in einem Service-Center erfolgen müssen (z.B. die Überarbeitung von Walzen). Da der Ausfall einzelner Maschinenteile zum Stillstand der gesamten Anlage führen kann und jede Minute ungeplanter Stillstandszeit bei modernen Anlagen, wie sie beispielsweise auch in China zum Einsatz kommen, je nach Papierart einen Produktionsausfall von 500 bis 2000 m Papierbahn mit sich bringt,911 ist die schnelle Verfügbarkeit des Servicepersonals und die zeitnahe Erbringung von Serviceleistungen für den Papiermaschinenbetreiber von großer Bedeutung. Somit verbessert sich durch die Eröffnung eines lokalen Service-Centers die Position von Voith im Wettbewerb um entsprechende Serviceaufträge aufgrund der verkürzten Reaktionszeiten beträchtlich. Hinzu kommt, dass Voith Paper häufig erst durch die Einbindung eines lokalen Service-Centers in der Lage ist, hybride Produkte wie das Total Roll Management zu vertretbaren Kosten und mit der erforderlichen Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit in einem Auslandsmarkt anzubieten: „Wenn Voith Paper die Gesamtverantwortung für alle Walzen einer Papiermaschine übernimmt, dann erfordert dies im Grunde eine kontinuierliche Vor-Ort-Präsenz beim Kunden. Das ist über große Distanzen hinweg nicht zufriedenstellend zu bewerkstelligen.“ Aufgrund der großen Bedeutung, die den Service-Centern im Zusammenhang mit dem Angebot produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte zukommt, soll im Folgenden kurz darauf eingegangen werden, in welcher Reihen-
911 Für einige Beispiele zu den Konstruktionsgeschwindigkeiten der in den letzten Jahren nach China
gelieferten Maschinen vgl. Voith 2002b, S. 4ff.
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folge in den verschiedenen Regionen mit einer nennenswerten Papierindustrie Voith-Paper-Service-Center errichtet wurden:912 Bis zum Jahr 1990 war es – etwa für umfassende Walzenüberarbeitungen – erforderlich, auf Service-Center in Europa und Nordamerika zurückzugreifen. Das erste südamerikanische ServiceCenter wurde 1990 in Brasilien eingeweiht.913 In den folgenden Jahren kamen weitere Service-Center in Europa, Nordamerika und Südamerika hinzu.914 Um der stark wachsenden Bedeutung der asiatischen Absatzmärkte Rechnung zu tragen, wurde im Jahr 2001 das Service-Center in Indonesien errichtet.915 2003 kamen zwei Service-Center in China hinzu.916 Zusammenfassend ist hinsichtlich der Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in einem neuen Auslandsmarkt festzuhalten, dass Voith Paper von Beginn an produktbegleitende Dienstleistungen zu den vermarkteten Sachleistungen anbietet, jedoch das Ausmaß des Servicegeschäfts nach Eröffnung eines lokalen Service-Centers in der Regel stark zunimmt, da sich durch das Service-Center die Reaktionszeiten und somit auch Voiths Wettbewerbsposition deutlich verbessern. Hybride Produkte wie das Total Roll Management werden in den Auslandsmärkten hingegen zeitlich nachgelagert angeboten. Ursachen des zeitlichen Internationalisierungsmusters Die Tatsache, dass Voith Paper trotz des damit verbundenen logistischen und organisatorischen Aufwands grundsätzlich bereits ab dem erstmaligen Angebot der Sachleistungen in einem bestimmten Auslandsmarkt auch ein umfangreiches Spektrum produktbegleitender Dienstleistungen aktiv in diesem Markt anbietet, zeugt davon, dass sich Voith Paper von der frühzeitigen Dienstleistungs-
912 Die folgenden Ausführungen betreffen verstärkt die hier nicht im Fokus stehende Frage der Ländermarkt-
sequenz, wie sie etwa im Rahmen der Psychic Distance Chain diskutiert wird (vgl. Abschnitt 2.2.1). Da sich die Errichtung eines Service-Centers jedoch als Voraussetzung für das Angebot hybrider Produkte in einer Region auffassen lässt, erscheint es im betrachteten Kontext dennoch zweckmäßig, kurz auf die Reihenfolge der Errichtungszeitpunkte verschiedener Voith-Paper-Service-Center einzugehen. 913 Vgl. Voith 2002c, S. 47. Einen Voith-Paper-Produktionsstandort gab es in Brasilien hingegen bereits ab 1964 (vgl. Voith 2000a, S. 55). 914 Vgl. z.B. Voith 1997, S. 61; Voith 1998, S. 62; Voith 1999, S. 57. 915 Vgl. Voith 2001a, S. 66. 916 Vgl. Voith 2003a, S. 61.
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erbringung in einem Auslandsmarkt große Vorteile erhofft. Die Bedeutsamkeit, die den produktbegleitenden Dienstleistungen von Voith Paper beigemessen wird, zeigt sich zudem darin, dass die schnelle Errichtung eines Service-Centers, die die Wettbewerbsposition in der oben dargestellten Weise erheblich verbessert, angestrebt wird, sobald eine ausreichend große Maschinenpopulation besteht oder diese in nicht allzu ferner Zukunft zu erwarten ist. Die große Bedeutung kam auch im Rahmen der durchgeführten Experteninterviews zum Ausdruck, wie z.B. die folgende Aussage erkennen lässt: „Ein umfassendes und hochwertiges Serviceangebot ist in unserer Branche sehr wichtig. […] Die Maschinen und Maschinenteile werden sich immer ähnlicher. Die Qualität – nicht nur die der Wettbewerber, sondern auch die der Nachbauer – wird immer besser. Wettbewerbsvorteile sind über die Produkte allein auf Dauer kaum zu halten.“ Wie zu sehen sein wird, tangiert die Erklärung für Voith Papers Vorgehen eines frühzeitigen und möglichst umfassenden Angebots produktbegleitender Dienstleistungen in einem Auslandsmarkt grundsätzlich alle der in den Abschnitten 5.1.3.1 bis 5.1.3.5 diskutierten potenziellen Selbstverstärkungseffekte.917 In den folgenden Ausführungen zu den Ursachen des zeitlichen Musters bei Voith Papers Internationalisierung mit den genannten Leistungsarten wird zunächst auf die identifizierten Selbstverstärkungseffekte Bezug genommen. Im Anschluss wird die in Abschnitt 5.1.4 geführte Diskussion aufgegriffen, in der argumentiert wurde, dass sich die Existenz von Selbstverstärkungseffekten für eine Unternehmung (in diesem Falle für Voith Paper) positiv oder negativ auswirken kann.918 Die Anwendung auf den Praxisfall von Voith Paper demonstriert dabei einmal mehr, dass die einzelnen Effekte stark miteinander verwoben und lediglich zum Zwecke der Analyse zu differenzieren sind.919 Die Experteninterviews gaben darüber Aufschluss, dass Voith Paper mit der frühzeitigen Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen die Chance verbindet,
917 Vgl. in Ergänzung zu den angeführten Abschnitten auch die zusammenfassende Darstellung der Selbst-
verstärkungseffekte in Abb. 5-5. 918 Vgl. Abb. 5-3 sowie die diesbezüglichen Ausführungen in Abschnitt 5.1.4. 919 Vgl. hierzu auch Abschnitt 4.3.4.2.4.
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die Geschäftsbeziehungen zu seinen Kunden von Beginn an durch regelmäßige persönliche Kontakte und die zuverlässige Erbringung der Dienstleistungen kontinuierlich zu pflegen.920 Die Gelegenheiten, die sich in der Papiermaschinenindustrie zur regelmäßigen Geschäftsbeziehungspflege ergeben, gehen dabei über die von quartalsweisen oder halbjährlichen Inspektionen, wie sie teils aus anderen Branchen bekannt sind, deutlich hinaus: „Eine Papiermaschine enthält viele Verschleißteile, die sehr häufig kontrolliert und zum Teil in Intervallen von wenigen Monaten oder gar von wenigen Wochen überarbeitet bzw. ausgetauscht werden müssen.“921 Darüber hinaus ist die gewissenhafte Durchführung der genannten Leistungen für den Papiermaschinenbetreiber von größter Bedeutung, da bereits der Ausfall einer einzelnen Komponente (z.B. einer Walze) zu einer ungeplanten Stillstandszeit der gesamten Anlage führen kann.922 Durch den frühzeitigen und permanenten Kontakt zum Kunden ergeben sich des Weiteren zahlreiche Möglichkeiten, auslandsmarktspezifisches Wissen zu generieren.923 Auf Markt- und Marktsegmentebene betrifft dies beispielsweise zukünftige Markttrends, die sich auf Art und Umfang des künftigen Maschinenbedarfs der regionalen Papierindustrie auswirken und somit für Voith Paper von erheblichem Interesse sind. Auf Geschäftsbeziehungsebene ergeben sich ferner oftmals Möglichkeiten, Kenntnis von künftigen Investitionsvorhaben des Kunden zu erlangen: „Durch die Service-Erbringung hat man einen permanenten Draht zum Kunden. Das Schlechteste was eigentlich passieren kann, ist, dass man einem Kunden eine Maschine verkauft hat und nach fünf Jahren erfährt man, dass er wieder eine Maschine kaufen will.“ So ist das Voith-Personal durch die Erbrin-
920 Vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen zur Investition in die Ressource Kundenbeziehungen,
die in Abschnitt 4.3.4.3.3 unter Verweis auf Ghemawat erfolgten und in Abschnitt 5.1.3.3 in Verbindung mit dem Akquisitionspotenzial und dem Kundenbindungspotenzial aufgegriffen wurden. Vgl. zudem das in Abb. 5-5 angeführte Beispiel des frühzeitigen Auf- und Ausbaus von Kundenbeziehungen. 921 Im weiteren Verlauf des Experteninterviews wurde präzisiert, dass sich das erstgenannte Intervall z.B. auf Presswalzen und Glättwalzen und das zweitgenannte Intervall z.B. auf die Mahlscheiben in der Stoffaufbereitung sowie auf die Formiersiebe in der Nasspartie bezieht. 922 Zu den diesbezüglichen Konsequenzen vgl. Seite 248. 923 Vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen zur Generierung marktspezifischen Wissens, die in Abschnitt 5.1.3.1 u.a. unter Verweis auf Berekoven/Eckert/Ellenrieder im Kontext anbieterseitiger Lerneffekte erfolgten; vgl. zudem das diesbezügliche in Abb. 5-5 angeführte Beispiel.
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gung der umfangreichen Leistungen an einer Papiermaschine meist sehr gut über den Zustand und die Schwachpunkte der jeweiligen Maschine informiert.924 Durch den Kontakt zum Kunden und die Kenntnis über dessen technische und marktbezogene Herausforderungen ist es für Voith Paper im Idealfall sogar möglich, die Verwendung kundenseitiger Investitionsbudgets – beispielsweise durch Vorschläge zur Modernisierung der betreuten Anlage – mitzubeeinflussen. Um in diesem Sinne möglichst umfassend und von Beginn an in die kundenseitigen Entscheidungsprozesse über künftige Investitionen eingebunden zu werden, ist es neben der profunden Kenntnis des Zustands der Maschine und der Situation des Kunden erforderlich, von diesem als kompetenter Ansprechpartner in allen Fragen zur Papiermaschine akzeptiert zu sein. In diesem Falle besteht darüber hinaus die Chance, dass sich die kundenseitige Wahrnehmung von Voith als kompetenter Komplettanbieter von Papiermaschinen zwischen den verschiedenen Papiermaschinenbetreibern einer Region herumspricht und es zu entsprechenden Empfehlungen an weitere potenzielle Kunden kommt.925/926 Zum Aufbau eines derartigen Images kann die Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen – wie Wartungs- und Reparaturleistungen oder auch Maschinenaudits927 – einen wichtigen Beitrag leisten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die erbrachten produktbegleitenden Dienstleistungen ein sehr umfassendes Knowhow über Papiermaschinen erfordern, wobei sich zweierlei Ausprägungen differenzieren lassen: Erstens kann es sich um produktbegleitende Dienstleistungen
924 Die Informationen – beispielsweise über das Alter und den Zustand einzelner Maschinenkomponenten –
werden aktiv zur Vertiefung der Geschäftsbeziehung (z.B. durch Beratung) sowie zur Generierung von Neugeschäft genutzt. 925 Vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen zu nachfrageseitigen Lerneffekten, die in Abschnitt 5.1.3.2 unter Verweis auf Arthur/Lane erfolgten; vgl. zudem das diesbezügliche Beispiel in Abb. 5-5. 926 Der Aspekt der Weiterempfehlung wurde in den Experteninterviews nicht explizit im Zusammenhang mit dem frühzeitigen Angebot produktbegleitender Dienstleistungen angeführt. Allerdings wurde in den Interviews deutlich, dass zwischen den Papierherstellern in einer Region ein Informationsaustausch stattfindet (beispielsweise im Rahmen von regionalen Messen oder auch durch Personalwechsel zwischen den Papierherstellern). 927 Ein Maschinenaudit umfasst umfangreiche Analysen des Maschinenzustands, der Prozessführung sowie der Produktionsqualität und der Betriebsweise der jeweiligen Anlage. Im Anschluss erhält der Papiermaschinenbetreiber eine umfassende Einschätzung des Zustands und der Betriebsweise der Papiermaschine. Die Empfehlungen können als Basis für künftige Investitionen (z.B. Modernisierungsmaßnahmen) dienen (vgl. Voith 2003b, S. 55f.).
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handeln, die sich jeweils auf einzelne Abschnitte der Papiermaschine beziehen, jedoch ein profundes Know-how über den jeweiligen Abschnitt der Maschine voraussetzen und in Summe große Teile der Papiermaschine betreffen.928 Zweitens kann es sich um Leistungen handeln, die – wie im Falle der Maschinenaudits – ein übergreifendes Know-how der verschiedenen Partien der Papiermaschine erfordern. Voith Paper positioniert sich diesbezüglich als Gesamtanbieter für den Papierherstellungsprozess929 und hebt z.B. hervor, dass „Voith Paper […] weltweit als einziger Maschinenbauer, Prozesslieferant und Dienstleister alle Komponenten an[bietet], die im Papierherstellungsprozess mit der Papierbahn in Berührung kommen.“930 Insbesondere die Maschinenaudits, die Voith Paper nicht nur für selbsterstellte, sondern auch für Papiermaschinen anderer Hersteller anbietet, werden gezielt zur Generierung von Neugeschäft eingesetzt. Hierbei werden dem Kunden beispielsweise Vorschläge unterbreitet, welche Komponenten ergänzt oder verändert werden sollten, um etwa den Energiebedarf der Papiermaschine zu reduzieren oder die Ausbringungsmenge zu erhöhen. Das Risiko, dem Kunden infolge eines Maschinenaudits keine konstruktiven Verbesserungsvorschläge unterbreiten zu können, ist dabei relativ gering, da sich – nicht zuletzt aufgrund des raschen technischen Fortschritts bei den verschiedenen Komponenten einer Papiermaschine – nahezu bei jeder bestehenden Anlage Optimierungspotenziale identifizieren lassen: „Da es sich in der Regel um gewachsene Anlagen handelt, findet man im Zuge einer derartigen Analyse eigentlich immer etwas.“ Mit dem dargestellten Kundenbindungs-, Informations- und Imagepotenzial, das mit der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen einhergehen kann, ist somit zugleich ein nicht zu unterschätzendes Akquisitionspotenzial verbunden, das sich auf künftige Geschäfte sowohl mit Sachleistungen als auch mit weiteren Dienstleistungen positiv auswirken kann.
928 Dies betrifft z.B. die Überarbeitung der Rotoren in der Stoffaufbereitung; den Austausch der Formier-
siebe in der Nasspartie, einen umfangreichen Trockenzylinder-Service und die Neubeschichtung der Walzen des Glättwerks. 929 Vgl. Voith 2007d, S. 65; Voith 2008a. 930 Voith 2005b.
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Das angeführte Akquisitionspotenzial verschiedener produktbegleitender Dienstleistungen deutet zudem auf Komplementaritätseffekte hin, die mit dem Angebot von Sach- und Dienstleistungen einhergehen können. Beispielsweise wird ein Kunde, der von einem Hersteller sowohl die Walzen als auch den darauf abgestimmten Walzenservice bezieht, idealerweise davon profitieren, dass der Hersteller mit dem Aufbau und den Materialien der Walzen bestens vertraut ist.931 Die beiden folgenden Anmerkungen aus den Experteninterviews sollen die große Bedeutung veranschaulichen, die der profunden Kenntnis über den Walzenaufbau und den verwendeten Stahl im Rahmen einer sachgemäßen Überarbeitung von Walzen zukommt: „Das Schleifen erfordert Präzisionsarbeit im hundertstel Millimeterbereich. Um einen gleichmäßigen Flächendruck zu gewährleisten, wird beispielsweise eine Bombierung in die Walzen geschliffen, um das auf das Eigengewicht der Walzen zurückzuführende minimale Durchhängen der Walzen auszugleichen. Bei den großen Walzen mit mehreren Tonnen Gewicht kann man gar nicht verhindern, dass die nicht ein wenig durchhängen. Da ist in hohem Maße Präzision gefragt.“ Die zweite Kommentierung bezieht sich auf die Kenntnis der Materialzusammensetzung: „Der durch das Schleifen verursachte Materialabtrag wird zum Teil durch elektrisches Aufdampfen neuen Materials kompensiert. Das ist z.B. bei Trockenzylindern wichtig, für deren Zulassung eine Mindestmaterialstärke nicht unterschritten werden darf, da es sich um Druckbehälter handelt.“ Aufgrund der gravierenden Auswirkungen des Ausfalls einer Walze ist es zudem von Vorteil, wenn die Verantwortung für die Funktionsfähigkeit der Walzen in einer Hand liegt und im Falle einer Störung keine Diskussionen darüber aufkommen, ob die Ursache der Störung in den originären Eigenschaften der Walze oder in ihrer nicht sachgemäßen Wartung zu sehen ist.932
931 Vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen zu den Komplementaritätseffekten in Abschnitt 5.1.3.4
sowie das diesbezügliche Beispiel in Abb. 5-5. 932 In Anbetracht der hohen Kosten, die mit einer (z.B. durch schlecht ausgeführte Wartungsarbeiten hervor-
gerufenen) Störung des Papierherstellungsbetriebs verbunden sein können, ist hier insbesondere auf die Ausführungen zur „Komplementarität aufgrund von economies in time and effort“ zu verweisen (vgl. die in Abschnitt 5.1.3.4 dargestellte Unterteilung verschiedener Komplementaritätseffekte nach Oxenfeldt/ Guiltinan).
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Als weitere potenzielle Ursache positiver Rückkopplungen wurde in Kapitel 5 die Dichte des Servicenetzes diskutiert.933 Auch dieser Effekt ist im Kontext der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen durch Voith Paper in einigen Fällen beobachtbar. Allerdings ist es hierbei erforderlich, zwischen dem Nutzen für eine einzelne Papierfabrik und dem Nutzen für einen Papiermaschinenbetreiber, der in mehreren Ländermärkten operiert, zu unterscheiden.934 Bezogen auf die einzelne Papierfabrik ist es zwar unmittelbar einsichtig, dass der Betreiber von einer möglichst kurzen Distanz zum nächstgelegenen Service-Center aus den bereits dargestellten Gründen profitiert: „Für den Kunden ist es natürlich ein großer Vorteil, wenn seine Walzen zur Überholung nicht um die halbe Welt verschifft werden müssen.“ Die Standorte weiterer Service-Center und die Dichte des Service-Center-Netzes sind für die einzelne Papierfabrik jedoch im Regelfall weitgehend unerheblich.935 Anders verhält es sich bei Kunden, die mehrere Papierfabriken in unterschiedlichen Ländern betreiben und auf einen einheitlichen Servicepartner sowie einheitliche Servicestandards bedacht sind. Beispielsweise versucht Procter & Gamble in den Papierfabriken, die zum Teil von Procter & Gamble selbst und zum Teil von Vertragspartnern betrieben werden, einheitliche Standards seiner Tissue-Produkte durchzusetzen.936 Da die Tissue-Produktqualität maßgeblich von den Eigenschaften der Papiermaschinen abhängt, mit denen die Tissue-Produkte hergestellt werden, ist eine konstante und einheitliche TissueProduktqualität letztlich nur erreichbar, wenn auch die Wartungsarbeiten an den Maschinen – insbesondere der komplexe Tissuezylinderservice – einheitlichen
933 Vgl. die Ausführungen zu den Koordinationseffekten in Abschnitt 5.1.3.5 sowie das diesbezügliche
Beispiel in Abb. 5-5. 934 Ein in mehreren Ländern operierender Papierproduzent ist z.B. die finnische Unternehmung UPM-
Kymmene, die 20 Papierfabriken in sieben Ländern betreibt (Österreich, China, Finnland, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und USA; vgl. UPM-Kymmene 2008). Weitere international tätige Papierproduzenten sind z.B. International Paper und SCA. 935 Einschränkend sei angemerkt, dass – sofern das nächstgelegene Service-Center einige besonders komplexe Leistungen (z.B. die Beschichtung von Biegeausgleichswalzen) nicht erbringen kann – auch die Entfernung zum nächstgelegenen Service-Center, das hierzu in der Lage ist, von Bedeutung ist. 936 Zu den Tissue-Produkten gehören z.B. Toilettenpapier, Taschentücher und Kosmetiktücher. Anforderungen, die an Tissue-Produkte gestellt werden, sind z.B. Weichheit sowie eine hohe Reißfestigkeit und Saugfähigkeit.
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Standards unterliegen.937 Da sich eine einheitliche Qualität der Serviceleistungen besonders schwierig gestaltet, wenn die Services an den unterschiedlichen Produktionsstandorten von verschiedenen Anbietern durchgeführt werden, profitiert Procter & Gamble von der Dichte des Service-Center-Netzes eines Anbieters wie Voith Paper.938 Nachdem in den obigen Absätzen darauf eingegangen wurde, dass grundsätzlich jedem der fünf in den Abschnitten 5.1.3.1 bis 5.1.3.5 diskutierten Selbstverstärkungseffekte im Rahmen der Einführung der von Voith angebotenen Leistungsarten in Auslandsmärkten eine gewichtige Bedeutung zukommt, soll im Folgenden auf die potenziellen Wirkungsrichtungen der Selbstverstärkungseffekte zurückgekommen werden, die in Abschnitt 5.1.4 diskutiert wurden. Dort wurde argumentiert, dass eine Unternehmung einerseits durch das eigene frühzeitige Handeln von den verschiedenen potenziellen Selbstverstärkungseffekten profitieren kann, es aber andererseits auch möglich ist, dass sich die Existenz von Selbstverstärkungseffekten negativ für die Unternehmung auswirkt, sofern es einem ihrer Wettbewerber gelingt, seinerseits die genannten Effekte frühzeitig zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen.939 Wie präsent die Gefahr ist, durch 'zögerliches Handeln' bei dem Angebot produktbegleitender Dienstleistungen in einem Auslandsmarkt gegenüber Wettbewerbern ins Hintertreffen zu geraten, lässt sich für Voith Paper am Beispiel des spanischen Absatzmarktes veranschaulichen. So hat Voith Paper bereits mehrere Papiermaschinen in Zaragoza, einem wichtigen Standort der spanischen Papierindustrie, gebaut.940 Voith Paper verzichtete zunächst auf die Errichtung eines Service-Centers in Spanien, so dass es zur Über-
937 Ein Tissuezylinder ist ein Druckbehälter mit einem Durchmesser von bis zu fünf Metern Beim Tissue-
zylinderservice sind u.a. die jeweiligen landesspezifischen Sicherheitsbestimmungen für Druckbehälter zu beachten. Die Komplexität des Services hängt beispielsweise mit der Sicherstellung der Dichtigkeit an den Deckeln sowie mit der Zuführung des Dampfes und der Ableitung des Kondensats zusammen. 938 Voith Paper bietet in seinen Service-Centern weltweit einheitliche Qualitätsstandards an (vgl. z.B. Voith 2000b, S. 44f.; Voith 2001a, S. 66; Voith 2003a, S. 62f.; Voith 2004b, S. 53). 939 Vgl. Abb. 5-3 sowie die diesbezüglichen Ausführungen in Abschnitt 5.1.4. 940 Darunter mit der SAICA 3 PM 9 die weltweit schnellste Papiermaschine für Wellenstoff, die zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung im Oktober 2000 mit einer maximalen Arbeitsgeschwindigkeit von 1450m/min. die zum damaligen Zeitpunkt schnellsten Maschinen für die Wellenstoffproduktion um 50% übertraf (vgl. Voith 2001b, S. 44f.).
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arbeitung von Walzen für Voith Paper erforderlich war, diese in ein ServiceCenter außerhalb Spaniens zu bringen. Im Jahre 2007 hat der finnische MetsoKonzern – weltweit zweitgrößter Hersteller von Papiermaschinen941 – seinerseits ein Service-Center in Zaragoza errichtet942 und ist hierdurch in der Lage, der ansässigen Papierindustrie einen Walzenservice mit wesentlich kürzeren Reaktionszeiten anzubieten als dies Voith Paper derzeit kann. Über die Serviceangebote des regionalen Service-Centers ist es Metso nun möglich, von den oben dargestellten Effekten zu profitieren und sich seinerseits als zuverlässiger Partner bei der ansässigen Papierindustrie zu profilieren.943 Da der regionale Markt derzeit zu klein für ein weiteres Service-Center ist, sieht Voith Paper vorerst von dem Bau eines eigenen Service-Centers in der Region ab. In Anlehnung an die Ausführungen in Abschnitt 5.1.4 lässt sich darüber hinaus argumentieren, dass es für Voith Paper auch in weiteren Auslandsmärkten – so etwa in dem wichtigen und sich schnell entwickelnden chinesischen Markt – von großer Bedeutung sein kann, sich zu einem raschen Vorgehen bei der Errichtung von weiteren Service-Centern zu entschließen. Diesbezüglich ist zu konstatieren, dass neben Voith Paper beispielsweise auch Metso Paper intensiv am Ausbau der globalen Marktpräsenz seines Servicegeschäfts arbeitet. So formuliert Metso Paper im Geschäftsbericht 2007 explizit das Ziel, sein Servicegeschäft auszubauen: „Our most significant opportunities for growth are in the service business […] Our goal is to continue to clearly grow our service business, which in 2007 grew by 31 percent.“944 Ferner baut Metso Paper – wie auch Voith Paper –
941 Metso Paper beziffert seinen Marktanteil auf ca. 20% (vgl. Metso 2007a, S. 12), Voith Paper schätzt
seinen eigenen Marktanteil auf ca. 33% (vgl. Voith 2007a, S. 27). Es sei darauf hingewiesen, dass die Abgrenzung des relevanten Marktes einem gewissen Spielraum unterliegt, die Berichterstattungszeiträume von Metso und Voith nicht deckungsgleich sind und hier lediglich gezeigt werden soll, dass es sich bei Metso Paper um einen Wettbewerber mit bedeutendem Marktanteil handelt. 942 Vgl. Metso 2007b; Metso 2007c. 943 Die dargestellte Situation ist somit aus der Sicht von Voith Paper mit dem Szenario t (aQ+) in Abb. 5-3 1 vergleichbar (vgl. Abb. 5-3 sowie die dazugehörigen Ausführungen in Abschnitt 5.1.4). 944 Metso 2007a, S. 26. Vergleichbar mit Voith Paper bietet dabei auch Metso Paper einen umfangreichen Walzenservice an: „To support our services business, among other things we developed various roll service packages and roll coatings“ (Metso 2007a, S. 26).
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insbesondere sein chinesisches Engagement massiv aus.945 Die für das Geschäftsjahr 2008 formulierten Ziele von Metso Paper unterstreichen dabei die große Bedeutung, die Metso dem Servicegeschäft und dem chinesischen Markt beimisst. Hiernach werden – neben der Verbesserung der Rentabilität – explizit „services business growth“ und „development of Chinese operations“ als zentrale Ziele für 2008 hervorgehoben.946 Während sich Voith Paper durch das Angebot qualitativ hochwertiger Sach- und produktbegleitender Dienstleistungen sowie durch das hierzu erforderliche Knowhow gegenüber den meisten Wettbewerbern derzeit grundsätzlich differenzieren kann,947 zeigen die Ausführungen zu den Plänen und dem Leistungsspektrum von Metso Paper, dass die Möglichkeiten, sich mit den genannten Leistungen auch gegenüber diesem Wettbewerber langfristig zu differenzieren, begrenzt sind. Zudem ist – insbesondere hinsichtlich der Sachleistungen – zu konstatieren, dass die Qualität der Leistungen, die beispielsweise von einigen asiatischen Herstellern angeboten werden, zum Teil sehr rasch zunimmt, so dass sich das mit derartigen Leistungen verbundene Differenzierungspotenzial auch gegenüber solchen Wettbewerbern deutlich reduziert. „Die Geschwindigkeit, mit der sich die Qualität der Produkte von diesen Herstellern verbessert, ist zum Teil erstaunlich. Das betrifft vor allem technisch wenig komplexe Ersatzteile wie z.B. Mahlscheiben für die Stoffaufbereitung, aber in zunehmendem Maße auch komplexere Bauteile.“ Aufgrund des schwindenden, mit Sachleistungen und einfachen produktbegleitenden Dienstleistungen verbundenen Differenzierungspotenzials geht Voith Paper zunehmend dazu über, immer komplexer werdende produktbegleitende Dienstleistungen und hybride Produkte anzubieten. Aus der Situation heraus, dass Voith Paper in allen Auslandsmärkten, die eine nennenswerte Papierindustrie
945 Metso führt hierzu in seinem Geschäftsbericht aus: „We estimate the new paper and board machine base
installed in China to increase our services business in the next few years. In China, we doubled the capacity of our Wuxi Service Center, and we made a decision to build a new service center in Guangzhou“ (Metso 2007a, S. 26). 946 Vgl. Metso 2007a, S. 27. 947 Dies gilt zumindest dann, wenn Voith Paper über ein nahe gelegenes Service-Center verfügt. Andernfalls ist es gemäß der obigen Ausführungen grundsätzlich denkbar, dass es Wettbewerbern gelingt, bestehende Qualitätsdefizite durch kürzere Reaktionszeiten zu kompensieren (vgl. Seite 248).
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aufweisen, bereits seit längerem Sach- und produktbegleitende Dienstleistungen anbietet,948 jedoch erst seit wenigen Jahren allmählich auch hybride Produkte entwickelt,949 ergibt sich zwangsläufig eine zeitlich nachgelagerte Einführung hybrider Produkte in den Auslandsmärkten. Am Beispiel des sich äußerst dynamisch entwickelnden chinesischen Marktes wird im Folgenden darauf eingegangen, ob in den kommenden Jahren mit einer raschen Ausweitung des Angebots hybrider Produkte, das sich außerhalb des deutschen Heimatmarktes derzeit weitgehend auf das Angebot des Total Roll Management beschränkt, zu rechnen ist. Wie die Ausführungen zeigen werden, kommen in diesem Kontext einige der Aspekte zum Tragen, die in den Abschnitten 5.2.1.1 bis 5.2.1.4 als potenzielle Hemmnisse für eine frühzeitige Einführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte diskutiert wurden.950 Grundsätzlich ging aus den Experteninterviews hervor, dass das Angebot hybrider Produkte als probate Antwort auf die dargestellte Problematik des abnehmenden Differenzierungspotenzials von Sachleistungen und einfachen produktbegleitenden Dienstleistungen gesehen wird: „Ich sehe solche Angebote als extrem wichtig an, weil sie einen Mehrwert für unsere Kunden schaffen und ein sehr umfassendes Know-how und eine bestimmte Größe und Strukturen erfordern, die schwer kopierbar sind und neue Wettbewerber daran hindern, von heute auf morgen in dieses Geschäft einzusteigen.“ Das Interesse der Papierindustrie an ganzheitlichen Problemlösungen wird von Voith bereits seit geraumer Zeit registriert. So stellte Hennerici, damaliger Leiter der Service Division für Europa und Asien, bereits vor zehn Jahren fest: „Man bemerkt, die Ansprüche unserer Kunden verändern sich. Unsere Kunden möchten nicht mehr nur die Maschinen geliefert bekommen, sondern vielmehr auch in der Folgezeit betreut werden. Der Lieferant, der den Kunden unterstützt und Problemlösungen schafft, wird
948 Vgl. Seite 244 inkl. der in Fußnote 901 angeführten Quellen. 949 Vgl. Seite 243f. 950 Vgl. in Ergänzung zu den angeführten Abschnitten zudem den oberen Teil der Abb. 5-6, in der eine zu-
sammenfassende Darstellung dieser Aspekte erfolgte.
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bevorzugt werden.“951 Auch für den chinesischen Markt wird langfristig „die Bereitstellung von Systemlösungen, Produkten und Dienstleistungen […] [als] Schlüssel [gesehen], um die wachsenden Kundenanforderungen zu erfüllen.“952 Obgleich für die kommenden Jahre eine starke Zunahme der Nachfrage nach komplexen produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten auch für China erwartet wird, ist die aktuelle Nachfrage nach diesen Leistungen derzeit noch recht gering.953 Dies mag u.a. darauf zurückzuführen sein, dass chinesische Papiermaschinenbetreiber der qualitativen Hochwertigkeit ihrer produzierten Ware (z.B. Papier, Pappe, Tissue) in vielen Fällen noch keine zentrale Bedeutung beimessen, da im chinesischen Markt derzeit auch Produkte minderwertiger Qualität (z.B. Pappe mit verminderter Reißfestigkeit) recht problemlos abgesetzt werden können: „Der chinesische Markt ist wie ein Schwamm, der alles aufsaugt, was man ihn aufsaugen lässt.“ In der Folge ist auch die uneingeschränkte und einwandfreie Funktionsfähigkeit einer Papiermaschine – wie sie sich z.B. im Rahmen einer umfassenden Servicevereinbarung weitgehend sicherstellen ließe – für die Kunden nicht von oberster Priorität und die kundenseitige Veränderungsbereitschaft, die für die Durchführung einer derartigen Servicevereinbarung grundsätzlich erforderlich ist,954 begrenzt. Im Rahmen der Experteninterviews kam die Einschätzung zum Ausdruck, dass die vorherrschende Einstellung in der chinesischen Papierindustrie derzeit noch stark von kurzfristigen Maximierungskalkülen geprägt ist und zugunsten geringerer Produktionskosten tendenziell auf umfassende und kontinuierliche Services verzichtet wird. Dies gilt auch dann, wenn z.B. mit einer kostengünstigeren, aber auch minderwertigeren Wartung ein gewisser Qualitätsabfall der produzierten Ware einhergeht: „Wenn die Kunden ihre Ware im chinesischen Markt abgesetzt
951 Vgl. Voith 1998, S. 60. 952 Voith 2007c, S. 73 anlässlich der Eröffnung des neuen Technology- und Service-Centers in Kunshan,
China. 953 Vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen in Abschnitt 5.2.1.3, in denen bezogen auf die Inter-
nationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten auf die Wirkung einer geringen Nachfrage im Zielmarkt eingegangen wurde. Vgl. zudem den dritten Aspekt in Abb. 5-6. 954 Zur Erforderlichkeit der kundenseitigen Veränderungsbereitschaft vgl. Abschnitt 5.2.1.3.
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bekommen, sind sie durchaus versucht, auch minderwertige Serviceangebote zu akzeptieren. Das kann sich in dem Umfeld trotz höherer Verschleiß- und Ausfallraten durchaus rechnen.“ Für die Zukunft wird jedoch mit einem zunehmenden Interesse der chinesischen Kunden an komplexen produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten gerechnet: „Wenn sich der chinesische Markt mit fortschreitender Entwicklung von einem derzeit ausgeprägten Verkäufermarkt in Richtung Käufermarkt entwickelt“, so die Experteneinschätzung, „wird auch die Bedeutung von Qualitätsaspekten und somit auch von höherwertigen Serviceleistungen an der Papiermaschine weiter zunehmen.“ Neben dieser Einschätzung der derzeitigen Situation und der künftigen Entwicklung des chinesischen Marktes gibt es jedoch weitere Gründe, die für die Hypothese sprechen, dass sich das Angebot hybrider Produkte durch Voith Paper – im chinesischen Markt, aber auch in weiteren Auslandsmärkten – eher allmählich denn schlagartig entwickeln wird. So sind für Voith Paper mit dem Angebot hybrider Produkte wie dem oben genannten Rahmenvertrag, der auch eine technische Verfügbarkeitszusage beinhaltet, große Risiken verbunden. Bevor derartige Verträge in verschiedenen Ländermärkten angeboten werden, ist Voith Paper derzeit zunächst darauf bedacht, für langjährige und wohlbekannte Kunden an ausgewählten Standorten in Deutschland Verträge der genannten Art abzuschließen und die erforderlichen Kompetenzen (z.B. im Bereich der Risikobewertung) aufzubauen.955 Um Rahmenverträge dieser Art auch im Ausland anbieten zu können, ist darüber hinaus in den entsprechenden Auslandsmärkten eine erhebliche Ergänzung des Personalbestands und, damit verbunden, die Schaffung entsprechender Organisationsstrukturen erforderlich: „Dazu sind Techniker, Schlosser, Elektriker, Gebäudereiniger und viele weitere Personen vonnöten, über die wir im Ausland bisher nicht verfü-
955 Vgl. hierzu die Ausführungen zum Abbau von Ressourcen- und Kompetenzdefiziten im Kontext der
Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte in Abschnitt 5.2.1.2; vgl. zudem den zweiten Aspekt in Abb. 5-6.
261
gen.“956 Aus den letztgenannten Gründen werden weitere hybride Produkte voraussichtlich erst in den kommenden Jahren – und dem Angebot von Sachleistungen und produktbegleitenden Dienstleistungen somit zeitlich deutlich nachgelagert – in ausgewählten Auslandsmärkten allmählich eingeführt werden. Denkbar wäre ein solches Angebot beispielsweise zunächst in Auslandsmärkten, in denen Voith Paper auf umfangreiche Strukturen und ein ähnlich profundes Know-how wie in Europa zurückgreifen kann, d.h. insbesondere in Brasilien und in den USA. Dass Voith Paper das Anbieten technischer Verfügbarkeitszusagen trotz seiner umfangreichen Expertise über sämtliche Prozesse der Papierherstellung als große Herausforderung (z.B. hinsichtlich der Organisation und der Risikobewertung) ansieht, spricht dafür, dass mit dem Angebot ein beträchtliches Differenzierungspotenzial verbunden sein kann, da nur wenige Wettbewerber in der Lage sein werden, in absehbarer Zeit das erforderliche Know-how und die erforderlichen Strukturen für vergleichbare Angebote aufzubauen. Allerdings ist es insbesondere dem bedeutenden Wettbewerber Metso Paper zuzutrauen, dass er seine ebenfalls umfangreiche Organisation und sein Know-how in den kommenden Jahren für vergleichbare Angebote in lukrativen Auslandsmärkten nutzen wird. In Anbetracht potenziell bestehender Rückkopplungseffekte ist mit Verweis auf die Argumentation in Abschnitt 5.1.4 somit nicht auszuschließen, dass es auch in Bezug auf das Angebot hybrider Produkte für Voith Paper darauf ankommen wird, schneller zu agieren als seine Wettbewerber. 6.2.3
Karmann
Einleitung Die Wilhelm Karmann GmbH mit Sitz in Osnabrück beliefert ihre Kunden „mit Ideen, neuen Lösungen, Produkten und Fertigungsanlagen“.957 Die folgende Betrachtung fokussiert insbesondere auf die Leistungen des Geschäftsbereichs
956 Vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen zu personellen Ressourcenengpässen bei der Leistungs-
einführung im Auslandsmarkt in Abschnitt 5.2.1.1; vgl. zudem den ersten Aspekt in Abb. 5-6. 957 Vgl. Karmann 2008d.
262
Karmann-Betriebsmittelbau, die vornehmlich Entwicklungs-, Konstruktions- und Fertigungsleistungen für Werkzeuge und Produktionssysteme umfassen.958 Wie zu sehen sein wird, zeichnen sich die genannten Leistungen durch ihren hybriden Charakter aus und liefern somit ein Gegenbeispiel zu dem verschiedentlich in der Literatur geäußerten Hinweis, dass die hybride Wertschöpfung vieler Industrieunternehmungen (noch) nicht sehr stark ausgeprägt ist.959 Interessant ist das Beispiel Karmann-Betriebsmittelbau jedoch nicht nur aufgrund der umfassenden hybriden Wertschöpfung, sondern auch deshalb, weil diese im Falle Karmann mit einer recht geringen Bedeutung von After-Sales-Leistungen einhergeht, wodurch sich der Fall von anderen Beispielen, die im Kontext hybrider Wertschöpfung angeführt werden, deutlich abhebt.960 Überblick über das Leistungsspektrum Bevor auf die Frage der zeitlichen Muster bei der Internationalisierung mit verschiedenen Leistungsarten eingegangen wird, soll auch im Rahmen dieser Fallstudie zunächst ein Überblick über die den folgenden Ausführungen zu Grunde liegenden Leistungen erfolgen. Hierzu ist es zweckmäßig, innerhalb des betrachteten Geschäftsbereichs Betriebsmittelbau zwischen den beiden Geschäftsfeldern Werkzeugbau und Produktionssysteme zu unterscheiden. Das Geschäftsfeld Werkzeugbau umfasst vornehmlich Leistungen der Entwicklung, Konstruktion und Fertigung von Umformwerkzeugen, insbesondere zum Biegen von Blechplatinen (z.B. zu Karosserieaußenhautteilen wie Türen, Dächer, Kotflügel usw.). Ein Kundenauftrag kann beispielsweise beinhalten, alle Um-
958 Die Abgrenzung der Geschäftsbereiche bezieht sich in der vorliegenden Arbeit auf den Stand im Dezem-
ber 2008. Karmann vollzieht derzeit große strukturelle Veränderungen. Diese umfassen u.a. den potenziellen Rückzug aus dem Geschäft der Auftragsfertigung von Gesamtfahrzeugen, dessen Aktivitäten im (hier nicht im Fokus stehenden) Geschäftsbereich Fahrzeugbau zusammengefasst sind (vgl. Karmann 2008e). Die Veränderungen hängen maßgeblich von der Auftragslage bis Juli 2009 ab (vgl. ebd.) und können künftig zu einer Neustrukturierung der Geschäftsbereiche führen. 959 Vgl. z.B. Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 216. 960 Vgl. z.B. die in Abschnitt 4.1.4.2 angeführten Beispiele über Hersteller von Kompressoren und von Maschinen zur Vakuumwärmebehandlung sowie die vorangegangene Fallstudie über Voith Paper, in der mit dem Total Roll Management auf ein hybrides Produkt eingegangen wurde, das der After-Sales-Phase zuzuordnen ist. Auf die Ursachen für die geringe Bedeutung der After-Sales-Leistungen bei Karmann wird nach der Kurzdarstellung des Leistungsspektrums eingegangen (vgl. Seite 269f.).
263
formwerkzeuge für die Türen eines bestimmten Fahrzeugmodells bereitzustellen, indem – typischerweise in enger Zusammenarbeit mit dem Kunden – die verschiedenen hierzu erforderlichen Leistungen erbracht werden (vgl. die linke Seite der Abb. 6-2 auf Seite 266). Die Experteninterviews gaben darüber Aufschluss, dass es sich hierbei zu einem großen Teil um technisch recht komplexe und innovative Leistungen handelt, zu deren Erstellung Karmann auf seine umfangreiche Expertise über das Verformen von Blechen (z.B. über die Umformeigenschaften verschiedener Stähle) zurückgreift: „Das Umformen von Blechen ist alles andere als trivial. Auch bei anspruchsvollen Karosserieformen dürfen die Bleche z.B. nicht reißen […] Die Anforderungen hinsichtlich der Toleranzen bewegen sich in der Automobilindustrie im hundertstel Millimeterbereich. So hohe Anforderungen gibt es beim Blechformen in kaum einer anderen Branche.“ Darüber hinaus ist es unter Kostenaspekten geboten, die Anzahl der für eine bestimmte Blechform erforderlichen Werkzeuge möglichst gering zu halten. Karmann bietet hier mit seinem flexiblen Tool-in-Tool-Konzept, das auf Werkzeugergänzungen und verstellbaren Modulen basiert, innovative Lösungen an.961 Um die dargestellte Expertise zum Bau von Werkzeugen einsetzen zu können, die den spezifischen Kundenanforderungen entsprechen, ist es im Regelfall unumgänglich, bei der Entwicklung und Konstruktion sehr eng mit dem Kunden zusammenzuarbeiten, wie das folgende Beispiel illustriert: „Wenn wir mit der Werkzeugentwicklung beauftragt werden, ist die Designphase beim Kunden normalerweise noch lange nicht abgeschlossen. Die Arbeiten laufen meistens parallel und wegen der häufigen Änderungen in sehr enger Abstimmung mit dem Kunden. […] Wenn der Kunde zu einem späteren Zeitpunkt zum Beispiel das Soundsystem ändert, braucht er für die Boxen vielleicht größere Aussparungen in den Innenblechen der Türen, was wiederum Auswirkungen auf die Gestaltung der Werkzeuge hat. Solche Rückspielungen hat man eigentlich permanent.“
961 Vgl. Karmann 2007, S. 6.
264
In dem Geschäftsfeld Produktionssysteme werden Leistungen erbracht, die mit der Planung und Erstellung von Vorrichtungsbauten und Produktionssystemen in Zusammenhang stehen (vgl. die rechte Seite der Abb. 6-2). Ein diesbezüglicher Auftrag kann beispielsweise die Planung und Umsetzung eines Produktionssystems für den Karosserierohbau eines bestimmten Fahrzeugmodells beinhalten. Durch das Produktionssystem werden etwa die einzelnen Elemente eines Karosseriemoduls (im Falle einer Tür beispielsweise Außenblech, Innenblech, Kassette und Kleinteile) miteinander verbunden962 sowie verschiedene Karosseriemodule mit dem Strukturrahmen zusammengebracht. Auch in diesem Geschäftsfeld verfügt Karmann über umfangreiche Expertise, die sich in der Planung und Konstruktion von Vorrichtungsbauten und Produktionssystemen niederschlägt. Dies umfasst etwa das Know-how, einzelne Leistungen zu einem effizienten Produktionssystem zu integrieren. So lässt sich beispielsweise die für eine bestimmte Karosserieform erforderliche Anzahl an Arbeitsschritten durch die konkrete Ausgestaltung des Produktionssystems erheblich reduzieren. Zudem kann durch einen höheren Automatisierungsgrad der Anteil händischer Arbeit verringert werden, woraus sich für den Kunden weitere Kostenvorteile ergeben können. Wie bei den bereits dargestellten Leistungen des Geschäftsfeldes Werkzeugbau, handelt es sich auch im Geschäftsfeld Produktionssysteme um stark individualisierte Leistungen, deren Erbringung eine enge Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Auftraggeber erfordert. Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass die zu erstellenden Produktionssysteme oftmals auf dessen bereits bestehende Produktionssysteme abzustimmen sind: „Im Regelfall hat der Kunde ein funktionierendes Produktionssystem. Es geht also folglich nicht um die Schaffung einer Standalone-Lösung, sondern darum, unter Berücksichtigung der Gegebenheiten beim Kunden, das Gesamtsystem zu optimieren. Das kann sehr komplex werden – sowohl ingenieurtechnisch als auch abstimmungstechnisch.“
962 Die Verbindung erfolgt z.B. durch Rollfalzen, Kleben, Punktschweißen oder Laserschweißen.
265
Darüber hinaus ging aus den Experteninterviews hervor, dass im Rahmen der Erstellung eines Produktionssystems den Ingenieurdienstleistungen und dem Know-how, verschiedene Elemente zu einem effizienten Produktionssystem zu integrieren, gegenüber den Sachleistungsbestandteilen eine zunehmend große Bedeutung beigemessen wird: „Früher sprach man hauptsächlich vom Vorrichtungsbau. Im Prinzip ging es dabei um Vorrichtungen, die zum Beispiel halfen, einzelne Bleche zusammenzuschweißen. […] Ein Produktionssystem ist wesentlich komplexer und erfordert ein viel umfangreicheres ingenieurtechnisches Knowhow. Die Ingenieurleistungen können dabei locker die Hälfte des Gesamtbeauftragungsvolumens ausmachen.“
Geschäftsbereich Betriebsmittelbau
Geschäftsbereich Fahrzeugbau
Geschäftsbereich Technische Entwicklung
Geschäftsbereich Dachsysteme
Geschäftsfeld Werkzeugbau
Geschäftsfeld Produktionssysteme
Auswahl der Leistungen:
Auswahl der Leistungen:
Ausarbeitung Pflichtenheft Umformsimulation
Prototypenvorrichtungen
Montage/Inbetriebnahme
Herstellbarkeitsanalyse Werkzeugkonstruktion Prozessentwicklung
Serienvorrichtungen Automatisierungskonzepte
Rohbauabstimmung Ziehanlagenbau
Prototypen- und Versuchswerkzeuge Serienwerkzeuge
Vorerprobung
Betriebsmittelkonstruktion Robotersimulation Herstellbarkeitsanalyse Prozessplanung Montage/Inbetriebnahme
Abb. 6-2: Das Leistungsspektrum der Geschäftsfelder Werkzeugbau und Produktionssysteme in Karmanns Geschäftsbereich Betriebsmittelbau (Auswahl)963
963 Zur Unterteilung in die vier aufgeführten Geschäftsbereiche vgl. Karmann 2007; für die Darstellung des
Leistungsspektrums der Geschäftsfelder Werkzeugbau und Produktionssysteme vgl. Karmann 2008a und 2008b.
266
Nachdem dargestellt wurde, welche Leistungen von den betrachteten Geschäftsfeldern erbracht werden und die angeführten Beispiele einen Eindruck von den diesbezüglichen Wertschöpfungscharakteristika vermitteln (z.B. die Ausrichtung an den spezifischen Kundenerfordernissen, die Zusammensetzung des Angebots aus eng aufeinander abgestimmten Sach- und Dienstleistungsbestandteilen sowie die Integrativität der Leistungserstellungsprozesse), soll im Folgenden gezeigt werden, dass die Leistungen der beiden Geschäftsfelder in einem engen Zusammenhang zueinander stehen. Es wird dabei deutlich, dass beide Geschäftsfelder dazu beitragen, dem jeweiligen Kunden eine individuelle, auf seine spezifischen Erfordernisse ausgerichtete Problemlösung zu offerieren. Zu diesem Zweck wird kurz auf die sogenannte Prozesskette Metall eingegangen, die (im Folgenden stark vereinfacht) darstellt, welche übergeordneten Schritte zur Fertigung eines Karosseriemoduls – z.B. eines Dachmoduls, einer Tür oder einer Motorhaube – notwendig sind: Zum Ersten sind die benötigten Umformwerkzeuge zu erstellen.964 In einem zweiten Schritt werden die Werkzeuge im Presswerk dazu verwendet, die Blechplatinen in die gewünschten Formen zu bringen. Drittens ist die Planung und Erstellung eines Produktionssystems erforderlich, mit dem viertens die Herstellung der Karosseriemodule aus den geformten Blechen erfolgt. Karmann bietet seinen Kunden sämtliche Leistungen entlang der skizzierten Prozesskette Metall an: „Bei unseren Kunden setzt sich zunehmend durch, von der sogenannten Prozesskette Metall zu sprechen und entlang dieser Prozesskette zu denken. Wir sind hier gut aufgestellt; wir verfügen über den Werkzeugbau, das Presswerk und auch über das Know-how für die Erstellung der Produktionssysteme. Wir decken die Prozesskette Metall also vollständig ab und können unseren Kunden als kompetenter Partner für die ganze Prozesskette zur Verfügung stehen.“ Zudem kam in den Interviews zum Ausdruck, dass im Regelfall auch Karmanns Kunden über die erforderlichen Ressourcen und Kompetenzen verfügen, um einige der dargestellten Leistungen selbst zu erbringen. Dies führt
964 Dieser Schritt umfasst die verschiedenen Sach- und Dienstleistungsbestandteile, die im Rahmen der Aus-
führungen zum Leistungsspektrum des Geschäftsfeldes Werkzeugbau dargestellt wurden.
267
zu der Situation, dass grundsätzlich bei jedem Auftrag entsprechend der kundenspezifischen Erfordernisse sehr detailliert festzulegen ist, welche Leistungen von Karmann entlang der Prozesskette Metall zu erbringen sind: „Die meisten unserer Kunden beschäftigen selbst zahlreiche Entwicklungsingenieure. […] Es ist eine permanente Abstimmung erforderlich. Bei jedem Auftrag muss der Verlauf der Arbeitsteilung zwischen uns und dem Kunden Schritt für Schritt genau definiert werden – so etwas wie einen Standardauftrag gibt es nicht. Grundsätzlich ist da alles möglich.“ Abschließend sollen einige Gemeinsamkeiten der beiden Geschäftsfelder Werkzeugbau und Produktionssysteme hervorgehoben werden, denen im Rahmen der folgenden Betrachtungen eine große Bedeutung zukommt. Wie die obigen Ausführungen und die beispielhaft dargestellten Inhalte typischer Kundenaufträge zeigen, umfasst das Leistungsspektrum beider Geschäftsfelder zahlreiche Dienstleistungsbestandteile, die größtenteils in hybride Produkte eingebettet sind. Im Rahmen der Auftragsbearbeitung kommt es dabei angesichts sich immer weiter verkürzender Entwicklungs- und Fertigungsphasen entscheidend darauf an, von Beginn an sehr eng mit den Ingenieuren des Auftraggebers zusammenzuarbeiten, um den anspruchsvollen und hochgradig individuellen Anforderungen des jeweiligen Kunden trotz der meist knappen zur Verfügung stehenden Zeit gerecht werden zu können. Eine zusätzliche Gemeinsamkeit besteht in der großen Bedeutung, die Innovationen und der technischen Expertise beigemessen wird. So strebt Karmann in beiden Geschäftsfeldern kontinuierlich nach technologischen Verbesserungen und hält für diverse innovative Lösungen zahlreiche Patente.965 Zudem wurde der Geschäftsbereich Betriebsmittelbau bereits mehrfach für seine innovative Produktionstechnik ausgezeichnet.966 Die Innovationen und die technische Expertise
965 Karmann gehörte im Jahr 2007 zum wiederholten Male zu den 50 aktivsten Patent-Anmeldern in
Deutschland (vgl. Karmann 2007, S. 4). 966 Z.B. wurde Karmann von der RWTH Aachen mit dem Benchmark-Preis „Excellence in Production“
sowie von dem Magazin „Markt und Mittelstand“ mit dem „Best Practice Award Production“ ausgezeichnet (vgl. Karmann 2007, S. 9).
268
werden bei Karmann als grundlegende Voraussetzungen zur Generierung und Durchführung von Kundenaufträgen betrachtet. Wie in der Einleitung bereits anklang, besteht eine weitere Gemeinsamkeit der betrachteten Geschäftsfelder darin, dass After-Sales-Leistungen eine vergleichsweise geringe Rolle spielen. Dieser Umstand wird vornehmlich auf die drei folgenden Ursachen zurückgeführt: Zum Ersten fällt die im Vergleich zu den Leistungen vieler anderer Maschinenbauunternehmungen relativ kurze Lebensdauer von drei bis sechs Jahren auf, die auf die hohe Spezifität der für eine bestimmte Modellreihe des jeweiligen Kunden ausgelegten Werkzeuge und Produktionssysteme zurückzuführen ist.967 Zum Zweiten sind die gefertigten Werkzeuge und, je nach Auslegung des Systems, teils auch die Produktionssysteme weitgehend wartungsfrei und bedürfen bei sachgemäßem Einsatz nahezu keiner Reparatur.968 Als dritte Ursache kommt hinzu, dass die meisten Kunden von Karmann über einen eigenen Werkzeugbau und eine eigene Maschineninstandhaltung verfügen und daher in der Lage sind, potenziell erforderliche Wartungs- und Reparaturarbeiten grundsätzlich selbst zu übernehmen. Die Leistungen der Geschäftsfelder Werkzeugbau und Produktionssysteme werden den Kunden zwar auch unabhängig von den Aktivitäten der übrigen Geschäftsbereiche Karmanns angeboten, doch oftmals stehen sie in Zusammenhang mit Leistungen, die der Kunde von anderen Geschäftsbereichen bezieht.969 Beispielsweise kommt es vor, dass die individuell entwickelten Werkzeuge und Produktionssysteme der Produktion eines Cabrio-Verdecksystems dienen, das der Kunde für eines seiner Automodelle von Karmann entwickeln lässt.970
967 Man vergleiche dies beispielsweise mit der Lebensdauer von Schiffsmotoren, Aufzügen oder auch
Papiermaschinen, die mehrere Jahrzehnte betragen kann und in deren Verlauf – wie am Beispiel der Papiermaschinen im vorigen Abschnitt zu sehen war – zahlreiche Anknüpfungspunkte für After-SalesLeistungen bestehen. 968 Hierin zeigt sich ein weiterer großer Unterschied gegenüber den äußerst wartungsintensiven Papiermaschinen der vorangegangenen Voith-Paper-Fallstudie. 969 Neben dem Geschäftsbereich Betriebsmittelbau gibt es die Geschäftsbereiche Fahrzeugbau, Dachsysteme und Technische Entwicklung (vgl. Abb. 6-2 sowie z.B. Karmann 2007). 970 Auf ein entsprechendes Beispiel wird weiter unten eingegangen.
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Darstellung der internationalen Geschäftstätigkeit Die Karmann GmbH verfügt über Standorte in Deutschland, Polen, Großbritannien, Portugal, Polen, Mexiko, Japan sowie den USA und strebt an, ihre internationale Präsenz weiter auszubauen.971 Bei Karmanns Kunden handelt es sich größtenteils um international tätige Automobilkonzerne, die gleichfalls in mehreren Ländern produzieren und ihre Fahrzeuge weltweit absetzen. Sie stammen teils aus Deutschland (z.B. Volkswagen und BMW) und teils aus anderen europäischen Ländern (z.B. Renault und Jaguar) sowie aus dem außereuropäischen Ausland (z.B. Nissan und Kia). Die Werkzeuge und Produktionssysteme von Karmann kommen daher nicht nur in Deutschland, sondern auch in weiteren Ländern wie etwa in England, Frankreich, Japan und China zum Einsatz. So wurden von Karmann beispielsweise Werkzeugpakete entwickelt und gefertigt, die in China beim Bau des Audi A6 bzw. beim Bau des VW Polo Shanghai verwendet werden.972 Aus den Interviews ging jedoch hervor, dass der geografische Einsatzort der Werkzeuge und Produktionssysteme aus der Perspektive Karmanns eine eher untergeordnete Rolle spielt, was teils auf die dargestellte geringe Bedeutung von After-Sales-Leistungen zurückzuführen ist: „Wo der Kunde seine Produktion hat, ist für uns eigentlich zweitrangig. Nach dem Transport und dem Aufbau ist vielleicht noch etwas externe Einarbeit erforderlich, aber grundsätzlich haben wir mit den Werkzeugen nicht mehr viel zu tun, wenn sie an den Kunden ausgeliefert sind.“973 Hinzu kommt, dass der geografische Einsatzort innerhalb des Produktionsnetzwerks des Kunden grundsätzlich keinen nennenswerten Einfluss auf die
971 Vgl. Karmann 2007, S. 2. 972 Vgl. Karmann 2008c. 973 Die teils bestehende Notwendigkeit der externen Einarbeit wurde auf Nachfrage wie folgt präzisiert:
„Eine Feinjustierung kann je nach Werkzeug z.B. allein durch den Transport erforderlich werden. Die Werkzeuge müssen sich einschwingen. Da ist sehr viel Feinarbeit erforderlich. […] Dazu braucht es keine großen Maschinen, sondern das ist Feinstarbeit, die direkt beim Kunden stattfinden kann.“
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Anforderungen an die Qualität der von Karmann zu erbringenden Leistungen hat.974 Aufgrund der oben dargestellten Notwendigkeit, bei der Erstellung der betrachteten Leistungen intensiv mit den Ingenieuren des Kunden zusammenzuarbeiten, und aufgrund des häufig damit einhergehenden erheblichen Abstimmungsbedarfs ist es hingegen für Karmann weitaus bedeutsamer, aus welchem Land der Automobilhersteller stammt, mit dem der Auftrag geschlossen wurde und mit dem im Rahmen der integrativen Leistungserstellung zusammenzuarbeiten ist. Die Experteninterviews gaben diesbezüglich darüber Aufschluss, dass der Schritt, erstmalig einen Auftrag für einen beispielsweise japanischen Automobilhersteller zu erbringen, wesentlich größer ist, als für einen deutschen Kunden Werkzeuge oder Produktionssysteme zu entwickeln und zu bauen, die dieser dann in einem ausländischen Markt verwendet, wie dies etwa im oben angeführten Beispiel der von VW in China eingesetzten Werkzeuge der Fall ist. Im Rahmen der durchgeführten Interviews wurde dieser Sachverhalt anhand eines konkreten Beispiels verdeutlicht, auf das in den folgenden Ausführungen noch Bezug genommen wird. Zeitliches Muster bei der Internationalisierung mit verschiedenen Leistungsarten Aus der oben dargestellten Tatsache, dass Karmann die Leistungen der Geschäftsfelder Werkzeugbau und Produktionssysteme weitestgehend im Rahmen hybrider Produkte anbietet, ergibt sich in Bezug auf das zeitliche Muster bei der Internationalisierung, dass das erstmalige Angebot von Sach- und Dienstleistungskomponenten grundsätzlich simultan erfolgt.975 Zwar wäre es denkbar, einzelne Leistungen teils auch separat anzubieten (beispielsweise die Fertigung von Werkzeugen nach detaillierten, vom Kunden vorgegebenen Konstruktionsplänen), doch könnte
974 So wird ein langjähriger Kunde, wie z.B. VW, das Qualitätsniveau der Leistungen, das er von Karmann
gewohnt ist, weitgehend unabhängig vom Einsatzort in seinem globalen Produktionsnetzwerk auch für künftig bezogene Leistungen fordern. 975 Ob dabei in einem bestimmten Auslandsmarkt zuerst hybride Produkte aus dem Geschäftsfeld Werkzeug-
bau oder aus dem Geschäftsfeld Produktionssysteme eingeführt werden oder ob Leistungen aus beiden Geschäftsfeldern gleichzeitig in dem Markt eingeführt werden, hängt von dem jeweiligen Auftrag ab.
271
Karmann in diesem Fall seine Stärken – z.B. sein umfangreiches EntwicklungsKnow-how – kaum zur Differenzierung seines Leistungsangebots einsetzen. In den Experteninterviews kam diesbezüglich die Überzeugung zum Ausdruck, dass Karmann in einem Kostenwettbewerb gegen etwaige Konkurrenten – beispielsweise aus Niedriglohnländern – nicht bestehen könnte: „Kostenseitig können wir bei reiner Fertigung nach Konstruktionsplänen in vielen Fällen, z.B. im Vergleich mit asiatischen Anbietern, nicht mithalten.“ Das Differenzierungspotenzial des Leistungsangebots von Karmann wird ausdrücklich in der hybriden Wertschöpfung und in der umfassenden Expertise gesehen, auf die im Rahmen der Ausführungen zum Leistungsspektrum oben eingegangen wurde.976 Die Integration verschiedener Leistungsbestandteile und das damit verbundene Know-how sind somit für die von Karmann offerierten Leistungsbündel von fundamentaler Bedeutung: „Wir setzen uns hauptsächlich bei Aufträgen durch, bei denen wir unsere Innovationskraft und unser Know-how möglichst umfassend einbringen können.“ Vor dem Hintergrund, dass Karmann-Betriebsmittelbau seine Leistungen aus den dargestellten Gründen nicht separat, sondern eng aufeinander abgestimmt und simultan erbringt, stellt die sukzessive Einführung von Sachleistungen, produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten, wie sie im Rahmen der Product Chain propagiert wird, für Karmann keine ernsthaft zu erwägende Alternative dar. Betrachtet man den Fall unter dem Blickwinkel des in Kapitel 5 entwickelten Erklärungsansatzes, so ist zu konstatieren, dass die in den Experteninterviews dargestellte Situation Karmanns deutliche Parallelen zu dem in Abschnitt 5.2.2.1 diskutierten Aspekt der Unselbstständigkeit der Sachleistung aufweist.977 Dort wurde vor dem Hintergrund zunehmender Ähnlichkeit vieler Sachleistungen und zunehmendem Wettbewerbsdrucks unter Verweis auf Meier/Uhlmann/Kortmann argumentiert, dass die Nutzbarmachung des Differenzierungspotenzials von
976 Vgl. Seite 263ff. 977 Vgl. Abschnitt 5.2.2.1 sowie den fünften Aspekt in Abb. 5-6.
272
produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten für deutsche Unternehmungen Möglichkeiten bieten kann, ihre technologisch hochwertigen, oftmals im Vergleich zu anderen Herstellern aber teureren Produkte auch in einem Umfeld starken Preiswettbewerbs erfolgreich zu vermarkten. Obgleich die von Karmann als notwendig erachtete Integration der einzelnen Leistungsbestandteile zu einem simultanen Angebot dieser Leistungen führt und das zeitliche Muster hinsichtlich des Angebots der verschiedenen Leistungen somit gewissermaßen bereits vorgegeben ist,978 zeigte sich in den Experteninterviews darüber hinaus, dass in Bezug auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Auftraggebern einige der in den Abschnitten 5.1.3.1 bis 5.1.3.5 diskutierten Selbstverstärkungseffekte zum Tragen kommen, die entsprechend der Argumentation in Abschnitt 5.1.4 eine möglichst frühzeitige Zusammenarbeit mit ausländischen Auftraggebern für Karmann attraktiv erscheinen lassen. Die diesbezüglichen Ausführungen erfolgten anhand eines konkreten Beispiels, das sich auf den zunehmend wichtigen Markt asiatischer Cabriolets bezieht und das im Folgenden wiedergegeben werden soll, um die Wirkungsweise der in den Interviews angeführten Selbstverstärkungseffekte im originär dargestellten Kontext aufzuzeigen. Zu diesem Zweck wird der weitere Verlauf des Abschnitts wie folgt strukturiert: Zunächst wird kurz auf Karmanns Geschäft mit CabrioVerdecksystemen und darauf aufbauend auf das in den Interviews hervorgehobene Beispiel eingegangen. Im Anschluss werden anhand des Beispiels die hinsichtlich der Zusammenarbeit mit ausländischen Auftraggebern potenziell bedeutsamen Selbstverstärkungseffekte einzeln diskutiert. Abschließend wird darauf eingegangen, inwiefern sich in dem betrachteten Beispiel die in Abschnitt 5.1.4 dargestellte Argumentation, dass die Existenz von Selbstverstärkungseffekten für eine Unternehmung positive oder negative Auswirkungen haben kann, auf die Situation Karmanns anwenden lässt.
978 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Argumentation in Abschnitt 5.2.2 sowie in Abschnitt 5.2.2.1.
273
Im Gegensatz zu dem einst sehr bedeutsamen Geschäft der Auftragsfertigung von Gesamtfahrzeugen,979 wird das Geschäft mit Cabrio-Verdecksystemen (Softtop und Hardtop) für Karmann zunehmend wichtiger.980 Von der positiven Entwicklung im Geschäft mit Verdecksystemen profitieren dabei insbesondere die Geschäftsbereiche Betriebsmittelbau und Dachsysteme. So entwickelt, konstruiert und fertigt der Geschäftsbereich Betriebsmittelbau im Kundenauftrag entsprechende Werkzeuge und Produktionssysteme, während im Geschäftsbereich Dachsysteme an sieben verschiedenen Standorten Verdecksysteme produziert werden.981 Starke Wachstumsimpulse werden in dem derzeit noch relativ jungen und weltweit wachsenden Markt für Cabrio-Verdecksysteme insbesondere in Hinblick auf die verschiedenen asiatischen OEMs prognostiziert, deren Marktpräsenz mit Cabriolets derzeit noch recht überschaubar ist.982 Eines dieser wenigen Modelle ist das Nissan-Micra-Cabriolet, das seit 2004 von Nissan in Sunderland, Großbritannien, für den weltweiten Markt gebaut wird. Karmann war damit beauftragt, die Werkzeuge für alle Andersteile983 zu entwickeln, zu konstruieren und zu fertigen. Das Nissan-Micra-Cabriolet wurde in den Interviews als Beispiel angeführt, um zu verdeutlichen, wie sich Karmann in diesem stark wachsenden Markt zu positionieren versucht. Hierbei kam die bei Karmann vertretene Auffassung zum Ausdruck, dass eine möglichst frühzeitige integrative Leistungserstellung mit einem ausländischen Auftraggeber verschiedene Vorteile in Bezug auf entsprechende Folgeaufträge bietet. Im Einzelnen handelt es sich um Chancen zur Generierung von Wissen und zur Etablierung von Geschäftsbeziehungen sowie um den Aufbau des Images als potenziell geeigneter Partner auch für
979 Vgl. Fußnote 958 sowie z.B. Financial Times Deutschland 2008b. 980 Vgl. Karmann 2007, S. 11; Financial Times Deutschland 2008c; Karmann 2008e. 981 Vgl. Karmann 2007, S. 11. 982 Als Beispiele lassen sich das Nissan-Micra-Cabriolet sowie die Modelle Nissan 300 ZX, Honda S 2000
Roadster, Lexus SC 430 und Mazda MX-5 anführen. 983 Als Andersteile werden alle Teile bezeichnet, die in Abweichung von der Limousine speziell für das
Cabriolet entwickelt, konstruiert und gefertigt werden müssen. Beispielsweise erfordert der Wegfall des Daches diverse Verstärkungsmaßnahmen des Karosserie-Rohbaus. Zudem sind mehrere Außenhautteile cabriospezifisch (z.B. der Heckdeckel, die Verdeckabdeckung sowie die hinteren Seitenteile).
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weitere japanische OEMs wie Suzuki oder Mitsubishi. Auf die genannten Aspekte, die im Zusammenhang mit den in den Abschnitten 5.1.3.1 bis 5.1.3.3 diskutierten Selbstverstärkungseffekte stehen, soll nachfolgend einzeln eingegangen werden.984 Æ Die Experteninterviews gaben darüber Aufschluss, dass es hinsichtlich der im Geschäftsbereich Betriebsmittelbau erbrachten Leistungen von großer Bedeutung ist, eine Vielzahl landes- und kundenspezifischer Wünsche zu berücksichtigen. So haben die konkreten Wünsche hinsichtlich verschiedener Karosserieformen und Materialien (bei Hardtops etwa die Stahlsorte und Materialstärke) sowie hinsichtlich der Verarbeitungspräzision985 erhebliche Auswirkungen auf die Gestaltung der erforderlichen Werkzeuge und Produktionssysteme. Der Interviewpartner stellte dies wie folgt dar: „[…] nehmen Sie z.B. das Thema Dichtigkeit: Einige OEMs fordern, dass ihr Cabrio einen Waschgang in der Autowaschanlage ohne einen Tropfen im Fahrzeuginneren übersteht, während es anderen OEMs reichen mag, dass ihr Cabrio einigermaßen regendicht ist. Das erfordert vollkommen unterschiedliche technische Lösungen.“ Die Umsetzung der spezifischen Vorstellungen des Auftraggebers setzt eine intensive und umfassende Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern von Karmann und denen des jeweiligen OEMs voraus. So war es für Karmann bei der Entwicklung, Konstruktion und Fertigung aller Andersteile für das Nissan-MicraCabriolet erforderlich, über mehrere Monate intensiv mit der Entwicklungsabteilung von Nissan zusammenzuarbeiten. Anhand des Nissan-Micra-Beispiels zeigt sich, dass ein derart umfangreicher Auftrag eines ausländischen OEMs vielfältige Chancen bietet, Wissen über die Zusammenarbeit – in diesem Falle mit dem japanischen OEM Nissan – zu generieren, das weit über den jeweiligen Auftrag hinausgeht.986 So unterscheiden sich die OEMs verschiedener Länder und
984 Vgl. die Abschnitte 5.1.3.1 bis 5.1.3.3 sowie Abb. 5-5. 985 Beispielsweise tendieren OEMs aus anderen Ländern verglichen mit deutschen OEMs oftmals dazu,
zugunsten geringerer Kosten größere Toleranzen in den Spaltmaßen zu akzeptieren. 986 Vgl. im Zusammenhang mit den folgenden Ausführungen die Darstellung anbieterseitiger Lerneffekte in
Abschnitt 5.1.3.1, inklusive der in Abb. 5-2 dargestellten Wirkung des Informationspotenzials produkt-
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Kulturkreise teils erheblich in ihrem Vorgehen und der Ausgestaltung ihrer Entwicklungsprozesse: „Europäische, koreanische und japanische OEMs unterscheiden sich zum Teil stark in ihrer jeweiligen methodischen Herangehensweise und ihren jeweiligen Entwicklungsprozessen.“ Durch die (erstmalige) intensive Zusammenarbeit mit Nissans Entwicklungsabteilung erlangte Karmann tiefe Einblicke in die Struktur der Entwicklungsprozesse bei Nissan.987 Dieses Wissen ist mit Blick auf die potenzielle Zusammenarbeit bei zukünftigen Modellen, weit über den Auftrag für das Nissan-Micra-Cabriolet hinausgehend, von großer Bedeutung. Nebst 'Nissan-spezifischem' Wissen konnte Karmann durch die Zusammenarbeit zudem Wissen generieren, das auch in Hinblick auf künftige Aufträge durch andere japanischen OEMs von Bedeutung sein kann. Dies betrifft beispielsweise den Umgang mit kulturellen und sprachlichen Unterschieden sowie die Verwendung japanischer Industriestandards und japanischer Werkstofftabellen.988 Somit ist festzuhalten, dass Karmann im Rahmen des Nissan-Micra-Auftrags in erheblichem Maße Wissen generieren konnte, das sowohl bei Folgeaufträgen durch Nissan als auch im Kontext von Aufträgen durch weitere japanische OEMs potenziell von großem Nutzen ist. Æ Neben der Verdeutlichung der Wissensgenerierung auf den verschiedenen Dispositionsebenen ist das Nissan-Micra-Beispiel zudem geeignet, die Bedeutung der frühzeitigen Etablierung von Geschäftsbeziehungen hervorzuheben.989 Da die Beauftragung zur Entwicklung, Konstruktion und Erstellung einer Werkzeug-
begleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte auf den verschiedenen Dispositionsebenen des Marketing. Vgl. zudem das diesbezügliche Beispiel in Abb. 5-5. 987 Umgekehrt erhielt Nissan teils auch Einblicke in die Entwicklungsprozesse bei Karmann. 988 Werkstofftabellen definieren z.B. für verschiedene Stahlsorten Spezifika wie Kohlenstoffanteile, Schwefelanteile, Bruchdehnungen usw. Innerhalb Europas sind die Werkstofftabellen harmonisiert. Die japanischen Werkstofftabellen, mit denen japanische OEMs im Regelfall arbeiten, weichen hiervon jedoch ab. Die Verwendung einheitlicher Werkstofftabellen ist beispielsweise im Falle der Beauftragung eines Lieferanten relevant. Weiß man etwa, dass ein bestimmtes Zulieferteil von einem japanischen Lieferanten hergestellt werden soll, so ist es zweckmäßig, japanische Werkstofftabellen zu verwenden, damit der Zulieferer den Werkstoff von einem japanischen Stahlhändler beziehen kann und nicht etwa Halbzeuge von einem europäischen Stahlhändler beziehen muss, womit erhebliche Frachtkosten verbunden wären. 989 Vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen zur Investition in die Ressource Kundenbeziehungen, die in Abschnitt 4.3.4.3.3 unter Verweis auf Ghemawat erfolgten und in Abschnitt 5.1.3.3 in Verbindung mit dem Akquisitionspotenzial und dem Kundenbindungspotenzial aufgegriffen wurden. Vgl. zudem das in Abb. 5-5 angeführte Beispiel des frühzeitigen Auf- und Ausbaus von Kundenbeziehungen.
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gruppe – und ebenso die Entwicklung und Erstellung eines Produktionssystems – für den jeweiligen Kunden mit hohen Kosten verbunden ist, wird die Wirtschaftlichkeit eines solchen Großauftrags im Regelfall vorab sehr umfassend von dem Kunden geprüft. Eine bereits zuvor erfolgte Zusammenarbeit mit einem bestimmten Anbieter (z.B. mit Karmann) kann sich dabei insofern positiv auf die Wirtschaftlichkeit eines Folgeauftrags auswirken, als in dessen Rahmen möglicherweise von einer bereits erfolgten Potenzialausrichtung profitiert werden kann.990 Vorteile können dabei sowohl aus einer bereits erfolgten auftraggeberseitigen Potenzialausrichtung resultieren991 als auch auf eine auf Seiten Karmanns zuvor erfolgte Potenzialausrichtung zurückzuführen sein, die Karmann zur Abgabe eines günstigeren Angebots befähigt. Aus den Interviews ging zudem hervor, dass das Ergebnis einer solchen Wirtschaftlichkeitsprüfung nur eines der Kriterien für die Auftragsvergabe darstellt. Vor dem Hintergrund sich verkürzender Entwicklungsphasen und der zum Teil gravierenden Konsequenzen bei Verzögerungen einer Modelleinführung sind für den Kunden neben dem Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsprüfung auch die Kompetenz und Zuverlässigkeit seiner Entwicklungspartner von erheblicher Bedeutung. Ein Auftrag, der in der Vergangenheit zur Zufriedenheit des Kunden erfüllt wurde, bietet somit eine gute Basis für das Zustandekommen weiterer Aufträge, da der Auftragnehmer (z.B. Karmann) seine Kompetenz und Zuverlässigkeit in diesem Fall bereits früher einmal unter Beweis gestellt hat, wodurch sich die kundenseitige Unsicherheit bei der Auftragsvergabe tendenziell reduziert. Bezogen auf das dargestellte Nissan-Micra-Beispiel konnte sich Karmann bei Nissan als kompetenter und zuverlässiger Entwicklungspartner etablieren, woraus sich hinsichtlich der Beauftragung im Rahmen künftiger Modelle ein Vorteil für Karmann gegenüber anderen Wettbewerbern ergeben kann: „Dass wir beim
990 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der dargestellten Intensität und Dauer, durch die die Zu-
sammenarbeit zwischen Karmann-Betriebsmittelbau und seinen Kunden oftmals gekennzeichnet ist (vgl. Seite 263ff.). 991 Zu dem Aspekt der kundenseitigen Potenzialausrichtung vgl. z.B. Engelhardt/Freiling 1995a, S. 915;
Engelhardt/Freiling 1995b, S. 42). Vgl. zudem Fußnote 987, in der auf die Gegenseitigkeit der Wissensgenerierung zwischen Anbieter und Nachfrager hingedeutet wird.
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Nissan-Micra gute Arbeit geleistet haben, gibt uns zwar keine Garantie, dass wir zukünftig von Nissan wieder beauftragt werden, […] aber unsere Ausgangsposition hat sich dadurch definitiv verbessert.“ Æ Darüber hinaus besteht für Karmann grundsätzlich die Chance, durch mit dem genannten Auftrag verbundene Imageeffekte auch in Hinblick auf eine potenzielle Beauftragung durch andere japanische OEMs zu profitieren.992 So kam in den Experteninterviews zum Ausdruck, dass die Vergabe von Aufträgen innerhalb der Automobilbranche teils aufmerksam von Wettbewerbern (sowohl der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer) verfolgt wird. Bezogen auf das betrachtete Beispiel ist etwa davon auszugehen, dass sich japanische OEMs, die noch nicht mit Karmann zusammengearbeitet haben, hinsichtlich einer potenziellen Zusammenarbeit grundlegende Fragen stellen, wie sie Karmann aufgrund der Beauftragung durch Nissan zum Teil bereits bekannt sind: „Viele Fragen, die sich ein japanischer OEM vor der erstmaligen Auftragsvergabe an eine deutsche Firma wie Karmann stellt, betreffen die Zusammenarbeit […] [z.B.:] Verfügt Karmann über japanisch sprechende Mitarbeiter oder müssen sämtliche Abstimmungen auf Englisch geführt werden? Ist Karmann mit japanischen Industriestandards vertraut? Sitzen die Fachleute ausschließlich in Deutschland? Inwiefern sind diese dennoch für mich als japanischer Kunde erreichbar und zugänglich?“ Hinsichtlich des hinter diesen Fragen stehenden Interesses japanischer OEMs, potenzielle Schwierigkeiten und Herausforderungen einer Zusammenarbeit mit Karmann besser einschätzen zu können, ist mit dem durchgeführten Auftrag für Nissan sowie mit der erfolgreichen Einführung des Nissan-Micra-Cabriolets die Botschaft verbunden, dass Karmann mit den zusätzlichen Herausforderungen sowie mit den spezifischen Erfordernissen eines japanischen OEMs umzugehen wusste: „So ein Auftrag hat für andere OEMs eine Signalwirkung. Wenn ich als koreanischer oder japanischer OEM sehe, dass sich Karmann für einen OEM, der mir ähnlich ist, als sinnvoller Vertragspartner herausgestellt hat, dann zeigt mir
992 Vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen zu nachfrageseitigen Lerneffekten, die in Abschnitt
5.1.3.2 unter Verweis auf Arthur/Lane erfolgten. Vgl. zudem das diesbezügliche Beispiel in Abb. 5-5.
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das, dass die Zusammenarbeit mit Karmann grundsätzlich klappen kann.“ Das dargestellte Beispiel weist somit Parallelen zur Argumentation der Information Contagion auf.993 Abweichend (bzw. ergänzend) zu den dortigen Ausführungen deutet das angeführte Beispiel darauf hin, dass die Verbreitung einer Information nicht notwendigerweise eine direkte Kommunikation zwischen bisherigen Kunden (im vorliegenden Fall Nissan) und potenziellen Kunden (im vorliegenden Fall etwa Suzuki oder Mitsubishi) voraussetzt, sondern beispielsweise auch auf aufmerksamer Beobachtung durch die potenziellen Kunden beruhen kann.994 Zusammenfassend ist hinsichtlich der Ausführungen zum Nissan-Micra-Beispiel festzustellen, dass in Bezug auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Auftraggebern von den in Kapitel 5 diskutierten Selbstverstärkungseffekten potenziell Aspekte der Wissensgenerierung, der Möglichkeit zur Etablierung von Geschäftsbeziehungen sowie Imageeffekte auftreten können. In der obigen Darstellung der einzelnen Effekte erfolgte eine starke Betonung der Chancen, die für Karmann mit einer frühzeitigen Zusammenarbeit mit ausländischen Auftraggebern potenziell verbunden sein können. Hierzu ist anzumerken, dass es sich bei dem Markt für Cabrio-Verdecksysteme wie dargestellt um einen stark wachsenden, relativ jungen Markt handelt, der unter den Anbietern derartiger Systeme bei weitem (noch) nicht so stark aufgeteilt ist, wie dies beispielsweise für den für Karmann traditionell bedeutsamen Markt der Auftragsfertigung von Gesamtfahrzeugen feststellbar ist.995 Insbesondere gilt dies in Bezug auf asiatische OEMs, deren Modelllinien bisher nur vereinzelt Cabriolets umfassen. Vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen erscheint Karmanns Bestreben, sich bei asiatischen OEMs frühzeitig als kompetenter Anbieter von Cabrio-
993 Vgl. die Ausführungen in Abschnitt 5.1.3.2 unter Verweis auf Arthur/Lane 1993. 994 So ist es in dem angeführten Beispiel etwa denkbar, dass andere OEMs versuchen, sich über den Erfolg
der Zusammenarbeit anhand von Verkaufszahlen zu informieren, oder beobachten, ob es zu einer wiederholten Beauftragung von Karmann durch Nissan kommt. Denkbar ist auch der Kauf eines Nissan-MicraCabriolets, um das aus dem integrativen Leistungserstellungsprozess hervorgegangene Leistungsergebnis detailliert zu analysieren. 995 Z.B. arbeiteten VW, Ford und Renault bei der Auftragsfertigung zahlreicher Automodelle mit Karmann zusammen, während Pininfarina mehrheitlich seine Aufträge von PSA und Fiat bezog, Bertone verschiedentlich für Opel und Magna Steyr beispielsweise für Mercedes arbeitete.
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Verdecksystemen zu etablieren, für seine zukünftige Marktposition äußerst bedeutsam. Dies gilt um so mehr, wenn entsprechend der Argumentation in Abschnitt 5.1.4 davon ausgegangen wird, dass sich die Existenz der oben dargestellten Selbstverstärkungseffekte aus der Sicht Karmanns nicht nur positiv, sondern auch negativ auswirken kann. So ist keinesfalls auszuschließen, dass bedeutende Wettbewerber wie Car Top Systems, Edscha oder Webasto ihrerseits versuchen, von den Wachstumsimpulsen, die von den asiatischen Automobilherstellern ausgehen, zu partizipieren und die dargestellten Effekte für die Verbesserung ihrer eigenen Marktposition zu nutzen. Sofern es dabei zu einer zunehmenden Etablierung von Geschäftsbeziehungen zwischen Wettbewerbern und potenziellen Kunden von Karmann kommt, gilt – analog zu den Ausführungen in Abschnitt 5.1.4 – auch im Rahmen dieser Fallstudie, dass sich die Existenz von Selbstverstärkungseffekten im Falle eines im Vergleich zu den Wettbewerbern langsameren Vorgehens auf die betrachtete Unternehmung (in diesem Falle also Karmann) negativ auswirken kann. 6.2.4
Zusammenfassende Betrachtung
Die Ausführungen zu den beiden durchgeführten Fallstudien haben gezeigt, dass sowohl das Leistungsspektrum von Voith Paper als auch das von KarmannBetriebsmittelbau umfangreiche Dienstleistungsbestandteile umfasst und diese in beiden Fällen eine beträchtliche Bedeutung für die jeweilige Unternehmung haben. Die Art und Weise, wie sich die Dienstleistungsbestandteile in das gesamte Leistungsspektrum der Unternehmung einfügen, ist jedoch höchst unterschiedlich: Im Falle von Voith Paper kommt den After-Sales-Services eine erhebliche Bedeutung zu. Die Entwicklung hybrider Produkte wird insbesondere vor dem Hintergrund zusätzlicher Differenzierungsmöglichkeiten als wichtig erachtet, spielt aber derzeit aus den in Abschnitt 6.2.2 angeführten Gründen noch keine große Rolle. Im Gegensatz dazu zeichnet sich das Leistungsspektrum von Karmann-Betriebsmittelbau u.a. dadurch aus, dass After-Sales-Services von untergeordneter Bedeutung sind und die umfangreichen Dienstleistungen größtenteils
280
als Bestandteile hybrider Produkte gemeinsam mit den Sachleistungen angeboten werden. Trotz dieser Unterschiede ist festzuhalten, dass beide Unternehmungen grundsätzlich bestrebt sind, die Sach- und Dienstleistungsbestandteile ihres jeweiligen Leistungsspektrums in einen Auslandsmarkt simultan einzuführen. Es zeigen sich somit von der Product Chain klar abweichende zeitliche Muster. Die Gründe hierfür lassen sich in beiden Fallstudien mit Hilfe des verwendeten Ansatzes erfassen, wobei festzustellen ist, dass nahezu alle der deduktiv hergeleiteten Ursachen (vgl. Abb. 5-5 und Abb. 5-6) durch die durchgeführten Fallstudien abgedeckt werden, wie nachfolgend zunächst für die Selbstverstärkungseffekte (vgl. Abb. 5-5) und im Anschluss daran für die als 'kontextspezifische Restriktionen' bezeichneten Aspekte (vgl. Abb. 5-6) zusammenfassend dargestellt werden soll. Die identifizierten potenziellen Selbstverstärkungseffekte (vgl. Abb. 5-5) waren im Falle von Voith Paper vollständig und im Falle von Karmann-Betriebsmittelbau teilweise anwendbar. In der Karmann-Fallstudie wurden potenzielle Selbstverstärkungseffekte insbesondere im Kontext anbieterseitiger Lerneffekte, der Investition in die Ressource Kundenbeziehung sowie im Kontext des Imageaufbaus diskutiert.996 In beiden Fallstudien zeigte sich, dass sich die Existenz von Selbstverstärkungseffekten gemäß der Argumentation in Abschnitt 5.1.4 grundsätzlich entweder positiv oder negativ für die jeweils betrachtete Unternehmung auswirken kann. Bezogen auf die Karmann-Fallstudie ist hierzu ergänzend anzumerken, dass die aus potenziellen Selbstverstärkungseffekten resultierende Vorteilhaftigkeit frühzeitigen Handelns und die latente Gefahr späten Handelns auch in dieser Fallstudie gezeigt werden konnte, die Hauptursache für das gleichzeitige Einführen der verschiedenen Leistungsbestandteile jedoch in der Integration der Leistungen zu hybriden Produkten zu sehen ist.
996 Vgl. die Ausführungen in den Abschnitten 5.1.3.1 bis 5.1.3.3 sowie die ersten drei Aspekte in Abb. 5-5
inkl. der dort angeführten Beispiele.
281
Hinsichtlich der in Abschnitt 5.2.2 identifizierten Aspekte, die eine frühzeitige Einführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte in einem Auslandsmarkt notwendig erscheinen lassen (vgl. Abb. 5-6, unterer Teil), zeigte sich im Falle Karmann-Betriebsmittelbau eine grundlegende „Unselbstständigkeit der Sachleistungen“,997 die zur Integration der Sach- und Dienstleistungsbestandteile zu hybriden Produkten führte. Dass Kunden im Zielmarkt von Beginn an das (weitgehend) vollständige Leistungsspektrum fordern, wie es die betrachtete Unternehmung im Heimatmarkt (und in weiteren Auslandsmärkten) bereits anbietet,998 wurde sowohl von Voith Paper als auch von Karmann insbesondere für den Fall bestätigt, dass es sich dabei um international tätige Kunden handelt, die in verschiedenen Ländermärkten bedient werden. Während die kundenseitige Forderung des vollumfänglichen und identischen Leistungsspektrums im Falle von Voith Paper lediglich hinsichtlich einzelner Kundenbeziehungen festgestellt wurde,999 scheint diese Restriktion im Falle KarmannBetriebsmittelbau allgemein zu gelten, da es sich bei den Kunden von Karmann vornehmlich um internationale Automobilhersteller handelt, die diese Forderung grundsätzlich stellen. Die in Abschnitt 5.2.1 identifizierten potenziellen Hemmnisse für eine frühzeitige Einführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte in einem Auslandsmarkt (vgl. Abb. 5-6, oberer Teil) kamen weitgehend bei der Erklärung des zeitlichen Musters im Falle von Voith Paper zur Anwendung. So bietet Voith Paper im Zuge der Erschließung eines Auslandsmarktes von Beginn an produktbegleitende Dienstleistungen an, doch ist die zuverlässige und vor allem ausreichend schnelle Erbringung bestimmter Leistungen (z.B. eines umfangreichen Walzenservice) oftmals erst nach Errichtung eines lokalen ServiceCenters möglich. Dies erfordert eine Mindestgröße der lokalen Papierindustrie, die sich mancherorts zunächst entwickeln musste (bzw. erst noch entwickeln
997 Vgl. die Ausführungen in Abschnitt 5.2.2.1 sowie den fünften Aspekt in Abb. 5-6 („Unselbstständigkeit
der Sachleistung“). 998 Vgl. die Ausführungen in Abschnitt 5.2.2.3 sowie den siebten Aspekt in Abb. 5-6 („Identität wesentlicher
Geschäftsbeziehungen im Ziel- und Heimatmarkt“). 999 Vgl. das Beispiel zu Procter & Gamble auf Seite 255f.
282
muss).1000 Ferner wurde hinsichtlich der Erbringung hybrider Produkte anhand des Beispiels des chinesischen Marktes dargestellt, dass die Nachfrage nach derartigen Leistungen in Auslandsmärkten zum Teil noch nicht in dem Maße besteht, wie es für die Zukunft von Experten erwartet wird.1001 Darüber hinaus wurde deutlich, dass Voith Paper das Angebot einiger Leistungen (z.B. Rahmenverträge mit technischen Verfügbarkeitszusagen für komplette Papiermaschinen) zunächst auf den Heimatmarkt begrenzt, um die für deren Erbringung erforderlichen Kompetenzen (z.B. hinsichtlich der Bewertung von Risiken) aufbauen zu können, ohne sich gleichzeitig der erhöhten Komplexität auszusetzen, die mit entsprechenden Angeboten in Auslandsmärkten grundsätzlich einhergehen würde.1002 Ergänzend wurde hinsichtlich der (bislang im Ausland nicht erfolgenden) Umsetzung solcher Rahmenverträge angedeutet, dass hierzu personelle Ressourcen und Organisationsstrukturen erforderlich sind, über die Voith Paper im Ausland derzeit (noch) nicht verfügt.1003 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Darstellung der beiden recht unterschiedlich gelagerten Fallstudien die grundsätzliche Anwendbarkeit des Modells dahingehend zeigt, dass nahezu alle der deduktiv abgeleiteten Aspekte in den Fallstudien einen Beitrag zur Erklärung der zeitlichen Muster bei der Internationalisierung mit den verschiedenen Leistungsarten leisteten. Eine vollständige Abdeckung aller Aspekte des Modells wurde nicht angestrebt, da das Modell auf potenzielle Ursachen fokussiert, die somit nicht in jedem einzelnen Anwendungsfall auftreten müssen. Für die Plausibilitätsprüfung des abgeleiteten Modells von ebenso großer Bedeutung ist die Tatsache, dass es sich – zumindest hinsichtlich der Anwendung auf die durchgeführten Fallstudien – in dem Sinne als vollständig
1000 Vgl. die Ausführungen in Abschnitt 5.2.1.4 sowie den vierten Aspekt in Abb. 5-6 („Geringe installierte
Basis im Zielmarkt“). 1001 Vgl. die Ausführungen in Abschnitt 5.2.1.3 sowie den dritten Aspekt in Abb. 5-6 („Mangelnde
Nachfrage nach produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten im Zielmarkt“). 1002 Vgl. die Ausführungen in Abschnitt 5.2.1.2 sowie den zweiten Aspekt in Abb. 5-6 („Ressourcen- und
Kompetenzdefizite bezüglich der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte“) 1003 Vgl. die Ausführungen in Abschnitt 5.2.1.1 sowie den ersten Aspekt in Abb. 5-6 („Finanzielle und
personelle Ressourcenengpässe bei der Leistungseinführung im Auslandsmarkt“).
283
erwiesen hat, als in den Fallstudien keine weiteren Ursachen zu Tage traten, die nicht durch das Modell abgedeckt werden.
284
7 Fazit und Ausblick 7.1
Zusammenfassung der zentralen Aussagen
Das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte stellt für die stark international ausgerichtete Maschinenbaubranche im Rahmen der Erschließung ausländischer Absatzmärkte ein wichtiges Thema dar, dessen Bedeutung künftig weiter steigen wird.1004 In diesem Kontext stellt sich die praxeologisch und wissenschaftlich relevante Frage, wie das Angebot dieser Leistungen zeitlich in den Internationalisierungsprozess integriert wird. So ist es grundsätzlich denkbar, produktbegleitende Dienstleistungen und hybride Produkte im Rahmen einer Auslandsmarkterschließung entweder direkt bei Markteintritt oder dem Angebot von Sachleistungen zeitlich nachgelagert anzubieten. Obgleich in der wissenschaftlichen Literatur auf die Bedeutung der genannten Leistungen im Kontext der Internationalisierung vielerorts hingewiesen wird, steht die Erforschung der zeitlichen Muster bei ihrer Einführung in Auslandsmärkten weitgehend aus. Vor dem Hintergrund des Realphänomens unterschiedlicher Vorgehensweisen hinsichtlich der frühzeitigen oder nachgelagerten Internationalisierung mit den genannten Leistungen wurde in der vorliegenden Arbeit die Forschungsfrage untersucht, welche Ursachen im Rahmen der Auslandsmarkterschließung von Unternehmungen die zeitlichen Muster bei der Markteinführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte beeinflussen. Hierzu wurde in Kapitel 2 zunächst das der Arbeit zugrunde gelegte Verständnis produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte geklärt. Dabei zeigte sich, dass in der Literatur zu den genannten Leistungen erhebliche terminologische Unschärfen bestehen und dass unter die genannten Begriffe sehr unterschiedliche Leistungen zu fassen sind. Die Präzisierung des Untersuchungsgegenstands umfasste die Explizierung der terminologischen Grundlagen sowie
1004 Vgl. Abschnitt 1.1 sowie z.B. Engelhardt 1993, S. 377; Engelhardt/Reckenfelderbäumer 2006, S. 211
und die dort jeweils angeführte Literatur.
285
Klassifizierungen, Beispiele und Nutzenpotenziale der genannten Leistungen. Mit dem Ziel, bestehende Vorarbeiten bei der Beantwortung der Forschungsfrage zu berücksichtigen, wurde zudem auf den Forschungsstand hinsichtlich der Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten sowie auf die Internationalisierungsprozessforschung eingegangen. Es wurde deutlich, dass nur wenige nutzbare Vorarbeiten existieren und vornehmlich die Product Chain von Luostarinen die hier untersuchte Forschungsfrage aufgreift, dabei jedoch erhebliche Erklärungsdefizite offenbart. Insbesondere ist die Product Chain ungeeignet, das Realphänomen zu erklären, dass Unternehmungen produktbegleitende Dienstleistungen bzw. hybride Produkte zeitgleich mit den von ihnen hergestellten Sachleistungen in einen Auslandsmarkt einführen. Die in Kapitel 2 diskutierten Grundlagen zur Erforschung des Untersuchungsgegenstands wurden in Kapitel 3 bei der Entwicklung eines Katalogs inhaltlicher Kriterien berücksichtigt, auf dessen Basis – unter gleichzeitiger Beachtung wissenschaftstheoretischer Anforderungen – die CbTF als zur Beantwortung der Forschungsfrage geeignete Referenztheorie bestimmt werden konnte. Die vertiefende Diskussion der CbTF ergab, dass sich diese für dynamische Betrachtungen, wie sie im Kontext der Forschungsfrage erforderlich sind, grundsätzlich besser eignet als die meisten alternativ diskutierten Theorien. So zeigte in Kapitel 4 der Vergleich mit weiteren kompetenzbasierten Theorieansätzen – insbesondere mit dem Dynamic Capabilities Approach und dem Competence-based Strategic Management –, dass die CbTF im Gegensatz zu diesen auch geeignet ist, pfadbezogene Prozesse (im Verständnis der vorliegenden Arbeit) zu berücksichtigen. Es wurde allerdings ebenfalls deutlich, dass der junge Ansatz der CbTF über kein einheitliches und expliziertes Verständnis pfadbezogener Prozesse verfügt. Da sich das diesbezügliche Verständnis auch innerhalb der Beiträge der originären Pfadforschungsliteratur nicht einheitlich darstellt, wurden in Kapitel 4 zentrale Unterschiede der vertretenen Standpunkte diskutiert und auf dieser Grundlage eine Positionierung der CbTF identifiziert, die mit den Annahmen ihres harten Kerns vereinbar ist. Darüber hinaus wurde auf die Bedeutung
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positiver Rückkopplungen sowie auf deren potenzielle Ursachen eingegangen. Mit dem Ziel, die diesbezüglichen wertvollen Vorarbeiten der Pfadforschung möglichst umfassend für die vorliegende Arbeit nutzbar zu machen, wurden die verschiedenen identifizierten Ursachen unter Berücksichtigung der Beiträge der originären Pfadforschung einzeln diskutiert. Um zudem die Kompatibilität mit der zugrunde gelegten Referenztheorie zu prüfen und offenzulegen, wurde die Vereinbarkeit der Argumentation der einzelnen Selbstverstärkungseffekte mit den Annahmen der CbTF in die Betrachtung einbezogen. Aus der Analyse der verschiedenen potenziellen Ursachen positiver Rückkopplungen ergaben sich erste wichtige Impulse für die Beantwortung der Forschungsfrage. In Kapitel 5 wurde die zuvor präzisierte pfadorientierte Perspektive der CbTF für die Beantwortung der Forschungsfrage genutzt. Hierzu wurde die Anwendbarkeit der in Kapitel 4 diskutierten potenziellen Ursachen positiver Rückkopplungen auf den Kontext der Forschungsfrage untersucht und diese entsprechend konkretisiert.1005 Außerdem wurde mittels eines selbst entwickelten Modells gezeigt, dass sich die verschiedenen deduktiv identifizierten Selbstverstärkungseffekte aus Sicht der betrachteten Unternehmung entweder positiv oder negativ auswirken können.1006 Zudem wurde deutlich, dass die zeitlichen Muster nicht nur von im Auslandsmarkt potenziell wirkenden Selbstverstärkungseffekten, sondern auch von Rahmenbedingungen beeinflusst werden können, die in Kapitel 5 als kontextspezifische Restriktionen bezeichnet wurden.1007 Hierbei wurde unterschieden in solche, die als Hemmnis einer frühzeitigen Einführung der genannten Leistungen im Auslandsmarkt aufzufassen sind, und solche, die eine frühzeitige Einführung notwendig machen. Die identifizierten Ursachen wurden in Abschnitt 5.3 zusammenfassend dargestellt, so dass auf eine Wiederholung an dieser Stelle verzichtet wird.1008
1005 Vgl. Abschnitt 5.1.3. 1006 Vgl. Abschnitt 5.1.4. 1007 Vgl. Abschnitt 5.2. 1008 Vgl. die Abbildungen 5-5 und 5-6.
287
Da sich die Aussagekraft eines theoriebasiert hergeleiteten Modells erst dann beurteilen lässt, wenn es mit der Realität konfrontiert wird, wurde das Modell darüber hinaus einer ersten empirischen Plausibilitätsprüfung unterzogen. Deren Aufbau, Durchführung und Auswertung waren Gegenstand von Kapitel 6. Als (vorübergehendes) Fazit1009 ist festzuhalten, dass sich das entwickelte Modell für die Erforschung des Untersuchungsgegenstands und zur Beantwortung der Forschungsfrage als grundsätzlich geeignet erweist und die deduktiv abgeleiteten Ursachen im Rahmen der durchgeführten Fallstudien weitgehend vollständig identifiziert werden konnten. Die Kernaussage des Modells, die durch die Ergebnisse der Fallstudien gestützt wird, lässt sich in stark vereinfachter Form etwa folgendermaßen zusammenfassen: Eine frühzeitige Einführung produktbegleitender Dienstleistungen bzw. hybrider Produkte im Auslandsmarkt ist aufgrund etwaiger – aus Sicht der internationalisierenden Unternehmung – positiv wirkender Selbstverstärkungseffekte vorteilhaft, jedoch aufgrund kontextspezifischer Restriktionen nicht in jedem Falle möglich. Ist eine frühzeitige Einführung der betrachteten Leistungen nicht möglich, so kann sich für die Unternehmung im Falle einer nachgelagerten Einführung die (zusätzliche) Herausforderung ergeben, gegen nachteilig wirkende Selbstverstärkungseffekte „ankämpfen“ zu müssen. Das Modell ermöglicht unter Einbeziehung der im Rahmen dieser Arbeit identifizierten potenziellen Ursachen eine Erklärung dafür, warum manche Unternehmungen frühzeitig mit den betrachteten Leistungen in einen Auslandsmarkt eintreten, während andere Unternehmungen diese Leistungen erst nachgelagert anbieten. Der entwickelte Ansatz ist somit der Product Chain, die bislang den bedeutendsten Ansatz zur Beantwortung der Forschungsfrage darstellt – aus Sicht des Verfassers – in seiner Erklärungskraft deutlich überlegen. Die hier verkürzt wiedergegebene Kernaussage steht dabei einerseits im Einklang mit dem sich abzeichnenden Umdenken in den skandinavischen Schulen, die sich von ihrer inkrementellen Sichtweise zuneh-
1009 Zum vorübergehenden Charakter vgl. die Anmerkungen zu den Grenzen der Argumentation im
anschließenden Abschnitt 7.2.
288
mend zu lösen scheinen,1010 und steht andererseits in klarem Widerspruch zur zentralen Aussage der Product Chain, nach der eine Internationalisierung zuerst mit Sachleistungen und erst zeitlich nachgelagert mit Dienstleistungen und später mit hybriden Produkten erfolgt. Das in Kapitel 1 erklärte Ziel der Arbeit, einen Beitrag zur Schließung der oben dargestellten Forschungslücke zu leisten und auf diese Weise zur Weiterentwicklung sowohl des jungen Forschungsfeldes der Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten als auch der Internationalisierungsprozessforschung beizutragen, wurde aus Sicht des Verfassers erreicht. Gleichzeitig gelang es, den noch jungen, aber vielversprechenden Ansatz der CbTF weiterzuentwickeln und dadurch die Verwendbarkeit der CbTF über den Kontext der vorliegenden Arbeit hinausgehend auch für die Beantwortung weiterer dynamischer Fragestellungen zu verbessern. Dessen ungeachtet sollen die getroffenen konzeptionellen Entscheidungen sowie die inhaltliche Argumentation der vorliegenden Arbeit abschließend (selbst-) kritisch hinterfragt werden. Hierzu wird nachfolgend im Rahmen einer kritischen Reflexion auf die Grenzen der Argumentation sowie – damit im Zusammenhang stehend – auf den sich ergebenden weiteren Forschungsbedarf eingegangen.
7.2
Grenzen der Argumentation und weiterer Forschungsbedarf
Bei der Darstellung der mit der vorliegenden Arbeit verfolgten Ziele wurde eingangs auf die stufenweise aufeinander aufbauenden Wissenschaftsziele nach Chmielewicz Bezug genommen.1011 Ebenso wie verschiedene andere Forscher weist auch Chmielewicz nachdrücklich darauf hin, dass vor der Verfolgung weiterer Wissenschaftsziele die eindeutige und zweckmäßige Klärung der verwendeten Begrifflichkeiten zu erfolgen hat (nominalistisches Wissenschafts-
1010 Vgl. Abschnitt 5.1.1. 1011 Vgl. Abschnitt 1.2.
289
ziel).1012 Im Sinne des hierauf aufbauenden theoretischen Wissenschaftsziels verfolgte die vorliegende Arbeit das Ziel, einen Erklärungsansatz zur Beantwortung der in Kapitel 1 dargestellten Forschungsfrage herzuleiten. Der Ansatz kann grundsätzlich zum einen (intratheoretisch) hinsichtlich seines logisch-deduktiven Gehalts kritisiert werden.1013 Zum anderen ist im Sinne des Theorienpluralismus1014 die (intertheoretische) Frage zu stellen, ob möglicherweise andere Ansätze bestehen, die zur Beantwortung der Forschungsfrage besser geeignet sind als der in dieser Arbeit verwendete. Da sich die Erklärungskraft eines theoretischen Ansatzes letztlich erst im Rahmen einer Konfrontation mit der Realität zeigt,1015 wurde der in der vorliegenden Arbeit verwendete Ansatz einer ersten empirischen Plausibilitätsprüfung unterzogen. Auch das diesbezügliche methodische Vorgehen lässt sich kritisch hinterfragen. Auf Basis dieser Anmerkungen wird die Diskussion potenzieller Kritikpunkte folgendermaßen strukturiert:1016 (a) Kritik an den terminologischen Grundlagen, (b) Kritik am logisch-deduktiven Gehalt, (c) Kritik an der Erklärungskraft, (d) Kritik an der empirischen Plausibilitätsprüfung. Ferner wird in diesem Zusammenhang ein kurzer Ausblick auf den weiteren Forschungsbedarf gegeben. zu (a): Kritik an den terminologischen Grundlagen In Abschnitt 2.1.1 wurde angesichts der erheblichen begrifflichen Unschärfen im Kontext der Explanantia auf die Bedeutung der Verwendung eindeutig und zweckmäßig definierter Begriffe eingegangen. Die Unschärfen wurden teils auf die definitorischen Schwierigkeiten hinsichtlich des Dienstleistungsbegriffs
1012 Vgl. Abschnitt 2.1.1 sowie Chmielewicz 1994, S. 8ff. 1013 Vgl. z.B. Welling 2006, S. 229 und Simon 2007, S. 283 mit Verweis auf Spinner 1974, S. 86f. 1014 Vgl. Abschnitt 3.1 sowie die dort angeführte Literatur. 1015 Vgl. z.B. Franke 2002, S. 11ff. 1016 Ähnliche Strukturierungen finden sich z.B. bei Welling 2006, S. 228ff. sowie Simon 2007, S. 283ff.
290
zurückgeführt, auf dem die Begriffe produktbegleitende Dienstleistung und hybrides Produkt aufbauen. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass die terminologischen Unzulänglichkeiten teils auch dadurch bedingt sind, dass es sich bei der Erforschung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte um relativ junge Forschungsfelder handelt. Die Problematik begrifflicher Unschärfen tritt jedoch nicht nur im Kontext der Explanantia auf, sondern mit der Wahl eines kompetenzbasierten Ansatzes als Referenztheorie grundsätzlich auch im Rahmen des Explanandums. So stellt etwa Moldaschl fest, dass sich die Autoren kompetenzbasierter Ansätze um die Präzisierung der Grundbegriffe „chronisch drücken“.1017 Vor dem Hintergrund dieses vielschichtigen Begriffswirrwarrs kommt dem sorgfältigen Umgang mit der verwendeten Terminologie in der vorliegenden Arbeit erhebliche Bedeutung zu. Mit dem Ziel, der Forderung nachzukommen, der Arbeit eindeutig und zweckmäßig definierte Begriffe zugrunde zu legen und diese einheitlich zu verwenden, wurden die folgenden Maßnahmen ergriffen: Hinsichtlich der Unschärfen bei den Begriffen der Explanantia (z.B. Dienstleistung, produktbegleitende Dienstleistung und hybrides Produkt) wurden die in der Literatur teils ausführlich geführte Diskussion aufgegriffen und auf dieser Basis die in der Arbeit verwendeten Begriffe explizit definiert.1018 Hinsichtlich des Explanandums wurde – um der Vielfalt kompetenztheoretischer Begrifflichkeiten nicht weiter Vorschub zu leisten – auf die bestehende Terminologie der CbTF zurückgegriffen. Dies erschien möglich, da die Begriffsbildung in den Grundlagenarbeiten zur CbTF – im Gegensatz zu Moldaschls oben angeführter grundsätzlicher Feststellung zur Terminologie kompetenzbasierter Ansätze – ausführlich und transparent hergeleitet wird1019 und sich – aus Sicht des Verfassers – für die vorliegende Arbeit als (weitgehend) zweckmäßig erweist. Einschränkend ist hierzu anzumerken, dass der für die vorliegende Arbeit zentrale
1017 Moldaschl 2007, S. 3. 1018 Vgl. Kapitel 2. 1019 Vgl. z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005.
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Begriff des Pfades und hiermit im Zusammenhang stehende Begriffe weder in der Literatur zur CbTF noch in anderen kompetenzbasierten Ansätzen eindeutig und zweckmäßig definiert werden. Daher wurden die Begriffe Pfad und positive Rückkopplung in Anlehnung an (originäre) Pfadforschungsbeiträge verwendet und die zugrunde gelegten Definitionen in Abschnitt 4.3.1.3 expliziert. Zusammenfassend ist anzumerken, dass bei der Erstellung der Arbeit darauf geachtet wurde, zentrale Definitionen offenzulegen und die Begriffe im Verlauf der Arbeit einheitlich zu verwenden. Ferner ist auf den alternativen Gebrauch synonymer oder verkürzter Begriffe – wie er unter Umständen geeignet gewesen wäre, um Formulierungen teils abwechslungsreicher zu gestalten – im Sinne einer einheitlichen Begriffsverwendung (weitgehend) verzichtet worden. zu (b): Kritik am logisch-deduktiven Gehalt In engem Zusammenhang mit der Verwendung einer eindeutigen und zweckmäßigen Terminologie steht die Frage nach dem logisch-deduktiven Gehalt. Diese Frage umfasst die Problematik, ob die Argumentationen in der vorliegenden Arbeit auf Basis offengelegter und zweckmäßiger Prämissen erfolgen sowie nachvollziehbar geführt werden. Die potenzielle Kritik erstreckt sich somit auf die Prämissen und die Kausalstruktur der zugrunde gelegten referenztheoretischen Basis – in der vorliegenden Arbeit also auf die CbTF sowie auf deren hier vorgenommene Weiterentwicklung. Wie Welling unter Verweis auf Spinner anmerkt, besteht zur Beurteilung der verwendeten Prämissen – neben dem verschiedentlich angeführten Realitätsbezug – bislang kein theorienübergreifendes Kriterium.1020 Bezogen auf das Annahmengerüst ist jedoch aufgrund wissenschaftstheoretischer Überlegungen ergänzend zu fordern, dass die Annahmen untereinander widerspruchsfrei sein sollten.1021
1020 Vgl. Welling 2006, S. 229 mit Verweis auf Spinner 1974, S. 154. 1021 Vgl. Abschnitt 3.2.2.
292
Zur Realitätsnähe der Annahmen kompetenzbasierter Ansätze ist anzumerken, dass sich der Competence-based View teils mit dem Ziel einer größeren Realitätsnähe aus anderen Theorieansätzen entwickelt hat.1022 In vergleichbarer Weise gilt dies für die Ansätze der Modern Austrian Economics,1023 die mit der hier als Referenztheorie zugrunde gelegten CbTF weitgehend die gleichen Annahmen teilen.1024 Während auf einer allgemeinen Ebene somit festgehalten werden kann, dass bei der Formulierung der hier zugrunde gelegten Prämissen bewusst auf deren Realitätsnähe geachtet worden ist, wurde im Laufe der vorliegenden Arbeit darüber hinaus verschiedentlich auf Aspekte der Realitätsnähe der zugrunde gelegten Prämissen in Bezug auf den spezifischen Kontext des Untersuchungsgegenstands eingegangen.1025 Zur Widerspruchsfreiheit der Annahmen untereinander ist zu konstatieren, dass dieser Aspekt im Rahmen der von Gersch/Freiling/Goeke vorgenommenen Rekonzeptionalisierung der ressourcen- und kompetenzbasierten Forschung explizit berücksichtigt wurde.1026 Bei der in Kapitel 4 vorgenommenen Ergänzung der CbTF um eine einheitliche pfadorientierte Perspektive wurde gleichermaßen auf die Vereinbarkeit mit den Annahmen des harten Kerns der CbTF geachtet und die diesbezügliche Argumentation expliziert.1027 Die Annahmen des harten Kerns der CbTF sowie deren Kausalstruktur wurden in Abschnitt 4.2 offengelegt. Auf diese Ausführungen wurde im weiteren Verlauf Bezug genommen, wobei angestrebt wurde, die Argumentationen nachvollziehbar und in konformer Weise mit den offengelegten Annahmen zu führen.
1022 Bezogen auf die CbTF vgl. z.B. Freiling 2004a, S. 31. 1023 Vgl. z.B. Ehret 2000, S. 94. 1024 Zu den Annahmen der CbTF vgl. Abschnitt 4.2.1 sowie z.B. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 17ff.; zu
den Annahmen der Modern Austrian Economics vgl. z.B. Rese 2000, S. 66ff.; Rese 2004, S. 122ff. 1025 Z.B. im Rahmen der Diskussion über die Eignung der CbTF anhand des Katalogs inhaltlicher Kriterien
zur Festlegung einer geeigneten Referenztheorie. 1026 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke 2005, S. 14ff. 1027 Vgl. Abschnitt 4.3.3.3.
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zu (c): Kritik an der Erklärungskraft Wie im Laufe der Arbeit passim hingewiesen wurde, gibt es bislang nahezu keine Erklärungsansätze, die sich mit der hier untersuchten Forschungsfrage auseinandersetzen. Als Ausnahme ist insbesondere die Product Chain von Luostarinen anzuführen, auf deren Unzulänglichkeiten hinsichtlich ihrer Erklärungskraft bereits eingegangen wurde. Vor diesem Hintergrund wird in der vorliegenden Arbeit die Ansicht vertreten, dass derzeit kein Erklärungsansatz zur Verfügung steht, der sich in ähnlicher Weise für die Beantwortung der Forschungsfrage eignet wie der hier auf Basis der CbTF entwickelte. Ergänzend ist anzumerken, dass sich die CbTF auch nach Durchführung der Plausibilitätsprüfung als referenztheoretische Grundlage im betrachteten Kontext als grundsätzlich geeignet erweist.1028 Trotz dieser (subjektiven) Einschätzung ist jedoch keinesfalls auszuschließen, dass sich alternative Ansätze auf Basis anderer theoretischer Grundlagen mit einer höheren Erklärungskraft entwickeln lassen. Vielmehr wird die Entwicklung weiterer Erklärungsansätze auf Basis alternativer Theorien zur Beantwortung der Forschungsfrage im Sinne des Theorienpluralismus ausdrücklich begrüßt. Eine erste Orientierung bei der Ermittlung alternativer Ansätze könnten die in Kapitel 3 dargestellten inhaltlichen Kriterien bieten, die auf Basis der Natur der Forschungsfrage und des Charakters des Forschungsgegenstands abgeleitet wurden, deren Eignung und Vollständigkeit jedoch gleichfalls kritisch hinterfragt werden kann. zu (d): Kritik an der empirischen Plausibilitätsprüfung Wie in Kapitel 6 dargestellt, wurde das theoriebasiert entwickelte Modell im Rahmen der vorliegenden Arbeit einer ersten Plausibilitätsprüfung unterzogen. Unter Berücksichtigung des Charakters des Forschungsgegenstands, der Natur der Forschungsfrage sowie von Überlegungen zur Vereinbarkeit der empirischen
1028 Hierauf wird im Rahmen der Kritik an der empirischen Plausibilitätsprüfung zurückgekommen.
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Untersuchungsmethodik mit der theoretischen Basis wurde hierfür ein fallstudienbasiertes Vorgehen gewählt. Ohne die Argumentation an dieser Stelle vollständig zu wiederholen, sei zumindest stichpunktartig an wesentliche Argumente dieser Diskussion erinnert, die aus Sicht des Verfassers für ein fallstudienbasiertes Vorgehen sprechen: 1029 Æ hohe Komplexität und (bislang) stark begrenztes theoretisches Wissen über den Untersuchungsgegenstand, Æ Erfordernis eines profunden Verständnisses über die spezifische Situation der jeweiligen Unternehmung im Zeitablauf zur Beantwortung der Frage nach den Ursachen für das zeitliche Vorgehen und Æ Zuordnung der Referenztheorie zum interpretativen Paradigma gemäß dem Schema von Burrell/Morgan. Grundsätzliche potenzielle Kritikpunkte an der gewählten Untersuchungsmethodik umfassen die verschiedentlich gegenüber qualitativen Ansätzen geäußerten Bedenken, so etwa in Bezug auf die Problematik der Generalisierbarkeit und Repräsentativität der empirischen Ergebnisse.1030 Ergänzend zu den oben angeführten Argumenten, die die Möglichkeit quantitativer Analysen aus Sicht des Verfassers fragwürdig erscheinen lassen, sei nochmals kurz auf die Ziele der vorliegenden Arbeit und die der durchgeführten Empirie eingegangen, bevor auf den Punkt alternativer Forschungsdesigns zurückgekommen wird. Zentrales Anliegen der vorliegenden Arbeit war es, einen Beitrag zur Schließung der dargestellten Forschungslücke zu leisten und somit zur Weiterentwicklung sowohl des Forschungsfeldes der Internationalisierung mit produktbegleitenden Dienstleistungen und hybriden Produkten als auch der Internationalisierungsprozessforschung beizutragen. Die durchgeführte Empirie diente dem Zweck, eine erste Indikation zur Anwendbarkeit und Erklärungskraft des theoriebasiert entwickelten Modells zu erhalten. In dem Maße, wie auf diese
1029 Vgl. Abschnitt 6.1. 1030 Für eine Darstellung verschiedener Kritikpunkte an qualitativen Forschungsdesigns vgl. z.B. Lamnek
1995, S. 152ff.
295
Weise eine Konfrontation mit der Realität erfolgte, hat sich der Erklärungsansatz grundsätzlich als äußerst aussichtsreich erwiesen. So wurden die deduzierten potenziellen Ursachen im Rahmen der durchgeführten Fallstudien weitgehend identifiziert; weitere Ursachen, die nicht Bestandteil des Modells sind, traten im Rahmen der Fallstudien hingegen nicht auf. Es sei an dieser Stelle jedoch ausdrücklich angemerkt, dass die Erforschung des Untersuchungsgegenstands
weitere
hypothesengenerierende
und
auch
hypothesenprüfende Arbeiten erfordert. Bevor auf Grundlage des dargestellten Ansatzes Gestaltungsempfehlungen an die Unternehmungspraxis ausgesprochen werden, die über die im Rahmen dieser Arbeit absichtlich sehr allgemein formulierte Feststellung hinausgehen, dass eine frühzeitige Einführung produktbegleitender Dienstleistungen und hybrider Produkte aufgrund begünstigender Selbstverstärkungseffekte grundsätzlich vorteilhaft sein kann, sollte das Untersuchungsobjekt zunächst durch weitere explorative Forschungsarbeit noch intensiver durchdrungen werden. Dies sollte mit der Zielsetzung erfolgen, weitere Kausalitäten aufzudecken und durch ergänzende Modellierungen Anhaltspunkte zur Stabilisierung und Verfeinerung des hier entwickelten Modells zu identifizieren. Auf einige Aspekte des diesbezüglichen weiteren Forschungsbedarfs soll nachfolgend kurz hingewiesen werden. Æ Wie sich sowohl in der theoriegeleiteten Modellbildung als auch in der empirischen Plausibilitätsprüfung zeigte, wirken oftmals mehrere potenzielle Ursachen gleichzeitig. Eine Frage, die nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit war, sich jedoch an die Ergebnisse der Arbeit anschließt, ist beispielsweise die nach der Möglichkeit einer Priorisierung einzelner Ursachen. Æ Eine hiermit in Zusammenhang stehende Frage bezieht sich darauf, ob es hinsichtlich der Priorisierung einzelner Ursachen identifizierbare Unterschiede gibt, die beispielsweise von den einzelnen Ländermärkten oder von bestimmten Leistungen abhängen. Im letztgenannten Fall könnten sich die in Abschnitt 2.1.3.2 angesprochenen Leistungsklassifizierungen – z.B. in personenund objektbezogene Leistungen – als hilfreich erweisen. 296
Æ Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde unter der Annahme des gemäßigten Voluntarismus argumentiert, dass eine Unternehmung die Ausbildung von Pfaden teilweise beeinflussen kann, um von diesen zu profitieren.1031 Allerdings wird es nicht jeder Unternehmung stets möglich sein, frühzeitig in den jeweiligen Auslandsmarkt einzutreten, so dass sich die internationalisierende Unternehmung durchaus mit der „negativen Kehrseite“ auftretender Selbstverstärkungseffekte konfrontiert sehen kann. Daher betrifft ein weiterer Themenkomplex, über den die Wissenschaft vor der Aussprache von Gestaltungsempfehlungen zu ergänzenden Erkenntnissen gelangen sollte, die Frage nach den Aussichten, auch eine Pfadbrechung (in beschränktem Rahmen) vorantreiben zu können. Die Möglichkeit, die Stabilisierung und Verfeinerung des dargestellten Modells hinsichtlich der beispielhaft angeführten Forschungsbedarfe mittels einer großzahligen quantitativen Empirie untermauern zu können, wird aus den in Abschnitt 6.1 angeführten Gründen an dieser Stelle skeptisch beurteilt.1032 Vor der Abgabe dezidierter Handlungsempfehlungen an die Unternehmungspraxis, die über die Andeutungen in dieser Arbeit hinausgehen, ist aus Sicht des Verfassers eine Vertiefung der Forschungsarbeit in den angeführten Themenbereichen erforderlich, die voraussichtlich vornehmlich qualitative Forschungsdesigns umfasst.1033 Die kritische Auseinandersetzung mit den vier diskutierten potenziellen Kritikpunkten wird explizit begrüßt. Der Verfasser hofft, dass auf Basis des hier entwickelten Erklärungsansatzes die Erkenntnisgenerierung in diesem praxeologisch
1031 Vgl. z.B. Abschnitt 4.3.3.3. Die Fallstudien wiesen gleichfalls auf die grundsätzliche Möglichkeit hin,
die Ausbildung von Pfaden teils beeinflussen zu können, vgl. die Abschnitte 6.2.2 und 6.2.3. 1032 Vgl. Abschnitt 6.1 sowie ergänzend zu den dortigen Ausführungen zur paradigmatischen Verortung der
CbTF auch Gersch/Goeke/Freiling 2008, die auf die weitgehende Unvereinbarkeit der Annahmen des harten Kerns der CbTF mit dem Grundverständnis des kritischen Rationalismus (vgl. hierzu z.B. Popper 1934/2005) sowie auf die daraus resultierenden methodologischen Konsequenzen hinweisen (vgl. Gersch/Goeke/Freiling 2008, S. 1ff.). 1033 Vgl. hierzu auch Gersch/Goeke/Freiling 2008, die auf die weitgehende Vereinbarkeit der CbTF mit der Position Hayeks (vgl. Hayek 1972) verweisen und in diesem Kontext die grundsätzliche Eignung (vornehmlich) qualitativer Forschungsdesigns im Bereich kompetenzbasierter Forschung hervorheben.
297
und wissenschaftlich relevanten Forschungsfeld im Rahmen einer arbeitsteiligen Organisation der Wissenschaft1034 weiter vorangetrieben wird.
1034 Vgl. Chmielewicz 1994, S. 21f.
298
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