Personal- und Organisationsentwicklung bei der Internationalisierung von industriellen Dienstleistungen
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Klaus J. Zink
Personal- und Organisationsentwicklung bei der Internationalisierung von industriellen Dienstleistungen
Prof. Dr. Klaus J. Zink TU Kaiserslautern Inst. Technologie und Arbeit (ITA) Kurt-Schumacher-Str. 74A 67663 Kaiserslautern Deutschland
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ISBN 978-3-7908-2337-0 e-ISBN 978-3-7908-2338-7 DOI 10.1007/978-3-7908-2338-7 Springer Dordrecht Heidelberg London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Physica-Verlag Heidelberg 2009 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Physica-Verlag ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Vorwort Dieses Buch entstand als ein gemeinsames Arbeitsergebnis der mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) innerhalb des Rahmenkonzeptes „Exportfähige Dienstleistung“ geförderten und vom Projektträger Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bonn betreuen Fokusgruppe „Industrielle Dienstleistungen“. Ziel dieser projektübergreifenden Fokusgruppe war es u.a., Aspekte, die in mehreren Vorhaben thematisiert wurden, zusammenzuführen und so zu branchenund länderübergreifenden Erkenntnissen im Hinblick auf wesentliche Erfolgsfaktoren zu kommen. Es stellte sich schon relativ früh heraus – und dies ist auch nicht verwunderlich, dass die Themen Personal- und Organisationsentwicklung in allen Verbundvorhaben eine wesentliche Rolle spielten. Im Einzelnen waren folgende Vorhaben Mitglieder der Fokusgruppe: x DEXINPRO: Dienstleistungsexport mit Industrieprodukten (Förderkennzeichen 01HQ0537), x ExInnoService: Synthese von Wissens- und Unternehmensprozessen als Basis eines exportorientierten Innovationsmanagements für Dienstleistungen (Förderkennzeichen 01HQ0508 bis 01HQ0510), x ExFed: Export ferngelenkter Dienstleistungen – Entwicklung von Management-, Marketing- und Personalentwicklungskonzepten (Förderkennzeichen 01 HQ 0541), x IDEE: Industrielle Dienstleistungen erfolgreich exportieren (Förderkennzeichen 01HQ0548 bis 01HQ0552), x InProDi: Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch komplementäre Produkt- und Dienstleistungsentwicklung (Förderkennzeichen 01HQ0545), x OSS: One-Stop Services für die weltweite industrielle Produktion (Förderkennzeichen 01HQ0542). Alle Verbundvorhaben lieferten einen Beitrag aus ihrer spezifischen Perspektive, der jedoch in aller Regel auch Relevanz für andere Projekte hatte. Neben einleitenden Beiträgen, welche die in diesem Kontext relevanten Begrifflichkeiten zum Gegenstand haben, geht es um den strategischen Wandel vom Produzenten zum globalen Anbieter von Problemlösungen, der sich dann in Personal- und Organisationsentwicklungskonzepten für spezifische Dienstleistungen niederschlägt. Kulturspezifische Probleme spielen in allen Beiträgen eine wesentliche Rolle und werden am Beispiel China vertieft behandelt. In einem abschließenden Kapitel werden die „Kernbotschaften“ noch einmal zusammengefasst.
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Vorwort
Mein Dank gilt zunächst den Autoren und Autorinnen sowie Herrn Klaus Wegener vom Projektträger DLR, der die Fokusgruppe begleitet und den Impuls für diese Veröffentlichung geliefert hat. Dem Springer Verlag, vertreten durch Herrn Dr. Niels Thomas, danke ich für die Übernahme dieser Publikation. Mein besonderer Dank gilt Frau Dr. Dunja B. Eberhard, die außer inhaltlichen Beiträgen das Projektmanagement für dieses Buch übernommen hat. Sie wurde dabei fallweise unterstützt von Herrn cand. Wirtsch-Ing. Robert Sellmayr, Herrn cand. Kfm. techn. Christian Bosse, Herrn cand. Kfm. techn. Andreas Schulz sowie Frau Petra Malek und Frau Cornelia Vickers, denen ich ebenfalls danke.
Kaiserslautern, im Frühjahr 2009
Univ.-Prof. Dr. Klaus J. Zink
Inhaltsverzeichnis 1
Typologisierung von Dienstleistungen ...................................................... 1 Klaus J. Zink, Dunja B. Eberhard; Institut für Technologie und Arbeit e.V., TU Kaiserslautern; Projekt InProDi 1 2 3 4 5
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Spezifische Problemstellung................................................................... 1 Konstitutive Merkmale von Dienstleistungen ........................................ 1 Dienstleistungen als Produkttyp ............................................................. 2 Produkte und Dienstleistungen als Leistungsbündel .............................. 4 Zusammenfassende Bewertung .............................................................. 5
Lösungsansätze für Herausforderungen interkultureller Zusammenarbeit am Beispiel des Offshorings von IT-Dienstleistungen .............................................................................. 7 Jan H. Schumann, Daniel Hammes, Florian von Wangenheim, Andreas Steinbach; Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, Dienstleistungs- und Technologiemarketing, TU München; Projekt ExFed 1 Spezifische Problemstellung................................................................... 7 2 Herausforderungen bei Offshoring-Projekten......................................... 8 3 Methodische Grundlagen der empirischen Untersuchung .................... 11 3.1 Probandenauswahl und Datenerhebung ....................................... 11 3.2 Auswertung der Interviews .......................................................... 12 3.3 Darstellung der Ergebnisse der empirischen Untersuchung ......... 12 4 Herausforderungen in IT-Offshorekooperationen (Ergebnisse der empirischen Untersuchung) .................................................................. 13 4.1 Allgemeine Kommunikationsprobleme ....................................... 13 4.2 Kulturelle Besonderheiten auf asiatischer Seite .......................... 14 4.3 Kulturelle Eigenarten auf deutscher Seite .................................... 18 5 Lösungsansätze und Best-Practice Erfahrungen ................................... 19 6 Zusammenfassende Bewertung ............................................................ 22
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Personal- und Organisationsentwicklung als interdependente Konzepte ................................................................................................... 27 Klaus J. Zink; Institut für Technologie und Arbeit e.V., TU Kaiserslautern; Projekt InProDi 1 Spezifische Problemstellung................................................................. 27
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Inhaltsverzeichnis
2 Personal- und Organisationsentwicklung: Versuch einer Begriffsabgrenzung .............................................................................. 28 3 Personal- und Organisationsentwicklung als Teile eines ganzheitlichen Change Managements .................................................. 33 3.1 Schwachstellen in Veränderungsprojekten .................................. 33 3.2 Anforderungen an ganzheitliche Veränderungskonzepte............. 35 3.3 Beispielhafte Handlungsfelder ..................................................... 36 4 Zusammenfassende Bewertung ............................................................ 37 4
Strategischer Wandel vom Produzenten zum globalen Anbieter von Problemlösungen............................................................................... 41 Organisationsentwicklung beim strategischen Wandel vom Produzenten zum globalen Anbieter von Problemlösungen ................ 43 Gunter Lay, Esther Bollhöfer, Christian Lerch, Marcus Schröter; Fraunhofer Institut System- und Innovationsforschung (ISI); Projekt DexInPro 1 Spezifische Problemstellung ................................................................ 44 1.1 Marktentwicklungen als Treiber des Wandels ............................. 44 1.2 Organisationsentwicklung als Instrument des Wandels ............... 45 2 Entwicklung der Organisation von Produktherstellern für das Angebot von Problemlösungen ............................................................ 48 2.1 Organisatorische Optionen ........................................................... 48 2.2 Verbreitung organisatorischer Optionen ...................................... 49 2.3 Bewertungskriterien zu Optionswahl ........................................... 51 2.4 Instrument zur Unterstützung der Alternativenauswahl ............... 55 3 Entwicklung der Organisation für das Auslandsangebot hybrider Produkte ............................................................................................... 58 3.1 Organisationsformen für den Markteintritt im Ausland ............... 59 3.2 Stellenwert alternativer Organisationsformen für den Eintritt in Auslandsmärkte mit industriellen Services .................................. 62 3.3 Bewertungskriterien zur Wahl einer adäquaten Organisation des Markteintritts mit hybriden Produkten im Ausland ............... 67 3.4 Instrument zur wirtschaftlichen Bewertung ausgewählter Formen des Markteintritts mit hybriden Produkten im Ausland .. 71 Personalentwicklung als Erfolgsfaktor einer strategischen Neuausrichtung zum Anbieter komplementärer Produkte und Dienstleistungen ................................................................................ 79 Dunja B. Eberhard; Institut für Technologie und Arbeit e.V., TU Kaiserslautern; Projekt InProDi 1 Spezifische Problemstellung ................................................................ 79
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1.1 Besondere Anforderungen der Internationalisierung für produzierende KMU in Deutschland ............................................ 79 1.2 Verknüpfung von Organisations- und Personalentwicklung als Erfolgsfaktor bei einem strategischen Wandel ............................. 80 Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch Neuausrichtung der Strategie................................................................ 81 Personalentwicklung als Voraussetzung der Realisierung des Wandels ................................................................................................ 84 3.1 Zugrunde liegendes Kompetenzverständnis ................................. 84 3.2 Integratives Rollenkonzept ........................................................... 85 3.2.1 Determinanten eines integrativen Rollenkonzepts ............ 86 3.2.2 Konkretisierung des integrativen Rollenkonzepts............. 87 Integration personaler und organisationaler Kompetenzen für das Angebot komplementärer Produkte und Dienstleistungen im internationalen Kontext ........................................................................ 88 4.1 Kompetenzmatrix für das Angebot komplementärer Produkte und Dienstleistungen .................................................................... 88 4.2 Vorgehen bei der Entwicklung zum Anbieter komplementärer Produkte und Dienstleistungen ..................................................... 92 4.3 Unternehmensübergreifende Erkenntnisse ................................... 94 4.3.1 Identifizierte Handlungsfelder zur Realisierung des partizipativen strategischen Wandels ................................ 95 4.3.2 Erfahrungen aus der Unternehmensumsetzung ................. 95 Zusammenfassende Bewertung ............................................................ 97
Personal- und Organisationsentwicklung im Umfeld der Internationalisierung spezifischer Dienstleistungskonzepte ............... 101 Unternehmensinternes Wissensmanagement beim Dienstleistungsexport von KMU ........................................................... 103 Torsten Merkel, Judith Hummel; Westsächsische Hochschule Zwickau (FH); Projekt ExInnoService 1 Notwendigkeit des Wissensmanagements für den Dienstleistungsexport kleiner Unternehmen ....................................... 103 2 Dienstleistungsexport durch Wissensmanagement? ........................... 105 3 Struktur eines exportorientierten Wissensmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen ................................................................ 107 4 Praxisbeispiele .................................................................................... 109 4.1 Praxisbeispiel: Unternehmensinternes Wissensmanagement beim kooperativen Export von Ingenieurdienstleistungen ......... 110 4.2 Praxisbeispiel: Konzeption zur marktstrategischen Entwicklung hybrider Leistungen .............................................. 113
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Know-how Transfer bei der Internationalisierung von technologieorientierten Dienstleistungen von KMU ........................... 117 Michael Uhlmann, Kirstin Raßbach; ATB Arbeit, Technik und Bildung GmbH; Projekt ExInnoService 1 Kooperativer Export technologieorientierter Dienstleistungen .......... 117 1.1 Situation der Internationalisierung von technologiebasierten KMU ........................................................................... 117 1.2 Charakteristika technologieorientierter Dienstleistungen .......... 118 2 Herausforderungen des internationalen Know-how Transfers ........... 120 2.1 Begrenzte Möglichkeiten des Exports........................................ 120 2.2 Unterschiedliche Wissensausprägung in Kooperationen ........... 120 2.3 Internationaler Wissenstransfer mit Hürden und Barrieren........ 122 3 Internationale technologieorientierte Wissensflüsse .......................... 123 4 Organisation und Methoden des Know-how Transfers ...................... 125 5 Fallbeispiel – Wissenskoordination im Netzwerk .............................. 127 5.1 Bedingter bilateraler Wissenstransfer – Engineeringleistungen . 127 5.2 Bedingter verteilender Wissenstransfer – Anlagenprojektierung .............................................................................. 129 Personal- und Organisationsentwicklung in internationalen Fabrikplanungsprojekten ...................................................................... 133 Sven Hinrichsen, Tim Jeske, Christopher Schlick, Peter Steiger; Institut für Arbeitswissenschaft (IAW) der RWTH Aachen; Projekt OSS 1 Spezifische Problemstellung .............................................................. 133 1.1 Aufgaben und Organisation der Fabrikplanung ......................... 133 1.2 Problemstellung ......................................................................... 135 1.3 Zielsetzung und Aufbau des Beitrages ....................................... 137 2 Methode zur Prognose der Arbeitszeiten in internationalen Fabrikplanungsprojekten .................................................................... 138 2.1 Anforderungen an die Methodenentwicklung ............................ 138 2.2 Beschreibung der Methode zur Schätzung der Arbeitszeiten ..... 140 2.3 Ergebnisse einer Fallstudie ........................................................ 141 2.4 Softwareentwicklung ................................................................. 144 3 Vorgehensmodell zur Bildung von Fachplanungsteams .................... 145 4 Tätigkeitsanalyse und Personalentwicklungskonzepte ....................... 149 4.1 Analyse der Tätigkeit von Projektleitern ................................... 149 4.2 Qualifizierungsmodul Kommunikation mit dem Kunden .......... 155 5 Zusammenfassende Bewertung .......................................................... 157
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Der virtuelle Auslandseinsatz – neue Chancen und Herausforderungen im Personalmanagement ..................................... 161 Dirk Holtbrügge, Katrin Schillo; Lehrstuhl für Internationales Management, Universität Erlangen-Nürnberg; Projekt ExFed 1 Spezifische Problemstellung............................................................... 161 2 Der virtuelle Auslandseinsatz ............................................................. 162 2.1 Merkmale des virtuellen Auslandseinsatzes .............................. 163 3 Herausforderungen eines virtuellen Auslandseinsatzes ...................... 166 3.1 Interkulturelle Kommunikation .................................................. 166 3.2 Unterschiede im Zeitverständnis ................................................ 171 3.3 Vertrauen .................................................................................... 174 3.4 Führung auf Distanz ................................................................... 175 4 Zusammenfassende Bewertung .......................................................... 177 6
Personal- und Organisationsentwicklung für die Internationalisierung von Dienstleistungen am Beispiel China ......... 181 Personal- und Organisationsentwicklung für die Internationalisierung von Dienstleistungen ......................................... 183 Ulrike Schimmer-Kletti, Wolfgang Schröter; Rationalisierungsund Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e. V.; Projekt IDEE 1 Interkulturelle Personal- und Organisationsentwicklung.................... 183 1.1 Ausgangssituation und Anforderungen ...................................... 183 1.2 Begriffliche Grundlagen; Kultur, Organisations- und Personalentwicklung .................................................................. 185 2 Kulturelle Aspekte der internationalen Zusammenarbeit ................... 185 2.1 Was verstehen wir unter „Kultur“? ............................................ 185 2.2 Funktionen von Kultur ............................................................... 187 2.3 Kulturdimensionen .................................................................... 187 2.4 Unternehmenskultur ................................................................... 188 2.5 Internationale Zusammenarbeit .................................................. 190 3 Kulturelle Besonderheiten im Zielland China .................................... 191 3.1 Konfuzianismus als Wurzel ....................................................... 191 3.2 Guanxi und sozialer Status ......................................................... 193 3.3 Gruppenverhalten und Fraktionsprinzip ..................................... 195 3.4 Bürokratie und Korruption ......................................................... 195 4 Das chinesische Arbeitsrecht .............................................................. 196 5 Empfehlungen zur Vorbereitung auf den Zielmarkt China ................ 201 5.1 Länderinformationen China ....................................................... 201 5.2 Vorbereitung auf die interkulturelle Zusammenarbeit ............... 201 5.3 Informationsmöglichkeiten zum Arbeitsrecht ............................ 203 6 Interkulturelle Personal- und Organisationsentwicklung.................... 204 6.1 Anforderungen ........................................................................... 204 6.2 Vorgehensweise ......................................................................... 205
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Schulung von in- und ausländischen Mitarbeitern als Voraussetzung einer erfolgreichen Internationalisierung .................. 215 Sandra Klein, Boris Bergheim; TÜV Rheinland Akademie GmbH; Projekt IDEE 1 Schulung von in- und ausländischen Mitarbeitern als Voraussetzung einer erfolgreichen Internationalisierung ............................................ 215 1.1 Einarbeitung neuer Mitarbeiter im Ausland ............................... 216 1.1.1 Maßnahmen zur sozialen Integration .............................. 217 1.1.2 Vermittlung von firmenspezifischem Wissen ................. 220 1.1.3 Vermittlung von firmenspezifischem Wissen mittels E-Learning ...................................................................... 221 1.1.4 Auswertung des Pilotprojekts und Rückschlüsse........... 223 2 Qualifizierungsbausteine für international tätige Fach- und Führungskräfte.................................................................................... 226 2.1 Erschließung internationaler Märkte .......................................... 226 2.2 Kaufmännische Grundlagen von Auslandsgeschäften ............... 228 2.3 Internationales Vertragsrecht ..................................................... 229 2.4 Internationales Projektmanagement ........................................... 229 2.5 Interkulturelles Training............................................................. 232 2.6 Internationale Personalentwicklung ........................................... 233 2.7 Arbeiten im multikulturellen Team ............................................ 235 3 Qualifizierungsmaßnahmen für die Internationalisierung von Dienstleistungen in China................................................................... 236 3.1 Interkulturelles Training China .................................................. 236 3.2 Erfolgreich Verhandeln mit Chinesen ........................................ 237 3.3 Mitarbeiterführung, -bindung und -motivation .......................... 239 3.4 Relevante rechtliche Grundlagen im Chinageschäft .................. 242 7
Zusammenfassung der Erkenntnisse aus den einzelnen Umsetzungsfeldern ................................................................................. 245 Klaus J. Zink, Dunja B. Eberhard; Institut für Technologie und Arbeit e.V., TU Kaiserslautern; Projekt InProDi
1 Typologisierung von Dienstleistungen Klaus J. Zink, Dunja B. Eberhard
Abstract Für produzierende Unternehmen gewinnen ergänzend zu Sachgütern erbrachte Dienstleistungen zunehmend an Relevanz. Durch diese, als industrielle Dienstleistungen bezeichneten Marktleistungen, lassen sich zusätzliche Potenziale realisieren, die sich aus dem Umgang mit der Komplexität industrieller Produkte ergeben. Im vorliegenden Beitrag werden Dienstleistungen zunächst von anderen Marktleistungen abgegrenzt und industrielle Dienstleistungen als ergänzende „Produktbestandteile“ vorgestellt. Basierend auf einem erweiterten Produktverständnis sind Produkte als Bündel aus Sach- und Dienstleistungen zu verstehen. Fasst man Produkte als Teil einer Leistung auf, deren Wirkung zur Problemlösung beim Nachfrager führt, wird die Aufgabe, welche industriellen Dienstleistungen zukommt, deutlich. Die Bündelung der Sachleistung mit Dienstleistungen erreicht beim Nachfrager einen höheren Nutzen als lediglich die Sachleistung allein und führt damit beim Anbieter zur Ausweitung des marktfähigen Leistungsportfolios.
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Spezifische Problemstellung
Produzierende Unternehmen in Deutschland leisten mit mehr als einem Viertel aller Beschäftigten einen entscheidenden Beitrag zur gesamten Wertschöpfung, wobei der Übergang in eine „nachindustrielle“ Gesellschaft in Deutschland deutlich langsamer verläuft, als in anderen westlichen Gesellschaften wie z.B. den USA (Statistisches Bundesamt 2008). Industrielle Produkte zeichnen sich in aller Regel dadurch aus, dass sie über eine hohe (technische) Komplexität verfügen. Dies eröffnet für den Hersteller zusätzliche Potenziale, industrielle Dienstleistungen entlang des gesamten Lebenszyklus der Produkte anzubieten. In diesem Kontext sind daher auch neue Modelle der Vermarktung zu prüfen, bei denen das industriell gefertigte Produkt um eine produktbegleitende Dienstleistung ergänzt wird.
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Konstitutive Merkmale von Dienstleistungen
Das zentrale Merkmal von Dienstleistungen ist deren immaterielle Natur. Zur präzisen Beschreibung einer Dienstleistung ist diese Charakterisierung jedoch nicht ausreichend. Es sind weitere Definitionen heranzuziehen und zu kombinieren
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(Hilke 1989). Erst aus der Integration von drei konstitutiven Dimensionen lässt sich eine Dienstleistung hinreichend genau charakterisieren. Die erste Dimension ist die Potenzialorientierung. Dieser Dimension entsprechend sind Dienstleistungen von Menschen oder Maschinen geschaffene Potenziale bzw. Fähigkeiten eines Dienstleistungsanbieters. Diese Potenziale erlauben es, eine spezifische Leistung für einen Nachfrager der Dienstleistung zu erbringen (Meyer u. Mattmüller 1987). Als zweite Dimension lässt sich eine prozessorientierte Dimension heranziehen. Aus dieser resultiert ein Verständnis von Dienstleistungen als der Bedarfsdeckung Dritter dienender Prozesse, deren Wirkung sowohl materiell als auch immateriell ausfällt. Der Vollzug und die Inanspruchnahme dieser Prozesse erfordern einen synchronen Kontakt zwischen „Leistungsanbieter“ und „Leistungsabnehmer“ bzw. deren Objekte (Berekoven 1983). Für eine umfassende Charakterisierung von Dienstleistungen ist drittens eine ergebnisorientierte Betrachtung erforderlich. Eine (Dienst-)Leistung ist dementsprechend nicht nur durch den Prozess selbst, sondern auch durch dessen Ergebnis zu beschreiben, da lediglich das Ergebnis am Markt zu realisieren ist. Dienstleistungen sind zwar zwingend dadurch gekennzeichnet, dass sie immateriell sind und am Markt vertrieben werden, allerdings lässt sich umgekehrt nicht feststellen, dass alle immateriellen Güter, die auf dem Markt angeboten werden, den Dienstleistungen zuzurechnen sind (Maleri 1997). Nur die phasenbezogene Integration dieser drei Eigenschaften von Dienstleistungen beschreibt diese adäquat. Das Dienstleistungsergebnis resultiert aus den Fähigkeiten und der Bereitschaft des Anbieters auf die Nachfrage als externes prozessauslösendes und prozessbegleitendes Element zu reagieren (Meffert u. Bruhn 2006). Die drei Dimensionen zur Abgrenzung von Dienstleistungen sowie die notwendige Integration des Kunden in den Dienstleistungserbringungsprozess zeigt Abbildung 1.
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Dienstleistungen als Produkttyp
Die drei Dimensionen Potenzialorientierung, Prozessorientierung und Ergebnisorientierung von Dienstleistungen grenzen diese von anderen Leistungen eines Unternehmens ab. Dienstleistungen sind – bezogen auf das Potenzial – ausschließlich ein immaterielles Leistungsangebot, für dessen Leistungserbringung ein externer Faktor zwingend ist. Die Erbringung der Dienstleistung führt allerdings im Ergebnis zu einem materiellen oder immateriellen Produktionsergebnis. Am Beispiel der Wartung wird dieser notwendige Fremdfaktor deutlich: Zur Leistungserbringung ist es notwendig, dass der die Leistung beziehende Partner das zu wartende Objekt zur Verfügung stellt. Ergänzend zu dem engen Verständnis einer Dienstleistung sind in einem weiteren Verständnis auch Leistungen den Dienstleistungen zuzuordnen, die als immaterielle Leistung angeboten und auch erbracht
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werden, aber keinen Beitrag des Nachfragers zur Leistungserbringung erfordern. In diesem Fall wird von Quasi-Dienstleistungen, wie bspw. Dokumentationen, gesprochen (Knoblich u. Oppermann 1996).
Abb. 1. Phasenbezogener Zusammenhang zwischen den drei konstitutiven Dimensionen von Dienstleistungen (Hilke 1989)
Aufgrund der dreidimensionalen Betrachtung sind die immateriell erbrachten Dienstleistungen von den materiell erbrachten Sachleistungen abzugrenzen. Diese manifestieren sich in einem materiellen Objekt als Ergebnis der Leistungserbringung. Sachleistungen können einerseits standardisiert sein, wodurch die Leistung ohne Beteiligung des Abnehmers entstehen kann. Andererseits können Sachleistungen individualisiert sein und daher auf Anforderungen des Abnehmers beruhen, so dass ein Auftrag im Sinne eines für die Leistungserbringung eingebrachten Fremdfaktors notwendig ist (Knoblich u. Oppermann 1996). Industrielle Dienstleistungen werden im Allgemeinen von einem Industrieunternehmen für interne oder externe Zwecke erbracht. Die Dienstleistungen für Externe können in Sekundär- und Primärdienstleistungen unterteilt werden. Primärdienstleistungen sind eigenständige Absatzleistungen und vom Grundprodukt losgelöst. Auch von reinen Dienstleistungsunternehmen für Industrieunternehmen erbrachte Primärdienstleistungen zählen in diesem Verständnis zu industriellen Dienstleistungen. Im Unterschied zu Primärdienstleistungen werden Sekundär-
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dienstleistungen ergänzend zu einem (materiellen) Hauptprodukt angeboten. Diesen Charakter beschreibt der Begriff der „produktbegleitenden“ Dienstleistungen. Die Ergänzung des Produktangebots um die Dienstleistung dient im Sinne des Verständnisses von Produkten als Leistungsbündel zu einer verbesserten Problemlösung (Killinger 1999).
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Produkte und Dienstleistungen als Leistungsbündel
Nach der Einordnung industrieller Dienstleistungen in das Leistungsspektrum der Unternehmen sollen nun Sachgüter und Dienstleistungen als Bündel von Eigenschaften charakterisiert werden. Zweck dieser Leistungsbündel ist es, die Wünsche und Bedürfnisse tatsächlicher und potenzieller Abnehmer umfassend zu befriedigen (Schubert 1991). In diesem Verständnis steht die Leistungserbringung im Sinne einer Problemlösung (wie bspw. Entwicklungs-, Beratungs- und Koordinationsleistungen) im Vordergrund (Kotler 1977). Die Bündelung von Produkten und Dienstleistungen liegt immer dann vor, wenn zwei oder mehrere verschiedene Absatzleistungen zu einem gemeinsamen Preis angeboten werden (Roth 2006).
Abb. 2. Marketing-Verbund-Kasten (nach Hilke 1989)
Durch dieses generische Verständnis von Produkten und Dienstleistungen als Bündel von Eigenschaften wird die Dichotomie von Sach- und Dienstleistungen aufgelöst und so eine theoretische Basis für die Integration von Sach- und Dienstleistungen in ein gemeinsames „Produkt“ gefunden (Engelhard et al. 1993). Insofern besteht jedes Produkt aus einer Kombination von Sach- und Dienstleistungen (vgl. Abb. 2). Der Produkt- und Dienstleistungsanteil des Leistungsbündels bestimmt dabei den Materialisierungsgrad.
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Zusammenfassende Bewertung
Grundsätzlich unterscheiden sich Dienstleistungen von anderen am Markt erbrachten Leistungen insbesondere durch ihre Immaterialität. Daher ist es für das Anbieten von Dienstleistungen zwingend, dass der Nachfrager das Potenzial des Leistungserbringers (an)erkennt. Die Realisierung des Anbieter-Potenzials im Rahmen einer Dienstleistung muss darüber hinaus zu einer erkennbaren Wirkung bzw. einem Ergebnis führen. Bei einer engen Interpretation einer Dienstleistung ist diese auch auf einen Beitrag durch den Nachfrager angewiesen, bspw. indem dieser das durch die immaterielle Leistung betroffene materielle Objekt zur Verfügung stellt. Ein weiteres Beispiel dieses „Fremdfaktors“ kann die Einbindung der Leistungserbringung in die Prozesse des „Leistungsabnehmers“ sein. Werden Produkte als Teil einer Leistung verstanden, deren Wirkung zur Problemlösung beim Nachfrager führt, kommt das Potenzial industrieller Dienstleistungen zum Tragen. Die Bündelung der Sachleistung mit Dienstleistungen erreicht beim Nachfrager einen höheren Nutzen als nur die Sachleistung und führt damit beim Anbieter zur Ausweitung des marktfähigen Leistungsportfolios.
Literatur Berekoven L (1983) Der Dienstleistungsmarkt in der BRD. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Engelhard WH, Kleinkaltenkamp M, Reckenfelderbäumer M (1993) Leistungsbündel als Absatzobjekte. In: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 45 (5), S 395-426 Hilke W (1989) Grundprobleme und Entwicklungstendenzen des DienstleistungsMarketing: In: Hilke W (Hrsg) Dienstleistungsmarketing. Gabler, Wiesbaden, S 5-44 Killinger S (1999) Kernproduktbegleitende Dienstleistungen - Dienstleistung im Leistungsspektrum industrieller Unternehmen: In: Corsten H, Schneider H (Hrsg) Wettbewerbsfaktor Dienstleistung. Vahlen, München, S 130-161 Knoblich H, Oppermann R (1996) Dienstleistung - ein Produkttyp. In: Der Markt 35 (136), S 13-22 Kotler P (1977) Marketing-Management. Stuttgart Maleri R (1997) Grundlagen der Dienstleistungsproduktion. 4. Aufl, broschiert, Berlin Meffert H, Bruhn M (2006) Dienstleistungsmarketing. 5. Aufl, Gabler, Wiesbaden Meyer A, Mattmüller R (1987) Qualität von Dienstleistungen. Entwurf eines praxisorientierten Qualitätsmodells. In: Marketing ZFP 9 (3), S 187-195 Roth S (2006) Preismanagement für Leistungsbündel. Gabler, Wiesbaden Schubert B (1991) Entwicklung von Konzepten für Produktinnovationen mittels Conjointanalyse. Schäffer-Poeschel, Stuttgart Statistisches Bundesamt (2008) Statistisches Jahrbuch 2008 - Für die Bundesrepublik Deutschland. SFG Servicecenter Fachverlage, Wiesbaden
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Lösungsansätze für Herausforderungen interkultureller Zusammenarbeit am Beispiel des Offshorings von ITDienstleistungen
Jan H. Schumann, Daniel Hammes, Florian von Wangenheim, Andreas Steinbach
Abstract Im Laufe der letzten Jahre haben immer mehr IT-Dienstleister Geschäftsprozesse in Länder mit niedrigerem Lohnniveau, vornehmlich nach Indien und China, verlagert. Ziel dieses Offshorings ist es, der gestiegenen Wettbewerbsintensität und dem Kostendruck der Märkte gerecht zu werden. Viele Unternehmen mussten jedoch feststellen, dass sich die erhofften Einsparpotenziale nur zum Teil realisieren lassen. Bedingt durch interkulturelle Differenzen und die Charakteristika der virtuellen Kommunikation können im Rahmen der Zusammenarbeit bei solchen Projekten eklatante Ineffizienzen auftreten. Der vorliegende Beitrag beleuchtet diese Herausforderungen. Basierend auf einer qualitativen Befragung von Mitarbeitern zweier weltweit agierender IT-Dienstleister werden potenzielle Problemfelder identifiziert, die beim Offshoring von IT-Dienstleistungen nach China oder Indien auftreten können sowie Lösungsansätze zur Überwindung der interkulturellen Differenzen und Ansätze zur Personalentwicklung für die an solchen Projekten beteiligten Mitarbeiter aufgezeigt.
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Spezifische Problemstellung
In den letzten Jahren konnte im Bereich von IT-Dienstleistungen eine zunehmende Auslagerung in Länder mit deutlich niedrigeren Lohnkosten für IT-Fachkräfte beobachtet werden. Die Wertigkeit der Arbeiten, welche „offshore“ erbracht werden können, ist dabei in jüngerer Vergangenheit stetig höher geworden (Schaaf 2005). Während es anfänglich in erster Linie einfachere Programmierleistungen waren, die ausgelagert wurden, verstärken immer mehr große – aber auch mittelständische – Unternehmen aus der IT-Branche ihre Bemühungen, komplexere Teile ihrer Dienstleistungen im Ausland erstellen zu lassen (Pohl 2005). Zwei Länder, die dabei als Offshore-Destinationen besonders im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, sind Indien und China. Indien ist nach wie vor der welt-
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weit führende Offshore-Anbieter von IT-Dienstleistungen, in dessen Technologiezentren, wie z.B. in Bangalore, Leistungen für fast alle großen Unternehmen der Welt erstellt werden (Pohl 2005). Seit den Anfängen der Offshore-Entwicklung konnte Indien enorme Wachstumsraten in diesem Bereich verzeichnen und laut der National Association of Software and Service Companies 2006/2007 ITLeistungen im Gesamtwert von rund 18 Milliarden Dollar exportieren (Nasscom 2009). Neben Indien ist China als Zielland für das Offshoring von ITDienstleistungen immer stärker in den Fokus der Unternehmen gerückt (Boes u. Schwemmle 2004; Schaaf 2005). Die im Vergleich zu westlichen Industrienationen geringen Arbeitskosten bilden auch hier einen Anreiz. Darüber hinaus haben aber auch eine immer besser werdenden Kommunikations- und TransportInfrastruktur sowie staatliche Programme zur Stärkung der IT-Industrie den Aufund Ausbau von Entwicklungszentren unterstützt (Sahay et al. 2003; Yahya 2002). So groß wie die betriebswirtschaftlichen Anreize auch sind, so hoch sind die Anforderungen, die an das Management dieser Offshore-Projekte zu stellen sind. Erfahrungen zeigen, dass sich die virtuelle Zusammenarbeit mit indischen oder chinesischen Partnern über weite Distanzen hinweg oft schwierig gestaltet (Kobitzsch et al. 2001). Neben rein organisatorischen Herausforderungen sind es insbesondere die großen Kulturunterschiede zwischen den deutschen und asiatischen Mitarbeitern, welche den Erfolg eines Offshore-Projekts entscheidend beeinflussen (Pye 1982; Schaaf u. Weber 2005). Kulturelle Unterschiede, welche sich insbesondere auf die Kommunikation und damit die Zusammenarbeit auswirken, sind z.B. unterschiedliche Einstellungen zur Zeit (Hall u. Hall 1990), zur Akzeptanz von Autorität (Hofstede 1993) oder zum Phänomen des „Gesicht-wahrens“ (Redding 1993). Viele Unternehmen, welche den Weg des Offshoring gegangen sind, sind zu der Erkenntnis gekommen, dass ein großer Teil der Einsparungen in den Lohnkosten durch zusätzlichen Kommunikations- und Managementaufwand wieder verloren gehen kann (Kobitzsch et al. 2001). Eine Verringerung dieser Prozessverluste und eine Verbesserung der interkulturellen Zusammenarbeit sind für diese Unternehmen daher von hoher wirtschaftlicher Bedeutung. Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel zentrale Herausforderungen aufzuzeigen, welche sich in der interkulturellen Zusammenarbeit bei ITOffshore-Projekten zwischen Deutschen und Asiaten ergeben können. Darauf aufbauend werden in einem nächsten Schritt Handlungsempfehlungen abgeleitet, welche IT-Unternehmen helfen können, diese Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen und dadurch Wettbewerbsvorteile zu generieren.
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Herausforderungen bei Offshoring-Projekten
Herausforderungen entstehen beim Offshoring von IT-Dienstleistungen nach Indien oder China vornehmlich durch zwei Problemquellen, welche typisch für derartige Projektkooperationen sind: Zwischen den Fachkräften auf deutscher Seite
Herausforderungen interkultureller Zusammenarbeit
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und denen auf Seiten des asiatischen Offshore-Anbieters bestehen deutliche kulturelle Unterschiede, welche sich in unterschiedlichen Verhaltens- und Arbeitsweisen äußern. Außerdem fehlt in der Zusammenarbeit der Projektpartner oftmals der unmittelbare physische Kontakt, d.h., die Zusammenarbeit verläuft weitgehend virtuell. Hinweise zu den Ursachen von Problemen in der interkulturellen Zusammenarbeit finden sich in den Arbeiten von Hofstede (1993; 1997) oder Hall (1976; 1990), welche zur Beschreibung von Unterschieden zwischen einzelnen Kulturen Kategorien wie Machtdistanz, Individualismusausprägung oder Zeitverständnis identifiziert haben. So ist bspw. die Autoritätsakzeptanz in Asien sehr viel stärker ausgeprägt, was bewirkt, dass die Kommunikation hierarchisch von oben nach unten stattfindet und offen geführte fachliche Diskussionen zwischen unterschiedlichen Hierarchiestufen nicht üblich sind. In asiatischen Ländern wird häufig auch ein autokratischer Führungsstil bevorzugt, welcher von den Angestellten im Allgemeinen akzeptiert und geschätzt wird (Keller 1995). Führungsinstrumente, wie das in den USA entwickelte und auch in Deutschland erfolgreich eingesetzte „Management by Objectives“1, werden in den asiatischen Ländern mit hoher Machtdistanz selten angewandt, da die Form des Verhandelns zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten nicht der Kultur der Beteiligten entspricht und sie sich dabei unwohl fühlen würden (Hofstede 1993). Die im Vergleich zu Deutschland geringere Individualismusausprägung von Menschen in Asien hat Auswirkungen auf die Organisation von Arbeit und die Anwendung von Motivationsmethoden. Während in Deutschland ein eher autonomes Arbeitsumfeld angestrebt wird, in dem jeder seinen persönlichen Freiraum hat und die Ausbildung generalistische Charakteristika aufweist, steht dem in Asien tendenziell eine Organisation mit vielen Spezialisten für einzelne Fachgebiete gegenüber, in welchem jeder Angestellte nur einen eng definierten Aufgabenbereich bearbeitet. Daneben ist im asiatischen Raum die hohe Bedeutung der Beziehungsqualität zu Kollegen und Vorgesetzten zu beachten. Neben finanziellen Anreizen ist es daher sehr wichtig, dem einzelnen Mitarbeiter ein Gefühl der Gruppenzugehörigkeit zu geben (Steinbach u. SchrollMachl 2005). Im Vergleich zu Deutschland, wo die Zeit einen zentralen Aspekt der Kultur darstellt und Werte wie Pünktlichkeit einen hohen Stellenwert haben (Hall u. Hall 1990), ist in asiatischen Ländern eine polychronistische Zeitauffassung sehr verbreitet. Dies beinhaltet, dass Pünktlichkeit nur einer von vielen Werten ist und Termine eher eine Richtfunktion als einen Pflichtcharakter haben (Trompenaars 1993). Ein weiterer wichtiger Aspekt asiatischer Kulturen ist das Gebot von Harmonie im Umgang miteinander, welches darauf abzielt, dass alle Personen ihr Gesicht, 1 Unter „Management by Objectives” versteht man ein System der Zielvereinbarung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern, in denen sich der Mitarbeiter dazu verpflichtet, bestimmte Ziele zu erreichen. In regelmäßig (z.B. halbjährlich) stattfindenden Besprechungen wird die Leistung beurteilt, und es werden ggf. neue Ziele für den nächsten Beurteilungszeitraum festgelegt.
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d.h. ihre Würde bewahren (Redding 1993). Konkret bedeutet dies bspw., dass Probleme oder Fehler, wenn überhaupt, indirekt angesprochen werden und eine offene Konfrontation absolut vermieden wird. Besondere Herausforderungen ergeben sich, wenn die interkulturelle Zusammenarbeit in einem virtuellen Team stattfindet. Virtuelle Teams zeichnen sich dadurch aus, dass sie räumlich, organisatorisch und/oder zeitlich getrennt, durch Telekommunikation verbunden sind und dabei eine oder mehrere gemeinsame AufAufgaben zu erfüllen haben (Jarvenpaa u. Leidner 1999). Bei jeder Zusammenarbeit mehrerer Personen kommt aufgabenbezogenen Prozessen, wie der Kommunikation und Koordination, eine wichtige Bedeutung zu, die durch die räumliche Trennung der Gruppenmitglieder jedoch gleichzeitig besondere Herausforderungen bergen. Speziell die Kommunikation wird allgemein als Schlüsselerfolgskriterium gesehen (Suchan u. Hayzak 2001). Als hinderlich erweist sich dabei, dass in internationalen virtuellen Kooperationen, wie dies bei Projekten mit Asiaten der Fall ist, das Wissen bzgl. des Kunden und Projektes unterschiedlich verteilt ist und die Gruppenmitglieder keine gemeinsame Muttersprache haben (Cramton 2001). Daneben begrenzt die weitreichende Abhängigkeit virtueller Teams von IuKTechnologien die Kommunikationsprozesse zwischen den Teammitgliedern. Insbesondere nonverbale Kommunikation, welcher in der Verständigung innerhalb von Teams eine besondere Bedeutung zugemessen wird, findet selten statt (Sproull u. Kiesler 1986). Als Mittel, die Effektivität von Teamkommunikation und damit auch die Teamleistung zu steigern, wird empfohlen, sehr häufig und umfangreich zu kommunizieren und dabei vereinbarte Termine strikt einzuhalten (Jarvenpaa u. Leidner 1999). Auch die Koordination, d.h. die Abstimmung von Aufgaben einzelner Organisationseinheiten, wird durch die virtuelle Gestaltung des Arbeitsumfeldes erschwert (Warkentin u. Beranek 1999). Wenn innerhalb solcher virtueller Kooperationen auch kulturelle Unterschiede bei den Teammitgliedern existieren, verstärkt dies oftmals die Schwierigkeiten, da Fehlinterpretationen über den Inhalt von Aufgaben schneller auftreten können (Johansson et al. 1999). Als positive Einflussfaktoren für eine funktionierende Abstimmung werden regelmäßige persönliche Treffen herausgestellt sowie Bemühungen kulturelle Barrieren zu reduzieren (Robey et al. 2000). Darüber hinaus wird auch eine weitgehende Standardisierung von Leistungen und Prozessen als Möglichkeit genannt, die Koordination innerhalb virtueller Teams zu erleichtern (Sahay et al. 2003). Für den Erfolg von virtuellen Kooperationen sind gegenseitiges Vertrauen und Teamzusammenhalt die wichtigsten Voraussetzungen (Maznevski u. Chudoba 2000). Um einen solchen Vertrauensaufbau zu fördern, bieten sich insbesondere persönliche Treffen an, bei denen die Teammitglieder persönliche Beziehungen aufbauen können, welche die Basis für eine spätere Zusammenarbeit bilden (Robey et al. 2000). Alternativ wird der verstärkte Austausch von sozialer Kommunikation genannt, der eine emotionale Bindung zwischen den entfernt sitzenden Teammitgliedern ermöglicht. Die Förderung solcher sozialer Beziehungen, z.B. durch fest installierte Chat-Sessions oder einen humorvollen Umgangston, wird von den Führungskräften virtueller Teams als eine wichtige Aufgabe herausges-
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tellt (Kayworth u. Leidner 2002). Der Anspruch an eine solche vertrauensvolle Basis kann dabei jedoch auch kulturell variieren, wobei die beziehungsorientierten Kulturen Asiens größeren Wert auf derartige persönliche Verbindungen legen, als westliche Kulturen (Steinbach u. Schroll-Machl 2005). Die vorliegende Untersuchung ermittelt explorativ, welche Ergebnisse der zitierten Studien (zu den interkulturellen Unterschieden und virtuellen Teams) sich in konkreten Praxissituationen wiederfinden lassen und welche neuen Erkenntnisse gewonnen werden können. Hieraus werden dann in einem weiteren Schritt Handlungsempfehlungen abgeleitet, welche geeignet erscheinen, den Ablauf von zukünftigen IT-Offshore-Projekten zu optimieren.
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Methodische Grundlagen der empirischen Untersuchung
In Anbetracht der Zielformulierung wurde für die Untersuchung ein qualitatives Forschungsdesign gewählt, welches dem explorativen Charakter der Studie gerecht wird. Somit wird gewährleistet, dass die Interviewten den Gesprächsverlauf relativ frei bestimmen und wichtige Erfahrungen akzentuieren können (Maindok 1996). Dem Interviewer kam dabei die Aufgabe zu, anhand eines vorher erstellten Leitfadens, welcher die Untersuchungsschwerpunkte grob skizzierte, den Gesprächsfluss der befragten Personen zu lenken, ohne ihn allerdings wesentlich zu beeinflussen, um so einen vergleichbaren Ablauf aller Befragungen zu gewährleisten (Witzel 1982).
3.1 Probandenauswahl und Datenerhebung Im Gegensatz zu quantitativen Studien, bei denen die statistische Repräsentativität als Qualitätsmerkmal gilt, ist bei qualitativen Studien „theoretische Repräsentativität“ zu gewährleisten (Hermanns 1992). Daher wurden keine Zufallsstichproben gezogen, vielmehr möglichst „typische“ Fälle für die Befragung ausgewählt (Lamnek 1995), die hinsichtlich ihrer Relevanz bzgl. der inhaltlichen Fragestellung geeignet erschienen (Kepper 1994). Die Stichprobe bestand aus Mitarbeitern der Unternehmen HP Deutschland GmbH und der SAP Deutschland AG & Co. KG, die durch ihre Tätigkeit auf umfangreiche Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Chinesen bzw. Indern zurückblicken konnten. Der Aufgabenbereich der Interviewten war unterschiedlich und reichte von einem Projektleiter deutschasiatischer Offshoring-Projekte bis zum internen Beauftragten für die Implementierung von asiatischen Entwicklungseinheiten in den Prozess der Erstellung von Software. Insgesamt wurden 13 Männer und Frauen befragt, von denen zwei nichtdeutscher Herkunft waren. Die durchschnittliche Dauer der jeweiligen Gespräche lag bei ca. 45 Minuten.
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3.2 Auswertung der Interviews Zur Analyse des Datenmaterials wurden die Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse und der induktiven Kategorienbildung angewendet (Mayring 1999; 2003). Die vorliegenden Interviewtexte sind zunächst zeilenweise untersucht und je nach Relevanz für die Untersuchungsthematik einer Kategorie zugeordnet worden. Das Selektionskriterium für die Kategorienbildung war zuvor aufgrund theoretischer Überlegungen festgelegt worden. Nach Durchsicht eines Drittels des Interviewmaterials erfolgte eine Revision der Kategorien, da bei der Analyse neue, für die Untersuchung wichtige Auswertungsaspekte auftraten. Im Anschluss wurde dann ergänzend die Methodik der zusammenfassenden Inhaltsanalyse genutzt, um aus den jeweiligen Textstellen, welche den Kategorien zugeordnet worden waren, Kernaussagen zu formulieren.
3.3 Darstellung der Ergebnisse der empirischen Untersuchung Die Darstellung der Ergebnisse orientiert sich in ihrer Reihenfolge an den Phasen des Offshoring-Prozesses aus Unternehmensperspektive: Zu Beginn werden ausführlich die Herausforderungen dargestellt, die im Verlauf der Zusammenarbeit zu Tage getreten sind, um dann die Methoden und Maßnahmen zur Lösung dieser Schwierigkeiten, welche von den beteiligten Unternehmen verfolgt werden, zu beschreiben. Die Anzahl der jeweiligen Nennungen entspricht der Anzahl der interviewten Personen, die den betreffenden Aspekt als relevant bezeichnet haben. Bei der Darstellung wird zum großen Teil auf eine Differenzierung zwischen Erfahrungen mit chinesischen oder indischen Offshore-Kollegen verzichtet, da in den Beschreibungen der Interviewten eine hohe Übereinstimmung zwischen den Erfahrungen bestand. Die Bezeichnung „asiatische“ Fachkräfte oder die „Asiaten“ ist demnach als Zusammenfassung der beiden Gruppen zu sehen, die lediglich der Vereinfachung dient. Wenn sich ein Aspekt explizit nur auf eine Nationalität bezieht, ist dies entsprechend gekennzeichnet.
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4 Herausforderungen in IT-Offshorekooperationen (Ergebnisse der empirischen Untersuchung)
4.1 Allgemeine Kommunikationsprobleme Missverständnisse und allgemeine Kommunikationsprobleme zwischen Kollegen kommen in vielen Teams vor, insbesondere wenn es sich um virtuelle Teams handelt, die in hohem Maße auf technische Kommunikationsmittel angewiesen sind (Johansson et al. 1999). Auch die befragten Personen in dieser Untersuchung berichten über solche Herausforderungen, deren Ursprung nicht unmittelbar in kulturbedingten Verhaltensweisen liegen (vgl. Abb. 1). So entstünden aus mehreren Gründen Verständigungsschwierigkeiten zwischen den deutschen und den asiatischen IT-Kräften. Ein Faktor sei dabei die Kommunikation, die im Rahmen solcher Projekte auf Englisch erfolge.
Abb. 1. Darstellung der allgemeinen Kommunikationsprobleme und Anzahl der jeweiligen Nennungen
Während bei chinesischen Kollegen oftmals generelle Sprachdefizite festzustellen seien, sei es auf Seiten der Inder häufig deren Aussprache, welche aus Sicht der Deutschen die Kommunikation erschwere. Diese Schwierigkeiten erweisen sich als schwerwiegend, da die Abstimmung in den virtuell organisierten Kooperationen häufig über Telefon erfolge. Auch auf Seiten der deutschen Mitarbeiter sei nach Aussage der Befragten häufig festzustellen, dass es Probleme bereite, Fachdiskussionen auf Englisch zu führen, da ihnen hierzu oft die Sprachkenntnisse fehlen würden, was die Zusammenarbeit erschwere. Ein allgemeines Problem einer Kommunikation per E-Mail liege darin, dass nonverbale Feinheiten der Kommunikation nicht übertragen würden, wie es bei Face-to-FaceKommunikation üblich sei, um bspw. die relative Bedeutung einer Information zu betonen (Kayworth u. Leidner 2002). Probleme würden dadurch entstehen, dass
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Mitglieder eines entfernt postierten Teams scheinbar weniger wichtige Informationen nicht beachten und dadurch einen unterschiedlichen Informationsstand haben oder Missverständnisse entstehen (Cramton 2001). Solche Missverständnisse können sich, laut Aussage einiger Interviewter, schnell zu beträchtlichen atmosphärischen Störungen entwickeln, wenn beide Parteien den Eindruck bekämen, dass ihre Anliegen vom Kollegen nicht ernst genommen würden oder keine Antwort auf Fragen einginge. Außerdem würden bisweilen auch Wissensdefizite auf Seiten der asiatischen IT-Kräfte bei spezifischen betriebswirtschaftlichen Themen, wie bspw. dem deutschen Mehrwertsteuerkonzept, existieren, welche eine ausführlichere Kommunikation erforderlich machen. Erfolgt diese nicht, weil solches Wissen aus deutscher Sicht als selbstverständlich vorausgesetzt werde, würden daraus oftmals Missverständnisse und Schwierigkeiten im Projektablauf resultieren. Eine weitere Ursache für unterschiedlich interpretierte Informationen könne nach Ansicht einiger Befragter darin liegen, dass jeder Kommunikationsinhalt anhand gewisser Basisannahmen analysiert werde, die jeder Mensch treffe. Deutsche und Asiaten verfügen allerdings über unterschiedliche Basisannahmen. Diese Annahmen können sowohl kulturell geprägt sein, wie die Einstellung zur Pünktlichkeit, oder auch professionell, z.B. welcher Programmierstil benutzt werde (Johansson et al. 1999). Da solche Annahmen meist unbewusst getroffen würden, weil sie in der Interaktion mit den heimischen Kollegen als selbstverständlich vorausgesetzt werden können, sei es für beide Seiten schwierig, diesen Missverständnissen durch umfangreichere Kommunikation vorzubeugen. Neben diesen eher allgemeinen Schwierigkeiten internationaler Projektarbeit gebe es auch Herausforderungen, deren Ursachen unmittelbar in kulturbedingten Verhaltensweisen zu sehen seien.
4.2 Kulturelle Besonderheiten auf asiatischer Seite Die Befragten berichten, dass in der Unternehmenspraxis eine Vielzahl von Verhaltensweisen aufgetreten seien, die durch einen unterschiedlichen kulturellen Hintergrund erklärt werden können. Die Interviewten differenzierten jedoch oft dahingehend, dass diese Herausforderungen vor allem im Umgang mit jungen und unerfahrenen Kollegen in den Offshoreländern aufträten, während die Zusammenarbeit mit erfahrenen Asiaten weitgehend problemlos sei. Ein zentraler Aspekt der asiatischen Kulturen sei die Orientierung der eigenen Handlungen an dem Gebot, die eigene Würde und die der Mitmenschen zu respektieren. In diesem Zusammenhang wird auch oft der Ausdruck „Gesicht wahren“ verwandt (Redding 1993). Dass ausnahmslos alle Befragten im Rahmen ihrer Tätigkeit mit chinesischen oder indischen Kollegen diesem Verhalten begegnet sind (vgl. Abb. 2), überrascht daher nicht. Die Vielzahl unterschiedlicher Auswirkungen für die Unternehmenspraxis hingegen schon. So wurde berichtet, dass Asiaten Schwierigkeiten hätten, offen zuzugeben, wenn sie sich in einer Thematik nicht
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auskennen oder einen Sachverhalt nicht verstehen würden, da ein ehrliches Geständnis ihres eigenen Nichtwissens in ihren Augen offenbar sehr unangenehm und entwürdigend sei. Schulungen von Deutschen für asiatische Kollegen seien daher äußerst problematisch, da die deutschen Fachkräfte die, wenn überhaupt, indirekt geäußerten Verständnisschwierigkeiten nicht erkennen würden.
Abb. 2. Darstellung der kulturellen Eigenarten asiatischer Mitarbeiter und Anzahl der jeweiligen Nennungen
Die Interviewten berichteten, dass in anderen Situationen deutsche OffshoreAufträge von den asiatischen Kollegen nicht bearbeitet worden seien, da ein Problem auftrat, aber die eigene Würde es vermutlich verboten habe, nach weiteren Informationen zu fragen. Ein weiterer Grund liege eventuell darin, dass deutsche Kollegen bei Rückfragen bisweilen recht unfreundlich reagierten, da die Antwort aus ihrer Sicht selbstverständlich sei und sich die asiatischen Offshore-Kräfte weitere derartige Kommunikation ersparen wollten. Auch ein anderes Verhalten wurde häufig von den Interviewten beobachtet. So wurden Aufträge so bearbeitet, wie es aus Sicht der asiatischen Offshore-Fachkräfte sinnvoll erschien, ohne nach notwendigen weitergehenden Informationen zu fragen, da dies in ihren Augen vermutlich als Eingeständnis von Unwissen gewertet werden könne. Dies führe in der Konsequenz häufig zu fehlerhaften Ergebnissen, da die deutschen ITFachkräfte fehlendes Nachfragen als vollständiges Verständnis der Aufgabe interpretierten. Die virtuelle Arbeitsumgebung von Offshore-Kooperationen, welche durch eine Kommunikation über Telefon oder E-Mail geprägt ist, fördert Missverständnisse dieser Art ganz offensichtlich, da sämtliche Mimik oder Gesten, welche in persönlichen Gesprächen auf Unklarheiten hindeuten, nicht wahrgenommen werden können und auch Arbeitsanweisungen per E-Mail unterschiedlich interpretiert würden. Weiterhin wurde von den Befragten beobachtet, dass die asiatischen Kollegen oft einen großen Aufwand betreiben, um eigenes Versagen nicht eingestehen zu müssen, sondern um nachzuweisen, dass der Grund für Fehler auf deutscher Seite zu suchen sei.
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Auch das Angebot von deutscher Seite, für bestimmte Arbeiten Hilfestellung zu geben, würde häufig nicht angenommen, um nach Meinung der Interviewten nicht den Eindruck zu erwecken, dass man mit einem Problem nicht allein zurechtkomme. Aus der Perspektive der befragten deutschen IT-Kräfte erschwere dieses Verhalten der Chinesen und Inder sehr häufig fachliche Auseinandersetzungen, da es der deutschen Kultur des sachorientierten und offenen Ansprechens von Problemen widerspreche. Wenn kontroverse Themen diskutiert würden, sei dies mit den asiatischen Fachkräften sehr kompliziert, da sie ihre eigene Meinung nur sehr zögerlich und Kritik nie direkt äußern. Ein konstruktives Feedback auf eine direkte Frage, wie man es von einem deutschen Kollegen erwarten würde, sei daher kaum zu bekommen. Ein Interviewter verwies auch auf die Missverständnisse, die dadurch entstünden, dass es in den indischen und chinesischen Kulturen unüblich sei, nein zu sagen. Dies führe zu Schwierigkeiten, wenn die Angestellten auf deutscher Seite die positive Antwort ihrer Kollegen aus Indien oder China ernst nähmen und dann enttäuscht oder verärgert reagieren würden, wenn sie feststellten, dass die Lieferung zu einem vereinbarten Termin doch nicht möglich sei oder die von den Indern angebotene Fachkraft überhaupt nicht die zugesicherten Qualifikationen aufweise. Dieses Unbehagen der asiatischen IT-Kräfte, Probleme offen zu äußern, könne auch für das Vertrauensverhältnis mit dem deutschen Kollegen oder Kunden negative Folgen haben. So ließ ein indischer Berater unentschuldigt einen Termin mit einem Kunden ausfallen, weil er einen Todesfall in der Familie hatte, was er sich allerdings nicht zu sagen traute. Der Kunde sei darüber sehr verärgert gewesen, weil er den Vorgang so interpretierte, dass das Unternehmen ihn als Kunden nicht wertschätze. Das gesellschaftliche Leben in Asien zeichnet sich u. a. durch eine klare Hierarchieakzeptanz aus. So genießt ein Familienoberhaupt, ein Lehrer oder ein Vorgesetzter deutlich mehr Akzeptanz und Respekt als in Deutschland. Sein Wort ist Gesetz und öffentlicher Widerspruch oder gar Kritik ist verpönt (Hofstede 1993). Diese Einstellung zeige sich nach Aussage der Befragten auch in der Zusammenarbeit in Offshore-Kooperationen. Problematisch sei demnach, wenn in Projekten IT-Kräfte unterschiedlicher Hierarchiestufen miteinander zusammenarbeiten müssten. Auch die traditionell dominierende Rolle des Mannes in der asiatischen Gesellschaft spiele bisweilen in berufliche Kooperationen mit hinein und führe zum Teil zu fehlender Akzeptanz von weiblichen Projektmanagern in Indien. So hatte ein indischer Kollege große Probleme, eine hierarchisch gleichgestellte deutsche Kollegin zu akzeptieren und kooperierte nur äußerst widerwillig, was nach Aussage dieses Befragten kein Einzelfall sei. Die Rolle, welche der Vorgesetzte in Indien übernehme, unterscheide sich ebenfalls von der in Deutschland. So würden indische Fachkräfte von ihren Vorgesetzten genaueste Angaben für ihre Aufträge sowie eine Kontrolle ihrer Arbeit erwarten und darüber hinaus auch noch eine Fürsorgepflicht, die über das Berufliche hinausgehe und auch private Angelegenheiten beinhalte (Trompenaars 1993). Eng verbunden mit dem Aspekt der unbedingten Hierarchietreue ist die Einstellung zur Eigeninitiative. Diesbezüglich herrschen zwischen Deutschen und Asia-
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ten nach Erfahrungen der Interviewpartner deutlich unterschiedliche Ansichten. Mit Arbeitsanweisungen für einen deutschen Kollegen, die Raum für persönlichen Freiraum ließen, würden sich die Kollegen in den Offshore-Ländern unwohl fühlen. Sie würden vielmehr sehr genaue Anweisungen für ihre Arbeit erwarten, welche sie dann auch mit großer Exaktheit ausführen würden. Eigene Überlegungen, die von der Vorgabe abweichen, aber vielleicht eine Verbesserung darstellen würden, stellten sie nie an oder böten sie zumindest nicht offen als Alternative an. Die bereits angesprochene hohe Hierarchieakzeptanz kann hierfür als möglicher Grund genannt werden, denn ein Verbesserungsvorschlag impliziert ja auch, dass die Vorgabe des Vorgesetzten nicht optimal war und der Untergebene sie ungefragt korrigiert. Auch die unterschiedliche Ausbildung in Schulen und Universitäten kann zur Erklärung herangezogen werden. Während in Deutschland die Anwendung von Wissen auf andere Sachverhalte und die eigenständige Weiterentwicklung von Ideen gefördert wird, liegt der Fokus in Indien und China in der möglichst exakten Wiedergabe von auswendig gelerntem Wissen. Für die Unternehmenspraxis sei es daher notwendig, neben zusätzlichem Kommunikationsaufwand für detailliertere Anweisungen, die Arbeit der indischen Kollegen aktiv voranzutreiben und zu kontrollieren. Dass auf deutscher Seite nach Meinung der Interviewpartner eher eine Herangehensweise an eine IT-Lösung üblich sei, die von Anfang bis Ende in Ausprobieren und Weiterentwickeln bestehe, lässt erahnen, dass die deutschen Kollegen nur schwer die Arbeitsweise ihrer asiatischen Kollegen nachvollziehen können und dieses sehr leicht zu Ungeduld und Frustration führt. Es ist jedoch zu erwähnen, dass solch eine passive Verhaltensweise in der virtuellen Zusammenarbeit, unabhängig von kulturellen Unterschieden, auch organisatorische Gründe haben kann. So haben Studien gezeigt, dass bei der Gestaltung von Offshoring-Projekten mit einer weisungsbefugten Partei das Phänomen zu beobachten ist, dass der entfernt sitzende Empfänger von Anweisungen oder Aufträgen jegliche eigenständigen Bemühungen einstellt, wenn er sich vom Projektpartner zu wenig in Entscheidungen involviert fühlt. Bei dem Projektpartner mit Leitungsfunktion stellt sich wiederum das Gefühl ein, alles vorgeben zu müssen, da er wahrnimmt, dass die entfernt stationierten Kollegen nur auf Anweisung handeln (Johansson et al. 1999). Eine weitere Herausforderung liege in der Tatsache, dass Deutsche und Asiaten ein unterschiedliches Zeitverständnis haben (vgl. Abb. 2). Während bei Asiaten Pünktlichkeit nicht allerhöchste Priorität genießt, gilt diese in der deutschen Kultur als ein zentraler Wert (Hall u. Hall 1990). Konkret wurde von befragten Personen kritisiert, dass man sich auf terminliche Zusagen der Offshore-Kollegen häufig nicht verlassen könne und vereinbarte Deadlines für Konferenzen oder die Lieferung von Aufträgen ohne Angabe von Gründen überzogen würden. Damit würden die Kollegen im Offshore-Land gegen eine der wichtigsten Regeln im deutschen Arbeitsleben verstoßen. Die Virtualität des Arbeitsplatzes bringe mit sich, dass auf Seiten der asiatischen Offshore-Partner häufig IT-Kräfte eingesetzt würden, die weder in Deutschland gewesen seien, noch durch persönlichen Kon-
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takt Kenntnis von deutschen Wertvorstellungen erlangen konnten. Sie nehmen demnach womöglich gar nicht wahr, wie sehr ein in ihrem Kulturkreis akzeptiertes Verhalten, das von deutscher Seite in sie gesetzte Vertrauen nachhaltig schädigen kann. Dadurch bestehe nach Aussage einiger Interviewten die Gefahr, dass die Arbeitsatmosphäre dauerhaft leide und sich generelle Vorurteile und Widerstände gegenüber Offshore-Kooperationen festigen würden.
4.3 Kulturelle Eigenarten auf deutscher Seite Durch die Beobachtungen von zwei Personen nichtdeutscher Nationalität und zahlreiche selbstkritische Kommentare der deutschen Interviewpartner konnten auch Verhaltensweisen deutscher IT-Kräfte identifiziert werden, welche für die asiatischen Kollegen Herausforderungen darstellen und einen reibungslosen Projektablauf gefährden (vgl. Abb. 3). Ein Merkmal der IT-Branche sei der hohe Zeitdruck, der regelmäßig bei der Bearbeitung der Projekte herrsche. Gerade vor diesem Hintergrund zeige sich bei deutschen IT-Kräften sehr häufig Ungeduld in der Kooperation mit ihren entfernt sitzenden asiatischen Kollegen, die man persönlich oft nicht kenne und deren Arbeitsweise in keinerlei Weise transparent sei. Durch den enormen Druck von Management- und Kundenseite würden die deutschen Berater sehr forsch und fordernd auftreten. Die Kommunikation mit ihren Offshore-Kollegen sei zuweilen unhöflich und laut, was von den asiatischen ITKräften als aggressiv empfunden werde. Dies wirke sich auf die Zusammenarbeit kontraproduktiv aus, da ein solches Verhalten für die asiatischen Kollegen einen Gesichtsverlust bedeute. Die direkte Ansprache von Schwierigkeiten oder Problemen ist ein weiteres Kennzeichen für die deutsche Arbeitskultur, welche nach Aussage der Interviewten Schwierigkeiten auslöse. So äußerten die Befragten übereinstimmend, dass es eben hierzulande üblich sei, Probleme oder Schwierigkeiten gerade im beruflichen Bereich explizit anzusprechen, wobei der Bezug stets nur auf der Sache und nicht auf der Person liegen würde.
Abb. 3. Darstellung der kulturellen Eigenarten deutscher Mitarbeiter und Anzahl der jeweiligen Nennungen
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Diese Vorgehensweise unterscheide sich deutlich von der kontextgesteuerten, oftmals indirekten Kommunikation der Asiaten (Hall 1976). So erweise sich in der Praxis eine formelle Ansprache der asiatischen Kollegen, die ausschließlich auf dienstliche Anweisungen fokussiert sei, als ungeeignet, um eine konstruktive Arbeitsatmosphäre aufzubauen, in der gute Ergebnisse erzielbar seien. Durch die Neigung der Deutschen, die Inhalte und den Ablauf von Besprechungen sehr dominant bestimmen zu wollen, würden sie auf die Asiaten zudem sehr rechthaberisch wirken, wie ein Befragter berichtete. Eine solche Verhaltensweise würde sehr häufig die Kooperationsbeziehungen stören und eine weitere Zusammenarbeit erheblich erschweren (Foster 1995). Weitere wichtige Punkte, welche auf Seiten der deutschen IT-Kräfte beobachtet wurden, sei die oftmals fehlende Offenheit oder gar ein Misstrauen gegenüber den asiatischen Kollegen. Einige hätten eine negative Einstellung bezüglich der Zusammenarbeit, was eine vertrauensvolle Kooperation sehr erschwere. Hierfür können mehrere mögliche Ursachen genannt werden: Ein wichtiger Grund für die genannten Verhaltensweisen liegt wahrscheinlich wiederum in der virtuellen Arbeitsumgebung, welche die OffshoreKooperationen kennzeichnet. Die deutschen und asiatischen Kollegen leben in ihrem eigenen Kulturkreis und sind permanent umgeben von Menschen, die ihre Verhaltensweisen und Wertvorstellungen weitgehend teilen. Dies macht es extrem schwierig, sich in die Lage des entfernt sitzenden Kollegen zu versetzen. Unterstützt wird diese Vermutung durch die Aussagen von Befragten, nach denen sich die Zusammenarbeit mit den asiatischen Kollegen erst dann erheblich verbesserte, nachdem diese in Deutschland eingesetzt wurden und beide Seiten ein besseres Verständnis für die jeweils andere Kultur aufbauen konnten. Daneben vermuteten einige Intervieten eine Ursache in der Sorge um den eigenen Arbeitsplatz angesichts der zunehmenden Verlagerung von IT-Prozessen in Offshore-Länder. Dadurch wären die deutschen Mitarbeiter extrem dafür sensibilisiert, verstärkt auf Schwierigkeiten oder Probleme in der Zusammenarbeit zu achten. Während einige Befragte die Offshoring-Bestrebungen als guten Weg oder zumindest Notwendigkeit sahen, um erfolgreich am Markt zu bestehen und damit auch Arbeitsplätze in Deutschland dauerhaft zu sichern, war der Eindruck aus anderen Interviews eher, dass Schwierigkeiten in Projekten mit einem Gefühl des Wohlwollens und dem Hinweis kommentiert wurden, dass solche Tätigkeiten eben nicht für das Offshoring geeignet seien.
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Lösungsansätze und Best-Practice Erfahrungen
Durch die Vielzahl der Projekte mit chinesischen und indischen Partnern konnten die befragten IT-Fachkräfte über Erfahrungen berichten, die sich als hilfreich bei der Bewältigung der Herausforderungen in virtuellen, interkulturellen Teams erwiesen hatten.
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Ein zentraler Erfolgsfaktor für Offshore-Kooperationen zwischen Deutschen und Asiaten liege demnach in einem erfolgreichen Aufbau von Vertrauen zwischen den Projektpartnern (vgl. Abb. 4). Dabei wird auch in der Literatur auf die Bedeutung des Aufbaus eines persönlichen Verhältnisses zwischen den IT-Kräften beider Seiten, gerade zu Beginn der Zusammenarbeit, hingewiesen, um schwierige Phasen während der folgenden virtuellen Kooperation zu meistern (Jarvenpaa u. Leidner 1999; Suchan u. Hayzak 2001).Vertrauen bildet nach Aussage der Interviewten die Grundvoraussetzung für einen reibungslosen Projektablauf, da Fehler oder Schwierigkeiten eher entschuldigt würden und mehr Geduld gegenüber dem Partner aufgebracht werde. Auch sei es wichtig, Vertrauen in die Person und Leistungsfähigkeit der Offshore-Kollegen zu gewinnen und so eine positivere Einstellung zur anstehenden Projektarbeit zu entwickeln. Eine solche Vertrauensbasis könne erreicht werden, indem man Möglichkeiten zu persönlichen Kontakten biete und hierbei insbesondere den Aufbau persönlicher Beziehungen in den Fokus stelle (Robey et al. 2000). Als optimaler Ansatz wird von den Interviewpersonen die Installation eines asiatischen Onsite-Koordinators in Deutschland genannt, der jedoch nur bei größeren Projekten realisiert werden könne. Diesem komme im Projekt die Aufgabe zu, als Bindeglied oder Brückenkopf zwischen den deutschen Mitarbeitern oder Endkunden und den asiatischen ITKräften im Offshore-Land zu fungieren (Rajkumar u. Mani 2001). Auf diese Weise könnten auch die durch Kulturunterschiede bedingten Kommunikationsschwierigkeiten weitgehend gelöst werden, da durch die direkte Zusammenarbeit mit den deutschen Kollegen oftmals eine kulturelle Annäherung auf beiden Seiten stattfinde. Zudem wirke sich die tägliche Zusammenarbeit sehr positiv auf das persönliche Verhältnis der deutschen und asiatischen Kollegen aus, wodurch sich die generelle Einstellung der deutschen Mitarbeiter zum Thema Offshoring ebenfalls verbessere.
Abb. 4. Darstellung der Lösungsansätze und Anzahl der jeweiligen Nennungen
Da ein solcher Ansatz mit einem dauerhaft installierten Onsite-Koordinator aber aus Kostengründen nicht immer praktikabel sei, würden in der Praxis auch andere Ansätze gewählt. So würden alternativ gerade zu Projektbeginn Präsenz-
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phasen eingeplant, während derer sich die Teammitglieder kennen lernen und Vertrauen aufbauen könnten (Maznevski u. Chudoba 2000). Diese Phasen könnten bei schwierigen Projektabschnitten oder bei sonstigen Meilensteinen wiederholt werden. Durch solche Präsenzphasen von asiatischen Teammitgliedern in Deutschland, so berichteten die Interviewten, könne zudem erreicht werden, dass das gesamte Konstrukt der virtuellen Zusammenarbeit an Anonymität verliere und persönliche Züge bekomme. Die asiatischen Kollegen selbst und ihre Arbeit würden sehr viel mehr geschätzt, was angesichts der höheren Beziehungsorientierung für das Wohlbefinden der Offshore-Kollegen von großer Bedeutung sei (Steinbach u. Schroll-Machl 2005). Daneben sei es äußerst sinnvoll, einen zentralen Ansprechpartner auf Seiten des asiatischen Partners zu bestimmen, der verantwortlich für die Koordination und Kontrolle der Arbeiten beim Offshore-Partner sei. Hierdurch könne die Transparenz der Auftragsbearbeitung deutlich erhöht werden. Gerade bei auftretenden Problemen sei es sehr vorteilhaft, sich an einen festen Ansprechpartner wenden zu können, zu dem aufgrund seiner Position bereits ein engeres Vertrauensverhältnis bestehe. Als wichtiger Erfolgsfaktor wird daneben eine kontinuierliche Kommunikation zwischen den Teams der OffshoreKooperation ausgemacht (vgl. Abb. 4; Jarvenpaa u. Leidner 1999), wobei die Empfehlung gegeben wird, hierfür wiederkehrende Termine festzulegen (Armstrong u. Cole 1995). Kontinuierliche Kommunikation und Feedback würden sich dabei ebenfalls positiv auf das Vertrauen des Nachfragers von OffshoreLeistungen auswirken (Rajkumar u. Mani 2001). Sie werden als zentraler Aspekt für den Erfolg geografisch verteilter Teams betont. Generell sei bei Gesprächen von Deutschen wichtig, die zurückhaltende Natur der Asiaten zu berücksichtigen. So solle sensibel auf indirekt angedeutete Probleme geachtet und nonverbalen Feinheiten besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden (Ning 2004). Weiterhin sollen deutsche Mitarbeiter bei Konferenzen darauf achten, nicht zu stark die Inhalte zu bestimmen, sondern aktiv zu versuchen, die asiatischen Kollegen in die Diskussionen einzubeziehen. Die Vorbereitung der Projektteilnehmer auf zu erwartende Herausforderungen interkultureller Art sei ebenfalls sehr wichtig (vgl. Abb. 4). Wenngleich Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit dadurch nicht gänzlich vermieden werden können, würden sich die IT-Kräfte auf deutscher Seite doch sensibilisiert fühlen, würden mögliche Differenzen frühzeitig erkennen und besser auf unvorhersehbare Zwischenfälle reagieren können (Stahl 1998). Auch für die asiatischen IT-Kräfte sei eine Vorbereitung auf die Anforderungen und Arbeitsweisen der deutschen Offshore-Partner sehr wichtig, was auch durch die Literatur bestätigt wird (Rajkumar u. Mani 2001). Ein anderer Ansatz, die Herausforderungen von deutsch-asiatischen Offshoring-Projekten in den Griff zu bekommen, liege in der weitgehenden Standardisierung der Prozesse (vgl. Abb. 4; Sahay et al. 2003). So werde in der Unternehmenspraxis ein Ablauf angestrebt, der genau festlege, welche Informationen über das zu liefernde Produkt bereitzustellen seien und wie detailliert diese sein müssten, um im Gegenzug von den indischen Kollegen in
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Asien einen verlässlichen Termin für die Lieferung des Produktes bzw. für eine Antwort auf eine Anfrage zu bekommen. Solche Standards seien auch für die Kommunikation während des Projektverlaufs sinnvoll. Derartige Kommunikationspläne würden festlegen, welche Person, welche Information zu welchem Zeitpunkt zu übermitteln habe. Ein solcher Kommunikationsplan ermögliche eine klare Aufgabenzuordnung und die Vermeidung von Missverständnissen aufgrund falscher Vorstellungen, wie die Kommunikation zu bestimmten Projektabschnitten auszusehen habe (Kayworth u. Leidner 2002). Darüber hinaus sei mit Bezug auf die Kommunikation zu beachten, dass die Spezifikationen für die offshore zu erstellenden Produkte äußerst detailliert und genau sein sollten. Obwohl dies grundsätzlich für alle virtuellen Kooperationen gelte, sei es bei Offshore-Projekten mit China und Indien besonders wichtig, da es der asiatischen Mentalität entspräche, sich streng an die gegebenen Vorgaben zu halten (Rajkumar u. Mani 2001). Auch Informations-Defizite, welche dadurch zustande kommen, dass Offshore-Kollegen in der Regel keine Chance haben, direkt mit dem Kunden zu kommunizieren, können so verhindert werden.
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Zusammenfassende Bewertung
Um die betriebswirtschaftlichen Potenziale von Offshore-Projekten voll ausschöpfen zu können, müssen Unternehmen spezielles Know-how im Management interkultureller virtueller Projektarbeit aufbauen. Die Ergebnisse unserer Untersuchung zeigen, dass auch Unternehmen, die bereits jahrelange Erfahrungen mit Offshoring-Projekten besitzen, immer wieder Schwierigkeiten in Projekten begegnen. Der Ursprung dieser Probleme liegt insbesondere in den kulturellen Unterschieden zwischen deutschen und asiatischen Projektmitarbeitern. Eine besondere Herausforderung virtueller interkultureller Zusammenarbeit liegt darin, den jeweiligen Projektbeteiligten ein Gefühl für die jeweils andere Kultur zu vermitteln. Im Gegensatz zu einer direkten, persönlichen Zusammenarbeit erleben die Projektbeteiligten die Andersartigkeit des anderen nicht unmittelbar und sind auch nicht mit den anderen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Projektpartner konfrontiert. So arbeiten in virtuellen Kooperationen häufig IT-Kräfte beider Kulturen zusammen, die niemals persönlichen Kontakt mit dem anderen Kulturkreis hatten. Legen die Projektmitarbeiter ihren eigenen kulturellen Bezugsrahmen auch an ihre Kollegen aus anderen Kulturkreisen an, so entstehen daraus oft unrealistische Erwartungen und Missverständnisse im Projektablauf. Die beobachteten Schwierigkeiten resultieren dementsprechend oftmals daraus, dass viele Mitarbeiter auf deutscher Seite insgeheim erwarten, dass die asiatischen Offshore-Kollegen mit der deutschen Arbeitsweise und Mentalität vertraut sind und sich entsprechend anpassen. Die Ergebnisse zeigen auch, dass HP und SAP schon viel aus vergangenen Offshore-Kooperationen gelernt und erfolgreiche Lösungsansätze entwickelt haben, welche den Ablauf solcher Kooperationen verbessern können. Ein Erfolgsmodell
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ist die Reduzierung der Schnittstellen zwischen der deutschen Seite und den Offshore-Anbietern. Es zeigt sich, dass interkulturelle Probleme stark reduziert werden können, wenn auf Seiten des deutschen Teams ein asiatischer OnsiteKoordinator installiert wird, der als Bindeglied für die Kommunikation zwischen beiden Seiten fungiert. Diese Maßnahme ist jedoch auch mit Aufwand verbunden, welche den Kostenvorteil der Offshore-Kooperationen reduziert. Ein weiterer Ansatz ist die weitgehende Standardisierung von Prozessabläufen, mit dem Ziel, Missverständnisse und Fehlinterpretationen bei der Erstellung und Lieferung von Leistungen weitgehend auszuschließen. Diese Standardisierung ist jedoch nur bis zu einem bestimmten Grad möglich. Bei IT-Dienstleistungen handelt es sich oftmals um sehr kundenspezifische Lösungen, was auch bei der Erbringung der Leistungen seinen Niederschlag findet. Die effektivste und nachhaltigste Möglichkeit den interkulturellen Herausforderungen zu begegnen, liegt daher in der Vorbereitung der Projektmitglieder auf die virtuelle interkulturelle Zusammenarbeit. Hierbei haben sich vorbereitende Trainingsmaßnahmen für die IT-Kräfte beider Seiten als wertvoll erwiesen, welche neben der Vermittlung von Projektmanagementfähigkeiten einen besonderen Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit dem anderen Kulturkreis legen. Dadurch kann die kulturelle Distanz abgebaut und eine Offenheit und Sensibilität für die Zusammenarbeit geschaffen werden, welche sich positiv auf den weiteren Projektverlauf auswirkt. Um die Herausforderung von vornherein zu minimieren, sollte schon bei der Besetzung von internationalen Offshore-Teams neben der fachlichen auch der interkulturellen Kompetenz eine höhere Bedeutung zugemessen werden. Interkulturelle Kompetenz bekommt daher für die Personalauswahl und -entwicklung von ITDienstleistern eine zunehmend wichtigere Bedeutung. Ein Aspekt, der eine Offenheit für die interkulturelle Zusammenarbeit bisweilen zu erschweren scheint, ist die von Deutschen oftmals empfundene Konkurrenzsituation mit den asiatischen IT-Kräften. Unternehmen sollten daher eine offene Kommunikation der Offshoring-Strategie betreiben, welche die Vorteile sowohl für das Gesamtunternehmen als auch die einzelnen Mitarbeiter unterstreicht und Perspektiven aufzeigt. Denn nur mit offenen und voll engagierten Mitarbeitern auf beiden Seiten lassen sich die angesprochenen Probleme reduzieren und die vollen Kostenvorteile in der Offshore-Zusammenarbeit umfassend realisieren.
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Personal- und Organisationsentwicklung als interdependente Konzepte
Klaus J. Zink
Abstract Die Entwicklung eines Unternehmens vom Produzenten zum Anbieter umfassender Problemlösungen unter Einschluss von (industriellen) Dienstleistungen beinhaltet einen tiefgreifenden Veränderungsprozess. Dieser Prozess wird dann weiter verstärkt, wenn darüber hinaus auf dem internationalen Markt agiert wird. Will man solche Veränderungsprozesse erfolgreich gestalten, kann man sie nur als Organisationsentwicklungsprozesse verstehen, die auch Personalentwicklungsmodule beinhalten. Aus dem Scheitern von Veränderungsprojekten in der Vergangenheit lassen sich erste Anknüpfungspunkte für erfolgreiche Organisationsentwicklungsprojekte ableiten. Dazu zählen u.a. eine Verankerung der Neuausrichtung in der Unternehmenspolitik und -strategie, eine stringente Umsetzung dieser neuen Strategie in Strukturen und Verhalten. Dabei ist hervorzuheben, dass Einstellungen und Verhalten nicht nur eine Folge von Information und Qualifizierung sind, sondern auch durch eine entsprechende Anpassung von Strukturen und Prozessen begleitet werden müssen. Dies macht die Interdependenz zwischen Personal- und Organisationsentwicklung deutlich. Da jede Neuerung auf eine vorhandene Unternehmenskultur trifft, lassen sich Veränderungen am besten durch Beteiligung der Betroffenen realisieren. Aktive Beteiligung setzt auch voraus, die Zusammenhänge zur längerfristigen Unternehmenspolitik, aber auch zu gleichzeitig laufenden Aktivitäten zu erkennen und zu verstehen. Schließlich spielt auch das (Vorbild-)Verhalten der Vorgesetzten eine wesentliche Rolle.
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Spezifische Problemstellung
Die Beiträge dieses Bandes beziehen sich auf Konzepte der Personal- und Organisationsentwicklung im Kontext der Internationalisierung von industriellen Dienstleistungen. Obwohl sich einzelne Beiträge vorrangig auf das Thema Personalentwicklung und andere vorrangig auf das Thema Organisationsentwicklung konzentrieren, ist es wichtig sich bewusst zu sein, dass diese beiden Konzepte interdependent sind. Darüber hinaus ist auf deren Zusammenhang zu Politik und Strategie einer Organisation hinzuweisen. Im Folgenden geht es daher zunächst um eine Klärung der einzelnen Begriffe, aber auch um die gegenseitige Abhän-
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gigkeit dieser Konzepte, wobei auch die Dimension der Internationalisierung zu integrieren ist.
2 Personal- und Organisationsentwicklung: Versuch einer Begriffsabgrenzung „Personalentwicklung umfasst Konzepte, Instrumente und Maßnahmen der Bildung, Steuerung und Förderung der personellen Ressourcen von Organisationen, die zielorientiert geplant, realisiert und evaluiert werden“ (Wunderer 2003). In dieser betriebswirtschaftlichen Perspektive geht es zunächst um eine Erhaltung, Anpassung oder Erhöhung der Kompetenzen der Mitarbeiter (Becker 2005). Neben diesen auf wirtschaftliche Effizienz ausgerichteten Zielen stehen auch individuelle Entwicklungsziele der Mitarbeiter, die u. a. seine Beschäftigungsfähigkeit erhalten sollen. Dabei geht die jüngere Literatur (Arnold 2006; Münch 2007) davon aus, dass eine ganzheitliche Personalentwicklung sich mit dem Erwerb von Handlungskompetenz auf der Basis von Fach-, Sozial-, Methoden und Persönlichkeitskompetenz beschäftigen muss (Münch 2007). „Fachkompetenz meint dabei die Fähigkeit, fachliche Probleme auf der Grundlage von Fachkenntnissen und fachspezifischen Fertigkeiten zu lösen; Sozialkompetenz [...] mit anderen Menschen „umzugehen“, im Team zu handeln und kooperativ mit anderen Probleme zu lösen; Methodenkompetenz [...] Wege und Mittel für die Bewältigung von Aufgaben verfügbar zu machen und anzuwenden. Über Persönlichkeitskompetenz verfügt derjenige, der ein realistisches Bild von sich selbst hat, der eigenen Überzeugung gemäß handeln kann und zu sozialer Verantwortung bereit ist.“ (Münch 2007). Bezieht man diese Definition auf den Sachverhalt der Internationalisierung von Dienstleistungen, so muss Sozialkompetenz auch beinhalten, im ggf. virtuellen Team kulturellen Unterschieden gerecht werden zu können. Personalentwicklung kann in diesem Sinne auch als „Capacity Building“ zur Erfüllung der beruflichen Aufgaben verstanden werden (Arnold 2006). Neben der Entwicklung von „Kapazität“ für die Ausführung beruflicher Tätigkeiten spielt, wie oben schon angedeutet, auch die Frage des „Commitments“, des „Überzeugtseins“, des „Mittragenkönnens und -wollens“ im Hinblick auf die strategischen und normativen Ziele der Organisation – und damit auch der Akzeptanz als Grundlage von Motivation eine wichtige Rolle. Wunderer versteht Personalentwicklung daher auch als Führungsinstrument, das zur „Integration der Mitarbeiter in das normative und organisatorische Gefüge“ beiträgt (Wunderer 2003). Dieses Thema ist auch und insbesondere im Kontext einer strategischen Neuausrichtung vom „Produzenten“ zum „Problemlöser“ von besonderer Bedeutung, weil es hier um die Transformation (neuer) mentaler Modelle geht. Insofern bietet es sich an, in Anlehnung an Dutke und Wick Personalentwicklung (auch) als Transformation mentaler Modelle zu verstehen (Dutke u. Wick 2001). Wenn man mentale Modelle in Anlehnung an die Handlungstheorie als „innere Repräsentation“ der durchzu-
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führenden Handlungen (auch als „operatives Abbildsystem“ bezeichnet (Hacker 1973)) versteht, dann stellt sich die Frage, wie diese „Abbildsysteme“ entstehen – und wie diese ggf. beeinflusst werden können. Dazu lässt sich z.B. das Konzept der „Aufgaben-Redefinition“ von Hackman heranziehen (Hackman 1968). Hackman stellt für die subjektive Redefinition einer objektiven Aufgabe einige Moderatorvariablen heraus, die verdeutlichen, dass eine Personalentwicklung im Sinne der Qualifizierung allein nicht ausreicht, um Commitment zu erzielen. Qualifizierung ist zunächst dazu geeignet, dass der Handelnde seine Aufgabe versteht – und weiß, was er zu tun hat, um zu einem positiven Ergebnis zu kommen. Darüber hinaus muss er aber auch bereit sein, diese Aufgabe (oder die an ihn gerichteten Verhaltenserwartungen) zu akzeptieren und sich deren Anforderungen zu stellen. Selbstverständlich fließen in diesen Prozess der Redefinition auch eigene Bedürfnisse und Wertvorstellungen sowie frühere Erfahrungen ein. Wenn nun eine Organisation beschließt, ihr bisheriges Leistungsspektrum (z.B. Produktion von Spezialmaschinen) dahingehend zu erweitern, dass zusätzliche auch industrielle Dienstleistungen angeboten werden sollen, setzt dies neben einer entsprechenden Qualifizierung eben auch eine Akzeptanz voraus, die nicht durch „Verordnen“ sondern nur durch eine „Beteiligung“ z.B. an der Strategiespezifizierung bzw. zumindest durch einen entsprechend interaktiven (und auf Beteiligung ausgerichteten) Kommunikationsprozess (z.B. in Großgruppenveranstaltungen) erreicht werden kann. Eine solche Vorgehensweise überschreitet dann schon die Grenze zwischen Personalentwicklung (in einem engeren Verständnis) und Organisationsentwicklung – wie an späterer Stelle noch zu erörtern sein wird. Während die obigen Überlegungen zur Personalentwicklung eher auf den einzelnen Mitarbeitern fokussieren, sieht Wunderer drei Ansatzpunkte und Wirkungsfelder von Personalentwicklung: Individuum, Team und Organisation (Wunderer 2003). Damit wird wiederum eine Verknüpfung zwischen „Personal“ und „Organisation“ deutlich. Becker geht noch weiter und sieht Organisationsentwicklung explizit als Teil der Personalentwicklung, indem er formuliert: „Personalentwicklung umfasst alle Maßnahmen der Bildung, der Förderung und der Organisationsentwicklung, die zielgerichtet, systematisch und methodisch geplant, realisiert und evaluiert werden (Becker 2005). Weitere Verknüpfungen lassen sich durch die Auseinandersetzung mit der Frage der Lernorte erkennen: Während in traditionellen Konzepten Training und Lernen für die Arbeit oft außerhalb des Unternehmens oder der Organisation stattfand – im Sinne eines Anhäufens von Wissen bzw. einem Lernen auf Vorrat (Training into, near, off the Job), wird in den letzten Jahren dem Lernort „Betrieb“ verstärkte Beachtung geschenkt (Münch 2007). Die Dynamik und Komplexität der Umweltveränderungen erfordern permanente Verbesserungs- und Veränderungskonzepte, die entsprechende Kompetenzen der Mitarbeiter voraussetzen, die am besten durch eine arbeitsplatznahe Qualifizierung erworben werden. Damit wird betriebliches Lernen zu einem permanenten Prozess, der nicht mit dem Erwerb formaler Abschlüsse oder bestimmter Qualifikationen beendet ist. Dies setzt aller-
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dings voraus, dass Möglichkeiten des Lernens bei der Arbeit gegeben sind (Frieling et al. 2005; 2006). Der Begriff der Organisationsentwicklung kommt aus dem angelsächsischen Sprachraum (organization(al) development). Synonym verwendete Begriffe sind „planned change“, „social change“, „organizational change“ oder „planned organizational change“. Dies macht zunächst deutlich, dass der geplante organisatorische Wandel im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Dieser unterscheidet sich vom „Normalfall“ des schleichenden, ungeplanten Wandels dadurch, dass er einerseits geplant andererseits aber auch tiefgreifend ist. Dieser Sachverhalt ist dann gegeben, wenn relativ viele Merkmale der ganzen Organisation (und nicht nur einzelne Subsysteme) relativ stark und mit einer Vielzahl von Folgeänderungen verändert werden, wovon eine größere Zahl von Organisationsmitgliedern erheblich in ihren Interessen betroffen ist, weil völlig neue Ideen und Lösungskonzepte in Erwägung gezogen werden (Kirsch et al. 1978). Dies kann man z.B. dann als gegeben ansehen, wenn sich die strategische Ausrichtung eines Unternehmens dahingehend ändert, dass zukünftig in einem erheblichen Umfang Dienstleistungen erbracht werden sollen, die auch international angeboten werden. Die inhaltliche Beschreibung dessen, was man unter Organisationsentwicklung versteht, hängt sehr wesentlich davon ab, wie dieser tiefgreifende Wandel herbeigeführt werden soll. Gebert schildert dazu drei Ansätze: (Gebert 1974) 1. durch eine Veränderung von Einstellungen und Verhalten der Mitarbeiter (personaler Ansatz) 2. durch eine Veränderung der strukturellen Rahmenbedingungen (strukturaler Ansatz) 3. durch die Wechselwirkung zwischen personenspezifischen und struktur- oder situationsspezifischen Merkmalen – und damit einer Verknüpfung zwischen 1. und 2. Abbildung 1 illustriert diese Zusammenhänge im Kontext der hier zu diskutierenden Inhalte (Gebert 1974). Die unterschiedliche Betonung von personalen und strukturalen Ansätzen kann man schon in den historischen Quellen der Organisationsentwicklung finden. So beschäftigte sich die Gruppe um Kurt Lewin (Lewin 1958) vorrangig mit der Veränderung von Einstellungen und Verhalten im Rahmen gruppendynamischer Prozesse. In sog. T-Gruppen (Trainings-Gruppen), die sich aus – zunächst einander fremden – Teilnehmern zusammensetzten und die weder einen Gruppenleiter noch ein Thema für die Gruppenarbeit vorgegeben hatten, stellten sie fest, dass die Teilnehmer ihr Verhalten in dieser Gruppensituation reflektieren und verändern konnten, wenn sie sich gegenseitig Feedback gaben. Das sog. „Survey-FeedbackVerfahren“ zeigte, dass Veränderungen von Betroffenen besser akzeptiert und umgesetzt werden, wenn die Betroffenen nicht nur die Daten zur Analyse zur Verfügung stellen, sondern auch selbst bei der Analyse der Daten aktiv sind und in Beschlüsse über notwendige Veränderungen und Maßnahmen involviert werden (Rosenstiel et al. 2005). Das Londoner Tavistock Institute of Human Relations
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(Emery u. Thorsrud 1960) wählte dagegen einen strukturalen Ansatz, indem die Auswirkungen unterschiedlicher Formen der Arbeitsorganisation auf Arbeitsergebnisse und Zufriedenheit unterschiedlicher Arbeitsgruppen im Bergbau untersucht wurden.
Abb. 1. Personaler und strukturaler Ansatz der Organisationsentwicklung
Die Ergebnisse dieser Studien sprechen dafür, dass Arbeitsgruppen, die ihre Arbeit zum großen Teil autonom steuern und jedem Mitarbeiter unterschiedliche Aufgabenfelder zuteilen, eine größere Zufriedenheit und gleichzeitig eine höhere Effektivität bei der Arbeit erreichen. Dies war der Ursprung des sozio-technischen Systemansatzes, der sowohl die Technologie als auch das soziale System berücksichtigt (Zink 1984). Schon diese wenigen Aussagen zu den Anfängen der Organisationsentwicklung zeigen, dass erfolgreiche Veränderungsprozesse einem Anspruch nach Ganzheitlichkeit genügen müssen. Kurt Lewin hat Verhalten (und Verhaltensänderungen sind der schwierigere Teil eines Veränderungsprozesses) als Funktion von Person und Umwelt verstanden (Lewin 1958). Wenn durch Veränderungsprozesse Verhalten geändert werden soll, müssen sich zunächst Einstellungen ändern. Dies setzt in aller Regel auch geänderte strukturelle Rahmenbedingungen voraus. Ein in dieser Art integratives Verständnis von Organisationsentwicklung gibt die folgende Definition wieder: „Unter Organisationsentwicklung sollen daher alle Ansätze zusammengefasst werden, die durch eine Änderung der Einstellung und des Verhaltens von Einzelnen und Gruppen sowie eine Veränderung von Organisationsstrukturen und Technologien eine Organisation leistungsfähiger, die Zusammenarbeit zwischen Arbeitsgruppen effizienter und die Arbeitsbedingungen für den Einzelnen befriedigender gestalten wollen. Ein weiteres Ziel ist darin zu sehen, die Anpassungsfähigkeit der Organisation und ihrer Mitglieder an die dynamischen
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Veränderungen zu erhöhen. Die Organisationsentwicklung bezieht sich dabei nicht isoliert auf Technik, Mensch oder Organisationsstruktur, sondern versteht die Organisation als komplexes System mit den daraus abzuleitenden gegenseitigen Abhängigkeiten“ (Zink 1979, S.64). Da das Thema Organisationsentwicklung in einem engen Zusammenhang zum Konzept des Change Managements steht, sind diese Begriffe hier voneinander abzugrenzen. In der Definition von Change Management wird dessen Charakter als „allgemeines Instrumentarium“ deutlich: „Ganz allgemein sind unter Change Management sämtliche systematischen und gezielten Aktionen zu verstehen, die einen gegenwärtigen Zustand möglichst optimal (d.h. mit einem Minimum an Problemen und Reibungsverlusten) in einen angestrebten zukünftigen Zustand überführen“ (Rosenstiel u. Comelli 2003). Es gilt also, einen Zielzustand möglichst effektiv und effizient zu erreichen, wobei zunächst keine Aussagen über Inhalte der Ziele getroffen werden. Ebenso ist die Art der Interventionstechniken nicht festgelegt. Auch wenn der Begriff der Organisationsentwicklung häufig mit Change Management gleichgesetzt wird (Wimmer 2006), geht dieser Ansatz inhaltlich über das Change Management hinaus. Die Organisationsentwicklung hat sowohl normativen Charakter bezüglich der Veränderungsstrategie und bestimmten Interventionstechniken als auch in ihrer Zielsetzung.1 Ein Zusammenhang lässt sich auch zum Begriff des organisationalen Lernens herstellen, wenn man mit Wunderer darunter den „Prozess der Erhöhung und Veränderung der organisationalen Wert- und Wissensbasis, die Verbesserung der Problemlösungskompetenz sowie die Veränderung der gemeinsamen Orientierungsmuster von und für Mitglieder innerhalb der Organisation“ versteht“ (Wunderer 2003). Bezieht man diese Definition auf den obigen Organisationsentwicklungsbegriff, kann man darin eine Teilmenge erkennen. Differenzeiert man jedoch die Ansatzpunkte der Personalentwicklung nach Person, Team und Organisation, wird Organisationsentwicklung zum Teil der Personalentwicklung (Wunderer 2003). Im Gegensatz dazu sieht Oechsler Organisationsentwicklung als eigenes Konzept neben der Personal- und Stratgie-Entwicklung, die allerdings miteinander zu verknüpfen sind (Oechsler 2006). Fasst man diese Versuche einer terminologischen Abgrenzung zusammen, so wird deutlich, dass man sinnvollerweise Personal- und Organisationsentwicklung als interdependente Konzepte im Veränderungsprozess hin zum internationalen Anbieter von hybriden Produkten oder Dienstleistungen verstehen sollte. Da beide ihrerseits von der Strategieentwicklung determiniert werden, werden sie zu Be1
Die Abgrenzung zwischen den Begriffen „Change Management“ und „Organisationsentwicklung“ wird in der wissenschaftlichen Literatur nicht einheitlich vorgenommen. So betrachtet bspw. Trebesch das Change Management als „Repertoire der Organisationsentwicklung“ (Trebesch 2000, S. 14). Schreyögg und Noss hingegen sehen die Organisationsentwicklung als einen praktischen Ansatz des Change Managements (Schreyögg u. Noss, 2000, S. 35).
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standteilen eines ganzheitlichen Change Management Konzeptes, auf das im Folgenden noch näher einzugehen ist.
3 Personal- und Organisationsentwicklung als Teile eines ganzheitlichen Change Managements Welche Forderungen sind nun an ein ganzheitliches Change Management zu stellen, damit es zu einem erfolgreichen Veränderungsprozess kommen kann? Die Relevanz dieser Fragestellung ergibt sich insbesondere aus dem Sachverhalt, dass viele Veränderungskonzepte – auch der jüngeren Vergangenheit – zu Misserfolgen geführt haben.
3.1 Schwachstellen in Veränderungsprojekten Für das Scheitern von Veränderungsprojekten wird eine Vielzahl von Gründen beschrieben (Zink 2004). Häufig mangelt es speziell in kleineren und mittelgroßen Unternehmen an einer konsequenten Verankerung dieser Gestaltungskonzepte in den unternehmerischen Zielsetzungen sowie an der Abstimmung der Einzelkomponenten untereinander. Im Gegensatz zu Großunternehmen, bei denen die Unternehmensziele in Politik und Strategie festgeschrieben sind, gibt es insbesondere in KMU für die Strategieentwicklung meist keine Routinen und keine definierte Zuständigkeit. Daher fallen die eigentlich notwendigen Abstimmungsprozesse angesichts der knappen Personaldecke dem Tagesgeschäft zum Opfer. So kommt es zu einem unfreiwilligen Verzicht auf Synergieeffekte oder gar zu konkurrierenden bzw. sich aufhebenden Effekten der Einzelmaßnahmen (Fraunhofer ISI/Fraunhofer IAO 2002). Ähnlich gelagerte Probleme existieren häufig in dezentralen Fertigungsstandorten großer Unternehmen. Diese stehen vor der Herausforderung, immer wieder neue, von der Konzernebene vorgegebene Modernisierungsmaßnahmen vor Ort sinnvoll in stimmige Gesamtkonzepte zu überführen. Dabei sehen sie sich aufgrund der „Verschlankungsprogramme“ der letzten Jahre (sowohl kapazitätsbezogen als auch im Hinblick auf das benötigte Know-how) Ressourcenproblemen gegenüber, wie sie auch für KMU typisch sind. Aufgrund der zunehmenden Veränderungsdynamik der Umwelt sollen diese Projekte aber in immer kürzerer Zeit umgesetzt werden. Insofern entstehen in beiden Fällen Akzeptanzbarrieren gerade auch bei engagierten Mitarbeitern, die wiederum zur Nichtausschöpfung der Potenziale der Einzelmaßnahmen führen. Diese Probleme werden dadurch verstärkt, dass alle diese Methoden, Konzepte und Managementsysteme zwangsläufig in einer gegebenen Unternehmens- bzw. Standortkultur zur Anwendung kommen, während zu ihrem Erfolg (grundlegende)
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Veränderungen der gewachsenen Denkmodelle und Verhaltensmuster bis hin zur Entwicklung einer gemeinsamen „organisationalen Identität“ („Wir sind das Unternehmen XY“ anstatt „Wir arbeiten für das Unternehmen XY“) notwendig wären (Rughase 2006). Die meisten Modernisierungsaktivitäten werden darüber hinaus zunächst einmal als reine Sachentscheidungen vorangetrieben, ohne dass die zu ihrer Wirksamkeit erforderliche Anpassung an die Kultur vor Ort diagnostiziert bzw. der ggf. erforderliche wechselseitige Anpassungsprozess eingeleitet wird. Das heißt, die rein sachlogische Betrachtungsweise von Modernisierungsbausteinen blendet deren spezifischen kulturellen Anforderungen aus bzw. fragt nicht nach, welche Kulturausprägungen eine entsprechende Umsetzung voraussetzt. Auch die Adaption der neuen Konzepte und Systeme an das vorhandene Selbstbild der Organisation wird offenbar nur selten als eine wichtige Aufgabe im Veränderungsvorhaben gesehen. Die betroffenen Mitarbeiter vor Ort werden in aller Regel zu spät oder gar nicht einbezogen, was sich sowohl auf die Akzeptanz als auch auf die Situationsangemessenheit der Problemlösung auswirkt. Verbunden mit einer oft nicht ausreichenden Information und Kommunikation über die Veränderungen führt dies dazu, dass die Mitarbeiter nicht in der Lage sind, die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Veränderungsmaßnahmen zu erkennen, selbst wenn diese vorhanden sind. Daraus folgt, dass eine erfolgreiche Veränderung nicht nur eine logische Passung der Einzelbausteine voraussetzt, sondern dass diese Zusammenhänge auch als solche erkannt werden (können). Dieser Sachverhalt wird im Folgenden verkürzt als psychologische Passung dargestellt. Eine weit verbreitete Ursache für eine unzureichende psychologische Passung der verfolgten Konzepte ist das unvermittelte (nicht selten konflikthafte) Aufeinandertreffen der unterschiedlichen professionellen Subkulturen, die sich in den einzelnen Fachabteilungen und -funktionen eines Unternehmens herausgebildet haben (Schein 1985; 1997). Bei Vorhaben zur Integration dieser unterschiedlichen Sichtweisen kommt als weiteres Hindernis dazu, dass in diesen Subkulturen darüberhinaus grundverschiedene Prozessleitbilder für Veränderungsprozesse verfolgt werden (Kötter 1999). Die in dieser Situation erforderliche Bereitschaft und Kompetenz zur Initiierung entsprechender Dialogprozesse zur Entwicklung von neuen, gemeinsamen mentalen Modellen (Senge et al. 1995) ist nur selten gegeben. Viele der eingesetzten Methoden zur Sicherstellung der Zukunfts- bzw. Leistungsfähigkeit der Unternehmen sind aus den genannten Gründen nicht ausreichend effektiv. Die Durchführung immer neuer, als nicht konsistent erlebter Veränderungsprojekte hat Veränderungsmüdigkeit bei den Mitarbeitern zur Folge. An Stelle der eigentlich notwendigen Entwicklung einer prozessorientierten, kooperativen Organisationskultur wird letztlich gerade der Widerwille gegen funktionsübergreifende Aktivitäten gefördert. Das aus Sicht der Mitarbeiter mehrfache Scheitern von Veränderungsprozessen führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Phänomen der inneren Kündigung, wodurch weitere Veränderungsprozesse in der Regel (auch) zum Scheitern verurteilt sind. Ebenso wird damit dem Partizipationsansatz eine seiner wichtigsten Grundlagen entzogen, nämlich der Nachweis von Beteiligungserfolgen im Sinne einer konsequenten Umsetzung gemeinsam entwickelter Standards
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und Prinzipien. All dies verdeutlicht die Notwendigkeit zu ganzheitlicheren Ansätzen.
3.2 Anforderungen an ganzheitliche Veränderungskonzepte Aus diesen Schwachstellen lassen sich die Forderungen an ganzheitliche Veränderungskonzepte ableiten: (Zink 2006) x Verankerung der Veränderungsvorhaben (z.B. der Weiterentwicklung vom Produkthersteller zum „Problemlöser“) in Politik und Strategie der Organisation mit Sicherstellung einer breiten Akzeptanz auf der Führungsebene. x Kongruenz zwischen den eingesetzten Instrumenten bzw. Konzepten („Einzelbausteinen“) und der Unternehmensstrategie sowie den spezifischen Einzelbausteinen untereinander herstellen, um so die Vorteile einer Integration von Produkten und Dienstleistungen zu erschließen bzw. die Sinnhaftigkeit der Einzelbausteine zu zeigen. x Den Mitarbeitern den „logischen“ Zusammenhang zwischen den Einzelmaßnahmen und den Beitrag dieser Maßnahmen zur Erreichung der Ziele des Unternehmens bzw. Standortes transparent machen, z.B. durch die Darstellung des Zielerfüllungsbeitrages auf den einzelnen Stufen des Zielentfaltungsprozesses, aber auch durch Einordnung der einzelnen Bausteine in einen übergeordneten Zusammenhang. Dies bedeutet die Vermittlung eines entsprechenden Zusammenhangwissens (z.B. durch aktive Beteiligung), um insbesondere Abhängigkeiten und Wechselwirkungen verstehen zu können. Nur so können Akzeptanz und Unterstützung sichergestellt werden. x Dies erfordert die Entwicklung eines Instrumentes zur Beschreibung der IstSituation, aus dem sich dann die Ziele und Gestaltungsempfehlungen im Hinblick auf die Optimierung des Integrationsprozesses ableiten lassen. Dieses Instrument muss dabei einem integrativen Ansatz der Organisationsentwicklung verpflichtet sein und damit sowohl die „Sachsphäre“ als auch die Interessen der Betroffenen berücksichtigen (Zink 1979). x Sowohl das Instrument als auch das Vorgehen bei seiner Anwendung sind bezüglich ihrer Effektivität und Praktikabilität insbesondere auch für KMU – oder Fertigungsstandorte größerer Unternehmen mit ähnlichen Ressourcenrestriktionen – im Rahmen von Pilotprojekten zu überprüfen. Die dauerhaft erfolgreiche Umsetzung von Veränderungsmaßnahmen erfordert i.d.R. auch eine Weiterentwicklung der Unternehmenskultur, da viele Modernisierungsbausteine nur auf der Grundlage einer „passenden“ Unternehmenskultur Wirkung entfalten können. x Um das Ziel eines nachhaltigen kulturellen Wandels zu erreichen, ist das Gesamtvorgehen im Unternehmen mit einem durchgängigen Konzept der Information, Einbeziehung und Aktivierung der Mitarbeiter und ihrer Vorgesetzten
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zu begleiten. Erfolgreiche Veränderung hat dabei immer zur Voraussetzung, dass unter Beibehaltung und bewusster Nutzung kultureller Grundlagen einzelne Aspekte der Kultur(en) bei strukturellen Veränderungen weiterentwickelt oder sogar grundlegend geändert werden. Dazu muss ein Bewusstsein hergestellt werden, dass das eigene Handeln kulturell geprägt ist, und dass neue Handlungsmuster in kollektiven Lernprozessen entstehen, die neben kognitiven Aspekten auch eine emotionale Verankerung kultureller Werte hinreichend berücksichtigen müssen (Brödner u. Kötter 2004). x Vor dem Hintergrund der oben aufgeführten Anforderungen benötigen Unternehmen geeignete Vorgehenskonzepte zur Umsetzung der Veränderungen, wobei hier insbesondere auf eine Beteiligung der Mitarbeiter ausgerichtete Ansätze der Projektarbeit im Vordergrund stehen. Diese sind auf die Bedarfe der jeweiligen Unternehmen zuzuschneiden unter Berücksichtigung ebenen- und funktionsübergreifender Teams zur Situationsdiagnose bzw. Ausarbeitung und Einführung der neuen Konzepte. Die Beteiligungsformen orientierten sich dabei an den spezifischen Bedingungen (wie z.B. Unternehmensgröße, Standortkonstellation, Beteiligungskultur, wirtschaftliche Situation etc.) der Unternehmen und können mit verschiedenen Instrumente realisiert werden (Zink 2007). x Da Veränderungsprojekte i.d.R. nur ein Teil übergeordneter Konzepte der Unternehmensführung (Unternehmensmodell) sind, bedarf es der Integration in ganzheitliche Organisationsbewertungs- und -gestaltungsmodelle. Damit wird dem Verständnis von Unternehmen oder Organisationen als sozio-technische bzw. sozio-technologische Systeme Rechnung getragen, woraus sich die schon mehrfach thematisierte Notwendigkeit einer mehrdimensionalen Betrachtungsweise von Organisationen ableiten lässt (Ulrich 1971; Zink 1984).
3.3 Beispielhafte Handlungsfelder Aus den obigen Anforderungen an ganzheitliche Veränderungskonzepte lassen sich beispielhaft folgende Handlungsfelder definieren: Partizipation in einem weiten Verständnis der immateriellen Beteiligung von Mitarbeitern und Führungskräften an der Weiterentwicklung einer Organisation (von der Information bis zur partizipativen Unternehmensentwicklung) Wandlungsfähigkeit als personale und organisationale Kompetenz im Sinne von Veränderungsbereitschaft der Beteiligten und lernender Organisation durch Nutzung umfassender Bewertungskonzepte unter Einschluss der relevanten Anspruchsgruppen. Integration in der vertikalen Ausprägung als stringente Entfaltung von Vision, Strategie und Politik einer Organisation sowie deren strukturelle und personelle/kulturelle Rahmenbedingungen bzw. Voraussetzungen. Integration in der horizontalen Ausprägung als Passung vor- und nachgelagerter Bereiche, wobei es sowohl für die horizontale als auch die vertikale Integration
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um eine Differenzierung in „objektive“ und „subjektive“ Passung geht. Das heißt neben der Sachlogik der Zuordnung einzelner Elemente zu einem integrativen Ansatz muss diese Logik auch von den Mitarbeitern gesehen und verstanden werden („Psycho-Logik“).
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Zusammenfassende Bewertung
Die Entwicklung von einem Hersteller von Produkten zu einem Anbieter von Problemlösungen auf internationalen Märkten ist als ein tiefgreifender Wandel zu verstehen, der neue Kompetenzen und Strukturen auf der Grundlage veränderter strategischer Konzepte in einem modifizierten kulturellen Kontext erfordert. Insofern sind dabei einerseits die einleitend diskutierten Konzepte der Personal- und Organisationsentwicklung und andererseits umfassende Change Management Ansätze relevant. Die Konstrukte „Partizipation“ und „Wandlungsfähigkeit“ sind sowohl an personelle als auch an strukturelle Voraussetzungen geknüpft. Partizipation setzt immer eine entsprechende Qualifikation voraus (Zink 2007). Neben entsprechenden Kompetenzen zur Wandlungsfähigkeit bedarf es dazu auch der Anpassung von strukturellen Rahmenbedingungen, die sowohl die Organisation, aber auch das Berichtswesen oder das Entlohnungskonzept betreffen. Sowohl die Rolle als (industrieller) Dienstleister als auch das Agieren in internationalen Märkten (bzw. in anderen kulturellen Kontexten) erfordern Anpassungen in der Organisationskultur auf der Grundlage der oben diskutierten veränderten mentalen Modelle. Insofern lassen sich die im letzten Kapitel diskutierten Konzepte einer umfassenden Veränderung unmittelbar auf die Internationalisierung von industriellen Dienstleistungen übertragen. Die Verankerung der Neuausrichtung des Unternehmens in der Politik und Strategie und den damit verknüpften Deployment-Prozessen gilt für alle Formen der in diesem Band diskutierten Konzepte zur Internationalisierung industrieller Dienstleistungen. Für die Akzeptanz dieser Neuausrichtungen kommt auch hier dem Thema Partizipation der Betroffenen eine wesentliche Rolle zu. Dies betrifft zunächst die Beteiligung der Führungskräfte an der Strategieentwicklung. Partizipation hat in diesem Kontext mindestens eine zweifache Bedeutung (Zink 2007): Zum einen Partizipation als Voraussetzung für die Entwicklung einer „Organisationalen Identität“ – oder mindestens eines „Management-Alignments“ und Partizipation als Voraussetzung von Akzeptanz und damit wirkungsvoller Strategieentfaltung bzw. -umsetzung. Selbstverständlich muss zum anderen diese „nach innen gerichtete“ Vorgehensweise durch eine externe, kundenorientierte Perspektive erweitert werden, die Unterscheidungskraft erzeugt, vom Kunden als nutzenstiftend wahrgenommen wird und zur Differenzierung gegenüber Wettbewerbern beiträgt (Liebl 2000). Bezüglich der Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung und deren Interdependenz lassen sich für die in diesem Band diskutierten Konzepte zur
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Internationalisierung industrieller Dienstleistungen folgende spezifischen Fragestellungen erkennen: x Entwicklung kleinerer und mittlerer Unternehmen vom Produzenten zum Anbieter von Problemlösungen als eine Voraussetzung zur Internationalisierung von Dienstleistungen x Unternehmensinternes Wissensmanagement beim Dienstleistungsexport von KMU x Know-how Transfer bei der Internationalisierung von technologieorien-tierten Dienstleistungen von KMU x Personal- und Organisationsentwicklung in internationalen Fabrikplanungsprojekten x Personal- und Organisationsentwicklumg bei internationalen Betreibermodellen x Spezifische Probleme in Offshoring-Projekten sowie bei einem virtuellen Auslandseinsatz x Aspekte der personal- und Organisationsentwicklung bei Projekten in China
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Strategischer Wandel vom Produzenten zum globalen Anbieter von Problemlösungen
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Organisationsentwicklung beim strategischen Wandel vom Produzenten zum globalen Anbieter von Problemlösungen Gunter Lay, Esther Bollhöfer, Christian Lerch, Marcus Schröter
Abstract Produzierende Unternehmen in Deutschland erkennen zunehmend, dass im Wettbewerb Qualität und Technologie der hergestellten Produkte nicht mehr ausreichen, um gegenüber der Konkurrenz zu bestehen. Alleinstellungsmerkmale können jedoch errungen werden, wenn Problemlösungen angeboten werden, die Produkte und Dienstleistungen so verbinden, dass für den Kunden ein Mehrwert entsteht. Eine solche Veränderung im Leistungsspektrum bedingt jedoch auch strukturelle Veränderungen, wodurch Organisationsentwicklungsmaßnahmen notwendig werden. Vor diesem Hintergrund stellt der vorliegende Beitrag zunächst vor, welche Alternativen ein produzierendes Unternehmen hat, um dem gestiegenen Stellenwert produktbegleitender Dienstleistungen organisatorisch Rechnung zu tragen. Darauf aufbauend wird der bisherige Verbreitungsstand dieser Optionen skizziert und gezeigt, welche Kriterien zu berücksichtigen sind, um eine fundierte Entscheidung darüber treffen zu können, welche Option im Einzelfall das Optimum darstellt. Abschließend wird ein Instrument vorgestellt, das Unternehmen unterstützt, den Entscheidungsprozess zielgerichtet und unter Einbezug aller relevanten Gesichtspunkte durchzuführen. Hierauf aufbauend wird auf das Auslandsangebot erweiterter Servicekonzepte und hybrider Leistungen eingegangen. Auch hier werden zunächst die Möglichkeiten skizziert und in ihrer bisherigen Bedeutung beleuchtet, die ein produzierendes Unternehmen hat, diese Leistungen auch zu exportieren. Der Entscheidungsprozess und die in ihm zu berücksichtigenden Variablen werden dargestellt und instrumentell untersetzt. Damit erhält ein produzierendes Unternehmen einen zweistufigen Leitfaden für die Organisationsentwicklung beim strategischen Wandel vom Produzenten zum globalen Anbieter von Problemlösungen.
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Gunter Lay, Esther Bollhöfer, Christian Lerch und Marcus Schröter
Spezifische Problemstellung
1.1 Marktentwicklungen als Treiber des Wandels Industriefirmen liefern ihren Kunden traditionell nicht nur Produkte. Sie sorgen auch für die Montage und Inbetriebnahme dieser Produkte, schulen die Kunden im Gebrauch der Produkte und übernehmen Wartungs- und Reparaturarbeiten. Damit sind produktbegleitende Dienstleistungen für die Industrie kein Neuland. Dienstleistungen wurden in der Industrie in der Vergangenheit jedoch überwiegend nicht als strategische Größe angesehen. Sie wurden weder zu den Kernkompetenzen gezählt, noch wurde ihnen im Wettbewerb ein entscheidender Stellenwert beigemessen. Mittlerweile haben sich jedoch auf den Märkten für Industrieprodukte Veränderungen eingestellt, die ein Überdenken der Rolle produktbegleitender Dienstleistungen nahe legen: Einerseits verliert der technologische Vorsprung, auf dem ein Großteil der deutschen Industrie die eigene Wettbewerbsposition bislang aufgebaut hat, infolge der Fähigkeit der Konkurrenz, in immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen technologisch gleichzuziehen (Homburg u. Garbe 1996), als Differenzierungsmerkmal an Gewicht. Damit reduziert sich die Möglichkeit, mit führender Technologie dem Preiswettbewerb zu begegnen. Die Qualitätsverbesserung bestehender und das Angebot neuer produktbegleitender Dienstleistungen, die den Kundennutzen in den Fokus nehmen, bieten Chancen, einen neuen Wettbewerbsvorteil aufzubauen. Zum anderen erhöht die steigende Komplexität der Produkte die Anforderungen, die Kunden an Produkthersteller stellen. Diese sollen ihre Kunden zum Betrieb dieser Anlagen befähigen und bei Ausfällen dieser kapitalintensiven Güter die Ausfallzeiten verkürzen (Kriegbaum 1996). Wegen der Komplexität erwartet der Kunde eine intensive Beratung, die Projektierung und die Generalunternehmerschaft für die Erstellung. Er benötigt spezielle Softwarepakete und Schulungsangebote für sein Personal, die über das bisher übliche Maß hinausgehen. Vorbeugende Wartung, Service-Hotline und ggf. Teleservice sind weitere Bausteine, die die Verfügbarkeit teurer Aggregate sichern. Eine weitere auf den Märkten zu beobachtende Entwicklung betrifft neue Formen der Arbeitsteilung in der Wertschöpfungskette zwischen Zulieferern, Herstellern und Kunden, durch die Leistungspakete auf vorgelagerte Stufen der Wertschöpfungskette verschoben werden. Hersteller übernehmen Aufgaben von Betreibern und Zulieferern von Herstellern (Walter 2001). Ohne neue produktbegleitende Dienstleistungen ist diese Form der Arbeitsteilung nicht realisierbar. So übernehmen bspw. Werkzeughersteller das Tool-Management für ihre Kunden, Zulieferer werden vom Lohnfertiger zum Entwicklungspartner etc. Ein vierter Aspekt ist die aufkommende Bedeutung neuer betriebswirtschaftlicher Ansätze wie z.B. Total-Cost-of-Ownership. Diese Ansätze haben bei Industriekunden die Überlegung geweckt, dass es wirtschaftlich günstiger sein
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könnte, anstelle eines Maschinenkaufs nur die Maschinennutzung zu erwerben (Pay per Unit) (Gerhard 2000). Leasingmodelle, Rücknahmeangebote oder der Betrieb der Fertigungseinrichtung durch die Hersteller bei und/oder für die Kunden sind Antworten auf solche Anforderungen. Das Produkt ist in diesem Fall Teil der Dienstleistung. Das Verhältnis von Produkt und produktbegleitender Dienstleistung kehrt sich um. Der durch diese Marktentwicklungen angestoßene Bedeutungszuwachs produktbegleitender Dienstleistungen erzwingt in der Industrie ein Umdenken. Services erhalten strategische Bedeutung. Bei einer Betrachtung der Marktentwicklungen ist darüber hinaus zu beachten, dass die deutsche Industrie in hohem Maße exportorientiert ist und das Auslandsangebot produktbegleitender Dienstleistungen offensichtlich mit spezifischen Anforderungen verbunden ist. Zu diesen Besonderheiten eines grenzüberschreitenden Angebots umfassender industrieller Servicemodelle liegen lediglich erste, eng begrenzte, Piloterfahrungen vor, die sich bspw. mit der globalen Ersatzteilversorgung im Werkzeugmaschinenbau (Klinkner u. Zadek 2002) oder der Internationalisierung der Dienstleistung „Fabrikplanung“ (Schenk et al. 2003) beschäftigen. Die bei der Realisierung von erweiterten Service- und Betreibermodellen im Ausland auftretenden Fragen der Organisation sind wissenschaftlich wie für die Unternehmen Neuland. Die fehlenden organisatorischen Konzepte zur Realisierung von umfassenden Service- und Betreiberkonzepten im Ausland haben dazu geführt, dass die Auslandsumsätze der deutschen Industrie im Vergleich zu den Inlandsumsätzen zu weitaus geringeren Anteilen aus Dienstleistungstätigkeiten resultieren. Die Industrie ist stark im Sachgut-, jedoch nicht im Dienstleistungsexport. Dies kann an Fallbeispielen belegt werden (vgl. Abb. 1). Statistisch ist diese Thematik wegen unzureichender Aufschlüsselungen und bestehender Defizite der Statistiken über Dienstleistungen nur schwer zu untersuchen (Stahlecker et al. 2006). Die Fallbeispiele legen jedoch nahe, dass das industrielle Dienstleistungspotenzial im Ausland noch in wesentlich geringerem Maße als im ebenfalls noch wachstumsträchtigen Inlandsmarkt erschlossen ist.
1.2 Organisationsentwicklung als Instrument des Wandels Die skizzierten Entwicklungen führen dazu, dass Dienstleistungsangebote in Industriefirmen strategisch einen neuen Stellenwert erhalten. Die historisch gewachsene Dienstleistungsorganisation in produzierenden Unternehmen zeigt die eher randständige Bedeutung der Services. Daher gilt es nun, diese Organisation so zu gestalten, dass sie der Prämisse „Structure follows Strategy“ folgt. Eine weniger auf den Verkauf von Sachgütern, sondern verstärkt auf die Lösung von Kundenproblemen mit hybriden Produkten zielende Strategie benötigt entsprechende organisatorische Rahmenbedingungen (Rainfurth u. Lay 2005).
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Abb. 1. Fallbeispiel zur Bedeutung produktbegleitender Dienstleistungen im Inlands- und Auslandsumsatz einer Maschinenbaufirma (Kühbauch u. Jung Erceg 2004)
Vor diesem Hintergrund schlagen Hildenbrand, Gebauer und Fleisch (2004) vor, eine systematische Organisationsentwicklung durchzuführen, um die bestehende Organisation von Industriebetrieben der verstärkten Notwendigkeit zur Dienstleistungsorientierung anzupassen. Obwohl das Konzept der Organisationsentwicklung nicht eindeutig definiert ist und zudem einem permanenten Wandel unterliegt (Kühl 2001; Wimmer 2004; Freimuth 2005), wird es traditionell unter der Zielsetzung diskutiert, eine Steigerung der organisatorischen Leistungsfähigkeit zur Erfüllung veränderter strategischer Anforderungen (Effektivität) zu verbinden mit Zielen wie der Schaffung erweiterter Spielräume zur Persönlichkeitsentfaltung und Selbstverwirklichung (Humanität). Eine verstärkte Serviceorientierung produzierender Unternehmen erfordert in wesentlichem Maße eigenverantwortliche Kundenkontakte der Mitarbeiter produzierender Unternehmen und setzt eigenverantwortliches Handeln voraus. Die Mitarbeiter können sich so in ihrer Tätigkeit verwirklichen und einbringen. Damit scheint die zweifache Zielsetzung der Organisationsentwicklung hier in besonderem Maße zielführend zu sein. Organisationsentwicklungsmaßnahmen können an verschiedenen Bezugsebenen ansetzen. So wird traditionell bspw. zwischen personalen und strukturalen Vorgehensweisen unterschieden (Gebert 1974) oder es werden individuumzentrierte Ansätze, strukturorientierte Ansätze und an den sozialen Beziehungen orientierte Ansätze voneinander abgegrenzt (Kieser et al. 1979). Obwohl der Übergang von strukturorientierten und an den sozialen Prozessen ausgerichteten Ansätzen durchaus fließend und weniger trennscharf ist (Gebert u. Rosenstiel 1981), ver-
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steht sich der folgende Beitrag eher als strukturaler Ansatz, der bspw. dann angezeigt ist, wenn eine erhöhte Flexibilität der Organisation durch eine Dezentralisierung der Organisationsstruktur erreicht werden soll (Rosenstiel 1987). Da der strukturorientierte Ansatz der Organisationsentwicklung von der Annahme ausgeht, dass das Verhalten von Personen in Organisationen durch Organisationsstrukturen mitbestimmt ist (Heimerl-Wagner 1992), werden strukturelle Alternativen zur traditionellen Organisation von Industriebetrieben unter dem Vorzeichen diskutiert, welche veränderten Verhaltenserwartungen an die Mitarbeiter aus der neuen Strategie „Industrie als Problemlöser“ strukturell bestmöglich unterstützt werden. Dieser Beitrag fokussiert die strukturellen Aspekte der Organisationsentwicklung. Die Personalentwicklung als wesentlicher Bestandteil der Organisationsentwicklung wird daher nur am Rande behandelt. Dies soll nicht darüber hinweg täuschen, dass strukturelle Maßnahmen erst dann ihr volles Potenzial entfalten, wenn sie flankiert werden durch eine OE-orientierte Bildungsarbeit, die eine Einübung der in den neuen Strukturen geforderten Rollen der Organisationsmitglieder unterstützt. Personalentwicklung ist vor diesem Hintergrund ein zweites wesentliches Element der Entwicklung von produzierenden zu problemlösenden Organisationen. Da jedoch in diesem Band einige Beiträge ihren Schwerpunkt auf die Personalentwicklung setzen, scheint es vertretbar, hier die strukturellen Fragen in den Vordergrund zu stellen. In der Kombination der Beiträge wird somit ein abgerundetes Bild ohne übermäßige Redundanzen entstehen. Daher ist dieser Beitrag zweigeteilt: Im folgenden Kapitel werden zunächst die strukturellen Alternativen vorgestellt, die ein produzierendes Unternehmen hat, um dem gestiegenen Stellenwert produktbegleitender Dienstleistungen Rechnung zu tragen. Darauf aufbauend wird der bisherige Verbreitungsstand dieser Optionen skizziert und gezeigt, welche Kriterien zu berücksichtigen sind, um eine fundierte Entscheidung darüber treffen zu können, welche Option im Einzelfall das Optimum darstellt. Abgeschlossen wird dieses zweite Kapitel mit der Darstellung eines Instruments, das Unternehmen unterstützt, den Entscheidungsprozess zielgerichtet und unter Einbezug aller relevanten Gesichtspunkte durchzuführen. Im dritten Kapitel steht das Auslandsangebot erweiterter Servicekonzepte und hybrider Leistungen im Mittelpunkt. Auch hier werden zunächst die Möglichkeiten skizziert und in ihrer bisherigen Bedeutung beleuchtet, die ein produzierendes Unternehmen hat, diese Leistungen auch zu exportieren. Der Entscheidungsprozess und die in ihm zu berücksichtigenden Variablen werden vor diesem Hintergrund dargestellt und instrumentell untersetzt.
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2 Entwicklung der Organisation von Produktherstellern für das Angebot von Problemlösungen Bieten Industrieunternehmen produktbegleitende Dienstleistungen an, so müssen sie diese unter Bedingungen erbringen, die sich von denen der Sachgutherstellung unterscheiden: So können Dienstleistungen bspw. nicht wie Produkte auf Lager gefertigt werden. Sie müssen genau in dem Moment, in dem sie nachgefragt werden, verfügbar sein (Uno-Actu-Prinzip). Als weitere Besonderheit von Dienstleistungen gilt, dass Mitarbeiter oder Betriebsmittel des Kunden in den Prozess der Dienstleistungserbringung einbezogen sind. Im Gegensatz zur Sachgutproduktion nehmen die personellen, räumlichen, technischen und kulturellen Gegebenheiten des Kunden großen Einfluss auf den Ablauf der Dienstleistungen (Kowalewski u. Reckenfelderbäumer 1998). Die Plan- und Standardisierbarkeit ist aufgrund dieser Rahmenbedingungen geringer als bei der Sachgutproduktion. Die Organisation produktbegleitender Dienstleistungen in Industriefirmen muss auf diese Rahmenbedingungen angepasst sein. Für die organisatorische Eingliederung produktbegleitender Dienstleistungen in die Aufbauorganisation eines Industrieunternehmens bieten sich somit mehrere Möglichkeiten an.
2.1 Organisatorische Optionen Zum einen können die Dienstleistungsfunktionen in bestehende, für die Sachgutproduktion gebildete Abteilungen integriert werden. Die Mitarbeiter dieser Abteilungen übernehmen neben ihren produktorientierten Aufgaben dann auch Dienstleistungstätigkeiten. Konstruktionsmitarbeiter sind nach diesem Konzept u. a. für die technische Kundenberatung zuständig, Mitarbeiter der Entwicklung schulen die Kunden und Mitarbeiter der Produktion, nehmen die Maschinen in Betrieb und warten sie beim Kunden. Zum Zweiten kann für die Dienstleistungen eine eigenständige Abteilung gebildet werden. Bei dieser organisatorischen Variante tritt neben die sachgutproduzierenden Abteilungen wie Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Fertigung und Montage ein neuer Dienstleistungsbereich, dem alle mit der Erbringung produktbegleitender Leistungen beschäftigten Mitarbeiter zugeordnet werden. Als dritte Option können für die Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen spezielle Tochter- oder Schwesterunternehmen gegründet werden. Diese Form der Organisation der Dienstleistungen rund um das eigene Produkt geht im Vergleich zur Bildung eigenständiger Dienstleistungsbereiche noch einen Schritt weiter. Die Verbindung zum Produktionsunternehmen ergibt sich hier lediglich über Kapitalverflechtungen oder durch die Besitzverhältnisse. Es können auch Kooperationen mit mehr oder weniger formalem Charakter aufgebaut werden. In einem Joint Venture werden produktbegleitende Dienstleistungen von mindestens zwei Unternehmen umgesetzt, die auf Basis einer vertrag-
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lichen Vereinbarung ein gemeinsames Unternehmen gründen. Ziel ist es dabei, durch die Integration und das Teilen der in den beteiligten Unternehmen jeweils vorhandenen spezifischen Kompetenzen das Geschäft mit produktbegleitenden Dienstleistungen zu einem größeren Erfolg zu führen, als wenn dieses von einem einzelnen Unternehmen umgesetzt würde. Die an dem Joint Venture beteiligten Unternehmen behalten ihre rechtliche Selbständigkeit. In einem Netzwerk hingegen werden die produktbegleitenden Dienstleistungen von einem informellen Konsortium aus Unternehmen verschiedener Bereiche angeboten. Netzwerkteilnehmer arbeiten kooperativ zusammen, wenn ein Netzwerkprojekt zustande kommt. Existiert kein Netzwerkprojekt agieren die Netzwerkpartner als separate Einheiten. Zu guter Letzt können Dienstleistungen auch komplett outgesourct und im Auftrag des Sachgüterproduzenten durch Fremdfirmen erbracht werden. Bei dieser organisatorischen Option bleibt die Industriefirma reiner Sachgutproduzent und bedient sich für notwendige Serviceleistungen Dritter.
2.2 Verbreitung organisatorischer Optionen Wie Zahlen aus der Erhebung zur Modernisierung der Produktion des Fraunhofer ISI (Eggers et al. 2000) belegen, werden die im Vorangegangenen skizzierten Optionen zur organisatorischen Eingliederung produktbegleitender Dienstleistungen in die Strukturen von Industriefirmen in der Praxis unterschiedlich häufig genutzt: 41 Prozent der in Industriefirmen anfallenden produktbegleitenden Dienstleistungen werden durch eigenständige Dienstleistungsabteilungen erbracht. Im Rahmen der vorhandenen, auf die Herstellung und den Vertrieb der Sachgüter ausgerichteten Strukturen werden 47 Prozent der produktbegleitenden Dienstleistungen in den Firmen abgewickelt. Diese beiden Organisationsformen sind mit Abstand die wichtigsten. Lediglich fünf Prozent der Dienstleistungen sind zu speziellen Tochterfirmen für die Dienstleistungen ausgelagert. Das Outsourcing von produktbegleitenden Dienstleistungen zu Fremdfirmen hat einen Stellenwert von acht Prozent. Diese Nutzungshäufigkeiten scheinen in starkem Maße vom Stellenwert produktbegleitender Dienstleistungen in den Industriefirmen abhängig zu sein. In Firmen, in denen unter fünf Prozent der Mitarbeiter mit produktbegleitenden Dienstleistungen beschäftigt sind, werden lediglich 37 Prozent dieser Leistungen von eigenständigen Dienstleistungsabteilungen erbracht. Dagegen sind in Unternehmen, die fünf bis zehn Prozent ihrer Mitarbeiter im Bereich produktbegleitender Dienstleistungen einsetzen, 42 Prozent der Dienstleistungen in speziellen Dienstleistungsabteilungen angesiedelt. Dieser Anteil steigt in Unternehmen, die über zehn Prozent Dienstleistungsbeschäftigte haben, auf nahezu die Hälfte (48 Prozent). Spiegelbildlich sinkt mit wachsendem Anteil der Dienstleistungsbe-
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schäftigten die Quote der Erbringung dieser Leistungen in klassischen produzierenden Abteilungen (vgl. Abb. 2).
Abb. 2. Organisation produktbegleitender Dienstleistungen in Abhängigkeit vom Anteil der mit Dienstleistungen beschäftigten Mitarbeiter
Wie der Umfang der Dienstleistungsaktivitäten in einem produzierenden Unternehmen so ist auch seine Größe, gemessen an der Mitarbeiterzahl, offensichtlich mit ausschlaggebend dafür, in welcher Organisationsform die Dienstleistungen erbracht werden. Abbildung 3 zeigt, dass insbesondere in kleineren Unternehmen mit bis zu 100 Mitarbeitern die klassische Abteilungsstruktur von Produktionsbetrieben mehrheitlich den Rahmen auch für die Dienstleistungserbringung darstellt. Eigenständige Dienstleistungsabteilungen sind in dieser Firmengröße deutlich unterrepräsentiert. Analysiert man die Bedeutung von Schwester- und Tochterfirmen, die eigens für die Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen von Industriefirmen gegründet werden, in Abhängigkeit von der Größe der Industriefirmen, so fällt auf, dass mit anwachsender Größe die Häufigkeit, in der Schwester- und Tochterfirmen für den Service anzutreffen sind, ansteigt. Obwohl diese Organisationsform des Service insgesamt auf niedrigem Niveau verbleibt, ist die Tendenz gleichwohl offensichtlich. Betrachtet man abschließend, ob und inwieweit spezifische Branchentrends existieren, um den Service in Industriebetrieben zu organisieren, so zeigt sich, dass das Outsourcing von produktbegleitenden Dienstleistungen bei Herstellern von Metallerzeugnissen überdurchschnittlich häufig praktiziert wird. Eigenständige Dienstleistungsabteilungen wurden im Maschinenbau und im Bereich Medizin-
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technik/Optik/Mess-, Steuer- und Regelungstechnik etwas häufiger angetroffen als in den übrigen Branchen. Firmen der Elektrotechnik präferieren im Gegensatz dazu die Abwicklung von Services im organisatorischen Rahmen, den ein Industriebetrieb bietet, überdurchschnittlich häufig.
Abb. 3. Organisation produktbegleitender Dienstleistungen in Abhängigkeit von der Firmengröße
Insgesamt zeigt diese Analyse, dass die Organisationspraxis für produktbegleitende Dienstleistungen in der Industrie ein vielfältiges Muster aufweist. In welche Richtung eine gezielte Organisationsentwicklung betrieben werden sollte, wenn sich ein Industriebetrieb mit verstärkten Dienstleistungsangeboten als Problemlöser seiner Kunden positionieren möchte, scheint bislang nicht abschließend geklärt zu sein.
2.3 Bewertungskriterien zu Optionswahl Wie vorliegende Erfahrungen zeigen, wird die Entscheidung, in welcher Form der Aufbauorganisation die Dienstleistungen erbracht werden, in vielen Firmen nicht unter Abwägung der Vor- und Nachteile verschiedener Alternativen oder nach strategischen Überlegungen getroffen. Die Organisation entwickelt sich vielmehr „naturwüchsig“. Ein wichtiger Einflussfaktor ist dabei der Umfang, den das Dienstleistungsgeschäft einnimmt und die Firmengröße (Kap. 2.2). Eine ganzheitliche Bewertung der Eignung dieser alternativen organisatorischen Möglichkeiten zur Verankerung produktbegleitender Dienstleistungen in
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Industriebetrieben muss möglichst umfassend alle relevanten Beurteilungskriterien berücksichtigen. Kosten-/Nutzengesichtspunkte sind dabei ebenso mit einzubeziehen wie Rationalisierungs- und Professionalisierungsmöglichkeiten, die wechselseitige Befruchtung von Produkt- und Dienstleistungsgeschäft und weitere Aspekte. Diese Ausführungen verdeutlichen die Komplexität des Entscheidungsproblems der Gestaltung der Aufbauorganisation zur Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass derartige aufbauorganisatorische Entscheidungen selten von einem einzigen Entscheidungsträger getroffen werden. In der Regel werden verschiedene Akteure eines Unternehmens hieran beteiligt sein. Diese bringen zusätzlich eine Reihe von unterschiedlichen Sichtweisen, bspw. aus dem Finanz-, Service-, Produktions-, Vertriebs- und Forschungsbereich ein. Hieraus ergibt sich, dass es kaum möglich ist, ein einziges Zielkriterium im Rahmen des Entscheidungsprozesses zu definieren, anhand dessen die verschiedenen Organisationsalternativen gemessen werden. Es wird vielmehr eine Vielzahl unterschiedlicher Zielkriterien geben, die das Finden einer Organisationslösung sehr unwahrscheinlich werden lässt, die optimal für jedes dieser Zielkriterien ist. Aus diesen Gründen ist es notwendig, dass verschiedene, auch sich widersprechende Kriterien in das Entscheidungskalkül einbezogen werden. In Abbildung 4 sind beispielhaft Kriterien, die bei der Entscheidung über die Art der Verankerung produktbegleitender Dienstleistungen in Industriebetrieben wichtig sein können, aufgelistet und in Form einer Kriterienhierarchie strukturiert. Demnach ist die Gewinnung und Sicherung von Wissen ein erstes Ziel, welches mit der Erbringung von produktbegleitenden Dienstleistungen von Unternehmen verfolgt wird. Dabei kann es sowohl Ziel von Investitionsgüterherstellern sein, durch die Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen Informationen über den optimalen Betrieb ihrer Investitionsgüter zu erlangen, als auch Informationen über Schwachstellen des Investitionsguts zu bekommen, die im Rahmen von Weiterentwicklungen in Form nachfolgender Produktgenerationen genutzt werden können. Organisationsalternativen, die auf bestehende Informationskanäle zurückgreifen oder diese schnell implementieren können, sind hier von Vorteil. Ein weiteres Ziel kann es sein, die organisatorische Alternative auszuwählen, die bei den Mitarbeitern, die für die Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen verantwortlich sind, zur höchsten Zufriedenheit führen. Dies kann etwa durch Konzepte erreicht werden wie Job Enlargement, Job Rotation oder auch Job Enrichment, die durch die verschiedenen Aufbauorganisationsformen unterschiedlich gut umgesetzt werden können. Da die Qualität der produktbegleitenden Dienstleistungen in hohem Maße die Kundenzufriedenheit beeinflusst, ist die erreichbare Qualität produktbegleitender Dienstleistungen ein weiteres Ziel der organisatorischen Verankerung. Aus Kundensicht werden Lösungen bevorzugt, bei denen sie Produkte und dazugehörige Dienstleistungen aus einer Hand beziehen können (One-Face-to-the-CustomerPrinzip).
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Abb. 4. Kriterienhierarchie zur Auswahl einer Aufbauorganisationsalternative zur Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen
Ein weiteres wichtiges Zielkriterium ist die Flexibilität der Aufbauorganisation. Im Zuge des Entscheidungsprozesses ist zu bewerten, wie flexibel eine Organisationsform ist, sowohl im Hinblick darauf, das Angebot qualitativ auf veränderte Kundenanforderungen anpassen zu können als auch hinsichtlich der Reaktionszeiten, die die Organisation benötigt, um auf Kundenanforderungen antworten zu können.
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Abb. 5. Bewertung von Organisationsalternativen
Aus Marketingsicht ist es wichtig, durch das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen Märkte zu erschließen und zu behaupten. Organisationsstrukturen können hierzu unterschiedlich gut geeignet sein. Um Kunden zu gewinnen, ist es oftmals notwendig, Dienstleistungen wie Wartung und Instandhaltung für Produkte, die von Wettbewerbern hergestellt wurden, zu übernehmen. Diese Services können etwa von Tochterunternehmen oder durch Netzwerke besser erbracht werden als von alternativen Organisationsformen, die eine Installation der Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen innerhalb der bestehenden Organisationsstruktur des Investitionsgüterproduzenten vorsehen. Weiterhin zu bewerten ist die Eignung der Organisationsalternativen hinsichtlich ihrer Möglichkeiten CrossSelling-Effekte zu realisieren sowie das Image des Investitionsgüterherstellers im positiven Sinne zu beeinflussen. Maßgeblich zum Image beitragen können produktbegleitende Dienstleistungen, wenn der Kunde die Marke des Investitionsguts im Rahmen der Dienstleistungserbringung wiedererkennt.
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Nicht zuletzt sind die Möglichkeiten der Organisationsalternativen, Kosten und Nutzung in geeigneter Weise messen, erfassen und beeinflussen zu können, zu berücksichtigen. Zu dieser Kriteriengruppe gehören die transparente Erfassung und Steuerung der Kosten und Erlöse der produktbegleitenden Dienstleistungen, die Möglichkeiten durch Spezialisierung und Lernkurveneffekte Produktivitätsvorteile erzielen zu können, sowie die kontinuierliche Auslastung von bestehenden Kapazitäten des Investitionsgüterherstellers trotz der häufig gegenläufigen Auftragslagen von Produkt- und Dienstleistungsgeschäft. Zusätzlich ist es wichtig zu bewerten, wie geeignet die Organisationsalternativen sind, um die Risiken, die durch das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen neu entstehen, angemessen zwischen den am Geschäft beteiligten Partnern sowie den Kunden verteilen zu können. Abbildung 5 zeigt eine Bewertung der Organisationsalternativen hinsichtlich der beschriebenen Zielkriterien. Je höher der Beitrag einer Organisationsalternative zur Erreichung der einzelnen Ziele eingeschätzt wurde, desto höher fiel die Bepunktung dieser Alternative aus. Die beste Alternative hinsichtlich eines Kriteriums wurde mit 10 Punkten bewertet. Liefert eine Alternative keinen Beitrag zur Zielerreichung eines bestimmten Kriteriums, so wurde sie mit 0 Punkten bewertet. Diese Bewertung wurde im Rahmen von Expertengesprächen und Workshops mit Industriefirmen, die bereits produktbegleitende Dienstleistungen anbieten, gemeinsam entwickelt. Sie stellt somit aggregiertes Expertenwissen dar.
2.4 Instrument zur Unterstützung der Alternativenauswahl Die Entscheidung über die Form der Eingliederung produktbegleitender Dienstleistungen in den Industriebetrieb stellt ein multikriterielles Entscheidungsproblem dar (Vahs 2007; Biggiero u. Laise 2003). Zur Entscheidungsunterstützung wurden für derartige Problemstellungen Lösungsverfahren aus dem Bereich des „Multi Attribute Decision Making“ (MADM) entwickelt. Unter Heranziehung solcher Verfahren können mehrere Alternativen hinsichtlich definierter Ziele bewertet werden (Geldermann 2006). Einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung in diesem Bereich findet sich in Figueira et al. (2005). Zu den MADMVerfahren zählen die Nutzwertanalyse, der Analytic Hierarchy Process (AHP), ELECTRE sowie PROMETHÉE (Yoon u. Hwang 1995). Für die Entscheidungsunterstützung bei der Auswahl einer aufbauorganisatorischen Alternative wurde ein System auf der Basis der Nutzwertanalyse (Götze 2006; Zangemeister 1976) entwickelt und prototypisch in Microsoft Excel implementiert. Die Nutzwertanalyse hat den Vorteil, dass sie einfach zu verstehen, nachvollziehbar und transparent ist (Götze 2006). Sie ist bekannt, wird häufig angewendet (Chang u. Yeh 2001) und ist aufgrund ihrer einfachen Anwendbarkeit sehr beliebt bei Praktikern (Zanakis et al. 1998). Darüber hinaus haben Studien gezeigt, dass die Nutzwertanalyse zu den besten MADM-Methoden zählt (Zanakis et al. 1998; Chang u. Yeh
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2001). Im Rahmen der Nutzwertanalyse wird ein sog. dimensionsloser Nutzwert Vi für jede der zur Bewertung anstehenden Alternative Am durch folgende Berechnungsformel ermittelt. n
Vi
¦w r , j ij
i 1,2,..., m
j 1
Dabei ist wj der Gewichtungsfaktor des Kriteriums j und rij stellt den Zielbeitrag der Alternative i im Hinblick auf das Kriterium j dar.1 Zur Nutzung dieses Tools müssen die Entscheidungsträger eines Investitionsgüterherstellers in einem ersten Schritt die strategischen Hauptzielsetzungen, die sie mit dem Angebot von produktbegleitenden Dienstleistungen verfolgen, definieren und priorisieren. Die im Instrument implementierten Zielsetzungen entsprechen den Kriterien, die in der Kriterienhierarchie (vgl. Abb. 4) auf der ersten Hierarchieebene angesiedelt sind. Abbildung 6 zeigt die Eingabemaske zur Priorisierung durch eine Gewichtung der Hauptziele. In dem dargestellten Beispiel hat ein Unternehmen definiert, dass es vor allem neue Märkte entwickeln und behaupten möchte. Darüber hinaus strebt es an, die Leistungsqualität durch das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen zu verbessern. Beide Zielkriterien wurden jeweils mit 50 Prozent gewichtet. In einem zweiten Schritt kombiniert das Instrument die eingegebene Gewichtung der Hauptkriterien, die voreingestellte Gewichtung der Subkriterien und die im vorangegangenen Abschnitt beschriebene Bewertung der Aufbauorganisationsalternativen hinsichtlich jedes Subkriteriums, um den Gesamtnutzen jeder Organisationsalternative zu berechnen. Die voreingestellten Bewertungen und Gewichtungen können problemlos angepasst werden, sollte dieses aufgrund spezifischer Rahmenbedingungen der Unternehmen, die das Instrument anwenden, notwendig sein. In einem dritten Schritt erstellt das Instrument eine Reihenfolge der organisatorischen Alternativen auf Basis ihrer jeweiligen Nutzwerte. Die Alternative mit dem höchsten Nutzwert wird dem Anwender als beste Alternative vorgeschlagen, um seine produktbegleitenden Dienstleistungen organisatorisch im Unternehmen zu verankern.
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Zur detaillierten Vorgehensweise der Nutzwertanalyse siehe Götze (2006).
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Abb. 6. Eingabemaske zur Gewichtung der strategischen Ziele
Abbildung 7 zeigt, dass bei einer Verfolgung der Zielsetzungen „Entwicklung und Sicherung von Märkten“ sowie „Verbesserung der Leistungsqualität“ das Instrument den Aufbau einer eigenständigen Abteilung im Unternehmen des Investitionsgüterproduzenten vorschlägt. Diese Empfehlung resultiert zum einen daraus, dass diese Alternative hinsichtlich der Subkriterien „Kundenzufriedenheit“ sowie „Angebot umfangreicher Lösungen“ des Hauptziels „Leistungsqualität“ sehr gut geeignet ist. Auch hinsichtlich der Subkriterien „Erschließung neuer Märkte“ sowie „Wiedererkennung der Marke des Unternehmens“ des Hauptkriteriums „Marktentwicklung und –behauptung“ stellt die Alternative „Aufbau einer eigenen Abteilung“ die beste Alternative dar. Für die Generierung von „Cross-SellingEffekten“ ist sie noch gut geeignet, während diese Alternative für das „Angebot von Dienstleistungen für Fremdprodukte“ nicht geeignet ist. Im Vergleich gibt es zwar Alternativen, die für einzelne Subkriterien bessere Lösungen darstellen, dieser Vorteil wird aber durch ihren vergleichsweise geringeren Zielbeitrag bezüglich anderer Subkriterien überkompensiert. So ist es etwa mit der Alternative „Tochterunternehmen“ sehr gut möglich, auch „Dienstleistungen für Fremdprodukte“ anzubieten. Da diese Alternative aber vergleichsweise schlechter geeignet ist hinsichtlich einiger anderer Subkriterien wie „Wiedererkennung der Marke“ und „Realisierung von Cross-Selling-Effekten“ wird der Aufbau eines Tochterunternehmens lediglich als zweitbeste Lösung vom Instrument vorgeschlagen.
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Abb. 7. Ergebnisübersicht
Die Praktikabilität des Instruments hat sich im Rahmen von Workshops mit Investitionsgüterherstellern erwiesen. Ein großer Nutzen wird unter anderem darin gesehen, dass es für die Anwendung des Instruments notwendig ist, dass die Entscheidungsträger des Unternehmens die Ziele festlegen und gewichten, die sie mit dem Angebot produktbegleitender Dienstleistungen erreichen wollen.
3 Entwicklung der Organisation für das Auslandsangebot hybrider Produkte Die im Vorangegangenen skizzierten Ansätze einer Organisationsentwicklung vom industriellen Produkthersteller zum Problemlöser waren fokussiert auf Inlandsmärkte. Versucht ein Industrieunternehmen diesen Übergang für globale Märkte zu vollziehen, so tauchen weiterführende Optionen auf. Im Folgenden sollen diese zunächst vorgestellt und ihr bisheriger Stellenwert beleuchtet werden. Darauf aufbauend wird dann der Frage nachgegangen, welche Bewertungskriterien für die Entscheidung zwischen den Auslandsoptionen herangezogen werden können und wie der Prozess der Entscheidungsfindung methodisch unterstützt werden kann.
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3.1 Organisationsformen für den Markteintritt im Ausland Im internationalen Handel mit Dienstleistungen werden vier Arten der Erbringung unterschieden (WTO 1994): x Beim Cross-Border Trade erhält der Kunde die Dienstleistung des Anbieters grenzüberschreitend auf dem Postwege oder telekommunikativ auf Papier oder elektronisch gespeichert. x Die Consumption Abroad sieht vor, dass der Kunde aus seinem Heimatland in das Land des Anbieters reist, um eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. x Bei einer Commercial Presence eröffnet der Dienstleistungsanbieter im Ausland zum Zwecke der dortigen Dienstleistungserbringung eine Niederlassung. x Bei einer Presence of Natural Persons entsendet der Dienstleistungsanbieter Mitarbeiter temporär ins Ausland, um dort Dienstleistungen zu erbringen. Diese Unterscheidung setzt an der Frage an, ob der Anbieter oder der Kunde mobil ist und zur Dienstleistungserbringung im Land des jeweiligen Partners aktiv wird. Im Falle des „Consumption Abroad“ liegt die Mobilität auf Seiten des Kunden, in den Fällen „Commercial Presence“ und „Presence of Natural Persons“ erbringt der Anbieter die Mobilitätsleistung. Ein Spezialfall liegt vor, wenn die Dienstleistung an transportierbare Medien gebunden werden kann. Hier ist ein grenzüberschreitender Dienstleistungshandel möglich, ohne dass einer der Geschäftspartner mobil sein muss. Inwieweit diese Typisierung grenzüberschreitender Dienstleistungen auch für produktbegleitende Services der Industrie anwendbar ist, wurde bislang wenig diskutiert. Die Besonderheit produktbegleitender Services liegt darin, dass ihre Erbringung nicht nur eine Interaktion zwischen Anbieter und Kunde erfordert, sondern dass auch ein direkter Kontakt zwischen Dienstleistungserbringer und Investitionsgut notwendig wird. Daher wurde in Tabelle 1 der Versuch gemacht, für fünf Arten industrieller Services zu konkretisieren, ob und wie die Grundtypen einer grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen realisiert werden können. Diese Auflistung macht deutlich, dass in vielen Fällen alle Grundtypen des grenzüberschreitenden Dienstleistungshandels auch auf industrielle Services anwendbar sind. So kann z.B. die Schulung von Kundenpersonal an einer Maschine in der Art des „Cross-Border Trade“ realisiert werden, wenn der Trainer mit TeleTeaching an einer Schulungsmaschine in den Räumen des Herstellers eine Einstellung vornimmt, die zu schulenden Mitarbeiter des Kunden diese Einstellung online miterleben und sie dann an der beim Kunden aufgestellten Maschine nachvollziehen und sie so die Wirkungen unmittelbar erleben. Parallel dazu können Schulungsleistungen offensichtlich auch in den Formen „Consumption Abroad“, „Commercial Presence“ und „Presence of Natural Persons“ verwirklicht werden. Aus den in Tabelle 1 beschriebenen Konkretisierungen einer grenzüberschreitenden Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen
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wird klar, dass industrielle Services im internationalen Kontext Gestaltungsoptionen aufweisen, die im nationalen Rahmen unter Umständen bislang nicht angedacht waren. Waren Wartungs- und Instandsetzungsdienstleistungen bislang in einzelnen Firmen lediglich in Form der Entsendung von Servicetechnikern zu den Kunden realisiert, so taucht im internationalen Kontext die Frage auf, ob die zu überbrückenden räumlichen Distanzen eventuell ergänzende Formen der Leistungserbringung sinnvoll oder notwendig werden lassen. So kann geprüft werden, ob bestimmten internationalen Kundengruppen mit der Einsendung defekter oder zu wartender Investitionsgüter ins Herstellerwerk eine kostengünstige Option geboten werden kann. Andererseits kann auch wirtschaftlich bewertet werden, ob die dauerhafte Stationierung von Servicetechnikern in einer neu zu gründenden Auslandsniederlassung einer temporären Entsendung ins Ausland überlegen ist. Hier ist dann der Gesichtspunkt der Auslastung einer solchen Auslandsniederlassung mit den Kosten individueller Anreisen in die jeweiligen Länder vom Heimatstandort des Investitionsgüterherstellers in Beziehung zu setzen. Bei Überlegungen zur jeweils adäquaten Form der grenzüberschreitenden Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen sind die in der WTO-Definition vorgestellten Optionen jedoch zu ergänzen und zu erweitern, da dort lediglich integrative Formen thematisiert wurden. Unter integrativen Formen der Dienstleistungserbringung werden Organisationsformen verstanden, in denen der Dienstleistungsanbieter die Erbringung der Dienstleistungen mit eigenen Ressourcen angeht. „Cross-Border Trade“, „Consumption Abroad“, „Commercial Presence“ und „Presence of Natural Persons“ sehen jeweils vor, dass der Dienstleistungsanbieter zur Dienstleistungserbringung selbst und allein tätig wird. Die möglichen Transaktionsformen zur Erstellung industrieller Dienstleistungen gehen jedoch darüber hinaus. Morschett (2004a) unterscheidet neben den integrativen Formen die sog. marktvermittelten sowie kooperativen Ansätze, wobei er letztere nochmals in vertikale und horizontale Kooperationen zur Erbringung industrieller Dienstleistungen untergliedert. Integrative, marktvermittelte und kooperative Arten grenzüberschreitender Formen der Serviceerbringung mit ihren jeweiligen Unterformen werden zum Teil als aufeinanderfolgende Stufen einer Erschließung ausländischer Märkte für industrielle Serviceleistungen angesehen. Obwohl derartige Stufenmodelle nicht zwingend in der vorgedachten Reihenfolge zu durchlaufen sind, wird wegen der mit steigenden Stufen zunehmenden Risiken und Kosten eine innere Logik solcher Stufenmodelle postuliert.
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Tabelle 1. Beispiele verschiedener Arten einer grenzüberschreitenden Erbringung produktbegleitender Dienstleistungen Arten grenzüberschreitender Erbringung industrieller Serviceleistungen Serviceart
Dienstleistungserbringung im Heimatland des Dienstleistungsanbieters
Dienstleistungserbringung im Heimatland des Kunden
„Cross-Border Trade“
„Consumption Abroad“
„Commercial Presence“
„Presence of Natural Persons“
Schulung
Fernunterricht, Versand von Unterrichtsmaterialien (Objekt der Schulung ist sowohl beim Kunden wie auch beim Investitionsgüterhersteller als Schulungsmaschine vorhanden)
Mitarbeiter des Kunden besuchen Schulungsveranstaltungen im Land des Investitionsgüterherstellers
Auslandsniederlassungen des Investitionsgüterherstellers bieten Schulungsveranstaltungen für Kundenpersonal an
Trainingspersonal des Investitionsgüterherstellers hält sich zu Schulungszwecken temporär im Land des Kunden auf
Inbetriebnahme
(Tele-Inbetriebnahme nur in Ausnahmefällen möglich)
(Inbetriebnahme im Werk des Herstellers nur in Ausnahmefällen möglich)
Inbetriebnahme durch Personal der Auslandsniederlassung im Werk des Kunden
Inbetriebnahme durch temporär im Werk des Kunden arbeitende Monteure des Investitionsgüterherstellers
Wartung/ Instand setzung
Einschicken des Investitionsguts ins Herstellerwerk (Tele-Wartung bzw. Tele-Instandsetzung nur bei Softwarefehlern bzw. SoftwareUpdates denkbar)
-
Wartung/ Instandsetzung durch Personal der Auslandsniederlassung im Werk des Kunden
Wartung/ Instandsetzung durch temporär im Werk des Kunden arbeitende Servicetechniker des Investitionsgüterherstellers
TeleService
Tele-Diagnose
-
Tele-Diagnose durch Auslandsniederlassung
-
Betreibermodelle
Betrieb der Investitionsgüter im Werk des Herstellers (Übernahme von Lohnfertigungsaufträgen durch den Investitionsgüterhersteller, Grenzüberschreitende Logistik von Werkstücken vor bzw. nach der Erbringung von Mehrwertdiensten mit den beim Hersteller betriebenen Investitionsgütern)
-
Tochtergesellschaft des Investitionsgüterherstellers im Ausland betreibt die Investitionsgüter im Werk des Kunden, Fence-toFence zum Werk des Kunden oder in der Räumlichkeiten der Auslandsniederlassung
Betriebspersonal des Investitionsgüterherstellers hält sich temporär im Land des Kunden auf und übernimmt dort nicht permanent zu erledigende Betriebsaufgaben (Wartung, vorbeugende Instandhaltung bei weitgehend automatisiertem Betrieb der Investitionsgüter)
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Ein solches vierstufiges Modell findet sich bei Luczak et al. (2005). Folgende Stufen werden dort vorgeschlagen: 1. Dienstleistungserbringung durch den Investitionsgüterhersteller vom Stammsitz im Inland. Dieses Konzept ist eine integrative Art der Markbearbeitung und entspricht in der Tendenz dem aufbauend auf der WTO-Unterscheidung definierten Organisationsmodus „Presence of Natural Persons“. 2. Einschaltung von Händlern. Hier handelt es sich um eine marktvermittelte Transaktionsform, bei der nicht unterschieden wird, ob es sich um Händler aus dem Land des Investitionsgüterherstellers oder aus dem Land des Kunden handelt. 3. Kooperationen mit Unternehmen am Zielmarkt. Bei dieser kooperativen Transaktionsform ist nicht thematisiert, ob das kooperativ verbundene Unternehmen zum Investitionsgüterhersteller in vertikalem oder horizontalem Verhältnis steht. 4. Eigene Niederlassung im Zielmarkt. Diese integrative Art der Marktbearbeitung entspricht wie oben dargestellt dem Modus „Commercial Presence“.
3.2 Stellenwert alternativer Organisationsformen für den Eintritt in Auslandsmärkte mit industriellen Services Analysen der Erhebung „Innovationen in der Produktion“ im Hinblick auf die von der deutschen Investitionsgüterindustrie verfolgten Servicestrategien im Ausland zeigen, dass 61 Prozent der befragten Firmen (N = 1.442) angeben, Serviceleistungen nur vom inländischen Firmensitz aus zu erbringen. Im Falle eines Services für Auslandskunden bedeutet dies entweder, dass Mitarbeiter des Investitionsgüterherstellers vom inländischen Standort anreisen und temporär im Ausland tätig werden oder dass die Investitionsgüter für den Service vom Kunden grenzüberschreitend ins Werk einzuschicken sind. Für 42 Prozent der Firmen ist diese Art, ausländischen Kunden Serviceangebote zu bieten, die einzige Form der Übernahme von Serviceleistungen. 19 Prozent nutzen parallel auch andere Formen der Dienstleistungserbringung im Ausland. Hierzu zählt zum einen die Einrichtung firmeneigener Serviceniederlassungen im Ausland. Es zeigte sich, dass 38 Prozent und damit knapp zwei Fünftel der befragten deutschen Investitionsgüterhersteller über solche eigenen Serviceniederlassungen im Ausland verfügen. Alternativ oder ergänzend dazu können Serviceleistungen gegenüber Kunden im Ausland auch von Kooperationspartnern in den jeweiligen Ländern übernommen werden. Solche Partnerfirmen schalten knapp 27 Prozent der befragten deutschen Investitionsgüterhersteller ein, um Kunden Serviceleistungen im Ausland anzubieten. Kooperationen mit inländischen Partnerfirmen zur Erbringung von Serviceleistungen im Ausland sind im Vergleich zu den
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vorbenannten Arten der Serviceerbringung im Ausland weit weniger genutzt. Lediglich knapp 8 Prozent der Firmen gab an, solche Kooperationen zu pflegen. Wie diese Ergebnisse deutlich werden lassen, stützt sich ein Teil der deutschen Investitionsgüterindustrie für die Erbringung von Serviceleistungen gegenüber Auslandskunden nicht nur auf eine Organisationsform, sondern hat – wie dies auch bei Dienstleistungsunternehmen häufig der Fall ist (Häring 2007; DIHK 2006) – parallel mehrere Optionen verwirklicht. Die Quote der Firmen mit solchen parallelen Strukturen beläuft sich auf 28 Prozent. Am häufigsten finden sich dabei die Kombinationen „Service vom inländischen Standort und von Auslandsniederlassungen“, „Service vom inländischen Standort und über Kooperationen mit Partnern im Ausland“ sowie „Service von Auslandsniederlassungen und über Kooperationen mit Partnern im Ausland“. Vergleicht man diese Ergebnisse zur Art der Realisierung von Servicepräsenz im Ausland mit den Resultaten anderer empirischer Studien zu diesem Thema, so ist hier zunächst eine vom Institut für Handel und internationales Marketing (HIMA) vorgelegte Untersuchung zu nennen (Morschett 2004b). Diese Erhebung bezog sich auf den Maschinenbau und war damit sektoral enger eingegrenzt als die oben vorgestellte Unternehmensbefragung. Sie konnte auch lediglich 103 verwertbare Antworten mit einbeziehen und das Sample antwortender Betriebe hatte im Vergleich zur Grundgesamtheit wie auch zur Erhebung des Fraunhofer ISI einen sehr starken Bias zugunsten größerer Firmen. Zum Zeitpunkt der Erhebung liegen keine Angaben vor. Im Ergebnis zeigte sich dort, dass lediglich 21 Prozent der Firmen Services im Ausland vom heimischen Standort aus realisieren, während 41 über eigene, zu diesem Zwecke gegründete, Auslandsniederlassungen verfügten. In der Gegenüberstellung dieser Werte zu den oben referierten Daten zeigt sich, dass die Quote der Firmen mit Serviceniederlassungen im Ausland in etwa auf dem gleichen Niveau liegt. Der im Vergleich zum oben berichteten Wert von 61 Prozent sehr viel geringere Wert der vom heimischen Standort Services im Ausland erbringende Firmen dürfte drei Gründe haben: Zum einen sind in der HIMAErhebung eher größere Firmen vertreten, die, wie weiter unten gezeigt werden wird, zu geringeren Anteilen produktbegleitende Serviceleistungen vom Heimatstandort erbringen. In die gleiche Richtung wirkt die, ebenfalls im Weiteren noch darzustellende, Branchenfokussierung auf den Maschinenbau. Zum Dritten scheint sich hier der Umstand auszuwirken, dass in der HIMA-Untersuchung keine Mehrfachantwortmöglichkeiten zugelassen waren. Dies dürfte den Effekt gehabt haben, dass nur die Firmen mit Services ausschließlich vom Heimatstandort gezählt worden sind. Für die gesamte Investitionsgüterindustrie in ihrer gegebenen Größenstruktur scheint somit der Wert von 40 Prozent ausschließlich, und 60 Prozent insgesamt vom Heimatstandort serviceerbringender Firmen eine realistischere Abschätzung zu sein. Dies unterstützen auch die von Luczak et al. (2005) vorgelegten Daten, die aus einer Befragung von Maschinenbaubetrieben aus den Jahren 2003/2004 stammen. An dieser Erhebung nahmen 93 Firmen teil, die nach Aussagen der Autoren im
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Hinblick auf Unternehmensgröße, Branchenzugehörigkeit und regionale Verteilung der Grundgesamtheit entsprochen haben. Im Ergebnis kommt diese Studie zu dem Schluss, dass je nach Zielland, in dem die Serviceleistungen zu erbringen sind, zwischen 29 Prozent (Zielland Nordamerika) und 64 Prozent (Zielland Westeuropa) der deutschen Firmen vom Heimatstandort aus agieren. Über eigene Auslandsniederlassungen erbringen im Falle des Zielmarktes Nordamerika 50 Prozent, im Falle des Zielmarktes Europa ca. 20 Prozent der deutschen Firmen ihre produktbegleitenden Dienstleistungen. Bei vertieften Analysen zeigte sich zunächst, dass die Art der Serviceerbringung im Ausland nicht unabhängig von der Größe der Investitionsgüterhersteller ist. Insbesondere der Anteil der Firmen mit eigenen Serviceniederlassungen im Ausland variiert signifikant, differenziert man nach der Firmengröße. So zeigt Abbildung 8, dass kleine Firmen mit weniger als 100 Beschäftigten lediglich zu 17 Prozent über eigene Serviceniederlassungen im Ausland verfügen. Diese Quote wächst bei mittleren Firmen (100 bis unter 500 Mitarbeiter) auf 51 Prozent. Bei den größeren Firmen sind Serviceniederlassungen im Ausland mit mehr als 80 Prozent bereits nahezu flächendeckend anzutreffen.
Abb. 8. Arten der Serviceerbringung deutscher Investitionsgüterhersteller im Ausland nach Firmengröße (Mehrfachnennungen)
Spiegelbildlich sinkt der Anteil an Firmen, die Auslandskunden vom Inland aus mit Dienstleistungen versorgen, mit wachsender Größe. Der Rückgang fällt jedoch nicht so stark aus, da die Einrichtung von Auslandsniederlassungen nicht in jedem Fall bedeutet, dass man die Versorgung von Auslandskunden aus dem Inland heraus völlig aufgibt. Während Auslandsniederlassungen und die Versorgung von
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Auslandskunden mit Services aus dem Inland - wie gezeigt - größenabhängig sind, gilt dies für die Konzepte „Servicekooperation mit Firmen in Auslandsmärkten“ und „Servicekooperationen mit inländischen Partnerfirmen“ nicht. Hier sind die jeweiligen Anteile in allen Größenklassen nahezu identisch. Dies überrascht, da Kooperationen insbesondere für kleinere Firmen vielfach als die Option der Wahl bezeichnet werden, um eine breite Angebotspalette regional flächendeckend anbieten zu können, ohne hierfür die in kleineren Firmen vielfach nicht aufzubringenden Aufwendungen alleine tragen zu müssen. Wie von der Firmengröße scheinen die Markteintrittsstrategien für die Serviceerbringung in Auslandsmärkten auch von der Branche beeinflusst zu werden. Es zeigt sich, dass Servicekooperationen mit Partnerfirmen in Auslandsmärkten von Herstellern aus dem Bereich Metallerzeugnisse (19 Prozent) nur halb so häufig eingegangen werden wie von Herstellern medizintechnischer, mess-, steuer- und regelungstechnischer oder optischer Produkte (39 Prozent). Maschinenbaufirmen und Hersteller von Geräten der Elektrizitätserzeugung liegen mit 27 bzw. 28 Prozent hier zwischen den Extremen. Inwieweit diese Unterschiede in Differenzen im Vorhandensein leistungsstarker Kooperationspartner oder in branchenspezifisch unterschiedlichen Kooperationsneigungen begründet sind, muss hier offen bleiben. Betrachtet man das Ausmaß, in dem deutsche Investitionsgüterhersteller über eigene Serviceniederlassungen im Ausland verfügen in Abhängigkeit von der Branche, so fällt auf, dass lediglich die Hersteller von Metallerzeugnissen ein im Vergleich zu den anderen betrachteten Wirtschaftszweigen deutlich unterschiedliches Verhalten an den Tag legen. Mit 24 Prozent der Firmen mit eigenen Servicedependancen im Ausland sind die Hersteller von Metallerzeugnissen in dieser Art der Serviceerbringung im Ausland offensichtlich stark unterrepräsentiert. Spiegelbildlich dazu setzt diese Branche offensichtlich am stärksten auf Services vom inländischen Standort. Wie die Analysen weiter zeigen, sind die Markteintrittsformen zur Erbringung von Services in Auslandsmärkten auch abhängig vom Stellenwert der Auslandsmärkte, gemessen am Exportvolumen im Absatz von Sachgütern und der Entfernung, eventuell auch den kulturellen Besonderheiten der Exportmärkte. In Abbildung 9 sind die entsprechenden Ergebnisse dargestellt.
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Abb. 9. Arten der Serviceerbringung deutscher Investitionsgüterhersteller im Ausland nach Umfang und Zielregionen der Exporte (Mehrfachnennungen)
Aus dieser Abbildung ist zum einen zu entnehmen, dass Unternehmen mit einem nur geringen Exportvolumen ihre Auslandskunden überdurchschnittlich häufig mit Services vom inländischen Standort bedienen. Eigene Serviceniederlassungen im Ausland sind hier naturgemäß die Ausnahme, da sie bei geringen Auslandsumsätzen quantitativ nicht auszulasten wären. Der geringe Anfall von Serviceleistungen im Ausland scheint auch zu verhindern, dass Kooperationspartner im Ausland gefunden werden können, für die die Übernahme der Services attraktiv ist. Bei Investitionsgüterherstellern mit höheren Auslandsumsätzen ist die Quote der Firmen mit eigenen Serviceniederlassungen im Ausland dagegen deutlich höher. Sie liegt bei nahezu 40 Prozent, wenn die Hauptexportländer für die hergestellten und vertriebenen Investitionsgüter in Europa liegen und sogar bei fast der Hälfte, wenn der Export in außereuropäische Länder an Bedeutung gewinnt. In der letztgenannten Firmengruppe zeigt sich darüber hinaus, dass Kooperationen mit Partnerfirmen im Ausland merklich wichtiger werden. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass insbesondere in asiatischen Märkten wie in China ohne lokale Partnerfirmen weder Vertrieb noch Service adäquat zu organisieren sind.
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3.3 Bewertungskriterien zur Wahl einer adäquaten Organisation des Markteintritts mit hybriden Produkten im Ausland Die im Vorangegangenen vorgestellten Ergebnisse zur Abhängigkeit der Art des Auslandsangebots industrieller Dienstleistungen legen nahe, dass zumindest die Faktoren Unternehmensgröße, Branche, Zielmarkt und Umfang der Auslandsdienstleistungen von den Firmen ins Kalkül gezogen werden, wenn es darum geht, die Dienstleistungspräsenz im Ausland zu organisieren. Da sich jedoch bei einer vertieften Analyse zeigt, dass auch gleiche Rahmenbedingungen in diesen Faktoren noch kein homogenes Bild hinsichtlich der Form der Auslandspräsenz entstehen lassen, liegt die Vermutung nahe, dass eine situationsadäquate Organisation des Markteintritts weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen hat. Welche Faktoren insgesamt Entscheidungsrelevanz besitzen, wurde im Projekt DEXINPRO („Dienstleistungsexport mit Industrieprodukten“) daher anlässlich eines Industrieworkshops zum Thema „Vertriebsorganisation für industrielle Services im In- und Ausland“ im Juni 2008 diskutiert. Dabei entstand ein Katalog von Entscheidungskriterien, der zugeordnet zu verschiedenen Phasen des Entscheidungsprozesses im Weiteren vorgestellt werden soll. Die Phasen, in der verschiedene Faktoren bewertet werden, ergeben sich aus der Tatsache, dass einzelne Faktoren als echte Ausschlusskriterien für die Wahl einer bestimmten Organisationsform zu verstehen sind. Dies legt nahe, dass zunächst mit diesen Ausschlusskriterien eine Grobanalyse durchgeführt wird, nach der bereits einige Organisationsformen für die Erbringung der Serviceleistung im Ausland ausscheiden und sich der Lösungsraum nach der Grobanalyse deutlich verengt. In einem zweiten Schritt erfolgt dann eine Feinanalyse, die sich nur noch auf die verbliebenen möglichen Organisationsformen konzentriert und die Handlungsspielräume innerhalb eines definierten Zielmarktes näher beleuchtet. Auch die in dieser Feinanalysephase herangezogenen Kriterien können zu einer weiteren Einengung des Lösungsraumes führen, müssen es aber nicht zwingend. Im dritten und letzten Schritt werden die im individuellen Entscheidungsprozess verbliebenen Optionen des Auslandsangebots industrieller Serviceleistungen einem Wirtschaftlichkeitsvergleich unterzogen. Das Ergebnis ist ein Ranking der noch möglichen Alternativen nach ihrer ökonomischen Vorteilhaftigkeit. Im Rahmen der Grobanalyse gilt es zu überprüfen, inwieweit die Art des Leistungsangebots, Spezifika des eigenen Unternehmens, Vorgaben der Kunden sowie zielmarktspezifische Gesichtspunkte einzelne Optionen zum Auslandsangebot prinzipiell ausschließen (vgl. Abb. 10). Im Einzelnen geht es dabei um folgende Faktoren: Aus der Art des jeweils angebotenen Produkt-Service-Mixes (hybrides Produkt) können einzelne Organisationsformen als nicht realisierbar ausscheiden, da bspw. die Komplexität der Dienstleistung eine Vor-Ort-Präsenz erfordert. Des Weiteren spielt der Stand der Produkttechnik (Sensorik, Regelungstechnik, etc.) eine wesentliche Rolle für die möglichen Organisationsformen der Serviceerbringung im
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Ausland, da dadurch eventuell ein Cross-Border Trade mit Hilfe von Teleservice technisch nicht möglich ist. Als Spezifika des eigenen Unternehmens sind zunächst die materiellen und immateriellen Ressourcen als Ausschlusskriterien anzuführen. Als Beispiele sind hier die Finanzkraft, die Marktmacht, die Marktpräsenz oder die Bekanntheit der Marke zu nennen. Daneben spielen auch die bisherigen Erfahrungen des Unternehmens mit dem Angebot von hybriden Leistungen als Entscheidungskriterium eine große Rolle für die Machbarkeit einer bestimmten Organisationsform. Ein Unternehmen, das noch keinerlei Erfahrungen mit Teleservice gesammelt hat, wird aufgrund der Lernkurveneffekte diesen Service nicht erstmals für Anlagen in Japan anbieten können und wollen. Vorgaben der Kunden sind eine weitere entscheidende Determinante innerhalb der Grobanalyse, da Kunden oftmals bestimmte Organisationsformen nicht zulassen oder ihre Vorgaben faktisch den Ausschluss bestimmter Alternativen bedeuten. Als Beispiel seien Kunden genannt, die keinen Fernzugriff auf ihre Anlage oder Zeichnungen erlauben und somit eine physische Präsenz des Servicemitarbeiters verlangen. Weiterhin können Vorgaben wie z.B. Reaktionszeiten und maximale Stillstandszeiten einen Einsatz von reisenden Servicetechnikern vom Stammland aus Kosten- und Zeitgründen unmöglich machen. Parallel zu den Vorgaben des Kunden spielt auch die Relevanz des Kunden in der Geschäftsbeziehung eine wesentliche Rolle. Als zielmarktspezifische Gesichtspunkte in der Grobanalysephase sind zum einen die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen zu nennen, die den Lösungsraum massiv einengen können. Sofern deutsche Mitarbeiter für einen Serviceeinsatz im Ausland zunächst ein Visum benötigen, wird die Organisationsform des reisenden Personals für kurzfristige Einsätze nicht umsetzbar sein. Auch weitere Einreisebeschränkungen, arbeits- und gesellschaftsrechtliche sowie steuerrechtliche Vorgaben führen schnell zum Ausschluss von einzelnen Organisationsformen. Weitere Determinanten, die sich aus dem Zielland ergeben, sind das Marktvolumen und das Marktpotenzial, die ggf. geeignet sind, eine finanzielle Direktinvestition bereits in dieser frühen Phase der Entscheidungsfindung auszuschließen. Die nach Anwendung dieser Faktoren als Ausschlusskriterien für bestimmte Formen des Auslandsangebots hybrider Produkte verbleibenden Optionen sollten anschließend einer Feinanalyse unterzogen werden, um ihre Tragfähigkeit zu validieren. In dieser Feinanalyse sollten folgende Faktoren in Betracht gezogen werden: x Verfügbarkeit (und Kompetenz) möglicher Kooperationspartner sowie die Verfügbarkeit von Personal und Infrastruktur auf dem in Frage kommenden Zielmarkt. Sind potenzielle Kooperationspartner quantitativ oder qualitativ nicht vorhanden, werden kooperative Formen der Serviceerbringung schwieriger zu realisieren sein. Kann man qualifiziertes Personal nur schwer akquirieren, kann der Aufbau eigener Serviceniederlassungen zum Problem werden.
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x Kulturelle Rahmenbedingungen. Zielmarktkultur und landesspezifische Erfahrungen des Anbieters hybrider Produkte spielen eine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung in der Feinanalysephase. x Finanzielle und rechtliche Möglichkeiten. Eine weitere Gruppe von Determinanten stellen die finanziellen und rechtlichen Möglichkeiten im Zielland dar: Hier ist es für die Unternehmen wesentlich, frühzeitig zu recherchieren, welche Möglichkeiten der Förderung und Finanzierung es ggf. im Zielland zusätzlich oder alternativ zum Heimatland gibt und in welcher Form dem Unternehmen vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten zugute kommen (z.B. Haftung, Strafen). Die nach der Feinanalyse verbleibenden Optionen zur Gestaltung des Auslandsangebots hybrider Produkte sind anschließend unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten zu vergleichen. Für eine solche Wirtschaftlichkeitsbewertung wurde im Projekt DEXINPRO ein softwaregestütztes Tool entwickelt, in dem die Aspekte „Ausland“ und „Angebot eines hybriden Produkts“, soweit sie Auswirkungen auf die Zahlungsströme des Anbieters besitzen, im Zuge einer monetären Bewertung erfasst werden. Alle Ein- und Auszahlungen, die sich aus einer länderübergreifenden Erbringung des Dienstleistungsangebots selbst ergeben, werden eingerechnet. Da ein Auslandsprojekt deutlich größere Unsicherheiten mit sich bringt als eine vergleichbare Investition im Inland, wird das Bewertungskalkül im Anschluss um die bestehenden Risikoquellen erweitert. Da bei der Vermarktung kundenorientierter Problemlösungen auf einem Auslandsmarkt alle finanziellen Auswirkungen auf den Anbieter über die gesamte Lebensdauer des Auslandsprojekts erfasst und zeitlich strukturiert werden müssen, basiert das Tool auf der Methode des Life Cycle Costing. Dieser Ansatz stellt nach Kralj (1999) ein System dar, das die anfallenden Kosten über die verschiedenen Lebenszyklusphasen des Bezugsobjekts plant, kontrolliert, steuert und kumuliert. Durch die Entwicklung eines Lebenszyklusmodells (in Anlehnung an Pfeiffer u. Bischof 1974a, 1974b) für exportierte Serviceangebote können Ein- und Auszahlungen in ihrer zeitlichen Struktur erfasst und bewertet werden. Da in diesem Kontext sowohl ein einzelnes Investitionsgut, als auch der gesamte Absatzmarkt betrachtet wird, finden die Interdependenzen der verschiedenen Lebenszyklusperspektiven bei der Vermarktung industrieller Dienstleistungen Berücksichtigung (Hoeck 2005). Die Bewertung des exportierten Serviceangebots erfolgt auf Basis des modellierten Lebenszyklus, der die Lebensdauer des Auslandsprojekts mit dessen verschiedenen Phasen abbildet. Der Entstehungszyklus berücksichtigt alle Investitionen, die von der Idee bis zum tatsächlichen Markteintritt getätigt werden und zu den Anfangsinvestitionen zu zählen sind, wie bspw. für Informationsbeschaffung oder für das Überwinden von Markteintrittsbarrieren. Zum Zeitpunkt des Markteintritts fallen Investitionen für Auslandsniederlassungen oder Kapazitätserweiterungen am heimischen Standort an, die aufgrund des Serviceangebots auf einem ausländischen Markt benötigt werden. Die Phase des Dienstleistungsexports erstreckt sich über den gesamten Marktzyklus des Serviceangebots, der mit der Inbetriebnahme der ersten Produkt-/Serviceeinheit be-
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ginnt und mit der Außerbetriebnahme der letzten Einheit endet. Da die Vorteilhaftigkeit einer Markteintrittsstrategie maßgeblich von der Anzahl der abgesetzten Produkt-/Serviceeinheiten auf dem Auslandsmarkt beeinflusst wird, wird der Marktzyklus über die Summe aller exportierten Produkt-/Serviceeinheiten bewertet.
Abb. 10. Eingrenzung der Organisationsformen durch die Grobanalyse
Um diese Funktionalität des Tools zu nutzen, muss ein Anbieter hybrider Leistungen für die Bewertung seines potenziellen Auslandsangebots zunächst alle Leistungen in ein Bewertungskalkül aufnehmen, die er im Laufe des Lebenszyklus einer exportierten Produkt-/Serviceeinheit erbringt. Diese Leistungen sind dann über die Absatzzahl zu einem Gesamtverbrauch an Ressourcen über den Marktzyklus hinweg aufzusummieren. Im Rahmen neuartiger Serviceangebote zählen dazu Ressourcen für Personal und Material, die bspw. für produktbegleitende Dienstleistungen wie Inbetriebnahme, Wartung und Reparatur aber auch für den Betrieb der Anlage bereitgestellt werden. Hinzu kommen Leistungen für Transport und Logistik, die sich aufgrund des länderübergreifenden Vertriebs für Auslandsaufenthalte des Personals oder Transporte von Anlagen und Endprodukten ergeben. Im Gegenzug werden die Erlöse des Serviceangebots über die Art des Finanzierungsmodells erfasst, die vom klassischen Verkauf einer Anlage bis hin zu einer Bezahlung nach dem „Pay-on-Production“-Modell reichen können. Der Marktzyklus lässt sich somit durch die Gegenüberstellung von Kosten und Erlösen aller abgesetzten Produkt-/Serviceeinheiten bewerten.
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Im Gegensatz zu einem Projekt, das im Inland durchgeführt wird, birgt ein Auslandsprojekt wesentlich größere Risiken. Gründe sind zum einen länderspezifische Faktoren, die nicht beeinflusst werden können, zum anderen verfügen Unternehmen nicht über denselben Informationsgrad wie im Heimatland (Stein 1998). Eine Möglichkeit, diese Unsicherheiten in eine Bewertung aufzunehmen, stellt die Berücksichtigung von Szenarien dar (Reh 2004; Buhmann u. Schön 2004). Damit kann ein „Worst Case“ simuliert werden, indem unsichere Faktoren mit pessimistischen Werten belegt werden. Vergleichend können Szenarien berücksichtigt werden, die durchschnittliche oder positive Annahmen beinhalten, um ein breites Spektrum an möglichen Optionen abzudecken und um festzustellen, wie sich eine Veränderung der externen Gegebenheiten auf die Wahl der optimalen Markteintrittsstrategie auswirkt. Dieser Szenarienansatz ist im Tool implementiert und ermöglicht es dem Nutzer, die Wirkungen unsicherer Annahmen abzubilden.
3.4 Instrument zur wirtschaftlichen Bewertung ausgewählter Formen des Markteintritts mit hybriden Produkten im Ausland Wie im vorangegangenen Abschnitt bereits angerissen, greift das Instrument für die intendierte Wirtschaftlichkeitsbewertung auf die Kapitalwertmethode zurück, da diese nicht nur die zeitliche Struktur der Zahlungsströme berücksichtigt, sondern auch mit dem Ansatz des Life Cycle Costing vereinbar ist. Die für das Tool entwickelte Software wurde auf Basis von Microsoft Excel mit Visual Basic-Komponenten umgesetzt. Damit werden Simulationen für den Nutzer mit geringem Zeitaufwand möglich, und die Akzeptanz des Instruments wird gesteigert. Zur Nutzung des Tools gibt der Nutzer spezifische Daten zum Angebot selbst, zu den länderübergreifenden Erbringungsformen, zum Zielland und zum eigenen Unternehmen an, die für eine Wirtschaftlichkeitsbewertung benötigt werden. Damit der Nutzer einen direkten Vergleich der Auswirkungen der verschiedenen Erbringungsformen erhält, bewertet die Software das gewählte Auslandsangebot mit allen in Frage kommenden Markteintrittsformen, so dass die wesentlichen Unterschiede der einzelnen Optionen deutlich hervorgehoben werden. In einem zweiten Schritt trifft der Anwender zu den Absatzzahlen der Produkt-/Serviceeinheiten sowie zu unsicheren Eingangsdaten optimistische, realistische und pessimistische Annahmen. Das Bewertungsinstrument entwickelt zur Sensitivitätsanalyse damit drei Szenarien, mit denen Unsicherheiten abgefangen werden. Während bspw. das optimistische Szenario mögliche Chancen aufzeigt, beschreibt das pessimistische Szenario das Risikopotenzial der verschiedenen Markteintrittsoptionen. Die Software kann somit ein breites Spektrum möglicher Entwicklungen des Projekts abbilden und vergleichen.
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Im dritten und letzten Schritt schließt die Softwaresimulation mit der Darstellung und Analyse der Ergebnisse. Dabei werden nicht nur Aussagen über die Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Markteintrittsstrategien gemacht, sondern es lassen sich auch Erkenntnisse ableiten, die für die Entwicklung von strategischen Maßnahmen eines Unternehmens eingesetzt werden können. Weiter werden anhand eines Fallbeispiels die Möglichkeiten des Tools illustriert: In diesem Beispiel geht es darum, Markteintrittsoptionen für ein Leistungsangebot auf Auslandsmärkten wirtschaftlich zu bewerten, das Kunden zeitlich begrenzt zusätzliche Anlagenkapazitäten bereitstellt, damit diese ihre Spitzenbedarfe abdecken können ohne in zusätzliche Fertigungskapazitäten investieren zu müssen. Das wesentliche Merkmal dieses Serviceangebots ist die Bereitstellung einer mobilen Anlage, welche temporär unterschiedlichen Kunden über jeweils gewünschte Zeiträume zur Verfügung gestellt wird. Außerdem beinhaltet die Serviceleistung den Auf- und Abbau der Maschine sowie weitere Leistungen wie bspw. Inbetriebnahme, Wartung oder Reparatur. Für dieses Angebot eines hybriden Produkts kommen nach Grob- und Feinanalyse die Markteintrittsoptionen „Commercial Presence“, „Presence of Natural Persons“ oder „Third Party Service Provider“, was der Beauftragung eines externen Unternehmens entspricht, in Frage. Im Fall einer Auslandsniederlassung („Commercial Presence“) würden die Leistungen rund um das oben beschriebene hybride Produkt vom Personal einer zu gründenden Auslandsniederlassung erbracht werden, die in räumlicher Nähe zum Kunden aufzubauen wäre. Die Möglichkeit einer temporären Präsenz („Presence of Natural Persons“) von Mitarbeitern aus dem deutschen Stammsitz sieht vor, dass Mitarbeiter zur Übernahme aller Serviceleistungen des hybriden Produkts zum Kunden ins Ausland reisen. Die Option einen Unterauftragnehmer („Third Party Service Provider“) mit der Leistungserbringung im Ausland zu betrauen, geht davon aus, dass dieses Unternehmen sämtliche zur Erbringung des Serviceangebots nötigen Tätigkeiten übernimmt. Dabei kommen sowohl Partner aus dem Stamm- als auch aus dem Zielland infrage. Zu dieser skizzierten Entscheidungssituation des Unternehmens bezüglich Serviceangebot und Erbringungsform generiert die Software den für eine Bewertung benötigten Datenbedarf, der vom Nutzer des Tools für eine Anwendung mit Werten hinterlegt werden muss. In Abbildung 11 ist dieser Datenbedarf mit den im Fallbeispiel hinterlegten Werten aufgelistet. Im zweiten Schritt der Toolnutzung modelliert der Nutzer ein optimistisches, realistisches und pessimistisches Szenario. Im pessimistischen Szenario wird von einer negativen Entwicklung der Eingangsdaten über den Zeitverlauf ausgegangen und mit einem Absatz von einer Produkt-/Serviceeinheit gerechnet, wobei sich der Lebenszyklus des Auslandsprojekts über neun Jahre erstreckt. Das realistische Szenario geht von fünf vertriebenen Produkt-/Serviceeinheiten und einem Lebenszyklus von elf Jahren aus. Hingegen wird beim optimistischen Szenario mit einem Absatz von zehn Produkt-/Serviceeinheiten und einer Lebens-
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zyklusdauer von zwölf Jahren gerechnet, wobei sich die kritischen Faktoren über diese Dauer eher positiv für das Unternehmen entwickeln.
Abb. 11. Eingangsdaten Fallbeispiel
Mit diesen Eingangsdaten ergibt sich für das vorgestellte Fallbeispiel eine Ergebnisübersicht, wie sie in Abbildung 12 dargestellt ist. Auf der rechten Seite der Ergebnisdarstellung wird in Abhängigkeit der Szenarien die jeweils vorteilhafteste Markteintrittsform aufgelistet. In der links daneben stehenden Grafik werden die errechneten Kapitalwerte der neun betrachteten Varianten dargestellt (drei Markteintrittsformen in Verbindung mit drei Szenarien). Auf der x-Achse sind dazu die
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drei Szenarien in Abhängigkeit der abgesetzten Produkt-/Serviceeinheiten charakterisiert. In dem für das Fallbeispiel errechneten Ergebnis steigen naturgemäß für alle Markteintrittsformen die Kapitalwerte in Richtung des optimistischen Szenarios an. Alle betrachteten Markteintrittsformen mit Ausnahme der „Commercial Presence“ nehmen selbst im pessimistischen Szenario einen positiven Kapitalwert an, was auf die Renditechancen des Auslandsangebots hindeutet. Aus dem Schnittpunkt der Trendlinie der Option „Commercial Presence“ mit der x-Achse wird zudem deutlich, dass eine Auslandsniederlassung einen Absatz von mindestens fünf Produkt-/Serviceeinheiten benötigt, um einen positiven Kapitalwert zu erreichen.
Abb. 12. Ergebnisdarstellung des Bewertungsinstruments
Bei der Interpretation der Ergebnisse kann man davon ausgehen, dass für die szenarisch modellierten Erwartungswerte jeweils die Option mit dem höchsten Kapitalwert die vorteilhafteste Markteintrittsform darstellt. Folglich lässt sich anhand der Grafik und den angegebenen Bedingungen feststellen, welche Situation eintreten muss, damit für das Unternehmen eine bestimmte Markteintrittsoption optimal wird. Weiterhin erlauben die Ergebnisse eine Empfehlung dazu, welche Markteintrittsoptionen bei Vorliegen verschiedener Risikostrategien angezeigt sind. Im vorliegenden Fall ergibt sich folgendes Bild:
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x Ein risikoaverses Unternehmen sollte versuchen, die Markteintrittsoption zu realisieren, die im pessimistischsten Fall den höchsten Kapitalwert aufweist. Wie Abbildung 12 deutlich werden lässt, ist dies in der fallspezifisch geschilderten Entscheidungssituation die Option „Third Party Service Provider“, also die Markteintrittsform, in der man einen Unterauftragnehmer engagiert. Über den gesamten Lebenszyklus des Angebots hybrider Produkte auf einem Auslandsmarkt erbringt diese Option auch unter der Annahme, dass lediglich ein hybrides Produkt im betrachteten Auslandsmarkt absetzbar ist, einen positiven und über der zweitbesten Alternative liegenden Kapitalwert. x Ein risikofreudiges Unternehmen sollte die Option wählen, die den höchstmöglichen Kapitalwert überhaupt zu realisieren in der Lage ist. In der skizzierten Situation ist dies die Option „Commercial Presence“, die im optimistischen Szenario den besten Kapitalwert aller durchgerechneten Varianten hat. Ab neun absetzbaren hybriden Produkten im betrachteten Auslandsmarkt übersteigt der Kapitalwert dieser Markteintrittsstrategie den Kapitalwert der zweitbesten Alternative. Ein Unternehmen, das Ertragsmaximierung betreibt und bereit ist, auch hohe Risiken einzugehen, sollte daher auf diese Option setzen. x Ein Unternehmen, das versucht den Kapitalwert seiner Auslandsaktivitäten unter Beachtung der Eintrittswahrscheinlichkeiten der Szenarien zu optimieren, sollte im vorliegenden Fall die Option „Presence of Natural Persons“ wählen, wenn alle Szenarien ähnliche Wahrscheinlichkeiten aufweisen. Da diese Option im arithmetischen Mittel der betrachteten Szenarien den höchsten Kapitalwert zu erreichen in der Lage ist, würde es nahe liegen in dieser Risikostrategie so zu entscheiden. Durch den mit Nutzung des oben beschriebenen Tools verbesserten Informationsstand eines Unternehmens lassen sich Unsicherheiten bezüglich des Dienstleistungsexports abbauen. Unter der Berücksichtigung der individuellen Risikoneigung eines Unternehmens kann das vorgestellte Bewertungsinstrument als strategische Entscheidungsunterstützung für Investitionsgüterhersteller eingesetzt werden, die ihre Serviceangebote auf ausländische Märkte ausweiten möchten und bei denen Unsicherheiten bezüglich der Wahl der optimalen Markteintrittsstrategie bestehen.
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Personalentwicklung als Erfolgsfaktor einer strategischen Neuausrichtung zum Anbieter komplementärer Produkte und Dienstleistungen Dunja B. Eberhard
Abstract Die Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens korrelieren mit der Fähigkeit, schnell auf notwendige Veränderungen reagieren zu können. Um den veränderten Wettbewerbsbedingungen zu entsprechen, sind Unternehmen gezwungen, ihr Leistungsangebot um produktbegleitende Dienstleistungen zu erweitern. Diese Neuorientierung stellt produzierende Unternehmen vor die Herausforderung, schnell neue Kompetenzen in der Produkt- und Dienstleistungsentwicklung – wie auch in deren Zurverfügungstellung – einzusetzen. Einen Weg zum Aufbau der notwendigen Kompetenzen bietet ein „integratives Rollenkonzept“. Hierbei wird die Einbindung des Mitarbeiters in die Organisation mit den konkreten Aufgaben, Kompetenzen (Qualifikationen) und (Entscheidungs-)Befugnissen betrachtet. Durch eine gezielte Information und Mitarbeitereinbindung in den Veränderungsprozess können die Notwendigkeit eines Dienstleistungsangebotes sowie eine abteilungsübergreifende Prozesskenntnis vermittelt werden. Eine situationsadäquate Betrachtung der ebenenspezifischen Kompetenzen im Produkt- und Dienstleistungserstellungsprozess ermöglicht eine strukturierte Kompetenzentwicklung.
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Spezifische Problemstellung
1.1 Besondere Anforderungen der Internationalisierung für produzierende KMU in Deutschland Aktuell sind produzierende Unternehmen im internationalen Wettbewerb mit neuen Trends konfrontiert, mit denen sie sich auseinandersetzen und denen sie entsprechend begegnen müssen. Die Globalisierung und die (digitale) Vernetzung der Prozesse führen zu neuen Formen der Zusammenarbeit. Neue Technologien und eine gesteigerte Innovationsdynamik bedingen eine Beschleunigung des technologischen Wandels und eine wachsende Unsicherheit im Umgang mit dieser Dynamik. Mit steigender Bedeutung der Dienstleistungsökonomie und der Abhängigkeit von Spezialwissen gewinnen die Verfügbarkeit von Wissen und die
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Kompetenzen der Mitarbeiter zunehmend an Relevanz (Hundt 2000; Bullinger et al. 2000; Schultetus 2006; Fürstenberg 2005). Diese stetig zunehmende Intensität und Dynamik des Unternehmensumfelds führt zu großen Herausforderungen insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen. Betraf die Zunahme des Konkurrenzdrucks zunächst einerseits vor allem die arbeitsintensive Produktion vergleichsweise einfacher Sachgüter und damit andererseits oft größere Unternehmen, ist sie heute auch im Bereich der Herstellung komplexer Güter für anspruchsvolle Kunden, die auch mittelständische Unternehmen betreffen, deutlich spürbar. Das international steigende Qualitätsniveau von Produkten ist auch für KMU kaum noch ein Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb. Damit gewinnen Geschäftsstrategien an Bedeutung, bei denen das Produkt Bestandteil einer integrierten Problemlösung ist. Um in diesem Kontext wettbewerbsfähig zu sein, dürfen sich auch kleinere und mittlere Unternehmen nicht mehr allein auf komplexe Produkte hoher Qualität konzentrieren. Kundenzufriedenheit als Grundlage unternehmerischen Erfolges resultiert vielmehr aus umfassenden Systemangeboten, die neben physischen Produkten innovative produktbegleitende Dienstleistungen einschließen. Ihr gezieltes Angebot auf internationalen Märkten kann die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens langfristig sichern. Sie ist jedoch auch mit hohen – insbesondere finanziellen – Risiken verbunden, die bspw. durch Investitionen zum Aufbau von Dienstleistungskapazitäten vor Ort entstehen. Insofern sehen sich viele KMU vor zwei Herausforderungen gestellt: Erstens müssen sie sich vom Produkthersteller zum Systemanbieter entwickeln und zweitens müssen sie diese Problemlösungen auch international anbieten. Dieser Wandel erfordert eine strategische Neuausrichtung, die neben der Anpassung der unternehmerischen Prozesse und Strukturen vor allem neue Anforderungen an die Mitarbeiter und deren Fähigkeiten stellt.
1.2 Verknüpfung von Organisations- und Personalentwicklung als Erfolgsfaktor bei einer strategischen Neuausrichtung Beim strategischen Wandel zum Anbieter von produktbegleitenden Dienstleistungen mit dem Ziel, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten bzw. auszubauen, sind eine permanente Innovations- und Wandlungsfähigkeit sowie leistungsfähige Konzepte und Strukturen des Unternehmens notwendig (Rühli 1994). Zur erfolgreichen Realisierung des Veränderungsprozesses, ist es unbedingt erforderlich, die betroffenen Mitarbeiter einzubeziehen und Kompetenzen frühzeitig zu erkennen, anzuwenden, zu sichern und kontinuierlich auszubauen, um die unternehmerischen Innovationspotenziale zu nutzen (Talke et al. 2006). Der Ausbau der unternehmensspezifischen Kompetenzen ist daher das zentrale Anliegen des hier zu diskutierenden Entwicklungskonzepts für mittelständische Unternehmen. Die Fähigkeit, den externen und internen Umständen durch den Aufbau interner (individueller und organisationaler) Handlungskompetenz (vgl. dazu Abschnitt
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3.1 in diesem Beitrag) Rechnung zu tragen, wird zu einem erfolgskritischen Aspekt da die durch den erforderlichen strategischen Wandel zu bewältigenden Problemstellungen eine zusätzliche Handlungskompetenz erforderlich machen (Probst u. Büchel 1997). Es ist notwendig, dass sich Mitarbeiter, Führungskräfte und Unternehmensleitung den neuen Anforderungen stellen, die durch das Angebot bzw. die Entwicklung produktbegleitender Dienstleistungen entstehen. Betroffen sind insbesondere Aspekte wie Autonomie, Kreativität, Vertrauen, Emotionen, kooperatives und integrierendes Verhalten im Gegensatz zu Anforderungen in produktionsfokussierten, hierarchisch geprägten Organisationen wie Gehorsam, Egoismus, Konkurrenz, Abhängigkeit, Anpassung, Kontrolle und Rationalität (Reichwald u. Hesch 1998). Wesentlich bei der Entwicklung und Vermarktung industrieller Dienstleistungen ist, dass in den Unternehmen ein Umdenken der Mitarbeiter erreicht werden kann. Bei einem strategischen Turnaround vom Produzenten zum Anbieter komplementärer Produkte und Dienstleistungen ist eine Veränderung der Einstellungen und des Verhaltens erforderlich. Basis bildet die Qualifizierung in ganzheitlichem, strategischem Denken auf Grundlage des Konzeptes des „Systemischen und strukturierten Denkens“ (Gomez 1981) sowie eine aktive Einbindung der Mitarbeiter in die Umsetzung der notwendigen Veränderungsmaßnahmen.
2 Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch Neuausrichtung der Strategie Die bei der Intensivierung der Kopplung von Sachgütern mit industriellen Dienstleistungen erforderliche Veränderung bezieht sich insbesondere auf die Serviceund Kundenorientierung. Das Umdenken beruht auf einem kundennutzenorientierten Produkt- und Dienstleistungsverständnis, welches die Ausgangslage für den strategischen Wandel beschreibt. Demnach werden Produkte und Dienstleistungen als Bündel von Eigenschaften verstanden (Brockhoff 1999), die entsprechend den Anforderungen internationaler Märkte gestaltet werden müssen. Dadurch wird die Dichotomie von Sach- und Dienstleistungen aufgelöst und so eine theoretische Basis für die Integration von Sach- und Dienstleistungen in einem Produkt gefunden (Engelhard et al. 1993). Somit muss die Veränderung von Einstellungen und Verhalten der Mitarbeiter auf diesem Produktverständnis aufbauen. Eine Möglichkeit, Mitarbeitern den komplementären Charakter verständlich zu machen, bietet die Betrachtung der unterschiedlichen Nutzencharakteristika einer Marktleistung. Der Nutzen eines Produkts differenziert sich in Grund- und Zusatznutzen. Der Grund- bzw. Kernnutzen bezieht sich auf die physikalischchemisch-technischen Eigenschaften des Produkts (funktionaler Nutzen). Somit bildet das Sachgut in der Regel den Grundnutzen der Marktleistung ab. Der Zusatznutzen bezieht sich auf die Fähigkeit der Marktleistung, das beim Kunden vor-
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handene Problem vollumfänglich zu lösen. Somit sind häufig zum physikalischen Produkt komplementäre Leistungen notwendig. Diese zusätzlichen Dienstleistungen führen zu einer gesamthaften Erfüllung der Kundenbedürfnisse und somit zu einem höheren Nutzen beim Kunden (Eberhard 2009). Ein weiterer Ansatz zur kundenorientierten Analyse des Angebots von Marktleistungen, der für die Personalentwicklung genutzt werden kann, liefert das KANO-Modell. Dieses Modell unterscheidet drei Zufriedenheitsfaktoren für Produkte: Basisfaktoren, Leistungsfaktoren und Begeisterungsfaktoren (Kano et al. 1984). Je höher die Kundenzufriedenheit ist, desto besser vermag sich das Produkt von konkurrierenden Marktleistungen zu differenzieren. Hieraus wird die Bedeutung des zu sichernden Zusatznutzens offenbar und es erklärt sich die Notwendigkeit der Bündelung von Sachgütern und Dienstleistungen, die den umfänglichen Kundenanforderungen zur Problemlösung gerecht werden. Ausgehend von diesem kundennutzenorientierten Produkt- und Dienstleistungsverständnisses, nimmt das subjektiv wahrgenommene Problemlösungspotenzial der Leistung bezogen auf den intendierten Verwendungszweck einen zentralen Stellenwert bei der Entwicklung von Marktleistungen ein (Meffert 2000). Um diesem Wandel zur Marktleistung mit möglichst hohem Potenzial zur Lösung der beim Kunden erkannten Herausforderungen begegnen zu können, ist für Unternehmen der Aufbau problemlösungsorientierter Kompetenzen unersetzlich. Basis für eine erfolgreiche Dienstleistungsentwicklung und anschließende Internationalisierung ist zusätzlich die Vermittlung des Wesens von Dienstleistungsprozessen im Unterschied zur klassischen Produktentwicklung und vermarktung. Schließlich betrifft der Internationalisierungsaspekt auch eine interkulturelle Dimension. Kritisch für eine erfolgreiche Entwicklung von Marktleistungen und insbesondere komplementärer Produkte und Dienstleistungen ist die Kenntnis kultursensibler Daten wie rechtliche Aspekte und Anspruchsniveaus in den Zielländern. Diese sind auch in der Kompetenzentwicklung zu berücksichtigen. Zur Umsetzung des Wandels vom Produkthersteller zum Dienstleistungsanbieter ist daher ein übertragbares, situationsangemessen adaptierbares Vorgehensmodell mit dem besonderen Fokus auf KMU und kleine Konzernstandorte erforderlich. Den konzeptionellen Rahmen bildet ein auf strategischen Vorarbeiten basierendes Geschäftsfeldmodell für produktbegleitende Dienstleistungen. Dieser Rahmen legt das Fundament für die Entwicklung weiterer spezifischer Umsetzungsstrategien. Diese definieren den Handlungsrahmen, innerhalb dessen sich die Ziele des Unternehmens im Hinblick auf das Angebot solcher Dienstleistungen verwirklichen lassen. Die Gestaltung des Wandels wird durch gezielte Information und Mitarbeitereinbindung in Veränderungsprozesse unterstützt (vgl. Abb. 1).
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Abb. 1. Neuausrichtung vom Produkthersteller zum Anbieter von Problemlösungen
Wesentliche Handlungsfelder für eine erfolgreiche Umsetzung der strategischen Neuausrichtung sind: x Commitment der Führungskräfte – also das Ausmaß der Identifikation mit der strategischen Neuausrichtung. Neben der Teilnahme an Treffen des Steuerungskreises beinhaltet dies auch die Schaffung notwendiger Ressourcen und Freiräume für Mitarbeiter. x Bereichsübergreifendes Projektmanagement zur Sicherstellung der Stringenz verbunden mit einem regelmäßigen Abgleich des aktuellen Status mit den zu Beginn festgesetzten Zielen sowie ggf. Einleitung von Anpassungsmaßnahmen bei Abweichungen. x Frühzeitige Beteiligung und Information der Mitarbeiter der unterschiedlichen Unternehmensbereiche im Rahmen von Workshops bzw. der Bildung von bereichsspezifischen bzw. -übergreifenden Projektgruppen. Eine weitere Form der aktiven Beteiligung bietet sich durch den Einsatz von Großgruppenveranstaltungen an. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die Mitarbeiter von der Notwendigkeit der strategischen Neuausrichtung zu überzeugen sie daran aktiv zu beteiligen. x Definition neuer bzw. die Anpassung bestehender Prozesse für das Angebot komplementärer Produkt- und Dienstleistungen durch Einbezug direkt Betrof-
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fener wie auch von Fachexperten. Durch diese Integration der betroffenen Mitarbeiter in die Prozessanpassungen können übergeordnete Zusammenhänge verdeutlicht und abteilungsübergreifende Schranken durch die Kenntnis der Prozesse verringert werden. Einen Überblick über das Vorgehensmodell für eine strategische Neuausrichtung zum Anbieter komplementärer Produkte und Dienstleistungen gibt Abbildung 1.
3 Personalentwicklung als Voraussetzung der Realisierung des Wandels Die beschriebene Notwendigkeit des Aufbaus und der Weiterentwicklung der Mitarbeiterkompetenzen und deren Einbindung in den Veränderungsprozess führen im Folgenden zu einer Vertiefung des Kompetenz- und Rollenverständnisses als Basis für weitergehende Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen.
3.1 Zugrunde liegendes Kompetenzverständnis Die organisationale Handlungskompetenz als übergeordnetes Ziel der Kompetenzentwicklung wird durch die Unternehmensstruktur und die individuelle Handlungskompetenz ihrer Mitarbeiter geprägt. Allgemein kann Handlungskompetenz als Bereitschaft und Fähigkeit interpretiert werden, definierte Problemstellungen zu verstehen und gemeinsam mit anderen entsprechend in Verantwortung gegenüber sich selbst und der Umwelt zu handeln. Insofern beinhalten Kompetenzen als Selbstorganisationsdispositionen die Fähigkeit von Menschen, offene und unüberschaubare, komplexe und dynamische Situationen zu bewältigen. So fasst die Handlungskompetenz das Können, Dürfen und Wollen des Mitarbeiters zusammen, in einer Situation adäquat zu handeln. Insbesondere das Dürfen steht im engen Zusammenhang mit den organisationalen Gegebenheiten und wird durch die Rolle des jeweiligen Mitarbeiters im Unternehmen festgelegt (Münch 2007; Becker 2005). Die individuelle Handlungskompetenz der Mitarbeiter kann – die Handlungsbereitschaft vorausgesetzt – durch Personalentwicklung verbessert bzw. aufgebaut werden (Arnold 2006; Probst et al. 1997). Schlüsselqualifikationen sollen Mitarbeiter dazu befähigen, künftigen Anforderungen (besser) zu entsprechen, auch wenn die Dynamik der Arbeitsanforderungen zunimmt und sich das ObsolenzTempo (Zerfallszeit, Veraltenstempo) von Bildungsinhalten beschleunigt. In diesem Zusammenhang wird auch von Basiskompetenzen gesprochen, die in soziale,
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fachliche, methodische und personale Kompetenzen unterteilt werden (Münch 2007; Gaugler 1992).2 Während der unternehmerische Informationsbedarf in dynamischen Wettbewerbsumwelten und gesellschaftlichen Veränderungen ständig ansteigt, verkürzt sich die Zeit für Prüfung und Auswertung der entscheidungsrelevanten Informationen (Farhoomand u. Drury 2002). Diese Informationsüberflutung verschärft sich bei einer strategischen Neuorientierung – insbesondere wenn Unternehmen neue Angebote für Märkte entwickeln, auf denen sie bislang nur wenig Erfahrung sammeln konnten. Zum bessern Umgang mit dieser Problematik sind rechnergestützte Modelle zur Kompetenzentwicklung zu empfehlen. Diese ermöglichen es, die im Unternehmen vorhandenen Kompetenzen zu identifizieren, strukturiert weiterzuentwickeln und adäquat einzusetzen. Das nachfolgend vorgestellte integrative Rollenkonzept ist von einer informationstechnisch orientierten Rollenbetrachtung abgeleitet und bietet damit eine geeignete Basis für ein rechnergestütztes Modell der Kompetenzentwicklung.
3.2 Integratives Rollenkonzept Das integrative Rollenkonzept geht von einer umfassenden Definition der Rolle eines Mitarbeiters im Unternehmen aus und beschreibt den Zusammenhang zwischen Determinanten der Rolle und zur Ausübung der Rolle erforderlichen Fähigkeiten. Die von Mitarbeitern (produzierender Unternehmen) eingenommene Rolle im Unternehmen ist vor allem abhängig von objektiven Vorgaben, die für die Ausübung der Tätigkeit zu berücksichtigen sind. Weiter ist die Rolle abhängig von Typ und Branche, aber auch der Lebensphase (Neugründung, Internationalisierung, Umstrukturierung etc.) des Unternehmens. Folgt man diesem Verständnis, repräsentiert die Rolle eine Ausrichtung an objektiven Tätigkeitsmerkmalen. Diese Merkmale können sich aus der Hierarchie oder bestimmten Fertigkeiten sowie der Organisationszuordnung ableiten. Damit fasst der Begriff der Rolle eine Gruppe von Mitarbeitern zusammen, die in bestimmten Bereichen die gleichen Ausprägungen der objektiven Merkmale ihrer Arbeit aufweisen. Mitarbeiter mit gleicher Rolle haben also ähnliche Aufgaben und einen ähnlichen Informationsbedarf (Süßmilch-Walter u. Gilleßen 2003).
2
Zur Vertiefung der vier Kompetenzbegriffe vergleiche den Beitrag Personalund Organisationsentwicklung als interdependente Konzepte.
86 3.2.1
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Determinanten eines integrativen Rollenkonzepts
Als Ausgangspunkt werden zunächst fünf verschiedene Rollenmodelle beschrieben, die in der Literatur und Praxis Anwendung finden (Kirn 1996). Das kompetenzorientierte Rollenmodell setzt an den Qualifikationen an, die vom Mitarbeiter verlangt werden, damit die von der Person geforderte Tätigkeit korrekt ausgeführt werden kann (Scheer 1997). Diese Anforderungen lassen sich in die bereits beschriebene Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und Persönlichkeitskompetenz differenzieren. Ein weiteres Konzept ist das aufgabenorientierte Rollenmodell. Die Rolle wird aus der Summe der Aufgaben, die ein Mitarbeiter wahrnehmen muss, definiert. Dieser Ansatz folgt der Zusammenfassung so genannter Elementaraufgaben zu einer Stelle. Diese Elementaraufgaben leiten sich aus der Gesamtaufgabe ab und repräsentieren die Untergrenze der Aufgliederung. Diese Übertragung von Teilaufgaben ist anhand der fünf Dimensionen Verrichtung, Objekt, Phase, Rang und Zweckbeziehung möglich. Die erneute Zusammenführung der Elementaraufgaben wird mit Aufgabensynthese bezeichnet und bildet die Basis der Beschreibung einer Rolle (Kosiol 1962). Das dritte Rollenmodell orientiert sich an Berechtigungen des individuellen Mitarbeiters. Dieses Rollenverständnis ist vor allem im Sicherheitskontext verankert und verfolgt das Ziel, den Zugriff auf gemeinsame Ressourcen zu regeln. Die Zusammenfassung verschiedener Berechtigungen ist hierbei die Basis der Rollenbildung (Ferraiolo et al. 1995). Darüber hinaus ist das organisationsorientierte Rollenmodell etabliert. Dieses Modell basiert auf der Position eines Mitarbeiters in der Organisation. Hierbei werden Rollen herangezogen, die Organisationsstruktur und Hierarchieebenen abbilden. Das Rollenkonzept dient weiterhin der Regelung von Stellvertretungen und der Aufgabenverteilung. Dieses an der Aufbauorganisation angelehnte Rollenmodell gruppiert Stellen mit gleichartigen organisatorischen Charakteristika. Das können entweder gleiche hierarchische Ebenen sein, so dass sich eine horizontale Gruppierung ergibt, oder die Zugehörigkeit zur gleichen Organisationseinheit in der Linienorganisation, so dass sich eine vertikale Gruppierung ergibt (SüßmilchWalter u. Gilleßen 2003). Als fünftes Konzept ist das verhaltensorientierte Rollenmodell zu beschreiben. Dieser sozialwissenschaftlich geprägte Ansatz dient der Kennzeichnung eines Systems von Verhaltensregeln. In Unternehmen repräsentiert die Rolle die Erwartungen, die mit einer bestimmten Stelle verbunden sind. Das verhaltensorientierte Rollenmodell greift auf Organisationsdaten, Kompetenzen und Aufgabenprofile zurück, um die Erwartung an die Rolle abzuleiten. So lässt sich mit dem verhaltensorientierten Rollenmodells eine Rolle detailliert beschreiben und lassen sich die für diese Rolle notwendigen Informationen ableiten, die erforderlich sind, um die Aufgaben zu erfüllen und Entscheidungen treffen zu können (Süßmilch-Walter u. Gilleßen 2003).
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3.2.2
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Konkretisierung des integrativen Rollenkonzepts
Das integrative Rollenkonzept verbindet die beschriebenen fünf Rollenmodelle. Demnach wird die Rolle eines Mitarbeiters im Unternehmen aus den zu erfüllenden Aufgaben sowie den organisationalen Rahmenbedingungen bestimmt. Die organisationalen Rahmenbedingungen werden durch die Organisationseinheit, Hierarchieebene und Stellenbeschreibungen konkretisiert. Das berechtigungsorientierte Konzept findet sich in den Auswirkungen der organisationalen Rahmenbedingungen wieder, da durch die Hierarchieebene und Position in der Organisation die Berechtigungen, die einem Mitarbeiter zugesprochen werden, festgelegt werden. Die Berechtigungen werden jedoch zusätzlich von den Aufgabenprofilen beeinflusst, die sich aus dem aufgabenorientierten Rollenverständnis ableiten. Diese Aufgabenprofile sind zudem ausschlaggebend für die Definition der erforderlichen Kompetenzen. Die Kompetenzen ihrerseits sind in die vier Bereiche der Sozial-, Fach-, Methoden- und Persönlichkeitskompetenz zu differenzieren und konkret zu beschreiben (Süßmilch-Walter u. Gilleßen 2003). Die Abbildung 2 visualisiert die Rollendefinition nach dem integrativen Rollenkonzept.
Abb. 2. Integratives Rollenkonzept (nach Süßmilch-Walter u. Gilleßen 2003).
Die für eine strategische Neuorientierung notwendigen Anpassungen betreffen neben den personalen auch die strukturalen Rahmenbedingungen der Organisation sowie deren Wechselwirkungen. Für die Gestaltung der organisationalen und personalen Rahmenbedingungen sind die tätigkeitsbezogenen Anforderungen vor dem Hintergrund des Angebotes produktbegleitender Dienstleistungen zu formu-
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lieren. Dies betrifft insbesondere die Anpassung bzw. Neudefinition der für die Dienstleistungserbringung betroffenen abteilungsübergreifenden Prozesse und Verfahrensanweisungen sowie der stellenbezogenen Aufgabenbeschreibungen bzw. Anforderungsprofile. Aus diesen veränderten Anforderungen an die Mitarbeiter sind die zu entwickelnden neuen Kompetenzen zu identifizieren, damit diese durch entsprechende Qualifizierungs- bzw. Personalentwicklungsmaßnahmen aufgebaut bzw. weiterentwickelt werden können. Der mitarbeiterbezogene Qualifikationsbedarf ergibt sich aus der Kenntnis der aufgaben- und ebenenbezogenen Kompetenzen für die Dienstleistungserbringung. Im folgenden Abschnitt wird daher der Einteilung des integrativen Rollenkonzeptes in die drei Dimensionen Hierarchieebene, Prozesseinbindung und Kompetenzart gefolgt und eine Matrix personaler und organisationaler Kompetenzen für die Dienstleistungserbringung vorgestellt.
4 Integration personaler und organisationaler Kompetenzen für das Angebot komplementärer Produkte und Dienstleistungen im internationalen Kontext
4.1 Kompetenzmatrix für das Angebot komplementärer Produkte und Dienstleistungen Das im Projekt InProDi erarbeitete Kompetenzentwicklungskonzept setzt an den spezifischen Anforderungen an die Mitarbeiter an. Wie ausgeführt, ist es zur Identifikation des Qualifikationsbedarfes notwendig, die Mitarbeiter hinsichtlich ihrer individuellen Fertigkeiten und Fähigkeiten, der Einbindung in die Organisation sowie ihrer Einordnung in den Produkt- und Dienstleistungsentstehungsprozess zu betrachten. Dementsprechend ergeben sich drei Dimensionen für die Kompetenzentwicklung: die Funktionsstufe, die Basiskompetenzen sowie die Einordnung in den Dienstleistungsentstehungsprozess (vgl. Abb. 3).
Abb. 3. Dimensionen des Kompetenzentwicklungskonzepts
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Die zu entwickelnden neuen Kompetenzen für das Angebot von produktbegleitenden Dienstleistungen orientieren sich somit an den spezifischen Anforderungen der drei Dimensionen. Mit dem „Kompetenzwürfel für produktbegleitende Dienstleistungen“ können die drei Dimensionen weiter konkretisiert werden (vgl. Abb. 4). Die Dimension Basiskompetenzen umfasst soziale, fachliche, methodische und personale Kompetenzen auf der organisationalen wie auch der individuellen Ebene. Die Dimension Funktionsstufe beschreibt die ebenenspezifische Untergliederung der Aufgabenerfüllung durch den Funktions- bzw. Abteilungsleiter, den Produkt- bzw. Dienstleistungsmanager sowie den ausführenden Mitarbeiter. Die Dimension Dienstleistungsentstehung schließlich orientiert sich am Wertschöpfungsprozess auf Grundlage der Wertkettenanalyse (Porter 2000). Porter differenziert den Gesamtwert der Unternehmen in Wertaktivität und Gewinnspanne. Unter den Wertaktivitäten unterscheidet er primäre Aktivitäten, die sich mit der physischen Herstellung des Produkts, der Vermarktung, der Distribution und dem Service befassen, sowie unterstützende (sekundäre) Aktivitäten, wie Personalwirtschaft, Technologieentwicklung und Beschaffung (Porter 2000). Dieser Unterscheidung in primäre und sekundäre Wertschöpfungsaktivitäten folgt das Kompetenzentwicklungskonzept. Bezogen auf den Aufbau von Kompetenzen für produktbegleitende Dienstleistungen wird differenziert in produktbegleitende Dienstleistungsentwicklung, Marketing, Leistungserstellung und Kundenbetreuung. Übergreifend müssen (ohne sie einer der Dimensionen zuzuordnen) Kunden- und Serviceorientierung als Persönlichkeitskompetenzen vorhanden sein. Die Identifikation strategischer Kompetenzen zum Angebot produktbegleitender Dienstleistungen wird in einem mehrstufigen Prozess vorgenommen. Nach einer Sammlung und Strukturierung der Kompetenzen für produktbegleitende Dienstleistungen sind diese – entsprechend der Dimensionen der Basiskompetenzen – in Kompetenzfelder (organisationale bzw. individuelle Handlungskompetenz) einzuordnen. An die Überprüfung auf Vollständigkeit schließt sich eine hierarchiegerechte Beschreibung und die Einordnung in die entsprechende Phase des Dienstleistungsentstehungsprozesses an. Im Ergebnis entsteht eine Kompetenzmatrix für die primären und sekundären Wertschöpfungsaktivitäten, die eine stufen- und kompetenzfeldgerechte Mitarbeiterentwicklung im Rahmen eines Veränderungsprozesses ermöglicht. Abbildung 5 veranschaulicht schematisch die Kompetenzmatrix für produktbegleitende Dienstleistungen.
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Abb. 4. Kompetenzwürfel für produktbegleitende Dienstleistungen
Aus der veränderten strategischen Bedeutung des Dienstleistungsangebotes resultiert die Notwendigkeit, die entsprechenden Prozesse der Produkt- und Dienstleistungserstellung (sowie zugehöriger Supportprozesse) anzupassen und insbesondere im Hinblick auf gegenseitige Abhängigkeiten zu optimieren. Im Kontext dieser Änderungen sind auch entsprechende Verfahrensanweisungen sowie mitarbeiterbezogene Aufgabenbeschreibungen bzw. Anforderungsprofile und Berechtigungen anzupassen. Dazu kann das vorgestellte integrative Rollenkonzept eine Gliederungsstruktur liefern, anhand derer die notwendigen flankierenden Personalentwicklungsmaßnahmen abgeglichen werden können. Für die mitarbeiterbezogene Kompetenzentwicklung sind die Profile der individuellen IstKompetenzen aller Betroffenen zu erstellen. Außerdem ist ein Abgleich mit den Soll-Kompetenzen vorzunehmen, um so den resultierenden Handlungsbedarf transparent zu machen.
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Abb. 5. Kompetenzmatrix für produktbegleitende Dienstleistungen
Eine mitarbeiterbezogene Einstufung kann entsprechend der Kriterien Marktrelevanz und der erforderlichen Ausprägung der Kompetenz vorgenommen werden (vgl. Abb. 6). Wird die Notwendigkeit erkannt, Lücken zwischen den aktuellen und den geforderten Soll-Kompetenzen zu schließen, sind entsprechende Qualifikationsmaßnahmen zu definieren und als Personalentwicklungsmaßnahmen umzu-
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setzen. Durch eine rechnergestützte Kompetenzerfassung kann der notwendige Abgleich der personenbezogenen zu den organisationalen Kompetenzen im Rahmen eines organisationalen Kompetenzmanagements vereinfacht werden.
Abb. 6. Matrix zur Beurteilung von Kompetenzen (Kerth et al. 2007)
4.2 Vorgehen bei der Entwicklung zum Anbieter komplementärer Produkte und Dienstleistungen Ziel des Kompetenzentwicklungskonzeptes ist es, entsprechend der beschriebenen Dimensionen die erforderlichen Kompetenzen für das Angebot produktbegleitender Dienstleistungen bei den Mitarbeitern zu identifizieren. Insofern setzt eine Kompetenzentwicklung an den spezifischen Kompetenzen (im Sinne von Fertigkeiten, Fähigkeiten und Wissen) sowie den konkreten Aufgabenprofilen der Mitarbeiter an. Eine wesentliche Charakteristik von Kompetenzen ist, dass sich diese nur auf Grundlage von vorhandenem, vermittelbarem Wissen durch die konkrete Anwendung entwickeln lassen. Insofern sind Kompetenzen erst aus der konkreten Art und Weise der spezifischen Ausführung bewertbar. Durch die modulare Struktur des Würfels gewährleistet das Kompetenzentwicklungskonzept, dass Kompetenzen sowohl zu den einzelnen Dimensionen des Würfels wie auch zu den „Bausteinen“ der konkreten Anwendung entnommen werden können. Diese liefern dann die Basis für eine sich anschließende Personalentwicklungs- oder Qualifizierungsmaßnahme.
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Abbildung 8 veranschaulicht das gewählte Vorgehen zur Umsetzung des Kompetenzentwicklungskonzeptes. Das Modell ist allgemein gehalten und kann auf verschiedene betriebliche Veränderungsprozesse angewendet werden. Durch die spezifische „Kompetenzmatrix für produktbegleitende Dienstleistungen“ konkretisiert sich der Anwendungsfokus auf die Dimensionen des Kompetenzwürfels.
Abb. 7. Detaillierungsstufen des Kompetenzentwicklungskonzeptes
Ausgangspunkt einer unternehmensspezifischen Kompetenzentwicklung bildet das Umsetzungskonzept für produktbegleitende Dienstleistungen. Im Rahmen eines Arbeitstreffens kommen die von der produktbegleitenden Dienstleistungsentwicklung betroffenen Fachverantwortlichen zusammen, um die konkreten Ziele der Kompetenzentwicklung zu vereinbaren. Die Ergebnisse bilden die Basis zur weiteren bereichsbezogenen bzw. -übergreifenden Planung der Umsetzung. Hierbei sind die notwendigen Kompetenzen zu identifizieren und entsprechende Qualifizierungs- bzw. Schulungsmaßnahmen (ggf. auch mit externer Unterstützung) zu planen. In der Folge werden die geplanten Maßnahmen umgesetzt. An die Durchführung der Maßnahmen schließt sich die Reflexion der Ergebnisse an. Hierbei ist auch ein Abgleich mit den zu Beginn festgesetzten Zielen notwendig. Auftretende Abweichungen sind zu analysieren und entsprechende Anpassungsmaßnahmen einzuleiten. Der darauf folgende Transferworkshop dient der Sicherstellung der Übertragbarkeit der Ergebnisse.
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Abb. 8. Vorgehen zur Umsetzung des Kompetenzentwicklungskonzepts in InProDi
4.3 Unternehmensübergreifende Erkenntnisse Der Erfolg einer strategischen Neuorientierung zum Anbieter komplementärer Produkte und Dienstleistungen basiert auf der Einbindung der betroffenen Mitarbeiter (vgl. Abschnitt 2). Die unternehmensspezifische Umsetzung der für das hier erörterte Veränderungskonzept abgeleiteten Handlungsfelder beruht auf den jeweiligen Geschäfts(feld)modellen für Dienstleistungsangebote. Auf Grundlage dieser Geschäftsfeldmodelle wurden im Rahmen des Projektes InProDi unternehmensspezifische Maßnahmen spezifiziert und umgesetzt. Ausgehend von diesen praxisorientierten Erfahrungen werden übergreifende Aussagen für den erfolgreichen Wandel vom Produzenten zum Anbieter von Problemlösungen formuliert.
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4.3.1 Identifizierte Handlungsfelder zur Realisierung des partizipativen strategischen Wandels Der Aufbau der zum Angebot von produktbegleitenden Dienstleistungen notwendigen Kompetenzen kann, wie in Abschnitt 3.2.2 ausgeführt, nur durch einen ganzheitlichen Organisations- und Personalentwicklungsansatz realisiert werden, der neben den personalen auch die strukturalen Rahmenbedingungen sowie deren Wechselwirkungen berücksichtigt. Neben der Notwendigkeit einer unternehmensspezifischen Anpassung der oben allgemein formulierten Kompetenzmatrix, zeigen sich die für die Entwicklung und Erbringung von Dienstleistungen erforderlichen Kompetenzen in der Regel als komplementär zu den produktorientierten Kompetenzen. Dieser ergänzende Charakter setzt eine Überprüfung der produktbezogenen Personalmanagement- und Personalentwicklungsmaßnahmen voraus. Auf Basis des unternehmensspezifisch zu entwickelnden Kompetenzprofils sind in der Folge Maßnahmen zur Integration dieser Inhalte in die vorhandenen Personalentwicklungsinstrumente zu ergreifen. Als eine der zentralen Maßnahmen ergibt sich in aller Regel die Weiterentwicklung der Unternehmenskultur in Richtung einer Kunden- und Serviceorientierung. Dies beginnt mit der Bewusstseinsbildung bezüglich der Notwendigkeit dieses Veränderungsprozesses auf Ebene der Führungskräfte und ist Voraussetzung für die erfolgreiche Verankerung der Kunden- und Serviceorientierung auf allen weiteren Ebenen des Unternehmens. Nach der Entscheidung für eine Neuorientierung zum Angebot komplementärer Produkte und Dienstleistungen sind zunächst die direkt betroffenen Mitarbeiter und schließlich alle Mitarbeiter des Unternehmens zum einem möglichst frühen Zeitpunkt in die geplanten Aktivitäten einzubeziehen. Dies kann schon während der Planungsphase im Rahmen von Großgruppenveranstaltungen realisiert werden. Durch das partizipative Vorgehen wird sichergestellt, dass alle Mitarbeiter im Unternehmen die Ausrichtung zur kunden- und serviceorientierten Organisation mittragen und eine abteilungsübergreifende Prozesskenntnis zu einer höheren Akzeptanz der neuen Prozesse führt. Schnittstellenprobleme können so verringert werden.
4.3.2
Erfahrungen aus der Unternehmensumsetzung
Die Erfahrungen im Rahmen des InProDi-Projektkonsortiums zeigen die Bedeutung einer klaren Definition von Rollen und Verantwortlichkeiten aller Beteiligten und deren Verankerung im Unternehmen als Voraussetzung einer erfolgreichen Umsetzung einer Dienstleistungsorientierung. Daraus ist der notwendige organisationale bzw. personale Kompetenzentwicklungsbedarf abzuleiten und zu vermitteln. Die Systematik für Mitarbeiterbeurteilungen (vgl. Abb. 6) muss einfach gehalten und am bestehenden System orientiert werden. Zur Vermittlung der Notwendigkeit einer Kompetenzentwicklung ist es zudem wichtig, die mit der
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Kompetenzentwicklung verbundenen Ziele und Erwartungen durch die Vorgesetzten und die Personalabteilung klar an die Mitarbeiter zu kommunizieren und die Bewertungskriterien für die Zielerreichung transparent zu halten. Außerdem ist der Betriebsrat frühzeitig in die geplante Kompetenzentwicklung einzubeziehen. Wesentlich für den erfolgreichen strategischen Wandel ist weiterhin, dass die Neuausrichtung vor allem auch von den Führungskräften getragen wird. Ihnen obliegt die Aufgabe, die aus den dienstleistungsorientierten Handlungsfeldern resultierenden strukturalen Änderungen, wie bspw. Prozesse, selbst einzuhalten und von den Mitarbeitern von Beginn an die Einhaltung dieser angepassten Prozesse einzufordern. Bei der erstmaligen Definition oder der Neudefinition von Soll-Kompetenzen durch den direkten Vorgesetzten ist eine Abstimmung mit der nächsten Hierarchieebene vorzunehmen, um eine ausreichende Verbindlichkeit sicherzustellen. Zudem sollten den Führungskräften ausführliche Informationen und Unterstützungsangebote (ggf. durch die Personalabteilung) bereit gestellt werden, welche die Erstellung der neuen Anforderungsprofile und die Bewertung des Ist- Profils unter Berücksichtigung der jeweiligen individuellen Fähigkeiten erleichtern. Es hat sich gezeigt, dass mit dem integrativen Rollenmodell die Basis für ein rechnergestütztes Kompetenzmanagement gelegt wurde, welches dazu beiträgt, bereichsübergreifend Kompetenzen effizient zu nutzen und in der gesamten Organisation verfügbar zu machen. Die Einführung hat sich jedoch bei einigen Unternehmen aufgrund von Problemen in der Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung und Mitarbeitervertretung als langwierig und schwierig erwiesen. Die Erfahrungen aus dem Konsortium zeigen, dass die Anwendung des Konzepts eine Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung für Kunden- und Serviceorientierung – insbesondere auch bei Mitarbeitern – bewirkt, so dass die Chancen der Neuausrichtung erkannt werden. Dadurch kann der Kulturwandel im Unternehmen gefördert werden. Durch zusätzliche Fragen im Rahmen der jährlichen Mitarbeitergespräche können ggf. weitere erforderliche Kompetenzen identifiziert werden. Dies bietet die Möglichkeit, potenziell für das Unternehmen nutzbare Kompetenzen systematisch zu erkennen, zu erfassen und den Wandel weiter zu unterstützen. Schließlich zeigte sich auch die besondere Relevanz einer systematischen Kompetenzentwicklung und -erfassung während der Krisenbewältigung. Hier besteht ein besonderer Handlungsbedarf, da Unternehmen in Krisensituationen in der Regel mit dem Weggang erfahrener Mitarbeitern konfrontiert bzw. zur Umstrukturierung von Funktionsbereichen gezwungen sind. Bei den Anpassungen der für eine Dienstleistungserbringung betroffenen Prozesse ist zur Sicherstellung der Akzeptanz und Qualität der Veränderungsmaßnahmen darauf zu achten, dass die von den Änderungen betroffenen Mitarbeiter bei der (Neu-)Definition beteiligt werden und eine abteilungsübergreifende Prozesskenntnis im Unternehmen realisiert wird.
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Zusammenfassende Bewertung
Eine erfolgreiche Realisierung einer strategischen Neuausrichtung zum Anbieter komplementärer Produkte und Dienstleistungen erfordert die Einheit von Personal- und Organisationsentwicklung im Kontext der spezifischen Geschäfts(feld)strategie. Die Neuorientierung zum (zusätzlichen) Anbieter produktbegleitender Dienstleistungen stellt produzierende Unternehmen vor die Herausforderung, schnell neue Kompetenzen in der Produkt- und Dienstleistungsentwicklung – aber auch deren Herstellung und Vermarktung – einzusetzen. Hierbei sind Mitarbeiter, Führungskräfte und Management systematisch in den Veränderungsprozess einzubeziehen. Den Kompetenzen der Mitarbeiter kommt bei diesem Veränderungsprozess eine entscheidende Rolle zu. Ein Weg zum Aufbau der notwendigen personalen und organisationalen Kompetenzen ein rechnergestütztes Kompetenzmanagement. Durch eine gezielte Einbindung der Mitarbeiter in den Veränderungsprozess kann die Notwendigkeit des Dienstleistungsangebotes sowie eine abteilungsübergreifende Prozesskenntnis vermittelt und ein Kulturwandel bewirkt werden. Entsprechend der drei Dimensionen für die Kompetenzentwicklung (Hierarchieebene, aufgabenbezogene Basiskompetenzen sowie die Einordnung in den Dienstleistungsentstehungsprozess) kann eine strukturierte Personal- und Organisationsentwicklung zum Aufbau der Kompetenzen für produktbegleitende Dienstleistungen erfolgreich umgesetzt werden.
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Personal- und Organisationsentwicklung im Umfeld der Internationalisierung spezifischer Dienstleistungskonzepte
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Unternehmensinternes Wissensmanagement beim Dienstleistungsexport von KMU Torsten Merkel, Judith Hummel
Abstract Die strukturellen Eigenschaften kleiner und mittlerer Unternehmen deuten darauf hin, dass der Erfolg im Rahmen internationaler Vorhaben von einem funktionierenden Wissensmanagement im Unternehmen beeinflusst wird. Insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen sind effektive und wenig aufwendige Lösungen für die vielfältigen Anforderungen gefragt. Im Rahmen der Wissensentwicklung und -verteilung stellt sich daher die Frage, ob ein innerbetrieblicher Wissenstransfer zum Austausch spezifischer Kenntnisse einzelner Mitarbeitergruppen bzw. Bereiche untereinander in jedem Falle die optimale Vorgehensweise ist. Insbesondere im Kundenkontakt kann sich auch die Bildung von Vertriebsteams langfristig als sinnvoll erweisen. Ein Team bestünde demnach aus einem Vertriebsprofi - dem „Kundenversteher“ - und einem Ingenieur, der u.a. die technische Realisierbarkeit eines Kundenwunsches direkt im Gespräch beurteilen kann. Diese Form der Teamarbeit scheint zwar offensichtlich aufwendiger zu sein, da sich im Rahmen der Reisen zum Zielmarkt ein Mehraufwand ergibt. Allerdings ist dies im konkreten Anwendungsfall zu prüfen, da auch im Wissenstransferprozess einige Aufwendungen entstehen. Ein allgemein gültiges Patentrezept für das Wissensmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen im Rahmen des Exportes von industrienahen Dienstleistungen existiert nicht. Die optimale Lösung ist stets an den unternehmensspezifischen Voraussetzungen und Zielstellungen zu bestimmen.
1 Notwendigkeit des Wissensmanagements für den Dienstleistungsexport kleiner Unternehmen Am technologieorientierten Dienstleistungsmarkt überwiegen kleine und mittlere Unternehmen mit ihrer Vielfalt an kundenbezogenen Angeboten. Dabei stehen nicht nur die eigenen Leistungen im Vordergrund. In gleichem Maße erfolgt die bedarfsorientierte Anpassung der Leistungen großer Unternehmen an die konkreten Kundenforderungen durch kleine Unternehmen als Unterauftragnehmer. Gründe für diese Präsenz liegen u.a. darin, dass Firmen dieser Größe in besonderem Maße in der Lage sind, sich schnell auf spezifische oder rasch wechselnde Kundenanforderungen einzustellen, geeignete Leistungsprofile zu entwickeln und zu realisieren. Da das Konzept im regionalen und nationalen Markt als erfolgreich
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Torsten Merkel, Judith Hummel
anzusehen ist, stellt sich die Frage, warum dieser Teil des Dienstleistungssektors kein stärkeres Engagement beim Export der Leistungen verfolgt. Setzt man sich mit der Struktur kleiner Dienstleistungsunternehmen auseinander, entstehen die folgenden Thesen: x Die eigentliche Vertriebs- und Exporttätigkeit ist in kleinen Unternehmen häufig auf eine oder wenige Personen des Leitungspersonals bzw. den Inhaber konzentriert. Daraus entsteht die Notwendigkeit der Fokussierung auf wenige Kernmärkte, anstatt die Aktivitäten auf eine Vielzahl teilweise unbekannter Märkte auszudehnen. x Aufgrund begrenzter Personalressourcen bestehen selten doppelte Verantwortlichkeiten. Eine gegenseitige Ersetzbarkeit ist damit oftmals nicht gewährleistet. x Der Export von Dienstleistungen unterliegt – wie auch das nationale Engagement in einem Unternehmen – vordergründig dem mittel- und langfristigen Erwirtschaften von Gewinn. Damit sich ein Auslandsengagement wirtschaftlich lohnt, müssen die Aktivitäten einen dem Einsatz entsprechenden überdurchschnittlichen Profit versprechen. Die Kenntnisse über ausländische Märkte sind in der Regel allerdings deutlich mangelhafter als im nationalen Markt und die Unsicherheiten bezüglich unternehmerischer Voraussetzungen eines Auslandsengagements ungleich höher, so dass ein Export von Dienstleistungen gar nicht in Erwägung gezogen wird. Mit dieser Ausgangssituation bestehen aufgrund enger personeller Ressourcen sowie großer finanzieller Unsicherheiten nur begrenzte Freiräume und damit Chancen zum Aufbau eines Dienstleistungsexportes durch kleine Unternehmen. Ausnahmen bilden die sich unmittelbar aus inländischen Geschäftsbeziehungen entwickelnden Auslandsaktivitäten bzw. Geschäftsleitungen mit überwiegend persönlich geprägten Auslandskontakten oder einer traditionell bedingten Affinität für bestimmte ausländische Märkte. Die Analyse erfolgreicher exportaktiver Kleinunternehmen zeigt deren intensive Auseinandersetzung mit den Anforderungen im Zielmarkt sowie eine auf diesem Wissen basierende Marktbearbeitung. Jedoch besteht auch dabei das Problem, dass nur eine oder wenige Personen im jeweiligen Zielmarkt aktiv sind und die notwendige Kundenakzeptanz erfahren. Der Erfolg der Auslandsaktivitäten wird somit weitgehend von einzelnen, kurzfristig nicht ersetzbaren Personen abgesichert. Eine Übertragung von Vertriebsaufgaben oder die Einbindung mehrer Personen in die mit dem Export verbundenen Prozessen findet nur unzureichend statt. Als besonders kritisch erweist sich dabei die Diskrepanz zwischen einem hohem fachspezifischem technischem Wissen und einem unzureichend ausgeprägtem kunden- und kommunikationsorientierten Verhalten.
Unternehmensinternes Wissensmanagement beim Dienstleistungsexport von KMU
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Dienstleistungsexport durch Wissensmanagement?
Resümiert man die eingangs beschriebene Situation, so handelt es sich vorzugsweise um Unsicherheiten gegenüber dem ausländischen Markt in Verbindung mit einem strukturbedingten Organisationskonzept, welches nur geringe Spielräume für den Export von Dienstleistungen ermöglicht. Als Ursachen dafür lassen sich unter anderem mangelndes Wissen über mögliche Zielmärkte und die Konzentration bzw. Fragmentierung des entsprechenden Wissens im Unternehmen identifizieren. Ein Schlüssel zur Verbesserung der mit Exportaktivitäten verbundenen Chancen könnte darin bestehen, das notwendige Wissen effektiv bereitzustellen. Alternativ kann hinzukommendes und vorhandenes Wissen im Rahmen der Neustrukturierung von Leistungsprozessen in Verbindung mit der Delegierung von Aufgaben an bisher nicht in den Exportprozess involvierte Mitarbeiter weitergegeben werden. Ein solcher Weg ermöglicht die Einbindung mehrerer Mitarbeiter in einen auf den Export von Dienstleistungen orientierten Prozessablauf. Diese Vorgehensweise entspricht der Struktur kleiner Unternehmen, bei der Mitarbeiter auch im Exportbereich aufgrund der dünnen Personaldecke eigenverantwortlich handeln und vielfältige Aufgaben wahrnehmen müssen.
Abb. 1. Wissensmanagementsystem nach Probst et al. 1999
Im Mittelpunkt eines solchen Entwicklungsprozesses steht die Fähigkeit zum Wissensmanagement. Wissen entsteht in einem Prozess der Verarbeitung von Daten und Informationen in Verbindung mit vielfältigen Lernformen. Es bedarf somit der Festlegung des Datenflusses und der Verantwortlichkeiten zur Interpretation der Daten sowie der Aufbereitung der daraus entstandenen Informationen, damit diese für alle Beteiligten handlungsbestimmend werden können.
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Ausgangspunkt des Wissensmanagements ist dabei die Fähigkeit, konkrete Handlungs- und Wissensziele zu definieren. Auf einem Modell von Probst aufbauend, werden ausgehend von einer Bewertung des im Unternehmen bereits vorhandenen Wissens und der strategischen Zielorientierung die eigentlichen Wissensziele abgeleitet (Probst et al. 1999). Diese erweisen sich für den Dienstleistungsexport meist als sehr komplex und reichen vom konkreten Bedarf und den Anforderungen im Zielmarkt über Rahmenbedingungen für die Leistungserstellungsprozesse bis hin zu kulturellen und sozialen Aspekten (vgl. Abb.1). Um eine solch komplexe Situation beherrschen zu können, ergeben sich die folgenden sechs Handlungsfelder. x Strukturierung Schaffung geeigneter Organisationsstrukturen, welche Verantwortlichkeiten für Prozesse, Projekte, Kunden aber auch die Aufbereitung von Wissen eindeutig klären. x Aktualisierung Das verfügbare Wissen bedarf der ständigen Prüfung hinsichtlich seiner Relevanz und Aktualität. In der Folge muss die vorhandene Wissensbasis auf notwendige Ergänzung bzw. Anpassung von Daten und Informationen entsprechend der aktuellen Wissensziele angeglichen werden. x Kooperation Um eine aktuelle und zielorientierte Wissensbasis zu entwickeln bzw. zu erhalten, bedarf es einer dauerhaften Zusammenarbeit aller an einem Prozess beteiligten Personen bei der Erarbeitung von Daten und Informationen. x Kompatibilität Nur durch eine einheitliche Interpretation von Daten und Informationen aller am Leistungsprozess beteiligten Personen entsteht ein ganzheitliches Abbild der betrachteten Wissensziele und die sich daraus entwickelnde Akzeptanz einer gemeinsamen Zielstellung. x Kommunikation Die sofortige Verbreitung des aktualisierten Informationsstandes und die Beseitigung veralteter und redundanter Datenbestände ist die Voraussetzung für ein gemeinsames zielorientiertes Handeln. x Prozessgestaltung Die Ergebnisse des Wissensmanagements münden letztlich in konkrete Festlegungen zur Arbeit mit dem Kunden, von der Angebotsgestaltung über die gesamten Leistungsprozesse bis zur Kundenbetreuung. Dazu sollten exakte Verfahrensanweisungen und Prozessbeschreibungen die notwendige Orientierung geben.
Unternehmensinternes Wissensmanagement beim Dienstleistungsexport von KMU
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Da jedes Unternehmen andere Schwerpunkte setzt, sind selbst in der gleichen Branche die Elemente des Wissensmanagementprozesses und die notwendigen Handlungsfelder an die spezifischen Bedingungen des Unternehmens, des Leistungsprozesses und damit auch des Zielmarktes anzupassen.
3 Struktur eines exportorientierten Wissensmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen Um ein exportorientiertes Wissensmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen zu entwickeln, bedarf es Strukturen, welche auf die jeweilige Unternehmensgröße und den spezifischen Leistungsprozess zugeschnitten sind. Voraussetzung für den Export ist dabei die sichere Beherrschung der Prozesse im Kernmarkt. Diese unternehmensspezifischen Gegebenheiten stellen den Ausgangspunkt für die weitere Strukturierung des betrieblichen Wissensmanagements und Leistungsprozesses im Export dar. Kleinbetriebe sind in der Regel durch eine klare hierarchische Struktur mit teilweise patriarchischen bzw. autokratischen Strukturen gekennzeichnet. Die damit verbundene Konzentration von Entscheidungsprozessen ist - bis zu einer bestimmten Größe und Komplexität - ein wichtiger Erfolgsfaktor. Persönliche Kompetenzen und die ganzheitliche Sicht auf das Unternehmen verbunden mit den daraus resultierenden schnellen und eindeutigen Entscheidungen sind ausschlaggebend für die Flexibilität kleiner Unternehmen. In komplexeren Strukturen ist hingegen die Delegation von Verantwortlichkeiten notwendig. Um die Spezifik des Unternehmenserfolges zu erhalten und abzusichern, bedarf es Strukturierungshilfen, welche das Erfahrungswissen für Entscheidungen in die Unternehmensabläufe übertragen. Dieses implizite Wissen kann durch Formen der Sozialisation und Externalisierung übertragen werden (Nonaka u. Takeuchi 1997) (vgl. Abb. 2). Bedeutende Formen der Sozialisation bestehen dabei in der Bildung von Teams und der Bearbeitung von Aufgaben im Partnerprinzip. 1 In diesen Gruppen werden bspw. Aufgaben der Marktanalyse gemeinsam bearbeitet. Durch die unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungshintergründe lassen sich weitere Vorstellungen ergänzen, da gleichzeitig das Verständnis für die Anforderungen und Denkmodelle der anderen beteiligten Personen wächst. Eine weitere Möglichkeit besteht in Formen des Tandemlernens. Auf diese Weise ergänzen sich ein Vertriebsmitarbeiter und ein Techniker u.a. im gemeinsamen Akquiseprozess. Im Falle einer Projektbetreuung durch den Techniker kennt dieser zudem bereits die besonderen Anforderungen des Kunden und orientiert sich nicht ausschließlich an der von ihm favorisierte Lösung. 1
Typische Partnerprinzipien sind das Junior-Senior-Prinzip oder Partnerschaften von Vertriebsund Technikmitarbeitern, welche sich jeweils in ihrer Arbeit ergänzen.
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Abb. 2. Vier Formen der Umwandlung von Wissen nach Nonaka u. Takeuchi 1997
Im Rahmen einer Externalisierung hingegen bieten sich Richtlinien und Handlungsanleitungen an, welche durch die jeweiligen Erfahrungsträger ausgearbeitet und in entsprechenden Schulungen an andere Mitarbeiter des Unternehmens weitergegeben werden. Mit Hilfe dieser unterstützenden Dokumente lassen sich Vorstellungen, Erwartungen und Denkweisen des Managements transportieren und helfen den bisher nicht unmittelbar in den Exportprozess involvierten Mitarbeitern den eigenen Beitrag zum Leistungsprozess anzupassen. Ein wichtiges Element im Rahmen der Externalisierung von Wissen können, sofern vorhanden, bereits etablierte Managementsysteme, wie ein Qualitätsmanagementsystem, bilden . Am Ende eines solchen Strukturierungs- und Lernprozesses ergeben sich neue Verantwortlichkeiten und damit Änderungen der Unternehmensorganisation. Derartige Veränderungsprozesse führen zu einer breiteren Verteilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten und ziehen damit neue Herausforderungen nach sich. Das breiter angelegte Wissen verteilt sich und muss anschließend für übergreifende Entscheidungsprozesse wieder zusammengeführt und aktualisiert werden. Mangelnde Aktualität und damit verbundene Fehlentscheidungen entstehen bspw., wenn man sich auf nicht mehr zeitgemäße Strukturen und Entscheidungsprozesse verlässt. Eine Managemententscheidung kann demnach nur so gut sein wie der vorliegende Informationsstand. Es bedarf folglich neben dem Vertrauen zur Delegation auch der entsprechenden Wahrnehmung übertragener Aufgaben.
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Zwar existiert eine Vielzahl technischer Möglichkeiten, welche insbesondere die Datenverarbeitung innerhalb der Prozesse unterstützen, vordergründig handelt es sich jedoch um ein Problem der sozialen Interaktion. Kooperative Gestaltungsansätze benötigen feste Kommunikationsstrukturen und Freiräume über die operativen Tagesaufgaben hinaus. So gewinnen Meetings, die in erster Linie dem Informationsaustausch dienen, eine besondere Bedeutung. Teilweise betreiben Unternehmen und Abteilungen dies in Form einer ausgedehnten „Frühstückspausenrunde“ an einem festgelegten Wochentag. Der Leitung kommt dabei eine Moderationsfunktion zu, damit einerseits eine inhaltliche Struktur erhalten bleibt und andererseits die vermittelten Informationen und deren Bewertung nicht verloren gehen. Diese Prozesse dienen nicht zuletzt der Schaffung einer einheitlichen Basis bei der Interpretation von Daten. Damit kann einer bedeutenden Voraussetzung für die angestrebte Arbeit mit unterschiedlichen Sichtweisen auf eine Problemstellung und die abschließende Zusammenführung der Ergebnisse zur Ableitung von Zielen und notwendigen Maßnahmen nachgekommen werden. Eine solche Kompatibilität gilt gleichermaßen in der Beziehung zum Kunden. Reden Anbieter und Kunde aneinander vorbei oder fixiert sich der Anbieter vordergründig auf sein Angebot, ohne sich mit den eigentlichen Erwartungen und Wünschen des Kunden auseinander zu setzen, kommt es häufig entweder gar nicht zum Auftrag oder bei der Realisierung des Leistungsprozesses treten Probleme auf. Auch dabei handelt es sich vor allem um eine Frage des strukturierten Vorgehens und der sozialen Interaktion. Checklisten, Schulungen oder das Lernen als Begleiter eines erfahrenen Kundenbetreuers helfen den Wissenstransfer zu unterstützen. Im Ergebnis dieser Maßnahmen entstehen Organisationsformen mit verteilter Verantwortung und kooperativer Arbeitsgestaltung in Partnerschaft oder im Team.
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Praxisbeispiele
Bei der Arbeit mit den beiden Pilotunternehmen des Vorhabens ExInnoService wurde deutlich, dass neben dem expliziten Wissen, welches sprachlich ausgedrückt und damit relativ unkompliziert weitergegeben werden kann, vor allem das implizite Wissen von besonderer Bedeutung ist. Meist ist dieses unbewusste Wissen in einem kleinen oder mittleren Unternehmen nur bei einer oder wenigen Personen, den Wissensträgern, verfügbar. Die sich daraus ergebenden Schwachstellen zeigten sich auch in den betrachteten Unternehmen. Zum einen ist es vielfach nicht möglich, bedeutende strategische Entscheidungen teambasiert zu treffen, da hierfür eine einheitliche Wissensgrundlage fehlt. Andererseits ist die Unterstützung bzw. Vertretung des Wissensträgers nur stark eingeschränkt möglich.
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Der sich aus dieser Situation ergebende Handlungsbedarf wird von den Unternehmen erfahrungsgemäß mit der Zeit erkannt. Allerdings herrscht Unsicherheit über eine geeignete, zielführende Methodik der Wissensverteilung. Diese Unsicherheit ist offensichtlich in der Charakteristik des impliziten Wissens begründet. Es ergibt sich die Notwendigkeit einer vorgelagerten Stufe der Wissensweitergabe, denn im Bereich des schwer sprachlich formulierbaren Wissens bedarf es meist einer systematischen Aufarbeitung der spezifischen Kenntnisse, Fähigkeiten und vor allem Erfahrungswerte, um einen Rahmen zu entwickeln, der von jedem einzelnen Mitarbeiter anschließend mit dessen Erfahrungswerten gefüllt werden kann. In den nachfolgend beschriebenen Praxisbeispielen wird der Frage nachgegangen, welche Wege die beiden begleiteten Unternehmen verfolgen, um das für ein gelungenes Auslandsengagement notwendige Wissen, welches bisher nur vereinzelt bei den Wissensträgern vorhanden ist, erfolgreich verteilen, bewahren und entwickeln zu können.
4.1 Praxisbeispiel: Unternehmensinternes Wissensmanagement beim kooperativen Export von Ingenieurdienstleistungen Im ersten Fall wurde ein unabhängiger Ingenieurdienstleister betrachtet, der konstruktive Entwicklungsleistungen anbietet und sich als Ideenlieferant versteht. Das Unternehmen beschäftigt 15 Mitarbeiter, ist national etabliert und seit mehreren Jahren zudem international tätig. Der Export der Leistungen erfolgt ausschließlich in Kooperation mit Partnern am Zielmarkt. Internationale Akquisetätigkeiten sowie der anschließende Kontakt zu Kunden und Partnern werden lediglich vom Geschäftsführer abgedeckt. Auch die Marktbewertung und damit die Entscheidung über die Aufnahme, Fortführung oder den Abbruch eines Auslandsprojektes liegt hauptsächlich in dessen Verantwortungsbereich. Insbesondere im letzten Punkt wurde der Handlungsbedarf deutlich, da derartige Entscheidungen die Basis des Unternehmenserfolges bilden und aufgrund dieser Priorität einer Absicherung bedürfen. Dazu bietet sich ein teamorientierter Handlungsansatz an. Erfolgsentscheidend im Rahmen dieser Vorgehensweise ist allerdings die Existenz einer einheitlichen gedanklichen Basis. Dazu zählt vor allem ein gemeinsames Service-, Kunden- und Erfolgsverständnis. Da dies in der Vergangenheit nicht ausreichend gegeben war und in Folge dessen sich zudem die Unterstützung und Vertretung des Geschäftsführers schwierig gestaltete, wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen. Im Rahmen eines bereits vorhandenen Managementhandbuches wurden vom Geschäftsführer Dokumente verfasst, die vor allem der strukturierten Wissensbewahrung sowie der darauf aufbauenden Verteilung seiner spezifischen Kenntnisse und insbesondere Erfahrungen dienen sollen. Die Integration der internationalen Aktivitäten in diese Struktur stützt sich vorerst auf zwei Schwerpunkte. Es wurden
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Richtlinien zur internationalen Kooperationsentwicklung sowie für die Handhabung internationaler Geschäftsbeziehungen erarbeitet. In Form eines Handlungsleitfadens hinterlegt mit detaillierten Verfahrensanweisungen wird in den Richtlinien zur internationalen Kooperationsentwicklung der Prozess der Geschäftsanbahnung beschrieben. Den inhaltlichen Schwerpunkt bildet die Definition von Voraussetzungen für die Entscheidung, ob ein Zielmarkt bzw. eine Kooperationsbeziehung in einem internationalen Markt hinreichend Aussicht auf Erfolg birgt. Dabei werden sowohl unternehmerische als auch verschiedene marktspezifische Aspekte betrachtet. Mit der Bewertung von Kooperationen befassen sich hingegen die Richtlinien für das Management internationaler Geschäftsbeziehungen. Die Sicherung reibungsloser Abläufe im Projekt sowie das Erschließen von Verbesserungspotenzial sind dabei als Zielstellungen definiert. Es werden außerdem Kriterien bestimmt, die erfahrungsgemäß den Ausschlag für den Abbruch bzw. die Fortführung einer Kooperationsbeziehung geben. Sämtliche Richtlinien beinhalten ein strukturiertes Ablaufschema sowie eine detaillierte Prozessbeschreibung. Zudem werden Verantwortlichkeiten, Ziele, Ergebnisse, mögliche Problemstellungen sowie ergänzende Festlegungen zu jedem Prozess fixiert. Zur Entscheidungsunterstützung steht eine Checkliste zur Verfügung. Die Dokumente werden zur Erlangung umfassender Kompatibilität des Verständnisses über die beschriebenen Prozesse im unternehmensinternen Netzwerk für alle am Prozess beteiligten Personen zugänglich abgelegt. Dies dient der Orientierung des gesamten Personals, vor allem aber zur Unterstützung der Einarbeitung von Mitarbeitern. Im konkreten Fall der Einarbeitung eines Mitarbeiters in die international strukturierten Prozesse wurde klar, dass mit dieser Systematisierung der Entscheidungsfindung zwar eine Basis zur Wissensweitergabe geschaffen wurde, allerdings spezifische Indikatoren für die Entscheidungsfindung, die aus persönlicher Erfahrung resultieren und sich als „Bauchgefühl“ darstellen, nicht in einer Systematik erfassbar sind. Oftmals sind diese aber in hohem Maße erfolgsentscheidend. Die Einarbeitungsstrategie steht daher auf einem zweiten Standbein: dem Partnerprinzip. Der Erwerb des Wissens auf diesem kooperativen Weg vollzieht sich in mehreren Stufen (vgl. Abb. 3). Die erste Stufe umfasst die Begleitung des Geschäftsführers auf Dienstreisen sowie zu sämtlichen Geschäftsterminen im Rahmen internationaler Aktivitäten. Dabei steht die Beobachtung im Vordergrund. Dieses „Abschauen“ von Verhaltens- und Vorgehensweisen ist die Basis für die Entwicklung eigener Erfahrungen und damit eines eigenen (Bauch-)Gefühls in Entscheidungssituationen. In der zweiten Stufe werden diese Beobachtungen durch Nachahmung gefestigt. Bei der selbstständigen Übernahme einiger Aufgaben werden erste eigene Erfahrungen gesammelt und mit den aus der Beobachtungsphase gewonnenen Erkenntnissen verknüpft. Dabei unterstützt der Geschäftsführer jedoch noch weitestgehend.
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Sukzessive vollzieht sich die Einbindung sowohl in die Aktivitäten des Unternehmens als auch in die Arbeit mit dem Kunden bis zur selbstständigen Anwendung und Erweiterung des gewonnenen Wissens in der Praxis. Diese Anknüpfung an das im Unternehmen bereits vorhandene Wissen und dessen Erweiterung sowie Aktualisierung birgt das für ein erfolgreiches Agieren am Markt nötige Innovationspotenzial.
Abb. 3. Stufen der Verteilung impliziten Wissens im Unternehmensbeispiel
Die stetige Wissensentwicklung basiert auf den Erfahrungen des Alltags. Bspw. wird im Unternehmen eine umfassende Kundenorientierung angestrebt. Zielstellung ist es, die Anforderungen und Erwartungen des Kunden zu erkennen und anschließend zu erfüllen. In diesem Zusammenhang hat sich im Laufe der Zeit herauskristallisiert, dass die Erweiterung des Dienstleistungsangebotes auf Basis der Kundenwünsche nur dann dauerhaft tragfähig ist, wenn dieser Leistungsprozess im Heimatmarkt sicher beherrscht wird bevor er exportiert wird. Das Orientieren an den Anforderungen des Kunden, allerdings stets im Hinblick auf das eigene Leistungsspektrum, ist damit die Quintessenz dieser Erfahrungen und wird dementsprechend umgesetzt. Entscheidungen über potenzielle internationale Projekte wurden vom Geschäftsführer meist aufgrund persönlich bedingter Affinitäten getroffen. Auch hierbei hat die Erfahrung gezeigt, dass dieses Vorgehen sich nicht in gewünschtem Maße bewährt. In Konsequenz dessen basieren derartige Entscheidungen fortan auf strategischen Marktbewertungen. Unterstützung bieten in diesem Prozess die beschriebenen Handlungsanleitungen. Zukünftig plant das Unternehmen neben der kontinuierlichen Aktualisierung auch den sukzessiven Ausbau des Managementsystems über weitere Prozesse.
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4.2 Praxisbeispiel: Konzeption zur marktstrategischen Entwicklung hybrider Leistungen Das zweite Praxisbeispiel beschäftigt sich mit einem Komplettanbieter für die Entwicklung und Realisierung von technischen Anlagen. Ziel des Unternehmens ist die Erfüllung spezifischer, innovativer Anforderungen und damit das Einnehmen der Rolle des Problemlösers für den Kunden. Leistungen der gesamten technologischen Kette von der Planung bis zur Inbetriebnahme von Anlagen und der Schulung des Personals werden „aus einer Hand“ angeboten. Das Unternehmen ist seit vielen Jahren in mehreren internationalen Märkten tätig. Ein Schwerpunktmarkt ist dabei Russland. Der Leiter des Unternehmens ist maßgeblich bei der marktstrategischen Entwicklung sowie den sich anschließenden Marktbearbeitungsprozessen aktiv. Die Umsetzung der Vorhaben erfolgt über Vertriebsingenieure, die im jeweiligen Markt tätig sind. Ziel des Umstrukturierungsprozesses ist es, die spezifischen Erfahrungen und Kenntnisse zur Handlungsgrundlage der Vertriebsingenieure zu machen. Diese sollen den betrieblichen Planungsprozess durch den Transfer ihrer spezifischen Kenntnisse bei der Realisierung von Planungsleistungen bzw. weiterer Serviceprozesse beim Kunden bereichern. In der Konsequenz ist geplant, dass die gesamte marktstrategische Entwicklung in einem gemeinsamen Prozess erfolgt. In diesen Prozess bringen die Beteiligten nicht nur ihre vorhandenen Erfahrungen ein. Durch die Vermittlung des Wissensstandes der anderen Mitarbeiter soll ein ganzheitliches Marktbild entstehen, so dass Entwicklungskonzeptionen auf einer breiteren Basis von Ideen zielsicherer und schneller erarbeitet werden können. In diesem Zusammenhang wurde eine schriftlich fixierte Konzeption zur marktstrategischen Entwicklung erarbeitet. Das bewährte Vorgehen des Geschäftsführers wurde dabei systematisch analysiert und mit geeigneten Methoden hinterlegt abgebildet. Im Rahmen der Marktanalyse ist bspw. ein Wettbewerbsvergleich durchzuführen. Die dabei erfahrungsgemäß ausschlaggebenden Kriterien wurden definiert und im Dokument festgehalten. Dies ist ein erster Schritt zur Gestaltung des unternehmensinternen Wissensmanagements , da in der Praxis intuitiv angewandte und bewährte Vorgehensweisen formuliert und strukturiert zur Nutzung bereitgestellt werden. Die mit Erstellung der Konzeption einhergehende Aufarbeitung und Systematisierung der eigenen Vorgehensweisen führt zur kritischen Selbstreflexion. Dieses „bewusst werden“ der Handlungsabläufe bildet die Grundlage für eine kontinuierliche strategische Optimierung und Weiterentwicklung. Die größte Herausforderung für das Unternehmen liegt im Aufbau einer intelligenten Wissensinfrastruktur zum Transfer des Erfahrungswissens an die Vertriebsingenieure. Die Wissensaufbereitung und -systematisierung soll dann in kollektives Wissen der Organisation transformiert werden, um abgestimmt und zielorientiert im internationalen Markt agieren zu können (vgl. Abb. 4).
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Abb. 4. Stufen der Transformation des Wissens in die Organisation im Unternehmensbeispiel
Als Basis dient die marktstrategische Entwicklungskonzeption als definierter Handlungsrahmen für Aktivitäten im Rahmen internationaler Projekte. Die betreffenden Mitarbeiter werden z.B. durch Schulungen mit den Dokumenten und deren Einbindung in die unternehmerischen Tätigkeiten vertraut gemacht. Der somit geschaffene Rahmen wird in der praktischen Umsetzung von jedem Vertriebsingenieur mit dessen spezifischen Kenntnissen und Erfahrungen gefüllt und auf diese Art und Weise kontinuierlich optimiert und weiterentwickelt. Die damit wachsende Assimilation der vorhandenen Potenziale fördert langfristig eine zielorientierte Wissensentwicklung. Voraussetzung dazu ist die Installation geeigneter Methoden der Kommunikation im Unternehmen sowie die Absicherung der Aktualität der Dokumente. Ersteres wird im betrachteten Unternehmen über eine wöchentliche Zusammenkunft aller am Prozess beteiligten Mitarbeiter zum Informations- und Erfahrungsaustausch erreicht. Mit Einführung der marktstrategischen Entwicklungskonzeption und der Schulung der Mitarbeiter konnte im Unternehmen bereits die Grundlage für ein einheitliches, abgestimmtes Vorgehen auf Basis der Erfahrungen des Geschäftsführers sowie ein gemeinsames Serviceverständnis gelegt werden. Diese gemeinsame Wissensbasis ist entscheidend für ein effektives und zielorientiertes Wissensmanagement im Unternehmen.
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Abb. 5. Auszug aus dem Ablaufschema zur Spiegelung der Kundenanforderungen an den angebotenen Leistungen im Praxisbeispiel
Ein weiteres Kernthema im betrieblichen Wissensmanagement des Unternehmens ergibt sich aus der Bedeutung von Markt- bzw. Kundenanforderungen. Da der Unternehmenserfolg maßgeblich vom Grad der Übereinstimmung dieser Anforderungen mit den angebotenen Leistungen beeinflusst wird, sind diesbezügliche Kenntnisse von fundamentaler Bedeutung. Die Definition der Wissensziele im Unternehmen basiert daher auf diesen Marktanforderungen. Aktuell werden dazu die vorhandenen Erfahrungen zu einer Spiegelung der Kundenwünsche am Leistungsprozess des Unternehmens aufgearbeitet. Dazu wurde in Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung ein Ablaufschema erarbeitet, in dem das Dienstleistungsangebot des Unternehmens in Abhängigkeit der Spezifik des einzelnen Kunden in vielfältigen Variationen abgebildet wird (vgl. Abb. 5). Auf dieser Grundlage entstehen derzeit Anwendungsdokumente wie bspw. eine Checkliste und eine Vorlage zum Abgleich der Kundenanforderungen mit dem
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Angebot des Dienstleisters, bezogen auf eine Industrieplanungsleistung. Mit diesem Schritt ist die Grundlage für die einheitliche Gestaltung eines Kernprozesses der Marktbearbeitung gelegt. In Zukunft steht neben der weiteren strukturierten Aufarbeitung unternehmerischer Tätigkeitsfelder auch der Ausbau der darauf aufsetzenden Wissensvermittlung im Blickpunkt.
Literatur Nonaka I, Takeuchi H (1997) Die Organisation des Wissens. Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen. Frankfurt am Main Probst G, Raub S, Romhardt K (1999) Wissen managen. Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource optimal nutzen. Frankfurt am Main
Know-how Transfer bei der Internationalisierung von technologieorientierten Dienstleistungen von KMU Michael Uhlmann, Kirstin Raßbach
Abstract Der Export von technologieorientierten Dienstleistungen stellt kleine und mittlere Dienstleistungsunternehmen vor vielschichtige Herausforderungen. Gekennzeichnet durch einen hohen Grad an technologischem Spezialwissen liegen diese dienstleistenden Unternehmen in einem Spannungsfeld zwischen Spezialisierungsdruck und Integrationszwang. Ausgehend von spezifischen Charakteristika bestehen die zentralen Herausforderungen darin, dass die Möglichkeiten des Exports auf Kooperationen begrenzt sind und dadurch spezifischen Hürden des Wissenstransfers unterliegen. Der Wissensfluss wird infolgedessen stets dahingehend bedingt, dass immer erst ein Abgleich zwischen Kunde und dem technologischen Wissensspektrum des Anbieters stattfinden muss. Das Wissen differenziert sich hierbei in das über den Kunden und dessen Problem und die technologischen Kenntnisse und Fähigkeiten des Dienstleistungsanbieters.
1 Kooperativer Export technologieorientierter Dienstleistungen 1.1 Situation der Internationalisierung von technologiebasierten KMU Der Export von technologieorientierten Dienstleistungen stellt kleine und mittlere Dienstleistungsunternehmen vor vielschichtige Herausforderungen. Diese bestehen vor allem in der Beherrschung der begrenzten Ressourcen von KMU sowie der speziellen Projektform der Leistungserstellung. Die Projekthaftigkeit der Leistung bedeutet hierbei, dass ein Leistungspaket eine meist einmalige und zeitlich limitierte Entwicklung und Erbringung einer komplexen kundenindividuellen Lösung umfasst. Gekennzeichnet durch einen hohen Grad an technologischem Spezialwissen, agieren diese dienstleistenden Unternehmen doch in einem Spannungsfeld zwischen Spezialisierungsdruck und Integrationszwang. Um ihre Effizienz zu steigern kommen sie nicht umhin, sich auf ausgewählte Tätigkeitsfelder und damit auch auf begrenzte Wissensgebiete zu spezialisieren. Da ihre Kun-
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den aber nach umfassenden Leistungsangeboten verlangen, sind sie gleichzeitig gezwungen, Kompetenzen zu bündeln und Spezialwissen aus unterschiedlichen Bereichen zu integrieren (Herrmann 2002). Ein Vorteil dieser Unternehmen besteht jedoch in der hohen Flexibilität, sich spezifisch auf Kundenanforderungen einstellen zu können und geeignete Leistungsprofile zu entwickeln. Um international erfolgreich zu sein, ist ein effizientes und systematisches Vorgehen der Markterschließung bei gleichzeitiger Minimierung von Risiken erforderlich. Fehlschläge können sich ansonsten existenzbedrohend auf das Unternehmen auswirken. Die Realisierung der technischen Lösung sowie der erforderlichen Leistungen erfolgt aufgrund dieser Bedingungen häufig in Kooperation, die im einfachsten Fall aus inländischen Geschäftsbeziehungen resultiert. Häufig anzutreffen sind bei erfolgreichen kleinen Unternehmen auch Geschäftsleitungen mit persönlich geprägten Auslandskontakten oder einer historisch bedingten Affinität für bestimmte ausländische Märkte. Ein zweiter und schwieriger Weg der Kooperationsbildung besteht darin, aktiv neue Kooperationspartner zu erschließen und gegenseitiges Vertrauen schrittweise aufzubauen. Kooperative Lösungen bedingen einen Wissensfluss und die entsprechende Organisation des Wissenstransfers. Für KMU birgt die Internationalisierung wettbewerbsrelevante Gefahren, für die im Vergleich zu Großunternehmen meist keine Kompensationsmöglichkeiten existieren (Behr 2004). Die Herausforderungen, denen sich ein technologieorientiertes dienstleistendes Unternehmen bei der Internationalisierung stellen muss, sind also vielschichtig. Grundvoraussetzung sind die Motivation und Bereitschaft zum Know-how Transfer einerseits und andererseits im Gleichgewicht von Schutzmechanismen des Know-how Schutzes funktionieren. Zwei Faktoren also, die bestimmen inwiefern Ressourcenbündelung von Know-how erfolgt. Die Hürden bei der Internationalisierung von Dienstleistungen liegen durch Einflüsse wie Sprache und geltendes Recht diesbezüglich höher als auf nationaler Ebene.
1.2 Charakteristika technologieorientierter Dienstleistungen Technologieorientierte Dienstleistungen sind wissensintensive Dienstleistungen, in deren Mittelpunkt bestimmte technische Kenntnisse und Erfahrungen der Herstellung und Verarbeitung stehen. Bspw. können diese Verfahren zur Kunststoffherstellung und -bearbeitung aber auch Abbautechnologien im Bergbau umfassen. Wissensintensive Dienstleistungen sind wiederum solche Dienstleistungen, bei denen die Ressource Wissen (im Gegensatz zu den Ressourcen Kapital und Arbeit) den wichtigsten Inputfaktor bei der Erbringung von Leistung darstellt (Cramer 2002).
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Abb. 1. Charakterisierung der projektbezogenen Ingenieurdienstleistung
Verdeutlicht werden kann die projekthafte Leistung anhand der Prozessbeschreibung aus Kunden- und Dienstleistersicht von der Anforderungsermittlung über die Projektrealisierung bis zur Kundenpflege (vgl. Abb. 1). Der meist kleine Dienstleister bringt dabei sein technologisches Know-how in Form vorliegender Projektreferenzen und -erfahrungen und vorhandener formaler Qualifikationen, wie bspw. die Beherrschung des rechnergestützten Konstruktionsprozesses für Anlagen zur Granulatverarbeitung ein, um eine kundenspezifische Lösung zu projektieren und durchzuführen. Zur Realisierung der Lösung bzw. Sicherung der Verfügbarkeit in der anschließenden Nutzungsphase wie bspw. Wartung, Instandhaltung, Umnutzung werden häufig geeignete Partner aus dem Zielmarkt nicht zuletzt zur Sicherung wettbewerbsfähiger Preise einbezogen. Die Projekthaftigkeit der Leistung bedeutet, dass ein Leistungspaket eine meist einmalige und zeitlich limitierte Entwicklung und Erbringung einer umfassenden kundenindividuellen technologischen Lösung umfasst. Kennzeichen der Lösung sind demzufolge eine hohe Komplexität und Individualität sowie eine zeitliche Begrenzung der Erstellung. Die Nutzung von Skaleneffekten wird durch die geringe Wiederholbarkeit und Standardisierbarkeit der Dienstleistung meist erschwert.
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2 Herausforderungen des internationalen Know-how Transfers 2.1 Begrenzte Möglichkeiten des Exports Aufgrund der hohen Komplexität und Erklärungsbedürftigkeit der Ingenieurleistungen gestaltet sich die Wahl zweckmäßiger Kooperationspartner im Exportmarkt schwierig. Hinzu kommen hohe Anforderungen an geeignete Formen der Kundeneinbeziehung in die Projektphase hinsichtlich der Entwicklung und Leistungserbringung. Gemeinsame Entwicklungen von Dienstleistern und Kunden (als „Co-Designer“) stellen häufig ein Alleinstellungsmerkmal deutscher Unternehmen dar, erschweren aber die Ableitung genereller Systematiken (Standards) bzw. die Nutzung von Wiederholungs- und Standardisierungseffekten. Zudem besitzen die überwiegend kleinen Dienstleister durch begrenzte Ressourcen eher ungünstige Voraussetzungen für den Export solcher Leistungen. Eine mögliche Option mit beherrschbarem Risiko und begrenztem Ressourceneinsatz neue Märkte zu erschließen, bieten hierbei kooperative Modelle und Lösungsansätze. Die intensive Zusammenarbeit mit Partnern bezieht sich sowohl auf nationale Kooperationen als auch auf eine Arbeitsteilung mit Partnern im Zielmarkt. Ein erfolgreiches Agieren bedingt ein effizientes systematisches Vorgehen der Markterschließung und Anforderungsermittlung unter weitgehender Minimierung bzw. Beherrschung bestehender Risiken. Mögliche Fehlschläge könnten sonst bei den üblichen Projektvolumina existenzbedrohende Ausmaße für das Unternehmen annehmen. Die Realisierung der Lösung sowie ggf. erforderliche Leistungen zur Sicherung der Verfügbarkeit erfolgt häufig in Kooperation mit dem Kunden bzw. externen Partnern aus dem Zielmarkt. Die beschriebenen Charakteristika der Dienstleistungen aber auch der geringen Größe der Dienstleistungsunternehmen wirken begrenzend auf verfügbare Möglichkeiten der Exportaktivitäten der Unternehmen.
2.2 Unterschiedliche Wissensausprägung in Kooperationen Zum Verständnis der Herausforderungen des Wissenstransfers von international agierenden Dienstleistungsunternehmen ist es wichtig, die zentralen Aspekte der Hauptexportform „Kooperation“ zusammen zu fassen. Die Erbringung einer Leistung kann mit einem Partner bis hin zu einem Netzwerk von nationalen und internationalen Partnern erfolgen. Kooperative Ansätze zählen immerhin zu den zahlreichsten Exportformen von Dienstleistungsunternehmen, wobei gemeinsame Angebote von Dienstleistungen Einkaufsdienstleistungen, produktionsunterstützende und Vertriebsdienstleistungen bilden können. Dem gegenüber ist die Ab-
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wicklung von Großaufträgen der Anlagen- oder Fabrikplanung deutlich stärker temporär begrenzt. Grundlegend umfasst eine Kooperation im betriebswirtschaftlichen Sinn die freiwillige Zusammenarbeit von Unternehmen, die rechtlich selbständig bleiben. Eine Kooperation wird in der Regel zum gegenseitigen Nutzen geschlossen. Ergänzen können sich die Unternehmen hierbei hinsichtlich ihrer Kernkompetenzen sowie bisheriger Erfahrungen, Kontakte oder Marktkenntnisse. Doch von größerer Bedeutung ist die geringe Bindung eigener Ressourcen durch die Arbeits- und Aufgabenteilung der Partner. Insbesondere bei der Zusammenarbeit von KMU können ähnliche Vorteile wie bei Großunternehmen erreicht werden, ohne jedoch die einzelbetriebliche Selbständigkeit und Autonomie aufgeben zu müssen. Allerdings ist auch stets eine Abhängigkeit vom Partner zur Leistungserbringung gegeben. Bei unterschiedlichen Zielsetzungen kann der entstehende Interessenkonflikt zu erheblichen Geschäftsverlusten führen. Die vier Phasen einer Kooperation wurden im „Fuldaer Modell für Kooperationsmanagement“ hinsichtlich des Handwerks differenziert und umfassend beschrieben (Konscielny 2005). Viele Anmerkungen, Argumentationen und Inhalte dieser Initiative im Handwerk sind auch für Dienstleistungsunternehmen weiterer Branchen von Interesse. Insbesondere sind diese für den Bereich der technologieorientierten Dienstleistungen in Sachsen von Interesse, da die Kleinteiligkeit markant für beide Branchen ist. Dementsprechend können erfolgreiche Kooperationen nach den Sequenzen einleitende Kontakt- und Informationsphase, die Gestaltungsund Entwicklungsphase, die Gründungsphase sowie als viertes die Etablierungsund Betriebsphase unterschieden werden (vgl. Abb. 2). Ergänzt wurde die Phase der Beendigung.
Abb. 2. Wissenstiefe im Kooperationsverlauf
Die Größe, die in diesem Beitrag mit Ausprägung des Wissens umschrieben ist, bezeichnet eine Kombination aus Wissenstiefe und Inhalten. In den ersten Phasen, in denen Vertrauen aufgebaut wird, findet ein Austausch von „softem“ Wissen statt. Softes Wissen umfasst hier gegenseitige Kenntnisse über Unternehmen und Leistungsspektrum, aber auch über die Persönlichkeiten der handelnden Personen. Im Verlauf der Kooperation nehmen die Tiefe und der Anteil des spezifischen Sachwissens zu, so dass Spitzen des Wissenstransfers während der Auftragsrealisierung in der Etablierungsphase bestehen. Das eigentliche erfolgskritische tech-
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nologische Know-how wird erst zu diesem Zeitpunkt ausgetauscht. Des Weiteren umfasst das Wissen eine andere Ausprägung, das innerhalb der Kooperationen transferiert wird, als das was letztendlich zwischen Kunden und Produzent bzw. Kunden und Generalunternehmen ausgetauscht wird.
2.3 Internationaler Wissenstransfer mit Hürden und Barrieren Die internationalisierten Dienstleister sind einer zunehmenden Dynamik ihres Unternehmensumfeldes ausgesetzt und müssen ihre Flexibilität hinsichtlich verschiedener Kriterien unter Beweis stellen. Hierbei stellt der Wissenstransfer von technologischen Kenntnissen ein sensibles Thema dar und unterliegt einigen Hemmnissen.
Abb. 3. Hemmnisse des Know-how Transfers (nach Blaich u. Blut 2004)
Barrieren des Transfers liegen insbesondere auf den zwei Ebenen des Individuums und der Organisation (vgl. Abb. 3). In erster Instanz muss das „Individuum“, welches das Unternehmen aber auch den einzelnen Mitarbeiter darstellen kann, motiviert und befähigt sein, Wissen zu tauschen. Zentrale Ausgangsfrage in einer Kooperation ist, wie viel Wissen darf, soll bzw. muss oder will überhaupt geteilt werden? Hieraus ergibt sich auch der Entscheidungspfad, welches Wissen notwendigerweise verborgen werden muss, insbesondere im Zuge des internationalen Engagements bei dem immer eine Sprachbarriere für Nicht-Muttersprachler oder eine vollkommen andere rechtliche Lage besteht. Es gilt, eine Balance zu finden zwischen der Preisgabe von Wissen und dem Schutz des eigenen Spezialwissens ohne sich selbst zu schaden. Wenig nützlich ist es, Wissen immer zu teilen oder immer zu verstecken. In der Ebene der Organisation liegen häufig kooperationsbedingte und technologische Hemmnisse des Wissenstransfers vor. Kooperative Hürden können sein, dass ein Partner den ersten Schritt tun muss und dem anderen damit Vertrauen entgegenbringt. Ein weiteres, wie im Fall des Generalunternehmers ist, wie das Wissen dahingehend verteilt werden sollte und wel-
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che Schnittstellen festzulegen sind, dass jeder den notwendigen Anteil erhält aber nicht überlastet wird. In den beschriebenen Kooperationsformen können nur dann Dienstleistungen effizient erbracht werden, wenn die Wissensprozesse passgenau gestaltet und aufeinander abgestimmt sind. Insbesondere infolge der Überlastung durch die hohe Verfügbarkeit von Daten bei gleichzeitigem Mangel an relevantem Wissen haben sich Wissensprozesse als einer der kritischen Erfolgsfaktoren herausgestellt. Grundsätzlich müssen in einer Kooperation Geschäftsprozesse in Teilaufgaben zerlegt werden, für deren Bearbeitung differenziertes Wissen erforderlich ist. In der darauf folgenden Zuordnung werden Teilaufgaben zu Akteuren unter Berücksichtigung der individuellen Kompetenzen und Kapazitäten zugeordnet, um eine effektive und effiziente Prozessabwicklung zu gewährleisten (Dittmann et al. 2005). Im Fall der Internationalisierung soll der Transfer von Wissen ohne Verzerrungen durch kulturelle und/oder institutionelle Rahmenbedingungen gewährleistet werden (Rudolph u. Okech 2003).
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Internationale technologieorientierte Wissensflüsse
Der Wissenstransfer durchläuft unabhängig vom Umfang des Wissens immer die Phasen Initiierung, Wissensfluss und Integration (Krogh u. Köhne 1998). Grundsätzlich findet der Wissensfluss vom Wissenssender hin zu einem Wissensempfänger statt. Dieser einfache Weg bildet die Basis zur Abbildung von zwei differenzierenden Szenarien des Wissenstransfers hinsichtlich des Dienstleistungsportfolios. Zum einen wird ein reines Dienstleistungsunternehmen betrachtet, welches spezialisiert die Einzelleistung des Engineering anbietet, das in diesem Fall eine hoch wissensintensive „Vorleistung“ umfasst. Zum anderen wird der Wissensfluss von einem Sachguthersteller beschrieben, der national als auch international als Projektant tätig ist. Grundsätzlich unterscheiden sich beide durch völlig verschiedene Voraussetzungen, die wesentliche Differenzierungen in der Strategie bedingen. Letztendlich ist der Wissensempfänger der Kunde, jedoch geht ein Prozess des Wissensflusses vom Kunden zum Dienstleister voraus. Partnerbeziehungen in solchen Dienstleistungsnetzwerken beruhen vor allem auf wissensbasierten Interaktionen. Das Wissen differenziert sich hierbei in das über den Kunden und dessen Problem sowie die technologischen Kenntnisse und Fähigkeiten des Dienstleistungsanbieters. Der Wissensfluss wird dadurch bedingt, dass immer erst ein Abgleich zwischen Kunde und dem technologischen Wissensspektrum des Anbieters erfolgen muss. Der Dienstleister bzw. der Generalunternehmer setzt dann puzzleartig aus seinem Wissensschatz eine technologische Lösung zusammen.
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Abb. 4. Bedingter bilateraler Wissenstransfer
Beim ersten Szenario, das charakterisierend für den spezialisierten Engineeringdienstleister steht, erfolgt der Wissenstransfer i.d.R. über einen Sachguthersteller (vgl. Abb. 4). Allerdings ist es erforderlich, dass dieser Dienstleister das Problem bzw. konkrete Anforderungen eines möglichen dezidierten Kunden kennt. Zur Erlangung dieser Informationen gibt es verschiedene Wege. Der einfachste Weg ist, dass der Sachguthersteller einen bereits spezifizierten Auftrag direkt an den Dienstleister vergibt. In diesem Fall stellt er dem beauftragten Dienstleister die verfügbaren Informationen (z.B. Problemstellung, Aufgabenstellung, Lösungsansatz, Kundenunterlagen) zur Verfügung. Bei der zweiten Möglichkeit, die kennzeichnend mit einer aktiven Akquise einhergeht, tritt der Engineeringdienstleister einem Produzenten (Sachguthersteller) mit technologischen Vorschlägen zur Problemlösung gegenüber. Bei erfolgreichen Projekten entstehen hieraus häufig langfristige Kooperationen zwischen Dienstleistungsunternehmen und Produzent. Jedoch ist der Engineeringdienstleister meistens vom Produzenten abhängig, um für ein Angebot ausreichende Kenntnisse über den Kunden zu erhalten. Der Wissensfluss findet dann vom Unternehmen, das als „Initiator“ agiert, über dessen „Partner“ bis hin zum „Kunden“ als Empfänger der Dienstleistung und zurück zum „initiierenden“ Dienstleister statt. Dieser übernimmt wechselnde Rollen zwischen Wissenssender und -empfänger. Mit dem Produzenten erfolgt stets ein bilateraler Austausch von Wissen. Bedingt wird dieser dadurch, dass ohne die Informationen über den Kundenbedarf der Wissensfluss nicht angestoßen wird. Gekennzeichnet ist dieser aufgrund der Zusammenhänge von „wer, wann, welches Wissen empfängt bzw. sendet“ hinsichtlich unterschiedlicher Informationstiefen des Wissens in problemorientiertes Wissen und technologisches Sachwissen. Das zweite Szenario bildet einen Produzenten ab, der als Generalunternehmer international tätig ist (vgl. Abb. 5). Im Vergleich zum Engineeringdienstleister tritt der Produzent in direkten Kontakt mit dem Kunden. Im Folgenden wird fokussiert Wissen an verschiedene Produzenten und Dienstleistungsunternehmen, die meistens im Unterauftrag stehen, weitergegeben. Dabei wird den Unternehmen zur Erfüllung ihres Unterauftrags jeweils spezifisches Wissen u.a. über die Problemstellung des Kunden sowie Schnittstellen zu anderen Leistungserbringern bereitgestellt. Meistens stützt sich der Generalunternehmer hierbei auf bereits bestehende, erfolgreiche Kooperationen. Der Informationsfluss verläuft vom Kunden des Leistungsbündels über den Generalunternehmer, der in Abhängigkeit des Be-
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darfs Wissen zur Verfügung stellt. Jeder Akteur behält in diesem Fall seine Rolle bei. Beide Szenarien können jedoch Abschnitte einer Kette darstellen.
Abb. 5. Bedingter verteilender Wissensprozess
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Organisation und Methoden des Know-how Transfers
Die ablauforganisatorische Koordinierung von Aktivitäten des Wissenstransfers in internationalen Kooperationen der Dienstleistungserbringung stellt eine Herausforderung dar, die mit der Zunahme von Entwicklungs-, Vertriebs- und Leistungskooperationen für komplexe Kundenproblemlösungen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Methoden und Instrumente zu deren Unterstützung und Beherrschung sind bekannt und verfügbar. Insbesondere Methoden des Wissensmanagements sind hierfür gut geeignet. Unter Wissensmanagement werden subsumierte Fähigkeiten einer systematischen Identifikation, Nutzung und Verteilung von Wissen verstanden (Specker u. Engelhard 2005). Somit entspricht es einer bewusst gestalteten, organisatorisch und technologisch unterstützten Speicherung, Verteilung und Nutzbarmachung von Wissen (Like 2004). Typische Dimensionen sind die Organisation, eine Kultur des Vertrauens, die Qualifizierung, der Informationsaustausch und Kommunikation sowie technische Hilfsmittel. Die Dimensionen können hierbei näher spezifiziert werden, wie die folgenden Absätze ausführen (Wich-Heiter u. Uhlmann 2002). Ausprägungen der Organisationsgestaltung sind die Transparenz der Ziele, Abläufe und Ergebnisse. Hinzu kommen geregelte Zuständigkeiten zur Wissens- und Informationsgewinnung sowie die Organisation der Datenaufbereitung und pflege. Infolgedessen wird eine zentrale Wissensbasis geschaffen. Wissen ist als Eigentum zu verstehen, wobei die innere Einstellung und das Vertrauen der Mitarbeiter wichtige Voraussetzungen für dessen Teilung bzw.
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Weitergabe bilden. Auch die Gestaltung von Arbeitsaufgaben und die Organisation der Zusammenarbeit bilden wichtige Einflussgrößen. Zu fachlichen Kompetenzen kommen sprachliche Fähigkeiten und kulturelle Differenzen als „dritte Dimension“ in Exportprojekten hinzu. Zu erforderlichen Erfahrungen und Fähigkeiten bei komplexen und sehr anspruchsvollen Projekten zählen die Fachkompetenz als Handlungsdisposition zur Wissensnutzung sowie redaktionelle Routine, Projektmanagement und Kommunikation. Zudem führt die Methodik des Know-how Transfers den Transfer insbesondere bei schwierigen Projekten effektiver durch. Möglichkeiten der Qualifizierung bieten „Learning by Doing“, Maßnahmen des Trainings und der Schulung, Teamarbeit sowie thematische Zirkelarbeit. Der Informationsaustausch kann eingeschränkt und formell als auch informell erfolgen. Beratungen dienen dabei der Information und Abstimmung. Das in der Fortführung professionelle Betreiben des Informationsaustausches führt zu einer regelrechten Informationslogistik. Technische Unterstützung bieten unterschiedlichste Systeme. Demnach werden Kommunikation-, Hypertext-, Datenbank-, wie bspw. das Dokumentenmanagement, Lern- sowie Expertensysteme eingesetzt. Grundsätzlich sind die Methoden des Know-how Transfers abhängig von der Art der Zusammenarbeit. Instrumente reichen vom Dokumentenaustausch per E-Mail und Intranet bis hin zu persönlichen Treffen. In der Regel sollen und werden diese per Vertrag festgelegt. Ein zu berücksichtigender Faktor ist hierbei der Schutz vor Know-how Verlust. Empfohlen werden organisatorische, personelle sowie technische und rechtliche Maßnahmen in Verbindung mit der Sicherung der Informationstechnik, die begleitend zu einem schrittweisen Vertrauensaufbau ergriffen werden. Das Management von verteiltem Wissen im Kooperationsnetzwerk unterliegt der Fragestellung inwieweit eigener Aufbau oder der Zukauf von Kompetenzen erfolgen sollte, also bis zu welchem Punkt es sinnvoll ist, Wissen zu teilen oder verteiltes Know-how zu nutzen. Häufig wird eine Vertrauensbeziehung nur zwischen Personen aufgebaut, wodurch der Wissensfluss gestoppt werden kann, wenn eine Seite ausfallen sollte. Grundlegend sollten jedoch Kooperationsverträge zwischen Unternehmen geschlossen werden, so dass eine gewisse gegenseitige Sicherheit geboten werden kann. Ein weiterführendes Kernthema in den wissensintensiven Bereichen ist natürlich dann der Umgang mit Wissen in Kooperationen bzw. Partnerschaften. Hierbei stellen sich Fragen, welches Know-how Kooperationspartnern preisgegeben werden sollte und in welchen „Qualitätsstufen“, ohne einen Know-how Abfluss befürchten zu müssen. Kooperationen umfassen formlose, rechtlich unverbindliche Interessengemeinschaften wie bspw. zum Austausch von Informationen über zeitlich begrenzte, vertraglich festgelegte Arbeitsgemeinschaften wie zur Teilnahme an Ausschreibungen bis zu gegenseitigen finanziellen Beteiligungsverhältnissen bzw. gemeinsamen Unternehmensgründungen viele Facetten. International agierende Unternehmen stehen hierbei oftmals vor der Hürde, dass rechtliche Grundlagen sehr
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verschieden sind. In jedem Fall sollte eine entsprechende Rechtsberatung durchgeführt werden. Aus einer synergetischen Unternehmenszusammenarbeit entsteht Neues wie bspw. Spezialentwicklungen oder Technologien und in einer additiven Zusammenarbeit werden gegenseitig Prozesse oder Abläufe innerhalb einer Wertschöpfungskette vervollständigt.
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Fallbeispiel – Wissenskoordination im Netzwerk
5.1 Bedingter bilateraler Wissenstransfer – Engineeringleistungen Die Befragung von Partnern aus Dänemark und Südafrika macht deutlich, dass als Zielstellung der Kooperation hauptsächlich der Wunsch nach neuen Partnern im Vordergrund steht. Diese Aussage veranschaulicht den hohen Enthusiasmus und Motivation für internationale Geschäftsaktivitäten des Engineeringunternehmens, was eine der entscheidenden Voraussetzungen für langfristig internationalen Erfolg ist. Neben diesem Aspekt sind die Verstärkung der Marktpräsenz, Gewinnung neuer Ressourcen sowie Aneignung von Kompetenzen außerhalb des eigenen Bereiches entscheidende Faktoren. Für den südafrikanischen Partner ist das Kennenlernen der Management- und Ingenieurprozesse und der damit verbundene Knowhow Transfer entscheidender Faktor der Kooperation. Hauptimpuls für die Kooperation mit dem dänischen Projektpartner waren Aktivitäten der dänischen Botschaft und beim südafrikanischen Partner die Empfehlung eines anderen Unternehmens. Die Kooperation mit dem Partner in Dänemark befindet sich noch im Aufbau. Aufgaben und Zuständigkeiten sind nicht im Detail vertraglich reguliert, was auch nicht bemängelt wird. Für das dänische Unternehmen ist vor allem die Einstellung des Partners entscheidend. Aspekte, auf die es vor allem Wert legt, sind Flexibilität, Service und Geschwindigkeit. Das Unternehmen hat umfangreiche Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit internationalen Partnern wie bspw. aus Indien, Tschechien, Ungarn und Deutschland. Im Unterschied zu deutschen Netzwerkpartnern baut der dänische Partner stärker auf Subcontracting in Verbindung mit einem professionellen Projektmanagement zur Beherrschung großer Komplexitäten. Somit können auch Aufträge mit mehr als 7000 Stunden Arbeitsumfang in einem kurzen Zeitraum realisiert werden. Für das südafrikanische Unternehmen hat sich die gewählte Kooperationsstruktur entlang der Wertschöpfungskette ebenso bewährt. Vereinbarte Regeln in Bezug auf die Struktur sind nicht vertraglich festgelegt, was aber beim Angebot von Dienstleistungen nicht hinderlich ist. Die Kooperation befindet sich bereits in der Wachstumsphase und zielt auf Verfolgung gemeinsamer Strategien und die Gewinnung neuer Netzwerkpartner ab.
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Aufgrund der kurzen Kooperationsdauer mit dem dänischen Partner sind noch keine Aussagen über Wirkungen und Effekte der Zusammenarbeit möglich, wobei der Verlauf grundsätzlich nach den drei Phasen Vorbereitung, Umsetzung und Nachbereitung erfolgt. In der Vorbereitungsphase werden die Aufgaben eingeteilt und das Pflichtenheft zur Bearbeitung der Aufträge erstellt. Grundlegende Bestandteile beim Projektverlauf sind das Projektmanagement, die Qualitätssicherung und die Sicherung des Wissensflusses. Wissen wird im Netzwerk und Seminaren transferiert. Bislang hat sich die Vorgehensweise bei der Projektentwicklung bewährt. Der südafrikanische Partner orientiert sich aufgrund der vorliegenden positiven Kooperationserfahrungen ebenso an einem klassischen Projektverlauf. Die Weitergabe von Informationen erfolgt per E-Mail oder Telefonkontakt sowie über individuelle Absprachen. Optimierungspotenziale sieht der dänische Kooperationspartner generell hinsichtlich der Flexibilität, dem Service und der Umsicht. In der Zusammenarbeit mit dem deutschen Kooperationspartner wird auf Lösungen mit schneller Reaktionsmöglichkeit und hoher Qualität gesetzt. Die Kooperation mit der südafrikanischen Unternehmen umfasst Aktivitäten vom Vertragspartner bis hin zum Auftraggeber. Neben dem Management der Produktion ist die Kommunikation mit lokalen Partnern, Auftraggebern und Zulieferern ein weiterer wichtiger Bestandteil der Zusammenarbeit. Wichtige Teilleistungen beider ausländischer Unternehmen am Zielmarkt sind die Kundenakquise und Kundenbetreuung. Das dänische Unternehmen übernimmt zudem die Anforderungsermittlung, Angebotserstellung, Leistungserbringung und die Auftragsnachbereitung. Mehr als die Hälfte der definierten Teilleistungen werden jedoch von Partnern bearbeitet. Eine klare Angabe zum prozentualen Anteil der Teilleistungen an der Gesamtleistung der Kooperation war somit nicht möglich. Hingegen beträgt diese mit dem südafrikanischen Partner zwischen 50 und 60 Prozent. Neben den bereits genannten Aspekten, ist der Partner am Zielmarkt für die Bedarfsanalyse und den Serviceaktivitäten gegenüber dem Kunden in der Kooperation zuständig. Die Arbeitsteilung wird im Kooperationsvertrag festgehalten. Neben dem Kooperationsvertrag sind für das dänische Unternehmen die Angebote und das geltende Recht Basis der Regelung der Teilleistungen. Die Aufgabendefinition erfolgt anhand eines Pflichtenheftes und mittels Projektmanagement, einer Design-FMEA sowie mit Hilfe von Kontrollsystemen und Controllinginstrumenten. Zur Qualitätssicherung dienen Beispiele und Templates. Die gesammelten Erfahrungen werden insgesamt positiv bewertet. Die Risiken stehen im Zusammenhang mit dem derzeit guten Konjunkturverlauf in Deutschland. Abbruchkriterien zur Beendigung der Kooperation für das Unternehmen bilden mangelnde Qualität und Flexibilität. Der letzte Aspekt ist vor allem in Konkurrenz zu Asien und Osteuropa ausschlaggebend.
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5.2 Bedingter verteilender Wissenstransfer Anlagenprojektierung Zur Analyse vorhandener Netzwerkstrukturen wurden Befragungen des Generalunternehmers sowie dessen ausländischer Kooperationspartner durchgeführt. Im Mittelpunkt standen dabei die angewandten Methodiken in Kooperationsbeziehungen im Allgemeinen sowie speziell im Bereich des Know-how Transfers und die Ermittlung von Erfolgsfaktoren aus Sicht des Partnerunternehmens vor Ort. In Kooperation mit dem russischen Partner wurde eine schlüsselfertig zu errichtende Industrieanlage, was einen Leistungsprozess von der Angebotserstellung bis hin zur vollständigen Inbetriebnahme der Anlage umfasste, realisiert. Die Zusammenarbeit begründet sich auf die Empfehlung eines anderen russischen Unternehmens. Das deutsche Unternehmen wurde dabei Generalprojektant und das russische Unternehmen übernahm vor Ort zu erbringende Teilleistungen auf Basis technologischer Zielstellungen wie die Projektierung von Bau-, Stahlbau- und Rohrleitungsarbeiten. Die Kooperation befindet sich bereits in der Konsolidierungsphase und in Hinblick auf die erfolgreiche gemeinsame Realisierung hat sich die Struktur bewährt. Die Kooperation mit einem weiteren Unternehmen aus Weißrussland, die infolge einer Akquise seitens des deutschen Anlagenprojektanten geschlossen wurde, befindet sich in der Wachstumsphase. Als langfristige Zielstellung wird die Erarbeitung von Abfallwirtschafts- und Recyclingkonzepten verfolgt. Weitere Punkte sind die Durchführung von Genehmigungsverfahren und die Vorbereitung von Investitionen. Eindeutige Regeln klären die Zuständigkeiten, wobei das deutsche Unternehmen wiederum Generallieferant ist und das weißrussische Unternehmen für Bau- und Medienprojekte sowie für deren Realisierung verantwortlich ist. Diese Arbeitsteilung zwischen den Partnern wird als Optimum betrachtet. Produktbegleitende Dienstleistungen werden von beiden Unternehmen erbracht. Das Dienstleistungsspektrum beinhaltet u.a. die Projektierung der Anlage, Chefmontage, Inbetriebnahme, den Leistungsnachweis und Kundendienst. Des Weiteren gehört die Vorbereitung und Realisierung des Anlagenprojektes im Sales-Bereich dazu. Die Dokumentation erfolgt dabei durch Verträge, Besprechungsprotokolle und Abnahmeprotokolle. Neben Protokollen werden Daten in Expertisen und Genehmigungen festgehalten. Über Werkverträge wird die Arbeitsteilung mit beiden Unternehmen geregelt. Der Hauptanteil der Leistungen liegt häufig beim deutschen Unternehmen. Beim russischen Unternehmen schwankt der Anteil der erbrachten Teilleistungen je nach Gesamtvolumen zwischen 30 und 80 Prozent. Der Aufgabenbereich umfasst hierbei die Projektierung örtlicher Leistungen wie bspw. Bau, Stahlbau und Rohrleitungen auf Grundlage von technologischen Zielstellungen. Beim weißrussischen Unternehmen ist der Leistungsanteil mit 15 bis 20 Prozent deutlich geringer. Aufgaben sind die Erstellung von Businessplänen sowie die Einholung von Baugenehmigungen und Expertisen.
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Michael Uhlmann, Kirstin Raßbach
Für das Unternehmen in Weißrussland ist vor allem das Recycling-Know-how u.a. von Kunststoffen und der mechanisch-biologischen Abfallaufbereitung von großer Bedeutung. Der Transfer erfolgt über die technische Dokumentation. Mit deren Hilfe können sowohl die Arbeitskräfte als auch die Käufer auf die Anlage vorbereitet werden. Das wird durch Schulungs- und Trainingsmaßnahmen unterstützt. Beim russischen Partner erfolgt der Know-how Transfer im projektbezogenen Arbeitsprozess. Anhand von schriftlicher Dokumentationen werden fachliche Aufgabenstellungen für Projekte des Partners und personenbezogenes Wissen zur Handhabung von Technologien vermittelt. Hinsichtlich der Projektentwicklung konnten beide jeweils am Zielmarkt ansässigen Unternehmen bereits Erfahrungen sammeln. Die Gestaltung des Projektverlaufes erfolgt bei beiden Partnern nach dem üblichen Phasenmodell. Informationen werden beim russischen Partner über die exklusive Vertretung in Moskau weitergeleitet. Der direkte Wissensfluss mittels regelmäßig stattfindender Projektberatungen wird auch beim Unternehmen in Weißrussland bevorzugt. Beide Unternehmen resümieren, dass sich die angewandte Vorgehensweise bewährt hat. Beide Kooperationspartner konnten nützliche Erfahrungen sammeln und verzeichnen eine positive Bilanz. Die Erfolgsfaktoren liegen bei der Leistung der erfahrenen Partner vor Ort, vor allem in Bezug auf deren Kompetenz. Dazu zählen weiterhin bessere Preise und die schnelle Umsetzung vor Ort. Risiken für Kooperationen werden bei einer falschen Partnerauswahl gesehen. Für das weißrussische Unternehmen stehen neben der Übermittlung von technischen Kompetenzen des Partners auch dessen Referenzen im Vordergrund. Der marktspezifische Genehmigungsprozess und die Finanzierung werden als Risikofaktoren erachtet. Anforderungen an den Kooperationspartner bestehen hinsichtlich der fachlichen Kompetenzen. Das hohe ingenieurtechnische Niveau der Mitarbeiter und die nachweisbaren Referenzen sind für beide Unternehmen von Bedeutung. Die Zufriedenheit spiegelt sich auch bei den Antworten nach Veränderungen wider. Aus Sicht beider Unternehmen besteht momentan kein Veränderungsbedarf. Es besteht vielmehr der Wunsch, das Kooperationsverhältnis weiter auszubauen.
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Personal- und Organisationsentwicklung in internationalen Fabrikplanungsprojekten Sven Hinrichsen, Tim Jeske, Christopher Schlick, Peter Steiger
Abstract Eine Folge der Globalisierung ist, dass inländische Industrieunternehmen seit Jahren neue Fabriken vielfach im Ausland errichten. Dadurch sind deutsche Fabrikplanungsdienstleister als Auftragnehmer dieser Unternehmen gezwungen, ihre Dienstleistungen zum Teil in das Ausland zu verlagern. Mit der Dienstleistungserbringung im Ausland gehen veränderte Anforderungen an die Organisation sowie die Beschäftigten von Planungsbüros einher. Vor diesem Hintergrund werden daher in diesem Beitrag ausgewählte Methoden der Personal- und Organisationsentwicklung für international tätige Fabrikplanungsdienstleister erläutert. Ziel dieser Methoden ist es einerseits, die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Planungsdienstleister zu verbessern. Andererseits sollen die vorgestellten Methoden der Personal- und Organisationsentwicklung zur Reduzierung der Belastung der in Planungsbüros Beschäftigten beitragen.
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Spezifische Problemstellung
1.1 Aufgaben und Organisation der Fabrikplanung Die Fabrikplanung umfasst die Planung und Auslegung industrieller Produktionsstätten sowie die Überwachung ihrer Realisierung bis hin zum Produktionsanlauf (Schmigalla 1995). Sie bezieht sich sowohl auf Neu- als auch auf Änderungsplanungen und reicht von der Betrachtung einzelner Arbeitsplätze bis hin zu kompletten Fabriken und ganzen Produktionsnetzwerken. Die Fabrikplanung zählt zu den industriellen Dienstleistungen, da die Planungsleistung von Industrieunternehmen nachgefragt wird und Vertreter dieser Unternehmen in hohem Maße in den Prozess der Leistungserbringung integriert werden (Homburg u. Garbe 1996). Da der Planungsgegenstand, die Fabrik, ein komplexes technisches System ist, bedarf es für die Durchführung der Fabrikplanungsaufgabe vielfältiger Kompetenzen. So sind neben dem Auftraggeber, dem sog. Bauherren, unterschiedliche Fachplaner an der Planung einer Fabrik beteiligt. Zu diesen zählen in erster Linie
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Planer für das Industriegebäude und die Infrastruktur, die Fabrikausrüstung (Fördertechnik, Fertigungstechnik etc.) und die Logistik. Handelt es sich bei dem Auftraggeber der Planungsleistung um ein großes Industrieunternehmen, so sind zudem eine Reihe von Anspruchsgruppen des Auftraggebers (z.B. Konzernvorstand, Werkleitung, Bauabteilung, Betriebsrat, Logistik) in den Planungsprozess einzubeziehen (Hinrichsen et al. 2004).
Abb. 1. Organisation von Fabrikplanungsprojekten
Die Fabrikplanungsaufgabe wird als Projekt organisiert und von einem unternehmensübergreifenden Projektteam sowie vielfach mehreren untergeordneten Teams erbracht. In dem übergeordneten Projektteam sind Vertreter des Auftraggebers sowie der Fachplaner vertreten. Die Projektleitung wird durch den Auftraggeber oder einen von ihm beauftragten Projektmanager realisiert. Zusätzlich zu diesem übergeordneten Team formieren sich in den einzelnen Planungsbüros untergeordnete Projektteams, welche die jeweiligen Fachplanungsleistungen erbringen. In den einzelnen Planungsteams befinden sich sowohl Mitarbeiter, die ihre Arbeitsleistung nur in einer bestimmten Projektphase in das Projekt einbringen (und danach in einem anderen Projekt weiterarbeiten), als auch Mitarbeiter, die über die gesamte Projektlaufzeit Mitglied in dem Projektteam sind. Während das Industrieunternehmen als Auftraggeber der Planungsleistung in der Regel in hohem Maße funktionsorientiert organisiert ist, ist in Planungsbüros die Projektorganisation die dominierende Form der Arbeitsorganisation (vgl. Abb. 1). Für die Industriegebäudeplanung als Teilgebiet der Fabrikplanung gilt in Deutschland die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). Diese
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gibt in Form von Leistungsbildern und -beschreibungen Auskunft über die von den Architekten und Ingenieuren im Rahmen der Bauplanung und der Bauausführung zu erbringenden Leistungen. Sachlich zusammengehörende Aufgaben der Planer fasst die HOAI dabei jeweils zu Leistungsphasen zusammen. Diese Leistungsphasen reichen von der Grundlagen-, Vor- und Entwurfsplanung über die Genehmigungs- und Ausführungsplanung bis hin zu Vergabevorbereitung und – mitwirkung, Objektüberwachung und -betreuung.
1.2 Problemstellung Die fortschreitende Globalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten, die vor allem durch die weltweite Liberalisierung der Märkte, die zunehmende Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien sowie leistungsfähige Logistiksysteme verursacht wird, bewirkt in zahlreichen Wirtschaftsbereichen einen erhöhten Wettbewerbsdruck. Dieser Druck führt in Branchen wie bspw. der Automobilindustrie zu einer steigenden Innovationsdynamik, die sich in kürzeren Entwicklungs- und Markteinführungszeiten widerspiegelt und den Planungshorizont der Betriebe einschränkt (vgl. Abb. 2). In der Folge können Industrieunternehmen als Auftraggeber von Fabrikplanungsleistungen immer später ihre Anforderungen an den Fabrikneubau oder -umbau spezifizieren. Daraus resultiert das Problem für Planungsbüros, dass sie ihre Planungen mit unvollständigen und sich zum Teil widersprechenden Informationen beginnen müssen. Gleichzeitig führt eine kürzere „Time-to-Market“ zu engeren Zeitvorgaben, die für die Planung und Realisierung der Fabriken zur Verfügung stehen. Aus diesen veränderten Anforderungen an Planungsdienstleister ergeben sich mehrere Folgeprobleme. So machen unsichere Planungsgrundlagen sowie zeitliche Restriktionen eine zunehmende Parallelisierung von Planungs- und Realisierungsphasen einer Fabrik erforderlich und bewirken zudem eine erhöhte Anzahl an Planungsänderungen und damit Störungen im Prozess der Leistungserbringung. Im fortgeschrittenen Projektverlauf notwendig werdende Änderungen führen hierbei zu überproportional hohen Mehraufwänden, da mit Änderungen vielfach ein erheblicher Kommunikations- und Koordinationsaufwand zwischen den beteiligten Fachplanern sowie den Vertretern des Auftraggebers einhergeht. Neben diesen Mehrarbeiten führen Paralleltätigkeiten sowie Tätigkeiten unter unsicheren Informationen und Termindruck zu sehr hohen Belastungssituationen für Beschäftigte in Planungsbüros (Hinrichsen et al. 2004). Eine weitere Folge der Globalisierung ist, dass inländische Industrieunternehmen seit Jahren neue Fabriken vielfach im Ausland errichten. Dadurch sind deutsche Planungsdienstleister als Auftragnehmer dieser Unternehmen gezwungen, ihre Dienstleistungen zum Teil in das Ausland zu verlagern. Mit der Dienstleistungserbringung im Ausland gehen veränderte Anforderungen an die Organisa-
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tion sowie die Beschäftigten von Planungsbüros einher. Anforderungen an die in Auslandsprojekten eingesetzten Mitarbeiter beziehen sich auf sprachliche und interkulturelle Kompetenzen. Zudem sind Organisationstalent, eine hohe Belastbarkeit und Flexibilität Voraussetzungen, um Planungsprojekte im Ausland erfolgreich zu bearbeiten. Des Weiteren ist eine detaillierte Kenntnis der im Ausland gültigen Normen und Gesetze unabdingbar. In Abhängigkeit von der Art der Fachplanungsleistung, die im Ausland erbracht wird, unterscheiden sich die nachgefragten Leistungen in Inlands- und Auslandsprojekten.
Abb. 2. Anforderungen an Industrieunternehmen, Planungsdienstleister und ihre Beschäftigten
Während im Rahmen der Industriebauplanung im Inland vielfach Projekte mit sehr umfassenden Leistungen, die von Grundlagen- und Entwurfsplanung bis hin zum Baumanagement reichen, beauftragt werden, liegt der Schwerpunkt der im Ausland nachgefragten Leistungen in der Regel auf den frühen Planungsphasen (z.B. Durchführung von Standortanalysen, Master- und Entwurfsplanungen), da für die sich anschließenden Phasen der Genehmigungs- und Ausführungsplanung
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sowie der Vergabevorbereitung und -mitwirkung v.a. spezifische Kenntnisse der örtlichen Beschaffungsmärkte und der behördlichen Genehmigungsverfahren vorausgesetzt werden. Diese Leistungen können vielfach nur von erfahrenen, regional verankerten Planungsdienstleistern realisiert werden. In der Folge besteht die Notwendigkeit, mit diesen ausländischen Partnern zu kooperieren. Ein weiterer Unterschied zwischen Planungsprojekten im Inland und solchen im Ausland besteht bereits bei der Angebotserstellung. Während in Deutschland die Kalkulation und Abrechnung von Projekten auf Grundlage der HOAI erfolgt, werden im Ausland vielfach Pauschalhonorare für einzelne Leistungen vereinbart.
1.3 Zielsetzung und Aufbau des Beitrages Vor dem Hintergrund der beschriebenen Ausgangssituation werden in diesem Beitrag ausgewählte Methoden der Personal- und Organisationsentwicklung für international tätige Fabrikplanungsdienstleister erläutert. Ziel dieser Methoden ist es einerseits, die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Planungsdienstleister zu verbessern. Andererseits sollen die vorgestellten Methoden der Personal- und Organisationsentwicklung zur Reduzierung der Belastung der in Planungsbüros Beschäftigten beitragen. Die Methoden sind in enger Kooperation zwischen dem Institut für Arbeitswissenschaft (IAW) der RWTH Aachen und dem Unternehmen Kohlbecker Architekten & Ingenieure im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojektes One-Stop Services (Projektträger: DLR; Förderkennz. 01HQ0542) entwickelt worden. Das Unternehmen Kohlbecker Architekten & Ingenieure ist mit rund 120 Beschäftigten ein großer Anbieter von Dienstleistungen im Bereich der Fabrikgebäudeplanung. Die Planungsdienstleistungen reichen von der Masterplanung und Standortanalyse über Entwurfs-, Ausführungs-, Genehmigungsplanungen, Vergabemitwirkung bis hin zum Baumanagement. Die Mitarbeiter des Unternehmens setzen sich im Wesentlichen aus Projektleitern, Projektingenieuren und Bauzeichnern zusammen. Der Anteil des im Ausland realisierten Umsatzes hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen und betrug in 2007 rund 40 Prozent des Jahresumsatzes. Die ausgewählten Methoden, die in diesem Beitrag beschrieben werden, setzen auf den Ebenen der Organisation, des Projektteams und der Arbeitsperson an (vgl. Abb. 3). Auf Ebene der Organisation wurde eine Methode entwickelt, mit der die kaufmännische Leitung eines Planungsbüros vor Projektbeginn oder in einer frühen Projektphase eine Prognose der in einem Projekt zu leistende Arbeitsstunden vornehmen kann (s. Abschn. 2). Diese Methodik ist insbesondere in Planungsprojekten, die im Ausland erbracht werden, von Bedeutung, da im Ausland vielfach Pauschalhonorare für Planungsleistungen vereinbart werden und daher eine valide Schätzung der Personalkosten vor Projektbeginn unabdingbar ist, um Projekte
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wirtschaftlich zu bearbeiten. Als statistisches Verfahren liegt der Methodik die schrittweise, multiple Regressionsrechnung zugrunde. Da die Planungsleistungen in der Regel nicht von einzelnen Personen, sondern von Projektteams erbracht werden, kommt der Zusammensetzung von Planungsteams eine große Bedeutung zu. Daher wurde ein Vorgehensmodell entwickelt, mit dem der Prozess der Teamzusammensetzung in internationalen Projekten der Industriebauplanung unterstützt werden kann (s. Abschn. 3). Auf Ebene der Arbeitspersonen nimmt der Projektleiter insbesondere in internationalen Planungsprojekten eine herausragende Bedeutung ein. Vor diesem Hintergrund wurde mit der Methode der strukturierten Beobachtung eine Analyse der Tätigkeit von Projektleitern der Industriegebäudeplanung vorgenommen. Auf Basis der Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden Qualifizierungsmodule entwickelt. In Abschnitt 4 werden die Qualifizierungsmodule „Zeitmanagement und Selbstorganisation“ und „Kommunikation mit dem Kunden“ vorgestellt.
Abb. 3. Aufbau des Beitrages
2 Methode zur Prognose der Arbeitszeiten in internationalen Fabrikplanungsprojekten
2.1 Anforderungen an die Methodenentwicklung Mit der Dienstleistungserbringung im Ausland gehen auch veränderte Anforderungen an die Beschäftigten und die Organisation der Arbeit in Planungsbüros einher (s. Abschn. 1.2). Während in Deutschland Projekte der Industriegebäudeplanung auf Grundlage der HOAI kalkuliert und abgerechnet werden, werden im
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Ausland üblicherweise Pauschalhonorare für einzelne Leistungen vereinbart. Durch die Aushandlung von Pauschalhonoraren für Leistungen besteht für einen Dienstleistungserbringer, der zudem aus einem „Hochlohnland“ stammt, die Notwendigkeit, vor Projektbeginn die Kosten für einzelne Planungsleistungen valide abzuschätzen. Da die Kosten für eine Planungsdienstleistung größtenteils aus Personalkosten bestehen und entsprechende Stundensätze feststehen, bedarf es für eine Kostenkalkulation in erster Linie einer Schätzung der in einem Projekt bzw. einer Projektleistungsphase zu erbringenden Arbeitsstunden differenziert nach einzelnen Mitarbeitergruppen. Diese Schätzung der Arbeitszeiten wird in der Praxis vielfach auf Basis von Erfahrungswerten vorgenommen. Diese erfahrungsbasierte Schätzung hat aber den Nachteil, dass sie in hohem Maße unsicherheitsbehaftet ist. In der Literatur liegen lediglich Planzeiten vor, die sich auf die Erstellung von Zeichnungen mit Bleistift in Abhängigkeit von der Art des Plans (Lage- und Übersichtsplan, Grundriss etc.), der Gebäudekomplexität (Honorarzone nach HOAI) und der Blattgröße (DIN A1, DIN A0) beziehen (Rösel 1994). Auch wenn davon abgesehen wird, dass Zeichnungen heute ausschließlich mit Hilfe von CAD-Systemen erstellt werden, so besteht ein weiteres Problem in dem angeführten Planzeitsystem darin, dass ein auf die rein konstruktive Aufgabe beschränktes Planzeitsystem sich allenfalls auf die Mitarbeitergruppe der Bauzeichner anwenden ließe. Die Arbeit von Projektleitern und -ingenieuren ist aber aufgrund der großen Anzahl von Projektbeteiligten durch ein hohes Maß an koordinierenden und kommunikativen Tätigkeiten geprägt. So bestehen Auftraggeber von Fabrikplanungsleistungen vielfach aus unterschiedlichen Anspruchsgruppen (Bauabteilung, Werkleitung, Betriebsfeuerwehr etc.), die in den Planungsprozess zu integrieren sind. Darüber hinaus sind an einem Fabrikplanungsprojekt unterschiedliche Fachplaner beteiligt (s. Abschn. 1.1). Ein Projektteam besteht daher aus Vertretern des Auftraggebers, Mitarbeitern des Gebäudeplaners sowie der weiteren Fachplaner (z.B. für Fördertechnik, Logistik oder Anlagentechnik). Sämtliche Planungsleistungen sind dabei unter Beachtung der Anforderungen des Auftraggebers aufeinander abzustimmen. Durch den Trend zur Verkürzung der Zeiten für die Fabrikplanung und -realisierung, der zur zunehmenden Parallelisierung der einzelnen Leistungsphasen und damit zu vermehrter Arbeit unter unsicheren Informationen führt, nehmen die koordinierenden und nicht planmäßig auftretenden Tätigkeitsanteile durch Iterationen und Änderungen im Planungsprozess zu (s. Abschn. 1.2). Um zu einer validen Schätzung der Arbeitszeit zu kommen, die von Projektleitern oder Projektingenieuren für die Ausführung eines Projektes oder einer Projektleistungsphase voraussichtlich benötigt wird, ist es daher aufgrund der kurzfristig wechselnden Arbeitsbedingungen nicht zielführend, auf Ebene von Arbeitsverrichtungen Zeitdaten zu ermitteln. Vielmehr bedarf es einer Methode, mit der ein betriebsspezifisches Modell zur Vorhersage der in einem Projekt oder einer kompletten Projektleistungsphase voraussichtlich benötigten Arbeitszeiten entwickelt werden kann. Das zu entwickelnde Prognosemodell soll eine Schätzung der zu leistenden Arbeitsstunden vor Beginn des Projektes bzw. der entsprechen-
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den Projektleistungsphase ermöglichen, die wesentlichen, auf die Arbeitszeit wirkenden Einflussgrößen abbilden und durch empirische Daten aus abgeschlossenen Projekten fundiert sein. Um Zusammenhänge zwischen den unabhängigen Variablen, den Einflussgrößen, und der abhängigen Variable, der Arbeitszeit, zu untersuchen, bietet sich als statistisches Verfahren der Datenauswertung die multiple Regressionsanalyse an (Hinrichsen et al. 2007).
2.2 Beschreibung der Methode zur Schätzung der Arbeitszeiten Die Methode zur Vorhersage der in einem Projekt voraussichtlich benötigten Anzahl an Arbeitsstunden besteht aus elf Schritten (vgl. Abb. 4). In Schritt 1 ist der Geltungsbereich des Planzeitsystems festzulegen, indem bspw. der zu berücksichtigende Projekttyp und die interessierenden Projektleistungsphasen ausgewählt werden. Ferner wird in diesem Schritt die Machbarkeit der Prognosemodellentwicklung geklärt, indem die Verfügbarkeit von Zeitdaten aus abgeschlossenen Projekten geprüft wird. In einem zweiten Schritt werden Ursachen für eine unterschiedliche Anzahl an Arbeitsstunden in abgeschlossenen Projekten bzw. Projektleistungsphasen identifiziert, d.h., es werden Zeiteinflussgrößen – zum Beispiel über Interviews mit Experten – ermittelt. Wenn im Ergebnis von Schritt 2 eine große Anzahl von Einflussgrößen vorliegen sollte, kann es aus Gründen der Untersuchungsökonomie ratsam sein, eine Vorauswahl von Einflussgrößen zu treffen (Schritt 3). Dazu kann die Methode des Paarvergleichs (Roth u. Holling 1999) im Rahmen einer Expertengruppe angewendet werden. Im Ergebnis von Schritt 3 liegen Einflussgrößen vor, von denen die Mehrzahl der Experten annimmt, dass sie sich auf die Arbeitszeit in einem Projekt oder einer Projektleistungsphase deutlich auswirken. In Schritt 4 werden die vorselektierten Einflussgrößen operationalisiert, indem ggf. Indikatoren zur Messung einzelner Größen bestimmt und Messvorschriften – unter Beachtung des für die Korrelations- und Regressionsanalyse erforderlichen Skalenniveaus – für einzelne Größen bzw. Indikatoren formuliert werden. In Schritt 5 wird geprüft, ob die Ausprägung der einzelnen Einflussgrößen bzw. Indikatoren bereits vor Beginn eines Projektes bzw. einer Projektleistungsphase geschätzt werden kann und ob Daten aus abgeschlossenen Projekten zu den Ausprägungen der Einflussgrößen vorliegen. Im Ergebnis des fünften Schrittes sind eine Mehrzahl von Einflussgrößen, die in die statistische Untersuchung eingehen werden, ausgewählt worden. In einem sechsten Schritt wird die Grundgesamtheit der auszuwertenden Projekte festgelegt, der optimale Stichprobenumfang (Bortz 1999) berechnet und die Datenermittlung durchgeführt. Bei der Festlegung der Grundgesamtheit sollte beachtet werden, dass sich im Zeitverlauf wichtige Rahmenbedingungen, die auf die Arbeitsproduktivität in Projekten wirken, ändern (z.B. durch Einführung einer neuen CAD-Software). Da die abgeschlossenen Projekte die Basis für die Prognose der Arbeitszeit eines neuen Projektes bilden, sollten nur solche Projekte in die Grundgesamtheit aufgenommen
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werden, die unter vergleichbaren Rahmenbedingungen durchgeführt wurden. Entsprechend sind Kriterien aufzustellen, um die Grundgesamtheit zu bestimmen (z.B. sind nur solche Projekte in die Grundgesamtheit aufzunehmen, die nach Einführung der neuen Projektmanagementsoftware begonnen haben.). Auf Grundlage der definierten Grundgesamtheit und der optimalen Stichprobengröße erfolgt die Datenermittlung, d.h., zu abgeschlossenen Projekten bzw. Projektleistungsphasen werden jeweils die geleisteten Arbeitsstunden sowie die Ausprägung der ausgewählten Einflussgrößen ermittelt. Schritt 7 hat die Auswertung der Daten zum Gegenstand. Dabei besteht generell das Problem, dass einzelne Prädiktorvariablen, die Zeiteinflussgrößen xi mit i = 1, ... n, nicht nur mit der Kriteriumsvariable, der Arbeitszeit ta, korrelieren, sondern auch untereinander, so dass sich in einem Satz von „k Prädiktorvariablen eine Teilmenge von q Prädiktorvariablen befindet, deren Vorhersagepotenzial kaum über das Vorhersagepotenzial der k - q Prädiktorvariablen hinausgeht und die damit redundant sind“ (Bortz 1999). Dieses Problem der Multikollinearität lässt sich über das statistische Verfahren der multiplen, schrittweisen Regressionsanalyse lösen, indem nicht signifikante Prädiktoren aus dem Modell ausgeschlossen und stark interkorrelierende Prädiktoren weitgehend vermieden werden. Im Ergebnis von Schritt 7 liegt eine Gleichung der nachfolgenden Form vor, in der bi mit i = 1, ..., n der geschätzte Regressionskoeffizient und a eine Konstante ist. n
ta
a ¦ bi xi i 1
Schritt 8 sieht eine Überprüfung des Prognosemodells über eine Kreuzvalidierung vor, indem die in Schritt 7 gewonnene regressionsanalytische Lösung an einer zweiten Stichprobe derselben Grundgesamtheit erprobt wird. Der neunte Schritt beinhaltet die Anwendung des Prognosemodells. Der zehnte und elfte Schritt haben die Weiterentwicklung des Modells zum Gegenstand.
2.3 Ergebnisse einer Fallstudie Die beschriebene Methode wurde bis zur Aufstellung eines Prognosemodells im Unternehmen Kohlbecker Architekten & Ingenieure im Rahmen einer Fallstudie erprobt. Da die betriebliche Datengrundlage von Auslandsprojekten aufgrund zahlreicher Sonderleistungen in einzelnen Projekten noch recht heterogen ist, wurde entschieden, die Methode zunächst auf Inlandsprojekte der Industriebauplanung über die HOAI-Leistungsphasen 1 bis 5 anzuwenden und erst später auf Auslandsprojekte zu übertragen. Zudem sollte aus Gründen der Untersuchungsökonomie zunächst keine Differenzierung nach Mitarbeitergruppen und einzelnen Projektleistungsphasen vorgenommen werden. Im Rahmen eines Expertenwork-
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shops im Hause Kohlbecker Architekten & Ingenieure wurden die Schritte 2 bis 5 durchlaufen. Im Ergebnis der Schritte 2 und 3 konnten 14 Einflussgrößen identifiziert werden, von denen angenommen wurde, dass sie die Arbeitszeit in Projekten beeinflussen. Diese lassen sich in projekt-, kunden- sowie mitarbeiter- und betriebsbezogene Einflussgrößen differenzieren (vgl. Abb. 5).
Abb. 4. Methode zur Prognosemodellentwicklung im Überblick
Nach Durchlaufen der Schritte 4 und 5 wurde die Anzahl der Zeiteinflussgrößen auf sechs reduziert, da bei der Operationalisierung einzelner Einflussgrößen nicht das für eine Regressions- und Korrelationsanalyse erforderliche Skalenniveau erreicht werden konnte und nicht zu allen Einflussgrößen Daten mit entsprechender Varianz aus abgeschlossenen Projekten vorlagen. Außerdem wurde eine Schätzung der Ausprägung einzelner Einflussgrößen vor Projektbeginn als schwierig angesehen. Im Ergebnis von Schritt 5 lagen als Einflussgrößen die Projektgröße (Indikator: Bruttogrundrissfläche in m2), der Reiseaufwand (in Std.), die Eingespieltheit des unternehmensübergreifenden Projektteams (als Punktzahl aus Fachplanerbewertung), die projektspezifische Expertise (als Anzahl der abgeschlossenen Referenzprojekte), die Berufserfahrung des Projektleiters (in Jahren) und die Änderungsfreudigkeit des Kunden (als durchschnittliche Anzahl der Änderungen aus abgeschlossenen Projekten der letzten fünf Jahre mit dem Kunden)
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vor. Da im Rahmen dieser ersten Fallstudie nur die generelle Anwendbarkeit der Methode geklärt werden sollte, wurde aus untersuchungsökonomischen Gründen zunächst eine Stichprobe von 16 Projekten entsprechend der in Schritt 1 formulierten Vorgabe gezogen. Das Signifikanzniveau wurde auf 5 Prozent festgelegt. Die Projekte wurden überwiegend von Automobilherstellern beauftragt. Für eine Auswertung der Daten über eine schrittweise multiple Regressionsrechnung wurde die Software SPSS (Statistical Package for the Social Sciences) verwendet (Schritt sieben). Die Auswertung hat ergeben, dass sich mit der Projektgröße x1 und der Berufserfahrung des Projektleiters x2 zwei Einflussgrößen hochsignifikant (p < 0,01) und mit der Änderungsfreudigkeit des Kunden x3 eine Einflussgröße signifikant (p = 0,015) auf die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden in den Projekten auswirken. Mit der Projektgröße (projektbezogene Einflussgröße), der Berufserfahrung des Projektleiters (mitarbeiterbezogene Projektgröße) und der Änderungsfreudigkeit des Kunden (kundenbezogene Einflussgröße) wurden dabei die drei Gruppen von Einflussgrößen in dem Modell abgebildet, die bereits in den Schritten 2 und 3 der Methodik identifiziert werden konnten (vgl. Abb. 5). Die Regressionsgleichung für den Zusammenhang von Arbeitszeit ta und den drei ermittelten Zeiteinflussgrößen xi lautet wie folgt ta = 4672,363 + 0,218 x1 - 368,936 x2 + 301,137 x3
[Zeiteinheiten]
Trotz der kleinen Stichprobe von 16 Projekten weist das multiple Bestimmtheitsmaß R2 des Modells einen Wert von 0,83 auf, d.h. 83 Prozent der Varianz kann durch das Modell erklärt werden. Die dargestellte Methodik kann daher über eine verbesserte Prognose der Anzahl der zu leistenden Arbeitsstunden in Projekten dazu beitragen, die Prozesse der Angebotserstellung und der Personalbemessung in Projekten wirksam zu unterstützen.
Abb. 5. Überblick zu den identifizierten Zeiteinflussgrößen
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2.4 Softwareentwicklung Um die Varianzaufklärung des Modells weiter zu verbessern, wurde eine Software entwickelt und bei Kohlbecker Architekten & Ingenieure implementiert, mit der zu allen Projekten zusätzlich zu den geleisteten Arbeitsstunden die Ausprägung von sieben, zum Teil modifizierten Zeiteinflussgrößen erfasst bzw. statistisch verarbeitet werden. Darüber hinaus wurde bei der Softwareentwicklung berücksichtigt, dass Prognosemodelle in Abhängigkeit von der Mitarbeitergruppe (Projektleiter, Projektingenieur und Bauzeichner) und der Projektleistungsphase generiert werden können, um eine möglichst differenzierte und anforderungsgerechte Prognose der Personalkosten vornehmen zu können. Abbildung 6 zeigt exemplarisch das Eingabeformular, bei dem der Benutzer den Geltungsbereich und die Anforderungen an die Güte des Prognosemodells festlegt. Aufgrund der Ergebnisse aus der Fallstudie kann davon ausgegangen werden, dass bei einer sukzessiven Vergrößerung der Datenbasis die Prognosequalität noch deutlich verbessert und damit der Prozess der Kostenkalkulation und Angebotserstellung wirksam unterstützt werden kann. Darüber hinaus ist angedacht, die Methode in anderen Branchen anzuwenden, um branchen- und unternehmensübergreifende Einflussgrößen auf Arbeitszeiten in Projekten zu identifizieren (Hinrichsen et al. 2008).
Abb. 6. Eingabeformular der Software zur Arbeitszeitprognose
Die beschriebene Methodik kann deutsche Planungsdienstleister bei der Kalkulation der Personalkosten, insbesondere von Projektvorhaben im Ausland, unterstützen, da es im Unterschied zu Deutschland, in der die Honorarordnung für
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Architekten und Ingenieure Gültigkeit hat, in den meisten Ländern üblich ist, vor Projektbeginn Pauschalhonorare für definierte Leistungsumfänge zu vereinbaren. Im Ergebnis führt eine verbesserte Prognose der Arbeitszeiten bzw. der Personalkosten dazu, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ein Projekt profitabel durchgeführt werden kann.
3.
Vorgehensmodell zur Bildung von Fachplanungsteams
Ein Projekt ist ein Vorhaben, welches im Wesentlichen durch die „Einmaligkeit der Bedingungen“ gekennzeichnet ist (DIN 69901:1987). Aus dieser Begriffsbestimmung folgt, dass von Projekt zu Projekt unterschiedliche Anforderungen an die Projektorganisation und die Kompetenzen der am Projekt beteiligten Personen bestehen. Daher ist vor Beginn eines jeden Projektes durch das Management zu klären, welche Personen bestimmte Aufgaben im Zeitverlauf eines Projektes wahrnehmen sollen. Die Personaleinsatzplanung in Projekten ist eine komplexe Aufgabe, da eine Reihe von zum Teil nicht komplementär wirkenden Kriterien zu berücksichtigen sind. Zudem ist die Zusammensetzung eines Projektteams von entscheidender Bedeutung für den Projekterfolg. In der Literatur liegen Forschungsergebnisse dazu vor, wie die Merkmale von Gruppen (z.B. Heterogenität in Bezug auf Alter, Ausbildung, Abteilungszugehörigkeit) auf die Gruppenleistung wirken (z.B. Wegge 2003). Allerdings wird der konkrete Prozess der Zusammensetzung von Planungsteams nur unzureichend thematisiert. Vor diesem Hintergrund wurde der Prozess der Bildung eines Projektteams bei dem Industriegebäudeplaner Kohlbecker Architekten & Ingenieure (s. Abschn. 1.3) analysiert und dokumentiert, um einen Standard für die Personaleinsatzplanung in Planungsbüros zu entwickeln. Dazu wurden bei dem Planungsdienstleister zwei Interviews mit der Unternehmensleitung geführt und anschließend wichtige Erfolgsfaktoren für eine Personaleinsatzplanung in nationalen und internationalen Industriegebäudeplanungsprojekten im Rahmen eines Workshops mit zehn Bereichs- und Projektleitern erarbeitet. Grundsätzlich können die Mitglieder eines Projektteams in Bezug auf die Dauer ihrer Mitarbeit im Projekt zwei Gruppen zugeordnet werden. Die erste Gruppe von Beschäftigten arbeitet über die gesamte Projektdauer in dem Projekt mit. Die zweite Gruppe von Mitarbeitern ist nur in einer oder mehreren Phasen des Projektes Mitglied des Projektteams, da ihre spezielle Expertise nur zeitweise benötigt wird oder sie einen vorrübergehenden personellen Engpass ausgleichen (s. Abschn. 1.1). In dem nachfolgend beschriebenen Vorgehensmodell wird in erster Linie auf die erste Gruppe von Mitarbeitern Bezug genommen. Das grundsätzliche Vorgehen bei der Bildung eines Teams für ein Projekt der Industriegebäudeplanung ist für Projekte im Inland und im Ausland gleich und gliedert sich in vier Stufen (vgl. Abb. 7). In einer ersten Stufe wird die erforderliche Größe des Teams, differenziert nach einzelnen Mitarbeitergruppen (Bauzeich-
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ner, Architekt etc.), abgeschätzt. In einer zweiten Stufe wird geprüft, ob das neue Projekt von einem bereits bestehenden Projektteam bearbeitet werden kann. Ist das Ergebnis dieses Prüfschrittes, dass das Projekt weder zusätzlich zu einem laufenden noch im Anschluss an ein auslaufendes Projekt von einem bestehenden Team übernommen werden kann, so wird im Rahmen der dritten Stufe zunächst der Projektleiter für das neue Projekt ausgewählt. In einer vierten Stufe werden auf Grundlage der Ergebnisse aus Stufe eins die weiteren Mitglieder des Projektteams bestimmt. Bei der Bearbeitung der Stufen 2 bis 4 sind für den Fall, dass die Fabrik im Ausland errichtet werden soll, mehrere zusätzliche Kriterien zu berücksichtigen. Die einzelnen Stufen des Vorgehensmodells werden im Folgenden beschrieben. Im Anschluss daran werden die Aspekte erläutert, die im Rahmen von Auslandsprojekten zu berücksichtigen sind. Zur Bestimmung der Teamgröße (Stufe eins) wird in einem ersten Schritt mit Hilfe der in Abschnitt 2 beschriebenen Methodik die Anzahl der erforderlichen Personentage für die einzelnen Mitarbeitergruppen (Projektleiter, Projektingenieur und Bauzeichner) geschätzt. Das Ergebnis des Quotienten aus der Anzahl der geschätzten Personentage pro Mitarbeitergruppe und der Projektdauer in Arbeitstagen ergibt die Anzahl der erforderlichen Teammitglieder differenziert nach Funktionen. Im Rahmen der zweiten Stufe des Modells wird geprüft, ob das in der Planung befindliche Projekt von einem bereits bestehenden Projektteam – zusätzlich zu einem laufenden Projekt oder nach Abschluss eines laufenden Projektes – bearbeitet werden kann. Eine begünstigende Rahmenbedingung für die Übertragung eines neuen Projektes auf ein bestehendes Team ist, dass von dem Team aktuell ein Projekt mit ähnlicher Aufgabenstellung bearbeitet wird und daher bei der Bearbeitung des neuen Projektes mit Synergien zwischen beiden Projekten gerechnet werden kann, da bspw. Konstruktionsdetails auch für das neue Projekt genutzt werden können. Ein weiterer Vorteil der Übertragung eines neuen Projektes auf ein bestehendes Team ist, dass bei einem eingespielten Team die Rollen- und Kompetenzverteilung weitgehend geklärt ist und daher nicht mit Anlaufschwierigkeiten zu rechnen ist. Voraussetzung für die Übertragung des Projektes an ein bestehendes Team ist allerdings, dass das Team bei Beginn des Projektes über entsprechend freie Kapazitäten verfügt oder die Teamgröße entsprechend verändert wird. Den Vorteilen einer Übertragung eines neuen Projektes auf ein bestehendes Team steht im Wesentlichen der Nachteil gegenüber, dass der Wissenstransfer zwischen den Beschäftigten eines Planungsdienstleisters eingeschränkt wird, wenn die Teamzusammensetzungen über einen längeren Zeitraum nahezu unverändert bleiben. Kann das anstehende Projekt nicht von einem bestehenden Projektteam bearbeitet werden, wird gemäß Stufe 3 des Vorgehensmodells zunächst der Projektleiter für das neue Projekt ausgewählt. Bei der Auswahl wird vor allem berücksichtigt, inwieweit einzelne Mitarbeiter, die in dem Planungsbüro als Projektleiter fungieren, schon über Fachwissen und Erfahrungen mit dem Projektgegenstand
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(z.B. Gebäude für die Reinraumfertigung) verfügen oder den Kunden aus abgeschlossenen Projekten bereits gut kennen. Zudem wird darauf geachtet, dass die Persönlichkeit des Projektleiters zu der des Kunden passt, um mögliche Konflikte zu vermeiden.
Abb. 7. Vorgehensmodell zur Bildung eines Fachplanungsteams
Gemäß der vierten Stufe des Modells werden die Teammitglieder unter Berücksichtigung der erforderlichen Teamgröße (siehe Stufe 1) ausgewählt. Dabei sind vor allem folgende Kriterien zu berücksichtigen: x Das Kompetenzprofil des Mitarbeiters soll möglichst weitgehend den Anforderungen der Funktion im Projektteam entsprechen. Bspw. sollte ein Bauzeichner Kenntnisse zu einem speziellen CAD-Programm haben, welches aufgrund der Anforderungen des Bauherrn im Projekt eingesetzt werden soll. x Das Projektteam sollte sowohl aus Personen mit langjähriger Berufserfahrung als auch aus Berufsanfängern bestehen, um die Projektarbeit gezielt für die Personalentwicklung zu nutzen. x Da sich im Laufe der Zeit vielfach „Tandems“ oder kleine Teams, die sehr effektiv zusammenarbeiten, herausbilden, sollten bei der Teamzusammensetzung nach Möglichkeit auch solche bewährten sozialen Beziehungen beachtet werden.
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x Bei der Teamzusammensetzung sind verschiedene Teamrollen zu berücksichtigen. Zu diesen Teamrollen existieren unterschiedliche Theorien. Diesen ist gemeinsam, dass sie davon ausgehen, dass unterschiedliche Rollen im Sinne von Persönlichkeitstypen in einem Team vorhanden sein sollten, damit das Team eine hohe Leistung erbringt. Bspw. werden im Rollenkonzept von Niermeyer (2001) acht Rollen differenziert, die sich im Spannungsfeld von Denker und Macher auf der einen Seite und Neuerer und Bewahrer auf der anderen Seite befinden. Zu den Rollen zählen bspw. der Visionär, der Archivar und Sammler sowie der Macher und Motor. Nach diesem theoretischen Ansatz sollten die unterschiedlichen Rollen so miteinander kombiniert werden, dass ein ausgewogenes Gleichgewicht aus Machen und Denken sowie Bewahren und Erneuern entsteht. Soll die Fabrik für einen Standort im Ausland geplant werden, ergibt sich eine Reihe von auslandsspezifischen Besonderheiten: 1. In Abhängigkeit von der Art der beauftragten Leistungen ist ein unterschiedlich großer Arbeitsumfang direkt am Auslandsstandort zu leisten. In der Regel ist mindestens der Projektleiter überwiegend am Auslandsstandort tätig, um Anforderungen des Bauherrn aufzunehmen, mit dem Bauherrn über unterschiedliche Planungsentwürfe zu diskutieren oder sich mit anderen Fachplanern abzustimmen. Ein anderer Teil des Teams, der am Bürostandort im Inland arbeitet, setzt vor allem die vom Projektleiter kommunizierten Anforderungen in Pläne um. Dazu ist es erforderlich, dass die Arbeiten im Inlandsbüro von einer Person koordiniert werden. Dieser Projektkoordinator stellt das Bindeglied zwischen dem Projektleiter, der im Ausland tätig ist, und dem übrigen Projektteam im Inland dar. 2. Mit dem zunehmenden Export von Planungsdienstleistungen verändert sich zum Teil der Schwerpunkt der nachgefragten Leistungen. Während im Inland vielfach Projekte mit sehr umfassenden Leistungen, die von Grundlagen- und Entwurfsplanung bis hin zum Baumanagement reichen, beauftragt werden, liegt der Schwerpunkt der im Ausland nachgefragten Leistungen in der Regel auf den frühen Planungsphasen (z.B. Durchführung von Standortanalysen, Master- und Entwurfsplanungen), da für die sich anschließenden Phasen der Genehmigungs- und Ausführungsplanung sowie der Vergabevorbereitung und -mitwirkung in der Regel spezifische Kenntnisse der örtlichen Beschaffungsmärkte und der behördlichen Genehmigungsverfahren vorausgesetzt werden. Diese Leistungen können vielfach nur von erfahrenen, regional verankerten Planungsdienstleistern realisiert werden (Hinrichsen et al. 2007). Für die Mitarbeiter in Auslandsprojekten bedeuten diese auslandsspezifischen Besonderheiten, dass sie vor allem über Fachkompetenzen verfügen sollten, die insbesondere in den frühen Planungsphasen eines Fabrikgebäudes benötigt werden. 3. Anforderungen an die in Auslandsprojekten eingesetzten Mitarbeiter beziehen sich auf entsprechende sprachliche und interkulturelle Kompetenzen. Zudem
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sind Organisationstalent, eine hohe Belastbarkeit und Flexibilität Voraussetzungen, um Planungsprojekte im Ausland erfolgreich zu bearbeiten. 4. Besondere Anforderungen an die Organisation der Arbeit ergeben sich aus Zeitverschiebungen zwischen dem Planungsbüro in Deutschland und dem Auslandsstandort, bspw. in Amerika oder Asien. Zum Teil sind für einzelne Mitarbeiter im Inland Einsätze am Abend oder in der Nacht erforderlich, um eilige Arbeitsaufträge vom Projektleiter entgegennehmen zu können. Entsprechend wird von den Beschäftigten in Auslandsprojekten eine hohe zeitliche Flexibilität erwartet. 5. Die Laufzeiten von Auslandsprojekten sind oftmals geringer als die der Inlandsprojekte. Zudem ist der Termindruck in Auslandsprojekten oft sehr hoch, so dass das sog. Kernteam zeitweise um weitere Mitglieder verstärkt werden muss. Die kürzeren Projektlaufzeiten sowie die kurzfristige Personaldisposition führen dazu, dass sich die in Auslandsprojekten Beschäftigten sehr schnell in neue Aufgaben einarbeiten und sehr flexibel auf Kundenanforderungen reagieren müssen.
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Tätigkeitsanalyse und Personalentwicklungskonzepte
4.1 Analyse der Tätigkeit von Projektleitern Besonders hohe Belastungen ergeben sich für Projektleiter, die Planungsleistungen für Projekte im Ausland koordinieren und die Verantwortung für die Qualität der zu erbringenden Dienstleistung tragen (s. Abschn. 1.3). Vor diesem Hintergrund wurde die Arbeit von Beschäftigten, die Industriebauprojekte im Ausland leiten, untersucht, um auf Grundlage der Ergebnisse der Arbeitsanalyse Maßnahmen zur Belastungsreduzierung zu erarbeiten (BeuscherMackay u. Hinrichsen 2007). Das methodische Vorgehen in der Studie gliederte sich in vier Schritte. In einem ersten Schritt wurde in Anlehnung an bereits durchgeführte Studien der empirischen Managementforschung, insbesondere an die Mintzberg-Studie (Mintzberg 1998), die strukturierte Beobachtung als Untersuchungsmethode ausgewählt und die Methode an die konkrete Arbeit von Projektleitern im Fabrikplanungskontext angepasst. Bei dieser Methode werden Mitarbeiter jeweils von einem Beobachter kontinuierlich begleitet. Der Beobachter zeichnet dabei die einzelnen Aktivitäten nach einem zuvor festgelegten Schema von Tätigkeitskategorien, den Ablaufarten, auf. Die Ausformulierung der Aufnahmestruktur erfolgte in sechs Iterationsschritten. Dabei wurden im Rahmen von jeweils halb-tägigen Beobachtungen verschiedener Projektmanager aus einem renommierten Unternehmen der Industriebauplanung die Ablaufarten sowie ergänzende Merkmale (wie z.B. Kommunikationspartner, Zweck, und Ort der Aktivität)
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schrittweise auf die Arbeit von Projektleitern aus der Industriebauplanung angepasst. Im Ergebnis wurden 21 Ablaufarten identifiziert. Diese konnten zu sechs Hauptkategorien (geplante Besprechungen, ungeplante Besprechungen, Telefonieren, Schreibtischarbeit, Wege, Sonstiges) zusammengefasst werden. Im zweiten Schritt wurden auf Basis vorangehender Experteninterviews, erster Erkenntnisse aus den Pretests sowie einschlägiger Managementliteratur insgesamt zwölf Hypothesen zur Arbeit von Projektmanagern in Fabrikplanungsprojekten aufgestellt. Der dritte Schritt beinhaltete die Durchführung der Beobachtungen unter Einsatz der in Schritt 1 entwickelten Methodik. Als Hilfsmittel wurde dabei ein Minicomputer, ein Personal Digital Assistant (PDA), eingesetzt. Mit dem PDA lassen sich Zeitmesspunkte durch „Anklicken“ vordefinierter Felder auf einem berührungssensitiven Bildschirm festhalten. Ein durch den Anwender vordefiniertes Feld am Bildschirm repräsentiert dabei jeweils eine Ablaufart. Im Rahmen der Studie wurden fünf Projektmanager über insgesamt 80 Stunden beobachtet. In einem vierten Schritt wurden die erhobenen Daten ausgewertet und interpretiert. Im Ergebnis der Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass ungeplante Besprechungen mit einem Anteil von 32 Prozent und Schreibtischarbeit mit einem Anteil von 40 Prozent an der Gesamtarbeitszeit dominieren. Der Zeitanteil der geplanten Besprechungen beträgt 7 Prozent, der Anteil des Telefonierens 17 Prozent und Wegezeiten haben einen Anteil von 4 Prozent an der Gesamtarbeitszeit. Darüber hinaus werden im Folgenden die Ergebnisse von zwei der zwölf aufgestellten Hypothesen exemplarisch vorgestellt. Da die Arbeit von Projektleitern im Fabrikplanungskontext aufgrund der großen Anzahl von Projektbeteiligten durch ein hohes Maß an kommunikativen Tätigkeiten geprägt ist, wurde die Hypothese aufgestellt, dass Projektleiter in Fabrikplanungsprojekten mehr als 50 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Kommunikation verbringen. Kommunikation umfasst dabei die Haupttätigkeitskategorien „geplante Besprechungen“, „ungeplante Besprechungen“, „Telefonieren“ sowie die Ablaufarten „E-Mail lesen“ und „E-Mail schreiben“ aus der Haupttätigkeitskategorie Schreibtischarbeit. Zu den nichtkommunikativen Tätigkeitsanteilen werden dementsprechend die verbleibenden sieben Ablaufarten aus der Kategorie „Schreibtischarbeit“ (Datenverarbeitung, Suche/Ablage etc.) sowie die Kategorie „Wege“ zusammengefasst. Wie Abbildung 8 zeigt, haben die Projektmanager im Untersuchungszeitraum zu einem Zeitanteil von 62 Prozent kommunikative Aktivitäten ausgeführt, so dass die eingangs formulierte Hypothese gestützt werden konnte. In seiner Managerstudie aus den Jahren 1967/68 stellte Mintzberg (1973) bereits fest, dass die Arbeit von Managern durch eine sog. Bruchstückhaftigkeit gekennzeichnet sei. Bruchstückhaftigkeit der Arbeit bedeutet, dass innerhalb eines bestimmten Zeitraumes eine hohe Anzahl verschiedener Aktivitäten von einer Arbeitsperson durchgeführt wird. Die Manager „springen“ also zwischen verschiedenen Tätigkeiten und widmen sich nur sehr selten für längere Zeit einer einzelnen Aktivität. Die Durchschnittsdauer der einzelnen Aktivitäten ist dementsprechend vergleichsweise gering. Im Laufe der Voruntersuchungen wurde bereits deutlich, dass die Arbeit der Projektleiter durch ein hohes Maß an Bruchstückhaftigkeit ge-
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kennzeichnet ist. Aufgrund des zunehmenden Wettbewerbsdrucks und der damit verbundenen Innovationsdynamik wurde die Hypothese aufgestellt, dass die Bruchstückhaftigkeit der Arbeit von Managern sich seit der Mintzberg-Studie verstärkt habe. Mintzberg unterscheidet in seiner Studie Aktivitäten mit einer Dauer von weniger als neun Minuten und solche mit einer Dauer größer als 60 Minuten. In dieser Studie haben die Aktivitäten mit einer Dauer von weniger als neun Minuten einen Anteil von 49 Prozent. Der Anteil der Aktivitäten mit einer Dauer von mehr als 60 Minuten beträgt 10 Prozent. Demgegenüber beträgt der Anteil der Aktivitäten mit einer Dauer von weniger als neun Minuten in der eigenen Untersuchung 95 Prozent. Von den 2055 aufgezeichneten Aktivitäten dauerte lediglich eine länger als 60 Minuten.
Abb. 8. Analyseergebnisse zum zeitlichen Anteil der Kommunikation von Projektleitern (Beuscher-Mackay u. Hinrichsen 2007)
Insgesamt lässt sich daher festhalten, dass die Bruchstückhaftigkeit der Arbeit der Manager in der durchgeführten Studie stärker ausgeprägt ist als die in der Mintzberg-Studie. So ist die durchschnittliche Dauer der Aktivitäten mit 2:13 Minuten in der eigenen Studie zehnfach geringer als in der Mintzberg-Studie (22:11 Minuten). Diese Veränderung hängt möglicherweise einerseits mit der gestiegenen Innovationsdynamik und andererseits mit einem veränderten Kommunikationsverhalten durch neue Kommunikationssysteme wie Mobiltelefon und E-Mail zusammen. Allerdings muss einschränkend angeführt werden, dass sich die in der Mintzberg-Studie beobachteten Manager von denen in der eigenen Untersuchung dahingehend unterscheiden, dass Mintzberg Top-Manager aus verschiedenen
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Branchen und keine Leiter von Planungsprojekten untersucht hat. So ist anzunehmen, dass die von Mintzberg untersuchten Manager über ein Vorzimmer und Stabstellen verfügt haben, welche einen großen Teil der Anfragen bereits, ohne Störung des Managers, bearbeitet haben. Ebenso sind die von Mintzberg identifizierten Ablaufarten nicht vollständig identisch mit dem eigenen Beobachtungssystem. Die exemplarisch dargestellten Ergebnisse der Tätigkeitsanalyse zeigen, dass der Arbeitsalltag von Projektmanagern in der Fabrikplanung durch ein hohes Maß an Kommunikation, Bruchstückhaftigkeit sowie viele ungeplante Aktivitäten geprägt ist. Auf Basis dieser Ergebnisse wurden Qualifizierungsmodule entwickelt, die darauf abzielen, die hohe Belastung von Projektmanagern zu reduzieren und gleichzeitig die Effektivität und Effizienz der Arbeit zu verbessern. Die Qualifizierungsmodule wurden über eine Anwendung bei Kohlbecker Architekten & Ingenieure erprobt. Nachfolgend werden die Qualifizierungsmodule „Zeitmanagement und Selbstorganisation“ sowie „Kommunikation mit dem Kunden“ erläutert.
Qualifizierungsmodul Zeitmanagement und Selbstorganisation Um die Bruchstückhaftigkeit der Arbeit sowie die hohe Anzahl an Störungen und ungeplanten Aktivitäten zu reduzieren, wurde das Qualifizierungsmodul Zeitmanagement und Selbstorganisation entwickelt (vgl. Abb. 9). Zielgruppe des Moduls sind Projektleiter. Der zeitliche Rahmen zur Durchführung des Moduls beträgt vier bis sechs Stunden. Die Anzahl der Teilnehmer sollte auf ca. 15 Personen begrenzt werden. Das Modul besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil umfasst eine Präsentation, in der Ergebnisse aus der Tätigkeitsanalyse (s. Abschn. 4.1) sowie bekannte Methoden des Zeitmanagements vorgestellt werden. Im Rahmen des zweiten Teils des Qualifizierungsmoduls übernehmen die Teilnehmer eine aktive Rolle, indem Zeitverschwendungsarten aus dem Arbeitsalltag identifiziert und mögliche Lösungen in Kleingruppen erarbeitet werden. Der erste Teil des Qualifizierungsmoduls beginnt mit einem „Survey Feedback“, d.h. den Workshop-Teilnehmern werden die Beobachtungsergebnisse (s. Abschn. 4.1) präsentiert. Im Anschluss daran werden den Teilnehmern typische Situationen vorgestellt, die zu einer Verschwendung von Zeit führen (z.B. unstrukturierte und langwierige Besprechungen, unvollständige Informationen). Der anschließende Teil der Präsentation hat Methoden und einfache Heuristiken zum Gegenstand, die auf eine Verbesserung des Zeitmanagements und der Selbstorganisation abzielen (vgl. Abb. 9). Zu diesen Heuristiken zählt bspw. das ParetoPrinzip. Auf das Zeitmanagement übertragen bedeutet dieses Prinzip, dass mit einem kleinen Anteil der eigenen Arbeitszeit (z.B. 20 Prozent) ein großer Teil der Ergebnisse (z.B. 80 Prozent) realisiert werden kann (Seiwert 2003). Im Rahmen des sich anschließenden Workshops hat jeder Teilnehmer zunächst die Aufgabe, zehn in seinem Arbeitsalltag auftretende und besonders störende Zeitverschwendungsarten auf Karten zu dokumentieren. Anschließend werden die
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erarbeiteten Karten von jedem Teilnehmer der gesamten Runde vorgestellt und auf eine Metaplanwand geheftet. Im Rahmen einer moderierten Diskussion werden die Karten nach Themenfeldern sortiert, so dass Cluster entstehen. Im vorliegenden Fallbeispiel wurden die Karten drei Clustern zugeordnet. In einem ersten Cluster sind sämtliche Zeitverschwendungsarten zugeordnet worden, die von der Arbeitsperson oder dem Projektteam in hohem Maße beeinflusst werden können. Der zweite Cluster bezieht sich auf Zeitverschwendungsarten, auf die die Organisation in hohem Maße Einfluss nehmen kann. In einer dritten Kategorie sind die Zeitverschwendungsarten zusammengefasst worden, die bei der Arbeit mit externen Kooperationspartnern auftreten. Dabei wurde im Rahmen des Workshops auch auf Besonderheiten bei der Zusammenarbeit mit ausländischen Kooperationspartnern eingegangen (z.B. Missverständnisse infolge interkultureller Unterschiede). Auf dem Zwischenergebnis aufbauend werden der Anzahl der Kategorien entsprechend Gruppen gebildet und den Kategorien zugeordnet. In jeder Gruppe werden anschließend mit Hilfe der vorgestellten Heuristiken und Methoden des Zeitmanagements Lösungsansätze zur Verringerung von nicht wertschöpfenden Zeitanteilen erarbeitet und möglichst weitgehend konkretisiert. Nach einigen Wochen sollen die in der Zwischenzeit gesammelten Erfahrungen mit den umgesetzten Maßnahmen im Rahmen eines weiteren Workshops erörtert werden.
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Abb. 9. Übersicht zum Qualifizierungsmodul Zeitmanagement und Selbstorganisation
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4.2 Qualifizierungsmodul Kommunikation mit dem Kunden Da die Fabrikplanung mit ihren einzelnen Fachplanungsleistungen eine komplexe Dienstleistung darstellt, in die der Kunde in hohem Maße zu integrieren ist, kommt der Kommunikation mit dem Kunden eine große Bedeutung zu. Auf der einen Seite ist es bei der Dienstleistungserbringung wichtig, die Erwartungen des Kunden möglichst frühzeitig und umfassend zu identifizieren, zu dokumentieren und umzusetzen, um die Anzahl möglicher Änderungswünsche des Kunden im Projektverlauf zu reduzieren. Auf der anderen Seite geht es bei der kundengerichteten Kommunikation auch darum, den Kunden hinsichtlich der Auswirkungen seines Handelns (z.B. verzögerte Entscheidungen, unvorbereitete Besprechungen) zu sensibilisieren. Der zeitliche Rahmen zur Anwendung des Moduls beträgt rund vier Stunden. Die Anzahl der Teilnehmer sollte, ebenso wie im Modul Zeitmanagement und Selbstorganisation, auf ca. 15 Personen begrenzt werden. Das Modul besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil umfasst einen präsentationsgestützten Vortrag, der die Themenfelder Gesprächsführung, Kundenzufriedenheit sowie Dienstleistungsqualität und -mentalität zum Gegenstand hat. Im Rahmen des zweiten Teils des Qualifizierungsmoduls wird das Erlernte über Übungen angewendet (vgl. Abb. 10). Die theoretische Einführung zum Thema Kundenzufriedenheit beginnt mit dem Zustandekommen von Kundenzufriedenheit als Ergebnis aus dem Vergleich zwischen der vom Kunden erwarteten und der wahrgenommenen Leistung. Anschließend wird auf Theorien, wie die aus der Sozialpsychologie stammenden Equity- und Assimilations-Kontrasttheorien, eingegangen, um die Vielschichtigkeit des Phänomens der Kundenzufriedenheit aufzuzeigen. So geht die EquityTheorie auf die Angemessenheit des Preises der erbrachten Dienstleistung ein, während die Assimilations-Kontrasttheorie den unterschiedlichen Umgang des Kunden mit Abweichungen von seinen Erwartungen thematisiert. Im Rahmen des zweiten Präsentationsteils, in dem das Thema Dienstleistungsqualität und -mentalität vertieft wird, wird auf die Unterscheidung von Sach- und Dienstleistungen (Engelhardt et al. 1993) sowie die Dimensionen der Dienstleistungsqualität, die bei der Kommunikation mit Kunden entsprechend zu berücksichtigen sind, eingegangen (vgl. Abb. 10). Zudem wird das sog. Gap-Modell (Zeithaml 1992) erläutert, da die kundengerichtete Kommunikation in diesem Modell eine entscheidende Variable ist, die auf die Dienstleistungsqualität wirkt.
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Abb. 10. Übersicht zum Qualifizierungsmodul Kommunikation mit Kunden
Der dritte Teil der Präsentation hat das Thema der Gesprächsführung zum Gegenstand. Dabei werden den Teilnehmern zunächst verschiedene Argumentationstechniken vorgestellt. Diese sollen bspw. dazu beitragen, bei der Interaktion mit einem Kunden eine kundenseitige Entscheidung herbeizuführen. Damit sichergestellt ist, dass eine situativ angemessene und somit wirksame Argumentationstechnik ausgewählt wird, ist es erforderlich, dass Hintergründe und Motive des Gesprächspartners richtig erkannt werden. In diesem Zusammenhang wird auf Einwände und Vorwände des Gesprächspartners eingegangen. So wird vorgestellt, wie tatsächliche Einwände und Bedenken eines Kunden von Vorwänden unterschieden werden können. Anschließend wird erläutert, wie mit Einwänden und Vorwänden des Gesprächspartners angemessen umgegangen werden kann. Dabei werden auch interkulturelle Unterschiede berücksichtigt. Der sich an den Vortrag anschließende Workshop zielt darauf ab, die vermittelten Inhalte durch praktische Übungen zu festigen. So bereiten die Teilnehmer in Kleingruppen typische Gespräche in wechselnden Rollenbesetzungen (Dienstleister/Kunde/Vertreter des Kunden) vor. In dem Gesprächsverlauf werden bspw. Reaktionsmöglichkeiten für die verschiedenen Kategorien von Einwänden trainiert.
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Zusammenfassende Bewertung
Infolge der fortschreitenden Innovationsdynamik in einer Reihe von Branchen können Industrieunternehmen als Auftraggeber von Fabrikplanungsleistungen immer später ihre Anforderungen an die zu realisierende Fabrik spezifizieren. Daraus resultiert das Problem für Planungsbüros, dass sie ihre Planungen mit unvollständigen und sich zum Teil widersprechenden Informationen beginnen müssen. Gleichzeitig führen die sich verkürzende Time-to-Market zu engeren Zeitvorgaben, die für die Planung und Realisierung der Fabriken zur Verfügung stehen. Aus diesen veränderten Anforderungen an Planungsdienstleister ergeben sich mehrere Folgeprobleme. So machen unsichere Planungsgrundlagen sowie zeitliche Restriktionen eine zunehmende Parallelisierung von Planungs- und Realisierungsphasen einer Fabrik erforderlich und bewirken zudem eine erhöhte Anzahl an Planungsänderungen und damit Störungen im Prozess der Leistungserbringung. Eine weitere Folge der Globalisierung ist, dass inländische Industrieunternehmen seit Jahren neue Fabriken vielfach im Ausland errichten. In der Folge sind deutsche Planungsdienstleister als Kunden dieser Unternehmen gezwungen, ihre Dienstleistungen zum Teil in das Ausland zu verlagern. Mit der Dienstleistungserbringung im Ausland gehen veränderte Anforderungen an die Organisation sowie die Beschäftigten von Planungsbüros einher. Um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden, sind Methoden und Hilfsmittel der Personal- und Organisationsentwicklung zu entwickeln, um einerseits die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Planungsdienstleister zu verbessern. Andererseits sollen die Methoden der Personal- und Organisationsentwicklung zur Reduzierung der Belastung der in Planungsbüros Beschäftigten beitragen. Die ausgewählten Methoden, die in diesem Beitrag beschrieben wurden, setzen auf den Ebenen der Organisation, des Projektteams und der Arbeitsperson an. Auf Ebene der Organisation wurde eine Methode entwickelt, mit der die kaufmännische Leitung eines Planungsbüros vor Projektbeginn oder in einer frühen Projektphase eine Prognose der in einem Projekt zu leistende Arbeitsstunden vornehmen kann (s. Abschn. 2). Diese Methodik ist insbesondere in Planungsprojekten, die im Ausland erbracht werden, von Bedeutung, da im Ausland vielfach Pauschalhonorare für Planungsleistungen vereinbart werden und daher eine valide Schätzung der Personalkosten vor Projektbeginn unabdingbar ist, um Projekte wirtschaftlich zu bearbeiten. Als statistisches Verfahren liegt der Methodik die schrittweise, multiple Regressionsrechnung zugrunde. Im Rahmen zukünftiger Forschungsarbeiten ist zu prüfen, inwieweit die Methodik auch auf andere Dienstleistungsbranchen (z.B. Konstruktionsdienstleistungen) übertragen werden kann. Zudem könnten branchenbezogene Standards erarbeitet werden. Da die Planungsleistungen in der Regel nicht von einzelnen Personen, sondern von Projektteams erbracht werden, kommt der Zusammensetzung von Planungsteams eine große Bedeutung zu. Daher wurde ein Vorgehensmodell entwickelt,
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mit dem der Prozess der Teamzusammensetzung in internationalen Projekten der Industriebauplanung unterstützt werden kann (s. Abschn. 3). Im Rahmen weiterer Forschungsaktivitäten gilt es dieses Modell zu operationalisieren und Zusammenhänge zwischen verschiedenen Variablen (z.B. Erfahrungen des Projektleiters/ der Teammitglieder mit dem Projektgegenstand, Anteil berufserfahrener Mitarbeiter im Projektteam) und der Leistung des Teams zu untersuchen. Auf Ebene der Arbeitspersonen nimmt der Projektleiter insbesondere in internationalen Planungsprojekten eine herausragende Bedeutung ein, so dass vor diesem Hintergrund eine Analyse der Tätigkeit von Projektleitern der Industriegebäudeplanung mittels der Methode der strukturierten Beobachtung vorgenommen wurde. Auf Basis der Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden Qualifizierungsmodule entwickelt (s. Abschn. 4). Im Rahmen weiterer Forschungsaktivitäten könnte die Methode der strukturierten Beobachtung in anderen Branchen angewendet werden. Zudem könnten weitere Qualifizierungsmodule entwickelt werden.
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Der virtuelle Auslandseinsatz – neue Chancen und Herausforderungen im Personalmanagement Dirk Holtbrügge, Katrin Schillo
Abstract Durch neue Formen und Möglichkeiten der Dienstleistungserbringung, den sog. „Remote Services“, wird die traditionelle Verbindung zwischen Dienstleistungsanbieter und Kunde zunehmend aufgehoben (Wünderlich et al. 2007). Während bei der klassischen Dienstleistung meist der Ort der Leistungserstellung mit der tatsächlichen Präsenz der Kunden zusammenfällt (Holtbrügge et al. 2004), können Dienstleistungen im Rahmen von „Remote Sevices“ zeitlich und räumlich losgelöst vom Kunden durchgeführt werden. Die so entstandene Flexibilisierung der weltweiten Wertschöpfungsaktivitäten hat weitreichende Folgen für die Organisationsgestaltung und bietet insbesondere im Bereich des Personalmanagements neue Chancen und Möglichkeiten. Eine dieser neuen Möglichkeiten im Personalmanagement bildet der virtuelle Auslandseinsatz. Der vorliegende Beitrag beleuchtet dieses neue Phänomen. Hierzu werden die Merkmale des virtuellen Auslandseinsatzes und dessen Herausforderungen erläutert, um abschließend Möglichkeiten zur Bewältigung dieser aufzuzeigen.
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Spezifische Problemstellung
Durch neue Formen und Möglichkeiten der Dienstleistungserbringung, den sog. „Remote Services“, wird die traditionelle Verbindung zwischen Dienstleistungsanbieter und Kunde zunehmend aufgehoben (Wünderlich et al. 2007). Diese neue Form der Erbringung von Dienstleistungen hat weitreichende Folgen für die Organisationsgestaltung und den weltweiten Mitarbeitereinsatz. Während bei der klassischen Dienstleistung meist der Ort der Leistungserstellung mit der tatsächlichen Präsenz der Kunden zusammenfällt (Holtbrügge et al. 2004), können Dienstleistungen im Rahmen von „Remote Sevices“ zeitlich und räumlich losgelöst vom Kunden durchgeführt werden. Gleichzeitig werden damit verbundene Managementfragen, wie z.B. der länderübergreifenden Konfiguration und Koordination der Leistungserstellung sowie der weltweiten Identifikation von Leistungspotenzialen und geeigneten Risikomanagementinstrumenten, aufgeworfen. So gilt es
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Dirk Holtbrügge, Katrin Schillo
bspw. im Bereich Marketing, diesen veränderten Rahmenbedingungen mit angepassten Instrumenten im Bereich Kundenbeziehungsmanagement, Kundenkontakt und Leistungserbringung zu begegnen. Diese Flexibilisierung der weltweiten Wertschöpfungsaktivitäten in vielen Dienstleistungsunternehmen bietet insbesondere im Bereich des Personalmanagement neue Chancen und Möglichkeiten. Eine dieser neuen Entwicklungen im Personalmanagement ist der virtuelle Auslandseinsatz. Durch die Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie bieten sich heutzutage neue Gestaltungsmöglichkeiten für das Personalmanagement in internationalen Unternehmen an, an die vor zehn Jahren noch nicht zu denken war. Beim virtuellen Auslandseinsatz werden Fach- und Führungskräfte der Muttergesellschaft nicht mehr ins Ausland entsandt, sondern verbleiben im Heimatland und interagieren von hier mit modernen Kommunikationsmedien mit Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und Kooperationspartnern auf der ganzen Welt. Es zeigt sich, dass die Vorteile von virtuellen gegenüber traditionellen Auslandsentsendungen vor allem in der Reduzierung von Reisezeiten und -kosten sowie in der Flexibilisierung des Personaleinsatzes bestehen. Virtuelle Entsandte können zudem ihr gewohntes Lebensumfeld beibehalten, wodurch familiäre und soziale Probleme reduziert werden. Diesen Vorteilen stehen jedoch zahlreiche Herausforderungen gegenüber, die sich insbesondere durch die elektronisch vermittelte Kommunikation über Landes-, Kultur- und Sprachgrenzen hinweg ergeben. Dieser Beitrag soll einen Einblick in die Thematik des virtuellen Auslandseinsatzes liefern. Hierzu folgt zunächst eine genauere Beschreibung des Phänomens. Daran schließt die Darstellung der Herausforderungen an, mit denen virtuelle Auslandsentsandte und ihre Interaktionspartner konfrontiert sind. In der abschließenden Zusammenfassung werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie diese Herausforderungen bewältigt werden können.
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Der virtuelle Auslandseinsatz
Remote Services haben nicht nur weitreichende Auswirkungen auf die Unternehmensebene, sondern auch für die beteiligten Mitarbeiter. Besonders deutlich werden diese bei der Besetzung von Fach- und Führungspositionen im Ausland. Traditionell stehen Unternehmen dazu drei Alternativen zur Verfügung: die Entsendung von Stammhausmitarbeitern, die Beschäftigung von lokalen Mitarbeitern und der Einsatz von Mitarbeitern aus Drittländern. Alle drei Alternativen weisen jedoch Nachteile auf. So werden bspw. bei Stammhausdelegierten vor allem die hohen Kosten der Entsendung moniert, die durch die Vorbereitung, den Auslandsaufenthalt selbst und die Wiedereingliederung entstehen. Ebenso fällt es Stammhausdelegierten meist schwerer, sich an die im Gastland vorherrschenden Bedingungen anzupassen, was häufig zu einem vorzeitigen Ende der Entsendung führt. Der Einsatz lokaler Mitarbeiter verursacht
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dagegen zumeist weitaus geringere Personalkosten. Jedoch erschwert dieser die Koordination und Kommunikation zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft. Den im Vergleich zu Stammhausdelegierten eingesparten Entsendungskosten stehen somit hohe Kommunikationskosten gegenüber. Nachteile der dritten Alternative, des Einsatzes von Drittlandangehörigen, sind neben den (ggf.) hohen Personalkosten der wie bei lokalen Mitarbeitern bestehende Koordinationsaufwand und die hohen Anforderungen an die internationale Mobilität. Zudem wird der Aufbau einer länderübergreifenden Corporate Identity erschwert. Aufgrund dieser Nachteile werden in der Literatur seit Kurzem verschiedene neuere Formen der Stellenbesetzung diskutiert. Neben Überlegungen zur Reduktion der Entsendungsdauer (Harris et al. 2005) steht die virtuelle Entsendung im Zentrum der Überlegungen (Holtbrügge u. Schillo 2006; 2007). Im Unterschied zu den zuvor genannten Formen der Besetzung von Fach- und Führungspositionen im Ausland findet dabei kein Wechsel des Tätigkeitsortes statt.
2.1 Merkmale des virtuellen Auslandseinsatzes Der Begriff der Virtualität wurde im Jahre 1993 in die organisationstheoretische Literatur eingeführt und schnell auf zahlreiche Anwendungsbereiche übertragen (Davidow u. Malone 1993). Virtuell „steht dabei für nicht wirklich, scheinbar oder der Anlage nach vorhanden. Als virtuell wird damit generell die Eigenschaft einer Sache bezeichnet, die zwar nicht real, aber doch in der Möglichkeit (bzw. Leistungsfähigkeit) existiert“ (Scholz 1997). Eine große Verbreitung hat der Begriff der Virtualität vor allem auf der Organisationsebene gefunden. Virtuelle Organisationen stellen „eine durch Informations- und Kommunikationssysteme unterstützte Kooperation rechtlich unabhängiger Einheiten [dar], die durch die Einbringung spezifischer Kernkompetenzen eine Leistung in zeitlicher und räumlicher Autonomie auf Basis eines gemeinsamen Geschäftsverhältnisses erbringt und dabei selbst alle Unternehmenseigenschaften aufweist“ (Pieles 2004). Ein zentraler Vorteil virtueller Organisationen ist die hohe Flexibilität. Da viele Ressourcen nicht permanent physisch vorhanden sind, sondern je nach Bedarf temporär beschafft und kombiniert werden, können virtuelle Organisationen sehr schnell auf veränderte Marktbedingungen reagieren. Zudem weisen sie oft fachliche und regionale Spezialisierungsvorteile auf. Mit diesen Flexibilitäts- und Spezialisierungsvorteilen sind jedoch zahlreiche Führungs- und Kontrollprobleme verbunden (Picot et al. 2003). Auf der Gruppenebene wird der Begriff der Virtualität vor allem im Zusammenhang mit länderübergreifenden Teams (virtual global teams) verwendet. Hierunter werden Gruppen verstanden, deren Mitglieder sich an unterschiedlichen Orten aufhalten und mit Hilfe elektronischer Informations- und Kommunikationstechnologien über Raum, Zeit und Unternehmensgrenzen hinweg zusammenarbeiten (Scholz u. Stein 2003). Als Vorteile virtueller Teams werden die Reduzierung
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von Reisekosten sowie die zeit- und ortsunabhängige Zusammenarbeit angeführt. Darüber hinaus soll die Verständigung von Angehörigen unterschiedlicher Sprachräume durch die Nutzung elektronischer Kommunikationsmedien erleichtert werden. Die Reduktion der direkten persönlichen Kommunikation erschwert jedoch den Transfer impliziten Wissens, der gerade bei anspruchsvollen Tätigkeiten von großer Bedeutung ist (Jarvenpaa u. Leidner 1999; Montoya-Weiss et al. 2001). Wird der Begriff der Virtualität auf die Besetzung von Fach- und Führungspositionen im Ausland übertragen, so lassen sich darunter Mitarbeiter verstehen, die sich physisch im Heimatland aufhalten, jedoch vor allem mit Personen in anderen Ländern zusammenarbeiten (Holtbrügge u. Schillo 2006). Im Unterschied zu den in den beiden vorangegangenen Abschnitten genannten Formen sind virtuelle Auslandsentsendungen somit durch das Auseinanderfallen von Tätigkeits- und Wohnort im Heimatland und den Interaktionspartnern im Gastland gekennzeichnet. Bei diesen kann es sich um Mitarbeiter des gleichen Unternehmens oder von Kooperationspartnern, Kunden sowie Lieferanten handeln. Dabei reicht es nicht aus, dass sich Wohnsitz und Arbeitsplatz im Heimatland und die Aktionspartner im Ausland befinden. Entscheidend ist neben der geographischen Trennung zwischen physischer und virtueller Arbeitswelt auch die kulturelle und sprachliche Trennung (vgl. Abb. 1).
Abb. 1. Traditionelle und virtuelle Auslandsentsendung im Vergleich
Die Interaktion verläuft bei virtuellen Auslandsentsendungen zu einem wesentlichen Teil über elektronische Informations- und Kommunikationstechnologien, wobei regelmäßige persönliche Treffen nicht ausgeschlossen sind. Entscheidend ist jedoch, dass unmittelbare Kontakte zwischen dem virtuellen Entsandten und seinen Interaktionspartnern im Gastland auf wenige Treffen beschränkt sind. Die Möglichkeit zum Aufbau enger persönlicher Beziehungen geht dadurch weitgehend verloren. Ein drittes zentrales Merkmal virtueller Auslandsentsendungen ist, dass der virtuelle Entsandte gegenüber seinen Mitarbeitern im Ausland ein Weisungsrecht und gegenüber Kunden, Lieferanten oder Kooperationspartnern ein Entscheidungsrecht besitzt. Dies unterscheidet virtuelle Entsandte etwa von den Mitarbeitern von Call Centern, die häufig durch die geographische Trennung von Arbeits-
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ort und Interaktionspartnern gekennzeichnet sind. Weisungsgebundenheit kann sowohl gegenüber Vorgesetzten im Heimat- als auch im Gastland bestehen. Virtuelle Auslandsentsendungen müssen schließlich dauerhaft sein und dürfen sich nicht nur auf ein einziges Projekt beschränken. Dies bedeutet, dass die virtuelle Auslandsentsendung eine wichtige Karrierephase ist, von deren Erfolg etwa zukünftige Beförderungsentscheidungen abhängen. Wie bei realen Auslandsentsendungen sind dabei unterschiedliche Ausgestaltungsformen denkbar. Vergleicht man virtuelle mit realen Auslandsentsendungen, so fällt als zentraler Unterschied die räumliche Trennung von Privat- und Berufsleben auf. Der virtuelle Entsandte lebt in seiner eigenen (Heimat-)Kultur, interagiert jedoch den größten Teil seiner Arbeitszeit mit Angehörigen anderer Kulturen, die in einem anderen Land tätig sind. Wo ein realer Entsandter die andere Kultur wahrhaftig erlebt, also hört, riecht, sieht und schmeckt, ist der virtuelle Entsandte auf deren Wahrnehmung über elektronische Informations- und Kommunikationstechnologien beschränkt. Unmittelbar erlebt wird nur die eigene Heimatkultur. Beispielhaft stellt man sich einen realen Entsandten in China vor, der mit seinen Kunden oder Kollegen abends in ein chinesisches Restaurant zum Essen geht, sich von diesen die Speisekarte übersetzen lassen muss und mit Stäbchen landestypische Spezialitäten isst. Im Gegensatz dazu holt sich der virtuelle Entsandte vielleicht mittags in der Kantine eine Currywurst mit Pommes und fährt nach der Arbeit wieder in sein Vorstadtreihenhaus zu seiner Familie zurück. Der offensichtlichste Vorteil virtueller Auslandsentsendungen ist der Verbleib des virtuellen Entsandten am Heimatort. Hierdurch werden nicht nur Entsendungsund Übersiedlungskosten gespart, sondern auch die Reisekosten stark reduziert. Ebenso verringert sich die physische und psychische Belastung des Entsandten, da ihre Reisetätigkeit sowie die Trennung von der Familie verkürzt werden (Welch et al. 2003). Das Privatleben im Heimatland kann so problemlos weitergeführt werden und die Dual-Career-Problematik wird entschärft. Dies ist besonders bei Tätigkeiten an unattraktiven Orten relevant. Zugleich wird die Reintegration nach Beendigung der virtuellen Entsendung erleichtert, da der Kontakt zu den Kollegen im Stammhaus aufrechterhalten bleibt. Zudem können die Mitarbeiter noch flexibler eingesetzt werden. Für kleine und mittelständische Unternehmen bietet sich durch den virtuellen Auslandseinsatz die Möglichkeit international präsent zu sein, ohne einen entsprechenden Mitarbeiterstamm vor Ort vorhalten zu müssen. Dies gilt vor allem für solche Branchen, die sich durch eine hohe Fernsteuerbarkeit (remoteability) von Prozessen auszeichnen. Dazu zählen vor allem länderübergreifende Dienstleistungen. Mit der zunehmenden Automatisierung der Produktion steigt jedoch auch in vielen Industriebereichen die Möglichkeit, virtuelle Auslandsentsendungen einzusetzen. Eine Studie von PricewaterhouseCoopers (2000) zeigt, dass virtuelle Entsendungen eine hohe Akzeptanz bei Mitarbeitern besitzen und deren Verbreitung in den nächsten Jahren stark zunehmen dürfte.
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Herausforderungen eines virtuellen Auslandseinsatzes
Die diskutierten Merkmale des virtuellen Auslandseinsatzes bieten für Dienstleistungsunternehmen Chancen, die meist lokal gebündelten Kompetenzen der Mitarbeiter weltweit verfügbar zu machen. Gleichzeitig können Nachteile klassischer Entsendungen mit diesem neuen Personalmanagementinstrument reduziert werden. Dies ist jedoch nur möglich, wenn spezifische, mit dem virtuellen Auslandseinsatz einhergehende Herausforderungen bewältigt werden. Nach Grundgreif et al. (2007) können vier Problemfelder virtueller Auslandseinsätze identifiziert werden (vgl. Abb. 2).
Abb. 2. Problemfelder bei virtuellen Auslandsentsendungen
3.1 Interkulturelle Kommunikation Ein zentraler Problembereich bei virtuellen Auslandsentsendungen ist die Kommunikation des Entsandten mit den jeweiligen Interaktionspartnern. Knapp (2003) zeigt, dass im Schnitt 70 Prozent der Arbeitszeit von Managern aus Kommunikation besteht (Kikoski 1993). Bei einer virtuellen Auslandsentsendung, bei der die Zusammenarbeit zum größten Teil über die medial vermittelte Kommunikation erfolgt, ist anzunehmen, dass dieser Anteil sogar noch höher ausfällt. Mögliche Probleme ergeben sich dabei aus dem Umstand, dass die Kommunikation zwischen Partnern mit verschiedenen kulturellen Hintergründen stattfindet. Thomas
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(2003) definiert eine solche interkulturelle Kommunikation als „Kommunikation (…) unter kulturellen Überschneidungsbedingungen, wobei die kulturellen Unterschiede der Partner maßgeblich das Kommunikationsgeschehen sowohl hinsichtlich der Ablaufprozesse als auch der Resultate beeinflussen.“ Generell setzen in einem internationalen Kontext zentrale Aktivitäten wie etwa der Austausch von Informationen und Ideen, das gemeinsame Treffen von Entscheidungen, das Führen von Verhandlungen oder die Führung und Motivation von Mitarbeitern die Fähigkeit voraus, erfolgreich mit Angehörigen anderer Kulturen zu kommunizieren (Adler 2003). Dies gilt in besonderer Weise für virtuelle Auslandsentsandte. Bei virtuellen Auslandseinsätzen liegen die Gefahren des Scheiterns in Missverständnissen der Gesprächspartner aufgrund kultureller Unterschiede.
Kulturbedingte Interpretationsstörungen Die Problematik der Kommunikation bei virtuellen Auslandsentsendungen besteht darin, dass der Codierungs- und der Decodierungsprozess nicht unter gleichen, sondern kulturell unterschiedlichen Bedingungen stattfindet. Die Wahrscheinlichkeit, dass die vom Sender beabsichtigte Botschaft nicht in der gewünschten Form beim Empfänger ankommt und interpretiert wird, ist dabei umso höher, je größer die kulturelle Distanz zwischen den Kommunikationspartnern ist. Ursächlich dafür ist die Interpretation von Informationen vor dem eigenen kulturellen Hintergrund. Das Konzept des „Signifier“ und „Signified“ entstammt der Semiotik und leitet drei Szenarien für den Prozess ab, der beim Empfänger einer Botschaft eines Senders aus einer fremden Kultur abläuft (Beamer 1992). Danach setzt sich eine Botschaft oder ein Signal aus einem Signifier (also dem Träger der Botschaft, bspw. einem Wort oder einem Satz) und dem Signified (also der dem Signifier zugeordneten Bedeutung) zusammen. Bei der Zuordnung der Bedeutung des Signifiers greift der Empfänger auf seinen aufgrund seines kulturellen Hintergrundes determinierten Vorrat an Bedeutungen bzw. sein „Reservoir of Signs“ zurück. Der erste Fall beschreibt eine effektive Kommunikation. Hierbei kennt der Empfänger den Signifier und ordnet ihn der vom Sender beabsichtigten Bedeutung zu. Im zweiten Fall kennt der Empfänger zwar den empfangenen Signifier, nicht aber seine exakte Bedeutung. Er ordnet ihn jedoch einer in seinem Vorrat enthaltenen ähnlichen Bedeutung zu. In einem solchen Fall entstehen Missverständnisse, die zu ineffektiver Kommunikation und Konflikten führen können. Im dritten Fall kommt keine Kommunikation zustande, da der Empfänger die empfangene Botschaft keiner ihm bekannten oder dieser ähnlichen Bedeutung zuordnen kann (Beamer 1992). Die Problematik der Kommunikation bei virtuellen Auslandsentsendungen besteht darin, dass der Codierungs- und der Decodierungsprozess nicht unter glei-
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chen, sondern unter kulturell unterschiedlichen Bedingungen stattfindet: „Translating meanings into words and behaviors – that is, into symbols – and back again into meanings is based on a person’s cultural background and is not the same for each person“ (Adler 2002). Die Wahrscheinlichkeit, dass die vom Sender beabsichtigte Botschaft nicht in der gewünschten Form beim Empfänger ankommt und interpretiert wird, ist dabei umso höher, je größer die kulturelle Distanz zwischen den Kommunikationspartnern ist (Adler 2002; Konopaske u. Ivancevich 2004).
Unterschiedliche Kontextorientierung Eine weitere Quelle für interkulturelle Kommunikationsprobleme ist die Menge an in einer Botschaft enthaltenen Informationen. Hall (1981) unterscheidet in seinem Konzept der Kontextorientierung zwischen „High-Context“- und „Low-Context“Kulturen. In High-Context-Kulturen ist nur ein sehr geringer Teil an Informationen in der explizit formulierten Botschaft enthalten, der größere Teil ist vor allem im Kontext der Kommunikation verborgen. In Low-Context-Kulturen enthalten Botschaften dagegen ein hohes Ausmaß an unmittelbaren Informationen, d. h, die Botschaft wird direkt und unmittelbar sprachlich geäußert. Welche Probleme aufgrund verschiedener Kontextorientierung der Kommunikationspartner auftreten können, zeigen Kittler et al. (2006) in einem integrierten Modell interkultureller Kommunikation. So kann eine unterschiedliche Kontextorientierung dazu führen, dass ein Teil der vom Sender beabsichtigten Botschaft vom Empfänger nicht als solche identifiziert wird und somit im Kommunikationsprozess verloren geht. Ein solcher Verlust wird als „Contextual Loss“ bezeichnet. Contextual Loss ist dann zu erwarten, wenn der Sender der Botschaft eine hohe, der Empfänger jedoch eine geringe Kontextorientierung besitzt. Im umgekehrten Fall besteht auch die Möglichkeit, dass der Empfänger der Botschaft mehr Bedeutung und Informationen zuweist als vom Sender beabsichtigt. Ein solches unbeabsichtigtes Hinzufügen von Bedeutung zu einer Botschaft durch deren Empfänger wird als „Contextual Noise“ bezeichnet und ist dann zu erwarten, wenn ein LowContext-Sender eine Botschaft an einen High-Context-Empfänger übermittelt. Als Konsequenz ergibt sich im Bezug auf interkulturelle Kommunikation: „A lower degree of effectiveness can be caused by different cultural contexts“ (Kittler et al. 2006). Neben einer geringeren Effektivität der Kommunikation sind noch weitere Probleme vorstellbar. So könnten bspw. durch Contextual Loss vom Empfänger nicht wahrgenommene Teile einer Botschaft von diesem als Ergebnis einer unklaren Ausdrucksweise seines Kommunikationspartners ausgelegt werden. Ebenso könnten durch Contextual Noise vom Sender unbeabsichtigte Teile der Botschaft vom Empfänger als Kränkung oder Beleidigung interpretiert werden. Besonders problematisch ist dies vor dem Hintergrund, dass bei Missverständnissen und anderen Kommunikationsproblemen die Tendenz besteht, die Ursachen für diese Probleme in der Person des Kommunikationspartners bzw. dessen Schwächen und
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Fehlern zu suchen. Dies kann zu Konflikten und im schlimmsten Fall zum gänzlichen Abbruch des Kontakts führen (Thomas et al. 2003; Thomas 2003). Für einen virtuellen Auslandsentsandten bedeutet dies eine Gefährdung der Beziehungen zu seinen Interaktionspartnern und somit die Gefahr der Beeinträchtigung des Erfolgs seines Einsatzes.
Beschränkungen medial vermittelter Kommunikation Neben den kulturellen Unterschieden der Interaktionspartner ist eines der zentralen Merkmale von virtuellen Auslandsentsendungen die geographische Trennung zwischen der physischen und der virtuellen Arbeitswelt. Daraus resultiert die Notwendigkeit einer hauptsächlich über elektronische Informations- und Kommunikationstechnologien stattfindenden Interaktion und Kommunikation (Holtbrügge u. Schillo 2006). Zahlreiche Autoren weisen im Zusammenhang von virtuellen Teams auf die Probleme medial vermittelter Kommunikation hin (Gibson u. Manuel 2003; Roebuck et al. 2004; McKinney u. Whiteside 2006; Rosen et al. 2006). Das größte Problem medial vermittelter Kommunikation ist die mangelnde Fähigkeit elektronischer Kommunikationsmedien, die Elemente einer Botschaft, die über die verbale Ebene, also das gesprochene bzw. geschriebene Wort, hinausgehen, in adäquater Weise zu übermitteln: Informations- und Kommunikationstechnologien stoßen an ihre Grenzen und sind nicht in der Lage, soziale, emotionale und non-verbale Information im selben Maße zu übermitteln, wie dies bei der traditionellen, persönlichen Kommunikation möglich ist. So können bspw. Elemente mit hohem Informationsgehalt, wie der Gesichtsausdruck, der Tonfall oder die Gestik, durch die Kommunikation durch elektronische Kommunikationsmedien verzerrt werden oder gänzlich verloren gehen. Da elektronische Informations- und Kommunikationsmedien die beschriebenen para- und non-verbalen Elemente von Botschaften nicht oder nur eingeschränkt übermitteln können, steigt das Potenzial für Missverständnisse und Konflikte zwischen den Kommunikationspartnern an. So lässt bspw. in einer Face-to-Face stattfindenden Kommunikation die Mimik und Gestik des Empfängers einer Botschaft Rückschlüsse darauf zu, ob er die gesendete Botschaft verstanden hat oder nicht (Roebuck et al. 2004). Hat der Sender die Möglichkeit, die vom Empfänger gesendeten Signale wahrzunehmen und zu deuten, kann er die nicht oder falsch verstandene Botschaft verdeutlichen oder berichtigen und somit einem Missverständnis vorbeugen. Ein solches korrektives Feedback ist bei medial vermittelter Kommunikation, wie sie für virtuelle Entsandte typisch ist, nicht oder nur eingeschränkt möglich. Weiteres Konfliktpotenzial birgt der Umstand, dass emotionale Komponenten der Kommunikation, wie etwa Humor, Ärger oder Frustration, nur schwer medial vermittelbar sind (Rosen et al. 2006). Wird bspw. die humorvolle Intention einer Botschaft vom Empfänger aufgrund fehlender para- oder nonverbaler Informationen nicht als solche oder falsch interpretiert, kann dies dazu
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führen, dass sich dieser vom Sender unbeabsichtigt gekränkt oder beleidigt fühlt. Verstärkt wird das Kommunikationsproblem dadurch, wenn der Sender der Botschaft wiederum den Ärger des Empfängers nicht als solchen wahrnimmt und somit keine Notwendigkeit zur Richtigstellung seiner eigentlichen Intention erkennt. Eine wichtige Einflussgröße auf das Ausmaß der auftretenden Probleme und Konflikte ist der Grad an „Media Richness“ der verwendeten Kommunikationsmedien. Nach der Media Richness-Theorie unterscheiden sich verschiedene Kommunikationsmedien nach den „levels of richness according to the number of cues they are able to convey, the timeliness of the feedback and the capacity of natural expression” (Warkentin u. Beranek 1999). Je höher die Media Richness eines Kommunikationsmediums ist, desto geringer sind die Missverständnisse und Konflikte, die aufgrund seiner Nutzung zur Kommunikation zu erwarten sind. Videokonferenzen haben im Vergleich zu anderen Kommunikationsmedien (abgesehen von der traditionellen Face-to-Face Kommunikation) die höchste Media Richness. Die anderen Medien sind, abnehmend nach ihrem Grad an Media Richness: Telefon, E-Mail, Fax und der traditionelle Brief. Bei virtuellen Auslandsentsendungen findet mit E-Mails ein Kommunikationsmedium die meiste Verwendung, das über einen geringen Grad an Media Richness verfügt. E-Mails bieten die Möglichkeit, sich längere Zeit mit der empfangenen Botschaft zu beschäftigen, als das bei einer anderen Form der Kommunikation der Fall wäre. Durch ein wiederholtes Lesen und Reflektieren der Botschaft besteht die Möglichkeit, dass etwaige enthaltene Probleme in der Wahrnehmung des Empfängers an Ausmaß zunehmen und dass sich dadurch die Wahrscheinlichkeit einer Lösung des Problems verringert. Weiterhin birgt der relativ lange Zeitraum, der zum Verfassen einer E-Mail in Anspruch genommen werden kann, die Gefahr, dass sich durch eine ausführliche Auseinandersetzung des Verfassers mit seiner Botschaft bzw. seinen Argumenten sein Standpunkt verfestigt und somit seine Kompromissbereitschaft abnimmt. Überdies verringert das Wissen, dass dem Kommunikationspartner ebenfalls ausreichend Zeit zur bedachten und bewussten Formulierung der E-Mail zur Verfügung steht, die Tendenz, mögliche Kränkungen und Beleidigungen als zufällig und unbeabsichtigt zu bewerten (Friedman u. Currall 2003). Zum anderen birgt auch der prinzipiell unbegrenzte Umfang von E-Mails Potenzial für Probleme. Erhält bspw. der Empfänger eine sehr umfangreiche E-Mail und bezieht sich in seiner Antwort, etwa aus zeitlichen Gründen, nicht auf alle in der E-Mail enthaltenen Informationen, so kann bei seinem Gegenüber der Eindruck entstehen, dass ihm bzw. seiner E-Mail nur eine geringe Priorität beigemessen wird. Weiterhin besteht die Tendenz, dass sich die Erinnerung bei einer Vielzahl von Informationen, die aufgrund einer beschränkten Wahrnehmungsfähigkeit nicht alle verarbeitet werden können, auf die Teile der Botschaft fokussiert, die beim Empfänger die stärkste, meist negative Reaktion hervorgerufen haben. Verdeutlicht wird dies durch folgende Darstellung von Friedman und Currall (2003): “If, say, a series of seven or eight arguments are made, but one was especially anger-provoking, then it is that most anger-provoking argument that is likely to
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dominate memory, overshadowing points where there was more room for constructive engagement.” Diese Probleme medial vermittelter Kommunikation können schon in einem monokulturellen Umfeld die Zusammenarbeit geographisch entfernter Interaktionspartner negativ beeinflussen. Findet die Interaktion nun zwischen Partnern mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen statt, sind Probleme in höherem Ausmaß zu erwarten. In interkulturellen Begegnungen werden deshalb zumeist verstärkt non-verbale Signale eingesetzt, um verbale Sprache oder Fremdsprachendefizite zu ersetzen. Wird Sprache nicht non-verbal unterstützt, erhöht dies die Gefahr interkultureller Missverständnisse (Blom u. Meier 2002; Iten 2001). Wie groß die zu erwartenden Probleme medial vermittelter Kommunikation bei virtuellen Auslandsentsendungen sind, hängt auch von dem Zielland der Entsendung ab. Eine wichtige Einflussgröße ist dabei die bereits dargestellte Kontextorientierung einer Kultur. Da in High-Kontext-Kulturen ein großer Teil der Bedeutung einer Botschaft über para- und non-verbale Informationen übertragen wird, ist die medial vermittelte Kommunikation mit Angehörigen solcher Kulturen als besonders schwierig einzuschätzen (Holtbrügge u. Schillo 2006). Auch Welch et al. (2003) weisen auf den Umstand hin, „that high-context cultures rely more heavily on one`s ability to read the non-verbal cues than in low context cultures (...). Such cues are missing from electronic media.“ Für einen einer Low-KontextKultur wie Deutschland entstammenden virtuellen Auslandsentsandten bedeutet dies, dass das zu erwartende Potenzial für Missverständnisse und Konflikte umso größer ist, je größer die Kontextorientierung der Zielkultur seiner Entsendung ist.
3.2 Unterschiede im Zeitverständnis Termine und Deadlines Ein weiterer Problembereich im Kontext virtueller Auslandsentsendungen ist das unterschiedliche Zeitverständnis in verschiedenen Kulturen. Eines der meist zitierten Zeitkonzepte ist Halls Konzept der monochronen (M-time) und polychronen (P-time) Zeitorientierung (1981). Er unterscheidet die beiden Zeitauffassungen wie folgt: „M-time emphasizes schedules, segmentation, and promptness. P-time systems are characterized by several things happening at once. They stress involvement of people and completion of transactions rather than adherence to preset schedules“. Für einen Angehörigen einer monochronen Kultur bedeutet ein Termin einen festen Zeitpunkt für eine Tätigkeit, wie etwa eine Besprechung oder eine Konferenz, den es einzuhalten gilt. Ein bestimmter Termin ist ein Teil seines täglichen Zeitplanes und auf seine anderen Termine abgestimmt. Etwaige Änderungen an dem Termin oder zu erwartende Verspätungen sollten ihm möglichst frühzeitig kommuniziert werden, um diese Änderung in seine Terminplanung einbeziehen zu können (Bluedorn et al. 1992). Für einen in einer monochron orien-
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tierten Umwelt lokalisierten virtuellen Auslandsentsandten besteht überdies die Notwendigkeit, seine Terminplanung in gewissem Umfang auch mit seinem Umfeld abzustimmen. So ist in der Praxis bspw. die Nutzung technischer Hilfsmittel wie etwa für eine Videokonferenz oftmals durch Benutzungs- oder Belegungspläne geregelt. Dies erfordert für den virtuellen Entsandten zusätzliche Planungs- und Terminsicherheit. Ein polychroner Interaktionspartner hat jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit keine vergleichbar strikte Zeitplanung (Hall 1981). Eine Verspätung oder eine kurzfristige Änderung eines Termins sieht ein Angehöriger einer polychronen Kultur deshalb als Normalität an. Für seinen monochronen Interaktionspartner bedeutet das jedoch eine Störung seines festen Zeitplanes. Er muss möglicherweise Leerlaufzeiten oder Zeitnot in Bezug auf andere Termine in Kauf nehmen oder diese verlegen bzw. absagen. Dies kann zu Ärger und Frustration beim Betroffenen führen. Beurteilt dieser die Situation nun aus seiner eigenen monochronen Perspektive heraus, wird er diese Frustration wahrscheinlich auf seinen Interaktionspartner und dessen Fehlverhalten projizieren. Behält er seinen Ärger für sich, besteht die Gefahr, dass er eine negative Grundeinstellung gegenüber seinem Interaktionspartner bildet. Kommuniziert er ihn jedoch, kann dies zu einem Konflikt führen, wenn sein Interaktionspartner die Situation seinerseits aus einer polychronen Perspektive heraus betrachtet. Dieser wird sich womöglich zu unrecht beschuldigt fühlen, da aus seiner Sicht überhaupt kein Problem besteht. Beide Szenarien können gleichermaßen das Verhältnis der beiden Interaktionspartner stören und somit ein effektives Zusammenarbeiten erschweren (Saunders et al. 2004). Ähnliches gilt auch für die Fertigstellung von Aufgaben. Hierbei legen Angehörige monochron orientierter Kulturen großen Wert auf eine präzise Zeitplanung und die Einhaltung fester Zeitvorgaben im Sinne von Deadlines. Ebenso wichtig ist für sie eine festgelegte Planung über den Ablauf der einzelnen Schritte oder Teilziele, die zur Erreichung des Gesamtzieles führen sollen. Angehörige polychron orientierter Kulturen hingegen planen den zeitlichen Rahmen von zu erfüllenden Aufgaben weit weniger genau, wenn sie nicht auf eine solche Zeitplanung gänzlich verzichten. Das Vorgehen zur Erreichung des Gesamtzieles ist nicht durch eine festgelegte Planung im Voraus determiniert, sondern unterliegt häufigen Änderungen in Bezug auf Arbeitsabläufe und Prioritäten bei der Aufgabenerfüllung (Bluedorn et al. 1992). Auch hier können unterschiedliche Zeitorientierungen zu Missverständnissen und Konflikten führen und somit die Effizienz der Zusammenarbeit gefährden. Als erschwerender Faktor für einen virtuellen Auslandsentsandten aus einer monochron orientierten Kultur (wie der deutschen) kommt bei einer Entsendung in eine polychron orientierte Kultur hinzu, dass er nur einen Teil seiner täglichen Zeit mit den Angehörigen dieser Kultur interagiert. Ihm fehlt dadurch die Möglichkeit, sich auch im täglichen Leben außerhalb seiner Arbeit an die polychrone Zeitauffassung zu gewöhnen. So wie Hall basierend auf Beobachtungen von Menschen anderer Kulturen in ihrem täglichen Handeln die Unterscheidung zwischen
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monochroner und polychroner Zeitauffassung entwickelt hatte, hat auch ein im Gastland lebender Auslandsentsandter die Möglichkeit, das Zeitverständnis seiner Gastkultur jeden Tag zu erleben. Der traditionelle Entsandte kann aus seinen Beobachtungen und Erfahrungen, wie bspw. das Warten auf verspätete öffentliche Verkehrsmittel oder auf die Gäste bei einer Veranstaltung, lernen, die Situation als Normalität anzusehen und sein eigenes Wahrnehmen und Verhalten daran anzupassen. Eine wichtige Konsequenz aus einem solchen Lernprozess wäre, dass der Entsandte ein bestimmtes Verhalten (das aus seiner Sicht zu späte Eintreffen zu einem Termin) nicht mehr als fehlerhaftes oder unverschämtes Verhalten der anderen Person betrachtet, sondern als Folge deren kulturellen Hintergrundes. Hat der Entsandte einen solchen Lernprozess durchlaufen, sinkt auch das Potenzial an Konflikten und Missverständnissen zwischen ihm und seinen Interaktionspartnern aufgrund der unterschiedlichen Zeitvorstellungen (Bluedorn et al. 1992). Ein solcher Lernprozess bleibt dem virtuellen Auslandsentsandten aus einer monochronen Kultur jedoch weitgehend verwehrt. Sein Alltag findet in einem monochron orientierten Umfeld statt und ist von fest einzuhaltenden Plänen, Terminen und Zeiten geprägt. Dieses Umfeld gibt ihm also kaum Anlass, sich über seine eigene Zeitorientierung bewusst zu werden. Das gleiche gilt für seine Interaktionspartner, die sich ihrerseits in ihrem eigenen polychronen Umfeld bewegen. Verfügt der virtuelle Auslandsentsandte also nicht (z.B. durch frühere Auslandsaufenthalte oder interkulturelle Trainingsmaßnahmen) bereits über ein Bewusstsein über seine eigene Zeitorientierung und die seiner Interaktionspartner, bedeutet dies ein großes Potenzial für interkulturelle Probleme und Missverständnisse.
Zeithorizont Verschiedene Zeit- und Planungshorizonte können zu Problemen bei virtuellen Auslandsentsendungen führen. Hier ist vor allem der in die Zukunft gerichtete Zeithorizont von Bedeutung, da er einen unmittelbaren Einfluss auf Entscheidungen über die Planung von Zielen und Maßnahmen hat. So sind die Investitionen von Organisationen zumeist umso höher, je größer ihre zeitliche Tiefe bzw. je weiter ihr Zeithorizont ist. Diese Beobachtung unterstützt die Vermutung, dass der Zeithorizont einer Person oder Gruppe von Personen deren Planungshorizont bestimmt oder zumindest entscheidend beeinflusst (Bluedorn u. Standifer 2006). Das 5-Dimensionen-Modell von Hofstede bietet eine Möglichkeit, den Planungshorizont in verschiedenen Kulturen genauer zu untersuchen. So unterscheidet er Kulturen u.a. danach, ob in ihnen eine langfristige oder eine kurzfristige Zeitorientierung vorherrscht. Aufschluss über den Planungshorizont einer Kultur gibt dabei vor allem, wie schnell von ihren Angehörigen Ergebnisse erwartet werden. Eine kurzfristig orientierte Kultur ist durch die Erwartung von „quick Results“ gekennzeichnet, die einer „perseverance towards slow results“ in langfristig orientierten Kulturen gegenübersteht (Hofstede 1997).
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Für einen virtuellen Auslandsentsandten aus einer relativ kurzfristig orientierten Kultur wie Deutschland können bei der Entsendung in eine langfristig orientierte Kultur Konflikte bei der Planung von Zielen und Maßnahmen entstehen. Er wird möglicherweise nicht bereit sein, auf kurzfristige Erfolge oder Gewinne zu verzichten, während seine Interaktionspartner einen solchen Verzicht als notwendig für die Erreichung langfristiger Ziele ansehen. Im Vergleich zu traditionellen Entsandten wird dieses Problem dadurch verschärft, dass sich virtuelle Entsandte in Deutschland physisch in einem Umfeld aufhalten, das durch einen kurzfristigen Zeithorizont geprägt ist. Eine gemeinsame Zukunftsplanung wird dadurch erschwert und im schlimmsten Falle sogar unmöglich. Dies kann zu Unzufriedenheit und Frustration auf beiden Seiten führen, was wiederum die Zusammenarbeit erschweren und somit den Erfolg der virtuellen Auslandsentsendung erheblich beeinträchtigen kann.
3.3 Vertrauen Ein häufig genanntes Problem von virtuellen Auslandsentsendungen ist der Aufbau und die Aufrechterhaltung von Vertrauen zwischen dem virtuellen Auslandsentsandten und seinen Interaktionspartnern. Virtuelle Entsandte haben nur in sehr geringem Ausmaß die Möglichkeit, durch unmittelbaren persönlichen Kontakt enge persönliche Beziehungen zu ihren Interaktionspartnern aufzubauen (Holtbrügge u. Schillo 2006). Die Gründe hierfür sind zum einen die geographische Trennung, zum anderen die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe der Interaktionspartner (Gibson u. Manuel 2003). Interaktionspartner, die sich in unmittelbarer geographischer Nähe zueinander befinden, können neben der formellen, aufgabenbezogenen Kommunikation auch auf informellem Weg miteinander kommunizieren und interagieren. Eine solche informelle Kommunikation kann etwa durch kurze Gespräche bzw. „Small Talk“ im Büroflur oder am Kaffeeautomaten stattfinden und hilft den Interaktionspartnern, sich auf einer persönlicheren Ebene kennen zu lernen. Dadurch können sie sich ein Bild von der Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit ihres Gegenübers verschaffen, was die Bildung von gegenseitigem Vertrauen erheblich erleichtert (Lawley 2006). Virtuellen Auslandsentsandten fehlt diese Möglichkeit der informellen Kommunikation weitestgehend, d.h., ihre Möglichkeiten zur Vertrauensbildung sind eingeschränkt. Auch kulturelle Unterschiede zwischen den Interaktionspartnern haben Einfluss auf die Bildung und Aufrechterhaltung von Vertrauen. Ein wichtiger Einflussfaktor ist dabei die von diesen wahrgenommene Ähnlichkeit zueinander: „Being like each other raises the degree of trust“ (Lawley 2006). Eine geringe wahrgenommene Ähnlichkeit (z.B. aufgrund unterschiedlicher kultureller Hintergründe) kann sich dagegen negativ auf den Grad an gegenseitigem Vertrauen auswirken. Grund hierfür ist, dass der kulturelle Hintergrund einer Person einen
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wichtigen Einflussfaktor auf das Zugehörigkeitsgefühl dieser Person zu einer bestimmten Gruppe darstellt. Problematisch dabei ist, dass zwischen Angehörigen verschiedener Gruppen oftmals Misstrauen allein aufgrund der Zugehörigkeit zu diesen Gruppen besteht (Gibson u. Manuel 2003). Der kulturelle Hintergrund der Interaktionspartner spielt auch dahingehend eine große Rolle, wie wichtig gegenseitiges Vertrauen in der Zusammenarbeit des virtuellen Auslandsentsandten mit seinen Interaktionspartnern ist. So ist eine langfristige Herausbildung von Vertrauen insbesondere in High-Context-Kulturen von Bedeutung für den Erfolg der Auslandsentsendung. Es ist also zu erwarten, dass das Potenzial für Probleme aufgrund der mangelnden Möglichkeit zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung von gegenseitigem Vertrauen umso größer ist, je höher die Kontextorientierung in der Zielkultur der Entsendung ist (Holtbrügge u. Schillo 2006).
3.4 Führung auf Distanz Eines der zentralen Merkmale von virtuellen Auslandsentsandten ist deren Weisungsrecht gegenüber ihren Mitarbeitern im Ausland. Dadurch ergibt sich als ein weiterer Problembereich die als „Distance Leadership“ (Holtbrügge u. Schillo 2006) bzw. „Virtual Leadership“ (Lawley 2006) bezeichnete Führung von geographisch entfernten Mitarbeitern, die sich z.B. in dem Problem des Mentoring, der Kontrolle sowie der Förderung von Mitarbeitern niederschlägt.
Soziale Präsenz Eine wichtige Voraussetzung für eine effektive Führung von Mitarbeitern ist, dass diese auch wahrgenommen und erlebt wird. In einem traditionellen Umfeld, also bei unmittelbarer geographischer Nähe zwischen der Führungskraft und den ihr unterstellten Mitarbeitern, hat diese zahlreiche Möglichkeiten, ihre Präsenz als solche zu verdeutlichen und den Mitarbeitern in Erinnerung zu rufen. Schon die Sitzordnung in einer Besprechung, eine geschlossene Bürotür oder andere implizite soziale Botschaften können den Mitarbeitern das Verhältnis zwischen ihnen und der Führungskraft vermitteln (Zigurs 2002). Ein virtueller Auslandsentsandter kann auf solche Möglichkeiten nur in sehr geringem Ausmaß zurückgreifen. Er ist bei der Schaffung von Präsenz gegenüber seinen Mitarbeitern auf die Nutzung elektronischer Kommunikationsmedien angewiesen, d.h. es findet lediglich eine medial erzeugte Präsenz bzw. „Telepresence“ statt. Ähnlich wie bei der Effektivität medial vermittelter Kommunikation ist die Erzeugung einer solchen Telepräsenz jedoch von dem Ausmaß an Richness des verwendeten Kommunikationsmediums abhängig (Zigurs 2002). Vor dem Hintergrund der relativ geringen Verbreitung von Kommunikationsmedien mit einer hohen Media Richness sind
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die Möglichkeiten sozialer Präsenz bei virtuellen Auslandsentsendungen damit stark eingeschränkt (Iten 2000).
Kontrolle von Mitarbeitern Ein wichtiger Faktor, der die Führung von Mitarbeitern auf Distanz durch einen virtuellen Auslandsentsandten erschwert, ist die mangelnde Möglichkeit zur Überwachung und Kontrolle der ihm unterstellten Mitarbeiter. Eine Möglichkeit, diese Schwierigkeiten zu überwinden, ist die Einführung von „Electronic Performance Monitoring“-Systemen (Hertel et al. 2005). Diese ermöglichen die Erfassung von Arbeitsdaten der Mitarbeiter wie bspw. Log-In-Zeiten oder Tastenanschläge sowie die Überwachung von Telefongesprächen oder des E-MailVerkehrs hinsichtlich der Art und Qualität der geführten Gespräche. Der praktische Nutzen solcher Systeme ist jedoch gering, da bei einer solchen Form der Überwachung eher negative Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit und den wahrgenommenen Stress der Mitarbeiter zu erwarten sind, als dass sie zu einer Leistungssteigerung beitragen würden. Eine andere Möglichkeit, den Schwierigkeiten der Führung und Kontrolle von geographisch entfernten Mitarbeitern zu begegnen, ist die verstärkte Übertragung von Verantwortung und Entscheidungsspielräumen an die Mitarbeiter. Ein Beispiel für ein solches delegatives Führungskonzept ist das „Management by Objectives“. Dieser Ansatz basiert auf der Vereinbarung von Zielen, die vom Mitarbeiter zu realisieren sind. Die Bewertung bzw. Kontrolle erfolgt dabei allein anhand der Realisierung dieser Ziele, d.h. das Vorgehen ist weitestgehend dem Mitarbeiter selbst überlassen (Holtbrügge 2007).
Motivation von Mitarbeitern Entscheidend für den Erfolg einer virtuellen Auslandsentsendung ist die Fähigkeit des Entsandten, in seiner Rolle als Führungskraft seine geographisch entfernten Mitarbeiter zu motivieren. Diese Fähigkeit wird entscheidend vom Führungsverhalten der Führungskraft bzw. dem Einsatz von Führungsinstrumenten beeinflusst. Aufgrund dieses engen Zusammenhangs zwischen Führung und Motivation wirken sich die oben beschriebenen Probleme der Effektivität des Führungsstils in unterschiedlichen Kulturen auch unmittelbar auf die Möglichkeit zur Motivation der Mitarbeiter aus. So wird sich bspw. ein delegativer Führungsstil in einer Kultur mit hoher Machtdistanz vermutlich negativ auf die Motivation der Mitarbeiter auswirken, während er in einer Kultur mit geringer Machtdistanz eher positiv zu deren Motivation beitragen wird. Auch die geographische Entfernung der Mitarbeiter stellt eine Beeinträchtigung der Möglichkeit zur Motivation von Mitarbeitern dar. Hertel et al. nennen beispielhaft folgende Gründe hierfür: „Physical disconnectedness (…) can lead to various challenges of members’ work motivation
Der virtuelle Auslandseinsatz – neue Chancen und Herausforderungen
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due to any of the following reasons: It is more difficult to implement common goals, feelings of anonymity and low social control may lead to social loafing, self-efficacy is more difficult to maintain due to reduced feedback, and trust is more difficult to build.” (Hertel et al. 2005)
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Zusammenfassende Bewertung
Im vorangegangenen Text wurden Herausforderungen aufgezeigt, die sich beim virtuellen Auslandseinsatz ergeben können. Dabei hat sich herausgestellt, dass der Verbleib des entsandten Mitarbeiters am Heimatort nicht nur Vorteile, sondern ebenso Nachteile mit sich bringt. Durch die räumliche Trennung der Interaktionspartner im Gastland werden persönliche Kontakte und die Möglichkeit der Vertrauensbildung auf ein Minimum reduziert (Grundgreif et al. 2007). Die Kommunikation ist hauptsächlich auf die Nutzung von elektronischen Informations- und Kommunikationstechnologien beschränkt und fordert von allen Interaktionspartnern die Fähigkeit, diese entsprechend zu nutzen. Vom virtuellen Entsandten wird eine hohe interkulturelle Kompetenz erwartet, da er seine Interaktionspartner ohne persönlichen Kontakt verstehen und mit diesen effizient zusammenarbeiten muss. Dies betrifft vor allem die Führung, Motivation und Kontrolle der ihm unterstellten Mitarbeiter, die permanent in einem anderen Land tätig sind (Distance Leadership) (Steinle et al. 2005). Virtuelle Auslandsentsendungen erfordern deshalb eine spezifische Form der Vorbereitung, die nicht nur den virtuellen Entsandten, sondern auch dessen wichtigste Interaktionspartner im Gastland mit einbeziehen sollte (Peppas 2004; Holtbrügge u. Schillo 2008). Diese Form der Vorbereitung sollte durch den Einsatz von speziellen interkulturellen Trainings realisiert werden, welche sich jedoch maßgeblich von denen für traditionelle Entsandte unterscheiden. Die Trainingsinhalte sind vor allem auf das Fehlen von persönlichen Erfahrungen im Ausland und somit in der fremden Kultur sowie das Fehlen der direkten und persönlichen Kommunikation zwischen den Interaktionspartnern auszurichten (Holtbrügge u. Schillo 2008). Die Umsetzung eines solchen speziellen interkulturellen Trainings für virtuelle Auslandsentsandte und ihre Interaktionspartner stellt das Remote Competence Development Centre (RCDC) dar (Wangenheim et al., 2008). Hierbei geht es neben der Verbesserung der interkulturellen Kompetenz insbesondere um die Förderung der medialen Kommunikationsfähigkeiten sowie die Verknüpfung beider Herausforderungen in Form von Simulationen virtueller Arbeitssituationen.
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Personal- und Organisationsentwicklung für die Internationalisierung von Dienstleistungen am Beispiel China
“This page left intentionally blank.”
Personal- und Organisationsentwicklung für die Internationalisierung von Dienstleistungen Ulrike Schimmer-Kletti, Wolfgang Schröter
Abstract Wirtschaftliches Handeln ist, obwohl den Handelnden meist kaum bewusst, immer auch kulturell geprägt. Bei internationalen Geschäftsbeziehungen und Arbeitskontakten treffen gewohnte, als selbstverständlich geltende Denkmuster und Verhaltensweisen auf fremde (fremdkulturell geprägte) Denkmuster und Verhaltensweisen. Ohne Vorbereitung auf die interkulturellen Anforderungen des Auslandsgeschäfts sind kostspielige Reibungsverluste durch gegenseitige Missverständnisse vorprogrammiert; in der Fachliteratur wird sogar von interkulturellen Problemen als auslösendem Faktor gescheiterter Auslandsprojekte berichtet. Nach einer Einführung in zentrale Merkmale, Dimensionen und Funktionen von „Kultur“ – werden in diesem Beitrag die Anforderungen und Handlungsmöglichkeiten einer interkulturellen Personal- und Organisationsentwicklung für kleine und mittelständische Unternehmen, die ihre industriellen Dienstleistungen erstmals im Ausland vermarkten, am Beispiel China beschrieben.
1
Interkulturelle Personal- und Organisationsentwicklung
1.1 Ausgangssituation und Anforderungen Die zunehmende Bedeutung internationaler - d.h. auch: interkulturell geprägter inner- und zwischenbetrieblicher Kooperationsbeziehungen verändert die Anforderungen an Unternehmen und Arbeitskräfte. In den vergangenen Jahren haben viele produzierende Unternehmen, die häufig auch industrielle Dienstleister sind, Auslandsaktivitäten gestartet oder ausgeweitet. Dabei werden unterschiedliche Markteintrittsstrategien verfolgt: Diese reichen vom Export über Kooperationen bis hin zu Vertriebsniederlassungen oder Produktionsstätten im Ausland. Der Globalisierungsprozess führt nicht, wie manchmal angenommen, zur Nivellierung kultureller Unterschiede. Interkulturelle Arbeitskontakte stellen bislang als selbstverständlich betrachtete Arbeitsweisen und Kooperationsformen in Frage. Gleiche Sachverhalte oder Verhaltensweisen können in zwei unterschiedlichen Kulturen eine völlig andere Bedeutung haben. So unterscheidet sich z.B. der partizipative und sachorientierte Führungsstil in vielen deutschen Unternehmen
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Ulrike Schimmer-Kletti, Wolfgang Schröter
deutlich von dem personenorientierten autoritären Führungsstil in Frankreich. Partizipationsangebote werden in Frankreich deshalb eher als Führungsschwäche interpretiert. Bei einer Auslandstätigkeit kommt es also typischerweise zu kulturellen Überschneidungssituationen, in denen „gewohnte, eigenkulturell geprägte Verhaltensweisen, Denkmuster und Emotionen mit fremden, ungewohnten Verhaltensweisen, Denkmustern und Emotionen fremdkulturell geprägter Interaktionspartner zusammentreffen. Die bisher zur Zielerreichung geeigneten Handlungsweisen, Bewertungs- und Interpretationsmuster versagen ganz oder teilweise, die Kommunikation mit den Interaktionspartnern ist erschwert, und ihre Reaktionen werden nur ungenügend oder überhaupt nicht verstanden“ (Thomas et al. 2003). Es kommt zu Missverständnissen und, im schlimmsten Fall, zum Scheitern eines gemeinsamen Vorhabens. 70 Prozent der gescheiterten internationalen Joint Ventures sind auf nicht kompatible Verhaltensmuster der Beteiligten zurückzuführen; Informationen werden nicht rechtzeitig ausgetauscht und Chancen vergeben (Reisach et al. 2006). Eine empirische Untersuchung im Rahmen des Projekts „Internationale Projektarbeit neue Ergebnisse, Methoden, Ansätze“, das im Jahr 2001 von der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement gestartet wurde, kam zu dem Ergebnis, dass erfahrene Projektleiter kulturelle Unterschiede als zentrale Herausforderung in der internationalen Projektarbeit sehen (Hoffmann et al. 2004) - noch vor den Bereichen Kommunikation/Sprache, rechtlich-politische Aspekte, Technologie/Infrastruktur und persönliche Aspekte (wie z.B. eine Wohnsitzverlagerung ins Ausland). Bei der Planung eines Auslandsgeschäfts ist deshalb - zusätzlich zu den Fragen nach (a) der Export- bzw. Internationalisierungsfähigkeit der Dienstleistung, (b) den finanziellen Ressourcen und (c) den Vertriebskapazitäten - zu klären, ob die personellen und organisatorischen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Dienstleistungsexport vorliegen oder mit vertretbarem Aufwand hergestellt werden können: x Sind Arbeitsorganisation und Mitarbeiterqualifikation im Unternehmen geeignet, sowohl den technischen und fachlichen Anforderungen an den Export bzw. die Internationalisierung der Dienstleistung(en) Rechnung zu tragen als auch den kulturellen Unterschieden zwischen Inland und dem ins Auge gefassten Auslandsmarkt gerecht zu werden, oder sind Anpassungen und Weiterentwicklungen erforderlich? Da sich diese Frage nicht unabhängig von den Bedingungen im Zielland des geplanten Auslandsgeschäfts bearbeiten lässt, gibt dieser Beitrag neben allgemeinen, d.h. länderübergreifend geltenden Hinweisen auch solche, die sich spezifisch auf China beziehen.
PE und OE für die Internationalisierung von Dienstleistungen
185
1.2 Begriffliche Grundlagen; Kultur, Organisations- und Personalentwicklung Unternehmen, die ihre Produkte und/oder Dienstleistungen im Ausland vermarkten wollen, benötigen dementsprechend nicht nur die hierfür erforderlichen technischen und finanziellen Voraussetzungen, sondern auch ausreichende Kompetenzen zur interkulturellen Personal- und Organisationsentwicklung. In diesem Kontext wird Kultur als ein Orientierungssystem verstanden, das den Menschen ihre eigene Umweltbewältigung ermöglicht eine rasche Kommunikation erlaubt, die Orientierung in komplexen sozialen Feldern erleichtert sowie t die reibungslose und effektive interpersonale Kooperation fördert. Wie in einer Nation bilden sich auch in einem Unternehmen oder einer Abteilung typische Orientierungssyteme heraus, die das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller Mitglieder beeinflussen (Unternehmens- oder Bereichskultur) (Thomas et al. 2003). Gegenstand der Organisationsentwicklung ist die geplante Veränderung „der individuellen Verhaltensmuster, Einstellungen und Fähigkeiten der Organisationsmitglieder, der Organisationskultur und der Organisations- und Kommunikationsstrukturen sowie der strukturellen Regelungen im weitesten Sinne (z.B. Arbeitszeit, Lohnform)“ (Vahs 2005). Personalentwicklung richtet sich auf die Planung und Durchführung von Maßnahmen zur Entwicklung der Mitarbeiterkompetenzen. Ausgangspunkte sind der mittel- und langfristige Qualifikationsbedarf des Unternehmens und das vorhandene betriebliche Qualifikationspotenzial.
2
Kulturelle Aspekte der internationalen Zusammenarbeit
2.1 Was verstehen wir unter „Kultur“? Wie bei einem Eisberg ist der weitaus größere Teil dessen, was unter Kultur zu verstehen ist, nicht sichtbar. (vgl. Abb. 1) Während bestimmte Ausprägungen der Kultur durchaus wahrgenommen und ggf. auch bewertet werden können, gibt es auch die nicht unmittelbar wahrnehmbare Bestandteile: Grundannahmen, Werte, Normen, Einstellungen und Überzeugungen. (vgl. Tabelle 1) Kultur ist ein kollektives und kein individuelles Phänomen. Die eigene Kultur wird im Zuge komplexer Sozialisationsprozesse „erlernt“. Kultur wird überliefert, sie ist aber nicht statisch, sondern kann und muss sich auch verändern, um neuen Anforderungen gerecht werden zu können. Sie bietet dem Einzelnen Orientierungsstandards an, die größtenteils als selbstverständlich gelten und nur in Ausnahmefällen (z.B. Umbruchssituationen) thematisiert werden. Die Anbahnung von
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Ulrike Schimmer-Kletti, Wolfgang Schröter
Geschäftsbeziehungen mit ausländischen Partnern bietet die Gelegenheit, auf dem Weg des Versuchs, fremde Kulturen zu verstehen, sich auch die eigenen kulturellen Prägungen (auch mehrfacher Art: durch Landes-, Regional-, Organisations-, Gruppen-, Berufs-, Familienkultur etc.) bewusst zu machen. Dadurch wird es leichter zu verstehen, wie Personen mit einer anderen kulturellen Prägung uns sehen.
Abb. 1. Ebenen von Kultur (Kutschker u. Schmid 2006; Ulrich u. Fluri 1995)
Tabelle 1: Bestandteile von Kultur (Kutschker u. Schmid 2006)
Grundannahmen
generelle Orientierungen, die Annahmen über Weltbilder, Menschenbilder und Gesellschaftsbilder enthalten - sie sind unsichtbar, vorbewusst und gelten als selbstverständlich
Werte
nicht-gegenstandsbezogene Orientierungspunkte auf hohem Abstraktionsniveau, die allerdings für den Einzelnen in einer konkreten Situation handlungsleitende Konsequenzen haben und gegenstandsbezogene Einstellungen nach sich ziehen können
Normen
Handlungsregeln für bestimmte Situationen, ähnlich wie Gesetze, Verwaltungsvorschriften, Ratschläge, Gebote, Verbote oder Konventionen - nicht nur geschriebene, sondern meist ungeschriebene Verhaltensanweisungen bzw. Verhaltensregeln
Einstellungen
beziehen sich auf konkrete Objekte (Situationen, Handlungen, Personen etc.). Individuen können gegenüber Objekten zustimmend oder ablehnend, positiv oder negativ „eingestellt“ sein.
Überzeugungen
ähnlich wie Glaubenssätze, lassen sich nicht begründen, werden als Auffassungen vertreten
PE und OE für die Internationalisierung von Dienstleistungen
187
2.2 Funktionen von Kultur Ohne dass es den Handelnden ständig gegenwärtig ist, hat die jeweils geltende Kultur eine Reihe von Funktionen, die das soziale Zusammenleben ermöglichen, erleichtern und stabilisieren. Tabelle 2: Funktionen von Kultur (Kutschker u. Schmid 2006)
Orientierungsfunktion
vermittelt dem Individuum, was als richtig, oder falsch gilt
Sinnstiftungsfunktion
weist Handlungen von Individuen tiefere Bedeutung zu
Motivationsfunktion
Zugehörigkeit zu einer Kultur kann Individuen antreiben
Identitätsstiftungsfunktion
Kultur vermittelt Einheit nach innen und schafft eine Grenze gegenüber anderen sozialen Gruppierungen bzw. Organisationen nach außen
Koordinations- und Integrationsfunktion
Kultur hält soziale Einheiten zusammen, bewirkt eine gegenseitige Steuerung des Verhaltens und bietet Potenzial zur Verständigung
Ordnungsfunktion
Kultur schafft Ordnung in den Zusammenhängen einer sozialen Einheit
Komplexitätshandhabungsfunktion
Kultur erleichtert das Zusammenleben von Individuen einer sozialen Einheit, indem bestimmte Handlungen, die komplexe Ursachen und Wirkungen haben, durch einen kulturellen Filter leichter verständlich und kanalisiert werden
Legitimationsfunktion
Die Kultur einer sozialen Einheit enthält tiefere Begründungszusammenhänge, die Verhalten und Handlungen nach innen und außen rechtfertigen
2.3 Kulturdimensionen In der Literatur zur interkulturellen Forschung sind die Kulturdimensionen, in denen sich Länder mehr oder weniger deutlich unterscheiden können, allgemein beschrieben. (vgl. Tabelle 2) Mit dem folgenden Schema lassen sich unterschiedliche Länder- (und Regional-) Kulturen im Hinblick auf den Umgang mit Unsicherheiten, das Ausmaß der Machtdistanzen, die Ausprägung der Geschlechterrollen, den Grad der individualistischen oder an das Kollektiv gebundenen Orientierung sowie die Lang- oder Kurzfristorientierung gut vergleichen. (vgl. Tabelle 3)
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Tabelle 3: Kulturdimensionen nach Hofsteede (Hoffmann et al. 2004)
Niedrige Unsicherheitsvermeidung Ungewisse/unbekannte Situationen sind interessant Kleine Machtdistanz Statusunterschiede sind klein und nur durch Leistung zu rechtfertigen Delegation und Verantwortung Maskulinität Große Unterschiede der Geschlechterrollen; Lebensqualität = materielle Güter u. Status
Hohe Unsicherheitsvermeidung Indirekte Kommunikation; Ungewisse/unbekannte Situationen sind bedrohlich große Machtdistanz Statusunterschiede sind groß und naturgegeben Feminität geringe Unterschiede der Geschlechterrollen; Lebensqualität = Freizeit und soziale Kontakte
Individualismus
Kollektivismus
Betonung des Individuums und seiner Bedürfnisse
Starke Orientierung an der sozialen Gruppe, der man angehört
Langfristorientierung
Kurzfristorientierung
Sparsamkeit, Durchstehvermögen, Beharrlichkeit
Orientierung an „Heute“, Unbeständigkeit, Flexibilität
2.4 Unternehmenskultur Unternehmen als soziale Einheiten haben auch eine Kultur. Diese entsteht durch das komplexe Zusammenwirken von Teilkulturen. Jedes Unternehmen hat dementsprechend eine typische bzw. charakteristische Kultur, die wiederum von zahlreichen weiteren Kulturen beeinflusst wird. In diesem Beitrag, der sich mit Unternehmen befasst, die ein Auslandsengagement planen, liegt der Schwerpunkt vor allem auf der Unternehmens- und Landeskultur. Wesentliche Bestimmungsfaktoren für die Ausprägung einer Unternehmenskultur sind (nach Pümpin et al. 1985) die Persönlichkeitsprofile der Führungskräfte, die im Unternehmen üblichen Rituale und Symbole sowie die Art und Weise der Kommunikation. (vgl. Tabelle 4)
PE und OE für die Internationalisierung von Dienstleistungen
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Tabelle 4: Bestimmungsfaktoren der Unternehmenskultur (Quelle: Pümpin et al. 1985)
Persönlichkeitsprofile der Führungskräfte
x Lebensläufe: Soziale Herkunft; beruflicher Werdegang; Dienstalter; Verweildauer in einer Funktion usw. x Werte und Mentalitäten: Ideale; Sinn für Zukunftsprobleme; Visionen; Innovationsbereitschaft; Widerstand gegen Veränderungen; Durchsetzungsund Durchhaltevermögen; Ausdauer; Lernbereitschaft; Risikoeinstellung; Frustrationstoleranz usw.
Rituale und Symbole
x Rituelles Verhalten der Führungskräfte: Beförderungspraxis; Selektion von Nachwuchsführungskräften; Sitzungsverhalten; Entscheidungsverhalten; Beziehungsverhalten; Bezugspersonen; Vorbildfunktion usw. x Rituelles Verhalten der Mitarbeiter: Besucherempfang; Begrüßung durch Telefonistin; Umgang mit Reklamationen; Wertschätzung des Kunden usw. x Räumliche und gestalterische Symbole: Erscheinungsbild; Zustand und Ausstattung der Gebäude; Gestalt des Firmenumschwunges; Anordnung, Gestaltung und Lage der Büros (Bürologik); Berufskleidung; Firmenwagen usw. x Institutionalisierte Rituale und Konventionen: Empfangsrituale von Gästen; Kleidungsnormen; Sitzungsrituale; Parkplatzordnung usw.
Kommunikation
x Kommunikationsstil: Informations- und Kommunikationsverhalten; Konsens- und Kompromissbereitschaft usw. x Kommunikation nach innen und außen: Vorschlagswesen; Qualitätszirkel und übrige Mitwirkungsformen; Dienstwege; Öffentlichkeitsarbeit usw.
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Abb. 2. Welche Teilkulturen beeinflussen die Unternehmenskultur (vgl. Kutschker u. Schmid 2006)
2.5 Internationale Zusammenarbeit Soll Personal- und Organisationsentwicklung im interkulturellen Kontext betrieben werden, kommt der Offenlegung der Normen und Wertvorstellungen der Beteiligten eine zentrale Bedeutung zu (Marcotty u. Solbach 2003). x Bei der Gründung von Tochterfirmen im Ausland sollte darauf geachtet werden, dass sich Landes- und Unternehmenskultur grundsätzlich nicht ausschließen. x Die meisten Firmen versuchen jedoch, mit Entsendungen aus dem Mutterhaus auch die Unternehmenskultur aus dem Ursprungsland zu übertragen (Beerman u. Stengel 2003). In der Regel hat die eigene Kultur, d.h. die Kultur des Heimatlandes, einen größeren Einfluss auf die Unternehmenskultur als die Kultur des jeweiligen Gastlandes. Je nach Markteintrittsstrategie und zugrunde liegendem Management- und Führungskonzept sind jedoch, neben der Kultur des Heimatlandes, auch die Landeskulturen der Zielländer mehr oder weniger stark zu berücksichtigen. Kultur ist dabei nicht immer an Landesgrenzen gebunden. Der Einfachheit halber wird hier jedoch von einer bestimmten Landeskultur ausgegangen, in diesem Beitrag von der Volksrepublik China. Das Ziel, sich mit ausreichender interkultureller Kompetenz auf Auslandsmärkten bewegen zu können, ist nicht gleichbedeutend mit der Eliminierung der kulturellen Unterschiede und Distanzen. Es geht darum, „Vertrautheit mit den vorhandenen Unterschieden“ herzustellen (Juch et al. 2007). Bei der Zusammenarbeit zwischen einer (deutschen) Muttergesellschaft und ausländischen Partnern oder Gesellschaften sind kulturelle Aspekte vor allem deshalb zu berücksichtigen, weil in der Kooperation häufig nicht die sachlichen, son-
PE und OE für die Internationalisierung von Dienstleistungen
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dern die emotionalen, personellen und kulturellen Widerstände gegen in Deutschland beschlossene Maßnahmen überwiegen. Sowohl die Kultur des Ziellandes als auch die Unternehmenskultur haben einen großen Einfluss auf die Verhaltenssteuerung und -koordination zwischen dem deutschen Unternehmen und seinen ausländischen Partnern. Soll eine möglichst reibungslose Zusammenarbeit gelingen, ist große Sorgfalt auf die Integration der eigenen Unternehmenskultur mit der jeweiligen Landeskultur zu verwenden. Die Interaktionsintensität bei der Leistungserstellung (interne Kundenkontakte) und der Grad der Immaterialität (Intangibilität) der Leistung entscheiden in hohem Maße über den kulturspezifischen oder -unspezifischen Einsatz einer internen Dienstleistung. Wenn eine Dienstleistung in unterschiedlichen Kulturen als gleich betrachtet wird und hohe Skalenerträge erzielbar sind, erscheint eine Standardisierung sinnvoll. Dabei spielen jedoch sowohl die geografisch-kulturelle Distanz als auch die (damit zusammenhängende) Anzahl der zu bearbeitenden Märkte eine wichtige Rolle, da sie einen großen Einfluss auf die ggf. erforderliche Verhaltenskoordination besitzen. Demnach ist eine Standardisierung von internen Dienstleistungen eher sinnvoll, wenn die geografisch-kulturelle Distanz geringer ist (vgl. Belz et al. 2005).
3
Kulturelle Besonderheiten im Zielland China
Die in Abbildung 3 dargestellten Kulturdimensionen zeigen im deutschchinesischen Vergleich deutliche kulturelle Unterschiede. Während die chinesische Kultur eher von großer Machtdistanz (große Statusunterschiede), einer starken Orientierung auf die eigene soziale Gruppe und einer langfristigen Orientierung geprägt ist, überwiegen in Deutschland individualistische und an materielle Güter gebundene Orientierungen. Die folgende Darstellung sozio-kultureller Rahmenbedingungen, die bei einem Engagement im chinesischen Markt zu beachten sind, soll Antworten auf die Fragen von Investoren geben, mit welchen typischen Verhaltensweisen bei Kontaktpersonen wie Kunden oder Mitarbeitern zu rechnen ist und worauf diese Verhaltensweisen zurückzuführen sind.
3.1 Konfuzianismus als Wurzel Trotz der zahlreichen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche sind in China viele religiös und philosophisch geprägte Vorstellungen erhalten geblieben. Ihre Wurzeln liegen vor allem im Konfuzianismus, einem System ethischer Regeln für das alltägliche Leben. Dementsprechend wird der Konfuzianismus oft als Sittenlehre bezeichnet. Er regelt vor allem die Rolle des Individuums in der Gesellschaft
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in einem System hierarchischer Beziehungen. Aus verschiedenen Konstellationen sowie dem Rang, den ein Einzelner in diesen sozialen Beziehungen einnimmt, ergeben sich unterschiedliche Verhaltensregeln. Als bedeutendste Verhaltensmaxime gilt diesbezüglich die Ein- bzw. Unterordnung des Individuums in die Gemeinschaft sowie die Wahrung von Harmonie. Dies führt dazu, dass die Identität eines Chinesen maßgeblich durch seine Beziehungen zur Gemeinschaft definiert ist.
Abb. 3. Kulturdimensionen: Deutschland und China im Vergleich (vgl. Kleist 2006)
Nach Konfuzius gründet die Stabilität der Gesellschaft auf ungleichen Beziehungen zwischen den Menschen (Vertikalprinzip), denn eine Gesellschaft kann nur stabil sein, wenn sie stark hierarchisch und patriarchalisch gegliedert ist. Dieses Vertikalprinzip spiegelt sich bis heute im familiären, beruflichen und staatlichen Bereich wider. In Unternehmen äußert sich die Hierarchiegebundenheit oft dadurch, dass Untergebene auf Anweisungen warten und im Falle einer unklaren Entscheidungslage keine eigene Entscheidung herbeiführen (Top-down-Prinzip). Eigeninitiative ist in diesem System weniger vorgesehen, jedoch kann der jeweilige Vorgesetzte mit der unbedingten Loyalität seiner Untergebenen rechnen – vorausgesetzt, er wird als guter Vorgesetzter wahrgenommen. Weitere konfuzianisch geprägte Verhaltensweisen, die sich im chinesischen Alltag finden, sind x die hohe Bedeutung von Leistung und Fleiß als Grundlage zum Erfolg, x die positive Bewertung des Strebens nach Reichtum, weil dadurch verantwortungsvoll für die Familie gehandelt wird,
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x die Bedeutung von Wissen als Zugang zu Macht, was dazu führt, dass Eltern sich zum Teil überschulden, um ihren Kindern eine hochwertige Schulbildung leisten zu können, x die Hintanstellung des Schutzes des Individuums hinter dem Schutz der Allgemeinheit, x der hohe Respekt gegenüber älteren Menschen (Senioritätsprinzip), x die Wichtigkeit von Harmonie und Konfliktvermeidung in zwischenmenschlichen Beziehungen (Harmonieprinzip bzw. Gesichtswahrung), x der „Weg der Mitte“ (Vermeidung von Extremen), x Gelassenheit, Ausdauer, Disziplin, Aufrichtigkeit, Höflichkeit, Bescheidenheit und Sparsamkeit als elementare Werte der konfuzianischen Ethik. Als weitere Basis der chinesischen Kultur gilt der Taoismus. Dabei steht nicht der Mensch und seine Rolle in der Gesellschaft im Mittelpunkt, sondern seine Stellung zur Natur. Nach dieser Philosophie soll der Mensch in Harmonie mit der Natur leben, die Natur bestimmt über den Weg (‚Tao’) und den Lauf der Dinge. Aus dieser Überzeugung resultiert die Einstellung, dass gewisse Sachverhalte und auch Beziehungen zu Personen vorherbestimmt sind. „Eine Beeinflussung des eigenen Schicksals erfolgt daher eher passiv über die Einhaltung wichtiger Lebensregeln wie Reinheit, Tugendhaftigkeit und Einfachheit. Diese Regeln decken sich in Teilen mit auch vom Konfuzianismus geforderten Tugenden wie harte Arbeit, Geduld und Ausdauer sowie Sparsamkeit und Mäßigung und ergänzen die Richtlinien zur Einordnung des Individuums in die Gesellschaft“ (Kleist 2006).
3.2 Guanxi und sozialer Status Empirische Untersuchungen verdeutlichen, dass gute persönliche Beziehungen zu wichtigen unternehmensinternen und relevanten unternehmensexternen chinesischen Akteuren existenziell für den Erfolg deutscher Mitarbeiter und deutscher Unternehmen sind. Persönliche Netzwerke helfen beispielsweise bei der Vertragssicherung oder Streitschlichtung und können somit teilweise Schwächen des formellen Systems ausgleichen. Da Behörden große Spielräume haben, Verordnungen oder Gesetze auszulegen, sind guanxi an dieser Stelle besonders wichtig. Viele Autoren führen die Bedeutung der auf einer persönlichen Basis beruhenden, typischen chinesischen Geschäftsbeziehung (guanxi) darauf zurück, dass formelle institutionelle Durchsetzungsmechanismen und Partizipationsmöglichkeiten in China wenig ausgebaut sind. Die Bedeutung von guanxi resultiert aus der historischen Gegebenheit, dass Händler, die in der konfuzianischen Gesellschaft kein hohes Ansehen besaßen, besondere Fähigkeiten entwickelten, Kontakte und Beziehungen zu Mandarinen herzustellen, um sich vor staatlicher Willkür zu schützen Guanxi wurden in Zeiten knapper Güter unter der Herrschaft der KPCh (von dieser ungewollt) noch bedeutender. In der derzeitigen Transformationsphase
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Chinas sind sie sogar wichtiger als zuvor, da rechtliche Unsicherheiten bestehen und ökonomische Reformen diese zusätzlich vergrößern. „In Chinese society, a mixed tie [guanxi] is a relationship in which an individual seeks to influence other people by means of renqing and mianzi” (Hwang 1987). Guanxi sind reziproke und langfristige Beziehungen, die sowohl instrumentellen als auch emotionalen Charakter haben. Letzterer beruht auf einer festgestellten oder konstruierten Gemeinsamkeit. Um guanxi aufzubauen und zu pflegen, ist es wichtig, die andere Person gut zu kennen und ihr bei passenden Anlässen Respekt zu erweisen (renqing). Die betreffende Person ist umgekehrt verpflichtet, später Belange desjenigen zu respektieren, von dem die Bemühungen ausgingen. Unterbleibt dies, kann die Reputation des Empfängers im Netzwerk Schaden nehmen. Baut man guanxi zu einer Person auf, so eröffnet das gleichzeitig den Zugang zu deren guanxi-Netzwerk (guanxiwang). Das Phänomen der guanxi ist eng mit dem des ‚Gesichts’ (mianzi) verbunden. „The so-called mianzi denotes an individual’s social position or prestige, gained by successfully performing one or more specific social roles that are well recognized by others. […] The goal is to shape and install in the minds of others a particular favorable image“ (Hwang 1987). Die eigene Reputation erhöht sich in einem guanxi-Netzwerk, wenn man seinen Verpflichtungen nachkommt. ‚Gesicht’ – als Wahrnehmung einzelner oder mehrer spezifischer Rollen kann somit als eine Investition in das Netzwerk angesehen werden, in das ein Akteur eingebettet ist. Je mehr ‚Gesicht’, desto mehr Respekt und Kooperationspotential wird ihm entgegengebracht. ‚Gesichtsverlust’, beispielsweise bei öffentlich vorgebrachten Schuldzuweisungen, führt folgerichtig zu einem hohen Schamgefühl bei den betreffenden Personen, da die Wahrnehmung derspezifischen Rolle im Netzwerk verletzt und dies von anderen Netzwerkmitgliedern wahrgenommen wird. Auch die Wahrheit spielt nur eine untergeordnete Rolle, wenn das ‚Gesicht’ auf dem Spiel steht. Die Regeln für den Aufbau und Erhalt von guanxi können auch Personen aus anderen kulturellen Kontexten erlernen und anwenden. Für sie ist dies wichtig, um die Effizienz von Abläufen in China zu erhöhen: Guanxi als soziales Kapital im chinesischen Kontext ermöglichen so Zugang zu Ressourcen. „Managers who take time to interact and socialize with employees gain their respect and trust, and find that Chinese employees are extremely loyal once guanxi has been established” (Pearce u. Robinson 2000). Allerdings verkennen viele ausländische Manager und Fachkräfte in China die Bedeutung der speziellen Beziehungen. Können sie keine guanxi zu wichtigen Akteuren auf der chinesischen Seite aufbauen und Zugang zu Beziehungsnetzwerken herstellen, sind sie nur begrenzt in der Lage, wirkungsvoll Prozesse anstoßen und die Ressourcen chinesischer Mitarbeiter und externer Akteure zu nutzen.
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3.3 Gruppenverhalten und Fraktionsprinzip In China hat sich im Laufe der Geschichte eine ausgeprägte Gruppenorientierung im gesellschaftlichen Aufbau entwickelt. Mit dazu beigetragen hat der Konfuzianismus, der das hierarchische Rollengefüge innerhalb kleiner Gruppen wie der Familie definiert und Fürsorge- oder Folgepflichten festgelegt hat. Solidarität innerhalb der Gruppe gilt als oberstes Gebot für Mitglieder. Nach außen hin, etwa zu anonymen Passanten, gibt es keine Verantwortlichkeiten, wenn man von den Verpflichtungen absieht, die im Rahmen von Freundschaften oder guanxi eingegangen werden. Als oberste Maxime gilt es, offene Konflikte zu vermeiden. Im Berufsleben äußert sich die Gruppenorientierung darin, dass meist nicht betriebliche oder überbetriebliche Zusammenhänge wahrgenommen werden und im Fokus der Überlegungen von Individuen stehen, sondern jene, die die Mitglieder der Arbeitsgruppe, der Abteilung oder der Danwei betreffen. Danweis sind Lebens- und Arbeitsgemeinschaften ähnlich ehemaliger sowjetischer Kolchosen, in die die Menschen sozial eingebettet sind. Die einzelne Danwei kann als „Sozialstaat in Kleinstform“ angesehen werden, denn sie bietet dem Einzelnen Schutz und Geborgenheit und wirkt über die Bereitstellung von Arbeitsplatz, Wohnung, Kranken- und Altersvorsorge etc. als ein stabilisierender Faktor der chinesischen Gesellschaft. Am stärksten ausgeprägt findet sich die Danwei-Form auf den Dörfern, wo Produktions- und Lebensraum weitgehend zusammen fallen. Weil diese beiden Bereiche in den Städten immer häufiger auseinander fallen, gehört dort der Einzelne oft sowohl einer Wohndanwei (z.B. Wohnviertel) als auch einer Arbeitsdanwei (z.B. Fabrik, Universitätsfakultät) an. Zu beobachten ist jedoch, dass die Danwei-Struktur der chinesischen Gesellschaft durch die zunehmende Einführung von Marktstrukturen, vor allem im Personalbereich, langsam aufgebrochen wird und an Bedeutung verliert. Dennoch ist sie immer noch für rund 2/3 der Bevölkerung das Lebensfundament. Für ausländische Manager und Fachkräfte hat diese Tatsache zwei Konsequenzen: Um gute Teamleistungen zu erzielen, ist es in China besonders wichtig, die Zusammenstellung der Teams sehr sorgfältig zu planen und alles daranzusetzen, dass diese Gruppe zusammenwächst. Dabei ist es auch sehr wichtig, die Rollenverteilung innerhalb der Gruppe sensibel festzulegen und dabei Prinzipien wie Seniorität oder Gesicht nicht außer Acht zu lassen. Sonst kommt es häufig zu Verteilungskämpfen oder einer mangelnden Abstimmung zwischen Arbeitsgruppen oder Abteilungen (Depner 2006).
3.4 Bürokratie und Korruption Um das Thema Korruption in China einschätzen zu können, ist der „Corruption Perceptions Index“ (CPI) von Transparency International hilfreich (http://www. transparency.org). Dieser ermittelt eine Rangreihe der Länder im Hinblick auf das
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Ausmaß der wahrgenommenen Korruption. China liegt im CPI 2006, in dem 163 Länder bewertet wurden, mit einem Punktwert von 3,3 an 70. Stelle. Beim CPI werden Punktwerte von 0 (hoch korrupt) bis 10 (nicht korrupt) vergeben. Zum Vergleich der CPI einiger weiterer Länder: Finnland (9,6/1.) - Singapur (9,4/5.) Hongkong (8,3/15.) - Deutschland (8,0/16.) - Italien (4,9/45.) - Frankreich (7,4/18.) - Japan (7,6/17.) - Indien (3,3/70.) - Russland (2,5/121.) - Nigeria (2,2/142.) (vgl. http://www.transparency.org/policy_research/suveys_indices/cpi/ 2006). Offensichtlich liegt die Toleranzgrenze für Korruption in China wesentlich höher als beispielsweise in Deutschland. So ist denn auch der Übergang von „Guanxi“ zur Korruption häufig fließend. Ausländische Firmen haben nicht selten moralische Bedenken bezüglich enger persönlicher Beziehungen und den damit verbundenen ‚Geschenken’. Eine Trennlinie zwischen Korruption und guanxi zu ziehen, ist schwierig, da Korruption immer auch vor dem Hintergrund eines gewachsenen kulturellen und rechtlichen Systems zu sehen ist. Die chinesische Regierung versucht mittlerweile, die ausufernde Korruption, vor allem auf oberen Ebenen Politik und Verwaltung durch öffentlichkeitswirksame drakonische Strafen zu bekämpfen. Ob das auch Wirkung zeigt auf die darunter liegenden Ebenen bleibt abzuwarten. Persönliche Beziehungen erweisen sich am wirkungsvollsten, um die bescheidenen Durchsetzungsmöglichkeiten, die das formelle institutionelle System bietet, zu erhöhen.
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Das chinesische Arbeitsrecht
Das Arbeitsrecht in China basiert im Wesentlichen auf dem Arbeitsgesetz („PRC Labour Law“), in Kraft seit dem 1. Januar 1995, und dem neuen Arbeitsvertragsgesetz („PRC Labour Contract Law“), seit dem 1. Januar 2008 in Kraft, das den Arbeitnehmerschutz verbessert und das Arbeitsgesetz spezifiziert. Beide finden Anwendung auf alle Unternehmen und auf alle in- und ausländischen Mitarbeiter in China. Für die Einstellung ausländischer Mitarbeiter gelten zusätzlich die “Regulations for the Management of Foreigners’ Employment in China”, in Kraft seit dem 01. Mai 1996. Zudem existieren in vielen Provinzen und Städten regionale arbeitsrechtliche Bestimmungen. Diese ergänzen nationale Vorschriften und Regelungen. Ihre Existenz und ihre Reichweite muss deswegen von Arbeitgebern auch überprüft werden. Wichtige arbeitsrechtliche Vorgaben betreffen die Handlungsfelder Personaleinstellung, Arbeitsverträge, Vertragslaufzeiten, Probezeit, Arbeitszeiten und Urlaub, Wettbewerbsklauseln, Weiterbildung, Tarifverträge, Kündigung durch Arbeitnehmer, Kündigung durch Arbeitgeber. Informationen zum Arbeitsrecht in China stellen in Deutschland vorab die Bundesagentur für Außenwirtschaft (BFAI), spezialisierte Kanzleien oder Indust-
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rie- und Handelskammern zur Verfügung. Auf der Homepage der BFAI finden sich auch weitere länder- und branchenspezifische Informationen bzw. können Beiträge zu spezifische Themen einzelner Ländern herausgefiltert werden (Geschäftspraxis, Recht, Wirtschaftsklima, Zoll) (http://www.bfai.de/DE/Navigation/ home/home.html). Je nach Art der Beiträge stehen diese kostenlos als Download zur Verfügung oder werden als Hardcopy kostenpflichtig zugesendet. Für die Handelskammer Hamburg sowie die Industrie- und Handelskammer Pfalz ist China ein Schwerpunktland, zu dem verstärkt Aktivitäten stattfinden und Informationen zur Verfügung gestellt werden. Neben Wirtschaftsinformationen, nachrichten und -analysen werden auch Informationen zu rechtlichen Aspekten sowie zu Geschäftskontakten zur Verfügung gestellt. Die URLs: http://www. pfalz.ihk24.de/produktmarken/international/Laender_Maerkte/laender_regionen/ China23329.jsp und http://www.hk24.de/produktmarken/international/ laenderinformationen/china_standort/index.jsp. In China sind bereits mehrere deutsche Rechtsanwaltskanzleien aktiv bzw. haben deutsche Fachkräfte Beratungsunternehmen gegründet, die Neueinsteiger auf dem chinesischen Markt zu rechtlichen Möglichkeiten beraten oder auch bei der Suche nach Geschäftspartnern helfen. Einige der Kanzleien stellen auf ihrer Homepage oder auch im Versand wichtige Informationen zu rechtlichen Aspekten zur Verfügung (z.B.: http://www.bblaw.com/). Wichtige Kontaktadressen sind auch die Filialen der Außenhandelskammern (Übersicht unter http://china. ahk.de/), bei denen sich ein umfangreiches Wissen zu allen Aspekten der Geschäftstätigkeit in China entwickelt hat. Als Quelle für die nachfolgenden Ausführungen dient u.a. das Buch „Investitionen in China und Hong Kong“, das regelmäßig aktualisiert und kostenfrei über http://www.bblaw.com zur Verfügung gestellt wird. Als weitere Informationsquelle finden sich im Anhang verschiedene Internetadressen unter „Informationsmöglichkeiten zum Arbeitsrecht“.
Einstellungen Einstellungen können durch ausländische Unternehmen selbst vorgenommen werden , es sei denn, es handelt sich um Repräsentanzen, bei der Mitarbeiter über lokale Dienstleistungsagenturen eingestellt werden. Die Repräsentanz schließt dafür einen Vertrag mit der Agentur, die neuen Mitarbeiter ebenfalls. Die Agentur erhält sowohl für die Vermittlung als auch für die laufende Betreuung und Abwicklung des Arbeitsverhältnisses Gebühren, die sich am Umfang der Leistungen bemessen. Haben die Mitarbeiter ihre Wohnsitz-Registrierung (Hukou-Registrierung) nicht am Standort des Unternehmens, ist die Einstellung grundsätzlich genehmigungspflichtig.
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Arbeitsverträge Es könne sowohl Individualverträge als auch Kollektivverträge mit Arbeitnehmern abgeschlossen werden. Kollektivarbeitsverträge und Einzelarbeitsverträge zwischen Arbeitnehmern und Joint Ventures sind innerhalb bestimmter Fristen von der Arbeitsbehörde zu prüfen bzw. zu registrieren. Grundsätzlich müssen die Arbeitgeber und Arbeitnehmer innerhalb eines Monats nach Firmeneintritt einen schriftlichen Vertrag abschließen, der befristet, unbefristet oder zur Fertigstellung eines Projekts abgeschlossen wird. Versäumt dies der Arbeitgeber, muss dem Angestellten das doppelte Gehalt für die bis dahin gearbeiteten Monate ausgezahlt werden. Wenn nach einem Jahr kein schriftlicher Vertrag vorliegt, gilt der Arbeitnehmer als unbefristet eingestellt.
Vertragslaufzeiten Es sind maximal zwei befristete Zeitverträge hintereinander möglich, danach muss der Vertrag in einen unbefristeten umgewandelt werden. Die Regelung gilt für Verträge, die nach dem 1. Januar 2008 abgeschlossen wurden. Nur auf ausdrücklichen Wunsch des Arbeitnehmers kann auch weiterhin ein zusätzlicher befristeter Vertrag abgeschlossen werden. Wird die oben genannte Regelung verletzt und mit einem Arbeitnehmer ein weiterer befristeter Vertrag abgeschlossen, muss ihm bis zu dem Zeitpunkt, in dem ein unbefristeter Vertrag abgeschlossen wird, ein doppeltes Monatsgehalt gezahlt werden. Bei Ablauf und Nichterneuerung von befristeten Verträgen müssen Arbeitgeber eine Abfindung von einem Monatsgehalt pro Jahr Betriebszugehörigkeit zahlen, es sei denn, der Arbeitnehmer hat einen erneuten Vertrag unter denselben oder besseren Konditionen abgelehnt.
Probezeit Eine Probezeit kann nur einmal vereinbart werden. Ihre maximale Dauer (zwischen einem und sechs Monaten) ist abhängig von der Laufzeit des Vertrags. Ist die Laufzeit kürzer als drei Monate oder der Vertrag für die Fertigstellung eines bestimmten Projekts vorgesehen, entfällt eine Probezeit. Das in der Probezeit gezahlte Gehalt darf nicht niedriger sein als x das niedrigste Gehalt für eine ähnliche Position im Unternehmen, x 80 Prozent des Gehalts für fest angestellte Mitarbeiter in vergleichbarer Position, x das Mindestgehalt am jeweiligen Standort.
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Arbeitszeiten und Urlaub Es gilt gesetzlich die 40-Stunden-Woche. Für Überstunden ist ein Zuschlag von 50 bis 300 Prozent vorgeschrieben. Die Anzahl der Überstunden darf drei pro Tag bzw. 36 pro Monat nicht überschreiten. Es gibt keine Vorschriften zu einem Mindesturlaub, die Zahl der Urlaubstage pendelt in der Praxis bei ausländischen Unternehmen zwischen sieben und 20 Tagen. Dazu müssen jedoch die gesetzlichen Feiertage bzw. Feiertagswochen zum chinesischen Neujahr sowie zu den Mai- und Oktoberfeiertagen gezählt werden.
Gehälter Unternehmen können Gehälter nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten frei festlegen. Es wird jedoch gewöhnlich davon ausgegangen, dass ausländische Unternehmen besser bezahlen als chinesische. Die häufig örtlich festgelegten Mindestlöhne sind auf jeden Fall zu beachten. Die Höhe der Zulagen variiert nach lokalen Gegebenheiten und Regelungen. Das Sozialversicherungssystem in China ist noch im Aufbau begriffen. Bestimmungen auf lokaler Ebene weichen voneinander ab. Erst 2020 soll Chinas Sozialversicherungssystem flächendeckend und standardisiert etabliert sein.
Wettbewerbsklauseln Der Arbeitnehmer hat Geheimhaltungspflichten, die ihn verpflichten, die gewerblichen Schutzrechte seines ehemaligen Arbeitgebers nicht zu verletzen. Bei Managern oder Technikern in gehobener Stellung können Wettbewerbsklauseln von bis zu zwei Jahren Dauer eingebaut werden. Der Arbeitnehmer erhält in dieser Zeit eine Entschädigung auf Monatsbasis.
Weiterbildung Verlassen Mitarbeiter das Unternehmen vorzeitig, können sie an den Kosten für Weiterbildungsmaßnahmen beteiligt werden. Die Höhe der Rückerstattung richtet sich proportional nach der Verweildauer im Unternehmen.
Tarifverträge Zusätzlich zu den bereits bestehenden kollektiven Arbeitsverträgen auf Unternehmerebene sieht das neue Arbeitsvertragsgesetz industrieweit gültige Tarifverträge vor. Außerdem soll es regionale Flächentarifverträge geben.
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Kündigungen durch den Arbeitnehmer 30-tägige Kündigungsfrist und schriftliche Form müssen eingehalten werden. In der Probezeit beträgt die Kündigungsfrist allerdings nur drei Tage. Außerordentlich kündigen darf ein Arbeitnehmer, wenn x sich der Arbeitgeber mit der Zahlung des Gehalts im Verzug befindet, x der Arbeitgeber die im Vertrag vereinbarten Bedingungen bezüglich des Arbeitsschutzes nicht einhält, x der Arbeitgeber die gesetzliche Sozialversicherung nicht bezahlt, x eine innerbetriebliche Regelung rechtswidrig und für den Arbeitnehmer schädlich ist, x der Arbeitsvertrag durch Täuschung oder Drohung zustande kam oder sonstige Nichtigkeitsgründe für ihn vorliegen.
Kündigungen durch den Arbeitgeber Es wird zwischen personen- und betriebsbedingten Kündigungen unterschieden. Personenbedingt darf außerordentlich gekündigt werden, wenn x der Arbeitnehmer mit einem anderen Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis eingegangen ist und ihn dies bei der Erfüllung der Arbeitspflichten erheblich beeinträchtigt, x der Arbeitsvertrag durch Täuschung oder Drohung zustande gekommen ist. Während der Probezeit kann dem Arbeitnehmer bei fachlicher Nichteignung gekündigt werden oder falls er nach medizinischer Behandlung nicht mehr in der Lage ist, die vorgesehene Arbeit auszuüben. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer die Kündigungsgründe darlegen und vorher den Betriebsrat über die Kündigungsgründe informieren. Kündigungen sind bei Berufskrankheiten bzw. arbeitsbedingten Schädigungen oder wenn der Arbeitnehmer mehr als 15 Jahre ununterbrochen beim Arbeitgeber beschäftigt war und weniger als fünf Jahre vor der Verrentung steht nicht möglich. Bei betriebsbedingten Kündigungen von über 20 Personen oder bei mehr als 10 Prozent der gesamten Arbeitnehmer gibt es die Vorschrift, dass eine Sozialauswahl getroffen werden muss, bei der die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter sowie die Unterhaltspflichten der Arbeitnehmer positiv berücksichtigt werden müssen. Stellt der Arbeitgeber innerhalb von sechs Monaten nach betriebsbedingten Kündigungen wieder Mitarbeiter ein, so hat er gekündigte Mitarbeiter bei gleicher Qualifikation wieder einzustellen. Abfindungen: Es ist nur dann keine Abfindung zu zahlen, wenn eine einvernehmliche Vertragsaufhebung zustande kommt und die Initiative zu dieser vom Arbeitnehmer ausging. Ansonsten ist die Höhe der Abfindung von der Betriebszu-
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gehörigkeit abhängig. Pro Jahr muss ein Monatsgehalt ausgezahlt werden, allerdings darf die Berechnungsgrundlage nicht höher als 12 Jahre sein.
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Empfehlungen zur Vorbereitung auf den Zielmarkt China
Die Handlungsempfehlungen beinhalten drei Bereiche: Informationsempfehlungen, Bereitstellung von Kontaktoptionen sowie Empfehlungen zur Vorbereitung von Fachkräften auf die interkulturelle Zusammenarbeit.
5.1 Länderinformationen China In den Länder- und Reiseinformationen des Auswärtigen Amts finden sich einerseits Reise- und Sicherheitshinweise und andererseits aktuelle Angaben zu den Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und Deutschland bzw. der EU, Informationen zu Wirtschaft, Außen-, Innen- sowie Kultur- und Bildungspolitik, ein kurzer Überblick zur Geschichte des Landes sowie Kontaktadressen deutscher Vertretungen in China bzw. chinesischer Vertretungen in Deutschland. URL: http://www.auswaertigesamt.de/diplo/de/Laenderinformationen/01Laender/China. html. Die Außenhandelskammer unterhält mehrere Büros in China und informiert auf Ihrer Website http://china.ahk.de/ sowohl über aktuelle politische und wirtschaftliche als auch über gesellschaftliche Themen sowie Dienstleistungen, die Unternehmen dort in Anspruch nehmen können. Ein Dienst der Außenhandelskammer China ist auch der monatlich erscheinende InfoBrief China, der unter http://www.ibchina.de/ kostenlos einzusehen oder zu abonnieren ist. Unter http://bfchina.de/ sind Beiträge der Zeitschrift BusinessForum China zu lesen oder die zeitschrift zu abonnieren. Sie erscheint alle zwei Monate. Statistische Länderprofile: Für ausgewählte Länder wird auf jeweils sechs Seiten umfangreiches Datenmaterial (inclusive grafischer Aufbereitung) hauptsächlich zu Wirtschaftsthemen angeboten, aber auch zu Bevölkerung, Soziales, Infrastruktur und Umwelt. Die Länderprofile sind im Internet kostenlos abrufbar unter der URL http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/ Navigation/Statistiken/Internationales/Internationales.psml.
5.2 Vorbereitung auf die interkulturelle Zusammenarbeit Nicht alle deutsche Fachkräfte sind gleichermaßen in der Lage, im chinesischen Umfeld effizient mit chinesischen Kollegen zusammenzuarbeiten bzw. chinesi-
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sches Personal zu leiten. Hauptgrund hierfür ist ein fehlendes Verständnis bzw. die Nichtakzeptanz chinesischer Normen und Verhaltensweisen. Es ist deshalb für deutsche Unternehmen besonders wichtig, bedeutende Schnittstellen im Unternehmen mit Personen zu besetzen, die sich durch eine hohe Lernbereitschaft und fähigkeit bei der Aneignung der Normen des jeweils anderen Kontextes auszeichnen. Ohne den respektvollen Umgang mit chinesischen Kollegen und Geschäftspartnern wird der Geschäftserfolg in China entschieden erschwert. Der besonderen Bedeutung von Beziehungsnetzwerken und der sozialen Reputation muss entsprechend Rechnung getragen werden. Das Verständnis des jeweils anderen gesellschaftlichen Kontextes setzt einen Lernprozess voraus, in dem eigene Denk- und Handlungsgewohnheiten hinterfragt und neue akzeptiert werden. Dies ist in aller Regel ein längerfristiger Prozess . Das Lesen von Fachliteratur zum Thema Arbeiten in China (absolut empfehlenswert ist das Buch von Reisach et al. 2006) oder der Besuch von Kursen und Seminaren zum Thema interkulturelle Zusammenarbeit (die Suchmaschine www.google.de liefert bei den Stichworten‚ interkulturelle Zusammenarbeit China’ eine Palette an Anbietern von Weiterbildungen) sind als Vorbereitung wichtig, aber nicht hinreichend. Die entsprechenden Kurse können in wenigen Tagen allerdings nur zu einem Verständnis dessen beitragen, warum Geschäftspartner oder Arbeitskollegen in China (und auch in anderen Ländern) andere Referenzsysteme für ihre Verhaltensweisen haben und wie sich das auswirkt. Die Anwendung des Erlernten, die Adaption eigener Verhaltensweisen an die entsprechenden Referenzsysteme, ist nur – in ggf. mühsamen Schritten - in der Praxis möglich. Dies wird von vielen Fachkräften, die ins Ausland entsendet werden, unterschätzt. Zum Teil werden die Anpassungsphasen auch abgebrochen, weil eigene Gewohnheiten höherwertiger eingeschätzt werden als die neu zu erlernenden Verhaltensweisen. Das führt dann im schlimmsten Falle zu einer sozialen Isolation der betreffenden Fachkraft, weil ihre Interaktionsgepflogenheiten nicht in den neuen sozialen Kontext passen (Depner 2006). Positive Voraussetzungen sind immer dann gegeben, wenn die deutschen Akteure schon über längere Zeit in anderen kulturellen Kontexten gearbeitet haben und ihre Gewohnheiten aufgrund unterschiedlicher Sinngebungen sozialen Verhaltens modifizieren mussten. Für deutsche Unternehmen hat es sich auch als empfehlenswert erwiesen, den entsandten Fachkräften chinesische Assistenten mit einer entsprechenden Offenheit und Qualifikation zur Seite zu stellen, die unter anderem als interkulturelle Trainer agieren. Eine Annäherung chinesischer Mitarbeiter an in deutschen Werken existierende „Routinen“ erweist sich dann als relativ problemlos, wenn diese über eine längere Periode dort eingesetzt werden und ihnen Zeit und Freiraum zum Lernen eingeräumt wird. Durch diese Form der Einbindung sind sie gefordert, sich mit neuen Werten vertraut zu machen und ihrerseits Gewohnheiten zu hinterfragen und zu modifizieren (Depner 2006). Geert Hofstede analysierte den Einfluss von Kultur auf Verhaltensweisen im Geschäftsleben. Zur Operationalisierbarkeit seiner Ergebnisse unterteilte er kulturelle Ausprägungen – wie an früherer Stelle schon dargestellt - in fünf messbare
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Dimensionen: Individualismus/Kollektivismus, Maskulinität/Femininität, Risikobereitschaft/Grad der Unsicherheitsvermeidung, soziale Distanz und Langzeitorientierung. Auf seiner Homepage http://www.geert-hofstede.com/ kann man die Kulturdimensionen einzelner Länder aufrufen oder auch Länder nach ihren Ausprägungen miteinander vergleichen.
5.3 Informationsmöglichkeiten zum Arbeitsrecht Informationen zum Arbeitsrecht in China stellen in Deutschland vorab die Bundesagentur für Außenwirtschaft (BFAI), spezialisierte Kanzleien oder Industrieund Handelskammern zur Verfügung. Auf der Homepage der BFAI finden sich auch weitere länder- und branchenspezifische Informationen bzw. können Beiträge zu spezifische Themen einzelner Ländern herausgefiltert werden (Geschäftspraxis, Recht, Wirtschaftsklima, Zoll: http://www.bfai.de/DE/Navigation /home/home.html). Je nach Art der Beiträge stehen diese kostenlos als Download zur Verfügung oder werden als Hardcopy kostenpflichtig zugesandt. Für die Handelskammer Hamburg sowie die Industrie- und Handelskammer Pfalz ist China ein Schwerpunktland, zu dem verstärkt Aktivitäten stattfinden und Informationen zur Verfügung gestellt werden. Neben Wirtschaftsinformationen, nachrichten und -analysen werden auch Informationen zu rechtlichen Aspekten sowie zu Geschäftskontakten zur Verfügung gestellt. Die URLs: x http://www.pfalz.ihk24.de/produktmarken/international/Laender_Maerkte/laen der_regionen/China23329.jsp x http://www.hk24.de/produktmarken/internatinal/laenderinformationen/china_st andort/index.jsp. In China sind bereits mehrere deutsche Rechtsanwaltskanzleien aktiv bzw. haben deutsche Fachkräfte Beratungsunternehmen gegründet, die Neueinsteiger auf dem chinesischen Markt zu rechtlichen Möglichkeiten beraten oder auch bei der Suche nach Geschäftspartnern helfen. Einige der Kanzleien stellen auf ihrer Homepage oder auch im Versand wichtige Informationen zu rechtlichen Aspekten zur Verfügung (z.B.: http://www.bblaw.com/). Wichtige Kontaktadressen sind auch die Filialen der Außenhandelskammern (Übersicht: http://china.ahk.de/), bei denen sich ein umfangreiches Wissen zu allen Aspekten der Geschäftstätigkeit in China entwickelt hat.
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Interkulturelle Personal- und Organisationsentwicklung
6.1 Anforderungen Wie an früherer Stelle dargestellt, versagen die im eigenen Land zur Zielerreichung geeigneten Handlungsweisen, Bewertungs- und Interpretationsmuster ganz oder teilweise, wenn nicht zusätzlich interkulturelle Kompetenzen vorhanden sind: die Kommunikation mit den Interaktionspartnern ist erschwert, und deren Reaktionen werden nur ungenügend oder überhaupt nicht verstanden. Die Folge können schwerwiegend sein: ständige Reibungsverluste, Zeitverluste, hoher Nachbearbeitungsaufwand u.ä. Solche (meist gegenseitigen) Missverständnisse lassen sich bei einem Auslandsengagement in der Regel nicht völlig vermeiden, sie können aber deutlich reduziert und in ihrer Tragweite begrenzt werden. Elementare Anforderungen an die interkulturelle Personalentwicklung: x Das eigene Personal muss sich auf die Bedingungen des Ziellandes einstellen, wobei technische Probleme, deren Bearbeitung und Lösung betrieblicher „Normalfall“ ist, eher geringere und sozio-kulturelle Besonderheiten umso höhere Anforderungen stellen. x Abhängig von der zu wählenden Markteintrittsstrategie muss ggf. der Umgang mit ausländischem Personal im Zielland, das eine andere Sozialisierung und Qualifikation besitzt, „erlernt“ werden (auch bei Personalbeschaffung, Einsatz, Qualifizierung, Kündigung etc.). x Führungs- und Fachkräfte müssen sich auf fremde Geschäftstraditionen (Geschäftsanbahnung und -abwicklung) und ungewohntes Behörden/Verwaltungshandeln einstellen. Die typische Frage zu den personellen Ressourcen lautet: „Verfügen wir bereits über Personal, das im Ausland eingesetzt wird bzw. zusätzlich eingesetzt werden könnte? Müssen wir vorhandenes Personal für den Einsatz im Ausland schulen? Müssen wir zusätzliches Personal im eigenen Land und/oder im Ausland einstellen und schulen?“ Die geeignete Form der Arbeits- und Unternehmensorganisation betreffend ist zu fragen: „Sind unsere organisatorischen Strukturen für ein erfolgreiches Auslandsengagement geeignet? Sind organisatorische Veränderungen in unserem Unternehmen erforderlich, um das internationale Geschäft in unsere Aufgaben einbinden zu können - ggf. (etwa bei einer Auslandsniederlassung) auch im Zielland?“
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Maßnahmen der Organisationsentwicklung müssen sicherstellen, dass x die Prozesse der Produktherstellung und der Dienstleistungserbringung optimal aufeinander abgestimmt sind, x die organisatorischen Strukturen im Unternehmen das Auslandsengagement unterstützen (Einbindung des Auslandsgeschäfts), x (im Fall einer Auslandsniederlassung) die sozio-kulturellen Bedingungen im Zielland berücksichtigt werden. Die mit der Planung des Auslandsgeschäfts verbundenen Fragen und Anforderungen sind keineswegs trivial. Will man bspw. in China eine Niederlassung oder Produktionsstätte errichten, um nahe an Absatzmarkt und Kunden zu sein, sollte die konfuzianische Lehre einer hierarchischen und patriarchalisch gegliederten Gesellschaft berücksichtigt werden, die für alle Lebensbereiche Geltung beansprucht - also auch für Familien und Unternehmen. In den Unternehmen äußert sich diese Hierarchiegebundenheit oft dadurch, dass Untergebene auf Anweisungen warten und im Falle einer unklaren Entscheidungslage keine eigene Entscheidung herbeiführen. „Moderne“ westliche Organisationsstrukturen mit flachen Hierarchien, dezentralen Entscheidungsbefugnissen und ergebnisorientierten Arbeitsformen einzuführen, sind dementsprechend nicht angebracht.
6.2 Vorgehensweise Die grundsätzliche Vorgehensweise für eine geeignete Personal- und Organisationsentwicklung umfasst die Stufen Bestandsaufnahme, Ergebnisbewertung und Realisierung der Anforderungen (vgl. Abb. 4).
Anforderungen und Bestandsaufnahme Personal Es geht zunächst um die Ermittlung des quantitativen und qualitativen Personalstands für die Internationalisierung industriellen Dienstleistungen. Dass die erforderliche Fachkompetenz zur Erstellung und Vermarktung industrieller Dienstleistungen auf dem Inlandsmarkt vorliegt, ist als gegeben vorauszusetzen, da es wenig sinnvoll erscheint, ohne diese Erfahrungen einen Auslandsmarkt zu bedienen. Da eine Bestandsaufnahme nur vor dem Hintergrund einer definierten Zielsetzung (hier: Vorbereitung eines Auslandsgeschäfts) Sinn macht, sind die speziellen Anforderungen, die die neuen Aufgaben stellen, der Maßstab für das weitere Vorgehen (vgl. Tabelle 5).
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Abb. 4. Vorgehensweise bei der interkulturellen Personal- und Organisationsentwicklung
Tabelle 5: Anforderungen an interkulturelles Personalmanagement
Anforderungen an interkulturelles Personalmanagement im Heimatland Auswahl, ggf. Neueinstellung von Personal für das Auslandsgeschäft Qualifizierungsthemen Fremdsprache(n) internationale Verhandlungen kulturelle Besonderheiten im Zielland Interkulturelle Kooperation und Kommunikation (in internationalen Arbeitsgruppen/Teams) Vorbereitung von Auslandsaufenthalten Betreuung von Rückkehrern nach längerem Auslandsaufenthalt
im Zielland Kenntnisse des Arbeitsmarkts des Arbeitsrechts der Arbeitsbeziehungen der Entlohnungssysteme der kulturellen Besonderheiten Personalarbeit mit ausländischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Einstellung Qualifizierung (ggf. auch im Heimatland) Entlohnung Umgang mit Abwesenheitszeiten und Konflikten Kündigung und Kündigungsschutz Interkulturelle Kooperation und Kommunikation (in internationalen Arbeitsgruppen/Teams) und zwischen Personen im Ziel- und Heimatland
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Im Einzelnen können die Anforderungen an internationale/interkulturelle Kompetenzen weiter spezifiziert werden (vgl. Tabelle 6). Tabelle 6: Internationale Qualifikationen/Kompetenzen
Inhalte und Anforderungen an internationale Qualifikationen/Kompetenzen Personengruppe
Fremdsprachenkenntnisse
Interkulturelle Kompetenz
Führungskräfte
hervorragende Kenntnisse (verhandlungssicheres Englisch und ggf. weitere Sprachen)
hohe kommunikative Kompetenz
Fachangestellte
gute Kenntnisse, um mit ausländischen Partnern kommunizieren und kooperieren zu können (i.d.R. Englischkenntnisse)
über Kenntnisse ausländischer Märkte und fremder Kulturen verfügen über Grenzen hinaus denken und handeln können sich schnell an das internationale Geschäft anpassen können
Facharbeiter
sich auch bei geringer Fremdsprachenkenntnis technisch verständigen können
im Ausland bzw. mit ausländischen Partnern kooperieren können
Die Durchführung der Bestandsaufnahme erfordert keinen großen Aufwand. Nach Gesprächen zwischen Geschäftsführung, Bereichsleitern, Personalleiter und Mitarbeiter(inne)n und ggf. einer Mitarbeiterversammlung, in der über die unternehmerischen Planungen informiert wird, kann man in einer einfachen Tabelle (vgl. Tabelle 7) festhalten, x welche Bereiche/Funktionen im Unternehmen für das geplante Auslandsgeschäft erforderlich sind (neben der Geschäftsführung - der Aufbau eines neuen Geschäftsfelds sollte prinzipiell „Chefsache“ sein - und dem/den für Qualifizierung und Einstellung von Mitarbeitern zuständigen Personalverantwortlichen wird es sich in der Regel um Vertrieb, Service, Logistik und die „technischen“ Bereiche handeln (Konstruktion, Produktion/Fertigung handeln),
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x wie viele Mitarbeiter hierzu kurz- und mittelfristig benötigt werden, x welche Mitarbeiter der betreffenden Bereiche über die für ein Auslandsgeschäft erforderlichen Kompetenzen bereits verfügen (Fremdsprachen und Erfahrung mit Auslandseinsätzen) oder geeignet/motiviert erscheinen, diese Kompetenzen in einem überschaubaren Zeitraum mit vertretbarem Aufwand durch interne oder externe Schulungen zu erwerben. Tabelle 7: Checkliste: Personal und erforderlicher Schulungsbedarf
Erforderliche Unternehmensbereiche
Erforderliche Mitarbeiter (Anzahl)
Mitarbeiter mit Auslandserfahrungen
Einschätzung des Schulungsbedarfs und -aufwands (gering/mittel/hoch)
Geschäftsführung Personal
Vertrieb
Produktion
Service
Ergebnisbewertung Personal Die Ergebnisse der personellen Bestandsaufnahme sind mitentscheidend für die Beantwortung der Frage, ob die ins Auge gefasste Internationalisierung einer industriellen Dienstleistung grundsätzlich, d.h. mit vertretbarem zusätzlichem Aufwand, durchführbar ist. Im ersten Schritt wird festgelegt, welche und wie viele der vorhandenen Mitarbeiter(innen) für die neuen Aufgaben geeignet erscheinen bzw. durch Schulungen weiterentwickelt werden können. Wenn dies für die Bewältigung der anstehenden
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Aufgaben nicht ausreicht, ist die Möglichkeit der Einstellung zusätzlichen Personals zu prüfen. Die Bewertung sollte vor dem Hintergrund der finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens erfolgen und dabei die erwartbaren kurzfristigen und mittelfristigen Kosten und Erlösmöglichkeiten berücksichtigen. Auf dieser Stufe empfiehlt es sich, anhand von Aussagen zur Bewertung des quantitativen und qualitativen Personalbedarfs vorzugehen, der sich aus der Bestandsaufnahme ergeben hat. Sofern die in der folgenden Checkliste in Kursivschrift hervorgehobenen Aussagen für das Unternehmen zutreffen, ist die Entscheidung über den Export bzw. die Internationalisierung von industriellen Dienstleistungen ernsthaft in Frage zu stellen.
1. Vorhandenes Personal x Wir verfügen bereits über genügend Personal mit Auslandserfahrung; es sind nur geringfügige Anpassungsmaßnahmen (Schulungen) erforderlich. x Einzelne Mitarbeiter(innen) müssen zusätzlich qualifiziert werden; der Schulungsaufwand hält sich aber zeitlich und finanziell in vertretbaren Grenzen. x Der erforderliche Schulungsaufwand für unsere Mitarbeiter(innen) würde erhebliche zeitliche und finanzielle Belastungen verursachen.
2. Zusätzliches Personal x Wir müssen zusätzliches Personal in unserem Unternehmen einstellen, um das Auslandsgeschäft quantitativ und qualitativ bewältigen zu können. Die zusätzlichen Kosten sind eine Investition, die sich mittelfristig bezahlt macht. x Die Einstellung zusätzlicher Mitarbeiter(innen) ist aus Kostengründen nicht darstellbar. x Wir müssen [falls eine Auslandsniederlassung geplant ist] ausländisches Personal einstellen. Der Aufwand hierfür erscheint vertretbar. x Wir müssten [falls eine Auslandsniederlassung geplant ist] ausländisches Personal einstellen. Der Aufwand übersteigt unsere Möglichkeiten.
Realisierung der Anforderungen (Personal) Die weiter zu verfolgenden Aufgaben sind x Personalbeschaffung, z.B. die Festlegung einer Beschaffungsstrategie für den Heimatstandort und/oder den Standort im Zielland; die Auswahl von ExPatriates; die Herstellung vergleichbarer Auswahlbedingungen im Heimat- und Gastland
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x Personalentwicklung im engeren Sinne: Vermittlung interkultureller Kompetenzen (Fremdsprachentraining, interkulturelle Workshops, Look-and-SeeTrips, etc.) x Personaleinsatzplanung und -überwachung: z.B. Vorbereitung und Organisation des Einsatzes vorhandener und neu eingestellter Mitarbeiter(innen), Betreuung vor Ort/im Heimatland, Re-Integration von Rückkehrern und ihrer Familien x Personalentlassungen: Beachtung länderspezifischer oder supranationaler Richtlinien/Gesetze und Berücksichtigung unternehmens- und landeskultureller Aspekte x Personalführung: Erarbeitung von Vorgaben für länderspezifische oder interkulturelle Führungsfunktionen oder -modelle; Kooperation mit Arbeitnehmerorganisationen im Ausland oder in internationalen Gremien (z.B. Europäischer oder Weltkonzernbetriebsrat) x Personalkostenmanagement: z.B. Bearbeitung von Fragen der relativen Lohngerechtigkeit im internationalen Verbund und im Zielland; Transparenz und Wirtschaftlichkeit der Personalkosten
Organisation - Anforderungen und Optionen Da jede organisatorische Variante, für die sich ein Unternehmen entscheidet, prinzipiell mit Vor- und Nachteilen verbunden ist, deren Gewichtung nur im betrieblichen Einzelfall möglich ist, können an dieser Stelle die möglichen organisatorischer Optionen nur pauschal dargestellt werden. Unabhängig von der interkulturellen Dimension der Organisationsgestaltung sollte in einem ersten Schritt geprüft werden, ob die vorhandene organisatorische Einbindung von Dienstleistungsgeschäft und Sachgutproduktion im Unternehmen zweckmäßig ist. In Frage kommende Organisationskonzepte sind x Eingliederung der Dienstleistungsfunktionen in bestehende Abteilungen Die Aufbauorganisation verändert sich nicht, Sachgutproduktion und produktbegleitende (industrielle) Dienstleistung bleiben „in einer Hand“, es kommt zu zusätzlichen Aufgaben in allen mit der produktbegleitenden Dienstleistung befassten Bereichen und Funktionen. x Gründung eigenständiger neuer Abteilungen als reine Dienstleistungsabteilung Neben die mit Sachgutherstellung befassten Bereiche wie Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Fertigung und Montage treten eigenständige Dienstleistungsabteilungen, z.B. für Beratung, Schulung, Service. Evtl. Zielkonflikte zwischen Produktion und Dienstleistung werden vermieden, die gegenseitige Verselbständigung kann jedoch negative Effekte für das Gesamtprodukt bewirken, weil Produktions- und Dienstleistungswissen getrennt werden. x Gründung eines rechtlich selbständigen Dienstleistungsunternehmens
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Die Nachteile dieser Organisationsform wären noch stärker ausgeprägt als beim Modell eigener Dienstleistungsabteilungen, ein Vorteil könnte ggf. darin liegen, dass Dienstleistungsaufgaben für Produkte anderer Hersteller übernommen werden könnten. x Ergänzung der Produktionsabteilungen durch dienstleistungsbezogene Matrixstruktur Matrixstrukturen, bei denen vertikale (hierarchische) Funktionen mit horizontalen Aufgaben, Bereichen und Prozessen verknüpft werden, sind komplexe Gebilde und dürften für kleinere Unternehmen schwierig zu bewältigen sein. Darüber hinaus kann es z.B. schnell zu Konflikten über die Priorität von produktund dienstleistungsbezogenen Aufgaben kommen; auf der anderen Seite müssen in diesem Modell solche Konflikte tatsächlich ausgetragen werden und können nicht umgangen oder im Sinne eines Gegeneinanders von Abteilungen „gelöst“ werden. In ähnlicher Weise können In- und Auslandsgeschäft integriert oder getrennt werden - als Aufgabenzuwachs der traditionellen Inlandsgeschäfts als getrennte Abteilungsstruktur, in Form selbständiger inlands- und auslandsorientierter Unternehmen oder als Matrixstruktur. „Die konkreten Anpassungen der Organisationsstruktur sollten in jedem Fall situationsspezifisch festgelegt werden. Dabei müssen u.a. die vorherrschende Umweltdynamik in den Ländermärkten, der Diversifikationsgrad, der Umfang des Auslandsgeschäftes, die Anzahl der bereits vorhandenen inländischen und ausländischen Tochtergesellschaften und die Beteiligungsverhältnisse berücksichtigt werden.“ (Roehr 2004) x Differenzierte Struktur: Trennen von In- und Auslandsgeschäft Bei international weltweit standardisierten Produkten und homogenen Kundenbedürfnissen kann eine internationale Division, die neben den Funktionen bzw. Geschäftsbereichen angesiedelt und für die internationalen Aktivitäten des Unternehmens verantwortlich ist, Vorteile bieten. Diese Form der Organisation findet man häufig als rechtlich selbständige Auslands-Holding. Durch die Bündelung der meist begrenzten Personal- und Management-Ressourcen mit internationaler Verantwortung in einer Organisationseinheit sind die Kommunikations- und Entscheidungswege kurz, und einige wenige Spezialisten können das Auslandsgeschäft straff ordnen. Allerdings kann es auch zu Konflikten (z.B. Kommunikations- und Abstimmungsprobleme) durch das Nebeneinander von auslands- und inlandsbezogener Organisationsformen kommen. Vor allem wenn der Umfang und die Komplexität des Auslandsengagements steigen, erweist sich diese Organisationsform eher als nachteilig, so dass sie häufig durch integrierte Strukturen ersetzt wird. x Integrierte Struktur: Zusammenlegen von In- und Auslandsgeschäft Eine integrierte Struktur kann verschiedene Formen annehmen, man unterscheidet in der Regel zwischen funktionsorientierter, produktorientierter län-
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derbezogener und Matrixstruktur. Bei diesen Organisationsformen liegt die Verantwortung für Auslands- und Inlandsaktivitäten in einer Hand. Die Gliederung integrierter Organisationen kann ein- oder mehrdimensional sein: „Bei eindimensional integrierten Strukturen erfolgt die Aufgabenaufteilung unterhalb der Leitung des Gesamtunternehmens nach einem Kriterium (Funktionen, Geschäftsbereiche oder Regionen); bei mehrdimensionalen Organisationsstrukturen nach zwei oder mehreren dieser Kriterien. In Unternehmen mit integrierter Funktional-Struktur werden die in- und ausländischen Funktionsbereiche unter einer meist im Heimatland angesiedelten Leitung (z.B. Vertrieb und Produktion) zusammengefasst. […] Diese Organisationsform ermöglicht die Konzipierung und Durchsetzung von weltweiten Strategien“ (Roehr 2004). Nachteile können sich bei diesen Organisationsformen ergeben, wenn in einer Phase des starken Wachstums und Diversifikation der Koordinationsaufwand durch das Top-Management große Ausmaße annimmt und die Kommunikation und damit die Einführung von strategischen Maßnahmen erschwert wird. Weitere Nachteile liegen in einer möglichen Vernachlässigung länderspezifischer Besonderheiten, im hohen Koordinationsaufwand zwischen den Produktgruppen und einer Reduzierung der zentralen Rolle der Geschäftsführung. Nicht zu vernachlässigen sind die hohen Kosten für die notwendigen regionalen Headquarters. Gerade bei der Matrixstruktur ergeben sich in der Praxis häufig Probleme durch schwierige Kompetenzabgrenzung, hohe Koordinierungskosten, Konflikte an den Schnittstellen und massive kulturelle Unterschiede mit teilweise projektbedrohenden Auswirkungen.
Entwicklungsstufen der Organisation des Auslandsgeschäfts In der Startphase hat die Internationalisierung eines Unternehmens kaum Einfluss auf die Struktur der Organisation. Eine empfehlenswerte Einstiegsvariante kann die (zeitlich befristete) projektförmige Organisation sein, die bei einem Fehlschlag ohne gravierende Folgen für die Gesamtorganisation wieder aufgegeben und im positiven Fall in eine dauerhafte Struktur übergeleitetet werden kann. Oft wird die bestehende inländische Organisation lediglich um eine Exportabteilung ergänzt, die von einer Einzelperson (Exportmanager) entwickelt wird. Diese Form wird häufig beibehalten, selbst wenn die Auslandsaktivitäten sich verändern bzw. quantitativ zunehmen. Eine erfolgreiche Internationalisierung erfordert eine flexible Koordinierung der (sich im Laufe eines Auslandsengagements verändernden) internen und externen Aufgaben. Mit zunehmenden Auslandsaktivitäten ändert sich die Rolle der Exportabteilung. So kann zum Beispiel zunächst nur eine reine Exportstrategie verfolgt und später eine selbständig operierende Niederlassung im Ausland aufgebaut werden. Das bedeutet, dass neben den (direkten und indirekten) Export auch andere Formen des internationalen Engagements treten. Spätestens dann erweist sich eine Exportabteilung als nicht mehr ausreichend, d.h., die fortgeschrittene Internationa-
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lisierung löst eine Reorganisation aus. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte über die oben beschriebene organisatorische Trennung oder Integration von Inlandsund Auslandsgeschäft nachgedacht und entschieden werden. Abhängig von dem ausgewählten Zielland der internationalen Geschäftstätigkeit ist darauf zu achten, dass sowohl im eigenen Unternehmen als auch vor allem im Ausland (sofern dort ein Vertriebsbüro oder eine Niederlassung vorgesehen ist) die kulturellen Besonderheiten des Ziellandes auch bei der Organisationsentwicklung Berücksichtigung finden. Je nach den in den verschiedenen Ländern kulturell mehr oder weniger stark verwurzelten (oft auch unausgesprochenen, weil als selbstverständlich geltenden) Orientierungen sind die in Deutschland verbreiteten Organisationskonzepte mehr oder weniger übertragbar. Eine Organisationsentwicklung, die [im Beispielsfall China] bei einer Niederlassung mit chinesischdeutscher Belegschaft die chinesischen Vorstellungen hierarchischer Beziehungen (Über- und Unterordnung, Seniorität, Gruppenorientierung) nicht hinreichend berücksichtigt, würde kaum zum Erfolg des Auslandsengagements beitragen.
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Schulung von in- und ausländischen Mitarbeitern als Voraussetzung einer erfolgreichen Internationalisierung Sandra Klein, Boris Bergheim
Abstract Kleine und mittelständische Dienstleistungsunternehmen weisen im Hinblick auf eine Internationalisierung immer noch Zurückhaltung auf. Das nicht ausgeschöpfte Potenzial weist auf Unsicherheiten der Unternehmen hin, wie sie einen erfolgreichen Export ihrer Leistungen initiieren sollen. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass ein Scheitern oft durch eine unzureichende Vorbereitung zu Stande kommt. Daher wurden verschiedene Schulungen für in- und ausländische Mitarbeiter konzipiert, die Unternehmen für den Weg in die Internationalisierung optimal vorbereiten und unterstützen. Hierbei wird sowohl die Einarbeitung der neuen Mitarbeiter im Ausland berücksichtigt, wie auch die Führungskräfte in Deutschland, die sich für ein Internationalisierungsprojekt verantwortlich zeigen.
1 Schulung von in- und ausländischen Mitarbeitern als Voraussetzung einer erfolgreichen Internationalisierung Wie bereits im vorangegangenen Beitrag ausgeführt wurde, erfordert eine erfolgreiche Dienstleistungsinternationalisierung eine intensive Vorbereitung und Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Themenbereichen. Angefangen von der Frage nach der richtigen Markteintrittsstrategie bis hin zur Auseinandersetzung mit den jeweiligen kulturellen Spezifika des jeweiligen Ziellandes. Gerade kleine und mittelständische Unternehmer fühlen sich hinsichtlich der Menge und Bandbreite an erforderlichen Informationen verunsichert. Vor diesem Hintergrund hat sich die TÜV Rheinland Akademie GmbH im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojektes IDEE speziell mit der Konzeption von Schulungen für kleine und mittelständische Unternehmen beschäftigt, um diese bei der Internationalisierung ihrer industriellen Dienstleistungen zu unterstützen.
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Die Schulungsthemen und Inhalte ergaben sich, unter Hinzuziehung der aktuellen Literatur, hauptsächlich aus den Ergebnissen zweier Erfolgsfaktorenanalysen. Die Erfolgsfaktorenanalyse der Freien Universität Berlin, die ebenfalls im Rahmen des IDEE Projekts durchgeführt wurde, wertet Angaben von Unternehmen aus, die ihre Dienstleistungen bereits international vermarkten. Die Untersuchung konzentrierte sich auf die Branchen Maschinenbau, Elektrotechnik, Medizin-, Mess- und Steuerungstechnik, sonstiger Fahrzeugbau, Datenverarbeitung und Datenbanken sowie Dienstleistungserbringung überwiegend für Unternehmen (z.B. Rechts-, Steuer und Unternehmensberatung, Architektur- und Ingenieurbüros, technische, physikalische und chemische Untersuchungen). Da die TÜV Rheinland Group als industrieller Dienstleister mit über 100 Gesellschaften in 50 Ländern vertreten ist, wurde zusätzlich zu der von der FU Berlin durchgeführten externen Erfolgsfaktorenanalyse eine unternehmensinterne Erfolgsfaktorenanalyse durchgeführt. Deren Ergebnisse sind ebenfalls in die Überlegungen zur Erstellung von Schulungskonzepten eingeflossen. Berücksichtigt wurden darüber hinaus die innerhalb eines Workshops erarbeiteten Bedürfnisse und Wünsche von Transferunternehmen bezüglich ihres Unterstützungsbedarfs bei der Internationalisierung ihrer Dienstleistungen. Die ausführlichen Ergebnisse zu beiden Erfolgsfaktorenanalysen können dem Abschlussbericht des IDEE-Projektes entnommen werden (Zangemeister 2009). Die Schulungen wurden für drei Zielgruppen untergliedert: In Abschnitt 3.1 werden Methoden und Konzepte für eine erfolgreiche Einarbeitung neuer Mitarbeiter im Ausland vorgestellt. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Verwendung der Methode E-Learning zur Vermittlung von firmenspezifischem Wissen. Die anschließend in Abschnitt 3.2 vorgestellten Schulungen, richten sich speziell an die Zielgruppe der Fach- und Führungskräfte, die insbesondere bei der Planung von Internationalisierungsprojekten unterstützt werden sollen. Schließlich werden in Abschnitt 3.3 verschiedene Schulungen vorgestellt, welche die landesspezifischen Bedingungen des Wirtschaftsraums China besonders berücksichtigen, da dieser in den letzten Jahren aufgrund seines Wirtschaftswachstums für westliche Investoren immer attraktiver wird.
1.1 Einarbeitung neuer Mitarbeiter im Ausland In einer im Jahr 2005 durchgeführten Feldstudie zum Thema „Internationalisierung von industriellen Dienstleistungen“ wurde die Einbindung von kompetenten und qualifizierten Partnern und entsprechendem Personal als maßgeblicher Erfolgsfaktor genannt (Luczak et al. 2005). Personalentscheidungen gehören bei einem Auslandsengagement zu den zentralen Entscheidungen eines Unternehmens, da engagierte und fachlich kompetente Mitarbeiter die Grundlage und Voraussetzung für das Erreichen der Unternehmensziele bilden (Brenner u. Brenner 2001). Ein Ergebnis zu dem auch die unternehmensinterne Erfolgsfaktorenanalyse ge-
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217
kommen ist. Als größtes Problem einer erfolgreichen Internationalisierung wurde neben der Rekrutierung von qualifizierten Mitarbeitern, die Qualifikation und Schulung sowie die Motivierung lokaler Mitarbeiter angesehen (Zangemeister 2009). Insofern verwundert es nicht, dass in der Regel viel Energie und Geld dafür verwendet wird, die richtigen Mitarbeiter unter vielen Bewerbern herauszufiltern. Der nachfolgenden Einarbeitung wird jedoch häufig deutlich weniger Beachtung beigemessen (Kieser et al. 1990). Die Folgen mangelnder Einarbeitung und Integration zeigen sich dann später im fehlenden Wissen über das Unternehmen, dessen Produktpalette, Prozesse und Ziele. Die daraus resultierenden Fehleinschätzungen und Verhaltensfehler neuer Mitarbeiter können zu Umsatz- und Vertrauensverlusten am Markt führen (Brenner u. Brenner 2001). Im Dienstleistungssektor wird der Mitarbeiter mit Kundenkontakt als Qualitätsindikator wahrgenommen. Fehlendes Wissen wirkt sich hier besonders negativ aus (Meffert u. Bruhn 2003). Hinzu kommt, dass Mitarbeiter aufgrund fehlender Einarbeitung häufig weniger motiviert und leistungsbereit und damit weniger produktiv sind. Das kann dazu führen, dass der neue Mitarbeiter schon in naher Zukunft eine innere Kündigung vollzieht und sich nach einer neuen Stelle umsehen wird (Hönig 1995). Diese Tatsache ist nicht nur menschlich unerfreulich, sondern schlägt auch finanziell zu Buche. Die Fluktuation von Mitarbeitern im ersten Beschäftigungsjahr ist mit enormen Kosten verbunden. Hier fallen nicht nur die doppelten Recruiting- und Einarbeitungskosten, sondern auch die schwieriger zu kalkulierenden Folgekosten durch verspätete Projekte oder unzufriedene Kunden an, die sich erneut auf einen neuen Ansprechpartner einstellen müssen. Vor allem im asiatischen Raum haben deutsche Firmen immer wieder mit dem Problem der Mitarbeiterfluktuation zu kämpfen. Gut ausgebildete Fachkräfte unterliegen, nicht zuletzt aufgrund mangelnder Bindung an das Unternehmen, monetären Anreizen der Konkurrenz. Die Fluktuationsraten in den östlichen Großstädten von China erreichen nicht selten 20 bis 40 Prozent (Seelmann-Holzmann 2006). Unternehmen sollten sich vor einem Auslandsengagement intensiv mit einer gut strukturierten, kulturangepassten Einarbeitung und Integration ihrer neuen Mitarbeiter beschäftigen.
1.1.1
Maßnahmen zur sozialen Integration
Maßnahmen zur sozialen Einarbeitung und Integration bewirken, dass der neue Mitarbeiter im Ausland Vertrauen zu seinem Arbeitsumfeld und damit insbesondere zu Kollegen, Vorgesetzten, Kunden und Lieferanten aufbaut. Wenn er als Teil der Gemeinschaft akzeptiert wird und sich selber als ein Teil dessen betrachtet, kann von einer erfolgreichen sozialen Eingliederung gesprochen werden (Brenner u. Brenner 2001). Der Erfolg einer sozialen Integration neuer Mitarbeiter im Ausland hängt maßgeblich davon ab, ob sich das Unternehmen vor einem Auslandsengagement in-
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tensiv mit den Gepflogenheiten des jeweiligen Gastlandes auseinandergesetzt hat. So erwartet bspw. ein neuer Mitarbeiter in China von einer Führungskraft ein anderes Verhalten, als im europäischen Raum. Im Folgenden werden daher Maßnahmen zur sozialen Integration vorgestellt, die eine soziale Einarbeitung unterstützen, aber in der Ausgestaltung auf den jeweiligen Einsatzort angepasst werden sollten. Die hier präsentierten Maßnahmen wurden speziell für den chinesischen Kulturraum adaptiert. Einführungsveranstaltung Die Durchführung einer Einführungsveranstaltung dient dazu, neuen Mitarbeitern einen Gesamtüberblick über die Unternehmensaktivitäten zu geben sowie erste Kontakte und Beziehungsnetzwerke unter den Teilnehmern zu ermöglichen, um so ein „Wir-Gefühl“ zu schaffen. Einzelne Unternehmensbereiche können durch Vorträge, Fallstudien und Praxisbeispiele anschaulich dargestellt werden. Thematisch ist die Einführungsveranstaltung also nicht nur für die soziale Einarbeitung da, sondern auch zur Vermittlung von unternehmensspezifischem Wissen. Die Einführungsveranstaltung soll die neuen Mitarbeiter im Ausland zunächst vor allem interkulturell sensibilisieren. Dazu ist auf kulturell bedingte Unterschiede hinzuweisen. Auf diese Weise lässt sich von Anfang an die Brisanz aus möglichen Konflikten nehmen, die aus kulturellen Missverständnissen resultieren. Kulturvergleichsstudien bieten eine gute Möglichkeit, Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen zu verdeutlichen. Es zeugt von Wertschätzung gegenüber den neuen Mitarbeitern, wenn hochrangige Führungskräfte zumindest zeitweise an einer solchen Veranstaltung teilnehmen (Hofstede 2006). Da deren persönliche Teilnahme bei einem Auslandsengagement unter Umständen mit zu hohen Kosten verbunden ist, bietet sich es sich an, bspw. auf die Möglichkeiten einer Videoübertragung oder eines virtuellen Klassenraumes zurück zu greifen. Durch Lifeschaltung können so neue Mitarbeiter im Ausland und Führungskräfte, die in Deutschland sitzen, vergleichsweise kostengünstig miteinander in Kontakt treten. Patenschaften Eine weitere Maßnahme für eine erfolgreiche Einarbeitung und Integration neuer Mitarbeiter ist die Übernahme von Patenschaften. Obwohl der Vorgesetzte als Ansprechpartner von zentraler Bedeutung ist, gibt es Themen oder Fragen, die der neue Mitarbeiter besser mit einer „neutralen“ Person besprechen möchte. Daher bietet es sich an, dass ihm in der ersten Zeit ein Kollege als Ansprechpartner (Pate) zur Verfügung steht, der auch alltägliche Fragen beantworten, hilfreiche Tipps geben und den neuen Mitarbeiter auch in das ungeschriebene Regelwerk des Unternehmens einweisen kann (Brenner u. Brenner 2001). Zudem kann er dem Mitarbeiter helfen, sich möglichst reibungslos in die neue soziale Gruppe zu integrieren.
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Bei der Auswahl eines geeigneten Mentors ist Folgendes zu beachten werden: Zum einen sollte es sich um einen möglichst erfahrenen Mitarbeiter handeln, der menschlich aufgeschlossen und verständnisvoll ist und von seinen Arbeitskollegen akzeptiert wird. Er sollte eine positive Einstellung gegenüber der Arbeit und dem Unternehmen haben (Golas 1997). Zum anderen sollte die Übernahme einer Patenschaft freiwillig geschehen, da sonst kaum das nötige Engagement vorhanden sein wird, um dem „Neuen“ wirklich eine Hilfe zu sein (Brenner u. Brenner 2001). Damit sich eine positive, vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Mentor und dem neuen Mitarbeiter entwickeln kann, muss genügend Zeit und Freiraum zur Verfügung gestellt werden. Im Wirtschaftsraum China ist zudem die soziale Hierarchiestruktur in der Firma zu berücksichtigen, Pate und neuer Mitarbeiter sollten ungefähr gleiches Alter und eine vergleichbare Position im Unternehmen bekleiden, da sonst zu befürchten ist, dass aufgrund eines drohenden Gesichtsverlusts keine einzige Frage gestellt wird. Kommt der Pate nicht aus demselben Kulturraum wie der neue Mitarbeiter, muss auch er im Vorfeld kulturell sensibilisiert werden. Bekanntmachung mit Kollegen Vor Arbeitsbeginn des neuen Mitarbeiters sollten seine zukünftige Kollegen über den Eintritt und den Werdegang ihres neuen Kollegen informiert werden, damit sie sich auf ihn einstellen können. Am ersten Tag wird es für den „Neuen“ einfacher sein, sich in der Umgebung zurecht zu finden, wenn die anderen Kollegen bereits wissen, wer er ist und welche Funktion er ausfüllt. Im chinesischen Wirtschaftsraum ist diese Vorgehen besonders sinnvoll, da hier die Beziehungen untereinander (Guanxi) eine andere Rolle spielen als in Deutschland. Grundsätzlich teilen Chinesen ihre soziale Umwelt in zwei Ebenen ein: „Wir“ (shou-ren; „Innenmenschen“) und die „Anderen“ (sheng-ren; „Außenmenschen“) - was auch oft als innere und äußere Gruppe bezeichnet wird. Zur inneren Gruppe gehört die Familie, die den Kern darstellt, sowie Freunde, Verwandte, Bekannte und Arbeitskollegen. Zu der äußeren Gruppe“ zählen alle Personen, zu denen keine Beziehung besteht, wie bspw. zu Fremden auf der Straße (Staufenbiel et al. 1997). Persönliche Kontakte werden in China zu Netzwerken ausgebaut und beruhen auf der Wechselseitigkeit des Gebens und Nehmens. Während die innere Gruppe auf einer vertrauensvollen Basis ruht, wird den „Außenmenschen“ eher Skepsis und Distanz entgegen gebracht. Eine Vorstellung des neuen Mitarbeiters via Intranet, Unternehmenszeitschrift oder Aushang am schwarzen Brett ist grundsätzlich empfehlenswert. Hier kann auch ein Foto veröffentlicht werden. Am ersten Arbeitstag sollte eine persönliche Vorstellung der Mitarbeiter mit Angabe von Namen, Alter und Position im Unternehmen stattfinden. In einem kleinen bzw. mittelständischen Unternehmen müsste dies aufgrund der geringeren Anzahl an Mitarbeitern zeitlich eingerichtet werden können. So kann sichergestellt werden, dass der „Neue“ in die Gruppe der „Innenmenschen“ aufgenommen wird und er selbst anhand der Anga-
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ben zu Alter bzw. Positionen die Rangordnung der einzelnen Mitarbeiter im sozialen Hierarchiegefüge einschätzen kann. Informelle Veranstaltungen Gemeinsame Mittagessen, Stammtische, Betriebsausflüge, Abteilungsfeste oder sonstige Freizeitaktivitäten tragen in erster Linie zur Schaffung eines „WirGefühls“ bei und fördern die soziale und werteorientierte Einarbeitung und Integration. Dem neuen Mitarbeiter wird die Möglichkeit gegeben, seinen Vorgesetzten und seine Kollegen außerhalb des Arbeitsumfeldes kennen zu lernen. Derartige Veranstaltungen verbessern die Kommunikation im Team (Brenner u. Brenner 2001). Auch bei Veranstaltungen außerhalb des Arbeitsumfeldes sind kulturelle Gepflogenheiten nicht außer Acht zu lassen. So dient in China bspw. das Mittagessen in erster Linie der bewussten Nahrungsaufnahme. Geschäftliche Themen sollten in diesem Fall nicht angesprochen werden (Seelmann-Holzmann 2004). Kunden- und Lieferantenbesuche Besuche bei Kunden und Lieferanten dienen dem neuen Mitarbeiter zum Kennenlernen externer Geschäftspartner. Zusammenhänge werden besser verstanden, wenn man sie aus dem Blickwinkel von Kunden bzw. Lieferanten betrachtet. Der Mitarbeiter sollte vor seinen Besuchen Informationen über die externen Ansprechpartner sowie über evtl. laufende Projekte erhalten. Bei den ersten Besuchen empfiehlt sich die Begleitung von erfahrenen Kollegen (Brenner u. Brenner 2001). Die Einführung in bereits bestehende Geschäftskontakte durch einen anerkannten Kollegen ist besonders im chinesischen Wirtschaftsraum bedeutsam. Wie bereits ausgeführt, entwickeln sich in diesem Land Geschäfte vor allem durch bereits bestehende Beziehungen. Die Einführung durch einen bewährten Geschäftspartner in eben dieses vertrauensvolle Beziehungsgeflecht ist eine wertvolle Zukunftsinvestition (Staufenbiel et al. 1997).
1.1.2
Vermittlung von firmenspezifischem Wissen
Gerade im Bereich der Dienstleistungserstellung werden Mitarbeiter mit Kundenkontakt als Indikator für die Qualität der Leistung herangezogen. Es ist daher von besonderer Bedeutung, neuen Mitarbeitern fundierte Kenntnisse über das Unternehmen und sein Aufgabengebiet zu vermitteln, um so auf Kundenseite Kaufunsicherheiten zu vermeiden (Sichtmann et al. 2007). Nach einer erfolgreichen fachlichen und werteorientierten Einarbeitung soll der neue Mitarbeiter: x die Dienstleistung und seine damit verbundenen Aufgaben genau kennen,
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x die Normen; Werte und die Philosophie des Unternehmens verinnerlicht haben und im Sinne des Unternehmens agieren, x durch das Vorhandensein eines Beziehungsgeflechts. eine Loyalität und Bindung zum Unternehmen aufweisen. Das firmenspezifische Wissen umfasst nicht nur die fachliche Einarbeitung, die größtenteils durch Training on the Job oder Schulungen vollzogen wird. Es sind ebenfalls die Unternehmensziele und Werte sowie die Corporate Identity zu verinnerlichen (Brenner u. Brenner 2001).
1.1.3
Vermittlung von firmenspezifischem Wissen mittels E-Learning
Die TÜV Rheinland Akademie GmbH hat sich bei der Entwicklung von Konzepten zur optimalen Einarbeitung neuer Mitarbeiter im Ausland mit der Möglichkeit beschäftigt, firmenspezifisches Wissen in einem E-Learning-Training3 abzubilden. Der Hauptgedanke dabei war, dass neuen Mitarbeitern im Ausland die Chance gegeben wird, sich unabhängig von Zeit und Ort spielerisch mit dem Unternehmen zu beschäftigen. So können innerhalb der ersten Arbeitswochen oder schon vor Arbeitsantritt Einblicke gewährt werden, die sonst erst im Laufe der Zeit gesammelt werden könnten. Eine aufwendige Seminarorganisation und vor allem hohe Reisekosten entfallen. Ein Vorzug, dem man bei der Einarbeitung neuer Mitarbeiter im Ausland Beachtung schenken sollte. Im Training werden alle firmenspezifischen Daten vermittelt, die für das jeweilige Unternehmen zur Einarbeitung neuer Mitarbeiter im Ausland von Bedeutung sind. Die zentralen Elemente der Corporate Identity (unternehmerisches Verhalten, Design, Kommunikation und Leistung) können hier ebenso erarbeitet werden, wie die Dienstleistungen in ihren Prozessabläufen. Welche Informationen dem neuen Mitarbeiter zur Verfügung gestellt werden, ist durch die Unternehmen im Einzelfall zu entscheiden. Eine Auswahl an verschiedenen Themen ist in der nachfolgenden Abbildung 1 aufgelistet.
3
E-Learning: elektronisch unterstütztes Lernen
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Mögliche Inhalte eines E-Learning Moduls zur Einarbeitung neuer Mitarbeiter im Ausland x x
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Vorwort/Begrüßung des neuen Mitarbeiters Einführung Inhaltlicher Überblick Benutzerhinweise Kontakt und Support Vorstellung des Unternehmens Unternehmensgeschichte, Unternehmenszweck, Unternehmenswerte, Unternehmensphilosophie Leitbild, Logo/Slogan Visionen/Strategien für die zukünftige Arbeit Vorstellung der Dienstleistung Beschreibung der Dienstleistung Darstellung des kompletten Leistungserstellungsprozesses (Schnittstellen etc.) Darstellung von speziellen Service Produkten Qualitätsstandards Stellenbeschreibung Ziele, Aufgaben Kompetenzen, Entscheidungsbefugnisse Weisungsbefugnisse, Stellvertreter Ansprechpartner Mitarbeiterprofile Kontaktdaten (Standort, Anschrift, Telefon, Abteilung, EMail, wann und wie erreichbar) Organigramme (des Mutterkonzerns, der Auslandsniederlassung, anderer Standorte) Kommunikation nach Außen Corporate Design o Briefpapier (mit AGB, nur Logo, Bankverbindung....) o Formulare, Rechnungsvordrucke, Visitenkarten.... Corporate Behaviour o Begrüßung am Telefon, E-Mail Etikette x Anspruchsgruppen nach Außen Das sind unsere Kunden Das sind unsere Lieferanten Betriebsvereinbarungen Formulare Gebrauchsanweisungen Kurzunterweisungen Arbeitsschutz, Hygienevorschriften, Datenschutz
Abb. 1. Mögliche Inhalte des E-Learning Moduls zur Einarbeitung neuer Mitarbeiter im Ausland
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Bei der Umsetzung der unternehmensspezifischen Informationen in ein ELearning-Training bietet sich die Verwendung eines Autorentools4 an, das eine schnelle und einfache Erstellung von Lerneinheiten ohne umfassende Programmierkenntnisse erlaubt. Ein solches Tool kann ein Mitarbeiter des eigenen Unternehmens nach der Teilnahme an einer Anwenderschulung selbständig bedienen, um Schulungsunterlagen für das E-Learning zur Vermittlung firmenspezifischen Wissens zu erstellen. Änderungen oder Ergänzungen können jederzeit eingegeben werden. Das Tool ist kosten- und zeiteffizient, bietet allerdings nur begrenzte Möglichkeiten der Interaktion und Testerstellung. Eine solche Form der Erstellung von Lerninhalten ist unter dem Begriff „Rapid E-Learning“ bekannt geworden. In der schnelllebigen Geschäftswelt, in der binnen weniger Tage neues Wissen an Mitarbeiter oder Geschäftspartner vermittelt werden muss, bietet dieses Tool vielfältige Einsatzmöglichkeiten (Payome 2004). Zur Erstellung E-Learning Trainings gibt es zwei Bearbeitungswege: x Das Unternehmen erstellt selbständig ein Training. Voraussetzung ist die Teilnahme an einer Schulung, welche die Möglichkeiten und Handhabung der Software erklärt und Einblicke in didaktische Grundvoraussetzungen gewährt. Die Teilnehmer werden so in die Lage versetzt, eigenständig Inhalte in ein Autorentool einzupflegen. Das Unternehmen wird auf diese Weise befähigt, direkt auf Änderungen zu reagieren, indem E-Learning-Inhalte schnell und unkompliziert ausgetauscht oder verbessert werden können. x Der Auftrag für die Erstellung des Trainings wird einer Fremdfirma übertragen. Im Rahmen des IDEE-Projektes wurde das Konzept zur Vermittlung firmenspezifischer Daten durch E-Learning mit einem Pilotunternehmen erprobt (Pilotprojekt). Das Unternehmen produziert und vertreibt weltweit biotechnologische Produkte, unter anderem auch in China. Entwickelt wurden zwei Module: Ein technisches Training (Demontage einer Zentrifuge), um zu überprüfen inwiefern sich E-Learning auch in diesem Bereich bewährt sowie ein Willkommensmodul für neue Mitarbeiter in China. Das Willkommensmodul beinhaltet die Geschichte des Unternehmens, den heutigen Stand auf dem Weltmarkt, die Unternehmensphilosophie und nennt relevante Kontaktpersonen. Beide Schulungen umfassen lediglich einen Ausschnitt möglicher Themen.
1.1.4
Auswertung des Pilotprojekts und Rückschlüsse
Die Methode E-Learning eignet sich sehr gut als Schnittstelle zum Wissensmanagement, bei dem es ebenfalls darum geht, vorhandenes unternehmensspezifisches Wissen zu erschließen und Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen. Während das Wissensmanagement jedoch die Informationen nur zur Verfügung stellt, kann es in einem E-Learning Tool eingebunden, noch effektiver weitergegeben werden, 4
Ein Autorentool ist ein Entwicklungswerkzeug für interaktive Anwendungen.
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weil hier die didaktische Aufbereitung bspw. durch Testfragen einen zusätzlichen Lernanreiz beinhaltet (Back 2001). Allerdings enthalten Rapid E-Learning Tools, wie bereits erwähnt, nur begrenzte und recht einfache Elemente der Erfolgskontrolle (Payome 2004). Dies wurde von den Mitarbeitern des Pilotunternehmens als Nachteil empfunden. Die Lernerfolgskontrollen wirken oft starr und lassen ein aktives Lernverhalten der Teilnehmer nur selten zu. Die Auswahl eines geeigneten Autorentools sollte nach sorgfältiger Überprüfung der verschiedenen Funktionalitäten erfolgen. Bei der Erstellung von technischen Trainingseinheiten sind andere Funktionen erforderlich, als bei der Vermittlung von Daten zur Unternehmensgeschichte. So wäre bspw. bei einer Gebrauchsanweisung für eine Demontage eines Geräts das Vorhandensein einer Lupenfunktion von Vorteil, mit deren Hilfe man in ein Bild hinein zoomen und so selbst winzige technische Details, wie Schrauben, sichtbar machen kann. Als durchweg positiv wurde erachtet, dass auf technische Neuerungen schnell und unkompliziert reagieren werden kann. Verändert sich bspw. durch die stetige Weiterentwicklung ein technisches Produkt, so kann man sofort reagieren und den weltweit verteilt arbeitenden Mitarbeitern, die verbesserten Schulungen zukommen lassen. Die Erstellung von Lerneinheiten durch Rapid E-Learning ist zeit- und kostengünstig. Dennoch sollte bei der Erstellung der ersten E-Learning Schulung ein genügend großer Zeitpuffer eingeplant werden. Testphasen und Probeläufe sowie darauf basierende Überarbeitungen beanspruchen oft mehr Zeit als zunächst veranschlagt. Wird das Modul durch einen Fachexperten innerhalb der Firma erstellt, so sind im Vorfeld Regelungen zu treffen, damit diesem genügend Zeit und Freiraum zur Verfügung gestellt wird. Da gerade bei kleineren und mittelständischen Unternehmen bestimmte Tätigkeiten nur von einer Person ausgeführt werden, muss vorab geklärt sein, wer in der Zwischenzeit diesen Kollegen vertreten kann. Ein ähnliches Problem ergibt sich später bei Anwendung des E-LearningTrainings in der Praxis. Bevor E-Learning in einem Unternehmen eingeführt wird, ist zu klären , wer die Vertretung während der Lernphasen übernehmen kann. Für in ihrer Freizeit lernende Mitarbeiter müssen Regelungen über Freizeitausgleich getroffen werden (Beer et al. 2006). Die Akzeptanz für das Thema E-Learning sollte insbesondere auf der Seite der Geschäftsführung vorhanden sein, damit genügend Ressourcen, vor allem personeller Einsatz, zur Verfügung gestellt werden. Die Skepsis von Mitarbeitern in KMU gegenüber E-Learning ist immer noch relativ hoch. Die Angst mit dem Medium Computer nicht zu recht zu kommen und in einer Problemsituation allein zu sein, erweisen sich als Hemmschwellen das Medium Computer zur Aufbereitung von Schulungsthemen einzusetzen. Die bekannten Lehrmethoden in einem Präsenzunterricht sind vertraut und die Vorteile der sozialen Integration in einer Lerngruppe nicht von der Hand zu weisen. Dennoch gibt es viele Argumente die für E-Learning sprechen. So kann sich bspw. jeder individuell nach seinem eigenen Lerntempo durcharbeiten und muss weder auf
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langsamere Teilnehmer Rücksicht nehmen, noch verpasst er Unterrichtsstoff, weil er nicht hinter her kommt (Graf u. Gründer 2003). Mitarbeitern kann die Skepsis genommen werden, indem ihnen eine Ansprechpartner genannt wird, die in technischen oder inhaltlichen Fragen konsultiert werden kann. Je nach Umfang des Trainings sollte eine umfassende, regelmäßige Betreuung durch einen Tutor vorgesehen werden. Dieser macht die Mitarbeiter in einer Einführungsveranstaltung mit der technischen Lernumgebung und dem Training vertraut und gibt den Teilnehmern Tipps zum selbständigen Lernen an die Hand. Während der Lernphasen kann der Tutor außerdem bei Bedarf Rückmeldungen geben und nach den Befindlichkeiten und Unterstützungswünschen der Lernenden fragen. Auch während des E-Learning-Trainings können immer wieder Hilfestellungen gegeben werden. Über die Funktionalität einer Guided Tour gibt es unterschiedliche Meinungen: Unsere Erfahrungen in diesem Bereich zeigen jedoch, dass eine geführte Demonstration zu allen Funktionen des Trainings am Anfang der Schulung dem Teilnehmer zu einem sichereren Umgang mit diesem Medium verhilft. Gerade Teilnehmer, die zuvor noch keinen Kontakt mit E-Learning gehabt haben, werden für eine solche Hilfestellung dankbar sein. Videokonferenzen oder Einführungsveranstaltungen erfüllen den gleichen Zweck - hier kommt jedoch die Möglichkeit der direkten Nachfrage hinzu. Hilfreich ist auch die Bereitstellung von Tipps zum Lernverhalten innerhalb des Trainings. Wird eine Schulung für den Wirtschaftraum China entwickelt, so muss berücksichtigt werden, dass nicht alle Mitarbeiter in gleichem Maße der englischen Sprache mächtig sind. Im besten Fall sollte die Schulung auf Chinesisch erfolgen oder aber zumindest einen sehr einfachen, verständlichen Satzbau benutzen. Zusätzliche Schwierigkeiten können mit dem Verständnis der Schriftzeichen auftreten, da in der chinesischen Schrift andere Schriftzeichen verwendet werden. Lokale Mitarbeiter, falls bereits vorhanden, sollten in die Ausgestaltung eines Trainings mit einbezogen werden. So können die Bedingungen vor Ort am ehesten berücksichtigt werden. Ein Modul, das einem neuen Mitarbeiter das Unternehmen vorstellt, sollte nicht nur die bereits vorhandenen Strukturen, Visionen und Ziele des Mutterhauses in Deutschland darstellen, sondern vor allem die lokalen Strukturen vor Ort berücksichtigen. Es wird den neuen Mitarbeiter besonders interessieren, wo sich das Office z.B. in Shanghai befindet und erst in zweiter Linie, wo der Standort des Mutterhauses ist. Da in China die Mitarbeiterfluktuation enorm hoch ist, verzichtet man am Besten auf die Angabe von konkreten Personen, damit das Modul nicht ständig neu überarbeitet werden muss. Es bietet sich in diesem Fall an, die jeweiligen Institutionen und nicht die konkreten Personen anzugeben Dass die Schulungen den Anwendern auch später noch zur Verfügung stehen, wird im Allgemeinen positiv beurteilt. So kann das Wissen jederzeit nachgeschlagen und wieder aufgefrischt werden. Nachdem sich dieses Kapitel mit der Einarbeitung neuer Mitarbeiter im Ausland befasst hat, wird sich das folgende Kapitel mit der Fort- und Weiterbildung
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von Mitarbeitern in Deutschland beschäftigen, die entweder auf einen bevorstehenden Auslandseinsatz vorbereitet werden müssen, oder in der Planungsphase für das Gelingen eines Dienstleistungsexports verantwortlich sind.
2 Qualifizierungsbausteine für international tätige Fach- und Führungskräfte Der Erfolg einer Internationalisierung von Dienstleistungen hängt nicht nur von der Auswahl und Einarbeitung neuer Mitarbeiter ab. Bereits während der Planungsphase müssen wichtige Entscheidungen darüber getroffen werden, wie das Auslandsengagement gestaltet wird. Neben Themen wie Markterschließung spielen auch so genannte „softe“ Themen, wie die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Kulturen, eine große Rolle. In der Vergangenheit sind Internationalisierungsbestrebungen vielfach gescheitert, weil in Fragen des interkulturellen Managements Fehler gemacht wurden. Schulungen, Konferenzen und Fachtagungen bieten den Entscheidungsträgern Einsicht in die verschiedensten Themengebiete und tragen so zu einem guten Gelingen des Exports bei. Im Folgenden werden Schulungen aufgeführt, die Entscheider, Geschäftsführer und Fachpersonal von KMUs bei der Informationsbeschaffung und der Organisation der Dienstleistungsinternationalisierung unterstützen.
2.1 Erschließung internationaler Märkte In der von der TÜV Rheinland Group unternehmensintern durchgeführten Studie zu den Faktoren einer erfolgreichen Internationalisierung wurde eine sorgfältige Vorbereitung auf den Auslandsmarkt als besonders erfolgsrelevant genannt. Zur Einschätzung des Marktpotenzials wurden von den Befragten Marktanalysen und beobachtungen genutzt. Fehlende Marktkenntnisse und schwierige Markteinschätzung haben zu Problemen innerhalb der Projekte geführt. Die Erfolgsfaktorenanalyse der FU Berlin kommt zu einem ähnlichen Ergebnis (Sichtmann 2007). Insbesondere im asiatischen Raum sind Unternehmen bei der Internationalisierung ihrer Dienstleistungen dann erfolgreicher als andere Unternehmen, wenn sie vorab eine intensive Marktforschung betrieben haben. Jedem, der vor der Entscheidung steht neue ausländische Märkte zu erschließen, stellt sich zunächst die Frage, mit welcher Dienstleistung er in welchen Markt eintreten will oder wie seine Dienstleistung auf dem Markt platziert werden kann. Dabei müssen aktuelle Trends berücksichtigt und Produkt-Markt-Abgleiche vollzogen werden. Nach der Entscheidung für einen geeigneten Zielmarkt, muss eine Auseinandersetzung mit der passenden Markteintrittsstrategie stattfinden . Ist eine langsame Herantastung an einen Markt unter dem Aspekt der Risikominimierung erforderlich oder ein langfristiges Enga-
Schulung als Voraussetzung einer erfolgreichen Internationalisierung
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gement in Form einer Niederlassung zu bevorzugen? Entscheidend für den Markterfolg ist auch, wie eine Dienstleistung zukünftig vermarktet wird. In der Regel ist es nicht möglich die bisherigen Marketingaktivitäten in gleicher Form auf neue überregionale Markträume zu übertragen.
Schulungsinhalte "Erschließung internationaler Märkte" x
Internationale Marktforschung Welche Themen, Probleme und Fragestellungen sind im Rahmen einer Internationalisierung von Interesse? Welche Informationsquellen und Erhebungsmethoden stehen zur Verfügung? Welche Quellen und Methoden sollten bei einem internationalen Projekt sinnvoller Weise eingesetzt werden? Welche Besonderheiten sind bei einem internationalen Marktforschungsprojekt zu berücksichtigen, zusätzliche Einflussfaktoren, die bei der Marktforschung im Heimatmarkt nicht existieren.
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Erschließung neuer Märkte Welche strategischen Optionen stehen bei der Erschließung neuer Märkte zur Verfügung? Welche Märkte kann und sollte ich erschließen? Wie gelingt ein erfolgreicher Eintritt in neue Märkte? Marktbearbeitung: Differenzierung vs. Standardisierung?
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Internationales Marketing Markenführung im internationalen Marketing. Wie kann und muss ich das operative Marketing bei einer Internationalisierung anpassen?
Abb. 2. Schulungsinhalte "Erschließung internationaler Märkte"
Die Anpassung des Vertriebs an die Gegebenheiten vor Ort wird in der von der TÜV Rheinland Group durchgeführten Erfolgsfaktorenanalyse von fast allen Beteiligten als besonders erfolgsrelevant eingeschätzt (Zangemeister 2009). Ein vorbereitendes Seminar zum Thema Erschließung internationaler Märkte sollte daher die Herausforderungen, Strategien sowie Aufgaben des internationalen Marketings aufzeigen. Weiterhin sollte es Informationen vermitteln, welche Vertriebswege sich für den jeweiligen ausländischen Markt eignen. Entsprechende Schulungsinhalte sind in Abbildung 2 aufgeführt.
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Schulungsinhalte "Kaufmännische Grundlagen von Auslandsgeschäften" x x x
Unterschiede zwischen Inlands- und Auslandsgeschäften Chancen & Risiken des Auslandsgeschäftes Marketing und Werbung für Dienstleistungen im Ausland Teilnahme an Messen Direktmarketing etc. x Internationale Kooperationen und Zusammenarbeit Berücksichtigung kultureller Unterschiede Besonderheiten bei der Entsendung von Mitarbeitern für Auslandsprojekte x Außenwirtschaftsförderung x Abgabe von Angeboten Kostenfaktor bei der Preisgestaltung x Finanzierung von Auslandsgeschäften Zahlungsbedingungen im Auslandsgeschäft Vorauszahlungen, Anzahlungen Zahlung mit vereinbartem oder offenem Zahlungsziel x Absicherung von Auslandsforderungen Bonitätsprüfungen im Ausland Kreditversicherungen Kurs- und Währungsrisiken x Maßnahmen bei drohenden oder eintretenden Zahlungsverzögerungen Eintreiben von Auslandsforderungen Durchsetzung seiner Rechte vor Gericht x Zoll, Steuern und sonstige Abgaben
Abb. 3. Schulungsinhalte "Kaufmännische Grundlagen von Auslandsgeschäften"
2.2 Kaufmännische Grundlagen von Auslandsgeschäften Die Aufnahme internationaler Geschäftsbeziehungen wird von einer Vielzahl von Hürden begleitet, denn gerade im kaufmännischen Bereich ergeben sich viele Fragestellungen zu finanziellen und steuerrechtlichen Angelegenheiten. Ist mit der Erbringung einer Dienstleistung im Ausland eine Versendung von Gütern verbunden, so sind zusätzlich zollrechtliche Bestimmungen zu berücksichtigen. Ein Seminar zu diesem Thema sollte Chancen und Risiken von Auslandsgeschäften aufzeigen. Themen wie Auslandsmarketing und Vertriebswege müssen ebenso angesprochen werden wie Kooperationen mit ausländischen Partnern. Neben den allgemeinen Fragen der Angebots- und Preisgestaltung sollte insbesondere der internationale Zahlungsverkehr im Mittelpunkt stehen. Wenn man nach einem erfolgreichen Geschäftsabschluss mit Zahlungsverzögerungen konfrontiert
Schulung als Voraussetzung einer erfolgreichen Internationalisierung
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wird, sollte man nach der Teilnahme an einem Seminar wissen, welche Mittel und Wege offen stehen, um die ausstehenden Zahlungen zu erhalten. Da die im Zielmarkt anerkannten Werte und Normen einen großen Einfluss auf das Geschäft und den Marktbedarf haben, muss sich im Vorfeld auch mit diesen Themen auseinandergesetzt werden (Zangemeister 2009).
2.3 Internationales Vertragsrecht Unternehmen, die ihre Dienstleistungen auch im Ausland anbieten möchten, benötigen zur Absicherung ihrer Auslandsgeschäfte solides Rechts-Know-how. Denn im internationalen Geschäftsverkehr gelten zum Teil erheblich abweichende gesetzliche Regelungen. Bei grenzüberschreitenden Verträgen sind nicht unbedingt deutsche Gerichte zuständig. Deshalb muss mit ausländischen Partnern nicht nur über die Dienstleistung verhandelt werden, sondern auch über die rechtlichen Rahmenbedingungen (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit 2004). Ein Seminar zu diesem Thema (vgl. Abb. 4) sollte Kenntnisse darüber vermitteln, wie internationale Verträge juristisch zu prüfen und so zu formulieren sind, damit Rechtsstreitigkeiten möglichst vermieden werden. Es sollten Einblicke in Vertragsklauseln gewährt werden, die die Teilnehmer in die Lage versetzen, sich mit ihrem Vertragspartner auf ein anwendbares Recht und den Gerichtsstand zu einigen. Sollte es dennoch einmal zu einem Rechtsstreit kommen, so können durch eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Thema Interessen gewahrt und drohender Schaden vom Unternehmen abgewandt werden.
2.4 Internationales Projektmanagement Die Vorbereitung und Durchführung von internationalen Projekten erfordert eine andere Herangehensweise als dies auf nationaler Ebene der Fall ist. Projektpartner und Mitarbeiter im Ausland haben unter Umständen andere Vorstellungen von Abläufen, Problemlösungen und Arbeitsstilen. Bisher eingesetzte Methoden und Instrumente müssen ggf. abgewandelt oder ersetzt werden. Setzt sich das Team aus Mitgliedern zusammen, die in unterschiedlichen Ländern agieren, so erfordert dies eine Auseinandersetzung mit neuen, meist computergestützten Kommunikationsstrukturen. Der Austausch via Internet, E-Mail, Videokonferenz oder virtuellem Klassenraum bietet hier Chancen.
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Schulungsinhalt "Internationales Vertragsrecht" x
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Internationale Wirtschaftsverträge Allgemeine Grundlagen (Sprache, Rechtstradition) Typische Klauseln o Präambel, Definition, Rahmenvertrag o Allgemeine Leistungs- und Verhaltenspflichten o Rechtswahlklauseln o Gerichtsstandsklauseln Unterschiedliche Vertragstypen Einkaufs- und Vertriebsverträge Qualitätsvereinbarungen Grundlagen des internationalen Privatrechts Die Wahl des Rechts Argumente gegenüber den Vertragspartnern Vertragsverhandlungen im internationalen Bereich Vertragsgegenstand, -gestaltung und -abschluss Besonderheiten beim Vertragsabschluss über das Internet Praktische Überlegungen bei Streitigkeiten vor ausländischen Gerichten Gerichtliche Auseinandersetzungen im Ausland – wer hilft? Vollstreckbarkeit von Urteilen Praxisbeispiele Vertragsverhandlungen, Fehlerquellen, Haftungsfallen
Abb. 4. Schulungsinhalt "Internationales Vertragsrecht"
Erfahrungen von Unternehmen, die eine erfolgreiche Internationalisierung durchgeführt haben, zeigen jedoch, dass nicht nur eine reibungslos funktionierende elektronische Kommunikation eine wesentliche Erfolgsvoraussetzung ist. Vielmehr darf darüber hinaus auch der persönliche Erfahrungsaustausch - insbesondere in kritischen Projektabschnitten - nicht vernachlässigt werden (Zangemeister 2009). Neben fachlicher Kompetenz gehört zum internationalen Projektmanagement daher ebenso das Wissen um kulturell bedingte Unterschiede in Denk- und Handlungsweisen. Dieses Wissen sollte in das Denken und Handeln in internationalen Projekten mit einbezogen werden. Ziel eines entsprechenden Seminars ist es daher, Wege aufzuzeigen, wie man kulturadäquat und zielorientiert Handlungsstrategien entwickelt, um interkulturell bedingte Reibungsverluste zu vermeiden und Synergiepotenziale zu nutzen (vgl. Abb. 5).
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Schulungsinhalt "Internationales Projektmanagement" x x
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Besonderheiten des internationalen Projektmanagements: Einfluss von Kultur und räumlicher Verteilung auf die internationale Zusammenarbeit Auftragsklärung Begrifflichkeiten Kunden- Lieferanten- Verhältnis Ergebnissicherung Unterscheidungsmerkmale zwischen Kulturen Unterschiedliche Kommunikationsmuster Arbeits- und Führungsstile Einfluss von Subkulturen Kommunikation im Projekt Besprechungen moderieren Unterschiedliche Kommunikationsmedien nutzen Gespräche führen Verständnis sichern Im multikulturellen Team zusammenarbeiten Verständnis eines effektiven Teams klären Vertrauen aufbauen Teamentwicklungsphasen Unterschiedliche Arbeits- und Planungsstile verstehen und gemeinsame entwickeln Umgang mit Konflikten Ursachen für Konflikte und Möglichkeiten der Vermeidung einer Konflikteskalation Instrumente zur Analyse interkultureller Einflussfaktoren in Ergänzung zu klassischen Einflussfaktoren SWOT-Analyse5 Netzplan Umfeldanalyse Matrix Risikomanagement Risikoverständnis Projektevaluation Feedback
Abb. 5. Schulungsinhalt "Internationales Projektmanagement" SWOT Analyse: Engl. Abk. für Strengths, Weakness, Opportunities and Threaths. Strategisches Management Instrument, welches die innerbetrieblichen Stärken und Schwächen, sowie externe Chancen und Gefahren betrachtet, die das Unternehmen betreffen.
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2.5 Interkulturelles Training Zusammenarbeit über kulturelle Grenzen hinweg erfolgreich zu gestalten, erfordert Einfühlungsvermögen sowie eine positive Einstellung und Offenheit gegenüber anderen Kulturen. Durch fundiertes Hintergrundwissen über vorhandene, kulturell bedingte Unterschiede können bereits in der Planungsphase Missverständnisse und Problemfelder ausgeräumt werden. Die im Rahmen des IDEEProjekts durchgeführte Erfolgsfaktorenanalyse der FU Berlin zur Internationalisierung von Dienstleistungen kommt in diesem Zusammenhang zu folgendem Ergebnis: Die interkulturelle Kompetenz von Führungskräften trägt maßgeblich zur Gesamtzufriedenheit aller Beteiligten in einem Internationalisierungsprojekt bei und stellt eine bedeutende Voraussetzung für eine Internationalisierung dar. Entsprechend kompetente Führungskräfte sind für die erfolgreiche Planung der Internationalisierung verantwortlich und müssen als Problemlöser in entscheidenden Momenten kulturadäquat agieren (Zangemeister 2009). Neben der Zielgruppe der Führungskräfte sollten selbstverständlich auch Mitarbeiter, die in fremde Länder gesendet werden, an einem interkulturellen Training teilnehmen. Neben allgemeinen interkulturellen Trainings existieren spezifische Trainings, welche auf ein bestimmtes Land zugeschnitten wurden. Ein allgemeines Training vermittelt die Grundlagen interkultureller Kompetenz. Hier werden unterschiedliche Kulturtheorien6 erklärt und Erfahrungen gesammelt, wie mit fremden Verhaltensweisen und Einstellungen umgegangen werden sollte. Die Methoden in einem interkulturellen Training sind auf Kompetenzentwicklung und Erweiterung des Handlungsspielraumes gerichtet. Gezielte Fallbeispiele und Rollenspiele ermöglichen die Erprobung von Situationen und Spannungsfeldern, die in der internationalen Zusammenarbeit auftauchen können. Der Teilnehmer wird befähigt, in mehrdeutigen Situationen die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ein integriertes Konfliktmanagement bereitet die Teilnehmer darauf vor, in schwierigen Situationen angemessen zu reagieren. Die Teilnahme an einem allgemeinen interkulturellen Training sollte dann in Betracht gezogen werden, wenn Geschäftskontakte in verschiedene Länder bestehen oder wenn in einem multinationalen Team gearbeitet wird. Die Relevanz eines interkulturellen Trainings wird, wie bereits in Kapitel 4.1 erwähnt, häufig unterschätzt. Eine Bewertung zu der auch die Befragten der Erfolgsfaktorenanalyse der TÜV Rheinland Group gelangt sind. Deren Erfahrungen zeigen, dass es vor allem im Vorfeld der Internationalisierung häufig an Sensibilität für kulturelle Unterschiede mangelt (Zangemeister 2009). Dabei gibt es gerade für Dienstleistungsunternehmen einige Faktoren, die ein solches Training notwendig erscheinen lassen: Aufgrund der Immaterialität der Dienstleistung ist die nutzenstiftende Wirkung für den Kunden nicht direkt erfahrbar, was zu einer höheren Erklärungsbedürftigkeit der Leistung führt. Ebenso wird das Mitarbeiterverhalten vom Kunden als unmittelbare Qualitätsdeterminante 6
Kulturtheorien beschäftigen sich mit der Messbarkeit von Kulturunterschieden, wie etwa Individualismus vs. Kollektivismuss, Machtdistanz, etc.
Schulung als Voraussetzung einer erfolgreichen Internationalisierung
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wahrgenommen. Um Unsicherheiten auf der Nachfragerseite zu vermeiden und Erwartungen und Wünsche des Kunden erfassen zu können, ist es notwendig sich mit der Kultur der Kunden auseinander zu setzen. Zu diesem Ergebnis kam auch die Erfolgsfaktorenanalyse der FU Berlin. Wichtige Schulungsinhalte für ein entsprechendes Seminar sind in Abbildung 6 aufgeführt.
Schulungsinhalt "Interkulturelles Training" x x x x x
Die Rolle von Kultur im Arbeitsalltag: Kulturelle Sozialisation und andere Einflussfaktoren auf unsere Wahrnehmung und unser Verhalten Was passiert in der interkulturellen Zusammenarbeit? Erkundung und Reflexion der Dynamik interkultureller Unterschiede Überblick über unterschiedliche Werthaltungen und Denkweisen in verschiedenen Regionen der Welt Kennenlernen ausgewählter Kulturdimensionen zu Kommunikationsmustern, Führungs- und Arbeitsstilen Konflikte in der internationalen Zusammenarbeit erkennen, verstehen, bewältigen: Konfliktursachen und -signale in unterschiedlichen Kulturen erkennen Verschiedene Arten von Konflikten kennenlernen Interkulturelle Einflussfaktoren von Konflikten Unterschiedliche Konfliktlösungsstile und -strategien Reflektion eigener Konfliktlösungsstrategien Gemeinsamkeiten finden und entwickeln Konflikten vorbeugen Entwicklung von Konfliktlösungsstrategien in eigenen Fallbeispielen
Abb. 6. Schulungsinhalt "Interkulturelles Training"
2.6 Internationale Personalentwicklung Die Internationalisierung von Dienstleistungen setzt ein differenziertes Anforderungsprofil im Hinblick auf die Fähigkeiten der Mitarbeiter voraus. So spielt bspw. Kommunikationsfähigkeit in oder Toleranz gegenüber mehrdeutigen Situationen eine viel größere Rolle, als im Arbeitsalltag zu Hause. Unternehmen, die sich auf internationales Terrain vorbereiten, haben demnach Bedarf an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die über internationale Handlungs- und Managementfähigkeit verfügen und zudem grenzüberschreitend mobil sind. Die Mitarbeiterrekrutierung im Ausland erfordert zudem besondere Vorkenntnisse in Bezug auf die
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inhaltliche Vergleichbarkeit von Abschlüssen und Qualifizierungen der potenziellen Mitarbeiter, da sich diese teilweise von den deutschen unterscheiden oder ganz fehlen.
Schulungsinhalt "Internationale Personalentwicklung" x x
Was ist internationale Personalentwicklung? Was sind die neuen Anforderungen an ein international tätiges Personal? x Wie sieht unsere Internationalisierungsstrategie aus? Wie ist unser Selbstverständnis? x Welche Felder internationaler Personalentwicklung gibt es und welche sind für unser Unternehmen relevant? Internationale Potenzialanalyse Nachfolgeplanung Einführung neuer Mitarbeiter Entwicklungspfade Qualifizierung Job Rotation Auslandsentsendung x Kulturelle Besonderheiten der verschiedenen Standorte im Unternehmen erkennen: Wo stehen wir heute? Wo möchten wir hin? Wie können wir das erreichen? Welche Möglichkeiten der Bestandsaufnahme gibt es? x Internationale Führungskräfteentwicklungsprogramme x Übertragung von Personalentwicklungs- und Führungsinstrumenten auf andere Standorte, in andere Kulturen
Abb. 7. Schulungsinhalt "Internationale Personalentwicklung"
Interkulturelle Personalentwicklung umfasst gleichermaßen die kontinuierliche Aktualisierung der Qualifikation sowie die Optimierung der Zusammenarbeit im multinationalen Team. Eine zukunftsorientierte Personalentwicklung muss Elemente der klassischen Personalentwicklung mit internationalem/interkulturellem Know-how kombinieren.
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2.7 Arbeiten im multikulturellen Team Der größte Teil von Qualifizierungsmaßnahmen auf dem Markt richtet sich auf die Vorbereitung eines bevorstehenden Auslandsengagements. Nur wenige Angebote beziehen sich auf kleine und mittelständische Unternehmen, die bereits im Ausland tätig sind. Doch auch hier treten Probleme und Schwierigkeiten auf, wenn politische, kulturelle oder sprachliche Unterschiede zum Heimatland groß sind (Schauf 2006). In einem Team, in dem mehrere Personen aus verschiedenen kulturellen Hintergründen arbeiten, können durch unterschiedliche Erwartungen, Handlungsmuster und Arbeitsstile, Missstimmungen und Missverständnisse auftreten, die ohne Hilfe von außen nur schwer zu überwinden sind. Ein gezielter Workshop zur Teamarbeit kann hier Abhilfe schaffen. Im Unterschied zu einem Seminar geht es in einem Workshop nicht um Wissensvermittlung, sondern um die Erarbeitung von Lösungsstrategien. Dies kombiniert mit Coaching Elementen, in denen der Trainer eine individuelle Beratung von Einzelpersonen und der gesamten Gruppe vornimmt, hilft schwierige Situationen oder Gruppenkonstellationen zu überwinden. Die Teilnehmer lernen die kulturellen und persönlichen Prägungen ihrer Teamkollegen kennen und würdigen. Wenn unterschiedliche kulturelle Verhaltensweisen verstanden und eingeordnet werden können, ist eine gemeinsame Basis für ein positives, konstruktives Arbeitsklima geschaffen.
Schulungsinhalte "Arbeiten im multikulturellen Team" x Analyse der Ist-Situation im Team x Überblick über unterschiedliche Denkkonzepte und Kommunikationsmuster x Teamdynamik und Teamentwicklungsphasen x Analyse und Klärung der jeweiligen Rollen im Team x Reflexion über ein gemeinsames Teamverständnis und Entwicklung einer gemeinsamen Vision x Erarbeitung von Rahmenbedingungen für die zukünftige Teamarbeit
Regeln der Zusammenarbeit
Gemeinsame Rituale entwickeln und Identifikationssymbole finden
x Umgang mit Konflikten x Maßnahmenerarbeitung Abb. 8. Schulungsinhalte "Arbeiten im multikulturellen Team"
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Ziel sollte sein, nach einem solchen Workshop auf eine gemeinsame Teamkultur zurückgreifen zu können. Unserer Erfahrung nach ist es besser, diesen Workshop im Ausland abzuhalten, er kann aber auch im Heimatland stattfinden. Bei Gebrauch von unterschiedlichen Sprachen sollte die Veranstaltung in Englisch durchgeführt oder ein Dolmetscher hinzugezogen werden. Bei Durchführung eines Teamworkshop bietet sich im Vorfeld eine Bedarfserhebung durch Interviews mit dem Teamleiter oder den Teammitgliedern an, damit sich der Trainer besser auf die spezifische Teamsituation einstellen kann.
3 Qualifizierungsmaßnahmen für die Internationalisierung von Dienstleistungen in China Seit der massiven Öffnung zum Ausland im Jahr 1978 weist die Sozialistische Volksrepublik regelmäßig durchschnittliche Wachstumsraten von 9,9 Prozent auf (Seitz 2000). Im Jahr 2006 lag das Wirtschaftswachstum sogar bei 10,7 Prozent und damit zum vierten Mal in Folge im zweistelligen Bereich. Das macht China aus Sicht von Investoren nicht mehr nur im Hinblick auf die niedrigen Arbeitslöhne als Produktionsstandort interessant. Bei einer derartig wachsenden Wirtschaft wird dort vermutlich in den nächsten Jahren einer der attraktivsten Absatzmärkte der Welt entstehen (Taube 2004). So mutmaßen zumindest einige Unternehmer im Hinblick auf die potenziellen 1,3 Mrd. chinesischen Kunden. Allerdings erfordert der Schritt einer Internationalisierung von Dienstleistungen in den chinesischen Markt eine sehr gute Vorbereitung, da die Gegebenheiten vor Ort sich in vielen Bereichen von den deutschen unterscheiden. Schulungen, die gezielt für den chinesischen Wirtschaftsraum entwickelt oder angepasst wurden, bieten eine hilfreiche Unterstützung für diesen Schritt.
3.1 Interkulturelles Training China China ist mit rund 9,6 Mio. km² 27-mal so groß wie Deutschland und das drittgrößte Staatsgebiet nach Russland und Kanada. Seine 1,3 Mrd. Einwohner machen es zum bevölkerungsreichsten Land der Erde. Zudem kann China mit einer über 5000 Jahre alten und noch immer existierenden Kultur aufwarten, trotz der 56 verschiedenen Nationalitäten, die das „Reich der Mitte“ in sich vereint (Hirn 2006). Das Land unterliegt einem schnellen Wandel, von dem auch die kulturellen Werte betroffen sind. Im Zuge der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung (insbesondere in den Küstenregionen) verlieren traditionelle konfuzianische Werte an Gewicht. Stadt-/Landgefälle, die beeindruckende Landesgröße sowie Generationsunterschiede tragen dazu bei, dass sich die Menschen in diesem Land in unterschiedliche Richtungen entwickeln, so das Pauschalaussagen über kulturell be-
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dingte Verhaltens und Denkweisen nicht getroffen werden können. Wie bereits vorangegangenen Beitrag beschrieben, weicht die chinesische Gesellschaft im Hinblick auf ihre kulturellen Haltungen jedoch erheblich von unserer deutschen ab. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Während deutsche Mitarbeiter dazu tendieren Konflikte und Probleme in einem Gespräch zu klären, wäre dies für einen chinesischen Mitarbeiter in der Regel undenkbar. Die Ansprache von Problemen würde den sicheren Gesichtsverlust, sowohl für ihn, als auch für sein Gegenüber bedeuten. In diesen interkulturellen Verschiedenheiten bzw. in der mangelnden Vorbereitung darauf, ist ein Grund für das verlustreiche Scheitern vieler Unternehmen auf dem chinesischen Markt zu sehen (Lee 2006). Für Mitarbeiter, die nach China entsendet werden, empfiehlt sich die Teilnahme an einem interkulturellen Training, da der chinesische Geschäftspartner eine Anpassung an bestimmte Gepflogenheiten erwartet. Viele Verhaltensweisen wirken aus europäischer Sicht befremdlich und Gesten werden oft missverstanden (Zinzius 2007). Die gezielte Vermittlung von Informationen zu Rechten, Normen, politischen, geographischen und historischen Rahmenbedingungen in einem interkulturellen Training trägt dazu bei, fremde Verhaltensweisen zu erfassen und zu verstehen, und dies steigert die Zufriedenheit der deutschen Mitarbeiter vor Ort. Ziel eines interkulturellen Trainings ist es, die Teilnehmer in die Lage zu versetzen Kulturunterschiede wahrzunehmen, zu verstehen und sich gleichzeitig der eigenen kulturellen Identität bewusst zu werden (vgl. Abb. 9). Erfahrungsgemäß lernen die Teilnehmer direkter und nachhaltiger, wenn sie in verschiedenen Situationen die Umsetzung des Erlernten ausprobieren können. Deshalb sollte in einem solchen Training möglichst viel Raum zum Erproben von Situationen z.B. durch Rollenspiele gegeben werden. Dem sollte in einem Seminar Rechnung getragen werden, bspw. bei der Erprobung der wichtigsten Regeln eines Geschäftsessens in China während eines gemeinsamen Abendessens am Ende des ersten Tages.
3.2 Erfolgreich Verhandeln mit Chinesen Deutsche und chinesische Verhandlungstaktiken können sich massiv voneinander unterscheiden. Während man in Deutschland bereits mit einer festen Zielvorstellung in die Verhandlung geht, will die chinesische Delegation zunächst erst einmal ihren zukünftigen Partner kennen lernen. Dabei werden persönliche Themen einen großen Raum einnehmen und die eigentlichen Ziele der chinesischen Geschäftspartner werden sich erst im Laufe der Verhandlungen herauskristallisieren. Aus deutscher Sicht sind die Ziele vom Unternehmen häufig schon vorgegeben und lassen nur wenig Veränderungsspielraum zu (Vermeer 2007).
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Schulungsinhalte "Interkulturelles Training China" x
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Kultur und Wahrnehmung: Kulturelle Sozialisation und andere Einflussfaktoren auf unser Verhalten Unser Chinabild/Chinas Deutschlandbild Sinn und Unsinn von Stereotypen Historisch-philosophische Verwurzelung chinesischer Werte und Denkweisen sowie deren Einfluss auf den heutigen Lebens- und Arbeitsalltag Arbeiten in China: Politisch-ökonomisch-gesellschaftliche Einflussfaktoren in der modernen Gesellschaft, z.B. Staats- oder Privatunternehmen, Haltung gegenüber Ausländern, etc. Beziehungen aufbauen: Aufbau von Vertrauen, Pflege von Beziehungen, Selbstdarstellung, nonverbale Signale Gespräche effektiv führen: Kommunikationsmuster, loben und kritisieren, Feedback einholen, Ergebnisse sichern und Ziele verfolgen, überzeugend argumentieren Mitarbeiter führen: Führungsverständnis, Mitarbeitermotivation Mit Konflikten umgehen: Konfliktursachen, Konfliktlösungsstrategien Erfolgreich zusammen arbeiten: Arbeitsstile, Planungsverständnis, Besprechungskultur, Teamverständnis Vorträge halten/Know-how transferieren: Präsentation, Informationsstrukturierung, Zuhörverhalten, methodische Gestaltungsmöglichkeiten von Schulungen Kunden-Lieferanten-Verhältnisse gestalten: Beziehungsverständnis, Qualitätskontrolle Geschäftsessen/Bankett Leben in China und Rückkehr nach Deutschland: Integrationsphasen: Das Phänomen des Kulturschocks und der Umgang damit Offene Fragen und Tipps zum Alltag (z.B. Sicherheit, Gesundheit, Hausangestellte) Abschied nehmen und Kontakte zur Heimat halten – Ausblick auf die Rückkehr
Abb. 9. Schulungsinhalte "Interkulturelles Training China"
In China hingegen können im Verlauf der Verhandlung die Ziele immer wieder neu abgesteckt werden. Verhandlungen mit chinesischen Geschäftspartnern
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dauern in der Regel viel länger und können leicht zu einer Geduldsprobe werden. Typische Geschäftsgebaren, die sich durch Diskussionen über Preisnachlässe und stetiges aufgreifen bereits abgesprochener Inhalte kennzeichnen, kann bei auswärtigen Geschäftspartnern zum Scheitern der Verhandlungen führen. Um zukünftige Verhandlungspartner in China besser einschätzen zu können und einem möglichen Unverständnis respektive einer Frustration in Verhandlungen vorzubeugen, ist auch hier eine Auseinandersetzung mit den kulturellen Besonderheiten unabdingbar. Wenn man weiß, welche Mechanismen das Gegenüber anwendet, um sein Gesicht zu wahren, wie Mimiken gedeutet werden können und welche Verhaltensweisen der Geschäftspartner erwartet, kann man entspannt in Verhandlungen gehen. Ziel einer entsprechenden Schulung ist die Befähigung, kulturadäquate und zielgerichtete Verhandlungsstrategien zu entwickeln (vgl. Abb. 10).
3.3 Mitarbeiterführung, -bindung und -motivation Nach der anfänglichen Euphorie im China-Geschäft werden erste Klagen deutscher Unternehmen laut. Kaum war der chinesische Mitarbeiter seinen Aufgaben entsprechend qualifiziert worden, hatten ihn Wettbewerber mit einem höheren Gehalt bereits abgeworben. Vor allem gut ausgebildete Fachkräfte unterliegen, nicht zuletzt aufgrund mangelnder Bindung an das Unternehmen, dem monetären Reiz. Die Fluktuationsraten in den östlichen Großstädten erreichen nicht selten 20 bis 40 Prozent. Deswegen ist es an der Zeit, dass sich die Unternehmen vor einem ChinaEngagement intensiv mit einer kulturangepassten Personalpolitik beschäftigen (Seelmann-Holzmann 2006). Wie bereits in Kapitel 4.1ersichtlich, unterscheiden sich Führungsstile und Mitarbeiterverhalten in China sehr deutlich von denen in Deutschland. In der Regel arbeiten Chinesen nicht für eine Firma, eine Idee oder aus Selbstverwirklichungsdrang, sondern aus Verantwortung gegenüber ihrer Familie und für ihren direkten Chef. Erwartet wird ein patriarchalischer und autoritärer Führungsstil, mit klaren Arbeitsanweisungen. Die Führungsperson ist Vorbild und Integrationsfigur (Yuan u. Tauber 2003). Ein Seminar muss neben dem Herausarbeiten von Unterschieden in Denk- und Handlungsweisen auch die konstruktive Gestaltung des Arbeitsverhältnisses zum chinesischen Mitarbeiter beinhalten. Aufgrund der sehr hohen Fluktuationsraten von chinesischen Mitarbeitern sollte dieser Themenbereich reichlich Beachtung finden, damit Strategien entstehen, wie Mitarbeiter motiviert und langfristig an ein Unternehmen gebunden werden können (vgl. Abb. 11).
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Schulungsinhalte "Erfolgreiches Verhandeln mit Chinesen" x x x x
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Einfluss von Kultur auf unsere Wahrnehmung und unser Verhalten Unser Chinabild/Chinas Deutschlandbild Historisch-philosophische und ökonomisch-politische Hintergründe chinesischen Denkens und deren Auswirkungen auf den heutigen Geschäftsalltag Beziehungen aufbauen: Aufbau von Vertrauen Pflege von Beziehungen Verständnis von Beziehungen nonverbale Signale Kunden-Lieferantenbeziehung Eigene Firma und Leistungen präsentieren Informationsstrukturierung Argumentationsstrategien Zuhörverhalten Bedeutung von Symbolik Kommunizieren mit Chinesen: Kommunikations- und Verhaltensmuster im Vergleich Differenzierung nach Gesprächspartnern die Bedeutung des Gesichtwahrens Ergebnisse sichern Ziele verfolgen Verhandlungspartner verstehen: Wer ist mein Partner? Unterschiedliche Unternehmen Strukturen und Entscheidungsprozesse Zusammensetzung von Verhandlungsdelegationen Umgang mit Konflikten im Verhandlungsprozess Verhandlungen führen: Vorbereitung einer Verhandlung Verhandlungsprozess Verhandlungstaktiken und -strategien Umgang mit Dolmetschern Dokumentieren Vertragsverständnis
Abb. 10. Schulungsinhalte "Erfolgreiches Verhandeln mit Chinesen"
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Schulungsinhalte "Führung, Bindung und Motivation von chinesischen Mitarbeitern" x x x
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Die Rolle kultureller Sozialisation für unsere Wahrnehmung und unser Verhalten im Arbeitsalltag – Einflüsse nationaler Kultur und Subkultur Historische und philosophische Wurzeln von Unterschieden zwischen deutschen und chinesischen Werten bzw. Denkstrukturen sowie deren Auswirkungen auf den Führungsalltag (unterschiedliche Führungsstile) Führungsverständnis: Rolle und Aufgaben einer Führungskraft Erwartungen chinesischer Mitarbeiter Strukturen und Entscheidungsprozesse Bedeutung von Kommunikation im Führungsalltag: Kommunikationsstile und deren Bedeutung für relevante Gesprächssituationen, z.B. Kritikgespräch, Präsentation, Meeting Mitarbeiter auswählen, motivieren und binden: Personalauswahl Motivationsfaktoren Beziehungsaufbau und pflege Übertragbarkeit von Führungsinstrumenten: Mitarbeitergespräche Zielvereinbarungen Beurteilungsgespräche Feedback Aufgabendelegation Ein multikulturelles Team aufbauen und führen: Verständnis eines effektiven Teams Vertrauen aufbauen Definition von Begrifflichkeiten Teamentwicklungsphasen unterschiedliche Arbeits- und Planungsstile verstehen und gemeinsame entwickeln Mit Konflikten umgehen: unterschiedliche Konfliktlösungsstrategien im deutschen und im chinesischen Kontext Konfliktursachen Vermeiden der Eskalation von Konflikten die Führungskraft in der Rolle als Konfliktlöser Virtuelles Führen Besonderheiten der virtuellen Kommunikation im chinesischen Kontext Reflexion des eigenen Führungsstils Einflüsse von Persönlichkeit, Kultur und Kontext Reflexion eigener Ziele und möglicher Handlungsstrategien
Abb. 11. Schulungsinhalte „Führung, Bindung und Motivation von chinesischen Mitarbeitern“
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3.4 Relevante rechtliche Grundlagen im Chinageschäft Trotz Neuerungen und Fortschritten in der rechtlichen Situation von ausländischen Firmen, bleibt das chinesische Rechtssystem für Ausländer, die mit dem Gedanken spielen nach China zu exportieren, oft verwirrend. Neben den Schwierigkeiten im Verstehen der zum Teil widersprüchlichen Gesetzestexte, liegt in China auch ein anderes Rechtsempfinden vor, als dies in Deutschland der Fall ist. Vertragsabschlüsse besitzen bspw. noch lange nicht die „Endgültigkeit“, wie wir sie erwarten. Sie können immer wieder nachverhandelt und verändert werden: Vertragstreue hat in China einen weniger hohen Stellenwert als in Deutschland. Aufgrund der kulturellen Prägung hat in China das gesprochene Wort oft mehr Gültigkeit, als die schriftliche Fixierung. Zwar können Verträge durch Gerichte bestätigt werden, doch diese Vorgehensweise ist sehr mühselig, zeitintensiv und birgt aus chinesischer Sichtweise einen Gesichtsverlust (Vermeer 2007).
Schulungsinhalte "Relevante rechtliche Grundlagen im Chinageschäft" x
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Das chinesische Rechtssystem Regionale Unterschiede (Hong Kong) Der Umgang mit Recht Rechtsempfinden Rechtsdurchsetzung (Gerichtsordnung, Anwälte) Arbeitsrecht Das neue Arbeitsvertragsrecht Arbeitsbedingungen Sozialversicherung Vertragsgestaltung mit chinesischen Geschäftspartnern Vertragsklauseln Sprache Schutz des geistigen Eigentums Chinesisches Gesetz zum Schutze geistigen Eigentums „TRIPS“ Prävention gegen Marken- u. Patentmissbrauch Praktische Überlegungen bei Streitigkeiten vor chinesischen Gerichten Gerichtliche Auseinandersetzungen in China – wer hilft? Vollstreckbarkeit von Urteilen
Abb. 12. Relevante rechtliche Grundlagen im Chinageschäft
Neben dem Vertragsabschluss ist der Schutz von geistigem Eigentum sicherlich ein weiterer besonderer Unsicherheitsfaktor für deutsche Unternehmen. China ist bekannt als Zentrum der Produktpiraterie. Hier gibt es neue Gesetze, deren Umsetzung aber noch optimiert werden muss (Zinzius 2007). Von einer Führungs-
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kraft wird außerdem die Kenntnis von arbeitsrechtlichen Aspekten in China erwartet, wie bspw. der Ausgestaltung von Arbeitsverträgen bzw. Kündigungen.
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7 Zusammenfassung der Erkenntnisse aus den einzelnen Umsetzungsfeldern Klaus J. Zink, Dunja B. Eberhard In diesem abschließenden Kapitel sind einige wesentliche und projektübergreifende „Kernbotschaften“ zusammengefasst, welche einerseits die Verbindung von industriellen Sachleistungen mit Dienstleistungen und andererseits die Internationalisierung des Angebotes dieser Dienstleistungen zusammenfassend thematisiert. Dabei liegt, wie in der gesamten Publikation, der Schwerpunkt vorrangig auf Aspekten der Personal- und Organisationsentwicklung.
Kunden suchen nicht Produkte, sondern Problemlösungen, was in aller Regel zusätzliche Dienstleistungen erforderlich macht! Die industrielle Produktion von Sachleistungen wird zunehmend durch das Angebot von Dienstleistungen ergänzt und zu einem zusammengehörigen Leistungsangebot gebündelt. Diese Bündelung erreicht einen höheren Nutzen für den Kunden, da vor allem das ganzheitliche Problemlösungspotenzial im Vordergrund steht. Er ist daher eher bereit, höhere Preise zu bezahlen, als wenn er nur ein Produkt kaufen würde. Durch die Möglichkeit, Kundenbedürfnisse besser befriedigen zu können, bieten industrielle Dienstleistungen Chancen für produzierende Unternehmen. Diese „uralte Weisheit“ hat sich noch nicht bei allen mittelständischen Unternehmen herumgesprochen. Insofern stellt sich dort zunächst die Frage, nach sinnvollen Ergänzungen der Produkte durch Dienstleistungen und dann erst die Herausforderung eines Angebotes dieser Dienstleistungen auch im internationalen Bereich. Chancen beinhalten meist auch Risiken bzw. Herausforderungen, die hier vor allem aus der Perspektive der Personal- und Organisationsentwicklung betrachtet werden.
Der Erfolg von Internationalisierungen hängt von der kulturellen Übereinstimmung bzw. einer kulturellen Anpassung ab! Durch die Auslagerung der Leistungserbringung an Standorte, die sich insbesondere durch eine niedrigere Kostenstruktur kennzeichnen, können Unternehmen ihre Leistungen zu international wettbewerbsfähigen Preisen anbieten. Es zeigt sich allerdings, dass das erwartete Einsparpotenzial aus unterschiedlichen Gründen nicht immer zu realisieren sind. Zusätzliche Probleme entstehen, wenn sich die Internationalisierung auf andere Kulturkreise erstreckt und Einsparungen (auch) aufgrund interkultureller Differenzen nicht zustande kommen. Daraus ergeben sich vielfältige Aufgaben der Personalentwicklung, nicht nur für Mitarbeiter im Ausland sondern auch für diejenigen im Inland, die sich z.B. im Rahmen einer virtuellen Entsendung täglich mit Partner aus anderen Kulturkreisen auseinandersetzen müssen. Darüber hinaus ist auch bei Führungskräften ein entsprechendes
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Know-how aufzubauen, um interkulturelle und virtuelle Projekte erfolgreich angehen zu können. Das Bewusstsein und der Umgang mit kulturellen Unterschieden sind hier von zentraler Bedeutung. Diese personalen Aspekte lassen sich durch geeignete Strukturen unterstützen, wie z.B. eine Reduzierung der Schnittstellen zwischen den Mitarbeitern oder eine Standardisierung der Prozessabläufe, die Missverständnisse und Fehlinterpretationen ex ante verhindern können.
Internationalisierung von Dienstleistungen setzt eine Veränderung von Einstellungen und Verhalten voraus, was ohne strukturelle Veränderungen unmöglich ist! Die erfolgreiche Realisierung des Potenzials industrieller Dienstleistung bedingt eine bewusste Weiterentwicklung der Unternehmen im Sinne einer Organisationsentwicklung. Dabei sind sowohl die Aufbau- und Ablauforganisation als auch die Einstellungen und Qualifikationen der betroffenen Mitarbeiter an veränderte Anforderungen anzupassen. Organisations- und Personalentwicklung sind damit zwingend als voneinander abhängige Konzepte zu verstehen. Dies setzt voraus, dass der Wille zur Dienstleistung in der Unternehmenspolitik und -strategie verankert wird, und so die Grundlage für einen entsprechenden Entfaltungsprozess liefert. Die Berücksichtigung dieser Abhängigkeiten ist für die Entwicklung vom Hersteller von Produkten zu einem internationalen Anbieter von Problemlösungen essentiell, da diese Evolution einen tiefgreifenden Wandel voraussetzt. Ein solcher Wandel begründet sich insbesondere durch die Anpassung der Kompetenzen und Strukturen im Unternehmen, um den Anforderungen an das neue Leistungsprofil gerecht werden zu können.
Der Wandel vom Produzenten zum globalen Anbieter von Problemlösungen muss in der Strategie verankert werden! Der Ausgangspunkt des Wandels liegt häufig in der Erkenntnis, dass die Qualität und Technologie der hergestellten Produkte nicht mehr ausreichen, um auf dem internationalen Markt bestehen zu können. Damit erfordert der Wettbewerbsdruck die Erweiterung des Leistungsangebotes um produktbegleitende Dienstleistungen. Diese Entwicklung unterstützt die Schaffung von Alleinstellungsmerkmalen durch optimale Problemlösungen infolge der Bündelung von Sach- und Dienstleistungen. Ausgang dieses Wandels ist die konsequente Ausrichtung der Unternehmensstrategie an der Lösung von Kundenproblemen. Diese Strategieentwicklung ist gemeinsam mit den Führungskräften der Organisation zu erarbeiten. Daraus ergibt sich dann die Notwendigkeit einer systematischen Anpassung der gesamten Organisation.
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Verschiedene Wege führen nach Rom: alternative Organisationskonzepte der Internationalisierung! Zur organisatorischen Umsetzung der Internationalisierung von Dienstleistungskonzepten existieren verschiedene Optionen. Diese reichen von der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen als Unteraufträge an Fremdfirmen über die Bildung von Schwester- oder Tochterfirmen bis hin zur Bildung von expliziten Serviceabteilungen im Unternehmen. Die Wahl der Organisationsoption begründet sich aus einer Bewertung hinsichtlich des vorhandenen Wissens, der Kundenzufriedenheit, der Qualität der Leistung, der Flexibilität der Organisationsform, des Marketings sowie einer Kosten-Nutzen-Betrachtung. Diese Bewertung lässt sich mit Hilfe einer Nutzwertanalyse vornehmen. Bei der Festlegung der strukturellen Rahmenbedingungen, z.B. Hierarchie oder Mitwirkungsmöglichkeiten sind die jeweils relevanten Aspekte, die sich aus einem spezifischen Kulturraum ergeben zu berücksichtigen (so z.B. eine eher große Machtdistanz mit starken Statusunterschieden in China).
Internationalisierung erfordert die Auseinandersetzung mit neuen Qualifikations- bzw. Kompetenzprofilen! Neben der Wahl der bestmöglichen Organisationsform sind die organisationalen und personalen Kompetenzen in den Unternehmen für das Angebot industrieller Dienstleistungen aufzubauen. Einen Ansatz für diese Kompetenzentwicklung liefert ein entsprechendes Rollenkonzept. Die Einbindung des Mitarbeiters in die Organisation wird dabei anhand der konkreten Aufgaben, der dazu erforderlichen Kompetenzen sowie der mit dieser Aufgabe verbundenen Entscheidungsbefugnisse betrachtet. Durch eine systematische Ableitung der im Kontext der Internationalisierung von Dienstleistungen erforderlichen Kompetenzen aus den Aufgaben und den damit verknüpften Entscheidungsbefugnissen lässt sich ein Soll-Profil erstellen. Um den Entwicklungsbedarf eines spezifischen Mitarbeiters zu ermitteln, ist zunächst gemeinsam zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern ein Profil der Kompetenzen im Ist-Zustand zu erstellen und dieses mit dem erforderlichen Soll-Profil abzugleichen. Hieraus können mitarbeiterspezifische Entwicklungsund Weiterbildungsmaßnahmen abgeleitet werden. Diese (Weiter-)Entwicklung der individuellen Kompetenzen liefert die Grundlage für ein organisationales Kompetenzmanagement.
Internationalisierung in KMU erfordert eine systematische Weitergabe von Wissen! Die Internationalisierung von Dienstleistungen bedingt den „Export“ vorhandenen Wissens an den Ort der Dienstleistungserbringung. Dies setzt aber gerade in KMU ein funktionierendes unternehmensinternes „Wissensmanagementsystem“ voraus, da dort das Wissen meist auf einzelne Personen konzentriert ist und Verantwortlichkeiten nicht doppelt vergeben sind. Die personellen Ressourcenengpässe verbunden mit der Schwierigkeit der Weitergabe impliziten Wissens, beschreiben die
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spezifischen Herausforderungen von KMU. Bei einer Entscheidung für eine Internationalisierung von Dienstleistungen ist individuell zu prüfen, ob Teams zur Weitergabe des Wissens gebildet werden können, so dass auch implizites Wissen durch Beobachtungslernen transferiert werden kann. Handlungsanweisungen auf Basis einer Beschreibung im Heimatmarkt etablierter Vorgänge bieten eine weitere Möglichkeit, Wissen zu dokumentieren und in expliziter Form zu transferieren. Probleme bestehen allerdings, wenn der Einsatz von impliziten Wissen nicht offensichtlich ist.
Wissenstransfer ist insbesondere bei technologiebasierten Dienstleistungen notwendig – hat aber auch seine Grenzen! Die Problematik des Wissenstransfers wird bei der Internationalisierung von technologiebasierten Dienstleistungen noch verstärkt. Diese Dienstleistungen sind sehr wissensintensiv und abhängig von technischen Kenntnissen, aber auch von den Erfahrungen der Mitarbeiter. Der Export solcher Dienstleistungen ist häufig nur über kooperative Modelle zu realisieren. Der Wissenstransfer in Kooperationen unterliegt in der Regel spezifischen Hürden. Diese Hürden bestehen einerseits auf der individuellen Ebene und andererseits auf Ebene der Organisation. Der Mitarbeiter ist zunächst zu befähigen und zu motivieren, Wissen weiterzugeben. Dabei ist insbesondere die Frage zu beantworten, wie viel Wissen ausgetauscht werden darf und soll, um weder notwendiges Wissen zurückzuhalten noch zu viel preiszugeben und sich damit im Zielmarkt zu schwächen. Beim Export von technologiebasierten Dienstleistungen ist zunächst ein Abgleich zwischen dem vorhandenen und dem zusätzlich erforderlichen Wissen beim Kunden durchzuführen. Darüber hinaus ist in jedem Fall eine fundierte Rechtsberatung hinzuzuziehen, um die rechtlichen Grundlagen der Kooperation zu klären.
Internationalisierung von Dienstleistungen muss sich rechnen – und dazu kann auch Personalentwicklung beitragen! Nicht in allen Fällen werden Dienstleistungen internationalisiert, um die Kosten zu senken, sondern auch weil die Auftraggeber dies verlangen. Internationale Fabrikplanungsprojekte lassen sich dieser Kategorie zuordnen. Hierbei sehen sich die Anbieter von Fabrikplanungen mit der Anforderung konfrontiert, neben personellen und organisationalen Problemlösungen vor Ort, für die jeweiligen Standorte vor Projektbeginn Preise zu kalkulieren. Da solche Projekte nicht wie in Deutschland nach der HOAI sondern pauschal abgerechnet werden, geht es vor allem um eine treffsichere Prognose der Arbeitszeiten, wofür ein entsprechendes Modell zu entwickeln war. Wesentlich für den (finanziellen) Erfolg solcher Projekte ist auch die optimale Personaleinsatzplanung (Bildung von Fachplanungsteams mit einem entsprechenden Erfahrungshintergrund). Die zentrale Rolle vor Ort nimmt der Projektleiter ein. Zur Reduzierung seiner Belastung und zur Verbesserung der Effektivität und Effizienz der Projektarbeit bieten sich Qualifizierungsmodule zu Zeitmanagement und Selbstorganisation sowie zur Kommunikation mit dem Kunden an.
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Internationalisierung kann auch virtuell organisiert werden – ist aber auch dann nicht ohne Probleme! Durch sog. Remote Services, bei denen die Leistungserbringung zeitlich und räumlich getrennt vom Kunden möglich ist, können neue Möglichkeiten der Internationalisierung realisiert werden. Die Internationalisierung führt hier nicht zu einem tatsächlichen sondern zu einem „virtuellen“ Auslandseinsatz, ohne einen Wechsel des Einsatzortes der im Heimatland angestellten Mitarbeiter zu verursachen. Die Interaktion zwischen Heimatland und Ausland bedient sich im Wesentlichen der elektronischen Informations- und Kommunikationstechnologie. Persönliche Kontakte sind auf sehr wenige Treffen beschränkt, wodurch in der Regel keine persönliche Beziehung aufgebaut werden kann. Die fehlende persönliche Interaktion stellt daher hohe interkulturelle Anforderungen an die virtuell im Ausland tätigen Mitarbeiter, insbesondere im Hinblick auf ein unterschiedliches Zeitverständnis, der Aufbau und die Aufrechterhaltung von Vertrauen sowie insgesamt Führung auf Distanz im Hinblick auf die ihnen im Ausland unterstellten Mitarbeiter. Diese Anforderungen machen eine besondere Vorbereitung erforderlich, die sich wesentlich von der für einen Auslandseinsatz unterscheidet. Hier sind insbesondere die medialen Kommunikationsfähigkeiten verbunden mit interkulturellen Kompetenzen zu entwickeln. Für die Kompetenzentwicklung empfehlen sich z.B. Methoden der Simulation virtueller Arbeitssituationen.