Grundlagen des Europäischen Privatrechts
Guido Alpa • Mads Andenas
Grundlagen des Europäischen Privatrechts Deutsche Ausgabe von Maren Heidemann unter Mitarbeit von Martin Ochs
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Professor Dr. Avv Guido Alpa Via Ss. Giacomo E Filippo, 25 16122 Genova Italy
[email protected]
Professor Dr. Mads Andenas Universität Oslo und Institute of Advanced Legal Studies 17 Russell Square London WC1B 5DR United Kingdom
[email protected]
ISBN 978-3-540-79585-8 e-ISBN 978-3-540-79586-5 DOI 10.1007/978-3-540-79586-5 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Vorwort
Dieses Buch, welches aus der Zusammenarbeit zweier Juristen unterschiedlicher Kultur und Tradition, eines Italieners und eines Norwegers, der einen großen Teil seiner Karriere in Großbritannien verbracht hat, entstanden ist, möchte im Rahmen einer mittlerweile äußerst vielfältigen Literatur die Grundbegriffe des Europäischen Privatrechts darlegen. Heute erlebt diese Materie den entscheidenden Moment der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Man diskutiert ihre Grenzen, ihre Ursprünge, ihre Werte, ihre normative Struktur. Sie hat durch verschiedene Termini, Konzepte und Rechtsbehelfe Anteil am Römischen justinianischen Recht und an der Römischen Rechtstradition. Sie ist von den Gesetzeswerken des Kontinents beeinflußt und ausgerichtet auf das Privatrecht der Gemeinschaft, insbesondere auf den acquis. Gestärkt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, beachtet es die Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinien der Gemeinschaft und der Rechtsprechung, die das geltende Recht in den Mitgliedstaaten der Union bestimmen. Das Europäische Privatrecht ist die Frucht der verschiedenen Forschungsprojekte in der nationalen wie der europäischen Rechtslehre, die auch die Basis der Harmonisierungs- und Vereinheitlichungsbestrebungen der einzelnen Sektoren des Privatrechts bildet, die von den Forschungszentren, welche sich mit dem Thema befassen, vorgelegt werden. Nun wird es auch von der Europäischen Union auf den Prüfstand gehoben, im Hinblick auf größere Kohärenz im Europäischen Vertragsrecht, und zwar im Rahmen des Projekts „common frame of reference“. Im Vergleich zu den Handbüchern und den italienischen und ausländischen Abhandlungen, die bis zum heutigen Tage erschienen sind, folgt das vorliegende Werk einer in einem gewissen Sinne innovativen Leitlinie. Weder liefert es eine detaillierte Beschreibung des acquis communautaire oder der diesbezüglichen Rechtsprechung, welche im übrigen Gegenstand separater Untersuchungen sind, die sich mit den einzelnen Sektoren, in die sich die Materie zerlegen läßt, befassen, noch nimmt es sich vor, die Neugestaltung der Institute des Privatrechts nach systematischen Kriterien zu ordnen, so, wie sie vom Gemeinschaftsrecht und von den Quellen des nationalen Rechts geprägt werden. Vielmehr bemüht man sich kritisch, die Entstehung des Phänomens, das sich als „Europäisches Privatrecht“ bezeichnet, zu untersuchen, die Entwicklung und Konsolidierung der Leitlinien und seine Auswirkungen auf einige Institutionen des Privatrechts und auf einige Kernpunkte der Rechtsformen des gemeinsamen Marktes zu studieren. Die vorliegende Untersuchung präsentiert also ein „work in progress“, welches den Prozeß der Harmonisierung und Vereinheitlichung des Europäischen Privatrechts reflektiert, der immer noch andauert.
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Vorwort
So kommt es verschiedentlich zu einer Auswahl, hinsichtlich der Themenwahl, der untersuchten Institutionen und der behandelten Vorschriften und Rechtsprechung, die willkürlich erscheinen mag. Daher stellt die vorliegende Abhandlung ein offenes Werk dar, von dem sich die Autoren wünschen, es Schritt für Schritt zu vervollständigen und zu perfektionieren, in dem Maße, in dem das Europäische Privatrecht klarere Formen annimmt, und in der juristischen Kultur, in der Rechtsprechung und in der Berufspraxis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union verwurzelt wird. Das vorliegende Buch unternimmt einerseits den Versuch, zu illustrieren, wie sich Interpretationsmethoden, Terminologien und juristische Kategorien, die sich aus der Praxis des Gemeinschaftsrechts und aus seiner Ausführung in den internen Anordnungen ergeben, bestätigen, andererseits darzustellen, wie diese Materie und damit auch ihre Beschreibung stark von der Kultur, die der Rechtsanwender natürlicherweise mit sich bringt, beeinflußt werden. Trotzdem das Ziel die Übereinstimmung der nationalen Rechtsordnungen und die Bildung gemeinsamer Prinzipien und Regeln, die allen Bürgern Europas gemeinsam sind, und – in der dafür notwendigen Zeit – Kodifizierung allgemeiner und spezialisierter Regeln, die in allen Mitgliedstaaten gelten, angestrebt wird, hat das vorliegende Werk gerade das Motto der Europäischen Union – „Einheit in Vielfalt“: die Autoren, eher Euroenthusiasten als Euroskeptiker, sind überzeugt, daß auch im Prozeß der Bildung eines Europäischen Privatrechts Unterschiede bleiben, und daß man die Grundcharaktere der juristischen Traditionen nicht auslöschen kann, welche in der Mentalität, dem kulturellen Werdegang und der Denkweise der Juristen zum Ausdruck kommen, die am heimischen Recht oder an ihrem „gewählten“ Recht gebildet sind, und die sich der Vertiefung der Rechtsvergleichung und des Gemeinschaftsrechts sowie der Analyse seiner Auswirkungen auf die nationalen Rechtsordnungen widmen. Bei dieser Gelegenheit gilt es auch daran zu erinnern, daß die Idee, dieses Buch zu schreiben, aus der Lehre geboren wurde. Insbesondere anläßlich der Sommerkurse über „Europäisches Vertrags- und Bankenrecht“, die wir gemeinsam mit Francesco Capriglione, unserem hochgeschätzten und freundlich verbundenen Kollegen, über viele Jahre, zunächst auf Malta und jetzt an verschiedenen Orten Italiens abgehalten haben und immer noch abhalten. In viele Kapitel flossen auch die Ergebnisse der seit 1999 jährlich vom Consiglio Nazionale Forense (dem italienischen Anwaltstag) organisierten Seminare ein, welcher die Wichtigkeit dieser Initiative für die Aus- und Weiterbildung der Anwälte erkannt hat. Die deutsche Ausgabe ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung, die von Dr. Maren Heidemann, London, unter Mitarbeit von Dr. Martin Ochs, Freiburg i.Br., erstellt wurde. Beiden, sowie Dr. Brigitte Reschke, Springer Verlag, Heidelberg, gilt unser tiefempfundener Dank. Eine vollständige überarbeitete deutsche Fassung dieses Werkes ist einer späteren Auflage vorbehalten. Im Juni 2009
Guido Alpa
Mads Andenas
Inhaltsübersicht
Teil 1 Die Europäische Identität 1 Die kulturelle Identität.................................................................................. 5 2 Die juristische Identität................................................................................. 27 3 Grundrechte und Privatrecht......................................................................... 47 4 Die Kategorien der europäischen Juristen .................................................... 69
Teil 2 Das Europäische Privatrecht 1 Bedeutung und Grenzen ............................................................................... 2 Person und Markt ......................................................................................... 3 Die Entwicklung des Vertragsbegriffs.......................................................... 4 Zivilrechtliche Haftung ................................................................................
117 165 207 249
Teil 3 Der Markt 1 Die Marktordnung ........................................................................................ 271 2 Dienstleistungen ........................................................................................... 345
Inhaltsverzeichnis
Teil 1 Die Europäische Identität 1 Die kulturelle Identität.................................................................................. 5 1 Einführung ............................................................................................... 5 1.1 Recht................................................................................................ 5 1.2 Europäisches Recht ......................................................................... 6 2 Privatrecht/Öffentliches Recht. Vom Gegensatz zur Überlagerung......... 7 3 Das „Europäische Privatrecht“: eine Formel zum Entschlüsseln............. 9 4 Die historische Konstruktion von „Europa“ und „europäisch“............... 10 5 Romanität und Germanismus.................................................................. 12 6 Die Krise des Römischen Rechts und der Ursprung Europas ................. 14 7 Der Antifaschismus und die Idee von Europa......................................... 15 8 Die Geburt des neuen „Europa“ im demokratischen Denken ................. 17 9 Die Idee von Europa heute: kulturelle Entstehung.................................. 19 10 Mythen und Vorurteile............................................................................ 20 11 Identität und Bewußtsein ........................................................................ 22 12 Literaturhinweise .................................................................................... 23 2 Die juristische Identität................................................................................ 1 Das Recht in Identität und Bewußtsein Europas..................................... 2 Die juristische Identität Europas ............................................................. 3 Die „gemeinsamen Werte des Abendlandes“ ......................................... 4 Das Europa des Rechts............................................................................ 5 Literaturhinweise ....................................................................................
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3 Grundrechte und Privatrecht...................................................................... 1 Vorbemerkung zu den Grundrechten...................................................... 1.1 Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte............................. 1.2 Die Konvention von Straßburg....................................................... 2 Die Grundrechte in der EMRK und Privatrechtsbeziehungen ................ 3 Direkte Anwendung der Europäischen Konvention?.............................. 4 Der Schutz der Menschenrechte in der Gemeinschaft ............................ 4.1 Das Gutachten des Gerichtshofs von 1996.................................... 4.2 Der Vertrag von Amsterdam von 1997.......................................... 5 Das englische Modell.............................................................................. 6 Die Charta der Grundrechte von Nizza................................................... 7 Die Debatte über die direkte Anwendung der Charta von Nizza ............
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Inhaltsverzeichnis
8 Die „Verfassung“ der Europäischen Union ........................................... 61 9 Der Jahresbericht über die Menschenrechte .......................................... 64 10 Literaturhinweise ................................................................................... 67 4 Die Kategorien der europäischen Juristen ................................................ 69 1 Die Ausbildung der Juristen ................................................................. 69 2 Kulturelle Ausrichtungen bei der Ausbildung der Juristen................... 70 3 Common Lawyer und Civilian Lawyer ................................................ 71 4 Die normativistische Rechtsanschauung............................................... 72 5 Formalismus und reine Rechtsdoktrin .................................................. 73 6 Das Naturrecht und die naturrechtliche Rechtsanschauung.................. 75 6.1 Die klassische Auffassung........................................................... 76 6.2 Die moderne Auffassung............................................................. 76 6.3 Die Revolutionen des 18. Jahrhunderts. Die Bürgerrechte.......... 77 6.4 Das gegenwärtige Naturrecht ...................................................... 77 7 Realistische Theorien des Rechts.......................................................... 77 7.1 Die skandinavische Version ........................................................ 78 7.2 Die nordamerikanische Version .................................................. 79 7.3 Die italienische Version .............................................................. 79 7.4 Recht und Allokationssysteme der Macht und der Ressourcen... 79 8 Die anthropologische Rechtsanschauung ............................................. 80 9 Vom privaten Naturrecht zu den sozialen Eingriffen ........................... 81 10 Bürgerliche Gesetzbücher..................................................................... 82 10.1 Der Code civil ........................................................................... 83 10.2 Lesarten des Code civil.............................................................. 85 10.2.1 Die philosophisch-normative Lesart ............................. 87 10.2.2 Die philosophisch-ideale Lesart.................................... 88 10.2.3 Die technische Lesart.................................................... 90 10.2.4 Die nicht-naturrechtliche Lesart ................................... 93 10.3 Das österreichische Bürgerliche Gesetzbuch ............................ 94 10.4 Das deutsche BGB..................................................................... 96 11 Die Initiativen der „Rekodifizierung“................................................... 97 11.1 Die Rekodifizierung in Deutschland ......................................... 100 11.2 Die Debatte über die Rekodifizierung in Frankreich................. 101 12 Die Objektivierung des Handelsrechts.................................................. 109 13 Literaturhinweise .................................................................................. 111 Teil 2 Das Europäische Privatrecht 1 Bedeutung und Grenzen ............................................................................ 1 Das Europäische Privatrecht................................................................. 2 Einige grundlegende Fragestellungen................................................... 2.1 Traditionen ................................................................................... 2.2 Werte und Prinzipien.................................................................... 2.3 Harmonisierungsprobleme ........................................................... 2.4 Öffentliche Intervention und Privatautonomie .............................
117 117 121 121 122 122 123
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3 Technische und rechtspolitische Weichenstellungen............................ 3.1 Vorbemerkung.............................................................................. 3.2 Die kritische Interpretation........................................................... 3.3 Die funktionale Interpretation ...................................................... 3.4 Die rechtsökonomische Interpretation des Binnenmarktes........... 3.5 Die jurisprudentielle Interpretation............................................... 4 Das Verbraucherrecht als erster Kern des Europäischen Privatrechts .. 5 Der „acquis communautaire“ ................................................................ 6 Die Resolutionen des Europäischen Parlaments zum Vertragsrecht..... 7 Initiativen für die Redaktion eines Europäischen Zivilgesetzbuches.... 8 Probleme der Redaktion........................................................................ 9 Die Mitteilungen der Europäischen Kommission zum Vertragsrecht... 10 Die neuen Mitteilungen......................................................................... 11 Literaturhinweise ..................................................................................
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2 Person und Markt....................................................................................... 165 1 Einführung ............................................................................................ 165 2 Physische Person, Natürliche Person .................................................... 166 3 Die Person im Europäischen Privatrecht............................................... 171 4 Das Versagen der juristischen Kategorien ............................................ 172 5 Die Verbraucherrechte .......................................................................... 180 5.1 Die normativen Quellen ............................................................... 180 5.2 Die Methode der Definition des Verbrauchers ............................. 181 5.3 Der Charakter der Definitionen aus den internationalen Quellen und den Quellen des Gemeinschaftsrechts...................... 182 5.4 Der Merkmale der Definitionen aus den nationalen Rechtsquellen ............................................................................... 184 5.5 Der Gebrauch des Begriffs „Verbraucher“ in der Rechtsprechung ............................................................................ 186 5.6 Der Verbraucherbegriff in gerichtlichen und außergerichtlichen Entscheidungen ............................................................................ 187 5.6.1 Der Verbraucher als Träger individueller, geschützter Interessen....................................................... 188 5.6.2 Der Verbraucher als Mitglied einer Vereinigung............. 188 5.6.3 Der Verbraucher als Träger von Breiteninteressen .......... 189 5.6.4 Der Verbraucher als Träger eines Interesses, welches mit dem öffentlichen Interesse zusammenfällt... 191 5.6.5 Der Verbraucher als Parameter ........................................ 193 5.6.6 Der Verbraucher als Träger eines geschützten Interesses und als Parameter ............................................ 197 5.7 Anmerkungen zum vergleichenden Recht.................................... 198 5.8 Die Einordnung des Verbrauchers in Geschäftsbeziehungen....... 199 6 Neue Perspektiven des Verbraucherschutzes........................................ 200 6.1 Ist das Verbraucherrecht am Scheideweg angelangt? ................. 200 6.2 Das Verbraucherrecht in der Europäischen Verfassung.............. 203 7 Literaturhinweise .................................................................................. 205
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Inhaltsverzeichnis
3 Die Entwicklung des Vertragsbegriffs...................................................... 1 Vorbemerkung: Die interne und externe Entwicklung des Vertragsrechts ....................................................................................... 2 Harmonisierung und Vereinheitlichung des Vertragsrechts ................. 2.1 Die gemeinsamen Wurzeln .......................................................... 2.2 Die gemeinsamen Werte .............................................................. 2.3 Die Techniken funktionaler Harmonisierung............................... 2.4 Die Methode ................................................................................ 3 Schritte zu Harmonisierung und Vereinheitlichung der Quellen .......... 4 Die “gemeinsame Basis” des Vertragsrechts und die schwierige Wahl der Juristen .................................................................................. 5 Der acquis communautaire des Vertragsrechts..................................... 5.1 Umfang der Untersuchung ........................................................... 5.2 Beispiele für eine systematische Organisation des Verbrauchervertragsrechts ........................................................... 5.2.1 Die Parteien ..................................................................... 5.2.2 Vorvertragliche Information ............................................ 5.2.3 Abschluß und Form des Vertrages................................... 5.2.4 Vertragsinhalt .................................................................. 5.2.5 Ausführung des Vertrages ............................................... 5.2.6 Rechtsbehelfe: Rücktritt .................................................. 6 Definition des Vertragsbegriffs und seine Bestandteile........................ 7 Die Klauseln der hardship .................................................................... 7.1 UPICC.......................................................................................... 7.2 PECL............................................................................................ 8 Vertragsstrafe........................................................................................ 8.1 Aus der Rechtsvergleichung ........................................................ 8.2 UPICC.......................................................................................... 8.3 Die PECL..................................................................................... 9 Der Grundsatz der Vertragsautonomie ................................................. 10 Vertragsfreiheit als Verfassungswert? .................................................. 10.1 Die Rolle des Verfassungsgerichts............................................. 10.2 Der deutsche und der niederländische Ansatz............................ 10.3 Der französische Ansatz............................................................. 11 Literaturhinweise ..................................................................................
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4 Zivilrechtliche Haftung.............................................................................. 1 Modelle und Funktionen....................................................................... 1.1 Die ethische Perspektive .............................................................. 1.2 Die ökonomische Perspektive...................................................... 1.3 Die historische Perspektive.......................................................... 2 Die Kriterien der Bewertung der Haftung............................................. 2.1 Das dichotomische System .......................................................... 2.2 Spezialregime............................................................................... 3 Die schützenswerten Interessen ............................................................ 4 Aus der Rechtsvergleichung ................................................................. 4.1 Das deutsche Rechtssystem .........................................................
249 249 249 250 251 252 252 252 254 255 255
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4.2 Das heutige common law ............................................................. 256 4.2.1 Die Krise des traditionellen Konzepts.............................. 257 4.2.2 Die allgemeine Rechtsfigur der Widerrechtlichkeit......... 258 Neue Formen der Haftung aus dem Europarecht .................................. 259 5.1 Grundfragen ................................................................................. 259 5.2 Die Umkehr des Verhältnisses allgemeine / besondere Regeln ... 260 5.3 Die Rolle der Rechtsprechung...................................................... 260 Einige Spezialgesetze............................................................................ 261 6.1 Die Haftung der Wirtschaftsprüfer............................................... 261 6.2 Die Haftung der Finanzdienstleister............................................. 263 Produkthaftung...................................................................................... 264 Die Haftung der Dienstleister ............................................................... 266 Projekte der Vereinheitlichung des Haftungsrechts .............................. 267 Literaturhinweise .................................................................................. 267 Der Markt
1 Die Marktordnung...................................................................................... 271 1 Einführung ............................................................................................ 271 1.1 Vom Recht des Marktes zum Markt als Rechtsform.................... 271 1.2 Die rechtliche Konzeption des Marktes ....................................... 275 1.3 Akteure, Interessen und Regeln ................................................... 278 1.4 Interessen und Erwartungen. Die Verbraucher auf dem Finanzmarkt ................................................................................. 281 1.5 Von der Intervention zur Koordinierung der „Politiken“............. 285 1.6 Die Verrechtlichung der Interessen im Vertrag von Amsterdam................................................................................... 285 1.6.1 Die Rechte und Interessen der Verbraucher..................... 287 1.6.2 Die Durchsetzbarkeit der im Vertrag von Amsterdam anerkannten Rechte ...................................... 288 2 Zeitgenössisches Wirtschaftsrecht ........................................................ 289 2.1 Ein Grundriß des Wirtschaftsrechts.............................................. 290 2.1.1 Ursprüngliche Eigenschaften ........................................... 290 2.1.2 Die philosophischen Grundlagen ..................................... 292 2.1.3 Verträge und Märkte ........................................................ 296 2.1.4 Die Internationalisierung des Marktes ............................. 299 2.1.5 Einige Hinweise zur Lektüre............................................ 300 3 Die neue Lex Mercatoria und die Instanzen der Gesetzgebung............ 304 4 Der Wettbewerb.................................................................................... 304 4.1 Die unternehmerische Freiheit und ihre Grenzen......................... 304 4.2 Wettbewerb und Generalklauseln der Redlichkeit in den UPICC und den PECL ................................................................. 307 4.3 Die Techniken des Konsumentenschutzes ................................... 307 4.4 Mißbräuchliche Gechäftspraktiken .............................................. 312 4.5 Die Gemeinschaftspolitiken zu Konkurrenzfähigkeit und Wettbewerb.................................................................................. 313 4.6 Ausblicke im Wettbewerbsrecht .................................................. 315
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Inhaltsverzeichnis
4.7 Konzentration und Wettbewerbsrecht. Maßnahmen und Grenzen der Vertragsfreiheit ....................................................... 4.7.1 Der Fragebogen des XX. FIDE Kongresses .................... 4.7.2 Die Antworten auf den Fragebogen................................. 4.7.3 Privatautonomie und Fusionskontrolle ............................ 4.7.4 Die Diskussion über merger remedies im US-amerikanischen Recht .......................................... 4.7.5 Das Veräußerungsverfahren: rechtliche, wirtschaftliche und vertragliche Probleme ...................... 4.7.6 “Abhilfemaßnahmen” und Privatautonomie im italienischen Recht ..................................................... 4.7.7 Reformvorhaben der nationalen Modelle ........................ 4.7.8 Die Zukunft des Gemeinschaftsrechts und der nationalen Rechtsordnungen ..................................... 5 Die Organisation des Konsumentenschutzes und das Subsidiaritätsprinzip ............................................................................. 5.1 Das Subsidiaritätsprinzip im vertikalen Sinn und der Konsumentenschutz ...................................................................... 5.2 Das Subsidiaritätsprinzip im horizontalen Sinn und der Konsumentenschutz ...................................................................... 6 Verbraucherverträge und kleine bis mittlere Unternehmen .................. 7 Literaturhinweise .................................................................................. 2 Dienstleistungen.......................................................................................... 1 Dienstleistungen auf dem Binnenmarkt................................................ 1.1 Dienstleistungen im Gemeinschaftsrecht ..................................... 1.2 Dienstleistungen im nationalen Recht und die Projekte zum “Europäischen Zivilgesetzbuch”.................................................. 1.3 Die Richtlinie über die Haftung der Dienstleister ........................ 2 Die Dienstleistungsrichtlinie für den Binnenmarkt............................... 3 Der Austausch von Dienstleistungen und das Wettbewerbsrecht......... 3.1 Quantitative Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung. Dassonville und Cassis de Dijon ................................. 3.2 Die Änderung der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Fall Keck ........................................................... 3.3 Der freie Austausch von Dienstleistungen: der Fall Alpine Investments.......................................................... 3.4 Das Recht des freien Austauschs von Waren und Dienstleistungen .......................................................................... 3.5 Die neuere Ausrichtung der Rechtssprechung des Gerichtshofs................................................................................. 3.6 Abschließende Überlegungen ...................................................... 4 Unternehmerveträge, Regulierung und Gebräuche............................... 4.1 Vorbemerkung und Fragestellung................................................ 4.2 Praktische Erfahrungen im Vergleich .......................................... 4.3 Von Typisierungen und Kategorien zu Regelungstechniken .......
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4.4 Die Rechtsquellen: Kontrolle von Handlung und Verhalten durch Gesetzgebung..................................................................... 374 4.5 Regulierung und moral suasion ................................................... 377 4.5.1 Regulierung......................................................................... 377 4.5.2 Moral suasion: das Beispiel der Unternehmenskonzentrationen ........................................... 381 Die freien Berufe .................................................................................. 382 Wettbewerbsrecht und freie Berufe ...................................................... 385 6.1 Eine Konferenz und eine Wiener Studie ...................................... 385 6.2 Das Arbeitspapier der Kommission zu Dienstleistungen ............. 387 6.3 Die Haltung des CCBE ................................................................ 388 6.4 Die Perspektive der Charta von Nizza und des Vertrags von Lissabon ....................................................................................... 389 Elektronischer Handel und Verbraucherschutz..................................... 390 7.1 Der rechtliche Rahmen................................................................. 390 7.2 Die e-commerce Richtlinie .......................................................... 393 7.3 Distanzverkäufe von Finanzprodukten......................................... 393 7.4 Einige Kritische Anmerkungen zur Gesetzgebungstechnik ......... 394 7.5 Der Online Verkauf von Finanzprodukten................................... 395 Literaturhinweise .................................................................................. 397
Literaturverzeichnis ................................................................................... 401 Sachverzeichnis .......................................................................................... 437
Abkürzungsverzeichnis
ABGB BGB BIICL BVerfG BVerfGE Cass. Cass.sez.un. C.c. CC CFR CNF CML Rev Corte Cost. Cost. CUP ders. ebda EBLR Foro it. GG JZ OUP Rev.dr.int.priv. RiLi Riv.crit.civ. Riv.crit.dir.priv. T.A.R. ZEuP
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Bürgerliches Gesetzbuch British Institute for International and Comparative Law Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Corte di Cassazione Corte di Casszione, sezione unite Codice Civile Code Civil Common Frame of Reference Consiglio Nazionale Forense Common Market Law Review Corte Costituzionale Costituzione Cambridge University Press derselbe ebenda European Business Law Review Foro italiano (Zeitschrift) Grundgesetz Juristenzeitung Oxford University Press Révue de droit international privé Richtlinie Rivista critica del diritto civile Rivista critica di diritto privato Tribunale Amministrativo Regionale Zeitschrift für Europäisches Privatrecht
„(...) in allen Teilen Europas erlebt man das Entstehen eines neuen Bewußtseins, einer neuen Nationalität (denn (...) die Nationen sind nicht naturgegeben sondern Bewußtseinszustände und historische Gebilde) So geschah es – vor nunmehr 70 Jahren, daß ein Neapolitaner aus dem alten Königreich oder ein Piemonteser, aus dem Königreich zu Füßen der Alpen zu Italienern wurden, ohne dabei ihr früheres Dasein zu verleugnen, sondern indem sie es erhöhten und in der neuen Identität aufgingen. Genauso werden Franzosen, Deutsche und Italiener und alle anderen sich zu Europäern emporheben, und sie werden ihre Gedanken auf Europa richten und ihre Herzen werden für Europa schlagen so, wie sie vorher für die kleineren Vaterländer schlugen, welche nicht vergessen sind, sondern besser geliebt werden. Dieser Prozeß der europäischen Einigung, der dem Wettstreit der Nationalismen diametral entgegengesetzt ist, und der eines Tages Europa tatsächlich von diesen befreien kann, ist geeignet, Europa gleichzeitig von allen psychologischen Faktoren zu befreien, die sich zu den Nationalismen gesellen, sie unterstützen und ihre Besonderheiten, Sitten und Handlungen bestimmen. Und so dies geschieht oder wenn es geschieht, dann wird das liberale Ideal im Denken der Menschen vollständig wiederhergestellt werden und wieder die Herrschaft übernehmen (...)“ Benedetto Croce Storia de'Europa nel secolo decimonono, Bari, 1932
Teil 1: Die Europäische Identität
„Europa ist keine spontan gewachsene Frucht, keine geographische oder natürliche Gegebenheit sondern vielmehr ein Produkt der Geschichte.“ Christopher Dawson The making of Europe. An Introduction to the History of European Unity, London, 1935
Kapitel 1 Die kulturelle Identität
Inhalt: 1. Einführung – 2. Privatrecht/Öffentliches Recht. Vom Gegensatz zur Überlagerung – 3. Das Europäische Privatrecht: eine Formel zum Entschlüsseln – 4. Die historische Konstruktion von „Europa“ und „europäisch“ – 5. Romanität und Germanismus – 6. Die Krise des Römischen Rechts und der Ursprung Europas – 7. Der Antifaschismus und die Idee von Europa – 8. Die Geburt des neuen „Europa“ im demokratischen Denken – 9. Die Idee von Europa heute: kulturelle Entstehung – 10. Mythen und Vorurteile – 11. Identität und Bewußtsein – 12. Literaturhinweise
1. Einführung Wenn man das Europäische Privatrecht definiert, geht man von einer doppelten Übereinkunft aus: daß der Gebrauch des Begriffs „Recht“ überall gleich ist, und daß die Bedeutung des Adjektivs „privat“ für alle dieselbe ist.
1.1 Recht Hinsichtlich des Begriffs „Recht“ haben uns Philosophie, Rechtstheorie, Geschichte und Rechtsvergleichung gelehrt, daß seine Bedeutung relativ ist. Sie variiert je nach Epoche, besonders aber nach Mentalität und der politischen und juristischen Tradition eines Landes. Bis vor kurzem arbeiteten die Juristen mit vereinfachenden Modellen und tendierten dazu, das Modell des common law, welches sich fundamental auf Fallrecht (case law) stützt, dem Modell des civil law, das auf geschriebenem (kodifiziertem) Recht und besonders auf Spezialkodizes und Einzelgesetzen basiert, entgegenzusetzen. Obwohl die Unterscheidung zwischen civil law und common law weiterhin besteht, tendieren die Unterschiede heute doch dazu, sich auszugleichen, weil einerseits das common law nicht mehr ausschließlich auf Präjudizien basiert, und sich das statute law außerordentlich ausgebreitet hat, und andererseits nicht das gesamte civil law auf dem geschriebenen Gesetz basiert, insofern die Rechtsprechung mittlerweile ein essentieller Bestandteil der Struktur der Rechtsordnung ist. Darüber hinaus gibt es ganze Sektoren innerhalb von Rechtsordnungen wie der italienischen oder der französischen, die sich an von Richtern geschaffenem Recht
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1. Einführung
orientieren, welches in vielfältigen Details Regeln von genereller Bedeutung ausmachen, die zum Beispiel die Rechtsbereiche der zivilrechtlichen Haftung, der Persönlichkeitsrechte und der Bewertung von Personenschäden definieren, von den „neuen Verträgen“ gar nicht zu reden, wie Verträge auf dem Finanzsektor, Leasingverträge, merchandising, sponsoring und so weiter. Andere Sektoren, welche früher autonom waren, werden durch die Richtlinien der Gemeinschaft geregelt, und finden so eine harmonisierte Regelung, sowohl in den Ordnungen des civil law, wie auch in denen des common law, wie es beispielsweise beim franchising, im Versicherungsgeschäft (brokerage), bei den wechselseitigen Verträgen der Verbraucher, beim Eigenheimerwerb etc. der Fall ist. Der Begriff „Recht“ wird sofort mit starren, von oben auferlegten Strukturen identifiziert; heute hingegen sind viele Bereiche von Regelungen bestimmt, die von denen gemacht werden, die sie auch anwenden, wie zum Beispiel die Regeln des internationalen Handels, die Verhaltenskodizes, die Vertragspraxis. Auch von dieser Warte aus betrachtet hat die Unterscheidung von common law und civil law keinen Sinn, denn diese Regeln gelten für alle, welchem System sie auch immer angehören. Überdies haben sich die Quellen des Rechts vervielfacht. Einige erstrecken sich auf die Rechtsordnungen der Länder, die zur Europäischen Union gehören, und schaffen dort Bereiche gemeinsamer Regeln, in welchen man manchmal Uniformität (wie im Falle des Wettbewerbsrechts), Harmonisierung (wie im Falle der Rechtsbeziehungen der Konsumenten), Ausarbeitung genereller Prinzipien (wie Rechtssicherheit, Vertrauensschutz, Gleichheit, Proportionalität, Subsidiarität, gute Verwaltung) erreicht. Auf der anderen Seite verändert sich auch das Verständnis des Begriffs „Rechtsquelle“ selbst: vom kelsenianischen Konzept ausgehend, welches sich auf eine Architektur stützt, an deren Basis die Verfassungsnorm steht, von der Quellen von geringerer Dauer und Wert abgeleitet werden, entwickelt sich die Vorstellung, daß jede Ordnung, Bereich für Bereich, ihre Quellen auf unterschiedliche Art und Weise organisiert. Man denke an den Wert, den mittlerweile die Verordnungen der unabhängigen Verwaltungen haben, an die Satzungen der Selbstverwaltungen, die Vertragspraxis, und so fort. Man denke auch an die Regelungen der lex mercatoria, an elektronische (telematische) Geschäftsverhandlungen und -abschlüsse, und an all jene Phänomene, die den Globalisierungsprozeß der Wirtschaftsbeziehungen begleiten. Man denke auch an den Einfluß der Verfassungsnormen – nun sogar auf europäischem Niveau – auf die Beziehungen zwischen Privatleuten. Oder an die Privatisierung der Beziehungen zwischen den öffentlichen Verwaltungen und den von ihnen Verwalteten. 1.2 Europäisches Recht Auch der zusammengesetzte Begriff Europäisches Recht impliziert verschiedene Bedeutungen.
Teil 1 Kapitel 1 Die kulturelle Identität
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Er bezieht sich auf einen geographischen Ort – den europäischen Kontinent – und auf eine geographische Begrenzung, innerhalb derer ein europäischer Wirtschaftsraum fast vollständig realisiert ist; der Raum, der im Begriff ist, eine politische und soziale Realität zu werden, ist ein Europa der dreifachen Dimension, welche – provisorisch betrachtet, und um den Diskurs anzuregen – folgendes betrifft: a) die Regelungen bestimmter Beziehungen zwischen den Subjekten, die von den Rechtsquellen der Gemeinschaft eingeführt werden (durch den sog. acquis communautaire), b) die Regeln, die in den Verfassungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union Gültigkeit haben und dem Gemeinschaftsrecht entspringen, c) die Prinzipien, Werte und Traditionen, die ein Recht konstituieren, das den Ländern Europas gemeinsam ist, die Länder, die nicht der Europäischen Union angehören, eingeschlossen. Aber was kann man über die weitere Konnotation, das Privatrecht, sagen? Im Erfahrungshorizont Kontinentaleuropas ist es recht einfach, gleiche Sichtweisen und Bedeutungen zu finden. Die Unterteilungen des Rechts sind seit langer Zeit von Geschichte und Gebrauch bestimmt: das Recht wird in öffentliches und privates Recht eingeteilt. Das öffentliche Recht wird in Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, internationales Recht, Strafrecht und Steuerrecht eingeteilt, das private Recht in Zivilrecht und Handelsrecht. Jedoch hatte diese Unterscheidung bis vor einigen Jahren keinen Sinn: als M S Giannini die Übersetzung des Buches von H W R Wade (1967),1 eines der großen Meister dieser Disziplin, ins Italienische vorstellte,2 hatte er Gelegenheit festzustellen, daß es „im englischen Rechtssystem kein Verwaltungsrecht im kontinentalen Sinne eines autonomen Bereichs der Gesetzgebung hinsichtlich der öffentlichen Verwaltungen gibt, die sich vom Verfassungsrecht unterscheidet und getrennt ist. Auf der einen Seite gibt es das öffentliche Recht (Verfassungsrecht), auf der anderen das Privatrecht. Das Strafrecht steht für sich; das Prozeßrecht unterscheidet sich wohl oder übel von den materiellen Rechten, für die es im Einzelfall Schutzinstrument ist.“
2. Privatrecht/Öffentliches Recht. Vom Gegensatz zur Überlagerung Bis vor einigen Jahren wäre die typische Reaktion eines englischen Juristen vom großen Dicey beeinflußt gewesen, der schon die Idee eines „Verwaltungsrechts“ für fehlgeleitet erachtete, da das öffentliche Recht gänzlich auf das Verfassungsrecht ausgerichtet sei. Auf der anderen Seite konnte man in der englischen Erfahrung weder die Pyramidenstruktur der Organisation des Staates und der lokalen Einheiten auffinden, welche durch die napoleonischen Modelle nach Kontinentaleuropa exportiert wurde, noch kennt man das Konzept des „Verwaltungsaktes“, 1 2
Wade, H W R., Administrative Law (1967). Giannini, M S, Diritto amministrativo (1970).
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2. Privatrecht/Öffentliches Recht. Vom Gegensatz zur Überlagerung
das in Deutschland entwickelt und auf der Basis des privatrechtlichen Rechtsgeschäfts konstruiert wurde, indem man sich der Kategorien der Pandekten bediente.3 Heute bedeutet – nach Wade – Verwaltungsrecht die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten, unter Benutzung von Regeln des Gemeinschaftsrechts, die an den Verfassungsprinzipien orientiert sind, besonders an der Gesetzmäßigkeit oder Legalität (Rule of Law). Seiner Auffassung nach definieren die englischen Lehrbücher mittlerweile ohnehin diesen Teilbereich des Rechts als tägliche Verwaltung des Landes auf zentraler oder lokaler Ebene, der funktioniert als „putting into practice constitutionally decided policies“ – also Handlungsprozesse, die von den staatlichen Organen ausgeübt werden, aber immer im Rahmen des Verfassungsrechts, wovon sie ein Teil sind. Ganz anders ist das französische Modell, in dem der Gegensatz – zumindest dem Wortlaut nach – radikal ist, in dem der Ursprung des Verwaltungsrechts historisch im Mittelalter liegt, dann durch die von der Revolution und der napoleonischen Staatsorganisation eingeführten Veränderungen ausgeformt, und schließlich in viele Länder Kontinentaleuropas exportiert wurde. In dieser Perspektive ist das Privatrecht gemeinhin definiert als das Recht, welches die Beziehungen zwischen „Privatpersonen“ (particuliers) regelt, und das öffentliche Recht ist das Recht, welches den Staat und die öffentlichen Verwaltungen und deren Beziehungen zu den Bürgern (citoyens) regelt. Aber die Gegenüberstellung ist in einer Phase der Auflösung begriffen, auch wenn die beiden Teilbereiche wissenschaftliche und didaktische Autonomie bewahren und sich auf zwei unterschiedliche Rechtsprechungen berufen. Es gibt nunmehr Materien, die übergreifende Natur besitzen, und daher hat die Unterscheidung – nach den neuesten auch französischen Untersuchungen – eher einen ideologischen als funktionalen Wert.4 Im übrigen handelt die öffentliche Verwaltung der privaten Beziehungen nicht immer nach dem autoritativen Modell, sondern kennt auch Modelle der Übereinkunft und der Teilhabe.5 Dann muß man beobachten, daß die in den geschriebenen Verfassungen aufgenommenen Prinzipen heute die Beziehungen zwischen Privatpersonen durchdringen – wie die deutschen Juristen sagen; die Grundrechte wirken sich auf die
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Siehe hierzu auch Auby J-B (2006) La rôle et de la distinction du droit public et du droit privé dans le droit français, in: The Public Law/Private Law Divide - Une entente asséz cordiale? La distinction du droit public et du droit privé: regards français et britanniques, Freedland M and Auby J-B, Hrsg., 11 und Heidemann M (2009) Private Law in Europe – The Public/Private Dichotomy Revisited European Business Law Review 20 (1), 119-39. Vgl. auch Schmidt-Aßmann E und Dagron S (2007) Deutsches und französisches Verwaltungsrecht im Vergleich ihrer Ordnungsideen - Zur Geschlossenheit, Offenheit und gegenseitigen Lernfähigkeit von Rechtssystemen, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 67, 395-468. Z.B. im Bereich des modernen Wettbewerbsrechts, wie unten besprochen, Teil 3 Kapitel 1, 4.
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Beziehungen zwischen Privatpersonen aus.6 Dies ist ein weiterer Grund für die schrittweise Überwindung des Gegensatzes. Ein jeder der termini, die den Titel dieses Buches konstituieren, ist also eine Frage der Übereinkunft, nimmt unterschiedliche Wertigkeiten an, wechselt seine Bedeutung im jeweils angewandten Kontext und sogar je nach dem linguistischen Gebrauch, in dem er angewandt wird.
3. Das „Europäische Privatrecht“: eine Formel zum Entschlüsseln Während der Ausdruck „Recht“ und das Syntagma „Privatrecht“ seit langem in Gebrauch sind und sich bewährt haben, ist die Formel „Europäisches Privatrecht“ neu: in den Abhandlungen der Gelehrten ist sie seit einigen Jahrzehnten in Gebrauch, in den Dokumenten der Gemeinschaft seit einigen Jahren, in den Hörsälen der Universitäten taucht sie seit kurzer Zeit auf, in den Verhandlungszimmern ist sie fast unbekannt. Es handelt sich, wie oben gesagt, um eine linguistische Formel neuer Prägung, die sich weder überlagert, noch verwechselt werden kann mit der lex mercatoria oder dem ius commune mittelalterlicher Ausformung, oder auch mit anderen Schöpfungen der vergangenen Jahrhunderte. Gerade weil die Formel neu ist, muß sie entschlüsselt werden. Es handelt sich um eine Formel, die für viele Bedeutungen offen ist, wie die zahlreichen Beiträge, die in den letzten Jahren nach und nach erschienen sind, belegen – Beiträge von Juristen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund, die die Formel – die mittlerweile ein Unterrichtsfach und ein Rechtsbereich geworden ist – daher entsprechend ihrer jeweils eigenen Kategorien betrachten. Die Neuheit der Formel besteht einerseits in dem Objekt, auf das sie anspielt, welches vorher nicht existierte, und nun aber in der Rechtskultur, der Literatur, in Akten und manchmal (aber seltener) in den Urteilen präsent ist, andererseits in seiner besonderen Konnotation als europäisches Recht. Die Neuheit, aber auch die Schwierigkeit, die dieser Formel innewohnt, ist auch bedingt durch die Tatsache, daß sie sich nicht durch die Paradigmen, die die Juristen gewohnt sind, dechiffrieren läßt, denn es handelt sich nicht um ein Recht, das einem einzigen Staat zugeordnet werden kann, es ist kein internationales Recht, es ist kein konventionelles Recht, aber es ist all das zusammen und noch etwas mehr. Man denke zum Beispiel an die Produkthaftungsrichtlinie:7 diese wurde von den Organen der Gemeinschaft erlassen, sie wurde innerhalb der Ordnungen der Mitgliedstaaten ausgeführt, sie wurde in der Rechtsprechung angewandt, sie hat neue Termini eingeführt, sie hat ein Prinzip kodifiziert – die objektive Verantwortlichkeit des Herstellers – und sie hat dazu geführt, daß sich die 6 7
Sog. Drittwirkung, siehe hierzu weiter unten Teil 2 Kapitel 1 und 3. Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. L 210 vom 7.8.1985, S. 29–33, siehe dazu näher unten Teil 2 Kapitel 4.
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4. Die historische Konstruktion von „Europa“ und „europäisch“
Vorschriften, die in den einzelnen Rechtsordnungen die Materie regelten, einander angenähert haben. Aber wenn man von „Europäischem“ Privatrecht spricht, benutzt man einen Begriff mit Anspielungen, denn er bezieht sich auf Europa, und dieses Europa, verstanden als Mythos, als geographischer Begriff, als wirtschaftlicher und sozialer Begriff, gewinnt hier eine juristische Konnotation. Um diesen langen Weg zu vollenden, und um alle seine Auffächerungen, seine alten und neuen Bedeutungen zu verstehen, empfiehlt es sich, von der Geschichte auszugehen, weniger von der chronologischen Geschichte, als von der Geschichte im eigentlichen Sinn, jener raffigurazione aulica, in der der Weg der Menschheit kondensiert.
4. Die historische Konstruktion von „Europa“ und „europäisch“ Die Vorstellung von „Europa“ und „europäisch“ fiel bis zur Entdeckung der Neuen Welt im Allgemeinverständnis zusammen mit der Vorstellung des Abendlandes. Die semantischen Grenzen der Begriffe haben sich dann Stück für Stück verändert, gemäß den Gegensätzen, die in den verschiedenen Kulturen von Bedeutung waren: Kontinentaleuropa gegen „Inseleuropa“ (also die Britischen Inseln), das mediterrane Europa gegen das nördliche Europa, das Christliche Abendland gegen den orthodoxen Osten, das Abendland gegen den islamischen Osten und so fort.8 Die kulturelle und politische Vorstellung von Europa hat sich dagegen langsam gebildet, und die ersten wissenschaftlichen Studien diesbezüglich entstehen in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. „Was ist Europa?“ fragte sich Paul Hazard, französischer Gelehrter und Dozent am Collège de France in seinem ersten bekannten Buch Die Krise des Europäischen Bewußtseins aus dem Jahr 1935.9 Die erste Antwort Hazards ist die, die man in den gängigen Büchern findet: „Blutgierige Nachbarn, die sich schlagen - un acharnement de voisins qui se battent“ ein Land von Zwietracht und Eifersucht, aber auch das Land – unter den vieren, in die man den Globus einteilt – das am schönsten, am Kultiviertesten und am Liberalsten ist. Was also ist Europa? Die Frage wird beharrlich: „ein Gedanke, der sich nie zufrieden gibt – une pensée qui ne se contente jamais“. Es ist eine neue Ordnung, die innerhalb von weniger als einem halben Jahrhundert entsteht, von 1680 bis 1715, in dem sich große psychologische, philosophische und technische Veränderungen in der kollektiven Wahrnehmung manifestieren. Das europäische Denken reagiert auf die Krise der antiken und mittelalterlichen Tradition mit einem gewaltigen und sehr mühevollen Werk der Wiederherstellung: der Empirismus von Locke, der Deismus und die Naturreligion, zu der sich Boyle, Bayle, Collins und Toland bekannt haben, das Naturrecht von Grotius, Pufendorf, Spinoza, Cumberland, Fénelon, Thomasius und Gravina, die Sozialmoral von Mandeville, die Suche nach dem Glück auf Erden von Fontenelle und Shaftesbury, die Wissenschaft und der Fortschritt von Descartes und Newton, die neue Humanität und der Romantizismus von Rousseau und 8 9
Vgl. Preterossi G (2004) L'occidente contro se stesso und Habermas J (2004) Der gespaltene Westen. Hazard P (1935) La crise de la conscience européenne.
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Pope, das malerische Leben, das Lachen und die Tränen, die Geburt der Idee der Nation in der deutschen Kultur, und schließlich die „Psychologie der Unruhe“. Es ist das Europa der Ideen, das im Mittelpunkt der Idee von Europa steht, nicht jenes, das in den Religionskriegen entsteht, im Kampf der Mächte, in der Ausbeutung der Massen, im Sklavenhandel. Aber wie entsteht dieses Europa? Die Historiker sind in diesem Punkt uneins und sie streiten sich in einer leidenschaftlichen Debatte. Christopher Dawson, der Kulturgeschichte am University College von Exeter lehrt, veröffentlicht 1935 ein Buch mit dem zu Recht bekannt gewordenen Titel The making of Europe. An Introduction to the History of European Unity.10 In diesem Werk führt Dawson die von Hazard eröffnete Diskussion weiter, aber in einer gänzlich anderen Richtung. Für Dawson hat die Geschichte Europas – und somit die Idee Europas, die der Historiker in den dreißiger Jahren wahrnimmt – ihre Wurzeln im religiösen Gedankengut. Diese Wurzeln finden sich im Erbe des Römischen Reiches, in der Konsolidierung der katholischen Kirche, im Aufkommen der Monarchien, im Auftauchen der Barbaren, im Aufstieg des Islam, der den europäischen Osten charakterisiert, in der byzantinischen Renaissance, im Reich der Karolinger und in der Christianisierung des Abendlandes. All diese Ereignisse begründen nach Dawson die mittelalterliche Einheit. Es ist ein Geist von Schwäche und Opfer, begleitet von heroischen Taten und übermenschlichen Anstrengungen. Europa ist mithin eine Kulturgeschichte, deren Ursprünge im Mittelalter liegen: „the world of the early Middle Ages is the world of our not very distant ancestors, the world from wich we have come and which has formed our national being. Many of us even have in our veins the blood of the makers of the medieval world.“ Dawson distanziert sich von den Historikern des 19. Jahrhunderts, die die Geschichte auf der Basis ihrer nationalistischen Überzeugungen neu geschrieben hatten. Aber – so sagt er – das Übel des Nationalismus wohnt nicht der Loyalität zur Tradition und noch nicht einmal der Verteidigung der nationalen Einheit und dem Recht zur Selbstbestimmung inne. Vielmehr besteht es im Einschluß der kulturellen Einheit in ein totalitäres Konzept. Dagegen ist das tiefste Fundament unserer Kultur nicht der Nationalstaat, sondern die europäische Einheit. Das Überleben unserer Zivilisation hängt an der Entwicklung eines europäischen Bewußtseins. Eine Einheit, die Dawson in der kulturellen Herrschaft Karls des Großen findet, in der die germanischen Elemente überwiegen, im Gebrauch der lateinischen Sprache und Grammatik, die den Platz der lateinischen Liturgie einnimmt, im Aufstieg und Niedergang der aristokratischen Kultur. Das vereinte Europa besteht daher nicht nur in der weltlichen Kultur und im materiellen Fortschritt der letzten Jahrhunderte, denn hinter Humanismus und den oberflächlichen Triumphen der modernen Gesellschaft können wir die sozialen und geistigen Kräfte entdecken, die das heutige Europa erst gebildet haben.
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Dawson C (1935) Die Gestaltung des Abendlandes. Eine Einführung in die Geschichte der abendländischen Einheit.
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5. Romanität und Germanismus
5. Romanität und Germanismus11 Auch auf der anderen Seite, der der totalitären Ideologien, denkt man an Europa. In den dreißiger Jahren wird in Rom eine Tagung mit dem Thema Europa abgehalten. Noch zu Beginn der Feindseligkeiten sprechen die Intellektuellen und die herausragenden Politiker der Achsenmächte von einheitlichen Programmen und Symbolen (von denen sie versichern, sie seien kultureller Natur), welche (einige) Völker Europas einen und sie anderen überlegen machen. Es ist dies die ideologisch befrachtete Lesart zweier Traditionen, die man als Romanität und Deutschtum bezeichnet. Es handelt sich um Gedankengut, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Schriften der Historiker und Juristen gereift ist. Es sind zwei Traditionen, die zu Beginn entgegengesetzt sind, wie die mittelalterliche Geschichte Europas, im besonderen die Italiens, lehrt, sich dann vermengen im Zusammenleben, in der Vereinheitlichung des Rechts, in politischen Einheitsbestrebungen. Ein Buch, das in Italien von Sansoni, in Deutschland von Luetke veröffentlicht wurde, reflektiert diese Auffassung. In diesem Band sind die Konferenzen gesammelt, die von einer großen Gruppe, in unterschiedlichen Disziplinen versierter Intellektueller abgehalten wurden, welche alle Geschichtsläufe der romanischen und germanischen Völker betrachten, die zunächst parallel verlaufen, sich dann durchdringen und zum Schluß vereinigen. Dort werden die Mythen, die Geschlechter, das Recht, die nationalen Einigungsbestrebungen, die politische Doktrin, Sprache, Mystik, Dichtung, die Künste, Musik, Theater, Renaissance und Romantik, die Kriegskunst, Wirtschaft und Philosophie analysiert, alles im Bestreben, das Zusammentreffen der beiden Kulturen als das Bindemittel des neuzeitlichen Wegs der Menschheit darzustellen. Aber abgesehen von historischen Nebensächlichkeiten und den unzweifelhaften Tatsachen des Zusammentreffens der beiden Kulturen, sind die hier dargestellten Thesen äußerst eigenartig. Man beachtet auf historischer Ebene nicht, daß der „Germanismus“ nicht nur Deutschland erfaßt hatte, sondern alle Regionen Nordeuropas, und sich dann nach Süden bis nach Sizilien ausgebreitet hatte. Man bedenkt dabei nicht, daß die Orte des Kontaktes, des Austauschs, der Verpflanzung, der Osmose, die in diesen Schriften wieder aufgesucht werden, völlig willkürliche Grenzen zogen, denn eine jede der wissenschaftlichen und künstlerischen Manifestationen, auf die man sich bezieht, hatte sicherlich ihren Ursprung an einem bestimmten Ort, sich aber dann in alle europäischen Regionen ausgebreitet, um von dort, nach vielen Einflüssen und Veränderungen, an den Ursprungsort zurückzukehren. Dies geschah in einem Prozeß gegenseitiger Bereicherung, den man nicht nur in Deutschland oder Italien findet, sondern der alle Länder Kontinentaleuropas und die Inseln erfaßt hatte. Der Philosoph Giovanni Gentile, eine der wenigen kritischen Stimmen in diesem Kontext, wird sich dieses Widerspruchs, der der These von einer Wiedergeburt Europas in dem Wortpaar „Romanität und Germanität“ immanent ist, bewußt. Er spürt die Verschmelzung von Romanität und Germanität im Gedankengut des 19. Jahrhunderts auf, das sich gegen die Aufklärung wendet, im Denken, das sich auf die historische Realität verläßt, die von un11
[Original Romanità e Germanesimo. Im Deutschen gibt es kaum entsprechende Ausdrücke, da sowohl „Deutschtum“ wie auch „Germanismus“ nicht nur negativ besetzt sind und daher gern gemieden werden, sondern auch schlicht ungebräuchliche Wortstämme verwenden. Wir hoffen daher, daß unsere behelfsmäßige Wortwahl den Leser überzeugt.]
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ten entsteht, von den „rudimentären Formen des geistigen Lebens des Volkes“. Von dieser Basis aus läßt Gentile sich die Idee der „Nation“ entfalten, die ein geistiges Fundament wie auch ein natürliches Fundament hat (Heimat, Sprache und die Bräuche der Völker); und den Glauben – den er als „halbe Wahrheit“ bezeichnet – nach dem die Nationen „von Gott gegeben sind, nicht von den Menschen.“ Halbe Wahrheit, denn die Nation ist „keine natürliche Gegebenheit, sondern vielmehr eine vom Bewußtsein bestätigte Realität (in Theorie und Praxis).“ Hinsichtlich der Verbreitung des Denkens, „entbehren die Fragen hinsichtlich des reinen nationalen Charakters einer jeden Philosophie und ihrer möglichen Beeinflussung durch andere Philosophien ganz offensichtlich eines realen Interesses.“ Die juristischen Aspekte sind komplexer: sie betreffen sowohl die mittelalterliche als auch die moderne Überlieferung, das Phänomen der Rezeption des Römischen Rechts in Deutschland und die Bewegung der Historischen Schule, welche sich zwischen der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammen mit dem dogmatischen Gebäude der Pandektistik in ganz Kontinentaleuropa ausbreitet. Immer im oben beschriebenen Rahmen – der Koexistenz von Romanität und Germanität – hat ein großer Jurist der dreißiger Jahre, Mariano d'Amelio, seinerzeit Präsident des Kassationsgerichts, die Phasen dieser binären Geschichte beschrieben. Die Synthese der beiden Traditionen ist von einem Romanisten dargestellt worden, Theodor Mommsen. Nach Stobbe ist der fundamentale Unterschied – hinsichtlich ihrer strukturellen Natur – zwischen den beiden Traditionen derjenige, daß das Germanische Recht als ursprüngliches Recht zum größten Teil Gewohnheitsrecht war, das heißt ius incertum ohne grundlegende Prinzipien, und zusammengesetzt aus konkreten Einzelregeln, völlig ungeeignet für die Bedürfnisse eines sich entwickelnden Handels. Das Römische Recht dagegen, als geschriebenes Recht, war allen bekannt und anwendbar auf immer neue Fälle. Aber d'Amelio macht auch die gegenläufigen Strömungen zur allzu ehrerbietigen Huldigung des Römischen Rechts deutlich, welche Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland entstehen, und dann in der nationalsozialistischen Kultur und Bildungspolitik ihre Nahrung finden. Der Streit über die Anwendbarkeit des Römischen Rechts beginnt in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Debatte zwischen Schmidt und Ihering über die Darstellbarkeit dieses „Systems“ als Zusammenwirken absoluter Prinzipien. Er wird fortgeführt von Beseler, der die historische Schule attackiert, und besonders von Savigny, wegen des Legitimationsdefizits einer Doktrin, welche das Römische Recht als Auffangbehälter für vom Volk nicht gewollte Gesetze betrachtet. Angesehene Forscher wie Windscheid hatten ihre Stimme erhoben, um das Römische Recht zu verteidigen, dessen Wurzel das Germanische Recht nicht verleugnen konnte. „Das Römische Recht“ – so unterstrich er – „ist kein absolutes Recht: ein absolutes Recht existiert nicht; im juristischen, wie in jedem anderen Bereich, findet man die Wahrheit nur durch harte und kontinuierliche Arbeit des Geistes. Aber das Römische Recht ist das Resultat der Beschäftigung mit dem Recht seitens jenes Teils der Menschheit, dem unter allen Völkern der Weltgeschichte bis heute die größte Begabung hinsichtlich der Rechtskultur zuerkannt wird. Das Römische Recht ist nicht das Recht, so wie die Kunst der Griechen nicht die Kunst ist; aber das geistige Vermächtnis der Menschheit wuchs durch die griechische Kunst nicht mehr, als daß es durch das Römische Recht gewachsen ist.“ Die Beachtung und Anwendung des Römischen Rechts endet in Deutschland noch nicht einmal mit der Kodifizierung von 1896 – 1900. Die Verbindung löst sich erst mit dem Nationalitätsanspruch auf das germanische Recht durch die Nationalsozialisten. An diesem Punkt entsteht die mutige und bestimmte Verteidigung des Römischen Rechts durch Koschaker.
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6. Die Krise des Römischen Rechts und der Ursprung Europas
6. Die Krise des Römischen Rechts und der Ursprung Europas Die Untersuchung von Koschaker ist sehr eindrucksvoll, und sie ist noch im westlichen Denken verbreitet. Sie verlangt nach einer vertieften Beschäftigung, die ihr ihre Bedeutung im Rahmen des kulturellen und politischen Klimas, in dem sie entstanden ist, zuweist. Paul Koschaker, ein Historiker des Römischen Rechts und der antiken orientalischen Rechte, hat zunächst in seinem Heimatland an der Universität Graz unterrichtet, um dann seine Lehrtätigkeit an den wichtigsten deutschen Universitäten, besonders in Leipzig und Berlin, schließlich in Tübingen fortzusetzen. In den Berliner Jahren schreibt er einen Aufsatz über die Krise des Römischen Rechts,12 welcher später zusammen mit anderen Aufsätzen in einem Sammelband 1947 erschien und unter dem Titel L'Europa e il diritto romano ins Italienische übersetzt wurde. Es handelt sich um einen Aufsatz über die Methode des Studiums des Römischen Rechts, verstanden als eine Kunst, die aus der Praxis konkreter Fallösungen durch die römischen Juristen entstanden ist, und in der mittelalterlichen juristischen Tradition zu einer dogmatischen Wissenschaft wurde. Um seine Lehrmethode und seine formgebende Funktion im Verlauf der Rechtsstudien beizubehalten, stellt Koschaker besonders die juristische Struktur und weniger die historische Analyse, welche die Materie im Bereich der Historiker und nicht der Juristen verankern würde, in den Vordergrund. Koschaker konzipiert daher das Römische Recht aus der aktualistischen Perspektive und beschreibt die Wechselfälle seiner Lehrtätigkeit im Nationalsozialismus. Im „Parteiprogramm“ der Nazis wird diese Materie, die als ein Fossil der Vergangenheit betrachtet wird, zwar nicht mehr als obligatorisch betrachtet, aber auch nicht abgeschafft, sondern nur als nicht mehr relevant betrachtet, auch in Anbetracht der schleichenden Krise, die sich ihrer bemächtigt hatte. Im Programm von 1920 liest man in der Tat: „Wir wollen, daß das Römische Recht, das von der materialistischen Weltordnung beherrscht wird, durch ein allgemeingültiges Deutsches Recht ersetzt wird.“ Diese Krise entsteht in Deutschland zeitgleich mit der Einführung des Zivilgesetzbuches: Das BGB zieht alles Interesse der Juristen auf sich, und das Römische Recht wird nicht beachtet. Koschaker versucht zu zeigen, daß „das Römische Recht einen bedeutenden, wenn auch nicht den wichtigsten Teil der europäischen Zivilisation darstellt, und deshalb unauflöslich an Europa gebunden ist.“ Seine Krise verbindet sich mit dem Untergang Europas in der Folge des Ersten Weltkrieges. Koschaker zeigt, daß das moderne Recht seine Wurzeln im Zusammenwirken von Römischem Recht, Germanismus und Christentum hat. Was Europa anbelangt, stellt er fest: „Europa ist vor allem ein kulturelles Phänomen, eine unverwechselbare Synthese von germanischen und klassischen, überwiegend romanischen Kulturelementen, von denen man das Christentum nicht abspalten kann, welche in ihrer Gesamtheit die kulturelle Situation der höchsten sozialen Schichten in den verschiedenen europäischen Ländern bestimmt und
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Koschaker P (1938) Die Krise des römischen Rechts und die romanistische Rechtswissenschaft.
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zugleich über das Christentum in die Massen Eingang gefunden haben“. Europa ist „keine naturgegebene geographische Tatsache, sondern vielmehr ein Produkt der Geschichte“. Das Imperium Romanum war ein mediterranes Reich; mit der Abspaltung des byzantinischen Reichs und der islamischen Invasion vertraut sich der christliche Westen den Franken an, und die neue Idee von Europa entsteht mit dem Reich der Karolinger und der Investitur Karls des Großen durch den Papst. Die gesamte Geschichte des westlichen Rechts, die auf dem Studium des Römischen Rechts gründet, und durchdrungen ist von germanischen und christlichen Werten, windet sich nach Koschaker durch die Jahrhunderte, bis zur Aufnahme des Römischen Rechts in Deutschland.
Die These von Koschaker, die durch seine Position gegen die Marginalisierung des Römischen Rechts in der Rechtslehre seitens der nazistischen Universitätspolitik illustriert wird, hinterließ einen enormen Eindruck in der Rechtsprechungskultur der Zeit. Ein anderer großer Gelehrter des Römischen Rechts, Francesco De Martino, verteidigt in seiner Schrift über Individualismus und römisches Privatrecht von 1941 das Römische Recht gegen die Darstellung der Nationalsozialisten als „Recht des Kapitalismus“, indem er die Position von Koschaker wieder aufnimmt. De Martino unterstreicht, daß diese Art, das Phänomen zu interpretieren, eine Mystifikation ist, denn die Nazis kämpften gegen die ererbten zivilen Prinzipien des Römischen Rechts, da sie sich gegen den Schutz der persönlichen Freiheit stellten. Das Römische Recht muß – nach De Martino – viel eher als ein Korpus von Regeln verstanden werden, die auf der Freiheit gegen den Absolutismus gründen, das heißt gegen die grenzenlose Macht des Staates. Auf der anderen Seite konnte die Überlagerung des Römischen Rechts durch die kapitalistische Auffassung von den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen nichts als eine Verzerrung der Geschichte sein.
7. Der Antifaschismus und die Idee von Europa Beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und während der Kriegshandlungen und der Besetzung vieler europäischer Länder durch die Kräfte der Nazifaschisten gewinnt die Idee von Europa noch eine andere Bedeutung. Europa steht für Frieden und Freiheit von Totalitarismus. Um diese Ideen konkret werden zu lassen, denken viele daran, eine Organisation auf europäischer Ebene zu schaffen, – ein Bundesstaat, eine Konföderation oder ein überstaatliches Organ mit festgelegten Kompetenzen – die diese Werte verkörpert. Es handelt sich dabei um Akademiker, Politiker und auch Juristen. Ein jeder mit seinem eigenen Gesichtspunkt, der entweder von ideologischen Positionen oder von unterschiedlichen Konzepten bestimmt ist, aber alle orientieren sich an der Suche nach gemeinsamen Werten einer – europäischen – Gesellschaft, mit denen sich die zerstörte westliche Zivilisation wieder aufbauen läßt. Auch in dieser schwierigen Lage trägt die Geschichte, oder besser, der Gebrauch der Geschichte, dazu bei, die noblen Absichten der Demokraten zu verfestigen.
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7. Der Antifaschismus und die Idee von Europa
Es mag außergewöhnlich erscheinen, daß gerade in diesen Jahren zwei Historiker – der Italiener Federico Chabod und der Franzose Lucien Febvre – ihre Universitätsveranstaltungen der Analyse der Idee von Europa widmen. Es ist einzigartig und zugleich bewegend, wenn man bedenkt, daß der große Konflikt bereits ausgebrochen und im Gange ist. Die beiden Historiker sind beseelt von Intentionen, die nicht explizit ausgesprochen werden, die aber in Ihren Schriften klar erkennbar sind. Im akademischen Jahr 1943 – 1944 hält Federico Chabod13 an der philosophischen Fakultät der Universität Mailand einen Kurs über die europäische Geschichte, dessen Themen er nach Beendigung des Krieges in seiner Antrittsvorlesung für das akademische Jahr 1947 – 1948 im Januar 1947 an der Universität Rom wieder aufgreift. Die Zeiten waren stürmisch, in jenen Monaten war Italien, wie man sich erinnern wird, zweigeteilt: der Süden war schon von den Alliierten befreit, der Norden noch unter der faschistischen Regierung, die mit den Nazis zusammenarbeitete. Nach Chabod darf man die Idee von Europa im modernen Sinn nicht mit seiner geographischen oder physischen Gestalt verwechseln. Was zählt, ist Europa, verstanden in politischem, kulturellem und moralischem Sinn, denn das ist die Idee, die in die Geisteshaltung, in die kulturelle Gewohnheit der Moderne eindringt. „In der Geschichte“, bemerkt Chabod, „hat nur das einen Platz, was sich seiner selbst bewußt ist.“ Daher ist die Idee von Europa, die die Historiker auf Sokrates zurückführen, der zwischen Europa und Asien unterschied, auf Herodot, der die geographischen Grenzen Europas definiert hat, auf Augustus, der Europa als Objekt der Eroberung neuer Territorien für die römische Herrschaft verstanden hat, auf das Christentum, das die Grenzen zwischen Zivilisation und Barbarei definiert hat, auf Karl den Großen, der gemeinsam mit dem Papst Europa als Weströmisches Reich konzipiert hat, als Bollwerk gegen die arabische Invasion, multilateral. In der gleichen Art und Weise partial ist die Idee der Humanisten, die Europa als Region begriffen haben, in der kulturelle, moralische, geistige und sittliche Affinitäten reifen. Was zählt, ist die politische Idee von Europa als „politischer Korpus“, in dem sich die Macht der Staaten im Gleichgewicht befindet. Chabod spürt diese Idee in jüngeren Epochen auf, besonders im Denken der Aufklärer: in den Schriften von Friedrich dem Großen, von Voltaire, von Montesquieu. Die Aufklärer sahen Europa als Land der Freiheit. Aber ihre Ansichten waren nicht einstimmig: mancher rechnete den Ursprung der neuen Zivilisation dem Germanismus zu, während Voltaire auf der Gegenüberstellung von Europa und Asien bestand, und nur in Europa den Ursprung von Literatur und Wissenschaft sah. Chabod unterstreicht, wie die Idee von Europa sich mit der Entstehung der Nationen verfinstert, befördert durch Rousseau. Aber die Idee stirbt nicht. Metternich und Castlereagh begreifen sie als ein Ganzes, ein komplexes politisches Gebilde, mit seinen Teilen im Gleichgewicht, bis zu dem Punkt, daß Castlereagh an ein „Commonwealth of Europe“ denkt. Auch in der Romantik, in der sich die Idee der Nation verfestigt, verschwindet das Bedürfnis, die westlichen Nationen in einem einheitlichen Rahmen zusammenzufassen nicht: der Revolutionär Mazzini oder der Konservative De Maistre halten es für wichtig, daß die Rechte der Nationen mit denen Europas ausgeglichen werden.
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Chabod F (1961) Storia dell’idea d’Europa.
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Im akademischen Jahr 1944 – 1945 hält auch Febvre, einer der Gründer der französischen historischen Schule der Annales, einen Kurs am Collège de France über Europa. Genesis einer Zivilisation.14 Auch Febvre geht auf Distanz zur geographischen Vorstellung von Europa, aber er fragt sich, wie dieser Name, der nicht von der Natur gegeben ist, entstanden ist. Der Name scheint zurückzugehen auf das Jahr 520 v. Chr., auf Hecates von Milet, der in der Beschreibung des Erdkreises drei Regionen unterschied: Europa, Asien und Lybien. Recht schnell wird Europa eine Kategorie des Geistes. Seine konzeptionellen Grenzen ändern sich mit den Zeiten, je nach wirtschaftlichen und politischen Einflüssen. Europa wird mit den Zivilisationen des Mittelmeerraumes gleich gesetzt, dann mit den Grenzen des römischen Reiches. Auf den Untergang des römischen Reiches folgt der Sieg der römischen, mithin europäischen Kultur. Für Febvre – der eine Behauptung Marc Blochs wieder aufnimmt – entsteht das moderne Europa mit dem Untergang des römischen Reiches: seine Ursprünge lassen sich im Karolingerreich und im Gegensatz von Okzident und arabischer Eroberung verfolgen. Es handelt sich also um eine Idee, die ganz eminent auf der Kultur basiert: „Das Zusammenwirken beim gleichen zivilisatorischen Prozeß, die Teilhabe am gleichen kulturellen Ideal, am gleichen Lebensideal, die Teilhabe, das Zusammenwirken von sehr unterschiedlichen Völkern.“ Aber Europa bedeutet auch das Christentum der Kreuzzüge, das politische Feudalsystem, der wirtschaftliche Aufschwung, die Suche nach Gold, die Republik der Worte und des Geistes, das Land der Revolutionen und der neuen Freiheiten, das Land der Nationen. Deshalb fordert Europa „...Fetisch, Heilmittel, Rettung“ eine „europäische Republik“. Als Abschluß einer faszinierenden und kostbaren Rekonstruktion dieser Idee erinnerte Febvre seine Studenten im besetzten Frankreich daran, daß „Europa das notwendige Ziel jenes langen Marsches zu Einheit und Konzentration ist, der von allen europäischen Staaten vor mehr als einem Jahrtausend begonnen wurde, in einer Zeit, in der das Karolingerreich Europa eine Art erster Präfiguration gegeben hat. Das haben die großen Denker gesagt, die edlen Romantiker des 19. Jahrhunderts. Wie könnten wir Menschen des 20. Jahrhunderts es nicht mit ihnen sagen.
8. Die Geburt des neuen „Europa“ im demokratischen Denken Die Geschichte der Idee von Europa beginnt nicht nur in den Hörsälen der mutigen Dozenten, die an der Schwelle zum Zweiten Weltkrieg oder während des Krieges lehren und schreiben. Wer in diesen Jahren kämpft, oder die Gedankenfreiheit mit Exil, Gefangenschaft, Folter oder Tod bezahlt, für den ist die Idee von Europa eine Präfiguration einer neuen demokratischen und liberalen Dimension für die in den Konflikt verstrickten Länder, unter Überwindung der nationalen Grenzen und der Rivalitäten zwischen den europäischen Völkern. Ein jeder dieser noblen Menschen verdiente die Erinnerung und unsere Dankbarkeit. Hier können wir nur einige herausragende Beispiele anführen. R.W. Mackay publiziert 1940 in London ein Buch über Federal Europe. Altiero Spinelli, verfaßt 1941, im Alter von 14
Erschienen als Febvre, L., L'Europa. Storia di una Civiltà (1944-45) (1999).
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8. Die Geburt des neuen „Europa“ im demokratischen Denken
28 Jahren, zusammen mit Ernesto Rossi und Eugenio Colorni ein Manifest, das die Hoffnung auf ein freies Italien in einem freien und vereinten Europa beschreibt. Thomas Mann bekennt sich in seiner Radioansprache aus New York vom 29. Januar 1943 zur Idee der europäischen Einheit und erklärt die Notwendigkeit, eine „Föderation freier Staaten mit gleichen Rechten“ zu gründen, die „in der Lage sind, ihre geistige Unabhängigkeit und ihre kulturellen Traditionen erblühen zu lassen, während sie einem gemeinsamen Gesetz des Verstandes und der Moral unterworfen sind.“ Bereits 1940, als Belgien, Holland und Luxemburg von den Nationalsozialisten eingenommen wurden, wurde die „Commission pour l'étude des problèmes d'après guerre“ (CEPAG) gegründet, welche sich mit der Unterstützung von Paul-Henri Spaak und Hubert Pierlot über Europas Zukunft Gedanken macht. Mit Klarheit und Weitblick werden wirtschaftliche und soziale, vor allem aber politische Fragen untersucht. Dabei wird besonders die Notwendigkeit unterstrichen, eine europäische Union zu schaffen, die das Entstehen neuer grausamer Kriege verhindert und Demokratie und Fortschritt der europäischen Völker befördert. Das Resultat dieser Ideale und Strömungen wird die Institution der Gemeinschaft und dann die Gründung der Europäischen Union sein. Ein langsamer und schwieriger Prozeß, gezeichnet von den Römischen Verträgen, der Einheitlichen Europäischen Akte, dem Vertrag von Maastricht, der Europäischen Grundrechtecharta von Nizza, dem Verfassungsvertrag.15 Am Ende des Krieges ersteht die Idee von Europa aus der Asche des Konfliktes wieder auf. Die Historiker verfeinern die Idee weiter. Schon Oscar Halecki (1950), der in Krakau promoviert hatte, Mitglied der polnischen Akademie und dann Professor an der Fordham University in New York war, benennt 1950 das Problem der Chronologie der Geschichte Europas mit seinen geographischen Begrenzungen, seinen natürlichen Unterteilungen, und seiner zeitlichen Unterteilung, indem er tout court die Einbeziehung Osteuropas in die Geschichte beansprucht. Denys Hay, zu der Zeit Professor an der Universität von Edinburgh, kritisiert in Europe. The Emergence of an Idea16 die These, nach der Europa nur auf dem Christentum basiert. Ihm und J R Hale verdanken wir ein komplexeres Bild. Hay berücksichtigt die soziale Struktur des mittelalterlichen und des modernen Europa, die religiösen, bildungstechnischen, künstlerischen und literarischen Bedingtheiten, wie auch die wirtschaftlichen Zwänge. Besonders der Handel ist einer der wesentlichen Faktoren, die Europa einen: ein Markt der Waren, aber auch, wie wir heute sagen würden, von Finanzdienstleistungen. Es ist wichtig zu unterstreichen, wie sich der kulturellen Idee von Europa eine andere hinzugesellt: jene der transnationalen Beziehungen, die sich durch den Austausch ergeben. Der Handel ist ein einendes Element, das durch das Zirkulieren von Waren und Dienstleistungen und auf der Basis der rechtlichen Regelungen, die feste Vorgaben bieten, um diese Operationen zu ermöglichen, entsteht. Dieses Geflecht aus Praxis, Symbolen und Prinzipien wird als lex mercatoria bezeichnet. Die bonds of trade sind in zwei Formen präsent: dem Warenverkehr und dem Regelverkehr. Die Beispiele sind eklatant: Die Preisliste der in Preußen vom Deutschen Orden verkauften Waren umfaßt Waren, die aus ganz Europa kommen, vom französischen und Rheinwein zum ungarischen Eisen, zum Salz aus Lüneburg und aus Flandern bis zum Olivenöl aus dem Süden. Auf der Liste der Waren, die in den Depots der damals kleinen Stadt Leicester lagern, findet sich Pariser Seide und kontinentaleuropäischer Wein. 15 16
Jetzt Vertrag von Lissabon oder Reformvertrag. Hay D (1957) Europe: The emergence of an idea.
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Dann muß man die Tatsache beachten, daß die Regeln der lex mercatoria nicht nur die Modalitäten der Geschäftsabschlüsse betreffen, sondern auch die Zahlungsformen, die Kredittitel, den Geldwechsel, die Anwendungsverbote und so weiter. Am Ende dieser ersten summarischen Untersuchung zeigen sich unterschiedliche Ideen von Europa, eine jede bedingt durch die Epoche ihrer Entstehung und durch die Umstände dessen, der sie erschuf. Heute beschäftigt sich die Geschichtsschreibung vor allem mit der Identität und dem Bewußtsein Europas. Es ist problematisch, daß die Historiker viele Faktoren berücksichtigen, unter denen normalerweise – dies muß man unterstreichen – die juristische Dimension nicht auftaucht. Dies ist für uns Juristen von großer Bedeutung, bedeutet es doch, daß die Struktur des juristischen Systems, seine Sprache und Begriffswelt, die Rechtsformen im breiten Sinne weder in der Wahrnehmung der einfachen Leute, noch in der Wahrnehmung dessen, der die Bildung einer europäischen Identität und eines Zugehörigkeitsbewußtseins untersucht, relevant sind. Relevant sind hingegen einzelne Aspekte der juristischen Welt, wie die Individualrechte und die Gemeinschaftsrechte, die Verfassungen und die Ideale, die die Basis des Rechtssystems bilden. Aber genau diese, und das wird im folgenden diskutiert werden, sind die gemeinsamen Werte des Abendlandes, nicht der Besitz eines einzelnen Staates, sondern der europäischen Identität in ihrer Gesamtheit.
9. Die Idee von Europa heute: kulturelle Entstehung Die tiefsten und deutlichsten Wurzeln der im 20. Jahrhundert konzipierten Einheit Europas sind die kulturellen. Nach den zeitgenössischen Historikern finden sich diese im Hochmittelalter: der Gebrauch der lateinischen Sprache, die Schriftkultur, die Zentren der Lehre – und die Geburt der Universitäten – sind einige der Faktoren, die die Historiker mit juristischen Entwicklungen in Verbindung bringen: das geschriebene Recht, die Rechtsschulen, die Universalität der Gesetze, die Begriffe der Staatsbürgerschaft und der res publica konstituieren das, was Michel Banniard, Professor an der Universität Toulouse, als „kulturelle Rettungsringe“ der europäischen Zivilisation bezeichnet.17 Aber die Diskussion ist offen. Bronislaw Geremek18 zum Beispiel, warnt vor jeder anachronistischen oder aktualistischen Operation. Besonders warnt er vor der Versuchung, einen zu „abendländischen“ Blick auf Europa zu haben, in der Folge jenes historischen Ansatzes, der – von L. Von Ranke heftig propagiert – die europäische Welt mit der römisch-germanischen Welt identifiziert, mit der Konsequenz nicht nur des Ausschlusses der slawischen Völker aus dem europäischen Horizont, sondern auch der Verzerrung des Bildes einer europäischen Zivilisation, und dem Erfolg, den Pluralismus, eine ihrer natürlichen Eigenschaften, zu unterdrücken. Davon ausgehend muß man die zahlreichen Faktoren in Betracht ziehen, die bei der Erschaffung einer 17
Vgl. Banniard M, Hrsg. (2002) Langages et peuples d’Europe. Cristallisation des identités romanes et germaniques, VIIe-XIe siècle: colloque international organisé par le Centre Européen D’Art et Civilisation Médiévale de Conques et l’Université de Toulouse-Le Mirail. 18 Geremek B (1991) Le radici comuni dell' Europa.
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10. Mythen und Vorurteile
Idee von Europa zusammenwirken – das Karolingerreich und das Christentum, das byzantinische Reich und der Kampf gegen den Islam – aber auch die Krisenphänomene der traditionellen universalistischen Programme des Papsttums und der weltlichen Herrscher. Geremek unterstreicht, daß die Idee von Europa als ein einheitliches Gebilde schon im 15. Jahrhundert untergeht: Ein französischer Autor jener Epoche stellte fest, daß Europa von christlichen Nationen unterschiedlichen Glaubens bewohnt war. Zu den einheitsstiftenden Faktoren, mit dem Ziel, ein Massenbewußtsein herzustellen, das sich aus „Fesseln und Gefühlen“ speist, werden also die Kultur, die Wirtschaft, die Beziehungen zwischen Stadt und Land, die Aufteilung der sozialen Rollen, die geographischen Entdeckungen, die Erfindung des Buchdrucks, die Blutsbindungen und die nachbarschaftlichen Beziehungen.
Es ist mittlerweile unter den Historikern allgemein anerkannt, daß die grundlegenden Merkmale der europäischen Identität – wie sie der große französische Historiker Jacques Le Goff19 definiert – in der religiösen Kultur, im Feudalsystem, in den neuen Nationalstaaten, im Aufstieg der Städte gegenüber dem Land, im wirtschaftlichen und technischen Fortschritt, in der Kultur, verstanden als Kunst und Literatur, in den Ideen und den Empfindlichkeiten bestehen. Das Recht hat nicht immer seinen Platz unter den maßgeblichen Merkmalen der europäischen Identität. Aber für viele ist einer der fundamentalen Aspekte dieser Identität durch die Konstruktion der Menschenrechte gegeben, die einmal durch die Werte des Christentums und zum zweiten durch die Werte der Aufklärung verteidigt werden. Die Suche nach den europäischen Wurzeln und mithin nach den charakteristischen Merkmalen der europäischen Identität in der Geschichte kann der Reflex eines bitteren Bewußtseins sein, nämlich, daß seit dem 19. Jahrhundert, mit dem Entstehen der Nationen und der Anerkennung der Idee der Nation und der nationalistischen Ideologien, das „ideale“ Europa gegen die Realität steht, und daß wir heute die Einheit auch mittels einer Geschichtsverfälschung wieder herstellen müssen.
10. Mythen und Vorurteile Im Grunde, so behauptet Josep Fontana,20 von der Universität Pompeu Fabra in Barcelona, ist die europäische Identität die Frucht von Mystifikationen. Anders ausgedrückt ist es, als wäre sie von vielen deformierenden Spiegeln reflektiert, so daß es, um zu verstehen, wie sie entstanden ist, und wie man eine europäische Identität konstruieren kann, nötig ist, die „Spiegelgalerie“ zu durchlaufen und herauszukommen, ohne darin gefangen zu bleiben. Die „Spiegel“, die Fontana unterscheidet, sind zahlreich. Der Spiegel der „Barbaren“, der die römische Auffassung widerspiegelt, die völlig unsensibel gegen Kultur und Traditionen
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Le Goff (2004) Du Ciel sur la Terre. La Mutation des Valeurs du XIIe Siècle au XIIIe, in: Héros du MoyenÂge, le Saint et le Roi Hrsg., 1263-87. 20 Fontana J (1995) Fontana, l'europa allo specchio. Storia di un' identità distorta.
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der unterworfenen Völker war (mit Ausnahme der hellenischen Kultur), und die sich im Vorurteil der Überlegenheit der Romanität über andere Traditionen wie die keltische, die germanische, die gotische, die städtische gegenüber der ländlichen, ausdrückt. Der „Christliche“ Spiegel, der die Idee eines Europa, das von einer einzigen Religion zusammengehalten wird, reflektiert, wobei das Christentum als „Versuch, eine Herrschaft zu verlängern, um eine bedrohte soziale Ordnung aufrecht zu erhalten,“ begriffen wird. Der „feudale“ Spiegel, der die sozialen Klassen kristallisiert, das Wachsen der Massen bremst und die Arbeitskraft, aber auch die intellektuelle und religiöse Energie an sein Land bindet. Der Spiegel des „Teufels“, der nicht nur den Islamismus bekämpft, sondern alles was nicht christlich ist, wie z.B. die jüdische Kultur. Der „bäuerliche“ Spiegel, welcher den Kampf gegen Häresie und soziale Gleichberechtigung, die oft aus bäuerlichen Revolten entstehen, rechtfertigt. Der „höfische“ Spiegel, der mittels der Erschaffung der Fürstenhöfe alles, was kulturell, sozial, politisch „anders“ erscheint, ausschließt: Häretiker, „Hexen“, Homosexuelle, Juden und erneut die Bauern. Der Spiegel der „Wilden“, der unter dem „Anderen“ das NichtEuropäische versteht: die Ureinwohner der Neuen Welt, denen man die Menschlichkeit, Eigentum und Identität abspricht, um sie zu Anderen zu machen und sie zu versklaven; aus dieser Haltung entsteht das Konzept der Rassen. Der Spiegel des „Fortschritts“, mit dem man im 19. Jahrhundert ein globales Paradigma konstruiert und auf den Rest der Welt projiziert, in dem sich – gemäß der schottischen Wirtschaftstheorie – natürliche und menschliche Geschichte vermischen, und das die Unterwerfung der „primitiven“ Völker, die Kolonialisierung, die soziale Evolution und die Technologien rechtfertigt. Der Spiegel des „gemeinen Volkes“, mit dessen Hilfe man den Staatsapparat und die Identität von Staat und Nation konstruiert. Die Nation wird per se als das politisch-kulturelle Produkt einer neuen Mythologie verstanden, die auf der Verteidigung der eigenen Geschichte, auf der Einheit der Sprache, auf der Entdeckung einer gemeinsamen Tradition und einender Mythen, auf der Verteidigung des Eigentums, auf der Schaffung einer klassenüberschreitenden Gesellschaft und auf der kulturellen Assimilation der Volksmassen beruht. Dieser lange Prozeß kennt Fortschritte und Rückschritte, Konflikte und Ausbrüche, Revolutionen und Unterdrückung.
Fontana21 ermahnt uns, den Mythen der Überlegenheit Europas, der Modernisierung (die viel Kummer verursacht hat), einer Gesellschaft, welche von der Massenkommunikation, die die Kultur, die Ideen und die Lebensgewohnheiten nivelliert, bestimmt ist, keine neue Nahrung zu geben. Mit anderen Worten, Europa kann sich nicht in ein mystifizierendes Ghetto zurückziehen, wenn es seine Fähigkeit der Anpassung an sich verändernde Realitäten wieder erlangen und im Kern fortbestehen will. Die These Fontanas wird von denen geteilt, die auf der Basis anderer Untersuchungen und anderer Perspektiven, die Geschichte Europas – eine „lange, schillernde und blutige Geschichte“ - heute als Weg einer Erfindung über fünf Jahrhunderte hinweg verstehen. Dieser Kontinent kann unter dem Licht der epochalen Geschehnisse, die ihn zeichnen, zugleich als „gelehrt“ und als „verrückt“ begriffen werden. Es ist ein Kontinent, der von vielen Werten, die untereinander in Konflikt stehen, bestimmt wird, die man nicht in einem einzigen und definierten System zusammenfassen kann. Deshalb zeigt Emmanuel Todd,22 als Ausdruck der historischen anglo-französischen Kultur, wie die europäische Zivilisation das Produkt 21 22
Op.cit. Todd E (1996) L' invention de l'europe.
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11. Identität und Bewußtsein
einer langsamen und schmerzhaften Synthese ist. Todd identifiziert die Komponenten dieser Synthese (die auf Alphabetisierung, auf Industrialisierung und auf Geburtenkontrolle basiert) in den englischen, französischen und deutschen Modellen: im englischen wegen der Einführung des Schutzes der Individualrechte, im französischen wegen der Einführung des allgemeinen Wahlrechts, und im deutschen wegen der Einführung der Sozialversicherungssysteme. Der Schlüssel zum Verständnis dieser Phänomene mag sonderbar erscheinen für denjenigen, der sich nur auf die politische und soziale Historiographie beziehen, anstatt auf die Geschichtsschreibung, die die Zivilisation an sich betrachtet. Das Bild ist bestimmt von der Familie, den familiären Beziehungen, von der Verbindung von Familie und Lebensunterhalt, mithin zwischen der Geschichte des Landbaus und der Geschichte der Industrialisierung, von den Wechselbeziehungen zwischen Familie und Erziehung, Familie und Religion, Familie und Ideologie (Gleichheit, Individualismus, Autoritarismus, Komunitarismus). Todd macht vier Typologien der Familie aus: die Kernfamilie, die vergrößerte Familie, die religiöse Familie und die laizistische Familie, sowie drei dominierende Ideologien in den verschiedenen Staaten Europas: Sozialismus, Nationalismus und religiöser Traditionalismus. Diese Faktoren verbinden sich miteinander und multiplizieren sich. In den letzten Jahrzehnten registrierte man die Krise aller Modelle und aller Familientypen: die Schwächung des Katholizismus, die Betäubung des Sozialismus, die Wiedererstehung der Nationalismen, Aufwallungen von Rassismus, im Zusammenhang mit der außereuropäischen Immigration. Die Schlußfolgerung der Abhandlung ist offen, nicht festlegend: Wird Europa universalistisch sein? Wird es die Unterschiede respektieren? Wird es ethnozentrisch sein? In jedem Fall werden die Europäer „sich nicht selbst definieren können, ohne eine Definition des Anderen“.
Um einig zu werden, müssen die Europäer – an erster Stelle die Historiker der europäischen Identität – ihre ebenso verbreiteten wie schmeichelnden Stereotypen über Bord werfen, auch wenn sie von großen Meistern geteilt werden. Der Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus, die Säkularisierung, die Entwicklung der Nationalstaaten, die radikalen Revolutionen, die Bejahung der Toleranz und der Rechtechartas und Verfassungen. Der Herrschaftswechsel weg von adeligen Landbesitzern und Industriepotentaten sind nicht nur Phänomene, die besonders in England entstehen, wie R.H. Tawney behauptet: es mag sein, daß viele Veränderungen, die für die moderne Gesellschaft bezeichnend sind, ihren Ursprung in England haben, aber diese Tatsache, so beobachtet Jack Goody, „berechtigt nicht zu besonderen Ansprüchen“ seitens der Engländer. Auf der anderen Seite, vom Standpunkt eines jeden nationalen Horizonts, könnte man eine Vorreiterposition beanspruchen: Italien für Kunst, Handel und Gründung des Kommunalwesens, Frankreich für den Rationalismus und das Staatsbürgertum, Holland für Überseehandel und Überseefinanzen, und so weiter.
11. Identität und Bewußtsein Nach der Überzeugung heutiger Historiker – nicht sehr unterschiedlich von Chabods Intuitionen – ist es nicht möglich, die Identität vom kollektiven Bewußtsein
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zu trennen: Man muß verstehen, wie man die europäische Identität erschaffen kann, (nicht, wie sie entstanden ist) und welche Vorstellung die europäischen Bürger davon haben. Man kann nicht von europäischer Identität sprechen, ohne daran zu denken, daß, wer auch immer sie skizziert, einerseits die Geschichte in Betracht zieht, und sie zugleich aber auch herstellt, denn die europäische Identität ist keine geologische Tatsache, die man mit genauen wissenschaftlichen Instrumenten dechiffrieren könnte. Die europäische Identität ist ein Laboratorium, in dem viele Arbeiter und viele Faktoren miteinander konkurrieren. Sie ist ein Prozeß, das heißt ein „work in progress“, denn die Identität verändert sich je nach Epoche, kulturellen und politischen Einflüssen, ökonomischen und sozialen Strukturen. Vor allen Dingen kann die europäische Identität nicht nur das Produkt einer Elite von Geschichtswissenschaftlern sein, sondern muß der Reflex eines kollektiven Bewußtseins, der Art und Weise, wie die Europäer sich selbst begreifen, sein. Anders gesagt, die Geschichte der Identität und des europäischen Bewußtseins – darauf macht uns Heikki Mikkeli23, Universität Helsinki, aufmerksam – darf weder mit der Geschichte eines Organismus, der in einer einheitlichen Welt geboren wird und aufwächst, noch mit der Geschichte der Sieger, noch mit einem Weg ohne Widersprüche, ohne Konflikte und ohne Unterschiede verwechselt werden. Die heutigen Wissenschaftler sind sich über einige Faktoren, die die europäische Identität bestimmen, einig: die kulturellen und sozialen Faktoren (Geschichtsstudium, verstanden als Legitimation der Idee Europas, der Erinnerung, der Nation, der Familie, der Immigration), die wirtschaftlichen Faktoren (vom nationalen zum gemeinsamen Markt) und die institutionellen Faktoren (Demokratie und Rechte der Person, supranationale Organe).
12. Literaturhinweise Die Literatur über die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht ist unüberschaubar. Zur ersten Orientierung: Alpa, Trattato di diritto civile. I. Storia fonti, interpretazione, Milano, 2000; Giannini, Diritto amministrativo, I und II, Milano, 1970, bezieht sich auf das Zitat von H W R Wade, Administrative Law, veröffentlicht in Oxford 1967. In den letzten Jahren hat man versucht zu verstehen, wie der Ursprung und die Struktur der Justizsysteme Westeuropas, Frucht einer langen, ereignisreichen, komplexen und wechselvollen Geschichte, ein Bild des Abendlandes zeichnen konnten, das dazu neigt, dem des Orients entgegengestellt zu werden, besonders in Bezug auf die islamischen Staaten. Ebenfalls auf der Tagesordnung stehen die Unterschiede, zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Demokratiemodell. Die Gegenüberstellung zeigt Widersprüche und läßt manchmal eine Auswahl erkennen, die mit Vorurteilen belastet erscheint. Vgl. z.B. Preterossi, L'Occidente
23
Vgl. Mikkeli H (1998) Europa. Storia di un' idea e di un' identità.
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12. Literaturhinweise
contro se stesso, Roma-Bari, 2004; J Habermas (2004) Der gespaltene Westen, ital. Übers. L'Occidente diviso, Roma-Bari, 2005. Die Geschichte der Idee Europa ist selbst Frucht einer sehr reichhaltigen Literatur, die je nach Epoche „Europa“ unterschiedlich verstehen. Anstatt weit in der Zeit zurückzugehen, haben wir es vorgezogen, die Beiträge zu erwähnen, die – noch aktuell – Europa im modernen Sinne verstehen: vgl. Paul Hazard, Mitglied der Académie Française und Professor am Collège de France in seinem bekanntesten Buch, La crise de la coscience européenne von 1935; Christopher Dawson, Professor für Kulturgeschichte am University College Exeter veröffentlicht 1935 ein Buch mit dem Titel The Making of Europe. An Introduction to the History of European Unity. Auch die juristische Geschichte Europas ist Frucht einer lebendigen Debatte, die ihren Ursprung in einem Aufsatz von Koschaker hat, der das Römische Recht verteidigt, eine Materie, die im Nationalsozialismus ungerechterweise wenig Beachtung erfuhr. Paul Koschaker (1879-1951) unterrichtete, nachdem er zuvor an der Universität Graz in seinem Heimatland tätig war, an den bedeutendsten deutschen Universitäten, besonders in Leipzig, Berlin und schließlich in Tübingen. In seinen Berliner Jahren verfaßt er einen Aufsatz über die Krise des Römischen Rechts, Die Krise des römischen Rechts und die romanistische Rechtswissenschaft (1938), der später mit anderen Aufsätzen, die erwähnt werden und in einem 1947 erschienenen Buch zusammengefaßt sind, und unter dem Titel L'Europa e il diritto romano ins Italienische übersetzt wurde. Die Debatte geht in den Jahren vor und nach dem Zweiten Weltkrieg weiter: vgl. Francesco De Martino mit dem Aufsatz über Individualismo e diritto romano privato von 1941, R W Mackay, der 1940 in London ein Buch über Federal Europe veröffentlicht und Probleme anspricht, die in Europe. The Emergence of an Idea von Denys Hay wieder aufgegriffen werden. Die Antithese von Kulturen, die sich im europäischen Panorama der Zeit gegenüberstehen, ist in den Aufsätzen, die von J De Blasi unter dem Titel Romanità und Germanesimo von 1941 gesammelt sind, gut dargestellt. Während der letzten Kriegsjahre nehmen Chabod (L'idea di Europa, jetzt Mailand, 1962) und Febvre (jetzt: L'Europa. Storia di una civiltà, Roma, 1999) die Idee von Europa im modernen Sinne wieder auf. Ein Europa der Freiheit und Demokratie, das aus der Asche des Krieges ersteht und den Totalitarismen abschwört. Die Historiker bleiben auf dieser Linie: vgl. z.B. Halecki, The Limits and Divisions of European History, London, 1950; Grosbois, L'idée européenne en temps de guerre 1940 – 1944, Louvain-la-Neuve, 1994; Duroselle, L'idea di Europa nella storia, Milano, 1964; Accademia Nazionale die Lincei, Il Risorgimento e l'Europa, Roma, 1964. Neueren Datums sind: Geremek, Le radici comuni dell' Europa, Milano, 1991; Heraud, L'Europe des ethnies, Bruxelles-Paris, 1993; Cristianisme et identità nazionale. Une ceratine idée de l'Europe, Paris, 1994; Fontana, L'Europa allo specchio. Storia di un' identità distorta, Roma-Bari, 1995; Schulze, Aquile e leoni. Stato e nazione in Europa, Roma-Bari, 1995; Todd, L' invention de l'Europe, Paris, 1996; Identità culturale europea. Idee, sentimenti, relazioni, Hrsg. Passerini, Fi-
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renze, 1998; Mikkeli, Europa. Storia di un' idea e di un' identità, Bologna, 1998; J-M Carbasse und L Depambour-Tarride, Hrsg. (1999) La conscience du juge dans la tradition juridique européenne; A Pagden (2002) The Idea of Europe From Antiquity to the European Union und Jacques Le Goff (2004) Du Ciel sur la Terre. La Mutation des Valeurs du XIIe Siècle au XIIIe, Heineken Lecture, Amsterdam, Text enthalten in: Héros du MoyenÂge, le Saint et le Roi, 25-47, und in engl. Übers. Jacques Le Goff (2004) From Heaven to Earth: The Shift in Values between the 12th and the 13th Century in the Christian West - Dr A H Heineken Prize for History in: Heineken Lectures 2004, Amsterdam, ital. Übers. Le Goff, Il cielo sceso un terra. Le radici medievali dell'Europa, Roma-Bari, 2004. Zur Geschichte der Europäischen Union vgl. V Castronovo, L'avventura dell'unità europea. Una sfida con la storia e il futuro, Torino, 2000; die Idee Europas wird auch in der Welt des Rechts rekonstruiert von Paolo Grossi (2007) L’Europa del diritto.
Kapitel 2 Die juristische Identität
Inhalt: 1. Das Recht in Identität und Bewußtsein Europas – 2. Die juristische Identität Europas – 3. Die „gemeinsamen Werte des Abendlandes“ – 4. Das Europa des Rechts – 5. Literaturhinweise
1. Das Recht in Identität und Bewußtsein Europas Welchen Platz hat der juristische Faktor im Aufbau der Identität und des europäischen Bewußtseins? Wir haben schon unterstrichen, daß dem juristischen Faktor in den Analysen der Historiker keine entscheidende Bedeutung zukommt. Die Rechtshistoriker ihrerseits haben versucht, die Geschichte des europäischen Rechts zu schreiben, aber in den meisten Fällen handelt es sich um eine Geschichte des mittelalterlichen Rechts, dem die europäische Dimension übergestülpt wurde. Das Problem ist komplexer, als man zunächst ahnt. In einem dichten und genau gearbeiteten Buch erklärt Antonio Padoa-Schioppa,1 daß über sieben Jahrhunderte, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts „Kontinentaleuropa ein einziges übernationales Rechtssystem ausgearbeitet und praktiziert hat, gegründet auf eine Normenstruktur mit mehreren Ebenen, die eine Art gemeinsame 'Politik der Rechtskultur' erzeugt hat“, so daß man nicht für jede individuelle nationale Erfahrung die territorialen Grenzen dieses Phänomens bestimmen könnte. Das Erbe des Justinianischen Corpus iuris wurde von den Glossatoren rekonstruiert und modelliert, dann wurde es vom Kanonischen Recht mit dem Decretum von Grazian wieder aufgenommen, dann von den Kommentatoren der gelehrten Schule neu formuliert, bis hin zum Fall des Ancien Régime. Der Bruch mit der Vergangenheit hat sich mit den ersten Kodifikationen des 19. Jahrhunderts konsolidiert, auch wenn die Spuren des ausdifferenzierten Römischen Rechts in diesen sieben Jahrhunderten nicht verschwunden sind. In dieser Epoche des ausdifferenzierten Römischen Rechts spielte auch England eine Rolle. Aber aus politischen, religiösen und auch Gründen der nationalen Identität haben die Historiker des common law lange Zeit versucht, die englische Rechtsordnung von den kontinentalen zu isolieren und haben ein reduzierendes Verhalten sowohl gegenüber dem Römischen als auch gegenüber dem kanonischen Recht gezeigt, indem sie den Versuch unternommen haben, eine absolute Originalität des common law zu schaffen. Nach Baker2 hat sich der Einfluß des Römischen Rechts – der während der Römischen Herrschaft in Britannien fehlte – im Hochmittelalter und dann durch das kanonische Recht bemerkbar gemacht, 1 2
Schioppa A P ( 2003/2004) Italia ed europa nella storia del diritto. Baker J H (1990) An Introduction to English Legal History.
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1. Das Recht in Identität und Bewußtsein Europas
aber er hat recht wenig Spuren hinterlassen: einige Begriffe, wie aequum et bonum, dominium, nudum pactum, res nullius. Die Konstruktion eines autonomen Regelkorpus endete jedoch mit der Entfernung des englischen Rechts vom kontinentalen Recht. Auch Plucknett3 folgt dieser Linie, selbst wenn er einige Zugeständnisse macht: er erinnert daran, daß der Vertrag von Glanville eine gewisse Vertrautheit mit dem Römischen Recht zeigt, daß das Domesday Book im typischen Ton der italienischen Juristen verfaßt ist, daß Thomas Becket Vicarius nach England gebracht hat, und daß man Vicarius die offizielle Lehre des Römischen Rechts auf den Britischen Inseln verdankt. Fügt man diesen Einflüssen noch die letzten, von Stuart eingeführten Bruchstücke der Romanität hinzu, dann bemerkt man, daß es sich um völlig marginale Phänomene handelt. Trotzdem blühte im 19. Jahrhundert das Studium des Römischen Rechts wieder auf: eine faszinierende Untersuchung zeigt uns, wie John Austin große Vorteile bei der systematischen Konstruktion des common law daraus gezogen hat.4 Das Studium des Römischen Rechts blüht in England immer noch, aber es hat – nach Markesinis5 – eine ungewöhnliche Situation geschaffen. Es scheint, daß die englischen Wissenschaftler des vergleichenden Rechts das Römische Recht mit dem kontinentalen Recht verwechseln, und so über viele Jahre hinweg das Interesse und den Reichtum der kontinentalen Modelle aufgebraucht wurde, zu Gunsten einer imaginären Darstellung des kontinentaleuropäischen Rechts. Hieraus sind zwei gegensätzliche Reaktionen entstanden: die Abneigung vieler zeitgenössischer englischer Juristen, die sich mit Europäischem Privatrecht befassen, gegen jede Spur des Römischen Rechts auf der einen Seite und der Anspruch seitens anderer Juristen, dem Römischen Recht die Rolle des Fundaments des Europäischen Privatrechts zuzusprechen.6 Keiner von ihnen, welcher Richtung er auch immer angehört, zweifelt daran, daß die juristische Komponente ein essentieller Bestandteil der europäischen Kultur und Identität ist.
Wenn man bedenkt, daß zu den Komponenten der Identität auch das Subjekt und die Subjektivität, die Staatsbürgerschaft, die Grundrechte, das Modell der demokratischen Führung der Macht gehören, dann muß man die fundamentale Bedeutung des juristischen Faktors anerkennen. So eröffnen sich zwei Fragen: ob der juristische Faktor von essentieller Bedeutung für die Konstruktion der nationalen Identitäten ist, und ob die europäische Identität wie eine nationale Identität mit größeren Dimensionen verstanden werden muß. Wenn man der Idee der Identität diejenige des Bewußtseins zur Seite stellt, dann ist der juristische Faktor für die nationalen Identitäten von geringerer Bedeutung. Der gemeine Mensch fühlt sich als Engländer, Franzose, Deutscher, Spanier, Italiener wegen der Sprache, die er spricht, wegen seiner Kultur, die er in sich trägt, wegen der „Mentalität“, deren Ausdruck er ist, sicher nicht jedoch wegen Verhaltensregeln, denen er sich anpaßt. Für die europäische Identität – in dem Sinne, den die Zeitgenossen annehmen – liegen die Dinge dagegen anders. Das „vereinte“ Europa entsteht in der Mitte der 3 4 5 6
Plucknett, T F T (1956) A Concise History of the Common Law. Hoeflich M H (1997) Roman and Civil Law and the Development of Anglo-American Jurisprudence in the Nineteenth Century. Markesinis B (2004) Il metodo della comparazione. Alpa G (2004) Il diritto privato nel prisma della comparazione, 73 ff.
Teil 1 Kapitel 2 Die juristische Identität
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fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts und gründet sich auf drei Säulen: die wirtschaftliche, die soziale und die juristische Säule. Der gemeinsame Raum, wirtschaftlich und sozial, hätte nie ohne die Hilfe des Rechts Gestalt angenommen. Die Entwicklung der Union stützt sich daher weitgehend auf ihre juristische Struktur7 und auf ihren juristischen Raum.8 Daher der acquis communautaire, der in vielen Bereichen der wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen schon ein einheitliches und harmonisiertes Recht eingeführt hat. Daher die Suche nach einem Verfassungsfundament, das in der Charta der Rechte und im Verfassungsvertrag und jetzt in der Verfassungscharta der Europäischen Union, unterzeichnet in Rom am 29. Oktober 2004, gefunden wurde – und das Streben nach der Schaffung eines europäischen Justizraumes. Daher schließlich die Vorhaben, das Europäische Privatrecht zu kodifizieren. Auf europäischem Niveau erfüllt der juristische Faktor eine weit wichtigere Rolle, als auf nationalem Niveau. Von einem „statischen“ Standpunkt aus betrachtet, ist er eine der Säulen, die die Union stützen, ein Element, das Solidität und Kontinuität eines geeinten Europa sichert. In diesem Sinne ist es unwichtig, ob die Europäische Union eine übernationale Institution wird, der man begrenzte gemeinsame Funktionen überträgt, eine Föderation in der die nationalen Identitäten bewahrt werden, oder ein richtiger Staat mit regionaler Basis. Von einem dynamischen Standpunkt aus gesehen, hat der juristische Faktor eine noch wichtigere Funktion, denn er wird einer der Motoren des Europas der Zukunft. Tatsächlich begann der Bau des neuen Europa mit der juristischen Dimension. Als juristische Dimension können wir ansehen: die Basis der Tradition, das heißt, der Kontext der abendländischen Rechtskultur; die gemeinsamen Werte des Abendlandes; die Struktur des Gemeinschaftsrechts; die Schaffung des öffentlichen und privaten Europäischen Rechts.
2. Die juristische Identität Europas Das Konzept der europäischen Rechtskultur kommt in verschiedenen Formeln zum Ausdruck: europäische legal culture, tradition juridique, pensée juridique. Jeder Autor drückt durch diese Terminologie seine eigene Kultur, seine Mentalität, seine Absichten aus. Vor allem ist es nötig, eine abschließende Definition der Rechtskultur zu gewinnen. Nach Lawrence Friedman, Stanford Law School, einem der anerkanntesten zeitgenössischen Rechtssoziologen, bedeutet „legal culture“ die „ideas, values, attitudes and opinions people in some society hold, with regard to law and the legal system“. Der Ausdruck bezeichnet also zwei interaktive Prozesse: den Einfluß der Gesellschaft auf das juristische System und den Einfluß des juristischen Systems auf die Gesellschaft. Die Rechtskultur impliziert auch das juristische Bewußtsein („legal consciousness“): in diesem Sinne muß man, über 7 8
Cassese S (2003) Lo spazio giuridico globale. Carbone S M (2000) Lo spazio giuridico europeo.
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2. Die juristische Identität Europas
die Kultur der Wissenden hinaus, jene Kultur berücksichtigen, die rechtlich gesehen, ein jedes Mitglied einer Gemeinschaft in sich trägt. In dieser weit gefaßten Bedeutung ist die Rechtskultur nicht sehr untersucht und wird jenseits derjenigen, die sich mit der Materie befassen, nicht besonders wahrgenommen. Was einem Juristen als gesichert oder natürlich erscheint, erscheint dem Normalbürger nicht zwangsläufig so. Im übrigen ist die moderne Kultur grenzüberschreitend. Wir könnten hinzufügen, daß sie wieder grenzüberschreitend ist, sie war es dank der Tradition des Römischen Rechts und der Naturrechtslehre bis zu den Kodifikationen; sie ist es von neuem geworden in der Welt der Kommunikation in Realzeit, in der Welt der globalisierten Ökonomie, in der Welt der universellen Moden. Friedman sieht sechs Charaktere der modernen Rechtskultur: sie ist betroffen von einem schnellen sozialen und technologischen Wechsel; sie ist komplex und ubiquitär, dabei bedeutet Komplexität die Inflation der Erwartungen und Ubiquität die Tendenz des Rechts alles zu durchdringen („legalization“ und „juridification“), sei es die Beziehungen zwischen Privaten, sei es die Beziehungen zwischen dem Einzelnen und den Autoritäten; sie ist legitimierend, in dem Sinne daß ihr juristisches Fundament auf einer breiteren Basis basiert, als in der Vergangenheit, und daß diese zu einem Instrument wurde, um den Einzelnen, den Gruppen, den Klassen, den sozialen Schichten wirtschaftliche und soziale Wohltaten zu vermitteln; sie hat sich auf der Basis der Grundrechte konsolidiert, in dem Sinne, daß die Werte, die die Gesellschaft begründen, und die von der Rechtskultur gefiltert wurden, aufgeschrieben sind und als ununterdrückbare Konzepte existieren, wie die bill of rights, die Verfassungen, die Grundrechte. In diesem Sinne ist es also eine Kultur, die sich dem „judicial review“ unterwirft, denn die Proklamation der Rechte impliziert die essentielle Intervention des Richters, der ihnen Respekt verschaffen soll. Sie ist zutiefst individualistisch, denn sie sichert den einzelnen Individuen Rechte und Ansprüche, rights und entitlements. Es ist ein Individualismus, der sich gegenüber dem von John Locke oder Adam Smith theoretisierten verändert hat, denn er ist gebunden an ein Bewußtsein der eigenen Rechte („rights-consciousness“). Schließlich ist sie auch globalisiert, denn es bildet sich eine Konvergenz der Prinzipien, der Interpretationskriterien, der Regeln, welche im Abendland angewandt werden. Wenn man diese Annahmen mit den neuesten Resultaten von Friedmans Forschung vereint, könnte man sagen, daß die moderne Rechtskultur die horizontale Gesellschaft, die für die aktuelle Epoche typisch ist, reflektiert und gleichzeitig dazu beiträgt, sie zu alimentieren. Es ist eine Gesellschaft, die nicht mehr als Klassenpyramide und auf dem Gegensatz zwischen Macht und Individuum aufbaut, sondern auf Verträgen fußt, auf Praxis, auf paritätischen Beziehungen. Eine jede dieser Beziehungen jedoch stützt sich auf das einzelne Individuum und gerade deshalb auf einzelne Monaden, denn die moderne Gesellschaft ist eine Ansammlung von Monaden, die untereinander auf horizontale Weise miteinander verbunden sind. Das ist der Grund warum das heutige Recht und die Rechtskultur, die es zum Ausdruck bringt „from the bottom up“ studiert werden müßte, von unten statt von oben, von den effektiven Verhaltensweisen der Bürger, statt von den Verhaltensweisen der Gesetzgeber ausgehend, wie man es üblicherweise tut, indem man den Diskurs über eine Rechtsordnung in Gang setzt und bei der Struktur der Quellen beginnt.
Wie muß nun die Rechtskultur, die heute in Europa Wurzeln schlägt unter dieser Perspektive betrachtet werden?
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Die Situation, in der wir leben, ist grundverschieden von der, die Carl Schmitt in seinem scharfsinnigen Aufsatz „Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft“9 beschreibt. Die Ideen Schmitts muss man nicht durchweg ablehnen, vielmehr scheint er für gewisse Aspekte den Zustand, den man jetzt geschaffen hat, geradezu vorhergesehen zu haben: die Wissenschaft des europäischen Rechts ist sicher eine historische Tatsache, das Römische Recht hat die Rolle eines Protagonisten bei der Bildung des Rechts in Europa gehabt, die Krise der staatlichen Legalität wurde bestätigt. Trotzdem, der „Rechtsstaat“, die rule of law, haben sich weder von ihrer essentiellen Funktion in jeder demokratischen Ordnung verabschiedet (und es ist kein Zufall, daß gerade in der Präambel zur Europäischen Verfassung diese fundamentale politische Entscheidung unterstrichen wurde), noch können wir sagen, daß das Paradigma von Savigny, der den Ursprung des Rechts im Volksgeist ausmachte, bei der Bildung des aktuellen europäischen Rechts aufgenommen worden wäre; und wir können auch nicht behaupten, daß allein die Rechtswissenschaft die letzte Zuflucht des europäischen Bewußtseins wäre.
Die zeitgenössischen Beobachter sind der Meinung, daß die Rechtskultur, die vom Gemeinschaftsrecht reflektiert wird, eine beeindruckende Produktion von Regeln begünstigt, bei denen der Ausbreitung des Wirtschaftsraums der Schutz des Individuums, verstanden als Arbeiter, Konsument, Tourist, Opfer der Verschlechterung der Umwelt usw., an die Seite gestellt wird. Die Rechtsintegration hat den Vorrang des Gemeinschaftsrechts über die nationalen Rechte postuliert und daher dazu beigetragen, das zu schaffen, was Volkmar Gessner, Universität Bremen und Z.E.R.P., als eine „common legal structure“ bezeichnet hat. Trotzdem ist im „Sutherland-Bericht“10 die Distanz zwischen dem Corpus der Normen der Gemeinschaft und den einzelnen nationalen Systemen deutlich geworden. Darüber hinaus erscheinen die Unterschiede zwischen den Systemen der Mitgliedsländer noch sehr beachtlich: zum Beispiel der richterliche Stil, die Neigung, im Markt regulierend einzugreifen, oder die Beziehungen zwischen Individuum und Verwaltung, die zwischen den schwedischen Techniken („contact culture“, basierend auf Konsens und Vertrauen), den englischen („negotiation culture“, basierend auf Konflikt und Vertrauen), den deutschen („regulatory culture“, basierend auf Konflikt und geringem Vertrauen) – jene letztgenannten sind den italienischen ähnlich – variieren. Genauso variieren auch das jeweilige Niveau des Konsumentenschutzes und die Art der Konfliktlösung (formell und informell). Gessner fragt sich dann, ob die juristische Integration Europas dazu verdammt ist, ihren Scheincharakter beizubehalten, und welches die Mittel dagegen seien. Der acquis communautaire ist ein wesentliches Instrument hierbei, aber gerade die noch existierenden Differenzen in den Rechtskulturen der Mitgliedsländer können ein großes Hindernis für die juristische Integration darstellen. Der Austausch von Dozenten und Studenten, die gemeinsamen Programme, die gegenseitige Aner9
Schmitt C (1950) Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, jetzt in italienischer Übersetzung: Schmitt, C. La condizione della scienza giuridica europea (1943-1944) (1996); vgl auch Schmitt, C Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, Materialien zu einer Verfassungslehre (2003). 10 WTO (2004) Addressing institutional challenges in the new millennium: Report by the Consultative Board to the former Director-General Supachai Panitchpakdi.
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kennung von Studienabschlüssen sind weder ausreichend, noch können sie die Probleme erschöpfend behandeln, denn „a legal culture is rooted very deeply in society and cannot easily and quickly be changed by top-down measures“.11 Man darf nicht vergessen, daß die europäische Rechtskultur heutzutage generell durch die Globalisierung des Austauschs und des Handels bedroht ist. Generelle, gleiche Vertragsbedingungen (uniform contract conditions), Standardvertragsmodelle (standard contract forms), allgemeine Geschäftsbedingungen (general terms of business), Verhaltenskodizes und auch internationale Gerichtshöfe sind heute die einheitsstiftenden Faktoren dieser globalen Rechtskultur. Der europäische Rechtsgedanke kann auch aus einer zur Vereinheitlichung gegensätzlichen Sichtweise beschrieben werden: Es ist die Sichtweise des gleichzeitigen Vorhandenseins unterschiedlicher Kulturen, ihrer Koexistenz und der Verwaltung der Komplexität, die daraus entsteht. Claude Lévi-Strauss sprach von Fortschritt hinsichtlich der „Koalition der Kulturen“. In seinem Fahrwasser rekurriert André-Jean Arnaud12 auf beschwörende Bilder, um den europäischen Rechtsgedanken als Treffpunkt, als Kreuzung (carrefour) darzustellen, er sei eine Wiege (berçeau), ein Füllhorn (foison). Die Kreuzung ist gegeben durch das Zusammentreffen von Römischem Recht, Feudalrecht und kanonischem Recht, die Wiege durch die Vereinheitlichung des Rechts unter dem Einfluß der modernen axiomatischen Naturrechtslehre, das Füllhorn durch die Koexistenz von angelsächsischen, und skandinavischen, germanischen, frankophonen und lateinischen Traditionen. Die nationalen Rechte sind – nach Arnaud – keine Hindernisse für die Harmonisierung und Vereinheitlichung des europäischen Rechts, im gleichen Maß, in dem die Rechtswissenschaft als kognitive Wissenschaft keine Grenzen kennt. Man muß mithin von der Prämisse ausgehen, daß der juristische Pluralismus an der Basis des europäischen Rechtsgedankens steht, aber er stellt kein Hindernis dar: die Realität der Europäischen Gemeinschaften selbst ist eine permanente Herausforderung des traditionellen Rechtsgedankens. Um dieses Phänomen zu beschreiben und kritisch zu diskutieren, prägt Arnaud den Begriff droit pluriel, ein „Recht im Plural“, ein komplexes Recht, konstruiert aus Gemeinschaftsrecht und dem Recht der europäischen Institutionen. Es ist ein Recht, daß die traditionelle positivistische Logik herausfordert, die das Recht an den Staat bindet. Es ist ein Recht, das auf dem Integrationsprozeß der Systeme in ein gemeinschaftliches Regelwerk und der Harmonisierung der Gesetze basiert. Es ist eine neue Art und Weise, die Rechtsordnung zu sehen, an die sich die traditionelle Rechtskultur anpassen muß und versuchen muß, neue Paradigmen zu schaffen: Flexibilität, die man durch die Bildung von generellen und standardisierten Prinzipien erreicht; Porosität, die „Interlegalität“ zuläßt, ein Konzept, daß phänomenologisch dem des juristischen Pluralismus gegenübersteht. Wir könnten diese
11
Vgl. Gessner V (1994) Global Legal Interaction and Legal Cultures, Ratio Juris 7(2): 132–145. 12 Vgl. aus den Werken Arnaud’s z.B. Arnaud, A-J Legal Pluralism and the building of Europe, Réseau Européen Droit et Société, (http://www.reds.msh-paris.fr/communication/ textes/arnaud2.htm); Arnaud, A-J, (1991); Pour une pensée juridique européenne Arnaud, A-J (1998) From Limited Realism to Plural Law. Normative Approach versus Cultural Perspective, Ratio Juris 11(3): 246–258.
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neue Art und Weise in der Koexistenz eines Komplexes einheitlicher Regeln ausdrücken, von Grundregeln, (Richtlinien), die tendenziell harmonisiert angewandt werden, (nationale Handlungsvorschriften) und – wir fügen hinzu – von einer Basis, die den Prinzipien, die der Rechtsprechung des Gerichtshofs und der Konvergenz der Verordnungen entnommen sind (und außerdem im besten Fall in einem „Europäischen Zivilgesetzbuch“ formuliert sind). Es ist ein System, das sich von den nationalen Systemen unterscheidet, ein nachgerade „postmodernes“ Rechtssystem. Ein komplexes System, das Paradoxa und eine komplexe Interpretation produziert. Um diese Komplexität zu lenken, müssen Richter, Experten (von denen es in der Europäischen Union reichlich gibt), die Nichtregierungsorganisationen und die Doktrin – le Droit savant – die die Anstrengung, die Normen zu rationalisieren und zu systematisieren unternimmt, zusammenwirken. Es ist ein System, das den nationalen Gesetzen Grenzen setzt und von den Gesetzgebern der Mitgliedstaaten verlangt, sich selbst zu begrenzen. Die Komplexität des europäischen Rechts ist nicht nur funktional, sondern auch strukturell, und sie ist gemäß den Grundlagen der wirtschaftlichen und der symbolischen Ratio geordnet. Die ökonomische Ratio ist einfacher, denn die souveränen Mächte sind alle daran interessiert, einen gemeinsamen Markt zu schaffen, der identischen Gesetzen unterliegt. Die zweite Ratio ist schwieriger anzuwenden: die symbolischen Elemente sind gebunden an Geschichte, Kultur und Zivilisation, an die Sitten und Gebräuche, alles Faktoren, die, anstatt es zu vereinen, danach trachten, das System zu fragmentieren, und die sich der Konstruktion einer europäischen Identität, in der sich ein jeder wiedererkennen könnte, entgegenstellen.
Das Verhältnis zwischen Europa und Recht ist komplexer geworden als es Carl Schmitt vorhergesehen hatte: „Im Licht der Ereignisse der letzten 50 Jahre (das sind genau die Jahre, die auf Schmitts Aufsatz folgen) und sowohl die schlechteren als auch die besseren Ereignisse in Betracht ziehend,“ schreibt Stig Stroemholm,13 „scheint es heute möglich zu sein, zu unterstreichen, wie die rudimentärsten und fundamentalsten Elemente eines Rechtssystems sich eine Erfahrung angeeignet haben, die die Unterscheidung legitimiert zwischen dem, was das Recht ‚verlangt’ und dem, was das Recht im historischen Kontext, in dem sich das zeitgenössische Europa anzusiedeln ist, ‚toleriert’. In einem restriktiven Sinn kann man sogar behaupten, daß es verdienstvoll sei, die Idee eines ‚historisierten’ und ‚relativierten’ Naturrechts zu verteidigen. Aber sicherlich wird die Rechtswissenschaft niemals den Platz der politischen Auswahl einnehmen.“ 14 Um die „europäische Rechtskultur“ zu dechiffrieren, muß man also mit anderen Paradigmen vorgehen, als denjenigen, an die wir gewöhnt sind. Es ist mithin opportun, zwischen der traditionellen Rechtskultur, die im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts in Kraft war, und der „europäischen“ Rechtskultur, die sich in den letzten Jahren herausbildet, zu unterscheiden. Es handelt sich dabei nicht um einen sauberen Bruch, sondern um eine Evolution, die von den Unterschieden zwischen den nationalen Ordnungen und dem „europäischen Recht“, verstanden in seiner oben beschriebenen Komplexität, benötigt wird. Martijn Hesselink, Universität Amsterdam, hat dieses Phänomen als „die neue europäische Rechtskultur“ bezeichnet. Um den Ursprung dieses Prozesses und die Unterschiede zwi13 14
Stroemholm S (2002) L'Europe et le droit, 226. Ibid., 230.
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2. Die juristische Identität Europas
schen der traditionellen und der neuen Kultur aufzuzeigen, geht er von den Charakteristika der einen aus, um ihre Unterschiede zur anderen deutlich zu machen. Für die erste ist der nationale Charakter, die Innenperspektive, das Systemdenken, der Gebrauch von abstrakten Regeln und Konzepten, die Deduktion, die Suche nach Objektivität und die Orientierung am normativen Text charakteristisch. Es sind die Charakteristika eines dogmatischen Positivismus, der noch viele Rechtskreise bestimmt, wie zum Beispiel den mediterranen oder den deutschen. Die Rechtsquellen sind vorzugsweise die von den Gesetzgebern approbierten Texte und zum großen Teil die Kodizes. Die Interpretation und die Anwendung des Rechts seitens der Richter ist essentiell formalistisch, die Entscheidung wird auf Basis eines syllogistischen Argumentationsmodells getroffen. Die Doktrin hat die Funktion der Orientierung und Kritik. Die juristische Lehre neigt tendenziell zu positivistischen Modellen, auch wenn die Fallanalyse und der Vergleich den Horizont der Anwender erweitern. Auch die traditionelle Kultur von Ländern, die auf dem case law basieren, ist vorwiegend positivistisch, auch wenn Atiyah und Summers in ihrer Untersuchung über Form and Substance in Anglo-American Law15 auf die fundamentalen Unterschiede aufmerksam gemacht haben, die zwischen englischem und amerikanischem Recht trotz der ähnlichen Oberfläche existieren: das erste ist formalistisch, das zweite inhaltsorientiert. Der juristische Realismus, obwohl er am Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Skandinavien sehr geschätzt wurde, hat den herrschenden Formalismus nicht untergraben.
Trotzdem ist gerade das ein Fokus: damit wir an eine neue europäische Rechtskultur denken können, müssen wir die radikalen Veränderungen verstehen, die die Überwindung der formalistischen Mentalität zugunsten einer Annäherung an eine substanzialisitische, also inhaltsorientierte, Auffassung vom Recht fordern. Diese Annäherung ist das Resultat der Anerkennung und der Anwendung der Richtlinien. Das Privatrecht ist ihr wichtigstes Laboratorium, denn mit Ausnahme des Bereichs des Wettbewerbs sind die vier Freiheiten, die in den Römischen Verträgen gefordert werden, durch die Annahme von Richtlinien garantiert. Diese sind an einem gemeinsamen ökonomischen und sozialen Ziel orientiert. Das impliziert, daß eine jede Richtlinie ihre Logik hat, und es ist nicht möglich, eine innere Kohärenz im Regelsystem, das sich aus den Richtlinien zusammensetzt, zu finden. Darüber hinaus hat jede Richtlinie ihre praktische Funktion, weswegen, will man keine gemeinsamen Regeln, sondern nur Prinzipien einführen, diese nicht die Annahme spezifischer abstrakter Konzepte vorschreiben. Im übrigen haben die Richtlinien einen „impressionistischen“ Aspekt, das heißt, sie betreffen einzelne, spezifische Probleme und sind eingebunden in den Kontext und das Gewebe der nationalen Gesetzgebung, innerhalb derer sie ausgeführt werden. Daher die Vorliebe der nationalen Gesetzgeber, das Basissystem mehr oder weniger zu modifizieren, um es an die Richtlinien anzupassen, über die notwendigen Operationen zu ihrer Anwendung hinaus. Die Komplexität der neuen Situation ist auch von der Tatsache beeinflußt, daß die Richtlinie für Brüche innerhalb der nationalen Ordnungen verantwortlich sind: zum Beispiel haben die Verbrauchervertragsregelungen vielfach die Frage aufgeworfen, ob es nützlich sei, eine gemeinsame Regelung für alle Verträge einzufüh15
Atiyah P S und Summers R S (1991) Form and Substance in Anglo-American Law: A Comparative Study of Legal Reasoning, Legal Theory, and Legal Institutions.
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ren, auch wenn der Freiberufler als Vertragspartner nicht als Konsument betrachtet werden kann. Im übrigen sind die Richtlinien nicht untereinander koordiniert, so daß sie manchmal Überschneidungen oder Widersprüche begründen, die intern gelöst werden müssen, in Erwartung koordinierender Texte, welche am Sitz der Gemeinschaft erlassen werden. Man muß auch andere Faktoren, die die Komplexität des europäischen Rechts deutlich machen, in Betracht ziehen. Es gibt sehr detaillierte Richtlinien, die den nationalen Gesetzgebern einen sehr geringen Handlungsspielraum lassen. Manchmal führen sie abstrakte Konzepte und generelle Klauseln ein, die das Problem ihrer Ausdehnung auch jenseits der spezifischen Disziplin stellen. So schaffen sie jenen Effekt einer Reaktion der Ordnung, den Gunther Teubner passend als legal irritants bezeichnet hat.16 Die Interpretation der Gesetze zur Anwendung der Richtlinien hebt die Interpretationskriterien des nationalen Gesetzes aus den Angeln, denn sie zwingt den Interpreten, eine Bedeutung der internen Norm im Licht der Prinzipen der Richtlinien anzunehmen. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eminent pragmatisch und gänzlich unbeeindruckt von den „Überlegungen“ der nationalen Gesetzgebung. Auch die modernen Strömungen der juristischen Interpretation tragen zur Krise der traditionellen (europäischen) Kultur bei, wie z.B. die hermeneutische Bewegung, die ökonomische Analyse des Rechts,17 law & literature, der funktionalistische Vergleich, das milde Recht, also das soft law, das die Franzosen als droit filou ou flèxible bezeichnen; aber es gibt auch neue Formen des Formalismus, wie die Schaffung der „Zivilkodizes“, die Koexistenz „gemischter“ Systeme, um nicht vom Neopandektismus zu sprechen, der das aktuelle Römische Recht wieder exhumieren möchte. In der traditionellen Konzeption der (europäischen) juristischen Kultur sind der Nationalismus und der Formalismus vorherrschend, und sie wenden sich – naturgemäß – gegen jeden Versuch, ein „europäisches Recht“ zu schaffen, vor allem gegen ein „Europäisches Privatrecht“. In der Realität führt die Analyse ähnlicher Fälle zu gegensätzlichen Schlußfolgerungen, wie die Resultate der Untersuchungen der „Schule von Trient“ oder die Analysen der natürlichen convergence der nationalen Rechtssysteme von Basil Markesinis zeigen.18 An ihren Fundamenten unterminiert von den modernen Strömungen des Rechtsgedankens und bedrängt vom Recht der Union, ist die „neue europäische juristische Kultur“ dabei, sich zu ordnen und zu konsolidieren. Aber schon von Anfang an läßt uns Hesselink ihre Charakteristika erkennen: eine Kultur, die weniger formalistisch, positivistisch und dogmatisch ist (auch wenn man sie nicht zur Gänze als realistisch definieren kann), nicht mehr „klassisch“ aber funktionalis16
Teubner G (2000) Legal irritants: good faith in British law, or how unifying law ends up in new differences, in: The Europeanisation of law: the legal effects of European integration, Snyder F, Hrsg., 243-268. 17 Dazu unten Teil 2 Kapitel 4. 18 Markesinis B, Hrsg. (1994) The Gradual Convergence. Foreign Ideas, Foreign Influences and English Law on the Eve of the 21st Century.
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3. Die „gemeinsamen Werte des Abendlandes“
tisch und pragmatisch, pluralistisch, orientiert am law in action, nicht zu sehr an das geschriebene Recht gebunden, sondern auf Werte und auf metajuristische Überlegungen gegründet, welche die Normen unterstützen – mit einem Wort: eine transparentere Kultur. Dies bedeutet nicht, daß man die nationalen Kulturen oder Identitäten aufgeben müßte: in Wahrheit, unterstreicht Hesselink, sind wir mittlerweile daran gewöhnt, eine Pluralität der Identitäten zu haben, eine fragmentierte Identität. Besonders die neue europäische Rechtskultur ist eine Kultur, die an der Substanz der Dinge orientiert ist und daher eher geneigt, die Ähnlichkeiten statt der Unterschiede zu bevorzugen. Um Gordley zu zitieren: „coherence and good sense have little to do with national boundaries. We will have moved toward a world in which jurists everywhere recognize that fundamental problems are the same, and can talk to each other about them in the same vocabulary.“
3. Die „gemeinsamen Werte des Abendlandes“ Aus einem Kongreß in Hamburg 1962 mit dem Thema „Allgemeine Rechtsprinzipien“ sind Untersuchungen von Rechtshistorikern, Rechtsvergleichern und vertiefende Untersuchungen über die ähnlichen Merkmale in unterschiedlichen Rechtsordnungen hervorgegangen. Diese Forschungstätigkeit hat zu einer sehr wichtigen Schlußfolgerung geführt: es gibt Werte, die eine gemeinsame Basis in den westlichen Rechtsordnungen begründen; diese Werte kommen im allgemeinen in den allgemeinen Rechtsprinzipien zum Ausdruck. Die Prinzipien überwinden daher nicht nur historische Phasen und kulturelle Traditionen, sondern sie ermöglichen Verpflanzungen, Osmose, Verbindungen, Anerkennungen. Hier ist der Beweis. Geben wir uns für den Augenblick mit einer Beziehung der Theoriemodelle zufrieden, ohne die legislativen Texte und die Entscheidungen von Richtern zu vergleichen. Peter Stein und John Shand19 haben versucht, ein Panorama dieser gemeinsamen Werte zu zeichnen. Sie glaubten, sie in folgendem ausmachen zu können: im Ausschluß von Gewalt und in der Sicherheit als Wert; in der Machtbegrenzung des Ausübenden und in der Machtbegrenzung der Verwaltung; in der Verantwortlichkeit bei Nichteinhaltung von Verträgen und bei Unrechtmäßigkeit; in den persönlichen Freiheiten; im Recht auf Leben und privacy; im Eigentum und im Schutz berechtigter Erwartungen; in der Kooperation und in der Begrenzung der ökonomischen Initiative aus Gründen des öffentlichen Interesses. Karl Larenz seinerseits, als er die Kenntnis des „richtigen Rechts“ und die Fundamente der Rechtsethik abhandelte,20 nennt neben den Prinzipien der Individualsphäre die Selbstbestimmung und die Vertragsautonomie; das Prinzip der Äquivalenz in gegenseitigen Verträgen; das Prinzip des Vertrauens und des guten Glaubens. Unter den Prinzipien die der Gemeinschaft inhärent sind, nennt er: die 19
Stein P und Shand J (1974) Legal Values in Western Society; hier bezogen auf die italienische Übersetzung: Stein P und Shand J (1980) I valori comuni dell'occidente. 20 Vgl. Larenz K (1979) Richtiges Recht: Grundzüge einer Rechtsethik.
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Teilhabe, die Gleichheit und die Proportionalität, denen er dann die Prinzipen, die die politische Repräsentanz und das Prozeßrecht regeln, (Unparteilichkeit der Richter und streitige Verhandlung) anschließt. Wie könnte man diese Klassifizierung nicht teilen und sie nicht in unserer eigenen Tradition aufspüren? a) Im großen Fresko der generellen Werte und Prinzipien ist es das erste von allen – obwohl in den Verfassungstexten und bürgerlichen Gesetzbüchern nicht explizit genannt, trotzdem in jedem von ihnen immanent präsent: das Prinzip der „gegenseitigen Achtung“. Es steht am Anfang eines jeden sozialen Zusammenlebens, das auf einer demokratischen Basis steht, insofern es die kantische fundamentale Rechtsbeziehung ausdrückt. Es ist gerade in der Metaphysik der Sitten, daß Kant die freie Ausübung der eigenen Rechte durch die Rechte der anderen limitiert. Es ist leicht, an die Aufforderung des Evangeliums „tue anderen nichts, von dem du nicht möchtest, daß es auch mit dir geschehe“ zu erinnern, die sozusagen ein Vorläufer dieser Regel ist. Die Regel Kants hingegen wird nicht von der Liebe und der Überwindung des Egoismus diktiert, sondern von nationalen Regeln der Entsprechung. Sie bleibt mithin weit entfernt von der anderen Vorschrift des Evangeliums, die mit der ersten in Verbindung steht: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Die naturrechtliche Strömung ist von diesen christlichen Werten durchzogen, die, in rationale Formeln übersetzt, die freie Ausübung der Rechte seitens des Individuums begründen, mit dem Ziel, mit der Ausübung der Rechte der Anderen kompatibel zu werden. Aber kehren wir zurück zu dem, was wir zu Beginn gesagt haben: wer – wie Karl Larenz – vom kantischen kategorischen Imperativ ausgeht, der kann dann nicht das philosophische Feld verlassen. Er muß dann der Entwicklung oder besser, der kritischen Konstruktion, die diesem Prinzip folgt, Rechnung tragen. Religiös betrachtet, kann man nur dann, wenn man im Anderen ein Sein, das dem eigenen ähnlich ist, erkennt, sagen, daß „die erkennende Person ist, so wie der Erkannte“. Anders ausgedrückt ist man nur dann Person, das bedeutet, frei, den eigenen Willen auszudrücken, wenn man die Anderen als Personen respektiert (Kant). Von diesem Prinzip leitet man ab: die Ungerechtigkeit der Sklaverei, die Ungesetzlichkeit der Zwangsarbeit, die ohne die Notwendigkeit einer Sanktion auferlegt wurde, und, im positiven Sinn, die allen Menschen zuerkannte Urteilsfähigkeit. Ein Prinzip, das Larenz im Artikel 1 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes immanent erkennt, nach dem die Würde des Menschen unantastbar ist. Genau aus dieser Norm ist die Konstruktion der Rechtssprechung vom generellen Persönlichkeitsrecht (diritto generale della personalità) abgeleitet. Aus dem gleichen Prinzip des Respekts gegenüber der Person ist die Freiheit des Gewissens und der Religion abgeleitet (Artikel 4, Grundgesetz). Mit anderen Worten ist es eine klare Aussage der deutschen Doktrin, daß das Prinzip der gegenseitigen, wenn auch nicht absoluten, zeitlosen und unveränderlichen Achtung der Person, ein „Naturrecht der modernen Zeit“ ist.21 Die Willensfreiheit reduziert sich daher darauf, alles zu tun, was nicht verboten ist, und alles das, was nicht die Freiheit der Anderen berührt. b) Das generelle Recht der Persönlichkeit in ihren Varianten wie die äußere Erscheinung, Ehre und Vertraulichkeit ist daher Wertprinzip in allen westlichen Ordnungen. Mit diesem Prinzip sind Zusätze verbunden, die die Freiheit der Berufsausübung und das Verbot, Verträge zu schließen, welche eine totale Abhängigkeit einer Person von einer anderen bedeuten, beinhalten.
21
Larenz K (1979) Richtiges Recht: Grundzüge einer Rechtsethik, 64.
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3. Die „gemeinsamen Werte des Abendlandes“
Mit dieser Schlußfolgerung sind auch Stein und Shand22 einverstanden, die den Schutz der privacy als Grundwert einstufen. c) Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit werden wir unten in Teil 2 Kapitel 4 behandeln, im Kapitel über die zivilrechtliche Haftung. d) Das Verbot rechtsmißbräuchlicher Handlungen (wie z.B. nach Artikel 833 der italienischen Verfassung), die Regeln über die gute Nachbarschaft, (Artikel 872 ff), das Verbot von Einwirkung auf Andere (Artikel 844 ff) sind ebenso Beispiele für das Prinzip der „Achtung des Anderen“: der gegenseitige Respekt bedeutet tatsächlich Begrenzungen eines Rechts, das naturgemäß das egoistischste ist (das „schrecklichste“ sagen die französischen Revolutionäre): das Recht auf Eigentum. Aber wir finden Anwendungsbeispiele dieses Prinzips bei den Verträgen, bei denen das Modell des Austauschvertrages, nach dem die Vertragspartner gegenseitige Vorteile austauschen und sich die Risiken und Lasten teilen, das Schema ist, das normalerweise im Recht der besonderen Verträge befolgt wird. Genauso gilt bei der zivilrechtlichen Haftung daß, wer einen Schaden verursacht, dafür verantwortlich ist, ihn wieder gut zu machen, in besonderer Form oder mit äquivalenter Entschädigung. Mit anderen Worten, wer die Person, die Güter oder die anderen geschützten Interessen eines Individuums nicht respektiert, muß für die Konsequenzen aufkommen und den entstandenen Schaden wieder gut machen.23 e) Kontrovers diskutiert wird dagegen das Prinzip des „Rechtsmißbrauchs“. In vielen Rechtsordnungen ist es als Doktrin und durch die Praxis der Rechtsprechung anerkannt; in der italienischen hat es ein schweres Leben; aber es scheint wie Phönix aus der Asche jedesmal wieder aufzuerstehen, wenn es aus der Ordnung getilgt wurde. f) Weitere Prinzipien/Werte sind das Rückwirkungsverbot von Gesetzen und die Vermutung der Gesetzeskenntnis (numquam legem ignorare censetur; ignorantia legi non excusat). Beide sind jedoch abgeleitet und abdingbar. Das zweite Prinzip kodifiziert in Wirklichkeit eine Überzeugung, nämlich die, daß alle in der Lage sind, alle Gesetze zu kennen. Es entstand in einer Zeit, in der es noch wenige Gesetze gab, die durch öffentliche Ausrufer bekannt gemacht wurden, und die an einen eng umgrenzten Personenkreis gerichtet waren. Mit der Zeit wurde dieses Prinzip imaginär, aber deshalb nicht weniger bindend. Die Gesetze wurden immer zahlreicher, die neuen überlagerten die alten, die der Herrscher überlagerten diejenigen der Beherrschten. Erinnern wir uns an die Schreie des Azzeccagarbugli.24 Oft wurden die Gesetze in der Sprache der Gebildeten (Latein) geschrieben, während der Großteil der Bevölkerung nur die Volkssprache verstand; oft war das Volk noch nicht einmal in der Lage, diese zu lesen, denn es waren Analphabeten. Heute, da diese Welt verschwunden ist, ist die ungeheure Zahl von Normen und Gesetzen geblieben, ihre schwierige Auffindbarkeit, usw. Aber deswegen ist man auf Seiten der Adressaten eines Gesetzes nicht der Meinung, daß ein Gesetz, das einmal rechtmäßig erlassen wurde, bekannt sein muß. Es ist möglich, die Norm durch die gesetzliche Vorschrift zu kennen und in jedem Fall wegen des oben zitierten Prinzips.25 Hinsichtlich der Effektivität haben wir schon gezeigt, daß sie Sache der Übereinkunft ist. g) Auch das Prinzip der Vertragsautonomie wird als fundamentaler Wert betrachtet. 22
Siehe oben, Anm. 16. Siehe hierzu näher unten Teil 2 Kapitel 4. 24 Das ist eine Person in Alessandro Manzonis Roman I promessi sposi, Anm. d. Übers. 25 Corte cost., 364/88, Entsch. vom 24.März 1988, Entscheidungssammlung des italienischen Verfassungsgerichts. 23
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Larenz beobachtet, daß in allen Rechtsordnungen das Prinzip pacta sunt servanda bekannt ist, auch wenn es dann in jeder Ordnung anders ausgeführt ist. Jeder kann frei Verträge abschließen; und indem er sich selbst beschränkt, vollzieht er einen Akt der Selbstbestimmung. Mancher26 besteht darauf, daß die Selbstbestimmung ein Akt der Persönlichkeit ist: In einem Vertrag erkennt die eine Seite die Persönlichkeit der anderen Seite an. Andere unterstreichen, daß jedoch die Autonomie nicht ausgeübt werden kann, ohne das Prinzip der sozialen Solidarität zu beachten. 27
Zusammengefaßt kann man in der Konstruktion einer Wertetafel für die westlichen Rechtsordnungen eine Art Fortschritt oder Verästelung feststellen, die sich, von der Person ausgehend, auf Gruppen und auf das notwendige geordnete Verhalten innerhalb einer Gesellschaft ausdehnt, mit dem Ziel, die privaten Interessen untereinander und diese mit dem Gemeinschaftsinteresse auszugleichen. An der Basis der Darstellung steht das Prinzip des Schutzes der Person mit den fundamentalen Freiheiten; Zwischen den so geschützten Personen wird ein Verhältnis der Gleichheit geschaffen, das die Achtung der Unterschiedlichkeit beinhaltet (Gleichheit in der Unterschiedlichkeit). Um zu Überleben, braucht der Einzelne Güter, und mithin die Möglichkeit, über diese Güter ein Besitzrecht auszuüben; in einigen Rechtsordnungen ist das Recht auf Eigentum direkt mit dem Schutz der Person gekoppelt und erscheint quasi als „Naturrecht“; in vielen Rechtsordnungen ist das Recht auf Eigentum in seiner egoistisch-individuellen Funktion gemäßigt durch die soziale Funktion, oder, allgemeiner ausgedrückt, durch die Grenzen der kollektiven Bedürfnisse; die individuellen wirtschaftlichen Interessen, wie auch das generelle Interesse, das der Dynamik des Marktes inhärent ist, verlangen, daß die Waren (Güter) frei zirkulieren können, oder mit so wenig Hindernissen wie möglich; man unterstreicht daher den Schutz des Besitzes, und in einigen Rechtsordnungen (wie in der deutschen) die Zirkulation der Güter vermittels abstrakter Geschäfte, und in wieder andern Ordnungen mit dem einfachen Konsens, der einen Übertragungseffekt hat (wie in den französischen, spanischen, italienischen Rechtsordnungen). Ein Zusatz zum Schutz des Eigentums und des freien Warenverkehrs ist die Freiheit, ein Testament zu machen, begrenzt durch den Schutz der gesetzlichen Erben. Das Prinzip des Schutzes des Arbeiters, mit seinen sozialen und wirtschaftlichen Aspekten. Das Prinzip der Freiheit der Wirtschaft, der freien Berufsausübung, der freien Konkurrenz; in einigen Rechtsordnungen erkennt man als Anhang das Prinzip der Vertragsfreiheit, das aber in unserer Rechtsordnung verfassungsmäßig nicht gedeckt erscheint.
26 27
Binder J (1925/1967) Philosophie des Rechts, S. 479. Jacques Ghestin, vgl. Ghestin J, Hrsg. (1993) Traité de droit civil, Les obligations, La formation du contrat und siehe die Buchbesprechung einer Vorauflage und eines Teilbandes bei Cummins R J (1989) "Review: Traité de Droit Civil. Volume V. Les Obligations: La Responsabilité: Effets, Genevieve Viney; Jacques Ghestin (1988)" The American Journal of Comparative Law 37(2): 406-10.
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3. Die „gemeinsamen Werte des Abendlandes“
Der Schutz der Person erstreckt sich auf die Mitglieder ihrer Familie; im Zusammenhang mit der Familie registriert man: das Prinzip der Gleichheit zwischen den Eheleuten, das im Prinzip der geistigen und materiellen Gemeinschaft, die das Eheleben charakterisiert, im Prinzip des gleichen Rechts, die Güter zu verwalten, im Prinzip der gleichen Verantwortung und Befugnis gegenüber den Kindern einen Ausdruck findet; das Prinzip der Gleichbehandlung der Kinder, egal ob „legitim“ oder „illegitim“ (diesbezüglich gibt es noch Unterschiede in den verschiedenen Rechtsordnungen, was die Nachfolgerechte „illegitimer“ Kinder angeht.) Das Prinzip der Vereinigungsfreiheit, mit dem das Prinzip der freien Vereinigung zu wirtschaftlichen Zwecken und der freien Ausübung jedweder gemeinschaftlicher Unternehmungen verbunden sind. Auf das Prinzip der Vertragsfreiheit beziehen sich: das Zustimmungsprinzip, das Prinzip des Rechtsgrundes, aufgrund dessen jede Vermögensverschiebung eines zulässigen rechtfertigenden und schützenswerten Grundes bedarf [sog. Kausa]; das Prinzip des vertraglichen Gleichgewichts, das Leistung und Gegenleistung, Nichterfüllung, unvorhersehbare Umstände, oder vorhersehbare Umstände, die jedoch die Wirtschaftlichkeit eines Geschäfts in Frage stellen, berücksichtigt. Dieses Prinzip, das in unterschiedlicher Terminologie und mit unterschiedlichen Techniken in Deutschland (Wegfall der Geschäftsgrundlage), in Frankreich (imprévision), in England (frustration of contract), in Italien (teoria della presupposizione) verwirklicht ist, zielt darauf ab, das ursprüngliche Gleichgewicht des Vertrages zu bewahren und unerwartete Vorkommnisse mit der wirtschaftlichen Absicht der beiden Parteien in Einklang zu bringen. Das Prinzip der Verantwortlichkeit oder Haftung, auf dessen Basis derjenige, der eine persönliche oder unternehmerische Aktivität ausübt, einen angerichteten Schaden wiedergutmachen muß. Mit diesem Prinzip verbunden, oder besser mit ihm koordiniert sind: das Prinzip der Kausalität, das Prinzip der Schuld und das Prinzip der Begrenzung der Risiken. Eine neuere Reflexion über die gemeinsamen Werte des Abendlandes wurde in europäischen Begriffen von André-Jean Arnaud28 formuliert. Er führt eine großangelegte Untersuchung über die Entwicklung der grundlegenden Themen der europäischen Rechtskultur durch, und er behauptet, daß, obwohl die Bedeutung von „europäisch“ unterschiedlich ist, es trotzdem möglich sei, gemeinsame Verbindungen auszumachen. Das geschichtliche Gedächtnis ist daher das Fundament eines Versprechens, nämlich eine vollständige europäische Integration zu realisieren. Das geschichtliche Gedächtnis hat seine Wurzeln im Mittelalter, in der kanonischen Tradition. Das moderne juristische Denken bezieht seine Nahrung vom naturrechtlichen Rationalismus, dank dessen der Volontarismus, der legalistische Positivismus und der Subjektivismus Wurzeln gefaßt haben. Diese Werte befördern eine Disziplin der internationalen Beziehungen und stehen am Anfang der Erklärung der Menschenrechte und auch der ersten Kodifizierungen. Das Erscheinen der nationalen Rechte und der sozialen Dimension des Rechts führt eine Zensur in diese einheitliche und homogene Ent-
28
Arnaud A-J "Legal Pluralism and the building of Europe" Réseau Européen Droit et Société; ders. (1991) Pour une pensée juridique européenne; ders. (1998) "From Limited Realism to Plural Law. Normative Approach versus Cultural Perspective" Ratio Juris 11(3), 246–58.
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wicklung ein, aber das darf man nach Arnaud nicht als Bremse für die europäische Einigung betrachten, sondern vielmehr als Wachstumsfaktor und als nützliche Dialektik für die Entwicklung der Rechtsordnungen. Der Prozeß der europäischen Einigung, vorwärtsbewegt durch die Techniken der Integration und der Harmonisierung, basiert auf der Logik der Flexibilität, die den Pluralismus respektiert, die Pluralität der Systeme und die Konzentration der Anwendung des Rechts auf die Person. Diese Komplexität der Rechtsordnung kann man mit Logik beherrschen, mit Hilfe von Doktrinen der Rechtsheorie, mit der Entwicklung einer Kompromißordnung und einer Ordnung zur Lösung interner Konflikte. Vor allem aber ist es nötig, eine gemeinsame Sprache zu finden, die man nicht nur in der kulturellen Bildung der Juristen und in der Erfahrungstradition Kontinentaleuropas findet, sondern die die geographischen Grenzen überwindet, und sich in gegenseitigen Wechselbeziehungen auf die Länder jenseits des Ärmelkanals und die skandinavischen Länder ausbreitet.
4. Das Europa des Rechts Die Rekonstruktion des Weges, der zur Verbindung des Begriffs „Europa“ mit einem Teil des alten Kontinents und zu einer politischen Identität geführt hat, ist die Frucht der Untersuchungen und der Intuitionen derer, die die Geschichte studiert haben: die Geschichte der politischen Ereignisse (l'histoire evènementielle), des sozialen und täglichen Lebens der Einwohner Europas (histoire materielle) und die der wirtschaftlichen Wechselfälle, die für das Schicksal Europas in den vergangenen vier Jahrhunderten kennzeichnend waren. Auch wenn viele, und das auch vor kurzem, versucht haben, die „Geburt Europas“ in die Karolingerzeit zu verlegen, oder sogar, wie es Friedrich Prinz29 vorgeschlagen hat, in die Zeit Konstantins, so ist es doch vernünftig, anzunehmen, daß die Idee des modernen Europa genau in dem Moment angesiedelt werden kann, als die Großmächte, mittlerweile autonome und zentralisierte Staaten, in Westfalen ein Gleichgewicht unter sich gefunden hatten, das es ihnen ermöglichte, friedlich miteinander zu leben. Diese Idee hat sich dann im Zeitalter der Aufklärung verfestigt und im 19. Jahrhundert nochmals verstärkt, bis sie im 20. Jahrhundert mit den beiden Kriegen, die den ganzen Planeten in Mitleidenschaft zogen, verpufft ist, um dann nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Sieg über die totalitären Regime, mit der Errichtung der Demokratie in den noch nicht freien Staaten, mit dem Fall der Mauer und den Ereignissen, die vielfach parallel zur ersten Konstruktion der Europäischen Gemeinschaften verliefen, oder mit ihnen verwoben waren, und schließlich mit der Schaffung der Europäischen Union wieder neu zu entstehen. Eine Union mit variabler Geometrie, aber immer in fortschreitender Expansion.
29
Haverkamp A und Prinz F (2004) Gebhardt: Handbuch der deutschen Geschichte. Band 1: Perspektiven des Mittelalters. Europäische Grundlagen deutscher Geschichte, 4. – 8. Jahrhundert.
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4. Das Europa des Rechts
Man hat sehr auf der Geschichte insistiert, denn es ist vor allem die Geschichte, die die Analysemethoden eines jeden politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Phänomens bestimmt. Aber als Juristen müssen wir uns fragen, ob die Evolution, oder in jedem Fall die Abfolge von Kulturmodellen, gesetzgeberischen Strukturen, empirischen Lösungen von Konflikten zwischen Privaten, oder zwischen Privaten und dem Staat, den gleichen Weg zurückgelegt, und ob sie sich im gleichen Zeitraum abgespielt hat. Entspricht also das „Europa des Rechts“ durch die Identität von Begriff und Zeit dem geschichtlichen Europa, das heißt, den traditionellen Beschreibungen des alten Kontinents? Dies könnte als müßige Frage erscheinen, wenn man von der Vorstellung ausgeht, daß jede Epoche ihr Recht produziert, und daß jede Identität nur durch Teilhabe am Recht existiert, das eine ihrer essentiellen Komponenten ist. Aber so ist es nicht: die Begriffe, die Konzepte, die Modelle des Denkens, die Regeln, die Ausdruck der Kultur und der Rechtstradition sind, streben von Natur aus danach, ihre eigene Epoche zu überleben. Wenn sie von der Folgeepoche angenommen werden, sind sie für diese eine Identitätskomponente, aber das ändert nichts an ihrem früheren Ursprung. Auch was dies betrifft, sind die Positionen der Forscher unterschiedlich. Indem sie behaupten, daß, zumindest für Kontinentaleuropa, die Matrix der Rechtsgeschichte vom Römischen Recht bestimmt ist (verstanden als justinianisches Recht), tendieren viele Juristen, besonders die Rechtshistoriker und natürlich die Pfleger des Römischen Rechts dazu, die These anzuerkennen, das Europa des Rechts habe seine Ursprünge gerade im 6. Jahrhundert nach Christus. Die Mediävisten hingegen unterstreichen, daß das Europa des Rechts seit dem Jahre 1000 existiere, und im besonderen seit den mittelalterlichen Jahrhunderten, in denen sich die Lebensregeln der Kaufleute (die lex mercatoria), der Fürsten (das ius publicum), der Religion (das ius canonicum) und des Privaten (das ius privatum), zusammen mit den lokalen Gewohnheiten, verfestigt haben. Ein komplexes Gebilde von Quellen, miteinander verwoben, die den juristischen Pluralismus untermauern, die aber durch das geschriebene Recht, in der verfeinerten romanistischen Tradition der gebildeten Juristen, eine Einheit finden. In dieses haben im übrigen kanonische Prinzipien und Werte Eingang gefunden, auch durch das ungeschriebene Recht, nämlich in den Sammlungen der Gebräuche und in den universellen Praktiken des Handels. In gewisser Weise scheint es, daß das juristische Europa das politische vorwegnimmt. Die mittelalterliche Rechtsordnung, – gemäß der geschickten Formel von Paolo Grossi30 – die Geburt des Staates im modernen Sinne, die Geburt der Naturrechte – immer im modernen Sinne vestanden – die Verbreitung von Modellen und Verhaltensweisen, die den Juristen eigen sind, sind alles Phänomene, die auf die Zeit vor dem Westfälischen Frieden zurückgehen. Es sind Phänomene, die sich so lange durch die Zeit erhalten haben, daß wir heute noch ihre Spuren in der Rechtskultur und manchmal auch im geltenden Recht finden. 30
Vgl. z.B. Grossi P (2006) L'ordine giuridico medievale.
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Daher blühen Traktate über die Rechtsgeschichte, in denen die eigenen Grenzen überwunden werden und ganz Europa zum Feld der Nachforschungen wird. Italienische, deutsche, französische, portugiesische Juristen sprechen zu uns und beschreiben uns die Geschichte des europäischen Rechts, die Geschichte des Rechts „in Europa“ indem sie vom mittelalterlichen Recht, das von Romanität, Christentum und Handelsbräuchen durchdrungen ist, ausgehen. In der Tat, sowohl für das öffentliche Recht als auch für das Privatrecht gilt, daß die Ursprünge der juristischen Aspekte unserer kulturellen Identität exakt in jener Epoche liegen. So können wir unseren Kollegen von der Rechtsgeschichte nicht vorwerfen, daß sie die Geburt Europas vorziehen wollten, um seine Herkunft zu adeln oder die Materie mit der sie sich beschäftigen, und die sie unterrichten, aktuell zu machen. Wir können auch nicht ignorieren, daß das Universum des Rechts, obwohl es mit Macht und Wirtschaft verbunden ist, seine eigene intellektuelle Autonomie hat, so daß die Ideen in der juristischen Kultur zirkulieren, die Zäune der Nationen und die Staatsgrenzen überwinden, sich anpassen, ausgearbeitet werden, ihre Wanderschaft wieder aufnehmen. Die juristische Kultur des 17. und 18. Jahrhunderts restauriert das Bild eines Europa des Rechts, das geeint ist durch Modelle, durch Terminologie, durch die Art zu denken, durch Verhaltensweisen der Juristen – wo auch immer man diese in Zeit und Raum ansiedelt. Auch die Inseln jenseits des Ärmelkanals sind Teil dieser Geschichte, nicht nur wegen der Fortführung der kontinentalen Tradition in Schottland, nicht nur wegen der Auswirkungen des juristischen Denkens christlichen Ursprungs in Irland, sondern auch wegen des Austauschs, der ausgefeilte Ideen des Römischen oder des kanonischen Rechts in England zirkulieren läßt. Mit den Kodifikationen des 19. Jahrhunderts verändert sich dieses „Europa des Rechts,“ auch wenn sich sein Lebenssaft nicht erschöpft. Trotzdem, das Recht nimmt nationale Inhalte und nationalen Geist an. Anstatt frei zu zirkulieren, werden Ideen und Modelle von einem Land ins andere transplantiert. Die Naturrechte werden der „Vorhölle“ der Werte und der idealen Welten zugerechnet, und sie werden durch die subjektiven Gesetze ersetzt, die von der positiven Gesetzgebung vor das Individuum gestellt werden. Aber die Geschichte verläuft so, daß nach dem Zweiten Weltkrieg ein neues Europa entsteht, ein neues Europa des Rechts. Ausgehend vom Modell der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit entstehen nach und nach sogar zwei Europas: das Europa des Gemeinschaftsrechts und das Europa der Rechte im Plural. Das erstere hat eine Struktur, eine Organisation, einen Apparat und ist Produzent eines neuen Rechts. Das letztere läßt aus den nationalen Verfassungen die Rechte des Individuums und der Gemeinschaft hervorgehen – und aus den nationalen privatistischen Ordnungen gehen kulturelle Modelle, Termini, Konzepte, pragmatische Lösungen hervor, die zusammen ein variantenreiches juristisches Substrat bilden, das wir „Europäisches Privatrecht“ nennen. Heute neigen die beiden Bilder von Europa, das Europa des Gemeinschaftsrechts und das Europa der Rechte dazu, deckungsgleich zu werden. Wenn sie sich überlagert und vollständig integriert haben werden, dann werden wir den Gipfel des einheitlichen Europäischen Privatrechts erreicht haben.
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4. Das Europa des Rechts
In dieser Perspektive ist Europa – wie Biagio de Giovanni31 unterstrichen hat – der „Raum des Bewußtseins“, eines historischen und philosophischen Bewußtseins. Der Eurozentrismus hat sich vor allem im Mittelalter entwickelt, auch dank der Erstarkung des christlichen Gedankens, aber er hat sofort einen Riß bekommen durch den Bruch von Philosophie und Theologie, Theologie und Politik. So daß die Idee von Europa und ihre Wahrnehmung sogleich die Idee von Pluralismus und Kampf implizieren, aber auch von Kontinuität, die man durch die Neubewertung des Menschen, durch das Völkerrecht, durch die ethisch-juristischen Ordnungen erhalten hat. Die Entdeckung Amerikas, so hat uns Todorov gelehrt, unterstreicht das Bewußtsein dessen, was europäisch ist, gegenüber dem „Anderen“, auch wenn aus diesem Kontrast der politische und juristische Gegensatz darüber, welche Kategorien man auf das Andere anwenden kann, entsteht: Eigentum der neuen Länder, Verhalten gegenüber den Eingeborenen, Aufteilung der „Eroberung“ unter den europäischen Mächten. Auch für die Philosophen, wie für viele Historiker, bildet sich das moderne Bewußtsein von Europa zwischen dem 16. und dem 17. Jahrhundert: mit dem Entstehen der Ideen von „Autorität“ und „Staat“, mit der Schaffung der Ideen von „Souveränität“ der Länder und „Freiheit der Meere“, mit der Dialektik der Ausübung öffentlicher Gewalt und der Rechte des Individuums. Aber es entsteht auch die Idee der Identifikation Europas mit „Humanität“ und als Zivilgesellschaft. Die europäische Sendung oszilliert also zwischen Ratio und Macht, und die Philosophien, die in der einzigen als „zivilisiert“ verstandenen Welt wurzeln, sind universalistische Philosophien, in denen man jedoch der Freiheit, der öffentlichen Meinung und dem Widerstand gegen die Autoritäten, wenn diese die Menschenrechte verletzen, großen Raum zugesteht. Der philosophische Weg kennt auch kritische Momente und Krisen: das „Ende Europas“, das entweder in den Nihilismus einmündet, oder in die Verwässerung des Rechts in der Wirtschaft und in den Machtverhältnissen. Er kennt auch die Dramen und die Verwicklungen der beiden Weltkonflikte des 20. Jahrhunderts und die Wiederauferstehung der Demokratie. Es ist ebenfalls interessant, festzustellen, daß der philosophische Weg, genau wie der historische und der juristische, zum gleichen Ziel führen: zur Konzeption eines nicht eurozentristischen Europa, das die Verschiedenheiten respektiert, begierig, die eigene Identität zu definieren, und das vor allem eingebettet ist in eine Kultur und ein Netz globaler Beziehungen. Wie man sieht, ist die Geschichte der Idee von „Europa“ und des Begriffs „europäisch“ wie das Tuch der Penelope: sie wird „gewebt“ je nach der Richtung, in die sich der Weber bewegt. Die Definition der Grundlagen des Europäischen Privatrechts geschieht also auf der Basis von Kategorien und Methoden, die je nach Epoche, Mentalität und Themen, die einer verfolgen möchte, variiert.
31
Vgl. Giovanni B d (2004) La filosofia e l'Europa moderna, sowie ders. (2002) L'ambigua potenza dell'Europa.
Teil 1 Kapitel 2 Die juristische Identität
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5. Literaturhinweise Im vorausgehenden Kapitel wurden schon einige bibliographische Angaben gemacht, die sich auf die juristische Komponente in der Entwicklung der Geschichte und Idee von Europa beziehen. Diesen muß man nun, in spezifischerer Weise einige hinzufügen: Antonio Padoa Schioppa, Italia ed Europa nella storia del diritto, Bologna, 2004; Baker, An Introduction to English Legal History, London, 1990; Plucknett, A Concise History of the Common Law, London, 1956; Hoeflich, Roman Law and Civil Law, Athens, Georgia, 1997; Markesinis, Il metodo della comparazione, italienische Übersetzung: Milano, 2004. Für erste Hinweise hinsichtlich des positiven Rechts vgl. Alpa, Il diritto privato nel prisma della comparazione, Torino, 2004, S. 73 ff; S Cassese, Lo spazio giuridico globale, Roma-Bari, 2003; S M Carbone, Lo spazio giuridico europeo, Torino, 2000; und die Debatte, die mit dem Neudruck von Carl Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (1943 – 1944), jetzt in ital. Übersetzung, Roma, 1996, eröffnet wurde. Für die ausländische Literatur sind die Hinweise auf Stig Stroemholm, L'Europe et le droit, Paris, 2002, S. 226; Peter Stein und John Shand, I valori comuni dell'Occidente, Milano, 1980; Karl Larenz, Richtiges Recht, Tübingen, 1975; und immer aktuell: Binder, Philosophie des Rechts, 1925 notwendig. Die Werke von Paolo Grossi verdienen eine besondere Erwähnung: L'ordine giuridico medievale, Roma-Bari, 1995; Assolutismo giuridico e diritto privato, Milano, 1998, S. 428; L'ultima Carta dei diritti, in: Carta europea e diritti dei privati, hrsg. von G Vettori, Padova, 2002; Globalizzazione, diritto, scienza giuridica in: Foro it. 2002, V.c. 163; Codici, hrsg. von P Cappellini und B Sordi, Milano, 2002.
Kapitel 3 Grundrechte und Privatrecht
Inhalt: 1. Vorbemerkung zu den Grundrechten – 2. Die Grundrechte in der EMRK und Privatrechtsbeziehungen – 3. Direkte Anwendung der Europäischen Konvention? - 4. Der Schutz der Menschenrechte in der Gemeinschaft – 5. Das englische Modell – 6. Die Charta der Grundrechte von Nizza – 7. Die Debatte über die direkte Anwendung der Charta von Nizza – 8. Die „Verfassung“ der Europäischen Union – 9. Der Jahresbericht über die Menschenrechte – 10. Literaturhinweise
1. Vorbemerkung zu den Grundrechten Der Weg zur Europäischen „Verfassung“ war lang und ereignisreich. Ausgehend von der Theorie, nach der das Recht im Zusammenspiel von normativen Quellen, Rechtsprechung und Rechtslehre geschaffen wird, muß man die Formulierung Grundrechte und Beziehungen zwischen Privaten auflösen, indem man folgende Elemente beachtet: a) den Begriff der „Grundrechte“, b) den Vertragsbegriff, c) die akademische Literatur, d) Richtersprüche, die das Problem im positiven (das Problem existiert und hat eine Lösung) oder im negativen (das Problem existiert nicht, bzw. es existiert, aber es hat keine Lösung) Sinne gelöst haben, e) Orientierungen, die die Rechtslehre gibt, bei denen man den Ansatz der Naturrechtslehre (laizistisch oder konfessionell), den Ansatz des Rechtspositivismus (etatistisch oder pluralistisch) und den realistischen Ansatz unterscheidet. Der Ausdruck Grundrechte in diesen Ausführungen ist möglichst weitgefaßt zu verstehen, das heißt, als anerkannte Ansprüche oder Freiheiten in internationalen Texten, in nationalen Verfassungstexten, in der Praxis der Rechtsprechung, in der übernationalen Praxis, etc. Auf die gleiche Art und Weise wird der Terminus Beziehungen zwischen Privaten in genereller Weise benutzt, wie eine Verbindlichkeit oder ein frei gegebenes Versprechen einen Vertrag oder zivilrechtliche Verantwortung, also Haftung, begründet. Wenn man nur diejenigen geschriebenen Rechtstexte heranzieht, die am häufigsten zu Vergleichen herangezogen werden, wie die Verfassungen der westlichen Länder und die Zivilgesetzbücher, außerdem einzelne Spezialgesetze, internationale Konventionen und Verträge, so entdeckt man keine explizite Norm, die „Grundrechte“ und „Beziehungen zwischen Privaten“ miteinander verbindet. Aber der Anwender kann herausarbeiten, ob diese Verbindung auf hermeneutischer Ebene möglich ist, ob sie im jeweiligen Text ausgeführt wurde, und welche rechtlich relevanten Schlußfolgerungen sich daraus jeweils ergeben.
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1. Vorbemerkung zu den Grundrechten
1.1 Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Der Basistext, um die Möglichkeit einer solchen Verbindung von Grund- und Privatrechten nachzuweisen, ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO von 1948.1 Hier, im Katalog der Menschenrechte, findet sich keine Erklärung, die den Vertrag, oder besser das Prinzip, welches die Möglichkeit, sich zu verpflichten (oder sich nicht zu verpflichten), verstanden als Vertragsfreiheit, betrifft. Streng genommen müßte man daher die Frage negativ beantworten, insofern der Artikel 2 der Erklärung festhält, daß „Jeder Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten [hat]...“: da die Vertragsfreiheit nicht besonders erwähnt wird, müßte man annehmen, daß sie kein Grundrecht ist (weder Menschenrecht noch humanitäres Recht, noch gilt sie als unverletzlich).2 Trotzdem kann der Rechtsanwender Ersatz für diese „Leerstelle“ finden (im wissenschaftlichen, nicht im politischen oder wertbestimmenden Sinne), wenn er einige Überlegungen in Betracht zieht. Im folgenden sind nur einige aufgeführt. i) Im Katalog werden die Freiheit und Gleichheit hinsichtlich der Menschenwürde und -rechte genannt (Artikel 1). Man geht davon aus, daß dies die öffentlichrechtliche Position, die dem Verhältnis von Individuum und Autorität inhärent ist, betrifft, nicht hingegen das Verhältnis zwischen Individuen. Ist es möglich, Freiheit und Gleichheit der universellen Erklärung auf die Beziehungen zwischen Privaten zu übertragen, das heißt, diese Prinzipien direkt auf Beziehungen zwischen Privaten anzuwenden? Die Antwort hängt davon ab, wie man den Begriff Recht (handelt es sich um ein subjektives Recht, das von der Erklärung anerkannt ist, und das auf die Beziehungen zwischen Privaten angewandt werden kann?) und wie man den Begriff der direkten Anwendung versteht (ist ein Vertrag, der im Gegensatz zu den Prinzipien der Erklärung steht, per se ein Vertrag contra legem, gegen die öffentliche Ordnung, etc.? Oder ist es ein ungültiger Vertrag, weil er Prinzipien und Werte verletzt, die schon Gegenstand anderer zivilrechtlicher Verfügungen sind?). ii) Im Katalog (Artikel 2 Abs. 1 MRK) wird auf das Verbot der Diskriminierung von Individuen aufgrund ihres Geschlechts und anderer Kriterien Bezug genommen; zu diesem Verbot bildet das Recht auf gleichen Schutz vor Diskriminierung (Artikel 7) einen Kontrapunkt. Diese Materie betrifft direkt das Arbeitsrecht und mithin den Arbeitsvertrag: Gleichbehandlung der Geschlechter, Gleichbehandlung von Menschen mit sexuellen Orientierungen, die von denen der Mehrheit abweichen, von Minderheiten anderer Ethnien, Religionen, politischer Anschauungen oder anderer Sprachen sind Themen, die zu umfassenden Diskussionen in Italien und anderen Ländern der Europäischen Union und in deren Organen geführt
1
2
A/RES/217, UN-Doc 217A-III vom 10.12.1948, siehe http://www.unhchr.ch/udhr/lang/ger.htm. Vgl. unten Teil 2 Kapitel 3, 10.
Teil 1 Kapitel 3 Grundrechte und Privatrecht
iii)
iv)
v)
vi)
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haben. Die Problematik steht im Zusammenhang mit den Artikeln 23 und 24. Das Recht auf Leben, auf Freiheit auf Schutz der Person, aber auch das Verbot von Knechtschaft und Sklaverei (Artikel 3 und 4) können auf das Vertragsverhältnis Einfluß nehmen: Knechtschaft und Sklaverei immer verstanden mit Blick auf das Vertragsverhältnis, oder auf das Eheverhältnis, zumindest dort, wo es wie ein bindender Vertrag aufgefaßt wird; Leben und Schutz können für jene Verträge in Betracht gezogen werden, in denen das Leben oder die Gesundheit und Sicherheit der Person oder anderer auf dem Spiel stehen. Um ein weiteres Beispiel zu bringen: können der Schwangerschaftsvertrag zwischen einer sterilen Mutter und einer austragenden Mutter oder die Vertragsbeziehungen bei der künstlichen Befruchtung etc. von einer Anerkennung der Grundrechte beeinflußt werden? An diesem Punkt muß man sich fragen, ob die Rechte des Katalogs das bereits gebildete Individuum betreffen, oder auch das sich bildende Individuum, ob ein Embryo bereits ein werdendes Individuum ist, etc.3 Das Recht auf Anerkennung der juristischen „Persönlichkeit“ kann einen Vertrag dort beeinflussen, wo es um unterscheidende Kriterien geht, wie Name, Bild (auch das ideelle), die mit Mitteln der Informatik gesammelten persönlichen Daten, etc. Das Recht auf freie Eheschließung beeinflußt einen Vertrag dort, wo das Eheband zu den Vertragsbindungen gezählt wird (Artikel 16) und genauso die Vereinigungsfreiheit, die die Vertragsbindung, welche dem Vereinigungsverhältnis inhärent ist, beeinflußt (Artikel 17). Auch muß man die wirtschaftlichen und sozialen Rechte in Betracht ziehen (Artikel 22).
1.2 Die Konvention von Straßburg Ähnliche Problematiken birgt die Europäische Konvention von 1950, die im folgenden Abschnitt behandelt wird. Wurde die Verbindung von Grundrechten und Privtarecht versucht? Auch diese Frage muß man positiv beantworten. Eine interessante Gelegenheit, dies zu diskutieren, gab es anläßlich einer Tagung, die von Alfredo Mordechai Rabello und Peter Sarcevic am Sacher-Institut in Jerusalem im September 19944 organisiert worden war. Die anwesenden Juristen aus verschiedenen Kulturen und Ländern hatten das Problem mit unterschiedlichen Akzentuierungen und Sensibilitäten untersucht. Trotzdem blieb die Möglichkeit, die Bestimmungen der universellen Erklärung direkt auf die privaten Beziehungen anzuwenden, zweifelhaft; diese scheinen vielmehr dazu bestimmt, als 3 4
Siehe weiter hierzu unten Teil 2 Kapitel 2, 4. Rabello A M und Sarcevic E P, Hrsg. (1998) Freedom of Contract and Constitutional Law.
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3. Direkte Anwendung der Europäischen Konvention?
Bezugsmodelle für die umfassende Bewertung der Merkmale der Person, verstanden als Trägerin der Grundrechte, zu dienen.
2. Die Grundrechte in der EMRK und Privatrechtsbeziehungen Das Problem der Anwendung der Grundrechte als von der „Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten“5 anerkannte und garantierte Rechte auf die Beziehungen zwischen Privaten erregte die Aufmerksamkeit der Juristen, des Europäischen Gerichtshofs in Straßburg, des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (sic!) und der Staatsgerichtshöfe in der gleichen Art und Weise, wie es mit der Anwendung der verfassungsrechtlichen Bestimmungen (oder Prinzipien) auf die Beziehungen zwischen Privaten der Fall war. Und das ungeachtet der Tatsache, daß die Funktionen der Konvention sich von den Funktionen der nationalen Verfassungen unterscheiden, daß die juristische Natur der Verfügungen in der Konvention sich von den Bestimmungen in den nationalen Verfassungen und von den gemeinschaftlichen Prinzipien von Verfassungsrang unterscheidet, und daß die Techniken der Anwendung sich zwischen den Verfassungsrichtern, den einfachen Richtern und den Richtern der Gemeinschaft unterscheiden. Trotzdem ist die direkte Anwendung der Regeln der Konvention, die die Grundrechte anerkennen und bekräftigen, auch heute noch Gegenstand der Diskussion, sei es angesichts der Interpretation der neuen Regeln, die im Vertrag von Amsterdam eingeführt wurden, welcher den Artikel 6 (früher: Artikel F) des Vertrags über die Europäische Union modifiziert hat, sei es angesichts der Definition der Grundrechte als Prinzipien des Gemeinschaftsrechts, sei es angesichts der direkten Anwendung solcher Rechte und Prinzipien auf die Beziehungen zwischen Privaten.
3. Direkte Anwendung der Europäischen Konvention? Die Rechtsprechung einiger Gerichtshöfe der Unterzeichnerstaaten der Konvention, des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und die Regelung des Vertrages der Europäischen Union als Abänderung des Vertrages von Amsterdam, scheinen die Möglichkeit zu bestätigen, die Konvention direkt auf die Beziehungen zwischen Privaten anzuwenden, unter besonderer Berücksichtigung des Schutzes des Privatlebens, des Rechts auf Abtreibung, der Freiheit der Meinungsäußerung, etc. Im Vorfeld ist es notwendig, eine Synthese der Fragen zu erstellen, die sich im Lauf der Zeit gestellt haben.
5
EMRK, unterzeichnet 1950, in Kraft getreten 1953.
Teil 1 Kapitel 3 Grundrechte und Privatrecht
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Die Autoren, die sich mit dem Thema befaßt haben, nehmen besonders Bezug auf die Problematik der Drittwirkung, besonders im deutschen Recht,6 und auf die Problematik der vertikalen oder horizontalen Anwendbarkeit der Richtlinien der Gemeinschaft. Man hat aber den Gedanken geäußert, daß das Konzept der indirekten Anwendbarkeit inhaltlich nicht identisch sei mit der deutschen Erfahrung und mit der Problematik der von der Europäischen Konvention anerkannten Rechte.7 Im ersten Fall bezieht man sich hauptsächlich auf die Inhaltsbestimmung der Generalklauseln über den guten Glauben und über die öffentliche Ordnung bzw. den ordre public, während diese Bedeutung sich im Kontext der Europäischen Konvention eher auf die Theorie der positiven Pflichten, die für die öffentlichen Ämter gelten, bezieht, welche dann in der Verantwortung des Staates bei einer Verletzung der Grundrechte seitens privater Personen aufgeht. Aber man hat nicht ausgeschlossen, daß von einer direkten Anwendung der Europäischen Konvention auf die Beziehungen zwischen Privaten gesprochen werden kann. 8 Die Argumentationen sind sehr vielfältig. - Vor allem wird von der Intention der Staaten her argumentiert, welche die Konvention unterzeichnet und ratifiziert haben. Hieraus ergebe sich, daß „in den Staaten, die die Konvention unterschrieben und ratifiziert haben, es möglich ist, dem Einzelnen Pflichten aufzuerlegen, die vom internationalen Recht abgeleitet werden“.9 - An zweiter Stelle bezieht man sich auf die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, nach der sich „aus den Grundrechten der Person Verpflichtungen erga omnes ergeben.“10 - Ferner bezieht man sich auf die gleiche Intention, die im Text der Konvention zum Ausdruck kommt,11 - und in den Aussagen, die in ihrer Präambel niedergelegt sind; 12 - oder man behauptet, daß die Bestimmungen der Konvention Ausdruck der öffentlichen Ordnung seien;13 - auch wird gesagt, daß die Bestimmungen der Konvention, genau wie die der Universellen Erklärung der Menschenrechte sowohl gegenüber der öffentlichen Gewalt als auch gegenüber dem Einzelnen anwendbar seien.14 6
Spielmann D (1995) L'effet potentiel de la Convention européenne des droit de l'homme entre personnes privées, 26; siehe hierzu näher unten Teil 2 Kapitel 3, 10; siehe auch oben Teil 1 Kapitel 4, 11.2, Anm. 112. 7 Hahne M-M (1973) Die Drittwirkung in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 26. 8 Spielmann, oben Anm. 6, 30. 9 Ibid., 31. 10 Forde M (1985) "Non-Governmental Interferences with Human Rights" British Yearbook of International Law 56: 253, 265. 11 Ibid., 253. 12 Eissen M-A (1961) La Convention et des devoirs de l'individu, La protection internationale des droits de l'homme dans le cadre européen, 190. 13 Spielmann, oben 3, 45 die Entscheidung des App. Brüssel, 25-2-1988 kommentierend. 14 Meersch W J G v d (1968) La Convention Européenne des Droits de l'Homme a-t-elle dans le cadre du droit interne une valeur d'ordre public?
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3. Direkte Anwendung der Europäischen Konvention?
Die Formulierung des Art. 1 der Konvention läßt hingegen keine einheitlichen Interpretationen zu, insofern die englische Formulierung, nach der die Hohen Vertragsschließenden Parteien jedem die Rechte und Freiheiten, die in der Konvention definiert sind, garantieren werden („shall secure“), weniger stark erscheint, als die französische Formulierung anerkennen („reconnaissent“). Man kann daher unterschiedliche Bedeutungen ableiten (und so auch unterschiedliche Lösungen bezüglich der direkten Anwendbarkeit), je nachdem, ob man dem umfassenderen englischen Begriff oder dem restriktiveren französischen den Vorzug gibt. In jedem Fall sind nicht alle in der Konvention enthaltenen Bestimmungen auf die Beziehungen zwischen Privaten anwendbar; diejenigen, welche sicher anwendbar sind, nach den Befürwortern der direkten Anwendbarkeit, betreffen die Zwangsarbeit (Artikel 4), die Bewegungsfreiheit (Artikel 2), die Freiheit zur Eheschließung (Artikel 12) und die Verordnungen, die die Grundfreiheiten betreffen. Man diskutiert, ob auch die Bestimmungen über den Schutz des Privatlebens direkt anwendbar ist (Artikel 8), eine Fragestellung, die wir aufgrund ihrer Anwendung in der Rechtsprechung hinsichtlich des Rechts auf Vertraulichkeit als erledigt betrachten.15 Weiterhin ist man allgemein der Meinung, daß auch Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 über das Recht auf Eigentum und Artikel 14 der Konvention, der das Prinzip der Nicht-Diskriminierung behandelt, direkt anwendbar sind. In der Rechtsprechung der Länder, die die Konvention ratifiziert haben, benennen die Kommentatoren einige signifikante Fälle, auch wenn deren Zahl, natürlicherweise, gering ist. Aus Belgien wird die Maßnahme des Friedensrichters von Tubize berichtet, der die Ausführung eines Beschlusses zur Hausräumung einer Mutter mit Kind verhinderte, die unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen lebte, und im Winter keine angemessene Unterkunft gehabt hätte;16 oder der Spruch des Appellationsgerichts von Brüssel, welches einem Gläubiger die Unterbrechung der Energieversorgung untersagt hatte, da dies gegen die Menschenwürde verstoße,17 oder auch der Spruch des Brüsseler Zivilgerichts, das eine Vertragsklausel, in der festgehalten war, daß die unterlegene Partei der anderen alle Gerichtskosten erstatten müsse, als gegen die öffentliche Ordnung verstoßend ansah.18 Andere Fälle betreffen das Recht auf Kündigung eines Angestellten, wenn dessen Verhalten im Gegensatz zu Werten steht, für die seine Firma eintritt. Wir kennen diese Frage in unserer Verfassung als Schutz eines Unternehmens vor Tendenzen, hinsichtlich derer man diskutiert, ob Angestellten Meinungen, Verhaltensweisen, religiöse Überzeugungen zu gestatten sind, oder gar eine Nationalität, wenn diese mit den Zielsetzungen des Unternehmens inkompatibel erscheinen.19 Unter den niederländischen Fällen sind jene bezeichnend, die sich auf die direkte Anwendung bei den Schuldverhältnissen beziehen, z.B. wenn Vertragsklauseln zur Vermietung von Immobilien für nichtig erklärt wurden, da diese den Mieter wegen seiner Rasse, seiner religiösen Überzeugungen oder seiner Nationalität diskriminiert hatten.20 15
Alpa G und Markesinis B (1997) Il diritto alla privacy nell'esperienza di common law e nell'esperienza italiana, Rivista trimestrale di diritto e procedura civile, 417. 16 Juge de Paix de Tubize, 27-10 1981, kommentiert von Spielmann, oben 3, 45. 17 App. Bruxelles, 25-2-1998. 18 Trib, Bruxelles, 23-11-1967. 19 Zu Gunsten der Unternehmen Pret. Roma 23-5-1994; Trib. Roma 29-7-1987. Zu Gunsten der Angestellten Pret. Milano 24-7-1987; Pret. Milano 8-1-1980. 20 App. Arnhem, 25-10-1943, Spielmann, 3, 57.
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Die Rechtsprechung des Gerichtshofs von Straßburg liefert Beispiele der direkten Anwendung im Bereich der Persönlichkeitsrechte, während die Entscheidungen hinsichtlich der gesetzlichen Schuldverhältnisse fast ausschließlich Arbeitsverhältnisse betreffen.21 Vom Komplex dieser Bezüge folgern die Kommentatoren nicht so sehr die direkte Anwendung der Konvention als viel mehr ihre indirekte Anwendung, die sich in der Verantwortung des Staates gegenüber einem Individuum ausdrückt, welches die Verletzung eines Grundrechts in einer Beziehung zwischen Privaten erleidet, oder in der Pflicht der nationalen Richter, die Regeln der Konvention auf die Beziehungen zwischen Privatpersonen anzuwenden, eine Pflicht, die in eine positive Nebenverpflichtung mündet.22
Im Verlauf der Debatte, die sich auch in Italien entwickelt hat,23 zeigte sich eine gewisse Enttäuschung über die „Kapitulation“ der Richter bei der Anwendung der Europäischen Konvention der Menschenrechte. Obwohl die Konvention häufig erwähnt wird, gewinnt man den Eindruck, daß die Erwähnung eher Blendwerk als die Basis für die ratio decidendi zur Lösung des Falles ist. Die Gründe für diese enttäuschende Reaktion wurden von Pietro Rescigno in einer Vielzahl von Faktoren ausfindig gemacht. Vor allem liegen sie in der Tatsache, daß die von der Straßburger Konvention garantierten Grundrechte auf eine mittlerweile mehr als 50 Jahre alte Formulierung zurückgehen, und daß es sich mithin um ein Grundrecht der „ersten Generation“ handelt, während jene der zweiten Generation (d.h. soziale Rechte), und jene der dritten Generation, wie die aktuellen Rechte bezeichnet werden (sie betreffen neue Technologien und den Konsum), nicht in der Konvention erwähnt sind. Die von der Konvention anerkannten Rechte wurden als Ausdruck von Regeln eher programmatischer als verbindlicher Natur verstanden. Solche Regeln lassen Raum für Ausnahmen, die von den nationalen Verfassungen eingeführt werden; darüber hinaus hat man behauptet, daß diese Bestimmungen keinen Verfassungsrang haben und daher – im Gegensatz zu den in den Verfassungscharten vorgesehenen Verfügungen – nicht zur direkten Anwendung herangezogen werden können. Die Bestimmungen der Konvention wurden also zu Interpretationszwecken benutzt. So geschehen im Zusammenhang mit den Urteilen des Verfassungsgerichts, die sich auf die Konvention beziehen, z.B. in Familiensachen, sog. privacy oder im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen. Es erscheint zudem kurios, daß der Straßburger Gerichtshof bei Anwendung der Konvention mehr den moralischen als den vermögensrechtlichen Schaden hervorgehoben hat. Die jüngeren Bestimmungen hingegen, die sich auf das Eigentum beziehen – in Form der käuflichen Aneignung, der Räumung von Immobilien von Mietern, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, das Verbot von Arrest aufgrund von Schulden - öffnen den Horizont für eine breiter angelegte Anwendung der in der Konvention ausgedrückten Prinzipien.
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Vgl. die von den verschiedenen europäischen Ländern angebotene kasuistische Anerkennung. Spielmann, oben 3, 79. 22 Spielmann, oben 3, 88. 23 Rescigno P (2002) "Convenzione Europea dei diritti dell'uomo e diritto privato (famiglia, proprietà, lavoro)" Rivista di diritto civile (3), 325.
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4. Der Schutz der Menschenrechte in der Gemeinschaft
4. Der Schutz der Menschenrechte in der Gemeinschaft In den letzten Jahren hat sich allmählich die Meinung durchgesetzt, daß im Bereich des Gemeinschaftsrechts die Menschenrechte anerkannt werden sollen, weil fast alle Länder der Gemeinschaft sie in ihren Verfassungen anerkennen. Die Achtung der Menschenrechte können als generelles Prinzip des Gemeinschaftsrechts betrachtet werden. 4.1 Das Gutachten des Gerichtshofs von 1996 Die Frage wird im Gutachten des Gerichtshofs, erstellt am 28.3.1996 für den Europäischen Rat, behandelt, im Zusammenhang mit der Frage, ob die Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention seitens der Gemeinschaft in Einklang mit dem EG-Vertrag stehe.24 Im Gutachten wurde präzisiert, daß auf Basis des seinerzeit gültigen Vertragstexts die Gemeinschaft nicht die Kompetenz hatte, die Konvention zu unterzeichnen. Lediglich eine Änderung des Textes hätte das erlaubt, auch wenn man in der Gemeinschaft der Meinung war, daß die Achtung der Menschenrechte zur Legitimierung der Gemeinschaftsakte beitrüge.25 Das Gutachten ist kritisiert worden, aber man hat einerseits festgestellt, daß die klassischen Grundrechte das Gemeinschaftsrecht nicht beeinflussen, und andererseits, daß das Gutachten die Abfassung einer bill of rights auf Gemeinschaftsebene nicht behindern würde.26 Das Gutachten wurde auf der Basis des Vertrages von Maastricht von 1992 erstellt, dessen Artikel F bekanntlich lautete: „1. Die Union respektiert die nationale Souveränität ihrer Mitgliedstaaten, deren Regierungssysteme auf demokratischen Prinzipien basieren. 2. Die Union respektiert die Grundrechte, die von der Europäischen Konvention, die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnet wurde, zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten garantiert werden, und die aus den den Mitgliedstaaten gemeinsamen Verfassungstraditionen resultieren, insofern sie allgemeine Prinzipien des Gemeinschaftsrechts darstellen. 3. Die Union stattet sich zur Erreichung dieser Ziele und ihrer Politik mit den notwendigen Mitteln aus.“
4.2 Der Vertrag von Amsterdam von 1997 Mit dem Vertrag von Amsterdam von 1997 wurde der Text modifiziert, und im heutigen Artikel 6 heißt es: „(1) Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam. (2) Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfrei-
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Gutachten 2/94 von 1996. In diesem Sinne argumentiert Paragraph 34 des zitierten Gutachtens. 26 Betten L und Grief N (1998) EU Law and Human Rights, 120. 25
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heiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. (3) Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten. (4) Die Union stattet sich mit den Mitteln aus, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchführung ihrer Politiken erforderlich sind. “ Richten wir die Aufmerksamkeit auf die zusätzliche Formulierung des ersten Abschnitts in Artikel 6: der Text erscheint in der Tat weniger zweideutig als vielmehr restriktiv, sogar in der neuen Formulierung, die, wie es scheint die Achtung der Menschenrechte in der Gemeinschaft stärkt. Man hat darauf hingewiesen, daß der neue Text eine relevante politische Bedeutung hat, insofern er den Zugang neuer Nationen zur Europäischen Union an die Achtung der Menschenrechte knüpft.27 Aber es wurde auch festgestellt, daß die eingefügten Modifizierungen hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind.28 Ebenso wurden Sanktionen gegen Staaten eingeführt, die fortdauernd die Grundsätze zum Schutz der Menschenrechte verletzen (Artikel 7). Aber das Verfahren, auch wenn es komplex ist, erschöpft sich im Bereich des Europäischen Rates und schließt den Gerichtshof aus. Der Gerichtshof kann die Prinzipien des Gemeinschaftsrechts anwenden, mit denen implizit die Grundrechte anerkannt werden, wenn ihnen eine explizite Anwendbarkeit zuerkannt wird, aber er kann sich nicht auf einen gemeinschaftlichen Katalog solcher Rechte berufen, noch können sich Einzelne wegen der Verletzung dieser Rechte direkt an den Gerichtshof wenden.29 Im Gegenzug sind einige Persönlichkeitsrechte gestärkt worden, wie die Rechte bezüglich der persönlichen Daten, einige Rechte hinsichtlich des Zugangs zu Akten der Gemeinschaft und die Verbraucherrechte. Darüberhinaus wurde das Engagement der Gemeinschaft gegen Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse, Herkunft, religiöser Überzeugung, Alter oder sexueller Orientierung verstärkt.30
In dieser Hinsicht wäre es interessant, die Texte der Menschenrechtserklärung, der Europäischen Konvention und der Grundrechte, wie sie in der italienischen Verfassung anerkannt und garantiert werden, miteinander zu vergleichen, wenn nicht gar zu prüfen, ob nach unserer Auffassung die in den beiden Erklärungen anerkannten Rechte – als solche – direkt oder indirekt von den Gerichten angewendet werden, oder ob sie, insofern sie auf den Verfassungstext rückbezogen werden können, Gattungsprobleme, also Probleme ihrer Rechtsnatur, aufwerfen. Eine Überprüfung, die die Grenzen dieser Arbeit sprengen würde.31
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Artikel Q, jetzt 49 des Vertrages. Tizzano A (1998) Il trattato di Amsterdam, 38. 29 Ibid., 41. 30 Betten L und Grief N (1998) EU Law and Human Rights. 31 Pocar E (1989) La tutela dei diritti del cittadino davanti alla Corte europea dei diritti dell'uomo di Strasburgo. 28
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5. Das englische Modell
5. Das englische Modell Auf der Basis dessen, was bis hierher summarisch dargestellt wurde, kann man auf die gesetzgeberische Maßnahme verweisen, mit der das englische Parlament nach jahrzehntelanger Debatte am 9. 11. 1998 einige Rechte und Grundfreiheiten angenommen hat,32 die in der Europäischen Konvention enthalten sind. Diese Tatsache ist nicht nur von politischer Wichtigkeit, sondern auch aus justiztechnischen Gründen interessant, insofern die Liste der Grundrechte nicht nur als echte bill of rights verstanden wird, sondern auch als ein Komplex von Bestimmungen, die wie Verfassungsnormen behandelt werden können und Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Privaten haben. Man diskutiert allerdings, ob es sich um direkte oder indirekte (verstanden als horizontale indirekte) Anwendbarkeit handelt. Die vorherrschende Interpretation ist im Sinne der zweiten Alternative. Man muß an erster Stelle präzisieren, daß der Human Rights Act nicht alle von der Konvention garantierten Rechte einführt, sondern nur jene, welche in den Artikeln 2-12 und 14; den Artikeln 1-3 des ersten Protokolls und den Artikeln 1 und 2 des sechsten Protokolls, die mit den Artikeln 16 und 18 der Konvention koordiniert sind, vorgesehen sind. Darüber hinaus legt der Act fest, daß die Richter, wenn sie eine Frage, die die so anerkannten Rechte betrifft, prüfen, die Urteile, Entscheidungen, Erklärungen und Meinungen des Europäischen Gerichtshofs, die Meinungen und Entscheidungen der Kommission, und die Entscheidungen des Ministerrates berücksichtigen müssen. Auch müssen die Primär- und Sekundärgesetzgebung soweit möglich unter Berücksichtigung der von der Konvention garantierten Rechte interpretiert und angewendet werden. Trotzdem beeinträchtigt der Gegensatz von Primär- oder Sekundärgesetzgebung zu solchen Rechten nicht ihre Gültigkeit, noch bindet er die Parteien in einem Verfahren. Tritt ein Widerspruch auf, so erklärt der Richter, der die inkompatible Gesetzgebung nicht durch eine anpassende Interpretation anwenden kann, deren Inkompatibilität, mithin die Ungültigkeit der Norm. Jede öffentliche Autorität, die Justiz eingeschlossen, muß die von der Konvention anerkannten Rechte respektieren – alles, was dazu in Widerspruch steht, wird als illegitim (unlawful) betrachtet. Individuen, die private Handlungen vornehmen, sind durch diese Rechte nicht gebunden (Artikel 6 Abs. 5). Was die Rechtsbehelfe anbelangt, so kann jemand, der die Verletzung von solchermaßen durch die öffentliche Hand anerkannten Rechte anzeigt, ein Gerichtsverfahren vor den entsprechenden zuständigen Instanzen verlangen, aber nur, wenn er das Opfer einer ungesetzlichen Handlung ist. Die Klage wird innerhalb eines Jahres, gerechnet ab der Handlung, oder innerhalb eines längeren Zeitraums, der vom Richter als angemessen erkannt wurde, nachdem er alle Umstände des Falles erwogen hat, erhoben (Artikel 7). Der Richter ergreift, wenn er die Klage annimmt, die entsprechenden
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Den Human Rights Act (1998), URL: http://www.opsi.gov.uk/ACTS/acts1998/ukpga_19980042_en_1#pb1-l1g1.
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Maßnahmen, inklusive Schadenersatz, aber nur, wenn, in Anbetracht der Umstände, dieser die beste Möglichkeit ist, den Kläger zufrieden zu stellen. Um die Unvereinbarkeit zu beenden, ist die Intervention des zuständigen Ministers vorgesehen, der anordnen kann, daß die Gesetzgebung geändert wird (Artikel 10 Abs. 2). Es handelt sich, wie man sieht, um ein Modell, das sich von den bisher untersuchten unterscheidet, auch wenn man, wie angedeutet, von der englischen Doktrin ausgegangen ist, um auf sie die gleiche Problematik anzuwenden, die sich in der kontinentalen Erfahrung – besonders in Deutschland – im Hinblick auf die Drittwirkung entwickelt hat. Der Einfluß auf die englische Rechtswirklichkeit wird in jedem Fall von allen als enorm eingestuft.33 Die Vorraussetzung des Diskurses betrifft, natürlich, die besondere Situation im Vereinigten Königreich, das weder eine geschriebene Verfassung kennt, noch eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze, noch einen Gerichtshof, an den diese Funktion übertragen wäre: das Parlament ist souverän, und der Richter muß die Gesetze interpretieren und anwenden. Trotzdem kann der Richter die Art und Weise prüfen, in welcher die Amtsträger die Gesetze in Ausübung ihres Ermessensspielraums angewendet haben.34 Da es für die Vertragsfreiheit keinen Verfassungstext gibt, den man heranziehen könnte, ist diese Materie dem common law und der besonderen Gesetzgebung (statute law) anvertraut. Trotzdem wurden einige Fragen seitens eines Kontrahenten zu der Möglichkeit, sich gegen Vertragsbeschränkungen, die durch die Gesetzgebung eingeführt worden waren, und als exzessiv betrachtet wurden, zu wehren, an den Gerichtshof verwiesen, um zu prüfen, ob sie mit der Gemeinschaftspraxis übereinstimmen. Der Europäische Gerichtshof hat unter anderem die Konformität einiger nationaler und lokaler Verordnungen im Fall der sonntäglichen Schließung von Geschäften zum Artikel 30 des Vertrages untersucht. Die Interessen im Konflikt waren auf der einen Seite jene der Händler (die der Öffnung positiv gegenüberstanden) und auf der anderen Seite jene der Angestelltengewerkschaften und religiösen Vereinigungen, die aus unterschiedlichen Motiven gegen die Öffnung waren. Das Gericht befand, daß Artikel 30 EV – in Bezug auf Importbeschränkungen – nicht auf den Tatbestand anwendbar wäre, und hat daher die überprüften Gesetze als mit der Regelung der Gemeinschaft in Übereinstimmung erkannt.35 Das Fehlen einer geschriebenen Verfassung oder einer bill of rights hat trotzdem nicht verhindert, daß die eine oder andere Bresche in das liberale Prinzip des 19. Jahrhunderts von Vertragsautonomie und der Unberührbarkeit der privaten Vereinbarungen geschlagen werden konnte. Die englischen Gerichte haben schon begonnen, die Werte, die in der Europäischen Konvention der Menschenrechte dargelegt sind, zu berücksichtigen, bevor 33
Markesinis B (1998) The Impact of the Human Rights Bill on English Law. Juss S S (1998) Human Rights and Ethic of bourgeois Individualism in the United Kingdom. Freedom of Contract and Constitutional Law. Rabello A M and Sarcevic E P, 245. 35 EuGH, Fall Torfaen Borough Council v B&Q, C-145/88. Vgl. Auch Case C-169/91 (Council of the City of Stoke-on-Trent, Norwich City Council v B & Q plc). 34
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6. Die Charta der Grundrechte von Nizza
diese in das nationale Recht eingeführt wurden. Als Beispiel dienen einige Fälle von Bankgarantien, die vom Ehepartner zu Gunsten des Schuldners gegeben wurden. Die Kontrolle der Bedingungen, unter denen die Garantien gegeben worden waren, des Bewußtseins ihrer Folgen, der Risiken, denen der Bürgende im Falle einer Nichterfüllung des Schuldners ausgesetzt worden wäre, wurden als ausschlaggebend betrachtet, um die Bürgschaft wirksam werden zu lassen.36 Der Straßburger Gerichtshof hat übrigens in einigen Fällen das Vereinigte Königreich wegen der Verletzung der Konvention verurteilt, zum Beispiel im Fall der Zulässigkeit von Kündigungen von Angestellten, die sich geweigert hatten, den Gewerkschaften beizutreten.37 Das gleiche Gericht hat seine eigene Rechtsprechung hinsichtlich der Verantwortung des Staates, dessen Richter sich bei ihren Urteilen nicht an die Regeln der Konvention halten, gefestigt.38 Nach den Kommentatoren verortet sich das englische Modell, nachdem der neue Act eingeführt wurde, auf halbem Wege zwischen der direkten und der indirekten Anwendung. Daß man nicht von direkter Anwendung sprechen kann, entnimmt man der Tatsache, daß die Verfügungen des Act sich nicht an einzelne Privatpersonen wenden. Trotzdem: die ausdrückliche Einbeziehung der Gerichte in die Adressaten des Act impliziert, daß die Richter die Regeln im Zusammenhang mit Entscheidungen, bei denen es um Beziehungen zwischen Privaten geht, beachten müssen. Trotzdem bleibt die Grenze der Befugnisse, die den Gerichten zuerkannt werden, unklar: man schließt aus, daß sie die Macht haben, neue Ansprüche zu entwickeln, aber man gesteht ihnen zu, sich zu verbessern, das bedeutet, das common law auf der Basis der Europäischen Konvention zu modernisieren. Der Ermessensspielraum ist durch den self restraint des Richters definiert.
6. Die Charta der Grundrechte von Nizza Die Auffassung vom Privatrecht, die wir zu Beginn dieser Arbeit kurz illustriert hatten, hat schon erhellt, warum es nicht möglich ist, das Privatrecht als einen Komplex von Gesetzen zu begreifen, die einzig die Beziehungen zwischen Privatpersonen regeln. Wir haben unterstrichen, wie die Unterscheidung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht immer mehr verschwimmt. Wir haben aufgezeigt, daß sich diese Unterscheidung in manchen Fällen nie durchgesetzt hat – wie in England – und wir haben darauf hingewiesen, daß sie sich an anderen Fällen etabliert hat, auf der Basis einer Durchdringung der Werte und Prinzipien, die in den Verfassungen zum Ausdruck kommen, wie es in Deutschland und in Italien der
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CIBC Mortgages plc.v.Pitt, [1994], 4 All ER, 433; Barclays Bank v. O'Brien, [1993]. 4 All ER, 417); vgl auch aus der deutschen Rechtsprechung BVerfGE 89, 214. 37 CGCE, Fall Young, James und Webster v. U.K., 44-82, 4 EHRR, 38. 38 Vgl. Hunt (2001) The horizontal effect of the Human Rights Act: moving beyond the public-private distinction. Understanding Human Rights Principles. Jowell J and Cooper J.
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Fall war. Wir haben auch darauf hingewiesen, daß die Unterscheidung mancherorts weiterhin als fundamental eingestuft wird, wie in Frankreich. Im Gemeinschaftsrecht, das, wie angedeutet, die Primärquelle für das Europäische Privatrecht ist, lassen sich einige Phasen unterscheiden: bei seiner Entstehung, mit den Verträgen von 1957, betraf das Gemeinschaftsrecht vor allem wirtschaftliche Aktivitäten und war daher auf internationale Wirtschaftsbeziehungen ausgelegt. Nach und nach, dank dem Europäischen Gerichtshof, hat sich das Primat des Gemeinschaftsrechts im Verhältnis zu den nationalen Rechtsordnungen und im Rahmen der Gemeinschaftskompetenzen durchgesetzt. Aber es hat sich auch die Überzeugung durchgesetzt, daß sich auf europäischer Ebene ein Komplex von Prinzipien gebildet hat, die die Grundrechte bilden, mithin eine Materie, die akademisch als „Verfassungsrecht“ bezeichnet wird. Von der gemeinsamen Basis ging man dann zur Redaktion von geschriebenen Texten über, die ein europäisches Verfassungsrecht mit einer gemeinsamen Quelle bilden. Dieses Phänomen kann man nicht einschränkend betrachten, als ob sich die anerkannten Texte nur auf Beziehungen von den Bürgern zu den Organen der Europäischen Union bezögen. Sie sind integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts und haben so auch Einfluß auf die Beziehungen zwischen Privatpersonen. Daher können sie gar nicht anders, als die Konstruktion eines Europäischen Privatrechts zu beeinflussen. Da es sich um ein sozusagen neues Phänomen handelt – wenn wir es mit den Augen des Gemeinschaftsrechts betrachten – hat die Literatur über das Europäische Privatrecht damit begonnen, es zu untersuchen. Es ist eine sensationelle Entdeckung, denn es erfordert eine Revision des gesamten Projektes eines Europäischen Privatrechts, um es auf die Basis der Werte und Prinzipien der geschriebenen Texte zu stellen, die das Verfassungsrecht, welches gemeinschaftlichen Ursprungs ist, ausmachen. Dieser Prozeß traf zunächst auf enorme Schwierigkeiten, hat aber mittlerweile einen unbestrittenen und irreversiblen Verlauf genommen.
7. Die Debatte über die direkte Anwendung der Charta von Nizza Die italienischen Juristen haben die Charta von Nizza sehr begrüßt. Die Debatte über ihre politische Relevanz und ihre juristisch relevanten Inhalte war weit verbreitet und kultiviert. Vom politischen und juristischen Standpunkt aus wurde unterstrichen, daß die Charta die Diskontinuität im Prozeß der Bildung Europas bezeichnet,39 insofern sie sich als Nukleus einer echten Europäischen Verfassung zeigt. Im Unterschied zur Europäischen Konvention zur Wahrung der Menschenrechte schließt die Charta soziale Rechte ein und löst viele Interpretationsprobleme, zu denen die Verträge der Europäischen Gemeinschaften Anlaß gegeben hatten. Die Charta konnte mithin vielfältig interpretiert werden: als ein Produkt der 39
Rodotà S (2001) La Carta come atto politico e documento giuridico in: Riscrivere i diritti in Europa, Manzella, Hrsg., 59.
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7. Die Debatte über die direkte Anwendung der Charta von Nizza
Geschichte, als ein institutionelles Experiment, als politisches und technisches Dokument.40 Europa hat also seine reduzierte, essentiell wirtschaftliche Dimension aufgegeben, um sich für den Schutz der grundlegenden Werte des zivilen Zusammenlebens zu öffnen: daher taugt es nicht für ein reduziertes Verständnis, es hat keine „molekuläre“ Auffassung der Individualrechte angenommen, sondern ihre Verbundenheit mit der sozialen Dimension unterstrichen, einer Dimension, die dann im Text der Europäischen Verfassung aufgenommen wurde, welche am 29. Oktober 2004 in Rom unterzeichnet wurde.41 Im historischen Verlauf der europäischen Verfassungsgeschichte hat die Charta bemerkenswerte Originalität und Eigenheit gezeigt, denn sie repräsentiert keinen Willen, etwas zu konstituieren, sondern vielmehr ein bereits existierendes Erbe.42 Oder – wie Paolo Grossi unterstrichen hat43 – „es ist ein europäischer Ausweis zumindest auf der Ebene der Grundrechte“. Derselbe Autor hat aber präzisiert, daß eine „Charta“ nicht ein Text ist, der losgelöst vom praktizierten Recht existiert, noch kann sie etwas sein, das vom Recht zementiert wird: und die Rechte können weder aus ihrem politischen Kontext,44 noch aus ihrer Bindung an die Grenzen der anerkannten Gesetze herausgerissen werden, auch wenn diese gemeinsame Werte repräsentieren.45 Vom Standpunkt des Privatrechts aus betrachtet, ist die Charta, die sich auf den Schutz der Person konzentriert, „ein Instrument zur Untersuchung der gemeinsamen Werte und um die Beziehungen zwischen Privatpersonen untereinander und zu den Institutionen zu definieren, und dies in einem Umfang, der die Grenzen eines jeden Staates überschreitet.“46 Berücksichtigt man die Grundrechte, die die Charta anerkennt – wo auch die neuen Rechte, die mit der Auswirkung von Technologien, mit Bioethik, mit Datenschutz zu tun haben, enthalten sind – und diejenigen Rechte, die bereits etabliert waren (zum Eigentum, zur Vertragsautonomie, zur Wettbewerbsfreiheit und zur freien Ausübung wirtschaftlicher Aktivitäten) –, so scheint es, daß auch die Natur der subjektiven Rechte neu formuliert erscheint, in einem Kontext, der von Fall zu Fall festgelegt werden muß, insofern sie von neuen Organen und mit neuen technischen Mitteln geschützt werden. Ihre Formulierung läßt Spielraum für interpretierende Zweifel und für viele Unklarheiten,47 und sie enthält auch Lücken, wenn sie mit den Verfassungstexten einiger Mit40
Ibid., 64. Condinanzi M (2004) "Il singolo e la “comunità di diritto” nel nuovo testo di Trattato che adotta una Costituzione per l' Europa, in Corr. Giur., " Corriere Giuridoco 12: 1545. 42 Fioravanti M (2002) La Carta dei diritti fondamentali dell' Unione europea nella prospettiva del costituzionalismo moderno in: Carta europea e diritti dei privati, Vettori G, Hrsg., 206. 43 Grossi P (2002) L'ultima Carta dei diritti, ibid., 249. 44 Barcellona P (2002) L' Europa, la politica ed i diritti in: Carta europea e diritti dei privati, Vettori G, Hrsg., 114. 45 Busnelli F (2002) Importanza e limiti dei valori fondamentali nella Carta europea, ibid., 138. 46 Vettori G (2002) Vettori, Carta europea e diritti dei privati, ibid., 53. 47 Furgiuele G (2002) Valore e limiti della Carta dei diritti fondamentali dell' Unione europea, ibid., 226. 41
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gliedstaaten konfrontiert wird, wie z.B. das Recht auf Arbeit und die Vertragsfreiheit.48 Aber die Charta kann nicht wie eine Verfassung gelesen werden, herausgerissen aus ihrem Kontext und ihrem Entstehungsprozeß: die Charta steht wie eine Präambel vor einer Europäischen Verfassung und hat das Verdienst, die Räume in denen die Rechte, die sie anerkennt, geschützt sind, zu „territorialisieren“.49 In jedem Fall: ihre Einfügung in die Europäische Verfassung hebt ihre juristische Bedeutung und transformiert sie in einen Text, der sich für die Schaffung neuer Rechtsmittel anbietet.50
8. Die „Verfassung“ der Europäischen Union In nur zwei Jahren hatte der Prozeß der institutionellen Erneuerung drei lang gehegte Ziele erreicht. Die Annahme der Charta der Grundrechte, die Entscheidung die Gemeinschaft zu erweitern, den ersten Entwurf einer „Europäischen Verfassung“, mehr noch, das „Projekt eines Vor-Verfassungsvertrages“. In der Erklärung von Laecken über die Zukunft der Europäischen Union schloß der Abschnitt II mit einigen sehr einschneidenden Fragestellungen hinsichtlich des Beitritts der Gemeinschaft zur Europäischen Menschenrechtskonvention und hinsichtlich der Aufnahme der Charta der Grundrechte in den Basisvertrag: „Welche sollten die Basiselemente eines solchen Grundgesetzes sein? Die Werte, die die Union hochhält, die Grundrechte und Grundpflichten der Bürger, die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten innerhalb der Union?“51 Die offenkundig sehr lange Wegstrecke wurde in einer sehr kurzen Zeit zurückgelegt, umso kürzer, wenn man das der Mentalität und Praxis der Juristen zugrundeliegende Zeitverständnis berücksichtigt. Es war kein leichter Weg, denn die Zustimmung zum ersten Dokument kam nicht mit derselben Tragweite und Intensität wie die Entscheidung über die Erweiterung oder die Vorschläge für eine Verfassungscharta. Daher rührt die Vorsicht, mit der der Kommissionspräsident Valéry Giscard d'Estaing den Entwurf präsentiert hat – oder wie er ihn definieren wollte, mit elegantem, aber auch subtil weniger bedeutsamem Akzent – als „Architektur“ der Europäischen Konvention; daher auch die juristische Präsentation des Dokuments als Neuformulierung (eine Art bekräftigter Text) der Gründungsverträge der Gemeinschaft, mithin als ein in Teilen diese modifizierender Text, das auf diese Weise die Funktion einer Verfassung haben sollte, ohne sich jedoch offiziell „Verfassung“ zu nennen. Verständliche Vorsicht, der Notwendigkeit geschuldet, nicht die Empfindlichkeit derjenigen Juristen herauszufordern, die, wie im Falle Englands, keine geschriebene Verfassung 48
Collura G (2002) Cenni introduttivi sulla Carta dei diritti, ibid., 166. Falzea A (2002) Osservazioni introduttive, ibid., 202. 50 Brun A (2004) La Charte des droits fondamentaux. De la proclamation politique à la constitutionnalisation formelle in: Quelle justice pour l'Europe?, Hrsg., 39-58. 51 Vgl die Diskussion der Probleme des europäischen Konstitutionalismus in Andenas M (2005) Tradizioni giuridiche locali come ostacoli a una Costituzione per l’Europa, in: Primizie e memorie d’Europa, Prodi P, Hrsg., 137-70 und Andenas M und Gardner J (2001) "Can Europe Have A Constitution?" Kings College Law Journal 12 (1), 1-4. 49
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8. Die „Verfassung“ der Europäischen Union
kennen, und jener Juristen bzw. generell jener Bürger, die die Union, deren Einfluß auf die staatlichen Kompetenzen sie bereits als zu groß ansehen, in ihrer aktuellen Form bewahren möchten, oder die höchstens eine schwache föderale Bündnisform akzeptieren würden, aber sicher nicht die Bildung eines Einheitsstaates befürworten, der auf einem gemeinsamen Grundgesetz basiert. Abgesehen von der Frage einer Erweiterung der Union, stellt sich den Juristen in jedem Fall die Frage nach den Beziehungen zwischen der Grundrechtecharta und dem Verfassungsvertrag. Es handelt sich nicht um ein Problem von geringer Bedeutung, auch wenn es nicht unmittelbar gelöst werden kann, denn die Charta wird – zumindest in den Verlautbarungen derjenigen, die sie im Dezember 2000 in Nizza vorgelegt haben – als ein Dokument von hauptsächlich politischem Wert und Inhalt angesehen, während der Vertrag, einmal ratifiziert, den Wert einer Verfasung hätte. In der Realität (wohlverstanden: der juristischen Realität, also in der imaginären Welt der juristischen Termini, Konzepte, Instrumente und vor allem Symbole) hat der Prozeß der insitutionellen Erneuerung einen anderen Weg genommen. Schon seit den ersten Monaten der Prüfung und Interpretation der Charta haben sowohl die Juristen des Gerichtshofs als auch einige nationale Juristen dieses Dokument als ein juristisches Dokument betrachtet und es herangezogen, um Fragen juristischer Natur zu lösen, so daß – um es mit der Terminologie Costantino Moratis auszudrücken – sich auf Gemeinschaftsebene ein neues Phänomen einer „materiellen Verfassung“ herausgebildet hat, bei dem die Charta als Wertetafel, als Sammlung allgemeiner Grundsätze, als Aktionsprogramm der Union fungiert, so als hätte die Charta auch rechtliche Wirkung. Es war also unausweichlich, daß das Projekt eines Verfassungsvertrages sie weder ignorieren noch ergänzen konnte, da es einen stärkeren und anderen Wert hatte. Gleichermaßen gilt, daß in der modernen Verfassungsgeschichte ähnliche Situationen nicht fehlen: man denke nur an die französische Diskussion, wo die Erklärung der Rechte, die ihren Ursprung in der Revolution hat, (von den meisten) als politisches Dokument angesehen wird, und die Verfassung als juristisch relevantes Dokument, das nur die institutionelle Architektur des Staates beschreibt; oder an die britische Situation, in der ein Text, der mit der Funktion einer „bill of rights“ verfaßt wurde, mit einem (einfachen) Gesetz eingeführt wurde (der Human Rights Act von 1998), in dem mit einigen Veränderungen der Text der Europäischen Menschenrechtskonvention reproduziert wird, und wo das verfassungsmäßige Rüstzeug auf der demokratischen Tradition des Landes basiert. Ebenso umfassen, in der Gesamtheit betrachtet, die geschriebenen Verfassungen sowohl den Dekalog der Grundrechte, als auch die Verordnungen „architektonischer“ Natur. Es hat daher nicht verwundert, daß im von Giscard d'Estaing präsentierten Entwurf eine Bestimmung vorgesehen ist (Artikel 2), in der die Werte der Union aufgelistet werden, unter ihnen die Menschenwürde, die Grundrechte, die Demokratie, der Rechtsstaat, die Toleranz und der Respekt vor den Pflichten des internationalen Rechts, und eine weitere Bestimmung, in der einige Alternativen aufgezählt werden: der Verweis auf die Charta oder die Charta als integraler Bestandteil des Vertrages, die vollständige Auflistung aller Artikel der Charta im Vertrag. Eigentlich könnte schon Artikel 2 so, wie er im Entwurf formuliert war, genügen, um allen Bürgern die Beachtung der Grundrechte zu garantieren, aber der Verweis oder die andern vorgeschlagenen Techniken um die Verbindung der Charta mit dem Vertrag zu bewirken, hätten den Vorteil, alle subjektiven Positionen aufzulisten, die nunmehr für Einzelne anerkannt sind, und dabei die Rechte, die allen zugestanden werden, von denen zu unterscheiden, die nur für Bürger der Union gelten. Der Vertragsentwurf, der am 28. Oktober 2003 vorgestellt wurde, gab also eine ausreichend klare Antwort auf die Fragen, die in der Erklärung von Laeken aufgeworfen wurden. Muß man annehmen, daß die Antwort auch erschöpfend ist?
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Welches auch immer die Technik der Verbindung sei, die Charta oder ihr Inhalt würde genau jene juristische Valenz anerkannt sehen, die heute noch nicht alle zugeben. Aber man kann den von Giscard d'Estaing präsentierten Entwurf nicht – wie es einige Interpreten vorgeschlagen haben – als einen Text lesen, der die Freiheitsrechte ignoriert hat. Vom Tenor des Dokuments her scheint es, daß der Entwurf auch der sozialen Dimension der Persönlichkeitsrechte und ihrer Angliederungen Aufmerksamkeit schenkt. Stefano Rodotà hat mit Wohlwollen die Erwähnung des Solidaritätsprinzips in der Charta begrüßt, welches ihre soziale Dimension des Schutzes der Gemeinschaftsinteressen hervorhebt, und nicht nur den der individuellen egoistischen Positionen, zu denen der heutige Wirtschaftsliberalismus unabwendbar führt. In jedem Fall, kann, wie bereits dargelegt, der Text des Vertragsentwurfs nicht verstanden werden als ein Kanon individueller Werte, der jedem sozialen Streben verschlossen ist: die Menschenwürde ist notwendigerweise ein auf andere bezogener Wert, wie im übrigen die Toleranz, die Grundrechte, (zu denen man auch das Recht auf Versammlung zählt) und, das versteht sich von selbst, der Wert der Demokratie, der, im modernen Sinne verstanden, keine rein monistische Dimension haben kann. Aber, wenn wir genauer sein wollen, das Wertekonzept selbst kann nur von relativer und gemeinschaftlicher Natur sein. Staatsbürgerschaft ist im Bewußtsein und im Leben eines Volkes nur dann ein Wert, wenn sie mit anderen geteilt und beachtet wird, nicht weil sie auf ein Blatt Papier getippt wird. Angesichts der Tatsache, daß viele Staats- und Regierungschefs endlich die Europäische Verfassung gutgeheißen haben, werden sich viele Italiener gefragt haben, was sich in ihrem Leben, und im besonderen in ihrer juristischen Position, ändern würde. Schließlich und endlich ist das Recht der Europäischen Union, welches aus der Nische der Spezialisten, in der es bis heute verhaftet war, befreit wurde, zur Basis der europäischen Rechtskultur geworden. Eine Verfassung ist nicht nur eine Rechtsquelle, sie ist das Gewebe, das alle Interessen, die in der Welt des Rechts wichtig sind, zusammenhält. Sie verlangt, gekannt und studiert zu werden, sie verlangt eine vergleichende Reflexion über die Art und Weise, in der sie in den Mitgliedstaaten interpretiert und angewandt wird. Wenn sie vom Gerichtshof angewandt wird, wird sie Teil des lebenden Rechts. Die heimischen (nationalen) Horizonte sind also in Auflösung begriffen. Dies bedeutet nicht, daß die kulturellen Identitäten gleichgemacht würden. Im Gegenteil. Ein jeder Jurist muß mit der eigenen Rechtsordnung arbeiten und die Entfernung oder die Nähe zur neuen Verfassung abmessen, und er wird ein integrierender Bestandteil der „idealen Gemeinschaft“ werden, die langsam entsteht. Am 12. Januar 2005 hatte das Europäische Parlament eine Resolution über den Vertrag angenommen, der, auf der Basis eines umfassenden, von den Abgeordneten Corbett und Méndez de Vigo vorbereiteten Vortrages, eine Verfassung für Europa begründen sollte, der den Weg des Verfassungstextes nachvollzog. Die Resolution beglückwünschte sich für den Text, der in Rom am 29. Oktober 2004 unterzeichnet wurde, denn dieser präzisierte mit größtmöglicher Klarheit die Natur und die Ziele der Union: er hätte der Union größere Effizienz gegeben und ihre Rolle in der Welt gestärkt, wollte eine größere demokratische Verantwortung ausdrücken und, was die Bürger anbelangt, die Anzahl ihrer anerkannten Rechte ausweiten. Das Europäische Parlament hatte mit dieser Resolution die Ratifizierung seitens der Mitgliedstaaten unterstützt und angeregt, daß die Ratifizierungen im Laufe des Jahres 2006 beendet werden sollten. Es hatte darüber hinaus die europäischen Institutionen und die Mitgliedstaaten angehalten, in der Zwischenzeit die Kenntnis des Verfassungstextes unter den Bürgern der Gemeinschaft zu verbreiten, damit die Öffentlichkeit von der Relevanz der Bestimmungen Kenntnis erlangen und aktiv an der Debatte über die Ratifizierung teilnehmen könnte. Seit der Veröffentlichung der italienischen Ausgabe dieses Buches in 2005 ist der Verfassungsvertrag verworfen worden, nachdem er in Referenda in den Niederlanden und
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9. Der Jahresbericht über die Menschenrechte
Frankreich abgelehnt worden war. Anstelle des Verfassungsvertrages, der alle vorhergegangenen Verträge ersetzt hätte, durchläuft nun der Vertrag von Lissabon, unterzeichnet in Lissabon 2007 (sog. EU-Reformvertrag), den Ratifizierungsprozeß in den Mitgliedstaaten. Auch dieser Vertrag wurde 2008 in einem Referendum zurückgewiesen, diesmal durch Irland, wird den irischen Wählern aber ein zweites Mal vorgelegt werden. Die Grundrechtecharta war in den Text des Verfassungsvertrages integriert worden. Im EU-Reformvertrag gibt es nun eine Bezugnahme auf die Charta in einem Artikel der zu ändernden Verträge, daß die Charta rechtlich bindend sein soll.52
9. Der Jahresbericht über die Menschenrechte Der Jahresbericht über die Menschenrechte (2004), das sechste von der Union angenommene Dokument dieser Art, ist das erste, bei dessen Abfassung auch die zehn als letzte beigetretenen Mitgliedstaaten mitgewirkt haben. Es besteht aus drei Teilen, die die Politik der Union im Bereich der Menschenrechte beschreiben, die derzeitige Lage der Menschenrechte innerhalb der Union und die Aktivitäten auf internationaler Ebene. Es beruft sich auf die Prinzipien, auf denen die Union gründet – Freiheit, Demokratie, Respekt der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, Rechtsstaatlichkeit – und illustriert die Fortschritte bei der Verteidigung der Menschenrechte innerhalb der Union und weltweit in Auswirkung der Interventionen der Union (wobei man besonders auf den Kampf gegen die Todesstrafe abhebt). Die Menschenrechte werden verstanden – gemäß dem oben beschriebenen Prozeß der Anwendung der entsprechenden Konventionen (insbesondere die Bindung der Union an die Konvention von Straßburg) – als ihrerseits reguliert von den Prinzipien der Universalität, der gegenseitigen Abhängigkeit und der Unteilbarkeit (Artikel 2,7,11 des Unionsvertrages). Die Politik der Gemeinschaft in dieser Materie kommt zum Ausdruck in der Kohärenz der Aktivitäten der Gemeinschaft, in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, sowie durch die Entwicklungspolitik, durch die Integration (mainstreaming) der Menschenrechte und der Demokratisierung in der Politik und den Handlungen der Union, durch die Verbindung mit dem Europäischen Parlament und der „Zivilgesellschaft“ und der Festlegung der Prioritäten in der Ausführung der Politik, welche die Grundrechte und die Demokratisierung betrifft. All dies auf der Basis der Ratsbeschlüsse vom 25. 7. 2001, der Mitteilung der Kommission vom 8. 5. 2001 und der Beschluß des Rates vom 10. 12. 2002. Von Jahr zu Jahr konzentriert sich die Politik auf generelle Themen und einzelne Aspekte: Im Jahre 2004 konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf die Menschenrechte und den Terrorismus, auf Fortpflanzungsgesundheit und die Rechte Behinderter. Der Kampf gegen Diskriminierung durch unterschiedliche Behandlung findet seinen Ausdruck sowohl in Verordnungen, als auch in Entscheidungen des Gerichtshofs. Die Grundrechtecharta, wie oben ausgeführt, versteht als diskriminierende Elemente besonders die fehlende Gleichbehandlung 52
Das Vereinigte Königreich war stets gegen eine rechtliche Bindungswirkung der Grundrechtecharta im Verhältnis zu nationalem Recht. Polen und das Vereinigte Königreich haben “opt-outs”, d.h. das Recht, einen Ausschluß dieser Vorschrift auszüben.
Teil 1 Kapitel 3 Grundrechte und Privatrecht
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aufgrund von Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, ethnischer und sozialer Herkunft, genetischer Charakteristika, Sprache, Religion, persönlicher Überzeugungen, politischer und weltanschaulicher Meinungen, Zugehörigkeit zu einer Minderheit, Vermögen, Geburt, Behinderungen, Alter oder sexueller Vorlieben. Asyl und Migration sind weitere Aktionsfelder der Union. Das Motto, welches die Politik der Union auf diesen Feldern beschreibt, kommt in den Worten „Für die Vielfalt, gegen Diskriminierung“ gut zum Ausdruck. Im Lauf der Zeit wurden viele Dokumente und Gesetzesformulierungen hervorgebracht oder stehen zur Diskussion. Die Union betreibt die Verbreitung der Menschenrechte in Drittstaaten, auch in Zusammenarbeit mit internationalen Organen und Institutionen, die sich damit befassen, mit beeindruckendem Aufwand. Was nun die Auswirkungen dieser Politik auf die privaten Beziehungen angeht, so unterscheidet man in der Gemeinschaft, zwischen Grundrechten, die die Person als solche betreffen, und Grundrechten, welche einen Einfluß auf wirtschaftliche Beziehungen haben. Im ersten Bereich sind auch die zivilen und politischen Rechte, die sozialen und kulturellen Rechte, die Rechte des Kindes, die Menschenrechte der Frauen, der Behinderten, der Flüchtlinge und der Evakuierten angesiedelt. In Hinblick auf die wirtschaftlichen Beziehungen hat die Union Initiativen vorgetragen, um die soziale Verantwortung der Unternehmen zu stärken. In diesem umfassenden und komplexen Feld wollen wir einige Richtlinien von besonderer Bedeutung hervorheben, die beachtenswert sind aufgrund ihrer generellen Anwendbarkeit und wegen der Entscheidungen, die in ihnen zum Ausdruck kommen. i) Die Richtlinie des Rates 2000/43/CE vom 29. 6. 2000 betrifft das Prinzip der Gleichbehandlung der Personen, unabhängig von ihrer Rasse und ethnischen Zugehörigkeit (gem. Art. 6 des Unionsvertrages), unterscheidet zwischen direkter Diskriminierung (wenn jemand aufgrund seiner Rasse oder seiner ethnischen Zugehörigkeit gegenüber einem anderen in einer vergleichbaren Situation benachteiligt wird) und indirekter Diskriminierung (wenn eine Verordnung, ein Kriterium oder eine offensichtlich neutrale Praxis für Menschen einer bestimmten Rasse oder Volkszugehörigkeit sich besonders nachteilig im Vergleich zu anderen auswirkt, es sei denn, es gäbe eine Rechtfertigung dafür, und die angewandten Mittel seien angemessen und notwendig (Artikel 2). Die Verordnung gilt für alle Personen in Arbeitsverhältnissen, Bildung, in sozialen Diensten und Ausbildung, beim Zugang zu Dienstleistungen, einschließlich Vermietung, aber sie betrifft nicht Unterschiede, die auf der Nationalität beruhen (Artikel 3). Die Verordnung läßt Diskriminierung auf nationaler Ebene zu, wenn die Rasse oder die ethnische Zugehörigkeit ein bestimmender Faktor sind, um eine Arbeit ausführen zu können, vorausgesetzt daß das Ziel legitim und die Erfordernisse angemessen sind (Artikel 4), und daß Rechtsschutz und des Schlichtungsmöglichkeiten gegeben sind (Artikel 7); die Verordnung fordert die Einrichtung von Organen, um diese Ziele umzusetzen.
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9. Der Jahresbericht über die Menschenrechte
ii) Die Verordnung wurde in Italien mit dem Decreto Legislativo (Regierungserlaß)53 vom 9.7.2003 in Kraft gesetzt. Im Besonderen sieht das Gesetz in Artikel 4 Rechtsschutz der aufgelisteten Rechte vor und erinnert an die Regelung des Testo Unico,54 der Bestimmungen, die die Einwanderung und die Bedingungen für Ausländer betreffen, welche mit Erlaß (decreto legislativo) vom 25. 7. 1998, Nummer 286, angenommen wurde. Zum Schadensbeweis erlaubt dieses die Benutzung statistischer Daten, von Tatsachenbestandteilen und die Wiedergutmachung des Schadens, auch wenn es kein Vermögensschaden ist. Darüber hinaus verbietet sie diskriminierende Handlungen, und sie erweitert die Legitimation zum Handeln auf die Vereinigungen und auf die Körperschaften, die in einer Liste des Ministeriums für Gleichbehandlung aufgeführt sind. iii) Die Ratsverordnung vom 27. 11. 2000 über die „Gleichbehandlung in Beschäftigungsverhältnissen“ behandelt die gleichen ausschlaggebenden, rechtlichen und auf die Durchsetzung bezogenen Prinzipien, die von der Verordnung über die Diskriminierung aufgrund der Rasse beschrieben werden, und wendet sie auf Arbeitsverhältnisse an. iv) Die Richtlinie wurde mit dem Erlaß (decreto legislativo) vom 9.7.2003, Nr. 216 umgesetzt. v) Die Ratsverordnung 2004/113/CE vom 13. 12. 2004 behandelt die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Bezug auf den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen und deren Bereitstellung. Indem sie die Unterscheidung von direkter und indirekter Diskriminierung aufgreift, konzentriert sie sich auf Belästigungen auch sexueller Natur und auf die Verteidigung der Rechte mit Blick auf die Schadenswiedergutmachung und die Beendigung diskriminierender Verhaltensweisen. vi) Die Resolution des Europäischen Parlamentes vom 8. 2. 1994 über die Gleichberechtigung Homosexueller in der Gemeinschaft hat die Notwendigkeit bekräftigt, jede Art von Diskriminierung aufgrund sexueller Neigungen der Bürger zu eliminieren und dem Wunsch nach einer diesbezüglichen Empfehlung der Kommission Ausdruck gegeben. Das Parlament kam auf dieses Thema zurück mit der Resolution über die Gleichberechtigung Homosexueller in der Europäischen Union vom 17. 9. 1998, wo an die Entscheidung der Europäischen Kommission in Bezug auf die Menschenrechte vom 1. 7. 1997 erinnert wurde unter Bezugnahme auf die Klage Sutherland gegen das Vereinigte Königreich und verbunden mit der Aufforderung an das österreichische Parlament, diskriminierende Verfügungen aus der eigenen Gesetzgebung zu entfernen.
53
Ein solches Dekret ist ein Regierungserlaß aufgrund einer parlamentarischen Ermächtigung, im Ggs zum Decreto Legge, welches in der Art einer Verordnung erlassen wird und unter dem Vorbehalt der Anerkennung durch das Parlament steht. 54 Eine Form der italienischen Gesetzgebung, mit der wichtige Bereiche, z..B. die öffentliche Ordunung oder das Finanzrecht betreffend, zwar in verschiedenen Gesetzen, aber äußerlich einheitlich geregelt werden.
Teil 1 Kapitel 3 Grundrechte und Privatrecht
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vii) Die Materie der Diskriminierung von Immigranten ist besonders komplex. Der Einfachheit halber sollen aus der umfassenden Produktion an Dokumenten wenigstens die Mitteilung der Kommission vom 22. 11. 200055 und die Mitteilung der Kommission vom 3. 6. 200356 erwähnt werden. Es handelt sich dabei um Dokumente, die die Politik der Gemeinschaft hinsichtlich der Materie beschreiben, und die das Problem der Migration aus nicht EU-Ländern mit den rassischen und ethnischen Diskriminierungen in der Arbeitswelt verbinden.57 viii) Die erste Mitteilung schlägt vor, eine gemeinsame europäische Linie in der Asylpolitik und eine Gleichbehandlung von Bürgern aus Drittstaaten zu verfolgen, und außerdem eine Lenkung der Migrationsflüsse; man hebt dabei besonders humanitäre Gründe und die Notwendigkeit von Familienzusammenführung hervor. Die Mitteilung bedient sich des Ausdrucks der „zivilen Staatsbürgerschaft“.58 Mit der zweiten Mitteilung werden die Probleme wirtschaftlicher und sozialer Natur und die Strategien einer auf vielen Gebieten tätigen Politik hinsichtlich der Arbeit, der Bildung, der Sprache, Wohnung und der Gesundheits- und Sozialsysteme vertieft. ix) Man hat sich gefragt,59 ob die diesbezüglichen nationalen Regelungen einen Einfluß auf die Privatautonomie haben können, und die Antwort war positiv, in dem Sinne, daß der neue Status auch Formen des Vertragsschutzes erfordern kann, um zu vermeiden, daß ein Vertrag wegen Diskriminierung gesetzwidrig ist. Die Materie wurde besonders im Bereich der Arbeitsverhältnisse untersucht.60
10. Literaturhinweise Auch die Literatur über die Grundrechte als Ausdruck der abendländischen Rechtskultur ist fast unüberschaubar. Im Text wurden die Akten der internationalen Tagung, die von Alfredo Mordechai Rabello und Peter Sarcevic im September 1994 in Jerusalem organisiert wurde zitiert, die nun von der Hebrew University publiziert worden sind (Jerusalem, 1998). D Spielmann, L'effet potentiel de la Convention européenne des droits de l'homme entre personnes privées (Bruxelles, 1995, 26). M M Hahne, Die Drittwirkung in der Europäischen Konvention zum 55
COM (2000) 757 final. COM (2003) 336 def. 57 Scarselli G (2001) "Appunti sulla discriminazione razziale e la sua tutela giurisdizionale" Rivista di diritto civile(1), 804, 805. 58 Vgl. KOM2000755, Teil III, 3.4. (http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:52000DC0755:DE:NO T). 59 Picker E ( 2003) "Anti-discrimination as a Program of Private Law?" German Law Journal 2003, 771 – 84. 60 Mantello M (2004) "La tutela civile contro le discriminazioni" Rivista Di Diritto Civile, 439. 56
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10. Literaturhinweise
Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Heidelberg, 1973, 26. M Forde, NonGovernmental Interferences with Human Rights, B.Y.I.L., 1985, 265. M A Eissen, La Convention et des devoirs de l' individu, La protection internationale des droits de l'homme dans le cadre européen (Paris, 1961), 190 f. Zur Verbreitung, der Garantie und dem Rechtsschutz der Menschenrechte ist das Werk des Europäischen Gerichtshofs in Straßburg fundamental: Vgl. W J Ganshof van der Meersch, La Convention Européenne des Droits de l'Homme a-t-elle dans le cadre du droit interne une valeur d'ordre public? (Bruxelles – Manchester, 1968). Vgl. auch G Alpa und B Markesinis, Il diritto alla privacy nell'esperienza di common law e nell'esperienza italiana, Rivista trimestrale di diritto e procedura civile, 1997, 417. Besonders bedeutsam die Auswirkung der Prinzipien der Europäischen Konvention auf den englischen Human Rights Act von 1998: Vgl. L Betten und N Grief, EU law and Human Rights (London – New York, 1998), 12; und A Tizzano, Il trattato di Amsterdam (Padova 1998), 3. E Pocar, La tutela dei diritti del cittadino davanti alla Corte europea dei diritti dell'uomo di Strasburgo, Milano, 1989. B Markesinis (Hrsg.) The impact of the Human Rights Bill on English Law, Oxford, 1998. S Juss, Human Rights and Ethic of Burgeois Individualism in the United Kingdom, Freedom of Contract and Constitutional Law, hrsg. von A M Rabello, E P Sarcevic, Jerusalem, 1998, 245. Weitere Hinweise bei Rodotà, La Carta come atto politico e documento Giuridico in: Manzella, Melograni, Paciotto, Rodotà, Riscrivere i diritti in Europa, Bologna, 2001, S. 59; Andenas M und Usher J A, Hrsg. (2003) The Treaty of Nice and Beyond Enlargement and Constitutional Reform; Condinanzi, Il singolo e la „comunità di diritto“ nel nuovo testo di Trattato che adotta una Costituzione per l'Europa, in: Corr. Gior., 2004, n.12, S. 1545, ff. Fioravanti, La Carta dei diritti fondamentali dell'Unione europea nella prospettiva del costituzionalismo moderno, in: Carta europea e diritti dei privati, hrsg. von G Vettori, Padova, 2002, S. 206, ff. Paolo Grossi, L'ultima carta dei diritti, ebda, S. 249. P Barcellona, L'Europa, la politica e i diritti, ebda, S. 114, ff. Busnelli, Importanza e limiti dei valori fondamentali nella Carta europea, ebda, S. 138. Vettori, Carta europea e diritti dei privati, ebda, S. 53. Furgiuele, Valore e limiti della Carta dei diritti fondamentali dell'Unione europea, ebda, S. 226. Collura, Cenni introduttivi sulla Carta dei diritti, ebda, 166 ff. und für die Vision einer Synthese: Falzea, Osservazioni introduttive, ebda, S. 202. Zu Problemen des europäischen Konstitutionalismus und der Grundrechte M Andenas (2005) Tradizioni giuridiche locali come ostacoli a una Costituzione per l’Europa, in: Primizie e memorie d’Europa, P Prodi, Hrsg., 137-70. M Andenas und J Gardner (2001) Can Europe Have A Constitution? Kings College Law Journal 12 (1), 1-4. In der fremdsprachigen Literatur ist der Verweis auf Brun obligatorisch: La Charte des droits fondamentaux. De la proclamation politique à la constitutionnalisation formelle, in: Quelle justice pour Europe ?, Bruxelles, 2004, S. 39, ff. Picker, L'antidiscriminazione come programma per il diritto privato, in: Riv.crit.dir.priv., 2003, S. 687. Vgl. auch Mantello, La tutela civile contro le discriminazioni, in: Riv.crit.civ., 2004, 439 ff.
Kapitel 4 Die Kategorien der europäischen Juristen
Inhalt: 1. Die Ausbildung der Juristen – 2. Kulturelle Ausrichtungen bei der Ausbildung der Juristen – 3. Common lawyer und civilian lawyer – 4. Die normativistische Rechtsanschauung – 5. Formalismus und reine Rechtsdoktrin – 6. Das Naturrecht und die naturrechtliche Rechtsanschauung – 7. Realistische Theorien des Rechts – 8. Die anthropologische Rechtsanschauung – 9. Vom privaten Naturrecht zu den sozialen Eingriffen – 10. Bürgerliche Gesetzbücher – 11. Die Initiativen der „Rekodifizierung“ – 12. Die Objektivierung des Handelsrechts – 13. Literaturhinweise
1. Die Ausbildung der Juristen Die Ausbildung der Juristen ist von Land zu Land verschieden, je nach Organisation des Studiums, den Erfordernissen der juristischen Berufe, den Möglichkeiten, die der Markt bietet. Auf Gemeinschaftsebene hat man versucht, die beruflichen Qualifikationen und Titel, die ein Jurist trägt, zu vereinheitlichen. Auf der Ebene der kulturellen Bildung unterscheiden sich die nationalen Modelle noch beträchtlich, aber an ihrer Basis – wenigstens in Kontinentaleuropa – kann man einen gemeinsamen Nährboden erkennen.1 Nach der Definition von Massimo Severo Giannini ist ein „Jurist im umfassenden Sinne“ ein Rechtsexperte ohne einen bestimmten Beruf. Er kennt die Rechtsinstitutionen, bezogen auf klar bestimmte Ziele, wie die öffentliche Verwaltung (der Bürokrat), die Führung eines Unternehmens (Unternehmensjurist), die Forensik (Anwalt), das „Handwerk“ der Rechtsprechung (Richter), das „Handwerk“, Dokumente auszufertigen (Notar). Wer sich dem Studium der Rechte widmet, ist ein Professor der Rechtswissenschaften: das ist die strenge Bedeutung der Bezeichnung „Jurist“. Die Unterscheidung ist rein didaskalischer Natur, denn man kann „Handwerk“ und Wissenschaft durchaus gemeinsam betreiben, und der Jurist kann auch Politiker sein, oder Politik als Beruf ausüben, und so weiter. Die Ausbildung der Juristen hat sich im Laufe des vergangenen Jahrhunderts verändert, und in vielen Dingen zeigt sie in den unterschiedlichen europäischen Ländern übereinstimmende Merkmale.
1
Siehe hierzu näher unten Teil 3 Kapitel 2, 5.
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2. Kulturelle Ausrichtungen bei der Ausbildung der Juristen
Der Rechtswissenschaftler beschäftigte sich bis zum 19. Jahrhundert mit Privatrecht (und etwas mit Strafrecht). Im 19. Jahrhundert entsteht das öffentliche Recht, und es bilden sich Verwaltungsrechtler, Steuerrechtler und Internationalisten heraus. Daraus folgt, daß sich die Funktionen der Juristen je nach Aufbau der Ordnung (der positiven Gesetzgebung) verändern; es handelt sich daher um ein historisch relatives System.2 Ein System, das sich nun mit dem Aufbau einer neuen Ordnung auseinandersetzen muss: der europäischen Ordnung, und das mit einem neuen Phänomen konfrontiert wird: der Globalisierung der Märkte. An dieser Stelle entsteht ein neues Risiko, auf das uns Paolo Grossi aufmerksam macht: „das Risiko liegt in der Instrumentalisierung der juristischen Dimension, um wirtschaftliche Interessen zufrieden zu stellen, die sich oftmals – in einem Klima des hemmungslosen Kapitalismus – im Erreichen des größtmöglichen Profits mit allen Mitteln und um jeden Preis manifestiert.“3
2. Kulturelle Ausrichtungen bei der Ausbildung der Juristen Bis heute bemerkt man in der akademischen Ausbildung der Juristen die Spuren der Ausbildungsmodelle des vergangenen Jahrhunderts: sei es hinsichtlich der Inhalte, sei es hinsichtlich der Methoden. Als Beweis dafür dienen die romanistischen, kanonistischen, historischen Fächer, die an der Basis der Studienprogramme der Universitäten stehen, aber auch die Kluft, die man in Europa registriert, zwischen der theoretischen Ausbildung und der praktischen Anwendung der Kenntnisse, Informationen und der erlernten Techniken. Hinsichtlich des ersten Aspektes, jenseits des anhaltenden idealistischen Einflusses, der auch in der heutigen italienischen Kultur anhält, und der für eine geringe Aufmerksamkeit für die Sozialwissenschaften in den Seminaren der Rechtswissenschaft verantwortlich ist, muß man die Vorherrschaft des formalistischen Ansatzes in der Rechtsinterpretation festhalten, die Unterbewertung der naturrechtlichen Lehre, die mühsame Behauptung des historischen Ansatzes in den Fächern, die das Römische Recht, das mittelalterliche Recht und das Recht des Ancien Régime behandeln. Hier werden die Einrichtungen, Normen und Dogmen, welche in den verschiedenen Epochen herrschten, so behandelt, als wären sie aktuelle Einrichtungen, Normen und Dogmen und Ergebnis der Hypostase der gegenwärtigen Überzeugungen – Projektionen der aktuellen Kenntnisse auf eine Realität, die weit zurückliegt, schwer rekonstruierbar ist und in jedem Fall von Gedankenmodellen anstelle einer politischen und sozialen Dynamik dominiert ist, die sich von den heutigen sehr unterscheiden.
2
Caenegem V v (1991) I signori del diritto. Giudici, legislatori e professori nella storia europea. 3 Grossi P (2002) "Globalizzazione, diritto, scienza giuridica" Foro it.,163.
Teil 1 Kapitel 4 Die Kategorien der europäischen Juristen
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Uns scheint, alles in allem, daß man die historistische Lehre von Riccardo Orestano der aktualistischen von Emilio Betti (im übrigen ein großer Zivilrechtler) vorziehen sollte. In jedem Fall gilt: die historische Bildung scheint unerläßlich, nicht nur, um die zweitausendjährige juristische Tradition, deren Träger die Kontinentaljuristen (und im Besonderen die italienischen) sind, hochzuhalten, sondern auch für ein grundlegendes Verständnis von Rolle und Funktion der ererbten Termini und Institutionen. Diese Ausbildung besteht aus Kenntnissen. Sie sind es, auf die die Kurse und Texte zur Einführung ins Recht und ins Privatrecht im Besonderen abheben. Diese andere Ebene der Ausbildung erscheint aber durch Akademismus und nichtige Abstraktionen beschädigt. Selten lernt man die reale, konkrete Funktion der beschriebenen Institutionen, so daß diese theoretische Ausbildung, einst reserviert für eine homogene Gruppe von Studenten aus bürgerlichen Schichten von mittlerer Kultur und mit soliden Vermögensverhältnissen, die eine ausreichende Basis für den Start in traditionelle Berufe (Anwalt, Notar, Richter) darstellte, überholt und lückenhaft erscheint. Begünstigt wurde sie darin auch von der geringen Aufmerksamkeit für die Jurisprudenz (verstanden als Ergebnis einer praktischen, nicht theoretischen Tätigkeit) und von der einfachsten Beschaffenheit der Rechtsordnung, von der ihre kompakte und einfache Darstellung in den Basistexten ausging.4 Heute, nachdem die Schulausbildung fragmentiert wurde, die soziale Mobilität sich verstärkt hat, der Gebrauch von akademischen Titeln sich vervielfacht hat, mit einer vorzugsweisen Anstellung von Juristen in den Verwaltungsapparaten, in der Organisation von Firmen, im Bereich der neuen Technologien, hat sich die Kluft zwischen der akademischen Ausbildung der Juristen und ihrer Berufsausbildung deutlich verschärft. Jedoch haben sich die Erziehungsinstrumente nicht in gleicher Weise verändert. Alle wissen, was ein „Rechtsgeschäft“ ist, wenige lernen, einen Vertrag zu schreiben und zu interpretieren.
3. Common lawyer und civilian lawyer Das Übel der exzessiven Theoretisierungen, das in den Ländern des common law, in denen seit langer Zeit die Praxis der Fallstudien, sei es in Form von Urteilsanalysen, sei es in Form von praktischen Übungen an imaginären Fällen, verwurzelt ist, fehlt, ist den romanischen Ländern gemeinsam, und es ist ein Übel, das lange zurückreicht, wenn man bedenkt, daß, beginnend mit dem Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert und in die dreißiger Jahre hinein, die Anfänger unter den Juristen perfekte Kenntnis hatten vom Römischen Recht, vom Kirchenrecht und von der generellen Rechtstheorie, sich aber nicht um die besondere Gesetzgebung oder um lokale Gesetze kümmerten – ein Übel, das in Deutschland weniger und in den Ländern des common law fast gar nicht existiert. Im letztgenannten System ist das so, weil es sich auf Präzedenzfälle bezieht, mithin mehr auf die Rechtsprechung 4
Mazzacane A und Vano C, Hrsg. (1994) Università e professioni giuridiche in Europa nell'età liberale, Biblioteca di Unistoria.
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4. Die normativistische Rechtsanschauung
(case law) als auf die Gesetze (statute law) abhebt, und weil seine Kultur seit jeher pragmatisch ist. So erklärt es sich, daß in Großbritannien bis vor einiger Zeit keine funktionale Verbindung zwischen einer Ausbildung am college of law und einer forensischen Tätigkeit bestand und man ohne weiteres zur Berufsausübung zugelassen werden konnte, ohne eine Universität besucht zu haben. In den Vereinigten Staaten zeigt der als Vorraussetzung für die Immatrikulation an der school of law bis heute nötige Nachweis eines anderen Universitätsabschlusses, daß das Recht als eine technische Wissenschaft angesehen wird. So kommt es, daß der Unterschied zwischen einem klassischen civilian (einem Kontinentaljuristen) und einem klassischen common lawyer (ein Jurist von den Britischen Inseln oder aus Übersee), welche einen Fall examinieren, treffend mit einem Bild wiedergegeben wird, das den ersteren beim Arbeiten mit einem Teleskop, den letzteren mit einem Mikroskop darstellt. Die Sterne (am besten die Fixsterne) zu ergründen, bedeutet allegorisch, sich der Dogmen der Tradition zu bedienen, während das Vergrößern von mikroskopischen Fleckchen dafür steht, vom Einzelfall auf eine generelle Regel zu schließen, bzw. auf eine Regel, die in vergleichbaren Fällen Anwendung finden kann. Das kontinentale Übel, das oftmals mit den Tugenden vermischt wird, zeigt jedoch auch positive Effekte: es gibt dem civilian lawyer eine methodische Fähigkeit, Konzepte zu bilden, die nützlich erscheinen, ja notwendig sind, um die juristische Gedankenführung zu erlernen, aber es befähigt ihn auch dazu, heute genau so wie im Mittelalter, an der koiné, an der allen gemeinsamen Fachsprache und an der gemeinsamen handwerklichen Kultur teilzuhaben, die man bis heute in den Ländern des civil law findet.5 Trotz der Übereinstimmungen und der Annäherungen, über die wir eingangs gehandelt haben, müssen wir festhalten, daß „bis heute, trotz der Osmose im Lauf der Zeit, common law und civil law zwei unterschiedliche Systeme begründen und von unterschiedlichen Mentalitäten getragen werden: zwei juristische Traditionen, die, wenn auch nicht entgegengesetzt, so doch sicher sehr unterschiedlich sind.
4. Die normativistische Rechtsanschauung Wenn man von der formalen Methode ausgehen muß, wie es angebracht erscheint, um sich an die heute noch in Italien vorherrschende Rechtsorientierung anzupassen, dann müssen wir vor allem die Definition von Hans Kelsen beachten, dem Schöpfer der „reinen Rechtslehre“:6 das Recht ist ein System von Befehlen (oder Regeln), das sich von den anderen religiösen, moralischen oder ethischen Befehlssystemen insofern unterscheidet, daß die rechtlichen Normen komprimierbar sind: ihre Verletzung wird mit entsprechenden Techniken sanktioniert, die empfindlich 5
Alpa G (1991) "Materiali per la riforma degli studi di giurisprudenza" Riv. crit. dir. priv., 507; Bessone (1993) Casi e questioni di diritto privato; Visintini G (1994) Guida alle esercitazioni di diritto privato; Pino A (1996) La ricerca giuridica; zu Methode und juristischen Traditionen: Alpa G (1996) Corso di sistemi giuridici comparati; Sacco R und Gambaro A (1996) Sistemi giuridici comparati. 6 Siehe unten 7.
Teil 1 Kapitel 4 Die Kategorien der europäischen Juristen
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treffen (z.B. Freiheitsentzug) oder wirtschaftlich schmerzhaft sind (z.B. Schadenswiedergutmachung, Strafzahlung, Schadensersatzleistung). Nach dieser Auffassung ist das Recht ein neutrales System, von technischer Natur, autonom und spezifisch; seine Erschaffung und Anwendung geschieht durch Techniker, (die Juristen) die mit Methoden arbeiten, die technischen Erwägungen entspringen, und die technische Instrumente anwenden. Von hier erklärt sich die Theorie der Quellen, die Theorie der Vollständigkeit des Systems, die Theorie der Lücken, die Theorie der formalen Interpretation. Die Rechtsprechung ist aus dieser Perspektive eine Art Technik. Man betrachtet mithin nicht die Art von Autorität, die das Recht produziert, sondern es genügt, daß diese in der Lage ist, die eingeführten Gesetze durchzusetzen; und man fragt sich nicht, ob das Gesetz gerecht ist, ob der Inhalt der Gesetze mit den in der Gemeinschaft, für die sie bestimmt sind, verbreiteten Werten in Einklang steht, oder ob diese Gesetze dazu dienen, das Allgemeinwohl zu befördern, die Stellung des Einzelnen zu verbessern, die Zustimmung der Mehrheit zu erhalten. Dieses Konzept versteht das Recht als ius positum (positives Recht) und die Autorität, die es einsetzt, ist identisch mit dem Staat; so daß das Recht in der Hauptsache staatliches Recht ist. Die einzelne Norm, in einem Text formuliert, braucht Interpretation, und darin erschöpft sich die Tätigkeit des Rechtsinterpreten: seine Tätigkeit besteht in der wörtlichen, systematischen, teleologischen Interpretation, die dazu da ist, die Zielsetzung der Gesetze darzustellen. Vom Rechtspositivismus ist es nur ein kleiner Schritt zu Etatismus und Formalismus.
5. Formalismus und reine Rechtsdoktrin Dieses (normativistische) Rechtskonzept bietet bemerkenswerte Garantien: es wird mit einer technischen Sprache zum Ausdruck gebracht, es verlangt nach einer technischen Argumentation, und es limitiert die Machtvollkommenheit des Interpreten, der den eigenen Willen und das eigene subjektive Empfinden an die Stelle der Objektivität des Gesetzgebers setzen kann. Um das Thema, welches hier summarisch abgehandelt wird, zu vereinfachen, (und mithin unter Verweis auf die Fächer der Rechtsphilosophie, der generellen Rechtstheorie und der juristischen Interpretation) stellen wir die reine Rechtsdoktrin, den Positivismus und den Formalismus auf eine Stufe. Diese sind die Merkmale der üblichen Art und Weise, das Recht zu beschreiben, besonders das Privatrecht. In unserer Rechtskultur ist man auch heute noch verbreitet der Ansicht, daß man von diesem Konzept und dieser Methode zu denken und das Recht zu studieren, nur in Ausnahmefällen ablassen sollte, dort nämlich, wo die Gesetze einen übergroßen Abstand zur Realität haben, oder, wo sie zu offensichtlich die Realität fälschen.
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5. Formalismus und reine Rechtsdoktrin
In „Die reine Rechtslehre“ von 19607 (die erste Formulierung datiert aus dem Jahre 1910) schreibt Hans Kelsen der Definition von Recht dennoch Merkmale der Relativität zu; der große böhmische Jurist präzisiert, daß „Recht“ ein vielfältig gebrauchter Terminus ist, je nach Epoche und Land; die vergleichende terminologische Untersuchung ergibt keine definitiven Resultate; trotzdem ist es bezeichnend, daß die fremdsprachigen Ausdrücke für „Recht“ (Recht, right und law, droit, derecho, dereito) allesamt grob betrachtet das gleiche Phänomen bezeichnen: eine „Ordnung des menschlichen Verhaltens“; eine Ordnung ist ein System von Normen, deren Gültigkeit das selbe Fundament haben. Ein solches Fundament ist durch eine Grundnorm gegeben (Verfassung); diese Norm ist juristisch, insofern sie zu einer juristischen Ordnung gehört. Die Ordnung ist juristisch, insofern sie zwingend ist, also Sanktionen vorsieht, für den Fall, daß sie überschritten wird. Das Recht ist einzig das positive Recht; es ist in einem vollständigen System geordnet, ohne Lücken und Antinomien; das Recht fällt mit dem Staat zusammen. Diese einfachen und klaren Grundprinzipien sind der gemeinsame Boden des Rechtspositivismus und konstituieren den kulturellen Nährboden, auf dem die Juristen die Gesetze verfassen und interpretieren; dabei müssen sie immun bleiben für außerjuristische Werte und müssen das Recht von anderen Wissenschaften isolieren, um seine Autonomie und Besonderheit zu wahren. Diese Formulierung des Positivismus ist in ihrer Absolutheit auf Kritik gestoßen und hat, auch in der rechtspositivistischen Kultur selbst, Varianten hervorgebracht. Zum Beispiel hat Herbert Hart gezeigt, wie man, um die Grundessenz des Rechts erschöpfend darzustellen, über das kelsianische Konzept hinausgehen muß, welches das Recht als Primärnorm versteht, die eine Sanktion vorsieht, ohne daß er jedoch zu einem Schluß käme, und mithin diesseits der Tatsachenkonzeption von Karl Llewellyn verbleibt (das Recht ist das, was die Richter in Kontroversen entscheiden), oder von Oliver W. Holmes (das Recht besteht in den Vorhersagen dessen, was die Gerichte entscheiden werden). Das ist so, weil die Gesetze unterschiedliche Inhalte haben; weil das Strafgesetz für alle gilt, also auch für die, die es erlassen haben, und mithin über diesen steht; die Macht, Recht zu sprechen und Gesetze zu erlassen, kann keiner Zwangsordnung untergeordnet werden; es gibt Gesetze ohne Sanktionen.8 So erklärt sich die Auffassung vom Recht als Komplex von Primärnormen, die das Verhalten regeln, und Sekundärnormen, die die Macht verteilen. In einer Verfeinerung der Debatte wurde kürzlich (seitens Norberto Bobbio) präzisiert, daß der Rechtspositivismus eine Art und Weise ist, um sich dem Studium des Rechts anzunähern. Es ist eine Theorie oder ein Konzept von Recht; es ist letztendlich eine Ideologie der Gerechtigkeit.9 Das Recht ist weder allein Staats7
Vgl. Kelsen H (1934) Reine Rechtslehre. Einleitung in die rechtswissenschaftliche Problematik und Kelsen H (1960) Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang. Das Problem der Gerechtigkeit. [Letzteres Werk, auf das sich die Autoren hier beziehen, ist die zweite Auflage des Werkes.] 8 Hart H L A (1961) The concept of Law. 9 Bobbio N (1965) Giusnaturalismo e positivismo giuridico.
Teil 1 Kapitel 4 Die Kategorien der europäischen Juristen
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recht, noch ist es nur die Menge an erlassenen Gesetzen; man kann daher nicht Recht und Gesetz gleichsetzen. Im übrigen ist das positive Recht, als Objekt juspositivistischer Philosophie verschieden von Recht, welches verstanden wird als Gesamtheit der Werte, die der menschlichen Natur innewohnen (Naturrecht), aber es muß nicht im Gegensatz zu diesem stehen. Naturrecht im modernen Sinne, wie es von den Theoretikern dieser Rihtung, des „Iusnaturalismus“, verteidigt wird, ist die Gesamtheit der ethischen Prinzipien, aus denen der Gesetzgeber die Inspiration für seine Gesetze zieht; es ist die Gesamtheit der rationalen Werte; es ist für seine Befürworter das Fundament der positivistischen Ordnung.
6. Das Naturrecht und die naturrechtliche Rechtsanschauung Wie wir bereits erwähnten, als wir Stroemholm zitierten:10 wenn man die Auffassung unterstützt, daß man dem Individuum fundamentale Rechtspositionen zugestehen muß, dann lehnt sich das gegenwärtige Recht an die Tradition des Naturrechts an. Tatsächlich setzte die „Europäische Verfassung“, in ihrer Präambel und dann im zweiten Teil, die Säulen, die den Gesetzgeber (den der Gemeinschaft wie den nationalen) einschränken, und zwar durch die Grundrechte der Person. Dieses Phänomen kann auch in anderen Begriffen und mit anderen Formulierungen beschrieben werden, z.B. mit dem Begriff der Europäischen Staatsbürgerschaft.11 Das gesamte Gemeinschaftsrecht und das in Bildung begriffene Europäische Privatrecht können als Phänomene betrachtet werden, die man aus der Perspektive der Individualrechte, der Gruppenrechte und der Gemeinschaftsrechte verstehen kann: die „Europäische Verfassung“ nahm sich vor, die Unterschiede zu respektieren, nicht nur die nationalen, sondern auch die innerhalb der Länder, nicht nur im Zusammenhang mit der Staatsbürgerschaft, sondern auch hinsichtlich der unterschiedlichen Art und Weise der Menschen zu leben und zu denken. Sicherlich finden wir unter den Ursprüngen der Europäischen Union und denen des öffentlichen und des privaten europäischen Rechts diesen Faktor, der historisch determiniert, ideologisch charakterisiert und also nicht zu unterdrücken ist, vorausgesetzt, man betrachtet ihn mit modernen Augen. Der Grundrechtskatalog, den Europa für sich akzeptiert hat, ist seine Chiffre, die ihn von vielen anderen Ländern westlich und nicht-westlich unterscheidet.12
10
Vgl. oben Kapitel 2.3. Moccia L (2004) Du 'marché' a la 'citoyenneté': a la recherche d'un droit privé européen durable et de sa base juridique, Revue internationale de droit comparé, 291-327. 12 Ferrajoli L (2001) Diritti fondamentali. Un dibattito teorico; Donati A (2002) Giusnaturalismo e diritto europeo. Human Rights e Grundrechte; zur historischen Rekonstruktion vgl. Oestreich G (2001) Storia dei diritti umani e delle libertà fondamentali in: Gozzi G, Hrsg., xxxiv-194. 11
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6. Das Naturrecht und die naturrechtliche Rechtsanschauung
Man muß sich also über diesen Faktor Gedanken machen, um verstehen zu können, aus welchen Bestandteilen sich das Europäische Privatrecht zusammensetzt. 6.1 Die klassische Auffassung In den Fächern Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie wird die Geschichte der Naturrechtsidee dargestellt. Nach der Überlieferung entsteht diese mit den Lehren Platons und Aristoteles,' die das Recht „gemäß der Natur“ – das jeder sozialen Gruppe eigen ist, und das darauf ausgerichtet ist, das elementare Leben den Wünschen und Bedürfnissen, die den Menschen durch ihre Natur gegeben sind, gemäß zu organisieren – von dem durch Gesetze verfaßten Recht unterscheiden, das von den jeweiligen Machthabern eingesetzt wird. Das Naturrecht entdeckt man in dem Moment, in dem man die „Natur“ entdeckt, denn vorher war das Recht als von einer Gottheit gegeben betrachtet worden, also durch die Gesetze bestimmt, die den Menschen von den Göttern gegeben worden waren. Die christlichen Denker bereichern diese Auffassung, denn indem sie die Gesetze, die Gott den Menschen gegeben hat, in den heiligen Schriften entdecken, unterscheiden sie zwischen göttlichem und menschlichem Recht, und bei letzterem zwischen Naturrecht und Zivilrecht.13 6.2 Die moderne Auffassung Das moderne Naturrecht begann mit Hobbes (1640, nicht veröffentlicht; De cive, 1642; Leviathan, 1651) und mit Locke:14 diese Philosophen unterscheiden das Naturrecht von den Naturrechten, die jedem Menschen durch sein Menschsein zustehen. Grotius (1625)15 unterscheidet einige Rechte, die keine Autorität beeinträchtigen darf: das Recht auf Leben, das Recht auf freie Religionszugehörigkeit und -ausübung, das Recht auf Eigentum, das Recht zum Widerstand (gegen eine ungerechte Ordnung). Pufendorf (1672) unterstreicht die Korrelation zwischen Naturrecht und Vernunft, worauf schon Locke hingewiesen hatte: die fundamentalen Prinzipien jeden Zusammenlebens müssen den fundamentalen Charakter des Menschen reflektieren, die Vernunft. Das Naturrecht ist also ein Laienrecht. Aber auch die katholischen Denker entwickeln das Naturrecht im modernen Sinne: de Vitoria und Suarez, obwohl sie sich auf die heiligen Schriften beziehen, konstruieren ein Menschenrecht, das für alle Individuen gilt, weil sie Menschen sind, und es 13
Strauss L (1990) Diritto naturale e storia; vgl. auch Canaris C-W (1996) Konsens und Verfahren als Grundelemente der Rechtsordnung - Gedanken vor dem Hintergrund der "Eumeniden" des Aischylos, Juristische Schulung (7), 573; Heidemann M (2007) Methodology of Uniform Contract Law - the UNIDROIT Principles in International Legal Doctrine and Practice, 13-18. 14 John Locke, Treatise on Civil Government, 1690 15 Grotius H (1625) De iure belli ac pacis.
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wird bestimmt von den Gesetzen der Natur. Jedem Individuum müssen einige Grundfreiheiten garantiert werden, die mit seiner irdischen Existenz eng verbunden sind. Diese sind die „angeborenen“ Rechte, denn sie gehören zur menschlichen Identität. 6.3 Die Revolutionen des 18. Jahrhunderts. Die Bürgerrechte Mit der amerikanischen Revolution von 1776 und der französischen Revolution von 1789 wird der säkulare Charakter des Rechts unterstrichen. Das Naturrecht ist die Basis der ersten Erklärungen von Rechten und der ersten Verfassungen. Die Aufgabe der Rechtsordnung besteht darin, daß der Staat den Bürgern einige Grundfreiheiten garantiert – Schutz vor äußeren Gefahren, Aufrechterhaltung der inneren Ordnung – die wirtschaftliche Aktivitäten ermöglichen. Im 19. Jahrhundert wird die Trennung von öffentlichem Recht, das die Beziehungen des Einzelnen zum Staat regelt, und Privatrecht, welches die Beziehungen innerhalb der Zivilgesellschaft regelt, kodifiziert. Der Prozeß der Säkularisierung ist vollendet, das Recht ist nunmehr ausschließlich positives Recht. 6.4 Das gegenwärtige Naturrecht Heute werden verschiedene Bedeutungen von Naturrecht unterschieden. Der Begriff muss relativiert und historisiert werden, da es unterschiedliche Bedeutungen und unterschiedliche Begriffsgeschichten gibt. Für die Katholiken ist das Naturrecht noch ein Recht gemäß der Natur, und mithin im Einklang mit den Regeln, die Gott seiner Schöpfung gegeben hat. Darin besteht das Fundament der positiven Gesetze und das Maß ihrer Qualität. Darüber hinaus konstituiert es die Grundlage der Menschenrechte.16 Für den Laien ist Naturrecht ein ideales Modell, zu dem jede Ordnung streben muß, um den größtmöglichen Respekt der Person zu gewährleisten; oder auch ein ideales Modell, welches in den Erklärungen und Verfassungen, die die Person schützen, lebt (z.B. Artikel 2 des deutschen Grundgesetzes); oder es ist ein imaginäres, metaphysisches Modell, das der Ideengeschichte angehört. In diesem Sinne existieren die Naturrechte nicht, insofern sie durch die anerkannten und garantierten Rechte des positiven Rechts ersetzt sind.
7. Realistische Theorien des Rechts Andere Lesarten der juristischen Phänomene erscheinen reich an Vorschlägen und nützlichen Anmerkungen, um die Realität des Phänomens „Recht“ besser zu verstehen.
16
Compagnoni F (1995) I diritti dell'uomo. Genesi, storia e impegno cristiano.
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7. Realistische Theorien des Rechts
Der formalistische Ansatz kann den Horizont des juristischen Wissens nicht umfassend beschreiben. Es gibt andere Dimensionen, die man in Betracht ziehen muß. Das Recht ist zunächst ein politischer Faktor. Wenn der Begriff Rechtsordnung einen Komplex von Verhaltensregeln bedeutet, dann setzt das die Existenz einer sozialen Gruppe und deren Bedürfnis nach Regeln voraus. Lange Zeit hindurch hielt man es für selbstverständlich, daß dieses Bedürfnis mit der Existenz einer Gesellschaft einhergeht, gemäß der antiken Maxime ubi societas, ibi ius. Die Geschichte von Robinson Crusoe ist dafür emblematisch. Das Recht ist also ein soziales Phänomen, welches in der Realität zum Ausdruck kommt und mit realistischen Methoden gewürdigt werden muß. Die realistische Konzeption des Rechts entsteht zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und man unterscheidet zwischen der skandinavischen und der nordamerikanischen Version. 7.1 Die skandinavische Version Diese Version geht auf verschiedene Autoren zurück, unter ihnen Axel Hägerström, Karl Olivecrona, Alf Ross. Ersterer geht von der Unterscheidung zwischen Recht und Magie aus (am Anfang der westlichen Gesellschaften waren dies gleiche Phänomene). In der menschlichen Psyche und in den kollektiven Verhaltensweisen beeinflussen sich Recht und Magie bis heute: Recht ist das, was die kollektive Vorstellungswelt als einen Komplex von Verhaltensregeln versteht; der Einzelne beachtet solche Regeln, überzeugt davon, daß das Recht etwas Reales, Objektives sei, das außerhalb von ihm selbst liegt. Den Inhalt der Gesetze definiert Olivecrona als Darstellung von imaginären Handlungen bestimmter Personen, wie die Richter, die sich imaginäre Situationen vergegenwärtigen; das Recht anzuwenden bedeutet mithin, jene imaginären Situationen als Verhaltensmodelle zu betrachten, um die wirklichen Verhaltensweisen zu bewerten; die Funktion der Gesetze ist es, zur Darstellung dieser Situationen beizutragen, in denen die gewünschten Handlungen ausgeführt werden müssen. Daher sind die Gesetze keine Kommandos und drücken nicht den Willen eines mythischen Gesetzgebers aus, sondern es sind Imperative, die aufgrund von Konventionen als bindend betrachtet werden. Auf die gleiche Art und Weise existieren die Persönlichkeitsrechte nur in der Vorstellung der Menschen in der Zeit und im Raum, insofern sie Kenntnisse sind, die vom menschlichen Geist entwickelt wurden. Nach Ross17 ist ein rationales Rechtssystem ein Zusammenwirken von Regeln, die die Bedingungen definieren, unter denen gegen eine Person physische Gewalt angewendet werden kann; dies setzt eine Autorität voraus, der es zusteht, Gewalt anzuwenden; es ist die Gesamtheit der Regeln, die die Organisation und das Funktionieren des staatlichen Zwangsapparates begründen.
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Vgl. z.B. Ross, A (1941) "Imperatives and Logic", Theoria vol. 7, 53-71.
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7.2 Die nordamerikanische Version Die nordamerikanischen Rechtsrealisten unterscheiden sich etwas von den Modellen, die wir gewöhnlich betrachten. Man kann auch nicht sagen, daß sie einer regelrechten Schule angehören. Trotzdem weisen sie einige Gemeinsamkeiten auf, die wir, ausgehend von der für die Länder des common law charakteristischen Konzeption von einem Recht, das sich auf Präzedenzfälle stützt, (nach Karl Llewellyn) in einem Rechtsverständnis als Prozeß in ständiger Bewegung identifizieren können, nicht als Selbstzweck verstanden, sondern als Mittel, soziale Ziele zu erreichen; wie ein System, das weniger schnell ist, als jenes, das eine Gesellschaft bestimmt, so daß es notwendig ist, immer die Korrespondenz des ersten mit dem zweiten System zu überprüfen. Jerome N. Frank definiert daher das Recht als Gesamtheit der konkreten und spezifischen Entscheidungen der Vergangenheit und der Annahmen von konkreten und spezifischen Entscheidungen für die Zukunft: wie ein System, bei dem die Ergebnisse bewertet werden müssen. 7.3 Die italienische Version Die Rechtswissenschaft wird so zur Sozialwissenschaft. Die soziologische Konzeption des Rechts von Max Weber und Eugen Ehrlich ist offenkundig. Vom funktionalen Standpunkt aus betrachtet, kann das Recht nach Giovanni Tarello als Gesamtheit der Regeln beschrieben werden, die in jeder bekannten Gesellschaft die Unterdrückung sozial gefährlicher Verhaltensweisen disziplinieren; als Einsetzung und Übertragung von öffentlicher Macht; als Allokation an Individuen und Kollektivität von Gütern und Dienstleistungen. Die erste dieser Funktionen entspricht genau der positivistischen Konzeption; die zweite der realistischen; die dritte gehört zur soziologischen Lesart des Rechts, und insofern sie sich auch an ökonomische Mechanismen anlehnt, ist sie Teil der ökonomischen Analyse des Rechts.18 7.4 Recht und Allokationssysteme der Macht und der Ressourcen In diesem Sinne lassen sich generelle und nicht generelle Allokationssysteme unterscheiden. Die letzteren sind von geringerem Interesse, denn sie betreffen den Fall, die Notwendigkeit, den Wunsch. Unter den ersteren finden wir das Allokationssystem, welches auf dem Status beruht. Es ist typisch für ein Feudalsystem und hat sich bis zum Ancien Régime gehalten. In der liberalen Epoche wird das Allokationssystem mit dem Markt identifiziert: der Markt reflektiert die individuelle ökonomische Freiheit, eine wach-
18
Tarello G (1962) ll realismo giuridico americano. Castignone S (1996) Diritto, linguaggio, realtà.
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8. Die anthropologische Rechtsanschauung
sende Güterproduktion und faire Konkurrenz, deren Mechanismen zum Motor für den Unterhalt und die Entwicklung des allgemeinen Wohlstandes werden. Die Allokationssysteme verweisen auf die Problematik der „gerechten“ Verteilung und mithin auf das Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit: ein Thema, welches heute besonders lebendig ist, wie aus dem Interesse hervorgeht, auf das die Arbeiten von Rawls, Nozick, Dworkin, Walzer, Ackerman und Sen getroffen sind. Weil das Recht für den Menschen und nicht der Mensch für das Recht gemacht ist, muß man zwei weitere Funktionen erwähnen: den Schutz der Person (verstanden im Sinne eines Schutzes der Grundrechte) und den sozialen Fortschritt. Das moderne Privatrecht wird durch diese Faktoren inspiriert.
8. Die anthropologische Rechtsanschauung Die moderne juristische Anthropologie leugnet die Verbindung von Rechtsordnung und Staat, sowie die Einheit des juristischen Systems und die Durchsetzbarkeit der Gesetze. Dies tut sie, weil eine jede Gesellschaft, besonders eine moderne, die in ihrer Gesamtheit unhomogen ist, von sozialem Pluralismus gekennzeichnet ist, und daraus folgt, daß ihre juristische Dimension durch juristischen Pluralismus charakterisiert ist. Die Anthropologen sprechen nicht von Recht, aber von Rechten, die innerhalb eines sozialen Feldes existieren. Einheit und Staatlichkeit einer Ordnung sind Kennzeichen eines absoluten Staates (ein solcher war Frankreich im 18. Jahrhundert, wo trotz allem das Gewohnheitsrecht floriert) oder eines totalitären Staates (wie Frankreich unter Napoleon, Italien unter Mussolini, Deutschland unter Hitler). Wenn es dem Diktator nicht rechtzeitig gelingt, die gesamte existierende Ordnung auszutauschen, versucht er eine Schattenordnung zu installieren (den sogenannten doppelten Staat), die er durch die passende Anwendung der allgemeinen Klauseln und Prinzipien, die schon in der existierenden Ordnung vorhanden sind, erhält. Die anthropologische Anschauung stigmatisiert den Gebrauch der formalen Instrumente: die Anwendung juristischer Fachsprache dient dazu, die bindende Wirkung der Gesetze zu verstärken: sie erscheint neutral und daher unvoreingenommen; sie ist universell formuliert; darüber hinaus ist sie durch Normen und Riten gefestigt und hat eine Aura des Mystischen und Perfekten. In allen Gesellschaften wird das Recht durch die Autoritäten angewandt, die die Macht haben, Zwang auszuüben; sie bewirkt, daß die gleiche Regel in zukünftigen analogen Fällen angewandt wird; sie interveniert, indem sie rechtliche Verbindungen zwischen den Fällen schafft und Sanktionen anwendet, um die Gesetze durchzusetzen; die Sanktion konstituiert den Grund ihrer Beachtung; das Recht kann sich aber auch durch ein spontan beachtetes Verhalten (Gewohnheit) bilden. Die Anthropologen unterstreichen, daß es keine notwendige Verbindung zwischen Recht und Staat gebe; daß die juristischen Regeln mit den religiösen und moralischen Normen austauschbar seien; das Recht sei daher ein variables Phänomen und absolut relativ. Aus dieser Perspektive betrachtet, findet das Recht auf drei unterschiedlichen Ebenen statt: die Reden (klar dargelegt, schriftlich oder
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mündlich), die Praktiken (Rechtshandlungen Einzelner) und die Darstellungen (symbolische Überzeugungen und Konstruktionen).19
9. Vom privaten Naturrecht zu den sozialen Eingriffen Die Tatsache, daß man in jeder sozialen Gemeinschaft Regeln findet, die die familiären Beziehungen, das Eigentum (Individualeigentum, Gruppeneigentum, Gemeinschaftseigentum), den Austausch von Waren und Dienstleistungen, die Schadenswiedergutmachung gegenüber Dritten betreffen, hat dem Privatrecht einen besonderen Charakter verliehen: es ist notwendig, und es ist zuverlässig. Dieser Charakter, dessen sich die Juristen nicht immer bewußt sind, oder den sie nicht immer kritisch untersuchen, hat sich auf verschiedene Art und Weise manifestiert. In den vergangenen Jahrhunderten hat er sich an die Naturgesellschaft angenähert; wenn die Institutionen Familie, Eigentum, Vertrag und Verantwortung, typisch und naturgemäß für jede soziale Gemeinschaft sind, dann expandiert die Natürlichkeit der Gemeinschaft soweit, daß sie die Regeln, die ihr Zusammenleben bestimmen, vereinnahmt bzw. nach sich formt. Hier entsteht die Idee vom „privaten Naturrecht“ (Ein Ausdruck, der von dem Buch „Privates Naturrecht“ des österreichischen Adligen Franz von Zeiller stammt, welches ins Italienische übersetzt und 1830 in Mailand publiziert wurde). Das führt zu der Annahme, daß man die Merkmale des Naturrechts auf die Institutionen des Privatrechts und mithin auf das ganze System des Privatrechts ausdehnen kann (so, wie es im 17. Jahrhundert verstanden wurde), also die Unveränderlichkeit, die Ununterdrückbarkeit, die Notwendigkeit und die innere Qualität. Diese Idee, eine Art verdinglichter Komplex von Normen, findet sich auch in den Schriften von scharfsinnigen und gebildeten, historisch orientierten Juristen, die, wenn man betrachtet, wie sich die Juristen Westeuropas (sowohl auf dem Kontinent, als auch für gewisse Aspekte im angelsächsischen Raum) seit 2000 Jahren um Ordnungen, Prinzipien, Regeln, welche einen gemeinsamen Ursprung und eine gemeinsame Tradition (die romanistische und die kanonistische) haben, bemühen, und versuchen, sie anzuwenden, dazu neigen, das Privatrecht als einen autonomen und vollständigen Korpus anzusehen. Ihn als unveränderlich und unvergänglich anzusehen, ist von hier aus nur ein kleiner Schritt. Auf der anderen Seite ist es leicht, mit Ludwig Raiser20 zu beobachten, daß diese Idee des Privatrechts den liberalen Bedürfnissen nach unternehmerischer Auto19
In diesem Sinne vgl. Rouland N (1992) Antropologia giuridica, der erste Beitrag stammt von Maine H S (1861) Ancient law, über diesen vgl. Colognesi L C (1994) Modelli di stato e di famiglia nella storiografia dell'Ottocento; vgl. auch Hoebel E A (1973) l diritto nelle società primitive. Uno studio comparato sulla dinamica dei fenomeni giuridici. Letzteres ist die italienische Übersetzung von Hoebel E A (1967) The Law of Primitive Man. A Study in Comparative Legal Dynamics. Siehe auch ders. (1954), The Law of Primitive Man, mit welchem der Autor bekannt wurde. 20 Raiser L, (1971) Die Zukunft des Privatrechts. Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft, italienische Übersetzung: Raiser L (1990) Il futuro del diritto privato in: I compiti del diritto privato, 222.
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10. Bürgerliche Gesetzbücher
nomie und nach wachsender Freiheit der bürgerlichen Schicht entsprach, so wie dem Individualismus der Landbesitzer und der patriarchalischen Autorität innerhalb der Familie. Ein anderes Thema ist die Betrachtung des Privatrechts als ein continuum, also eine Gesamtheit von untereinander in Beziehung stehenden Charakteristika, von exakten Definitionen, von Einrichtungen mit antiker Physiognomie. Hier bewahrt das Privatrecht, das als Komplex von Techniken dargestellt wird, auch eine methodologische Funktion; das Risiko der Verdinglichung existiert trotzdem weiter, dort, wo man mit Dogmen argumentiert und daher dazu neigt, das Privatrecht für unveränderlich und undiskutierbar zu halten. Dieser Versuchung entgeht noch nicht einmal jene Gedankenströmung (die man als phänomenologisch bezeichnet), die sich auf die Suche nach der „Essenz“, also den a priori vorhandenen Grundlagen der Gesetze und Einrichtungen, und damit ihrer Gesamtheit, macht. Zum Beispiel hält Alexandre Kojève21 die Gesamtheit der Gesetze, die ein Staat anwendet, für reales Recht, und das Privatrecht für die Gesamtheit der Gesetze, die die „Beziehungen regeln, die sich innerhalb einer nicht-politischen Gesellschaft ereignen“.22 Andererseits sprach einer der Vorläufer der phänomenologischen Rechtsinterpretation, Adolf Reinach, schon von „juristischen Entitäten, die unabhängig vom positiven Recht existieren.“23
10. Bürgerliche Gesetzbücher Kontinentaleuropa steht für ein Phänomen, das gleichzeitig juristisch und politisch ist: die Kodifizierung. Die Kodifizierung ist ein Prozeß, auf dessen Basis man geschriebene Gesetze sammelt, die dazu bestimmt sind, ganze Bereiche der Rechtsordnung systematisch zu erfassen. Der Begriff „Kodex“ [code, codice] kommt vom lateinischen codex und spielt auf ein gebundenes Buch an. Die moderne Geschichte registriert dieses Phänomen am Ende des 18. Jahrhunderts. Jeder Kodex hatte seine linguistischen, konzeptionellen und politischen Charakteristika. Aber die historische Phase der Kodizes wird erst im 19. Jahrhundert bedeutsam. In diesem Jahrhundert entwickeln sich einige Modelle, auf die man sich gewöhnlich nicht nur in den Studien zur Rechtsgeschichte und zur Rechtsvergleichung bezieht, sondern auch in der aktuellen Diskussion über die Angemessenheit, die Ge21
Kojève A (1989) Linee di una fenomenologia del diritto [1943], 135, ital. Übers., [deutsche Ausgabe als Kojève A (1988) Hegel, eine Vergegenwärtigung seines Denkens. Original von 1943 posthum bei Gallimard erschienen als Kojève A (1981/2007) Esquisse d'une phénoménologie du droit. Kojève, ursprünglich Koschevnikow, 1902 –1968, war ein französischer Philosoph und Staatsmann russischer Herkunft, Neffe von W Kandinsky, vor allem bekannt durch seine Arbeit über Hegel. Das hier zitierte Werk wird als Kommentar zu Hegels „Phänomenologie des Geistes“ bezeichnet.] 22 Ibid., 429. 23 Reinach A (1913) "Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechts", Jahrbuch für Philosophie und philosophische Forschung 1, 685-847. Hier zitiert nach der italienischen Übersetzung: Reinach A (1990) I fondamenti a priori del diritto privato [1913], 8.
Teil 1 Kapitel 4 Die Kategorien der europäischen Juristen
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setze des Privatrechts in normativen und organisierten Systemen zu sammeln. Unter diesen Modellen hebt man besonders die bürgerlichen Gesetzbücher und die Handelsgesetzbücher hervor. Trotzdem tendiert man dazu, die Modelle der bürgerlichen Gesetzbücher zu bevorzugen, wenn man von Kodifikationen und vom Privatrecht spricht. Die kulturell und historisch bedeutsamsten Modelle sind der napoleonische Code civil (1840), das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB von 1811) und das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB 1900). 10.1 Der Code civil Entstanden als notwendiger politischer Akt, um den Bruch mit dem Ancien Régime deutlich zu machen, und als normatives Werk, mit dem Ziel, die Regeln für die Beziehungen zwischen Privaten zu vereinheitlichen und zu rationalisieren, trägt der Code civil die Merkmale der Aufklärung; aber er ist, wie schon gesagt, nicht das getreue Abbild der Ideale der französischen Revolution. Im Gegenteil: nachdem der revolutionäre politisch-soziale Prozeß mit der Machtübernahme Napoleons zum Stillstand gekommen war, ist der Code vielmehr Ausdruck des Bedürfnisses der an die Macht gekommenen bürgerlichen Schicht, diese Macht mit einem Kodex zu befestigen. In jedem Fall ist er ein Meisterwerk an Klarheit, Synthese und technischem Scharfsinn. Napoleons Fall bedeutet nicht automatisch die Abschaffung seines Code, weder in Frankreich, noch in den eroberten Gebieten. Im Königreich Sardinien beispielsweise finden wir eine komplexe Situation: während in Piemont die vorrevolutionären Verfassungen wieder in Kraft treten, bemüht man sich in Sardinien, neue Gesetze einzuführen, und in Ligurien gilt weiterhin der napoleonische Code civil. Dieser Rechtspluralismus wird erst vom neuen, von Carlo Alberto 1837 eingeführten Kodex überwunden. Der Code civil ist der normative Text, der weltweit am meisten analysiert wurde. Aus einer Perspektive, die daran orientiert ist, ein historisches Profil des italienischen Privatrechts zu erstellen, ist er zugleich der Ausgangspunkt und das Maß, mit dem wir die Originalität unseres eigenen Weges messen. Deshalb muß die Betrachtung des Code besonders präzise sein. Die verschiedenen Redaktionen des Code (die ersten drei verdanken wir Cambacérès und die letzte Portalis) neigen dazu, die Gesetze der romanischen Tradition und ihre Systematisierung durch Domat24 und Pothier25 mit den besonderen lokalen Gewohnheiten und Ordnungen auszugleichen. Der Code civil setzt sich aus einem Vorwort und drei Büchern zusammen (gemäß dem Schema der Institutionen von Gaio, personae, res, actiones); die Titel der Bücher sind: Personen, Sachen und Eigentumsübergang. Die Themen Verträge 24
Jean Domat (1625-1696), “Les loix civiles dans leur ordre naturel“ in 3 Bänden, erschienen 1689–94. 25 [Joseph Robert Pothier, 1699 – 1772, unter zahlreichen Abhandlungen (Traités), hier z.B. Bezug auf seinen „Traité des obligations“].
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10. Bürgerliche Gesetzbücher
und Verantwortung (Haftung) des Bürgers, sowie jenes der Nachfolge in Verbindung mit Eigentum, sind jedoch im III. Buch enthalten.26 Weit davon entfernt, die Frucht entstellter Prinzipien des Römischen Rechts und gefährlicher Instanzen der Revolution zu sein, was ihm Friedrich von Savigny vorgeworfen hatte,27 ist der Code civil das Resultat eines klugen Kompromisses von Tradition und Moderne. Seine Redaktion verdanken wir Juristen von großem Ansehen, erfahrenen Kennern der Römischen Quellen, den Gepflogenheiten und den Werken der Naturrechtler und natürlich Domat und Pothier, die aber auch erfahrene Jongleure mit juristischen Formeln waren. Unter den vielen Entscheidungen, die sie getroffen haben, auch unter dem Einfluß von Napoleon selbst,28 lohnt es sich, an jene zu erinnern, die ihren Weg in die italienischen Kodizes gefunden haben, und deren Spuren wir im aktuell gültigen Zivilgesetzbuch finden: Man denke an das Prinzip der Nichtrückwirkung der Gesetze (Tit. Prél., Artikel 1 CC); an die Gültigkeit des Zivilrechts unabhängig von der Staatsbürgerschaft (Arikel 7 CC); an das Reziprozitätsprinzip der Rechte, die dem Ausländer zugestanden werden (Artikel 11); an das System der Beurkundungen des Personenstandes (Artikel 34, ff.); an die Thematik des Wohnsitzes und der Abwesenheit (Artikel 102, ff.); an die Beziehungen zwischen Ehepartnern (Artikel 212, ff.); und besonders an das Thema Eigentum, welches von der Definition (Artikel 544) bis zu den einzelnen Gesetzen mit einigen Ausnahmen, bis heute intakt, in den Sprachformeln existiert. Für die Verträge sind besonders die Kodifizierung des Zustimmungsprinzips (Artikel 1101) wichtig, die Bereiche der Mängel, der Verbindlichkeiten, der Einzelverträge, weiter der Bereich der zivilen Verantwortung (Haftung), welche dem Prinzip der Atypizität des Unerlaubten, wie wir heute sagen würden, nachgebildet ist (Artikel 1382, ff.), und ein zentraler Punkt in den kontinentalen Systemen, von wo er in die ganze Welt exportiert wurde. Eigentum, Vertrag, Haftung sind die fundamentalen Prinzipien, auf denen die Struktur des Code civil aufbaut, und aus denen sie sich speist. Es ist eine Struktur, die auf der Freiheit basiert: der Freiheit, sich zu verpflichten, ein Eigentumsrecht in den Grenzen, die die öffentliche Ordnung, die guten Sitten, die Rechte anderer setzen, auszuüben, ungeachtet der Verpflichtung, für Schäden einzustehen, die man Dritten willentlich oder schuldhaft zugefügt hat. Die wirklichkeitsnahen Formeln, mit denen die Regeln abgefaßt sind – von einer stilistischen Eleganz, die große Literaten wie Stendhal neidisch gemacht hätte – bleiben im Gedächtnis haften. Sie sind ein Destillat an Weisheit, vergleichbar den gewichtigen Formulierungen der Geschichte, wie die regulae iuris der justinianeischen Sammlung. Man denke an die Definition des Eigentums („la proprieté est le droit de jouir et disposer des choses de la manière la plus absolue, pourvu qu'on n'en fasse pas un usage prohibé par les lois ou par les règlements“) (über die 26
Halpérin J L (1992) L'impossible Code civil, 109 ff. Savigny, 1814; der Text wurde in einer veroneser Version von 1857 ins Italienische übersetzt, aus dieser Ausgabe wird zitiert (Savigny F C v (1814) La vocazione del nostro secolo per la legislazione e la giurisprudenza., vgl. im Besonderen 132); und neu übersetzt von Marini G, Hrsg. (1982) A. F. J. Thibaut - F. C.von Savigny. La polemica sulla codificazione. 28 Bourdon J (1963) Napoléon au Conseil d'Etat. 27
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es auch in Italien eine immense Literatur gibt);29 an die Definition des Vertrages („le contrat est une convention par laquelle une ou plusieurs personnes s'obligent, envers une ou plusieurs autres, à donner, à faire ou à ne pas faire quelque chose“), an die Auswirkungen der Verpflichtungen („les conventions légalement formées tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faites“),30 oder an die generelle Regelung der Haftung („tout fait quelconque de l'homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faûte duquel il est arrivé à le réparer“).31 10.2 Lesarten des Code civil Wie alle Texte, die eine symbolische Funktion annehmen, bietet sich auch der Code civil für verschiedene Lesarten an, unterschiedlich, je nach Ideologie der jeweiligen Interpreten; und wie alle literarischen, religiösen, moralischen und juristischen Texte zeugt seine Analyse daher von dem Kontext, in dem sie erstellt worden ist. Der Kontext kann in der Tat historisch, juristisch, politisch, soziologisch, anthropologisch, strukturell, etc. sein. Aber man merkt der Analyse trotzdem an, unter welchen Umständen sie entstanden ist, handelt es sich nun um Feierlichkeiten, Jahrestage oder andere Gelegenheiten. Die großen Denkmäler der Rechtsgeschichte haben oft historischen Charakter: ihre Entstehung, ihre Entwicklung, ihre Auslöschung, oft blutig, manchmal friedlich. Der Code civil wurde bei vielen Gelegenheiten gefeiert, von denen nicht wenige selbst historischen Charakter hatten. Es genügt, an die Feierlichkeiten anläßlich des 100-jährigen Jubiläums 1904 in Paris zu denken, an die 150-Jahrfeiern 1954 in New York und an die 200-Jahrfeiern der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, mit großem Enthusiasmus in Frankreich begrüßt, und dann in großen Teilen der westlichen Welt zu Beginn der 90er Jahre gefeiert. Im Jahre 2004 hat man den 200. Geburtstag des Code civil gefeiert und die Juristen fragten sich, ob dieses Modell eines Kodex den Herausforderungen des neuen Milleniums gewachsen sein würde.32 Die Lesarten sind also vielfältig, abhängig von ihrer Entstehungszeit, und variiert, je nach Perspektive und Inhalt. Das Resultat dieser Forschungen und Diskussionen ist über die Maßen interessant. Unter einem interdisziplinären Aspekt betrachtet, erscheint ein Text mit polyvalenten, auch symbolischen Funktionen. Von einem historischen Standpunkt aus betrachtet, eröffnet seine neue Lektüre Neuigkeiten, die es erlauben, seine Be29
Vgl. Rodotà S (1980) Il terribile diritto, Bologna. Sacco R (1975) Il contratto. 31 Alpa G (1999) Trattato di diritto civile. La responsabilità civile, cap. I; Solari G (1911) L'idea individuale e l'idea sociale nel diritto privato. Parte I. 32 In Deutschland fand u.a. im Mai 2004 ein Symposium des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main aus diesem Anlaß statt. Die Beiträge sind zusammengefaßt in Dölemeyer B, Mohnhaupt H et al., Hrsg. (2006) Richterliche Anwendung des Code civil in seinen europäischen Geltungsbereichen außerhalb Frankreichs. 30
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10. Bürgerliche Gesetzbücher
deutung tiefer zu erfassen, und die der jeweiligen Beobachtungsperspektive eigenen Charakteristika, also die Kategorien, mit Hilfe derer die Forscher ihre Analyse erstellen, evidenter zu machen. Es handelt sich also bei diesen historischen Gelegenheiten um wichtige Momente, denen man über die sonstigen Forschungen hinaus Beachtung schenken sollte, welche die fast unendliche Literatur, die sich mit diesem Text beschäftigt, ausmachen. Die 100-Jahrfeier in Paris vom 27. bis 30. Oktober 1904 wurde auf Initiative der Société d'Études legislatives und der Académie des Sciences morales et politiques ausgerichtet, in Zusammenarbeit mit den wichtigsten repräsentativen Organen der Anwälte, Notare und Verwaltungsjuristen Frankreichs. Der Kongreß, der vom Law Center in New York vom 13. - 15. Dezember 1954 organisiert worden war, entstand hingegen auf Initiative von US-amerikanischen, französischen und deutschen Akademikern. Die Initiativen zur Feier des 200. Geburtstages der französischen Revolution, die am Ende der 80er Jahre von der französischen Wissenschaftsgemeinschaft organisiert wurden, und die der Revolution gewidmet waren, erstreckten sich bis auf die napoleonische Epoche und haben mithin den Code involviert. Im übrigen wird Napoleon auch als Gesetzgeber gewürdigt. Aus den gesammelten Aufsätzen lassen sich Hinweise und Kommentare extrahieren, die hilfreich sind, um den Wert des Code Napoléon für das italienische Recht zu verstehen. Anderen Untersuchungen bleibt es überlassen, die anderen Facetten dieses Modells zu erfassen und seinen Einfluß in anderen Ländern zu studieren.33 Die Durchleuchtung des Code civil hinsichtlich der Ideologien, die in ihm enthalten sind – und die uns interessieren, um vollständig zu verstehen, ob das Modell bewußt bei seinen Epigonen, den zivilen Gesetzbüchern vor der Europäischen Gemeinschaft und im italienischen bürgerlichen Gesetzbuch von 1865 reproduziert worden ist – verdanken wir vor allem zwei Autoren, einem Italiener und einem Franzosen, Gioele Solari und André-Jean Arnaud, mit verschiedenem Hintergrund und aus unterschiedlichen Epochen. Der erstere ist mittlerweile fast vergessen. 34 Die beiden Arbeiten sind etwas in der Zeit verschoben. Die von Gioele Solari datiert einige Jahre nach der 100-Jahrfeier, die von Arnaud ist vor einigen Jahrzehnten entstanden und wird durch die strukturelle Analyse des Code Napoléon vervollständigt.35
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Siehe Anm. 32. Solari G (1911) L'idea individuale e l'idea sociale nel diritto privato. Parte I. L'idea individuale; ders. (1974) La filosofia politica; Alpa, 1999 am Kapitel V), der zweite ist viel diskutiert (Arnaud A-J (1969) Les origines doctrinales du Code civil français; über Arnaud vgl. Tarello G (1988) Codice in: Enciclopedia giuridica Treccani, 6; über den Code Napoléon auch in Tarello G (1976) Cultura giuridica e politica del diritto. 35 Arnaud A-J (1969) Les origines doctrinales du Code civil français. 34
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10.2.1 Die philosophisch-normative Lesart Gioele Solari behandelt den Code civil gemeinsam mit dem preußischen und dem österreichischen Zivilgesetzbuch in einem seiner berühmtesten Bücher, L'idea individuale e l'idea sociale nel diritto privato.36 Auch für Solari ist der Code civil ein Symbol des bürgerlichen Individualismus und der postabsolutistischen politischen Freiheiten. Die „soziale“ Idee wird Solari später behandeln, aber das Werk erscheint nicht mehr vor dem Tod des Autors.37 Solari sieht im Code die beiden fundamentalen Werte repräsentiert, welche die naturrechtliche Konzeption von Locke erklären,38 die Freiheit und das Eigentum. In den Diskursen von Portalis und in den grundlegenden Artikeln des Code wird die Natur dieses absoluten und individuellen Rechts klar und wirklichkeitsnah ausgedrückt. Solari notiert, wie diese Auffassung vom Eigentum die Römische Auffassung getreu widerspiegelt, auch wenn „die klassischen Formen des Römischen Eigentums hier mit einem neuen Geist wieder aufleben“.39 Anders als in der Römischen Denkweise jedoch, ist das Eigentum im Code ein Recht, das als solches über dem Menschen angesiedelt ist, es ist ein „naturgegebenes“ Recht, eine ethische Notwendigkeit für die Persönlichkeit.40 Mit diesen Feststellungen möchte Solari zeigen, daß seine Verfasser dem Code civil keine individualistische Matrix übergestülpt haben, weil sie von der romanistischen Kultur beeinflußt waren; sie bedienen sich vielmehr der Sprache und der Konzepte des Römischen Rechts, um das Prinzip der Autonomie der Person zu unterstreichen.41 Dieses würde man von den Vorschriften ableiten, welche den Willen der Einzelnen zur beinahe absoluten Souveränität des Individuums erheben: die Textreferenzen sind der Artikel 1387 zu den Konventionen und Wirkungen in der Ehe, der Artikel 1138 über den Transfer von Eigentum und der Artikel 1134 über die Begründung und Auflösung der schuldrechtlichen Bindung. Solari weist jedoch auch darauf hin, daß der liberale Einschlag in den verschiedenen Entwürfen des Code (über die die Untersuchung von Halperin sehr aufschlußreich ist) 42 weit dezidierter war, als man es in der endgültigen Version ausdrücken wollte; die Entwürfe hatten den persönlichen Arrest wegen Schulden abgeschafft, den Beweis durch Eid und die Aufhebung bei Übervorteilung, und sie hatten die Akquisitivverjährung (Ersitzung) auf 20 Jahre verkürzt. Was die Familie anbetrifft – hierzu hatte Napoleon beharrlich beigetragen43 – ist Solari der Meinung, daß das Modell, das von der Nationalversammlung und vom Rat angenommen wurde, dasjenige ist, das dem Römischen Recht am nächs36
Solari G (1911) L'idea individuale e l'idea sociale nel diritto privato. Parte I. L'idea individuale, 170, ff. 37 Solari G (1906/1980) Socialismo e diritto privato. Influenza delle odierne dottrine socialiste sul diritto privato. Ungari P. 38 Solari, oben, Anm. 36, 171. 39 Ibid. 173. 40 Ibid. 41 Ibid. 174. 42 Halpérin J L (1992) L'impossible Code civil. 43 Vgl. Alpa G, Bessone M, et al., Hrsg. (1998) La famiglia nel nuovo diritto.
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ten steht, während die revolutionäre Gesetzgebung ihre Inspiration vom germanischen Recht bezieht: dies sei durch die Vorherrschaft der Einheit über die Autonomie des Einzelnen, der Autorität gegenüber der Gleichheit bezeugt; wie durch die schlechte Behandlung der verheirateten Frau, der minderjährigen Kinder, der natürlichen Kinder. Sogar das System der Nachfolge ist auf dem Römischen Recht gegründet, auch wenn „Napoleon sich darum sorgte, in diesem Fall die Errungenschaften der Revolution, die die mittleren Schichten begünstigten, zu bewahren“.44 Um die beiden Bedürfnisse miteinander in Einklang zu bringen, habe man daher einen Kompromiß gefunden: in der Nachfolge ab intestato beharrt man auf dem egalitären Prinzip; in der testamentarisch geregelten Nachfolge behält man einen Teil den rechtmäßigen Erben, einen anderen der freien Disposition des Testamentsverfassers vor. Auf diese Art und Weise realisiert man die vereinheitlichende Bedeutung des Code der auf der Einheit des Begriffs des Individuums beruht, und verschmilzt so alle Quellen, die politisch-philosophischen und die juristischen, aus denen der Code hervorgeht.45 Dieses Konzept des Zivilrechts kommt auch in der größtmöglichen Freiheit des beweglichen Eigentums zum Ausdruck, mit der sich die Redaktoren kaum befassen, weil sie ihre Aufmerksamkeit auf das unbewegliche Eigentum konzentrieren. Das bewegliche Eigentum ist die Frucht der Arbeit und der Ersparnis, aber zu Beginn des 19. Jahrhunderts gründet sich die französische Wirtschaft noch auf das System der Manufakturen, und die Arbeitsbeziehung ist in einer ausschließlich individuellen Perspektive konzipiert.46 Der Arbeiter wird als verdächtig angesehen, die Vereinigungen als Antagonisten zum Staat und als Korporationen, die es zu unterdrücken gilt. Alles in allem, „erscheint der Kodex als das, was er wirklich ist, als ein bourgeoiser Kodex, gemacht von Individuen, die über ein Vermögen verfügten oder eines verwalteten“.47 Solari erteilt uns eine Lektion in historischer und philologischer Analyse: der Code muß gelesen werden als das, was er ist, als die Frucht konkreter sozialer und politischer Notwendigkeiten der Zeit, in der er verfaßt und erlassen wurde, und er darf nicht gelesen werden als ein Dokument mit universellem und abstraktem Tenor.48 Daher ist es unmöglich, weiterhin das Zivilrecht mit dem Code civil gleichzusetzen, und es ist notwendig, „die Basis des Privatrechts auszuweiten,“49 wenn die sozialen Instanzen drängen und die Veraltung und Entwertung der alten Kodifikationen anmahnen. 10.2.2 Die philosophisch-ideale Lesart Der Code Napoléon ist mittlerweile fast ein biblisches, „heiliges“ aber „offenes“ Buch und kann auch auf andere Art gelesen werden. 44
Fenet P-A (1836) Récueil complet des travaux préparatiores de Code civil, 318. Solari G (1911) L'idea individuale e l'idea sociale nel diritto privato. Parte I, 183. 46 Ibid., 194. 47 Solari G (1911) L'idea individuale e l'idea sociale nel diritto privato, 198. 48 Ibid., 199. 49 Ibid. 45
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Die Anwendung der hermeneutischen Theorien, die es ermöglichen, die Filigranstruktur des Code zu erkennen, als Ausdruck der juristischen Kultur seiner Redakteure, ist der rote Faden in der Untersuchung von Arnaud, welche auch in Italien sehr angesehen ist.50 Im Stammbaum der philosophischen Ansätze zur Kodifizierung erkennt Arnaud drei Wurzeln: den Jansenismus von Pascal, den Rationalismus von Descartes und die moderne Naturrechtslehre. Diese Ansätze reichen bis zu Jean Domat und seinen Erben Claude Brossette und Barrigue de Montvalon am Ende des 17. Jahrhunderts, sie beziehen Montesquieu und schließlich Bourjon, Daguesseau (oder d'Aguesseau) und Pothier ein.51 Bourjon gelingt ein fast unmöglicher Versuch, denn er transformiert das Gewohnheitsrecht in eine Folge rationaler Prinzipien, die er geometrisch ordnet, so daß das Zivilrecht in drei Teilen artikuliert wird: einem ersten, der den Personen gewidmet ist, einem zweiten, der die Sachen behandelt, und einem dritten, der die Arten der Güteraneignung zum Gegenstand hat; eine Disposition, die Punkt für Punkt vom Code civil befolgt wird. Dies ist keine originelle Bestimmung, denn sie ist von den Institutionen des Gaius übernommen.52 D'Aguesseau wandelt die christliche Konzeption von Domat in eine laizistische von Beziehungen zwischen Individuen um.53 Pothier ordnet die Pandekten von Justinian neu (in einem gigantischen Werk, das auch ins Italienische übersetzt wurde), und mit seinem individualistischen Ansatz unterteilt er die Materie in eine Ordnung ähnlich der der Institutionen, wobei er sie jedoch modernisiert. Er unterscheidet einen generellen Teil über das an das Zivilrecht assimilierte Naturrecht, einen Teil der sich auf die Personen bezieht, einen andern, in dem es um die Sachen sowie einen, in dem es um die Handlungen geht.54 Arnaud zeigt, daß die Verwandtschaft zum Römischen Recht begrenzt ist, aber seine Verbindung mit der rationalistischen und naturrechtlichen Philosophie gibt der Dreiteilung des Gaius eine neue Dimension. Die Abhandlung über die Personen betrifft ihren Status und ihre Fähigkeiten; die über die Sachen betrachtet die Rechte, die die Personen über jene ausüben; die über die Aneignung von Eigentum behandelt die Obligationen und die besonderen Verträge, nicht nur die Nachfolge.55 Auf fesselnde Art und Weise, wenn auch nicht von allen als überzeugend erkannt,56 zeigt Arnaud, daß in einer juristischen Form, die offensichtlich dem traditionellen Recht Römischer und gewohnheitsrechtlicher Prägung ähnelt, sich im Code eine „neue Substanz“ entwickelt, die auf zwei Säulen ruht: ein neues subjektives Verständnis von Eigentum und ein neues Verständnis von der Freiheit des Willens, gegründet auf reinen Konsens. Diese Säulen unterscheiden den Code von 50
Grossi P (1998) Assolutismo giuridico e diritto privato. 428. Arnaud A-J (1969) Les origines doctrinales du Code civil français., 96 ff; 103 ff. 52 Ibid, 160 ff. 53 Daguesseau H F, Hrsg. (1819) Oeuvres complètes. Nouvelle éd., augmentée de pièces échappées aux premiers éditeurs, et d`un discours préliminaire par M. Pardessus, 149. 54 Pothier R J (1748-52) Pandectae Justinianeae in novum ordinem digestae (Pandectes de Justinien), en trois volumes, ital. Übers. (1833-1836) Le Pandette di Giustiniano. Riordinate da R.G. Pothier, 165. 55 Tarello G, Guastini R, et al., Hrsg. (1988) Cultura giuridica e politica del diritto. Collezione di testi e di studi, 122 ff. 56 Ibid., 125 ff. 51
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der Römischen Tradition. Seine Position ist klar, und sie steht im Gegensatz zu der von den meisten Kommentatoren geteilten: er preist nicht nur die Originalität der Substanz des Code im Vergleich zur lexikalischen oder konzeptionellen Form, sondern er ficht auch dessen Ursprung an, also die Zusammensetzung aus Römischem Recht und Gewohnheitsrecht, aus geschriebenem Recht und aus tatsächlicher Übung erwachsenem (“Verhaltens-”) recht. Für Arnaud ist der Code die Frucht aus dem Zusammentreffen von antikem und modernem Recht, von Recht, wie es von den Jansenisten, Skeptikern und Antirationalisten verstanden wird und Recht, wie es die modernen Naturrechtler verstehen, rationalistisch und systematisch. Arnaud möchte auch mit der direkten Herkunft des Code civil von den Werken Domats und Pothiers aufräumen (aber ich glaube nicht, daß ihm das gelingt), den beiden „juristes vulgarisateurs,“ wie sie Crome nannte.57 Aber die Analyse der Texte von Domat und Pothier führt zu überraschenden Übereinstimmungen.58 Der Bruch mit der Tradition ist nicht so groß, wie Arnaud uns glauben machen möchte. Das gleiche gilt für die Struktur des Code, die Arnaud aus den rationalistischen, subjektivistischen und systematisierenden Strömungen der Rechtsdoktrin des 18. Jahrhunderts ableitet.59 In jedem Fall ist die Originalität des Code civil zugleich seine Stärke und seine Schwäche: Stärke, denn er wird zum Modell, wird fast literarisch rezipiert, aber er wird überlagert werden von den theoretischen Untersuchungen der Erfahrungsbereiche, in die er verpflanzt werden wird; stark ist er auch, weil es ihm gelingt, unbeschädigt zwei Jahrhunderte politischer, sozialer, wirtschaftlicher und auch kultureller Umwälzungen zu überstehen. Seine Schwäche hingegen liegt darin, daß er als Spiegel der postrevolutionären Gesellschaft ein Monument geworden ist, von dem sich freizumachen immer schwerer fällt. Neben diesen Lesarten stehen heutzutage die technische und die neonaturrechtliche Analyse des Code.
10.2.3 Die technische Lesart Den Code Napoléon und die aus ihm entstandenen Kodizes als Beispiel von Gesetzgebungstechnik zu betrachten, bedeutet Stellung hinsichtlich der Natur der Rechtsquellen zu beziehen: ein Kodex als solcher stellt sich als schriftliche Quelle dar, als „positive Disziplin, die die Menschen, die sich als Gesellschaft zusammenfinden, regiert“.60 Nicht direkt bei seinem Erscheinen, aber im Laufe der ersten hundert Jahre seiner Existenz, war der Code civil verstanden worden als eine der Quellen, nicht als die Quelle des Zivilrechts, gemeinsam mit der Gewohnheit, der Doktrin und der
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Crome C (1906) Parte generale del diritto privato francese moderno, 6. Über das vinculum iuris vgl. Alpa G (1997) Istituzioni di diritto privato, 792. 59 Arnaud A-J (1969) Les origines doctrinales du Code civil français, 218 ff. 60 Gény (1904) La techique législative dans la Codification civil moderne (à propos du Centenaire du Code civil) Livre du Centenaire. 991. 58
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Rechtsprechung,61 ein wichtiges Thema für die Verfechter der Hermeneutik.62 Anders gesagt, die Kodifizierung – besser: jede Kodifizierung – ist ein komplexer Prozeß, in den die unterschiedlichen Redaktionen der geschriebenen Texte einfließen, die angewandte Terminologie, der kulturelle Hintergrund der Redaktoren, die, in wirklichkeitsnahen Begriffen, Herausbildung der einzelnen Gesetze, ihre Disposition in einer Ordnung nach einer festgelegten Struktur und dann die Interpretation (mit ihren diversen Techniken) und die Anwendung der einzelnen Gesetze. „Einheit, Ordnung, Exaktheit, Klarheit“ sind die idealen Charakteristika eines Kodex,63 konkretisiert eben im Code civil; es sind die gleichen Charakteristika, die ihn nicht nur zu einem literarischen Werk machen, sondern geradezu zu einem literarischen Genus in der Rechtskultur. Die Originalität dieses Gesetzbuches besteht nach Astuti, der die These von Esmein wiederholt, im formaljuristischen Wert der Kodifizierung, welcher eine radikale Transformation des Systems der Rechtsquellen bestimmt.64 Vom technischen Standpunkt aus betrachtet, zeigt ein Kodex „ à la française“ (der Code und seine Epigonen) a) die Merkmale der Allgemeingültigkeit, b) Dispositionen, die im eigentlichen Sinne als zwingend betrachtet werden, c) eine Terminologie und einen Stil.65 Der erste Aspekt nimmt Bezug auf das Problem der Vollständigkeit, der zweite auf das Problem des Verhältnisses von Freiheit und Autorität, wobei die Dispositionen zu unterscheiden sind in imperative, prohibitive, ergänzende und erlaubende.66 Eine Kodifikation, ein Gesetzbuch, ist ein Spiegel der Gesellschaft, und der Code civil ist im Besonderen der Spiegel der Zivilgesellschaft.67 Der Code civil spiegelt die Gesellschaft seiner Zeit wieder, genau wie die vor-gemeinschaftlichen Kodizes. Man kann dasselbe vom italienischen Zivilgesetzbuch von 1865 sagen. Die für die Rechtskultur typischen kulturellen Verspätungen, die Angst vor Inno61
Ibid., 941. Wie z.B. Betti, von dem nun die Aufsätze, zusammengestellt von Crifò G, Hrsg. (1991) Diritto, metodo, ermeneutica. Scritti scelti verfügbar sind; über seine hermeneutischen Theorien vgl. Griffero T (1988) Interpretare. La teoria di Emilio Betti e il suo contesto, des juristischen Realismus (wie Tarello G (1962) ll realismo giuridico americano) und des post-modernen Rechts (die Autoren sind zahlreich, aber Sacco repräsentiert sie hervorragend, Sacco R (1998) Trattato di diritto civile, Bd. 2; Vgl. Zaccaria (1990) L'arte dell'interpretazione. Saggi sull'ermeneutica giuridica contemporanea; Viola F und Zaccaria G (1999) Diritto e interpretazione. Lineamenti di teoria ermeneutica del diritto. 63 Gény F (1904) La techique législative dans la Codification civile moderne (à propos du Centenaire du Code civil) Livre du Centenaire, 996. 64 Astuti G (1984) Il “Code Napoléon” in Italia e la sua influenza sui codici degli Stati italiani successivi. Tradizione romanistica e civiltà giuridica europea. 1, 728. 65 Gény, op.cit., Anm. 60, 998. 66 Gény F (1904) La techique législative dans la Codification civile moderne (à propos du Centenaire du Code civil) Livre du Centenaire, 999. 67 Nicolò R (1960) Codice civile. Enciclopedia del diritto. VII, 240 ff; Rodotà S (1990) Il terribile diritto. Studi sulla proprietà privata; Irti N (1995/ 2007) Codice civile e società politica; Tarello G (1976) Assolutismo e codificazione del diritto. Storia della cultura giuridica moderna. 1. 62
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vation, die Eile, mit der man einen guten Text für alle Länder redigieren möchte: haben sie eine gute Antwort auf die Bedürfnisse nach Modernisierung und Originalität gegeben? Wenn man den Historikern glaubt, dann gab es in unserem Land kein Bedürfnis nach Modernisierung und Originalität: Das Zivilgesetzbuch, der Codice, von 1865 paßte wie ein Handschuh zu den Notwendigkeiten eines Landes, das sich noch am Anfang der Industrialisierung befand.68 Mußte der Code „vollständig“ sein? Das fragte sich schon Portalis, mit Eleganz und Scharfsinn.69 Auch dies ist eine Frage, die zugleich politischer und technischer Natur ist. Politisch, denn je genereller die Formulierungen, je weniger artikuliert die Materie ist, desto mehr Raum lassen sie dem Interpreten; technisch, denn die Redaktion der Formulierungen, der Gebrauch der Verweise und Definitionen dienen dazu, einen Anschein von Vollständigkeit zu erreichen. Die Frage nach Vollständigkeit hängt mit der Vorstellung der Kodifikation zusammen, von dem sie ausgeht. Im 19. Jahrhundert hat man die Vorstellung eines in sich geschlossenen Korpus, der „in der Lage ist, alle möglichen juristischen Fälle zu umfassen, und sie in theoretische Konstrukte umzuformen“.70 Diese Idee überlagerte jene der Redaktoren des Code civil, die dagegen von der Notwendigkeit angespornt waren, die Gesetze aller relevanten Bereiche in einfachen Formeln zu sammeln, um die Einheitlichkeit ihrer Gesetzgebung im ganzen Land zu sichern. 71 Der Code Napoléon jedoch ist nicht als ein vollständiges und autonomes Werk gedacht, sondern zunächst als einfache Gesetzessammlung; mit Artikel 7 der Erstfassung vom 21.3.1804 wurde die Abschaffung aller bis dahin gültigen Vorschriften vorgesehen. Es handelte sich dabei um ein zusammengefügtes Universum, in dem die Römischen Gesetze neben den königlichen Verordnungen standen, die Gewohnheiten neben den Statuten und so fort. Die Abschaffung erfolgt en bloc erst 1804, während der Revolutionsjahre hingegen existierten die alten Verordnungen neben den neuen, insofern sie kompatibel waren.72 Auch in den Kommentaren der Exegeten und der folgenden Lehrmeinung bleibt das Problem des Überlebens der alten Gesetze offen und wird diskutiert, wobei zum einen die Meinung gerechtfertigt wird, daß der Code inhaltlich nichts getan hätte, als das bis dato geltende Recht zu erneuern, und zum anderen, daß er ein Element der Kontinuität mit der vorrevolutionären juristischen Welt sei, wie man im übrigen auch an dem kontinuierlichen Interesse ablesen 68
Die Analyse dieser Debatte, in den verschiedenen Epochen, in denen sie aufgetreten ist, verdanken wir Ghisalberti C (1978) La codificazione del diritto in Italia. 69 Portalis J-É-M (2004) Discours préliminaire au projet de Code civil, 1801,13. 70 Mengoni L (1994) I cinquant'anni del Codice civile: considerazioni sulla parte generale delle obbligazioni, in: Scritti in onore di R. Sacco. La comparazione giuridica alle soglie del terzo millennio, Cendon P, Hrsg., 2, 752. 71 Petronio U (1998) "La nozione di Code Civil fra tradizione e innovazione (con un cenno alla sua pretesa "completezza")" Quaderni Fiorentini per la Storia del pensiero Giuridico Moderno(27), 83 ff. Im gleichen Sinne hatten sich schon Gény, oben, Anm. 60, 1002 ff, (dort auch weitreichende Bezüge auf die coûtumes, auf die revolutionären Gesetze, auf die projektierten Kodizes) und Tunc A (1956) The Grand Outlines of the Code. The Code Napoleon and the Common Law World. Schwarz B, (Hrsg), 19, geäußert. 72 Petronio, op.cit, Anm. 71, 108.
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könne, welches die Juristen den Autoren vor der Erstellung des Code entgegenbringen.73 Der Stil ist jener ausgefeilte, illustrierte, den Montesquieu in Esprit des Loix (Kapitel XVI des XXIX Buches) darlegt. Das Gesetz „befiehlt“, es muß „weder anleiten noch überzeugen“ behauptet L'Hopital.74 Die Gesetze sind unterteilt in Bücher, Titel, Kapitel, Sektionen, Paragraphen; Generalisierungen sind selten, „die Tatsachen stehen an Stelle der Ideen“.75 Die behandelten Lebensbereiche sind diejenigen, die am häufigsten vorkommen, ohne daß auf Vollständigkeit Wert gelegt wird. Definitionen sind zahlreich;76 Generalklauseln kommen kaum vor (z.B. die Artikel 1119, 1121, 1165); vielfach werden undefinierte Ausdrücke gebraucht, die aus der Tradition kommen, wie z.B. vermutete Abwesenheit, Vormund, Kurator, legitimer Erbe, Anspruchsübergang, Unterbrechung und Nichtanwendung der Vorschrift. Äußerst häufig sind die unbestimmten Termini wie: Handlungen, Ausnahmen, Dritte, Rechtsgrund, Güter, Sachen, Arglist, Betrug, Verletzung, nichtig, Nichtigkeit, etc. 77 Die Schlußfolgerung, zu der Gény gelangt, scharfsinnig und fesselnd wie immer, ist die, daß der Code nicht nur als vollständiger Korpus konzipiert war, sondern mehr, als offenes Werk, welches den essentiellen Beitrag des Interpreten, also des Richters, brauchte.78 Die Definition eines angeblich vollständigen Werkes paßt also nicht zum Code civil, aber sie findet sich bei den zeitgenössischen Kommentatoren des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs.79 Auch der Stil ist unterschiedlich, denn, wenn man die Einzelbestimmung als ein Paradigma betrachtet, in dem der Sachverhalt in der Vorschrift subsumiert wird, dann ist eine große Zahl der Bestimmungen dargestellt mit einem Tatbestand, dem die Gesetzesregel nachfolgt; die Ausdrucksweise ist technisch präziser,80 und eine jede von ihnen läßt sich auf alle Bedeutungen beziehen, die ihr entsprechen, während die Ausdrücke sich ändern, wenn die korrespondierenden Bedeutungen sich ändern. 10.2.4 Die nicht-naturrechtliche Lesart Heute wird der Code Napoléon auch als ein Instrument verstanden, das es ermöglicht, dem Recht einen Status zu verleihen und es zu nationalisieren;81 hinzu 73
Ibid. 104 ff. In: Fenet P-A (1836) Récueil complet des travaux préparatiores de Code civil, Vol. IV, 36. 75 Gény, op.cit., n60, 1012. 76 Vgl. die Beispiele bei Gény, ibid., 1013. 77 Ibid., 1016. 78 Ibid., 1021. 79 Ibid. 1023 ff, n.6, wo die Meinung von Von Gierke, 1896, 13 – 14, referiert wird). 80 Müller E (2004) Le Code civil en Allemagne. Son influence généralesur le Droit du Pays, son adaptation dans les Pays rhénans. Livre du Centenaire: 627 ff; Gény, op.cit. 60, 1025. 81 Ghestin J, G G, et al. (1998) Traité de droit civil. Introduction générale, 5. 74
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kommt die Verschweißung von Staatsapparat und Zivilgesellschaft vermittels der Kodifizierung der Gesetze des Staates und der Beziehungen zwischen Staat und Bürger in den Verfassungen und der Festlegung der Regeln für die Beziehungen zwischen den Bürgern untereinander in den Bürgerlichen Gesetzbüchern.82 Der Code civil kann auch als Spiegel eines modernen Naturrechts begriffen werden, gemäß der folgenden Aufgliederung: a) Gleichsetzung des Rechts mit dem Gesetz, b) Unterordnung des Richters unter das Gesetz, c) Verbot der Auslegung der Gesetze – im Sinne einer Verfälschung ihrer ursprünglichen Bedeutungen und d) Bestandskraft einer entschiedenen Sache, e) Verantwortlichkeit des Richters, der von diesen Prinzipien abweicht. Im Zusammenhang mit dieser Pyramide kann man die folgenden Werte identifizieren:83 a) Autonomie der Vernunft oder das Prinzip der Laizität, b) Autonomie der Gewohnheit, c) Gleichheit der Menschen, d) Rechtssicherheit. Im Vertragsrecht ist der Wille der Vertragspartner auf folgenden Prinzipien gegründet: a) Freiheit, b) pacta sunt servanda, c) materielle Gleichwertigkeit der Leistungen.84 10.3 Das österreichische Bürgerliche Gesetzbuch Das österreichische Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) von 1811, welches 1816 auf die italienischen Gebiete ausgedehnt wurde, hat, obwohl es einiges später als der Code civil entstanden ist, eine weit weniger moderne Anlage und Konzeption; es ist illuministisch und naturrechtlich, sehr verworren, langatmig und doktrinär in einigen Teilen (z.B. wenn es um die zivilrechtliche Haftung geht), sowie lückenhaft in anderen Bereichen. Trotzdem zeigt es, neben der Reanimation des Zaubers der Kultur des 18. Jahrhunderts, einige Eigenschaften, die man als bemerkenswert bezeichnen darf.85 Das Projekt verdanken wir zwei großen Juristen der Wiener Universität, Martini und Zeiller, beide Naturrechtler und darauf bedacht, Gesetze einzuführen, die von der Ratio ausgehen.86
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Ibid., xii. Donati A (2002) Giusnaturalismo e diritto europeo. Human Rights e Grundrechte, 34 ff. 84 Ibid., 43 ff. 85 Napoleon selbst soll von Teilen des ABGB, namentlich der Erbfolge und den Testamentsvorschriften, beeindruckt gewesen sein, wie Wilhelm Brauneder berichtet: Brauneder, W. (2006) Zum Code civil in Österreich. Richterliche Anwendung des Code civil in seinen europäischen Geltungsbereichen außerhalb Frankreichs, B. Dölemeyer, H. Mohnhaupt and A. Somma Hrsg., 413-423, 422. 86 Zeiller F (1830) Terza edizione italiana riveduta e corretta sull'ultima edizione tedesca, (Ital. Übers., 1830), Original der ersten Auflage: Das natürliche Privatrecht, Wien, Wappler und Beck, 1802. “Zeiller, Professor für Naturrecht und Römisches Recht an der Universität Wien, bereitete mit diesem hochgeschätzten Werk dem ABGB von 1811 den Boden”, http://www.antiqbook.de/boox/vico/18345AB.shtml. Die hier genannte Übersetzung bezieht sich vermutlich auf die 2. Auflage von 1809; siehe ebenfalls von Zeiller (1819) Jus naturae privatum. 83
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Auch dieses Gesetzbuch entsteht also aus dem Kompromiß: der Notwendigkeit, einzelne Besonderheiten zu überwinden, ohne dabei die lokalen Traditionen völlig zu ignorieren, und dem Bedürfnis, klare, einfache und für Alle verständliche Gesetze auszuarbeiten, die sowohl vom gesellschaftlich Anerkannten, als auch von der Ratio inspiriert sind, und unter anderem zum Ziel haben, das in den verschiedenen Provinzen des Reiches gebräuchliche Recht zu vereinheitlichen. Seine Anlage und seine Inhalte widersprechen der politischen und sozialen Realität der Zeit, die unter der Herrschaft eines sehr kurzsichtigen Landadels, der sich hinter den eigenen Privilegien verschanzt, steht. Das ABGB erkennt den Prinzipien des Naturrechts (§7) die Rolle echter Regeln zu, 87 geeignet, dem Gesetz Sinn zu geben, und seine Interpretation zu inspirieren; daher proklamiert es die Gleichheit aller Bürger, auch wenn die Leibeigenschaft noch einige Jahrzehnte bestehen bleiben wird. Die Anlage des ABGB ist traditionell: nach der Einführung folgt ein Teil, der von den Personen handelt, ein weiterer, der die Sachen betrifft, und ein dritter, in dem es um Sachen- und Personen geht;88 Verträge und Handlungspflichten finden sich im zweiten Teil, wo sie als “persönliche Rechte” hinsichtlich der Sachen behandelt werden. Man findet keine generelle Abteilung zur Rechtsprechung89 (eine dogmatische Kategorie, mit deren Erstellung in dieser Zeit erst von der deutschen Pandektistik begonnen wurde); die bürgerliche Verantwortung ist, im Gegensatz zum typischen romanischen System, in einer generellen Klausel enthalten, der §1295. 90 Der einzige Fall verschuldensunabhänger Haftung betrifft einen von Hilfspersonen verursachten Schaden (§1315). 91 Es ist interessant, festzustellen, daß das ABGB auch in Italien Spuren hinterlassen hat, obwohl die austrohungarischen Provinzen in der Folge der Unabhängigkeitskriege und des Ersten Weltkrieges mit dem Rest des Landes vereinigt wurden. Von der österreichischen Gesetzgebung ist die sogenannte „disciplina tavolare“92 in den früheren Provinzen Habsburgs93 übrig geblieben; sie steht im Widerspruch zum Publizitätsprinzip, welches durch die Abschrift der Akten der Immobiliarregister organisiert ist. Es handelt sich jedoch tatsächlich um ein objektives System, das funktioniert, indem es auf unbewegliche Güter Bezug nimmt, deren Umschreibungen fortlaufend registriert werden.94 87
“…(2) Bleibt der Rechtsfall noch zweifelhaft, so muß solcher mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten und reiflich erwogenen Umstände nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen entschieden werden.” 88 [“Von den gemeinschaftlichen Bestimmungen der Personen- und Sachenrechte”] 89 [Siehe aber §12 ABGB.] 90 “Jedermann ist berechtigt, von dem Beschädiger den Ersatz des Schadens, welchen dieser ihm aus Verschulden zugefügt hat, zu fordern;…” 91 “Überhaupt haftet derjenige, welcher sich einer untüchtigen oder wissentlich einer gefährlichen Person zur Besorgung seiner Angelegenheiten bedient für den Schaden, den sie in dieser Eigenschaft einem Dritten zufügt.” 92 [Normenkatalog in Südtirol, zur Regelung der Registrierung des Eigentums]. 93 In den Provinzen Trentino, Alto Adige (Hochetsch, Südtirol), Venezien und Giulia. 94 Diese Eigentumsumschreibung wird anders gehandhabt, als im übrigen Italien, wo man sich auf die Namen der Parteien und das Vertragsgdatum bezieht (Eintragung der Ver-
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10. Bürgerliche Gesetzbücher
10.4 Das deutsche BGB Das deutsche BGB, seit dem Jahre 1900 in Kraft, wurde in Italien nur wenige Monate lang angewendet: in den Provinzen, die vom Dritten Reich in Folge der Besetzung durch die Nationalsozialisten annektiert waren. Es hätte durch einen neuen Kodex des Regimes ersetzt werden sollen, aber der Zusammenbruch Deutschlands im II. Weltkrieg verhinderte dies. Von konservativ bürgerlicher Prägung, Spiegel des Bismarckschen Deutschland der Jahrhundertwende, ist das BGB eine Frucht der machtvollen und akkuraten juristischen Ausarbeitung der pandektistischen Schule; besonders von Windscheid, der die erste Ausgabe verfaßt hat, und der Juristen der Jahrhundertwende, die es etwas weniger theoretisch gemacht haben.95 Es wendet sich nicht an den Bürger, wie man es bei den französischen und österreichischen Kodizes versucht hatte, und es vom schweizerischen bürgerlichen Gesetzbuch und dem Obligationenrecht von 1907 - 1912 am besten realisiert wurde, sondern es wendet sich an die professionellen Juristen. Dabei bedient es sich einer gewählten technischen Sprache und synthetischer eleganter Formulierungen. Es besteht aus fünf Teilen: einem allgemeinen Teil, in dem die pandektistische Lehre sozusagen kondensiert und die gebräuchlichen technischen Instrumente dargelegt werden; diesem folgen die Bücher über die Obligationen, über die Güter, die Familie und die Nachfolgeregelungen. Im generellen Teil werden die natürliche und die juristische Person definiert und einige generelle Regeln über die juristischen Geschäfte aufgestellt. Das BGB kodifiziert das Prinzip der Vertragsfreiheit und führt richterliche Kontrollen ein (über die boni mores, über die Nutznießer des Bedürftigkeitsstatus, über den guten Glauben bei der Erfüllung von Obligationen, die dann ins italienische bürgerliche Gesetzbuch von 1942 Aufnahme finden). Die zivilrechtliche Haftung ist in einem typisierten System artikuliert, in dem die Verletzung der relevanten Einzelinteressen betrachtet wird (Leben, Gesundheit etc.). Sie gründet auf dem Verschulden (außer im Fall der Haftung für den Schaden Abhängiger).96 Das BGB wurde von den Kommissionen, die damit beauftragt waren, den Codice civile zu redigieren, benutzt; nicht so sehr wegen des politischen Einflusses, tragssubjekte), nämlich indem der Ort und Verwaltungsbezirk, wo sich der Grund und Boden befindet, den Bezugspunkt bilden, und auch, welches Gebäude oder welche Wohnung sich auf dem Grundstück befinden (Eintragung des Vertragsobjekts). 95 Über die Rezeption des iustinianischen Rechts, die dogmatische Ausarbeitung des 19. Jahrhunderts und die Vervollständigung des Gesetzbuchs vgl. Wieacker F (1980) Storia del diritto privato moderno con particolare riguardo alla Germania; Larenz K (1966) Storia del metodo nella scienza giuridica, Larenz K und Canaris C W (1995) Methodenlehre der Rechtswissenschaft. 96 Über die Aktualisierung des BGB vgl. Lorenz W (1994) Recht der Schuldverhältnisse §§ 812-822, in: J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 297, italienische Einführung von Adezati G (1993) Introduzione a Larenz, Saggio introduttivo al BGB, Vita notarile 2, 1090; Somma A (1994) La “purificazione” del sistema giuridico: riflessioni su un percorso tedesco, in: La riforma del Codice civile. Atti del XIII Congresso nazionale dell'Associazione italiana giovani avvocati, Associazione italiana giovani avvocati, Hrsg., I, 265- 93, auch in Vita Notarile 1993, 1116.
Teil 1 Kapitel 4 Die Kategorien der europäischen Juristen
97
den Deutschland in jenen Zeiten (als Teil der Achse) hatte, als vielmehr weil die italienischen Juristen schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts begeistert von der deutschen Rechtskultur, der pandektistischen wie der nicht-pandektistischen, waren. Dieser lange Exkurs über die der Kodifikationsmodelle des 19. Jahrhunderts, dem man nun die Modelle des 20. Jahrhunderts hinzufügen müßte, vom italienischen bürgerlichen Gesetzbuch (1942) – dessen Originalität darin besteht, die napoleonischen Ursprünge, die erste einheitliche Normierung und den Einfluß der deutschen Kultur des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts vereint zu haben – bis zum neuesten, dem holländischen bürgerlichen Gesetzbuch (1992), das das napoleonische Modell zu Gunsten des deutschen abgelehnt hatte, dient dazu, die Besonderheiten Kontinentaleuropas besser beschreiben zu können, das noch nicht in allen Ländern über ein bürgerliches Gesetzbuch verfügt, solange die skandinavischen Länder (mit Ausnahme Finnlands) sich noch kein bürgerliches Gesetzbuch gegeben haben. Auch, um über die Idee von umfassenden Kodifikationen im Europa des dritten Jahrtausends nachzudenken; weiter, um die Prozesse der Erneuerung der Kodifikationen, die in einigen Ländern (Deutschland, Frankreich, Italien) vor sich gehen, verfolgen zu können; schließlich, um sich mit dem Problem auseinanderzusetzen, ob es möglich ist, ein „Europäisches bürgerliches Gesetzbuch“ zu erschaffen, und um dann die Frage nach den Merkmalen und Inhalten einer Kodifizierung, die ganz Europa betreffen könnte, zu stellen. Aber wir haben dargestellt, daß die Kodifizierung im 19. Jahrhundert entsteht, und daß sie ziviles und Wirtschaftsrecht streng trennt. Die Vereinigung ist eine Frucht des 20. Jahrhunderts, wofür das italienische und das holländische bürgerliche Gesetzbuch beispielhaft stehen. Wie dem auch sei, die meisten der europäischen Länder, die über Kodifikationen verfügen, behalten die Trennung von Zivil- und Handelsrecht bei. Wie soll man dieses Phänomen historisch interpretieren?
11. Die Initiativen der „Rekodifizierung“ Vor fünfundzwanzig Jahren untersuchte ein bekannter Jurist, Natalino Irti, das Phänomen der progressiven „Entkörperung“ ganzer Regelkorpora vom bürgerlichen Gesetzbuch hin zu besonderen Gesetzen:97 die Kodifizierung von 1942 hatte nicht nur zum Ziel, das bürgerliche Gesetzbuch, der Codice civile, von 1865 mit dem Handelsgesetzbuch von 1882 zu vereinigen, sondern wollte auch die tragenden Prinzipien aller Gesetze, die die wirtschaftlichen Beziehungen betreffen, wie auch die grundlegenden Bestimmungen zum Eigentum, im Schoß eines umfassenden Gesetzeswerkes vereinigen. Der Codice civile war wie ein Bindegewebe, in dem die Fixpunkte der privaten Ordnung festgelegt wurden. Aber schon seit seiner Einführung litt der Codice an einer Art „Ausblutung“: die Besonderheit der Vorschriften, welche gesellschaftliche Interessen betrafen, der technische Charakter 97
Irti N (1979) Leggi speciali (dal mono-sistema al polisistema) Riv.dir.civ. 1, 141 ff.
98
11. Die Initiativen der „Rekodifizierung“
der Gesetze und ihre minutiöse Diktion hatten den Gesetzgeber dazu veranlaßt, seine ursprüngliche Intention preiszugeben und die Aufgabe, ganze Rechtssektoren zu normieren, Einzelgesetzen, wenn auch von genereller Tragweite, anzuvertrauen. Dieses Phänomen führte zu einer Schwächung der Bedeutung des bürgerlichen Gesetzbuches und zur Entstehung vieler Mikrosysteme, in denen die Beziehungen zwischen Privatleuten geregelt werden, (wenn auch mitunter unvollständig).98 In der Praxis hat der Codice civile trotz allem überlebt, hat weiterhin seine tragende Funktion wahrgenommen und ist das Bindegewebe geblieben, das Lücken ausfüllt, Konflikte mildert und, in der angemessenen und kreativen Interpretation der Richter, Verhaltensmodelle für Privatpersonen liefert. Seit den sechziger Jahren unterliegt der Codice civile dem Einfluß der Verfassung: die direkte Anwendung von Verfassungsnormen auf die Beziehungen zwischen Privatleuten, der erklärte Nicht-Verfassungscharakter der Verfügungen des Codice im Gegensatz zu den Verfassungsvorschriften, die Interpretation seiner Dispositionen im Licht der Werte der Verfassung. Das Richterrecht, gestützt von einer mächtigen doktrinären Kontrolle und einer wissenschaftlichen Ausarbeitung, konnte die alten Texte korrigieren und, indem es sich der elastischen Normen des bürgerlichen Gesetzbuches bediente, die Formen der Rechtsprechung an die neuen wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse anpassen. Im gleichen Zeitraum, mit dem Eintritt des Gemeinschaftsrechts in die inneren Rechtsordnungen, wurden ganze Sektoren des bürgerlichen Gesetzbuches den Prinzipien jenes Rechts unterworfen, zumindest was die Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft angeht. Das Gemeinschaftsrecht war einer der Motoren der Veränderung und Anpassung. Eine große Zahl der Richtlinien wurde durch Spezialgesetze aktualisiert, aber zwei Richtlinien im Besonderen sind in den Korpus des bürgerlichen Gesetzbuches aufgenommen worden: die Richtlinie Nr. 13 von 1993, über schikanöse Klauseln in den Verbraucherverträgen, die sich heute in den Artikeln 1469 bis ff. des italienischen Codice Civile wiederfindet, und die Richtlinie Nr. 44 von 1999 über die Garantien beim Verkauf, der sich heute in den Artikeln 1517 bis ff. spiegelt. Die Vorhaben einer neuen Kodifizierung, die erstmals beim Zusammenbruch der Zunftverfassung und dann zu Beginn der sechziger Jahre aufkamen, hatten keinerlei Erfolg. Am Ende des 20. Jahrhunderts hat man trotzdem mit Macht die Notwendigkeit, den Text des bürgerlichen Gesetzbuches zu erneuern, hervorgehoben, da die korrektive, anpassende und kreative Interpretation der Juristen nicht mehr ausreiche. So wurde auch in Italien ein Prozeß der Re-kodifizierung in Gang gesetzt. Dieser Prozeß hat einige Vorgaben: a) die Idee eines „Kodex“ darf nicht universalisiert werden, sondern muß vielmehr relativiert werden, historisch wie ideologisch, b) ein „Kodex“ kann auch in der Gesellschaft des dritten Jahrtausends noch nützlich sein, wenn er nicht versucht, universell zu sein und die Mechanismen zur Anpassung an eine sich schnell verändernde Realität in sich trägt; c) ein „Kodex“ 98
Eine solche Fragmentierung geschieht z.B. im europäischen Haftungsrecht, siehe unten Teil 2 Kapitel 4, 5.
Teil 1 Kapitel 4 Die Kategorien der europäischen Juristen
99
darf nicht den Anspruch haben, alle Beziehungen im Detail zu regeln, sondern muß vielmehr die Prinzipien nennen, auf die sich die einzelnen speziellen Gebiete zurückführen lassen. Im italienischen Recht, das die schmerzhafte Einigung des Landes erlebt hat, in gewissem Sinne ein noch unvollendetes Werk, kann ein „Kodex“ nur vom nationalen Gesetzgeber abhängig sein. So können regionale Instanzen nicht berücksichtigt werden (auch ist es so, daß die Reform der Artikel 117 und 118 der Verfassung dem Staat das Recht der Legislative hinsichtlich der zivilen Ordnung vorbehalten hat). Um es mit den Worten eines bekannten Rechtshistorikers, Paolo Grossi, zu sagen: „es ist klar, daß der Staat die grundlegenden und tragenden Linien vorgeben muß, aber es ist ebenso klar, daß eine Delegifizierung dazu führt, daß das aufklärerische Mißtrauen gegenüber dem Sozialen aufgegeben und ein authentischer Rechtspluralismus realisiert wird, mit privaten Protagonisten, die in der Rechtsorganisation aktiv sind, so, wie sie es bei der sozialen Veränderung sind“.99 In der italienischen Geschichte wurde die Rekodifizierung 1975 begonnen, mit der Reform des Familienrechts und 2001 mit der Reform des Gesellschaftsrechts, die einen großen Teil des V. Buches des Codice erneuert hat; die Reform des I. Buches ist auf dem Weg, mit ihr soll dieser Rechtsbereich an die Vielfalt der nicht-gewinnorientierten sozialen Vereinigungen angepaßt werden. Neben diesen Initiativen muß man auf die neuen Techniken der Gesetzgebung hinweisen, die die Redaktion von rein sektoriellen Texten vorsehen, welche organisch konstruiert sind, auch um die innere Gesetzgebung an das Gemeinschaftsrecht anzugleichen (man denke an den Text zu den Versicherungen, zum Verbraucherrecht, zu den kulturellen Gütern etc.). Aber der Prozeß der Rekodifizierung war auch für andere Länder von Interesse, die die erzielten Resultate beobachtet haben, insbesondere hinsichtlich der Obligationen und der Redaktion der allgemeinen Prinzipien, darunter die Grundsätze des UNIDROIT zum internationalen Vertragsrecht und die von der von O. Lando und H. Beale koordinierten Kommission ausgearbeiteten Grundsätze zum Europäischen Vertragsrecht.100 Die wichtigsten europäischen Entwicklungen, die man nun in Betracht ziehen muß, sind die deutsche, wo die Rekodifizierung mit dem II. Buch des BGB, mit dem Schuldrecht, ihren Anfang nahm, und die französische, wo sich eine Studienkommission zur Reform des Code civil konstituiert hat und man darüber debattiert, den Code civil abzuschaffen, oder ihn substantiell zu modernisieren. Der Vollständigkeit halber muß man mindestens auf einige Initiativen hinweisen, die von andern Modellen der Rechtsordnung ausgehen: man denke an die Abfassung eines katalanischen und eines schottischen Zivilgesetzbuches – Phänomene, die in Realitäten entstehen, die sich von der unseren unterscheiden, wo das Identifikationsbedürfnis ganzer Nationen, die innerhalb plurinationaler Staaten existieren, sich auch mittels der Abfassung eines Gesetzbuches manifestiert, wel-
99 100
Grossi P (2002) "Globalizzazione, diritto, scienza giuridica" Il Foro Italiano: c.163, 599. Patti S (2004) „Tradizione civilistica e codificazioni europee“ Rivista di Diritto Civile 50(3), 521.
100
11. Die Initiativen der „Rekodifizierung“
ches zu einem echten Symbol für große sprachliche oder kulturelle Minderheiten werden kann. 11.1 Die Rekodifizierung in Deutschland In den Jahren in denen man den hundertsten Jahrestag des deutschen BGB feierte,101 schickte sich der deutsche Gesetzgeber an, die Arbeiten an der Rekodifizierung, die Anfang der achtziger Jahre begonnen hatten, wieder aufzunehmen. Dies geschah nachdem das BGB im Zuge der Wiedervereinigung auf Ostdeutschland ausgedehnt worden war, mithin nach der Abschaffung des bürgerlichen Gesetzbuchs der DDR aus den sechziger Jahren. Im Jahre 2002 trat die Novelle des BGB, mit der das zweite und ein Teil des ersten Buches reformiert wurden (Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001), in Kraft. Dieser Neuerung ging die Einführung von allgemeinen Definitionen des „Verbrauchers“ (§ 13 BGB) und des „Unternehmers“ (§ 14 BGB) ins erste Buch voraus. Diese Reform hat das Schuldverhältnis neu definiert, sie hat in das Gesetzbuch Regeln für die allgemeinen Vertragsbedingungen eingeführt, für das Teilzeiteigentum, für Verträge, die an der Haustür und über Internet abgeschlossen werden, für Darlehen und Finanzierungsverträge, aber auch Tatbestände, die von der Rechtsprechung entwickelt worden waren, wie die Geschäftsgrundlage, die vorvertragliche Haftung und die Verpflichtung gegenüber Dritten. Es ist kein Gesetzbuch von reinen allgemeinen Prinzipien, sondern ein Gesetzbuch, „das ein vollständiges und detailliertes Regelwerk für die Bereiche des sozialen Lebens ist“.102 Mehr noch, das gesamte Verbraucherrecht – zum Teil abgeleitet von der bereits existierenden Spezialgesetzgebung, und zum Teil als Umsetzung von Richtlinien der Gemeinschaft – wird in das Zivilrecht integriert. Der gesamte Bereich der Unmöglichkeit einer Leistung wird neu gestaltet, sowie der Schadenersatz, die Auflösung einer Vertragsbeziehung (dh. die gegenseitige Ausschließlichkeit von Rücktritt und Auflösung). Die generelle und abstrakte Rechtsfigur der Obligation wurde am Leben gehalten, „die älteste der juristischen Ordnungen aus dem Römischen Recht und ihre fortdauernde Gültigkeit und Effizienz sind“ – nach Cian – „schwer verzichtbar für einen modernen Gesetzgeber in unserer juristischen Tradition.“103 Mit der Reform vom 25.7.2002 wurde das Werk der Rekodifizierung fortgeführt, indem man ins BGB Gesetze zum Ausgleich von immateriellem Schaden und zur außervertraglichen Haftung eingeführt hat. Darüber hinaus hat man einen neuen Tatbestand der Haftung für die Abfassung von Rechtsgutachten mit Arglist oder schwerer Schuld eingeführt.104 101
Cian G, Hrsg. (2002) I cento anni del codice civile tedesco in Germania e nella cultura giuridica italiana. Rivista di Diritto Civile; Stürner R (1996) Der hundertste Geburtstag des BGB - nationale Kodifikation im Greisenalter?, Juristenzeitung 15/16, 741. 102 Cian G (2003) “Significato e lineamenti della riforma dello Schuldrecht Tedesco”, Rivista di Diritto Civile I, 5. 103 Cian, op.cit., Anm. 102, I, 18; ID., 2002a, I, 421 ff. 104 Cian op.cit., Anm. 102 II, 125 ff.
Teil 1 Kapitel 4 Die Kategorien der europäischen Juristen
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In Deutschland ist eine Debatte über die europäische Kodifizierung des Schuldrechts entstanden, in der man sich fragt, ob die deutsche Rekodifizierung ein Modell sein könnte. Abgesehen von der vielfältigen Unterstützung für die Initiativen, ein Europäisches Gesetzbuch auszuarbeiten,105 kamen auch Befürchtungen hinsichtlich der Bekanntheit und mithin der Gewißheit des Rechts auf, vor einem möglichen negativen Einfluß auf die Wirtschaftsbeziehungen, sowie hinsichtlich des Schutzes der Vertragsautonomie. Alles Themen, die auch zu Kritik an der deutschen Reform geführt hatten.106
11.2 Die Debatte über die Rekodifizierung in Frankreich Auch in Frankreich, wir erwähnten es bereits, gibt es eine Bewegung für eine Modernisierung des Code civil. Sie entstand zeitgleich mit dem 200. Jubiläum seiner Einführung. Wir haben über die Debatten anläßlich des 100. und des 150. Jahrestages berichtet. Dabei handelt es sich nicht um einen einmaligen Zufall oder um eine kühne Parallele mit der deutschen Geschichte, sondern vielmehr um eine natürliche Überlegung der Anwender, die sich daran machen, die Bilanz eines Gesetzbuches zu ziehen: muß der Text konserviert werden, soll man ihn einmotten oder substantiell modifizieren? Den Feierlichkeiten des 200. Jahrestages ging die Zweihundertjahrfeier der Erklärung der Rechte von 1789 voraus, und schon bei dieser Gelegenheit hatten die Juristen über die innovative Tragweite der Französischen Revolution für die Welt des Rechts, auch des Privatrechts, nachgedacht. Die zweihundert Lebensjahre des Code Napoléon wurden vor allem mit einem Neudruck des Originaltextes gefeiert.107 Dies geschah deshalb, weil der Originaltext im Lauf der Zeit wichtige Neuerungen und Adaptierungen erfahren hatte: auch in Frankreich wurde – einige Jahre früher als in Italien – eine weitreichende Reform des Familienrechts eingeführt, das Recht des „Privatlebens“ wurde kodifiziert, und man hat dem Code viele „Einzeltexte“ hinzugefügt, also normative Texte, mit denen die Ausführungsvorschriften der Richtlinien der Gemeinschaft organisiert wurden. Dagegen findet man in Frankreich nicht das Phänomen der direkten Anwendung von Verfassungsnormen auf das Privatrecht, genausowenig wie eine Diskussion über generelle Prinzipien: diese beiden Dimensionen, obwohl in der juristischen Kultur präsent, haben keinen Erfolg gehabt: die erste nicht, wegen der fortdauernden und strengen Trennung von öffentlichem und Privatrecht; die zweite nicht, aufgrund der natürlichen Aversion der französischen Rechtskultur gegen abstrakte und ordnende Kategorien.
105
Vgl. Schulte-Nölke H (2001) "Ein Vertragsgesetzbuch für Europa?" JZ, 917 ff. Dauner-Lieb B (2004) "Vers un droit européen des obligations? Enseignements tirés de la riforme allemande du doirt des obligations" Revue de droit international compare, 559 ff. 107 Bredin J D, Hrsg. (2004) Code civil des Français, 1804. 106
102
11. Die Initiativen der „Rekodifizierung“
Die Reflexion über Vergangenheit und Gegenwart des Code civil hat mithin auch eine Reflexion über seine Zukunft angestoßen, und auch bei dieser Gelegenheit drängte sich die Diskussion über die Notwendigkeit, eine Kodifizierung auf europäischer Ebene einzuführen, auf. Aus der umfangreichen Literatur, die den Markt überschwemmt hat, mit Zeitschriften, Monographien, historischen Rekonstruktionen der Protagonisten der Kodifizierung ragen zwei Veröffentlichungen heraus: Le Code civil, 1804 – 2004. Livre du Bicentennaire, (2004), herausgegeben vom Kassationsgerichtshof, von der Vereinigung der Anwälte am Conseil d'Etat und von der Vereinigung Henri Capitant und 1804 – 2004. Le Code civil. Un passé, un présent, un avenir (Paris, 2004), zusammengestellt von der Universität Panthéon-Assas (Paris II). Beide Bücher bieten eine Betrachtung des Code in historischer Perspektive, vor allem aber ist es ihr Anliegen, seine Zukunft zu skizzieren. Das erstere ist besonders der Zukunft zugewandt, denn die Rekodifizierung zählt schon zu den „generellen Problemen“, untersucht dann getrennt voneinander die einzelnen Bücher und die grundlegenden Institutionen des Code (Personen, Familie, allgemeine Vertragstheorie, besondere Verträge, Haftung, Nachfolgen und Schenkungen, Güter, persönliche Garantien) und die Beziehungen zwischen diesen Materien, dem internationalen Privatrecht und dem Verwaltungsrecht, unter den Vorzeichen der Schwierigkeiten einer Rekodifizierung. Es schließt das Panorama mit der Analyse einiger nationaler Gesetzgebungen, die den französischen Code civil als Modell für ihre bürgerliche Gesetzgebung genommen haben. In diesem Werk werden die oben angedeuteten Phänomene reflektiert, wie die explosionsartige Zunahme von Spezialgesetzen außerhalb des Code, die Neuformulierung der internen Quellen, die Vermehrung der internationalen Quellen. Dann wird auf die schwerwiegenden Lücken des Code hingewiesen, z.B. im Personenrecht, – mittlerweile obsolet – auf die etwas mühsamen Einfügungen, wie die „familiären Solidaritätspakte“ und die faktischen Verhältnisse. Man tendiert dabei dazu, den Code nicht abzuschaffen, sondern ihn substantiell zu erneuern. Im Ergebnis erscheint eine Generalrevision den meisten absolut notwendig, ohne aber dabei zu fordern, daß im Code alle zivilrechtlich relevanten Materien enthalten sein müssen. Die Idee, den Code civil und den Code de commerce zu vereinigen, wird noch nicht einmal angedeutet. Man schätzt jedoch die rechtsschöpferische Arbeit der Rechtsprechung, die auch in diesem Zusammenhang machtvoll war. Das Modernisierungsprogramm des Code ist also von der Abschaffung obsoleter Bestimmungen gekennzeichnet, wie z.B. vieler sachenrechtlicher Vorschriften, von einer Überarbeitung von Vorschriften, die schon von vornherein Zweifel hervorgerufen hatten, und von der Integration von Bestimmungen, die die Bedürfnisse einer modernen Gesellschaft widerspiegeln. Das Sachenrecht und das Obligationenrecht müßten die ersten Bereiche sein, die sich einer Prüfung zur Rekodifizierung unterziehen müßten. Auch das zweitgenannte Werk bietet eine historische Analyse des Code civil: es nimmt Bezug auf die Neuformulierungen durch zwei Jahrhunderte hindurch, wo-
Teil 1 Kapitel 4 Die Kategorien der europäischen Juristen
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bei es die „Verfassungsfunktion“ unterstreicht.108 Es läßt die verwobene Interpretationsgeschichte des Code und der Entwicklung des Zivilrechts Revue passieren, es analysiert die Beziehungen zwischen dem Code, Wirtschaftsrecht und öffentlichem Recht, es beschreibt den Einfluß des Code in den Ländern, in denen er als Modell adaptiert wurde, um zuletzt seiner Zukunft breiten Raum zu widmen. Dieser Teil ist der verwickeltste, denn hier bemerkt man die Spannung zwischen dem gerechten Stolz desjenigen, der sich als Träger seiner Geschichte begreift,109 wie sich Carbonnier ausgedrückt hat, den Code civil als historisches Monument, als Sammelpunkt des geschichtlichen Gedächtnisses, als Resultat eines historischen Kompromisses betrachtet,110 und dem Bewußtsein, daß dieser Text nicht so, wie er ist, bewahrt werden kann, denn er muß sich den Herausforderungen der Globalisierung, des Gemeinschaftsrechts und der Europäischen Menschenrechtskonvention stellen. Drei Einflüsse sind es, die am gewichtigsten erscheinen: das Gemeinschaftsrecht, die mögliche Konstitutionalisierung des Privatrechts und die Pläne zu einer Europäischen Kodifizierung. Die Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts sind zweierlei: es modifiziert nicht nur die existierenden Rechtsbereiche und führt in Folge des Verlustes der Souveränität der nationalen Gesetzgeber zugunsten des Gesetzgebers der Gemeinschaft neue Regeln ein, sondern es verändert die Struktur und das Gleichgewicht des Code im Falle der Einfügung neuer Regeln als Umsetzung von Richtlinien.111 Dies ist ein Problem aller Kodifizierungen Kontinentaleuropas, das in der deutschen wie der italienischen Literatur wohl präsent ist. Daneben könnte man den indirekten, sozusagen expansiven Einfluß auf das Zivilrecht seitens des Gemeinschaftsrechts setzen, auch jenseits der ihm eigenen Materien. Die Konstitutionalisierung des Zivilrechts, obwohl von einigen Autoren gewünscht,112 abgesehen von der Arbeit des Conseil d'Etat, wird keine große Zukunft haben, solange man wie Carbonnier glaubt, der Code sei „die wahre Verfassung eines Landes“. Was aber überrascht, ist nicht so sehr die Tatsache, daß die direkte Anwendung der Verfassungsnormen auf die Beziehungen zwischen Privaten unter den französischen Juristen keine ausgemachte Sache ist, wie sie es unter italienischen und deutschen Juristen (und mit Blick auf die Grundrechte auch unter englischen Juristen) ist, sondern daß sich die Situation in Frankreich auf den Kopf stellt, und man glaubt, daß die Grundkonstanten des Privatrechts in Verfassungsrang erhoben werden könnten. Dies ist ein Traum, den der eine oder andere Jurist
108
Gaudemet Y (2004) Le Code civil, Constitution civile de la France. 1804-2004. Le Code civil. Un passé, un présent, un avenir. Panthéon-Assas U, 297 ff. 109 Terré F in Carbonnier J, Halpérin J-L, et al., Hrsg. (2004) Le Code civil, 1804-2004. Livre du Bicentenaire, 899 ff und siehe auch 1045 ff. 110 Ibid., 1046. 111 Ibid., 925. 112 Favoreu L (1999) La constitutionnalisation du droit. L'unité du droit. Mélanges en hommage à Roland Drago, 25-42.
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11. Die Initiativen der „Rekodifizierung“
noch pflegt, der aber von Juristen, die mit der Figur der „Drittwirkung“ arbeiten, radikal kritisiert wird.113 Am Horizont zeichnen sich die Projekte einer Europäischen Kodifizierung ab, auch dies ein Thema umfassendster Literatur und Objekt großer Diskussionen in Frankreich. Angesehene Juristen zweifeln, daß der Code, ein „Schatten seiner selbst“ geworden, einer einfachen Modernisierung unterzogen werden kann, ohne sein Ansehen als „Denkmal des weltweiten juristischen Denkens“ zu verlieren.114 Man schlägt daher vor, zu prüfen, ob es nicht angebracht sei, tatsächlich an eine Europäische Kodifizierung zu denken, und das Vorurteil, das heimische Recht sei notwendigerweise den Lösungen von außen überlegen, fallenzulassen, und ob es nicht viel eher opportun sei, das, was anderswo geschieht, nämlich wo der Gesetzgeber Vereinheitlichungsprojekte auf internationalem Niveau beachtet, zur Kenntnis zu nehmen. Alles in allem fragt man sich, ob das Spiel (die Reformulierung eines alten Textes wie des Code civil) der Mühe wert ist, oder ob es nicht eher angebracht sei, eine Europäische Kodifizierung abzuwarten, anstatt sich auf eine Arbeit von außerordentlicher Komplexität zu kaprizieren, die schon dazu verurteilt ist, von kurzer Dauer zu sein.115 Die Revue des contrats116 hat die Beiträge angesehener Juristen zur Möglichkeit und Machbarkeit einer Reform des III. Buches, Kapitel III des Code civil, veröffentlicht, in dem es um „Des contrats et des obligations en général“ geht. Die Feststellung, die der Jurist, der diesen Titel untersucht, zu Anfang trifft, ist die, daß sich im Verlauf der beiden Jahrhunderte so gut wie nichts an der Materie der Verträge und Obligationen geändert hat, denn von den 238 Artikeln, aus denen das Buch besteht, wurden lediglich 31 modifiziert. Diese Zählebigkeit ist – nach Catala117 – zwei Gründen geschuldet: der erste ist, daß sich das neue Vertragsrecht außerhalb des Code entwickelt hat, der zweite, daß der Code wenige imperative Normen enthält, die sich zumeist auf Familienbeziehungen beziehen, während der Rest aus Verfügungen besteht, die die Autonomie der Vertragspartner bestimmen. Rémy fügt einen dritten Grund hinzu: „Die altehrwürdige Geometrie der Verträge und gängigen Obligationen ist derart abstrakt, daß sie ohne weiteres die unterschiedlichsten Zeitläufte überstehen konnte“.118 Man hat später die Politik des Vertragsrechts verändert: vom Dirigismus, der das Vertragsrecht dem sog. „ordre public économique“ zuordnete, kam man zurück zum Liberismus. Die Einführung normativer Texte von außen in den Code 113
Zoller (2004) Le Code civil, 1804-2004. Livre du Bicentenaire. Carbonnier J et al, 988, ff. [Der Ausdruck „Drittwirkung“ wird in einigen fremdsprachigen Texten unverändert verwendet, um das Verhältnis zwischen Grundrechten und Privatrecht, bzw zwischen Verfassungs- und Privatrecht zu bestimmen. Siehe dazu auch näher unten Teil 2 Kapitel 3,10.] 114 Tallon, ibid., 1002. 115 Ibid., 1008. 116 Réviser le titre III du livre troisième du Code civil ? Philippe Rémy, N°4, 01 octobre 2004, Revue des Contrats 2004, Nr. 4, 1145 – 1195. 117 Catala in Carbonnier J, Halpérin J-L, et al., Hrsg. (2004) Le Code civil, 1804-2004. Livre du Bicentenaire, 1148. 118 Remy in op.cit. Anm. 109, 1170.
Teil 1 Kapitel 4 Die Kategorien der europäischen Juristen
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war durch die ungleiche Ausgangsposition der Partner und durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, den schwächeren Teil zu schützen. An diesem Punkt entstand das Verbraucherrecht. Aber genau diese Ereignisse können – nach Catala – den Code nicht unberührt lassen. Nach Ghestin119 haben die Einflüsse des Gemeinschaftsrechts und des internationalen Rechts dazu beigetragen, die systematische Architektur des Code zu verändern, indem sie eine Duplizität der Systeme erschaffen haben, so, wie es beim Kaufrecht der Fall ist. Die bedeutendsten Veränderungen des III. Kapitels betrafen die Revision der Vertragsstrafen, das System der Verzugszinsen, die Frist zur Sinnesänderung und die Zulassung von Beweisen vermittels der Anwendung neuer Technologien. Die Erneuerung des Textes kam so über den Umweg der kreativen Arbeit der Gesetzgebung, die sich mit dem Vertragsschluß, dem flexiblen Verständnis der Redlichkeit, gutem Glauben, Verhältnismäßigkeit, der vorvertraglichen Phase, dem Vorvertrag und der rechtsgrundlosen bzw. ungerechtfertigten Bereicherung befaßt hat.120 Nach den Thesen von Demogue hat die Rechtsprechung die Unterscheidung zwischen einer Verpflichtung, ein bestimmtes Ergebnis herbeizuführen, [obligazioni di risultato] und einer Verpflichtung, eine darauf gerichtete Handlung auszuführen, [das Mittel dazu, obbligazioni di mezzi] abgesegnet, hat die „obligation de sécurité“ erfunden und die schwere Schuld, und, ausgehend vom Auftrag, die Bedeutung des „gemeinsamen Interesses“ entdeckt, das die Obligationen auf unbestimmte Zeit lenkt. Bereits bevor die Richtlinie Nr. 44 von 1999 eingeführt wurde, unterschieden die Richter innerhalb der Sachmängelhaftung zwischen gewerblichen und Konsumentenverträgen. Im Gegensatz zur heute in Italien vorherrschenden Meinung, die der Rechtsprechung die Rolle einer Rechtsquelle zukommen läßt, ist Catala der Auffassung, daß diese lobenswerte Arbeit der Richter keinen normativen Wert haben sollte, also nicht nur wandelbar sei, sondern auch keine effektive juristische Sicherheit bei Geschäftsbeziehungen bieten könne. Auch Ghestin teilt diese Meinung, da, wie er sagt, viele Urteile des Kassationsgerichtshofs mehrdeutig sind und der Unsicherheit zu viel Raum in der Anwendung des Code lassen.121 Kommen wir zu den Lücken des Code. Es wird nichts zum Abschluß eines Vertrages gesagt, genausowenig wie über Vertragsverhandlungen und Vorverträge. Die Mängelvorschriften betreffen nur den Konsens, aber nicht die Verpflichtung zur Kooperation hinsichtlich des Informationsaustausches vor dem Vertragsabschluß. Auch das System der causa, des Rechtsgrunds, muß modifiziert werden, will man Wirtschaftlichkeit und das Gleichgewicht der Leistungen beurteilen. Was die Ausführung des Vertrages anbelangt, rät Catala, sich auf den Vertragsabschluß im Interesse eines Dritten zu beziehen, um die direkte Anspruchsverfolgung einzuführen. Das Problem der Verbindung von Rechtsgeschäften, sowie das 119
Ghestin J, Goubaux G, et al. (1998) Traité de droit civil. Introduction générale, 1158. Auch im Hinblick auf die im französischen Recht erforderliche „Kausa“. 121 Ibid., 1153. 120
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11. Die Initiativen der „Rekodifizierung“
Problem der einseitigen Nichterfüllung im Verlauf der Ausführung eines Vertrages und das Recht des Gläubigers auf vorzeitige Kündigung bedürfen einer Lösung. In diesem Zusammenhang behauptet Ghestin, daß gerade der Teil des Code, der sich mit den Bedingungen und den Auswirkungen einer Kündigung befaßt, ein symptomatisches Beispiel für die Schwierigkeiten darstellt, die dazu geführt haben, daß sich das französische System auf diesem Gebiet nur auf die Intervention des Richters verläßt. Das ist so, weil der Code – im Unterschied zum BGB – keine einseitige Vertragsauflösung vorsieht, sondern sich auf die richterliche Lösung verläßt. Die Einzelfälle, in denen das Kassationsgericht die einseitige Vertragsauflösung im Falle einer nichterbrachten Leistung seitens eines der Vertragspartner zugelassen hat, gründen sich auf „Notfälle“.122 Die „Dringlichkeit“ ist nach Ghestin allerdings nicht ausreichend, eine weitere Komponente muß hinzutreten, die der „Schwere der Nichterfüllung“.123 Auch die Disziplin der Rückwirkung der Vertragsauflösung, wenn auch von der Rechtsprechung erschaffen, verlangt nach einer Präzisierung, denn sie ist nur bei Einzelverträgen erlaubt. In jedem Fall gibt es Widersprüche hinsichtlich des Termins, zu dem die Auswirkungen einer Vertragsauflösung einsetzen. Auch besteht Unklarheit hinsichtlich der Unterscheidung von „résiliacion judiciaire“ und „résolution judiciaire“ unter anderem deshalb, weil nur die erste rückwirkend ist, die zweite aber nicht. So schlägt Ghestin124 vor, die beiden Rechtsfiguren zu vereinigen. In der gleichen Art und Weise müßte das gesamte Obligationenrecht systematisch reformiert werden. Die Zahl der zu lösenden Probleme ist groß. Ghestin125 stellt nur eines heraus, welches sicher zu den wichtigsten gehört: Das Problem der causa (Rechtsgrund, Beweggrund). Ein Problem, das in den Grundsätzen des Europäischen Vertragsrechts von Lando und Beale (PECL) auf drastische Art und Weise gelöst wurde, indem die Kategorie abgeschafft wird. Ghestin ist mit dieser Lösung nicht einverstanden, denn die causa erlaubt es, die Rechtmäßigkeit der Transaktion zu beurteilen, und ihr Fehlen hat andererseits Einfluß auf die Sicherheit der Rechtsbeziehungen. Die Frage verlagert sich also auf eine Definition von „causa“, die den Prinzipien der Gerechtigkeit beim Austausch und der Sicherheit der Bindung Rechnung trägt. Das Überleben des Verständnisses der causa über zwei Jahrhunderte hinweg ist der Beweis – so Ghestin126– ihrer Langlebigkeit und Notwendigkeit. Wenn man also die Hypothese ihrer Abschaffung ausschließt, dann bleiben drei verschiedene Auffassungen, die bis heute auf dem Gebiet der französischen Doktrin miteinander wetteifern. 122
Cass.com., 4.2.2004. Ghestin, J., G. G, et al. (1994) Traité de droit civil. Introduction générale, 1155. Vgl. auch neuere Aufl. 1998. 124 Ghestin, op.cit., Anm. 123, 1157. 125 Ibid., 1163. 126 Ibid., 1164. 123
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Die erste skizziert eine flexible Auffassung von der causa, geeignet, die Vertragsgerechtigkeit zu beurteilen, die Gleichwertigkeit der Leistungen und ihre Proportionalität. Die zweite schlägt eine artikulierte Bedeutung vor, die je nach Sektor, in dem sie auftritt, unterschiedlich ist. Die dritte macht aus ihr ein sozusagen „verborgenes“ Instrument in der Vielfalt der Vorschriften, die die vetragliche Einigung regelt und damit ihre Existenz rechtfertigt, deren Immoralität oder Unrechtmäßigkeit sanktioniert und daher ihre Funktion beurteilt, die die Nichtigkeit eines Vertrages aufzeigt, der gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstößt und somit wirkungslos ist. Ghestin schlägt vor, einen Text zu verfassen, der den PECL angenähert ist, und unter Umständen den Begriff „but“ (Ziel) zu verwenden statt desjenigen der „causa“; die Kontrollfunktion der „causa“ könnte dadurch ersetzt werden, z.B. durch den Einschluß des Interesses eines Dritten in einem Vertrag zu seinen Gunsten, oder auch durch die Geringfügigkeit (Hinfälligkeit oder Lächerlichkeit) der Gegenleistung.127 Die immer wiederkehrende Frage ist Ausdruck eines beunruhigenden Dilemmas: soll man den Code korrigieren oder auf eine Europäische Kodifizierung warten? Ghestin ist für eine Rekodifizierung des Obligationenrechts eingetreten,128 aber er unterstreicht, daß die Verfassung eines Europäischen Kodex wünschenswert wäre, wenn auch nicht in unmittelbarer Zukunft. In jedem Fall, die beiden Optionen sind – Ghestin zufolge – inkompatibel. Daher die Initiative, eine Arbeitsgruppe zu schaffen, anfänglich aus fünf Wissenschaftlern bestehend (Carbonnier, Foyer, Cornu, Malaurie und Ghestin), die sich dann wegen des Todes von Carbonnier auf vier reduziert hat, um einen „avant-propos“ zu verfassen und dem Justizminister vorzulegen. Rémy fragt sich, ob eine Rekodifizierung nicht sozusagen „leicht“ sein könnte, eine Art „ruhige“ Rekodifizierung, wie sie schon in der Vergangenheit stattgefunden hatte. Aber er stellt eine andere beunruhigende Frage: soll eine Revision des Code den Originalcharakter beibehalten, oder soll sie sich an den PECL – die „Grundsätze des Europäischen Vertragsrechts“, welche von der Kommission angeregt und von Ole Lando und Hugh Beale koordiniert wurden – oder an das Projekt eines einheitlichen Obligationenrechts wie es von von Bar vorgeschlagen wurde, einschließlich der anderen Quellen der Obligationen, die sich vom Vertrag unterscheiden, annähern? Indem er über die Systematik des Code civil nachdenkt, fragt sich Rémy, ob man die Unterscheidung zwischen Verträgen und gewohnheitsrechtlichen Obligationen einerseits, und Verpflichtungen, die sich ohne besondere Zustimmung ergeben, andererseits beibehalten, oder ob man den deutschen Weg einschlagen soll, der die Rechtshandlungen von den juristischen Tatsachen unterscheidet. Statt den neuen Titel auf die einseitige Willenserklärung zu stützen, möchte Rémy lieber die alte Unterscheidung beibehalten, die den „Pakt“, also die Übereinkunft zweier oder mehrerer Parteien, in die erste Reihe 127 128
Ibid., 1166. Ghestin, op.cit., Anm. 123, 1159ff.
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11. Die Initiativen der „Rekodifizierung“
stellt, dem dann die inhaltlichen Regelungen folgen können. Rémy weist die Idee, die Obligationen generell zu regeln zurück, statt dessen möchte er die allgemeine Regelung des Vertrages bewahren. Dafür hat sich auch die Studiengruppe unter Leitung von Lando und Beale ausgesprochen, da die PECL weder hinsichtlich der obligatorischen Beziehungen, noch hinsichtlich der Obligationen generell Stellung nimmt.129 Einigkeit hingegen herrscht hinsichtlich der Abschaffung der Kategorie der „Fast-Verträge“ und der Unterscheidung zwischen Delikten und Fast-Delikten – im übrigen schon von der juristischen Praxis angenommen. Daraus ergäbe sich eine Systematik, wie sie im italienischen Codice civile vorhanden ist, wo die zivile Verantwortung, die rechtsgrundlose Bereicherung und die Nichtschuld getrennt voneinander betrachtet werden, aber Rémy nimmt dies nicht zur Kenntnis.130 Er schließt allerdings aus, daß im Code civil die Definition des Vertrages aufgenommen wird, während er hingegen damit einverstanden ist, die generellen Prinzipien zur Vertragsfreiheit mit denen die PECL eröffnet werden, aufzunehmen. Diejenigen, die offener für eine Rekodifizierung Partei ergreifen, welche sich an die PECL annähert, oder aber Vorläufer einer Europäischen Kodifizierung ist, und der französischen Kultur einer aktive Rolle einräumt, fordern jedoch, daß es sich nicht nur um eine rein technische Operation handeln soll, sondern, daß die politischen Motive einer so wichtigen Initiative klar sind.131 Von diesem Standpunkt aus legt Tallon132 Wert auf die Betrachtung der ausländischen Modelle, um zu verhindern, daß eine französische Rekodifizierung die Unsicherheiten fortschreibt, zu denen die gültigen Kodizes der transalpinen Länder Raum gegeben haben. Während er sich für die Modifizierung der Regelung der richterlichen Verfügung ausspricht und dem Schuldner zugesteht, für einen Schaden aufzukommen, oder ihn wieder gut zu machen, oder auch dem Richter zugesteht, den Vertrag angesichts neu eingetretener Umstände zu verändern,133 ist er ratlos hinsichtlich anderer Bestimmungen der PECL, zum Beispiel den Regeln über die Schadensbegrenzung. Der Weg zur Rekodifizierung ist also offen, auch in dem Land, das nach den Worten Rémys134 am wenigsten bereit schien, „ quel merveilleux conservatoire de fragments de Pothier, de Domat, du Digeste ou des Institutes“ aufzugeben.
129
Eine ergänzende und vertiefende Diskussion des im „Common Frame of Reference“ eingenommenen Standpunktes, deren Mitherausgeber ebenfalls Hugh Beale ist, kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Wir verweisen hierzu auf eine spätere Auflage dieses Werkes; Study Group on a European Civil Code/Research Group on EC Private Law (Acquis Group), Hrsg. (2008) Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law. Draft Common Frame of Reference (DCFR). Interim Outline Edition. 130 Ibid. 1178. 131 Sériaux, ibid., 1189. 132 Tallon, D (2004) Le Code civil, 1804-2004. Livre du Bicentenaire, Carbonnier J, Halpérin J-L, Commaille J and Ewald F Hrsg., 1002, 1192 ff. 133 Kritisch ist allerdings die Kassation, die die zwischen den Parteien verhandelten Klauseln nicht antastet. 134 Rémy, op.cit., 1179.
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12. Die Objektivierung des Handelsrechts Soviel zu den Zivilkodizes und ihrer Erneuerung. Aber, wie bereits angedeutet, in vielen Staaten wird die Zivilgesetzgebung von der Handelsgesetzgebung begleitet, auch wenn sie nicht in ihr integriert ist. Im Unterschied zum Zivilrecht durchlief das Handelsrecht, das bis zum 19. Jahrhundert der lex mercatoria zugerechnet und dann selbst kodifizert wurde, einen Evolutionsprozeß, der sich von den Zivilkodizes stark unterscheidet. Vor allem hat es sich von der subjektivistischen, auf die Händler konzentrierten Sichtweise befreit und ist zu einer echten Objektivierung gelangt. Dann wurde es Zeuge des Aufkommens neuer Praktiken; auch diese sind kodifiziert, aber durch Kodizes, die von den Handelnden selbst verfaßt wurden. So wie die Objektivierung des Handelsrechts die Antwort ist auf eine generelle Objektivierung des Rechts, so entsprechen seine korporativen Ursprünge einer generellen Differenzierung des Rechts gemäß den verschiedenen sozialen Kategorien. Die Kraft des Handelsrechts bestand genau darin, objektiv anwendbare Regeln zu schaffen, (was bei den anderen auf Klassen bezogenen Rechten nicht der Fall war) und daher immer vollständiger den ursprünglichen korporativen Charakter zu überwinden. Die Objektivierung des Rechts korrespondiert mit der Bildung des Nationalstaates, der seine Souveränität gegenüber den Partikularismen der Bürger behauptet, und mithin gegen eine Differenzierung der Rechtsdisziplin nach subjektiven Kriterien stand. Man hat die enge Verbindung von Handelsrecht und wirtschaftlicher Aktivität festgestellt. Ascarelli bemerkt, daß eine Gesellschaft, die auf einer essentiell handwerklichen und bäuerlich-patriarchalischen Grundlage gegründet ist, und ein Kapitalismus, der noch vorwiegend auf Handel und weniger auf Industrie basiert, und für den besonders die Vermögenseinkünfte der herrschenden Klasse wichtig sind, mit der daraus folgenden Bedeutung des vererbten Reichtums, was noch hinter dem Code Napoléon und hinter der dogmatischen Auslegung des Pandektismus erkannt werden kann, daß eine solche Gesellschaft und ein solcher Kapitalismus abgelöst worden sind von einer Gesellschaft, in der die industrielle Produktion vorherrscht, wo die Landwirtschaft immer mehr ihren patriarchalischen Charakter zugunsten ihrer Industrialisierung verliert, wo der Kredit eine zentrale Rolle spielt und auf alle Beziehungen Einfluß hat, in der die Bedeutung der Vermögenseinkünfte und des vererbten Reichtums nachläßt, und in der auch die Einkünfte der Wohlhabenden durch Arbeit und Aktivität bestimmt sind, mit einer immer stärkeren Gleichberechtigung von Mann und Frau bei der Arbeit und der Verantwortung. Die Kultur breitet sich in allen Klassen aus, wie auch das Bewußtsein der gleichen Würde aller. Der technische Fortschritt bewirkt, erlaubt und verlangt eine Hebung des Lebensstandards, an dem alle teilhaben können (und müssen). Am Ende des 19. Jahrhunderts, und besonders nach dem Ersten Weltkrieg, wird der industrielle Fortschritt gefordert und mithin eine öffentlichrechtliche Intervention, sei es, um jenen Fortschritt im öffentlichen Interesse zu regulieren, sei es, um die Unzulänglichkeiten einer spontanen industriellen Entwicklung auszugleichen. Ein vornehmlich statischer und auf Grundbesitz basierender Reich-
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12. Die Objektivierung des Handelsrechts
tum wird von einem dynamischen Reichtum abgelöst, in Gestalt verschiedener Güter, die dazu dienen, Einkommen zu produzieren. Besonders seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und dann nach dem Ersten Weltkrieg wird zunehmend der staatliche Eingriff in die Wirtschaft hervorgehoben. Daraus entstehen differenzierte Rechtsbereiche für die verschiedenen Güter. Einige von ihnen werden einer speziellen Ordnung unterworfen, so daß man den Bereich der Konsumgüter von dem der unterschiedlichen instrumentellen Güter trennt; dem generellen Gebiet des Eigentums wird die Disziplin der „Produktion“ an die Seite gestellt; für die verschiedenen wirtschaftlichen Aktivitäten werden differenzierte Rechtsbereiche eingeführt, welche mal einer besonderen Normgebung unterfallen, mal direkt von öffentlichen Stellen gelenkt werden; hierbei wurde die Energieproduktion der Güterproduktion bevorzugt. Die Massenproduktion gewinnt ansehnliche Bedeutung und großen Einfluß auf die juristischen Schemata, die darauf gänzlich unvorbereitet sind. In dieses wirtschaftliche und soziale Umfeld fällt die Vereinheitlichung des italienischen bürgerlichen Gesetzbuches, 1942, befördert durch die fortschreitende Objektivierung des Handelsrechts. Die Vereinigung, die Impulse sowohl von der industriellen als auch von der landwirtschaftlichen Revolution bekommt, ist eine Antwort auf jene generelle Zweiteilung, die der Landwirtschaft einerseits Industrie und Handel andererseits gegenüberstellte, und dem Adel den Kaufmannsstand. Was ist heute das Handelsrecht? In Italien, nach der Vereinigung der beiden Kodizes, dem bürgerlichen und dem Handelsrecht im Zivilgesetzbuch von 1942, ist es nurmehr eine didaskalische, akademische und konkursbezogene Kategorie. Es ist kein autonomer Korpus von miteinander koordinierten Regeln mehr. In der juristischen Literatur, im didaktischen Regelwerk, bei einer konkursbedingten Umschichtung jedoch, tut man sich mit der Vereinigung von zivilem und Handelsrecht schwer. Der objektivistische Ansatz führt zur Idee der Einheit des Privatrechts: welchen Sinn hat es, besondere Regeln für den Verkauf aufzustellen, wenn einer der Partner ein Händler ist, und andere Regeln, wenn beide Parteien keine Händler sind? Die italienische Realität ist aus dieser Perspektive sehr interessant, denn, wenn auch die Disziplinen vereinigt sind, so gibt es doch Spuren des Dualismus bei den Verträgen. Zumeist sind diese unabhängig vom Status anwendbar, aber es gibt dennoch Verträge, die nur abgeschlossen werden können, wenn einer der Vertragspartner Unternehmer ist (z.B. Verpachtung, Versicherung; Eröffnung eines Girokontos); es gibt Vorgänge, die nur auf einen Unternehmer angewandt werden können (z.B. Konkurs); es gibt Verpflichtungen, die nur von einem Unternehmer beachtet werden müssen (z.B. Buchführung); es gibt Regeln, die Anwendung finden bei denen, die unternehmerische Aktivitäten verfolgen (z.B. die Verantwortung für das Firmenrisiko); es gibt Interpretationsregeln für Verträge, die Firmen privilegieren (Artikel 1368 C.c.). Es ist sinnvoll, zu unterstreichen, daß das Handelsrecht, als Recht der Händler, als ein Regelwerk, das weder Grenzen noch Barrieren duldet (lex mercatoria) eine Kraft hat, der es gelingt, auch große Umbrüche zu überdauern. Die französische Revolution hat die Vereinigungen unterdrückt (mit dem Dekret Le Chapelier vom
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14.6.1791) aber sie hat die Freiheit des Handels bewahrt, die bereits existierende Disziplin, die gleichen Handelsgerichte, gegen die man nicht dieselbe Aversion hegte, wie gegen die gewöhnlichen Richter.135 Das Gemeinschaftsrecht hat die Unterscheidung zwischen zivilem und Handelsrecht wenn auch nicht eliminiert so doch modifiziert: - die gemeinschaftliche Gesetzgebung ist transversal und sektoriell; - die gemeinschaftliche Gesetzgebung tendiert dazu, zwischen Beziehungen zwischen Professionellen und Beziehungen zwischen Professionellen und Konsumenten zu unterscheiden; - und trotzdem betreffen viele Gesetze im EG-Vertrag und in den anderen Quellen alle Subjekte, öffentliche wie private, was auch immer ihre Rolle sein möge; - die „Europäische Verfassung“ sorgte sich darum, Grundrechte zu instituieren, die sowohl die Privaten als auch die Professionellen betreffen; - viele Gesetze sind demnach im Zusammenhang zu sehen mit dem Status einer Person (Professioneller, Händler, Konsument, Sparer, öffentliche Einrichtung, etc.).136 Daraus ist auch eine Neuformulierung des Konzeptes des Handelsrechts entstanden.
13. Literaturhinweise Zu den ersten Verweisen vgl. V Van Canegem, I signori del diritto. Giudici, legislatori e professori nella storia europea, Milano, 1991 und Paolo Grossi, Globalizzazione, diritto, scienza giuridica, in: Foro it., 2002, V, c.163, sowie die Aufsätze, die in Europa nell' età liberale von Mazzacane und Viano, Napoli, 1994 unter Università e professioni giuridiche zusammengestellt sind. Die großen Linien der Bildung des zeitgenössischen Juristen werden deutlich in den Materiali per la riforma degli studi di giurisprudenza in: Riv.crit.dir.priv., 1991, 507 ff; siehe auch die Fallsammlung von Bessone, Casi e questioni di diritto privato, Milano, 1991; Visintini, Guida alle esercitazioni di diritto privato, Bologna, 1994; über die doktrinären Aspekte vgl. Pino, La ricerca giuridica, Padova, 1996; zur Methode und den juristischen Traditionen vgl: Alpa, Corso di sistemi giuridici comparati, Torino, 1996; Sacco und Gambaro, Sistemi giuridici comparati, Torino, 1996 und Diritto e tradizione. Circolazione, decodificazione e persistenza delle norme giuridiche, hrsg. von A. Miranda, Palermo, 2004. Die in diesem Kapitel diskutierten Probleme haben einige Werke zu Grundlage, die Meilensteine der Rechtsliteratur darstellen: H Kelsen (1960) Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang. Das Problem der Gerechtigkeit (eine erste Fassung geht auf das Jahr 1910 zurück); Herbert L A Hart, The concept of law, London, 1961; Norberto Bobbio, Giusnaturalismo e positivismo giuridico, Milano, 1965. 135
Aber man beachte auch die kritischen Beobachtungen von Bonell, M J (1992) "La moderna lex mercatoria tramito e realtà." Diritto del commercio internazionale, 315. 136 Zum Begriff des Status siehe unten Teil 3 Kapitel 2 Anm 102.
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13. Literaturhinweise
Zur aktuellen Diskussion vgl. Moccia, Du 'marché' a la 'citoyenneté': a la recherche d'un droitprivé européen durable et de sa base juridique, in: Rev.int.dr.comp., 2004, 291 ff; Ferrajoli, Diritti fondamentali. Un dibattito teorico, Roma-Bari, 2001; Donati, Giusnaturalismo e diritto europeo. Human rights e Grundrechte, Micóano, 2002; Zu einer historischen Rekonstruktion vgl. Oestreich, Storia die diritti umani e delle libertà fondamentali, Roma-Bari, 2001. Immer aktuell sind die Gedanken von Strauss, Diritto naturale e storia, Genova, 1990, der Hobbes diskutiert (Elements of Law, geschrieben 1640, aber nicht publiziert; De Cive, 1642; Leviathan, 1651); Locke, Saggio sull'intelletto umano; Due trattati sul governo, 1690; Grozio, De iure belli ac pacis, 1625 und Pufendorf, De iure naturae et gentium, 1672. Dies sind die Themen, die die Juristen derzeit beschäftigen: Compagnoni; I diritti dell' uomo, Torino, 1995; Tarello, Il realismo giuridico americano, Milano, 1963; Rouland, Antropologia giuridica, Milano, 1992. Der erste Anstoß kam von Henry Sumner Maine, Ancient law, London, 1861, vgl. hierzu: Capogrossi Colognesi, Modelli di stato e di famiglia nella storiografia dell' Ottocento, Roma, 1994, 43 ff, und: Hoebel, Il diritto nelle società primitive, Bologna, 1973. Den Ausdruck „natürliches Privatrecht“ verdanken wir dem österreichischen Adligen Franz von Zeiller, der ein Buch dieses Titels veröffentlicht hat, welches 1830 in Mailand ins Italienische übersetzt wurde. Ludwig Raiser (Il futuro del diritto privato, in: I compiti del diritto privato, 1971, ital. Übs.: Milano, 1991, 222) eröffnet die Debatte im Nachkriegsdeutschland neu; das Thema war schon von Alexandre Kojéve (Linee di una fenomenologia del diritto, 1943, ital. Übers.: 1989, 135 behandelt worden. Adolf Reinach sprach schon von „juristischen Einrichtungen, die unabhängig von gesetztem Recht existieren“, 1913, ital. Übers.: 1990, 8. Das Problem der Kodifizierung wird umfassend behandelt bei: J L Halpérin, L' impossible Code civil, a.a.O., 108 ff; Die Debatte über die Gefahren der Kodifizierung geht auf F von Savigny zurück, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Heidelberg, 1814, der Text wurde ins Italienische übersetzt für eine Veroneser Ausgabe von 1857. Er wurde wieder übersetzt von G Marini im Band von A F Thibaut – F C Savigny, La polemica sulla codificazione, Napoli, 1982. Vgl. auch Rodotà, Il terribile diritto, Bologna, 1980. Zu den kodifizierten Modellen vgl: G. Solari, L'idea individuale e l' idea sociale nel diritto privato. Parte I: L'idea individuale, Torino, 1911; von G Solari – Lehrer von N Bobbio – gibt es dagegen die Neuauflage von La filosofia politica, Roma-Bari, 1974. Vgl. zuletzt G Alpa, Storia del diritto civile italiano, a.a.O. Kapitel V). Sehr diskutiert wird: A J Arnaud, Les origines doctrinales du Code civil français, Paris, 1969; über Arnaud vgl: Tarello, A proposito del Code Napoléon, jetzt in: Cultura giuridica e politica del diritto, Bologna, 1988, 122 ff.) Gioele Solari handelt über den Code civil, den preußischen und den österreichischen Kodex in einem seiner berühmtesten Werke, L'idea individuale e l' idea sociale nel diritto privato. Parte I L'idea individuale, G Solari, a.a.O., 170 ff. Wir werden davon noch handeln. (Vgl. den postumen Text mit dem Titel Socialismo e diritto privato. Influenza delle odierne dottrine socialiste sul diritto privato, 1906, in der Ausgabe von P Ungari, Milano, 1980). Zum Thema Familienrecht vgl. G
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Alpa, M Bessone, A D’Angelo, G Ferrando, M R Spallarossa, La famiglia nel nuovo diritto, neue Ausgabe, Bologna, 1998 (und, natürlich Fenet, Récueil complet des travaux préparatiores de Code civil, Paris, t. XII, 1836, 318), sowie P Grossi, Assolutismo giuridico e diritto privato, Milano, 1998, 428. Wie bekannt ist, sind die Primärquellen des Code Napoléon von der romanischen Tradition, von den Gepflogenheiten und von Domat und Pothier, den beiden „vulgarisierenden Juristen“, wie sie Crome nannte, gegeben. (Les Similitudes du Code civil allémand et du Code civil français, in: Livre du Centenaire, a.a.O., 605, von Crome vgl. auch: Parte generale del diritto privato francese moderno, Übs. und Anmerkungen von A Ascoli e F Cammeo, Milano, 1906, 6);vgl. auch Alpa, Istituzioni di diritto privato, 2. Ausgabe, Torino, 1997, 792. Die großen Hermeneutiker haben den Code Napoléon als willkommene Werkstatt angenommen: vgl. Gény, La techique législative dans la Codification civil moderne (à propos du Centenaire du Code civil) in: Livre du Centenaire, Paris, 1904, 991. Zur Interpretation des Gesetzes vgl. die Werke von Betti und über diesen vgl. jetzt die Aufsätze, die von G Crifò unter dem Titel Diritto, metodo, ermeneutica, Milano, 1991 veröffentlicht wurden. Zu seinen hermeneutischen Theorien vgl. Griffero, Interpretare. La teoria di Emilio Betti e il suo contesto, Torino, 1988; zum juristischen Realismus Tarello: Il realismo giuridico americano, Milano, 1962. Sacco stellt die gesamte Problematik hervorragend dar, vgl. seine Darstellung zur Interpretation im Trattato di diritto civile, Hrsg.: Sacco, Band 2, Torino, 1998); vgl. auch Zaccaria, L’arte dell’interpretazione. Saggi sull’ermeneutica giuridica contemporanea, Padova, 1990; Viola und Zaccaria, Diritto e interpretazione. Lineamenti di teoria ermeneutica del diritto, Roma-Bari, 1999. Aber auch die Meinung von Astuti ist ein essenzieller Bestandteil der Debatte: Il “Code Napoléon” in Italia e la sua influenza sui codici degli Stati italiani successivi, in: Tradizione romanistica e civiltà giuridica europea, Napoli; 1984, I, 728; Nicolò, Codice civile, ein Artikel in: Enc.dir., Band VII, Milano, 1960, 240 ff.; Rodotà, Il terribile diritto, a.a.O.; Irti, Codice civile e società politica, RomaBari, 1995; Tarello, Codice, Artikel in: Enc. giur, Roma, 6; Ghisalberti, La codificazione del diritto in Italia, Roma-Bari, 1978.; Mengoni, I cinquant’anni del Codice civile: considerazioni sulla parte generale delle obbligazioni, in: Scritti in onore di R Sacco. La comparazione giuridica alle soglie del terzo millennio, Milano, 1994, II, 752; Petronio, La concezione di Code civil fra tradizione e innovazione (mit einem Hinweis auf seine postulierte „Vollständigkeit“) in: Quad. Fior., 1998, Nr. 27, 96 ff. Im selben Sinne hatten sich bereits Gény, a.a.O., 1002 ff, dort auch umfassende Verweise auf die coutûmes, auf die revolutionären Gesetze, auf die Projekte von Kodizes, und Tunc, The Grand Outlines of the Code, in: The Code Napoleon and the Common Law World, hrsg. von B. Schwarz, New York, 1956, 19) geäußert. Die vorbereitenden Arbeiten zum Code Napoléon sind dargestellt in: Fenet, Récueil complet des travaux préparatoires du Code civil, a.a.O. Band IV, 36. Zum deutschen BGB vgl. O. von Gierke, Das bürgerliche Gesetzbuch und der deutsche Reichstag, Berlin, 1896, 13-14 und Müller, Le Code civil en Allemagne.
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13. Literaturhinweise
Son influence générale sur le Droit du Pays, son adaptation dans les pays rhénans, in: Livre du Centenaire, a.a.O., 627 ff.; weiter Gény, a.a.O., 1025, aber auch Ghestin, Traité de droit civil. Introduction générale, unter Mitwirkung von Goubeaux und Fabre-Magnan, Paris, 1994, 5, und Zeiller Il Diritto privato naturale, ital. Übs. Milano, 1830. Die Geschichte der deutschen Kodifizierung ist meisterhaft zusammengefaßt bei: Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, ital. Übers. Storia del diritto privato moderno, Milano, 1980; und K Larenz und C W Canaris (1995) Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1. Aufl. in ital. Übers. ersch. als K Larenz, Storia del metodo nella scienza giuridica, Milano, 1966. Zur Aktualisierung des BGB vgl. jetzt Giovanni Adezati (1993) "Introduzione a Larenz, Saggio introduttivo al BGB" Vita notarile 2 1090; A Somma, La “purificazione” del sistema giuridico: riflessioni su un percorso tedesco, in: Vita not., 1993, I, 1116. Die Debatte über die Kodifizierung ist in Italien noch immer im Gange: vgl. Natalino Irti, Leggi speciali (dal mono-sistema al polisistema), in: Riv.dir.civ., 1979, I, 141 ff; Paolo Grossi in: Codici, Hgg. P Cappellini e B Sordi, Milano, 2002, 599; Patti, Tradizione civilistica e codificazioni europee, in: Riv.dir.civ., 2004, I, 521 ff.; I cento anni del codice civile tedesco in Germania e nella cultura giuridica italiana, Hrsg.: G.Cian, 2002; Cian, Significato e lineamenti della riforma dello Schuldrecht tedesco, in Riv.dir.civ., 2003, I, 5; von Cian darüber hinaus: La figura generale dell’obbligazione nell’evoluzione giuridica contemporanea fra unitarietà e pluralità di statuti, in: Riv.dir.civ., I, 2002, 421 ff. Cian, La riforma del B.G.B. in materia di danno immateriale e di imputabilità dell’atto illecito, in: Riv.dir.civ., 2003, II, 125 ff.; Schulte-Noelke, Ein Vertragsgesetzbuch für Europa? In: JZ, 2001, 917 ff; Dauner-Lieb, Vers un droit européen des obligations? Enseignements tirés de la riforme allemande du droit des obligations, in: Rev. int.dr. comp., 2004, 559 ff. Die Zweihundertjahrfeier des Code Napoléon hat die Debatte über seine Aktualität neu entfacht: Code civil des Français, 1804, hrsg. von J D Bredin, Paris, 2004; Le Code civil, 1804-2004. Livre du Bicentenaire, (Paris, 2004) hrsg. vom Kassationsgerichtshof, vom Stand der Anwälte beim Anwaltsverein beim Conseil d’Etat und von der Vereinigung Henri Capitant. Auch: 1804-2004. Le Code civil. Un passé, un présent, un avenir (Paris, 2004), organisiert von der Universität Panthéon-Assas (Paris II); Gaudemet, ebda., 297 ff.; Malarie, a.a.O., 1 ff.; Terré, ebda, 899 ff.; Carbonnier, a.a.O., 1045 ff.; Leveneur, ebda, 925 ff.: Favoreu, La constitutionnalisation du droit, in: Melanges Drago, Paris, 1996, 25 f. Zoller, a.a.O., 988 ff.). Tallon, a.a.O., 1002. Dazu auch die kritischen Anmerkungen von Bonell, La moderna lex mercatoria tramito e realtà, in: Dir.comm.int., 1992, 315 ff. Vgl. zum Schluß Rodotà, Il codice civile e il processo costituente europeo, in: Riv. crit. dir. priv., 2005, Nr. 1; Joergens, Cosa resta della costituzione economica europea? in: Riv. crit. dir. Priv., 2005, Nr. 1; Giusitizia sociale nel diritto contrattuale europeo: un manifesto, in: Riv. crit. dir. Priv., 2005, Nr.1.
Teil 2: Das Europäische Privatrecht
„Die Zeit ist gekommen, die hinderlich gewordenen alten Bürden abzustreifen und bereit zu sein für das Neue, das so anders als alle Erwartung über uns kommt. Eine Zeit, die Unfähigen zu den Alten zu tun und neue Energien bei den Jungen zu wecken. Heute suchen und finden sich diejenigen, die die Gründe der gegenwärtigen Krise der europäischen Zivilisation gesehen haben und beginnen, die Zukunft zu gestalten. Sie sammeln das Erbe aller Erhebungen der Menschheit, die gescheitert sind, weil sie nicht verstanden hatten, welches Ziel es zu erreichen galt, oder wie die Mittel beschaffen sein mußten, um es zu erreichen. Der Weg, den es zu beschreiten gilt, ist nicht einfach oder sicher, aber er muß und wird beschritten werden.“ Altiero Spinelli, Ernesto Rossi, Eugenio Colomi Per un' Europa libera e unita, Ventotene, 1941.
Kapitel 1 Bedeutung und Grenzen
Inhalt: 1. Das Europäische Privatrecht – 2. Einige grundlegende Fragestellungen – 3. Technische und rechtspolitische Weichenstellungen – 4. Das Verbraucherrecht als erster Kern des Europäischen Privatrechts – 5. Der „acquis communautaire“ – 6. Die Resolutionen des Europäischen Parlaments zum Vertragsrecht – 7. Initiativen für die Redaktion eines Europäischen Zivilgesetzbuches – 8. Probleme der Redaktion – 9. Die Mitteilungen der Europäischen Kommission zum Vertragsrecht – 10. Die neuen Mitteilungen – 11. Literaturhinweise
1. Das Europäische Privatrecht Zu Beginn wurde eine provisorische Definition des Begriffs „Europäisches Privatrecht“ vorgeschlagen (European private law, droit privé européen, derecho privado europeo, Europäisches Privatrecht). In der Literatur findet man auch andere Ausdrücke, beispielsweise wird das Adjektiv „europäisch“ nicht auf den Inhalt, sondern auf die Hülle bezogen, wie es bei der European Review of Private Law, herausgegeben von E.H. Hondius und M.L. Storme der Fall ist; bei anderen Gelegenheiten bezieht man sich auf lateinische Ausdrücke, wie „scripta iuris europei“, die man beim ERA1-Forum, im Band 2-2002, der dem Europäischen Vertragsrecht gewidmet ist, findet; ein anderes mal werden Ausdrücke benutzt, die auf die Konvergenz der Rechtsordnungen anspielen, wie „ius commune casebooks on the Common law of Europe“, was der Titel einer Reihe ist, in der die Sammlung von Cases, Materials and Text on Contract Law von H. Beale, A. Hartkamp, H. Koetz, D. Tallon2 erschienen ist. Man spricht auch von einem ius commune europaeum oder von einem novum ius commune europaeum, das in der Nachfolge des mittelalterlichen ius commune und auf der Ebene der privaten Beziehungen steht. Der Gegensatz wäre das ius publicum europaeum, von dem Carl Schmitt in seinem Hauptwerk über den Nomos der Erde im Zusammenhang mit den Ursprüngen des internationalen öffentlichen Rechts und des Seerechts handelte. Oder man spricht auch vom „new European Private Law“, um darauf hinzuweisen, daß das Privatrecht in den europäischen Ländern aus einer neuen Kultur entsteht, welche sich in der europäischen Rechtswelt bildet.3 1
Europäische Rechtsakademie Trier. Beale H, Hartkamp A, et al. (2002) Cases, materials and text on contract law, Hart Publishing, /www.casebooks.eu/contract/. 3 Hesselink M W (2002) The new European private law, essays on the future of private law in Europe. 2
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1. Das Europäische Privatrecht
Aber es sind mittlerweile auch stärker umschriebene Bedeutungen verbreitet, welche den Vergleich von Gesetzen in den einzelnen Sektoren des Privatrechts betreffen. Dies wird von einigen deutschen Gelehrten vorgeschlagen, deren Werke auch ins Englische übersetzt sind, so z.B. das European Contract Law von H. Koetz und A. Flessner (1997)4 und The Common European Law of Torts von Ch.v. Bar (1998 und 2000).5 Der Gebrauch des Adjektivs „europäisch“ führt den Interpreten in mehr oder weniger weitläufige Gebiete, mehr oder weniger bekannte, je nach dem Kontext, in dem der Ausdruck benutzt wird. In den meisten Fällen bezieht man sich auf die am wenigsten verbindliche Bedeutung, auf einen „schwachen“ Begriff, mit dem man Regeln (das heißt schriftliche Äußerungen, Praktiken, Modelle der Rechtsprechung, Prinzipien) bezeichnet, die in den Ländern Europas, verstanden als geographischer Begriff, als Regeln verstanden werden, die zum Privatrecht des jeweiligen Landes gehören. Aber es gibt auch „stärkere“ Bedeutungen, in denen das Adjektiv „europäisch“ zunächst mit Handlungen der Gemeinschaft und dann der EU in Verbindung gebracht wird.6 In diesem Kontext ist „Europäisches Privatrecht“ ein Begriff, unter dem die formale Umhüllung – also die juristischen Aspekte – des gemeinsamen Wirtschaftsraumes verstanden wird, sei es als materielles (der sogenannte europäische Rechtsraum), oder Prozeßrecht (der sogenannte europäische Rechtsprechungsraum). Gleichzeitig schließt man andere Bereiche ein, die mit dem Verfassungsrecht zu tun haben, mit den Zivilrechten und generell mit der „Europäischen Staatsbürgerschaft“. Diese Bedeutungen haben ein „doppeltes Gesicht“, je nachdem ob ihr Inhalt das Produkt einer Analyse ist, die das untersuchte Phänomen von innen oder von außen betrachtet. Unter den am meisten benutzten Bedeutungen möchten wir folgende hervorheben: (i) Die Bedeutung, die die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts bezeichnet, die den Einzelnen (natürliche und juristische Personen) und die Beziehungen zwischen Privaten betreffen (seien diese nun Bürger Europas oder der der Union angegliederten Staaten) und außerdem die Institutionen des Privatrechts, die von den Organen der Europäischen Union geschaffen wurden, oder ihnen zugehörig sind. Es werden also alle Bestimmungen der Verträge und die anderen Quellen des Gemeinschaftsrechts erfaßt, mit denen die Institutionen und Beziehungen geregelt werden, welche nach dem in der europäischen Rechtskultur verwurzelten Gebrauch zum Gebiet des Privatrechts gehören; in der Innensicht handelt es sich
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(Vol. 1), erschienen bei Clarendon Press. Bar C v (1998) The common European law of torts, volume one: The core areas of tort law, its approximation in europe, and its accommodation in the legal system; ders. (2000) The common European law of torts, volume 2: damage and damages, liability for and without personal misconduct, causality, and defences. 6 [Im Deutschen ergibt sich hieraus auch die Frage der Groß- oder Kleinschreibung des Adjektivs „europäisch“. Wir haben uns hier für eine Großschreibung entschieden, wenn, wie im letztgenannten Falle, eine Verbindung des Subjektivs mit der EU oder EG im weiteren Sinne verbunden ist, sowie zur Kennzeichnung des Europäischen Privatrechts als generelles Thema des vorliegenden Werkes.] 5
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dabei um Gesetze, die die Organe der Gemeinschaft nach und nach erlassen, je nach Notwendigkeit, nach den Programmen, die sie auflegen, nach den Erfordernissen, die die politische, wirtschaftliche und soziale Situation der Union und der wichtigsten Länder oder Staatsführer vorgibt; von außen betrachtet handelt es sich um Vorschriften, die die einzelnen Sektoren, welche oftmals untereinander nicht koordiniert sind, regeln sollen. (ii) Die Bedeutung, die im Bereich der Rechtsordnung eines Mitgliedstaates der Europäischen Union die Gesamtheit aller Gemeinschaftsregelungen umfaßt, die sich aus den unmittelbar gültigen Vorschriften zusammensetzt und aus den Gesetzen zur Durchführung von Gemeinschaftsrichtlinien, sowie aus den anderen Quellen des Gemeinschaftsrechts; sodann Bestimmungen, die durch nicht ausgeführte, aber ausreichend detaillierte und präzise Richtlinien eingeführt werden, so daß sie Rechte verleihen können, die für den einzelnen einklagbar sind;7 Prinzipien des Gemeinschaftsrechts, die sich in den nationalen Rechtsvorschriften wiederfinden; Rechtsprechungsmodelle, die von den Juristen der Gemeinschaft anerkannt sind; wenn man sie aus einer internen Perspektive betrachtet, so fragt man sich, ob sich diese EG-Vorschriften – auch wenn sie ein integrierter Bestandteil der nationalen Rechtsordnungen sind – eine Eigenart bewahrt haben, im Vergleich zu denjenigen Rechtsvorschriften, die von den eigenen Gesetzgebungsorganen der Mitgliedstaatesn entworfen wurden, ob sie als „corpus“ per se angesehen werden können, und somit, ob sie nach einer Interpretation verlangen, die ihrem Ursprung Rechnung trägt und mit anderen Vorschriften gleichen Ursprungs koordiniert werden kann; von einer externen Warte aus gesehen entspringen aus diesen Gesetzen die Harmonisierungsprobleme (und die der Harmonisierungsniveaus) der nationalen Ordnungen, die Probleme der Subsidiarität und der Proportionalität; (iii) Die Bedeutung, die auf die Komplexität der Traditionen, der Werte, der Prinzipien anspielt, die man als der europäischen Rechtskultur eigen betrachtet, und auf deren Basis die Kodifizierungen und das case law möglich waren, die den Boden für die Verfassungen und die Verfassungsprinzipien bilden, auf denen die Europäische Union basiert; in der Innensicht basiert der Großteil der europäischen Gesetze auf diesen Regeln; von außen betrachtet stellen sie unterschiedliche Modelle dar, sei es aus der Perspektive der Kohäsion (einheitliche Modelle, gemischte Modelle), sei es von ihrer historischen Entstehung her gesehen, oder aus der Perspektive des linguistischen, konzeptionellen und operativen Apparats, Modelle, welche dennoch durch innere und äußere Impulse untereinander konvergieren, so daß für den Betrachter die Aspekte der Überlagerung, des Kontaktes, der Ähnlichkeit gegenüber den unterscheidenden Aspekten überwiegen. Die Phänomene, auf die die drei aus einer mittlerweile überbordenden Literatur entnommenen Bedeutungen anspielen, und die die Frucht sowohl von individuellen als auch von Gruppenrecherchen, von Studienzentren, nationalen und internationalen Initiativen sind, sind nicht das Ergebnis von Abstraktion oder idealer Konstruktion, sondern reale und existierende Erfahrung: dieses Thema wurde durch viele Dokumente der Gemeinschaft aufgewertet, generelle und spezifische. Es genügt, unter anderen, die entsprechenden Mitteilungen der Europäischen Gemeinschaften zu erwähnen, die das Vertragsrecht (KOM (2001) 398, endg.) und das Verbraucherrecht (KOM (2001) 531, endg.) betreffen, und sich mit Obligationen und Verträgen befassen; diesen muß man mindestens den Komplex der Richtlinien über die persönlichen Daten, den elektronischen Handel, die Zahlungssysteme, die Telekommunikation, und die Umwelt hinzufügen; schließlich auch die Richtlinien, die die gemeinschaftlichen normativen Interventionen bei Bankgeschäften koordinieren, und die Projekte der koordinierten Regelung von Finanzvermittlungen, Versicherungen, Handelsgesellschaften, Vereinigungen, Selbständigen. 7
Sog. unmittelbare Wirkung, direct effect.
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1. Das Europäische Privatrecht
Die normativen Quellen, die das Europäische Privatrecht in den Bedeutungen unter (i) und (ii) ausmachen, sind also bereits gültig, und der Prozeß, der die Bildung des Europäischen Privatrechts in Gang gesetzt hat, ist nunmehr irreversibel.8 Dieser Prozeß ist außerdem zirkulär. Es ist eine altbekannte Tatsache, daß der Großteil der Bestimmungen, die heute Teil der Verträge der Gemeinschaft sind, und die durch die Rechtsquellen der Gemeinschaft geschaffen wurden, Terminologien, Konzepte, Einrichtungen widerspiegeln, die zu den Kulturen und mithin den Ordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten gehören. Ebenso altbekannt ist es, daß man in jeder Kultur Bruchstücke, Prinzipien, Konzepte anderer Kulturen finden kann, die der betrachteten fremd sind, aber trotzdem ein Teil von ihr geworden sind, weil sie im Recht eines Staates ausgeführt wurden. Es ist hingegen nicht selbstverständlich, sich zu fragen, ob diese eng miteinander verbundenen Phänomene, die nach allgemeiner Auffassung gemeinsame Traditionen, Werte, Prinzipien repräsentieren, es zulassen, diese Traditionen, Werte und Prinzipien in einer Art umfassendem und ordnendem Bild, welches mit der notwendigen Relativität und Plastizität ausgestattet ist, zu identifizieren; ob es möglich, nützlich oder sogar notwendig ist, daß diese Traditionen, Werte und Prinzipien in Restatements oder Modellkodizes oder direkt in einem bürgerlichen Gesetzbuch gesammelt werden – wie es bei der Grundrechtecharta der Europäischen Union der Fall war, und wie man es heute, für den EU-Verfassungsvertrag vorschlägt.9 (iv) Es ist die jüngste der Bedeutungen, mit der man eben auf die neuen normativen Modelle anspielen möchte, in denen die unterschiedlichen Rechtsordnungen, die Teil der EU sind, konvergieren: das Europäische Privatrecht als Normensammlung, in dem die unterschiedlichen Erfahrungen der Mitgliedstaaten deutlich werden, und welche das Europäische Öffentliche Recht, das in den gemeinsamen Verfassungsprinzipien, in den Vertragsprinzipien, in der Grundrechtecharta und, demnächst, im Reformvertrag dargestellt ist, integrieren kann – all dies selbstverständlich konform zum Verfassungsrecht der einzelnen Mitgliedstaaten. Denn um den Regeln des Europäischen Privatrechts mehr Sicherheit und Effektivität zu geben, ist es notwendig, sie zu koordinieren und in ein homogenes Bild einzufügen: ein Bild, welches man in den verschiedenen vorstellbaren Entwicklungsstadien mit einheitlichen Interpretationsansätzen bestätigen kann, das man mit einem Rahmen von Prinzipien ausstatten und ad hoc mit generellen und umfassenden Regeln definieren kann. Darüber hinaus muß man darauf hinweisen, daß sich in einigen Staaten ein Phänomen herausbildet – von dem man bislang nur Indizien erkennt – welches die Durchdringungskraft der Gemeinschaftsgesetzgebung jenseits ihrer Grenzen signalisiert. Es handelt sich, um nur eines der zahlreichen Beispiele anzuführen, um die Anwendung der Grundsätze des Verbraucherschutzes gegenüber Geschäftsleuten auch auf Subjekte, die nicht unbedingt die Merkmale eines „Verbrauchers“ er8
Siehe im Besonderen Scalisi V (2002) Codice di diritto privato europeo. Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, CIG 14/07, vom 3. Dezember 2007 Deutscher Text. z.B. auf der Website des Auswärtigen Amtes http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Europa/LissabonVertrag/Uebersicht.html
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Teil 2 Kapitel 1 Bedeutung und Grenzen
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füllen, sondern entweder eine Vereinigung sind, die nicht gewinnorientiert ist und keiner wirtschaftliche Aktivität im strengen Sinne nachgeht, oder die Geschäftsleute in einer sozusagen „schwachen“ Position sind, im Vergleich zu ihrem Gegenüber.10 Das Europäische Privatrecht ist darüber hinaus mit einer anderen Angelegenheit betraut, die auf der Ebene des öffentlichen Rechts beheimatet ist, aber mit der Entwicklung des Privatrechts interferiert: die direkte Anwendung der Charta der Rechte von Nizza, die in der Europäischen Verfassung eingeschlossen werden sollte.11
2. Einige grundlegende Fragestellungen Die Fragen, die sich den Rechtsanwendern stellen, sind also vielfältig. Da es sich um Phänomene im Entwicklungsstadium handelt, muß sie der Jurist – und der Anwalt im Besonderen – aufgreifen und versuchen, sie innerhalb seiner Aktivitäten in die Kategorien seiner Kultur zu übersetzen, also in ein System von Beziehungen, welches die tradierten Begriffe, die Instrumente seines Fachs, die Aktualisierungen und die Anpassungen einer sich verändernden Realität verbindet. Aber die Rolle des Juristen ist nicht nur statisch, sondern auch dynamisch, denn er kann vermittels seiner Repräsentationsorgane auf die sich entwickelnden Phänomene Einfluß nehmen.12 Um diese Phänomene nun zu dechiffrieren, muß man einige Themen herausgreifen. Die Individualisierung variiert von Autor zu Autor und ist sicherlich willkürlich. Als erstes kann es nützlich sein, auf die Fragen hinzuweisen, die in den kulturellen Umfeldern diskutiert werden, wo man sich mit der Materie befaßt. Man kann daher einige „Pole“ oder Gruppen von Fragen näher betrachten, um die sich die Debatte bewegt. Die Traditionen, die Werte, die Prinzipien, die Privatautonomie und die öffentliche Intervention, die Harmonisierungsmodelle und die Techniken, um sie zu realisieren. Einige Grundfragestellungen: 2.1 Traditionen -
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Müssen diese in ihrem historischen Prozeß rekonstruiert werden, indem man ihre Entstehung und die zahlreichen Interpolationen und Kontaminierungen, die Verpflanzungen und Imitationen in Betracht zieht, die sie kennzeichnen? Soll man sie, obgleich sie zum kulturellen Erbe einer Nation (oder einer Gruppe innerhalb einer Nation, oder übernationalen Gruppe) gehören, als Geschichte und Erinnerung betrachten, oder sollten sie nicht vielmehr dazu dienen, die Zukunft der Vereinheitlichung des Europäischen Privatrechts zu
Siehe hierzu auch unten Teil 3 Kapitel 1, 5. Hierzu ausführlich oben Teil 1 Kapitel 3. 12 Siehe hierzu näher unten Teil 3 Kapitel 2, 6. 11
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2. Einige grundlegende Fragestellungen
bestimmen, verstanden in seiner modernsten Begrifflichkeit wie soeben angesprochen? Sind sie, wenn sie zum Bereich des Rechts gehören, wirklich Teil, essentielles Element, unvergängliches Merkmal einer nationalen Identität, oder sind sie nicht vielmehr Epiphanien einer Kultur der Juristen? Übt die Tradition einen Einfluß auf die aktuellen Regelwerke aus, dergestalt, daß sie als ein diesen wesensgleicher Faktor betrachtet werden muß, so daß das Phänomen des Europäischen Privatrechts, daß man heute diskutiert, nicht nur das direkte Erbe des „diritto comune“ (Was ist damit gemeint?) vergangener Jahrhunderte sein kann, sondern sogar dasselbe Phänomen im neuen Kleid ist und deswegen einem Neuen Europäischen Privatrecht Platz macht?
2.2 Werte und Prinzipien -
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Kann man jenseits der geschriebenen oder vom case law gegebenen Regeln gemeinsame Werte erkennen, die hinter den Regeln stehen, die auf sie ausstrahlen und ihren „humus“ konstituieren? Kann man diesen Werten, die – in den Kategorien des modernen Rechts – ihren Ausgang bei der Anerkennung der Würde der Person und den persönlichen Freiheiten nehmen, um im Weiteren die Arbeit, das intellektuelle Leben, die Freiheit zu wirtschaftlicher Initiative, das Eigentum zu umfassen, eine hierarchische Ordnung geben, dergestalt daß man auch im Europäischen Privatrecht zu einer Art von Drittwirkung kommen kann, wie sie in einigen nationalen Ordnungen angelegentlich der Verfassungsgesetzgebung auf die privaten Beziehungen angewandt wird?13 Wie soll man das Problem der Laizität der Ordnung (und damit des Europäischen Privatrechts) im Verhältnis zur „res publica Christianorum“ lösen? Wie soll man das Problem des Vorrangs der personenverbundenen Werte gegenüber denjenigen Werten, die mit dem Handel verbunden sind lösen?
2.3 Harmonisierungsprobleme -
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Soll die Harmonisierung auf dem Wege der „natürlichen“ Evolution der Wirtschaftsbeziehungen fortschreiten, mithin ohne Interventionen der Gemeinschaft? Kann die Harmonisierung mit dem Subsidiaritätsprinzip kompatibel sein? Kann sie zur Einführung von Schutzmodellen der Interessen, die vom Markt vernachlässigt werden, dienen, und so eine unabdingbare Basis konstituieren, deren Grenzen von den staatlichen Gesetzgebern nicht unterschritten werden dürfen?
Vgl. oben Teil 1 Kapitel 4, 11.2. mit Anm 113.
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Soll die Harmonisierung schrittweise und nach Sektoren vorgehen, oder kann sie ganze Abteilungen des Privatrechts betreffen? Soll sie auf der Basis eines generellen Regelwerks voranschreiten, innerhalb dessen die einzelnen Rechtsbereiche ihren gewohnten Platz einnehmen? Kann man letztendlich von normativen „corpora“ ausgehen, mit der Struktur von „Kodizes“ (oder einheitlichen Texten)?
2.4 Öffentliche Intervention und Privatautonomie Ist der Markt das einzige Regelmodell für Privatbeziehungen? Können Selbstverwaltung und Selbstregulierung die Bedürfnisse eines gemeinsamen Marktes zur Gänze befriedigen? - Soll durch gemeinschaftliche Intervention versucht werden, gleiche und gerechte Beziehungen herzustellen? - Soll die gesetzgeberische Intervention zum Zwecke der Harmonisierung auf dem höchsten erträglichen Niveau angesiedelt werden, oder soll man den einzelnen Staaten größere Freiräume geben, damit sie die Gesetze an ihre inneren Notwendigkeiten anpassen können? Es gibt einen roten Faden, der die Geschichte der Traditionen mit dem geltenden Recht in den einzelnen Ländern, den Modellen der Gemeinschaft und den Vorhaben zur Vereinheitlichung verbindet: es ist die Aufgabe der beiden Säulen des Rechts der Europäischen Union, der Europäischen „Verfassung“ und des Europäischen Privatrechts (wie auch immer es dechiffriert und dargestellt wird), diesen Faden zu bewahren und zu stärken. -
3. Technische und rechtspolitische Weichenstellungen
3.1 Vorbemerkung Das Gemeinschaftsrecht ist eine der Grundlagen des Europäischen Privatrechts, sei es wegen der Regeln, die, aus unterschiedlichen Rechtsquellen abgeleitet, dazu bestimmt sind, die Beziehungen zwischen Privaten zu regeln, sei es wegen der Reflexionen, die in die nationalen Rechte von den Prinzipien, welche man aus dem Gemeinschaftsrecht selbst gewinnen kann, hervorgerufen wurden. Kritische Analysen der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialpolitik dieses Regelgeflechts sind weniger in Italien als in anderen Mitgliedstaaten verbreitet. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß das „Gemeinschaftsrecht“ nicht als eine ausgearbeitete und illustrierte „Ordnung“ im Sinne der nationalen Ordnungen verstanden werden kann: es unterscheiden sich die Quellen, es unterscheidet sich der Bezug zum Staat, es unterscheidet sich die politische Einheit, es unterscheiden sich die Kriterien der Interpretation der Gesetze, und, solange eine Europäische „Verfassung“,
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3. Technische und rechtspolitische Weichenstellungen
bzw. der Reformvertrag, nicht in Kraft ist, bemüht man sich, einen Stufenbau zu konstruieren, um der gemeinschaftlichen Ordnung eine Struktur zu geben. Nimmt man die ganze Problematik der Beziehungen zwischen übernationaler und nationaler Ordnung hinzu, die zunächst widerstrebenden, dann unklaren Ausrichtungen, die am Ende nicht immer sehr von der Rechtsprechung der Verfassungsgerichtshöfe der Mitgliedstaaten überzeugt sind, und auch die Techniken der Übersetzung der Richtlinien in die Sprachen der Mitgliedstaaten, die Ausführung der Richtlinien und ihre Interpretation – sei es seitens des Gerichtshofs, sei es seitens der nationalen Richter – dann bildet sich ein Komplex von Kräften, die manchmal zentripetal, manchmal zentrifugal sind, und Wasser auf die Mühlen der „Euroskeptiker“. Diese letzteren lassen sich dann einordnen in nationalistische „Euroskeptiker“, wenn sie ihr nationales Recht vorziehen, insofern dieses Traditionsträger ist, und die ihre Geschichte und Modelle vom Fortschreiten des Gemeinschaftsrechts (schlimmer noch, vom Europäischen Privatrecht) bedroht sehen; in liberalistische „Euroskeptiker“, die die Intervention, ja die Einmischung des Gesetzgebers der Gemeinschaft in die Dynamik der ökonomischen Beziehungen fürchten, welche hingegen einzig von ihrer spontanen Entwicklung geleitet werden sollen; in radikale „Euroskeptiker“, die im Gegenteil im Gemeinschaftsrecht entweder die Kodifizierung von Schutzgesetzen für die Interessen der großen Wirtschaftsmächte sehen, zu Lasten der Interessen der Schwachen, oder auch die Gefahr der Verlangsamung oder Unterdrückung der sozialen Entwicklung der inneren Ordnungen, und in jedem Fall eine Gleichmachung der Ordnungen. Selbstverständlich muß man viele dieser Kritiken ernst nehmen, so daß auch die „Euroenthusiasten“ verstehen, daß dieses historische, politische, wirtschaftliche und vor allem juristische Phänomen mit Vorsicht betrachtet werden muß. Hieraus erklärt sich das Interesse an den Beiträgen, die sich nach und nach in der juristischen Literatur ansammeln, und die uns helfen, über das Gemeinschaftsrecht und mithin über das Europäische Privatrecht nachzudenken. 3.2 Die kritische Interpretation Eine der eindringlichsten kritischen Analysen des Gemeinschaftsrechts, die weniger darauf ausgelegt ist, die Einengung des Marktes herauszustellen, sondern im Gegenteil, auf dessen geringe Sensibilität für die sozialen Aspekte dieses Rechts abhebt, kommt aus der angelsächsischen Welt von Ian Ward.14 In seiner kritischen Einführung geht Ward von der Feststellung aus, daß das Gemeinschaftsrecht einer äußerst schnellen Veränderung unterworfen ist – und es wäre aus dieser Perspektive interessant, sich zu fragen, ob man das gleiche Phänomen auch in den nationalen Rechtsordnungen beobachten kann, und zwar unabhängig von den Impulsen, die diese von der supranationalen Gesetzgebung erhalten. Er unterstreicht auch einen anderen innovativen Aspekt dieses Regelkorpus: die Tatsache, daß es seine Ursprünge auf dem Gebiet des öffentli14
Ward I ( 2003) A critical introduction to European law.
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chen Rechts hat, und sich dann nach und nach auf das „substantive law“ (materielles Recht, ein Begriff, mit dem Ward auf das Privatrecht anspielt) ausgedehnt hat. Mehr noch, Ward stellt fest, daß das Gemeinschaftsrecht auf einer zusammenhängenden und überzeugenden Philosophie beruht, die durch politische Entscheidungen genährt wird. Ein Aspekt, der von den Gelehrten häufig unbeachtet bleibt. Seine Forschung zielt darauf ab, die Aporien und Ungerechtigkeiten des Gemeinschaftsrechts aufzudecken, und, indem er es gewissermaßen von außen betrachtet, deckt er sogar die metajuristischen Aspekte auf, denn – genau wie jedes andere Rechtssystem – kann eine juristische Analyse des Gemeinschaftsrechts nur Bestand haben, wenn sie auch die historische, politische und philosophische Analyse und die anderer Disziplinen berücksichtigt. Von einem juristischen Standpunkt aus betrachtet, entsteht und entwickelt sich das Gemeinschaftsrecht mit dem Aufkommen der Idee eines geeinten Europa. Läßt man die historischen Ereignisse, die Unternehmungen der großen Führer, oder die Ideale, die die Römischen Herrscher inspiriert hatten, das Papsttum, Karl den Großen und alle anderen, die die Vereinigung der Regionen, die Westeuropa ausmachen, zum Ziel hatten, außer acht, so kann man auch in der Philosophiegeschichte einige Theoretiker der Einheit Europas finden: Leibniz, der im Codex Iuris Gentium eine öffentliche, pan-europäische Philosophie entwickelte, Kant der in seiner Schrift „Pace perpetua“ davon handelte, und auch Nietzsche, der die moderne Industriegesellschaft und die Kraft des Kapitals als eine Kraft erfuhr, die in der Lage war, Europa zu überfluten und mithin zu einigen. Indem er dann die politisch-kulturellen Initiativen des 20. Jahrhunderts betrachtet, erinnert Ward dann an die von Lord Milner 1910 und Lord Lothian am Ende des Ersten Weltkrieges propagierten Bewegungen, die den Beginn des Föderalismus beförderten. Aber die Einheit Europas entsteht nicht aus Idealismus, sondern aus wirtschaftlichen Gründen, auch wenn die föderalistische Bewegung den Boden bereitet und eine Zeitlang die Schaffung unterstützt. Auch Churchill scheint von der Notwendigkeit einer Union der europäischen Staaten überzeugt gewesen zu sein, wenn er nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, 1946, in einer berühmten Rede in Zürich an einen Einheitsstaat dachte. Aber es handelt sich um eine politische Idee, die von den Umständen bestimmt ist: Churchill dachte an eine Europäische Union, die von den Staaten Kontinentaleuropas vorangebracht wird, beherrscht von Frankreich, mit dem Ziel, jede Auflösungsbewegung aus deutscher Richtung zu verhindern, aber ohne dabei das Vereinigte Königreich zu involvieren (welches damals noch der Idee eines britischen Weltreichs in Form des Commonwealth nachhing, politisch plaziert zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Block der sozialistischen Staaten). Ein weiterer politischer Grund, um eine europäische Einheit zu schaffen, entsteht in den 1950er Jahren, als Reaktion auf die wirtschaftliche Hegemonie der Vereinigten Staaten. Diesen Leitgedanken muß man bei der gesamten Entwicklung, die die europäische Bewegung macht, gegenwärtig haben, und auch heute noch kann der Zusammenhalt der EU auf der Basis dieser Notwendigkeit gerechtfertigt werden. Es handelt sich dabei um einen „funktionellen“ Föderalismus im Gegensatz zum territorialen und ideellen. Auch die Sozialdemokraten tragen zur
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3. Technische und rechtspolitische Weichenstellungen
Idee eines geeinten Europa bei, an vorderster Front der große deutsche Politiker Carlo Schmid, der Vater der deutschen Verfassung. Ward nimmt dann den Faden verschiedenen Phasen der Errichtung der Europäischen Union wieder auf und erinnert an die Leistungen anderer Staatsmänner wie Robert Schuman, Jean Monnet, Van Zeeland, Paul-Henri Spaak und, seitens der Italiener, Altiero Spinellli, die, in seiner gewählten Ausdrucksweise, die „heiligen“ Väter der Union sind. Der Rest ist die Geschichte der Europäischen Union, in ihren unterschiedlichen Phasen, von den ersten Verträgen bis zur Charta von Nizza und dem Europäischen Verfassungsvertrag. Wie Ward unterstreicht, ist es eine mehr juristische und wirtschaftliche als politische Geschichte. Es ist in der Tat so, wie weiter oben schon gesagt: die Union gründet mehr auf dem Recht und den Gesetzen als auf der noch zu gestaltenden politischen Union. In dieser rechtlichen Konstruktion hebt Ward besonders die Rolle des Europäischen Gerichtshofs hervor, eine technische und auch rechtspolitische Rolle, denn mit seinen Entscheidungen hat der Gerichtshof nicht nur die allgemeinen Grundsätze, die das Gemeinschaftsrecht – und mithin die Union selbst – stützen, identifiziert, sondern er hat auch folgendes festgestellt: i) den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht; ii) den horizontalen Effekt der Richtlinien; iii) die Grundlagen eines gemeinsamen Verwaltungsrechts; iv) die Grundlagen eines gemeinsamen Verfassungsrechts. Dieser Prozeß der juristischen Integration war in den ersten Jahrzehnten sehr entscheidend, dann hat er sich verlangsamt. Es ist schwer zu sagen, ob diese Verlangsamung der Tatsache geschuldet ist, daß der Gerichtshof nunmehr die gesteckten Ziele erreicht hatte, oder aber eingetreten ist, weil mit der Zeit die Richter und Generalanwälte, durch die der Gerichtshof seine Vitalität gewonnen hatte, gewechselt haben, oder ob die gesamte Konstruktion eine politische Verlangsamung erfahren hat, der sich der Gerichtshof angepaßt hat. In den ersten Jahrzehnten hat der Gerichtshof – wie Mancini und Keeling es metaphorisch ausgedrückt hatten – gemäß dem „genetischen Code, der ihm von den Gründungsvätern Europas überliefert worden war, gehandelt, das bedeutet, mit der Überzeugung, daß seine Aufgabe darin bestehe, einen Vertrag anzuwenden, dessen erstes Ziel es ist, eine Einheit der Völker Europas zu errichten“.15 Der Gerichtshof hat mit anderen Worten als ein unermüdlicher Beförderer von Zentralismus, Uniformismus und Einigung gehandelt. Aber die Kritik seitens jener, die gegen die Kreativität der Richter waren, besonders gegen das Einspringen der Richter bei Untätigkeit der Gesetzgeber, kann ihn durchaus gebremst haben. In jedem Fall erkennt man eine maßgebliche Rolle des Gerichtshofs bei der Verfolgung einer Strategie zur Integration des Marktes.16 Auf diesen Voraussetzungen fundiert Wards Analyse des Phänomens „Gemeinschaftsrecht“ die sich gliedert in (i) das Recht der europäischen Integration; (ii) das Handelsrecht; (iii) das Personenrecht; (iv) die Zukunft Europas. 15
Mancini G F und Keeling D T ( 1994) "From CILFIT to ERT: The constitutional challenge facing the European Court" Yearbook of European Law 11(1), 186. 16 Bengoetxea J (1993) The legal reasoning of the European Court of Justice: Towards a European jurisprudence.
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Die Integration (wirtschaftlich, sozial, politisch und.. juristisch) geschieht durch Regeln, die allen gemeinsam sind. Hier ist einer der Antriebe zur Schaffung eines „Europäischen Zivilrechts“, dem sich die Exponenten der nicht kodifizierten Systeme entgegenstellen, allen voran fast alle englischen Politiker und Juristen. Alle Schritte, die zu einer größeren Integration beigetragen haben, wurden von den englischen Politikern und Juristen beanstandet: Ward liefert die Details der Debatten im Parlament, im House of Lords, in den politischen Programmen, die als erste das Desinteresse für die europäischen Zusammenschlüsse bezeugen, dann den Eintritt in die Gemeinschaft, die Blockaden innerhalb der Union seitens des Vereinigten Königreichs, bis zur Unterstützung der These, „das einzige große Hindernis bei der Reform der Europäischen Union“ hin zu mehr Einheit und Integration sei das Vereinigte Königreich.17 Trotzdem gibt es einen Sektor, auf dem das Vereinigte Königreich die Programme der Union sehr sorgfältig befolgt hat: die Förderung der Grundrechte (von denen wir zuvor gesprochen hatten) mit der Annahme des Human Rights Act (1998). Auch das Projekt eines einheitlichen Marktes wurde trotz der Präsenz eines „unangenehmen“ Partners wie des Vereinigten Königreichs realisiert: mit der Ankunft des Blairismus hat sich die „euroskeptische“ englische Politik nicht substantiell geändert, nach dem Motto: „Keynes at home and Smith abroad“. In der Tat bewirkte die Politik der Gemeinschaft, zumindest in einigen Sektoren, die Liberalisierung des Marktes. Dies ist zumindest die Überzeugung derjenigen, die sich mit dem Güterkreislauf beschäftigt haben: das Gemeinschaftsrecht auf diesem Sektor hatte eine Politik substantieller Deregulierung zur Folge.18 Eine Überzeugung, die Ward auf der Basis der Fälle des Gerichtshofs dokumentiert, die wir hier nicht vertiefen können. Der Sektor des Wettbewerbs hat sich an einer Regulierung des Möglichen orientiert, das heißt, kompatibel mit den Bedürfnissen der Handelnden und einer Politik, die an Umwelt- und Verbraucherschutz orientiert ist, was zunächst in Widerspruch zueinander steht. Das Modell das so entstanden ist, ist ein Mix zwischen dem kontinentalen Modell, welches die Sozialpolitik als Leitfaden hat, und dem anglo-amerikanischen Modell, das von Fall zu Fall vorgeht. Kritisch muß man auch die Vision betrachten, die Ward für die Verbraucherschutzpolitik entwirft, welche er aus der Position der „Arbeiter“, als schwächerer Gegenpart der Wirtschaftspotentaten, die in Brüssel gehört werden, sieht. Seine Schlußfolgerung hinsichtlich der Märkte ist, daß die wirtschaftliche Union eine Beschränkung der politischen Freiheit mit sich bringt. Auf diese Schlußfolgerungen werden wir in den folgenden Kapiteln zurückkommen, auch weil man – vom italienischen Standpunkt aus betrachtet – die Verbraucherschutzpolitik im Gegenteil als einen der stärksten Ansporne zur Moderni-
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Duff A (1998) Britain and Europe: The different relationship, in: The European Union beyond Amsterdam: New concepts of European integration, Westlake M, Hrsg. 18 Weatherill S (1999) "Recent Case Law Concerning the Free Movement of Goods: Mapping the Frontiers of Market Deregulation" Common Market Law Review 36, 51.
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3. Technische und rechtspolitische Weichenstellungen
sierung des juristischen Systems sehen kann, und mit Sicherheit nicht zu Gunsten der Wirtschaft. Genauso kritisch ist Wards Position zum Gemeinschaftsrecht der Personen, hier nicht so sehr im Hinblick auf die Schaffung einer „Europäischen Staatsbürgerschaft“ gesehen, sondern vielmehr im Kampf gegen die Diskriminierung betrachtet. Wards These, die allerdings im italienischen Kontext isoliert ist, und von englischer Seite sehr angegriffen wird, besagt, daß die Politik des Gemeinschaftsrechts in diesem Zusammenhang eher zu Gunsten von Diskriminierung als gegen diese gerichtet sei, und daß es sich in der Substanz um eine heuchlerische Gesetzgebung handelt, da sie vorgibt, die Gleichheit zu befördern, aber andere, allerdings formale Ungleichheiten hervorbringt: in Bezug auf die Arbeiter, die nicht so geschützt sind, wie es sein sollte, auf die EU-Ausländer im Vergleich zu den Europäern, auf die Frauen im Vergleich zu den Männern, und in Bezug auf Minderheiten (inklusive jene, die auf sexueller Orientierung beruhen) im Vergleich zur Mehrheit. Die Schlußfolgerung konnte nicht anders als unbestimmt sein: die Impulse gegen den Liberalismus stehen im Gegensatz zu jenen sozialdemokratischer Natur, die Stärkung der Europäischen Staatsbürgerschaft steht gegen die Rechte von Immigranten und EU-Ausländern, so daß die „Vielfalt in der Einheit“ zu einem unmöglichen Vorsatz wird, auch wenn das Ziel eines „europäischen Humanismus“ die Chiffre ist, die das europäische Modell vor den anderen Modellen der westlichen Welt auszeichnet. 3.3 Die funktionale Interpretation Die kritische Analyse des Gemeinschaftsrecht verbindet sich mit der funktionalen Analyse. Die funktionale Analyse will die Ziele, Prinzipien und Methoden der Gemeinschaftsorgane bei der Produktion des Gemeinschaftsrechts abwägen und prüfen. Der Ausgangspunkt des Gesetzgebungsprozesses wurde von einigen Autoren im Fall Costa gegen ENEL, der vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft schon 1964 (C 6-64) entschieden wurde, erkannt. In diesem Fall erklärte der Gerichtshof daß „der Vertrag der Europäischen Gemeinschaften sein eigenes Rechtssystem erschaffen hat, welches (...) integrierender Bestandteil der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten geworden ist, und das die nationalen Gerichte anwenden müssen“.19 Aber, nachdem dieser Prozeß einmal auf den Weg gebracht war, wurde das Gemeinschaftsrecht zum „Gesetz der Bürger und Einwohner Europas“ und hat sich mithin in ein Persönlichkeitsrecht transformiert.20 Wie es in jedem juristischen System der Fall ist, begnügt sich der Interpret nicht damit, nur den wörtlichen Text der Dispositionen zu kommentieren, sondern 19
Reich N (2005) Understanding EU Law. Objectives, Principles and Methods of Community Law. 20 Ibid., V.
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er versucht, den Geist darin aufzuspüren: der Geist des Gemeinschaftsrechts besteht zuerst in der Öffnung der Märkte und in der Schaffung eines einheitlichen Marktes, was natürlich impliziert, daß die Barrieren, die innerhalb der nationalen Ordnungen existieren, und diesem fundamentalen Ziel entgegenstehen, eingerissen werden müssen. Die Auswirkungen der Schaffung des einheitlichen Marktes spiegelten sich jedoch in der Erklärung der Grundrechte und der Integration der EU auf dem Wege der Gesetzgebung wider. Aber nicht allein die Gesetzgebung, sondern auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs spielte und spielt eine wichtige Rolle in diesem Prozeß. Der Gerichtshof hat – im Fall Van Gend en Loos (C-26/62) – präzisiert, daß das Gemeinschaftsrecht „ein neues juristisches System internationalen Rechts“ konstituiert „zu Gunsten dessen die Mitgliedstaaten ihre Souveränität in bestimmten Sektoren eingeschränkt haben, ein System, das nicht nur für die Staaten sondern auch für die Bürger verpflichtend ist. Sein verpflichtender Charakter ist von angemessenen Sanktionen für Verletzungen der Regeln begleitet. In jedem Fall, wie bereits oben dargelegt, kann man das System des Gemeinschaftsrechts nicht im Sinne eines traditionellen Rechtssystems verstehen, denn es ist unvollständig: mitunter kommt das Gemeinschaftsrecht in Grundsätzen statt in detaillierten Regeln zum Ausdruck und es bleibt somit den Mitgliedstaaten überlassen, die Vorgaben auszugestalten. Dem Schutz der Bürger scheint eine „Verpflichtung auf die Mittel“ näher zu stehen als einer „Verpflichtung auf das Resultat“; mehr noch, es fehlt – für den Moment – eine systematische und organische Präzisierung der Pflichten der Bürger.21 So gesehen ist der einheitliche Markt von Prinzipien, nicht von klaren Gesetzen geregelt: es gibt keine allgemeinen Grundsätze, die den Schutz der Privatautonomie festschreiben, aber es ist einheitliche Meinung, daß auf ihr die ganze Ordnung basiert, und daß sie somit ein „implizites“ Prinzip darstellt, daß der Ordnung immanent ist. Genauso kennt das System der Gemeinschaft keinen Rechtsbehelf, diese sind den nationalen Gerichten anvertraut. Aber man darf die liberale Absicht, die die Konstruktion des einheitlichen Marktes durchzieht, nicht absolut verstehen: die Union verfolgt ihre „Rechtspolitik“ (z.B. im Bereich der Umwelt und der Verbraucher, des Agrarsektors und der Fischerei, der Transporte und des Außenhandels), die die verschiedensten Einschränkungen des Handelns der Mitgliedstaaten und der Bürger Europas mit sich bringt. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß das Gemeinschaftsrecht – für den Moment – nicht am Prinzip der Hierarchie der Quellen orientiert ist. Es bleiben somit einige fundamentale Probleme offen, zu denen der Gerichtshof nicht einheitlich und konstant Stellung bezogen hat: es wird diskutiert, ob die Gesetze ausreichend klar und präzise sind, ob die den Einzelnen zuerkannten Rechte justitiabel sind und frei von Bedingungen, ob es möglich ist, die Gesetze der Gemeinschaft horizontal anzuwenden. Da es keine definitive und generelle Ant-
21
Reich op. cit. Anm. 19 1. Aufl. 2003, Vii.
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3. Technische und rechtspolitische Weichenstellungen
wort auf diese Fragen gibt, schlägt man vor, – immer aus der funktionalen Perspektive gesehen – die Fragen Fall für Fall zu untersuchen.22 Hinsichtlich der Interpretation des Gemeinschaftsrechts besteht man im Fall Van Gend en Loos darauf, den Geist des Gesetzes herauszustellen. Die Interpretationskriterien, die man für die Rechtsprechung ausmachen kann, sind also: - Das wörtliche Kriterium. - Das teleologische Kriterium. - Die historische Interpretation ist nicht zulässig. Dies impliziert, daß die Gesetze der Gemeinschaft weder im Licht der Vorbereitungsarbeiten noch im Licht der nationalen Erfahrungen, von denen man Termini, Prinzipien, oder Regeln beziehen kann, die in die Formeln der Gemeinschaftsgesetzgebung Eingang gefunden haben, interpretiert werden dürfen.23 Anders gesagt: das Gemeinschaftsrecht ist unabhängig von eventuellen nationalen Wurzeln der Gesetze, aus denen es besteht. - Auch die systematische Interpretation ist nicht erlaubt. In den verfaßten Ordnungen ist es eines der Ziele der Interpreten, Widersprüche zu vermeiden und Gesetzeskonflikte zu lösen, aber das Gemeinschaftsrecht arbeitet eher als ein System des common law und nicht wie ein kodifiziertes System. - Der Gerichtshof erlaubt allerdings die Interpretation, die Regeln und Ausnahmen freilegt. - Existiert ein Prinzip des stare decisis auch im Gemeinschaftsrecht? Die Antwort ist negativ, denn die res iudicata gilt nur für die Urteilsparteien. Trotzdem gesteht man dem Gerichtshof eine persuasive Funktion zu. Sie entlastet von der Forderung nach Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Entscheidungen, welche die legitimen Erwartungen der Bürger befriedigen. 3.4 Die rechtsökonomische Interpretation des Binnenmarktes Nach Ansicht der Kommentatoren ist die Konstruktion des Gemeinsamen Marktes dem Zusammenspiel von vier Faktoren geschuldet: - die Verträge, - die gemeinschaftliche Gesetzgebung (sog. secondary legislation), - die Rechtsprechung des Gerichtshofs, - die Akte der Organe der Gemeinschaft. Trotzdem ist es nicht mehr möglich, den normativen Text von der Politik der Gemeinschaft hinsichtlich der sozialen und Wirtschaftsbeziehungen, des Geldes, des Konsums und der Umwelt, industrieller und wirtschaftlicher Aktivitäten und anderer Dinge zu trennen.24 Die wirtschaftliche Integration artikuliert sich ihrerseits in verschiedenen Richtungen: in der Abschaffung der Tarifschranken und der Begrenzungen des Bin22
Reich op. cit. Anm. 19 § 26. Ibid. 24 Craig P (2002) The Evolution of the Single Market, in: The Law of the Single European Market. Unpacking the Premises, Barnard C and Scott J, Hrsg., 1-40. 23
Teil 2 Kapitel 1 Bedeutung und Grenzen
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nenhandels, im Verbot von staatlicher Hilfe, in der Förderung des Wettbewerbs. Dieser ersten Art von Intervention folgten weitere in den Bereichen der Sozialpolitik und der inneren Sicherheit, und mit dem Verbot, daß ein Mitgliedstaat einem anderen seine eigenen Regeln auferlegt (mit der Konsequenz der gegenseitigen Anerkennung von Regeln gegen Diskriminierungen im Verkehr von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Personen). Der Europäische Gesetzgeber verfolgt dabei eine doppelte Methode: einerseits führt er materielle Regelungen ein, andererseits solche, die die Verfahrensabläufe betreffen. Schritt für Schritt hat sich der Binnenmarkt konsolidiert, die Organe der Gemeinschaft haben auch die Politik zur Verteidigung der Interessen der Konsumenten konsolidiert und die Techniken der Harmonisierung abgestuft, indem sie sie manchmal strenger, manchmal flexibler gemacht haben. Aus dieser Perspektive betrachtet, gewinnt die Diskussion über die „Europäisierung“ des Privatrechts eine größere Komplexität im Vergleich zur Beschreibung der Entwicklungsphasen einer nationalen Rechtsordnung. Die Harmonisierung der Regelungen – insbesondere der Richtlinien – ist ein ungelöstes Problem, genauso wie die Anwendung der Gesetze der Gemeinschaft in den einzelnen Mitgliedstaaten. Ebenso ist der Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf die Entwicklung der nationalen Ordnungen ein offenes Problem. Wie wir eingangs dargelegt haben, wird jeder Versuch einer Vereinheitlichung der Gesetze des Privatrechts, der nicht als „natürliche Konvergenz“ erscheint, diskutiert – wohl auch aufgrund der Anstöße, die vom Gemeinschaftsrecht kommen. Wenn es sich dann abzeichnet, daß sich das Gemeinschaftsrecht in seiner Struktur und seiner Vorgehensweise eher an die Systeme des common law als an die Systeme des civil law annähert, dann wird die Komplexität für die Juristen des Kontinents, die für eine Kultur des geschriebenen Rechts stehen, noch größer. 3.5 Die jurisprudentielle Interpretation Der Prozeß der Europäisierung des Privatrechts ist die Frucht vieler Faktoren: er ist nicht nur das gemeinsame Substrat vieler Rechtsordnungen, die eine Art „gemeinsame juristische Zivilisation“ begründen,25 nicht nur die Verpflanzung, Harmonisierung und manchmal Vereinheitlichung der Rechtsregeln, befördert durch den Integrationsprozeß der Union,26 sondern er definiert sich auch durch die Rolle der Doktrin27 und besonders der Rechtsprechung, vor allem derjenigen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft. Unter den vielen Aufgabengebieten, die der Gerichtshof hat, hat Federico Mancini die Rolle des Garantiegebers hervorgehoben: durch die Sprüche des 25
Müller-Graff P-C (1998) "Les perspectives d’un droit commun européen" Revue d' affaires européennes: 242. 26 Tizzano A, Hrsg. (2000/2006) Il diritto privato dell’ Unione europea, viii. 27 Jost F (2000) The Adjudication of Law and the Doctrine of Private Law, in: The Harmonisation of European Private Law, Hoecke M V and Ost F, Hrsg.,167.
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3. Technische und rechtspolitische Weichenstellungen
Gerichtshofs wurden die fundamentalen Grundrechte der Bürger der EU bestätigt, genau wie einige Basisprinzipien des Gemeinschaftsrechts, die die Einheit festigen und die Entwicklung stärken, wie z.B. die Prinzipien der Gleichbehandlung und Proportionalität, das Subisidiaritätsprinzip.28 Die Interpretation der Gesetze der Gemeinschaft hat auch die Schaffung des gemeinsamen Marktes bestärkt, indem sie den Handlungsträgern der Wirtschaft größere Rechtssicherheit und eine bessere Vorhersehbarkeit der Lösungen zugesichert hat: eine Rolle als Garant der Marktordnung, die die o.g. Rolle ergänzt.29 Aber in Anbetracht der besonderen Natur des Gemeinschaftsrechts, verstanden als Rechtsordnung, verfolgt der Gerichtshof eine weitere Aufgabe: jene eines Schöpfers von Regeln der Rechtsprechung, die die Lücken des Systems ausfüllen. Viele Kommentatoren behaupten, daß der Gerichtshof auf den Gebieten des Kampfs gegen die Barrieren, die den Wettbewerb behindern, und im Kampf gegen Diskriminierung in der Arbeitswelt mehr hervorgetan hat, als auf anderen Gebieten,30 aber, wenn man die Rechtsprechung im Lichte eines sich formierenden Europäischen Privatrechts betrachtet, stellt man fest, daß zu den genannten Rollen des Gerichtshofs heute eine weitere, nicht weniger bedeutsame hinzukommt: die Erschaffung eines Europäischen Privatrechts auf dem Gebiet der Jurisprudenz.31 Diese letztgenannte Rolle zeigt bemerkenswerte Effekte auch bei der Entwicklung der nationalen Ordnungen. Sie ist eine Art „Fruchtbarmachung“, die in zwei Richtungen aktiv ist: der Gerichtshof nimmt für seine Entscheidungen Termini, Konzepte und Institutionen aus den nationalen Ordnungen in Anspruch, und indem er sie ausarbeitet, kodifiziert er sie und wendet sie auf generelle Art und Weise an, so daß jene wieder auf die nationalen Ordnungen Einfluß ausüben, und dabei eine expansive Kraft bewahren.32 Deshalb wird immer wieder unterstrichen, daß das Europäische Privatrecht zum großen Teil der Rechtsprechung entspringt.33 Die Literatur über den Gerichtshof und die einzelnen Fälle, die er behandelt hat, ist immens. Die Sammlungen zur Rechtsprechung sind hingegen nicht sehr zahlreich. In der italienischen Literatur wird auf einige kostbare casebooks hingewiesen, die allerdings unterschiedlichen Organisationskriterien folgen. Beispielsweise sind die Sprüche in der Sammlung der Fälle und Materialien des Gemeinschaftsrechts, hrsgg. von Paolo Mengozzi,34 nach der Ordnung der Quellen des Gemeinschaftssystems gesammelt: die Akte und die Dokumente, die Kompetenzen der Organe der Gemeinschaft, die generellen Prinzipien, das Justizsystem der Gemeinschaft, die Außenbeziehungen der EU, die Anwendung des 28
Mancini G F (2004) Democrazia e costituzionalismo nell’ Unione europea, mit einer Einführung von G. Amato. 29 Shapiro M (1999) The European Court of Justice, in: The Evolution of EU Law, Craig P and Burca G d, Hrsg., 328. 30 Z.B. Shapiro, ibid., 344. 31 Scannicchio N (2003) Il diritto privato europeo nel sistema delle fonti, in: Trattato di diritto privato europeo, Lipari N, Hrsg. 1 153. 32 Ibid. 33 Ibid., 263. 34 Mengozzi P, Hrsg. (1998) Casi e materiali di diritto comunitario: dal trattato di Roma al trattato di Amsterdam.
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Gemeinschaftsrechts in Italien. Andere Autoren haben es vorgezogen, zu vereinfachen, indem sie die Untersuchung auf die verfassungsmäßige Struktur der Union begrenzt haben, auf den Binnenmarkt, den Außenmarkt und auf die problematischen Fälle.35 Wieder andere haben ihre Aufmerksamkeit auf die Politik der Gemeinschaft in den Bereichen Handel, Wettbewerb und governance konzentriert.36 Hinsichtlich des italienischen Rechts ist hervorzuheben daß – in Anbetracht der Häufigkeit mit der sich die Richter an den Europäischen Gerichtshof wenden, um Probleme der Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf italienisches Recht zu lösen – dieser „Dialog“ zwischen italienischen Richtern und Richtern des Gerichtshofs in Luxemburg besonders wertvoll war, denn er hat zur Entwicklung des Gemeinschaftsrechts beigetragen. Es genügt, an die mittlerweile klassischen Fälle zu denken, an Costa gegen ENEL (C-6/64), Simmenthal (C-106/77), Fratelli Costanzo (C-103/88), Francovich (C-6 und C-9/90), Merci Convenzionali (C179/90), Faccini Dori (C-91/92), Job Centre (C-55/96), Gorgonzola (C-87/97), Gozza (C-371/97), Bombardini (C-285/99), Gottardo (C-55/00), Arduino (C35/99), Consorzio italiano fiammiferi (C-198/01).
4. Das Verbraucherrecht als erster Kern des Europäischen Privatrechts Nun liegt es nahe, die Aufmerksamkeit auf das Verbraucherrecht zu lenken, einmal, weil es der Sektor des Gemeinschaftsrechts ist, der direkt die privaten Beziehungen beeinflußt und zum anderen, weil es bereits den Kern des geltenden Europäischen Rechts in sich trägt. In Bezug auf das Verbraucherrecht war der gesetzgeberische Prozeß lang und komplex. Mit der Resolution 543 von 1973 hat die Beratende Versammlung des Europarates eine Charta angenommen, in der Grundrechte beschrieben werden. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nahm dann 1975 eine Resolution an, die einige subjektive Positionen der Konsumenten betraf: das Recht auf Gesundheit und Sicherheit, die wirtschaftlichen Interessen, Schadensersatz, Information, Erziehung, das Recht, konsultiert und repräsentiert zu werden. Der Vertrag von Maastricht und zuletzt der Vertrag von Amsterdam haben den Schutz und die Verbreitung der Verbraucherrechte bestärkt (Art. 153 des Unionsvertrages). Die Aktionspläne der Gemeinschaft folgten einander in der Programmierung der entsprechenden gemeinsamen Aktivitäten. So kann man zahlreiche Richtlinien aufzählen, die die Mitgliedstaaten dazu angehalten haben, diejenigen Bereiche des Privatrechts zu harmonisieren, in denen die Beziehungen mit den Konsumenten geregelt werden. In zeitlicher Ordnung können wir verweisen auf: die Richtlinie 84/450 EWG zur irreführenden Werbung, modifiziert durch die Richtlinie 97/55/EG zur vergleichenden Werbung; 35 36
Phelan D R und Rudden B (1997) Basic Community Cases. Weatherill S (2007) Cases and Materials on EU Law.
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5. Der „acquis communautaire“
die Richtlinie 85/374/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Produkthaftung, modifiziert durch die Richtlinie 1999/34/EG. In der Folge wurde das Thema im Bericht der Kommission (KOM (2000) 893) zur Anwendung der Produkthaftungsrichtlinie 85/374 wieder aufgenommen. Die Richtlinie 85/577/ EWG zum Schutz der Verbraucher im Falle von Verträgen, die außerhalb der Geschäftsräume geschlossen wurden (Haustürgeschäfte); die Richtlinie 87/102/EWG, zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften hinsichtlich der Verbraucherkredite, modifiziert durch die Richtlinien 90/88/EWG und 98/7/EWG; die Richtlinie 88/378/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Sicherheit von Spielzeug; die Richtlinie 90/314/EWG die sich auf Reisen, Ferien und „all inclusive Reisen“ bezieht; die Richtlinie 92/59/EWG zur generellen Produktsicherheit; die Richtlinie 93/13/EWG, zu den mißbräuchlichen Klauseln in Verbraucherverträgen; die Richtlinie 93/22/EWG zu den Wertpapierdienstleistungen im Bereich der Mobiliarwerte;37 die Richtlinie 94/47/EG, zum Schutz des Käufers bei einigen Aspekten von Verträgen beim Verkauf eines zeitlich gebundenen Nutzrechtes von Immobilien (time sharing); die Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen in Bezug auf die Behandlung persönlicher Daten sowie der freien Zirkulation solcher Daten; die Richtlinie 1999/93/EG über eine gemeinsame Darstellung elektronischer Firmen; die Richtlinie 2000/31/EG einige juristische Aspekte der Dienstleistungen der Informationsgesellschaft betreffend, insbesondere des elektronischen Handels; die Richtlinie 2001/95/EG zur generellen Produktsicherheit. 2002 wurde die Richtlinie zum Distanzverkauf von Finanzprodukten angenommen,38 und im Jahre 2004 die Richtlinien zur Haftung und Versicherungspflicht des Dienstleisters und zur Haftung für Umweltschäden.39 Dann gibt es einige Richtlinien zu Versicherungen, die es wert wären, in eine umfassende Regelung eingebunden zu werden, um gleiche Regeln bei Versicherungsverträgen herzustellen. Darüber hinaus wurden zwei Richtlinien zum Bankenrecht angenommen, die die vorausgegangenen Richtlinien neu ordnen (2000/12/EG und 2000/28/EG). Diese Richtlinien bilden den „acquis communautaire“.
5. Der „acquis communautaire“ Das Privatrecht, das durch die Gesetzesproduktion der Organe der Gemeinschaft geschaffen wird, ist eine bestehende Realität, die man üblicherweise mit dem „acquis communautaire“ umschreibt. Auch dieser Ausdruck wird in vielen Bedeutungen gebraucht. Als Beispiel mag der „Euro-glossary“ der BBC-News dienen, der folgende Definition vorschlägt:
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Nunmehr ersetzt durch Richtlinie 2004/39/EG - Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente, MiFiD. 38 Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 überden Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher. 39 Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ergänzt durch Richtlinie 2006/21/EG.
Teil 2 Kapitel 1 Bedeutung und Grenzen
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“The entire body of European laws is known as the acquis communautaire. This includes all the Treaties, regulations and directives passed by the European institutions as well as judgements laid down by the Court of Justice. The term is most often used in connection with preparations by the 12 candidate countries to join the union. They must adopt, implement and enforce all the acquis to be allowed to join the EU. As well as changing national laws, this often means they must set up or change the necessary administrative or judicial bodies which oversee the legislation. For enlargement negotiations, the acquis have been divided into 31 chapters, each of which must be closed by the candidates”.
Dagegen findet man auf den Internetseiten der Europäischen Kommission eine stärker artikulierte Definition der Staatsbürgerschaft: “The Community acquis or Community patrimony is the body of common rights and obligations which binds all the Member States together within the European Union. It is constantly evolving and comprises: - the content, principles and political objectives of the Treaties; - the legislation adopted in application of the Treaties and the case law of the Court of Justice; - the declarations and resolutions adopted by the Union; - measures relating to the common foreign and security policy; - measures relating to justice and home affairs; - international agreements concluded by the Community and those concluded by the Member States between themselves in the field of the Union’s activities. Thus the Community acquis comprises not only Community law in the strict sense, but also all acts adopted under the second and third pillars of the European Union and, above all, the common objectives laid down in the Treaties. Applicant countries have to accept the Community acquis before they can join the European Union. Exemptions and derogations from the acquis are granted only in exceptional circumstances and are limited in scope. The Union has committed itself to maintaining the Community acquis in its entirety and developing it further. There is no question of going back on it. In preparation for the accession of new Member States, the Commission is currently examining with the applicant countries how far their legislation conforms to the Community acquis. See: - Incorporation of the Community acquis - Pillars of the European Union - Single institutional framwork”.
Im Internet finden sich andere relevante Präzisierungen, die den Vorteil haben, direkt zur Verfügung zu stehen, anstatt die (uferlose) Bibliographie zum Thema durchzugehen. Zum Beispiel findet man einen Aufsatz von Knud Erik Joergensen, dessen Zusammenfassung sagt: “The acquis communautaire is almost always (self-re)presented as a rock hard principle, as something applicant countries have to adapt to. Employing a Nietzsche-Foucauldian genealogical method, the paper explores an important instance of intersubjectivity of meaning among European integrators, or, in concrete terms, the genealogy of the acquis. The paper explores how the acquis has become such a powerful non-negotiable condition for acces-
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5. Der „acquis communautaire“
sion and traces one origin of the acquis back to the early 1960s, to the first round of (failed) negotiations on enlargement. The paper argues that currently there are at least two meanings of the acquis: (i) a political principle and, (ii) a legal principle, constituting a crucial aspect of constitutionalization in the European Union. Finally, the paper concludes that despite various direct political attacks, and despite the worries of several scholars, the acquis seems not at all to be an endangered principle”.
Ebenfalls im Internet finden wir einen Aufsatz von Christine Delcourt, die sich auf die formalen Quellen des acquis communautaire bezieht.40 In dem Aufsatz wird dargelegt daß der Begriff durch die Artikel 2, 3, 43 und 49 des Vertrages von Maastricht offiziell wurde. Dabei wird die Bedeutung des Begriffs im Vertragstext nicht definiert, sondern von diesem vorausgesetzt. Es ist mithin Aufgabe des Interpreten, den Begriffsinhalt auf der Basis der zitierten Dispositionen zu rekonstruieren. Aber es handelt sich um eine Bedeutung von variablem Inhalt, in den, wie P. Pescatore präzisiert hat, die essentiellen Werte und die Notwendigkeiten, die der Gemeinschaft zugrunde liegen, und die ihre Einheit und ihre Identität konstituieren, Eingang finden. In dieser Bedeutung handelt es sich nicht um den gesamten Komplex der von den Organen der Gemeinschaft erlassenen Regeln, sondern vielmehr um die Regeln einer „höheren Stufe“ (und daher in den Verträgen enthalten). Aber wenn man eine nicht formale und trotzdem realistische Bedeutung annimmt, muß man an die Realisierung jener fundamentalen Regeln und jener Prinzipien bei den Organen der Gemeinschaft und besonders der Rechtsprechung des Gerichtshofs denken.
Wenn man nun den acquis communautaire, der das Privatrecht betrifft, betrachtet, und die Fragestellungen, die sich hinsichtlich seiner Harmonisierung ergeben, dann kann man sich konzentrische Kreise vorstellen, die sich mehr und mehr ausbreiten: man denke an die Richtlinien zum Verbraucherschutz, an den Bereich des Wettbewerbs und an all die anderen oben zitierten Materien, die sich mit elektronischem Handel, mit Banken und Versicherungen, mit dem Finanzmarkt etc. befassen.41 Die Harmonisierung schreitet also graduell und in Stadien voran: zuerst müssen die Regeln der spezifischen Sektoren harmonisiert und dann koordiniert werden. Dann muß man prüfen, ob dieser Regelkorpus in vereinheitlichten Texten enthalten sein kann, und zum Schluß muß geprüft werden, ob die vereinheitlichten Texte in einem übergeordneten Text eingebunden werden können, dem definitorische Normen und generelle Prinzipien vorausgehen. 40
Delcourt C (2001) La notion d’acquis communnautaire, Intervention de madame C. Delcourt, Maitre de Conference à l’Université de Rennes I, du 24 septembre 2001; siehe auch Delcourt C (2001) "The Acquis Communautaire: Has the Concept had its Day?" Common Market Law Review 38(4), 829-70. 41 Vgl. bes. Kellerhals A und Trüten D (2002) "The Creation of the European Company" Tulane European & Civil Law Forum 17, 71-82.; die Akten des FIDE (Fédération internationale de droit européen), Congress, London, 30. Oktober – 02. November 2002, von Mads Andenas beim British Institute of International and Comparative Law organisiert; London, 2002, Alpa G und Capriglione F (2002) Diritto bancario comunitario und siehe unten Kapitel 2 (Teil 3).
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6. Die Resolutionen des Europäischen Parlaments zum Vertragsrecht Das immer mehr verbreitete Bewußtsein des acquis communautaire und der Einfluß einer für die Schaffung eines Europäischen Privatrechts sensiblen Doktrin haben endlich die Aufmerksamkeit der Gemeinschaftsorgane gefunden. Mit der Resolution vom Mai 1994 (A3-0329/94) hat das Europäische Parlament die Resolution vom 26. Mai 1989 neu bewertet, die sich mit der Harmonisierung einiger Sektoren des Privatrechts in den Mitgliedstaaten befaßt. Die Motivation zu dieser Initiative ist in den Erwägungsgründen illustriert, in denen einerseits präzisiert wird, daß die Gemeinschaft schon zur Harmonisierung einiger Sektoren des Privatrechts vorangeschritten ist, und andererseits festgestellt wird, daß eine progressive Harmonisierung essentiell ist für die Errichtung des Binnenmarktes. Das angestrebte Resultat ist die Ausarbeitung eines „gemeinsamen Europäischen Zivilgesetzbuchs“, das sich in mehreren Phasen progressiver Annäherung der in den jeweiligen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gültigen Regelungen artikuliert und zu einer zunächst partiellen, langfristig zu einer vollständigen Harmonisierung führt. Im Rahmen der Resolution bezieht man sich auf Organisationen, die sich bereits mit der Harmonisierung beschäftigen, wie Unidroit, Uncitral, und den Europäischen Rat, sowie auf die Arbeit der Kommission zum Europäischen Vertragsrecht, bekannt als „Lando-Kommission“ nach dem dänischen Professor Ole Lando, der ihr vorsaß.42 Die Resolution wurde dem Rat, der Kommission und den Regierungen der Mitgliedstaaten zugeleitet. Für ihren Teil hat die LandoKommission erfolgreich gearbeitet und ein Regelwerk über das Vertragsrecht vorgelegt.43 Die Arbeit ist hier nicht stehengeblieben, denn in weitgefaßten Recherchen wird sie auf die anderen Quellen der Obligationen ausgeweitet. Darum be-
42
Seit 1982 hat Ole Lando Schritt für Schritt eine Kultur der europäischen Kodifizierung errichtet, wobei er sich besonders der Vertragsdisziplin gewidmet hat. Unter seinen zahlreichen Beiträgen wollen wir erwähnen: Lando O (1983) "European Contract Law" American Journal of Comparative Law(31), 653; ders. (1989) Principles of European Contract Law, in: Liber Memorialis François Laurent, Erauw J, Bouckaert B, Bocken H, Gaus H and Storme M, Hrsg., 555; ders. (1992) "Principles of European Contract Law/An alternative or a Precursor of European Legislation?" Rables Zeitschrift, 261; Lando O (1997) The Harmonization of European Contract Law through a Restatement of Principles, (Vortrag am Institute of European and Comparative Law, Konferenz gleitet von Basil Markesinis). 43 Hartkamp A, Hesselink M, et al., Hrsg. (1994) Towards a European Civil Code. In diesem Band wird hier generell auf die Einleitung von Hondius verwiesen, weiter auf die Diskussion über die unterschiedlichen Techniken der Gesetzesredaktion von Müller Graff, 19 ff.; auf die Inhaltsangabe der Regeln, die in der ersten Version der Principles von Hartkamp gesammelt sind, 37 ff.; auf die Basis der Tradition des ius commune von Zimmermann, 65; und auf Bollen und De Groot, 97. Es folgen Aufsätze über spezifische Themen des Vertragsrechts und der Garantien. Vgl. auch die erweiterte Auflage des Werkes von 1998.
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6. Die Resolutionen des Europäischen Parlaments zum Vertragsrecht
müht sich eine Forschungsgruppe des deutschen Professors Christian von Bar.44 Im Zusammenhang mit dieser Arbeit werden Untersuchungen zu den securities vorbereitet, über die Versicherungsverträge und über die Persönlichkeitsrechte.45 Die Aufgaben der Juristen, die sich um diese Harmonisierung bemühen, sind sehr ehrgeizig und sehr schwierig. Der Ausdruck „Privatrecht“ wird in den Resolutionen des Europäischen Parlaments nicht weiter präzisiert, so daß sich dem Anwender einige Interpretationsprobleme stellen: (i) Da eine Definition des Privatrechts in den institutiven Texten der EU nicht zur Verfügung steht, müssen wir den Begriff zu verstehen suchen, indem wir uns darüber klarwerden, welche Bedeutung(en) er in der koiné der Rechtskultur der Mitgliedstaaten hat. In Kontinentaleuropa hat „Privatrecht“ eine recht einheitliche Bedeutung, insofern im italienischen (genauso wie z.B. im französischen, spanischen, portugiesischen, deutschen oder österreichischen) Recht mit „Privatrecht“ dasjenige Recht bezeichnet wird, welches die Beziehungen zwischen Privatpersonen oder zwischen dem Staat und öffentlichen Einrichtungen und Privaten regelt. Man bezieht sich also auf Gesetze des allgemeinen Rechts, oder auf Formulierungen und Techniken, die von bürgerlichen Gesetzbüchern geregelt werden, die sich traditionellerweise mit der Materie beschäftigen. Schwieriger ist es, eine Bedeutung von „Privatrecht“ in der Rechtskultur des common law auszumachen, wo die Aufteilung in privates und öffentliches Recht nicht geläufig ist und in jedem Fall nicht mit der kontinentalen Unterscheidung übereinstimmt. (ii) Man muß auch darauf hinweisen, daß in allen erwähnten Ländern die traditionelle Unterscheidung in privates und öffentliches Recht in der Krise ist; darüber hinaus hat sich in diesen Rechtsordnungen seit langem die „Konstitutionalisierung“ des Privatrechts durchgesetzt, das heißt, die direkte oder indirekte Anwendung der Gesetze, die in den jeweiligen Verfassungen die Beziehungen zwischen Privatpersonen behandeln; in Frankreich ist dieser Prozeß etwas langsamer, aber auch bereits auf dem Wege. (iii) Jenseits der Definitionen hat der Begriff „Privatrecht“ eine akademische Bedeutung (im Hinblick auf die Lehre an den Universitäten) und einen formalen Inhalt, der zwei Rechtsbereiche umfaßt: das bürgerliche Recht und das Handelsrecht. (iv) Aus der Perspektive der Rechtsquellen setzt sich das Privatrecht also aus Regeln zusammen, die in den Verfassungen, in den Kodizes und in den besonderen Gesetzen beinhaltet sind. Eine jede Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaates basiert auf unterschiedlichen Quellen, die auch Verordnungen und Verfügungen der unabhängigen Verwaltungen usw. beinhalten.46 Wollte man allerdings versuchen, das Thema zu vereinfachen – und mithin die Arbeit der Juristen, die sich auf europäischer Ebene mit der Harmonisierung be44
Bar C v (1998) The Common European Law of Torts; vgl. auch Bar C v, Hrsg. (1993) Deliktsrecht in Europa (Länderberichte). 45 Siehe hierzu vertiefend unten Teil 3 Kapitel 2. 46 Siehe hierzu auch Heidemann M (2009) "Private Law in Europe – The Public/Private Dichotomy Revisited " European Business Law Review 20(1) 119-139.
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fassen – dann müßte man auf die Gesetze, die in den Zivilgesetzbüchern und in den Handelsgesetzbüchern enthalten sind, verweisen. An dieser Stelle trifft man auf zwei weitere Probleme: (i) Die Bezugsmodelle der in den kontinentaleuropäischen Ländern gültigen Gesetzbücher sind essentiell zwei: das französische bürgerliche Gesetzbuch, von Napoléon im Jahre 1804 eingeführt, und das deutsche BGB, 1896 angenommen, und in Kraft getreten im Jahre 1900. Zu diesen gesellen sich die Modelle des Handelsrechts, die während des gesamten 19. Jahrhunderts einander abfolgten, und die in unserem Jahrhundert in Italien in das bürgerliche Gesetzbuch von 1942 Eingang gefunden haben und in Holland seit 1980 in mehreren Bänden des bürgerlichen Gesetzbuches publiziert werden.47 (ii) Im englischen und im irischen common law gibt es keine Kodizes, sondern spezielle Gesetze (statutes) zusätzlich zu den Gesetzen des case law. In einigen Staaten sind die Umstände auch noch komplexer. Wenn wir dieser Darstellung Rechnung tragen, dann war die Entscheidung der Gemeinschaft vorsichtig: man hat die Dichotomie zwischen Gesetzen des Zivilrechts und des Handelsrechts nicht übernommen, sondern hat sich die dehnbarste und allgemeinste Lesart des Privatrechts zu eigen gemacht. Man ließ erkennen, daß die im Zuge der Harmonisierung erarbeiteten Gesetze sowohl den einen wie den anderen Bereich betreffen können. Auch hinsichtlich der Redaktionstechnik gab es keine Probleme. Die harmonisierten Gesetze können als eine Art „restatement“ der in den Mitgliedstaaten angewandten Richtlinien betrachtet werden, oder die Frucht der Vereinheitlichung der heute geltenden Gesetze sein, unter Einbeziehung der Angleichungen und Vereinfachungen, die eine echte Kodifizierung erfordert. Man muß hinzufügen, daß es für einige Bereiche des Privatrechts bereits einheitliche Referenzmodelle gibt. Auch wenn sie zu anderen Zwecken ausgearbeitet wurden, so stellen die Prinzipien der internationalen Handelsverträge, die von Unidroit ausgearbeitet wurden, ein „restatement“ dar, das aus weitgefaßten und ausgewogenen Regeln besteht.48 Die Lando-Kommission hat bei der Ausarbeitung 47 48
Siehe hierzu in rechtsvergleichender Übersicht oben Kapitel 4 (Teil 1). Vgl. für alle Bonell M J (1994) An International Restatement of Contract Law; Ders (1997) "The Unidroit Principles in Practice: The Experience of the First Two Years" Uniform Law Review (2), 34; Ders. (1998) "The Unidroit Principles: What Next?" Uniform Law Review(3), 275. Zur Diskussion der „Unidroit-Grundsätze“ in Italien vgl. die Akte der Tagung von Rom, die von J. Bonell und F. Bonelli 1995 bei Unidroit veranstaltet wurde. Unter den Beiträgen vgl. die Aufsätze von Di Majo, Ferrari und Alpa, (1996) Contratto e impresa/Europa, 287 ff. Zur Konstruktion der Entwicklungslinien des Vertragsrechts ist die von Unidroit ausgearbeitete Entwicklung der Prinzipien zu Rate zu ziehen sowie die Auswirkungen der europäischen Richtlinien und die Grundsätze der Lando-Kommission vgl. Alpa G (1998) Nuove frontiere del diritto contrattuale; HeinKoetz und Flessner A (1997) European Contract Law / Formation, Validity, And Content Of Contract - Contract And Third Parties Koetz H und Flessner A (1996) Europäisches Vertragsrecht Band I: Abschluß. Gültigkeit und Inhalt des Vertrages. Die Beteiligung Dritter am Vertrag; Vranken M (1997) Fundamentals of European Civil Law; Für eine Gegenüberstellung der Urteilsmodelle: Markesinis B, Lorenz W, et al. (1997) The Law
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6. Die Resolutionen des Europäischen Parlaments zum Vertragsrecht
ihres eigenen Vorschlags zum Vertragsrecht diesen Text berücksichtigt. Es muß auch daran erinnert werden, daß andere Initiativen im Gange sind, wie z.B. die Bestimmung eines „common core“ im Hinblick auf Verträge, woran Forscher der Universität Trento arbeiten, die Redaktion gemeinsamer Prinzipien im Bereich der Obligationen in Frankreich und Belgien, eine gemeinsame Initiative der Sorbonne und der Universität von Lauvain-la-Neuve; darüber hinaus wurde die Redaktion eines Europäischen Kodex zum Verbraucherrecht vorgeschlagen und anderes mehr. Die Geschichte der versuchten und realisierten Initiativen für die Vereinigung, die Vereinheitlichung und die Harmonisierung des Rechts ist ein Jahrhundertwerk und hat vielfältigen Ausdruck gefunden. In jedem Fall stellen die zahlreichen von der Gemeinschaft angenommenen Richtlinien zu Themen wie Verbraucherinteressen, mißbräuchliche Klauseln, Verkäufe außerhalb der Verkaufsräume, Distanzverkäufe, etc., schon eine Art Kodifizierung des Europäischen Privatrechts in den entsprechenden Bereichen dar.49 Was an dieser Stelle herausgearbeitet werden soll, sind einerseits die Ziele der Harmonisierung (oder der Vereinheitlichung) und andererseits die Zweifel, die bei der Diskussion dieser Initiative entstanden sind. Neben dem „wirtschaftlichen Bereich“ und demjenigen der Rechtsprechung 50 versucht man heute, einen einheitlichen Rechtsraum zu realisieren. Die Gemeinschaft ist souverän nur innerhalb des Bereichs ihrer Kompetenzen. Das Europäische Zivilgesetzbuch kann sich mithin nicht auf Bereiche erstrecken, die jenseits der Kompetenzen der Gemeinschaft liegen, wie z.B. die familiären Beziehungen, Nachfolgeregelungen oder Eigentumsverhältnisse. Eingeschlossen sind hingegen sowohl die obligatorischen immanenten Beziehungen bei Verträgen und unerlaubten Handlungen bei negotiorum gestio, bei den „Rückerstattungen“ (Rückabwicklung, restitution) und den Rechtsbehelfen. Selbstredend sind die Verhältnisse, die dem Handel, den Gesellschaften, den öffentlichen Aufträgen etc. inhärent sind, eingeschlossen. Die Artikel 100 und dann 100A des EWG Vertrages erteilen dem Rat die Kompetenz, Richtlinien zu erstellen, die die Angleichung der „Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche einen direkten Einfluß auf die Schaffung oder das Funktionieren des gemeinsamen Marktes haben,“ zum Ziel haben. Auf diese Bestimmungen kann man sich berufen, um die Initiative zu legitimieren und zu rechtfertigen, und um sie mit dem Subisidiaritätsprinzip kompatibel zu machen. of Contracts and Restitution: A Comparative Introduction. Die italienische Doktrin hat folgende Inititativen sehr aufmerksam betrachtet, z.B.: Gandolfi G (1992) "Pour un code européen des contrats" Revue trimestrielle de droit civil, 707-36; Mengoni L (1993) L'Europa dei codici o un codice per l'Europa?,Vortrag am Centro di studi e richerche di diritto comparato e straniero unter der Leitung von J. Bonell. 49 Die Richtlinien und die entsprechenden Umsetzungsvorschriften sind gesammelt in Alpa G, Hrsg. (1999) Codice del consumo e del risparmio. 50 Vgl. zu diesem Carbone S M (1997) Lo spazio giudiziario europeo; und weiterführend in dieser Reihe ders. (2006) Lo spazio giuridico europeo in materia civile e commerciale. Da Bruxelles I al regolamento CE n. 805/2004.
Teil 2 Kapitel 1 Bedeutung und Grenzen
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Man kann also zwischen den Instrumenten der Regulierung, der Richtlinie oder der Empfehlung wählen, um ein gemeinsames Europäischen Vertragsrecht anzunehmen.51 Aber warum soll man die Barrieren der nationalen Systeme in diesen Disziplinen überwinden? Die Überwindung ist funktionell – so die Resolution – auf die Realisierung des Binnenmarktes ausgerichtet. Anders ausgedrückt wird die unterschiedliche Behandlung der rechtlichen Beziehungen des Privatrechts in den verschiedenen Ländern als Kostenfaktor, als Hindernis, als Komplikation betrachtet, die sich der Realisierung des Binnenmarktes, also dem freien Austausch von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit innerhalb der Union entgegenstellt, oder sie verkompliziert. Es gibt daher eine enge Korrelation zwischen wirtschaftlicher Aktivität und juristischen Formen, und die Harmonisierung der Gesetze, die das Vermögensrecht betreffen, hat sozusagen Steigbügelhalterfunktion für die wirtschaftlichen Notwendigkeiten. In diesem Sinn scheint die Initiative der Gemeinschaft wie dazu gemacht, den Markt zu begünstigen, ohne allerdings zu dem Schluß zu gelangen, daß die rechtlichen Regelungen ihrer Natur nach die wirtschaftlichen Regelungen minimieren müssen, gemäß dem Vorschlag der Förderer einer wirtschaftlichen Analyse des Rechts, im besonderen einer der in Europa wohlbekannten Koryphäen, Richard Posner.52 In seiner brillianten Analyse des Europäischen Vertragsrechts hat Jürgen Basedow gezeigt, wie Vorschriften, die sich in den verschiedenen Ländern der Union widersprechen, die Märkte regelrecht behindern, während vereinheitlichte Gesetze im Bereich des Privatrechts geradezu eine Vorraussetzung für die Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes sind. Das einheitliche Vertragsrecht ist in der Tat ein „konstitutives Element“ des gemeinsamen Marktes. Die Abfassung eines Europäischen Kodex bedeutet auch eine Vereinfachung der Gesetze, die die Wirtschaftsbeziehungen regeln, und die viel zu oft in den nationalen Kodizes oder Sondergesetzen zersplittert sind. Vereinheitlichte Gesetze dienen dazu, möglichen Streit zu verhindern oder zu mäßigen, eine homogene Anwendung der Gesetze bei Konflikten zu gewährleisten, die Konkurrenz zwischen den nationalen Ordnungen, oder die Überlegenheit einer über die andere zu überwinden und die Wahl des Gesetzes der „geeignetsten“ Nation zu verhindern. Wie wir in der Schlußfolgerung noch sehen werden, bekommt diese Initiative – die auch mit dem Ziel, die Intervention der Gemeinschaft im generellen Bereich des Privatrechts zu rechtfertigen, präsentiert wurde – trotzdem einen ganz anderen Wert.
51
Drobnig U (1998) "Un droit commun des contrats pour le Marché commun" Revue internationale de droit compare, 26. 52 Eine Übersichtsdarstellung der Positionen und Ausrichtungen von Coase, Posner, Calabresi und der anderen Vertreter dieser hermeneutischen Sichtweise findet sich bei Alpa G, Chiassoni P, et al., Hrsg. (1998) Analisi economica del diritto privato; siehe auch Grechenig K und Gelter M (2008) Divergente Evolution des Rechtsdenkens - Von amerikanischer Rechtsökonomie und deutscher Dogmatik, Rabels Zeitschrift 72 (3), 513-61.
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7. Initiativen für die Redaktion eines Europäischen Zivilgesetzbuches
7. Initiativen für die Redaktion eines Europäischen Zivilgesetzbuches Die Initiative, ein Europäisches Zivilgesetzbuch auszuarbeiten, hat viel Erstaunen und viel Enthusiasmus hervorgerufen. Eine möglichst objektive Prüfung dieses Erstaunens, der Kritiken und Aversionen muß ihre Herkunft berücksichtigen, ihre Gründe, aber auch ihren Vorwandscharakter. Zuerst muß das Feld von den Vorurteilen bereinigt werden, die in den Argumentationen der Kritiker verborgen sind. Unter den Vorurteilen kann man verschiedene Faktoren auflisten, die unterteilt werden können nach ihren Gründen, in den Diskurs einzugreifen. Vor allem anderen ist da die „Angst vor dem Unbekannten“ zu nennen.53 Eine genaue Kritik der Thesen von Legrand wurde von Zeno-Zencovich durchgeführt.54 Sie ist typisch für die Juristen, denen ihre eigenen Kenntnisse, ihre eigenen Texte und ihre eigene Denkmethode am besten gefällt.55 Das Aufgeben von Regeln, die sich mit der Zeit bestätigt haben, und von leicht vorhersehbaren rechtlichen Resolutionen stellt für Juristen, die die Einführung eines neuen Textes für einen Sprung ins Ungewisse halten, ein Hindernis dar. Diese Haltung ist allerdings leicht zu überwinden, wenn man sich nur vor Augen hält, daß ein „Sich kennen lernen“ und ein „Sich gegenüber stehen“ bedeutet, den Geist des Unbekannten auszutreiben. Alle, die sich dem komparativen Recht widmen, und alle, die daran interessiert sind, kennenzulernen, was in den nahen und entfernten Rechtsordnungen vor sich geht, sind der Meinung, daß es heutzutage wichtiger ist, kennenzulernen, was uns verbindet, als das, was uns unterscheidet. Es gibt zahlreiche sind Untersuchungen mit dem Ziel, eine ideale Brücke zwischen den unterschiedlichen Systemen zu finden (bridging the continents, wie es Basil Markesinis ausgedrückt hat), um die Konvergenzen der Systeme herauszufinden, und um auf konstruktive Art und Weise common law und civil law einander gegenüberzustellen.56 Man muß darauf hinzuweisen, daß die komparatistische Kultur, an deren Seite die Kulturen und Systeme der verschiedenen Länder stehen, reif dafür ist, diesen Traum zu verwirklichen, und man kann nicht ernsthaft behaupten, daß es unter den europäischen Juristen eine „gemeinsame Rechtskultur“ 57 oder eine gemeinsame „Rechtswissenschaft“ gäbe.58 Auf der anderen Seite, betrachtet man die immer zahlreicheren Studien europäischer Juristen, so kann man feststellen, daß die 53
Legrand P (1996) "Sens et non-sens d'un code civil européen" Rev. int. dr. comp., 779. Zeno-Zencovich V (1998) "Il “codice civile europeo”, le tradizioni giuridiche nazionali e il neo-positivismo" Foro italiano V, 60. 55 Siehe hierzu auch Heidemann M (2007) Methodology of Uniform Contract Law - the UNIDROIT Principles in International Legal Doctrine and Practice, Kap. 8, S. 193-201. 56 Markesinis B, Hrsg. (1994) The Gradual Convergence. Foreign Ideas, Foreign Influences and English Law on the Eve of the 21st Century; ders. (1997) Foreign Law & Comparative Methodology. 57 Schulze R (1995) "Le droit privé commun européen" Rev.int.dr.comp, 31, dort auch eine sehr umfangreiche Bibliographie. 58 Legrand P op.cit Anm. 53, 779, 785. 54
Teil 2 Kapitel 1 Bedeutung und Grenzen
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Bücher, Aufsätze und Enzyklopädien mittlerweile die nationalen Grenzen überschreiten und immer häufiger Referenzen zu anderen Kulturen machen, sei es, um das eigene Recht besser zu verstehen, sei es, um von anderen Systemen Anregungen und Modelle zu erhalten. Ohne die Zirkulation der Modelle (von Gesetzen und Rechtsgrundsätzen) zu berücksichtigen, welche die politischen und kulturellen Grenzen immer schneller und verbreiteter überwinden. In jedem Fall wissen, wir, daß die „Rechtswissenschaft“ sich nicht in einheitlicher Form präsentiert: die heutigen Forschungsrichtungen im Bereich des Rechts, wie der juristische Positivismus, der Neoiusnaturalismus, der Realismus, die Hermeneutik, etc. Es wäre falsch, den Wert des Ziels der Vereinheitlichung einfach nur an formaljuristischen Kriterien festzumachen. Aber die Existenz einer gemeinsamen Rechtskultur endet hier nicht. Es wurde gezeigt, daß sich in der westlichen Kultur „gemeinsame Rechtswerte“ gefestigt haben.59 Auch, wenn man die Tradition des Römischen Rechts nicht in Betracht zieht (gleiches gilt für das „ius commune“ des Mittelalters, welche, verglichen mit dem das „ius commune europaeum“ unserer Tage etwas anderes ist),60 so muß man doch die Tatsache zur Kenntnis nehmen, daß in allen Ländern der EU Grundrechte mit identischem Tenor in Kraft sind. Tatsächlich geht man davon aus, daß sich das Verfassungsrecht der Union durch die Prinzipien, die in den geschriebenen und ungeschriebenen Verfassungen der Mitgliedstaaten gesammelt sind, materialisiert. Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde im übrigen von allen Mitgliedstaaten ratifiziert. Wenig relevant erscheinen die Kritiken an den exzessiv langen Zeiträumen, die zur Kodifizierung nötig sind,61 oder an der Tatsache, daß eine Kodifizierung nur des Vermögensrechts die Gefühle vernachlässigen würde, oder die narrative Rolle des Rechts opfern würde.62 Man hat auch die Autorität, mit der der Kodex redigiert werden soll, in Zweifel gezogen.63 Autorität wird hier im moralischen, sicher nicht im juristischen oder institutionellen Sinne verstanden, denn was die Gemeinschaft anbelangt, schließen die Bestimmungen des Vertrages die Schaffung eines einheitlichen juristischen Raumes nicht aus, sondern favorisieren ihn vielmehr. Weiter wurde die Notwendigkeit eines Systems für jede Kodifizierung ins Feld geführt, um ihre Realisierung anzufechten. Das Zivilgesetzbuch sollte zwar in verschiedene Bereiche aufgeteilt werden, aber die Harmonisierung kann sehr wohl schrittweise vorangehen; wichtiger als die systematischen Notwendigkeiten sind dagegen die funktionellen und praktischen. 59
Stein P und Shand J (1974) Legal Values in Western Society; vgl. hierzu: Alpa G (1993) I principi generali; Hinestrosa F (1998) "Des principes généraux du droit aux principes généraux des contrats" Uniform Law Review(3), 501-17. 60 Schulze, op cit. Anm. 57, 10. 61 Markesinis B (1997) "Why a code is not the best way to advance the cause of European legal unity" European Review of Private Law(5), 519. 62 Jayme E (1996) Cultural Identity and Integration: Post-modern Private International Law. General Course on Private International Law; Zaccaria A (1997) "Il diritto privato europeo nell'epoca del postmoderno" Riv.dir.civ(1), 367. 63 Legrand, op.cit. Anm. 53, 803.
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7. Initiativen für die Redaktion eines Europäischen Zivilgesetzbuches
Auch wurde eingeworfen, daß die neue Kodifikation „nackt und bloß“ entstünde, also ohne den Reichtum der historischen Traditionen, der in Jahrhunderten gereiften Erfahrungen, der dadurch verkörperten Ideale. Darauf wird später eingegangen werden, auch wenn man sofort anmerken muß, daß die Geschichte eine Sache ist, die Realität aber eine andere; Sentimentalität steht gegen Praktikabilität, der Erfahrungsschatz auf der einen Seite, Erneuerung auf der anderen. Verschiedene andere Kritiken verdienen sehr wohl Beachtung, auch wenn sie (unserer Ansicht nach) überwindbar sind. Diese können wie folgt zusammengefaßt werden: - der strukturelle, kognitive und praktische Unterschied zwischen common law und civil law; - die Unterdrückung der originär nationalen Merkmale und der Wert des juristischen Pluralismus; - die Möglichkeit, andere Harmonisierungstechniken anzuwenden, die sich von der Redaktion eines einheitlichen Zivilgesetzbuches unterscheiden. Im Hinblick auf die erste Kritik ist die Meinung von Alan Watson sicher sehr beachtenswert, der der Ansicht ist: „ the legal tradition has a considerable impact on the shaping of the law, and the individual sources of law have different effects on the growth of the law“:64 eine Sache ist die Schaffung einer Ordnung auf der Basis von legislativen Quellen, statt auf der Basis von solchen der Rechtsprechung. Aber man muß auch daran erinnern, daß mittlerweile im englischen, wie auch im irischen Recht nicht alles Recht auf der Basis von case law geschaffen wird, angesichts der Tatsache, daß die Bereiche des „statute law“ sich immer mehr ausweiten: die von LexisNexis Butterworth’s herausgegebenen Sammlungen65 sind in großen Abteilungen organisiert, und die Gesetzgebungsregeln zum Vertrags- und Handelsrecht sind in mehreren großen Bänden enthalten. Die Zugehörigkeit des Vereinigten Königreichs zur EU impliziert darüber hinaus die Anwendung aller Verordnungen wie auch aller Richtlinien der Gemeinschaft, natürlich als geschriebenes Recht. Auch die Haltung vieler Verfechter des common law gegenüber der Kodifizierung als Technik zur Einführung oder zur Konsolidierung juristischer Regeln: In seinen Schlußbetrachtungen zu den zukünftigen Entwicklungen des Handelsrechts im Vereinigten Königreich sagte einer der anerkanntesten Forscher der Materie, Roy Goode, schon am Ende des letzten Jahrhunderts voraus, daß es eine interne Kodifizierung geben werde, in der die derzeit geltenden Regeln für wirtschaftliche Transaktionen festgeschrieben werden.66 Gleichzeitig wäre es naiv, zu glauben, es gäbe in den Staaten mit einem verfaßten und kodifizierten Recht
64
Watson A (1990) "Roman Law and English Law: Two Patterns of Legal Development" Loyola Law Review 36 (2), 247, 248. 65 Halsbury’ Statutes. 66 Goode R (1998) Commercial Law in the Next Millennium,100 ff; siehe dazu auch die Buchbesprechung von Buckley R P (2000) "Commercial Law in the Next Millenium - A Review of the Hamlyn Lectures Delivered by Professor Roy Goode" Bond Law Review 12(1) 115 und näher unten Teil 3 Kapitel 1; zur Gegenüberstellung der Technik des „restatement“ und Kodifizierung vgl. Goode R (1998) "International Restatement of Contract and English Contract Law" Uniform Law Review (3) 231.
Teil 2 Kapitel 1 Bedeutung und Grenzen
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kein case law, keine Regeln zur Rechtsprechung, die den geschriebenen Text mit Leben erfüllen, ihn vervollständigen und korrigieren. Tatsachen spielen in jedem System eine wichtige Rolle; das Denken (Analogie, Rechtsfindung) ist offenbar in seinem procedere unterschiedlich, aber in der Substanz einander ähnlich. Die Datierung der Gesetze ist in beiden Systemen unsicher, das sich case law wie statute law in beiden finden. Die Bildung geschützter Interessen als „subjektive Gesetze“ ist ohnehin beiden Systemen gemeinsam. Darüber hinaus ist die Vertragspraxis immer ausgedehnter, viele der Praktiken kommen aus den englischsprachigen Ländern, und zwar im Hinblick auf neue Verträge, auf die Modalitäten des Vertragsabschlusses, auf die Kommunikationstechniken und auf den Transfer von Daten und Titeln. In einer neueren Abhandlung über das italienische Privatrecht, herausgegeben von Rodolfo Sacco, wurde neben einem Band über die schriftlichen Rechtsquellen auch ein Band über die „nicht schriftlichen“ Quellen veröffentlicht.67 Was die zweite Kritik angeht, so ist die „Unterdrückung“ eher virtueller als realer Natur. Natürlich werden die in den jeweiligen Kodizes enthaltenen Regeln im Einzelnen nicht mehr angewandt, aber sie werden in den allgemeinen Gesetzen (die auf den heute gültigen Regeln fußen) überleben, und sie werden in der Kultur der einzelnen Länder Bestand haben, von dem Moment an, in dem die Interpreten auf lange Zeit hinaus ihre eigenen konzeptionellen Kategorien und ihren eigenen Deutungsstil auf die neuen Regeln anwenden. Obzwar der juristische Apparat eines der fundamentalen Identitätskriterien eines Landes ausmacht, sind seine Existenz und Inhalt doch lediglich für die Juristen von Bedeutung. Vom einzelnen Bürger aus betrachtet, hat er realistisch gesehen nicht diese Bedeutung. Der Verweis auf die Geschichte und die Kodifizierung (oder generell auf die juristische Organisation, die von der Tradition überliefert ist) darf weder unternoch überbewertet werden. Sie ist überbewertet, wenn eine Tradition konstruiert wird – wovor uns Hobsbawm warnt – nur um ein Ziel zu erreichen, oder um eine rein instrumentelle Zweckmäßigkeit zu verhindern. Es ist heute bekannt, daß das gemeine Recht des Mittelalters vor dem Hintergrund einer gemeinsamen europäischen Rechtskultur gereift ist,68 und daß es der Grundstock war, aus dem, in vielen Verästelungen, die nationalen Rechte der Länder Kontinentaleuropas und der Inselstaaten (England, Schottland und, etwas später, Südirlands) entstanden sind. Es ist bekannt, daß im Mittelalter große wichtige Veränderungen stattgefunden haben, die Berman als authentische „Revolutionen“ bezeichnet hat.69
67
Alpa G, Monateri P G, et al. (1999) Le fonti non scritte, in: Le fonti del diritto italiano. Sacco R (Hrsg.) Bd. 2. 68 Santini G (1996) " L'Europa come spazio giuridico unitario: un'armonia nel rispetto delle dissonanze" Contratto e impresa/Europa 43; Grossi (2004) L'ordine giuridico medievale; siehe die Buchbesprechung hierzu von Meder S (2007) Internetrezensionen. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschicht 124, abrufbar unter http://www.koeblergerhard.de/ZRG124Internetrezensionen2007/GrossiPaoloLordine.htm. 69 Berman H J (1983) Law and Revolution. The Formation of the Western Legal Tradition., (dt. Übersetzung von H Vetter 1991 bei Suhrkamp.)
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7. Initiativen für die Redaktion eines Europäischen Zivilgesetzbuches
Aber die abendländische Rechtsgeschichte ist eine vielfältig gebrochene Geschichte, die Fortschritte (wie die Kodifizierungen) genauso beinhaltet, wie Rückschritte (wie die Dogmatik des 19. Jahrhunderts) und kuriose Abschweifungen (wie z.B. die größere Nähe des Römischen Vertragsrechts zum common law als zum napoleonischen oder germanischen Modell), überraschende Verbindungen (wie die englische Übersetzung eines Gesetzes nach italo-napoleonischem Vorbild wie die Zivilgesetzbücher von Malta und Quebec), oder unerwartete Spiegelungen (wie jene des kanonischen Rechts auf die englische „equity“). Die Evolution der Modelle ist nicht monolithisch, wie sie die Verfechter der romanistischfranzösischen Tradition darstellen möchten: es genügt, sich die unterschiedlichen Anwendungen des Code Napoléon in Frankreich und Belgien vor Augen zu halten, wo die Geltung der gleichen geschriebenen Gesetze zu beachtlichen Unterschieden in der Interpretation von Doktrin und Rechtsprechung führt. Unterschiede, die man auch in den Staaten des common law findet, nicht nur zwischen dem englischen und dem amerikanischen common law, sondern auch zwischen dem englischen und dem irischen, oder dem anderer ehemaliger englischer Kolonien. Die Geschichte bietet ein wunderbares Reservoir an Tatsachen, Techniken, Tendenzen und Modellen, aber man kann sie nicht nur zum Teilen, sondern auch zum Vereinen gebrauchen. Im alten Europa hat man neue Kodifikationen erstellt, oder ist dabei, das zu tun, wie beispielsweise in Holland. Gesetzbücher werden überarbeitet, wie in Italien und in Deutschland, ganz zu schweigen von den großen Rechtsänderungen, die in allen Ländern mit der Annahme von Gemeinschaftsrichtlinien geschehen sind. Im übrigen, zeigt das Gemeinschaftsrecht eine expansive Kraft, denn es tendiert dazu, auch die rechtlichen Regelungen zu beeinflussen, die nicht von den Richtlinien betroffen sind.70 Kann man wirklich von juristischem Pluralismus sprechen, von Einheit in Vielfalt, von nicht unterdrückbaren Werten, oder soll man von einer Überwindung des juristischen Pluralismus sprechen? Von diesem Standpunkt aus betrachtet, kann uns die Geschichte noch vieles lehren: es genügt, an die Schwierigkeiten zu denken, die der Partikularismus im vorrevolutionären Frankreich des 18. Jahrhunderts oder im Italien vor der politischen Einheit des Jahres 1861 hervorgebracht hat, und an die Vorteile, die man in diesen Ländern nach der Vereinheitlichung der rechtlichen Regelungen hatte. In jedem Falle ist es nur eine Frage des Niveaus, auf dem man die kodifizierten Regeln ansiedeln will: es handelt sich trotzdem immer um Regeln von genereller Natur, die den Mitgliedstaaten die Freiheit lassen, besondere Regelungen einzuführen, die auf die einzelnen Regionen anwendbar sind: die Dichotomie Staatsrecht – Regionalrecht, oder Recht einzelner Nationen, wird durch die Bereiche, die nicht die Wirtschaftsbeziehungen betreffen, gerettet werden können. Hinsichtlich der Auswahl anderer Harmonisierungstechniken ist die Diskussion selbstverständlich offen. Man könnte mit der Einführung von Richtlinien, aufgesplittert nach Bereichen, fortfahren, aber schon jetzt schafft das System gemein70
Vgl. die Verweise bei Alpa G und Dassio M (1997) "Les contrats des consommateurs et les modifications du code civil italien" Revue internationale de droit comparé, 629.
Teil 2 Kapitel 1 Bedeutung und Grenzen
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schaftlicher Normierung Koordinationsschwierigkeiten zu Lasten der Kohärenz, der Einfachheit und der Anwendbarkeit. Man könnte an Abkommen denken, was jedoch an der zu erwartenden Situation nicht viel ändern würde. Man kann an ein „Restatement“ oder an eine Collage der generellen Prinzipien denken, aber die Regeln der Lando-Kommission, auch wenn sie sich nicht sehr von diesem Vorschlag unterscheiden, sind das Resultat eines „more creative process“.71 Man kann an generelle Prinzipien denken, aber die bereits ausgearbeiteten Regeln sind von generellen Prinzipien nicht weit entfernt, insoweit sie ausreichend elastisch und allgemein formuliert sind. Man kann daran denken, Gesetze vom case law zu entlehnen – auf der Basis von Untersuchungen aus den sechziger Jahren, die in Italien von Gino Gorla und im gleichen Zeitraum in England von Basil Markesinis durchgeführt worden sind – aber auch dann müßte man immer noch diese Regeln in einen ordentlichen Text überführen und somit ihr „restatement“ betreiben. Diesbezüglich hat man festgestellt, daß ein „restatement“ im Vergleich zu einem Gesetzbuch keine geringere inhaltliche Schärfe hat.72 Es handelt sich um Alternativen, die die Lando-Kommission wohl bewertet hat, und die nun von der Kommission wieder aufgenommen werden, welche unter der Leitung von Christian von Bar die Arbeit auf den verbleibenden Gebieten des Obligationenrechts fortführt. In jedem Fall sind diese Alternativen nicht neu: sie wurden schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von Rodolfo Sacco bewertet, der darauf hinwies, daß die Auswahl nicht nur zur Lösung technischer Probleme da sein darf, sondern vor allem auch politische Bewertungen beinhalten muß. Weniger schätzenswert erscheint der andere Vorschlag, mittels dessen man die Redaktion eines europäischen Gesetzeswerkes durch die Abfassung gemeinsamer Regeln eines einheitlichen internationalen Rechts ersetzen möchte. Es würde sich in jedem Fall um eine provisorische Zwischenlösung handeln. Man würde zwar der Anwendung gemeinsamer Prinzipien durch die Auswahl der anzuwendenden Regeln Raum geben, aber die Richter müßten immer auf die Anwendung von Gesetzen zurückgreifen, die sich von den nationalen unterscheiden, mithin auf Gesetze anderer Länder der Gemeinschaft, mit denen sie (im Normalfall) nicht vertraut sein können.
8. Probleme der Redaktion Bevor wir uns in zusammenfassender Weise den Vorteilen einer Europäischen Kodifizierung zuwenden, ist es sinnvoll, über einige reale Probleme dieser Initiative nachzudenken. Das erste Problem ist die Sprache. Ein Europäisches Zivilgesetzbuch müßte in allen Sprachen der Gemeinschaft redigiert sein. Standardverträge und Standard71
Lando O (2004) European Contract Law, in: Diritto privato europeo: problemi e prospettive Moccia L (Hrsg.) Bd. 2, 117, 128. 72 Zeno-Zencovich V (1998) "Il “codice civile europeo”, le tradizioni giuridiche nazionali e il neo-positivismo" Foro Italiano V 60, 67.
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8. Probleme der Redaktion
vertragsklauseln sind auf englisch abgefaßt. Bekanntlich ist Englisch die allgemein anerkannte Handelssprache, die Französisch verdrängt hat. Gemeinsam mit Französisch ist es eine der am meisten verwendeten Sprachen in der Bürokratie der Union. Dies nicht so sehr wegen der Stärke des Vereinigten Königreichs, die seit langer Zeit abnimmt, sondern vor allem wegen der Expansion der Wirtschaftsmacht (und auch der politischen Macht) der Vereinigten Staaten, wegen seiner Praktikabilität und wegen der Einfachheit seiner Grammatik. Schon die Ausarbeitung von Gesetzen in einer Sprache, die einem Land entspringt, das eng mit dem Gedanken des common law verbunden ist, und die mithin gezwungen ist, ihre Wortwahl und Konzepte den Termini und Bedeutungen verschiedenen Ursprungs anzupassen (also dem französischen und dem deutschen Modell), stellt eine Schwierigkeit bei der Kodifizierung dar, denn sie ist die Frucht eines Kompromisses von großer Tragweite.73 Die Übersetzung in die Sprachen der Mitgliedstaaten ist unvermeidlich, und damit wird man auch in den Übersetzungen die Gesetze an die ursprüngliche Kultur der Regionen, in denen der Text Anwendung finden soll, adaptieren können. Fundamental ist dann die Auswahl der geschriebenen Gesetze, mehr als die dem case law entspringenden Gesetze. Natürlich könnte die Auswahl zur Kodifizierung den englischsprachigen Juristen parteiisch erscheinen, aber viele von ihnen sind mittlerweile davon überzeugt, daß ein kodifiziertes Recht bedeutende Vorteile birgt, wie Vereinfachung, Sicherheit, Vorhersehbarkeit der Gesetze. Man muß auch beachten daß: „the citizen of a European State has not the same easy access to the laws of his sister states. Very often he cannot read them in the original and those he can read he may not fully understand“.74 Zur Struktur: ein Gesetzbuch von dieser Art und zu diesen Zwecken kann nicht wie die alten Gesetzbücher des vergangenen Jahrhunderts zusammengestellt sein. Es kann keinen allgemeinen Teil haben, sondern es wird aus Regeln bestehen, die für bestimmte Bereiche gemacht und koordiniert sind. Es kann nicht vollständig sein, sondern es wird Abstufungen für sich in Anspruch nehmen. Es wird eher Gesetze von großer Tragweite enthalten, als durch Umstände bedingte Regelungen. Es wird sich um Regelungen von dynamischer Realität handeln, nicht um statische Gesetze. Diese werden somit in ihrer Anwendung bewertet und dort verändert werden, wo Lücken, zweideutige Formulierungen, unzweckmäßige Entscheidungen Eingriffe zur Vervollkommnung notwendig machen. Auch die grundsätzlichen Unterschiede auf konzeptioneller Ebene müssen eingeebnet werden: hierzu dient der Vergleich, der mit ausgefeilten Instrumenten und
73
Unter den zahlreichen Beiträgen vgl. besonders Palmisciano G und Christoffersen J (1993) Aspects linguistiques de la communication juridique en Europe: pratique et problèmes des ‘juristes-reviseurs’ de la Commission des Communautés Européennes”, in: Il diritto privato europeo: problemi e prospettive. Moccia L (Hrsg.) Bd.2, 69; vgl. auch die Formulierung einer Definition von „Obligationen“ im CFR, III-1:101, Bar C v, Clive E, et al., Hrsg. (2008) Principles, Defintions and Model Rules of European Private Law. Draft Common Frame of Reference. Outline Edition, 149. 74 Lando O (1993) European Contract Law, in: Diritto privato europeo: problemi e prospettive Moccia L (Hrsg.) Bd. 2, 117-34, 118.
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mit der richtigen Perspektive angestellt werden muß: „Die Aufgabe der Wissenschaft ist es (...) absurde konzeptionelle Widersprüche zu relativieren und auszumerzen“.75 Es werden schwierige Fragen übrig bleiben. Zum Beispiel die Unterscheidung zwischen zwingenden Vorschriften und Sollvorschriften, mit Blick auf die einzelnen Ordnungen, denen die gemeinsamen Vorschriften entspringen. In den Ländern, in denen die Verfassungskonformität der Vorschriften des Privatrechts einem speziellen Gerichtshof anvertraut ist, wird es nötig sein, die Gesetze den Verfassungen der verschiedenen Länder konform zu gestalten (es sei denn, man löst die Frage von Grund auf und entzieht die gesamte Disziplin des Privatrechts der Souveränität der Mitgliedstaaten). Man wird den direkten oder indirekten Anwendungstechniken der einzelnen Verfassungsnormen, die schon in den verschiedenen Systemen existieren, Rechnung tragen müssen. Man wird auch berücksichtigen müssen, daß die Anwendung von Generalklauseln (wie der gute Glaube, die Vernunft etc.) und die Übertragung größerer Macht an die Richter auch einen besonders engagierten Einsatz der Richter erfordert. Im Besonderen müßten die Rechtsbehelfe vereinheitlicht werden, weil das Recht nicht nur von einem materiellen Standpunkt aus betrachtet werden kann, sondern auch vom Standpunkt der Anwendungspraxis. In diesem Sinne wird es sogar notwendig sein, die Vereinheitlichung der Justizverwaltungssysteme ins Auge zu fassen, sowohl desjenigen der Berufsrichters, als auch des privat berufenen. Zusätzlich zu den bereits dargestellten Vorteilen, lohnt es sich, daran zu erinnern, daß eine einheitliche Kodifizierung die wirtschaftliche Einheit bestärkt und der politischen vorausgeht. Aber wenn die juristische Komponente – also die Gesamtheit der Rechtsorganisation einer Gemeinschaft – tatsächlich eine essentielle und charakterisierende Bedeutung hat, dann wird die Redaktion einer gemeinsamen Kodifikation mit europäischer Dimension einer der zusammenführenden Faktoren der Europäischen Gemeinschaft sein, und einer der Faktoren der europäischen Identität selbst.76
9. Die Mitteilungen der Europäischen Kommission zum Vertragsrecht Die Organe der Gemeinschaft haben erneut einige grundlegende Dokumente vorgelegt, um die aktuelle Situation darzustellen, und um Hinweise und Orientierungen hinsichtlich der zukünftigen Aktivität zu erhalten. Im Besonderen muß man die Mitteilung 2001, Nr. 398 zum Europäischen Vertragsrecht und die Mitteilung 2001, Nr. 531, beide von der Kommission, zum Verbraucherschutz nennen, und die Resolution des Europäischen Parlaments zur Angleichung des Zivil- und Han75
Sacco R (1993) Il sistema del diritto privato europeo: le premesse per un codice europeo, in: Diritto privato europeo: problemi e prospettive Moccia L (Hrsg.) Bd. 2, 87-98, 98. 76 Gadamer H-G (1989) Das Erbe Europas, zitiert nach der italienischen Ausgabe Gadamer H G (1991) L'eredità dell'Europa, ix.
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9. Die Mitteilungen der Europäischen Kommission zum Vertragsrecht
delsrechts A5-0384 von 2001, die Mitteilung 2002, Nr. 196 über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht und den Vorschlag zur Harmonisierung der Vorschriften zur zivilrechtlichen Haftung. Mit der Mitteilung vom 11. Juli 2001 an den Rat und das Europäische Parlament77 hat die Kommission einen breitangelegten Fragenkatalog vorgelegt, um Beobachtungen, Anregungen und Reaktionen seitens der Institutionen über das „Europäische Vertragsrecht“ einzuholen. Dieser Ausdruck ist in doppeltem Sinne zu verstehen: einerseits spielt er auf die verschiedenen, von den Organen der Gemeinschaft angenommenen normativen Interventionen im Bereich der Verträge an, andererseits bezeichnet er auch eine gemeinsame Basis, die aus Terminologie, Bedeutungen und Konzepten, aus generellen Prinzipien und speziellen Regeln besteht, welche sozusagen das Hinterland darstellen, in das sich notwendigerweise die normativen Interventionen einfügen. Ein vielfältiges Hinterland, in das Modelle aus verschiedenen Kulturen, Berufserfahrungen und Traditionen einfließen, das sich entweder als solches erhalten könnte, oder das zu Harmonisierung und Uniformierung streben könnte. Angesichts der Technik, mit der die Gemeinschaftsorgane diese Interventionen ausgeführt haben, eine Technik, die unterteilt ist in generelle und spezifische Maßnahmen, ergriffen zu unterschiedlichen Zeiten, ohne ein logisches Vorgehen oder ein umfassendes Projekt, einmal auf einzelne Bereiche, ein anderes mal auf die Modalitäten des Vertragsabschlusses bezogen, mal die Verhaltensregeln der Vertragsparteien in den unterschiedlichen Phasen des Vertragsabschlusses, der Ausführung oder der Auflösung betreffend, dann wieder einzelne Vertragsklauseln behandelnd, und angesichts der Tatsache, daß diese Interventionen sich mitunter auf Bereiche beziehen, die sich überschneiden oder zueinander im Gegensatz stehen, hat die Gemeinschaft vier Optionen vorgeschlagen: - nicht mit weiteren Maßnahmen einzugreifen und dem Markt die Lösung der Probleme zu überlassen; - die Entwicklung von gemeinsamen, unverbindlichen Grundsätzen zu fördern, die die Parteien, die Richter und die Gesetzgeber bei ihren Aktivitäten berücksichtigen können; - mit Maßnahmen zu intervenieren, die geeignet sind, die gemeinschaftliche Gesetzgebung zu verbessern; - ein neues Instrument auf Gemeinschaftsebene einzuführen, (Regelung, Richtlinie, Empfehlung), und dieses Instrument entweder als frei anwendbar oder als verpflichtend zu betrachten. Mit einer anderen Mitteilung vom 2. Oktober 2001,78 das „Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union“ hat die Kommission eine Untersuchung auf den Weg gebracht, mit dem Ziel, die Existenz von Hindernissen darzustellen, auf welche die Konsumenten und Unternehmen treffen, aufgrund von nationalen Unterschieden bei der Transparenz und Korrektheit wirtschaftlicher Transaktionen, unter Berücksichtigung vorvertraglicher, vertraglicher und postvertraglicher Aspekte bei den Beziehungen zwischen Unternehmen und Verbrau77 78
KOM (2001) 398 def. KOM (2001) 531 def.,
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chern. Dabei hat sie die Frage gestellt, ob eine Reform derjenigen Bereiche der Gemeinschaft angezeigt sei, die die Verbraucher betreffen, und ob es daher eher opportun sei, mit der Methode der Fragmentierung oder mit der Methode der Systematisierung weiterzuarbeiten, und den spezifischen Regeln der einzelnen Bereiche allgemeine Vorschriften über das richtige Verhalten in „Handelspraktiken“ voranzustellen. Mit der Mitteilung, die am gleichen Datum veröffentlicht wurde,79 hat die Kommission einen Regelungsvorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates bekannt gemacht, der sich mit der Verkaufswerbung im Binnenmarkt befaßt, und in dem, nach Prüfung der häufigsten Werbeformen (von der Preisreduzierung zu Preisnachlässen, zu Geschenken, Prämien, Werbewettbewerben, und Werbespielen) direkte Interventionen vorgesehen sind, um die bestehenden Handelsrestriktionen zu harmonisieren, zu modifizieren und der gegenseitigen Anerkennung zu unterwerfen. Unterschiedlich konzipiert, mit unterschiedlicher Zielsetzung und unterschiedlichen Ausführungsmodalitäten, lassen diese Interventionen eine bis vor zehn Jahren undenkbare Realität entstehen, die man summarisch mit einigen grundlegenden Thesen beschreiben kann: - Die Gemeinschaftsorgane haben einen Regelkorpus begründet, der vornehmlich das Vertragsrecht betrifft. Damit wurde ein „Europäisches Vertragsrecht“ ins Leben gerufen, in der ersten, oben beschriebenen Bedeutung, das vor allem Verbraucherverträge, jedoch in einigen Fällen (wie beispielsweise beim elektronischen Handel) alle Beteiligten betrifft. - Dieser Regelkorpus ist nicht systematisiert, aber für die Mitgliedstaaten verbindlich. Diese haben deshalb ihr ursprüngliches nationales Recht modifiziert, um es an das Gemeinschaftsrecht anzupassen. - Der Regelkorpus konstituiert per se eine Interventionstechnik, welche – obschon fragmentarisch – dazu tendiert, sich in die inneren Ordnungen auszubreiten. - Seine Adaption, seine Interpretation und seine Assimilation sind den Prinzipien des Gemeinschaftsrechts und den Interpretationsrichtlinien des EUGerichtshofs unterworfen. Sie stellen mit anderen Worten Anleitungen zur Normierung und Interpretation dar, die die Gesetzgeber, die Richter, die öffentlichen Verwaltungen und die privaten Handelnden nicht nur nicht vernachlässigen können, sondern die sie beachten müssen. Die Reaktionen auf das erste Dokument waren weitreichend und diffus zugleich: unterstellt man, daß eine Verbesserung der Normierungstechnik der Gemeinschaft von allen erwünscht ist, und daß der Markt per se die erklärten Ziele nicht erreichen würde, sprechen die häufigsten Reaktionen für eine „weiche“ Harmonisierung und in der Folge für die Aufstellung von Prinzipien, die die Parteien frei auswählen können. Die radikalste Lösung der Redaktion eines Europäischen Zivilgesetzbuches wurde vielfach abgelehnt, oder nur in Form eines „Modellgesetzes“ erwogen; mit dem Ergebnis einer freien Auswahl seitens der handelnden Privatpersonen oder eventuell der Gesetzgeber. 79
2. Oktober 2001, KOM (2001) 546 def.
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9. Die Mitteilungen der Europäischen Kommission zum Vertragsrecht
Es ist interessant, darauf hinzuweisen, wie, einmal mehr, das Spiel, das auf der Ebene des Rechts und in einer ausgesprochen formellen Welt angesiedelt zu sein scheint, nicht nur auf der Ebene der technischen Ausarbeitung von Vorschriften gespielt wird, sondern die kulturellen und politischen Identitäten, die Wirtschaftsordnungen und die professionellen Räume berührt (oder sie sogar zur Diskussion stellt). Es fragt sich trotzdem, ob es, jenseits von Studien zum Verständnis der normativen Interventionen und ihrer Ausführung in den einzelnen Mitgliedstaaten, nicht angebracht oder notwendig wäre, eine „gemeinsame Basis“ von Termini, Bedeutungen und Prinzipien, die zur Harmonisierung (oder zur Uniformierung der Regeln) gehören, zu schaffen. Mit der Mitteilung vom 2. Oktober 200180 brachte die Kommission der Europäischen Gemeinschaft eine umfassende öffentliche Befragung zur zukünftigen Orientierung des Verbraucherschutzes in der Union auf den Weg. Das Grünbuch hatte eine sehr relevante Funktion, denn es exponierte an erster Stelle das Gesamtbild der in dem Bereich bereits ausgeführten Interventionen (eben der acquis communautaire). An zweiter Stelle bemühte es sich zu verstehen – und dazu wendete es sich an die Institutionen, an die Unternehmer, an die Vertreterorganisationen und an die Zentren kultureller und juristischer Tätigkeit – wie die Zukunft dieses Bereichs aussehen könnte, ob es notwendig sei, die Lösung der Verbraucherschutzprobleme allein dem Markt und dem Wettbewerb, den Verhandlungen zwischen Unternehmern und ihren Verbänden, den Verbraucherverbänden und der Selbstregulierung zu überlassen, oder ob eine neue Intervention des Gesetzgebers der Gemeinschaft nötig sei, mit dem Ziel, die existierende, fragmentarische und zum Teil lückenhafte Materie zu koordinieren, und ob es unter Umständen angebracht wäre, den einzelnen Spezialregeln einige generelle Regeln voranzustellen. Die Kommission bat um Antworten darauf, ob es sinnvoll sei, die Materie fragmentarisch zu belassen, oder eine „gemischte“ Annäherung zu versuchen, in der man neben den besonderen Vorschriften einige allerdings schon existierende generelle Prinzipien, die in den einzelnen Mitgliedstaaten beachtet werden, aufnimmt. Die angeführten Beispiele betreffen die „redlichen Handelspraktiken“, die unlauteren Praktiken, die Information, die Selbstregulierung und die Koregulierung, die Kooperation zwischen Vertretern einander widersprechender Interessen und deren Ausgleich. Ohne direkte Verbindung hierzu – die Politik der Gemeinschaft kommt oft in Konflikt mit der Binnenmarktpolitik und der Wettbewerbspolitik – hat die Kommission eine Mitteilung zur Werbung im Binnenmarkt erstellt.81 Mit der Mitteilung vom 11. Juni 200282 wurden die Ergebnisse der Befragung, welche mit dem Grünbuch auf den Weg gebracht wurde, veröffentlicht. Die Charta der Grundrechte zum Artikel 38 mit dem Titel „Verbraucherschutz“ legt fest, daß „in der Politik der Union ein erhöhtes Niveau an Verbraucherschutz garantiert ist“. Über die Fragen politischer und juristischer Natur hinaus ist die 80
KOM (2001) 531 def. 2. Oktober 2001 [COM (2001) 546 def. 82 KOM [(2002) 289 def. 81
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Tatsache bedeutsam, daß die Charta den Verbrauchern im Rahmen des Kapitel IV über die Solidarität erhöhten Schutz zugesteht. Der Gerichtshof hat bei mehreren Gelegenheiten83 unterstrichen, daß der Begriff „Verbraucher“, unabhängig von seiner Definition, nur physische Personen betreffen kann. Das bedeutet nicht, daß die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinien gebunden wären, sondern sie können den Schutz auf die juristischen Personen ausdehnen, welche jenseits von Handelsaktivitäten operieren. Das Grünbuch, welches von der Kommission veröffentlicht wurde, kann man als ein Dokument mit vorschlagendem Charakter bezeichnen, auch wenn seine herausragende Funktion in der Beschreibung der existierenden Situation beim Gemeinschaftsrecht und innerhalb der Mitgliedstaaten besteht, sowie in der Ausarbeitung einiger grundlegender Fragen, der Harmonisierung der Techniken der außergerichtlichen Streitbeilegung. Im Unterschied zu dem in der Empfehlung Nr. 98/257/EG von 1998 und in der Mitteilung Nr. 01/161/EG von 2001 bereits Festgelegten beschreibt das Grünbuch nicht nur die Analysen und Vorschläge zu den Kontroversen zwischen Verbrauchern und Händlern, sondern untersucht weitgefaßt alle Techniken zu allen Fragen der außergerichtlichen Streitbeilegung.84 Darüber hinaus, während die vorausgehenden Dokumente sich nur auf die Schlichtung beziehen, so führte das Grünbuch auch die Technik der Vermittlung ein, indem es Vorgehensweisen unterscheidet (auch wenn die Unterscheidung eher theoretischer Natur ist), bei denen ein Dritter zwei Konfliktparteien zu einer Lösung führt, welcher diese beiden am Ende zustimmen und die Technik beschreibt, mit der der Dritte die beiden Parteien zu überzeugen versucht, indem er Schritt für Schritt die notwendigen Korrekturen anbringt, so daß die Lösung schließlich angenommen wird. Das Grünbuch sah im übrigen die Möglichkeit vor, diese Verfahren in die gerichtlichen Abläufe einzufügen und stellt diesbezüglich unter anderem Fragen nach - der Verbindlichkeit der einführenden Klauseln der ADR, - den Termini der Vorschriften, - Qualitätskriterien der Organe, die die ADR verhandeln, - der „Anerkennung“ der Organe seitens der öffentlichen Gewalten, - der Vertraulichkeit, - der Gültigkeit des Konsenses, - den Effekten der Vorgehensweise der ADR, - der Verantwortlichkeit der Organe, Am 15. November 2001 nahm das Europäische Parlament eine neue Resolution an, über die Annäherung von zivilem und Handelsrecht der Mitgliedstaaten (A50384/2001) auf der Basis eines umfassenden Berichts von K. H. Lehne. Die Ziele dieses Dokuments sind im Bulletin der Europäischen Union folgendermaßen zusammengefaßt (11-2001,16/18, 1.4.98):
83 84
Zuletzt mit dem Spruch vom 22.11.2001, Slg Nr. C-541/99 und C-542/99. Im Folgenden auch ADR, Alternative Dispute Resolution.
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9. Die Mitteilungen der Europäischen Kommission zum Vertragsrecht
“ In view of the fact that national and international rules in civil and commercial matters need to be applied more consistently than at present, Parliament considered it necessary to pursue the harmonisation of contract law. As the next step towards achieving the approximation of the member States’ civil and commercial law, it called on the Commission to present an action plan including, in particular: The creation of a database of national legislation and case-law; the consolidation and simplification of existing Community law; and the researching, dissemination and eventual application of common legal concepts and solutions. To this end, Parliament recommended the creation of a European legal Institute”.
Liest man den Text der Resolution, dann stellt man fest, daß die Kommission und das Parlament eine bemerkenswert unterschiedliche Sichtweise auf die Zukunft der Harmonisierung des Europäischen Privatrechts haben. Die Kommission beschrieb mit der Mitteilung Nr. 398 von 2001 den Umfang der Harmonisierung mit dem Vertragsrecht, während das Europäische Parlament die Kommission ermahnte, direkte Vorschläge zur Revision der Richtlinien zur Abschaffung der Klauseln der Minimalharmonisierung zu unterbreiten, welche die Realisierung einer einheitlichen Gesetzgebung auf Gemeinschaftsebene verhindert haben, und feststellte, daß diese Unterschiede einen Nachteil für den Verbraucherschutz darstellen, sowie ein Hindernis sind für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes. Das Aktionsprogramm, das von der Resolution skizziert wird, ist sehr einschneidend, denn neben dem Aufbau einer Datenbank für die angewandte Terminologie schlug sie vor, in den nächsten zehn Jahren mit der Einführung von ad hoc Regulierungen die Anwendung gemeinsamer juristischer Prinzipien zu verfolgen das Vertragsrecht zu vereinheitlichen, und zum Schluß die Annahme eines Korpus von Vertragsrechtsnormen der Europäischen Union, der den Bedeutungen und gemeinsamen juristischen Lösungen, welche in den vorausgehenden Initiativen aufgestellt wurden, Rechnung tragen soll. Die Resolution lobt die aktuellen Initiativen: insbesondere die Initiative, die schon 1982 von Ole Lando eingebracht wurde, und die sich mit der Redaktion einheitlicher Regeln des Vertragsrechts befaßte (der sog. PECL),85 und die Initiative, die von O. Lando, H. Beale und Ch.v.Bar eingebracht wurde zur Realisierung einheitlicher Regeln mit dem Ziel, alle Quellen von Obligationen und die wichtigsten Verträge (Verkauf, Dienstleistungen, Garantien etc.) zu ordnen. Es handelt sich um Initiativen, die – wie schon mehrfach präzisiert, kürzlich noch von Christian v. Bar – kein schriftliches Zivilgesetzbuch intendieren, sondern der Europäischen Union, den Mitgliedstaaten, dem Einzelnen die Möglichkeit bieten wollen, ein „Modellgesetz“ anzuwenden, mit dem sie die eigenen Beziehungen regeln können. Das geschieht mit der Absicht, genau jene gemeinsame Basis von Begriffen, Bedeutungen, Institutionen zu schaffen, auf der die Richtlinien der Gemeinschaft basieren und zukünftige Interventionen der Union voranschreiten können. Allerdings gibt es auch im Bereich der zivilrechtlichen Haftung innerhalb der Gemeinschaft Neuigkeiten, die ein Nachdenken über den Sinn von Vereinheitlichung von Terminologien, Bedeutungen und Vorschriften auf diesem Sektor verlangen, der neben dem Vertragsrecht einen Bereich von großer Tragweite und 85
Principles of European Contract Law.
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hochrelevantem Einfluß auf Streitfälle ist. Schon das Weißbuch zur Haftung bei Umweltschäden86 hat die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit gelenkt, harmonisierte Regeln einzuführen, um die Opfer von Schäden, die auf die Verschmutzung der Umwelt zurückzuführen sind, zu schützen; am 23. Januar 2002 wurde eine Richtlinie hierzu vorgeschlagen,87 am 7. Juni 2002 ein Vorschlag eingebracht, um die Richtlinien hinsichtlich der zivilrechtlichen Haftung im Straßenverkehr zu modifizieren,88 gefolgt von der Aktivität der Kommission auf die Initiativen zur Revision der Richtlinie 85/374, wo es um Schaden durch fehlerhafte Produkte geht. Ferner wurde im Laufe des Jahres 2002 ein vorläufiges Projekt seitens des Rates zu den außervertraglichen Verpflichtungen vorgestellt, das das pendent des Abkommens von Rom zum auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Recht darstellt. Der Vorschlag gibt keine Definition der Schlüsselbegriffe (wie unerlaubte Handlung, Verantwortlichkeit, Schaden). Zwar würden die nationalen Rechtsordnungen dazu tendieren, diese Lücke zu schließen, aber diese Materie ist auf dem Kontinent und auch in den Ländern des common law bekanntlich noch sehr unterschiedlich. Auf der Ebene der Initiativen für einen Europäischen Rechtsraum für das Zivilrecht hat man vorgeschlagen, eine Regelung einzuführen.89
10. Die neuen Mitteilungen Mit der Mitteilung vom 19. Mai 200390 hat die Europäische Kommission einen „Aktionsplan“ veröffentlicht, auf Grundlage dessen sie allen Interessierten – nach den üblichen Konsultationsregeln, die auf solche Dokumente angewandt werden – bittet, ihre Meinung hinsichtlich der notwendigen Initiativen zur kohärenteren Gestaltung des Europäischen Vertragsrechts mitzuteilen. Das Europäische Parlament und der Rat haben die Initiative begrüßt, besonders unter dem Gesichtspunkt, daß eine einfachere und effizientere Regelung grenzübeschreitende Transaktionen im Binnenmarkt vereinfachen würde, die Kosten von Transaktionen reduzieren könnte und den Händlern erlauben würde, die Vorteile des Marktes effizienter auszunützen. Insbesondere der Vorschlag, einen gemeinsamen Referenzrahmen für Terminologien, Bedeutungen und Prinzipien zu schaffen (CFR, common frame of reference),91 würde auch die gemeinschaftliche Gesetzgebung verbessern und positive Effekte im Bereich der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten schaffen. Der Aktionsplan sah auch die Redaktion von einheitlichen Vertragsklauseln vor, so daß Verbraucher beim Erwerb der auf dem Binnenmarkt angebotenen Gü86
KOM (2000) 66 def. KOM (2002) 17 def. 88 KOM (2002) 244 def. 89 15. Mai 2001, KOM (2001) 221 def. 90 KOM (2003) 68 def. 91 Vgl. Bar C v, Clive E, et al., Hrsg. (2008) Principles, Defintions and Model Rules of European Private Law. Draft Common Frame of Reference. Outline Edition. 87
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10. Die neuen Mitteilungen
ter und Dienstleistungen besser informiert wären. Der Rat hat die Bedeutung dieses Vorschlages unterstrichen und dem Wunsch Ausdruck gegeben, daß eine Einigung über die Aufstellung allgemeiner Regeln als fakultatives Instrument erzielt werde, die auf den gesamten Bereich der Verträge und benachbarte Bereiche anzuwenden seien, selbstverständlich in Übereinstimmung mit den nationalen Ordnungen, mit dem auf die Schuldverhältnisse anzuwendenden Recht (das Abkommen von Rom 1980) und mit dem Wiener Kaufrecht (CISG 1980). Das Europäische Parlament seinerseits, ermunterte mit der Resolution vom 2. September 2003 die Kommission dazu, den CFR92 bis 2006 zu vervollständigen, eine Sammlung von standardmäßigen Vertragsklauseln zu erstellen, die den Juristen zugänglich gemacht werden soll, und den CFR auch auf Schiedsverfahren anzuwenden. Darüber hinaus empfahl es der Kommission, einen Text mit Prinzipien zu erarbeiten, der als „fakultatives Gesetz“ für die Beziehungen zwischen Händlern und Verbrauchern und auf dem Gebiet der Versicherungen zur Verfügung steht. Mehr noch: das Parlament hat die Kommission aufgefordert, einen Kodex des Vertragsrechts zu erstellen, welcher zunächst fakultativ sein soll, dann verbindlich für alle vermittels eines gemeinschaftlichen Instruments. Auch die Europäische Zentralbank begrüßte die Initiative der Kommission, und gab der Hoffnung Ausdruck, daß der CFR für alle Euro-Länder Gültigkeit haben möge; besonders interessieren die EZB einheitliche Begriffe und Bedeutungen wie Vertrag, Schaden, höhere Gewalt, Angebot und die Regelungen hinsichtlich der Zinsen im Falle von Zahlungsverzögerungen. Das Harmonisierungswerk dürfte trotz allem das Prinzip der Vertragsautonomie nicht beschädigen, auch wenn ein fakultatives Instrument des Vertragsrechts nützlich wäre für das Funktionieren und die Entwicklung des Binnenmarktes. Insbesondere zeigte sich die EZB an einer einheitlichen Regelung der Garantien interessiert. Jede Regierung hat ihre Meinung zu diesem Thema vorgetragen, detailliert und variantenreich, aber immer für die Initiative. Die Ökonomen insistierten auf größerer Kohärenz des acquis communautaire, aber sie sprachen sich auch für eine fakultative Regelung aus, welche die allgemeinen Grundsätze zu den Verträgen und den Grenzgebieten dazu sammelt. Die Verbraucherorganisationen deckten die Lücken und Widersprüche bei den Richtlinien auf, welche die Beziehungen der Verbraucher regeln, und regten an, daß der CFR auch eine einheitliche Definition des Begriffs „Verbraucher“ beinhalten soll. Die Händler haben ihrerseits darauf hingewirkt, ein einheitliches Vokabular der Termini und Definitionen zu redigieren und dabei die unterschiedlichen kulturellen Traditionen zu berücksichtigen, aber sie gaben ihrer Angst vor dem Risiko Ausdruck, daß eine Redaktion von Termini, Klauseln und einheitlichen Regeln das Schutzniveau, das vom acquis bereits den Verbrauchern und kleinen und mittleren Unternehmen zugesprochen wurde, verringern könnte. Was die Akademiker betrifft, sind die Positionen vielfältig. Die Lando-BealeKommission hat die drei folgenden Stadien benannt, in denen sich der Vereinheitlichungsprozeß des Vertragsrechts artikulieren sollte: zuerst könnte der Kodex ein fakultatives Instrument für Parteien sein, die transnationale Operationen durchfüh92
Common Frame of Reference, veröffentlicht bei Sellier, wie vor.
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ren (opt-in); danach könnte er verbindlich werden, mit Ausnahme der deroga patrizia; schußendlich könnte er verbindlich auf alle Vereinbarungen, die im Bereich der EU abgeschlossen werden, ausgedehnt werden. Man fragt sich, wie der CFR redigiert werden sollte. Er müßte sicherlich einen definitorischen Teil beinhalten, eine Darstellung der Regeln und einen erklärenden Kommentar. Aber man fragt sich nach der innovativen Kapazität eines solchen Textes: mit anderen Worten, soll er nur den existierenden acquis reflektieren, oder über ihn hinausgehen? Das Problem wurde in den Treffen der Studiengruppe, die von Christian von Bar mit dem Ziel der Redaktion eines echten „Europäischen Zivilgesetzbuches“ koordiniert wurde, diskutiert, und wurde dahingehend gelöst, daß man Regeln vorschlagen möchte, die nicht nur die gegenwärtige Situation reflektieren, – fast so, als wären sie der Niederschlag, gewissermaßen der „kleinste gemeinsame Nenner“ der einzelnen Ordnungen – sondern auch die allgemein anerkannten Prinzipien erneuern, immer noch existierende Antinomien auflösen und die Regeln zu den Privatrechtsbeziehungen für alle Teilnehmer fruchtbarer gestalten. Mit anderen Worten: ein Gesetzbuch ist nicht nur die Momentaufnahme der gegenwärtigen Situation, sondern es soll eine vorausschauende Perspektive bieten, denn es ist dazu bestimmt, Beziehungen zu regeln, die erst in der Zukunft enstehen, einer Zukunft, in der die Rhythmen des Marktes vielleicht sehr zurückhaltend sein werden und starke Impulse brauchen. Ein wenig komplexer ist ein anderer Vorstoß zur Annäherung der Vertragsrechte, der, begleitend zu den Initiativen, die sich auf die Redaktion normativer Modelle konzentrieren, die Redaktion von einheitlichen Vertragsklauseln für bestimmte Vertragstypen vorschlägt. Die Einführung einheitlicher Standardklauseln hätte den Vorteil, die Vertragsbeziehungen so zu vereinheitlichen, daß die Parteien nicht einer Vielzahl von Typologien ausgesetzt wären: sie könnten sofort die Vertragsinhalte und die ökonomischen Bedingungen, denen er unterliegt, verstehen und daher leichter den Vertragspartner auswählen, ohne befürchten zu müssen, daß der Vertrag unklare Elemente, widersprüchliche Klauseln und „Fallen“ enthielte, die ihnen bei den Verhandlungen entgangen sein könnten. Während sich die Regierungen auch diesbezüglich positiv geäußert haben und in jedem Fall die von der Notwendigkeit, die Vertragsfreiheit der Parteien nicht über die Maßen einzuschränken diktierten Vorsichtsmaßnahmen angenommen haben, waren die Reaktionen der Händler von größeren Zweifeln getragen. Vor allem hat man sich auf die bereits existierenden einheitlichen Klauseln im internationalen Handel berufen. Zweitens wurde betont, daß es notwendig sei, die Vorschriften, die sich auf die Verträge zwischen Händlern beziehen, von denjenigen zu unterscheiden, die Verträge mit Verbrauchern betreffen. Darüber hinaus traf die Modifizierung bereits existierender Klauseln (z.B. auf den Finanzmärkten) auf Unverständnis, besonders dort, wo ihre Erneuerung negative Folgen haben würde. Von ganz anderer Natur sind die Reaktionen der Verbraucherorganisationen, die zu Gunsten von standardisierten Klauseln tendieren, die die Vertragsbeziehungen klarer machen, das Niveau des Verbraucherschutzes heben, mit den Richtli-
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10. Die neuen Mitteilungen
nien über schikanöse Klauseln in Einklang stehen, mithin „fair“ sind, und die die Freiheit des Verhandelns und den Zugang zu einem Richter sicherstellen. Letztendlich hat sich der Großteil der Regierungen und der Interessenten positiv zur Redaktion eines lediglich fakultativen Instruments auf Basis des Subsidiaritätsprinzips geäußert. Die Initiativen der Europäischen Kommission wurden also mit gemäßigtem Enthusiasmus aufgenommen. Insbesondere die englische Regierung hat unterstrichen, daß die Verfassung eines CFR keine rein akademische Arbeit sein dürfe, sondern konkrete Probleme lösen solle, und daß daher die mit der Redaktion betraute Arbeitsgruppe die nationalen Erfahrungen berücksichtigen müsse; in der gleichen Art und Weise sollte die Redaktion von Standardvertragsklauseln mit Hilfe einer umfangreichen Konsultation der betroffenen Händler einhergehen, während das Projekt, ein Europäisches Vertragsrechtsgesetzbuch zu verfassen, als völlig inopportun angesehen wird; hier schlägt die englische Regierung vor, konkrete Probleme auf der Basis des case law zu lösen. Auf der anderen Seite würde ein rein fakultatives Regelwerk nichts anderes tun, als den schon bestehenden Regeln neue hinzuzufügen. Auf der Basis mehrerer hundert Antworten hat die Kommission eine Mitteilung93 über „European Contract Law and the revision of the acquis: the way forward“ herausgegeben. Es handelt sich also um den ersten Schritt – der zweite bezieht sich auf die Standardklauseln – um mit dem erwähnten Aktionsplan fortzufahren. Eine Initiative, die mit dem Aktionsplan zu den Strategien des Verbraucherschutzes für den Zeitraum 2002 – 2006 auf einer Linie steht. Um die Redaktion eines CFR in Gang zu bringen, beginnend mit der Verbesserung des acquis, hat die Kommission auf folgendes hingewiesen: − das Vorkommen von definierten oder nicht definierten juristischen Termini mit zu allgemeinen Bedeutungen in den Richtlinien; − die Identifizierung von Gebieten, auf denen die Richtlinien praktische Probleme nicht lösen können; − die Existenz wesentlicher Unterschiede zwischen den Rechtsbereichen, in denen die Richtlinien Anwendung finden; − die Identifizierung von Deckungsungleichheiten in der gemeinschaftlichen Gesetzgebung im Bereich der Verträge. Die Mitteilung unterstreicht, daß es zweckmäßig sei, die Richtlinien zum Verbraucherschutz kohärenter zu gestalten, und zu verifizieren, ob diese wirklich das Ziel, die internen Handelsbarrieren zu eliminieren, erreicht haben, ob sie den Rechtsbereich vereinfacht haben, und darüber hinaus, ob ihre Ausführung die angestrebte Minimalharmonisierung der jeweiligen Rechtsbereiche erreicht hat. Die Beobachtung dürfte nicht nur den wörtlichen Text der Vorschriften betreffen, sondern auch das case law, die Selbstregulierung, das Niveau der Angleichung an die neuen Regeln seitens der Adressaten, die Erwartungen der Verbraucher, die Entwicklung der Märkte. Hier ist also eine wichtige Rolle, die der CFR ausfüllen könnte. Hinzu kommt die Möglichkeit, von den Parteien als auf Verträge anwendbares Gesetz genutzt zu 93
Vom 11. Oktober 2004, KOM (2004) 651 def.
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werden, in den Schiedsgerichtsklauseln den Richtern zur Anwendung zur Verfügung gestellt zu werden, als Modell von den nationalen Gesetzgebern genutzt zu werden. Die Maßgaben für die Standardklauseln stehen noch ganz am Beginn. Jenseits der zirkulierenden Informationen stellt sich der Kommission das Problem der Kompatibilität dieser Initiative mit dem Wettbewerbsrecht, mit den verschiedenen Lösungen, die die Modelle der nationalen Systeme vorsehen, mit dem Ausgleich der betroffenen wirtschaftlichen Interessen. In Hinsicht auf die Position des Europäischen Parlamentes, das in den vergangenen zwanzig Jahren immer wieder eine Kodifizierung von Vertragsregeln auf Gemeinschaftsebene favorisiert hat, unabhängig vom Wechsel seiner Mitglieder und seiner politischen Mehrheiten, erscheint die Position der Kommission im Einklang mit einer vorsichtigeren Linie. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Präsenz des acquis und der Anwendung in den Mitgliedstaaten es ausschließt, daß das System des Vertragsrechts auf dem status quo von heute stagniert, und angesichts der Tatsache, daß alle fast schon zu sehr eine Verbesserung der Redaktion der legislativen Texte erwartet haben, kann man, was die verschiedenen in der Mitteilung von 2001 dargestellten Optionen anbelangt, zusammengefaßt sagen, daß die Wahl zwischen einer schrittweisen Erneuerung der Normgebung, auch über den Weg der Abfassung von Prinzipien, und der Annahme eines (wenn auch modellcharakterhaften) Gesetzbuchs, zu Gunsten der ersten Alternative ausgegangen ist. Dies impliziert allerdings eine dauerhafte Reorganisation des Vertragsrechts, die Kontrolle der Umsetzung und die Vereinfachung von Vertragsbeziehungen durch standardisierte Modelle.
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Unidroit Principles: What Next? In: Uniform Law Rev.3 (1998), 275 ff. Zur Diskussion der Unidroit-Prinzipien in Italien vgl. die Akten des Kongresses, der in Rom, am Sitz der l'Unidroit, von J Bonell und F Bonelli 1995 organisiert worden war. Unter den ersten vgl. die Beiträge von Di Majo, Ferrari und Alpa in: Contratto e impresa/Europa, 1996, I, 287 ff. Zur Konstruktion der Evolutionslinien des Vertragsrechts und Bewertung der Entwicklung der Unidroit-Prinzipien, des Einflusses der europäischen Richtlinien und die Prinzipien der Lando-Kommission vgl. Alpa, Nuove frontiere del diritto contrattuale, Roma, 1998, zusammengefasst wiedergegeben im Band Diritto privato comparato, a.a.O. Koetz und Flessner, European Contract Law, I, Oxford, 1997, engl. Übs. Von Weir. Vranken, Fundamentals of European Civil Law, London, 1997. Zu einer Gegenüberstellung der Modelle der Sentenzen: Markesinis, Lorenz, Dannemann, The Law of Contracts and Restitution: A Comparative Introduction, Oxford, 1997. Die italienische Doktrin hat folgende Initiativen mit großer Aufmerksamkeit betrachtet: Gandolfi, Pour un code européen des contrats, in: Rev. Trim. dr. civ., 1992, 707 ff. Rescigno, Per un “Restatement” europeo in materia di contratti, in: Il diritto europeo, a.a.O. 135 ff. Mengoni, L'Europa dei codici o un codice per l'Europa?, Roma,1993, Vortrag beim Centro di studi e ricerche di diritto comparato e straniero. Die Bezugsmodelle für die Europäische Kodifizierung sind die Prinzipien von Unidroit und die Prinzipien von Lando und Beale. Vgl. hierzu: Monaco, I risultati dell' “Unidroit” nella codificazione del diritto uniforme, in: Il diritto privato europeo, a.a.O., 35 ff. Codice del consumo e del risparmio, hrsg. von Alpa, Milano, 1999. S M Carbone, Lo spazio giudiziario europeo, Torino, 1997. Drobnig, Un droit commun des contrats pour le Marché commun, in: Rev. Int. dr. comp., 1998, 26 ff. Analisi economica del diritto privato, hrsg. von Alpa, Chiassoni, Pericu, Pulitini, Rodotà, Romani, Milano, 1998. Legrand, Sens et non-sens d'un code civil européen, in: Rev. int. dr. comp., 1996, 779 ff. Eine genaue Kritik der Thesen von Legrand von Zeno-Zencovich, Il “codice civile europeo”, le tradizioni giuridiche nazionali e il neo-positivismo, in: Foro it., 1998, V, 60); Markesinis (Hrsg.), The Gradual Convergence. Foreign Ideals, Foreign Influences and English Law on the Eve of the 21st Century, Oxford, 1994. Foreign Law & Comparative Methodology, Oxford, 1997. Schulze, Le droit privé commun européen, in: Rev. int. dr. comp., 1995, 31 ff. I valori comuni dell'Occidente, Milano, 1970. Alpa, I principi generali, Milano, 1993. Hinestrosa Des principes généraux du droit aux principes généraux des contrats, in: Uniform L.Rev., 3 (1998), 501 ff. Markesinis, Why a code is not the best way to advance the cause of European legal unity, in: Eur. Rev. of Private Law, 5, 1997, 519 ff. Jayme, Cours général de droit international privé, Den Haag, Boston, London, 1995. Zaccaria (A.), Il diritto privato europeo nell'epoca del postmoderno, in: Riv.dir.civ., 1997, I, 367 ff. Watson, Roman Law and English Law: Two Patterns of Legal Development, in: Il diritto privato europeo, a.a.O. 10. Zum europäischen Handelsrecht vgl. Goode, Commercial Law in the Next Millennium, London, 1998, 100 ff. Zum Vergleich zwischen „restatement“Technik und Kodifizierung vgl. International Restatement of Contract and English Contract Law, in: 3 Uniform L. Rev., (1998), 231 ff. Rodolfo Sacco, Le fonti non scritte, Torino, 1999. Santini, L'Europa come spazio giuridico unitario:
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11. Literaturhinweise
un'armonia nel rispetto delle dissonanze, in: Contratto e impresa/Europa, 1996, I, 43 ff. Siehe auch Grossi, L'ordine giuridico medievale, Roma-Bari, 1997. Berman, Law and Revolution. The Formation of the Western Legal Tradition, 1983, jetzt übersetzt in: Diritto e rivoluzione, Bologna, 1998 und die Bezüge bei Alpa und Dassio, Les contrats des consommateurs et les modifications du code civil italien, in: Rev.int.dr.comp., 1997, 629 ff. Lando, European Contract Law, in: Il diritto privato europeo, a.a.O., 128. Zur Terminologie vgl. Palmisciano und Christoffersen, Aspects linguistiques de la communication juridique en Europe: pratique et problemes des “juristesreviseurs” de la Commission des Communautées européennes, in: Il diritto privato europeo, a.a.O., 69 ff. Zur Bedeutung des Europäischen Privatrechts vgl. prinzipiell Gadamer, L'eredità dell'Europa, Torino, 1991, IX. Luigi Moccia, Il diritto privato europeo: problemi e prospettive, Milano, 1993. I giuristi e l’Europa, Roma-Bari, 1997. Hesselink, The New European Culture, Deventer, 2001 und die Beiträge gesammelt von Poillot-Peruzzetto: Vers une culture juridique européenne?, Paris, 1998. Markesinis, The Gradual Convergence. Foreign Ideas, Foreign Influences,and English Law On the Eve of the 21st Century, Oxford, 1994. The Coming Together of the Common Law and the Civil Law, Oxford und Portland, Oregon, 2000. Monateri, Black Gaius. A Quest for the Multicultural Origins of the “Western Legal Tradition”, 51 Hastings Law Journal, 2000. Mazzacane, “Il leone fuggito dal circo”: pandettistica e diritto comune europeo, Index, 2001, Nr. 29. Giaro, “Comparemus!”. Romanistica come fattore d’unificazione dei diritti europei, Riv. Crit. Dir. priv., 2001, Nr. 4. Grossi L’ordine giuridico medievale, Roma-Bari, 1995. PadoaSchioppa Il diritto nella storia d’Europa, Padova, 1995. Hespanha Introduzione alla storia del diritto privato europeo, Bologna, 1999. Was die Handbücher anbetrifft, findet sich die erste italienische Erwähnung eines Europäischen Privatrechts in dem zweibändigen Werk von Antonio Tizzano, welches Il diritto privato dell’Unione europea zum Thema hat. (Vom Traktat des Privatrechts, hrsgg. von M. Bessone, Torino, 2000). Das Handbuch von Benacchio, Diritto privato della Comunità europea, Padova, 2001. Rizzo, 2 Bände mit Beiträgen: Diritto privato comunitario. Fonti, principi, obbligazioni e contratti; Lavoro impresa e società, Napoli, 1997. Nicola Lipari Diritto privato europeo, I und II, Padova, 1997. Eine Analyse des Europäischen Privatrechts aus historischer Perspektive mit seinen typischen Inhalten (Vertragsrecht und Verbraucherrecht, generelle und spezielle Verträge, zivile Verantwortung, andere Quellen der Obligationen, Familie und Nachfolgen, Ambiente, Eigentum, Trust und Gesellschaftsrecht ist der Einstieg zur Idee eines „Europäischen Zivilgesetzbuchs“ von Hartkamp, Hesselink, Hondius, Joustra, du Perron, Towards a European Civil Code, Nijmegen, 1998. In der gleichen Spur bewegen sich die Autoren, die an Le droit privé européen, hrsg. von de Vareilles-Sommières mitgewirkt haben, und die Autoren, die Beiträge geliefert haben zu Van Hoecke und Ost, The Harmonisation of European Private Law, Oxford und Portland, Oregon, 2000. Eine einfachere und didaktischere Perspektive bietet Vranken, Fundamentals of European Civil Law, London, 1997.
Teil 2 Kapitel 1 Bedeutung und Grenzen
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Um die Skizzierung eines Europäischen Privatrechts geht es bei den Analysen der Komparatisten, die sich um der „gemischten Systeme“ annehmen, in denen sub-nationale Ordnungen vorherrschen, oder in denen Rechtskulturen von unterschiedlicher historischer Tradition zusammenleben. Aus dieser Perspektive wird das Europäische Privatrecht verstanden als Organismus, in dem unterschiedliche Systeme koexistieren können (oder, wie einige meinen, koexistieren müssen), die trotz allem ihre Besonderheiten bewahren. Vgl. The Contribution of Mixed Legal Systems to European Private Law hrsg. von Smits, Tilburg, 2001, und ders., The Making of Eurpean Private Law. Towards a Ius Commune Europaeum as a Mixed Legal System, Anterp-Oxford-New York, 2002. Auf den Gebieten der Verträge im allgemeinen und der Haftung haben sich Forscher des Privatrechts und des vergleichenden Rechts hervorgetan, um den gemeinsamen Kern der europäischen (auch derjenigen, die nicht der Gemeinschaft angehören) Systeme zu bestimmen, und Entscheidungsmodelle zu finden, die auch jenseits der nationalen Grenzen angewandt oder assimiliert werden können. Die wichtigsten Ergebnisse sind das Produkt der Schule von Trient mit den Beiträgen der europäischen Forscher, die an dem Projekt mitarbeiten. Z.B. Good Faith in European contract Law, hrsg. von Zimmermann und Whittaker, Cambridge, 2000. The Enforceability of Promises in European Contract Law, hrsg. von Gordley, Cambridge, 2001. Die Initiativen von Grundmann mit der Vereinigung Secola von Andenas am British Institute of International and Comparative Law oder die Arbeit einzelner Wissenschaftler wie z.B. v. Bar, The Common European Law of Torts, Bde. I, II, Oxford, 2000. Markesinis, The German Law of Torts, Oxford und Portland, Oregon, 2002. Koetz, Europaeisches Vertragsrecht, Tübingen, 1996. Ranieri Europäisches Obligationenrecht, Wien, 1999. Dann die zahlreichen Studien, die im Rahmen des Projekts eines Europäischen Zivilgesetzbuchs von der Kommission unter Leitung von Ole Lando und jetzt von Christian v. Bar gesammelt worden sind, vgl. z.B. Principi di diritto europeo dei contratti, parti I e II, hrsg. von Castronovo, Milano, 2001. Studia iuridica. Um còdigo civil para Europa; Los principios del derecho europeo de contratos, hrsg. von (L.) Dies-Picazo, Roca Trias, Morales, Madrid, 2002. Die Studienzentren sind mittlerweile in ganz Europa verstreut: in Italien wird an allen Universitäten über das Europäische Privatrecht geforscht, und die bekanntesten europäischen Zentren sind in London, Osnabrück, Trier, Halle, Utrecht, Tilburg, Amsterdam, Paris, Barcelona, Madrid, Coimbra, Porto und auch in Ländern, die in den nächsten Jahren der EU beitreten werden. Auch Zeitschriften bieten eine nützliche Plattform zur Erforschung des Europäischen Privatrechts. Unter vielen möchten wir die European Review of Private Law hrsg. von Hondius und (M.L.) Storme nennen. In Italien: Contratto e impresa / Europa ed Europa e diritto privato. Weiterführende Literatur: (S.M.) Carbone, Il nuovo spazio giudiziario europeo dalla Convenzione di Bruxelles al Regolamento CE 44/2001, Torino, 2002. Bernitz und Hallstroem, Principles of Justice and the European Union, Stockholm, 1995. Somma, L’uso giurisprudenziale della comparazione nel diritto interno e comunitario, Milano, 2001. Für England: Markesinis, Foreign Law and Comparative Methodology. A subject and a Thesis, Oxford und Portland, Oregon, 2001.
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11. Literaturhinweise
Always on the Same Path, Oxford und Portland, Oregon, 2001. Van Gerven, Casebooks for the common law of Europe: Presentation of the project, in Eur. Rev. Priv. Law, 1996, 67 ff. Die Studien zur Verwaltungsmethode der Rechts und zur Bewertung der Richter, Juges et jugements: l’Europe au plurielle; hrsg. von Vogel, Paris, 1998. La conscience du juge dans la tradition juridique européenne, hrsgg. von Carbasse und Depambour-Tarride, Paris, 1999. Zusätzlich zu den Sammlungen der Seminarakten zu Il codice civile europeo, hrsgg. von Alpa, Buccico und Danovi, Milano, 2001, und La riforma dei codici in Europa e il progetto di codice civile europeo, hrsg. von Alpa e Buccico, Milano, 2002, vgl. jetzt auch: Diritto dell’economia, hrsg. von De Tilla, Alpa und Patti, Milano-Roma, 2002. Vgl. auch Rodotà, Un codice per l’Europa? Diritti nazionali, diritto europeo, diritto globale, in Codici. Una riflessione per il millennio, hrsg. von Cappellini und Sordi, in den Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno, hrsg. von di Grossi, Milano, 2002, Nr. 61. Cornu, in D., 2002, chron., 351. Malaurie, in JCP, 2002, I, 110. Charbit, ebda., I, 100. Lequette, in D. 2002, 2202. Fauvarque-Cosson, in Rev.trim. dr. civ., 2002, 463. Bush, Hondius, van Kooten, Schelhaas, Schrama, The Principles of European Contract Law and Dutch Law, Lonon-Boston-New York, 2002. Zur Kodifizierung des Verbraucherrechts vgl. die Materialien bei Osman, Vers un code européen de la codification. Codification, unification et harmonisation du droit des Etats-membres de l’Union européenne. Towards a European Consumer Code. Codification, unification, and harmonization of European Union Member-States Law, Bruylant, Bruxelles, 1998. Alpa, Il diritto dei consumatori, V. Aufl., Roma-Bari, 2002. Zimmermann, Diritto romano, diritto contemporaneo, diritto europeo: la tradizione civilistica oggi, Riv. Dir. civ., 2001, 707-708. Die Seminare des CNF sind gesammelt in: Il codice civile europeo, hrsg. von G Alpa, E N Buccico, R Danovi, Milano, 2001. La riforma dei codici in Europa e il progetto di codice civile europeo, hrsg. von G Alpa, E N Buccico, R Danovi Milano, 2002. Diritto contrattuale europeo e diritto dei consumatori. L’integrazione europea e i processo civile, hrsg. von G Alpa, R Danovi, Milano 2003. Diritto privato europeo. Fonti ed effetti, hrsg. von G Alpa, R Danovi, Milano, 2004.
Kapitel 2 Person und Markt
Inhalt: 1. Einführung – 2. Physische Person, Natürliche Person – 3. Die Person im Europäischen Privatrecht – 4. Das Versagen der juristischen Kategorien – 5. Die Verbraucherrechte – 6. Neue Perspektiven des Verbraucherschutzes – 7. Literaturhinweise
1. Einführung In allen Ordnungen der Mitgliedstaaten spielt der Begriff „Person“ sowohl auf die natürliche, als auch auf die juristische Person an. Die natürliche Person erhält eine fast einheitliche juristische Konfiguration, und ihre Rechte sind sowohl im Bereich des Privatrechts, als auch im Bereich des öffentlichen Rechts niedergelegt. Den juristischen Personen und den anderen Personengruppen, die als juristische Personen bezeichnet werden können, wurde noch keine solche vereinheitlichte Behandlung zuteil. Die Welt der Vereinigungen, Stiftungen und Organisationen im Allgemeinen wartet noch auf eine organische Systematisierung, welche man in den nationalen Rechtsordnungen zwar findet, die aber auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts noch fehlt. In diesem Kapitel wollen wir deswegen nur über die natürlichen Personen und die sie betreffenden neuen Aspekte diskutieren, welche durch die Anwendung der neuen Technologien und den Rechtsgebilden, die sich aus den Handelsbeziehungen ergeben haben, bestimmt werden.1 Die Zivilgesetzbücher des 19. und des 20. Jahrhunderts beginnen normalerweise mit Bestimmungen über die natürlichen Personen, oft gefolgt von solchen zu den juristischen Personen. Auch ein „Modellkodex“ der auf Europäischer Ebene angewandt werden soll, müßte mithin nach diesem Muster aufgebaut sein, sei es aus Gründen der Systematik, sei es, weil ein Gesetzbuch, das die Beziehungen zwischen Privatpersonen regeln soll, nicht ohne eine Darstellung der juristischen Definition des Begriffs Person auskommen kann. Schon Portalis, als er die Regeln des Code Napoléon vorstellte, hatte unterstrichen, daß sich dieser Kodex auf die Personen bezieht. Seine Mahnung gilt heute noch. Juristisch von Person zu sprechen bedeutet, festzustellen, wann ein „Sein“ 1
Dies betrifft vor allem auch die Rechtsgebiete der Bioethik, der Privatsphäre und des Persönlichkeitsrechtes sowie Aspekte des Familienrechts. Diese Themen sollen hier allerdings nicht weiter vertieft werden, siehe hierzu näher Alpa G und Andenas M (2005) Fondamenti del diritto privato europeo, Teil 2 Kapitel 2, Abschnitte 5 (206-233), 6 (233251) und 9 (258-267).
166
2. Physische Person, Natürliche Person
eine „Person“ ist, wann das Leben beginnt, und wann es endet, wann eine Person gültige juristische Handlungen vollziehen kann und so weiter. Das Konzept von „Person“ variiert je nach Epoche und kultureller, politischer Ausrichtung, die die Normen bestimmen. Auch der juristische Begriff der „Person“ muß somit historisch betrachtet werden. Für Portalis war, jenseits von generellen Feststellungen, die Person ein „citoyen“, ein Eigentümer, ein Kontrahent, der Verantwortliche für eine unerlaubte Handlung, der Händler. Nach heutigem juristischem Sprachgebrauch ist die „Person“ ein Verbraucher, ein Sparer, ein Selbstständiger. Generell betrachtet, ist eine „Person“ jemand mit Rechten und Pflichten. Wenn man die Gemeinschaftsgesetzgebung, die Akte und Aktionsprogramme der Gemeinschaftsorgane betrachtet, so stellt man fest, daß sehr oft auf die Persönlichkeitsrechte Bezug genommen wird, auch wenn die „Person“ nicht definiert wird. Der Eindruck, den man gewinnt, ist, daß die „Person“ nur bruchstückhaft und in einigen Aspekten dargestellt wird, daß aber die Bruchstücke nicht in einem einheitlichen Bild zusammengefaßt werden. Wenn man in der Welt des Rechts von „Person“ spricht, trifft man auf Definitionen und Bedeutungen, welche sich sehr voneinander unterscheiden. Wir sind es heute gewohnt, eine Person als Träger von Grundrechten zu verstehen, aber wir dürfen nicht vergessen, daß die Idee der Person, verstanden als menschliches Wesen, welches per se Träger von Rechten und Pflichten ist, am Ende eines langen und ereignisreichen Weges steht. Es ist ein Weg, der gewissermaßen die Umkehr dessen ist, was man rationell annehmen würde. Systematisch und rationell betrachtet, müßten am Anfang die Grundrechte stehen (wie Leben, Gesundheit, Freiheit), dann die politischen Rechte, dann die wirtschaftlichen und dann die Zivilrechte. Wenn wir hingegen den Spuren der Geschichte folgen, so entsteht die Idee von angeborenen Rechten, die der Person durch ihre Geburt zuteil werden, im 17. Jahrhundert. In den Dokumenten zur Gesetzgebung stehen jedoch zuerst die wirtschaftlichen Rechte, dann die Zivilrechte, dann die politischen Rechte, und zuletzt die Menschen- oder Grundrechte. Auch hier gibt es Abweichungen zwischen den unterschiedlichen Konzepten der Rechtskategorien, die die Personen betreffen, und die die metajuristischen (philosophischen, soziologischen und religiösen) Perspektiven begleiten, mit denen man die Person betrachtet. Ist ein Konzept von „Person“ notwendig, um die juristischen Beziehungen zu organisieren? Wenn es nicht notwendig ist, warum erscheint es dann furchtsam im 19. Jahrhundert und bricht erst heute in der kontinentalen Rechtskultur hervor, bis zu dem Punkt, daß es als essentiell für eine demokratische Modellordnung, welche inspiriert ist von den Grundwerten einer jeden menschlichen Gemeinschaft, angesehen wird?
2. Physische Person, Natürliche Person Die Terminologie ist, wie immer, eine Spionin der Geschichte und der Auffassungen, die in der Erschaffung juristischer Normen und in der theoretischen Ausarbei-
Teil 2 Kapitel 2 Person und Markt
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tung der Rechtskategorien gespiegelt werden. Aber auch die Systematik bietet bemerkenswerte Indizien, um den Geist einer Rechtsordnung zu verstehen. Eine der schwierigsten Aufgaben des Europäischen Privatrechts besteht darin, ein einheitliches Konzept der Person zu finden, also die Ordnungen, die auf ihr beruhen – wie die französische, die deutsche, die italienische – mit den Ordnungen, die sie voraussetzen, aber nicht in ihrem eigenen Fundament verankern, in Übereinstimmung zu bringen, so wie es beim common law der Fall ist. Das common law bietet kein organisches Bild des Themas „Person“ für sich betrachtet, aber es liefert fragmentarische Aspekte. In der juristischen Literatur finden sich keine Handbücher, Abhandlungen, Abteilungen von Werken, die sich mit „Personenrecht“ befassen, außer in den Texten, die das Römische Recht behandeln. Man spricht wohl von „Person“ (natural person) in den Handbüchern, die sich einzelnen Rechtsbereichen widmen, in denen sich das Privatrecht spiegelt, aber das sind lediglich Einzelbeschreibungen. Man kann beim Vertragsrecht an die Vorschriften zur natürlichen Geschäftsfähigkeit denken und an die Verträge von Minderjährigen; im Familienrecht an die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, oder zwischen Ehepartnern; im Recht der Medizin und Bioethik kann man an die Vorschriften zu Geburt und Tod denken, zum Embryo und zum Fötus. In der Disziplin der torts findet man den Schutz einiger Rechte, die im kontinentalen Kulturkreis Teil des Rechts der Person sind, da sie ihre Attribute betreffen, also die „Persönlichkeitsrechte,“ wie die Ehre und das Ansehen (libel and slander, defamation), die Privatsphäre und die Unverletzlichkeit der Person (personal injury). Diese Rechtssphäre entleiht ihre Regeln einerseits dem Zivilrecht, andererseits dem Verfassungsrecht. Es ist interessant festzustellen, daß diese Rechte in England im Zuge der Debatten über die Staatsbürgerschaft und die Minderheiten neue Impulse erhalten haben. Eine Debatte, die sich 1998 mit Beginn der Gültigkeit des Human Rights Act ausgeweitet hat. Es sind also nicht die Wurzeln des Privatrechts, sondern die des Öffentlichen Rechts, die das „Recht der Person“ begründen. John Austin behandelt in seinem philosophischen Werk „The Province of Jurisprudence Determined“ von 18322 die natürliche Person (single or individual person) nur insofern sie Teil einer Gruppe (body, Körperschaft) ist, und daher ist die Person als Individuum gesehen, welches, zusammen mit anderen Mitgliedern der Gruppe, der es angehört, daran arbeitet, den Willen der Gruppe zu bilden, sei es nun eine Gesellschaft oder sogar das Parlament. Nach Stein lassen sich trotzdem gemeinsame Merkmale von common und civil law im Personenrecht erkennen, was der Verbreitung des kanonischen Rechts in England geschuldet ist; aber jenseits dieser schwachen Anklänge haben sich die europäischen Systeme in den letzten beiden Jahrhunderten mit der Ankunft des modernen Rechts, das nach den Bedürfnissen der industriellen Wirtschaftsstruktur gestaltet ist, angenähert.3
2 3
Austin J (1832/2001) The Province of Jurisprudence Determined, 126 ff. Austin, ibid., 135 -136.
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2. Physische Person, Natürliche Person
Realistischer ist der Versuch einer Annäherung von Buckland und McNair,4 die die Auffassung vom „civilian“ bestätigen, indem sie das entsprechende Kapitel – nicht zufällig unter dem Blickwinkel der Territorialität und der Personalität des Rechts – mit einer unmißverständlichen Feststellung eröffnen: „the rubric 'persons' is of comparatively small importance in our law, since the law is territorial and every subject of the State is a citizen of it.“ Andere Autoren hingegen verfolgen die Untersuchung der Handbücher des aktuellen Römischen Rechts und adaptieren die zivilisatorischen Kategorien, wie es aus den Studien über die Römischen Wurzeln des modernen Rechts deutlich wird.5 Man beginnt mit dem Ursprung des Lebens und mit seinem Ende, man erwägt die imbeccillitas sexus,6 die Rolle des Minderjährigen, sowie die rechtliche Stellung des ungeborenen7 und noch nicht gezeugten Lebens.8 Noch diffuser ist der Kommentar, den Lee den Institutiones des Justinian voranstellt.9 Hier findet sich, neben den klassischen Themen, die offene Frage, ob Sklaven „Sachen“ oder „Personen“ seien. Die Antwort ist: beides! Denn der Sklave war als Rechtsobjekt angesehen, aber insofern er „Person“ ist, im spätbyzantinischen Recht, das von der Theologie beeinflußt war, war er ein „Wesen, mit Rechten und Pflichten“ (Nicholas). Sehr anders die Annäherung auf dem Kontinent. Mit Pufendorf wird das Sein der Person über ihre menschliche dignitas definiert, die in jedem Individuum vorhanden ist, welchen sozialen Standes sie auch immer sei. Im Unterschied zu Holmes und Grotius rechtfertigt Pufendorf die Sklaverei nicht, sondern er verdammt sie. Seine Ideen ziehen Kreise und durchdringen die französische Rechtskultur, die zu einem wahrhaften Schwungrad für die Neubegründung des Zivilrechts wird. In der gleichen Zeit, in der Pufendorf sein Grundwerk über das Recht der Natur und der Völker schreibt, (veröffentlicht 1672), verfaßt Domat die Loix civiles, die 1689 erscheinen. Man kann Domat als Prototypen für das Modell juristischer Denkweise im Hinblick auf das Konzept der Person betrachten (Lib. Prel., tit. II, sez.II). Er unterscheidet den Status von Personen – also den Komplex der Qualität eines menschlichen Wesens – in natürlich und als Teil einer Gemeinschaft. „Natürlich“ betrifft das Geschlecht, die Geburt und das Alter einer Person; begriffen als Teil einer Gemeinschaft, ist der Status bestimmt von den „willkürlichen Gesetzen“ der Menschen, und hängt entweder von der Römischen Tradition ab (Freiheit, Staatsbürgerschaft, Familie) oder von den lokalen Gesetzen (in Frankreich etwa wird eine Unterscheidung der Personen in adlig und nicht-adlig, Kleriker, Bürger und ge4 5 6
7 8
9
Buckland W W und McNair A D (1936/1965) Roman law and Common law, 20 ff. Jolowicz H F (1957) Roman Foundations of modern Law, 153 ff. Etwa: die Schwäche des Fleisches. [Gemeint sind die Ausführungen von Jolowicz, ibid., zu den Voraussetzungen der Ehe und ehelich Geborenen bzw. Gezeugten in den Römischen Quellen und deren Rezeption] [Siehe Anm 6]. Vgl. hierzu näher Hermanns-Engel K-J (1997) Die rechtliche Berücksichtigung des Menschen vor der Zeugung: eine Untersuchung zum deutschen, französischen und englischen Zivilrecht. Lee R W (1956) The Elements of Roman law, 46 ff.
Teil 2 Kapitel 2 Person und Markt
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meines Volk, frei oder in Leibeigenschaft, letztere ist allerdings keine persönliche Bedingtheit, sondern gebunden an die Wohnung oder die Natur der Besitztümer einer Person. Obgleich er zugibt, daß es in Frankreich keine Sklaven gibt, beschreibt Domat ihre Bedingtheiten gemäß den Römischen Gesetzen. Noch 1796, in der italienischen Ausgabe der Loix civiles, die 1796 in Neapel veröffentlicht wurde, werden seine Schriften dahingehend präzisiert, daß im Königreich keine anderen Sklaven als die Türken existieren, „ergriffen als Korsaren“; diese können Verkaufsobjekte sein, aber ihr rechtmäßiger Verkauf und Wiederverkauf ist nur innerhalb der Grenzen des Königreiches gestattet. Sie können in Freiheit gesetzt werden, aber auch in Freiheit dürfen sie die Grenzen nicht ohne die Autorisierung des Königs überschreiten, bei Strafe der Wiederversklavung.10 Auch wenn Domats Auffassung beachtenswert ist, so ist sie in den Augen heutiger Juristen doch nicht ohne Mängel. Man kann verschiedene Unstimmigkeiten in seiner naturrechtlichen Konzeption erkennen: die erste betrifft die Vermischung von Gesetzen der Natur und menschlichen Gesetzen; die zweite betrifft die Trennung von Naturrecht und Zivilrecht; die dritte betrifft die Hypostasierung des Status. Genauer: Man kann nicht die Geburt ohne die Ehe betrachten und somit den Status des „Bastard“ (mit Begrenzungen im Erbfolgerecht) als eine naturgegebene Bedingung ansehen. Es ist evident, daß die natürliche Tatsache der Geburt keine Unterscheidung hinsichtlich der einer Person angeborenen Rechte bedeutet, außer für das der Gleichheit. In dieser Perspektive erscheint die juristische Konstruktion der Person als die Kristallisation von Kategorien, Vorurteilen, sozialen Bedingtheiten, die die objektiven Ungleichheiten kodifizieren. Es gibt daher eine Interpretation der äußeren Daten gemäß vorgefertigter Modelle, die keinen Unterschied macht zwischen dem, was man als natürlich bezeichnet, und dem, was die Natur überlagert. Besser: man stellt dem, was man als „natürlich“ bezeichnet, eine selektive Interpretation zur Seite, die auf Basis bereits existierender sozialer Überzeugungen erstellt wurde. Man kann also nicht verstehen, wie die Unterscheidung zwischen Naturgesetzen und Zivilgesetzen funktionieren soll. Domat illustriert zunächst das, was er als Naturgesetze bezeichnet, und stellt sie neben die zivilen Gesetze, die „dem Willen unterworfen“ sind, aber er sagt nicht, daß die ersteren besser seien als die letzteren, daß jene das ideale Modell für diese seien, oder daß sie ein Korrektiv sein müßten. Schlußendlich ist die Bedeutung von Status aus dem Römischen Recht – bei dem Domat eine Lücke beklagt, die dem Fehlen einer Definition geschuldet ist – nicht in ihren Ursprüngen und ihren Gründen geklärt; der Status ist bei ihm nicht als juristisches Instrument, als soziales Unterscheidungsmerkmal oder als tragendes Element einer sozialen Gruppe betrachtet, sondern vielmehr als ein naturgege-
10
Domat J (1767) Les loix civiles dans leur ordre naturel, le droit public et legum delectus. Hier zitiert nach der italienischen Übersetzung: Domat, Le leggi civili nel loro ordine naturale di Gaio: Domat, avvocato del Re in Clermont; Übersetzung aus dem Französischen, III. Ausgabe, Vol. 1, 1796, 188. Seit 2008 gibt es auch eine englische Übersetzung des Textes von Domat, s. Literaturverzeichnis.
170
2. Physische Person, Natürliche Person
benes Element, das sich in der natürlichen Ordnung findet und daher vom Schöpfer, welcher der Welt diese Ordnung gegeben hat, selbst stammt. Zusammengefaßt scheinen die Fixpunkte zur Bestimmung der Bedeutung des Begriffs „Person“ in der Vergangenheit – Römisches Recht, mittelalterliches Recht, Naturrecht, pränapoleonisches Zivilrecht – sehr unscharf zu sein, weil sie die Ergebnisse von Verdinglichung oder von antihistorischen Vorgängen, Anachronismen sind, deren sich der Jurist bedient, um eine Vorherrschaft zu rechtfertigen. Die Tradition ist ein Instrument, um die Gegenwart zu rechtfertigen, und um die Notwendigkeit einer Kontinuität mit der Vergangenheit zu verteidigen, mit andern Worten, um ideologisch motivierte, aber nicht notwendige Vorgänge ins Werk zu setzen. Die Tatsache, daß in einigen Ordnungen der Begriff der Person kodifiziert wird, bedeutet daher nicht automatisch die Einführung von individuellen Garantien, und sie bedeutet auch nicht, daß die Ordnungen, in denen es Regeln und Abhandlungen zur Person gibt, vorteilhafter oder verdienstvoller wären, als diejenigen, die diese Regeln nicht aufweisen. Was zählt, ist das Resultat der Anwendung dieser Regeln und Richtlinien. Man darf auch nicht die Konzepte von Person, die sich aus den Kodizes ergeben, über Gebühr preisen. Wie schon gesagt, wird die Person im Code Napoléon als Eigentümer betrachtet, und im Handelsgesetzbuch in ihrer Rolle als Kaufmann. Das österreichische Zivilgesetzbuch von 1811, dessen erstes Kapitel sich mit dem Personenrecht, im besonderen mit den Gesetzen, welche die Qualität und die persönlichen Beziehungen betreffen, beschäftigt, beinhaltet einige Regeln, die die Fixpunkte des Iusnaturalismus des 18. Jahrhunderts beschreiben: § 15 handelt von den Personenrechten, die sich auf die persönlichen Qualitäten und die Beziehungen zwischen Personen beziehen, wie auch auf den Familienstand. § 16 bezieht sich auf die Persönlichkeit und erkennt jedem Mensch „angeborene Rechte“ und die Anerkennung seiner selbst als „Person“ zu, wobei die Sklaverei oder das Recht des Menschen über andere Menschen abgelehnt wird. § 17 fordert die Verbreitung der guten Gesetze außer bei Nachweis ihrer Einschränkung. § 18 erkennt einem jeden – unter den Bedingungen, die das Gesetz beschreibt – die Fähigkeit zu, Rechte zu erwerben. Das Gesetzbuch sagt nicht, welche die Naturrechte sind „oder die man mit dem Verstand allein erkennt“, aber es läßt zumindest erkennen, daß der Mensch – insofern Person – nicht das Objekt von Rechten sein kann und bewahrt so seine grundsätzliche Freiheit. Trotzdem wird dieses Gesetzbuch nicht so sehr als Vorkämpfer der modernen Theorien von „Person“ als Träger von Grundrechten betrachtet, sondern vielmehr als antiquierter Kodex, der den Bedürfnissen der Moderne keine Rechnung trug.11 Das schweizer Zivilgesetzbuch, ein Jahrhundert alt, scheint eine moderne Version des österreichischen ABGB zu sein. Es erwähnt die Naturrechte nicht, aber, im Unterschied zum Code Napoléon und dem deutschen Zivilgesetzbuch, die auf die Person nur im Titel anspielen, sie aber nicht zum Thema machen, wird es mit der Proklamation der Universalität der Zivilrechte eröffnet.
11
Vgl. auch oben Teil 1 Kapitel 4, 10.3.
Teil 2 Kapitel 2 Person und Markt
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Jenseits der Deklamationen ist die Person in den Zivilgesetzbüchern der Vergangenheit eingeschlossen in neutrale Formeln und formelle Kategorien. Die Zivilgesetzbücher spiegeln die Bedürfnisse einer bourgeoisen Gesellschaft, die lediglich die wirtschaftlich Begüterten, juristisch Freien betrachtet, die sich gegenseitig auf gleicher Ebene verpflichten, nach den Regeln einer individuellen Ethik, deren Beziehungen durch das Modell des individuellen Vertrages symbolisiert und größtenteils auch realisiert werden.12 Die juristische Ordnung wie auch die wirtschaftliche Ordnung hat die Aufgabe, der Person die größtmögliche Freiheit zu garantieren, welche mit der Freiheit eines jeden anderen Rechtssubjektes vereinbar ist.
3. Die Person im Europäischen Privatrecht Es existiert also eine Kluft zwischen der Idee und dem Rechtsgebiet der Person, zwischen den Modellen der Zivilgesetzbücher und den neuen Bedürfnissen einer modernen Gesellschaft. Diesen Bedürfnissen hat man Sorge getragen mit der Aufnahme der anerkannten Grundrechte in die Verfassungen – und jetzt auch in die Charta von Nizza und den Reformvertrag– sowie auch mit der Ablösung des formellen (und offensichtlich neutralen) Konzepts der Person durch das juristische Konstrukt der Identitäten. Die juristische Identität wird vom „gemeinen Menschen“, vom „bystander“, der „average person“, als ein Komplex von gesetzlich verordneten Erlaubnissen und Verboten wahrgenommen. Mit anderen Worten, die Person als solche existiert, insofern sie gemäß bestimmter Parameter identifizierbar ist, welche den Grundcharakteristiken eines Staates, einer Nation, einer sozialen Gruppe entsprechen. Es ist mithin die Komponente der Rechtsordnung, die man in den Begriffen des öffentlichen Rechts qualifizieren möchte, jene Komponente, die sofort in den Sinn kommt, wenn man beispielsweise einen Passanten fragt, welcher juristische Aspekt am meisten hervorsticht, wenn man die Merkmale staatlicher oder nationaler Identität auflisten sollte. Um die Übertragung dieser Betrachtungen in Archetypen zu vereinfachen, genügt es, an die Widersprüche zwischen sozialistischem und freiheitlichem Staat zu denken, zwischen Diktatur und Rechtsstaat, zwischen Staaten mit ausgedehnter Repräsentation und solchen mit limitierter (wobei die Limitierungen eine Zensur sein können, der Grad an Alphabetisierung, die Kaste, das Geschlecht) an die Widersprüche zwischen föderalem und Einheitsstaat, Monarchie und Republik, laizistischem und religiösem Staat, Staat mit Kollektiveigentum und Staat mit Privateigentum, mit monogamen oder polygamen Strukturen.
12
Ein Vorwurf, der auch dem BGB in den Debatten um seine Entstehung gemacht wurde, besonders von Otto von Gierke und Anton Menger: vgl. Heidemann M (2007) Methodology of Uniform Contract Law: The UNIDROIT Principles in International Legal Doctrine and Practice, 118; Menger A (1890/1908) Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen: Eine Kritik des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich.
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4. Das Versagen der juristischen Kategorien
Es ist weiterhin nicht gesagt, daß die juristische Komponente, die das Modell der Identifikation bezeichnet, auch mit den Bekenntnissen aller Mitglieder der betreffenden Gruppen übereinstimmt, sie könnte dagegen nur von einer Minderheit anerkannt werden, oder von einer Minderheit, die die Mehrheit unterdrückt. Es ist also beim Europäischen Privatrecht notwendig, das juristische Konzept von Person in all seinen Fragmentierungen zusammenzusetzen: die Grundrechte, deren Träger sie ist, die Identitäten, die sie ausmachen, die wirtschaftliche und soziale Rolle, die sie ausfüllt. Das Europäische Privatrecht ist also dem Europäischen öffentlichen Recht, nicht entgegengesetzt, sondern in ihm integriert.
4. Das Versagen der juristischen Kategorien Das juristische Konzept der Person stellt nicht das einzige Problem dar, dem sich eine moderne Gesellschaft stellen muß. Im Gegenteil, vielfach zeigen die Lebensumstände seine ganze Trüglichkeit, oder besser, zeigen die Grenzen des Rechts als solchem auf. Ein aufsehenerregender Fall, der die Juristen beschäftigt hat, wurde von französischen Richtern entschieden. Die Affaire Perruche, die vom französischen Kassationsgerichtshof am 17. 11.2000 entschieden wurde,13 ist einer der „schwierigen Fälle,“ an dem die ausgefeiltesten Techniken juristischer Hermeneutik angewandt wurden. Es ist ein Fall, der sich anbietet, um zu verstehen, wie die Rechtsmittel auf das Bedürfnis einer Gesellschaft nach Gerechtigkeit antworten, die einerseits die subjektiven Situationen der Person vervielfältigt und auf der anderen Seite sich bemüht, zwischen einander widerstreitenden Rechten und Interessen zu vermitteln. Aber er bietet sich auch an, um darüber zu diskutieren, ob alle die Person betreffenden Probleme juridifizert werden können (oder müssen) und, im positiven Fall, welche Modelle (nationale oder ausländische) als befriedigend betrachtet werden können. Es gibt in der Tat Modelle, die für die Techniken des Formalismus einen autonomen Raum beanspruchen, und andere, die in die juristischen Normen gerne ethische und moralische Werte aufnehmen möchten. In seiner Einzigartigkeit, und wegen der dramatischen Umstände, eignet sich der Fall auch, um zu erforschen, wie die „Kunst der Rechtsprechung“ ausgeübt wird, und wie die verschiedenen Systeme, die das Szenario des juristischen Vergleichs ausmachen, auf ähnliche Fälle reagieren. Man kann den Prozeßverlauf des Falles rekonstruieren, aufgrund des Berichtes des Berichterstatters Pierre Sargos, die abschließenden Betrachtungen des Generalanwalts am Kassationsgerichtshof Jerry Sainte-Rose und die zahlreichen Kommentare, die von der Rechtslehre ausgearbeitet worden sind. 14 13
Cour de Cassation, Arrêt du 17 novembre 2000 rendu par l'Assemblée plénière, Bulletin d'information n° 526 du 15/12/2000. Abrufbar unter www.courdecassation.fr. 14 Cour de Cassation, Arrêt du 17 novembre 2000 rendu par l'Assemblée plénière, Bulletin d'information n° 526 du 15/12/2000, abrufbar unter www.courdecassation.fr; aus der Li-
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Größere Schwierigkeiten bereitet die magere Motivation der Vollversammlung, die als Legitimationsinstanz lediglich bei Berufungsverfahren aktiv wird. Hier sind also die wichtigsten Passagen: i) Mit dem Spruch vom 13. Januar 1992 entscheidet das tribunal de grande instance in Evry, daß der Arzt und das Labor für medizinische Biologie, an das sich eine Schwangere gewandt hatte, um sicherzustellen, daß Antikörper gegen Röteln bei ihr vorhanden waren, eine Vertragsschuld hatten, da sie der Schwangeren falsche Befunde gegeben hatten. Diese hatten sie davon überzeugt, daß es möglich sei, die Schwangerschaft ohne Schaden für das Kind auszutragen. Das Gericht entschied darüber hinaus, daß der daraus entstandene Schaden sowohl dem Kind ersetzt werden müsse, aufgrund der Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit, als auch den Eltern. ii) Mit dem Spruch vom 17. Dezember 1993 entschied das Appellationsgericht in Paris, welches vom Arzt angerufen worden war, da seiner Ansicht nach ausschließlich das Labor für den Irrtum verantwortlich war, daß auch der Arzt eine Vertragsschuld habe aus der Verletzung einer Vermittlerpflicht,15 und, gemeinsam mit dem Labor und den Versicherungsgesellschaften beider, gesamtschuldnerisch haftbar sei gegenüber der Mutter und dem Vater, insofern die Mutter – im Vertrauen auf die falschen Befunde – beschlossen hatte, die Schwangerschaft nicht zu unterbrechen – während sie sich im Falle einer Gefahr für das Kind zu einer Abtreibung entschlossen hätte, was dem Arzt wohl bekannt war. iii) Der Spruch der ersten Instanz, der die gesamtschuldnerische Haftbarkeit der Beklagten gegenüber den Eltern feststellt, wurde rechtskräftig, insofern sich die res iudicata auf diesem Aspekt formierte. iv) Das Appellationsgericht nahm dagegen die Entscheidung hinsichtlich der Verantwortung gegenüber dem Sohn zurück; nach Ansicht der Richter konnte die Beeinträchtigung des Sohnes nicht kausal mit der festgestellten Schuld in Verbindung gebracht werden, weil die Auswirkungen der Röteln nicht vom Irrtum der Ärzte abhing, sondern vielmehr von der Tatsache, daß sich die Mutter die Krankheit zu Beginn ihrer Schwangerschaft zugezogen hatte, und weil die Entscheidung der Mutter, das Kind teratur vor der Entscheidung z. B. Sargos P (1998) "Urteilsanmerkung zu Cour de cassation, Chambre civile numéro 1, 07 octobre 1998, Madame C. contre Clinique du Parc et autres, conclusions de M. Jerry Sainte-Rose" Semaine Juridique (édition générale), Jurisprudence 10.179 (45-46), 1959-63; und siehe die Literaturhinweise unter http://www.lexinter.net/JP/respmed.htm; nach dem Urteil: Murat P (2001) "L'affaire Perruche: solution juridique ou humanitaire? Au sujet de Ass. Plén., 17 novembre 2000, Bull. 2000, Ass. Plén. Anm. 9, p. 15" Semaine juridique (5), 255; Chabas F (2001) "La responsabilité des cliniques pour défaut d'organisation. Etude de droit privé français -Au sujet de Civ.1, 9 novembre 1999, Bull. 1999, I, Anm. 300, p. 195" Gazette du Palais (34) 15 "dans l'exécution de son obligation contractuelle de moyens","Cour de Cassation, Arrêt du 17 novembre 2000 rendu par l'Assemblée plénière" Bulletin d'information n° 526 du 15/12/2000, Sargos, Abschnitt 10.
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4. Das Versagen der juristischen Kategorien
auszutragen, per se keinen Grund zum Schadensersatz für den Sohn darstellen könne, weil die Auswirkungen der Röteln anlagebedingt einer Person inhärent und absolut irreversibel sind. v) Mit der Frage beauftragt, nahm die erste Kammer des Kassationsgerichtshofs mit dem Spruch vom 26. März 1996 den Spruch des Appellationsgerichts über die kausale Verbindung auf und stellte fest, daß der diagnostische Irrtum die Eltern dazu gebracht hätte, zu glauben, daß die Mutter immun gegen Röteln sei, und daß der Sohn keine Chance gehabt hätte, die zerstörerischen Folgen der Röteln zu überwinden. Der Fall wurde damit im Punkt der Kausalität zum Appellationsgericht von Orléans zurückverwiesen, welches sich jedoch mit dem Spruch vom 5. Februar 1999 weigerte, dem vom Kassationsgerichtshof genannten Rechtsprinzip zu folgen und entschied, daß es keinen Kausalzusammenhang zwischen der Schuld des Arztes (und des Labors) und dem Schaden, den der Sohn erlitten hatte, gäbe. vi) Der Fall ist erneut beim Kassationsgerichtshof, und dieser befand in seiner Vollversammlung: - daß das Verschulden, das dem Arzt und dem Labor bei der Erfüllung der mit der Schwangeren geschlossenen Verträge zur Last gelegt wurde, diese dazu geführt hätten, auf die Richtigkeit der Befunde und auf die eigene Immunität zu vertrauen. Mithin habe sie ihr Recht auf Schwangerschaftsabbruch mit dem Ziel, ein behindertes Kind nicht zur Welt zu bringen, nicht wahrgenommen. - daß der Sohn auf Grundlage des festgestellten Verschuldens rechtmäßig für seine Behinderung Schadenswiedergutmachung erhielte. vii) Die Parteien wurden zur Schadensfeststellung an einen anderen Richter verwiesen. Die Kürze des Textes der Entscheidung, die aus wenigen Zeilen besteht, befriedigt den Juristen nicht, auch wenn er die summarische Qualität französischer Urteile schätzt. Aber eine Sache ist der logisch-juristische Weg, auf dem der Gerichtshof zu seiner Entscheidung kommt, eine andere ist der erreichte Effekt. Um den Spruch zu bewerten, ist es nötig, das Feld von einigen Fragen zu bereinigen, die ihrerseits durchaus auch einer Behandlung würdig wären. Beispielsweise die Verortung des Spruches in ihrem dogmatischen und jurisprudentiellen Kontext, aber auch im kulturellen Kontext der Zeit. Die Interpretation des Spruches in seiner Kürze erweckt auch viele Zweifel hinsichtlich der hinzugezogenen Rechsprechung (Art.1165 CC über die Auswirkungen eines Vertrages auf Dritte und Art. 1382 CC über unerlaubte Handlungen, und auch hinsichtlich der fehlenden Rekonstruktion des Kausalzusammenhangs, der apodiktisch als vorhanden angenommen wurde; darüber hinaus sagen die Richter nichts über die Natur des als wiedergutmachenswert erkannten Schadens.) Man muß aber den Umfang der Untersuchung beschreiben. Zieht man die Umstände in Erwägung, in denen der Fall entstanden ist, muß man mindestens hervorheben, daß es sich nicht um einen Schaden handelt, den die Ärzte der körperlichen Unversehrtheit der Klägerin direkt zugefügt hätten. Diese war durch die Röteln bereits vor der Untersuchung beeinträchtigt. Noch handelt es sich um einen
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Schaden, der dem Fötus direkt zugefügt worden wäre, dem die Röteln von der Mutter übertragen worden waren. Auch ein Schaden, der den Eltern durch ein Unterlassen des Schwangerschaftsabbruches infolge von Fehlern bei der Sterilisierung des Mannes oder der Frau entstanden wäre, ist nicht feststellbar. Alles Fälle, die unsere Rechtsprechung schon häufig beschäftigt haben. Diese Überlegungen sind dem italienischen Beobachter durchaus geläufig, da die italienische Rechtsprechung viele ähnlich gelagerte Fälle kennt. Zum Thema des körperlichen und psychischen Schadens, den der Neugeborene bei der Kaiserschnittgeburt durch Asphyxie und folgende Phasen des Atemstillstands erlitt, mit der Konsequenz des Verlustes der Arbeitsfähigkeit und der Fähigkeit ein Leben in Gemeinschaft zu führen, und zum Schaden, den die Eltern durch diese Belastung und die seelischen Leiden erlitten, nahm der Kassationsgerichtshof mit dem Urteil 2335/10 Stellung. Die Verantwortlichkeit des Arztes gründet sich auf die leichte Schuld (colpa lieve) ex articulo 1176 CC. Zur Zulässigkeit von (außervertraglichem) Schadensersatz für die Mutter wegen unterlassener Information seitens des Arztes hinsichtlich des negativen Ausgangs eines Schwangerschaftsabbruchs haben das Gericht in Padova mit dem Spruch vom 9. August 1985, das Appellationsgericht Bologna mit Spruch vom 19. Dezember 1991 und der Kassationsgerichtshof mit dem Spruch 6464/94 Stellung genommen. Der Gerichtshof in Bergamo hat sich im Falle fehlender Information der Mutter über zu erwartende Mißbildungen wegen fehlerhafter Diagnostik und daraus folgender Unmöglichkeit einer Abtreibung zu Gunsten von Schadensersatz an beide Elternteile ausgesprochen (am 16. November 1995). Die Richter führten aus, daß in diesem Falle das Recht der Mutter verletzt worden sei: das Recht der autonomen Entscheidung zu einem Schwangerschaftsabbruch; aber man hat auch die Klage des Vaters zugelassen, der, auch wenn er nicht die Entscheidung fällt, so doch wenigstens an ihr Anteil hat. Im gleichen Sinne hat das Gericht von Perugia geurteilt (mit dem Spruch vom 7. September 1998), als ein Arzt die Eltern nicht darüber informiert hatte, daß der Fötus Mißbildungen aufwies und mit DownSyndrom geboren worden wäre. In analogen Fällen hat das höchste Gericht allerdings präzisiert, daß es, um den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Ärzte und Labors und dem von der Mutter (oder beiden Eltern) beklagten Schaden zu beweisen, nötig sei, das Bestehen der vom Gesetz vorgesehenen Bedingungen nachzuweisen, um einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen (Urteile 12195/98 und 2793/99). Das Recht, das als verletzt betrachtet wird, ist das Recht der Mutter auf Schwangerschaftsabbruch. Im Spruch Nr. 12195/98 wird die Wiedergutmachung des vom Vater erlittenen Schadens als „Reflexschaden“ angesehen. Zu Gunsten der Wiedergutmachung des (Vertrags-)Schadens, der von der Mutter geltend gemacht wird, weil sie einen zwar gesunden, aber ungewollten Sohn als Folge eines fehlgeschlagenen Schwangerschaftsabbruchs zur Welt brachte, hat sich das Gericht in Cagliari mit dem Urteil vom 23. Februar 1995 ausgesprochen. Der Gerichtshof von Mailand hat sich am 20.10.1997 zu Gunsten einer Schadenswiedergutmachung für Eltern ausgesprochen, weil in Folge einer fehlerhaft ausgeführten Sterilisation des Mannes deren Recht auf bewußte und verantwortli-
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4. Das Versagen der juristischen Kategorien
che Fortpflanzung verletzt worden sei. Man muß trotzdem unterstreichen, daß das Gericht nicht so sehr die Geburt des Sohnes als Schaden begriffen hat – da das Leben ein nicht meßbares Gut und Glück für die Eltern sei und geeignet, die Unannehmlichkeiten, die mit dem Großziehen eines Kindes verbunden sind, aufzuwiegen – sondern vielmehr die Verletzung eines persönlichen Freiheitsrechts, welches man den Eltern zugesteht. Die Elternfreuden sind kompensierende Güter, denen der Richter bei seiner Bewertung der compensatio lucri cum damno Rechnung tragen muß. Hinsichtlich der Natur des Schadens ist die Meinung der Justiz gespalten. Es handelt sich in jedem Fall um ein Thema, welches hier nicht behandelt werden kann. Dies sind auch nicht die relevanten Probleme, um die Neuheit der Entscheidung der Vollversammlung in der Affaire Prruche zu verstehen. Die Neuheit betrifft die Berechtigung zum Handeln hinsichtlich des Kindes. Es ist sozusagen eine relative Neuheit, denn schon bei dem oben beschriebenen Vorgehen zu Gunsten der Wiedergutmachung am Kind wurde auf die erste Entscheidung und auf die erste Kammer des Kassationsgerichtshofs hingewiesen. Der Fall kann also als Lehrfall genommen werden, in der sich die wichtigsten Punkte, über den betrachteten Fall hinaus in einige Fragen kleiden lassen. Mit Rücksicht darauf, daß das Recht der Eltern auf Wiedergutmachung des Schadens anerkannt wurde – dieser Punkt wurde von den italienischen Richtern geteilt mit den Präzisierungen und Grenzen, die wir aufgezeigt hatten – fragt man sich folgendes: - Kann die Problematik, von einem methodischen Standpunkt aus betrachtet, mit der Diskussion über das Bestehen eines Kausalzusammenhangs erschöpfend behandelt werden, oder kann/muß man andere Bewertungskriterien hinzuziehen? - Ist der Sohn, vom Standpunkt der Rechtsnormen aus betrachtet, dazu legitimiert, eine Wiedergutmachung zu fordern, und - für welchen Schaden, und - gegenüber wem? Hier eröffnen sich weitere Fragestellungen: - Kann der Sohn die Schadensersatzforderung dafür, daß er behindert geboren wurde, an Arzt und Labor stellen, obwohl diese Bedingungen nicht direkt von den Beklagten zu verantworten waren, sondern nur durch die Kombination zweier Faktoren begründet werden: die Fehlinformation, die die Entscheidung, abzutreiben oder nicht, beeinflußt hat, und die Fortführung der Schwangerschaft durch die Mutter, die nicht richtig informiert war?16 - Kann die Klage auch von der Mutter erhoben werden, die sich entschieden hatte, die Schwangerschaft fortzuführen? - Kann auch der Vater Schadensersatz verlangen? Um in Italien einen ähnlichen Fall zu finden, wie diesen von der Cour de Cassation entschiedene, muß man auf den am meisten diskutierten und vielleicht ein16
Diese Fragen berühren auch das Minderjährigenrecht, siehe hierzu Alpa G und Andenas M (2005) Fondamenti del diritto privato europeo, 267-282.
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zigen dort entschiedenen Präzedenzfall rekurrieren: auf den Fall der eredoluetica,17 entschieden vom Gerichtshof in Piacenza am 31. 07.1950. Man muß so weit zurückgehen, weil es bei allen neueren Entscheidungen immer um Ansprüche eines oder beider Elternteile geht, nie aber des Kindes. Das Piacentiner Gericht hatte den Schadensersatz zugelassen und das Problem des Kausalzusammenhangs mit folgenden Worten überwunden: „Das Leben ist ein großes Geschenk, ein immenses Geschenk. Die Übertragung einer Krankheit, welche dieses große Geschenk in ein immenses Unglück verwandelt, von einer Generation auf die andere, ist unerlaubt, sie ist gegen das Recht, gegen das Verhalten der Person, wie es ihr von der Rechtsordnung abverlangt wird, welche sie anerkennt und erhebt.“ Die Kritik, mit der die Doktrin, mit Ausnahme einiger positiver Stimmen, diese Entscheidung empfangen hat, hat ausreichend dissuasive Kraft entfaltet, um Schadensersatzforderungen von behinderten Kindern gegen ihre Eltern zu verhindern. Man muß allerdings darauf hinweisen, daß die Syphilis vom Vater auf die Mutter übertragen worden war, und diese eventuell nichts davon wußte, jedoch (in jener Zeit) sicherlich nicht das Recht hatte, abzutreiben. Auch im Falle Perruche stehen wir einer Schadensersatzforderung gegenüber, aber die Forderung bezieht sich nicht auf die Eltern, sondern auf die Ärzte und das Labor. Man kann daher auch nicht auf das Problem der Immunität der Eltern gegenüber den Kindern verweisen, wenn es darum geht, daß die Eltern die Kinder nicht unter einwandfreien Bedingungen gezeugt hatten, oder auf die Unmöglichkeit, den Schaden wieder gut zu machen, denn man würde das elterliche Recht auf Fortpflanzung verletzen, oder das Recht der Mutter auf freie Entscheidung zur Abtreibung. Es bleibt das Problem des Kausalzusammenhangs. Die Alternative, einfach aber offensichtlich, ist zwischen „Sein und Nichtsein“, mit der irreversiblen Behinderung zu leben, oder nicht davon betroffen zu sein, also nicht geboren zu werden. Nun kann man diese Alternative im Falle der ärztlichen Verantwortung nicht stellen, denn das Kind ist ja einmal geboren worden und dazu verdammt, als Behinderter zu leben, weil die Mutter die Schwangerschaft nicht abbrechen konnte. Die Worte der Richter des Gerichts von Piacenza, gesprochen vor einem halben Jahrhundert, scheinen immer noch aktuell zu sein (außerordentlich aktuell) auch wenn sie nach streng rechtlichen Gesichtspunkten keine adäquate Motivation bieten. Heute würden sich diese Richter, die von einigen an den Pranger gestellt wurden, von fast allen respektiert, aber kritisiert wurden,18 eine ganz andere Beurteilung erfahren.
17 18
Vererbte Form der Syphilis. Vgl. die genauen Rekonstruktionen dieses Falles bei Patti S (1984) Famiglia e responsabilità civile, 112 ff., dort auch Verweise auf die deutsche und US amerikanische Rechtsordnung; Zeno-Zencovich V (1986) "La responsabilità da procreazione" Giurisprudenza italiana 4, 113, mit weiteren komparatistischen Verweisen; und für andere Fälle Bar C v (1999) The Common European Law of Tort, Volume one: The Core Areas of Tort Law, its Approximation in Europe, and its Accommodation in the Legal System, 581 ff. D’Angelo A, Hrsg. (1999) Un bambino non voluto è un danno risarcibile?, dort Aufsätze
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4. Das Versagen der juristischen Kategorien
Soll man, um den rebus aufzulösen, eine strenge und geradlinige juristische Argumentation verfolgen, oder eine Linie, die den Werten Raum gibt, die jener Argumentation vorausgesetzt werden? In dem einen wie im anderen Fall kann man zu widersprüchlichen Lösungen kommen. Versucht man, der Frage eine positive Lösung zu geben, so kann man kohärente Argumentationen sowohl auf dem ersten wie auf dem zweiten Wege konstruieren. Verfolgt man den Weg des Rechts, so erscheint es klar, daß „die Betrachtung des Lebens als unvergleichlichen Wert eine nicht-juristische Betrachtung ist, die eine rein formale Betrachtung überlagert“. Trennt man den Moment der Verletzung vom Moment seiner Manifestierung, dann kann man zur Überwindung des Hindernisses „Kausalitätszusammenhang,“ auch in rigoros formalen Termini kommen.19 Aber diese Betrachtungen betreffen die Frage auf außervertraglicher Ebene. Überträgt man die Fragestellung auf die vertragliche Ebene, so nimmt man entweder an, die Mutter habe mit dem Labor einen Unterstützungsvertrag für diagnostische Arbeit und mit dem Arzt einen Vertrag über ärztliche Hilfe geschlossen, und in beiden Verträgen können Verpflichtungen zum Schutze Dritter (des Fötus) eingeschlossen sein, oder aber man gelangt zu der Ansicht, daß die Folgen aus den Verträgen Leistungen zum Wohle des Fötus (dessen endouterine Beschaffenheit man nachweisen muß) betreffen. In beiden Fällen kann ein Kontakt mit den Interessen des Fötus nicht geleugnet werden, genauso wie es unmöglich ist, abzuleugnen, daß das Fehlen oder die mangelnde Exaktheit von Informationen einen zumindest indirekten Einfluß auf diesen haben. Das Problem der Nicht-Existenz eines Rechts auf Nicht-geboren-werden, oder des Rechts auf Gesund-GeborenWerden stellt sich also nicht, jedoch das Problem der Zustandes, in dem sich der Geborene zwangsläufig befindet, der wegen der fehlenden oder mangelhaften Informationen im einzigen möglichen Zustand auf die Welt gekommen ist, nämlich behindert. Der Irrtum der Ärzte spiegelt sich in den tragischen Lebensbedingungen des Geborenen wieder. Sicher könnte man anmerken, wenn man der Unterscheidung in materielle und juristische Kausalität folgt, daß der Irrtum der Ärzte eine Mit-Ursache, aber nicht die einzige Ursache war (die Mutter hätte schließlich auch entscheiden können, nicht abzutreiben). Wenn sich die Ärzte nicht geirrt hätten, dann hätte das Bewußtsein der tragischen Lebensbedingungen des Sohnes diesem nicht gestattet, gegen die Mutter zu klagen, denn sie hatte keine Schuld, sondern nur die freie Wahl, sich fortzupflanzen, die weder überprüfbar, noch veränderbar durch die Wiedergutmachungsansprüche des Sohnes ist. Verfolgt man den Weg der Werte, so kann man Paolo Zatti zustimmen, wenn er bemerkt, daß die Idee nach der die Geburt immer ein „wertvolles Geschenk“ ist (ein in der Jurisprudenz wiederkehrendes Stilelement), den Wert und den Schutz des menschlichen Lebens mit der Bewertung des Verhältnisses zwischen Ereignis und Beiträge von Lupoi, Canale, Busnelli, Lipari, Ruffolo, Cendon, Passio, Brunetta d'Usseaux, Ant. D'Angelo, Bregante, Ferrando, De Matteis, Spallarossa, Monateri. 19 Rescigno P (1956) "Il danno da procreazione" Rivista di diritto civile, 614, 634; Rescigno P (2006) Il danno da procreazione.
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der Geburt und der Person der Eltern überlagert und verwirrt. Ein Verhältnis, das zur Folge hat, daß die Geburt als ein Ereignis mit verschiedener Bedeutung betrachtet werden kann, als „Geschenk“ und als Träger von Schwierigkeiten, so daß „Geburt und Mutterschaft als ein einziges Schicksal zu betrachten, in Wirklichkeit bedeutet, die Verwirrung von Plänen zu befördern, welche dem menschlichen Leben nur Wert zuerkennen, insofern es gewollt war“. Den Eltern ist also der Schaden an der Nachkommenschaft zuzugestehen und außerdem der biologische und moralische Schaden im strengen Sinne, dem Sohn lediglich der moralische Schaden. Ist das eine Entscheidung auf Basis des Gleichheitsprinzips? Ist es eine Entscheidung, die einen Schaden, der dort bleiben müßte, „wo er hinfällt,“ auf Subjekte (Ärzte, Krankenhausstrukturen, Versicherungsgesellschaften) zurückfallen, oder vom Vorsorgesystem absorbieren läßt? Bis zu welchem Punkt muß man den logisch-formalen Diskurs verfolgen? Und wenn wir ihn nicht verfolgen, gelangen wir dann auf kürzestem Wege in den Treibsand des „freien Rechts“? Mit scharfen Akzenten hat Pietro Rescigno seine Untersuchung über den Schaden bei der Fortpflanzung beschlossen und hat angemerkt: „...das Thema des Ungeborenen Lebens deckt in der Einzigartigkeit des Falles die Inkohärenz des Gesetzes auf. Ein Widerspruch, der die schmerzhafte Unsicherheit des Richters und bittere Unruhe des Lesers erklärt.“ Aber wir müssen heute genau mit diesem Bewußtsein und von diesem Punkt aus heute von neuem beginnen. Es ist leicht, die schwache Motivation des Spruches des Kassationsgerichtshofs Stück für Stück auseinanderzunehmen: wir haben es auf logischem und auf dem Gebiet der formalen Analyse gesehen. Aber genau hier liegt das Problem, welches ein typisch – man kann sogar sagen ausschließlich – hermeneutisches Problem ist, denn wir stehen an der Schwelle des Rechts, und beschäftigen uns mit der Wahl der Werte. Dies ist eher ein Problem der Rechtspolitik als ein Problem der wirtschaftlichen Analyse des Rechts. Von diesem letzten Standpunkt aus kann die ökonomische Argumentation, die davon abrät, die Grenzen bürgerlicher Verantwortung ohne Maß auszuweiten, neu dimensioniert werden, wenn sie die Auffassung akzeptieren würde, einen Schaden nur in den (Ausnahme-) Fällen zu ersetzen, wo es um tragische Lebensumstände, unerträgliche Leiden, dauerhafte, das ganze Leben anhaltende Schmerzzustände geht.20 Dies ist das große Verdienst des Beitrages von Basil Markesinis zur Affaire Perruche:21 man könnte ihn als Meisterwerk des juristischen Realismus bezeichnen, nicht nur als herausragende Arbeit der Rechtsvergleichung.
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Vgl. weiter zur Thematik der Bioethik im Privatrecht Alpa G und Andenas M (2005) Fondamenti del diritto privato europeo, 206-233. 21 Markesinis B S (2001) "Réflexions d’un comparatiste anglais sur et à partir de l’arrêt Perruche" Revue Trimistrielle de Droit Civil, 75-103.
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5. Die Verbraucherrechte
5. Die Verbraucherrechte
5.1 Die normativen Quellen Im Gemeinschaftsrecht spielte die Person anfangs als nur Protagonist wirtschaftlicher Beziehungen eine Rolle, nämlich als Arbeiter. Daraus ist das Gemeinschaftsarbeitsrecht entstanden, ein originärer Bereich des Europarechts, und mittlerweile ein eigenständiger Sektor. An dieser Stelle werden wir deshalb nicht näher darauf eingehen, sondern es bei dieser Vorbemerkung belassen. Schon zu Beginn der Schaffung von Gemeinschaftsrecht hat man die Person auch als Adressaten von Produkten und Dienstleistungen gesehen, also als Verbraucher. Diese Qualifikation ist mittlerweile Bestandteil des Begriffs der Person geworden, den das Europäische Privatrecht offenkundig nicht ignorieren kann. Auf rechtlicher Ebene speist sich die Definition des „Verbrauchers“ aus einer Vielzahl von Quellen, die sich hinsichtlich ihres Ursprungs, ihrer Dauer, ihrer Anwendung und ihrer Vereinbarung unterscheiden. Der Anwender, der die Konstruktion der Definition finden möchte, kann nicht auf willkürliche Kriterien vertrauen, denn der Begriff hat keinen rein doktrinären Ursprung (oder hat ihn nicht mehr), sondern er ist eingebettet in normative Texte. Die Quellen, aus denen man den Begriff konstruieren kann, müssen hierarchisch organisiert werden, mit dem Ziel, möglichen Interpretationskonflikten vorzubeugen und eine semantische Ausweitung des Begriffs zu klären, die mit den jeweiligen Rechtsordnungen konform ist. Für alle Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bestehen die Primärquellen in Quellen der Gemeinschaft (Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Entscheidungen, Meinungen), einschließlich der Rechtsprechung der ersten Instanz und des Gerichtshofs; in internen Quellen, also der nationalen Rechtsprechung, welche die gemeinschaftlichen Quellen anwendet; in den Lösungen der Gesetzgebung, die in Sondergesetzen oder in den Kodizes der einzelnen Rechtsordnungen erdacht wurden, um der Definition eine Gestalt zu geben. Auch die Rechtslehre spielt eine Rolle, nämlich die der Erklärung und kritischen Analyse, und in dem Maße, in dem sie nicht durch die internen Quellen bedingt, sondern für die gemeinschaftlichen Quellen offen ist, können die Modelle, die sie vorschlägt, als „zirkulär“ bezeichnet werden, also auch außerhalb ihres Ursprungsstaates adaptierbar. Man muß auch einige internationale Konventionen betrachten, die Vorschriften hinsichtlich der Verbraucher beinhalten: das Brüsseler Abkommen von 1968, EuGVÜ,22 nunmehr „Brüssel-I-VO“,23 das Abkommen von Rom von 1980 über 22
Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968, zuletzt geändert durch das Beitrittsübereinkommen vom 29. November 1996, bzw. das entsprechende „Lugano-Übereinkommen“, LGVÜ, für Nicht-EG-Staaten. 23 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000.
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das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, EVÜ, nunmehr „Rom-I-VO“24 das Wiener UN - Übereinkommen über den internationalen Warenkauf, CISG,25 von 1980. Für unseren Zweck sind nicht nur die normativen, internationalen, gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Quellen wichtig, sondern auch Übereinkünfte. Mitunter kann man nämlich in den Beziehungen zwischen Privatpersonen Standes- oder Berufsregeln finden, die von Berufsvereinigungen ausgearbeitet wurden, – Einverständnisprotokolle zwischen Berufsvereinigungen und Verbraucherverbänden, Massenverträge, individuelle Übereinkommen – bei denen die Definition des Verbrauchers vorkommt, oder die eine solche Definition voraussetzen. Trotzdem sind die Definitionen der ersten Art bindend für Interpreten und Anwender, die der zweiten Art sind bindend für diejenigen, die an der Übereinkunft beteiligt waren, aber sie können den bindenden Definitionen nicht entgegengehalten werden. 5.2 Die Methode der Definition des Verbrauchers Um nun zu einer Definition zu gelangen, kann man unterschiedliche Wege wählen: der einfachste besteht darin, das, was aus dem geltenden Recht, aus dem law in action entspringt, zu „fotografieren“, indem man die allgemein akzeptierten Ausdrücke sowie die Abweichungen von den üblichen Definitionen registriert. Der komplexere besteht in einer Bewertung, ob die allgemein akzeptierten Ausdrücke zufriedenstellend sind (vom Standpunkt der Ziele, die der Interpret verfolgt, aus betrachtet), und dort, wo das Resultat der Bewertung lückenhaft ist, eine akzeptablere, weil angemessenere Definition vorzuschlagen. Es ist daher fundamental, die Ziele, um deretwillen man eine Definition sucht, zu bestimmen: sie bestehen essentiell darin, Regeln und Rechtsmittel zur Verfügung zu stellen, um Interessen zu schützen, die man als gleichermaßen schwach und unterstützenswert ansieht, wenn man sie mit den Interessen der Unternehmer26 vergleicht. Die Definition des Verbrauchers ist mithin komplementär zu der des Unternehmers: der Verbraucher ist kein Einzelindividuum als solches, sondern er ist als Individuum Teil einer Beziehung mit einem ihm gegenübergestellten Subjekt, welches konträre Charakteristika besitzt, d.h., ein Individuum (oder eine Körperschaft), das einer professionellen Tätigkeit nachgeht (kommerziell, finanziell, liberal, etc.). Es ist ebenso fundamental, zu unterstreichen, daß die Gegenüberstellung (Verbraucher/Unternehmer), obwohl sie Affinität zu jener des 19. Jahrhunderts (Kunde/Unternehmer) hat, nicht mit dieser gleichzusetzen ist. In den Definitionen des 24
VO (EG) 593/2008 vom 17. 6. 2008. United Nations Convention on the International Sale of Goods. 26 [„Unternehmer“ ist der übliche Sprachgebrauch in diesem Bereich, aber als pars pro toto verstanden, also Gewerbetreibende im weitesten Sinne, Professionelle, Händler, NichtVerbraucher. Siehe auch zum Begriff „Unternehmervertrag“ unten Teil 3 Kapitel 2, 4., und zum Begriff „Status“ ibid., Anm. 102.] 25
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5. Die Verbraucherrechte
19. Jahrhunderts hatte die Gegenüberstellung die Funktion, Immunität und Privilegien für den Unternehmer zu schaffen; im Gemeinschaftsrecht und in den heutigen nationalen Rechtsordnungen hat die Gegenüberstellung eine gegensätzliche Funktion, nämlich jene, dem als schwächer betrachteten Teil, dem Verbraucher, einen Vorteil gegenüber dem idealerweise als stärker betrachteten Teil, dem Unternehmer, zu verschaffen, da dieser über mehr Information verfügt, größere Vertragsmacht hat, das Risiko der wirtschaftlichen Aktivität trägt usw. Im Rahmen des Projektes eines Europäischen Zivilgesetzbuches können die Redaktoren, auch wenn sie die Primärquellen und die anderen normativen Quellen nicht ignorieren können, in ihrer Autonomie auch entscheiden, zu präzisieren, zu verbessern, den definitorischen Text zu vertiefen, weil sie nicht die Absicht haben, die existierende Situation zu „fotografieren“, sondern allgemeine, funktionelle und kohärente Regeln vorzuschlagen. 5.3 Der Charakter der Definitionen aus den internationalen Quellen und den Quellen des Gemeinschaftsrechts In der Brüsseler Konvention gibt es eine Definition, die in einem Großteil der Gemeinschaftsakte Verwendung findet: innerhalb des Vertragsrechts ist der Verbraucher die Person, die einen Vertrag abschließt „zu einem Zweck ..., der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person (Verbraucher) zugerechnet werden kann “ (Artikel 13 EuGVÜ).27 Die Formulierung wird in Artikel 5 EVÜ wiederholt.28 Das Wiener Kaufrecht hingegen sieht von dem zivilen oder kommerziellen Charakter der Partner oder des Vertrages ab (Artikel 1 und 3) und wird nicht auf den Verkauf von mobilen Gütern zum persönlichen, familiären oder häuslichen Gebrauch angewendet, es sei denn, daß der Verkäufer weder wußte, noch darauf hingewiesen wurde, daß die Güter zu solchem Zweck gekauft wurden. Welche sind die Charakteristika der Definitionen aus den gemeinschaftsrechtlichen Quellen? Artikel 38 der Charta der Grundrechte führt lediglich aus, daß „in der Politik der Union ein hohes Niveau an Verbraucherschutz garantiert ist“. Auf die gleiche Art und Weise definiert Artikel 153 des EG-Vertrages den Zweck der diesbezüglichen gemeinschaftlichen Politik („die Interessen der Verbraucher zu vertreten und ein hohes Niveau an Verbraucherschutz zu gewährleisten“), und er benennt die einzelnen geschützten Interessen, zu deren Schutz die Gemeinschaft beiträgt (Gesundheit, wirtschaftliche Sicherheit, wirtschaftliche Interessen), sowie die einzel27
Nunmehr in Artt. 15-17 der VO 44/2001: Art 15 (1) lautet: ... ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann... 28 Nunmehr in Art 6 (1) der VO 593/2008: „...Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann („Verbraucher“),...“
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nen Interessen, die die Gemeinschaft vertreten möchte (Information, Erziehung, Bewahrung der Verbraucherinteressen). Der Begriff „Verbraucher“ wird vorgegeben, er wird nicht in seinen Inhalten definiert, so daß man auf andere gemeinschaftliche Quellen von geringerem Rang zurückgreifen muß, um seine Bedeutung zu rekonstruieren. In den Richtlinien der letzten 15 Jahre ist der Verbraucher wiederholt als physische Person definiert, die in den Beziehungen mit Unternehmern außerhalb seiner eigenen beruflichen Tätigkeit handelt. Dies ist eine Definition, die minimal und negativ zugleich ist: minimal, denn sie betrachtet die physische Person; negativ, denn sie beschreibt, was das Individuum nicht tun darf, um als Verbraucher betrachtet zu werden. Wir müssen also andere Quellen untersuchen, – auf gemeinschaftlicher Ebene – um zu einer expliziteren und vollständigeren Definition zu kommen. Hier sind vor allem die Entscheidungen der Gerichte der Gemeinschaft zu nennen. In seinen jüngeren Äußerungen hat der Gerichtshof detaillierte Definitionen des Verbrauchers vorgelegt. Mit dem Urteil vom 3.7.199729 stellte er klar, daß die Artikel 13 (1) und 14 (1) des Brüsseler Abkommens in dem Sinne interpretiert werden müssen, daß jemand, der einen Vertrag zur Ausübung nicht aktueller, sondern zukünftiger beruflicher Tätigkeit abschließt, nicht als Verbraucher angesehen werden kann. Der Kläger hatte mit dem Beklagten einen Franchisingvertrag abgeschlossen, auf dessen Basis er Käufe zur Ausrüstung eines Geschäfts getätigt hatte. Es handelte sich mithin um einen Vertrag mit dem Ziel, eine zukünftige Tätigkeit auszuüben, welche der Gerichtshof als dem allgemeinen Zuständigkeitsrecht zugehörig erkannt hat, insofern „nach ständiger Rechtsprechung“ der Verbraucher des Artikels 13 der Konvention der Privatmann ist, der Endadressat, der nicht kommerziell oder professionell involviert ist. Das Gericht erkannte weiterhin, indem es Erwägungen des Generalanwalts zur Kenntnis nahm, daß die gleiche Person in bestimmten Vertragsverhältnissen als Verbraucher anzusehen sei, in andern als Unternehmer; aber wenn die anzuwendenden Vorschriften einen Schutz darstellen, dann muß der Verbraucher die „sogenannte schwächere Partei“ sein. Aus dieser pragmatischen Betrachtung erkennt man, daß der Status des Verbrauchers ein Gelegenheitsstatus ist, nicht von Dauer, denn der Wechsel des Status (von Verbraucher oder Unternehmer) hängt von der Art und Weise des Verhältnisses ab, das die Privatpersonen untereinander haben, und von der Rolle, welche sie in diesem Verhältnis einnehmen möchten. Das Unterscheidungskriterium zwischen Verbraucher und Unternehmer ist also in dieser Entscheidung auf eine doppelte Annahme gegründet: einerseits wird der (individuelle) Zweck, zu dem der Vertrag geschlossen wurde, betrachtet, andererseits wird der Status des Unternehmers zeitlich vorgezogen, und dabei die Ergebnisse vorweggenommen, bis zu dem Moment, in dem die ersten Handlungen mit dem Ziel einer beruflichen Aktivität stattfinden.
29
Benincasa gegen Dentalkit, Rechtssache C-269/95.
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5. Die Verbraucherrechte
Weder die Erklärung seitens der Parteien – also die Erklärung des Status, der in dem Vertragsverhältnis eingenommen wird – noch die objektive Natur des Verhältnisses (dessen Anlaß und Ziel) werden untersucht. Wichtig ist hingegen der instrumentale Charakter des Verhältnisses, die Nutzung des Vertrages hinsichtlich der Ziele, die der Vertragspartner verfolgt, der vom Verbraucherstatus profitieren möchte. In neuerer Zeit hat der Gerichtshof mit dem Urteil vom 17.3.199830 die Ansicht vertreten, daß jemand nicht als Verbraucher betrachtet werden kann, der mit einem Vertrag, der mit einer Bank außerhalb der Geschäftsräume abgeschlossen wurde, dieser eine Garantie durch eine Bürgschaft gibt. Mit anderen Worten, hier wird nicht der subjektive Status des Bürgen betrachtet, – dem der Gerichtshof zugesteht, Verbraucher zu sein, also eine Person, die nicht im Bereich ihres Berufes gehandelt hat – sondern man untersucht den Zweck, zu dem der Hauptschuldner, der Vertragspartner des Gewerbetreibenden, gehandelt hatte. Weil der Hauptvertrag vom Schuldner nicht mit professionellen Zielen abgeschlossen wurde, wird auch der Zusatzvertrag als dem Bereich des allgemeinen Rechts zugehörig betrachtet, und damit wird dem Bürgen der Verbraucherschutz aberkannt. Es ist also nicht die objektive Bewertung, – der Bürgschaftsvertrag per se – die zählt, als vielmehr das Ziel jenes Vertrages, der mit dem Status des Kontrahenten aus dem Hauptvertrag verbunden ist. Aus dieser Rechtsprechung gewinnt man die Erkenntnis, daß der Gerichtshof bei der Definition des Verbrauchers zwischen subjektiven und objektiven Kriterien oszilliert. 5.4 Der Merkmale der Definitionen aus den nationalen Rechtsquellen Im italienischen Recht, jenseits der Definitionen von „Verbraucher“, die man in den Ausführungsrichtlinien der Gemeinschaft findet, und die die übliche Formel, welche in der Wendung von der „physischen Person, deren Handlungsziel außerhalb der von ihr eventuell verfolgten unternehmerischen oder professionellen Aktivität liegt,“ ihren Ausdruck findet, wiederholt, finden wir die gleiche Formel im italienischen Zivilgesetzbuch (Artikel 1469 bis Abs. 2 C.c.) und im allgemeinen Gesetz über die Rechte der Verbraucher und der Nutzer.31 Letzteres benutzt, obwohl es die Terminologie der physischen Person streift, eine Formulierung, die sich etwas von der des Codice unterscheidet, insofern sie zum einen den Verbrauchern die Nutzer zur Seite stellt, und zum anderen das Ziel der Handlungen natürlicher Personen präzisiert, welches im Erwerb oder im Gebrauch von Gütern oder Dienstleistungen, die „sich nicht auf die ausgeübte unternehmerische oder berufliche Tätigkeit beziehen“, besteht. Im Zivilgesetzbuch, unter dem zitierten Artikel, finden wir auch die Definition des Unternehmers, als „die natürliche oder juristische Person, öffentlich oder pri-
30 31
Bayerische Hypotheken und Wechselbank AG gegen Dietzinger, Rechtssache C-45/96. Gesetz vom 30.7.1998, Nr. 281.
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vat, die im Rahmen seiner unternehmerischen oder beruflichen Aktivität den Vertrag mit dem Verbraucher abschließt“. In der Bank- oder Versicherungsgesetzgebung findet sich keine Definition des Verbrauchers, sondern nur eine des Kunden. Auch das Recht des Verbraucherkredits, welches im Testo Unico für das Kreditwesen32 eingebettet ist, bringt keine neuen Erkenntnisse zum Thema, denn sie benutzt den Terminus „Verbraucher“ nur im Zusammenhang mit Kreditbeziehungen, die durch die Kreditvergabe zur Ausübung einer wirtschaftlichen oder beruflichen Aktivität entstanden sind, um Kredite in Form von Zahlungsaufschub, um Finanzierungen oder entsprechende finanzielle Vorteile. Dabei wiederholt sich die gesetzliche Formulierung.33 Hinsichtlich der Gesetzgebung zur Finanzvermittlung bemüht man sich weder in den Richtlinien der Gemeinschaft (z.B. die Richtlinie EWG 93/23) noch bei der Regelung von Geldeinlagen darum, den Verbraucher oder den Sparer zu definieren und benutzt gelegentlich den Begriff „institutioneller Anleger“ – dem jener des „nicht-institutionellen Anleger“ gegenübersteht (welchen wir in die Alltagssprache mit Sparer oder Bankkunde übersetzen) – nur, um ihn von der Verpflichtung zu Information, Redaktion oder der Ablage von Dokumenten zu entlasten. Die regionale Gesetzgebung, die sich vor allem der finanziellen Unterstützung der Aktivitäten von Verbraucherorganisationen widmet, bringt andere Definitionen ins Spiel. Da sie aber den anderen, primären Gesetzgebungen untergeordnet ist, kann sie vor diesen keinen Vorrang haben. Die Rechtsprechung hat noch keine einheitliche Orientierung vorgegeben, und man muß darauf hinweisen, daß die Urteile, die Verbraucher betreffen, noch nicht sehr zahlreich sind. Einige Urteile – darin folgen sie der herrschenden Lehre – behaupten, daß der Begriff „Verbraucher“ ausgeweitet werden kann: i) auf die Non-Profit Organisationen, die faktischen Körperschaften, auf die juristischen Personen, die keinen lukrativen Zweck verfolgen, sowie ii) auf Kleinunternehmer, Künstler und Landwirte. Das Amtsgericht von Foggia-Orta Nova stellte mit dem Spruch vom 17.12.1998 fest, daß die Regeln des Zivilgesetzbuches nicht auf schikanöse Klauseln (Artikel 1469 bis ff.) und auf Verträge zwischen zwei Verkäufern angewandt werden, können, wenn auch mit der Einschränkung, daß solche Gesetze nicht nur auf Verträge, die zwischen Verbrauchern geschlossen werden, angewandt werden können, sondern auch auf Verträge, bei denen ein Teil dem möglichen Machtmißbrauch des anderen ausgesetzt ist.
32
Decreto Legislativo 1 settembre 1993, n. 385: "Testo unico delle leggi in materia bancaria e creditizia", veröffentlicht im Supplemento Ordinario alla Gazzetta Ufficiale n. 230 vom 30. September 1993, einheitliches Gesetz über das Bank- und Kreditwesen. 33 Legislativdekret vom 1.9.1993, Nr. 385, Artikel 121 Abs.1: „Per credito al consumo si intende la concessione, nell'esercizio di un'attività commerciale o professionale, di credito sotto forma di dilazione di pagamento, di finanziamento o di altra analoga facilitazione finanziaria a favore di una persona fisica che agisce per scopi estranei all'attività imprenditoriale o professionale eventualmente svolta (consumatore).“
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5. Die Verbraucherrechte
Es wurde weiterhin festgestellt, daß, wenn ein Unternehmer mit einem anderen Unternehmer einen Vertrag zu einem anderen als dem unternehmerischen Zweck abschließt, er wie ein Verbraucher zu behandeln ist. Dies war der Fall bei einem bildenden Künstler, der einen Transportvertrag geschlossen hatte, um eines seiner Werke zu einem Wettbewerb zu bringen.34 Das Urteil ist interessant, denn es zeigt die Gründe, warum nur eine objektive Definition des Verbrauchers – in Verbindung mit dem verfolgten Zweck und der Position objektiver Abhängigkeit oder Schwäche des Gegenparts – die ratio legis der Bestimmungen, die im Vertragsrecht oder anderen Rechtsbereichen die Verbraucherinteressen schützen, zufriedenstellen kann. Die gleiche Entscheidung erweitert den Gebrauch – und mithin die Qualifikation als Verbraucher – auch auf die Fälle, in denen Vermischung vorherrscht, also jemand eine Handlung (Kauf, Gebrauch oder etwas anderes) entweder aus persönlichen und familiären Motiven oder aus beruflichen Gründen ausführt. 5.5 Der Gebrauch des Begriffs „Verbraucher“ in der Rechtsprechung Die italienische Rechtsprechung zeigt trotz allem – auch unter Einbeziehung anderer Präzedenzfälle –, daß der Begriff des Verbrauchers sehr kontrovers ist. Die Sammlungen von Rechtsprechung aus den letzten zwanzig Jahren belegen einen häufigen Gebrauch des Begriffs Verbraucher. Die Entscheidungen, die den Begriff verwenden, – in dem Sinne, daß er zu einem Grundbegriff der ratio decidendi wird, der Interpretation und Anwendung der Verordnungen, des geschützten Interesses – sind etwa 500 an der Zahl. Ein Großteil davon betrifft Straf- oder Steuersachen, mithin Materien, die die Grenzen dieser Analyse sprengen würden. Was relevant erscheint, ist, daß der Ausdruck Verbraucher nicht immer dazu verwendet wird, um den Adressaten der zu interpretierenden und anzuwendenden Verordnung zu bestimmen, und auch nicht notwendigerweise, um denjenigen zu bestimmen, zu dessen Schutz die Verordnung bestimmt ist, sondern auch, um andere Ziele zu erreichen, so daß der Gebrauch des Terminus Verbraucher Mittel ist, um einen anderen Zweck zu erreichen. Wenn man also den Begriff Verbraucher benutzt, muß man auf den Kontext achten. Der Kontext kann die Gründe illustrieren, die den Gesetzgeber veranlaßt haben, diesen Ausdruck zu gebrauchen, die darin eingeschlossenen Interessen bestimmen und in der Synthese die Zielrichtung, die von der Regelung verfolgt wird, gemäß dem Kanon der teleologischen Interpretation klären. Wenn der Kontext entscheidenden Charakter hat, ist es nötig, nicht nur auf die angewandte Gesetzgebung zu verweisen, sondern auch auf den dahinter stehenden Interessenkonflikt, seien diese im Urteil genannt, oder aber in der Bewertung des Richters oder der Autorität, die die Verfügung trifft. In diesem Zusammenhang sind die Definitionen besonders nützlich: die legislativen Definitionen, weil sie das Anwendungsgebiet der Vorschriften beschreiben, denen sie vorangestellt sind; die Definitionen aus dem Bereich der Rechtspre34
Tribunale Rom, 20. Oktober 1999, in: Foro it., 2000, 645.
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chung, denn sie sind die Vorraussetzung der jeweils betrachteten Entscheidung und gleichzeitig Modell für zukünftige Entscheidungen. Sowohl die verwendete Terminologie als auch die Definitionen der verwendeten Termini reflektieren eine Idee, ein Konzept vom „Verbraucher“, welches nicht notwendigerweise mit der Bedeutung zusammenfällt, die dem Begriff in der Alltagssprache gegeben wird, sondern vielmehr die Merkmale der Person beschreibt, die von Mal zu Mal in der mens legislatoris oder im Denken der Autorität vorhanden ist, die die Maßnahme ergreift. Wenn man im Bereich der Rechtsprechung nachforscht, dann findet man nicht nur unterschiedliche Bedeutungen und Konzepte des „Verbrauchers“, sondern auch verschiedene Funktionen und Rollen, die der Verbraucher, verstanden als repräsentatives Modell für eine Erscheinungsform oder die Art, sich zu verhalten, zu reagieren und in einer sozialen Gemeinschaft zu leben, annimmt. Eine so geartete Recherche kann unter quantitativen Gesichtspunkten betrachtet nur partiell sein, denn sie stützt sich notwendigerweise auf Muster, und auch unter qualitativen Vorzeichen gesehen, ist sie nicht vollständig, denn sie betrifft nur den Gebrauch des Ausdrucks „Verbraucher“, nicht aber den von mitunter homologen Ausdrücken, die von Gesetzgeber und Richtern alternativ gebraucht werden oder aus kulturellen Vorbehalten entstehen oder bedingt sind durch den Einfluß ideologischer Auffassungen, die den Verbrauchern und dem Schutz ihrer Interessen entgegenstehen. Wir beziehen uns im Besonderen auf die Anwendung von Begriffen wie „Kunde“ „Acquisiteur“, „Nutzer“, „Sparer“, „Kontrahent“, „Gegenpart“, usw. 5.6 Der Verbraucherbegriff in gerichtlichen und außergerichtlichen Entscheidungen In diesem Kontext kann man mindestens fünf unterschiedliche Bedeutungen von „Verbraucher“ ausmachen: i) den Träger des geschützten Interesses, dessen Verletzung im Verfahren beurteilt wird; ii) den Träger eines geschützten Interesses, insofern es durch die Vereinigung geschützt ist, der der Verbraucher angehört, oder die ihn oder die Branche vertritt; iii) den Träger eines Interesses, welches dadurch relevant ist, daß es einer Kategorie zuzurechnen ist, und mithin als kollektives Interesse oder als verbreitetes Interesse qualifiziert wird; iv) den Träger eines Interesses, welches in ein generelleres oder öffentliches Interesse mündet, welches bei der Bewertung von Konformität einer Handlung mit den gesetzlichen Vorschriften eine Rolle spielt; v) die Parameter, auf deren Basis die Auswirkungen einer Handlung oder eines Verhaltens meßbar sind, also das Bezugsmodell, um die Konformität einer Handlung oder eines Verhaltens mit den gesetzlichen Vorschriften beurteilen zu können. Es ist offensichtlich, daß die Anwendungen des Begriffs mehrdeutig sein können, im Hinblick auf die Frage, ob der Verbraucher als Parameter dazu geeignet ist,
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5. Die Verbraucherrechte
nachzuprüfen, ob der Träger des Interesses mit dem Modell übereinstimmt und somit der Adressat der Vorschriften ist, ob das Interesse des Einzelnen mit dem öffentlichen Interesse in Widerstreit steht, etc. 5.6.1 Der Verbraucher als Träger individueller, geschützter Interessen. Die am einfachsten zu klassifizierenden Fälle betreffen die Anwendung der erstgenannten Bedeutung, bei der das definitorische Problem mit der Handlungsberechtigung und dem Interesse des Handelnden verbunden ist. Das heißt, der Verbraucher wird als der direkte Träger eines anerkannten und ihm vom Gesetz garantierten Interesses betrachtet, welches er zur Geltung bringt, um daraus einen Vorteil zu ziehen. Auf diese Art von Interesse beziehen sich die Richtersprüche, durch die die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und des nationalen Rechts, die den Schutz des individuellen Verbrauchers zum Gegenstand haben, Anwendung finden. Die gesetzlichen Maßnahmen sind insgesamt von geringer Anzahl, sei es aufgrund der Verspätung, mit der die nationalen Gesetzgeber die Notwendigkeit, im Konsumbereich regelnd einzugreifen, wahrgenommen haben, sei es wegen der Verspätung, mit der die gemeinschaftlichen Vorgaben von ihnen umgesetzt wurden. Unter qualitativen Gesichtspunkten betrachtet, zeigen die Maßnahmen, daß die entscheidenden Organe dazu tendieren, eine wörtliche und restriktive Interpretation der Bestimmungen vorzunehmen und dabei den Schutz nur dem Verbraucher, verstanden als natürliche Person, garantieren, ihn jedoch nicht auf unterschiedliche Fälle anwenden, auch wenn diese den explizit aufgeführten ähnlich sind. Die bezeichnendsten Beispiele der Anwendung dieser Begriffsbedeutung betreffen die Rechtsprechung hinsichtlich Schäden, die aus schadhaften Produkten entstanden sind, die Rechtsprechung im Bereich der Vertragsbeziehungen mit Unternehmen und die Rechtsprechung im Bereich der kommerziellen Werbung. 5.6.2 Der Verbraucher als Mitglied einer Vereinigung In diese Kategorie muß man die Entscheidungen einordnen, die die Anspruchsberechtigung und Prozeßfähigkeit der Vereinigungen betreffen. Kann man die Bestimmungen, die die Legitimation zum Handeln auf die Berufsvereinigungen begrenzen und die Verbrauchervereinigungen ausschließen, als verfassungswidrig betrachten? Der Fall ergibt sich aus dem Artikel 2601 des italienischen Codice Civile. Nun hat der italienische Verfassungsgerichtshof die Frage umgangen; der Spruch vom 21.1.1988, Nr. 59 stellte fest, daß die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Artikels 2601 C.c. in dem Teil, in dem er die Möglichkeit, gegen die „unlauteren“ Konkurrenten zu klagen, nur auf die professionellen Vereinigungen unter Hinweis auf Artikel 3 der Verfassung begrenzt, unzulässig sei, denn es sei Aufgabe des Gesetzgebers, adäquate Instrumente zum Schutz des Verbrauchers bereitzustellen.
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Der Status der Rechtspersönlichkeit wurde einer Unternehmensvereinigung zugestanden, deren Zweck darin bestand, die Qualität von Produkten bestimmter Unternehmer zu kontrollieren, welche genau definierte Merkmale aufweisen mußten.35 Aber die Rechtsprechung ist restriktiv bei der Interpretation von Vorschriften, welche die Vereinigungen legitimieren, vor Gericht aufzutreten. Zum Beispiel sind die Verbraucherschutzorganisationen nicht berechtigt, in Sachen des Umweltschutzes aufzutreten. 36 Eine derartige Legitimation wurde hingegen angenommen, um gegen eine Maßnahme vorzugehen, die Repräsentanten der Verbraucher bei der Zusammensetzung der zentralen Preiskommission ausschloß.37 Ebenso, um gegen die Maßnahme der Post vorzugehen, welche es Privatleuten erlaubte, Postüberweisungen selbst abzustempeln,38 oder gegen Verordnungen, die den Verkehr auf den Autobahnen betrafen,39 oder gegen die Reglementierung des Telefonangebots40 oder der Telefontarife.41 5.6.3 Der Verbraucher als Träger von Breiteninteressen Obwohl die Kategorie der unterschiedlichen, also unspezifischen, Breiteninteressen immer auch die Verbraucherinteressen betraf, gibt es nicht viele Urteile, die diese Ausweitung betreffen. Normalerweise sind die Breiteninteressen mit dem Umweltschutz verbunden. Trotzdem wurde auf dem Gebiet der irreführenden Werbung die Berechtigung, seitens der Verbände einzuschreiten, explizit anerkannt, denn, wenn jene handeln, um etwas zu verhindern, dann bringen sie weniger ein Interesse der eigenen Verbandsmitglieder zum Ausdruck, als vielmehr ein Breiteninteresse aller Verbraucher.42 Das Problem stellt sich also in Fällen, in denen es keine spezifischen Vorschriften zum Thema gibt. Da eine allgemeine Regelung fehlt, hat die Rechtsprechung auf diese Art und Weise den Handlungsspielraum der Verordnung umrissen. Vor allem wurde der Raum der Justiziabilität der Breiteninteressen geklärt. Einen fundamentalen Legitimationsfaktor für die Anfechtung stellt das (prozessuale) Interesse am Antrag,43 oder die Aussicht auf einen Vorteil seitens des Klägers hinsichtlich einer Aufhebung der angefochtenen Verordnung dar, auch wenn er nur potentiell oder instrumentell ist. Deshalb wird die Grenze, unterhalb derer die Verwaltungsgerichtsbar35
Consiglio di Stato, 377/91. Wie der „Codacons“, Coordinamento delle Associazioni per la Difesa dell'Ambiente e dei Diritti degli Utenti e dei Consumatori, www.codacons.it, eine Umweltschutz- und Verbraucherschutzorganisation in Italien; vgl.: Consiglio di Stato (Cons.Stato), 754/95. 37 T.A.R. (Tribunale Amministrativo Regionale) Lazio, 782/92. 38 T.A.R. Lazio, 382/92. 39 T.A.R. Lazio, 1906/90. 40 T.A.R. Lazio, 1966/90. 41 Cons. Stato, 725/88; anders vorher: Cons. Stato, 40/81. 42 Artikel 7 Abs. 2 des Legislativdekrets vom 25.1.1992, Nr. 74. 43 [Also das Rechtsschutzinteresse und die Aktivlegitimation.] 36
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keit bei Breiteninteressen nicht tätig wird, vom Prozeßinteresse konstituiert und dem minimalen Erfordernis, eines reinen Interesses an der Neudiskussion des Falles.44 Man hat dann behauptet, daß das Breiteninteresse wirtschaftlich bewertbar sein solle, und daß es nötig sei, den Begriff des „öffentlichen Vermögens“ zu definieren, so daß seine Verletzung das Entstehen eines Schadens für den Staat impliziere. Diesbezüglich hat der Rechnungshof45 festgestellt, daß „der Begriff des öffentlichen Vermögens [...] nicht mehr nur einem Komplex finanzieller und von Vermögenswerten im strengen Sinne [entspricht], sondern [...] auch die Gesamtheit aller Vorteile wirtschaftlicher Natur, für die Gesellschaft, der gegenüber der Staat Schutzpflichten hat, [umfaßt]; dementsprechend entsteht ein hypothetischer Schaden für den Staat nicht nur im Falle einer Störung der obengenannten Elemente, sondern auch im Falle einer ungerechten Verletzung eines wirtschaftlich bewertbaren Interesses des Staates“.46 Man trifft nach wie vor auf Widerstände, wenn es darum geht, die Legitimation für Klagen gegen Baugenehmigungen zu bejahen, (obwohl die Gesetzesformel umfassend und generell ist) aber das Recht zur Intervention wird im Urteil eingeräumt.47 Was den Zugang zu Verwaltungsakten betrifft,48 wird das Recht zur Intervention in den Vorgang eingeräumt.49 Aber die Einstellung der Richter ist nicht einheitlich, wie in einem Spruch des Cons. Stato (2244/94) zu lesen ist, nach dem die Träger von Breiteninteressen nicht dazu legitimiert sind, Einsicht in und Kopien von Akten zu Wettbewerben und Gewinnspielen zu erhalten, da dies automatisch die persönliche Situationen jener einbezieht, die an der Auswahl teilnehmen, und nicht nur die überindividuellen Interessen von Verbänden oder Komitees berücksichtigt, deren Schutz Teil ihrer institutionellen Ziele ist. Es gibt Fälle, in denen dem Verbraucher zugestanden wird, nur als Vereinigung, nicht aber als Individuum zu handeln oder zu intervenieren: das individuelle Interesse ist somit nur geschützt, insofern es von einer Gruppe geltend gemacht wird. Dies ist so aus Gründen der Prozeßökonomie und der Verwaltungsvereinfachung. So drückt sich das T.A.R. Apulien aus: „Artikel 91, 7.8.1990, [Gesetz] Nr. 241 – mit Blick auf die Einklagbarkeit verbreiteter Interessen50 im Bereich von Verwaltungsvorgängen – weitet deren Schutz auf alle Fälle aus (und nicht nur auf einige spezielle, wie z.B. von Artikel 13, 1.7.1986 [Gesetz] Nr. 349 vorgesehen), vorausgesetzt, daß er von einem Kollektiv (einer Vereinigung, einem Komitee, national oder lokal) eingefordert wird, in dem die Träger der Interessen organisiert
44
Consiglio di Stato, Abteilung VI, 754/95. Corte dei conti. 46 Corte cost. 10/82. 47 Vgl. z. B. T.A.R. Lazio, 432/80. 48 Gesetz Nr. 241 von 1990. 49 T.A.R. Apulien, 958/94. 50 Breiteninteressen, Interesse der Allgemeinheit, aber nicht gleichbedeutend mit dem öffentlichen Interesse. 45
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sind, um pathologische Dysfunktionen einer ungeordneten Teilhabe zu vermeiden.“ 5.6.4 Der Verbraucher als Träger eines Interesses, welches mit dem öffentlichen Interesse zusammenfällt. In dieser Kategorie lassen sich Maßnahmen zusammenfassen, die dazu bestimmt sind, generelle Interessen zu schützen, welche trotzdem Teil der Interessen sind, die den Verbrauchern zuzurechnen sind. Beispiele hierfür sind Maßnahmen im Zusammenhang mit der Markteinführung und Verbreitung von Produkten: z.B. hat der Europäische Gerichtshof erklärt, daß nach aktuellem Stand des Gemeinschaftsrechts die Festsetzung von Normen für die Verteilung pharmazeutischer Produkte Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten sei, bei Beachtung der Vorschriften des EG-Vertrages, insbesondere derer, die den freien Warenverkehr zum Gegenstand haben. Eine nationale Gesetzgebung, die ein Monopol der Apotheker für die Ausgabe von Medikamenten vorsieht, kann ein Hindernis für den Import sein. Ein solches Hindernis kann trotz allem im Prinzip und bis zum Beweis des Gegenteils für Medikamente im Sinne des Artikels 1 der RiLi 65/65/EWG51 gerechtfertigt werden. Was die anderen Produkte betrifft, abgesehen von der ihnen zugeordneten Qualifizierung im internen Recht, so ist es die Aufgabe der nationalen Richter, zu entscheiden, ob die Autorisierung zur Markteinführung und das den Apothekern zugestandene Monopol zu ihrer Verbreitung dem Zwecke der öffentlichen Gesundheit oder des Verbrauchers dient, und ob beide Zielsetzungen nicht auch unter Anwendung weniger restriktiver Instrumente für den internationalen Markt erreicht werden können.52 Auch auf nationaler Ebene haben sich die Verwaltungsrichter mit dem Bereich des Produktvertriebs befaßt. So haben z.B. die Richter im Aostatal erklärt, daß in der Verteidigung des Verbrauchers ein öffentliches Interesse, welches dazu tendiert, die Verweigerung der Handelslizenz zu rechtfertigen, erkennbar wird, und nicht im einfachen Überfluß an sich ähnelnden (und miteinander konkurrierenden) Geschäften, solange solche Umstände den Verbrauchern nicht zum Schaden gereichen, indem sie den Vertriebssapparat in Unordnung bringen und zu einem Preisanstieg führen. Daher ist eine Maßnahme, die die Verringerung der Anbieter zum Ziel hat, und deren Motivation von vornherein auf die reine Feststellung einer erhöhten Zahl an ähnlichen Geschäften trotz der gegen „null“ tendierenden Bevölkerungsentwicklung reduziert ist, nicht legitim.53
51
Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel (ABl. L 22 vom 9.2.1965, S.369/65. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 93/39/EWG (ABl. L 214 vom 24.8.1993, 22), nunmehr aufgehoben durch Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 vom 28.11.2001, 6) zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel. 52 EuGH, Rechtssache 369/91. 53 T.A.R. Valle Aosta 19/93.
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Mehr noch: die Thematik der Relevanz der Verbraucherinteressen ist in der Kontroverse um die Übereinkünfte zwischen Vereinigungen der Hersteller und Vereinigungen der Unternehmer über die Verteilung der Verkaufsstellen entstanden.54 Zu dem Publizitätsinteresse, das mit der Aufnahme in ein Verzeichnis, um einer bestimmten beruflichen Aktivität nachzugehen, verbunden ist, werden auch die Verbraucherinteressen gezählt. Dies ist z.B. der Fall bei Personen, die im Versicherungssektor als Vertreter arbeiten und so mit dem Kunden/Verbraucher/ Versicherten in Kontakt treten. Es ist gerade deren Interesse, welches es nötig macht, daß auch der Vertreter registriert werden muß, um seiner Tätigkeit nachzugehen.55 Der Großteil der Entscheidungen zur Echtheit von Produkten gehört zu dieser Kategorie, so wie jene, die sich mit Etiketten und Verpackungen beschäftigt. Der Spruch des höchsten Gerichtshofs hinsichtlich der Art der Verpackung eines Produkts ist hier symptomatisch (im Besonderen die Umhüllung von Mozzarellakäse, in der einige Löcher angebracht waren, um das Austreten des Serums zu gewährleisten) und geeignet, die Gesundheit der Verbraucher zu gefährden.56 Auch die Preisbildung hat einen Einfluß auf die Verbraucherinteressen, welche eine Komponente des öffentlichen Interesses sind. Aber wie soll man beurteilen, ob ein Preis vernünftig ist? Muß man dazu den lokalen Markt betrachten, oder den gemeinschaftlichen? Der EuGH hat festgestellt, daß die Institutionen der Gemeinschaft innerhalb ihres Ermessensspielraums, welchen sie haben, um einen gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen, einige Ziele, die der Artikel 39 des Vertrages festlegt, gegenüber anderen zeitweise bevorzugen können. Die Erhöhung der Preise, nach Artikel 39, Nr.1, Buchstabe e) des Vertrages, ist dann keine Vertragsverletzung, wenn die Schaffung eines gemeinsamen Marktes sich unvermeidlich auf einen Preis innerhalb der gesamten Gemeinschaft auswirkt, und das Ziel vernünftiger Verbraucherpreise darf nicht in Bezug auf jeden einzelnen nationalen Markt definiert werden, sondern nur umfassend in Bezug auf den gesamten gemeinsamen Markt. Man hat sich dann gefragt, ob der Schutz der Verbraucherinteressen von einer privaten Institution verfolgt werden kann, der man die Entscheidungsbefugnis übertragen könnte, private Tätigkeiten zu begrenzen, die das Verbraucherinteresse verletzen. Es wurde festgestellt, daß die Einschränkung seitens der Ehrengerichte des Rechts einer Beschwerdeführerin, publizistisch tätig zu sein, nicht auf der Basis des Verbraucherschutzes gerechtfertigt werden konnte, schon weil – trotz der Anerkennung im Dekret Nr. 74 von 1992 – die Einrichtung der Selbstregulierung immer Ausdruck einer privaten Geschäftsautonomie ist.57
54
Cass.sez.un., 2018/85. Tribunale Trento, 17.10.1981. 56 Cass. 12722/92. 57 Tribunale Rom, 4.2.1993. 55
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5.6.5 Der Verbraucher als Parameter Der größte Teil der in den Datenbanken gesammelten Fälle betrifft das Markenund Wettbewerbsrecht und darunter die kommerzielle Werbung. Hier ist das Verbraucherinteresse weder individuell ausgeprägt, noch ist es ein Interesse, welches vor Gericht eingeklagt wird. Es ist auf indirekte oder reflektierende Art geschützt, und der Verbraucher wird verstanden als Subjekt, auf das man sich bezieht, um die Auswirkungen einer Handlung oder eines Verhaltens zu bewerten, von dem man glaubt, das es im Gegensatz zum Gesetz steht. Der Verbraucher wird also als Durchschnittssubjekt betrachtet, welches auf wirtschaftliche, ästhetische, kommerzielle Phänomenen reagiert, und dessen Reaktionen (seine Gedanken, seine Wertschätzungen, seine Entscheidungsfähigkeit) – insoweit sie gewöhnlich sind – als Bewertungsparameter benutzt werden. Der Verbraucher als Standard übernimmt also die Funktion, die in anderen normativen Kontexten und Bewertungen dem buon padre di famiglia und dem vernunftgeleiteten Menschen zukommt. Ein Großteil der Verordnungen zum Industrierecht wird im Lichte dieses Parameters interpretiert, und es ist interessant, festzustellen, daß diese Verordnungen nicht dazu da sind, die Interessen jenes Subjekts zu schützen, das als Parameter fungiert, sondern vielmehr zum Ziel haben, die Interessenskonflikte zwischen Personen auszugleichen, deren Handeln auf den Verbraucher abzielt, aber die auf wirtschaftlichem Gebiet dem Subjekt, welches als Parameter fungiert, gegenüberstehen. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, daß, wenn andere Interessen als die des Verbrauchers geschützt werden, die gleichen Verordnungen mittelbar auch diese schützen, und es ist ebenfalls nicht ausgeschlossen, daß der Rechtsanwender, wenn er den hauptsächlichen Zweck jener Verordnungen vergißt, glaubt und vertritt, daß ihr Ziel der Schutz der Verbraucherinteressen sei. Wie schon angedeutet, ist der Bereich des Markenrechts hierfür symptomatisch. Der Parameter des Verbrauchers wird (nicht vom Gesetzgeber, sondern von den Richtern) für die Gesetzeskonformität der Auswirkungen als Maß genommen. Es ist die Vorstellung von einem Durchschnittskonsumenten (so bezeichnet es das Gericht in Brescia, 9.9.1994), die sich die Richter machen, um Feststellungen hinsichtlich der Auswirkungen der Unterscheidungsmerkmale treffen zu können. Die Marke, verstanden als Unterscheidungsmerkmal eines Produkts, darf die Öffentlichkeit nicht in die Irre führen.58 Dieser Ausdruck ist weitgefaßt zu verstehen, so daß „die Öffentlichkeit in die Irre führen“ bedeutet, den Verbraucher hinsichtlich der Qualität oder der Herkunft einer Ware zu desorientieren,59 oder den Durchschnittsverbraucher hinsichtlich der Herkunft und der Qualität einer bestimmten Ware zu einem Irrtum zu verleiten,60 oder einen Verbraucher von mittle-
58
Artikel 18, c.1, lit. e des decreto reale 21.6.1942, Nr. 929 über die registrierten Marken. Cass. 784/93. 60 Appellationsgericht Mailand, 1.10.1993. 59
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rer Intelligenz und Aufmerksamkeit zu verwirren,61 oder auf seine spontanen Assoziationen Einfluß zu nehmen.62 Der Parameter „Verbraucher“ wird auch angewandt, um eine Marke als stark oder schwach zu qualifizieren. So ist beispielsweise der Name „Juvena“, eine Abkürzung des lateinischen Adjektivs „juvenalis“, bezogen auf Kosmetikprodukte eine schwache Marke, denn die Assoziation des Begriffs „jugendlich“ mit den genannten Produkten, die dazu dient, den Verbraucher an jugendliche Aspekte denken zu lassen, birgt eine starke Bindung des Begriffs „Juvena“ an die von ihm bezeichneten Produkte, wobei ausgeschlossen wird, daß die Beziehung zwischen Produkt und Name eine originäre ist. Es wird in diesem Fall nicht weiter hervorgehoben, daß die Marke „Juvena“ seit langer Zeit eingeführt war und so von einem Verbraucher von mittlerer Bildung, Intelligenz und Aufmerksamkeit wahrgenommen und im Gedächtnis behalten werden kann, insofern die Marke, da sie keinen Phantasienamen hat, der Kategorie der schwachen Marken zuzurechnen ist.63 Auf die gleiche Art und Weise funktioniert der Gebrauch von Fremd- oder Dialektwörtern, die, auch wenn sie sich auf Kategorien beziehen, denen man das Produkt zuordnen kann, mit einer Marke in Verbindung gebracht werden können, wenn sie in der Auffassung eines mittleren Verbrauchers nicht generalisierbar sind.64 Der Gebrauch des Ausdrucks „co-op“ in Verbindung mit einem Begriff, der keine Kooperative bezeichnet, wird nicht als irreführend angesehen, sondern nur als Ergebnis einer ideologischen Zustimmung.65 Verboten ist dagegen die Verwendung von seit langem für bestimmte Produkte benutzten Ausdrücken für neue Produkte, auch wenn es sich dabei um unterschiedliche Produkte handelt, die in der Reaktion des Gelegenheitsverbrauchers eine gewisse Assoziation der ersteren mit dem Produzenten letzterer hervorrufen.66 Eine Abbildung, die nichts mit der Natur eines Produkts zu tun hat, wie eine Ansammlung von Früchten, die in Verbindung mit dem englischen Schriftzug „fruit“ auf ein T-Shirt gedruckt sind, wird als starke Marke betrachtet, weil die Unkenntnis des Englischen beim Durchschnittsitaliener es ausschließt, daß ein analoger Ausdruck von einem Konkurrenten frei verwendet werden kann.67 Auch der Bereich des unlauteren Wettbewerbs bezieht sich auf die Figur des Verbrauchers als Parameter, um die Korrektheit des Verhaltens eines Konkurrenten zu bewerten. Während es bei einer Marke nur nötig ist, ihre objektive Auswirkung auf eine Verwirrung zu bewerten, ist beim unlauteren Wettbewerb die Absicht zu schaden (Arglist) oder die Fahrlässigkeit (Verschulden) des Konkurrenten
61
Tribunale Sala Consilina, 15.7.1993. Man denke an die Brillenmarke „Vogue“, die auf die Assoziation mit der gleichnamigen Zeitschrift abzielt: Appellationsgericht Mailand, 18.7.1995. 63 Appellationsgericht Turin, 16.3.1994. 64 Tribunale Udine, 31.5.1993. 65 Tribunale Arezzo, 22.5.1995. 66 Der Ausdruck „Fantasirup“ erinnert nach den Richtern an die Limonade „Fanta“: Appellationsgericht Mailand, 11.7.1995. 67 Tribunale Rom, 31.8.1979. 62
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wichtig. Aber die Auswirkungen einer rechtswidrigen Handlung werden nach dem gleichen Maß bewertet, wie bei einer gefälschten Marke. So wird, durch sklavischen Nachbau, der Eignung des zu imitierenden Produktes hinsichtlich einer Täuschung des Konsumenten, was seine Herkunft angeht, Rechnung getragen.68 Gleiches gilt für die Verbreitung von Informationen als Teil einer Werbebotschaft, mit dem Ziel, das Publikum in die Irre zu führen; der Parameter ist hier in wirklichkeitsnahen Begriffen beschrieben, im Sinne eines Verbrauchers mittlerer Klugheit, was auch den unbegabtesten Verbraucher einschließt;69 in seiner Entscheidung (vom 29.9.1993) erläuterte das Tribunale Rom, daß die wissenschaftlichen Daten, welche auf dem Wege der Meta-Analyse, die durch Sammlung und Analyse inhomogener Daten mit rein statistischem Wert gewonnen wurden, wenn sie in einigen Werbebotschaften enthalten sind, wegen ihrer Unglaubwürdigkeit die Unternehmen anderer schädigen können und die Verbraucher davon abbringen, Konkurrenzprodukte zu kaufen. Dies beinhaltet den Tatbestand der irreführenden Werbung, die der Artikel 2 des Legislativdekrets von 25. Januar 1992 behandelt, und konstituiert unlauteren Wettbewerb durch Schlechtmachen und Herabwürdigung eines Konkurrenzproduktes. Der eindringliche Gebrauch des Begriffs „Wissenschaft“, um die Resultate einiger Recherchen zu bezeichnen, die auf Meta-Analyse basieren, kann bei einem „unbegabten Verbraucher“ die falsche Meinung erzeugen, daß es sich um eine von der wissenschaftlichen Gemeinschaft einhellig akzeptierte Schußfolgerung handele. Aber der Verbraucher wird nicht immer als ungebildete Person verstanden, so nimmt man z.B. an, daß alle in der Lage sind, rohen von gekochtem Schinken zu unterscheiden und mithin die entsprechenden Bezeichnungen zu verstehen.70 Der Bezirksrichter von Monza hebt anläßlich eines anderen Konfliktes zwischen großen Unternehmen, (Simmenthal und Star), klar hervor, was von Bedeutung ist, nämlich daß man im Sinne des Artikels 2598 Nr.1 C.c. bei unlauterem Wettbewerb, um herauszufinden, ob zwei Produkte verwechselt werden können, nicht auf diese oder jene besondere Gemeinsamkeit abheben darf, sondern alle substantiellen Elemente in ihrer Gesamtheit untersuchen muß, um festzustellen, ob der generelle Eindruck, der sich bei ihrer Betrachtung bietet, dazu angetan ist, beim Verbraucher von mittlerer Intelligenz Verwirrung zu stiften. Die Betrachtung des Verbrauchers als Parameter und nicht als zu Schützender erscheint sehr offensichtlich beim internen Preisdumping: hier wäre der Verbraucher froh, wenn er zu einem stark ermäßigten Preis Produkte kaufen könnte, die ansonsten weit mehr kosten würden. Der Erfolg von Schlußverkäufen ist ein klarer Index für dieses psycho-ökonomische Verhalten. Trotzdem wird gerade das Verhalten, zu ermäßigten Preisen einzukaufen, als eine Reaktion auf eine verurteilenswerte Praxis angesehen. Es wäre im Sinne des Verbraucherschutzes (und außerdem im Sinne des konkurrierenden Unternehmers), internes Preisdumping auszuschließen. Für den obersten Gerichtshof ist „das Angebot von Gütern oder 68
Appellationsgericht Bologna, 8.1.1994. Der Fall betraf einen Konflikt zwischen zwei Industriegiganten, Colgate Palmolive und Procter & Gamble. 70 Im Hinblick auf den Parmaschinken vgl. Tribunale Parma, 14.3.1985. 69
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5. Die Verbraucherrechte
Dienstleistungen zu geringeren Preisen als bei konkurrierenden Unternehmen mit der Folge von Irreführung und Hamsterkäufen der Kunden Teil eines zulässigen Wettbewerbs, solange er sich in den Grenzen der Normalität bewegt, mit Preissenkungen, in Folge einer Verringerung des Unternehmensgewinns oder einer realen Kostenreduzierung; es wird jedoch unzulässig, wenn es ein unlauteres Wettbewerbsverhalten beinhaltet, wenn es nicht im Einklang mit den Prinzipien einer professionellen Korrektheit steht, wenn es durch systematisches antiökonomisches Verhalten eines Unternehmens und die künstliche Herabsetzung der Preise auf ein Niveau unter den Kosten, was durch die objektiven Bedingungen eines Unternehmens nicht gerechtfertigt ist, die Züge des sogenannten internen Dumpings annimmt, denn damit wird einerseits das Urteil des Verbrauchers heimtückisch und illusorisch beeinflußt, andererseits werden damit die Regeln gebrochen, auf die die Wirtschaft vertraut, indem sie dem Markt in einem von der Produktivität des Systems und den generellen objektiven Produktionsbedingungen erlaubten Maße begegnet.71 Der Parameter „Verbraucher“ wird seit etwa zehn Jahren benutzt, um die Schuldnerinteressen zu bewerten, wenn der Verbraucher als Modell eines Gläubigers betrachtet wird. Dieses Modell wird sowohl von den allgemeinen Gerichten, als auch von den Verwaltungsgerichten angewandt. Hier sind einige Beispiele. In der Entscheidung vom 13.10.1989 führte das T.A.R. Veneto aus, daß „der bescheidene Verbraucher – und als solchen muß man normalerweise auch die Öffentliche Hand bezeichnen, welche ein vorsorgender Gläubiger sein soll – nicht gezwungen ist, einen Schaden im Falle der verzögerten Abzahlung eines eigenen Kredits anzuzeigen, und daß die Annahme ausreicht, daß der Gläubiger, um die gleiche Menge an Gütern und Dienstleistungen zu erhalten, über eine gemäß dem Index ISTAT bewertete Summe verfügen muß; daher sind – vorausgesetzt, daß der Versorgungskredit nicht von erheblichem Wert ist, und daß nicht bewiesen ist, daß wegen besonderer wirtschaftlicher Bedingungen des Gläubigers die Verzögerung keine Verringerung der Befriedigung seiner normalen Lebensbedürfnisse bedeutet hat – auch die Summen, die man zur Versorgung bezieht, wie der Zuschuß ENPAS, einem Schaden durch Geldentwertung unterworfen sind “. Der oberste Gerichtshof hat seinerseits unterstrichen, daß „zum Zwecke der Anerkennung eines großen Schadens bei einem Gläubiger, nach Artikel 1224 (2) C.c., im Zusammenhang mit einer Inflation der Rekurs auf Vermutungen und Tatsachen der allgemeinen Erfahrung als gültig betrachtet werden muß, wenn er weder in die Anwendung fester Parameter übertragen werden kann, noch die Entlastung des Antragsstellers von der Pflicht zu Behauptung und Beweis bedeutet, im Verhältnis zu der Qualität und den Bedingungen der Kategorie, der der besagte Gläubiger angehört. Nach Maßgabe solcher „personalisierten“ Daten soll eine Bewertung der verzögerten Disponibilität des Kredits aufgrund von Kriterien der Wahrscheinlichkeit, der Verwendung des Geldes und mithin der Auswirkungen im konkreten Fall, erlaubt sein. Deswegen kann dem Gläubiger, der beweist, daß er ein Durchschnittsverbraucher ist, der fragliche Schaden mit Bezugnahme auf den Inflationsindex angerechnet werden, insofern dieser geeignet ist, die notwendigen 71
Ziviles Kassationsgericht, Abteilung I, 2743/83.
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anstehenden Ausgaben für jene Konsumgüter zu bezeichnen, die er bei Fälligkeit der Verpflichtung nicht kaufen konnte, da der Schuldner nicht gezahlt hatte“.72 Das Modell ist vom Plenum des Kassationshofs kodifiziert worden73 die der Meinung war, daß dem Gläubiger kein Verzugszins (und auch kein anderer Zins) auf den gesetzlichen Satz geschuldet ist. Vom Tage des Verzugs an sei dem Gläubiger „die Summe Geldes geschuldet, die ihm als gemäßigtem Verbraucher im Sinne des Artikels 1224 (2) C.c. auf Basis einer Wiedergutmachung des größtmöglichen Schadens, der ihm durch die Abwertung des Geldes während des Verzugs und durch eine Neubewertung des Kredits auf Basis des ISTAT-Index zur Veränderung der Konsumpreise entstanden ist, zusteht. In diesem Fall stehen dem verspätet bezahlten Gläubiger einzig die gesetzlichen, am Tage des Richterspruchs zur definitiven Liquidation des Schadens gültigen Zinsen bis zum Tage der endgültigen Bezahlung zu, die auf den Kreditbetrag aufgerechnet werden.“ Auch der Verbraucher kann, um den größtmöglichen Schaden durch Inflation geltend zu machen, sich weder auf mutmaßliche Beweise noch auf offenkundige Tatsachen berufen, sondern muß den konkreten Schaden nachweisen. So hat der oberste Gerichtshof entschieden.74 Der oberste Gerichtshof (Suprema Corte) unterscheidet heute verschiedene Typen von Gläubigern: den Unternehmer, den Gewohnheitssparer, den gemäßigten Verbraucher und den Gelegenheitsgläubiger. Hierbei wird klar, daß der (gemäßigte) Verbraucher kein uniformer Parameter ist, der auf alle angewandt werden kann, sondern eigene Merkmale aufweist: „wenn eine Partei nicht behauptet und beweist, ein Unternehmer (der Geld in den Produktionskreislauf gibt, um den üblichen Profitsatz daraus zu ziehen) zu sein, noch ein Gewohnheitssparer (der sein Geld in bestimmten Investitionen anlegt), noch ein gemäßigter Verbraucher (der das ganze Geld, über das er verfügt ausgibt, und mithin unter einer Preiserhöhung leidet, wenn er geschuldetes Geld zu spät bekommt), dann kann man diese Partei als Gelegenheitsgläubiger bezeichnen, der „una tantum“ eine Summe erhält, für die die unmittelbare Verwendung zum Konsum ausgeschlossen ist, wobei ein Richter im Falle einer Zahlungsverzögerung nicht automatisch eine Angleichung des Wertes an die Inflationsrate vornehmen kann, sondern sich auf einfache Annahmen und bekannte Tatsachen beziehen kann, um den Nachteil dieser Partei gegenüber dem, der durch die Verzugszinsen wieder gut gemacht wurde, bewerten zu können“.75 5.6.6 Der Verbraucher als Träger eines geschützten Interesses und als Parameter Die Kategorie unter (v) hat einen Appendix: man kann eine Unterkategorie erkennen, die von Verordnungen gebildet wird, welche in Anwendung des Zivilgesetzbuches (Artikel 2598 über den unlauteren Wettbewerb) oder in Anwendung von 72
Kassationsgerichtshof 5138/89. Spruch 5294/89. 74 Mit der Entscheidung 9645/94. 75 Cass. 8470/95. 73
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Spezialvorschriften (Legislativdekret vom 25.1.1992, Nr. 74) die Werbebotschaften zensieren. Zu diesen Verfügungen kommen jene, die von privaten Autoritäten stammen (wie das Ehrengericht zur Selbstregulierung bei der Werbung). Es gibt hingegen einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Modell des Verbrauchers, welches der Anwendung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs oder der deontologischen Kodizes zugrundeliegt, und dem Verbrauchermodell, von dem bei der irreführenden Werbung ausgegangen wird: das erste ist ein einfacher Parameter, das zweite bezieht sich auf den Träger eines geschützten Interesses. Diese Unterscheidung wird wirkungsvoll von einer Verordnung der zuständigen Stellen für Konkurrenz und Markt präzisiert, wo es heißt, daß bei der Feststellung von Irreführung bei Werbebotschaften nicht der eventuelle Mißbrauch oder die Verletzung von Wettbewerbsvorschriften relevant ist, da die Werbebotschaft von einem objektiven Standpunkt aus, auf der Basis der Wahrnehmung und Interpretation des Verbrauchers, der solche Verhaltensweisen nicht kennt, bewertet wird.76 Die Figur des Verbrauchers ist in den Verordnungen der Garantiebehörde verschiedenartig beschrieben, aber diese Problematik ist ein eigenes Kapitel der Analyse des Verbraucherschutzes, der wir in der Folge unsere Aufmerksamkeit widmen. 5.7 Anmerkungen zum vergleichenden Recht Die klassische – und restriktive – Definition des Verbrauchers, die vom italienischen Gesetzgeber verwendet wird, und die in einigen Entscheidungen neuerer Zeit kritisch hinterfragt wird, scheint in der Tat von den Rechtsordnungen einiger Mitgliedsstaaten nicht geteilt zu werden. Auf Projektebene hat die „Studienkommission zur Reform des Konsumentenrechts“ in Belgien den Text eines Kodex ausgearbeitet, in dem der Definition des Verbrauchers als natürliche Person jene des Verbrauchers als moralische Person zur Seite gestellt wird, die eine Sache oder eine Dienstleistung außerhalb seiner beruflichen Kompetenz kauft; und der Kommentar erläutert, daß zu den natürlichen Personen auch alle die zu zählen sind, die sich in einer objektiv geringerwertigen Situation als der Vertragspartner befinden; dies könnten z.B. Freiberufler sein. Der französische Code de consommation, in dem alle Bestimmungen zum Verbraucherrecht gesammelt sind, enthält keine Definition des Verbrauchers, aber die Rechtslehre, die die Indizien aus der Rechtsprechung sammelt, favorisiert eine umfassende Bedeutung. Man erinnert an die Entscheidungen, in denen eine Immobiliengesellschaft, die ein Alarmsystem für ihren Firmensitz angeschafft hatte, als „Verbraucher“ betrachtet wurde. Auch die nicht gewinnorientierten Vereinigungen werden als der natürlichen Person eines Verbrauchers vergleichbar betrachtet. Einige Richtersprüche zur Materie der Mißbrauchsklauseln in Bankverträgen haben trotzdem ausgeschlossen, daß die Bedeutung über die der natürlichen 76
Gesetz vom 20.7.1995, Nr. 3166.
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Person hinaus ausgedehnt wird, aber solche Entscheidungen liegen zeitlich vor der Anwendung der EU Richtlinie Nr. 13 von 1993 in Frankreich. Seit ihrer Umsetzung mit dem Gesetz Nr. 95-96 vom 1.2.1995 hat man keine Entscheidungen mehr registriert, die eine Richtungsänderung anzeigen würden. Der neue § 13 BGB bevorzugt die restriktive Auslegung, aber man muß die Richtungsweisung der Rechtslehre und Rechtsprechung abwarten, um verstehen zu können, ob eine semantische Ausweitung des Begriffs auf dem Wege der Interpretation mit den schriftlichen Vorgaben korrespondiert oder nicht. In der englischen Literatur wird der Verbraucher durchgehend als natürliche Person (natural person) betrachtet. 5.8 Die Einordnung des Verbrauchers in Geschäftsbeziehungen Ein Freiberufler kann von seinem Vertragspartner verlangen, seinen „Status“, die Ziele, wegen derer er den Vertrag schließen möchte etc. auf der Basis von Selbstnachweisen oder von den Vertragspartnern rechtmäßig zugänglichen Informationen offenzulegen. Unter diesen Gegebenheiten, wie sie mittlerweile im Bank- und Versicherungswesen üblich sind, besteht die Eignung eines Verbrauchers nicht so sehr in einer objektiven Tatsache, die mit der Art des vereinbarten Vorgangs in Zusammenhang steht, mit der Eignung des Vertrages oder den geltenden Umständen, sondern in einer subjektiven Tatsache, welche von der Zustimmung des Beteiligten abhängt. Der Vertragspartner des Freiberuflers erklärt, daß er Verbraucher ist, und aus diesem Grund ein Anrecht darauf hat, als solcher, wie es das Gesetz vorsieht, behandelt zu werden, sei es in Bezug auf die Kontrolle der Klauseln, sei es in Bezug auf Information, auf Rücktritt vom Vertrag oder auf Rechtsmittel. Wenn ein Vertragspartner erklärt, eine Ware oder eine Dienstleistung zum „Konsum“ zu erwerben, und sie dann ausschließlich beruflich nutzt, so eröffnen sich einige interessante Fragestellungen. Es ist möglich, daß der Unternehmer Sanktionen vorsieht, die er (oder dritte) in Vertragsklauseln festgeschrieben hat und dem sogenannten Verbraucher zur Unterschrift vorlegt. Diese Vertragsklauseln – im Moment der Unterschrift – müßten als schikanös betrachtet werden, wenn sie nicht durch dem Verbraucher zugesicherte Vorteile ausgeglichen werden – es sei denn, daß sie dadurch Wirkung erlangen, daß sie unterschrieben sind und auf die Nicht-Verbraucher Partei Anwendung finden. Wenn die Klausel nicht korrekt ist, sind die Alternativen entweder Annullierung des Vertrages wegen Irrtums oder Täuschung, oder Vertragsauflösung wegen Nichterfüllung der Informationspflicht, unter Wiedergutmachung des Schadens. Es wird geprüft, ob eine vertragliche oder eine vorvertragliche Haftung vorliegt. Wenn ja, bemißt sich die Wiedergutmachung am negativen Interesse. Alles offene Probleme, zu denen die Rechtslehre aufgefordert ist, ihre Meinung darzulegen, um die Entscheidungen, die die Richter treffen müssen, zu erleichtern.
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6. Neue Perspektiven des Verbraucherschutzes
6. Neue Perspektiven des Verbraucherschutzes
6.1 Ist das Verbraucherrecht am Scheideweg angelangt? Einige der wichtigsten Gelehrten des Verbraucherrechts haben grundlegende Fragen gestellt, die das Gemeinschaftsrecht und seine Anwendung im nationalen Recht der Mitgliedstaaten betreffen.77 Die so initiierte Debatte findet auf einer generellen Ebene statt, denn die Situation innerhalb der einzelnen Rechtsordnungen ist unterschiedlich. Diese Verschiedenartigkeit erklärt sich aus den vielfältigen Modellen, deren jeweilige Adaption zeitlich vor der Gründung der Gemeinschaft liegt. Es gibt Modelle, die einen Korpus genereller Regeln adaptiert haben, welche allen Verbrauchern Rechte zuerkennen, und andere, die nicht nur den Verbraucher schützen, sondern darüber hinaus die schwächere Seite; Modelle, die besondere Normen in einzelnen Sektoren beinhalten; Modelle, die sogar der Gemeinschaft zum Vorbild gedient haben, die sie inspiriert haben. Aber es gibt auch Modelle, wie das italienische, die den Verbraucher überhaupt nicht beachtet haben, wo er nur in einer ausufernden Literatur präsent war, die trotzdem noch keinen Einfluß auf die nationale Gesetzgebung hatte. Ein jedes dieser Modelle würde eine genaue Analyse verdienen, die nicht nur der legislativen Komponente Rechnung trüge, sondern auch den Ausrichtungen des case law, dem Funktionieren der Verwaltungsorgane, den Initiativen einzelner Organisationen, den Systemen der Selbstkontrolle durch Verhaltenskodizes. Auch unter Berücksichtigung dieser Vielfalt78 und der komplexen Normgebung der Gemeinschaft, die den acquis zum Thema Verbraucherschutz konstituieren, kann man doch einige zukunftsgerichtete Überlegungen entwickeln, ausgehend von den Grundfragen, die wir kritisch betrachten sollten. In einer neueren Studie haben Geraint Howells und Thomas Wilhelmsson79 vier Hauptlinien aufgezeigt, entlang derer sich das Verbraucherrecht im Bereich der Gemeinschaft gemäß dem „Aktionsplan“ der Kommission entwickelt: i) die Verbraucherinformation, mit dem Ziel, die informatorischen Assymetrien zwischen Unternehmer und Kunde zu reduzieren; 77
Vgl. auch nunmehr den Vorschlag KOM(2008) 614 endg. vom 8. Oktober 2008 im Rahmen der Bemühungen zur Neuordnung des Verbraucher – acquis (auch als acquis consommation bezeichnet), siehe dazu Schulte-Nölke H und Twigg-Flesner C, Hrsg. (2008) EC consumer law compendium: the consumer acquis and its transposition in the Member States, und aus der deutschsprachigen Literatur siehe z.B. Lurger B (2008) Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht; Denkinger F (2007) Der Verbraucherbegriff: Eine Analyse persönlicher Geltungsbereiche von verbraucherrechtlichen Schutzvorschriften in Europa. 78 Alpa G (2003) Il diritto dei consumatori. 79 Howells G und Wilhelmsson T (2003) EC Consumer Law: Has it Come of Age?, European Law Review 28 (4), 370-88.
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ii) den Rechtsbereich mit Hilfe von Generalklauseln und allgemeinen Rechtssätzen zu organisieren; iii) die Vereinfachung der Systeme zur Selbstkontrolle; iv) die Annahme von Richtlinien, die die Harmonisierung der Materie auf höherem Niveau vorantreiben. Diese Art des Vorgehens der Kommission könnte nach Ansicht der Autoren zu unerwünschten und negativen Effekten führen. Am Ende stünde in der Tat das Ende der Entwicklung der nationalen Gesetze zugunsten einer zufriedenstellenderen Entwicklung für die Verbraucher in den einzelnen Mitgliedsstaaten, und das dialektische und nützliche Verhältnis zwischen nationalen Rechtsordnungen und der gemeinschaftlichen Ordnung wäre zunichte gemacht. Gleichzeitig würde die auf ein Höchstniveau gebrachte Harmonisierung dazu führen, daß der Entwicklung nationaler Rechtsordnungen Grenzen gesetzt werden, welche zur Folge hätten, daß der Verbraucherschutz eingedämmt, anstatt ausgebaut würde. Eine „maximalistische“ Politik müßte – nach Ansicht dieser Autoren – auf nationaler Ebene geteilt werden, und sie müßte trotzdem eine vertiefte kritische Bewertung erfahren. Mit anderen Worten, die Leitlinien dieser Politik der Gemeinschaft vertrauen den marktimmanenten Mechanismen, während ein richtiger Schutz der Rechte und Interessen der Verbraucher eine einschneidendere Intervention der Union erfordern würde. Andererseits würde die Schaffung von Regeln, die die gesamte Kategorie des Verbrauchers betreffen, ohne dabei zwischen „schwächeren“ und „mittleren“ Verbrauchern zu unterscheiden, eine Verflachung der zu erreichenden Ziele zur Folge haben. In der Schlußfolgerung würde das gemeinschaftliche Verbraucherrecht den Zustrom von Innovation seitens der nationalen Systeme verlieren und deren Entwicklung behindern. Auch Hans Micklitz80 hat seiner Besorgnis über die Entwicklung des Gemeinschaftsrechts auf diesem Gebiet Ausdruck gegeben. Er geht von der Feststellung aus, daß die fünf Grundrechte der Verbraucher – Gesundheit und Sicherheit, Schutz der wirtschaftlichen Interessen, Schadenswiedergutmachung, Erziehung und Information, Repräsentation, so, wie sie in der Resolution von 1975 niedergelegt sind – eine Realität geworden sind. Einige von ihnen haben „Verfassungsrang“ erlangt, wie die Gesundheit. Sogar das Europäische Vertragsrecht hat mittlerweile ein beachtliches Niveau erreicht. Aber was waren die Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts der Verbraucher auf die nationalen Rechte? Micklitz unterstreicht vor allem, daß das Verbraucherrecht der deutlichste Ausdruck des Primats des Gemeinschaftsrechts über das nationale Recht sei. Aber jedes System hat gemäß den eigenen Besonderheiten reagiert. So stellt sich also das Problem, ob das Gemeinschaftsrecht die nationalen Traditionen überlagern kann. Das Verbraucherrecht – so stellt Micklitz fest – ist ein Recht in Bewegung: in der ersten Phase, die bis zur Einführung der Einheitlichen Akte gedauert hat, war es auf die Idee des Sozialstaates gegründet; in der zweiten Phase, die sich bis Anfang 80
Micklitz H (2004) De la nécessité d’ une nouvelle conception pour le développement du droit de la consommation dans la Communauté européenne, in: Mélanges en l’honneur de Jean Calais-Auloy, Liber amicorum Jean-Calais Auloy, Etudes de droit de la consommation,725 ff.
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der neunziger Jahre erstreckt hat, war das Verbraucherrecht im Recht der nationalen Märkte aufgegangen, welches das Prinzip des „verantwortlichen Verbrauchers“ hervorgebracht hat. Die dritte Phase, jene, die derzeit andauert, erblickt die Transformation des Verbraucherrechts in das „Bürgerrecht“. Der „VerbraucherBürger“ reflektiert die Idee einer Person, die „europäisch“ ist, in politischer, sozialer und kultureller Hinsicht. Hinsichtlich dieser progressiven Anstöße hat sich das Verbraucherrecht von einem offenen in ein geschlossenes System gewandelt. Die neuesten, detalliertesten und genauesten Richtlinien haben das Ziel einer maximalen Harmonisierung, und der Gerichtshof selbst hat in seinen Entscheidungen die Möglichkeiten der nationalen Gesetzgeber, das von den Richtlinien vorgegebene Niveau des Verbraucherschutzes zu überschreiten, begrenzt: Homogenität ist wichtiger als Kreativität. Mehr noch: das Reaktionsvermögen der Gemeinschaft gegenüber Interessensgruppen, die die Entwicklung des Verbraucherrechts bremsen, wird in verschiedenen Richtlinien evident. Die Koordination dieses Bereichs mit jenem des Wettbewerbsrechts (man denke an wettbewerbsfeindliche Abreden und unlautere Praktiken) wurde technisch komplex. Der Verbraucherschutz wird, im Hinblick auf die Wettbewerbsförderung, als ein Ziel betrachtet, das es zu erreichen gilt, aber er wird auch zur Projektionsfläche. Die Lücken im Verbraucherrecht sind noch zahlreich, wie z.B. das Fehlen einer Richtlinie zur Haftung der Dienstleister.81 Zugleich gibt es auf Gemeinschaftsebene keine Koordination der Orientierung der nationalen Richter. Auch Micklitz stellt fest, daß die Einbeziehung des Verbraucherrechts in den Rechtsbereich der nationalen Märkte eine Unterdrückung der Entwicklung dieses Bereichs der Rechtsordnung zur Folge hat, denn die nationalen Initiativen, die aus den Grenzen der Richtlinien ausbrechen, können nicht als mit der Homogenität der vom nationalen Markt geforderten Disziplin vereinbar betrachtet werden. Diese Situation zeigt eine gundlegende politische Frage: ob nämlich die Gesetzgebungspolitik im Bereich des Konsums einen Ausweis gemeinsamer Politik darstellt (fast so, als handele es sich um einen Bundesstaat), die von den nationalen Gesetzgebern geteilt wird, oder ob sie ausschließlich der Kompetenz der Europäischen Kommission unterworfen ist. Die zweite Alternative sollte vorherrschen. Somit ist es die Aufgabe der nationalen Richter, – die die Richtlinien allerdings auf unterschiedliche Art und Weise anwenden – die soziale Dimension des Verbraucherrechts wiederherzustellen. Aber vor allem – so stellt Micklitz fest – ist das Verbraucherrecht immer noch ein Wirtschaftsrecht, während die Verbraucherpolitik einen sozialen Tenor hat – oder haben sollte. Der Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf die nationalen Rechtsordnungen hat bewirkt, daß die Gemeinschaft Regeln erlassen hat, die das Vertragsrecht in „einzelnen Bereichen“ betreffen: man denke an die vorvertragliche Information, an das Recht auf Rücktritt, an die Transparenz des Vertrages, an die Mißbrauchsklauseln. Aber – so fragt sich Micklitz – ist es zum Schutz der Verbraucher ausreichend, die Aufmerksamkeit auf das Vertragsrecht zu konzentrieren? Das Vertragsrecht ist nach Auffassung der Kommission und des Gerichtshofs ein Segment des 81
Siehe hierzu näher unten Teil 3 Kapitel 2, 1.3.
Teil 2 Kapitel 2 Person und Markt
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Wettbewerbsrechts geworden und tendiert daher dazu, die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen eher zu protegieren als diejenigen ihres Gegenparts. Dann gibt es die Unterschiede in den nationalen Systemen in der Umsetzungsphase der Richtlinien. Nach Micklitz haben die Systeme ohne Kodifizierung den Vorteil, daß sie genauere Regeln einführen, mit einer pragmatischen und punktgenauen Technik. In den romanischen Systemen findet man den Versuch, das Gemeinschaftsrecht mit dem internen Recht zu homogenisieren, aber es gibt viele Lücken. Die Systeme nach deutschem Modell haben größere Schwierigkeiten, diese Kohärenz zu erreichen. Die Evolution des Verbraucherrechts hin zu einem Bürgerrecht trifft auf Schwierigkeiten. Andererseits begünstigt die restriktive Auslegung des Verbraucherbegriffs seitens der Gemeinschaft diese Schwierigkeiten. Alles in allem ist das Verbraucherrecht weiterhin ein „separates“ Recht im Kontext der nationalen Rechte und ein Recht mit einer wirtschaftlichen Dimension, was den europäischen Kontext betrifft. Die Erwägungen der Wissenschaftler, die wir oben zitiert haben, sind sehr zutreffend, und wir glauben, daß man genau von diesen Überlegungen ausgehen muß, um die Perspektiven eines Verbraucherrechts auszumachen, das nicht nur auf die wirtschaftlichen Interessen der Konfliktparteien abhebt, sondern vor allem auf dem Schutz der Persönlichkeitsrechte gründet, die den Rechten wirtschaftlicher Natur weder nachgeordnet noch gleichgestellt werden können. Trotzdem ist es sinnvoll, zu unterstreichen, auf welche Art und Weise die Perspektiven, die sich auf Europäischer Ebene in den Absichten der Kommission eröffnen, dem, was wir uns wünschen, entgegengesetzt erscheinen. Dies ergibt sich aus den Programmen, die die verschiedenen Generaldirektionen (GD) (Wettbewerb, interner Markt und sogar Justiz und innere Angelegenheiten) ausgearbeitet haben, und die nicht mit den Programmen der „GD Sanco“82 übereinstimmen. 6.2 Das Verbraucherrecht in der Europäischen Verfassung Indem es auf die Person konzentriert ist, bekommt das Verbraucherrecht eine verfassungsmäßige Dimension, die ihr in einigen nationalen Systemen schon zugestanden wird, – zum Beispiel in Italien und in Spanien mit dem verfassungsmäßigen Schutz des Rechts auf Gesundheit – und es ist wahrscheinlich, daß sich auch in anderen Ländern, die derzeit darauf achten, die Drittwirkung von Verfassungsprinzipien nicht auf die Beziehungen zwischen Privaten auszudehnen, wie in Frankreich, die Situation ändern kann. Mit Sicherheit hat sie sich schon im Bereich der Gemeinschaft verändert, angesichts der Tatsache, daß es in der Europäischen „Verfassung“ bzw. dem Reformvertrag zahlreiche Bestimmungen gibt, die auf die Person, verstanden als solche und als Verbraucher, Anwendung finden. Die Würde des Menschen ist einer der Grundwerte unter den Zielen der Union im Entwurf des Verfassungsvertrages (Artikel I-2), und es wird ausgeführt, daß 82
Generaldirektion der Europäischen Kommission für Gesundheitsschutz und Verbraucher.
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6. Neue Perspektiven des Verbraucherschutzes
die Entwicklung Europas auf einem „ausgewogenen wirtschaftlichen Wachstum und auf Preisstabilität gründet, auf einer sozialen Marktwirtschaft mit einem starken Wettbewerb, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt zielt“ (Artikel I-3). Das Recht der Person auf körperliche und geistige Unversehrtheit wird anerkannt und garantiert (Artikel II-95), sowie die Achtung des Familienlebens (Artikel II-67) und der persönlichen Daten (Artikel II-68), und hinsichtlich der Verbraucher wird besonders die Garantie eines „erhöhten Schutzes“ hervorgehoben (Artikel II-98). Es wird sofort klar, daß die Verbraucherrechte, die die Grundrechte berühren, welche in den Verfassungen der Mitgliedsstaaten verankert sind, und die sogar in noch ausführlicherer Form in der Europäischen Verfassung gewürdigt werden, eine Sache sind, eine andere hingegen sind die sogenannten „wirtschaftlichen Rechte“, welche auf der gleichen Ebene wie die Rechte der Unternehmer angesiedelt sind. Schon die Resolution zu den Rechten und Interessen der Verbraucher von 197583 behandelte beide Rechtskategorien, aber heute ist die Perspektive eine andere. Man muß in der Tat berücksichtigen, daß auch im Gemeinschaftsrecht (welches durchaus eine eigene Rechtsordnung konstituiert, die den nationalen Ordnungen nicht angleichbar ist) mittlerweile die formalen Kategorien benutzt werden können, die die Rechtsquellen voneinander unterscheiden, und sie gemäß ihren Prioritäten ordnen, wie es in den nationalen Rechtsordnungen der Fall ist. In diesem Sinne sind die Grundrechte den Rechten wirtschaftlicher Natur übergeordnet. Daher ist es nicht denkbar, daß sich die Politik der Europäischen Union im Gegensatz zu den von der Europäischen Verfassung anerkannten Grundrechten bewegt: die Grundrechte werden zu einer Begrenzung gemeinschaftlichen Handelns in diesem Bereich. Deswegen muß der Artikel 153 (früher 129) des EU-Vertrages – der der Gemeinschaft die Aufgabe überträgt, zum Schutz der Gesundheit, der Sicherheit und der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beizutragen und ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen – im Licht der Vorschriften der Europäischen „Verfassung“ bzw. evtl. des Reformvertrages von Lissabon neu bewertet werden. Die Eingliederung der Charta von Nizza, die diese Rechte vorsieht, in den Text des Reformvertrages impliziert die Anerkennung nicht nur ihrer politischen, sondern auch ihrer rechtlichen Relevanz. Dies bedeutet die direkte Anwendbarkeit dieser Vorschriften auf die Beziehungen zwischen Privatpersonen. Die Erhebung der Persönlichkeitsrechte – Person verstanden als Verbraucher – in den Europäischen Verfassungsrang hat also eine doppelte Bedeutung: sie bindet die Gemeinschaftsorgane und die Mitgliedstaaten, aber sie bindet ebenfalls die nationalen Richter. Auf diese Art und Weise kann die Drittwirkung der anerkannten und garantierten Grundsätze und Rechte indirekt – oder als Reflex – in den Beziehungen zwischen Privaten erfolgen. In der Abstufung der Rechte und Interessen bestätigt sich die Unterscheidung zwischen Rechten, die sich auf die Person beziehen, und wirtschaftlichen Interessen, die den Verbraucher betreffen. Trotzdem können die Unternehmer bei Aus83
Das sog. 1. Aktionsprogramm.
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übung ihrer Tätigkeit nicht die Grundrechte verletzen. Das Prinzip wurde in Artikel II-114 der „Verfassung“ behandelt, der es verbot, einer Tätigkeit nachzugehen, oder Handlungen zu tätigen, die dazu geeignet sind, von der Verfassung anerkannte Freiheitsrechte zu beeinträchtigen. Komplexer ist die Beschreibung der Rechtsmittel, die dem Verbraucher zur Verfügung stehen. Der acquis communautaire bietet hier keine Anhaltspunkte, und in jeder nationalen Rechtsordnung sind die Rechtsmittel anders. Man muß daher die Rechtsmittel auf gemeinschaftlicher Ebene von denjenigen auf nationaler Ebene unterscheiden, und dies auf der Basis der Bestimmungen der „Verfassung“ bzw. des Reformvertrages. Hier müssen sich die Organe zum Schutz der Verbraucher, aber auch die Exponenten juristischer Berufe einbringen, denen die Verteidigung der Persönlichkeitsrechte am Herzen liegt.
7. Literaturhinweise Die ersten systematischen und konzeptionellen Versuche [zum Begriff Person] im Privatrecht des common law verdanken wir John Austin “The Province of Jurisprudence Determined” del 1832 (Cambridge, 1995), 126. Zum Einfluß des Römischen Rechts auf das common law siehe Stein, Legal Values, 135-136; Buckland und McNair (Roman law and Common law, Cambridge, 1936, 20); Roman foundations of modern Law, Oxford, 1957, 1053); Lee, v. The Elements of roman law, London, 1956, 46; die erste Auflage ist von 1944. Zum Begriff der Person siehe Le leggi nei loro ordine naturale di Gaio: Domat, avvocato del Re in Clermont, Übersetzung aus dem Französischen, III. Aufl, T I, Napoli, 1796, 188. Zu Embryo, Fötus und mißgebildetem Kind siehe in Bezug auf den Fall Perruche Pierre Sargos in Sem.jur., 10438, 13.12.2000, n.50, 2293; die Schlußanträge des Generalanwalts am Kassationshof Jerry Sainte-Rose (ibid., 2302) und die zahlreichen Stellungnahmen aus der Literatur z.B. Chabas, Note, ibid., 2309, zur italienischen Rechtsprechung siehe die Rekonstruktion des Geschehens bei Patti, Famiglia und responsabilità civile, Milano, 1984, 112, dort auch Bezüge auf das deutsche und US-amerikansiche Recht; Zeno Zencovich, La responsabilità da procreazione, in Giur.it., 1986, IV, 113, mit weiteren rechtsvergleichenden Hinweisen; und zu andern Fällen vgl. v. Bar, The Common European Law of Torts, I, Oxford, 1998, 581; Un bambino non voluto è un danno risarcibile?, hrsg. v. Ant. D’Angelo, Milano, 1999, mit Ausätzen und Beiträgen von Lupoi, Canale, Busnelli, Lipari, Ruffolo, Cendon, Passio, Brunetta d’Usseaux, Ant. D’Angelo, Bregante, Ferrando, De Matteis, Spallarossa, Monasteri; und allgemein Rescigno, Il danno da procreazione, in Riv.dir.civ. 1956, I , 634.
Kapitel 3 Die Entwicklung des Vertragsbegriffs
Inhalt: 1. Vorbemerkung. Die interne und externe Entwicklung des Vertragsrechts – 2. Harmonisierung und Vereinheitlichung des Vertragsrechts – 3. Schritte zu Harmonisierung und Vereinheitlichung der Quellen – 4. Die “gemeinsame Basis” des Vertragsrechts und die schwierige Wahl der Juristen – 5. Der acquis communautaire des Vertragsrechts – 6. Definition des Vertragsbegriffs und seine Bestandteile – 7. Die Klauseln der hardship – 8. Vertragsstrafe – 9. Der Grundsatz der Vertragsautonomie – 10. Vertragsfreiheit als Verfassungswert? – 11. Literaturhinweise
1. Vorbemerkung: Die interne und externe Entwicklung des Vertragsrechts Im Vertragsrecht versteht man unter der Entwicklung der dogmatischen Ausarbeitung, der Normenlehre und Anwendungspraxis nicht nur die Schaffung neuer Vertragstypen im Zusammenhang mit dem freien Warenaustausch, dem Angebot von Dienstleistungen und Finanzprodukten, und auch nicht nur die Regulierung neuer Techniken von Vertragsverhandlung und –abschluß, speziell unter Nutzung von Massenmedien, Haustürgeschäften und Informationstechnologie. Die weitgehende Einheitlichkeit der Entwicklungstendenzen in den wichtigsten europäischen Rechtsordnungen bei Vereinheitlichungsprojekten und im internationalen Handelsrecht ist erstaunlich. Eine Einheitlichkeit, die sich aus der Überarbeitung ihrer logischen und praktischen Kategorien ergibt, und aus der Auflösung des traditionellen Vertragsbegriffs. Das Phänomen ist von Grant Gilmore 19771 in seiner Zeit beleuchtet worden, im Hinblick auf das klassische Konzept vom Vertrag in den Vereinigten Staaten. Das Problem, das Gilmore bei der Überwindung des klassischen Konzeptes sah, nämlich die Erosion der “consideration” als Kontrollmechanismus für wirtschaftliches Handeln, der fortschreitende Verlust der Bedeutung des reinen Parteiwillens, fand großen Widerhall und führte zu einer lebhaften Debatte in der
1
Gilmore G (1977) Death of Contract.
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2. Harmonisierung und Vereinheitlichung des Vertragsrechts
nordamerikanischen Rechtsliteratur, von wo sie sich auch auf das insulare2 und kontinentale Europa erstreckte.3 Diese Debatte betrifft die Entwicklung des internen Vertragskonzeptes, wie man es nennen könnte, mit der sich natürlich eine externe Entwicklung verbindet, welche die Gebiete betreffen, die zum Vertragsbegriff hinzukamen, durch neue Rechtsfiguren, die Etablierung neuer Praktiken und die Aktivierung neuer Techniken des Vertragsschlusses. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit können wir hier unter anderem einige relevante Aspekte dieser Entwicklung aufzeigen: - die Bedeutung des Status der Parteien;4 - die Bedeutung der internen Kontrolle der wirtschaftlichen Beziehung, durch Instrumente wie Kausa, Ziel und Form; - die Anwendung von Kriterien der “Vertragsgerechtigkeit” mit Bezug auf Werte der Person und geschäftliche Gleichheit; - die Anwendung von Generalklauseln zur Kontrolle des Parteiverhaltens in der vorvertraglichen Phase, während des Vertragsschlusses und bei dessen Ausführung; - die Anpassung des Vertrags an veränderte Umstände; - die soziale Kodifikation internationaler Musterverträge; - die außergerichtliche Streitbeilegung. Von außen sorgen die Harmonisierungs- und Vereinheitlichungsprozesse für eine Veränderung des Vertragsrechts.
2. Harmonisierung und Vereinheitlichung des Vertragsrechts 2.1 Die gemeinsamen Wurzeln Eine hergebrachte Meinung leitet die gemeinsamen Wurzeln des Vertragsrechts von verschiedenen normativen Modellen ab, die auf das Römische (justinianische) 2 3
4
Die britischen Inseln. Fried C (1981) Contract as Promise. A Theory of Contractual Obligation; Atiyah P S (1981) Promises, Morals, and the Law; Slawson W D (1996) Binding Promises. The Late 20th Century Reformation of Contract Law; Wightman J (1996) Contract. A Critical Commentary; Alpa G und Delfino R (2005) Il contratto nel common law inglese; auch sollte man in diesem Zusammenhang die Aufsätze von Moccia L (1994) "Promessa e contratto, spunti storico-comparativi" Rivista di diritto civile 40 (6), 819-52, und Marini G (1995) Promessa e affidamento nel diritto dei contratti beachten; wegen der Originalität der Ergebnisse und der Genuaigkeit der Nachforschung siehe D'Angelo A (1992) Promessa e ragioni del vincolo und ders. (1996) Le promesse unilaterali, in: Il codice civile, Schlesinger P, Hrsg; vgl. auch eingehend zum ganzen Themenbereich Ranieri F (2009) Europäisches Obligationenrecht. Vgl. zum Begriff Status Teil 3 Kapitel 2 Anm 102.
Teil 2 Kapitel 3 Die Entwicklung des Vertragsbegriffs
209
Recht zurückgehen.5 Diese wird von vielen geteilt, entspricht aber nur teilweise der historischen Wahrheit. Es ist zweifelhaft, ob der größte Teil der Terminologie dieser Konzepte ein Gegenstück in den Römischen Quellen finden; dies ist der Fall bei der Vokabel “Vertrag” (contrat, contract, contrato), und auch bei dem Ausdruck “Obligation”, sowie “Schuld” (debito) “Partei” (parte), von andern ganz zu schweigen. Aber, wie Hondius auch zugesteht, es handelt sich in den meisten Fällen um einen Gleichlaut, wobei die Vokabel zwar dieselbe Wurzel hat, nicht aber demselben Konzept entspricht; wenn man den Rechtsbereich genauer anschaut, sieht man einige Eigentümlichkeiten; z.B. ist das Vertragsrecht des common law dem Römischen Recht näher, insoweit es sich nicht auf die rationalen, von Domat und Pothier festgelegten, und vom Code Napoléon umgesetzten Regeln beruft. Die allgemeine Vertragsrechtstheorie hat sich, wie schon bemerkt, vor allem durch die Pandektenwissenschaft entwickelt, die sehr auf die Römischen Quellen einging, und die allgemeinen Kategorien “Rechtsverhältnis”, “Willenserklärung” und “Rechtsgeschäft” schuf, die dann in die deutsche, italienische, spanische und österreichische Rechtskultur übertragen wurden. Der französische Rechtskreis hat die Kategorie des Rechtsaktes hervorgebracht. Solche logisch-geometrischen (oder ideologischen) Konstruktionen haben in der Welt des common law keine Verbreitung gefunden, wo die allgemeinste Rechtsfigur, die sich herausarbeiten läßt, das “Versprechen” (promise) ist. Aber die Situation wird durch die Annahme allgemeiner Theorien über die in den Kodifikationen enthaltenen Vorschriften kompliziert, manchmal geradezu in einer schizophrenen Art und Weise, mit dem Resultat der Überlagerung des geltenden Rechts durch Begriffe, die auf hermeneutischem Wege gewonnen werden. Es gibt sicherlich unter diesen gegenteilige Beispiele: im italienischen Recht argumentiert man mit dem Begriff des “Rechtsgeschäfts”, aber dieser Begriff ist auch im Zivilgesetzbuch enthalten; im österreichischen Recht ist die allgemeine Doktrin vom Rechtsgeschäft dem Zivilgesetzbuch übergeordnet, als Ergebnis der expansiven und überzeugenden Kraft der Pandektistik. In der Terminologie zeigen sich weitere Unterschiede bei der Übersetzung des Begriffs Rechtsgeschäft (was ungeniert sowohl im Spanischen als auch in Italienischen als “negozio giuridico”6 widergegeben wird), aber sehr holprig im Englischen (juristic act, legal act, transaction) und völlig verzerrt im Französischen (acte juridique), wo nämlich der acte eine Unterform des Geschäfts darstellt, welches selbst eine Form des Rechtsaktes ist. Transaction dagegen setzt eine Willensbegegnung voraus, eine Mehrzahl von Parteien, was auf eine Kategorie von Vorgängen hindeutet, die auf das “Rechtsgeschäft” zurückgeführt werden können; während acte juridique nur auf eine Handlung anspielt und nicht wie in einigen kontinentalen Systemen auch einen rechtsgeschäftlichen Wert hat, wie es bei der traditio7 der Fall ist.
5
6 7
Hondius E (1997) "Towards a European Contract Law. Einführungsbericht zum Kongress in Scheveningen", 2. [Also als Übersetzung des ursprünglich deutschen Ausdrucks]. Rechtsübergang.
210
2. Harmonisierung und Vereinheitlichung des Vertragsrechts
2.2 Die gemeinsamen Werte Eine gern geteilte Meinung ist, daß das Vertragsrecht sich auf gemeinsame Werte gründe.8 Auch auf diese Meinung läßt sich das oben bezüglich der Römischen Wurzeln Gesagte übertragen. Es ist evident – wenn man den Vertrag wesensmäßig als “wirtschaftlichen Vorgang” betrachtet – daß es vergleichbare gemeinsame Werte gibt, die den “Konsens” betonen, und damit den Willen der Vertragschließenden - Werte, die sich auf die “Abschlußfreiheit” beziehen, die den “Erhalt” des wirtschaftlichen Vorgangs zum Ziel haben, sei es im Zeichen der Ökonomie und der Sicherheit der Vertragsbeziehung, oder im Interesse des Erhalts von Austausch und Handel; genauso offensichtlich ist es aber auch, daß einige Rechtsordnungen Werte schützen oder betonen, – wie z.B. der Wert der “Person” – die nicht in allen Rechtsordnungen im Vertragsrecht geschützt werden.9 Bezeichnend ist hier das deutsche Recht, in dem die Verfassungsgerichtsbarkeit Persönlichkeitsrechte als in das Vertragsrecht hineinreichend betrachtet, BVerfG Entsch. vom 19.10.1993,10 oder auch das italienische Recht, wo ebenfalls viel über das Persönlichkeitsrecht im Vertragsrecht diskutiert wird.11 Andererseits ist aber die Betrachtung der möglichen Ziele und Inhalte des Vertrages aufschlußreich für die in den einzelnen Rechtsordnungen geschützten Werte und deren Grenzen: die Rolle des Rechts in Familienbeziehungen, bei der Gültigkeit von Verträgen zu Leihmutterschaft oder Organtransplantationen ist ein Hinweis auf die verschiedenen Wertekonzepte, die mit dem Vertragsrecht interagieren. 2.3 Die Techniken funktionaler Harmonisierung Es ist daher offensichtlich, daß sich die Harmonisierungs- und Vereinheitlichungsvorgänge im Vertragsrecht nicht aufgrund gesicherter gemeinsamer Wurzeln vollziehen, und auch nicht im Zeichen einer fiktiven Definition einer gemeinsamen Werteskala, sondern vielmehr aufgrund von praktischen und wirtschaftlichen Vorschlägen von Juristen in einem gemeinsamen Versuch, den Handel in Gütern, Dienstleistungen und Kapital zu vereinfachen. Anders gesagt, es ist das wirtschaftliche Substrat, welches das Bindegewebe dieses Vorganges bildet; das Vertragsrecht ist wie das “juristische Gewand” wirtschaftlicher Aktivitäten, 8
Stein P und Shand J (1974) Legal Values in Western Society; Alpa G (1993) I principi generali. 9 Dazu näher unten10. und vgl. Alpa G (2008) The celebration of the 60th anniversary of the Declaration of Human Rights, the meaning of « person » and the role of lawyers, Beitrag für Avocats du Monde, Paris, hrsg.v. CNF. 10 Zu BVerfGE 89, 214. 11 Barenghi A (1995) "Urteilsanmerkung zu BVerfGE 89, 214 vom 19.10.1993 (Bürgschaftsverträge)" Nuova giurisprudenza civile commentata (1), 202. Siehe auch BVerfGE 81, 242; Mengoni L (1996) "Autonomia privata e Costituzione" Banca, borsa e titoli di credito (1), 1; Irti N (1995) "Persona e mercato" Rivista di diritto civile (1), 289; Lipari N (1997) ‚Spirito di liberalità’ e ‚spirito di solidarietà’, Rivista trimestrale di diritto e procedura civile, 1; Rescigno P (1997) Manuale del diritto privato italiano.
Teil 2 Kapitel 3 Die Entwicklung des Vertragsbegriffs
211
welches die entsprechenden Texte zu einer gemeinsamen Sprache vereinigt, zu einer wirklichen koiné 12 der Terminologie und einem normativen Konzept. Wie bei vielen dieser linguae francae oder Esperantos haben die so erreichten Resultate etwas Funktionales und weniger einen ästhetischen oder philologischen Wert: die Begriffe sind vereinfacht, die Konzepte verwässert, Einzelheiten oder Originalität verschwinden fast ganz. Es ist ein kollektiver Verzicht auf eigene Gebräuche, Traditionen, Konventionen und Kultur, um gemeinsamer Ziele willen, die man den eigenen überordnet. Nun geht es aber nicht um den Vorrang eines Konzeptes verglichen mit einem anderen, sondern um die Zusammenfassung der terminologischen Instrumente, Konzepte und normativen Aussagen. Man muß also den partikularistischen Ehrgeiz loswerden, so sehr dies auch bisher immer noch Wunschdenken sein mag, um der Zukunftsplanung willen – also auch dann, wenn dies Opfer, Anpassungsschwierigkeiten und Simplifikationen mit sich bringt und Fantasie erfordert. Letztendlich bedeutet der Wunsch nach dem Erhalt überkommener Traditionen (mit ihren begrifflichen, normativen und konzeptionellen Bestandteilen) einen Zusammenprall mit der natürlichen Konvergenz der Systeme13 und scheint daher unzeitgemäß zu sein. Man kann kein gemeinsames Europa ohne ein gemeinsames rechtliches Gebäude bauen; die wirtschaftlichen Beziehungen lassen sich nicht ohne die Beseitigung sprachlicher Hindernisse fördern, und solcher, die durch konzeptionell verschiedene oder gar gegensätzliche Kategorien und unterschiedliche oder sich widersprechende Rechtsregeln gebildet werden. Um dies zu erreichen, muß Dialogbereitschaft ermöglicht werden, und der Wille durch Übereinkunft zu einem allen gemeinsamen rechtlichen “Terrain” zu finden. In dieser Hinsicht müssen wir die Kritk an der Initiative zu einem Europäischen Vertragsgesetzbuch und an der Schaffung allgemeiner Prinzipien für den internationalen Handel überwinden. Gleichzeitig erfordert die Realität dieser Vorhaben auch einen wohlwollenden Blick ohne Vorurteile: eine Realität, die – durch das Recht – den alten Schemata und Regeln neue entgegensetzt, die besser an die Erfordernisse Europas und der Welt angepaßt sind, und die wirtschaftlichen Beziehungen beleben. Dies ist jedenfalls keine imaginäre, sondern eine gerade heranreifende Wirklichkeit. Sich gegen diesen Vorgang zu wehren, wäre ein Kampf gegen Windmühlen.14 Deshalb muß gehandelt und kooperiert werden, mit dem Ziel, die vorgegebenen rechtlichen Wirkungen mit den besten Methoden zu erreichen. 15
12
Lingua franca des Altertums. Nach Markesinis B, Hrsg. (1996) The Gradual Convergence: Foreign Ideas, Foreign Influences and English Law on the Eve of the 21st Century. Vgl. auch zu diesem Thema McKendrick E (2007) Contract Law, Introduction, 10. 14 Legrand P (1996) "Sens et non-sens d'un Code civil européen" Revue internationale de droit comparé, 779. 15 Wie einige französiche Forschungsergebnisse, von C Spinosi und B Oppetit, zeigten, darf man hier mitnichten oberflächliches und simplistisches Arbeiten erwarten: es lohnt sich die Arbeiten eines Seminars an der Unversität von Florenz 1996-7 zu betrachten. hrsg. von A de Vita. 13
212
2. Harmonisierung und Vereinheitlichung des Vertragsrechts
2.4 Die Methode Die Harmonisierung und Vereinheitlichung des Vertragsrechts ist nicht neu, sondern hat bereits eine faszinierende Geschichte. Gleichzeitig ist dies aber auch ein komplexes Gebiet, auf dem sich verschiedene Ansätze vermischen und überlagern. Rechtsvergleichende Untersuchungen haben das Thema des Austauschs der nationalen Modelle vertieft, im Hinblick auf die Kodifikationen, die allgemeinen Grundsätze, die Spezialgesetze und die Vertragsmodelle;16 die Arbeiten der Rechtsökonomen führten einheitliche Instrumente zur Auswertung der wirtschaftlichen Auswirkungen von Rechtsvorschriften ein;17 die Schaffung von ökonomischen Analysen des Rechts ist zu einer gemeinsamen Methode für den Dialog unter Jusristen aus verschiedenen Rechtsordnungen geworden, um Rechtsinstrumente und Techniken gegeneinander abzuwägen und Probleme und Lösungen zu vergleichen; die Unterschiedlichkeit der Theorien und der Rechtsschöpfung, sowie der weltanschaulichen Grundannahmen, hat hier den Austausch von Texten, Anleitungen und Aufsätzen sowie deren Diskussion und Verbreitung nicht gehindert. Die Rechtsrealisten sind gewohnt, juristische Phänomene nicht nur in der Form sondern auch in der Substanz zu sehen; darüber hinaus sind in der Norm konkrete und reale Interessen, die erfaßt, untereinander abgewogen und verbunden werden müssen; die Haltungen der Juristen kann man nicht als einen unverrückbaren Faktor ansehen, sondern viel eher als eine kulturelle Tradition, die aufgrund überkommener und einheitlicher Gesetzmäßigkeiten entschlüsselt werden muß; die Interessen der Arbeitnehmer, Gewerbetreibenden, Verbraucher, Anleger und die Dynamik der internationalen und nationalen Märkte müssen durch die Analyse normativer Modelle und durch die Schaffung einheitlicher Vorbilder geführt werden.
16
Statt Vieler Gambaro A und Sacco R (1996) Sistemi giuridici comparati; eine Analyse einzelner Sektoren wie Quellen, Personen, Verträge, Haftung, Zugang zur Justiz vgl. die Arbeiten im Band von Alpa G, Hrsg. (1996) Corso di sistemi giuridici comparati; auch bemerkenswert sind die Arbeiten zum Vertragsrecht in Markesinis B, Dannemann G, et al., Hrsg. (1997) The German Law of Obligations: The Law of Contracts and Restitution A Comparative Introduction; und natürlich Zweigert K und Kötz H (1996) Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts (Band I: Grundlagen; Band II: Institutionen), welches von Tony Weir ins Englische und von Antonio Gambaro und Adolfo di Majo ins Italienische übersetzt wurde. 17 Zum Vertragsrecht ist hier besonders interessant der deutschsprachige Beitrag von Schäfer H-B und Ott C (2005) Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts; vgl. auch Eger T und Schäfer H-B, Hrsg. (2007) Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung. Beiträge zum X. Travemünder Symposium zur ökonomischen Analyse des Rechts (29. März bis 1. April 2006); kürzlich auch Grechenig K und Gelter M (2008) Divergente Evolution des Rechtsdenkens - Von amerikanischer Rechtsökonomie und deutscher Dogmatik, Rabels Zeitschrift 72 (3), 513-61 und siehe unten Teil 2 Kapitel 4, 1.2.
Teil 2 Kapitel 3 Die Entwicklung des Vertragsbegriffs
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Es handelt sich hierbei aber nicht nur um formal-juristische Modelle, sondern auch um den Austausch von vertraglichen und wirtschaftlichen Praktiken und Entscheidungsmodellen. Der Austausch von Praktiken lädt dazu ein, die Auswirkungen des Handels auf der juristischen Ebene zu untersuchen; der Austausch von Entscheidungen – durch Vergleich der Rechtsprechung, also von Entscheidungen, die einheitliche Rechtstexte und -prinzipien speisen – regt zur Horizonterweiterung an, weckt Interesse an Geschehnissen in andern Ländern und ermutigt zur Gegenüberstellung der Ergebnisse der Anwendung von Normen und Grundsätzen.
3. Schritte zu Harmonisierung und Vereinheitlichung der Quellen Die italienischen Juristen, und besonders der Consiglio Nazionale Forense,18 verfolgen seit 1999 die Entwicklungen auf dem Gebiet der Wirtschaftsrechtsangleichung auf übernationaler Ebene sehr aufmerksam; seitdem veranstaltet der Consiglio regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen, auf denen die Weiterentwicklung des nationalen und ausländischen Rechts, sowie Kodifikationsprojekte zur Schaffung gemeinsamer Regeln in der EU und die von Unidroit vorgeschlagenen Einheitstexte berücksichtigt werden.19 Diese letzten Jahre haben viel intellektuelle und Umsetzungsarbeit für Juristen gebracht; man denke nur an die Reform des 5. Buches des italienischen Zivilgesetzbuches und die Neuformulierung des Gesellschaftsrechts, die Reformprojekte zum 1. Buch, die Modernisierung des Bankund Finanzrechts, ganz zu schweigen von den Reformansätzen zum Zivilprozeßrecht und verschiedene Spezialgesetze; man denke auch an die Kooperationsprojeke von Seiten der EU, und in rechtsvergleichender Hinsicht an die Anstrengungen im common law, dieses an die EU Richtlinien anzupassen, und an jene im 18 19
Der italienische Anwaltstag, hier nachfolgend abgekürzt CNF. Alpa G und Buccico E N, Hrsg. (2001 - 2005) Il Codice civile europeo, und weitere Titel, in der Serie Quaderni di Rassegna Forense: “nei seminari del 2001, L’entusiasmo per un “codice civile” è un po’ scemato, come denunciano gli stessi titoli dei seminari organizzati dal Consiglio Nazionale forense: dai seminari degli anni 1998-2000, in cui si parlava de Il codice civile europeo si è passati, nei seminari del 2001, allo studio de La riforma dei codici in Europa e il progetto di codice civile europeo nel seminario del 2002 si è studiato il rapporto tra le regole generali sul contratto e le regole speciali, con le relazioni su Diritto contrattuale europeo e diritto dei consumatori.L’integrazione europea e il processo civile sempre nel 2002 si è incluso il progetto di codice civile nel complesso della formazione di un ordinamento sistematico, Diritto privato europeo. Fonti ed effetti si è poiallargato l’orizzonte fino a comprendere anche il diritto pubblico, con il seminario del 2004, Diritto pubblico e diritto privato nella formazione del mercato unico nel 2005 si è parlato di lex mercatoria e dei “nuovi confini del diritto privato europeo“, Alpa G (2007) Un codice europeo dei contratti: quali vie di uscita? Sintesi della relazione presentata alla Seconda settimana di studio sul Diritto privatocomunitario, Camerino, 3-7 settembre 2007, Astrid online, 10.
214
3. Schritte zu Harmonisierung und Vereinheitlichung der Quellen
wiedervereinigten Deutschland und andere Projekte, die der “globalisierten” Wirtschaft dienen sollen. Im Bereich des Vertragsrechts bietet das 3. Jahrtausend höchst interessante Neuheiten: (i) Im italienischen Recht: - Das 10-jährige Jubiläum der Zeitschrift I Contratti bot Gelegenheit, die jüngsten Neuerungen durch die Rechtsprechung in einer Untersuchung zusammenzufassen, die nachvollzieht, wie Vorschriften des Zivilgesetzbuchs in kreativer Weise an die Erfordernisse der Praxis angepaßt wurden.20 - Der Gesetzgeber schafft durch die Umsetzung der Richtlinien zum Vertragsrecht neue Regeln, erneuert das Zivilgesetzbuch (Art. 1469 bis ff. und 1519 bis ff. des Codice Civile) und transformiert dadurch auch einige soziale Handlungsformen, z.B. durch das franchising und die Transparenz in Bankverträgen, die durch die Privatautonomie in die Praxis eingeführt wurden, aber nun in rechtlichen Beziehungen durch eine Beschränkung der Abschlußfreiheit im öffentlichen Interesse, und zum Schutz der schwächeren Partei auch im gesellschaftlichen Interesse.21 - Die Praxis hat den Gebrauch neuer Vertragsmodelle und Klauseln und sogar neue Abschlußtechniken unterstützt. - Institutionelle und private Organisationen schlugen außergerichtliche Streitschlichtung vor, Mediation und Schiedsgerichtsbarkeit. (ii) Das Europarecht - betreibt die Annahme immer neuer Richtlinien zum Vertragsrecht, insbesondere zum Verbraucherschutz; hierdurch wird der acquis communautaire ausgedehnt und der nationale Gesetzgeber verpflichtet, das Vertragsrecht anzupassen und anzugleichen; - die Rechtsprechung des EuGH arbeitet weiterhin allgemeine Grundsätze aus, die das Vertragsrecht betreffen, wie die Begriffe „Verbraucher“ und „Unternehmer“,22 die Bedeutung von Treu und Glauben, mißbräuchliche Klauseln, wettbewerbsfeindliches Verhalten, Grenzen der vertraglichen Haftung usw. - Die Kommission, durch die GD Wettbewerb, hat die Ausarbeitung einer Richtlinie zu den freien Berufen vorgeschlagen, die GD Binnenmarkt schlug die Dienstleistungsrichtlinie vor, die GD Justiz forderte die Verbreitung von Wissen um das Gemeinschaftsrecht und das internationale Privatrecht und die GD Gesundheit und Verbraucher schlug den Common Frame of Reference zur Konsolidierung allgemeiner Vertragsrechtsprinzipien vor. (iii) Im Recht der Mitgliedstaaten - verfolgt man die Konvergenz der Rechtssysteme hin zu einer ähnlichen Formulierung von Vertragsrechtsregeln; 20
Maniaci A (2002) "Il Convegno milanese su “Il contratto nell’Unione europea"" I Contratti (8-9), 833; Barca A (2003) "Il Convegno genovese su “Il contratto nell’ Unione europea"" I Contratti (8-9), 845-53. 21 Dazu unten 10. 22 Siehe hierzu unten Teil 3 Kapitel 2.
Teil 2 Kapitel 3 Die Entwicklung des Vertragsbegriffs
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hat man neue Kodifikationen eingeführt (wie das holländische Zivilgesetzbuch) und hat Teile davon novelliert (wie das Zweite Buch des BGB), oder es werden “regionale” Gesetzbücher entworfen, wie das schottische oder das katalanische Zivilgesetzbuch, welche sich auch mit dem Vertragsrecht beschäftigen; (iv) hierzu kommen noch die Initiativen privater Institute, Universitäten und interuniversitärer Forschungsgruppen, die den Entwurf von einheitlichen Privatrechts”kodifikationen” vorantreiben, und sich, vom Vertragsrecht ausgehend, auf andere Quellen von Obligationen und auf gebräuchliche Vertragstypen ausdehnen: so z.B. die Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler23 in Pavia, die ein Vertragsrecht vorgeschlagen hat,24 die Study Group unter Christian von Bar mit Sitz in Osnabrück, sowie die von Ole Lando und Hugh Beale koordinierte Kommission, die mit den PECL25 einen umfangreichen “Kodex” vorgelegt haben. (v) Im internationalen Recht, weisen wir, außer auf die Initiativen von UNIDROIT,26 auf das avant-projet der OHADA27 hin, das zum Ziel hat, einen Acte uniforme sur le droit des contrats anzunehmen, nach dem Muster des für die lateinamerikanischen Länder durch den Mercosur begonnenen Projekts. All diese Initiativen dienen der Annäherung der Rechtsordnungen, um möglichst gleiche Regeln für verbesserte wirtschaftliche Beziehungen zu schaffen, im “B2B” und “B2C” Bereich,28 mit größerer Rechtssicherheit und geringeren Kosten für die Akteure, indem die möglichen Lösungen eines Konfliktes durch staatliche oder Schiedsrichter möglichst vorhersehbar ist, und nicht der Unsicherheit der Rechtswahl und dem forum shopping, d.h. also dem Wettbewerb unter den Rechtsordnungen überlassen bleibt.29 Im nationalen Recht spricht man von “neuen Grenzen des Vertragsrechts”. Unter diesen neuen Grenzen versteht man neue Geltungsbereiche, in die sich das Vertragsrecht ausdehnt, aber seit kürzerer Zeit auch das Phänomen der Relativität der Normenhierarchie: Quellen niedrigerer Rangordnung, im Vergleich zu übergeordneten Quellen wie dem EU Vertrag, andere europäische Rechtsquellen, Zivilgesetzbücher oder Spezialvorschriften, die Gewicht haben und das Vertragsrecht direkt beeinflussen, gewinnen immer mehr an Bedeutung: man denke an die EU Verordnungen und an Vorschriften von unab23
Siehe http://www.accademiagiusprivatistieuropei.it. Vattier, de la Cuesta, et al., Hrsg. (2003) Còdigo europeo de contratos. Comentarios en homenaje al Prof.D. José Luis de los Mozos y de los Mozos, Anuario de Derecho Civil Nbr. LVII-3, July 2004. 25 Principles of European Contract Law, Text in versch. Sprachen z.B. unter http://frontpage.cbs.dk/law/commission_on_european_contract_law/ 26 Mit den Principles of International Commercial Contracts, 2004, UPICC. 27 Organisation pour l’Harmonisation en Afrique du Droit des Affaires. Vgl. Meyer P (2008) "The Harmonisation of Contract Law within OHADA. General Report on the Ouagadougou Colloquium, 15-17 November 2007" ULR 1/2, 393-404. 28 “B2B” steht für business to business, also Geschäfte unter Kaufleuten, “B2C” steht für business to consumer und bezeichnet Geschäfte gewerblicher Anbieter mit Verbrauchern. 29 Zoppini A, Hrsg. (2004) La concorrenza tra ordinamenti giuridici; siehe auch Alpa, Bonell, Corapi und Zeno-Zenovich in Alpa G, Bonell M J, et al., Hrsg. (2004) Diritto privato comparato. 24
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3. Schritte zu Harmonisierung und Vereinheitlichung der Quellen
hängigen Institutionen, an Regeln der Selbstverwaltung, an Geschäftspraktiken, durch die ausländische Vertragsrechtsmodelle zirkulieren. Zu den wichtigsten Beispielen in Italien gehören die Vorschriften der Banca d’Italia, Consob und Isvap30 für Verträge auf den Finanzmärkten; ebenso die Vorschriften der Wettbewerbsbehörden im Bereich von “Mergers und Acquisitions”, Formularverträge oder Standardklauseln, wie z.B. AGBs oder auch Schiedsklauseln, die in vielen Rechtsordnungen gebräuchlich sind. Durch diese treibenden Faktoren hat sich ein unumkehrbarer Prozeß in Gang gesetzt, der die überkommenen Dogmen einer Überprüfung unterzieht. Zum Beispiel wurden die folgenden Dogmen überwunden:31 (i) die Neutralität des Vertrages gegenüber dem Status der Parteien, also bspw. Verbraucher, Anleger, Zulieferer, Minderjährige, Lebenspartner; (ii) die Informationssymmetrie der Parteien; (iii) die Gründung des Vertrages auf die Äußerung eines persönlichen Willens; (iv) die Vertragsfreiheit, die an gesetzliche Vorgaben durch Vertragstypen gebunden ist, oder an einen bestimmten Informationsaustausch vor Abschluß; (v) die Lehre der Causa;32 (vi) Formenzwänge, die heute überwiegend zum Schutz der “Schwächeren” aufrechterhalten werden; (vii) die Gleichheit der Leistungen und die Intervention der ausgleichenden Gerechtigkeit in Form rechtlicher Korrektive;33 (viii) das “Gesetz des Vertrages” mit dem Eintritt der einseitigen Rücktrittsmöglichkeit für die “schwächere” Partei; ebenso die absolute Unwirksamkeit unter Rückgriff auf die relative Unwirksamkeit und die mehrfache relative Nichtigkeit; (ix) die Subjektivität des Vertrages, der die Verobjektivierung folgte; (x) die Unverletzlichkeit, sanctity, des Vertrages, kombiniert mit Rechtfertigungsmöglichkeiten richterlicher oder schiedsrichterlicher Eingriffe. Dieser Überarbeitungsprozeß wird von Änderungen in der Rechtsprechung unterstützt, mit denen den Dogmen Risse zugefügt werden, oder auch Tendenzen umgekehrt werden, die sich mit der Zeit gefestigt haben. Dieser Vorgang betrifft alle Ebenen und Zweige der Gerichtsbarkeiten.34 30
Bank-, Börsen- und Versicherungsaufsicht, siehe dazu im Einzelnen unten Teil 3 Kapitel 2, 4.5.1. 31 Siehe die weitere Diskussion dieser Punkte unten. 32 Im französichen Recht. 33 [Gedacht ist besonders im englischen Recht an die Rolle der Einwendungen der equity als Ausgleich zu den gelegentlich überaus strengen Ergebnissen des common law.] 34 Aus der italienischen und europarechtlichen Rechtsprechung mögen die folgenden Beispiele genügen: Cass. 4124/01, Vertragsklauseln “if and when”; Cass. 14860/00, Gültigkeit der Schiedsklausel; Cass. 10511/99, Minderung der Vertragsstrafe von Amts wegen; EuGH, 27. Juni 2000, C-240-244, Ungültigerklärung von mißbräuchlichen Klauseln; Trib. Roma, 21 gennaio 2000 und Trib. Roma, 28 ottobre 2000, zu gebräuchlichen Bank- und Versicherungsverträgen; Cass. 11495/01,Trib. Milano, 27 marzo 2000, App. Milano, 26 gennaio 1999, Trib. Torino und10 aprile 1998, atypische Verträge, swap; Cass. 15066/00, Cass. 12724/00; Cass. 9321/00; zu Treu und Glauben bei Rücktritt und Rückabwicklung; Cass. 2788/99, Treu und Glauben bei beiderseitiger Nichterfüllung, die zu Vertragsauflösung führt; Cass. sez. un., 13533/01, Beweislast bei Nichterfüllung; Cass. 2955/98, zu Einigungs- und Willensmängeln im Familienrecht; Cass. 11894/98, zu Lebensgemeinschaften; Cass. 9662/00, sog. gentleman agreements; Cass.
Teil 2 Kapitel 3 Die Entwicklung des Vertragsbegriffs
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4. Die “gemeinsame Basis” des Vertragsrechts und die schwierige Wahl der Juristen All diese oben skizzenhaft und keineswegs abschließend beschriebenen Initiativen haben eines gemeinsam: sie wollen die Ausweitung des Handels erleichtern und den Akteuren, gleich welchen Status’, das Vertrauen in den Markt und die private und öffentliche Rechtspflege erhalten, aber auch deren korrektes Verhalten und eine “Moralisierung” des Marktes erreichen, so daß also in allen Phasen des Vertrages, Verhandlung, Abschluß, Auslegung und Durchführung, folgende Grundsätze beachtet werden: (i) Treu und Glauben bzw. fairness; (ii) Angemessenheit; (iii) Transparenz und Symmetrie der Information: (iv) Gläubigerschutz; (v) Erhalt des Vertrages; (vi) Leistungen stehen in angemessenem Verhältnis zueinander. Diese Grundsätze werden von nationalen Richtern und Schiedsrichtern bereits unterstützt, mit Rücksicht auf die jeweiligen Rechtstraditionen, und ohne die Parteiautonomie zu stark einzuschränken. So entsteht ein Vertragskonzept, welches für manche Rechtsordnungen innovativ, für andere bestätigend ist, nämlich in solchen, wo die private Vereinbarung keinen sakralen Charakter hat und geradezu unantastbar ist, sondern wie ein Verhältnis betrachtet wird, in welches Regeln interpretierend eingreifen, das Verhältnis bewerten und schließlich bestätigen, auch mögliche Lücken schließen, einzelne Klauseln für wirksam oder unwirksam erklären kann, neue Rechtsbehelfe einführen oder auch die Vereinbarung anpassen kann, wenn in Ausnahmesituationen das zugrundeliegende wirtschaftliche Gleichgewicht dies erfordert. Die Parteien werden außerdem nicht mehr als grundsätzlich auf gleicher Ebene betrachtet, sondern von ihrer “Verhandlungsmacht” her, so daß bspw. Verträge zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern “ausbalanciert” werden nach den entsprechenden Rechtsregeln, wenn z.B. die Informationssymmetrie nicht gegeben ist, oder die “stärkere” Parteien ihre Macht mißbraucht hat, um dadurch Vorteile zu erlangen.35 Um diese Grundsätze durchzuführen, sind Richtern und Schiedsrichtern größere Freiräume gegeben als in der Vergangenheit.36
589/99, soziale Kontakte und Vertragsbeziehungen, Arztrecht im öffentlichen Gesundheitswesen; Cass. 7857/97, zum Vertragskonzept; Cass. 4853/98, zu letters of intent, Absichtserklärungen; Trib. Milano, 2 luglio 1998 und Trib. Venezia, 24 settembre 2000, sog. moralischer Schaden aus Vertragsverletzung. 35 [Gedacht ist sowohl an entsprechende Auslegung aber auch Vertragsanpassung. Siehe auch oben Teil 2 Kapitel 2, 5.] 36 Siehe hierzu die Beiträge in (2003) Uniform Law Review 1-2, von Kronke, Basedow, Hartkamp, Bonell, Farnsworth, Lando, Béraudo und Wilhelmsson, aus Anlaß des 75. jährigen Bestehens von Unidroit.
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4. Die “gemeinsame Basis” des Vertragsrechts und die schwierige Wahl der Juristen
In transnationalen Vertragsverhandlungen müssen Juristen zudem mit der Rechtswahl eine fundamentale Entscheidung treffen. Weil hierdurch der Vertrag mehreren Rechtsordnungen unterliegen kann, z.B. aufgrund des Abschlußortes, des Ortes der Leistungserbringung, unterschiedlicher Einordnung des Vertragstyps in verschiedenen Rechtsordnungen oder Einbeziehung Dritter für eine Finanzierung, was zu einem sogenannten morcellement37 führen kann, können Juristen auch die Anwendung der von internationalen Institutionen ausgearbeiteten oder anerkannten einheitlichen Vertragsrechtsregeln vereinbaren.38 Im Falle der PECL39 fungieren diese wie ein “Modellgesetz”, welches auch von Parteien gleicher Nationalität oder Ansässigkeit genutzt werden kann, solange sie nicht durch ein europäisches Rechtsinstrument von der EU angenommen werden.40 Im Falle der UPICC41 handelt es sich um eine präzise Wiedergabe von Regeln der lex mercatoria, und ihr Erfolg zeigt sich in der Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit, in Gerichtsentscheidungen und Gesetzgebungsvorhaben, die sich alle auf diese Grundsätze berufen.42 Jedenfalls erscheint es ungerechtfertigt, anzunehmen, daß diejenige Rechtswahl, die der Anwalt der “stärkeren” Partei durchsetzen kann, immer und in jedem Falle die vorteilhaftere für diese Partei ist. Um dies vollständig zu belegen, müßte man eine schier endlose Literatur auswerten und in alle Details gehen, um alle geltenden und in der Ausarbeitung be37
Einer Aufteilung des Vertrages in eine große Zahl von Einzelteilen, die jeweils anderem nationalen Recht unterliegen können. 38 Vgl. die Formulierung in Art. 3 Abs. 2 Satz1 des Entwurfs COM(2005) 650 final der jetzigen “Rome I”-Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht. 39 Principles of European Contract Law. 40 Siehe wiederum den Verlauf der Entstehung der jetzigen “Rom I” VO, in der ursprünglich solche Modellgesetze kollisonsrechtlich wählbar gemacht werden sollten. Von dieser Möglichkeit wurde aber in der Endfassung Abstand genommen. Zur Rechtswahl allgemein und speziell transnationalen Rechts vgl. bspw. Mankowski, P (2003), ‘Rechtswahl für Verträge des internationalen Wirtschaftsverkehrs’ 1 Recht der Internationalen Wirtschaft (RIW) 2; Heidemann M (2007) Methodology of Uniform Contract Law: The UNIDROIT Principles in International Legal Doctrine and Practice, Part 3. 41 UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts 2004. 42 Vgl. aus der umfangreichen Literatur v.a. Bonell M J (2004) "UNIDROIT Principles 2004 - The New Edition of the Principles of International Commercial Contracts adopted by the International Institute for the Unification of Private Law " Uniform Law Review (1), 5; ders. (2007) "Towards a Legislative Codification of the UNIDOIT Principles " ULR (2), 233-45; Kronke H (2004) "Most Significant Relationship, Governmental Interests, Cultural Identity, Integration: "Rules" at Will and the Case for Principles of Conflict of Laws" Uniform Law Review (3), 467-77. Zum Gebrauch der UPICC in der Schiedsgerichtsbarkeit auch Ly, F de, ‘Dutch National Report’ in Bonell, MJ (ed) (1999) A New Approach to International Commercial Contracts (The Hague / Boston / London: Kluwer Law International) 203; Dasser F (2008) Mouse or Monster? Some Facts and Figures on the Lex Mercatoria, in: Globalisierung und Entstaatlichung des Rechts, Zimmermann R, Blaurock U, Kirchner C et al., Hrsg.
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findlichen Texte und ihre Anwendungsweise zu beschreiben, ebenso wie die zahllosen Lösungen und Beschreibungen in den Rechtsordnungen. Für unsere Zwecke ist es jedoch ausreichend, einige Beispiele zu beleuchten, weil daraus schon die Schwierigkeiten deutlich werden, die es bei der Verwirklichung der Regelungsziele gibt, sowie auch die Möglichkeiten, innerhalb einer bestimmten Zeit die bestmögliche Vereinheitlichung des Vertragsrechts zu erreichen.
5. Der acquis communautaire des Vertragsrechts 5.1 Umfang der Untersuchung Um den Umfang des acquis communautaire im Vertragsrecht zu bestimmen, ist es notwendig, von den Möglichkeiten auszugehen, die sich aus der Sicht des Anwenders jeweils anders darstellen. Jede dieser Möglichkeiten erweitert oder beschränkt den Umfang der Untersuchung. Deshalb werden wir von der engsten zur weitesten Betrachtungsweise voranschreiten, um die Ergebnisse zu betrachten, die sich aus der Systematisierung dieses Rechtsgebietes ergeben. - das Kriterium der Terminologie, welches zur Klärung der Bedeutung der Begriffe in den Quellen des Gemeinschaftsrechts dient, wie sie sich aus dem noch nicht ratifizierten Reformvertrag ergeben, sowie aus dem aufgrund der bestehenden Verträge geschaffenen Gemeinschaftsrecht der letzten fünfzig Jahre, aus den Verordnungen und Richtlinien und aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs; - das begriffliche Kriterium, welches sich auf die rechtlichen Konzepte bezieht; - das materielle Kriterium, welches den Inhalt und die Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften klärt; - das teleologische Kriterium, welches die von Gesetzgebern und Richtern verfolgten Absichten darlegt; - das rechtspolitische Kriterium, welches die Lösung von Interessenkonflikten zwischen den Regelungssubjekten beschreibt. Diese Kriterien, die für den Anwender eine Rolle spielen, sind nicht immer deutlich. Die Ziele bei der Erfassung des acquis communautaire auf dieser Grundlage sind vielfältig. Hierzu zählen: - Erfassung: die Erfassung der enormen Menge von Normen bereitet sowohl den Regelungsadressaten wie auch den Gemeinschaftsorganen selbst Probleme; - Systematisierung: in systematischer Hinsicht bietet der Normenkorpus, bestehend aus den Vorschriften und deren Auslegung, Probleme der Koordination und Überlappung;
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5. Der acquis communautaire des Vertragsrechts
Funktionalität: der Regelungskorpus muß auf seine Effizienz hin überprüft werden, nicht nur im Hinblick auf die Umsetzung in den Mitgliedstaaten, sondern auch auf seine ökonomischen und sozialen Wirkungen hin. Der Kern der vertragsrechtlichen Vorschriften stammt aus den gemeinschaftsrechtlichen Initiativen zu Gunsten des Verbrauchers in seinen Beziehungen mit Gewerbetreibenden. Ein weiterer Bereich betrifft Einzelverträge wie Informationsvereinbarungen, Zulieferer-, Versicherungs- und Versicherungsvermittlerverträge, Verträge mit Banken und Finanzdienstleitungsvermittlern, sowie Vertrieb. Wiederum ein weiterer Bereich betrifft die Obligationen, einschließlich des anwendbaren Rechts, des Euro, des Zahlungsverkehrs und der zivilrechtliche Haftung. Noch weiter gefaßt bezieht sich dies auch auf das Wettbewerbsrecht und den freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, und gesellschaftsrechtliche Belange, sofern ihnen eine Abrede zugrundeliegt. Abhandlungen und Aufsätze zum “Europäischen Vertragsrecht” konzentrieren sich üblicherweise auf einen sehr eng gefaßten Kernbereich dieser Materie, wohingegen es erforderlich ist, aufzuzeigen, wie vielfältig die Vorschriften sind, die diese Beziehungen regeln sollen. Auch werden die Regeln, die von der Gemeinschaft jeweils im Hinblick auf bestimmte Sektoren geschaffen werden, mit Rücksicht auf diese Regelungstechnik auch nur in einer internen Sichtweise innerhalb dieser Sektoren betrachtet, ohne jedes systematische Kriterium. Hier wollen wir einige Beispiele für eine systematische Organisation des acquis anführen und zwar für die Verbraucherverträge, mit einigen Abstechern in die anderen Kernbereiche, die wir oben beschrieben haben. Wie sich zeigen wird, gibt es nicht nur Überlagerungen und sogar Widersprüche in diesen speziellen Rechtsbereichen, sondern auch Abweichungen in Terminologie und Konzepten. -
5.2 Beispiele für eine systematische Organisation des Verbrauchervertragsrechts Wir haben schon angedeutet, daß sich fast alle Vorschriften zu Verbraucherverträgen aus Richtlinien ergeben. 5.2.1 Die Parteien Bei der Betrachtung der Normproduktion in diesem ersten Kernbereich ergibt sich zunächst die Frage nach der Partei eines Vertrages. Im vorausgegangenen Kapitel haben wir schon verschiedene Definitionen von Verbraucher in verschiedenen Rechtsordnungen beschrieben, die von Gesetzgebern und Richtern geschaffen wurden.
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5.2.2 Vorvertragliche Information Zahlreiche Richtlinien regeln die vorvertragliche Phase, denn ihr Hauptgrund ist die Schaffung eines “informierten” Verbrauchers, indem die Asymmetrie der Informiertheit zwischen dem Anbieter und dem Empfänger von Waren und Dienstleistungen reduziert wird. Der Verbraucher soll wohlinformierte Entscheidungen treffen können, und das Risiko minimieren, welches aus irreführenden oder unvollständigen Marktinformationen erwächst. Die kommerzielle Werbung ist das verbreitetste Mittel für Anbieter, ihre Angebote dem Kunden anzupreisen, und daher beschäftigen sich drei Richtlinien mit diesem Bereich: Richtlinie des Rates vom 10. September 1984 über irreführende und vergleichende Werbung,43 geändert durch die Richtlinie 97/55/EG44 und ersetzt durch die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken.45 In diesem Sinne ist die Werbung betroffen, verstanden als jedwede Botschaft im Zusammenhang mit der Ausübung einer kommerziellen, industriellen, künstlerischen oder freiberuflichen Tätigkeit, die in irgendeiner Weise, auch durch ihre Präsentation, einen Irrtum hervorruft oder hervorrufen kann, bei den Personen, an die sie sich richtet, oder die sie erreichen will, die von irreführendem Charakter ist, und die das Verhalten dieser Personen nachteilig beeinflußt, oder auch Konkurrenten irreführt; gemeint ist auch die vergleichende Werbung, die ausdrücklich oder implizit die Produkte oder Dienstleistungen von Konkurrenten erwähnt. Die vorgesehenen Rechtsfolgen sind weniger vertraglicher Natur, sondern haben die Verhinderung, Unterlassung oder Aussetzung der Verbreitung dieser Werbebotschaft zum Ziel, oder die Verpflichtung des Gewerbetreibenden, die Botschaft verständlicher zu machen. In allen Rechtsordnungen können deshalb verschiedene Rechtsfolgen eintreten, die auf die Folgen für das vorvertragliche Verhältnis reagieren, oder für den Vertrag, den der Verbraucher im Vertrauen auf die rechtswidrige Werbung abgeschlossen hat. Mit der Mitteilung über die unlauteren Geschäftspraktiken46 autorisierte die Kommission einen Text, der auch von Parlament und Rat angenommen und durch die Entschließung des Parlaments vom 24.2.2005 geändert worden war, der jeden Verkaufsdruck betraf, durch den Kontakt zum Verbraucher aufgenommen wird, der einen Abschlußzwang beinhaltet, unverlangte persönliche Besuche, Informati-
43
(84/450/EWG) ABl. EG Nr. L 250 v. 19.9.1984 S. 17-20 (außer Kraft seit 12.12.2007). des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung ABl. EG Nr. L 290 vom 23.10.1997, S. 18- 3. 45 Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005, ABl. der EU Nr. L 149 vom 11.6.2005, S. 22 ff., in Kraft ab 12.6.2005. 46 KOM (2003) 0365. 44
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5. Der acquis communautaire des Vertragsrechts
onen über gratis Produkte oder Dienstleistungen und jede andere Praxis, die unlauter werden könnte. In der Fernabsatz - Richtlinie47 ist vorgesehen, daß der Verbraucher vor Vertragsschluß Informationen über die Identität des Lieferanten, über die wichtigsten Eigenschaften des Produktes, dessen Preis, die Lieferungskosten, die Zahlungsmodalitäten, die Lieferung oder Ausführung des Vertrages, Rücktrittsrechte, die Kosten der Kontaktaufnahme, die Dauer der Gültigkeit des Angebots und, wenn es sich um ein Dauerschuldverhältnis oder eine wiederkehrende Leistung handelt, die Mindestlaufzeit des Vertrages erhalten muß. Diese Informationen müssen klar und verständlich und richtig sein. Die Informationen müssen schriftlich erfolgen und vom Verbraucher bestätigt werden. In diesem Falle wird nichts gesagt über vorvertragliche oder vertragliche Rechtsbehelfe, wenn diese Verpflichtungen vom Gewerbetreibenden verletzt werden. Analoge Vorschriften beinhaltet die Richtlinie 2002/65/EG über den „Fernabsatz“ von Finanzdienstleistungen an Verbraucher. Trotzdem sind die Verpflichtungen detaillierter in Bezug auf die Identität des Anbieters, die Finanzdienstleistung, den Fernabsatzvertrag, die Beschwerderechte des Verbrauchers und telefonisch übermittelte Informationen. Es ist auch hier vorgesehen, daß die Informationen klar und verständlich sein und in der Sprache des Verbrauchers zur Verfügung stehen müssen, unter Beachtung des Prinzips von Treu und Glauben und dem Schutz der Person, besonders der Geschäftsunfähigen, wie Minderjährige. Auch müssen dem Verbraucher die Vertragsbedingungen zusätzlich schriftlich mitgeteilt werden. Erstmals bleibt es den nationalen Rechtsordnungen überlassen, Regelungen vorzusehen, nach denen der Verbraucher den Vertrag ohne Kosten auflösen kann, wenn die vorvertraglichen Informationspflichten verletzt wurden. Eingehende Informationen werden für den Verbraucherkredit vorgesehen, 48 für den Reisevertrag und Pauschalreisen49 und für Teileigentum an Immobilien, wo sich der Gewerbetreibende verpflichtet, an interessierte Parteien ein Informationsdokument zu überreichen, aus denen sich die Identität des Verkäufers, die Immobilieneinheit, und die Qualifikation des Verkäufers als Makler ergibt, sowie Rücktrittsrechte usw. Im Falle von Abschlüssen außerhalb des Geschäftssitzes50 sind die Pflichten des Gewerbetreibenden beschränkter, da sie nur aus der Information [“Belehrung”] des Verbrauchers über Rücktrittsrechte bestehen (die Richtlinie spricht unangemessen von Rückabwicklung),51 sowie die Mitteilung des Namens und der Anschrift der Person, der gegenüber dieses Recht ausgeübt werden kann.52
47
97/7/EG. Richtlinie 87/102/EWG. 49 Richtlinie 90/314/EWG. 50 Richtlinie 85/577/EWG. 51 Deutscher Text: “Widerrufsrecht”, “Rücktrittsrecht“ in Art 7 der RiLi. 52 Art. 4 der sog, “Haustürgeschäfts”RiLi. 48
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Auch hier wird es den nationalen Rechtsordnungen überlassen, “dafür [zu sorgen], daß ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers vorsehen, wenn die in diesem Artikel vorgesehene Belehrung nicht erfolgt.” (Art.4). Genauso detailliert sind die Informationspflichten des Anbieters im ecommerce,53 denn die Kommunikation muß als solche erkennbar sein, muß die Identität des Auftraggebers erkennen lassen, die Spezialangebote müssen verständlich sein, Verlosungen und Gewinnspiele müssen rechtmäßig sein.54 5.2.3 Abschluß und Form des Vertrages Die Richtlinien beschäftigen sich nicht mit den Abschlußtechniken des Vertrages, abgesehen von dem bereits Gesagten über den vorvertraglichen Kontakt und die Präsentation des Angebotes. Sie überprüfen nicht die Tätigkeit des Gewerbetreibenden, der dem Verbraucher einen Vertrag im Gewande eines Geschenkes vorschlägt, lediglich den Vorschlag selbst. Vielmehr handelt es sich um Richtlinien, wie wir ausgeführt haben, die die Kenntnis des Verbrauchers vom Vertragstext fordern. Trotzdem ergibt sich ein Problem bei den Haustürgeschäften. Für diese schreibt die e-commerce - Richtlinie vor, daß der Leistungsempfänger vorab über verschiedene technische Abläufe des Vertragsabschlusses informiert werden muß. Ob der Vertrag vom Leistungserbringer gespeichert wird, und ob dieser zugänglich ist, wie die Rechtswahl erfolgt, welche Sprachen wählbar sind, und die Geschäftsbedingungen. Die Richtlinie sieht auch vor, daß der Diensteanbieter den Eingang der Bestellung bestätigen muss, und legt fest: “Bestellung und Empfangsbestätigung gelten als eingegangen, wenn die Parteien, für die sie bestimmt sind, sie abrufen können.“55 Es ist nichts darüber gesagt, welche vorvertraglichen und vertraglichen Rechtsbehelfe es gibt, wenn diese Vorschriften verletzt werden, oder darüber, ob die vorgesehenen Sanktionen effektiv, verhältnismäßig und „dissuasiv“56 sind. Auch die Form des Vertrages – die Form des Schutzes – bleibt den nationalen Rechtsordnungen überlassen, außer in Fällen, für die Schriftform vorgesehen ist, wie im Falle der Haustür- und Fernabsatzgeschäfte, des elektronischen Vertragsschlusses, des time sharings, der Reise-, Bank- und Finanzdienstleistungsverträge.
53
Richtlinie 2000/31/EG. Vgl. Wiedenmann K-U (2004) Verbraucherleitbilder und Verbraucherbegriff im deutschen und Europäischen Privatrecht: eine Untersuchung zur Störung der Vertragsparität im Verbraucher-Unternehmer-Verhältnis und den Instrumenten zu deren Kompensation. 55 Ibid., Artikel 11. 56 [Ein gern verwendeter Anglizismus. Etwa: abschreckend, wörtlich: davon überzeugen, etwas nicht zu tun.] 54
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5. Der acquis communautaire des Vertragsrechts
5.2.4 Vertragsinhalt Bei den komplexeren Transaktionen werden detaillierte Vertragsinhalte festgelegt, wie es für den Bank-, Finanzdienstleistungs- und Versicherungssektor geschehen ist, sowie für time sharing und Pauschalreisen. Ebenfalls im Hinblick auf die Garantien im Verbrauchsgüterkauf, 57 wo vorgeschrieben ist, daß die Garantie angeben muß, daß der Verbraucher die im nationalen Recht vorgesehen Rechte hat, der Inhalt der Garantie, wie sie in Kraft gesetzt wird, wie weit sie reicht und die Identifikation des verkauften Gutes.58 Hier wird auch eine ausführliche Regelung für mißbräuchliche Klauseln vorgesehen, die wir an anderer Stelle näher vertieft haben.59 5.2.5 Ausführung des Vertrages Die Vorschriften zur Vertragsausführung sind recht spärlich. Die Fernabsatzrichtlinie60 sieht vor, daß eine Bestellung innerhalb von dreißig Tagen ab dem auf die Absendung der Bestellung folgenden Tag ausgeführt werden muß; der Verbraucher muß von der Nichtverfügbarkeit des Produktes informiert werden, und der Lieferant kann ein vergleichbares Produkt liefern.61 Die Pauschalreiserichtlinie sieht „die ordnungsgemäße Erfüllung der sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen“62 vor, sowie die Wahl zwischen gleich- oder höherwertigen Produkten zu Gunsten des Verbrauchers.63 Die vorgenannte Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ist bezüglich der Garantien hier detaillierter, weil der Kauf die Vertrags - Konformität der verkauften Güter zum zentralen Anliegen hat. 5.2.6 Rechtsbehelfe: Rücktritt Der größte Teil der Richtlinien sieht Formen der Vertragsunwirksamkeit vor: relative Unwirksamkeit, auf die sich der Verbraucher berufen kann, und absolute Unwirksamkeit, wenn Abreden zwingenden Normen widersprechen, oder nicht abdingbar sind. Nur selten wird vertraglicher Vermögens- oder ideeller Schaden erwähnt, wie in der Pauschalreiserichtlinie.
57
Richtlinie 1999/44/EG. Artikel 6, Richtline 1999/44/EG (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie). 59 Und zwar bezüglich der Reform des Rechts der AGB im italienischen und englischen Recht, siehe hierzu “Clausole abusive”. in Alpa G und Andenas M (2005) Fondamenti del diritto privato europeo, Teil 2 Kapitel 3, 59 ff. 60 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen, Amtsblatt Nr. L 144 vom 04/06/1997 S. 0019 – 0027. 61 Artikel 7, Richtlinie 97/7/EG. 62 RiLi 90/314/EWG, Präambel. 63 Vgl. bspw. ibid., Artikel 4(7). 58
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Zu den wichtigsten Neuerungen im Vertragsrecht, außerhalb der mißbräuchlichen Klauseln, gehört der Rücktritt vom Vertrag. Normalerweise ist dies in den nationalen Rechtsordnungen wählbare Recht der nachträglichen Willensänderung (sog. ius poenitendi), seltener ex legge vorgeschrieben, für kommerzielle Geschäfte außerhalb der Geschäftsräume, Fernabsätze, Finanzdienstvermittlung, ecommerce und Pauschalreisen vorgesehen. Die Ausübung des Rücktritts muß nicht gerechtfertigt werden, jedoch weichen die Fristen und Ausübungsmodalitäten in den Richtlinien voneinander ab. Auch zieht der Rücktritt keine Sanktionen und Kosten nach sich, die den Verbraucher von seiner Ausübung abhalten könnten. Der Rücktritt wirkt rückwirkend (ex tunc) und verpflichtet die Parteien zur Restitution. Dennoch bleibt das Recht der Rückabwicklung, der Restitution, den nationalen Rechtsordnungen überlassen. Zusammenfassend läßt sich sagen, dass, abgesehen vom Recht der mißbräuchlichen Klauseln, sich das Vertragsrecht hauptsächlich auf die vorvertragliche Information und den Rücktritt konzentriert, während der Rückgriff auf das nationale Recht mit Vertragsabschluß, Formen der Ungültigkeit und Folgen der Nichtbeachtung vielfältig bleibt. Dies kann den Verbraucher einigen „Überraschungen“ aussetzen, die das ausländische Recht bereithält, welches zum anwendbaren Recht entweder durch den stärkeren gewerbetreibenden Vertragspartner oder durch das nationale Recht gemacht wird.
6. Definition des Vertragsbegriffs und seine Bestandteile In den verschiedenen Rechtsordnungen gibt es unterschiedliche Legaldefinitionen von Vertrag, die durch Rechtsprechung oder Doktrin geschaffen sein können.64 Weder die UPICC noch die PECL geben eine Definition des Vertragsbegriffs. Beide Texte sind jedoch um die Vertragsfreiheit bemüht. Die Unidroit Grundsätze beginnen mit einer allgemeinen Bestimmung der Vertragsfreiheit, nach der “die Parteien frei sind, einen Vertrag zu schließen und dessen Inhalt zu bestimmen”. Auf den ersten Blick ist die Vertragsfreiheit auf den jeweiligen Freiraum des nationalen Rechts beschränkt, hinsichtlich der Wahl des Vertragspartners, des Vertragstyps und der Form. Aber die dann folgenden Regeln erweitern diesen Begriff, indem sie bestätigen, daß der Vertrag schriftlich geschlossen werden, und auch durch Zeugen bewiesen werden kann (Art 1.2 UPICC); hierin gehen die UPICC weiter als bspw. der italienische codice civile, der für Verträge ab einem Wert von fünftausend Lire keinen mündlichen Abschluß mehr zuläßt (Art. 2721 C.c), so wie auch ein Vertrag nicht mündlich geschlossen werden kann, wenn er einer vorhergehenden oder parallelen Abrede widerspricht (Art. 2722). Wie wir sehen werden, beachten weder die UPICC noch die PECL die “causa” oder die “consideration”. Auch die Grundsätze der OHADA tun dies nicht. Dies 64
Sacco R (1991) "Legal Formants: A Dynamic Approach to Comparative Law" American Journal of Comparativ Law (39) 343.
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7. Die Klauseln der hardship
mag eine überraschende Wahl für Juristen aus dem romanisch-französischrechtlichen Bereich und dem common law sein. Es ist aber eine glückliche Wahl: nicht nur sind diese Konzepte in beiden Rechtskreisen recht umstritten, sondern auch deren Regelungszweck (um die Werterhaltungsinteressen des Gläubigers, und die Zulässigkeit der Transaktion zu überwachen, oder die Gegenseitigkeit in Handelsverträgen zu unterstützen), der auch durch andere Vertragsbestandteile wie den Gegenstand erreicht werden kann. Wenn man so von den Dogmen Abstand nimmt, und die funktionale Methode annimmt, die sowohl die Initiative von Unidroit wie auch die Lando-Beale Kommission unterstützen, gibt die Außerachtlassung der Theorien der causa und der consideration keinen Anlaß zur Sorge mehr. Außerdem ist in einigen Rechtsordnungen die „causa“ geradezu prädeterminiert, wie im deutschen Recht, in anderen sehr entwertet, wie in Frankreich, in anderen gibt es hartnäckige anti-kausalistische Richtungen wie in Italien, und im common law wird die consideration von vielen immer noch als notwendiges Element angesehen, ist aber inhaltslos geworden. Deshalb kann man vernünftigerweise folgern, daß „malgré le role de condition essentielle que paraissent respectivement jouer les notions de « cause » et de « considération » dans les droits qui retiennent l’une ou l’autre, il est parfaitement possible de construire un droit des contrats viable sans y recourir.“65
7. Die Klauseln der hardship 7.1 UPICC In allen Rechtsordnungen gibt es Regeln, ausdrücklich oder aus Doktrin und Rechtsprechung, für den Fall, daß die Vertragsdurchführung ungewöhnliche Bürden mit sich bringt. Im italienischen Recht unterscheidet man zwei Annahmen: solche, in denen die Härte außergewöhnlich und unvorhersehbar ist, mit der Folge der Vertragsauflösung (Art. 1467 des C.c.), und solche, in denen die Härte vorhersehbar war, aber nicht von den Parteien vorhergesehen wurde. In diesem Fall wendet man die Theorie der Voraussetzung an, die, zusammen mit den Grundsätzen von Treu und Glauben, der causa des Vertrages und der Geschäftsgrundlage (also auf der Ebene der Verteilung von Vorteil und Risiko), zu einer Vertragsauflösung führen kann. Im internationalen Handel tendiert man dazu, den Vertrag am Leben zu erhalten. Deshalb ist die grundsätzliche Aussage, daß die Parteien ihre jeweiligen Leistungen erfüllen müssen, auch wenn die Ausführung wesentlich schwieriger geworden ist (Art. 6.2.1 UPICC),66 für das Rechtsinstitut der hardship korrekt. 65
Fontaine M (2004) "Le projet d’Acte uniforme OHADA sur les contrats et les Principes d’ Unidroit relatifs aux contrats du commerce international" Uniform Law Review (2) 253-572, 265. 66 Deutscher Text unter http://www.unidroit.org/german/principles/contracts/principles2004/blackletter2004.pdf
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Die Merkmale dieses Instituts sind in Art. 6.2.2. beschrieben: die Härte muß auf einem nicht im Vertrag beschriebenen Risiko beruhen, auf externen Umständen, die nicht von der Partei ausgehen, die sich auf hardship beruft, und sie müssen nachträglich eingetreten sein, oder, wenn sie schon bei Vertragsschluß vorlagen, den Parteien nicht bekannt oder erkennbar gewesen sein. Die Folge von hardship zielt auf die Aufrechterhaltung der Vertragsbeziehung ab. Deshalb gesteht man der Partei, die sich darauf beruft, zu, unverzüglich neu zu verhandeln ohne Aussetzung der Leistungspflicht. Bei erfolgloser Neuverhandlung kann die interessierte Partei sich an die Gerichte wenden (im Falle der UPICC an den Schiedsrichter). Hier eröffnet sich ein ganz neuer Eingriffsbereich, die in den kodifizierten Rechtssystemen gänzlich ignoriert wird, nämlich daß der Richter – nach Unwirksamerklärung des Vertrages – den Vertrag anpassen kann, um das Gleichgewicht zwischen den Leistungen wiederherzustellen (Art. 6.2.3 UPICC). 7.2 PECL Der Art. 6.111 PECL67 regelt die Veränderung der Umstände in Fällen nachträglich eintretender außergewöhnlicher Härte, die in der italienischen Rechtsordnung zu Vertragsauflösung führen würde (Art. 1467 ff. C.c.) Die PECL bieten ebenfalls zwei Mechanismen, um das Gleichgewicht im Vertrag wiederherzustellen: die Pflicht zur Neuverhandlung (Art. 6.111 (2)), und die Intervention des Richters, der den Vertrag nach seinem Ermessen auflösen und anpassen kann, um Verluste und Gewinne zu verteilen (Art. 6.111 (3) lit. a, b). Wenn eine Partei sich weigert, neu zu verhandeln oder davon zurücktritt, kann der Richter diese zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verurteilen. Die Nachverhandlung durch die Parteien und die Anpassung durch den Richter kann unter drei Voraussetzungen stattfinden: die Veränderung der Umstände muß nach Vertragsschluß eingetreten sein, sie müssen bei Vertragsschluß unvorhersehbar gewesen sein und die geschädigte Partei muß dieses Risiko nach dem Vertrag nicht zu tragen haben, Art. 6.111 (2) lit. a, b, c. Diese Bedingungen weichen nicht vom italienischen Zivilgesetzbuch ab, aber die Rechtssprechung hat in die Theorie der Voraussetzung nach dem Vorbild der deutschen Theorie vom “Wegfall der Geschäftsgrundlage”68 eingegriffen, durch Auslegung unter Bezugnahme auf Treu und Glauben und den jeweiligen Vertragstyp, so daß die Parteien mit dem Abschluß der Vereinbarung implizit eine faktisch und rechtlich sichere Situation geschaffen haben, die als Grundlage oder Voraussetzung für den Vertrag angesehen wird, und bei deren Mangel eine Heilung des Vertrages angenommen wird, wobei es sich hierbei um eine objektive und externe Bedingung handelt, die nicht vom Parteiwillen abhängig ist, und die beide Partei-
67 68
Deutsche Text unter http://frontpage.cbs.dk/law/commission_on_european_contract_law/ Vgl. jetzt § 313, Störung der Geschäftsgrundlage, der auch eine Vertragsanpassung, bzw einen Anspruch auf Nachverhandlung, vorsieht.
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8. Vertragsstrafe
en teilen.69 Es ist ebenfalls möglich, daß dieser Mangel von vornherein vorhanden war, nicht erst nachträglich eintritt - dabei handelt sich dann um einen Mangel der causa. Die Verpflichtung zur Nachverhandlung wird auch im Vertrag selbst oft berücksichtigt und findet sich oft in internationalen Handelsverträgen. Die Vertragsanpassung wird seit Neustem von der Rechtstheorie unterstützt, trifft aber immer noch auf großen Widerstand der traditionellen Rechtslehre und Rechtsprechung. Eine weitere Regel, die mit der italienischen Rechtsordnung in Widerspruch steht, ist der Art. 7.103 PECL über die vorzeitige Erfüllung (early performance, exécution anticipé). Die PECL sehen die Verpflichtung zur Annahme vorzeitiger Erfüllung vor, trotzdem dies ein ungerechtfertigter Nachteil für den Gläubiger sein kann, und die Zurückweisung ist grundsätzlich ein Mißbrauch.
8. Vertragsstrafe In einigen Rechtsordnungen erfährt die Vertragsstrafe eine gesonderte Behandlung. Der italienische Codice Civile definiert vor allem die Rechtsfolgen, die im wesentlichen zwei sind: “die Begrenzung des Schadens auf die versprochene Leistung, es sei denn, der Ersatz des weitergehenden Schadens ist vereinbart” (Art.1382 Abs.1 C.c.) und verpflichtet den säumigen Leistungsschuldner zur Zahlung “unabhängig vom Beweise des Schadens”(Art.1382 Abs.2 C.c.). Die Nichterfüllung kann endgültig sein oder aus dauerndem Verzug bestehen: die Vertragsstrafe kann für den einen oder den andern Fall vorgesehen sein, aber die beiden Situationen werden getrennt behandelt. Wenn sich die Nichterfüllung als endgültig herausstellt, hat der Gläubiger die Wahl, gem. Art.1383 C.c. Erfüllung oder die Strafzahlung zu verlangen, – allerdings nicht kumulativ – um eine ungerechtfertigte Bereicherung des Gläubigers zu vermeiden. Wenn die Strafe dagegen für den einfachen Verzug vorgesehen ist, und dieser eintritt, bedarf es keines Verbots der Kumulierung: der Gläubiger kann die noch nicht erfüllte Leistung gemeinsam mit der Vertragsstrafe für den Verzug verlangen. Zudem kann die Strafe auch vom Richter angemessen reduziert werden, „wenn die Hauptleistungspflicht teilweise erfüllt ist, oder wenn die Höhe der Vertragsstrafe unangemessen hoch ist, jeweils mit Rücksicht auf das Erfüllungsinteresse des Gläubigers“, Art.1384 C.c. Ein komplexeres Problem ergibt sich in Fällen, in denen der Schaden nicht bewiesen werden kann.
69
Vgl. z.B. Cass. 5460/95.
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Lange ist über die Frage gestritten worden, ob die Vertragsstrafe sanktionierende oder kompensierende Wirkung hat.70 Aus unserer Sicht sind beide Positionen miteinander vereinbar. Die herrschende Meinung in der Lehre wird von der Rechtsprechung geteilt und stellt ebenfalls beide Funktionen auf eine Ebene: „Mit der Vertragsstrafe regeln die Parteien die Folgen der Nichterfüllung abweichend von der gesetzlichen Regelung, indem sie eine präventive und einvernehmliche Liquidation des Schadens vereinbaren. Diese Ansicht wird auch nicht dadurch geändert, daß man in diesen Klauseln auch ein punitives Element erkennen kann, denn mit ihr wird eine Sanktion für die Nichterfüllung einer geschuldeten Leistung angedroht, unabhängig vom tatsächlich entstandenen Schaden.“71 Somit zeigt die Vertragsstrafe gleichzeitig einen sanktionierenden und einen kompensierenden Charakter: sie erfüllt in erster Linie den Zweck, den voraussichtlichen Schaden zu liquidieren, soll aber auch eine Sanktion für die Nichterfüllung darstellen. Tatsächlich wird die Strafe auch dem, der keinen Schaden erlitten hat, geschuldet: die Schadensermittlung ist ausgeschlossen. Aus diesen Gründen ist die Nichterfüllung oder der unverschuldete Verzug essentiell mit der Vertragsstrafe verbunden. Der Oberste Gerichtshof, Suprema Corte, hat bestätigt, daß die Nichterfüllung oder der Verzug ausreichende Voraussetzung für die Geltendmachung des Anspruchs auf die Strafzahlung sind, unabhängig von ihrem Gewicht: „Im Bereich der Vertragsstrafen steht es dem Richter nicht zu, den Anspruch wegen der Unerheblichkeit der Nichterfüllung oder des Verzuges zu verweigern, als ob deren Wichtigkeit eine Voraussetzung für die Ausübung dieses Rechts wären.“72 8.1 Aus der Rechtsvergleichung Eine Studie zum englischen und zum französischen Recht, beleuchtet die Unterschiede, die das Recht der Vertragsstrafen in den beiden Rechtsordnungen kennzeichnen,73 dokumentiert aber auch, wie sie sich entlang konvergierender Linien entwickeln. Im englischen Recht werden nur solche Schadensersatzklauseln für gültig erachtet, die zur Vermeidung der Nichterfüllung gedacht sind, hingegen sind solche, die den Schuldner zur Erfüllung ermahnen, ungültig. Denn die primäre Funktion von Klauseln, die wir Vertragsstrafen nennen, ist die Entschädigung des Gläubigers, nicht die Garantie der Durchführung: man muß festhalten, daß im common law der Schuldner Erfüllung oder Nicht-Erfüllung gegen Übernahme des Schadenersatzes wählen kann. Aber auch dann, wenn eine Vereinbarung zur Schadens70
Vgl. die ausführliche Beschreibung der italienischen Positionen in der Rechtslehre Alpa G und Andenas M (2005) Fondamenti del diritto privato europeo, Teil 2 Kapitel 3, 34-37. 71 Cass. 2532/00. 72 Ibid. 73 Miller L (2004) "Penalty Clauses in England and France: A Comparative Study" International and Comparative Law Quarterly (1) 79-106.
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8. Vertragsstrafe
höhe getroffen wurde, ist diese unwirksam, wenn sich kein Schaden nachweisen läßt; die Vereinbarung ist aber wirksam, wenn der Schaden tatsächlich geringer ist, als die vereinbarte Entschädigungssumme. Im französischen Recht hat die Vertragsstrafe eine sanktionierende Wirkung, sie soll entschädigen und die Schadenssumme im Vorhinein festlegen. Der ursprüngliche Gesetzestext war dem italienischen sehr ähnlich, aber der Art.1152 CC ist 1972 geändert worden, als bestimmt wurde, daß der Richter die vereinbarte Summe reduzieren kann, wenn sie unangemessen ist. Auch Art.1231 CC wurde geändert, so daß der Richter auch bei teilweiser Nichterfüllung die Schadenssumme reduzieren kann. 1985 wurde Art. 1152 CC wiederum geändert und dem Richter die Möglichkeit gegeben, die Summe nach gerechten Maßstäben ex officio zu reduzieren. Im deutschen Recht entsteht das Problem vor allem bei der einseitigen Vorgabe von Vertragsbedingungen unabhängig vom Status der Parteien.74 Die Rechtsprechung hat Klauseln, die Schadenssummen von mehr als 5% des Wertes der bestellten Leistung für ungültig erklärt, außer wenn die Vereinbarung Gegenstand „ausführlicher“ Vertragsverhandlungen war. Diese Verhandlung muß dem Verwender die Möglichkeit der prozentualen Reduktion der Verhandlungssumme anbieten, ohne daß dies mit andern Vorteilen für die annehmende Partei kompensiert werden kann. Wenn kein Schaden entstanden ist, behält sich die Rechtsprechung vor, die Klausel nach den Grundsätzen von Treu und Glauben für ungültig zu erklären. Aus diesen kurzen Bemerkungen ergibt sich schon, wie wichtig hier die Rechtswahl für den beratenden Anwalt, der Vertragsstrafen aushandelt, für Wirksamkeit und Effekt dieser Klauseln ist. 8.2 UPICC Die UPICC beschäftigen sich mit zwei Fallgruppen. Die erste, die in den PECL nicht vorgesehen ist, betrifft Fälle, in denen der Richter oder Schiedsrichter die Parteien zwar auffordert, die Leistung auszuführen, und für den Fall der Nichterfüllung ein “Zwangsgeld” (“a penalty”, Art. 7.2.4 UPICC)75 anordnet. Diese Strafe ist nur geschuldet, wenn das anwendbare nationale Recht dies nicht in Form von zwingendem Recht ausschließt (Art. 7.2.4 (2) UPICC); in jedem Fall ersetzt diese Zahlung nicht den eventuellen Schadensersatz. Es ist anzumerken, daß der Richter nach seinem Ermessen über die Anordnung des Zwangsgeldes entscheiden kann und er daher ex officio handelt. Auch hat diese Maßnahme ganz offensichtlich eine sanktionierende Funktion. Die zweite Fallgruppe betrifft Vereinbarungen, die den zu zahlenden Schadenersatz festlegen (Art. 7.4.13 UPICC). Die UPICC sehen vor, daß die vereinbarte Summe auch dann geschuldet ist, wenn die benachteiligte Partei keinen tatsächli74
Vgl. Ulmer P, Brandner H E, et al. (2006) AGB-Recht, hier zitiert nach der Vorauflage dies. (2001) AGB-Gesetz, 161 ff. 75 [Nach dem Vorbild der frz. astreinte.]
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chen Schaden erlitten hat (Art. 7.4.13 (1) UPICC). Hier hat, wie im italienischen Recht, die Bestimmung einen entschädigenden und sanktionierenden Charakter, indem die Schadensbezifferung vorweggenommen wird, und auch unabhängig vom Schadenseintritt fällig ist. Dieser Umstand bedeutet, daß im Vorhinein abgeschätzt werden kann, ob die Ereignisse, an die die Zahlung geknüpft ist, zu einem Schaden für die benachteiligte Partei führen kann. Dennoch kann der Richter oder Schiedsrichter, auch entgegen der Abmachung der Parteien, die Summe auf einen „angemessenen Umfang“ reduzieren, wenn sie unangemessen hoch ist im Verhältnis zu dem tatsächlichen Schaden und allen Umständen (Art. 7.4.13 (2) UPICC). So kann der (Schieds-)richter also auf den Vertragsinhalt einwirken, auch wenn die Verträge dies auszuschließen suchen. Die Reduktion der Schadenssumme ist auf die Erhaltung und Verminderung der Strafzahlungsklausel gerichtet, und zwar bezeichnenderweise nicht unter Hinweis auf fairness oder „Treu und Glauben“, sondern auf „Angemessenheit“. Die Grenzen dieses weiten Ermessens ergeben sich aus drei Indikatoren: die Überhöhung der vereinbarten Summe, die stark ins Gewicht fallen muß; das Vorliegen eines tatsächlichen Schadens; andere Umstände, die diese Entscheidung rechtfertigen. 8.3 Die PECL Die Formulierung in den PECL ist analog zu der in den UPICC; der einzige Unterschied besteht im Gebrauch des Ausdrucks loss, Verlust, in der ersten Auflage und harm, Schaden, in der zweiten. Daher muß man die UPICC und die PECL daraufhin untersuchen, warum die beiden Texte hier voneinander abweichen, obwohl sie sonst so viele Gemeinsamkeiten haben, wie sich aus der Synopsis von Bonell und Peleggi76 ergibt und unter den vielen Anmerkungen dazu in der Literatur möchten wir besonders den Kommentar von Ole Lando hervorheben.77 Für den Praktiker ist es wichtig, die subtilen Unterschiede zwischen den beiden Ausgaben der PECL zu beachten, wenn er die beste Rechtswahl festlegen will.
9. Der Grundsatz der Vertragsautonomie Vom Parteiwillen zu sozialen Werten Die Vertragsautonomie wird als einer der Grundwerte aller Rechtssysteme angesehen. 76
Bonell M J und Peleggi R (2004) "UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts and Principles of European Contract Law: a Synoptical Table" Uniform Law Review (2) 315. 77 Lando O (2003) "Principles of European Contract Law and Unidroit Principles: Moving from Harmonisation to Unification?" Uniform Law Review (1/2) 123-34.
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9. Der Grundsatz der Vertragsautonomie
Im Rahmen eines Kongresses 1991 in Oporto überlegte Prof. Canaris, warum die Beziehung zwischen Freiheit und Vertragsgerechtigkeit stets hinterfragt wird, und ob die immer noch existierenden Unterschiede zwischen Rechtsordnungen durch die damals gerade ausgearbeitete Richtlinie der EG über die mißbräuchlichen Klauseln geglättet werden würden. Canaris führte aus, daß in einer “Gesellschaft des Privatrechts” die Selbstbestimmung ein grundlegendes Prinzip sei, dem die Selbstverantwortung entspreche. Eine solche Gesellschaft ist unauflöslich an die Marktwirtschaft gebunden, in dem der Staat die Wettbewerbsfreiheit sichert. Eine solche Gesellschaft wird durch Eingriffe für soziale Zwecke (wie Hilfe für Bedürftige oder Subventionen etc) nicht in ihren Grundfesten erschüttert, denn trotz dieser staatlichen Eingriffe gibt es immer noch enorme Freiräume, in denen die Bürger ihre Ziele frei verfolgen können und entscheiden, wie sie dies tun. Gibt es aber in den Rechtsordnungen genügend Ressourcen, um diese Freiheit mit der Vertragsgerechtigkeit in Einklang zu bringen? Für das deutsche Recht hat Canaris verschiedene Konzepte beschrieben. Das erste und traditionellste ist das von Flume: getreu dem Grundsatz sta pro ratione voluntas ist der Parteiwille und nicht der Vertragsinhalt ausschlaggebend. Diese Position ist der Marktökonomie am nächsten stehend, gemeinsam mit von Hayek. Die Marktwirtschaft (im Sinne der Analysen nordamerikanischer Juristen)78 bedingt die Übernahme von Risiken, die nicht gleichmäßig auf die Parteien verteilt werden können, aufgrund ihrer vertraglichen Vereinbarungen; die Wirtschaft bedingt auch die Festigkeit der Vertragsbeziehungen und damit die Sicherheit von Investitionen; die Wirtschaft bringt das freie Spiel der Gegenleistung mit sich, so daß vom Zeitpunkt des Aufeinandertreffens des freien Willens der Parteien sich das bestmögliche Funktionieren des Handels ergibt, in das der Richter nicht eingreifen soll. Diesem Konzept, welches praktisch in allen privatrechtlichen Kulturen verwurzelt ist, stehen die Thesen von Zweigert und Kötz gegenüber, die sie in ihrer “Einführung in die Rechtsvergleichung” vorstellen. Sie sehen in der Vertragsfreiheit eine Utopie, ein imaginäres Modell, sofern es seine Basis in wirtschaftlicher und sozialer Gleichheit der Parteien findet; diese fände sich nur zwischen großen Unternehmen als untypischen Vertragsparteien; inzwischen werde in allen Rechtsordnungen das Prinzip der “Vertragsgerechtigkeit” entdeckt. Nach Canaris ist die ungleiche Ausgangslage der Positionen der Vertragspartner besonders deutlich im Wettbewerbsrecht. Eine neuere Antwort wurde von Schmidt-Rimpler gegeben, nach dem es genau dieser interne Mechanismus des Vertrages ist, der die Gerechtigkeit des Handels sicherstellt. Denn einer ausgesprochen mißbräuchlichen Handlung der einen Partei 78
Sog. ökonomische Theorie des Vertragsrechts, ursprünglich zurückzuführen auf R A Posner, heute auch vertreten von E A. Farnsworth u.a. Siehe hierzu die Einführung und Übersicht zum US- amerikanischen, deutschen und österreichischen Recht bei Grechenig K und Gelter M (2008) "Divergente Evolution des Rechtsdenkens - Von amerikanischer Rechtsökonomie und deutscher Dogmatik" Rabels Zeitschrift 72 (3), 513-61.
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folgt der Widerstand der anderen. Canaris hält dem entgegen, daß sich dieses Konzept nur für Individualverträge eignet, nicht aber auf einer massenhaften Ebene. Canaris ist der Meinung, daß die Vertragsfreiheit die Alternative zu staatlichem Handeln ist: die Vertragsfreiheit ist ein Instrument des Ausdrucks der Persönlichkeit. Dieses Prinzip ist strikt verbunden mit dem Demokratieprinzip und dem freien Wettbewerb. Im Hinblick auf das Verhältnis von Freiheit und Vertragsgerechtigkeit kehrt Canaris die Formulierung um: man muß sich damit zufriedengeben, daß die Freiheit, ein Wert an sich, nicht zu Ungerechtigkeit führt, und man deshalb nicht die Gerechtigkeit damit verfolgen sollte, sondern die Vermeidung gravierender Ungerechtigkeit. Man müsse außerdem die Würde der Person achten und den Pluralismus in der Gesellschaft erhalten. Er vergleicht seine These sodann mit vier Erfordernissen der Privatrechtsgesellschaft: die erste ist die Dauerhaftigkeit des Erwerbs. Nur die Vertragsfreiheit kann die Sicherheit wirtschaftlicher Transaktionen garantieren, durch die Übertragung von Rechten. Die zweite ist der Gewinn für den Gewerbetreibenden, mit dem er für die Übernahme von Risiken und die richtige Entscheidung belohnt wird. Die dritte ist die Bedürfnisbefriedigung, die der Verbraucher mit Hilfe des Vertrages erzielt. Die vierte ist die Gerechtigkeit des gleichen Ausgangspunktes, die sich vom (historischen) feudalen Privileg unterscheidet. Für Canaris ist also die Vertragsfreiheit geschützt, weil sie ein Merkmal der Freiheit ist, nicht weil sie ein Merkmal der Gerechtigkeit ist. Wenn wir von juristischer Gerechtigkeit sprechen, sind wir uns dessen bewußt, daß “effektive” oder “absolute” Gerechtigkeit etwas anderes ist; sie begründet eine Mindestvoraussetzung, die Korrektive erfordert: man muß zu der Macht der Unternehmen ein Gegengewicht bilden – Gerechtigkeit wird im Kollektivvertrag der Gewerkschaften in Arbeitsverträgen gesucht; sie wird erreicht durch die Auferlegung von Informationspflichten; auch beim Verbraucherkredit, wo eine EU Richtlinie unter anderem verlangt, daß dem Verbraucher die effektive Zinsbelastung mitgeteilt wird. Ein weiteres Korrektiv schlägt Canaris für den Massenvertrag vor. Die Unmöglichkeit der individuellen Verhandlung und Abänderung vorgegebener Vertragsinhalte, sowie der geringe Wettbewerb, den der Verbraucher mangels Vergleichsmöglichkeiten nicht nutzen kann, macht das Eingreifen des Richters erforderlich. Canaris erklärt sich deshalb zufrieden mit der deutschen Lösung des AGBGesetzes, kritisiert aber die Lösung des Gemeinschaftsrechts, da er die Regelung der mißbräuchlichen Klauseln als Auflistung zu strikt findet, da diese auch Individualverträge mit einbezieht, und im Hinblick auf Leistungsstörungen eine ex post Betrachtung der Preisbildung generiert, die jedoch dem Markt überlassen bleiben sollte. Noch störender findet er das Zugeständnis an den Verbraucher, daß er eine mißbräuchlich geforderte Zahlung verweigern könne.
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9. Der Grundsatz der Vertragsautonomie
Den Thesen Canaris’ entgegengesetzt sind solche, die auf einer gesellschaftlichen Solidarität bestehen, die die Privatautonomie beschränken.79 Die gegenwärtige Debatte über die Vertragsfreiheit kann sich einer Überprüfung des Vertragsrechts als eine imaginäre Struktur, die mit einer idealisierten Sprache die gesellschaftliche Ordnung und damit die Machtverteilung in den wirtschaftlichen Beziehungen rechtfertigt, nicht entziehen. Gegen die Auffassung, die das gesellschaftliche Interesse über das private stellt, erhebt sich zunehmend in vielen Rechtsordnungen (speziell im common law) eine starke Auslegung der neoliberalistischen Ideologie, gespeist von der weit gefaßten Privatautonomie und der Untragbarkeit externer Eingriffe in private Angelegenheiten.80 Der Wert der Vertragsfreiheit wird vor allem aus historischer Perspektive deutlich. Wir wollen die Diskussion mit den Ergebnissen der Diskussion aus dem common law abschließen, da dieses sich dem Phänomen mit großer Aufmerksamkeit widmet. Die Wandlungen dieses Jahrhunderts sind nach Atiyah81 drei Faktoren geschuldet: den Standardverträgen, den Kollektivverträgen und der Institutionalisierung des Vertrages als Aspekt der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Nach Atiyah hat sich das wirtschaftlich-soziale System nicht fortentwickelt. In den Verbraucherverträgen der 60er und 70er Jahre wurden Maßnahmen eingeführt, die manche als “paternalistisch" erachten, um das vertragsinterne Machtgefüge auszubalancieren. Jedoch erscheint die Erkenntnis von der anfänglichen Ungleichheit der Parteien als große Erleichterung, die vermittels Spezialgesetzen umgesetzt wurde, die der besseren Gewichtung der Vertragsbeziehung dienten, und dadurch auch geeignet waren, eine Bresche in die Tradition des common law zu schlagen, z. B. mit Kontrolltechniken wie der economic fairness.82 Es gibt auch Kritik an der „protektionistischen“ Verbrauchergesetzgebung von Seiten derer, die den gesetzgeberischen Eingriff unnütz finden, sofern der Markt selbst die Instrumente besitzt, „um die unguten Produkte vom Markt zu vertreiben und die gute Qualität im Handel zu halten.“ Man muß aber sehen: wie kann ein Verbraucher zwischen Produkten unterscheiden, die normalerweise verpackt und mit unverständlichen Informationen gekennzeichnet sind? Daß der Schutz der schwächeren Partei nicht durch Sachverhalte gerechtfertigt ist, hat, in Anbetracht gesetzgeberischer Maßnahmen auf den Gebieten leasing und Konsumentenschutz, Lord Scarman in National Westminster Bank v. Morgan 83 prägnant ausgedrückt –
79
Ghestin J (1995) Traitè de droit civil, introduction gènèrale. Vgl. auch Knobel U (2000) Wandlungen im Verständnis der Vertragsfreiheit. 81 Atiyah P S (1986) Rise and fall of freedom of contract. 82 Treitel G H (1987) The Law of Contract. 83 [1985] 2 W.L.R. 588, [1985] A.C. 686, 708: “and even in the field of contract I question whether there is any need in the modern law to erect a general principle of relief against inequality of bargaining power. Parliament has undertaken the task - and it is essentially a legislative task - of enacting such restrictions upon freedom of contract as are in its judgment necessary to relieve against the mischief: for example, the hire-purchase and consumer protection legislation, of which the Supply of Goods (Implied Terms) Act 1973, Consumer Credit Act 1974, Consumer Safety Act 1978, Supply of Goods and Ser80
Teil 2 Kapitel 3 Die Entwicklung des Vertragsbegriffs
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daß die Gerichte nicht die belastende Aufgabe übernehmen dürfen, neue Beschränkungen der Vertragsfreiheit zu formulieren, weil sich im Vertragsrecht ein Bedürfnis nach der Aufstellung eines allgemeinen Prinzips der Zurückdrängung der Kontrahierungsbefugnis der Privaten ergibt. Dieser Auffassung der neuen Auflage der Vertragsfreiheit in einer Analyse mit dem Titel „Ideologie des Vertrags“84 ist entgegengehalten worden, daß es nicht möglich sei, aufgrund der geäußerten Meinungen dem Formalismus oder dem Realismus den Vorzug zu geben. Man kann hierauf einwenden, daß die traditionellen Regeln des Vertrages dem Handel Sicherheit verleihen und für die Parteien Klarheit bedeuten. Wir unterstützen auch die kommerzielle Praxis: warum eingreifen, um die von den Parteien frei errichtete Ordnung ihrer Interessen abzuändern? Was den “Konsumerismus” betrifft, hat die englische Rechtsprechung einige Grundsätze behandelt: die Kohärenz des Verhaltens in einseitigen Verträgen; die Verhältnismäßigkeit der Entschädigung im Verhältnis zum entstandenen Schaden; die exceptio doli; die Unmöglichkeit, aus dem eigenen Verhalten Gewinne zu ziehen; die Verlustzuweisung für den “risk bearer”; der ungerechtfertigte Vorteil der stärkeren Partei; die Korrektheit in Verbraucherverträgen; der Schutz der weniger informierten Partei; die Unmöglichkeit der Exkulpation der verursachenden Partei. Was ist also heute die Rolle des Vertragsrechts? P.S. Atiyah hat die folgenden Antworten vorgeschlagen: - die Schaffung neuer Obligationen. Dies mag für den civil lawyer eine Selbstverstädlichkeit sein, aber für den common lawyer ist dies ein innovativer Vorschlag, da die traditionelle Vertragsdoktrin darauf fußt, daß das “Versprechen” von außen unantastbar ist; - Kooperationspflichten: Hieraus ergeben sich vielfältige Aussichten,85 sowohl theoretische wie auch praktische. In der letzten Zeit hat sich vor allem die Korrektheit (fairness) als Parameter zur Interessenbewertung und Verhaltensmaßstab im Vertrag ergeben: eine Neuerung, die das common law dem Kontinentalrecht annähert. Auch die consideration wird zumindest im common law als unzureichend angesehen, um die Grundlage für die Gerechtigkeit zu liefern, außer in eklatanten Fällen, und zwar im Hinblick auf Fälle, in denen eine Partei den Abschluß nachträglich bereut. Diese eklatanten Fälle von unfairness werden allerdings zumeist unter dem Gesichtspunkt von Willensoder Einigungsmängeln behandelt. Auch ist seit Neustem die Vorstellung der Freiwilligkeit und Subjektivität aufgegeben worden zugunsten der sogenannten “kognitiven Schwäche”, womit ein
vices Act 1982 and Insurance Companies Act 1982 are examples. I doubt whether the courts should assume the burden of formulating further restrictions.” 84 Adams J N und Brownsword R (1987) "The ideologies of contract" Legal Studies (7) 205–23. 85 Vgl. näher Atiyah P S (1986) Rise and fall of freedom of contract.
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9. Der Grundsatz der Vertragsautonomie
Mangel an adäquaten Informationen gemeint ist. Dies bezieht sich auf das Verhalten der Parteien, nicht auf den Gegenstand der Geschäfte, aber es ist eine Fiktion.86 Atiyah meint, man müsse heute die materielle fairness bewahren. Anhand einer ansehnlichen Reihe von Beispielen zeigt der Autor, daß eine Rechtsordnung sich nicht nur mit dem Abschluß von Geschäften befaßt, sondern auch mit deren Resultaten. Aber kann man die geschäftliche Gerechtigkeit in den Vertrag aufnehmen? Sowohl von Seiten der Vertreter der liberalistischen Theorie, wie auch derjenigen der ökonomischen Effizienz, ist die Antwort negativ.87 Andern zufolge muß eine stärkere Kontrolle des Vertragsinhalts verfolgt werden. Dies ist eine andere Form derselben Frage: die Frage nach der Rolle des Richters als “Reparaturbetrieb” für den Vertrag. Man muß aber zu Bedenken geben, daß in einem System von Präzedenzfällen die Gefahr besteht, daß eine traditionelle Anwendung von Prinzipien zu einer Überhöhung der Vertragsfreiheit des neunzehnten Jahrhunderts führen kann. Englische Richter, die auf die Absichten der Parteien zurückgreifen, stehen im Bereich der klassischen Vertragstheorie. Es gibt aber Richter, die zugeben daß sie “in aller Unschuld” die von den Parteien vorgegebene Lösung festlegen.88 Hingegen werden die meisten Probleme der Vertragsmodelle, die sich in den Randbereichen der Geschäftsfähigkeit, der Widerrechtlichkeit und der consideration ergeben, durch die sogenannte construction (Auslegung) gelöst, und somit vermittels einer Interpretation, die wir “integrativ” nennen könnten: ein Thema, welches sich direkt auf die Vertragsfreiheit auswirkt. In den wichtigsten englischen Standardwerken zum Vertragsrecht, wie denen von Treitel und Cheshire und Fifoot, wird die moderne Technik der construction gar nicht erwähnt. Sie wird statt dessen auf die Interpretation von Dokumenten verlagert. Trotzdem ist diese Technik sehr erfolgreich. Dies liegt (nach Atiyah) an vielen Umständen, unter anderem an ihrer Elastizität: die Würdigung der Umstände erlaubt dem Richter, sie wie einen Schirm oder einen Trick zu benutzen, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen, und erlaubt ihm, dies wie die “notwendige Folge der Umstände” erscheinen zu lassen. Außerdem erlaubt diese Technik, die Abhängigkeit von den Regeln des Präjudizes zu vermeiden. Wie verträgt sich dies mit der Rechtssicherheit und der “Vorhersehbarkeit” der Entscheidung? Dies wird mit der Präzisierung der Regeln, nach denen diese Technik angewandt wird, beantwortet. Dieser kurze Ausflug in das englische Recht – eine der Hochburgen der Vertragsfreiheit– zeigt, wie diese Debatte neue Erscheinungsformen der traditionellen
86
Vgl. Grunsky W (1995) Vertragsfreiheit und Kräftegleichgewicht: Vortrag, gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 25. Januar. 87 Treitel G H (1987) The Law of Contract. 88 Lord Wilberforce in National Carriers Ltd v. Panalpina [1981] AC 675, 696: “I think that the movement of the law of contract is away from a rigid theory of autonomy towards the discovery - or I do not hesitate to say imposition - by the courts of just solutions, which can be ascribed to reasonable men in the position of the parties.”
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Prinzipien hervorbringt, und daß es notwendig ist, diese an die Erfordernisse der modernen Gesellschaft anzupassen. Mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit sind verbunden: das Konsensprinzip, die Lehre der Causa, nach der jede Vermögensverschiebung einer Rechtfertigung bedarf, und schützenswert sein muß; das Prinzip des vertraglichen Gleichgewichts, welches für die korrespondierenden Leistungen wichtig ist, sowie für die Erfüllung, der Eintritt unvorhergesehener Ereignisse, oder solche, die die Ökonomie des Vorgangs erschüttern. Dieses Prinzip, welches in unterschiedlicher Weise formuliert und mit verschiedenen Techniken auch in Deutschland angewandt wird (nach der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage, jetzt §313 BGB), sowie in Frankreich (imprévision), in England (frustration of contract) und in Italien (Theorie der Voraussetzung, presupposizione), soll das Gleichgewicht zwischen den Parteien wiederherstellen, sowie ihr ursprüngliches “Programm”, im Falle von unvorhergesehenen Ereignissen.
10. Vertragsfreiheit als Verfassungswert? Im italienischen Recht verdanken wir Pietro Rescigno die wichtigsten Überlegungen zu diesem Thema.89 Im Bereich der Geschäftsautonomie scheint die Vertragsautonomie der Privatperson größere Möglichkeiten zu verleihen, als andere Instrumente. Diese umfaßt i.S. des Art. 1329 des C.c. die Freiheit, den Vertragsinhalt frei zu bestimmen und auch nicht vom Gesetz vorgegebene Vertragstypen abzuschließen, also die Abschluß- und Inhaltsfreiheit. Was ist das Wesen der Vertragsfreiheit? Es scheint, daß die italienische Verfassung anders als das Bonner Grundgesetz eine nur indirekte Vertragsfreiheit vorsieht. Es ist nicht angemessen, auf Art. 2 der ital. Verfassung hinzuweisen, denn nicht jeder Vertrag begründet eine Gemeinschaft (ein Zugeständnis an nationalsozialistische deutsche Doktrin). Es sind nur einige Formen der Vertragsautonomie ausdrücklich garantiert, nämlich die Vereinigungsfreiheit (Art. 8) und die Eheschließungsfreiheit (Art. 29). Diese Fälle betreffen das “Ob” des Vertrages. Das Fehlen einer verfassungsrechtlichen Garantie der Vertragsfreiheit90 hilft nicht bei der Lösung des alten Problems, diese im Verhältnis zu allen anderen Grundrechten in eine Werterangfolge einzuordnen – in einem Katalog, in den sie nicht aufgenommen wurde. Dies ist das Thema der direkten Anwendbarkeit der Grundrechte (sog. Drittwirkung im deutschen Recht), also ob die Grundrechte unmittelbar auf private Verfügungen und Vereinbarungen einwirken. Meist han89
Rescigno P (1967) "L’autonomia dei privati" Iustitia, 3; siehe zum deutschen Recht z.B. Bäuerle M (2001) Vertragsfreiheit und Grundgesetz: Normativität und Faktizität individueller Vertragsfreiheit in verfassungsrechtlicher Perspektive; Becker M (2003) Der unfaire Vertrag: verfassungsrechtlicher Rahmen in privatrechtlicher Ausfüllung. 90 Vgl. oben Teil 1 Kapitel 3, 1.1.
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10. Vertragsfreiheit als Verfassungswert?
delt es sich hierbei um Diskriminierung, die private Parteien in Ausübung ihrer Vertragsfreiheit vornehmen; solche, die verfassungsrechtlich verboten wären, würden sie durch Gesetz vorgenommen.91 Tatsächlich kann man die Ergebnisse der Drittwirkungstheorie durch die traditionellen Instrumente der Gerichte für den privatrechtlichen Vertrag erreichen, nach dem ordre public und nach Treu und Glauben bzw. die guten Sitten. Außerdem haben bestimmte Grundsätze, wie die Gleichheit, auch auf der Ebene von privatrechtlichen Rechtsinstituten eine Wirkung. Andere Institute, die in Art 41 und 42 der Verfassung geschützt sind, schützen auch die Vertragsfreiheit und wirken somit auch auf diese zurück. Die Verbindung zwischen Privateigentum und privater wirtschaftlicher Initiative ist bedingt; die Geschichte des Kapitalismus führte zu der Überlegung, ob Gesellschaftsschichten mit begrenztem Privateigentum in ihrer Abschlußfreiheit beschnitten seien. Es wurde vorgeschlagen, die Art. 41-47 der ital. Verfassung (Cost.) so auszulegen, daß der soziale Nutzen an der Basis der Privatinitiative stehe, und nur in den Grenzen der Verwirklichung sozialen Nutzens solle der Schutz der Rechtsinstrumente dieser Initiative aufrechterhalten werden, welches das Vermögen, die Unternehmertätigkeit, das Eigentum und der Vertrag sind. Wenn man am Inhalt des Art 41 (2) Cost. den Kontrast zwischen sozialem Nutzen und Schaden für die Sicherheit festmacht, scheint er die Wirkung einer externen Begrenzung der Abschlußfreiheit zu haben. Die soziale Nützlichkeit ergibt sich aber bei dieser Auffassung aus der privatwirtschaftlichen Initiative. Hieran schließt sich die Debatte um die Funktionalität des Unternehmertums und damit von Eigentum und Vertrag an. Der dritte Absatz des Art. 41 betrifft das Problem der Beziehung zwischen Autonomie und Automatisierung. Man kann nicht sagen, daß Automatisierung die Vertragsfreiheit beschränkt, da sogar in der Hochphase des Kapitalismus und Polizentrismus die Vertragsfreiheit einige Schwachstellen erfuhr (das eklatanteste ist der Vertragsschluß durch Zustimmung). Auch trägt die Massenproduktion zu einem substantiellen Mangel an Vertragsfreiheit (die Inhaltsfreiheit) für den Verbraucher bei, auch vor Vertragsschluß: ihn erreicht das Produkt in der Lieferkette zuletzt; es gibt gesetzliche Abschlußpflichten; es gibt aufgezwungene Vertragsklauseln. Es gibt noch eine andere Diskussion: die Position des Richters, der den Wert des Vertrags prüft und die Verschiebung des Machtgefüges zwischen den Parteien korrigiert. Im Bereich des common law ist dies die Regelung der consideration. Der Eingriff des Richters mit korrigierenden Mitteln führt im common law oft zu Beseitigung oder Anpassung des Machtgefälles zwischen den Vertragsparteien. Auch die Bewertung des Richters in Fällen von frustration ist oft darauf gerichtet, die Einordnung der Parteien in wirtschaftliche und soziale Klassen zu erwägen. Von außen betrachtet erreichen staatliche und Schiedsrichter das gleiche Ergebnis wie die kapitalistische Wirtschaft, nämlich die Standardisierung des Vertrages.
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Art. 3 der ital. Verfassung.
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Hierauf ist auch die gewerkschaftliche Freiheit mit dem Kollektivvertrag gerichtet. Zwei parallele Prozesse sind durch die Industriekonzentration ausgelöst worden. Von der Beweglichkeit des Vertrages, die von den liberalen Kodifizierungen abstrakt konzipiert wurde, kehrt man zur Rigidität des status zurück. Nicht, weil die gesellschaftlichen Umstände der Person alles dominieren, sondern der Status ist wichtig, weil auf jedem Tätigkeitssektor Verträge nach Typen und Formen aus der gesellschaftlichen Funktion der Parteien entstehen, bis dahin, daß der Vertrag als Mittel, durch den staatliche Wirtschaftspolitik ausgedrückt wird, angesehen wird. Wo dies besonders akut ist, interveniert der Staat, wie z.B. mit dem italienischen Gesetz von 1964 über die Agrarverträge, mit denen altertümliche Vertragsformen verboten wurden, mit Nichtigkeitsfolgen. Die Vertragsautonomie zeigt sich nicht nur in der Freiheit der Inhaltsbestimmung, sondern auch in der Freiheit, untypische Gestaltungen zu wählen. Im System des gereiften Kapitalismus findet sich Vertragsfreiheit, im Sinne einer Fülle von Wahlmöglichkeiten, nur in einem sehr eingeschränkten Bereich, und schlimmstenfalls nur dort, wo sich Personen oder Gruppen mit wirtschaftlicher Macht finden. Die Verträge sind nur soweit frei, wie sie keinen Anlaß zu einer Störung dieses Wertes geben. Es ist daher offensichtlich, daß die Logik des kapitalistischen Systems, dort wo sie die Vertragsfreiheit sichert, Wirkungen zuläßt, die über die Sphäre der Vertragsparteien hinausgehen, und geradezu in die allgemeine Öffentlichkeit hineinreichen, also alle Bezieher oder Verbraucher von vorgefertigten Produkten und Dienstleistungen. So machten die ersten Untersuchungen der Wettbewerbsbeschränkungen auch nicht zufällig die Verträge zu Lasten Dritter aus.92 Eigentum, Vertrag und Haftung sind Rechtsinstitute, die stets aus dem Blickwinkel der Krise betrachtet werden; andere sehen im Vertrag ein fungibles Instrument mit vielen Funktionen. Die Ablehnung der traditionellen Bedeutung ist dem Art. 1322 C.c geschuldet; der Jurist weiß, daß eine Rechtsordnung sich mit der Zeit wandelt, und glaubt nicht an unauflösliche juristische Formen, denn sie wurden von der jeweiligen Kultur geformt. 10.1 Die Rolle des Verfassungsgerichts Diese Diskussion umfaßt eine erneute Betrachtung der Frage des Zusammenhangs zwischen wirtschaftlicher Freiheit und dem Schutz der Persönlichkeit; es ist insbesondere vorgeschlagen worden, daß die Geschäftsautonomie ihre Wurzeln im Art.
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Die Frage der zivilrechtlichen Ansprüche durch Kartelle Geschädigter, sei es als Mitglied oder Dritter. Siehe hierzu die Fallserie Courage Ltd. v Crehan [1999] 2 EGLR 145 (CA); Case C-453/99 Courage Ltd. v Crehan [2001] ECR I-6297, [2001] 5 CMLR 28; Crehan v Inntrepreneur Pub Co [2003] EWHC 1510 (Ch); und R. Nazzini and M. Andenas: “Breach of Competition Law in English Courts” (2006) EBLR 889-1214.
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10. Vertragsfreiheit als Verfassungswert?
2 Cost. hat, 93 daß dieser keine offene Norm ist,94 und daß dies auszuschließen ist, da der verfassungsrechtliche Schutz der Geschäftsfreiheit nur indirekt ist. Manche vertreten die Ansicht, daß der Markt jegliche Verfassung gänzlich ignoriert,95 und daß deshalb Marktfreiheit nur in den Grenzen des Art. 41.2 Cost. existieren kann,96 und die Vorschrift ist nicht nur an den Gesetzgeber, sondern an alle, auch die Unternehmer gerichtet.97 Der Staat kann im Zweifel nicht mit Privaten in Wettbewerb treten; er darf nur indirekt intervenieren, nach dem Subsidiaritätsprinzip, wenn private Initiativen fehlen oder unzureichend sind. Diese Maßgabe ist aber nicht im Verfassungstext enthalten. Insgesamt darf die wirtschaftliche Freiheit nicht mit der persönlichen Freiheit oder der Garantie des Eigentums verwechselt werden. Es ist ein quid pluris, entstanden durch die Verbindung einer Summe von Rechten und der Freiheit, eine Tätigkeit mit dem Ziel, Produktion oder Handel mit Waren und Dienstleistungen auszuüben.98 Diese Schlußfolgerung hat auch der Verfassungsgerichtshof (Corte cost.) in verschiedenen Entscheidungen gezogen, in denen ausgeführt wurde, daß die Vertragsautonomie nicht direkt durch die Verfassung geschützt wird, aber wesentlich für die Ausübung wirtschaftlicher Freiheit ist;99 daß Gewinnstreben legitim ist, und, obzwar Preisregulierung zulässig ist, die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit nicht unterdrückt werden darf;100 daß der Gesetzesvorbehalt relativ ist; daß der Eingriff des Staates zur Verhinderung privater Monopole rechtmäßig ist;101 daß Eingriffe zur Beseitigung von Wettbewerbshindernissen in der Errichtung eines öffentlichen Monopols bestehen können;102 daß Zielsetzung sozialer Wohlfahrt in pragmatischen Programmen erklärt, aber nicht willkürlich und rigide umgesetzt werden dürfen;103 daß wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen (Kartelle) im öffentlichen Interesse verboten werden können.104
93
Guarino G (1980) Quale costituzione? Saggio sulla classe politica Pace A (1993) "Libertà del mercato" Pol.dir., 327. 95 Amato G (1977) La costituzione economica, in: Trattato di diritto commerciale e di diritto pubblico dell’economia, Galgano F, Hrsg. 1, 209. 96 Pace, op. cit. Anm. 94. 97 Oppo G (1998) "L’iniziativa economica" Rivista di diritto civile (1), 311. 98 Galgano F (2008) Diritto commerciale: L'imprenditore-Le società, zitiert nach Vorauflage 1992, 161; vgl. zu der Thematik auch den Beitrag zum decreto legislativo., [Legislative Decree], 24 March 2006, n° 155 von Antonio Fici: A The new Italian law on social enterprise. Vortrag für: Emerging models of social entrepreneurship: possible paths for social enterprise development in central east and south east Europe, 28-29 September 2006. 99 Sent. 7 / 1962. 100 Sent. 144/1962. 101 Sent. 59 /1960. 102 Sent. 255 / 1974. 103 Sent. 46 / 1963. 104 Sent. 233 / 1982. 94
Teil 2 Kapitel 3 Die Entwicklung des Vertragsbegriffs
241
Beschränkungen der wirtschaftlichen Freiheit können also legitim und nützlich sein. Wir können deshalb der derzeitig vertretenen Auffassung in der Diskussion, die behauptet, daß um der freien Marktwirtschaft willen die Unternehmerinitiative ihrer Natur nach nicht begrenzt und kontrolliert werden kann, nicht folgen. Jedes Recht, und damit auch die wirtschaftliche Freiheit, entsteht mit Begrenzungen; zunächst ist es begrenzt durch die Freiheitsrechte der andern, wie Kant es sah: die Freiheit des Einzelnen kann nur erhalten werden, wenn die Freiheitsrechte der andern Individuen respektiert werden; auch ist ein Recht durch das öffentliche Interesse begrenzt; die freie Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit kann für die Öffentlichkeit schädlich sein, also für die Verbraucher, die “Passanten” (bystanders), für die Nationalökonomie usw. Es darf nicht erstaunen, daß die Begeisterung für den reinen Liberalismus heute gering ist.105 Es genügt, festzustellen, daß jede Freiheit Begrenzungen darstellt: die persönliche Freiheit kann durch Strafen eingeschränkt werden, die Freizügigkeit durch Freiheitsstrafen, die Vereinigungsfreiheit durch die Vorgaben der Publizität, die Pressefreiheit durch das Verbot von Falschinformation, Beleidigung, Rufschädigung, Berufsehre der Journalisten usw. Die wirtschaftliche Freiheit ist nicht eines der Grundrechte der Verfassung, sondern eines von sozio-ökonomischen Beziehungen. Deshalb ist sie auch nicht Teil der persönlichen Freiheit. Bei Konflikten zwischen privatem und öffentlichem Interesse unterliegt die Freiheit den Beschränkungen des gesellschaftlichen Nutzens, nicht denen der individuellen Freiheit, Würde und Gesundheit der Person. 10.2 Der deutsche und der niederländische Ansatz Im deutschen Recht ist die Vertragsfreiheit nicht etwa im BGB kodifiziert, da seine Existenz und Schutzwürdigkeit als unverrückbarer Grundsatz einer Marktwirtschaft verstanden werden; deshalb war sie Bestandteil der Weimarer Verfassung von 1919 (Art. 152); diese Vorschrift hatte eine der Zeit geschuldete Schwäche, da sie nicht als zwingende Norm, sondern nur programmatisch abgefaßt war.106 Das Bonner Grundgesetz von 1949 erwähnt die Vertragsfreiheit nicht ausdrücklich, aber die Literatur hierüber und zur Privatautonomie tut ihr Genüge; es gibt Regeln, die als mit der Vertragsfreiheit verbunden betrachtet werden, wie die Garantie des Eigentums, Art. 14 GG, die freie Wahl des Arbeitsplatzes, Art. 12 GG, die Vereinigungsfreiheit, Art. 9 GG und die allgemeinen Persönlichkeitsrechte aus Art. 2 GG. Die deutsche Lehre geht davon aus, daß die Vertragsfreiheit in der Verfassung verankert ist, wenn auch nur mit indirekten normativen Anhaltspunkten. Denn – so beobachtet Flessner –
105 106
Ferrarese M R (1992) Diritto e mercato. Il caso degli Stati Uniti. Flessner A (1994) German Report. International Congress of Comparative Law (Jerusalem 1994), 1.
242
10. Vertragsfreiheit als Verfassungswert?
(i)
die Garantie des Eigentums schließt die Anerkennung des Schutzes der Dispositionsfreiheit mit ein, die bei vielen Rechtsgeschäften ausgeübt wird, wie bspw. der Kauf, das leasing, und die Kreditsicherung, bei der man zwischen dem Schutz des gesicherten Gutes und des Rechtsgeschäfts unterscheiden muß; (ii) die freie Wahl des Arbeitsplatzes muß den Schutz der Arbeit und des Arbeitsvertrages mitumfassen und auch das Unternehmen mit den Rechtsgeschäften, durch die es handelt; (iii) die Vereinigungsfreiheit bedeutet auch die negative Freiheit, sich nicht zusammenzuschließen, oder beizutreten, wobei man wiederum einwenden kann, daß diese Freiheit die Vereinigung betrifft, nicht das sie begründende Rechtsgeschäft; (iv) die allgemeine Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung: hier ist die Diskussion etwas komplexer, denn manche Autoren und Entscheidungen verbinden die Vertragsfreiheit mit dem allgemeinen Grundsatz der Selbstbestimmung und damit mit dem Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes; in der Schweiz zum Beispiel, hat diese Verbindung dazu gedient, das Hausverbot einem Journalisten gegenüber, den der Geschäftsführer eines Kinos wegen einer ablehnenden Filmkritik dort nicht dulden wollte, für rechtswidrig zu erklären.107 Jedenfalls genießt die Vertragsfreiheit nach der herrschenden Meinung in Deutschland den Schutz der Verfassung.108 Daher stellt sich die Frage nach der Legitimität von Gesetzgebung, die diese beschränkt oder verkürzt. In ähnlichen Fällen folgt man hier dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit, nach der der Gesetzgeber die Grundrechte nur zu legitimen Zwecken mit verfassungsmäßigen Mitteln beschränken darf. Dieses Prinzip wird in unterschiedlicher Form angewandt: mal prüft das Verfassungsgericht die Zwecke des öffentlichen Interesses, die die gesetzliche Intervention veranlaßt haben, mal erfolgt die Überprüfung der Formulierung des Gesetzestextes am Maßstab des Grundgesetzes. Ein Beispiel für die erste Vorgehensweise ist die Entscheidung von 20. Juli 1954109 über die Zwangsabgaben zu Gunsten der Schwerindustrie (Investitionshilfegesetz). Das Bundesverfassungsgericht hielt diese Vorschrift für rechtmäßig, da der Gesetzgeber begrüßenswerte Ziele verfolgte. Der Ermessensspielraum des Gesetzgebers hat eine Intervention des Gerichtes auf den Gebieten der Preiskontrolle (17. 107
Schweizerisches Bundesgericht 80 II 26 – 6. Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Februar 1954 i. S. Seelig gegen Studio 4 AG, u.a fogende Rechtsfragen: “Befugnis des Kinoinhabers, einem Zeitungsberichterstatter den Zutritt zu seinen Filmvorführungen zu verweigern. Berufung, Zulässigkeit. Streitigkeit nicht vermögensrechtlicher Natur.... Kein Anspruch auf Zutritt nach den Grundsätzen über den Kontrahierungszwang, die Offerte an jedermann oder wegen Verstosses der Zutrittsverweigerung gegen die guten Sitten (Erw. 4)“, erhältlich unter http://www.bger.ch 108 Vgl. Bäuerle M (2001) Vertragsfreiheit und Grundgesetz: Normativität und Faktizität individueller Vertragsfreiheit in verfassungsrechtlicher Perspektive; Becker M (2003) Der unfaire Vertrag: verfassungsrechtlicher Rahmen in privatrechtlicher Ausfüllung. 109 BVerfGE 4, 27.
Teil 2 Kapitel 3 Die Entwicklung des Vertragsbegriffs
243
Nov. 1958),110 der Preisbindung für Medikamente (31. Okt. 1984), Altersvorsorge (31 Mai 1988), sowie im Wohnungsmietrecht und Verbraucherrecht (8. Jan. 1985, 4 Juni 1985, 12 Feb. 1989, 14 Feb 1989) herausgefordert. Eine analytischere Vorgehensweise sieht man in einer Normenkontrollklage entschieden am 13. Juni 1961, über die Arbeitszeit in Betrieben, die den Angestellten einen geregelten Lebensstil erlauben und den Wettbewerb unterstützen sollte. Das Gericht beschloß, daß die Beschränkung der Zeiten sich nicht automatisch auf Händler und Dienstleister erstrecken sollte. Folgerichtig wurde später entschieden, daß Tankstellen stets geöffnet bleiben können. Andere grundlegende vertragsrechtsrelevante Entscheidungen betrafen die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen aus Heiratsvermittlung (Schutz der Familie) und Prostitution (Sittenwidrigkeit) und sogar Unterhaltsansprüche daraus (17. April 1986), wobei das Gericht trotz der Freiwilligkeit der übernommenen Verpflichtungen einen Eingriff gerechtfertigt sah. Die oben bereits erwähnte Entscheidung 89, 214 vom 19 Okt 1993,111 die eine Bürgschaftsübernahme durch eine mittellose und fachunkundige Tochter für das Geschäft ihres Vaters betraf, fand auch außerhalb Deutschlands Beachtung. Hondius bezog sich in seiner Analyse dieses Themenbereichs im Lichte des niederländischen Rechts auf diese Entscheidung.112 Dies ist um so interessanter, als die Niederlande zwar eine geschriebene Verfassung haben, aber keine ausdrückliche Garantie der Vertragsfreiheit, kein Verfassungsgericht, und auch keine Rechtstheorie, die die direkte Anwendbarkeit von Verfassungsnormen auf die Beziehungen unter Privaten ausgearbeitet hätte. Die Abwesenheit gerichtlicher Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen hat die niederländischen Gerichte jedoch nicht davon abgehalten, die Vorschriften der Verfassung in solcher Weise anzuwenden, also auf sog. “horizontale”113 Beziehungen. So hob im Fall eines minderjährigen Sohnes eines jüdischen Vaters und einer nicht-jüdischen Mutter, dem die Zulassung zu einer jüdischen Schule in Amsterdam114 verweigert wurde, der Hooge Raad115 die Entscheidung des Berufungsgerichts auf, die dem widerstrebenden Institut die Aufnahme des Schülers vorgeschrieben hatte. Die Vertragsfreiheit (Abschlußfreiheit) bildet mit der Bindungswirkung des Vertrages und dem Konsensprinzip das grundlegende Dreieck dieses Rechtsbereichs und ergibt sich nach der Rechtslehre aus dem Eigentumsrecht und der persönlichen Freiheit. Aber sie findet ihr Gegengewicht und ihre Grenzen im Verbraucherschutz. 110
“…die zum Nutzen des allgemeinen Wohls gebotenen preisrechtlichen Maßnahmen zu treffen, entspricht dem Sozialstaatsprinzip, das auch die Vertragsfreiheit inhaltlich bestimmt und begrenzt…” 111 BVerfGE 89, 214, siehe oben 2.2. 112 Hondius E (1994) Dutch Report, Beitrag für International Congress of Comparative Law, Jerusalem, hrsg.v. Sacher Institute. 113 [Dieser Ausdruck, der dem Europarecht entlehnt ist, trifft die deutsche Definition von Privatrechtsbeziehungen nicht genau.] 114 Das Lyceum Maimonide. 115 31. Okt. 1969.
244
11. Literaturhinweise
Hondius bezieht sich auf einige Vorschriften des neuen Zivilgesetzbuchs, die umfassenden Schutz für die schwächeren Parteien bieten. Nach seiner Auffassung ist ein verfassungsrechtlicher Schutz nicht erforderlich, da dies in ausreichender Weise durch diese moderne Kodifikation geleistet wird. 10.3 Der französische Ansatz Rouhette bemerkte, für französische Juristen sei ein verfassungsrechtlicher Schutz für die Vertragsfreiheit ungewöhnlich, denn bis in die siebziger Jahre hinein gab es keine Normenkontrolle, und die Normen der Verfassung hatten keinen höheren Rang als andere Normen. Nichtsdestoweniger gilt dieses Prinzip, wenn auch selten von den Gerichten ausgesprochen, seit Domat als hochrangig, – weil es aus dem Naturrecht stammt – und Begrenzungen müssen restriktiv ausgelegt werden.116 Heute ist die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit auch beschränkt: sie ist nur präventiv und betrifft nicht bereits verkündete Gesetze; diese Kontrolle kann nur vom Conseil constitutionnel, nicht vom Kassationshof oder vom Conseil d’ètat ausgeübt werden. Die Vertragsfreiheit hat nach dem Conseil constitutionnel keinen Verfassungsrang.117 Andererseits scheint nach Rouhette das französische Vertragsrecht traditionell Staatsinterventionsmus auszudrücken.118 Der Verfassungsgerichtshof hat nie von Vertragsfreiheit gesprochen, sondern von unternehmerischer und persönlicher Freiheit;119 hieraus läßt sich ein verfassungsrechtlicher Schutz ableiten, wenn auch nicht als uneingeschränkte Freiheit. Nach Rouhette wird das Vertragsrecht im Hinblick auf die Vertragsfreiheit nicht von einem einheitlichen Prinzip geleitet. Das Europarecht zeigt einen ähnlichen Ansatz bei der Anerkennung von Grundrechten,120 wo bspw. durch Preiskontrolle und Wettbewerbsregeln eine Begrenzung der Vertragsfreiheit besteht.
11. Literaturhinweise Das Problem der Überwindung des klassischen Vertragsbegriffs – emphatisch angekündigt in seinem “Tod” von G Gilmore („Death of Contract“, ital. Übers. La morte del contratto, von A Fusaro, Milano, 1977) ist Gegenstand einer Reihe von Aufsätzen: v.a. C Fried, Contract and Promise. A Theory of Contractual Obligation, Cambridge (Ma) und London, 1981; P S Atiyah, Promises, Morals, and the Law, Oxford, 1981; W D Slawson, Binding Promises. The Late 20th Century Ref116
Rouhette (1994) French Report, Beitrag für International Congress of Comparative Law, Jerusalem, hrsg.v. Sacher Institute, Hebrew University,1. 117 Cass.civ. 15 Feb 1972, 1. Okt 1982, 7. April 1987 (Vereinsmitgliedschaft). 118 Rouhette, Anm 115, 4. 119 Siehe weiter zu diesem Themenkomplex (mit Bezug auch auf den CFR): Alpa G (2008) The celebration of the 60th anniversary of the Declaration of Human Rights, the meaning of « person » and the role of lawyers, Beitrag für Avocats du Monde, Paris, hrsg. v. CNF. 120 Siehe oben Teil 1 Kapitel 3 und unten Teil 3 Kapitel 2.
Teil 2 Kapitel 3 Die Entwicklung des Vertragsbegriffs
245
ormation of Contract Law, Princeton, 1996; J Wightman, Contract. A Critical Commentary, London und Chicago, 1996, G Alpa und R Delfino, Il contratto nel common law inglese, Padova, 1997. Aus der französischen Literatur siehe die Sammlung Droits, 12. Le contrat, 1990. In diesem Zusammenhang auch L Moccia, Promessa e contratto (spunti storico-comparativi), in Riv. dir. civ., 1994,I, p. 819; G Marini, Promessa e affidamento nel diritto dei contratti, Napoli, 1995; wegen der Originalität und der Genauigkeit der historischen Forschungsarbeit, weisen wir auf die Seiten von And. D'Angelo, Promessa und ragioni del vincolo, Torino, 1992 hin und Le promesse unilaterali, ne Il codice civile. Commentario diretto da Schlesinger, Milano, 1996; sowie Hondius, Towards a European Contract Law, Einführungsbericht zum Kongress von Scheveningen, 1997, 2; Stein und Shand, I valori comuni dell'Occidente, ital. Übers. Milano, 1980; und siehe G Alpa, I principi generali, Milano, 1993. Besonders wichtig ist die deutsche Verfassungsrechtssprechung: siehe z.B. Bundesverfassungsgericht, 19.10.1993, italienisch in Nuova giur. civ. comm., 1995, I, 202 Anmerkung von A. Barenghi. Zur Privatautonomie siehe v. a. L Mengoni, Autonomia privata und Costituzione, in Banca, borsa, tit. cred., 1996, I, 1; N Irti, Persona und mercato, in: Riv. dir. civ., 1995, I, 289; N. Lipari, "Spirito di liberalità" und "spirito di solidarietà", in: Riv. trim. dir. proc. civ., 1997, 1; Rescigno, Manuale del diritto privato italiano, Napoli, 1994. Das Europäische Privatrecht befindet sich in einem natürlichen Konvergenzprozess nach B Markesinis, The Gradual Convergence, Oxford, 1996; kritisch dagegen Legrand, Sens et non-sens d'un Code civil européen, in: Rev. intr. dr. comp., 1996, 779. Ausführliche französische Beiträge C Spinosi und B Oppetit, v. gli atti del seminario organizzato all'Università di Firenze da A. De Vita, 1996-1997. Zum gemeinsamen Rahmen vgl. A Gambaro und R Sacco, Sistemi giuridici comparati, Torino, 1996; Untersuchungen auf Spezialgebieten siehe die koordinierten Arbeiten in G Alpa, Corso di sistemi giuridici comparati, Torino, 1996; auf dem Gebiete des Vertragsrechts sind die Arbeiten von B Markesinis, The Law of Contracts and Restitution. A Comparative Introduction, Oxford, 1997, bemerkenswert und, natürlich, K Zweigert und H Kötz, Introduzione al diritto comparato, Übersetzung hrsg. v. A. Di Majo und A. Gambaro, Milano, 1992; einige nützliche Hinweise von M. Vranken, Fundamentals of European Civil Law, London, 1997; im Vertragsrecht ist für den Kontinentaljuristen besonders bemerkenswert der Beitrag von H B Schaefer und C Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, Berlin, 1995, 321. Zur Entwicklung des Vertragsrechts im Gemeinschaftsrecht siehe Il Codice civile europeo, Milano, 2001; La riforma dei codici in Europa und il progetto di codice civile europeo, Milano, 2002; Diritto contrattuale europeo und diritto dei consumatori.L’integrazioen europea und il processo civile, Milano, 2003; Diritto privato europeo. Fonti ed effetti, Milano, 2004; Maniaci, Il Convegno milanesesu “Il contratto nell’Unione europea; in I Contratti, 8-9/2002,833; Barca, Il Convegno genovese su “Il contratto nell’ Unione europea”, ibid.8-9/2003, 845.
246
11. Literaturhinweise
Weitere Beiträge in Còdigo europeo de contratos. Comentarios en homenaje al Prof. D. José Luis de los Mozos y de los Mozos, hrsg. v. Vattier, de la Cuesta, Caballero, vol. I und II, Madrid, 2003; Principi di diritto europeo dei contratti. Parte I und II, hrsg. von C Castronovo, Milano, 2001. Zum Wettbewerb der Rechtsordnungen vgl. Concorrenza tra ordinamenti giuridici, hrsg. v. A Zoppini, Roma-Bari, 2004; und, allgemein, Alpa, Bonell, Corapi, Moccia, Zeno-Zencovich, Diritto privato comparato, Roma-Bari, nuova ed., 2004. Zum Einfluß der Unidroit Prinzipien siehe die Debatte in Uniform Law Review, 2003-1/2. Hier v. a. die Beiträge von Basedow, (op.cit., 31); Hartkamp (op. cit. 81); Bonell (op.cit. 91); Farnsworth, (op.cit., 97); Lando (op.cit., 123); Béraudo (op.cit, 135); Wilhelmsson (op.cit., 141). Vom letzteren vgl. Unidroit Principles 2004 – The New Edition of the Principles of International Commercial Contracts adopted by the International Institute for the Unification of Private Law, ibid. 2004-1, 5. Sacco, Legal Formants: A Dynamic Approach to Comparative Law, in 39 Am.J.Comp.L., 343 (1991); Bonell, An International Restatement of Contract Law, Irvington, N. Y., 1994, 57; vgl auch Bonell, in Nuove leggi civ. und comm., 1989, 26); Fontaine, Le projet d’Acte uniforme OHADA sur les contrats et les Principes d’ Unidroit relatifs aux contrats du commerce international, in Uniform Law Rev., 2004-2, 265. Das Thema der Vertragsstrafen ist wichtig: für die Rezeption der verschiedenen Theorien siehe G De Nova, Le clausole penali und la caparra confirmatoria, in Trattato di diritto privato, hrsg. v. Rescigno, Torino, 1982, 306; Miller, Penalty Clauses in England and France: A Comparative Study, in Int.’l and Comp.L.Q., 2004, 79; Ulmer et al, AGB-Gesetz, 9. Aufl., Colonia, 2001, 161; Bonell und Peleggi su Uniform Law Rev., 2004-2, 325 und aus den vielen Beiträgen aus der Literatur siehe v. a. Lando, Principles of European Contract Law and Unidroit Principles: Moving from Harmonisation to Unification?, ibid. 2003-1/2, 123. Zu den Möglichkeiten der Kommission unter Lando und Beale vgl. Towards a European Civil Code, Nijmegen-Dordrecht-Boston London, 1994; zu den problematischen Punkten vgl. Alpa, Nuove frontiere del diritto contrattuale, in Contr. und impr., 1999, und Il codice civile europeo: «ex pluribus unum», in Contr. und impr./Europa, 1999, wo sich Anmerkungen zu italienischem und ausländischem Recht finden; siehe auch Principles of European Contract Law. Parts I and IL Combined and Revised, Prepared by The Commission of European Contract Law. Chairman: Professor Ole Lando Edited by Ole Lando and Hugh Beale, Kluwer Law International, The Hague-London-Boston, 459 (460-561). Zur zweiten Auflage der PECL: Towards a European Civil Code (Second Revised and Expanded Edition), hrsg. v. A Hartkamp, M Hesselink, Hondius, C Joustra, Du Perron, Nijmegen-The Hague-London-Boston, 1998. Aus der französischen Literatur siehe J Ghestin, Traitè de droit civil, introduction gènèrale, Paris, 1995. Aus dem englischen common law vgl. G H Treitel, The Law of Contract, London, 1987; G C Cheshire, C H S. Fifoot. Law of Contract, London, 1986, 302.; Adams,
Teil 2 Kapitel 3 Die Entwicklung des Vertragsbegriffs
247
Brownsword, op.cit.; P S Atiyah, Rise and fall of freedom of contract, Oxford, 1986); G H Treitel, The Law of Contract, cit. Kennedy, op.cit. Diktum von Lord Wilberforce, National Carriers enciclopediche v. Roppo und Napolitano, Clausole abusive, in Enc. giur., VI, Roma, 1997.
Kapitel 4 Die zivilrechtliche Haftung
Inhalt: 1. Modelle und Funktionen – 2. Die Kriterien der Bewertung der Haftung – 3. Die schützenswerten Interessen – 4. Aus der Rechtsvergleichung – 5. Neue Formen der Haftung aus dem Europarecht – 6. Einige Spezialgesetze – 7. Produkthaftung – 8. Die Haftung der Dienstleister – 9. Projekte der Vereinheitlichung des Haftungsrechts – 10. Literaturhinweise
1. Modelle und Funktionen In den letzten Dekaden haben sich die internen Gräben in der Kultur der zivilrechtlichen Haftung vertieft, und der Rechtsbereich ist von intensiver intellektueller Arbeit der letzten dreißig Jahre geprägt: die ökonomische Analyse des Rechts hat sich gefestigt, in ihren verschiedenen Verzweigungen; der trockene Formalismus, der die wesentlichen Interessen, die das Substrat der Rechtsvorschriften bilden, ignorierte, ist endgültig überwunden; man hat das Interesse an historischer Forschung betont, um zu allgemeinen Rechtsprinzipien zu kommen; man hat die Notwendigkeit erkannt, eine ethische Basis für die Bewertung von zivilrechtlicher Haftung zu schaffen. Diese sind u.E. die Gesichtspunkte, unter denen man die zivilrechtliche Haftung, und eigentlich sogar das gesamte Rechtssystem, in rechtsvergleichender Hinsicht betrachten muß: die ökonomische, die technischfunktionale, die historische und die ethische Perspektive. Heute betrachten Spezialisten der zivilrechtlichen Haftung diesen Bereich als das Feld der Wahl für die Kunst der Rechtsschöpfung; man muß nicht das Tuch der Penelope weben oder auflösen, wie es für einen Außenstehenden erscheinen mag, dem die magischen Formeln nicht geläufig sind, und dem die Vorschriften und Rechtsfolgen fremd sind; zu Beginn des neuen Jahrtausends müssen wir die Rolle der Juristen und des Rechts überdenken und mit Rücksicht auf neue Interessenslagen nach einer angemessenen rechtlichen Ordnung suchen. 1.1 Die ethische Perspektive Beginnen wir mit dem oben letztgenannten Blickwinkel, der Ethik. Diese hat sich heute verkehrt: man nimmt keine Erforschung der ethischen Grundsätze der Haftung vor, nach denen man dann das Haftungsrecht entwirft, sondern man benutzt das Instrument der Ethik, um die bestehenden Regeln zu rechtfertigen, oder um
250
1. Modelle und Funktionen
deren Änderung vorzuschlagen. Dieser Vorgang wird noch offener bei denjenigen Autoren, die die aristotelisch – thomeische distributive Gerechtigkeit anrufen, um darzulegen, daß das Haftungsrecht nicht genutzt werden könne, um soziale Zwecke zu erreichen. Zusammenfassend kann man diese Thesen so beschreiben: die zivilrechtliche Haftung - vollzieht eine Sanktionsregelung gegenüber vorwerfbarem, unerwünschtem Handeln; - muß eine Wiedergutmachung sicherstellen für den, der einen Schaden erlitten hat, ohne auf die ökonomischen und sozialen Effekte zu achten, die eine solche Regel nach sich zieht; - kann nicht zum Schutz kollektiver Bedürfnisse beitragen, sondern ist auf die Lösung individueller Probleme gerichtet.1 Nicht so deutlich erkennbar ist der Gedankengang bei den Autoren, die eine Rechtfertigung ex post suchen, auf der Basis einer ex ante Betrachtung: die zivilrechtliche Haftung kann nur von einer Schuld gegenüber dem geschädigten Objekt abgeleitet und nur von diesem geltend gemacht werden, und zwar mit Blick auf den tatsächlich erlittenen kausalen Schaden. Dem stehen aufgrund derselben manipulativen Techniken die Thesen gegenüber, die sich auf die korrektive Gerechtigkeit stützen: wer einen Schaden verursacht und daraus Vorteile gezogen hat, muß ihn wiedergutmachen; das Maß des Schadensausgleichs ist dabei nicht nur das Einzelinteresse, sondern wird nach der Position des Schadens im Umfeld des kollektiven sozio-ökonomischen Systems bewertet.2 Es ist einfach, dem Kritiker des Gebrauchs des Rechtsinstruments der Haftung zur Verfolgung sozialer Zwecke entgegenzuhalten, daß dies in der Natur des Rechtsinstruments liegt; daß eine Regel nur dem Schutz des Einzelnen diene, hieße, deren Anwendungsbereich ganz dem jeweiligen Anwender zu überlassen. Die Anwendung der Haftungsregeln zum Schutze des Einzelnen in Einzelfällen ist ein funktioneller Gebrauch des Rechts. Man sollte sich nicht in die historische Auslegungsmethode flüchten, also in den voluntas legislatoris, denn damit würde man die nötige Elastizität der Vorschriften negieren, die die moderne Zeit erfordert. 1.2 Die ökonomische Perspektive Aus der ökonomischen Perspektive erscheint die Haftung wie ein Regelungssystem, nach dem der Schaden optimal verteilt wird. Dennoch gibt es viele Strömungen, die das Feld unter sich aufteilen.
1
2
Weinrib E J (1983) "Toward a moral Theory of Negligence" Law and Philosophy 2 (1), 37-63, der freilich das aristotelische Modell als korrektive Gerechtigkeit bezeichnet. Englard I (1993) The Philosophy of Tort Law, 7; Shapo M S, Hrsg. (1984) Toward a jurisprudence of Injury: The Continuing Creation of a System of Substantive Justice in American Tort Law. Commentaries to the Report of the Special Committee on the Tort Liability System of the American Bar Association.
Teil 2 Kapitel 4 Die zivilrechtliche Haftung
251
Nach einer These wird das Optimum erreicht, wenn die Regeln den Markt “spiegeln”; dazu muß der Markt frei sein, um das ungehinderte Gewinnstreben zu unterstützen, was per se zu einem kollektiven Gewinn führt; der Markt unterstützt nicht die Zurechnung von Kosten zu einem Teilnehmer (dem Schädiger), wenn der durch ihn verursachte Schaden nicht durch die Schuld (bzw. den Schadensbeitrag) gerechtfertigt ist,3 so daß die Schuld die Aufgabe eines Filters für das Risiko, das dem Schädiger auferlegt ist, übernimmt. Nach anderer Auffassung erreicht man nicht dadurch die beste Risikoverteilung, daß der Schuldner frei agieren kann, sondern wenn die sozialen Kosten seines Handelns nicht zu hoch sind, wenn das Opfer der geschädigten Partei nicht durch einen kollektiven Vorteil gerechtfertigt ist; die Regeln der zivilen Haftung müssen den Schaden daher also verhindern oder begrenzen, in den Formen der allgemeinen und spezifischen Abschreckung (deterrence).4 In einer formalen Sichtweise wird dann nach Techniken gesucht, mit denen die Verantwortlichkeit und die relevanten Interessen quantifiziert werden können: die Rechtsvergleichung ist diesen Techniken gegenüber besonders aufmerksam, sowohl hinsichtlich der Bewertung neuer Kodifikationen und Spezialgesetze als auch der Reformvorschläge, und Entscheidungshilfen. Dies ist die Frage nach der Wirkung dieser Regelungen in den verschiedenen Rechtsordnungen, wie sie sich erweitern oder reduzieren, je nach der Auslegung und Anwendung, und was die Resultate sind.5 1.3 Die historische Perspektive Die historische Perspektive versucht nicht nur, die Wurzeln des kodifizierten Rechts und der leading precedents festzustellen, sondern will auch die gemeinsamen Werte des Abendlandes identifizieren: das Prinzip der wirtschaftlichen Freiheit und der gleichmäßigen Risikoverteilung.6 Die Spezialisten erforschen das ökonomische, historische und philosophische Profil der Entwicklung der Systeme zivilrechtlicher Haftung, aber ohne deren Beitrag zu vernachlässigen, wie es so oft geschieht, mit besonderem Augenmerk auf der formalen Methode und den neuen Grenzen der zivilen Verantwortung.
3
Posner R A (1972) "A Theory of neglicence" Journal of Legal Studies (1), 29. Calabresi G und Hirschoff J T (1972) "Toward a Test of Strict Liability in Torts" Yale Law Journal 81 (6), 1055; Calabresi G (1960/61) "Some Thoughts on Risk Distribution and the Law of Torts" Yale Law Journal 70, 499-553; siehe generell Grechenig K und Gelter M (2008) "Divergente Evolution de Rechtsdenkens - Von amerikanischer Rechtsökonomie und deutscher Dogmatik" Rabels Zeitschrift 72 (3), 513-61. 5 Vgl bspw. Markesinis B S (1986) The German Law of Torts. A comparative introduction; siehe auch Markesinis B und Unberath H (2002) The German Law of Torts: A Comparative Treatise; Ponzanelli G (1992) La responsabilità civile. Profili di diritto comparato; Alpa G und Mario B (2001) La responsabilità civile. 6 Stein P und Shand J (1974) Legal Values in Western Society; Alpa G (1993) I principi generali. 4
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2. Die Kriterien der Bewertung der Haftung
2. Die Kriterien der Bewertung der Haftung 2.1 Das dichotomische System Auf diesem Gebiet finden wir eine Dichotomie: die Haftung gründet sich auf eine allgemeine Regel (keine Haftung ohne Verschulden) und auf Ausführungsregeln (übernommene Haftung und objektive Haftung). Dieses Modell findet sich in der romano-germanischen Rechtsfamilie; der Code Napoléon orientiert sich an diesem Modell und ebenso die davon abgeleiteten Zivilgesetzbücher, wie das BGB und das ABGB; aber auch im englischen common law findet sich diese Entwicklungslinie, wo das tort der negligence eine allgemeine Figur der Haftung voraussetzt. Die Gleichklänge in den folgenden Zitaten erscheinen uns beispielhaft: „tout fait quelconque de l'homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faûte duquel il est arrivé à le réparer“;7 “Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.”;8 “liability in negligence is technically described as damage caused by the breach of a duty to take care”.9 Natürlich sagt der simple Vergleich der Texte nur wenig; vielmehr muß deren Funktion in der Praxis betrachtet werden. Dennoch waren die Ausnahmen zu diesen allgemeinen Regeln und dem Prinzip der Verschuldenshaftung, die durch deren Anwendung geschaffen wurden, bisher nur marginal, wogegen diese sich nunmehr vervielfacht haben und durch ihre Ausdehnung im Gegensatz zum Verschuldensprinzip stehen; dies ergab sich sowohl aus gesetzgeberischem Handeln wie aus der Anwendungspraxis. Daher kann man sagen, daß die Dichotomie nunmehr gemeinsam mit dem Prinzip der Risikoverteilung gilt, wie sich aus der Zahl der bereits kodifizierten Sachverhalte ergibt, die von der allgemeinen Regel in Bezug auf die Ermittlung des Haftungsumfangs abweichen, indem die Haftung sich nicht auf das Verschulden, sondern auf andere Kriterien stützt, wie das Eigentum, ein Betreuungsverhältnis, die Unternehmensorganisation.10 2.2 Spezialregime In allen kodifizierten und nicht-kodifizierten Rechtsordnungen gibt es heute spezielle Haftungsnormen, bei denen das Verschulden keine Rolle spielt, und sich statt dessen der Haftungsumfang des Schädigers nach verschiedenen Gründen bemißt, um den Geschädigten zu schützen: man denke an die Haftung für die Ausübung 7
Art. 1383 CC. § 823 I BGB. 9 Dias R und Markesinis B S (1984) Tort Law (1. Aufl.), 34. 10 Rodotà S (1964) Il problema della responsabilità civile; Trimarchi P (1961) Rischio e responsabilità oggettiva. 8
Teil 2 Kapitel 4 Die zivilrechtliche Haftung
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einer gefährlichen Tätigkeit, für das Betreiben von Nuklearanlagen, Produkthaftung, Güter- und Personentransporthaftung und die Haftung für Umweltschäden;11 ferner gibt es übernommene Haftung, Gefährdungshaftung wie im Straßenverkehr oder für das Verbreiten falscher Informationen in der Werbung und vieles mehr.12 Die Entwicklung des dichotomen Systems wird nunmehr auch von außen durch das Gemeinschaftsrecht beeinflußt, beschleunigt durch die direkte Wirkung nicht umgesetzter Richtlinien. Die Felder, auf denen sich eine verschuldensunabhängige Haftung ausgedehnt hat, sind so weit, daß sich dem Sektor der Verschuldenshaftung eine Restposition erhalten hat: der Bereich des “biologischen Lebens”. Auch in jenen Bereichen, in denen die Vorschriften dem Schädiger echte Privilegien zu bieten schienen, wie in der Beraterhaftung, haben diese sich an die objektive Verschuldenshaftung angenähert, durch die Verobjektivierung des Verschuldens und der Betonung der professionellen Sorgfalt. Hier entsteht das Dilemma: soll die Formel “Regel: Verschulden / Ausnahme: Risiko“ aufrechterhalten werden oder soll eine allgemeine Risikonorm kodifiziert werden, letztendlich ein allgemeines Unternehmerrisiko? Letzteres haben sowohl die spanische wie auch die italienische Reformkommission für die Zivilgesetzbücher vorgeschlagen. Die Schaffung einer allgemeinen verschuldensunabhängigen Norm trifft auf Schwierigkeiten, da alle Spezialgesetze, die von einem objektiven Verschulden ausgehen, nicht zu einer generellen Zurechnung der Haftung zu dem Verursacher führen, sondern Grenzen vorsehen, entweder bezüglich der Summe des Schadensersatzes, oder der Schadensart, oder in Form von Schadensfreistellung.
Außerdem sehen die Spezialgesetze normalerweise auch neue Regeln im Bereich der Verursachung vor: also entweder aufgrund von einfacher Kausalität oder Wahrscheinlichkeit.
11
Zu der Haftung aus Umweltschäden vgl. Alpa G und Andenas M (2005) Fondamenti del diritto privato europeo, Teil 2 Kapitel 4, Abschnitt 9, 459-476. 12 In einigen Rechtssystemen zählt zu diesem Themenbereich auch die Staatshaftung, die in Alpa G und Andenas M (2005) Fondamenti del diritto privato europeo in Teil 2 Kapitel 4, 476-495, behandelt wird. Siehe hierzu auch Andenas M, Bell J, et al., Hrsg. (2002) Tort Liability of Public Authorities in Comparative Perspective; Andenas M und Fairgrieve D (2002) Misfeasance in Public Office, Governmental Liability and European Influences, International and Comparative Corporate Law Journal 51, 757-80; und mit Bezug auf die unten in Teil 3 Kapitel 2, 7.5 erörterte Thematik siehe Andenas M (2000) The BCCI and the Bank of England in the House of Lords, Euredia, 379-410; Andenas M und Fairgrieve D (2000) To Supervise or to Compensate? A Comparative Study of State Liability for Negligent Banking Supervision’ in: Court Review in International Perspective Liber Amicorum for Gordon Slynn, Andenas M and Fairgrieve D, Hrsg., 333-60.
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3. Die schützenswerten Interessen
3. Die schützenswerten Interessen Auch hier gibt es eine gewisse Einheitlichkeit in der Entwicklung der Rechtsordnungen, sowohl bei der Änderung existierender Regeln, als auch bei der Änderung von deren Auslegung. Neben den hergebrachten Interessen, wie die körperliche Unversehrtheit der Person, ihr Ruf, ihr Privateigentum, schützen wir heute auch eine Beschädigung der Kreditwürdigkeit, die Interessen der Verbraucher und der Anleger, sowie die Umwelt, die new properties, also immaterielle Güter, und so fort. Die Abgrenzung zwischen unrechtmäßiger Handlung und Vertrag wie zwischen vertraglicher und außervertraglicher Haftung, bleiben weiter ungewiß: in manchen Rechtsordnungen, wie in Italien, Frankreich und Spanien wirkt sich ein Verschulden während der Vertragsverhandlungen wie außervertragliche Haftung aus, und in anderen wie in Deutschland führt dies zu einer vertraglichen Haftung (c.i.c); es gibt ebenso dem entgegensetzte Lösungen, wie die doppelte Ablehnung, besondere Schutzpflichten, usw. Die Diskussion um den pure economic loss ist nach wie vor relevant: im deutschen Recht und im englischen common law tendiert man dazu, diesen abzulehnen, in Frankreich und Italien dagegen wird auch dieses Interesse geschützt.13
Es scheint daher, als sei der klare Gegensatz zwischen den typischen (common law und deutsches Recht) und den atypischen (französisches und davon abgeleitetes Recht) Systemen überwunden. Die Fakten zeigen bezüglich der operativen Normen, daß in den atypischen Systemen eine formale Barriere des absoluten subjektiven Rechts eingeführt wurde (ungerechtfertigter Schaden = Schaden an Person und Eigentum), dann später mit Mühe überwunden; in den typischen Systemen haben sich die Figuren des Unrechts vervielfacht (sonstige Rechte; torts im englischen Recht.) Die Liste der anerkannten torts findet sich in den casebooks,14 und vergleichende Aufsätze zählen etwa 70 Formen auf,15 was beeindruckend ist und vermuten läßt, daß die beiden großen Bereiche de facto auch formal voneinander getrennt sind.
13
Vgl. zu den dennoch seltenen Urteilen hierzu Viney G (1982) Traité de droit civil, Les obligations - La responsabilité: effets (dommage par riochet; Vermögensschaden, Folgeschäden); und siehe auch Bussani M und Plamer V V, Hrsg. (2003) Pure Economic Loss in Europe, sowie Bar C v, Drobnig U, et al. (2004) The Interaction of Contract Law and Tort and Property Law in Europe: A Comparative Study. Study undertaken for the European Commission and submitted to its Directorate-General for Health and Consumer Protection. 14 Siehe z. B. Weir T (2004) A Casebook on Torts. 15 Rudden B (1992) "Torticles, Essay in Honor of Professor Ferdinand F. Stone" Tulane Civil Law Forum 6/7, 105, 110.
Teil 2 Kapitel 4 Die zivilrechtliche Haftung
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4. Aus der Rechtsvergleichung 4.1 Das deutsche Rechtssystem Das deutsche Modell ist deshalb interessant, weil es eine Wahl je nach dem Typ der Unrechtmäßigkeit vorsieht. In einem Konferenzbeitrag beschrieb Gottfried Schiemann den Rahmen der zivilrechtlichen Haftung im deutschen Gesetz. Wie schon gesagt, sieht das BGB keine “große” Generalklausel vor, sondern drei “kleine” Spezialnormen. Die wichtigste ist in §823 I BGB enthalten, wo die Objekte des Rechtsschutzes abschließend aufgezählt werden, was diese Vorschrift in Gegensatz zum französischen Art. 1382 CC stellt. Der § 823 I BGB umfaßt zwei Elemente, die eine ganz neue Dimension in das deutsche Haftungsrecht eingeführt haben. Es werden nämlich ausdrücklich die “sonstigen Rechte”, die strikt mit dem Eigentum verbunden sind, von dieser Vorschrift geschützt. Auch stellt die Vorschrift mit der “Widerrechtlichkeit” und der “Fahrlässigkeit” die Art und Weise vor, in der die Rechte verletzt werden können. Mit der Zeit haben die Gerichte diese Formulierung so ausgelegt, daß sie sich auf Unrecht gegen die Gesundheit oder das Eigentum bezieht, welches nicht nur eine Verletzung torpore copori datum ist, sondern auch indirekt durch Fahrlässigkeit oder Verletzung einer Verkehrspflicht verursacht werden kann. Die bedeutendsten Ausdehnungen des “Katalogs der Schutzobjekte” geschieht durch die Präzisierung der “sonstigen Rechte” und des Elements der Unrechtmäßigkeit: das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfaßt auch das Recht auf die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in Form eines eingerichteten Betriebes. Die andern beiden grundlegenden Vorschriften des BGB sind §823 II und §826 I. Nach §823 II BGB kann der Geschädigte Ersatz des Schadens verlangen, auch wenn keines der in Abs. 1 genannten Rechte verletzt wurde, wenn bewiesen wird, daß der Schaden vorsätzlich unter Verletzung einer anderen Norm, wie z.B. ein Betrug nach §263 StGB, der ebenfalls den Schutz des Geschädigten bezweckt, zugefügt wurde. Nach §826 BGB kann ein Schaden dann ersetzt werden, wenn er unter Verstoß gegen die guten Sitten oder Gebräuche zugefügt wurde. Dieses Erfordernis der Unlauterkeit beschränkt das Erfordernis der Widerrechtlichkeit, im Sinne der traditionellen actio doli des ius comune. Der Anspruch aus §826 BGB ist jedoch nicht subsidiär im Verhältnis zu anderen Ansprüchen. Auch stellt das Erfordernis der Unlauterkeit kein unüberwindliches Hindernis für den Anspruchsinhaber dar. Die deutschen Gerichte haben bspw. einen Verhaltenskodex für Banken für die Ausübung genehmigungspflichtiger Leistungen ausgearbeitet, den man als bloße Konkretisierung einer “moralischen Ordnung” ansehen könnte. Trotzdem bildet dieser ein System, das sicherstellt, daß alle Anleger im Falle einer Insolvenz die gleichen Möglichkeiten haben, ihre Rechte einzufordern.
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4. Aus der Rechtsvergleichung
Die Bedeutung des Verschuldensprinzips ist eines der Charakteristika des deutschen Haftungsrechts. Dieses hat zur Entwicklung der Haftung für das Verhalten Dritter schon bei Fahrlässigkeit bei der Kontrolle oder Auswahl dritter Personen, zusätzlich zur persönlichen Haftung, geführt. Dies bildet in der modernen Welt, die durch Spezialisierung geprägt ist, einen Schwachpunkt des deutschen Haftungsrechts, welches die Gerichte ermutigt hat, auf die culpa in contrahendo zur Anspruchsbegründung zurückzugreifen; im Bereich des Vertragsrechts ist die Fahrlässigkeit des Erfüllungsgehilfen ausreichend, um die Haftung des Geschäftsherrn zu begründen (§278 BGB). Auch kann der Geschäftsherr für Nichterfüllung seiner Organisationspflicht verantwortlich gemacht werden, insofern dies seiner Einflußsphäre unterliegt. Die Vorschriften über die Nichterfüllung von Kontrollpflichten, §§831, 832 II BGB, weisen eine Verschuldensvermutung auf. Diese kann widerlegt werden, wenn der Verpflichtete einwandfreies Verhalten nachweist. Diesen Ansatz haben die Gerichte im Laufe der Jahre auch im Hinblick auf andere Obliegenheiten übernommen. Das wichtigste Beispiel bildet die Produkthaftung, die auch nach der Umsetzung der Produkthaftungsrichtlinie16 immer noch wesentlich auf dem BGB beruht. Vergleichbare Entwicklungen, eher auf prozessualer als auf materieller Ebene, waren dagegen machtlos im Bereich der Arzthaftung. Seit 1990 war der Text des BGB stets in einem Übergangsstadium mit Blick auf die außervertragliche Haftung. Auch die Aufmerksamkeit, die dieser Materie entgegengebracht wurde, hat sich geändert. Von diesem Standpunkt aus hat die Tatsache, daß die “Väter” des BGB keine “große” Generalklausel geschaffen haben, die Entwicklung hin zu den wichtigsten Errungenschaften des Schadensrechts nicht behindert. Andererseits kann der ursprüngliche Entwurf, nach dem der geschädigten Partei eine umfangreiche Beweislast auferlegt wurde, manchmal unnütze Kosten durch technische und soziale Neuerungen verhindern, ohne die die Gerichte die legitimen Interessen der geschädigten Partei aus den Augen verlieren mußten. Im deutschen Recht gibt es zahlreiche Spezialgesetze, unter anderem zur Haftung der Pharmahersteller, Umweltverschmutzung usw. 4.2 Das heutige common law Eine Beschreibung des gesamten Haftungsrechts im englischen common law wurde von Markesinis und Deakin vorgelegt, mit ausführlichen Hinweisen auf das Recht einiger Staaten des Commonwealth und der Vereinigten Staaten von Amerika.17 Das Werk verbindet traditionelle mit modernen Konzepten des tort law und besteht aus acht Teilen: allgemeine und besondere Formen der Fahrlässigkeitshaf16
Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (85/374/EWG), Amtsblatt Nr. L 210 vom 07.08.1985 S. 29. 17 Deakin S, Johnston A, et al., Hrsg. (2003) Tort Law.
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tung, Schaden an der Person, Beschädigung des Eigentums und wirtschaftlicher Interessen, Produkthaftung, Rufschädigung und Verletzung der Privatsphäre, verschuldensunabhängige Haftung, Schutzmechanismen und Rechtsbehelfe. 4.2.1 Die Krise des traditionellen Konzepts In der Einleitung behandeln Deakin und Markesinis die Krise der Haftungsregeln bezüglich ihrer Antwort auf die Bewältigung von Risiko und Schaden, sowie die Lesart der Regeln aus der rechtsökonomischen Perspektive, der Funktion der Haftung, des Verschuldens als grundlegendes Kriterium in diesem und anderen Systemen, und schließen auch Empfehlungen für die Praxis, speziell für Berufsanfänger mit ein. Dem Leser werden dort die außerordentlichen Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Haftungsregeln bewußt gemacht: deren Antwort auf das Erfordernis der Abhilfe bei Schadenszufügung in einer komplexen Gesellschaft, die enorme Ausweitung der tort litigation, die ergänzende Rolle, die Rechtsregeln in diesem Sektor in einer Welt haben, in der der Verfall hergebrachter familiärer und religiöser Werte, konfliktreiche persönliche Beziehungen, und häufige Massenschäden einen erheblichen und nicht kontrollierbaren Druck auf das Rechtssystem ausüben. Deshalb muß das erweiterte Risiko wieder aufgenommen werden, durch die Rechtsordnungen, indem sie sich anpassen. Daher auch die Erosion der traditionellen Modelle der Reaktion auf Schadenseintritt, und der Eintritt des Sektors in eine große Unsicherheit und Instabilität. Hieraus resultiert auch die große Rolle der Versicherungen, die trotzdem nicht dem ganzen Schaden und seinen Auswirkungen begegnen können. Deshalb werden in manchen Rechtssystemen ganze Bereiche, die bisher der zivilrechtlichen Haftung angehörten, jetzt öffentlichrechtlichen Parametern zugeordnet oder der sozialen Sicherung oder gemischten Formen. Auch zeigen die genannten Autoren ein neues Phänomen auf, das sich vor allem in Frankreich zeigt, tendenziell auch in anderen Systemen: der Verlust der individuellen Schadenszurechnung und deren schrittweise Verschiebung auf Gruppen, Organisationen, Unternehemn oder die Gemeinschaft. Zu der erwähnten Unterweisung der Praktiker dieses Rechtsgebietes: die zivilrechtliche Haftung stellt sich als ein antiquierter Regelungskomplex dar, der auf die Befriedigung der Erfordernisse einer in der Entwicklung befindlichen Gesellschaft ausgerichtet ist; sie erfordert eine auch gesetzgeberische Reform, die aber nicht schnell beschlossen werden kann; das Justizsystem erschwert den Zugang für das einfache Opfer; dies kann von den Grundrechten behoben werden, deren Wirkung aber nur schrittweise und indirekt einsetzt; eine der Säulen dieses Rechtsystems – ein case law, welches schnelle Lösungen mit Rücksicht auf die neuen Aspekte der Haftung liefert – droht bei der Sicherung von promptem und sicherem Schadensersatz für die Opfer zu scheitern, weil die Justiz nicht effizient genug arbeitet.
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4. Aus der Rechtsvergleichung
4.2.2 Die allgemeine Rechtsfigur der Widerrechtlichkeit Der zweite Teil des oben zitierten Werkes ist der Analyse der allgemeinen Widerrechtlichkeit auf Verschuldensbasis gewidmet, dem tort of negligence, dessen Elemente dort aufgezählt werden, vor allem die Sorgfaltspflicht, der Schaden, die Handlungen und Unterlassungen, die den Parteien zugerechnet werden, die eine spezielle Beziehung zum Geschädigten haben, ferner die Kausalität und das USamerikanische Recht. Die Diskussion des Kriteriums der Bewertung der duty of care nach den Begriffen “fair, just and reasonable” zeigt einerseits das Bemühen der englischen Richter, positive Antworten auf die Forderungen der Opfer zu geben, und andererseits die Furcht, die Grenzen der Haftung zu weit zu öffnen; der Fall MacFarlane,18 in dem das House of Lords den Eltern eines ungewollten Kindes Schadensersatz für die mißlungene Sterilisation des Vaters verweigert hatte, ist hier bedeutsam. Andererseits scheinen die Menschenrechte den Schadensersatz auszuweiten, wie es im Fall des EuGHMR in Osman19 geschehen ist, wo das Vereinigte Königreich verurteilt wurde, weil einer Familie, die von Gewalt bedroht und dann von einem Kriminellen angegriffen wurde, keine polizeiliche Hilfe zukam, und dies nicht geahndet wurde. Besondere Aufmerksamkeit wurde dem “psychischen” Schaden gewidmet, der Schaden eines Schocks, der selten in Abhandlungen über das Haftungsrecht behandelt wird. Gleiches gilt für den Schaden aus Falschinformation, ein Bereich, in dem der Fall Hedley Byrne20 Aufsehen erregt hat, auch bei italienischen Kommentatoren. Problematischer ist die Haftung für Unterlassungen, weil die Hilfspflicht auf Ausnahmen beschränkt ist. Die Definition der Kausalität bringt Probleme von äußerstem Interesse mit sich, dies ist sicherlich das ausschlaggebenste Element des tort of negligence, was auch z.B. im italienischen Recht für die Widerrechtlichkeit gilt. Deakin et al. untersuchen die Bedeutung der Kriterien der Wahrscheinlichkeit, die konkurrierenden Ursachen, verpaßte Handlungsmöglichkeiten und die Voraussehbarkeit. Alle Formen der Fahrlässigkeit werden dann im Lichte des US- amerikanischen Rechts noch einmal betrachtet, mit speziellem Augenmerk auf der Risikoverteilung nach bestimmten schädigenden Ereignissen auf dem Markt.
18
McFarlane and Another v Tayside Health Board [1999] 3 W.L.R. 1301; [2000] 2 A.C. 59. 19 1989, 29 EHRR 245. 20 Hedley Byrne & Co Ltd v Heller & Partners Ltd House of Lords, 28 May 1963 [1964] A.C. 465; [1963] 3 W.L.R. 101; [1963] 2 All E.R. 575; [1963] 1 Lloyd's Rep. 485; (1963) 107 S.J. 454.
Teil 2 Kapitel 4 Die zivilrechtliche Haftung
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5. Neue Formen der Haftung aus dem Europarecht 5.1 Grundfragen In diesem Rahmen eines sehr unsteten Rechtsbereichs hat das Europarecht Regeln eingeführt, welche zu einer Harmonisierung von Spezialnormen geführt haben. Auch Italien hat zahlreiche Vorschriften zur Haftung angenommen, die in Brüssel formuliert wurden. Diese Vorschriften, die immer wieder das Ergebnis von Vermittlung zwischen den verschiedenen Strömungen und bereits existierenden Rechtstexten in den Mitgliedstaaten sind, und dennoch von neuer Prägung, sind in Form von Richtlinien ergangen. In Italien werden zur Umsetzung die sogenannte Technik des Gesetzes “La Pergola”21 angewandt und die nachfolgenden EU Vorschriften. Diese neue Umsetzungsmethode sieht in Art. 1 die Einteilung der Richtlinien in vier Kategorien vor:22 - solche, bei denen die Regierung innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Organisationsgesetzes die Legislativdekrete erlassen muß, die die entsprechenden Normen betreffen, um die im Anhang A enthaltenen Richtlinien in Kraft zu setzen;23 - Richtlinien im Anhang B, die durch legislative Dekrete aufgrund von Ministererlassen des EU Ministerrates von der Kammer und dem Senat umgesetzt werden, da diese innerhalb von vierzehn Tagen nach Erlaß den zuständigen Behörden vorliegen müssen; sonst treten sie ungeachtet dessen in Kraft; - Richtlinien, durch die die Regierung ermächtigt wird, Verordnungen im Sinne von Art.17 Abs. 2 des Gesetzes vom 23.8.1988 Nr. 400 zu erlassen, nachdem die parlamentarische Kommission und der Staatsrat diese angenommen haben (Anhang C); - Richtlinien, die nach Art.17 Absatz 4 des o.g. Gesetzes durch Ministerialerlasse umgesetzt werden; die Programme dieser ministeriellen Dekrete werden dem (EU-) Ministerrat dreißig Tage vor deren Erlaß bekanntgegeben, sowie der Kammer und der ständigen Konferenz für die Beziehungen zwischen dem Staat, den Regionen und den autonomen Regionen Bozen und Trento. Dieses Gesetz sieht auch die Kompetenz der Regierung für Sanktionen bei Verletzung von Gemeinschaftsrecht vor.24
21
Gesetz vom 9.3.1989 Nr. 86, geändert durch das Gemeinschaftsgesetz 1995-97, in Kraft getreten am 21.4.1998, dis. legge CD 3838-B. 22 Vgl. weiterführend zu dieser Thematik Canaris C-W und Zaccaria A (2002) Die Umsetzung von zivilrechtlichen Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft in Italien und Deutschland. 23 So wie im Falle des Art 14 des Gesetzes 1.23.8 1988 Nr. 400. 24 Vgl. Toriello F (1996) L'adattamento dei diritti nazionali ad diritto comunitario, in: Corso di sistemi giuridici comparati, Alpa G, Hrsg., 34; Parodi G (1995/2003), in: Commentario breve al Codice civile. Leggi complementari, Alpa G and Zatti P, Hrsg., 2985, zitiert nach Ausgabe von 1995.
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5. Neue Formen der Haftung aus dem Europarecht
Die Auswirkungen des Europarechts auf dem Gebiet des Haftungsrechts können als “zusätzlich” und als “spezialisierend” bezeichnet werden: zusätzlich, weil sie zu bereits existierenden Normen hinzutreten, und spezialisierend, weil sie zu einer Fragmentierung und Präzisierung existierender Regelungen beitragen. Dies kann an sich noch nicht als innovativ bezeichnet werden. In den letzten vierzig Jahren geschahen Anpassungen zumeist durch Änderungen der Auslegungsmethoden durch Lehre und Rechtsprechung, während in den letzten zwanzig Jahren vermehrt gesetzgeberische Aktivitäten hinzutraten. Der Umstand, daß die Gesetzgebung nicht nur vom Parlament, sondern auch direkt durch die Exekutive erfolgt, macht diesen Bereich komplex. Das Hinzutreten von Spezialnormen aus dem Gemeinschaftsrecht und aufgrund interner Erfordernisse hat das System des Haftungsrechts aus den Angeln gehoben. Längst ist das Haftungsrecht kein System mehr, sondern ein Regelungskomplex. Der einzige systematische Ansatz findet sich nunmehr im Verhältnis zwischen allgemeinen und besonderen Regeln im Zivilgesetzbuch und Spezialgesetzen. 5.2 Die Umkehr des Verhältnisses allgemeine / besondere Regeln Die Vervielfachung der Haftungsregime ist neuen Entwicklungen der Technologie, der wirtschaftlichen Kooperation und neuen sozialen Gebilden geschuldet, die zu neuen Schadensformen geführt haben. Anstatt diese nach den allgemeinen Vorschriften des Zivilrechts zu regeln, entschloß sich der Gesetzgeber, Einzelnormen zu erlassen, durch die Schadensformen, Regelungsbereich und Formen des Schadensersatzes in Abweichung vom allgemeinen Recht geregelt sind. Die Gründe für dieses Vorgehen sind nicht einheitlich. In einigen Fällen wollte man neue Quellen schaffen, wie bei der Produzentenhaftung, veranlaßt durch die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht; in andern Fällen wurde auf Verbesserungsvorschläge aus der Rechtslehre reagiert, z.B. im Bereich der Finanzmärkte; in anderen wiederum sollte gesicherte Rechtsprechung übernommen werden, wie im Falle des ideellen Schadens, verursacht durch Verletzungen des Datenschutzes. Viele weitere solche Anlässe sind denkbar. Wenn für jeden Bereich, der Schaden verursachen kann – wirtschaftliche und sogar biologische Beziehungen – ad hoc Regelungen gefunden werden, reduziert sich der Anwendungsbereich der allgemeinen Regeln immer weiter, so daß diese schließlich nur noch die Lücken der Spezialnormen füllen, und nicht mehr das Gerüst für das Haftungsrecht bilden.25 5.3 Die Rolle der Rechtsprechung Die Intensivierung der normativen Intervention hat die Kreativität der Gerichte nicht verringert. Hier werden Versuche unternommen, in einem veralteten System das Potential der allgemeinen Regeln bestmöglich zu nutzen. Man kann nicht sa25
Alpa G (1991) Responsabilità civile e danno.
Teil 2 Kapitel 4 Die zivilrechtliche Haftung
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gen, daß in der italienischen Rechtsordnung das Haftungsrecht die besten Lösungen für eine gemischte Gesellschaft hervorbringt, was zur Zurückweisung von als zu autoritär empfundener Gesetze und als unausgewogen empfundener Geschäftsmodelle führt; man muß im Gegenteil sagen, daß die Rechtsprechung die gesetzgeberischen Lösungen in vielen Bereichen sowohl vorbereitet als auch vermieden hat. Denn oft sind der Rechtsprechung vielfältige und gewichtige Aufgaben übertragen: die zunächst anwendbaren Regeln zu bestimmen, neue zu schaffen, die dann unverzichtbar werden, als unbrauchbar erkannte Rechtsvorschriften durch hermeneutische Vorgänge zu korrigieren.26 Diese Diskussion beschränkt sich freilich nicht auf eine nationale Rechtsordnung: auch die Rechtsprechung des EuGH wirkt sich auf das Haftungsrecht aus. Dies soll hier nur ausschnitthaft betrachtet werden. Die europarechtliche Theorie unterscheidet folgende Auslegungsmethoden nationalen Rechts im Lichte des Europarechts: die konforme, systematische, restriktive und die „angemessene“ Auslegung Diese Auslegungsmethoden entsprechen dem italienischen Durchführungsgesetz (Art.12). Gelegentlich sieht der Gesetzgeber diese selbst vor, so z.B. im Wettbewerbsrecht und im Finanzmarktrecht.
6. Einige Spezialgesetze In einigen Rechtsbereichen ist die Umsetzung von Europarecht nicht ganz gelungen, wie beim Haftungsrecht im Austausch von Kapital und Dienstleistungen. Diese lassen sich leicht gesondert betrachten. 6.1 Die Haftung der Wirtschaftsprüfer Die Haftung der Wirtschaftsprüfer wurde in Italien mit Gesetzen vom 8. 4. 1975, Nr. 95 und Art. 2 des Gesetzes vom 1.7. 1975, Nr. 216 eingeführt, ähnlich einer Regelung wie es sie schon in andern Ländern bezüglich der Finanzmärkte und Kapitalgesellschaften gab, und unter Vorwegnahme damals in Vorbereitung befindlichen Gemeinschaftsrechts. Mit Art. 12 des präsidentiellen Dekrets vom 31. 3. 1975, Nr. 136 wurde die Haftung der “Personen, die an der Erstellung von Bilanzen beteiligt sind” bei börsennotierten Unternehmen, sofern sie für die Erstellung der Abschlußberichte und Testierung verantwortlich waren für “Schaden, der durch Schlechterfüllung oder unrechtmäßiges Handeln gegenüber der geprüften Gesellschaft oder Dritten” entsteht, eingeführt. Später galt die Richtlinie 84/243 EWG,27 die in Art 23 im Abschnitt über Unabhängigkeit und Ehrenhaftigkeit der 26
Vgl. z.B. die Untersuchung von Visintini G (1996) Trattato breve della responsabilità civile; siehe auch in einem weiteren Zusammenhang: Canivet G, Andenas M, et al., Hrsg. (2004) Comparative Law before the Courts; Andenas M und Jacobs F G, Hrsg. (1998) Community Law in English Courts. 27 Achte Richtlinie 84/253/EWG des Rates vom 10. April 1984 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des [EG-]Vertrages über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung
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6. Einige Spezialgesetze
prüfenden Personen vorsieht: “Die Mitgliedstaaten schreiben vor, daß die Personen, die zur Pflichtprüfung der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unterlagen zugelassen worden sind, diese Prüfung mit beruflicher Sorgfalt durchführen.” Das normative Gefüge wird in Italien durch Art 164 des Testo Unico der Finanzmärkte vervollständigt,28 der vorsieht: “auf Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind die Vorschriften des Art. 2407 des C.c. anzuwenden; die für die Prüfung Verantwortlichen und ihre Angestellten (oder von ihnen beauftragte Personen),29 die die Prüfung durchgeführt haben, sind mit der Gesellschaft gemeinsam haftbar für Schäden aus der Erfüllung ihrer Pflichten, oder aus unerlaubten Handlungen gegenüber der auftraggebenden Gesellschaft und gegenüber Dritten”. Hier wird die von Art. 23 der Richtlinie geforderte Qualifikation bereits vorausgesetzt, und zwar gemäß Art. 1710 C.c. wie der Standard des sog. buon padre di famiglia, also eine “normale” Eignung; dies erfüllt nicht das für die Wirtschaftsprüfer geforderte Niveau; auch erstreckt sich dieser Verweis nicht auf Abs. 2 des Art 2407 C.c., der die gemeinsame Haftung der Prüfer vorsieht. Es handelt sich daher um eine Privilegierung, die von Rechtsprechung und Lehre unterstützt wird, die der Meinung sind, daß das Einhalten von Rechnungslegungsvorschriften, die aber von den Prüfungsgesellschaften selbst gemacht werden, ausreichend und korrekt ist. Diese Meinung wird nicht allseits geteilt. Es hat allerdings schon schwierige Fälle gegeben, deren Ausgang noch ungewiß ist. Es erübrigt sich festzustellen, daß der neue Text die Probleme des Art. 12 des präsidentiellen Dekrets30 Nr. 136 von 1975 nicht gelöst, sondern vielmehr durch den Gebrauch ungeeigneter Terminologie noch neue hinzugefügt hat. Neben der sinnlosen Wiederholung des Ausdrucks “Verantwortliche”, bleibt auch unklar, ob die Vorschrift sich nur auf gesetzlich vorgeschriebene oder auch auf freiwillige Prüfungen bezieht; es wird auch nicht klargestellt, ob es sich bei der Tätigkeit des Prüfers um eine intellektuelle freiberufliche Tätigkeit handelt, oder um eine Dienstleistung, noch ob die Haftung für unerlaubte Handlungen auf Verschulden (nach dem Maßstab des buon padre di famiglia) beruhen soll, oder wann im außervertraglichen Bereich auf einer objektiven verschuldensunabhängigen Verantwortung; ferner ob die Adressaten der Norm, also natürliche Personen, also die Verantwortlichen oder die Angestellten, gemeinsam lediglich für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit oder auch für einfaches Verschulden haften. Im Gemeinschaftsrecht wird eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als Dienstleister betrachtet, und daher gilt eine objektive Verschuldenshaftung. Die Sorgfaltspflicht bemißt sich daher nicht nur nach einfachen Maßstäben, sondern dieses Kriterium – obwohl dessen Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht zweifelder Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen Amtsblatt Nr. L 126 vom 12/05/1984 S. 0020 – 0026. 28 Decreto legislativo vom 24.2.1998, Nr. 58, das einheitliche Finanzmarktgesetz, siehe näher unten zu Finanzdienstleistungen v. a. zum Testo Unico Bancario Teil 3 Kapitel 2, 4.5.1. 29 [Ein Ausdruck für einen Haftungsmaßstab etwa wie „Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten“.] 30 D.p.r, Decreto del Presidente della Republica.
Teil 2 Kapitel 4 Die zivilrechtliche Haftung
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haft erscheint – betrifft die Geschäftsbeziehung bei freiwilligen Prüfungen, nicht aber die Haftungszurechnung bei Rechtsverstößen durch die Prüfungsgesellschaft; wegen Vorsatz und Verschulden kommt es vielmehr auf die sog. Verantwortlichen und die Angestellten, gesamtschuldnerisch mit der Prüfungsgesellschaft an. Der neue Testo Unico muß sich daher an den Maßstäben der Rechtssprechung messen lassen. In Bezug auf die Herleitung der außervertraglichen Haftung des Wirtschaftsprüfers nach dem präsidentiellen Dekret von 1975, Nr. 136 (Art. 12) haben die Gerichte die Haftung des Prüfers gegenüber der geprüften Gesellschaft von der Haftung gegenüber am Vertrag unbeteiligten Dritten unterschieden; sie haben die Haftung einer Prüfungsgesellschaft, die einem Dritten fahrlässig einen Schaden durch falsche Testierung zufügt, aufrechterhalten, wenn die fehlerhafte Information eine “conditio sine qua non” für den Vermögensschaden des andern ist. Im Falle einer Klage des Konkursverwalters einer Treuhandgesellschaft, bestätigten Turiner Richter,31 daß die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nicht sorgfältig gehandelt hatte, indem das Testat erteilt wurde, ohne die Gesellschaft über grobe Unregelmäßigkeiten zu informieren. 6.2 Die Haftung der Finanzdienstleister Der Testo Unico über die Finanzmärkte (T.U.F) beinhaltet zwei Vorschriften über Schäden, die Klienten oder Dritten durch die Ausführung der Tätigkeit entstehen: Art. 23 Abs. 632 und Art. 31 Abs. 3 T.U.F.33 Beide Vorschriften sind auf die Richtlinie 93/22 EWG über Wertpapierdienstleistungen vom 10.5.1993 zurückzuführen, die Verhaltensnormen für Investmenthäuser und Finanzdienstvermittler vorsieht, auch wenn dies nicht ausdrücklich erwähnt wird. Der Art. 31 Abs. 3 entspricht dem Art. 5 Abs. 6 des decreto legislativo vom 2.1.1991, Nr. 1, mit dem das Gemeinschaftsrecht auf dem Gebiete des Wertpapierhandels vorweggenommen wurde; diese Vorschrift, die sich von Art. 66 des decreto legislativo vom 23.7.1996, Nr. 415 ableitet, wurde durch den Art. 23 Abs. 3 wieder in dasselbe Gesetz eingeführt; sie findet sich auch im Umsetzungsgesetz der Wertpapierrichtlinie und im Testo Unico des Finanzmarktes. Auch hier lösen die Rechtsnormen die Probleme nicht. Im Recht der Wertpapierhändler ist nicht klar, ob die vertragliche oder die außervertragliche Haftung geregelt wird. Die Vorschrift betrifft bestehende Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmer und Klient, aber unerlaubte Handlungen können sich aus einer vertraglichen Beziehung ableiten, z.B wenn Informationen über die Vermögensverhältnisse des Klienten unerlaubt offengelegt 31
Trib. Torino, 18.9.1993. Nach dem die “Personen, die befähigt sind, [Finanzdienstleitungen anzubieten] die Beweislast tragen, mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt zu haben”. 33 “Der [zugelassenene Finanzdienstleister] ist für den verursachten Schaden und auch für durch den Anbieter verursachten Drittschaden verantwortlich, auch wenn es sich um eine strafrechtliche Haftung handelt.” 32
264
7. Produkthaftung
werden. Der erwähnte Art. 23 sieht lediglich die Umkehr der Beweislast vor; der Händler muß die speziell geforderte Sorgfalt walten lassen, Art. 21 T.U.F, wo die Sorgfalt zusammen mit Transparenz und Korrektheit genannt wird. In gleicher Weise sagt der Art. 31 Abs. 3 T.U.F nichts über die Kriterien der Zurechnung der Haftung, so daß man von einer objektiven (verschuldensunabhängigen) Haftung der Wertpapierhändler für Schäden der Klienten durch Vermittlertätigkeit ausgeht; die Klarstellung ist hilfreich, obwohl nicht neu, mit der man feststellt, daß auch strafrechtlich relevantes Handeln die gesamtschuldnerische Haftung auslöst, um eine Umgehung des Einstehens für vorsätzliches Handeln von Verursachern oder Angestellten zu vermeiden. Aus diesen Gründen sind die späteren Initiativen der Gemeinschaft, die auf die Schaffung eines Entschädigungssystems abzielen, begrüßenswert.34
7. Produkthaftung Unternehmen auf allen Sektoren bringen oft Produkte aller Art auf den Markt, die wesentliche Eigenschaften vermissen lassen, defekt oder gar gefährlich sind. Dieselben Unternehmen begleiten die Verbreitung dieser Produkte mit intensiven Werbekampagnen, die Vertrauen in der Öffentlichkeit erzeugen, und weichen die Prüfkriterien der Produkte auf. Sehr oft können die Produkte von den Endverbrauchern nicht geprüft werden, und daher steigen die Schadensfälle bei Konsumenten an. Die Produkthaftungsrichtlinie vom 25.7.198535 wurde in Italien mit dem präsidentiellen Dekret vom 24.5.1988 Nr. 224 umgesetzt. In dem Text diesen Ergebnisses jahrelanger Debatten, finden sich Spuren derselben oben skizzierten Probleme. Im Folgenden wollen wir die aufgenommenen Lösungen beschreiben, sowie die noch offenen Fragen.36 Art. 1 regelt den Umfang und die Rechtsnatur der Produzentenhaftung. Die Norm kodifiziert das Prinzip der objektiven, verschuldensunabhängigen Haftung. Der Text unterscheidet nicht zwischen Produkten zum Konsum oder Gebrauch oder nach Fehlertypen (außer in Art. 6 lit.f.), die auf den Produzenten oder auf die assemblers zurückgehen; es wird nicht nach den Adressaten der Produkte unterschieden (z.B. Verbraucher, bystanders, oder “Abhängige”, wie Angestellte, Angehörige) oder nach der Art des Schadenseintritts. Art. 11 lit. b unterscheidet lediglich den Ge- oder Verbrauch des Produktes zu privaten Zwecken, um den Schaden an Gegenständen zu bestimmen, nicht aber an Personen. 34
Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. März 1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger. 35 Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (85/374/EWG), Amtsblatt Nr. L 210 vom 07.08.1985 S. 29. 36 Vgl. Alpa G, Bin M, et al. (1989) La responsabilità del produttore, in: Trattato di diritto. commerciale e di diritto pubblico dell’economia, Galgano F, Hrsg; siehe auch Petri S (1998) Produkthaftung in Italien: ein Vergleich zum deutschen Recht.
Teil 2 Kapitel 4 Die zivilrechtliche Haftung
265
Es ist daher gerechtfertigt festzustellen, daß diese Norm eine spezielle Haftung, verbunden mit der Ausübung einer Tätigkeit, der Art der Schadensverursachung und der Manifestation von Produktschäden einführt. Dank Art. 15 bleibt das allgemeine Haftungsrecht in Kraft für Verschulden in Fällen, auf die das Spezialrecht nicht anwendbar ist, und somit ist es auf bestimmte Tätigkeiten anzuwenden, bspw. gefährliche Tätigkeiten, Art. 2050 C.c., Autokonstruktion, Art. 2054C.c. usw., bei denen die Warenproduktion sich auf diese Bestimmungen beziehen kann. Objektive Haftung heißt nicht “absolute” Haftung, oder gar “Garantiehaftung”; im Bereich der Haftung ist dies auf den Begriff des Produktes und des Defektes begrenzt, und auf die Beweislast des Geschädigten.37 Der Produzent kann sich andererseits entlasten, wenn er nachweist, daß die Ware nicht der Definition des “Produktes” nach Art. 2 entspricht; auch wenn er nachweist, daß der Schaden ausschließlich durch Verschulden des Geschädigten eintrat; daß der Schaden durch höhere Gewalt oder durch bei der Herstellung unvorhersehbare Umstände verursacht wurde; daß der Schaden durch Dritte verursacht wurde, z.B. Lieferant, Spediteur, was nicht beim Herstellungsprozeß erkennbar war. Somit bleiben die allgemeinen vertraglichen Haftungs- und Garantieansprüche; und die Ansprüche gegenüber Parteien, die die (ursprüngliche) Beschaffenheit der Güter nicht beeinflussen, wie Importeure und Lieferanten. In der Rechtsprechung hat dieses neue Recht selten Anwendung gefunden; wir weisen hier auf den Fall eines mountain bike hin,38 welches einen Konstruktionsfehler hatte. Der Oberste Gerichtshof, Suprema Corte, wandte auf den Tatbestand die traditionellen Kriterien der Zurechnung an: z.B. im Falle eines geschädigten Minderjährigen, der falschen Gebrauch einer Schaukel gemacht hatte.39 Anders als in anderen Ländern der EU sind in Italien in den zehn Jahren nach Erlaß des präsidentiellen Dekrets Nr. 224 von 1988 nur wenige Entscheidungen zur Produzentenhaftung ergangen. Es ist schwer zu sagen, ob dies daran liegt, daß Schäden schwer auf Defekte zurückzuführen sind, oder daran, daß die Schäden eher gering sind und nicht durch die Gerichte verfolgt werden, oder vor Ergehen des Urteils geschlichtet werden. Letzteres erscheint plausibel unter dem Gesichtspunkt, daß Branchen zum Schutz ihres guten Namens nicht an der Veröffentlichung solcher Fälle interessiert sind. Die wenigen ergangenen Entscheidungen sind interessant in Bezug auf die Technik und die Haltung, die sich gegenüber dem geschädigten Konsumenten zeigt.
37
Alpa G (1988) L'attuazione della direttiva comunitaria sulla responsabilità del produttore. Tecniche e modelli a confronto Contratto e impresa, 573. 38 Trib. Monza, 20.7.1993. in Nuova giur. civ. comm., 1994, I, 124, con nota di Rossello; in Giur.it., 1995,1,2,323 mit Anm. von B.Gardella Tedeschi. 39 Cass. 10274/95.
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8. Die Haftung der Dienstleister
8. Die Haftung der Dienstleister Die Direktion Verbraucherpolitik der Europäischen Kommission arbeitete im Rahmen der Aktivitäten zur Sicherheit der Konsumenten die Richtlinie über die Haftung der Dienstleistungserbringer aus.40 Die Bezeichnung des Geschädigten umfaßt nicht nur den Benutzer oder “Adressaten” der Dienstleistung, sondern auch ein Dritter kann in Betracht kommen, z.B. der sog. bystander; hier wird bspw. der Schaden innerhalb eines Gebäudes geschützt, der beim Erbringen einer Leistung verursacht wird. Auch die folgende Neuerung wurde mit dem Entwurf verfolgt. Die Beziehung zwischen Produzent und Konsument wird normalerweise durch einen sog. “sozialen Vertrag” hergestellt, wobei keine direkte Vertragsbeziehung zwischen den beteiligten Parteien besteht: der Verbraucher (der nicht nur bystander ist) knüpft die Beziehung durch den vermittelnden Verkäufer etc. an. Im Falle von Dienstleistungen dagegen hat der Benutzer eine direkte Vertragsbeziehung mit dem Leistungserbringer: man greift daher auf eine Fiktion zurück und betrachtet auch dies als außervertragliche Beziehung. Diese Lösung war notwendig, weil die Mitgliedstaaten so unterschiedliche spezielle Rechtsfiguren vorschreiben, wie die obligations de sécurité, die vertragsimmanenten Sicherungspflichten, oder manchmal die simultane vertragliche und außervertragliche Haftung; heterogene Figuren, die sich nicht mit einem homogenen Konzept vereinheitlichen lassen. Die Definition von Dienstleistung, Art. 2 des Entwurfs, ist reichlich weit gefaßt, und bezeichnet “jede im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit oder eines öffentlichen Dienstes in unabhängiger Weise erbrachte entgeltliche oder unentgeltliche Leistung, die nicht unmittelbar und ausschließlich die Herstellung von Gütern oder die Übertragung dinglicher Rechte oder von Urheberrechten zum Gegenstand hat.” Die Dienstleistung kann “materiell” oder “immateriell” sein. Ausgenommen sind Leistungen, die nicht geeignet sind, einen Schaden zu verursachen, internationale Transporte und Gesundheitsdienste. Diese begrifflichen Ausschlüsse haben verschiedene Gründe: für einige Gegenstände existierten bereits Richtlinien, oder spezielle EU - Aufgabenbereiche; im Falle der Gesundheitsdienste handelt es sich generell um Personen, die bereits eine Schädigung aufweisen, und auch handelt es sich hier um eine bewußte Privilegierung des Gesundheitswesens.41
40
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Haftung bei Dienstleistungen KOM(90) 482 endg.-SYN 308 (Von der Kommission vorgelegt am 9. November 1990). 41 Vgl. hierzu speziell zu den Tendenzen in Italien, wo dieser Ausschluß nicht gilt: Alpa G und Bessone M (1990) I fatti illeciti, in: Trattato del diritto privato, Rescigno P, Hrsg. 14; siehe ferner zu dieser Thematik unten Teil3, Kapitel 2, 1.3 ff.
Teil 2 Kapitel 4 Die zivilrechtliche Haftung
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9. Projekte der Vereinheitlichung des Haftungsrechts Aus dem Gesagten ist ein wenig hervorgegangen, daß die verschiedenen Modelle, die in den nationalen Rechtsordnungen herrschen, eine Tendenz zur Konvergenz nach der Theorie von B Markesinis aufweisen. Aber dieser Prozeß ist sehr langsam und voller Unterbrechungen, weil es eine Kooperation zwischen Theorie und Rechtsprechung erfordert, aber auch eine besondere Aufmerksamkeit des nationalen Gesetzgebers. Auch der acquis communautaire, der auf die Regelung genau umschriebener Ziele gerichtet ist, ist auf diesem Gebiet noch begrenzt. Die derzeitige Forschung zeigt, wie weit die Systeme noch voneinander entfernt sind, und daß es nützlich wäre, eine gemeinsame Terminologie, Konzepte und allgemeine Regeln zu erreichen. Besonders Basil Markesinis und Christian von Bar haben die Schwierigkeiten, auf die die Anerkennung gemeinsamer Haftungsregeln trifft, beschrieben. Das rechtliche Umfeld der zivilrechtlichen Haftung ist äußerst weit. C.v. Bar und Ulrich Drobnig haben ein reichhaltiges Werk vorgelegt, welches sich punktuell mit Haftungsrecht und Vertrag beschäftigt.42 Andere Untersuchungen wurden von Spier, Koziol, Magnus und Koch durchgeführt, und zwar zu Umfang und Grenzen der Haftung, Widerrechtlichkeit, Kausalität, Schadensbegriff und verschuldensunabhängiger Haftung. Es gibt auch Bestrebungen für einen Kodifikationsentwurf seitens der Study Group on Tort Law an der Universität in Giron und im Rahmen der Study Group on European Contract Law unter C.v. Bar. All diese folgen verschiedenen systematischen Ansätzen. Die universitäre Forschungsgruppe in Giron hat Grundsätze (Principles of European Tort Law, PETL) formuliert, die den italienischen Artt. 2043-2059 C.c. ähnlich sind. Das von v. Bar geleitete Projekt orientiert sich stärker am deutschen Recht. Es basiert auf Schaden an relevanten, geschützten Rechtsgütern, die auf besonderen Interessen beruhen. Zurechnungskriterien sind Verschulden oder Vorsatz, aber es werden spezielle Fallgruppen unterschieden und gesondert geregelt, auch bezüglich besonderer Umstände der Kausalität und Haftungsteilung
10. Literaturhinweise Die Literatur auf dem Gebiet der zivilrechtlichen Haftung ist uferlos. Zunächst weisen wir hier auf Weinrib hin: Toward a moral Theory of Negligence, 2 Law and Philosophy, 1983, 7; Englard, The Philosophy of Tort Law, Dartmouth, 1992, 11; Toward a jurisprudence of Injury: The Continuing Creation of a System of Substantive Justice in American Tort Law, hrsg. v. Shapo, 1984; Posner, A Theory of neglicence, 1, J. Legal Stud, 1972, 29; G Calabresi, J T Hirschoff, Toward a Test of Strict Liability in Torts, 81, Yale, L.J., 1972, 1055. Markesinis, The German Law of Torts. A comparative introduction, Oxford, 1990, aber siehe auch G 42
Bar C v und Drobnig U (2004) The Interaction of Contract Law and Tort and Property Law in Europe.
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10. Literaturhinweise
Ponzanelli, La responsabilità civile. Profili di diritto comparato, Bologna, 1992; G Alpa, La responsabilità civile, Bologna, 1991; P Stein, J Shand, I valori comuni dell’Occidente, trad. it., Milano, 1980; G Alpa I principi generali, Milano, 1993; Dias, B Markesinis, Tort Law, Oxford, 1984, 34. Die Grundmodelle für die Illustration der neuen Theorien auf diesem Gebiet verdanken wir P Trimarchi, Rischio e responsabilità oggettiva, Milano, 1961, und S Rodotà, Il problema della responsabilità civile, Milano, 1964. Die seltenen französischen Urteile aus dommage par ricochet werden kommentiert von G Viney, La responsabilità civile, Paris, 1982, zum Vermögensschaden und zum Folgeschaden. Die neuen Grenzen der zivilrechtlichen Haftung im common law werden beschrieben von T Weir, A Casebook on Torts, London, 1991, und für das USamerikanischen Recht: Rudden, Torticles, Essay in Honor of Professor Ferdinand F. Stone, Tulane Law School, 1992. Eine Beschreibung des gesamten englischen Haftungsrechts bieten B Markesinis und S Deakin, Tort Law, 5. Aufl., hrsg. v. S. Deakin, A. Johnston, B Markesinis, Clarendon Press, Oxford, 2003, XC - 858. Zu den Umsetzungstechniken europarechtlicher Richtlinien in den Mitgliedstaaten siehe, L'adattamento dei diritti nazionali ad diritto comunitario, in Corso di sistemi giuridici comparati, hrsg. v. Alpa, Torino, 1996; Die Technik im italienischen Recht wird durch das sog. “legge La Pergola" (del 9.3.1989, n.86) erreicht: hierzu siehe u.a. G P Parodi, in Commentario breve al Codice civile. Leggi complementari, hrsg. v. Alpa und Zatti, Padova, 1995, Alpa, Responsabilità civile e danno, Bologna, 1991; Franzoni, I fatti illeciti, Bologna-Roma, 1993); Visintini, Trattato breve della responsabilità civile, Padova, 1996; Salvi, La responsabilità civile, Milano, 1998, S. 23; Alpa, I principi generali, Milano, 1993. Die Perspektive der ökonomischen Analyse dieses Rechtsbereichs findet sich bei Alpa, Pulitini, Rodotà, Romani, Interpretazione giuridica e analisi economica, Milano, 1984; die detaillierteste Forschung verdanken wir hierzu Monateri, La responsabilità civile, Torino, 1998.
Teil 3: Der Markt
Kapitel 1 Die Marktordnung
Inhalt: 1. Einführung – 2. Zeitgenössisches Wirtschaftsrecht – 3. Die neue Lex Mercatoria und die Instanzen der Gesetzgebung – 4. Der Wettbewerb – 5. Die Organisation des Konsumentenschutzes und das Subsidiaritätsprinzip – 6. Verbraucherverträge und kleinere bis mittlere Unternehmen – 7. Literaturhinweise
1. Einführung 1.1 Vom Recht des Marktes zum Markt als Rechtsform Beeinflußt von der Theorie der “unsichtbaren Hand” von Adam Smith, wenn nicht gar in ihr gefangen, gingen Wissenschaftler und Juristen lange Zeit davon aus, daß der Markt, oder die Märkte, wie eine von außen kommende Wirklichkeit seien, – ausgestattet mit Spontaneität, Autopoiesis und Unausweichlichkeit – auf die man die jeweiligen Rechtsformen einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten geographischen Gebiet anwandte. In einer gleichsam unüberlegten Weise hat die allgemeine Meinung die Märkte materialisiert, hat sie zu einer inneren Angelegenheit derer gemacht, die dort geboren werden, dort leben, arbeiten, sich freuen, spielen und sterben, als ob der Markt ein Teil der Natur sei, als habe er ein Eigenleben ohne ein menschliches Zutun, Ergebnis spontaner Kräfte, die aufeinandertreffen, sich mischen, sich zu einem Gleichgewicht zusammenfügen, manchmal den Abläufen von Stürmen und Revolutionen unterworfen, wo sie sich gewöhnlich einer regelrechten Logik gemäß entwickeln, oder gemäß richtiger Gesetze, die also ihrem natürlichen Verlauf folgen, wenn keine menschliche Einwirkung erfolgt. Den Übergang von der Wirklichkeit zur Vorstellung, von der Beschreibung zur Kodifikation der Symptome, vom Naturgesetz zum menschlichen Gesetz, hielt man für einen neutralen Vorgang, oder erklärte ihn zu einem solchen, auch wenn er eine ideologische Bewandtnis hatte. Wenn diese Weltanschauung von allen geteilt wird, oder von einem Teil, integriert sie sich in das Kollektivbewußtsein, wird unreflektiert, verkürzt und daher allgemein anerkannt, somit überflüssig. Diese abstrakte Vorstellung vom Markt neigt dazu, stillschweigend die internen Rechtsregeln des Marktes anzunehmen oder jedenfalls ein Vorurteil zu begründen; sie neigt dazu, nicht zur Kenntnis zu nehmen, daß es keinen Markt ohne gesellschaftlichen Zusammenhang gibt, und läuft darauf hinaus, die Autonomie der Wirtschaft, und deren Wissenschaft, die den Markt in allen seinen Erscheinungs-
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1. Einführung
formen und Phasen studiert, sowie der Politik, die die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens erläßt und Machtkonflikte löst, und des Rechts, welches durch veränderliche, neutrale, lediglich formale Vorschriften die wirtschaftliche und die politische Wirklichkeit kodifiziert. “Freihandel” und “Laissez Faire” sind so zu grundlegenden Vorschriften für jede “Marktwirtschaft” geworden, so daß die Rolle des Rechts – verstanden als Gesamtheit aller zu einer bestimmten Zeit in einer Gesellschaft geltenden Regeln – sich immer wieder neu darstellt, z.B. wie die Formulierung von andern Regeln eine Art gesonderte Sprache bildet, oder ein anderes allgemeines Symbol für die Darstellung derselben Wirklichkeit, oder als Abdruck den diese Ausdrucksformen der äußeren, spontanen, lebendigen Wirklichkeit aufprägen, fungiert, oder, als Übersetzung in Begriffe von Notwendigkeit und von Verbindlichkeit von Regeln, natürlicher Ausdruck dieser Wirklichkeit ist. Trotzdem man seit langem die naturrechtlichen Wurzeln der Gedankenwelt von Smith zu Tage gefördert hat, haben seine Ideen alle historischen Bezüge verloren, haben, angepaßt und verändert, soweit sie nicht zu extremen Schlußfolgerungen neigten, die Jahrhunderte ungezähmt überwunden und beherrschen heute wieder einen Großteil des Denkens. Man sollte sich deshalb nicht wundern, daß die zeitgenössische Rechtstheorie wie ein “Verwandlungskünstler des Marktes” ist: nach Richard Posner, einer der Koryphäen der ökonomischen Analyse des Rechts,1 macht der Markt einen Teilbereich der Wirklichkeit immun gegen rechtliche Regelungen, und die rechtlichen Regelungen dürfen diesen Verlauf nicht ändern, sondern passen sich an, ohne Änderungen oder Ausgleich zu schaffen; 2 mit andern Worten, sie müssen diese Regelungen verbindlich machen. Wirtschaft und Recht verschmelzen somit zu einer Art normativer Ökonomie. Es ist jedoch an dieser Stelle sinnvoll, auch daran zu erinnern, daß die Hauptlinien von Smiths Analyse aus dem Denken der Scholastiker stammen und von den Philosophen der Naturrechtslehre, die Smith nicht nur durch die Werke Pufendorfs und Grotius’ kennt, sondern auch durch die Weitergabe durch seinen Lehrer Hutcheson.3
Auf der andern Seite der philosophischen Herkunft der Smithschen Theorie des Marktes wendet sich eine moderne kritische Analyse dagegen, daß der Markt eine Abstraktion ist, eine Synthese verschiedener Umstände, hinter denen sich diese Abstraktionen verbergen, die wir Märkte nennen. Diese exis-tieren keineswegs im Nichts (...) sondern ihre Existenz hängt von einer Anzahl anderer Institutionen ab: die Institutionen des Rechts und des Geldes.4
1
Siehe oben Teil 2 Kapitel 4, 1.2 und vgl. Grechenig K und Gelter M (2008) Divergente Evolution de Rechtsdenkens - Von amerikanischer Rechtsökonomie und deutscher Dogmatik, Rabels Zeitschrift 72 (3), 513-61. 2 Posner, R. (1977) Economic Analysis of Law. 3 Schumpeter J A (1954) History of Economic Analysis of Law, 104. 4 Guesnerie R (1998/2006) L'Economie de marché, 23. [zitiert nach der früheren Auflage.]
Teil 3 Kapitel 1 Die Marktordnung
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Das Recht und das Geld sind die beiden „Schlüsselinstitutionen des Marktes.“5 Dem naiven Glauben, der im Markt (oder im „freien“ Markt) den Ausdruck von Naturgewalten sieht, die immun sind gegen jede Befleckung durch das Recht, und in jedem normativen Eingriff eine unnatürliche Beschränkung dieser Kräfte, kann man – in gleichermaßen einfacher Weise – entgegenhalten, auch wenn man damit das Risiko der Banalität eingeht, daß, so wie ein Markt existieren kann, auch der Handel existiert. Wie uns die Anthropologen lehren, findet der Handel aus Gründen guter Nachbarschaft statt, aus geistlichen Gründen, aus ehelichen Gründen oder um gegenseitiger Bereicherung willen, durch potlach, durch Schenkung oder durch Tausch. Er kann insoweit bestehen, wie Vertrauen besteht, oder ein Gegenwert, oder das Versprechen eines Gegenwertes: es ist unwichtig, ob die Regeln formelles Recht sind oder einen spontanen Charakter haben. Dies wird daraus ersichtlich, daß wer handelt, mit einem Ziel handelt und dieses Ziel nur durch Austausch erreichen kann. Der „Handel“ in diesem weiten Sinne schließt jedenfalls eine Rechtsordnung ein. Die Gegenüberstellung, die in den Begriffen „Recht und Markt“ enthalten ist, hat deshalb keinen Sinn: „der Markt ist das Recht, welches ihn regiert und begründet; und es nimmt die Form von politischen und normativen Entscheidungen an.“6 Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß diese Annahme – die durchaus geteilt werden kann – von einigen als irrgläubig, von anderen als extravagant oder als gänzlich unbegründet bezeichnet wird. Dennoch, auch in unserer Rechtskultur hat man schon seit geraumer Zeit auf die Risiken hingewiesen, die derjenige auf sich nimmt, dem „die Rechtsordnung als Auffangbecken, in die sich die Masse der Ökonomie ergießt,“ erscheint.7 Die gegenwärtige Diskussion muß daher die politischen und rechtlichen, marktspezifischen Entscheidungen ansprechen, ohne sich noch mehr von der „unsichtbaren Hand“ betören zu lassen: auch diejenigen, welche diese auch heute noch in einer sakralen Weise betrachten, oder naive und unwissende Bekenntnisse aussprechen, oder Verfechter wider besseren Wissens sind. Eine Abhandlung von Natalino Irti hat die Gegensätze deutlich gemacht – vielleicht kann man von zwei Grundüberzeugungen sprechen, die sich in diesem liberalen Gedankengut eingenistet haben: die eine, die auf der Notwendigkeit jedweder Enthaltung des Staates von einer Einmischung in den Markt besteht, und die andere, die die wirtschaftliche Freiheit mit der Wahrung der bürgerlichen und politischen Freiheit verbindet.8 5
Guesnerie (1996) L'Economie de marché. Irti N (1998) L'ordine giuridico del mercato, 12. 7 Mengoni L (1963) Forma giuridica e materia economica. Studi in onore di A Asquini 3, 1075. 8 Irti, op.cit., Anm. 5. Das Buch hat großes Interesse gefunden, zustimmend und ablehnend. Vgl. die Rezension von Petroni, in der Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore vom 22.3.1998; zu den zwei Grundüberzeugungen siehe Zanone, ibid., 29.11.1998, zugleich ein Kommentar zu den Büchern von Irti (oben) und Pera A (1998) Concorrenza e antitrust; Ferrarese Maria Rosaria (1998) Recensione a N. Irti, L'ordine giuridico del mercato, Laterza, Roma-Bari., Sociologia del diritto 1. 6
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1. Einführung
Kurzum, es ist methodisch korrekt, dem „Dualismus von Form und Inhalt, von Behältnis und Material“, die „unitaristische und monistische Theorie“ gegenüberzustellen, „nach der das Institut der Wirtschaft gleichzeitig das Institut des Rechts ist, nicht außerhalb von disziplinierenden Normen erfaßbar: ja, es bildet ein einheitliches Ganzes mit diesen Normen, es identifiziert sich gänzlich mit ihnen.9 Schon seit langem sind Juristen überzeugte Anhänger dieser These. Will man in der Zeit zurückgehen, genügt es, an die Ursprünge und die Tradition des Handelsrechts, der lex mercatoria zu denken, an die Erscheinungsformen des „rechtlichen Sozialismus“, und, in einer uns näheren Epoche, an die Theorie der Sozialfunktion von Rechtsinstituten, aufgrund derer Karl Renner, schon 1929, die Identität von Recht und Wirtschaft in kompetenter und überzeugender Weise geradezu predigte.10 „Verrechtlichung der Regeln des Marktes“ ist deshalb ein unangebrachter Ausdruck, da er eine Trennung von Recht und Markt erkennen läßt, dem er ja gerade widersprechen will. Man muß das Thema daher von einem andern Gesichtspunkt aus abhandeln: man kann sich fragen, ob die Regeln, die den Markt beherrschen, vielfältig sein müssen, ob sie spezifisch und analytisch sein müssen, oder auch marginal, wenig eingreifend und von einfacher Art. Es erscheint uns richtiger, die Diskussion in diesen Zusammenhang zu stellen. Sie ist stark von polemischen Akzenten geprägt, in deren Fallstricke Marktteilnehmer sich verfangen und übermäßige Verpflichtungen, sowie unerträgliche und unnötige (auch bürokratische) Kosten schaffen. Die Diskussion wurde von Historikern immer aus diesem Blickwinkel geführt, besonders im US - amerikanischen Recht, darüber, ob dem Markt eine Ordnung aus Techniken für eine bessere Orientierung zu geben sei, oder, wie die normativen Inhalte des Marktgeschehens auszudrücken sind. Soll man sich dabei auf Spezialgesetzgebung (statutes) oder auf Regeln, die sich aus der Rechtssprechung mit Bezug auf geschäftliche Aktivitäten (transactions) unter Privaten ergeben (common law), beziehen?11 In diesem Zusammenhang hat sich die Diskussion über die Disziplin des Wettbewerbs entwirrt, im internen Bereich (von der Ebene der Verfassung zu den Spezialgesetzen
9
Irti, N. (1998) L'ordine giuridico del mercato, 45. Ibid. 11 Eine genaue Rekonstruktion des historischen, politischen und intellektuellen Verlaufs der Diskussion in den USA findet sich bei Ferrarrese M R (1992) Diritto e Mercato: Il Caso Degli Stati Uniti und bei Friedman L M (1995) Storia del diritto americano [hier zitiert nach der ital. Übers., Original: Friedman L M (2005) A History of American Law, erste Aufl. 1973]. 10
Teil 3 Kapitel 1 Die Marktordnung
275
und zu dem Institut der Privatautonomie und Selbstverfassung)12 und im Gemeinschaftsbereich.13 Ebenfalls in diesem Zusammenhang entfaltet sich die Diskussion über die Intervention des Staates in der Wirtschaft und über Glück oder Unglück von Privatisierung.14 Hierbei trifft man auch stets auf die Befürworter der deregulation gegenüber jenen der Regulierung, sowie auf die Verfechter des Sozialstaats im Gegensatz zu jenen, die dessen Abbau fordern. 15 Hier kann man sich auch fragen, ob die formelle Gesetzgebung die erhofften Ergebnisse erbracht hat, wessen Interessen effektiv geschützt werden, und ob sie nicht an gestellten Aufgaben gescheitert ist.16 1.2 Die rechtliche Konzeption des Marktes Diese Problematik erlaubt es, diejenigen Seiten des Werkes von Irti um so höher zu schätzen, welche u.E. das „Herz“ des Aufsatzes bilden und zugleich den bedeutendsten Aspekt seiner bisherigen Forschung.17 Über diese ist Kritik einiger Juristen zu vermerken, zusammen mit dem Lob seiner Bewunderer. Es sind genau die Seiten, auf denen Irti die Kriterien aufzählt, nach denen sich das rechtliche Konzept des Marktes definiert, auf denen er durchaus überzeugend erklärt, daß man den ökonomischen Aspekt nicht vom rechtlichen Aspekt des Marktes abspalten kann, und betont, daß der Markt, der heute auf internen Regeln, sowie aus Gemeinschafts- und internationalen Regeln besteht, Werte hervorbringt, die den Wettbewerb schützen und damit die Effizienz, die Informationsfreiheit und damit die Transparenz, sowie die Personen und damit die schwachen Interessen, die diese verkörpern. Während wir die Ansichten des Autors teilen, erscheint es uns doch sinnvoll – im Dialog mit einigen seiner Kritiker – die Richtigkeit seiner Thesen zu prüfen. Wir nehmen die Antwort vorweg – sie ist negativ. Mit anderen Worten, es erscheint uns weder der Vorwurf des Weberismus, der von Guido Rossi18 geäußert
12
Amato G (1992) Il mercato nella Costituzione, Quaderni costituzionali, XII(1), 7; Oppo G (1994) Diritto privato e interessi pubblici Rivista di diritto civile, 1, 25 und bereits Tarello G (1971) Sulle istituzioni (giuridiche) dell'economia capitalistica, Politica del diritto, 261 ff.; Williamson O E (1992) Le istituzioni economiche del capitalismo. 13 Aus der interdisziplinären Literatur siehe Amato G (1998) Il potere e l’antitrust: il dilemma della democrazia liberale nella storia del mercato; sowie Micklitz H W und Weatherill S (1997) European Economic Law. 14 Ein Überblick über die dogmatischen Positionen und den internen Ablauf findet sich bei Alpa G (1997) Istituzioni di diritto privato, Seconda Appendice. 15 Die Diskussion ist zusammengefaßt bei Stiglitz J E (1997) Il ruolo economico dello Stato. 16 Dies ist im Wesentlichen die Beobachtung von Ferrarese M R (1998) Recensione a N. Irti, L'ordine giuridico del mercato, Sociologia del diritto 1. 17 Irti N (1998) L'ordine giuridico del mercato, 44-63. 18 Rossi G (1998) Diritto e mercato Rivista Sociale, 1143.
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1. Einführung
wird, noch der des Formalismus, von Maria Rosaria Ferrarese,19 geeignet, die Grundlagen seiner Argumentation zu unterminieren. (a) Ein Beispiel, welches Guido Rossi anführt, um zu demonstrieren, daß es einen Markt im Vorfeld gesetzgeberischer Intervention geben kann – und damit, daß es wirtschaftliche Regeln gibt, die der Intervention – sofern erforderlich – durch rechtliche Regeln vorausgehen, betrifft die grey markets welche „von denselben angelsächsischen Juristen als ein Ort bezeichnet werden, wo es einen Markt gibt, aber kein Recht“:20 eine Art Selbstregulierung der Finanzmärkte, die zu einer Ordnung ohne gesetzliche Eingriffe führt. Wir glauben, daß sich in dieser Argumentation ein Widerspruch verbirgt: es ist zwar richtig, daß angelsächsische Juristen eine ursprüngliche Kultur vertreten, welche das common law vom statutory law unterscheidet, und daß sie der Privatautonomie (wie wir civilians sagen) die spontane und freie Schaffung von Regeln zugestehen, um das Funktionieren des Handels nach einem optimalen Modell zu ermöglichen (dem Modell von Pareto), 21 aber es ist andererseits auch wahr, daß auch vor einem gesetzgeberischen Eingriff der Markt bereits Regeln zum Ausdruck gebracht hat. Solche typischen Regeln werden vom common law festgehalten, wodurch der Markt Regeln zum Abschluß von Verträgen ausdrückt (welche notwendig für die Ausübung des Handels sind), Regeln zur Aufhebung oder Änderung von fehlerhaften Geschäften, Rechtsbehelfe zur Heilung oder Sanktionierung von fahrlässigem oder betrügerischem Handeln. Also wird das Problem zu einem anderen und betrifft die Wertung – statt der Möglichkeit – in Bezug auf die Ersetzung oder die Korrektur der Regeln des common law durch andere Regeln, die von einer gesetzgeberisch-interventionistischen Natur sind, und die bestimmte Interessen verfolgen, welche durch Regeln des common law keinerlei Schutz oder nur unzureichende Garantien erfahren. Daher erscheint es uns schwierig, ohne weiteres aufrechtzuerhalten, der Markt sei ein locus naturalis – eher ist er ein locus artificialis – der sich ohne rechtliche Regelungen aufrechterhalten kann. Dies auch deshalb, weil der Markt, obzwar er nicht von oben herab regiert wird, trotzdem immer immanent und natürlicherweise aus Regeln besteht. Die einzelnen Geschäfte, die transactions, wie die angelsächsischen Juristen sie nennen, werden auch immer von den Prinzipien des common law geregelt, die sich aufschichten und absetzen und sich am Fallrecht bewähren. Die transactions haben umsomehr Bestand, sind gültig, werden beachtet, je mehr ihr wirtschaftlicher Inhalt auf Regeln rechtlicher Natur beruht. Daß die Regeln des common law trotzdem nicht alle Interessen, die auf dem Finanzmarkt in Konflikt geraten können, wirksam schützen, zeigt sich (ohne die Gesamtsituation in den USA in Augenschein zu nehmen) an der Einführung eines Artikelgesetzes, des englischen Financial Services Act 1986.22 19
Ferrarrese, op. cit. Anm. 16. Rossi, op.cit., Anm. 18, 1446. 21 Vgl. unten 1.3. 22 Gefolgt vom Financial Services and Markets Act 2000; vgl. hierzu Alpa G und Andenas M (2005) Fondamenti del diritto privato europeo, Teil 3 Kapitel 3, 689-728. 20
Teil 3 Kapitel 1 Die Marktordnung
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Daß die Reglementierung in den verschiedenen Mitgliedstaaten der Union inhomogen war und die Interessen der Investoren nicht ausreichend schützte, zeigt sich an der Richtlinie Nr. 22 von 1993, die in allen Mitgliedstaaten umgesetzt wurde durch präzise Anweisungen betreffend die Richtigkeit, Transparenz und Billigkeit.23 Dies beweist, daß die Regeln des common law (und ebensowenig der Markt) die Einhaltung von Richtigkeit, Transparenz und Billigkeit nicht gewährleisten und dies auch nicht können. Um auf die italienische Situation zu kommen, erscheint es uns ausreichend, sich zu vergegenwärtigen, was, mit Bezug auf Bedeutung und Anwendung des Art. 41 der italienischen Verfassung, Guiliano Amato vor einigen Jahren beobachtet hat: 24 „man war sich immer bewußt, daß es Werte und Interessen gibt, die nicht von Seiten des Marktes und der Bedürftigen realisierbar sind, die im Gegenteil durch die Ausweitung seiner Regeln verteidigt werden: die Würde der Person, die Wohlfahrt (...), die Umwelt müssen dem freien Spiel des Marktes Fesseln anlegen, denn in vielen Situationen gibt es keine starken markteigenen Kräfte, die diese schützen können.“ Zu diesen Interessen – die übrigens auch durch den Vertrag von Amsterdam von 1997 (Art.153), in Kraft getreten am 1. Mai 1998, anerkannt werden – muß man die „wirtschaftlichen Interessen“ der Verbraucher (und dort einschließlich der Anleger) zählen. Viele Gemeinschaftsdokumente beschäftigen sich mit diesen schwachen Interessen, welche die kodifizierten Regelungen oder die des common law ignorieren oder nur zu einem geringen Grad schützen: von der Resolution von 1975, über die Rechte der Verbraucher zu der Untersuchung von 1996, über Belange der Verbraucher auf dem Finanzmarkt zu der Meinung des Kommissars für Wirtschaft und Soziales von 1997, dem Schutz der Interessen der Kunden von Versicherungen und so fort. Hieraus ergibt sich für denjenigen, der an den Markt als eine autonome, ausschließlich wirtschaftliche Einheit glaubt, dessen Scheitern: in jedem EU-Land und von Seiten der Union selbst hat man Maßnahmen in Bezug auf dieses Scheitern ergriffen und sich vorbehalten, auf dem Wege der Gesetzgebung zu intervenieren. Uns erscheint deshalb die Auffassung unbegründet, nach der „die jüngsten Vorgänge der Deregulierung der Finanzmärkte (...) ausdrücklich der Existenz einer rigoros gesetzgeberischen Rechtsordnung des Marktes widerspricht.“ (b) Kommen wir nun zum Kritikpunkt des Formalismus. Wir sind fast alle davon überzeugt, daß das Recht – im weiteren Sinne – sich aus vielerlei Rechtsquellen ergibt, aus der Gesetzgebung, der geschriebenen wie auch der ungeschriebenen, welche der Auslegung unterliegt, sowie aus allgemeinen Rechtsprinzipien, Gepflogenheiten etc. Aber ihre Bindungswirkung beruht darauf, inwieweit der Staat sie anerkennt und legitimiert. Der Staat nimmt vielfältige Erscheinungsformen an: er zeigt sich im Gewande des parlamentarischen Gesetzgebers, als Normgeber in der Exekutive, als unabhängige Verwaltungshoheit, als Richter, der Streit zwischen Privaten schlichtet, als Begrenzung für kollektive Vereinbarungen und private Rechtsgeschäfte und vieles mehr. 23 24
Alpa G, Chiassoni P, et al., Hrsg. (1998) Analisi economica del diritto privato. Amato G (1992) Il mercato nella Costituzione Quaderni costituzionali, 18.
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1. Einführung
Der Staat tritt auch als Unternehmer auf und verkörpert den Apparat, der den sozial schwachen Schichten Unterstützung und Hilfe anbietet. Er ist auch Regulativ, sei es von oben oder von unten. Die Verringerung staatlichen Eingreifens, die bei den reinen Liberalisten so unbestritten ist, kann es in Bezug auf den Staat als Unternehmer geben, oder es kann die Verhängung von begrenzenden Vorschriften betreffen, sei es als direkte Intervention oder durch die Veränderung der Wettbewerbsregeln. Wir glauben aber nicht, daß dies die Botschaft ist, die sich aus dem Band von Irti ergibt, nämlich eine Aussage, die sich gegen den traditionellen Staat als Unternehmer, Unterstützer und Regulator richtet, und sie will auch nicht den Staat mit dem Gesetzgeber gleichsetzen. Uns scheint im Gegenteil etwas anderes: die juristische Definition des Marktes impliziert, daß die dort herrschenden Interessen nur dann ein optimales Gleichgewicht erreichen können, wenn sie so aufgestellt sind, daß sie mit gleichen Waffen kämpfen. Um dieses zu gewährleisten, gibt es die staatliche Intervention, denn andernfalls würden die Interessen der Stärkeren die der Schwächeren ersticken. Sie wären ihnen überlegen, und dadurch würden sie den grundlegenden Werten der abendländischen Staaten zuwiderlaufen, die, um daran zu erinnern, persönliche Werte sind. Im folgenden werden diese Werte näher beschrieben, und man kann sich die Mühe machen, diese zu erwägen. 1.3 Akteure, Interessen und Regeln Auf der Basis dieser zusammenfassend aufbereiteten methodischen Vorgaben müssen wir nun herausfinden, in welche Richtung das aktuelle rechtliche und wirtschaftliche Denken in dieser Materie geht, und welche Probleme heute gelöst werden müssen. Im Zuge einer Übersicht können wir (ganz willkürlich) die folgenden Richtungen herausfiltern, die sich mit den folgenden Themen beschäftigen: - Verteilung der Ressourcen, Wettbewerb und Umverteilung des Einkommens,25 - wirtschaftliche Effizienz und Freiheit,26 - staatliche Intervention und „Wiederauferstehung des Marktes,“27 - Globalisierung des Marktes,28
25
Hierzu Guesnerie R (2006) L'Economie de marché. Friedman L M (1995) Storia del diritto americano, original: Friedman L M (2005) A History of American Law; Hayek F A v (1986/2000) Legge, legislazione e libertà. 27 Vgl. Bosanquet N (1985) La rivincita del mercato [ital.Übers.], Original: Bosanquet N (1983) After the New Right; Eine vehemente Kritik an Bonsanquet hat Kuttner formuliert: Kuttner R (1999) Everything For Sale. The Virtues and Limits of Markets. 28 Alpa G (1997) Istituzioni di diritto privato, Seconda Appendice; Lafay G (1996) Capire la globalizzazione; Hirst G und Thompson P (1997) La globalizzazione dell'economia., Original: Hirst P und Thompson G (1996) Globalization in Question. The International Economy and the Possibilities of Governance; Fantozzi A und Narduzzi E (1997) Il mercato globale. La nuova sfida del capitalismo e il ruolo dell'Europa. 26
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die neue Wirtschaftsverfassung,29 die Konstruktion des europäischen Marktes.30 Die Auswahl dieser Darstellungen ist didaktisch, weil sie sich aufeinander beziehen. Sie enthalten potentiell weitreichende analytische Abhandlungen, sofern ihnen die nötige Überzeugungskraft und Kompetenz innewohnt. Einen bestimmten Verlauf der hier beschriebenen Diskussion sollte man sich hier näher ansehen, und über einige Kernpunkte nachdenken, auf der Grundlage der folgenden drei Fragen: - Wer sind die Akteure des Marktes? - Welche Interessen werden verfolgt und werden vom Markt geschützt (oder schützen sich selbst)? - Wer macht die Regeln des Marktes? Es ist notwendig, zwischen den „Akteuren“ und den „Interessen“ zu unterscheiden, weil diese nicht immer identisch sind. Der Staat verfolgt öffentliche Interessen, wenn er unternehmerisch handelt, obwohl er wie ein Privater handelt. Der Private verfolgt Privatinteressen, wenn er als Unternehmer handelt, die sich nicht „funktionalisieren“ lassen. Wenn der Staat die Interessen reguliert, kann er dabei sowohl ein öffentliches Interesse wie auch Privatinteressen schützen. Wenn Private ihre Interessen regeln, tun sie dies mitunter zum Schaden von öffentlichen Belangen. Das Spektrum öffentlicher Belange umfaßt nicht immer alle Privatinteressen, das heißt, das Interesse aller Mitglieder der Gesellschaft, kann aber andererseits auch die Interessen „Dritter“ zum Anliegen haben, wie es auf dem sogenannten Tertiären Sektor vorkommt: der Markt ist nicht nur Nährboden für Wettbewerb, Kampf und Übergriff, sondern kann auch Raum für Solidarität geben. Zwischen den Extremen des reinen Kollektivismus und Dirigismus auf der einen und dem des egoistischen und individualistischen Kapitalismus auf der anderen Seite, kann man vermittelnde Ansichten ansiedeln, z.B. in Gestalt der Theorien von Keynes, Pareto oder einige Randtheorien, sowie einige zeitgenössische Theorien der „Sozialen Juristen“, wie sie von Rawls, Dworkin und Ackerman und Vertretern des gemäßigten welfare (Wohlfahrtsstaates) zum Ausdruck gebracht wurden. Die Vorstellung, daß der Markt sich ausschließlich aus Privatpersonen mit Unternehmereigenschaft zusammensetzen kann, und daß er nur aus homines oeconomici besteht, ist längst überholt und hat keinen Platz mehr in einer modernen demokratischen Gesellschaft. Somit können wir sagen: (a) unter den Akteuren des Marktes müssen wir einerseits diejenigen zählen, die Produktion und Verteilung von Waren und Dienstleistungen erbringen, das heißt die Arbeitskraft, und andererseits die Empfänger der Güter und Dienstleistungen, die Verbraucher und Anleger; -
29
Cassese S, La nuova costituzione economica (1995/2006); Ders. Cassese S (1998) Le proposte di riforma della costituzione economica italiana, in: Per una nuova costituzione economica, della Cananea G and Napolitano G, Hrsg. 30 Aus der vielfältigen Literatur vgl. Santaniello, R., Il mercato unico europeo (1998); Maré und Sarcinelli, Europa: cosa ci attende? (1998); Papadia und Santini, La Banca centrale europea (1998); Secchi, Verso l'euro (1998); Smaghi, B., L'euro (1998).
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1. Einführung
(b)
die Interessen, die im Marktgeschehen geschützt werden, sind die der Allgemeinheit, die Interessen der Unternehmer, diejenigen der Arbeiter und die der Verbraucher und Anleger; (c) die Regeln werden von der Allgemeinheit durch die entsprechenden politischen Vertreter gemacht, durch das Mittel der Gesetzgebung, der Selbstverwaltung, der Selbstregulierung, durch Verhandlungen zwischen den Interessenvertretern (der Unternehmerverbände und der Vertreter von Verbrauchern und Anlegern, Umweltverbänden und Solidargemeinschaften, usw.). Konfliktlösung im Einzelfall wird ebenfalls vom Gesetzgeber angeboten, sowie von den Selbstverwaltungsorganen, staatlichen und Schiedsgerichten, Mediatoren und anderen privaten Schlichtern. In diesem Zusammenhang bedeutet „Freiheit des Marktes“ nicht mehr – und lediglich – Freiheit von Vorschriften und Auflagen, die Freiheit des Wettbewerbs, des Marktzugangs, sondern es bedeutet regulation, das heißt, der Schaffung von Regeln, die dem freien Spiel der Interessen zuwiderlaufen, gemäß einer demokratischen Denkweise. Heute ist das Bild jedoch noch komplexer: der interne Markt muß mit dem europäischen und den globalen Märkten zusammenleben. Der Markt muß mit der Entmaterialisierung des Geldes rechnen, mit der Informationstechnologie und Datenübertragung, ebenso wie mit den immer knapper werdenden öffentlichen Mitteln, die bereits zur Restrukturierung des Sozialstaats und Fürsorgewesens geführt haben. Hieraus ergibt sich auch das Phänomen der „Privatisierung“, mit der allmählichen Reduzierung der Bereiche, in denen der Staat als Unternehmer auftritt, und privatrechtliche Tätigkeiten unterhält, sowie die „Vergeltung des Marktes“ nach der das Privatrecht die Oberhand über das öffentliche Recht gewinnt, oder, besser, die Ausdehnung des sogenannten Gemeinen Rechts (diritto comune). Aber wie können nun die Interessen der Verbraucher und Anleger in deren Umfeld und im „Tertiären Sektor“ gewahrt werden? Nur die modernen Rechtsordnungen lassen dieses Regelungsziel zu, denn die (traditionellen) passiven Rechtsordnungen haben zu Regeln geführt, die von bestimmten Akteuren zu deren eigenem Vorteil diktiert wurden: können wir also das Urteil Cesare Vivantes31 über das italienische Handelsgesetzbuch von 1882 revidieren? Auf diesem Boden sind die Grundsätze gediehen, an die sich der Markt heute halten muß: der Schutz des Wohles und der Sicherheit des Individuums, korrektes Verhalten, Verständlichkeit von Geschäftsberichten, Vollständigkeit der Information und Abrechnung über den Handel, gleichmäßige Behandlung der Verbraucher von Waren und Dienstleistungen. Diese Grundsätze bilden das Grundgerüst des europäischen Marktes, und man versucht auch den „globalen Markt“ danach auszurichten. Mit diesen kurzen Bemerkungen haben wir uns nur mit den Interessen der Verbraucher und Anleger beschäftigt. Diese bilden einen eigenen Sektor, auf dem die Veränderungen der Regeln des Marktes entsprechend dem oben Gesagten ganz real und faßbar sind. Gerade durch das Eingreifen der Gemeinschaft verändern sich
31
[C Vivante veröffentlichte einige kritische Werke zum Handelsrecht um 1900.]
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die internen Regeln, und gerade dank der Mitgliedschaft unseres Landes in der Europäischen Union zeichnet sich die „neue Wirtschaftsverfassung“ ab. Es handelt sich um einen noch nicht abgeschlossenen Vorgang, mühselig und holperig, aber unumkehrbar. 1.4 Interessen und Erwartungen. Die Verbraucher auf dem Finanzmarkt Wenn man den Bereich des Verbraucherkredits ausnimmt, zeigen sich die Maßnahmen zum Verbraucherschutz auf dem Finanzdienstleistungssektor in den entsprechenden Programmen, die am Sitz der Gemeinschaft in den letzten Jahren ausgearbeitet wurden.32 Mit Blick auf die Tatsache, daß der Verbraucherkredit schon so umfangreich abgehandelt worden ist, hingegen nur sehr begrenzt in Bezug auf die Gesamtheit der Geschäftsbeziehungen, die der Verbraucher mit Unternehmen auf dem Finanzmarkt eingeht, also mit Banken, Versicherungen, Finanzgesellschaften, Investmenthäusern und Vermittlern, Pensionskassenverwaltern – die „vier Säulen“ dieser Märkte – und wenn man bedenkt, daß die Verbraucher (nicht-institutionelle Anleger oder einfache Sparer) gegenüber den Akteuren sich in einer Situation psychologischer Abhängigkeit und unbestrittener Unterlegenheit befinden, sei es unter dem Gesichtspunkt der technischen oder sachlichen Kompetenz, oder dem der ihnen zugänglichen Information, der Auswahl, Kontrolle oder Verhandlungsmacht, muß man vor allem nach den Gründen für diesen Verzug fragen. Ganz willkürlich ausgewählt, kann man unter anderen die folgenden Gründe vorschlagen: - der Fehler der „Gewissensfalle“ in der unterlegenen Situation; - der Glaube, daß die Finanzmärkte und ihre rechtliche Konstruktion ein vorgegebener Faktor sind, der nicht diskutiert und - nicht veränderbar ist; - die Macht der „Gegenseite“ sei nicht nur ökonomisch sondern auch politisch; - die Aufspaltung der Zuständigkeiten der Gemeinschaft; - der Vorrang der politischen Ziele bei Belangen der Konsumenten gilt eher dem Schutz der Gesundheit und Produktsicherheit, als den ökonomischen Interessen der Verbraucher; - Vorrang bei der Intervention hat das Gebiet der Warenproduktion und des vertriebs, und nicht so sehr die öffentlichen und privaten Dienstleistungen. Die Schwierigkeiten der Intervention sind außerdem einer Vielfalt von Gründen geschuldet. Unter ihnen kann man die folgenden nennen: - Der rechtliche Nährboden: in den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union finden die Verbraucherinteressen auf dem hier besprochenen Gebiet nur wenig Berücksichtigung, sei es, weil die Vorschriften in den Handelsgesetzbüchern oder Spezialgesetzen enthalten sind, die verschiedene Verbrau32
Siehe dazu auch unten Teil 3 Kapitel 2, 7. ff.
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1. Einführung
cherschutzaspekte abschließend regeln, oder weil die Regeln in bestimmten „sektoralen Rechtsordnungen“ erscheinen, die getrennt von allgemeinen Rechtsprinzipien behandelt werden, oder auch weil die Konsumenten - als „Klienten“ – wie ein Gegenpart der Unternehmer behandelt werden, also auf gleicher Ebene. - Der wirtschaftliche Nährboden: die „Erfordernisse des freien Marktes“ sind institutionalisiert in dem Sinne, daß jeder Sektor sich an ökonomische Regeln hält und keine Beschränkungen oder diverse Kontrollen unterhält, die auf die Stabilität des Marktes und auf das Vertrauen der Marktteilnehmer gerichtet sind. - Der technologische Faktor: Finanzdienstleistungen erfordern nunmehr für ihre Formulierung, ihre Entwicklung und ihren Vertrieb den Kontakt mit den Konsumenten, sowie den Einsatz von hochentwickelten Technologien, die traditionelle Methoden revolutioniert haben, auch auf dem letzten Gebiet der Kundenbeziehungen. Die Erwartungen der Verbraucher werden klar und abschließend bestätigt durch einige Akte der Gemeinschaft oder von Organisationen, die mit ihr zusammenarbeiten: das ‚Green Paper’ der Kommission Financial Services: Meeting Consumer’s Expectations vom 22.5.1996; das Follow Up der Kommission über Financial Services: Enhancing Consumer Confidence vom 26.6.1997; die Programme der Kommission, vorbereitet von der Generaldirektion XXIV, betreffend die Verbraucherpolitik; 33 die Stellungnahme der Komitees für Wirtschaft und Soziales zum Thema „Die Verbraucher im Versicherungsmarkt“.34 Was erwartet die Verbraucher in Finanzdienstleistungsmärkten im Wesentlichen? Die grundsätzlichen Aspekte betreffen: - auf dem Gebiet des Bankwesens: die Stabilität der Kreditinstitute, die Rückerstattung von investierten Summen, die Qualität der Dienstleistungen, ein „fairer Preis“ der nachgefragten Transaktionen, größtmöglichste Profitabilität von Investitionen; - auf dem Gebiet des Versicherungswesens: die Risikoabdeckung, ein „fairer Preis“ der Prämien, die Zuverlässigkeit der Anbieter, die Rückerstattung des Kapitals und eine Gewinnmarge für Versicherungsprodukte mit finanziellem Charakter; - auf dem Gebiet des Investitionswesens: eine korrekte und profitable Anlage des Kapitals; - auf dem Gebiet des Pensionswesens: die Zuverlässigkeit der Anbieter und die pünktliche Entnahme der Pensionsraten.
33
Bonino (1998) Quale politica per i consumatori della Unione europea. Consumatori, Diritti e Mercato 1, 8 ff. 34 98/c/18.
Teil 3 Kapitel 1 Die Marktordnung
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Im Grünbuch der Kommission mit dem Titel „Wie die Erwartungen der Verbraucher erfüllt werden können“35 werden, lediglich in Form von Vorschlägen, große Teile der oben aufgeführten Fragen behandelt. Vor allem kann man italienische Juristen mit dem Ausdruck „Verbraucher“ in Erstaunen versetzen, mit welchem in diesem Text, aber auch im größten Teil der Richtlinien und rechtlichen Entwürfe auf dem Gebiete des Kapitalverkehrs der „Kunde“ bezeichnet wird, der Anleger, jedenfalls der Geschäftspartner oder das Gegenüber der Banken und sonstigen Finanzdienstleister. Man sollte sich von dieser Vielfalt der Terminologie, die sich jetzt auch in den italienischen Gesetzestexten verbreitet, nicht zu sehr verwirren lassen. Aus kulturellen Gründen, sowohl terminologisch wie auch strikt normativ, unterscheidet man in den meisten europäischen Ländern nicht zwischen Konsumenten (bzw. Konsumgütern), Benutzern (von öffentlichen und privaten Diensten) und Anlegern (nicht-institutionellen Anlegern). Heute wird der Konsument in der Terminologie und sodann auch in der Gesetzgebung der Gemeinschaft, in einheitlicher Weise allgemein so bezeichnet als der nicht - professionelle Gegenpart der Banken. Während man im Bankenrecht vorzugsweise vom „Kunden“ spricht, unterscheidet man ansonsten verschiedene Kategorien von Investoren. Es wird also notwendig sein, die Gesetzessprache der Zweiteilung des Gemeinschaftsrechts anzupassen, in dem die Geschäftspartner der Banken und Finanzdienstleistungsvermittler in Konsumenten und Professionelle eingeteilt werden.36 Zweitens beschäftigte sich das Grünbuch auch mit den Geschäftspartnern der Konsumenten, sowohl die Banken, als auch Vermittler von Finanzdienstleistungen, Versicherungsgesellschaften, Leasing- und Kreditunternehmen. Die Regeln, die Prinzipien oder die Vorschriften, die dort vorgeschlagen werden, beziehen sich einheitlich auf alle Sektoren der Finanzmärkte und berücksichtigen die folgenden Gesichtspunkte: (i) finanzielle Stärke (Stabilität), (ii) Ehrlichkeit und Verläßlichkeit (Professionalität und Ehrenhaftigkeit), (iii) Information des Konsumenten, (iv) Rechtsschutz, (v) Rechtsmittel (Beschwerdemöglichkeiten). Drittens werden Fragen aus dem Bereich der Information gestellt, Informationen über Garantien, die Grenzen und Kosten von Kreditgeschäften, den Zinssatz und das Verfahren der Rückabwicklung von Verträgen, ein Ausdruck, der im Gemeinschaftsrecht sowohl die Aufhebung von Vertragsverhältnissen als auch den Rücktritt erfaßt. Auch werden hier wichtige Aspekte von Verträgen behandelt, wie die Transparenz von wirtschaftlichen Vorgängen bis zu ihrer vollständigen Abwicklung und die Dokumentation von Verträgen. Viertens bezieht man sich auf dem Gebiet des Rechtsschutzes auf das anwendbare Recht, auf die Vorrangigkeit von zwingenden Rechtsnormen, auf die Garantie von Einlagen und die Entschädigung und Wiedereinsetzung von Anlegern. Fünftens, schließlich, wird an die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft erinnert, die eine entscheidende Bedeutung im Anlegerschutz des gemeinsamen Finanzmarktes haben. 35
22.5.1996, COM (96) 209 endg., Finanzdienstleistungen - Wahrung der Verbraucherinteressen. 36 Siehe dazu auch unten Teil 3 Kapitel 2, 5.
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1. Einführung
Immer noch von diesem Blickwinkel aus – und dem des wirtschaftlichen Wettbewerbs – geht das Grünbuch zu einer Überlegung von großer Bedeutung über. Es wird betont, daß eines der wichtigsten Ziele der Errichtung eines einheitlichen Marktes für Finanzdienstleistungen die Erweiterung und Diversifikation der Produktpalette für die Verbraucher ist. Es wird sowohl an die Geschäftsabschlußfreiheit erinnert, die die freie Preisgestaltung mit einschließt, als auch an die umgekehrte (‚negative’) Freiheit, eben gerade keine geschäftlichen Beziehungen mit dem Gegenüber einzugehen. Es wird auf die Schwierigkeit hingewiesen, die steigende Vielfalt und Komplexität der Finanzdienstleitungen zu verstehen und zu bewerten, auf die Spärlichkeit der Informationen über Preise und praktizierte Konditionen, den Mangel an Gemeinschaftsnormen zum Thema der grenzüberschreitenden Zahlungen und der Kartenzahlung. Andere angesprochene Punkte betreffen die Auslegungsregeln von Verträgen, die in den verschiedenen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nicht homogen sind. Bis jetzt vertritt die Gemeinschaft den Standpunkt, sie habe in diesem Bereich keine Kompetenz. Hieraus ergab sich der Vorschlag der Vereinheitlichung des Verbrauchervertragsrechts der Expertenkommission von Prof. Ole Lando, die sich mit der Ausarbeitung eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs37 beschäftigt. Im „Follow-Up“ von 1997 hat die Gemeinschaft die Voraussetzungen dieser Untersuchung bestätigt und Mitgliedstaaten eingeladen, sich an die neuen Programme anzupassen. Aber am Sitz der Gemeinschaft verfolgt man weiterhin die Linie der Regulierung der Aktivitäten des privaten Sektors. Insbesondere gehörten dazu Bemühungen, die Fernabsatzrichtlinie über den Verkauf von Finanzprodukten zu ratifizieren. Die Textvorlage, die sich an die am 20.5.1997 angenommene Richtlinie über den Fernabsatz anderer Produkte anlehnt, sieht nicht die schriftliche Bestätigung der Bestellung vor, beschäftigt sich jedoch mit dem Recht der Rückabwicklung von Verträgen, der Ausführung von Lebensversicherungen, den Regeln über unverlangt zugesandtes Material, über persönliche Dienstleistung, sowie Konfliktlösung. Finanzprodukte werden „entmaterialisiert“, und für jedes einzelne Produkt wird geprüft, ob es eines eigenen speziellen Regimes bedarf, gemessenen an seiner Komplexität. Wichtigstes Ziel der Regelung ist die Berücksichtigung der Entscheidung des Verbrauchers, der vor dem Vertragsabschluß angemessen informiert sein muß, er muß in der Lage sein, die Produkte zu vergleichen, sowie seine Zustimmung vor Vertragsabschluß zurückzunehmen. Die Vertragsaufhebung ist nur dann vorgesehen, wenn der Verbraucher vor Vertragsschluss nicht in den Genuß eines „delai de reflection“ gekommen ist.38 Dies ist eine sinnvolle Regelung, jedoch sind wir mit den Aspekten des Verbraucherschutzes nicht ganz zufrieden.
37
Und kürzlich mit der Ausarbeitung des “Common Frame of Reference“, CFR, Study Group on a European Civil Code/Research Group on EC Private Law (Acquis Group), Hrsg. (2008) Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law. Draft Common Frame of Reference (DCFR). Interim Outline Edition; die Artbeiten sind nunmehr abgeschlossen, und die endgültige Fassung steht zur Veröffentlichung an. 38 Siehe dazu näher unten Teil 3 Kapitel 2, 7.3.
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1.5 Von der Intervention zur Koordinierung der „Politiken“ In den Gemeinschaftsprogrammen, auch unter Beachtung des Prinzips der Subsidiarität, hat sich über die interventionistische Richtung eine liberale Richtung gelagert: der Verbraucher wird nicht mehr als ein „geschütztes“ Subjekt, sondern ebenso als ein „informiertes“ Subjekt gesehen; anders ausgedrückt, der Verbraucher ist jetzt der homo oeconomicus, den man substantiell mit seinem Gegenpart (Vertrags- oder Verhandlungspartner) bezüglich der „Informierheit“ gleichstellen muß, so daß er freie und bewußte Entscheidungen treffen kann; es ist auch erforderlich, daß das Verhalten des Vertragspartners fair ist; die Kontrolle des Inhalts des Geschäfts bleibt geringfügig, d.h. die Kontrolle der Preise und Kosten von Dienstleitungen, die Profitabilität bleibt zufällig, und die Beteiligung der Kontroll- und Regierungsorgane der betreffenden Bereiche bleibt unantastbar. Auch wenn man das Verhältnis der Banken, Versicherungen und Finanzdienstleister zum Verbraucher innerhalb ihrer jeweiligen Sektoren betrachtet, sieht man, daß der Finanzsektor entweder nur marginal innerhalb der Tätigkeit der Gemeinschaft erscheint, oder Ausnahmen und Privilegien mit sich bringt. Es gibt keine speziellen Regeln für die Publizität, dafür Spezialvorschriften für den Verbraucherkredit, marginale Regeln zu mißbräuchlichen Vertragsklauseln, die den Unternehmer tendenziell begünstigen, sowie Regelungen über das Verhalten von abhängigen und freiberuflichen Vermittlern und deren Vertretern. Es gab Pläne, Regeln über den Fernabsatz im Bereich der Finanzdienstleistungen zu erlassen.39 Wie soll man diese Ziele, die Erwartungen der Konsumenten und die derzeitige rechtliche Wirklichkeit miteinander vereinbaren? Das heute verfolgte Modell hat zwei Seiten: auf der einen Seite identifiziert man die Erwatungen, kodifiziert die Rechte und vervielfacht die individuellen und kollektiven Rechtsbehelfe; auf der anderen Seite reduziert man die Eingriffsmöglichkeiten, erhält die Regeln, welche gleiche Augenhöhe der Teilnehmer garantieren: Transparenz, Information, Richtigkeit (fairness). 1.6 Die Verrechtlichung der Interessen im Vertrag von Amsterdam Auch aus der Sicht des Verbrauchers von Finanzdienstleistungen hat der Vertrag von Amsterdam wichtige Neuerungen mit sich gebracht; deshalb muß man die neuen Regelungen unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Art. 153 des Vertrages von Amsterdam, der den Art. 129 EG-Vertrag ersetzte, beinhaltet eine außergewöhnliche Wendung in der Organisation der Ziele der Europäischen Union und in der Definition der “Unionsbürgerschaft”, nicht nur im formal-juristischen, sondern auch im sozialen Sinne, mit der von Thomas Marshall40 implizierten Bedeutung. Der Wortlaut der Regelung, Ergebnis langer 39 40
Siehe unten ibid. [Thomas Humphrey Marshall, 1893 - 1982, Professor für Soziologie an der London School of Economics and Political Science (LSE), war Vorbild und Lehrer für viele zeitgenössische Soziologen, bspw. Ralf Dahrendorf.]
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1. Einführung
Verhandlungen, eröffnet ein enormes Potential, selbst wenn die Begriffe, die dort verwendet werden, etwas vage und ungenau erscheinen. Der erste Absatz erklärt als Ziel der Gemeinschaft, die “Förderung der Interessen der Verbraucher und [der] Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus. Der Ausdruck Förderung läßt die Absicht erkennen, daß die Gemeinschaft nicht nur Schutzvorschriften erlassen will, sondern durch eine aktive Rolle dafür sorgen will, daß die Verbraucherinteressen effektiv geschützt, und deshalb im Verhältnis zu den Interessen anderer Marktteilnehmer gestärkt werden; noch ausgeprägter ist die zweite Bestätigung, das Ziel der Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus; dies ist ein klares Bekenntnis zu einem Zeitpunkt, in dem bereits zahlreiche Richtlinien auf diesem Sektor in Kraft waren, betreffend Publizität, Information, Verträge, Kreditwesen, Haftpflicht, und als die bisherige Richtung des europäischen Gesetzgebung in der Erhaltung eines minimalen Schutzniveaus bestand, die den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gab, dieses zu erhöhen. Diese Anfangsregelung kündigt an, daß die Gemeinschaft sich die eigentliche institutionelle Kompetenz vorbehält, zum Schutz bestimmter Rechte und Interessen der Verbraucher beizutragen und andere Rechte der Verbraucher zu fördern. Auch der Ausdruck beitragen muß dechiffriert werden, weil es sich nicht mehr nur um die Identifikation und Garantie von Rechten und Interessen handelt, sondern darum, konkrete Maßnahmen zu deren effizienter Ausübung zu ergreifen. Zusammenfassend läßt sich dies so darstellen: (i) der Schutz betrifft die Gesundheit und die Sicherheit, nicht die wirtschaftlichen Interessen; (ii) die Förderung betrifft das Recht auf Information, auf Ausbildung und die Bildung von Vereinigungen zur Wahrung der eigenen Interessen. Wer die interne Geschichte des Verbraucherschutzes im Gemeinschaftsrecht kennt, bringt diese Formeln bereits mit der Erklärung von subjektiven Positionen der Verbraucher in Verbindung – eine Art. bill of rights – zum ersten Mal von der Gemeinschaft in der Resolution von 1975 ausgedrückt. Aber der Unterschied zwischen den beiden Texten ist tiefgreifend und zeigt sich anschaulich an der verwendeten Terminologie, der Anwendung der normativen Texte, dem maßvollen dreijährigen Turnus in dem sich die Tätigkeit der Gemeinschaft auf diesem Gebiet ausdrückt, und in der Tätigkeit der dazu bestimmten Direktion, 41 die aus der Gesamtheit der Gemeinschaftsbüros geschaffen wurde. Tatsächlich hat man im Jahre 1975 das Instrument der “Entschließung” verwendet für ein erstes Programm im Rahmen einer Initiative zum Schutz von Interessen unter diesen damals “neuen” Belangen.42 Darüber hinaus benötigt jede Intervention der Gemeinschaft in einem Bereich eine entsprechende Rechtfertigung, in dem Sinne, daß die Gründe für die Intervention dargelegt werden müssen in 41 42
Generaldirektion 24. Eine Zeittafel der Entschließungen des Europarates und der EG Organe und anderer historischer Ereignisse in der EG, speziell im Jahre 1975, z.B zum Umweltschutz und zur Entwicklung einer Europäischen Union, findet sich unter http:// edition.eu.com/Zeit1975.htm [zuletzt aufgesucht 25.4.2008].
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Bezug auf die ursprünglichen Kompetenzen der Gemeinschaft, die zur Schaffung eines gemeinsamen Marktes erforderlich sind. Deshalb sind die Maßnahmen zu Gunsten der Verbraucher (und der Benutzer, und der Anleger) im effizienten Funktionieren des Marktes zu sehen, denn die Empfänger der Produkte und Dienstleistungen verdienen eine prinzipiell einheitliche Behandlung, die sich nicht von Land zu Land unterscheidet. Aus der Distanz von zwanzig Jahren betrachtet, gewinnt der Verbraucherschutz mit dem Vertrag von Maastricht von 1992 einen eigenen Titel (XI) und eine normative Begründung einer neuen Grunddisziplin der Gemeinschaft. Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Union faßt dies in Art. 129A zusammen: “zur Erzielung eines hohen Verbraucherschutzniveaus“. Mit dem Vertrag von Amsterdam ist man dazu übergegangen, die Rechte, die Gegenstand der Regelungen sind, nicht mehr als programmatisch, sondern als verbindlich zu bezeichnen. Gegenstand des institutionellen Einflußbereichs der Union ist somit nicht mehr nur die Schaffung eines gemeinsamen Marktes, sondern auch der Schutz subjektiver (Rechts-)Positionen von Individuen, die als Verbraucher angesehen werden. 1.6.1 Die Rechte und Interessen der Verbraucher Die Rechte des Art. 153 EGV kann man in drei verschiedene Kategorien einteilen: - subjektive absolute Rechte, wie die Gesundheit und die Sicherheit; diese Rechte sind immer garantiert und anerkannt, nicht nur in Bezug auf Individuen wie Verbraucher, sondern in Bezug auf jede Person in den geschriebenen Verfassungen der Mitgliedstaaten;43 - wirtschaftliche Interessen; - andere Rechte, die nicht nur rein individuelle, sondern auch kollektive Belange betreffen, wie Informationsrechte, sowie das Recht auf Bildung und die Errichtung von Interessenvertretungen (welches die allgemeine Freiheit der Bildung von Vereinigungen und die institutionelle Vertretung von Interessengruppen mit einschließt). Während aus der ersten Kategorie keine Auslegungsprobleme erwachsen, und man bei der zweiten Kategorie fragen muß, ob es sich lediglich um vertikal anwendbare Rechte handelt, die also gegenüber der Union und den Mitgliedstaaten gelten, oder auch um horizontal geltende Rechte, die sich auf Beziehungen zwischen Privaten auswirken (wie zwischen Verbrauchern und Geschäftsleuten), ergeben sich aus der zweiten Kategorie einige Auslegungsprobleme, mit Blick auf die Auslegungserfordernisse des Gemeinschaftsrechts der im Vertrag von Amsterdam beabsichtigten Anwendungsbereiche. Was war mit dem Ausdruck “wirtschaftliche Interessen” gemeint? Warum ist hier von Interessen und nicht von Rechten die Rede? Man hätte ja ebensogut die Rechte der Verbraucher im Bereich wirtschaftlicher Beziehungen auflisten können. Uns scheint, daß die geradlinigste Lösung auch die einfachste ist: die Verbraucherrechte im wirtschaftlichen Kontext sind vielfältig, so daß eine analytische 43
Vgl. Art. 32 und Art. 41 Abs. 2 der italienischen Verfassung.
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1. Einführung
Aufzählung nur in einem so allgemeinen Zusammenhang wie in Art. 153 möglich ist. Diese Rechte haben ihren ausschließlich wirtschaftlichen Inhalt gemeinsam. Außerdem haben sie eine relative Natur und manifestieren sich von Fall zu Fall je nach dem Zusammenhang (wie die Vertragsfreiheit, das Recht auf Information vor und nach Vertragsabschluß usw.). Die wirtschaftlichen Interessen begründen daher eine Kategorie von Interessen, die die Union mit jedem Ziel, das sie verfolgt, berücksichtigt. Die mit wirtschaftlichen Beziehungen einhergehenden Rechte haben somit nicht das gleiche Gewicht, wie die mit Gesundheit und Sicherheit verbundenen, sondern es sind fundamentale Rechte im Bereich der Gemeinschaft, die im gleichen Maße wie die Grundrechte der Union anerkannt und gewährleistet werden. Deshalb glauben wir – ohne das Thema der Überordnung der Auslegung über den auszulegenden Text hier weiter zu vertiefen – daß es einerseits die Rechte der Person an sich gibt und andererseits die der Verbraucher; Gesundheit und Sicherheit sind keine ausschließlichen Rechte der Verbraucher und sind deshalb nicht verhandelbar; sie haben jedenfalls Vorrang in wirtschaftlichen Beziehungen und daher auch unter den wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher, das heißt, daß Rechte mit rein wirtschaftlichem Inhalt mit den Anforderungen des Schutzes von wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen in Ausgleich gebracht werden können. Ein anderer Aspekt im Zusammenhang mit Art.153 EGV betrifft dessen Absatz 2: “Den Erfordernissen des Verbraucherschutzes wird bei der Festlegung und Durchführung der anderen Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen Rechnung getragen“ (bzw. „müssen... in Betracht gezogen werden“). Der Ausdruck Politiken ist vom englischen policy abgeleitet und bezeichnet daher die Werte, Zielsetzungen und Handlungsrichtungen der Union. Wir haben deshalb keine „Charta“ von Verbraucherrechten vor uns, sondern Ziele von solcher Bedeutung, daß sie in die Gründungstexte der Union aufgenommen wurden, und solchem Gewicht, daß die Politik des Verbraucherschutzes jedenfalls zu den eigentlichen institutionellen Politiken gehört. Dies beinhaltet eine kontinuierliche Konfrontation mit und Vermittlung zwischen den verschiedenen Politiken der Union, wie die Agrar- und Wettbewerbspolitik, die Politiken im Transport- und Kreditwesen usw. Die Belange der Verbraucher bilden deshalb einen verbindlichen Bezugspunkt, und zwar in dem Sinne, daß sie nur dann ausreichend berücksichtigt werden, insofern entgegenstehende Interessen mit denen des Verbraucherschutzes ausgeglichen werden, um ein hohes Schutzniveau zu erreichen. Diese Interessen werden mithin in einer doppelten Dimension berücksichtigt: einerseits individuell und andererseits kollektiv (oder breitgestreut). Daher erklärt sich die wichtige Rolle der Verbände und Vereinigungen. 1.6.2 Die Durchsetzbarkeit der im Vertrag von Amsterdam anerkannten Rechte So wie die Rechte in der Konstruktion des Vertrages anerkannt, gewährleistet und gefördert werden, können sie auch als durchsetzbare Rechte betrachtet werden, sowohl vertikal als auch horizontal? Keinen Zweifel kann es bei dem Recht auf
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Gesundheit und Sicherheit geben; ebenso bei den Rechten mit wirtschaftlichem Inhalt; bei dem Recht auf Information – verstanden als Recht darauf, informiert zu werden (außerhalb von Privatgeschäften), und dem Recht auf Erziehung und Bildung von Vereinigungen, erscheint es uns klarer, von vertikaler Durchsetzbarkeit zu sprechen; es handelt sich in diesen Fällen um Rechte, die Verbraucher individuell oder kollektiv gegenüber der Union und gegenüber den Mitgliedstaaten selbst ausüben können, falls die Gemeinschaftspolitiken der Vorschrift des Art.153 (2) EGV nicht Rechnung tragen. Der neue Vertragstext wirkt auch wie ein normativer Hinweis auf die Auslegung von nationalen Vorschriften. Deshalb ist es notwendig, die interne Methode mit diesem zu koordinieren, auch wenn der Text des Gesetzes vom 30. 7. 1998 nicht die Charta der Verbraucherrechte und das “standing” [Prozeßfähigkeit] der Verbände definiert.
2. Zeitgenössisches Wirtschaftsrecht Der gemeinsame Markt ist ein Markt ohne Hindernisse für das Zirkulieren von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Personen. Es ist ein Markt, in dem Handel sich ausdehnen muß. Aber wie haben sich der Handel und sein Recht in den letzten Jahrzehnten entwickelt? Das Problem der Physiognomie und der Regeln des Handels und des Handelsrechts in unserer Zeit ist von einem berühmten Engländer, Sir Roy Goode, nun Professor am St John’s College in Oxford, in einem Werk namens “Commercial Law in the Next Millenium” aus dem Jahre 199844 anschaulich beschrieben worden. Zusammengestellt aus der angesehenen Hamlyn - Vorlesungsreihe, bietet dieses Werk in einer einzigartigen Sichtweise eine Beschreibung von aktuellen Aspekten des englischen Wirtschaftsrechts und stellt dessen Entwicklungsrichtung an der Schwelle zum dritten Jahrtausend vor. Die Begrenzungen der Forschung werden über die derzeitige Bedeutung des Begriffs commercial law ausgedehnt, der, anders als im italienischen Sprachgebrauch, das Gesellschaftsrecht (company law) nicht mit einschließt. Die dort vorgestellte Technik betrachtet sozusagen die Welt “von oben”, oder, so hat Goode einmal scherzhaft bemerkt, wie Eindrücke, die man aus einem Fesselballon wahrnimmt, weniger die minutiöse analytische Sichtweise eines Archäologen. Von oben sieht man jedoch auch, daß die Welt verschiedene Perspektiven bietet, und wie die historische Analyse, das fein abgestimmte Zusammenspiel der intellektuellen Methoden und der Erfordernisse der Praxis in der Wirtschaft, die Prinzipien und Politiken des Rechts, die diesen Sektor durchziehen, das Auftreten neuer Technologien und der Globalisierung des 44
Goode R (1998) Commercial Law in the Next Millenium; siehe auch Besprechung von Buckley R P (2000) Commercial law in the next millenium - a review of the Hamlyn lectures delivered by Professor Roy Goode, Bond Law Review, zugänglich unter www.bond.edu.au/study-areas/law/publications/BLR/vol12-1/Buckley12_1.doc
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2. Zeitgenössisches Wirtschaftsrecht
Marktes, bereits in unauslöschlicher Weise den Charakter des Wirtschaftsrechts geprägt haben. Wenn man auch die Struktur der Konferenzen, die den Anlaß für jenes Werk gegeben haben, und damit den zurückhaltenden Stil beibehalten hat, so ergibt sich doch ein außergewöhnlicher Eindruck, weil, um mit den Worten des Autors zu sprechen, “der Geist des Wirtschaftsrechts” und dessen komplexe Fragen darin eingeschlossen sind: auf der Seite des Privatrechts vor allem das dogmatische Verhältnis zwischen dem Vertragsrecht, den Regeln der equity und der wirtschaftlichen Praxis; auf der Seite des öffentlichen Rechts das Verhältnis zwischen Gesetzgebung, Macht und Akten der unabhängigen Verwaltung und den Funktionen und Auswirkungen des Grundrechte, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention kodifiziert sind. Es werden Vor- und Nachteile von regulation und Selbstverwaltung erörtert, die Kluft zwischen dem geltenden Recht und dem Tempo der Veränderungen, wie das Beispiel des Gemeinschaftsrechts im Geschäftsleben zeigt. Die Untersuchung beleuchtet auch rechtsvergleichende Aspekte, Rechtsangleichungs- und -vereinheitlichungsprojekte, und, vor allem die “Rückkehr des ius commune,” das die unablässige Kreativität der Marktteilnehmer in Handel und Finanzen betont, und welches damit beschäftigt ist, neue Instrumente und neue Geschäftsmöglichkeiten zu entwickeln. Das Niveau dieses Werkes drückt sich in vier Kapiteln aus: das Profil des Wirtschaftsrechts, bestehend aus der historischen Entwicklung und den philosophischen Grundlagen; das Verhältnis zwischen Privatautonomie und dem Funktionieren des Marktes in den Bereichen privates und öffentliches Recht; die Diskussion um property rights; die Internationalisierung des Wirtschaftsrechts mit seinen privaten und öffentlichen Aspekten. Dieses letzte Kapitel schließt mit einer Einschätzung des derzeitigen Standes des Wirtschaftsrechts im Vereinigten Königreich und der Aussichten und Entwicklungslinien mit einer offenen Bemerkung über die technische Revolution und die Globalisierung der Märkte. 2.1 Ein Grundriß des Wirtschaftsrechts 2.1.1 Ursprüngliche Eigenschaften Der Reiz dieses Konferenzbandes,45 der sich gleich von Anfang an zeigt, liegt darin, daß das gesprochene Wort auf die Seite gebannt wurde: die Geschichte des Wirtschaftsrechts besteht aus der beständigen “Neuerfindung des Rades”. Kurzgesagt, Akkreditive und Wechsel und andere verbriefte Rechte waren schon in der antiken Stadt Karkemish im siebten Jahrhundert vor Christus erfunden worden, sie tauchen dann wieder bei den Zahlungsmitteln der Römer auf und wurden auch im mittelalterlichen und modernen Italien verwendet. Die ständige Wiederentdeckung ist ein Zeichen für die Anpassungsfähigkeit von Wirtschaftsbeziehungen, für die Notwendigkeit, sie den Zeiten jeweils anzupassen, und für die Unabhängigkeit des 45
Goode, op.cit., Anm. 44, basierend auf den Hamlyn lectures von Prof. Sir Roy Goode (Series 49, 1997). Eine Liste der Vorlesungen und ihrer Präsentatoren findet sich unter law.exeter.ac.uk/hamlyn/documents/1949-%2520PDF.pdf
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Rechts und des Marktes. Als eine Selbstverständlichkeit weist Goode darauf hin, daß diese Entwicklung nicht dem intellektuellen Fortschritt geschuldet ist, sondern vielmehr praktischen Erfordernissen. Hiervon ausgehend stellt er fest, daß der Rechtskorpus des Wirtschaftsrechts in England sich sehr langsam entwickelt hat, vielleicht in dem Punkt, daß dieses im Vergleich zu den Ländern des Kontinents unbeweglich erscheint. Das Zivilrecht hat einen bedeutenden Einfluß auf die Schaffung des Handelsrechts ausgeübt, besonders auf den Grundsatz von Treu und Glauben (good faith and fairness), durch den Einfluß von Admiralitätskammer und -gericht (Privy Council). Wenn auch die lex mercatoria den Gerichten des common law aufgetragen war, so festigten sich die ursprünglichen Eigenschaften des englischen Wirtschaftsrechts erst im Verlauf des achtzehnten Jahrhunderts. Der Autor sieht die Gründe dieses Phänomens in drei Faktoren: die Ausdehnung der unternehmerischen Tätigkeit, mit dem Übergang des Handelsrechts im eigentlichen Sinne, konzentriert am Handelsplatz London, zu einem Recht des Marktes, aufgrund der Spezialisierung und Verzweigung des Marktes in Waren-, Finanz-, Versicherungs- und Transportmärkte; die finanzielle und politische Stabilität des Landes; die Haltung des Gesetzgebers und der Gerichte, die dem raschen Abbau des “Paternalismus” zu Gunsten eines freien Unternehmertums zustimmten. Hierzu gesellen sich in unserer Zeit die Entmaterialisierung der Rechtstitel, die Zunahme der telematischen Geschäftsabschlüsse, die Konzentration der Märkte und die neue normative Ordnung, sowohl durch die Europäische Union als auch aufgrund der globalen Märkte. Die ursprünglichen Merkmale des Wirtschaftsrechts haben sich somit grundlegend verändert: die Unterscheidung zwischen Zivil- und Handelsrecht, das heißt, zwischen Regeln, die die Beziehungen zwischen Privatpersonen regeln und solchen, die speziell für Kaufleute gemacht sind, ist überholt. Die Struktur des Wirtschaftsrechts ist überholt, sofern es als Instrument für einen getrennten Bereich verstanden wird, wie der Kauf, agency, negotiable instruments. Insofern wird das Wirtschaftsrecht heute Antwort auf die Auseinandersetzung zwischen den wirtschaftlichen Akteuren. Die eigentlichen Konzepte des Zivilrechts werden neuformuliert im Lichte der Erfordernisse des Wirtschaftsrechts, mit besonderem Gewicht auf dem Gebiet der Schuldverhältnisse und des Eigentums; der trust als familientypische Rechtsform hat sich zu einem maßgeblichen Instrument im Wirtschaftsleben gewandelt, sei es im Hinblick auf die Technik der Abtrennung der Verwaltung, oder die der Koordinierung der verschiedenen Interessen; die Risiken werden nicht mehr im Hause getragen, sondern werden kontrolliert und verhandelt. Auch die Rolle des Verhaltens der Wirtschafstakteure hat sich geändert (the conduct of business life). Die Auswertung der ursprünglichen Merkmale des englischen Wirtschaftsrechts wird vervollständigt durch die beinahe vollkommene Abwesenheit gesetzgeberischer Intervention, während diese Materie immer den von der Privatautonomie diktierten Regeln und der vermittelnden Rolle der Gerichte anvertraut war.
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2. Zeitgenössisches Wirtschaftsrecht
2.1.2 Die philosophischen Grundlagen Was sind die philosophischen Grundlagen des Wirtschaftsrechts? Der Ausdruck “philosophische Grundlagen” – für uns kontinentale Juristen vielleicht ein ungewöhnlicher Zweig des Rechts – wird gewöhnlich in der Literatur des common law verwendet, wie zum Beispiel in jüngeren Werke von J. Gordley auf dem Gebiete der philosophischen Grundlagen des Vertragsrechts46 und von I. Englard über die philosophischen Grundlagen der zivilrechtlichen Haftung; 47 es handelt sich um eine Zusammenstellung, die verschiedene Bedeutungen vorstellt, aber der gegenwärtige Schwerpunkt liegt auf den konstanten Werten von Rechtsregeln und politischen Zielen, sowohl wirtschaftlicher wie auch sozialer Natur, die diese Regeln verfolgen. Es ist ein Diskurs, der auch die Quellen, die Interpretationstechniken, die theoretischen Richtungen und anderes einschließt. Der hier geschilderte Diskurs folgt zumindest scheinbar einem inneren Aufbau, der sich an entgegengesetzten Werten orientiert: (i) commercial law versus commercial morality, (ii) predictability versus justice, (iii) rules versus standards, (iv) form versus substance and function, (v) legal concepts versus legal policies, (vi) law and economics. (i) Die dem Wirtschaftsrecht zugrundeliegenden Werte sind im Wesentlichen zwei: der freie Wettbewerb und die Vertragsfreiheit.48 Jedoch ist das Problem auf das sich Goode bezieht, kein dem Wirtschaftsrecht eigenes; es ist ein Problem des Zusammenspiels und des Austausches zwischen den Sphären des Rechts und der Moral: sind die Beiträge der wirtschaftlichen Akteure moralisch vertretbar? Ist das, was moralisch falsch ist, auch illegal – und umgekehrt?49 Davon ausgehend, daß die Bereiche der Ethik und des Rechts voneinander getrennt, nicht aber einander entgegengesetzt sind, und da der Kanon der Ethik relativ und wechselhaft ist, nimmt Goode eine Interdependenz und einen wechselseitigen Einfluß zwischen den beiden Sphären an. Und dennoch: die Gesamtheit der wirtschaftlichen Beziehungen ist auf Nutzen ausgerichtet, während moralische Bestrebungen um das Erreichen eines guten Zwecks kreisen. Deshalb kann die Auferlegung von ungerechten Bedingungen in einem Vertragsverhältnis als moralisch relevant angesehen werden – aber im Vertragsrecht, welches die Beziehungen zwischen den wirtschaftlichen Akteuren betrifft, ist eine solche Praxis rechtmäßig, und das Recht interveniert nur, wenn diese böswillig ist oder einen Bedarf ausnutzt usw. Dennoch ist die Entwicklung der Moral ein Anreiz für den Gesetzgeber oder den Richter, Eingriffe vorzuschlagen, die die Situation verändern: ein signifikantes Beispiel dafür zeigt sich im Falle des insider trading betreffend die Verbreitung von Informa-
46
Vgl. Gordley J (1991) The philosophical origins of modern contract doctrine; ders. (2001) The Enforceability of Promises in European Contract Law; ders. (2004) Good faith in contract law in the medieval ius commune, in: Mixed Legal Systems in Comparative Perspective: Property and Obligations in Scotland and South Africa, Zimmermann R, Visser D and Reid K, Hrsg. 47 Englard I (1993) The Philosophy of Tort Law; Englard I und Englard I (2009) Corrective and Distributive Justice: From Aristotle to Modern Times. 48 Vgl. oben Teil 2 Kapitel 3. 49 Vgl. auch oben Teil 2 Kapitel 4.
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tion, die zunächst nicht geregelt war, aber als moralisch relevant erachtet und dann zum Gegenstand einer normativen Intervention wurde. Man kann auch das umgekehrte Phänomen beobachten: nämlich die Einordnung eines Verhaltens, welches gegen das Gesetz verstößt, das auch moralisch als verwerflich gilt. (ii) Ein anderer relevanter Aspekt – die “Werte” betreffend – ist die “Vorhersehbarkeit der juristischen Lösung” (sog. predictability), eine der kontinentaleuropäischen “Rechtssicherheit” vergleichbare Formel. Unter Bezug auf die predictability, predigen die angelsächsischen Juristen die wörtliche Auslegung des Vertrages im Gegensatz zu dessen construction und fordern in Bezug auf diesen Begriff pünktliches und korrektes Verhalten, also eine exakte Erfüllung, von den Marktteilnehmern. Natürlich bedeutet predictability nicht die Verhinderung jeglichen Wandels. Deshalb ist das englische Wirtschaftsrecht in erster Linie auf die Bildung von Regeln der Jurisprudenz (judgemade law) angewiesen, und überläßt es den Gerichten, die Regeln zu korrigieren, sie gemäß der neuen, der ökonomischen und kommerziellen Erfordernisse, zu ergänzen. Die Kreativität des Richters und die Regeln der Beachtung des Präjudiziums sind nicht unvereinbar.50 Gleiches gilt für “Regeln” und “Standards”; die Einführung von Regeln wird von der Anpassung von Standards an neue Anforderungen begleitet; im Gegenteil kann die wiederholte Anwendung von Bewertungsstandards diese ebenso in Regeln substantieller Natur verwandeln. (iii) Mit Blick auf die typischen Quellen des common law beschäftigt sich Goode mit der equity. Im Gegensatz zu dem, was man erwarten könnte, daß das Wirtschaftsrecht üblicherweise von Genauigkeit beherrscht wird, die sich an einer sicheren Definition der Rechtsbeziehungen orientiert, gibt es auch höhere Werte. Der Autor erläutert, daß diese Regeln sich beständig entwickeln und immer noch equity in die Schaffung dieses Zweiges des Rechtes mit einfließt; und tatsächlich hat man aufgrund dieser Regeln der equity eines der am weitesten entwickelten und gefestigten Systeme wirtschaftlicher Sicherheit aufbauen können (wenn man einmal an Rechtsinstitute wie subrogation, restitution und trust denkt). Wie in der Disziplin des Vertrages, so hat equity zur Verwurzelung der Wahrhaftigkeit (fairness) im Bereich der Vertragsverhandlungen beigetragen, dazu, die Standards der Rechtschaffenheit zu erhöhen, die Wirtschaftsteilnehmern abverlangen, sich so zu verhalten, daß sie die Interessen ihres Gegenübers nicht über die Grenzen des Erlaubten hinaus beeinträchtigen. Goode übertreibt deshalb nicht, wenn er die Lauterkeit [fairness] betont, die man nach seiner Ansicht begrenzen muß, um das Wirtschaftsrecht nicht in Schulden zu stürzen. Das Ziel seines Anliegens, und auch gleichzeitig seiner Kritik, ist das Eingreifen der Justiz in das vertragliche Gleichgewicht (sog. substantive unconscionability), was das Vertragsrecht gefährlich in die Nähe des “richtigen Preises” des Mittelalters treibt, soweit es die Vertragsauslegung oder dessen Abwicklung betrifft. Anders ausgedrückt, die Gerichte können die sanctity of commercial 50
Vgl. Goode, op.cit., Anm. 44, 15.
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2. Zeitgenössisches Wirtschaftsrecht
transactions 51 nicht aushöhlen. Lediglich dem Gesetzgeber ist es gestattet, solchermaßen in die Grundlagen der Parteiinteressen einzugreifen. Diese Erwägungen bringen den Autor zu der Schlußfolgerung, daß ausschließlich die Gesetzgebung, und nicht die gerichtliche Kontrolle, das angemessene Mittel ist, um eine Ordnung zu schaffen, die den beteiligten Interessen entspricht. Die Anwendung der Generalklausel von Treu und Glauben darf nicht als Allheilmittel für alle Konflikte in Vertragsbeziehungen angesehen werden, und Goode warnt den Leser, selbst wenn er von den erhabenen Formeln in manch einer Kodifikation (z.B. §242 BGB) bezaubert ist, daß sie diese Konflikte in beeindruckender Weise multipliziert haben, anstatt sie zu verringern. Es beruhigt nicht etwa, festzustellen, daß in den am meisten verbreitetsten und maßgeblichsten Werken, die dieses Thema behandeln, der Staudinger – Kommentar (in der Auflage von 1995) der Anwendung von Treu und Glauben in der Rechtsprechung 500 Seiten gewidmet sind, und in den rechtsvergleichenden Werken (wie die von Markesinis, Lorenz und Dannemann) Treu und Glauben 100 Seiten einnimmt. Dessenungeachtet ist dieses Konzept in die Principles of Commercial Contracts 52 und die Principles of European Contract Law 53 übernommen worden. Die Stabilität von Geschäftsbeziehungen erfordert eine gewissenhafte Anwendung dieses Prinzips; auch nicht deren Einführung in die Unfair Terms in Consumer Contracts Regulations von 1994 bringt eine generalisierende Anwendung mit sich; nur die Interessen der Verbraucher dürfen als schwach und schutzbedürftig angesehen werden. In gleicher Weise muß man auch die fiduziarische Natur eines Rechtsverhältnisses sorgfältig feststellen, die Vertrauen und typische Rechtsfolgen bestimmter Kategorien von Verbindlichkeiten mit sich bringt, jedoch deren Erstreckung auf jedwede Art von Rechtsverhältnis ausschließt. Auch können die Verhaltensanforderungen, die von einem Treuhänder verlangt werden, nicht so hoch sein, daß sie Handelnde davon abschrecken, sich auf eine solche Rechtsbeziehung einzulassen. Eine andere Gefahr, die Goode in seinem Versuch, diese Techniken oder Rechtsprechungstendenzen, die die Grundlagen der Sicherheit von Rechtsbeziehungen unterminieren können, zu entfernen, erahnt, ist, diese stattdessen durch die zivilrechtliche Haftung, den sog. ausschließlich wirtschaftlichen Schaden (tort liability for pure economic loss) durchzusetzen. Hier eröffnet sich eine ganze Batterie von Instrumenten, um festzustellen, daß - obwohl die Parteien vorher keinen Kontakt hatten – es möglich ist, eine, wenn auch schwach ausgeprägte, Beziehung zwischen ihnen herzustellen (forseeabilty, proximity, public interest).54 Goode ist gegen eine Anhäufung von vertraglicher und außervertraglicher Haftung, und gegen den Gebrauch von allgemeiner zivilrechtlicher [gesetzlicher] Haftung, um die Unzulänglichkeiten des Vertragsrechts zu beheben. Daher befürwortet er eine Rechtsprechung, die nicht nur, mit Blick auf eine gestörte Geschäftsbeziehung, den 51
Goode, op.cit., Anm. 44, 18. Die sog. UNIDROIT Grundsätze von 1994 und 2004. 53 Entwickelt von der sog. Lando-Kommission, PECL, siehe dazu näher oben Teil 2 Kapitel 3. 54 Siehe hierzu näher oben Teil 2 Kapitel 4. 52
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Bruch der Vereinbarung in Betracht zieht, sondern noch andere Erfordernisse erwartet, die sich auf die rechtliche Bindung auswirken und Schadensersatzansprüche auslösen können. Der australische Fall Esanda55 aus dem Jahre 1997 ist ein beachtenswertes Beispiel: das Gericht lehnte die Haftung der Gesellschaft aus einer Wirtschaftsprüfung (Revision) für den unmittelbaren Schaden der Investoren ab, soweit – auch wenn Fahrlässigkeit festgestellt wurde – es nicht bewiesen war, daß die Gesellschaft die Ergebnisse der Prüfung und deren Auswirkung in einem bestimmten Grad kannte, und innerhalb der Gesellschaft mitgeteilt hatte, so daß diese als den Gesellschaftern öffentlich mitgeteilt betrachtet werden mußten.56 Goode betont, daß Vorhersehbarkeit (predictability) nicht mit Sicherheit (certainty) gleichzusetzen ist. (iv) Form im Gegensatz zum Inhalt sind rechtliche Wertigkeiten, die man unter anderen immer wieder antrifft. Der Autor stellt fest, daß die Form in der Technik der Kontrolle von Geschäftsvorgängen in England vorherrscht, während in den Vereinigten Staaten die Substanz überwiegt, weil das dortige System in geschriebenen Texten (in Verfassung und förmlicher Gesetzgebung) verankert ist, die die Position des Rechtsanwenders stärken, der davor zurückschreckt, sich ökonomischen oder sozialen Erwägungen zu öffnen, anstatt auf simple Anwendung von rechtlichen und theoretischen Konzepten zurückzugreifen. Dies heißt nicht, daß der englische Richter ganz und gar an die Bedeutung gebunden ist, die die Parteien einem Vertrag geben, aber normalerweise wird der Richter die von den Parteien gezogenen Grenzen nicht überschreiten. (v) Der Gegensatz zwischen Form und Inhalt bringt Goode dazu, immer ausführlichere Begriffe anzuwenden, denn dieser Dualismus spiegelt sich wider in der Beziehung zwischen rechtlichen Konzepten und öffentlichen Anliegen. Das Wirtschaftsrecht – wie auch alle andern Bereiche der Rechtsordnung – braucht nicht nur Regeln, sondern auch Konzepte; ohne Konzepte hätten die Gerichte keine Anleitung für die Lösung von Fällen, und jede Entscheidung bezöge sich nur auf den einzelnen Fall und könnte kein Modell für die Entscheidung von ähnlichen Fällen sein. Um die Bedeutung, ja die Unverzichtbarkeit von rechtlichen Konzepten im Instrumentarium des Juristen (und des Richters) zu betonen, zitiert Goode zwei der wichtigsten Exponenten des amerikanischen Rechtsrealismus, Karl Llewyn und Leon Fuller, bekanntermaßen antidogmatisch aber nicht irrational, wo diese die Notwendigkeit vorhersagen, die juristische Materie zu ordnen, vermittels eines Gerüstes aus Konzepten. Die Konzepte müssen daher “unsere Mitbewohner sein, nicht unsere Herren”; 57 auch haben die Konzepte “Langzeitwert”, deshalb dürfen sie nur dann verändert werden, wenn die Bedeutung verändert werden soll. Außerdem haben sie grundsätzlich übergeordneten Stellenwert, und deshalb soll eine Veränderung oder Anpassung nur dann vom Richter vorgenommen werden, wenn die zugrundeliegenden Anliegen von enormer politischer oder sozialer Bedeutung sind; in jedem Fall soll die zügige Entscheidung den Vorrang haben. 58 55
Goode op.cit., 23. Zu diesem Themenbereich im intalienischen Recht vgl. oben Teil 2 Kapitel 4, 6.1. 57 Goode, op.cit., 27. 58 Ibid. 56
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2. Zeitgenössisches Wirtschaftsrecht
(vi) Aus diesem Blickwinkel wird die Richtung, die die ökonomische Analyse des Rechts in den letzten Jahrzehnten genommen hat, von Goode begrüßt, die damit ein Instrument zur Beurteilung des Gewichts und der Effizienz einer Rechtsnorm eingeführt hat.59 Seine Kritik an der oberflächlichen Haltung des englischen Gesetzgebers – im Hinblick auf die Reform und die Gründlichkeit der Diskussion und der Haltung zu den Reformen in den Vereinigten Staaten – ist offen. Es ist interessant zu bemerken, wie der Autor die Ideen einteilt, die von andern europäischen Juristen vielleicht weniger offen ausgedrückt werden, denenzufolge die ökonomische Analyse des Rechts weniger überzeugende Ergebnisse über die Bewertung von Rechtsregeln erbringt, als die streitige Lösung der Probleme. Auch sieht man hier die Vernunft und Vorsicht des Autors, der die Nützlichkeit dieser ökonomischen Modelle als solche beurteilt, also wie künstliche Modelle, die nicht notwendig auch der Wirklichkeit entsprechen. Theorien sind nötig, aber sie müssen an der Wirklichkeit gemessen werden; ökonomische Ziele können nicht allein über die Auswertung von Rechtsnormen entscheiden, weil man auch moralische, politische und soziale Faktoren in Betracht ziehen muß. Das gute Gespür von Roy Goode erlaubt es ihm auszusprechen, was viele von uns nicht zu sagen wagen: man darf nicht verheimlichen, daß ein Richter kein Wirtschaftsexperte ist, daß er sich eines wirtschaftlichen Sachverständigengutachtens bedient, um seine Entscheidung zu formulieren, auch wollen wir nicht daran denken, wie einseitig eine rein ökonomische Auswertung wäre, wie sie die Prozeßdauer verlängern und die Kosten erhöhen würde. So muß man also, um festzustellen, wer für einen Schaden verantwortlich ist, oder um den möglichen Schädigungsbeitrag zu schätzen, die Improvisation aufgrund von Intuition bei der Beurteilung des Rückgriffs auf die Versicherung vermeiden. Kurzum, die Vereinigung von Recht und Ökonomie kann zu tragischen Fällen führen, wie diejenigen, die der Lustspieldichter Thomas Middleton in poetischer Klarheit vor vierhundert Jahren in seinem Werk “Der Phoenix” dargestellt hat (4. Akt, 1. Szene). 60 2.1.3 Verträge und Märkte Goode erkennt den Kern des Wirtschaftsrechts in Vertrag und Vertragsfreiheit: dank der Vertragsfreiheit, so wie sie im englischen common law ausgestaltet ist und praktiziert wird, konnte man Finanz- und Warenmärkte erschaffen, und hat außerdem ein so sicheres Regime von Rechtsverhältnissen eingerichtet, daß es die englischen Märkte in der Welt überlegen gemacht hat. Dank dieses Rechtsbereichs und der geregelten Materie, wird Sicherheit und Stabilität damit verbunden, und dieses Vertrauen in den Markt ist entscheidend für den Handel. Vom juristischen Standpunkt aus gesehen, orientieren sich die Gerichte langsam aber sicher an der lex mercatoria bei der Schaffung von Regeln, die akzeptables Verhalten von unzulässigem abgrenzen.
59 60
Vgl. oben Teil 2 Kapitel 4, 1.2. Ein Text des Stückes mit Anmerkungen findet sich unter http://www.tech.org/~cleary/phoenix.html#NOTES, [zuletzt aufgesucht im August 2008.]
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Der Vertrag bildet daher auch heute die Grundlage des Marktes: deshalb sind Theorien, die seinen Tod vorhersagen, unverständlich.61 Trotzdem glaubt der Autor, daß die Freiheit des Marktes nicht die Integrität des Marktes garantiert; diese beiden Aspekte in dialektischer Weise miteinander zu vereinbaren, ist eine der Herausforderungen des modernen Wirtschaftsrechts. Goode unterscheidet den Bereich des Privatrechts von dem des öffentlichen Rechts: Im Privatrecht bleibt die Autonomie der Parteien ungezähmt. Aber nach eingehender Prüfung erklärt er, die englische Vertragrechtslehre des common law erscheine ihm veraltet und nicht mit den andern Disziplinen Schritt zu halten: der Kreis der Rechtsbehelfe ist unzulänglich, es gibt keine genaue Unterscheidung zwischen Einzelgeschäften und Langzeitverträgen; die Bestimmungen erfüllen nicht die berechtigten Erwartungen der Marktteilnehmer. Die Beurteilung ist negativ, und Goode führt einige Beispiele an: es gibt Rechtsinstitute, die dem englischen Recht unbekannt sind, wie der Vorvertrag, die Ausnahme inadimpleti non est adimplendum, die vorgezogene Erfüllung, und es gibt Rechtsfiguren, die nur widerwillig angewandt werden, wie frustration of contract. Was gibt es nun über den Markt zu sagen? Der Begriff des Marktes hat sich mit der Zeit verändert: vom Markt als physischer Ort (market overt) hin zum Markt im virtuellen Sinne, aber seine Bestandteile (die “Schlüssel” wie Goode sagt) sind die gleichen geblieben: diese sind eine Organisationsstruktur, ein monetäres System (Geldwesen), Systeme der Streitbeilegung, die Standardisierung von Verträgen und Marktregulierung. Nichtsdestotrotz wird der Markt unterstützt von der securitisation, das heißt von der Umwandlung von vertraglichen Gewinnen in Finanzprodukte, und durch die Entmaterialisierung, besonders die “Abstraktion” der vertraglichen Beziehung,62 ein Phänomen, welches bereits zu Beginn des 7. Jahrhunderts bemerkt wurde, wie Fernand Brandel beschreibt. Die Rolle der Juristen ist dennoch mit dem Funktionieren des Marktes verbunden; es ist auch eine Rolle, die die Aktivitäten der Protagonisten unterstützt und ihnen nicht entgegensteht, auch wenn sie sich nicht an die Formalitäten halten; ein eklatantes Beispiel stellt der Fall United Dominions Trust von 1966 dar, 63 in dem die Geldgeschäfte eines Unternehmens, das für die Ausübung von Bankgeschäften qualifiziert war, als Kreditinstitut angesehen wurde, weil es in der wirtschaftlichen Öffentlichkeit als solches bekannt war; diese Fiktion diente dem Schutz der Investitionen tausender Anleger. Die Märkte werden ferner von Regeln des öffentlichen Rechts beeinflußt, wie denjenigen von Selbstverwaltungen, von Gemeinschaftsrecht, die unter anderem die commercial human rights beinhalten, den Regeln des Finanzmarktes, und Regeln, die den jeweiligen Status (z.B. die Rechts-, Geschäfts- und Prozeßfähigkeit) von Einrichtungen oder Anstalten bestimmen, die Geschäfte abschließen.
61
Vgl. oben Teil 2 Kapitel 3, 1. Goode op.cit., 39. 63 United Dominions Trust Ltd v Kirkwood [1966] 1 QB 783, 1 All ER 968. 62
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2. Zeitgenössisches Wirtschaftsrecht
Die Marktregulierung stellt eines der in den letzten Jahren im Vereinigten Königreich am meisten diskutierten Themen dar. Der englische Markt wurde überwiegend von den Regeln des common law und durch Selbstverwaltung geregelt; die ersten Gesetzesinterventionen betrafen das Panschen von Lebensmitteln und Getränken oder Preismanipulationen und gehen auf das 19. Jahrhundert zurück. Heute bezieht sich diese komplizierte Materie auf den Finanzdienstleistungsmarkt und bedient sich eines umfassenden Systems von Rechtsquellen aus Gesetzgebung, Verwaltung und Selbstverwaltung. Goode stellt deshalb fest, daß das Ziel dieser Regelungen weniger die Verhinderung von Manipulationen als viel mehr die der Schaffung “falscher Märkte” durch das Verbreiten irreführender Information und den Einfluß von Information, die zu undurchsichtigen Märkten führt, ist. Welches sind die Ziele von market regulation? Auch bei dieser Diskussion ergeben sich die Fragen aus der Erfahrung: ist es notwendig den Markt zu regeln, und wenn ja, mit welchen Methoden? Für Goode ist regulation entscheidend wichtig für den Markt, denn: - um die Integration zu sichern, müssen die Bedingungen für das Funktionieren des Marktes geschaffen werden, und zwar durch den freien und gerechten Wettbewerb, Transparenz durch Vermittlung relevanter Information, Gleichbehandlung der Akteure und das Verbot, diese Bedingungen zu verfälschen; - um Stabilität zu sichern, muß man die Bedingungen dafür schaffen, denn die Akteure verlassen sich auf Kontinuität und die weitere Vereinheitlichung. Deshalb muß man die Risiken kontrollieren, indem man Kollektiv- (nicht aber Individual-) risiken minimiert oder ausschließt. In jedem Falle, so betont der Verfasser unter Berufung auf den Wallace - Report, 64 ist jedoch das Risiko natürlicher Bestandteil des Finanzmarktes und Objekt von Kontrolle, Zuweisung und (preislicher) Bewertung. Deshalb muß der Gesetzgeber entscheiden, ob das Risiko individuell oder kollektiv ist: das systemimmanente Risiko kontrolliert man durch die Einführung von Vorsichtsmaßregeln, die Angemessenheit der Kapitaldecke, Kompensationsstellen u.a.m. Ziel aller Gemeinschaftsmaßnahmen ist die Bekämpfung der Volatilität der Märkte. Mit welchen Methoden soll der Markt reguliert werden? Goode zu folge, ist eine Wahl zwischen öffentlicher Regelung und Selbstverwaltung nicht möglich, da Selbstverwaltungen bestimmte Garantien nicht geben können, die die öffentliche Kontrollverwaltung hingegen geben kann; diese Wahl hat der englische Gesetzgeber für den Bereich der Renten getroffen, und dies ist die neue Orientierung auf dem Finanzdienstleistungsmarkt, wo man die Selbstverwaltung aufgegeben hat. Trotzdem braucht Regulierung sich nicht in einen Apparat aus tausenden von Vorschriften zu verwandeln, die gewöhnlich nicht all die zahllosen Fragen erschöpfend beantworten können, die sich normalerweise ergeben. Daher die Richtung, die Goode vorgibt; “wenige Regeln und eine Stärkung der Standards”. An diesem Punkt zeigt sich ein anderes Problem: die Anwendung von Standards beinhaltet die Ausübung von Ermessen, und damit die Möglichkeit des Mißbrauchs. 64
Goode, op.cit., 45.
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Deshalb gibt es die verwaltungsjuristische Kontrolle, um die Anwendung von Standards abzuwägen und Mißbrauch zu begrenzen. Neben dem Bereich des Vertrags beschäftigt sich der Autor mit der Entwicklung des Eigentums, mit der Entmaterialisierung der Titel [Eigentumsrechte], der Spaltung zwischen formellem und materiellem Eigentum, wie es durch den Trust erreicht wird. Diese Themen, die gleichermaßen eine so typisch englische Disziplin erkunden wie nicht exportierbar sind, dienen als Modell für die Rechtsangleichung, und sollen hier nicht weiter besprochen werden. Gehen wir statt dessen zu den innovativen Aspekten des Marktes über. 2.1.4 Die Internationalisierung des Marktes Nachdem er die Ursprünge des englischen Wirtschaftsrechts untersucht hat, gefolgt von den Stationen der Konsolidierung und Expansion, die in der englischen Herrschaft über Kontinente und Meere gipfelte, fragt Goode, wie die Zukunft dieses komplexen, heterogenen und etwas antiquierten Rechtswesens aussehen wird. Inzwischen hat sich das Empire aufgelöst, dank dessen sich das englische Handelsrecht in allen Kontinenten gefestigt hatte. Zudem ist eine enorme Ausdehnung des Warenverkehrs eingetreten, so daß sich schon eine Interdependenz unter den Märkten eingestellt hat, die nicht mehr zu beseitigen ist, so daß eine Zusammenarbeit zwischen den Marktteilnehmern, aber auch unter den Gesetzgebern und den Wirtschaftsinstitutionen, die die Handelsbräuche der Akteure entwerfen und koordinieren, unausweichlich erscheint. Darüber hinaus ist Europa am Phänomen des integrierten Marktes interessiert und unterstützt daher das System der Währungsunion. Hieraus ergibt sich die Herausforderung, die das neue Jahrtausend für das Wirtschaftsrecht bereithält. Auch in diesem internationalen Zusammenhang behält Goode die privat- und öffentlichrechtliche Perspektive bei. Vom öffentlichrechtlichen Gesichtspunkt her berücksichtigt er zwei Profile: das eine bezieht sich auf den Schutz des Marktes, das andere auf das Gemeinschaftsrecht. Der Schutz des Marktes hat zwei Ziele: Stabilität und Integration. Das Gemeinschaftsrecht hat das Ziel, einen globalen Markt mit einer Einheitswährung zu schaffen; man wendet das Prinzip der Kontinuität an und unterstützt die nationalen Währungen, indem der Euro keine Änderungen der Wirkungen von Verträgen bewirkt, also z.B. bei Vertragsschlüssen zwischen Parteien aus Ländern innerhalb und außerhalb der Eurozone. In privatrechtlicher Hinsicht wird die Rechtswahl betrachtet; normalerweise gewähren die Rechtsordnungen Rechtswahlfreiheit, aber internationale Konventionen spielen zusammen, um gemeinsame Rechtswahlkriterien vorzugeben. Ein noch interessanterer Aspekt der Entwicklung des modernen Wirtschaftsrechts ist deshalb ein anderer: der Harmonisierungsprozeß, der von UNCITRAL65 und UNIDROIT66 vorangetrieben wird. Die neuen Techniken eröffnen dem Wirt-
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United Nations Commission on International Trade Law Institute for the Unification of Private Law in Rom.
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schaftsrecht neue Dimensionen, und ebenso die neuen Techniken der Streitbeilegung (ADR). 67 Wie ist der Standort des englischen Wirtschaftsrechts angesichts dieser Perspektiven? Goode beobachtet, daß, abgesehen von ein paar statutes die kürzlich eingeführt wurden, und der Einführung von neuen Spezialgesetzen auf dem Gebiete des Finanzmarktes, das aus dem 19. Jahrhundert stammende geschriebene Recht verkrustet und gänzlich ungeeignet ist. Der Autor bevorzugt eine Gesamtlösung in Form eines Handelsgesetzbuchs. Die Gründe, die hierfür sprechen, mögen exzentrisch anmuten, schon gar, wenn sie von einem common lawyer vorgebracht werden, und sind vielfältig; - der praktische Aspekt, die Regeln, die eine Vielzahl von Geschäftsabläufen regeln, in einem Text übersehen zu können, - die Zugänglichkeit eines solchen Textes nicht nur für Juristen, sondern auch für die wirtschaftlich Handelnden, - seine Exportierbarkeit, speziell in Entwicklungsländer, mit denen sich dann wirtschaftliche Beziehungen unterhalten ließen,68 - die Koordination vorhandener Gesetzestexte, - die Schließung von Lücken; - die Reduktion von Kosten der Rechtsermittlung. All dies erfordert intensive Vorarbeit, die sich auch dank einer erheblichen Beschäftigung der Rechtswissenschaft mit dem Wirtschaftsrecht leisten läßt. 2.1.5 Einige Hinweise zur Lektüre Die Abhandlung von Goode erscheint in einem uns nicht so geläufigen Format, in dem sonst eher Aufsatzsammlungen und Konferenzunterlagen zusammengefaßt werden, als daß es reine Konferenzprotokolle sind: der Leser findet die angesprochenen Argumente im Rahmen des Themas der jeweiligen Konferenz, und zwar in Form einer Erörterung, die sich von einer Prämisse über die Diskussion der einzelnen Punkte zu einem Ergebnis fortbewegt. Das Anliegen des Autors ist es, aus 67 68
Alternative Dispute Resolution. [Dieser interessante Gedanke einer gewissen Kommerzialisierung von Rechtssetzung wird von Mankowski diskutiert und kritisiert: Mankowski P (2003) Rechtswahl für Verträge des internationalen Wirtschaftsverkehrs, RIW (1), 2, 5-7; siehe zum Gebrauch dieses Argumentes Heidemann M (2007) Methodology of Uniform Contract Law - the UNIDROIT Principles in International Legal Doctrine and Practice, 198 und dort auch Anm. 132. Nachdem in der englischen Rechtsprechung zur Schiedsgerichtsbarkeit Argumente erscheinen (die Ausdehnung des englischen Rechts durch die Rechtsprechung als ‚public asset’), die zu überspitzten Vorwürfen (der gezielten Schaffung eines „Marktes“ für das englische Recht und London als Schiedsort und bevorzugtes forum) Anlaß geben könnten, sieht man hier ein ähnliches Argument, was in der deutschen Doktrin gewissermaßen als der Rechtsordnung „unziemlich“ angesehen wird – dies ist ein Beispiel für die tiefgreifenden Unterschiede in der angelsächsischen und der kontinentalen Rechtsauffassung. Die von Goode angedeutete „Exporttätigkeit“ von Rechtstexten wird unterdessen jedenfalls von designierten Institutionen wir UNCITRAL und UNIDROIT geleistet.]
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den vielen Ansätzen der einzelnen Vorträge den roten Faden herauszuarbeiten und sie so in einen größeren Rahmen zu setzen. Im Unterschied zu anderen Ansätzen will Goode hier ein Modell verfolgen, welches ein Bild der ganzen Welt zeichnet. Die Aussichten für das Wirtschaftsrecht am Ende des Jahrtausends sind in der italienischen Literatur nicht so intensiv dargestellt, wenn sie auch Gelegenheit fand, über diesen Rechtszweig zu reflektieren anläßlich des 500jährigen Bestehens des Codice Civile, der Verfassungsreform, der Reform der verschiedenen Marktsegmente, wie der Finanzmärkte, Banken- und Versicherungswesen, die Privatisierungsvorgänge, sowie über die Reform des Gesellschaftsrechts, basierend auf deutschen, englischen und US- amerikanischen Erfahrungen, unter dem Aspekt der sogenannten corporate governance. Die Bindung dieser Erörterungen an einzelne Erscheinungsformen oder zufällige Erfordernisse hat es den Forschern erschwert, eine umfassende Sichtweise zu entwickeln. Man muß dem Verfasser [Goode] deshalb dankbar sein, daß er hier eine Gelegenheit bietet, diese Erfahrungen anzusprechen, und eine allumfassende Reflektion der Ziele und Reformvorgänge zu ermöglichen. Es wird deshalb Aufgabe von Liebhabern dieser Materie sein, gemeinsam mit Zivilrechtlern, Finanzexperten und Ökonomen weitere Anregungen für eine vertiefte Analyse sowohl dieser Phänomene als auch des Schrifttums zu sammeln. Der Blickwinkel, von dem aus wir in Italien die Zukunft des Wirtschaftsrechts bestimmen, ist deshalb tatsächlich vielfältig: er umfaßt, generell gesprochen, die Erscheinung des Neokapitalismus, des Neoliberalismus, und der wirtschaftlichen Solidarität, die im Marktbereich organisiert ist. Er umfaßt die Frage der Rechtsvereinheitlichung, die aus unserer Sicht nun immer wie ein Rückschritt erscheint, die Unterscheidung zwischen Verträgen unter Privaten, unter Kaufleuten und solchen mit Verbrauchern, die Einheit der Finanzmärkte, die bis heute unterteilt waren; er umfaßt ferner die Neubestimmung der Rolle des Staates in der Wirtschaft und die Vereinfachung von Verwaltungsvorgängen, welche wirtschaftliche Aktivitäten betreffen, sowie die Neuentwicklung von Verfassungsbestimmungen, die wirtschaftliche Beziehungen bestimmen. Alle strukturellen Aspekte, seien sie ökonomischer, juristischer oder institutioneller Natur, die wir als ursprünglich oder erheblich abweichend bezeichnen – nach unserer Erfahrung im Vergleich mit der englischen – können wir offensichtlich nicht außer Acht lassen. Trotzdem nähern sich die beiden Ausgangspunkte, der italienische69 und der englische, trotz solcher Unterschiede, einander an, weil beide stark von den Notwendigkeiten und Neuheiten des ausgehenden 20. Jahrhunderts geprägt sind: die gemeinsamen oder ähnlichen Merkmale finden sich in den Auswirkungen des gemeinsamen europäischen Marktes und daher im Gemeinschaftsrecht wieder, im Effekt der Globalisierung der Märkte, im Einfluß der Hochtechnologie, in den Ansprüchen der Empfänger von Produkten und Dienstleistungen, Techniken zur Ressourceneinsparung usf. Hierin liegt das Interesse Goodes, nicht nur komparatistisch, welches seine ebenso präzise und brillante wie absichtsvolle Analyse anstößt. Wir treffen auch einige Eindrücke des Autors an, die die italienische Geschichte und Erfahrung betrachten, wie die “Kommerzialisierung” des Zivilrechts, oder die fortschreitende 69
Stellvertretend für andere kontinentale Rechtsordnungen.
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Verrechtlichung wirtschaftlicher Phänomene, die bei uns steigende Bedeutung erlangt haben und im englischen Rechtskreis gerade beginnen oder sich verfestigen. Ein großer Teil der von Goode aufgeworfenen Fragen geht direkt unseren Erfahrungen nach. Zum Beispiel das Problem der Vereinbarung von moralischen und juristischen Regeln in der Wirtschaft – über das Verhalten der wirtschaftlichen Akteure hat man sich schon vor uns Gedanken gemacht: die Grundidee ist immer die der Teilung der zwei Sphären, und oft bedienen sich die moralischen Instanzen der Enzykliken oder päpstlichen Empfehlungen des Rerum novarum also, mit einem katholisch-religiösen Unterton, der die Ideologien mehr beeinflußt hat, als das Verhalten des Einzelnen. Darüberhinaus haben wir uns Verhaltensregeln immer in einem formalen Sinne vorgestellt, so als ob nur das “Verrechtlichte” existiere; die Struktur des Wirtschaftsrechts, soweit es die kontinentalen Rechtsordnungen betrifft, im Unterschied zum englischen common law, welches auf weit gefaßten Grundsätzen aufgebaut ist, auf equity, auf Verhaltens Kodizes, hat bei uns eine eigene Ethik unter Kaufleuten entwickelt und sicherlich dabei die Erfahrungen der Jahrhunderte mit einbezogen. Vom englischen Standpunkt aus erscheint es leichter, sich Regeln als spontan gewachsen vorzustellen, die sich durch Erfahrung verfeinern, die eher durch Anpassung überleben, als in Form einer starren auferlegten Anweisung, und die ihre Geltung von den Mechanismen der Selbstverwaltung ableiten, die den Vertretungsorganen der jeweiligen Branche zusteht. Es scheint, daß diese beiden Erfahrungen zwei Ansatzpunkte verfolgen, die sich zwischen zwei entgegengesetzten Positionen bewegen: einem dirigistischen Standpunkt und einem Gemeinschaftszweck. Was die “Vorhersehbarkeit” der Regeln betrifft, so wird diese, wie wir schon ausführten, aus dem Blickwinkel des civil lawyer in verschiedenen Begriffen gesehen, die die Klarheit (und eben nicht Vagheit) der gesetzlichen Vorschriften, die Einheitlichkeit (und nicht Fragmentierung) von gerichtlichen Entscheidungen, sowie die Verläßlichkeit von bei geschäftlichen Entscheidungen gebräuchlichen Vertragsmodellen betreffen. Ein System, das Gefahr laufen würde, sich in eine restriktive Glocke zu verwandeln, wenn es nicht flexibel zurückgreifen könnte auf Standards, auf Generalklauseln, allgemeine Rechtsbegriffe, wie Billigkeit, Treu und Glauben und dergleichen. Hieraus erklärt sich, daß Goode die umfangreiche und ausgereifte deutsche Rechtsprechung zu §242 BGB nicht schätzt, sondern sogar Erstaunen zeigt bei deren Beschreibung, ähnlich dem Gefallen, den man heute in der italienischen Rechtsprechung und Lehre an der Anwendung der Artikel 1175, 1337, 1366, 1375 und 2598 des Codice Civile findet. Ebenso bezeichnend ist die Perplexität Goodes angesichts der “Gleichheit der vertraglichen Beziehungen”: bei uns ist dies selbstverständlich nicht Teil der Vereinbarung, man sucht ebensowenig nach dem “gerechten Vertrag” wie nach dem “gerechten Preis”, trotzdem richten sich der Rückgriff auf die Vertragsgrundlagen, die Auslegung nach Treu und Glauben, die Vertragsausführung sowie die vertraglichen Pflichten aus Gutglaubensvorschriften nach dem Inhalt der Vertragsbeziehung und verhindern so das Auftreten von Umständen, die einer Partei einen ungerechtfertigten Vorteil zum Schaden der andern verschaffen und dadurch das wirtschaftliche Gleichgewicht stören würden. Zum Ausgleich dazu dient nach Goode das Prinzip der sanctity of contract, die Befürchtung, daß der Richter – als
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Ausdruck einer gleichmacherischen und solidarischen Einstellung – den Vertrag anstelle der Parteien umschreiben und so den Parteiwillen verändern könnte. Aus diesen Erwägungen heraus wird der Kampf Goodes gegen die Form zugunsten des “Inhalts” der Vertragsbeziehungen verständlich. Wenn das Wirtschaftsrecht ein Rechtskorpus ist, der die wirtschaftlichen Beziehungen bestimmt (diszipliniert), Darlehen, Geldfluß, Investitionen, Risiken: ein formalistischer Korpus kann ein Hindernis bilden für den Abschluß von Vertragsbeziehungen und für den ungehinderten Warenverkehr und Handel; eine real-juristische Interpretation orientiert sich deshalb an dieser Art von Rechtsbeziehung, wie es eine Formaljuristische nicht tut. Die Form, anders gesagt, kann dazu dienen, den Rechtsbeziehungen Stabilität und Sicherheit zu geben, kann die Interessen der Schwächeren schützen, aber sie darf nicht zu einem kostenträchtigen Hindernis werden, daß sich einer dynamischen und praktischen Realität in den Weg stellt. Genauso lobenswert ist das Zugeständnis Goodes in Bezug auf das Verhältnis zwischen Recht und Wirtschaft und auf den Begriff des Marktes, der den Faktor Recht beinhaltet. Ein freier Markt kann weder die spontane Erschaffung von Regeln noch die Abwesenheit von Recht bedeuten. Dies zeigt viel eher die Technik, mit der die Regeln geschaffen werden: soll es sich um gesetzliche Regelung handeln, oder um regulation aus einer Vielzahl von Quellen? Hier erkennt man die größte Stärke des Autors, der sich nicht von der englischen Geschichte und Realität beeinflussen läßt, und mutig erklärt, daß der Markt auch von außen geregelt werden muß, da er nicht die Kraft hat, optimale Regeln hervorzubringen. Diejenigen, die er hervorbringt, sind Früchte der Privatautonomie, beziehen aber weder das Interesse der Allgemeinheit mit ein, noch das Erfordernis der Einheitlichkeit des Marktes.70 Dies ist der Ausgangspunkt der Vorschläge Goodes für die Zukunft des Wirtschaftsrechts, die als Denkanstoß die Faktoren nehmen, die heute durch das Wirtschaftsrecht (und vom Markt) vorangetrieben werden, und zwar die Gemeinschaftsdimension, die internationale Dimension, die um die Harmonisierung und Vereinheitlichung der Vorschriften kreist, die globale Dimension, die durch neue Technologien bestätigt und verbreitet wird: es gibt drei oder vier verschiedene Ebenen von Beziehungen, die ebenso viele verschiedene Normebenen bilden. Ausgehend von den englischen Erfahrungen mag seine Antwort seltsam erscheinen, in den Augen des Kontinentaljuristen erscheint sie vielmehr als eine Modernisierung, nämlich die Notwendigkeit, eine Kodifikation derjenigen Regeln einzuführen, die Modernisierung, Organisation, Harmonie und Sicherheit in die Rechtsbeziehungen bringen; wir teilen bereits Kodifizierungserfahrungen und sehen darin die Koordination mit der internationalen Rechtslehre, Harmonisierung von Grundsätzen, eine Reaktion auf die Herausforderung der Globalisierung, und die Abschaffung provinzieller Bollwerke.71 Der derzeitige Stand der Reform des Finanzmarktes, der Konsumentenverträge, des Gesellschaftsrechts, der effektiven Privatisierungen bilden daher nur den Ausgangspunkt, nicht den Endpunkt des Innovationsvorgangs im Wirtschaftsrecht in Richtung auf das neue Jahrtausend. 70 71
Vgl. hierzu wiederum oben Teil 2 Kapitel 3. [wörtlich: „Lattenzäune“.]
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3. Die neue Lex Mercatoria und die Instanzen der Gesetzgebung Die neue lex mercatoria bildet die Herausforderung, einheitliche Grundsätze für einige Bereiche des internationalen Handels zu kodifizieren. Man hat damit UNIDROIT betraut, das Internationale Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts, mit Sitz in Rom. In der Folge wurden die Grundsätze recherchiert, die auf dem Gebiete des Vertrags abgefaßt wurden. Zur Zeit haben diejenigen Forschungsgruppen, die sich mit der Abfassung von Grundsätzen, die den Rechtsordnungen der europäischen Mitgliedstaaten gemeinsam sind, befassen, sowie mit neuen Regelungen, und damit so etwas wie ein “Modellgesetz” oder ein Restatement vorzuschlagen, einen Vorentwurf angeregt – der sich aus Gründen der Vereinfachung “Gesetzbuch” nennt – in dem die Unterscheidung zwischen Zivil- und Handelsrecht überwunden wird.72
4. Der Wettbewerb 4.1 Die unternehmerische Freiheit und ihre Grenzen “Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.” So liest sich Artikel 16 der Grundrechtecharta der Europäischen Union, die auch in die Europäische Verfassung, bzw. den Verfassungsvertrag, integriert werden sollte. Die Grenzen dieser Freiheit ergeben sich anscheinend lediglich aus der Anpassung der wirtschaftlichen Aktivitäten - die Regeln des Gemeinschaftsrechts, also an den Bereich der Römischen Verträge, an die Richtlinien und Verordnungen und die übrigen Quellen des Gemeinschaftsrechts, - an die nationalen Vorschriften und - an diejenigen Regeln, die sich die Akteure selbst gegeben haben, da sie sich aus der “Praxis” ableiten, also von Gebräuchen, von wiederholt geübtem und akzeptiertem Verhalten, welches kodifiziert ist in Modellgesetzen und sich fortsetzt in Regelwerken der Selbstverwaltung. Dies sind, materiell gesehen, Handlungsregeln zur Kontrolle und Wachsamkeit, die dem Markt eigen sind, und die daher ebenso zu Begrenzungen führen, die durch das Funktionieren des Marktes bedingt sind, um optimalen Wettbewerb unter den Markteilnehmern zu sichern. Aus diesem Zusammenhang herausgelöst und in einer wörtlichen Lesart scheint diese Vorgabe jedes beliebige Verhalten der Marktteilnehmer zu rechtfertigen, welches sich innerhalb dieser Grenzen abspielt, weshalb man diese Grenzen interne Begrenzungen des Marktes nennen kann. Aber, wie jede Rechtsvorschrift, muß 72
Hierzu näher oben Teil 2 Kapitel 3.
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auch Art. 16 in seinem Kontext interpretiert werden, also den systematischen und teleologischen Auslegungsregeln. In dieser Charta finden wir auch Regeln, die mit der unternehmerischen Freiheit in Konflikt stehen und weitere Grenzen begründen: die Menschenwürde (Art1), die körperliche und rechtliche Unversehrtheit der Person (Art.3), die individuelle Freiheit und Sicherheit (Art. 6), der Schutz der Privatsphäre (Art. 7) und der persönlichen Daten (Art.8), der Umweltschutz (Art. 37), der Konsumentenschutz (Art. 38) und natürlich die Rechte der Arbeitnehmer (Art. 27-32). Der Rahmen der Werte, die mit der unternehmerischen Freiheit in Einklang gebracht werden müssen, ist daher weit gefaßt und gegliedert. Kurzgefaßt ist dies bereits in einer Bestimmung der italienischen Verfassung (von 1948) bestätigt, die in Art. 41 nicht nur die private wirtschaftliche Freiheit anerkennt und garantiert, sondern auch vorsieht, daß diese nicht “im Widerspruch zu sozialen Zwecken oder in einer Weise, die Sicherheit, Freiheit oder Menschenwürde Schaden zufügt,” ausgeübt werden kann. In dieser allgemeinen Richtung können wir zwei große Kategorien von Begrenzungen der unternehmerischen Freiheit unterscheiden: zusätzlich zu den internen Begrenzungen, die sich aus dem Markt selbst ergeben, über die wir schon sprachen, gibt es andere Begrenzungen, die man als externe bezeichnen kann, da sie Werte verteidigen, die mit der wirtschaftlichen Freiheit vereinbart werden müssen, Werte die, soweit sie die Person betreffen, gegenüber der wirtschaftlichen Freiheit überwiegen müssen. Wenn man über wirtschaftliche Freiheit spricht, kann man deshalb nicht an dieser großen Einteilung vorbeischauen: auf der einen Seite steht die Dynamik, die dem System wirtschaftlicher Beziehungen, also dem Markt immanent ist, auf der anderen die Begrenzungen, die sich aus Grundwerten ergeben. Wenn man diese beiden Ebenen miteinander vermengt, läuft man Gefahr, zwischen wirtschaftlichen und übergeordneten Interessen auf Kosten der letzteren zu vermitteln. Die Bedeutung der externen Begrenzungen für die wirtschaftliche Betätigung ist dem Gemeinschaftsrecht nicht neu. Wenn man die Bestimmungen des Vertrags von Rom liest, versteht man sofort, daß die wirtschaftliche Freiheit von den Bestimmungen über Arbeitnehmer, Verbraucher und die Umwelt eingeschränkt ist. Trotzdem, wenn man Art. 16 der Charta im Zusammenhang mit den andern Vorschriften im selben Kontext liest, erklären diese klar und deutlich genug, an welche Rahmenbedingungen von Werten sich unternehmerische Aktivität anpassen muß. Der Umstand, daß im Text der Charta die Werte der Person den markteigenen Werten gegenübergestellt ist, ist ein unmißverständliches Zeichen dafür, daß man mit der Charta die externen Grenzen mit größtem Nachdruck unterstreichen wollte, soweit diese noch nicht im Vertragstext auftauchen. An erster Stelle unter den “Verfassungs-” - Bestimmungen der Union – wie der vormalige Wettbewerbskommissar Mario Monti betonte – ist das grundlegende Prinzip, nach dem die Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft im Einklang mit dem Prinzip einer offenen Wirtschaft und des freien Wettbewerbs ausgeführt wird. Die Förderung des Wettbewerbsumfeldes schließt eine öffentliche Intervention zum Zwecke eines allgemeinen Interesses nicht aus, insbesondere solche, die den Schutz der Verbraucher, der Marktteilnehmer, der Arbeitnehmer und der Gesamt-
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gesellschaft bezwecken. Diese müssen jedoch verhältnismäßig in Bezug auf die zu erreichenden Ziele sein, und dürfen nicht durch (verdeckte) Einzelinteressen motiviert sein, die letztendlich das Allgemeininteresse, das sie zu verfolgen vorgeben, schädigen.73 Für gewöhnlich geht man davon aus, daß, wenn der Konsument in der Lage ist, seine Wahl der von ihm benötigten Güter und Dienstleistungen auf der Grundlage ausreichender Informationen zu treffen, man nicht weiter gehen muß. Kann man nun aber auch der Meinung sein, daß, wenn man die wirtschaftlichen Beziehungen betrachtet, der Verbraucher auf der ökonomischen Ebene lediglich eine Informationssymmetrie braucht? Gewichtige Stimmen sagen, daß die Wettbewerbsdoktrin am Ziel der Verbraucherwahl ausgerichtet ist; daß der Schutz purer Paternalismus, also Bevormundung, ist, und es unnütz sei, den Konsumenten zu einer eigenständigen rechtlichen Figur zu machen und diese mit wohlwollenden Gefühlen und menschlicher Solidarität auszustatten; die Würde des Verbrauchers leitet sich von den von ihm (ihr) gewonnenen Information ab. Der wirtschaftlichen Freiheit und dem Unternehmerrisiko entsprechen die Freiheit und gleichzeitig das Risiko der (Aus-) Wahl.74 Dies ist kein Paternalismus, sondern kommt daher, daß es angesichts der objektiven Unterschiede zwischen der ökonomischen und rechtlichen Situation der Unternehmer und der Verbraucher das Fundament der Richtlinien der Gemeinschaft ist, die Verbraucher vor der Verbreitung irreführender Botschaften zu schützen, sowie vor kommerziellen Praktiken, die die Privatsphäre verletzen, vor mißbräuchlich auferlegten Vertragsklauseln, vor Mängeln, die im Vertrag enthalten sind, vor der Verbreitung defekter und somit schädigender Produkte, vor dem Verkauf von Gütern, die nicht dem Vertragsinhalt entsprechen. Richtige Information und Wahlfreiheit allein reichen nicht aus, um Konsumenten und professionelle Anbieter auf gleiche Ebene zu stellen. Dies muß man sich fragen, wenn man in Sachen Konsumentenschutz keinen Schritt weiter gehen will and kann. Immer mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip, und ohne auf die Einführung neuer Regelungen zurückzugreifen, ist es angebracht, so zu verfahren, wie die Charta es in Bezug auf externe Grenzen getan hat, also die Werte, die schon im Unionsvertrag enthalten sind, zu benennen und diese in die Einzelzusammenhänge einzufügen. Nun werden wir auf die Redlichkeit in den Beziehungen unter den Wirtschaftsakteuren eingehen. Redlichkeit, auch Lauterkeit genannt, in Vertragsverhältnissen ist ein Bestandteil des Wettbewerbs. Die Vorstellung vom Wettbewerb bezieht sich jedoch auf die Beziehungen unter den Konkurrenten, also unter jenen Akteuren, die sich auf einer Ebene befinden. Heute kann man Redlichkeit nicht mehr nur nach den ho73
Vries M d, Prins C, et al. (2000) Study on Consumer Law and the Information Society, 74. 74 Irti N (2002) La concorrenza come statuto normativo, in Istituzioni, mercato e democrazia. Liber Amicorum per gli ottant’anni di Alberto Predieri Amorosino, Morbidelli and Morisi, 340.
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mogenen Interessen der Akteure bewerten, sondern man muß die Interessen der Konsumenten miteinbeziehen, wenn man die Gemeinschaftsrichtlinien angemessen berücksichtigt. Konkret gesagt, müssen die professionellen wirtschaftlichen Beziehungen sich so nach dem Prinzip der Redlichkeit vereinheitlichen, daß dieses auch gegenüber dem Konsumenten beachtet wird. Hierin kann man einen weiteren Verdienst des acquis communautaire erkennen: die Schaffung eines integrierten Binnenmarktes ist es sowohl wert, die Regeln der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu modernisieren, die oft Kodifikationen des 19. Jh. anvertraut sind, oder Regelungen der Selbstverwaltung, die darauf abzielen, die Interessen von Parteien, die außerhalb der jeweiligen professionellen Kategorie angesiedelt werden, entweder auszugrenzen oder gar nicht zu berücksichtigen, wie jene der Konsumenten. 4.2 Wettbewerb und Generalklauseln der Redlichkeit in den UPICC und den PECL Wenn man den Wettbewerb als Kardinalprinzip der Marktwirtschaft ansieht, muß man zur Kenntnis nehmen, daß die Ausübung wirtschaftlicher Betätigung Redlichkeitsvorschriften folgen muß, die sowohl gegenüber Kaufleuten, wie auch gegenüber Verbrauchern gelten. Diese Meinung ist so weit verbreitet, daß sie im Zuge der Ausarbeitung der auf universeller75 sowie auf europäischer Ebene76 anerkannten Grundsätze bestätigt wurde. Was die ersteren betrifft, so ist Art. 1.7. überschrieben mit “good faith and fair dealing”, wobei zwei nicht identische Konzepte miteinander verbunden werden: der gute Glaube (abzielend auf Redlichkeit und den Schutz der Interessen der Gegenseite) und “fair dealing”, im Sinne von loyalen Beziehungen im Wirtschaftsleben, und somit in denjenigen Handlungen, die für die wirtschaftliche Betätigung funktional sind. In den letzteren Grundsätzen liest man in Art. 1:201 in ähnlicher Weise: “each party must act in accordance with good faith and fair dealing”. Während man sich nun in beiden Texten auf Verträge bezieht, so sind im ersteren solche zwischen wirtschaftlichen Akteuren, die sich dem internationalen Handel widmen, gemeint und im zweiten alle Parteien, die einen Vertrag abschließen, ungeachtet ihres Status,77 mit dem sie auftreten. Trotzdem ist die vertragliche Beziehung ein Bereich, in dem sich professionelle Aktivität entfaltet.
4.3 Die Techniken des Konsumentenschutzes Sowohl als Ausdruck des Wählers wie in der Rhetorik der Ökonomen bietet das Instrumentarium, welches für den Konsumentenschutz im Bereich des Marktes “bereitgestellt” wird, vielfältige Initiativen, aber auf zwei davon soll hier besonders hingewiesen werden: 75
In den von UNIDROIT vorgelegten Grundsätzen, Principles of International Commercial Contracts, UPICC. 76 Dh. in den Grundsätzen, die von der durch Ole Lando und Hugh Beale koordinierten Kommission ausgearbeitet wurden, Principles of European Contract Law, PECL. 77 Zum Begriff des „Status“ vgl. unten Teil 3 Kapitel 2, Anm. 102.
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4. Der Wettbewerb
a) die Vertretung (das sogenannte Recht, konsultiert zu werden, und das Recht, an Interessenvertretungen zu partizipieren). b) Rechtliche Durchsetzbarkeit der Interessen bzw., Verfolgbarkeit von deren Verletzungen. Nun werden weder die eine noch die andere Technik im Recht des antitrust [Kartellrecht] in Betracht gezogen. Die erstere nicht, weil die Konsumenten nicht in den einzelnen Kontrollgremien vertreten sind. Man könnte einwenden, daß die jeweilige nationale Wettbewerbsbehörde den Markt schützt, und daß dort daher, genauso wie die Unternehmer dort nicht vertreten sind, es auch keine Konsumentenvertreter gibt, daß die Behörden unabhängig von den Interessenvertretern sind; daß die Behörde die Konsumenten gleichermaßen schützen kann. Dies ist nicht der Fall – denn wenn man den Wettbewerb schützt, erfolgt der Schutz der Interessen der Verbraucher mittelbar und indirekt; wenn man den Markt schützt, muß man alle im Spiel befindlichen Interessen schützen; entsprechend wird argumentiert, daß, – so führen es die Kommentatoren aus – soweit es den Mobiliarsicherheitenmarkt und die Zusammensetzung der Consob78 betrifft, man den Markt schützt, und nicht die Bankkunden tout court. Was das Ziel des Gesetzgebers auszeichnet, das mens legis, hier und in anderen Vorschriften, die den Markt regeln, ist nicht, die Konsumenten zu schützen, sondern die Interessen der Verbraucher gemeinsam mit denen der Unternehmer. Dies führt unausweichlich auf den Weg der Vermittlung zwischen den Interessen in der Arbeit des Gesetzgebers und damit zwischen lobbies, die im Parlament arbeiten; die Vermittlung findet daher sowohl auf dem juristischen Gebiet statt als auch auf dem der moral susasion durch die Wettbewerbsbehörde und auf jenem der Überprüfung der wettbewerbsfeindlichen Phänomene, die durch diese antitrust79 – Behörde bewirkt wird. Dies kann in einem demokratischen System ausgewogen erscheinen; aber diese Ausgewogenheit ist nur scheinbar, insoweit die Interessen der Unternehmer gefestigt und gebündelt sind und flankiert von historisch beständigem Schutz, und vor allem immer im Recht präsent (in Spezialgesetzen, die natürlich kodifiziert sind). Im Gegensatz dazu sind die Interessen der Verbraucher nicht organisiert, nicht gebündelt, nicht stark, sondern schwach, und Vereinigungen anheim gestellt, die immer noch spärlich bei den Institutionen vertreten sind, und zudem erst seit kürzester Zeit in Gesetzestexten erscheinen. Von einem perfekten Gleichgewicht kann man deshalb nicht sprechen. Auch die zweite Technik wird im Kartellrecht nicht in Betracht gezogen, weil Maßnahmen zur Verteidigung der Verbraucherinteressen im Bereich des Wettbewerbs- und Marktschutzes nur am Rande berücksichtigt werden. Vor allem ist die Möglichkeit, die Behörden zu informieren, den Vereinigungen vorbehalten (Art. 12), also ihnen wettbewerbsfeindliche Vorkommnisse zur Kenntnis zu bringen, die sanktioniert werden müssen. Dies ist eine sehr milde Methode, Rechte durchzusetzen und ihnen Gehör zu verschaffen. Den Interessenvertretungen ist daher eine weniger wichtige Rolle zugedacht, als auf dem Gebiet des Umweltrechts und der Verhinderung irreführender Werbung. Sie begleiten das Ermittlungsverfahren in limine, können es aber nicht führen oder an ihm aktiv teilnehmen.
78
Commissione di vigilanza sulle società e sulla borsa, die italienische Aufsichtsbehörde für das Finanzwesen, siehe näher unten Teil 3 Kapitel 2, 4.5.1 (ii). 79 [Das Wort antitrust, welches eigentlich das amerikanische Kartellrecht bezeichnet, wird in andern Sprachen gern auch für Wettbewerbsschutz im weiteren Sinne verwendet, da diese Disziplin in vielen Rechtsordnungen noch sehr jung ist.]
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Was die Berechtigung, in der Schadensermittlung tätig zu werden, betrifft, so werden die Interessenvertretungen ignoriert, und es ist vielmehr nur die Individualklage zulässig. Man entwirft tatsächlich eine Berechtigung für den Endverbraucher, in Bezug auf den Schaden zu handeln, den er durch wettbewerbsfeindliches Verhalten erleidet.80 Trotzdem dreht sich die Rechtstheorie um die Natur und den Umfang des Schadens; aber beim Thema des unrechtmäßig erworbenen Vermögens, welches durch Verletzung des Kartellrechts erworben wurde, ist das heikelste Problem nicht die Bestimmung des Kriteriums zur Quantifizierung der Haftung oder der Beweis oder die Höhe des Schadens, sondern der Beweis des Kausalzusammenhangs. Hier haben wir ein Problem, welches sich auch beim Schaden aus dem insider trading zeigt: wie soll man zeigen, daß der Schaden, der vom Einzelnen erlitten wurde, unmittelbar aus der Verletzung von Kartellvorschriften stammt?81 Nur mit Zulassung einer Anspruchsberechtigung und Prozeßfähigkeit der Interessenvertretungen, also mit Einführung von class actions, könnte man einen wirksamen Konsumentenschutz sicherstellen; ein Privileg, das man – nach dem derzeitigen Stand des Rechts – bisher noch nicht anerkennen wollte. Im Grünbuch über den Konsumentenschutz vom 2.10.200182 fragte die Kommission, ob es sinnvoll wäre, einen einheitlichen Text vorzusehen, der gewissen allgemeinen Regeln über die Redlichkeit im Wirtschaftsleben (fair trading) folgen sollte. Eine einfache Lösung könnte hier jedoch ein Problem ergeben, wenn man nur einmal die Vielfalt der Sachverhalte in Betracht zieht, – immer aufgrund einer Methode der Fragmentierung – in die die Gemeinschaft eingreift, um inkorrektes Verhalten gegenüber dem Verbraucher zu verhindern, und auch das Ausmaß, in dem das Einschreiten einer Behörde betrieben werden muß, oder durch eine Branche oder eine Branchenvertretung, deren Eingreifen dann wieder der Sicherung von Redlichkeit im Allgemeinen und unter Konkurrenten zuwiderlaufen könnte. Andererseits erfordert die Vielfalt des grenzüberschreitenden Handels nicht nur den Transfer von Gütern und Leistungen von einem Mitgliedstaat in den anderen, sondern auch die Nutzung von verkaufsfördernden Techniken, öffentlicher Werbung, Verkaufsmöglichkeiten, die die nationalen Grenzen überschreiten. Diese Situation wird sich noch durch die Globalisierung des Marktes verschärfen – wie sie heute bereits begonnen hat. Das Problem könnte einfach gelöst werden, wenn alle Mitgliedstaaten fair trading - Vorschriften erlassen würden und sie mit ähnlichem Inhalt formulierten. Da dies nicht der Fall ist, ist die Lösung nicht einfach. Auf internationaler Ebene hat man auf bestimmten Sektoren schon Einigung erzielt.83 Nach einer neueren Studie gibt es in den Rechtsordnungen von über dreizehn europäischen Staaten allgemeine Lauterkeitsvorschriften in Form von Generalklauseln, auch wenn die Modelle, an denen sie sich orientieren, unterschiedlich sind. Tatsächlich gibt es Model80
Nivarra L (1993) La tutela civile: profili sostanziali, in Diritto antitrust italiano: commento alla Legge 10 ottobre 1990 n.287. Frignani A et al. 2, 1455; aber siehe auch Afferni V, Hrsg. (1994) Concorrenza e mercato und die Beiträge zahlreicher Autoren in (1994) Economia e diritto del terziario,1. Zum Konsumentenschutz im Kartellrecht vgl. auch Amato G (1998) Il potere e l’antitrust: il dilemma della democrazia liberale nella storia del mercato; Gobbo F (1997) Il mercato e la tutela della concorrenza. 81 Allgemein zum Haftungsrecht vgl. oben Teil 2 Kapitel 4; zum Schadenersatz im Kartellrecht vgl. Nazzini R. und Andenas M. (2006) Breach of Competition Law in English Courts, EBLR 889-1214, m.w.N. 82 Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europaïschen Union, KOM(2001) 531 endg. 83 Tesauro G und D’Alberti M, Hrsg. (2000) Concorrenza e regolazione nell’Unione Europea, in Regolazione e concorrenza.
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le, die sich auf die bonos mores beziehen, auf redliche Handelsbräuche, ungerechtfertigte Bereicherung oder Schuld; die Terminologie ist unterschiedlich, aber jede Formulierung erscheint einerseits in Verbindung mit einer Generalklausel und andererseits mit subjektiven Kriterien. Wenn man der Meinung ist, daß keines dieser Modelle sich auf Treu und Glauben (buona fede) bezieht, es aber dennoch für anwendbar hält, wie z. B. Art. 2595 C.c., der immer im Lichte der Verfassungs- und Gemeinschaftswerte interpretiert werden muß (Art. 1175 C.c.), dann ist der Ausdruck Redlichkeit, bzw. Lauterkeit gleichbedeutend mit “buona fede” (guter Glaube) im objektiven Sinne. Der größte Gegensatz unter den verschiedenen Rechtsordnungen besteht daher nicht in den Formulierungen, sondern im Gegensatz zwischen den kontinentalen und insularen Rechtsordnungen, also dem common law (wie auch es auch für andere Rechtsbereiche typisch ist). Hier wird das Modell der Selbstverwaltung zugeschrieben, um in der Lage zu sein, das Vorhandensein eines generellen Prinzips von fair trading rechtlich zu verankern. Also, wie es Hans Micklitz ins Licht gerückt hat, müssen die allgemeinen Regeln, auf die sich der gemeinsame Markt gründet, nach drei Prinzipien ausrichten: Wettbewerb, Redlichkeit im wirtschaftlichen Handeln, Konsumentenschutz. Diese Prinzipien sind nicht alle auf gleichem Niveau angesiedelt, und werden auch nicht in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten so gesehen. Erst mit der Annahme der Einheitlichen Europäischen Akte bildete der Wettbewerb, zusammen mit den vier Freiheiten, das Grundgerüst des Gemeinschaftsrechts, wobei die Rechte und Interessen der Verbraucher nur mittelbar geschützt wurden. Seit der Einheitlichen Akte, aber, damit verbunden vor allem nach dem Vertrag von Amsterdam, ist der Schutz der Verbraucherrechte und –interessen bereits mehr als nur zu einem direkten Ziel der Union geworden. Somit müssen die drei soeben genannten Prinzipien nicht nur in diesem Zusammenhang eine einheitliche Lösung finden, (daher die Figur des “praktikablen Wettbewerbs”) sondern haben auch eine unmittelbare Relevanz in den nationalen Rechtsordnungen. In jeder Rechtsordnung sind die drei Prinzipien unterschiedlich miteinander kombiniert. In der italienischen sind sie voneinander getrennt und haben unterschiedliches “Gewicht”. Das stärkste ist das Prinzip, welches die Wettbewerbsfreiheit garantiert und tendenziell die anderen mit einschließt; seine neue rechtliche Gestalt, bekräftigt seit 1990 durch eine starke Politik der Bewußtmachung und bewehrt mit den richtigen Kompetenzen der Wettbewerbsbehörde, die zusammen eine starke Kraft bilden, die interveniert und deren Ergebnisse von Wirtschaftsteilnehmern wie von Experten wertgeschätzt wird, kann so betrachtet werden, daß sie den Verbraucherschutz mit einschließen. Dies, so hat man es bei zahlreichen Gelegenheiten zu erklären versucht, ist nicht möglich, weder konzeptionell, noch praktisch, noch formal. Nicht konzeptionell, weil der Verbraucherschutz lediglich ein indirekter und mittelbarer Effekt seiner Anwendung ist; nicht praktisch, weil das Ziel des Konsumentenschutzes in Konflikt mit dem Wettbewerb steht; nicht formal, weil der Verbraucherschutz ad hoc – Interventionen erfordert, die die vorvertraglichen Informationen betreffen, die Modalitäten des Vertragsschlusses, und die ungezählten entsprechenden Bestimmungen, die aus den Ansprüchen aus einem einzelnen normativen Tatbestand erwachsen. Diese Entwicklungslinie kann sowohl eine mögliche Lösung für die Fragmentierung der Gemeinschaftsrechtsordnung und für die Koordinierung der drei Prinzipien bilden, wie auch zugleich die Antwort auf die unsichere Grundlage der Gemeinschaftsregeln in diesen Bereichen, angeregt durch das Grünbuch zum Konsumentenschutz. Aber wie nun weiter vorgehen? Soll man sich nach allgemeinen und für alle gleiche Regeln richten? Oder die Vermittlung durch den Prozeß der Harmonisierung suchen? Es gibt, so zeichnet es sich ab, verschiedene Ebenen von Harmonisierung, je nach dem Rechtsbereich, in dem Richtlinien erlassen werden, nach der Konjunkturphase, in der sie angenommen werden, und je nach den Zielen, die sie verfolgen.
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Beobachter gehen davon aus, daß, auch wenn der Harmonisierungsprozeß nicht die Ebene der Vereinheitlichung erreicht, sich die derzeitige Politik der Union dennoch auf eine Verwirklichung einer schnelleren Harmonisierung besinnen wird, und diese damit ein höheres Niveau erreichen wird. Die Formulierung einiger allgemeiner Regeln, die das Epigramm der gemeinsamen Vorschriften über Verbraucher bilden, und zugleich den Orientierungspunkt für Interpreten, könnten die Voraussetzung für den gesamten Harmonisierungsprozeß bilden. Die Kommentatoren sind dennoch geteilter Ansicht über die Art und Weise, in der dieses Projekt verwirklicht werden kann.84 Nach der italienischen Technik, einheitliche Regeln zu entwerfen, die nicht nur die einfache Zusammenstellung fragmentierter Vorschriften darstellen, sondern deren systematische Anordnung, müßten eine oder mehrere Regeln vorgesehen werden, die das Prinzip der Redlichkeit im Bereich des Wirtschaftsrechts formulieren. Schließlich findet man in den Gesetzestexten bereits Hinweise in neueren Gesetzen, von den Grundregeln über die Verbraucherrechte bis zur Kartellgesetzgebung. Man kann aber auch detaillierteren Modellen Zutritt gewähren, mit Blick auf die möglichen Entscheidungen des Gemeinschaftsrechts. Man kann also eine Liste von gemeinhin als unkorrekt betrachteten Verhaltensweisen aufstellen, um allgemeine Regeln einzuführen, die auch als abschließende Vorschriften dienen können. Diese Liste, am Sitz der Gemeinschaft, könnte in den einzelnen Ländern implementiert werden, im Hinblick auf weitere inkorrekte Praktiken, was aufgrund der Liste von mißbräuchlichen Klauseln im Wege der Vermutung geschieht. Mit solchen für (in) alle(n) Mitgliedstaaten verbindlichen Regeln, mit der Liste von Mindeststandards bei mißbräuchlichen Klauseln und mit der Anerkennung der Statuten der Selbstverwaltung könnte man ein einheitliches, aber nicht autoritäres Modell zeichnen, welches sowohl das Subsidiaritätsprinzip respektiert, als auch die Autonomie der nationalen Rechtsordnungen. Eine Alternative auf Gemeinschaftsebene (die das Nicht-Einschreiten, also alles so zu lassen, wie es ist, nicht weiter für erstrebenswert erachten kann) könnte die Einführung einer Gemeinschaftsverordnung sein, anstelle eines einheitlichen Textes zur Koordinierung der Richtlinien. In formaler Hinsicht erscheint uns dies aus vielen Gründen wünschenswerter.85 Man würde beobachten, daß die Richtlinien nur langsam umgesetzt würden, was auch die verschiedenen Zeiträume einschließt, in denen die Staaten sie ratifizieren; man würde Unterschiede in der Umsetzung der Richtlinien und in der Anwendung der nationalen Gesetze beobachten; wenn hingegen der immer schnellere und immer umfangreichere grenzüberschreitende Austausch von Waren und Dienstleistungen, erleichtert durch die Einführung des Euro, in jedem Winkel Europas mit denselben Gesetzen rechnen könnte, würde dies beim Verbraucher für das größtmögliche Vertrauen sorgen, denn so würden (auch psychologische) Barrieren überwunden, die es noch immer gegenüber dem libero acquisto [dem freien Einkauf, Freihandel] gibt. Das Verordnungsmodell könnte auch jene Rechtsordnungen bestimmen, in denen es noch keinen einheitlich erlassenen Gesetzestext gibt, einen Regelungskorpus, der die Vorschriften über Verbraucher zusammenfaßt. Somit könnte dies ein fortschrittliches und den neuen Ansprüchen angemessenes Instrument bilden mit einem schnelleren und leichter vorhersehbaren Effekt für dieselben wirtschaftlich Handelnden. Das Problem des Grades an Schutz bleibt offen, und zwar sowohl im Modell der Richtlinien und allgemeinen Regeln eines ‘Epigramms’ wie auch in dem der minimalen Liste 84
Vgl. nunmehr den Vorschlag KOM(2008) 614 endg. vom 8. Oktober 2008 im Rahmen der Bemühungen zur Neuordnung des Verbraucher – acquis. 85 Anderer Ansicht Micklitz H W und Weatherill S (1997) European Economic Law.
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4. Der Wettbewerb
von mißbräuchlichen Handlungen und im Verordnungsmodell. Wie soll man mit den Staaten verfahren, die schon ein hohes Niveau im Verbraucherschutz erreicht haben, und die dieses als unterschritten ansehen könnten, wie mit denen, die gar kein oder nur das minimale Niveau des Gemeinschaftsrechts vorsehen? Die Lösung ist nicht juristisch, sondern politisch, und betrifft sowohl Aspekte der nationalen Identität wie auch der Unions-“Bürgerschaft” im Sinne von T H Marshall.86
4.4 Mißbräuchliche Gechäftspraktiken Immer öfter zeigen Beiträge zur Wirtschaftstätigkeit auf, wie lückenhaft dieser Bereich in sich ist. Daher ist dies eine Gelegenheit, auf Gemeinschaftsebene ein allgemeines Recht einzuführen, welches den Geschäftleuten korrektes Verhalten auferlegt, da die gesamte Problematik sich derzeit der Aufmerksamkeit unseres Parlamentes und unserer Regierung entzieht. Die European Consumer Law Group unter der Leitung von zwei ihrer herausragendsten Exponenten, dem Holländer Ewoud Hondius und dem Deutschen Hans W. Micklitz, hat das Problem der sogenannten “Pyramidensysteme” und des mehrstufigen Marketings untersucht, um herauszufinden, in welcher Weise diese sich auf die Verbraucherinteressen auswirken. Es handelt sich hierbei um eine recht aggressive Verkaufsmethode, da der Kontakt mit dem Konsumenten nicht durch einen Beschäftigten des Verkäufers (Vertriebs) hergestellt wird, sondern durch eine Partei, die nur gelegentlich für Rechnung des Verkäufers handelt, und die in Gestalt eines Freundes, Nachbarn oder Bekannten oder ähnliches auftreten kann; es ist in solchen Fällen schwierig, zwischen einem Verkaufsangebot und einer einfachen Empfehlung zum Erwerb zu unterscheiden. Eine genauere Analyse zeigt viele solche aggressive Techniken der Geschäftstätigkeit: Techniken, die den ehrlichen (lauteren) Wettbewerb nicht unbedingt nachteilig betreffen, denn sie wirken sich nicht auf Beziehungen unter Geschäftsleuten aus, sondern betreffen lediglich Beziehungen zwischen Geschäftsleuten und Verbrauchern. Deshalb ist es nicht ausreichend, mit “fair competition” zu argumentieren, um ein genügendes Maß an Schutz herzustellen. Man muß vielmehr der fragmentierten Regulierung auf jedem Sektor, die Einzelbeziehungen zwischen Geschäftsleuten und Verbrauchern regeln, allgemeingültige Regeln überordnen, die sich nicht auf individuelle Handlungen beziehen (Werbebotschaften, Versprechungen, Abschlußtechniken, Abkommen, Eintragungen, etc.), sondern auf die Tätigkeiten im allgemeinen, die Beziehungen unter Geschäftsleuten. Die generalklauselartigen Regelungen über “Redlichkeit” (ähnlich zu verstehen wie “objektiver guter Glaube”) oder “fair trading” können ausreichen, um in jene Verhaltensweisen einzugreifen, die den Verbraucher schädigen, weil sie ihre Gutgläubigkeit ausnutzen, weil sie unnötig aggressiv sind, weil sie einen “Überraschungseffekt” haben, weil sie tendenziell irreführend sind.
86
[Thomas Humphrey Marshall (1893-1981), Soziologe, Hauptwerk "Citizenship and Social Class", CUP 1950, siehe z.B http://www.lse.ac.uk/resources/LSEHistory/ marshall.htm; siehe auch Anm. 40 oben.]
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Das korrekte Verhalten ist eines der Vorbilder, aus denen sich Verhaltens Kodizes speisen, Kodizes der Selbstverwaltung, der moral suasion, die gewissermaßen auf alle Bereiche des Wirtschaftslebens anwendbar sind. Aber die allgemeinen Regeln, die den Spezialvorschriften vorgehen, stehen nicht mit diesen Kodizes in Konflikt, vielmehr unterstützen und verstärken sie diese. In erster Linie operieren sie dort, wo die Selbstverwaltungsregeln noch nicht für anwendbar erachtet werden. In zweiter Linie wirken sie sich dort aus, wo diese Kodizes keinen Standpunkt einnehmen. An dritter Stelle korrigieren sie diese Kodizes, die nur ein Ausdruck der Vertragsfreiheit sind, aber in den meisten Fällen den Interessen der Berufsverbände ihrer Branche Ausdruck verleihen, dort wo sie oberflächlich und unzureichend sind, weil sie diesen übergeordnet sind. Man darf deshalb dem soft law generelle Regelungen zur Seite stellen, die es dem Anwender ermöglichen, sie auf höchst unterschiedliche (und gleichermaßen unvorhersehbare) Umstände zu beziehen, die sich nicht in Form eines allumfassenden Inventars mit allem vorstellbaren Fehlverhalten kodifizieren lassen. Somit ist es im Interesse der Verbraucher, aber ebenso in dem der Geschäftsleute, die, indem sie sich korrekt verhalten, “ad armi pari” mit den Verbrauchern wetteifern. 4.5 Die Gemeinschaftspolitiken zu Konkurrenzfähigkeit und Wettbewerb Das Wettbewerbsrecht im Gemeinschaftsgebiet wurde neu geordnet aufgrund der Vorschläge, die die Kommission in ihrer Mitteilung vom 20. 4. 200487 zum Ausdruck brachte. Die Mitteilung ist mit “Eine proaktive Wettbewerbspolitik für ein wettbewerbsfähiges Europa” überschrieben. Diese geht davon aus, daß die Wettbewerbspolitik eine der Politiken ist, die einen Einfluß auf die Entwicklung der europäischen Wirtschaft hat. Der neue gesetzliche Rahmen, der am 1. Mai 2004 in Kraft trat,88 dürfte die Grundlage für das, was die Kommission “proaktiv” nennt, festigen. Dieses Adjektiv beschreibt zwei Charakteristika dieser Vorschrift: die Förderung der Wahrnehmung und Anwendung der Wettbewerbsregeln, zu dem Zwecke der Verbesserung der Lage der Verbraucher, und um einen effizienten Restrukturierungsprozeß des gemeinsamen Binnenmarktes zu stimulieren; auch um die Praxis der Kontrolle und Anwendung des Rechts zu verbessern. Die Wettbewerbspolitik basiert auf dem Prinzip einer offenen freien Marktwirtschaft mit einem freien Wettbewerb. Aus dieser Sichtweise wird der Wettbewerb als ein Motor betrachtet, der eine Wirtschaft antreibt, die in einer globalisierten Welt wertvolle Güter und Dienstleistungen hervorbringt. Das Ziel ist, Güter und Dienstleistungen zu niedrigen Kosten zu erzielen, und auch eine effiziente Alloka87 88
COM(2004)293 endg Verordnung des Rates vom 16.12.2002 betreffend die Wettbewerbsregeln nach Art. 81 und 82 des EG Vertrags, Nr 1/2003.
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4. Der Wettbewerb
tion von Ressourcen. Die Auswirkungen dieser Politik könnten in innovativer Unternehmertätigkeit bestehen, in der Einführung besserer Produkte und Abläufe, in der Aussonderung ineffizienter Unternehmen. Forschung und Entwicklung (R&D)89 sind die Motoren dieses Wachstums. Der Wettbewerb stimuliert die Produktivität, während die Konzentration des Marktes nicht unbedingt die besten Ergebnisse bringt. Die Liberalisierung der Geschäftstätigkeit – im Gegensatz zum Vorhandensein wettbewerbsbehindernder Bestimmungen – ist günstig für die Produktivität. In diesem Sinne ist das wesentliche Ziel des Wettbewerbsrechts, sicherzustellen, daß die Unternehmen miteinander im Wettbewerb stehen und nicht zu kollusiven Praktiken greifen, wie Absprachen, wettbewerbsfeindliches Handeln und Konzentrationen, die den Wettbewerb verzerren können. Auch staatliche Beihilfen verzerren den Wettbewerb. Daraus ergeben sich einige Konsequenzen auf der juristischen Ebene: - Die Strategien in der Wettbewerbspolitik müssen einem europaweit einheitlichen Regelwerk unterworfen sein. - Diese Regeln müssen auf einem „stärker wirtschaftlichen Ansatz“ aufbauen. - Das Verfahren der Kontrolle und Anwendung der Regeln muß einfacher und transparenter sein. In den letzten Jahren wurden in der Folge der von der Kommission so treffend ausgedrückten Linie die Verordnung Nr. 1/2003 zum Wettbewerb und die Verordnung Nr. 139/2004 zur Marktkonzentration90 erlassen. Im Hinblick auf staatliche Beihilfen ist der Erneuerungsprozeß etwas langsamer, und Änderungen wurden im Jahre 2006 eingeführt. Die Aufmerksamkeit der Kommission richtet sich auf Innovation, Kontrollmechanismen und die freien Berufe. Der Regelungsrahmen bezieht sich sowohl auf den internationalen als auch auf den Binnenmarkt. Auf dem Binnenmarkt hat die Kommission ihre Strategie geändert.91 Unter den Prioritäten finden sich nun der freie Warenaustausch, ein neuer Ansatz bei der Harmonisierungstechnik, eine stärkere Unterstützung der kleinen und mittleren Unternehmen, eine Handlungsebene für Finanzdienstleistungen (betreffend die Verkaufsprospekte, Investmentdienste, Konsumentenkredite, und Individualfinanzdienstleistungen), die Verbesserung der Freiheit im Transportgewerbe, die Reduzierung der steuerlichen Einflüsse, einheitliche Patent- und Urheberrechtsvorschriften und die Vereinfachung der Gesetze. In der Verbraucherpolitik hat die Union drei Ziele festgelegt:92 ein höheres Verbraucherschutzniveau auf Gemeinschaftsebene, die Beteiligung der Bürger an den Politiken der Union, gemeinsam mit den Verbraucherschutzverbänden. Der Anwendungsbereich dieser Strategie umfaßt die Sicherheit, juristische und wirtschaftliche Fragen, Information und Ausbildung, die Förderung der Verbraucherorganisationen. Auch in diesem Falle gehören die Rechtsvereinheitlichung und der Kampf gegen unlautere Praktiken zu den Prioritäten. 89
[Research & Development] Siehe zu ersten Erfahrungen mit der neuen Verordnung die Ergebnisse des FIDE XXIII Kongresses 2008 in Linz, veröffentlicht als Koeck H F und Karollus M M, Hrsg. (2008) The Modernisation of European Competition Law. Initial Experiences with Regulation 1/2003. FIDE XXIII Congress Linz 2008. Congress Publication Vol.2. 91 COM (2003) 238 endg. 92 Ibid. 90
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Für die Verbraucher denkt man daran, den ganzen acquis communautaire zu konsolidieren, vermittels der Richtlinien über Verbraucherverträge und e-commerce.93
4.6 Ausblicke im Wettbewerbsrecht Nach einer Richtung, die der amerikanischen Wettbewerbsdoktrin angelehnt und am weitesten verbreitet ist, hat die Bedeutung der Erfahrung aus wirtschaftlichen Beziehungen eine doppelte Funktion angenommen: auf der einen Seite hat sie das Leitbild für viele nationale Gesetzgeber geliefert, die ihre Vorschriften den modernen Anforderungen des Marktes anpassen wollten, auf der anderen Seite hat dies ein Vergleichsmodell geschaffen, über das man mit ausgefeilten politischen und wirtschaftlichen Argumenten diskutiert – mit Argumenten der Rechtspolitik, die wegen des starken Überwiegens nationaler Eigenheiten, empfehlen, das amerikanische System nicht anzuwenden. Es ist eine verbreitete Überzeugung, daß das amerikanische antitrust law einen merklichen Einfluß auf alle abendländischen Rechtsordnungen genommen hat, Auf dem Gebiete des Gemeinschaftsrechts sei es jedoch im Gegenteil das deutsche Recht gewesen, – mit der Einführung des GWB von 1958 – welches in der neuen Realität des Europäischen Binnenmarktes angewendet wurde, wenn auch mit Blick auf das amerikanische Modell. Aus diesem Blickwinkel erscheint das in den Vereinigten Staaten praktizierte Modell, in der Auslegung der amerikanischen Gerichte nach dem Angemessenheitsprinzip (sog. rule of reason doctrine), toleranter gegenüber vertikalen Konzentrationen, während dieses Prinzip sowohl von der EU- Kommission als auch vom Gerichtshof, die ein Modell, welches auf Marktzugang basiert bevorzugen (sog. essential facilities doctrine), abgelehnt wurde. Man muß deshalb auch davon ausgehen, daß das amerikanische Modell durch eine überreiche Literatur zur ökonomischen Analyse des Rechts gestärkt wurde, worin die Chicagoer Schule verschiedensten Ausdruck findet.94 Das europäische Modell erscheint amerikanischen Juristen, trotz aller Gegensätze, dem ihren durch zwei treibende Kräfte verbunden zu sein: die eine richtet sich darauf, alle Schranken gegen den freien Austausch von Personen, Waren, Kapital und Dienstleistungen zu beseitigen, und damit den Markt den nationalen Beschränkungen zu entreißen; das Rechtssystem ist so darauf ausgerichtet, wie eine Art “Dunstglocke” zu wirken, die die Unternehmensfreiheit behindert, die Freiheit der Unternehmensorganisation, und, durch Zusammenschlüsse und Absprachen, die Freiheit der Organisation des Marktzugangs; der andere Antrieb führt soziale Werte ein, so daß der Markt, der sich durch die Wettbewerbsfreiheit verwirklicht, korrigiert wird, so daß er die Anforderungen der Empfänger der wirtschaftlichen Aktivität erfüllt, besonders die der Verbraucher. In den Augen der amerikanischen Wissenschaftler nimmt das europäische Modell – verstanden in seiner Gesamtheit 93 94
Siehe oben Anm 84. Zum Einfluß der Chicago School auf das US-amerikanische Kartellrecht vgl. die Aufsatzsammlung in Pitofsky R, Hrsg. (2008) How the Chicago School Overshot the Mark: The Effect of Conservative Economic Analysis on U.S. Antitrust.
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– auch ausgeprägte bürokratische Eigenschaften an, durch ein Verwaltungssystem, das auf Notifikationsmechanismen, Ermächtigungen und Befreiungen aufgebaut ist. Aber, angesichts des neuen Wettbewerbsrechts des EU-Vertrages und der ad hoc Regulierung, ist dies ein bereits abgelegtes System. Aus europäischer Sicht muß man diese Ansicht etwas korrigieren, denn es ist durchaus wichtig, die europäische von der nationalen Ebene zu unterscheiden: auf der nationalen Ebene geht es darum, die Ursprünglichkeit der verschiedenen Systeme zu erhalten, weil z. B. das deutsche System sich dem französischen annähert (welches als dirigistischer gilt), und auch dem schwedischen, welches für liberaler gehalten wird. Jedes dieser nationalen Modelle hat seine Geschichte: wenn man vom italienischen absieht, welches mit Verspätung geboren wurde, ist das deutsche eine Frucht des wirtschaftlichen Wiederaufbaus von Industrie und Handel nach der Zerstörung durch den Zweiten Weltkrieg und konzentriert sich auf die Kontrolle von Kartellen; das französische ist mehr auf die Preiskontrolle gerichtet; in jedem System operieren Verwaltungsbehörden, deren Unabhängigkeit von der Exekutive von Staat zu Staat verschieden ist. Was die Gemeinschaftsebene betrifft, so muß man betonen, daß die Abschaffung der Barrieren ursprünglich und auch in der nachfolgenden Entwicklung darauf abzielte, nicht nur einen einheitlichen Binnenmarkt zu schaffen, sondern auch die Nationalstaaten einander politisch anzunähern: der wirtschaftliche Prozeß ist zu einem politischen Integrationsinstrument geworden, ein dem USamerikanischen Modell völlig fremdes Ziel. All diese Modelle müssen zu dem wirtschaftlichen Liberalismus in Bezug gesetzt werden, der sich in der westlichen Welt verbreitet. Die wirtschaftliche Freiheit bildet schon einen Teil der konstitutionell garantierten Werte und ist mit der individuellen Freiheit verbunden; das Eingreifen des Staates ist nicht völlig ausgeschlossen, sofern es den Wettbewerb unterstützt; aber dies ist nur aus sozialen Gründen angemessen, wenn es sich in eine Gesellschaft einfügt, deren Anliegen die Versöhnung der Interessen der wirtschaftlichen Akteure mit dem Allgemeinwohl ist. Aber hier zeigt sich auch das Problem der Globalisierung des Wettbewerbsrechts: sobald die Marktteilnehmer auf dem transnationalen Niveau agieren, muß man sich nach Abkommen zur Vereinheitlichung des Wettbewerbsrechts richten, und nach dem “soft law”, die so zu einer langsamen Konvergenz durch die Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden und die Arbeit der Jurisprudenz führt. 4.7 Konzentration und Wettbewerbsrecht. Maßnahmen und Grenzen der Vertragsfreiheit Während in London am British Institute of International and Comparative Law der XX. FIDE95 Kongress stattfand, und man in der 3. Sitzung über Fragen des Fusions- und Wettbewerbsrechts in den Mitgliedstaaten debattierte, beschloß die
95
International Federation for European Law / Fédération Internationale de Droit Européen.
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Kommission, eine grundlegende Reform der Fusionskontrolle und die Umsetzung der Vorschläge des Rates96 zu verabschieden. Die bei dem Kongreß präsentierten und danach sofort veröffentlichten Berichte, haben viele Fragen aufgeworfen, die eine Untersuchung speziell im Lichte der geplanten Gemeinschaftsvorhaben zur Modifizierung des bestehenden Rechts erforderten, um sicherzustellen, daß die Initiativen zur Änderung der Gemeinschaftsregelungen einerseits ein Modell für die nationalen Gesetzgeber bilden und andererseits auch ein Mittel zur Beseitigung der Hindernisse – der “final barriers”, wie die 3. Sitzung der FIDE-Tagung überschrieben war – für grenzüberschreitende Unternehmensverschmelzungen werden konnten.97 Jedoch haben dieselben Berichte ein anderes gravierendes Problem beleuchtet, welches bei der Beschreibung der Kontrollmechanismen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten deutlich wird: die nationalen Regeln weichen immer noch voneinander ab, sei es bei den Verfahren, der Organisation der Kontrolle, bei der Einordnung des Begriffs Konzentration, oder den maßgeblichen Märkten und ähnlichem. Besonders unterschiedlich sind die nationalen Rechtsordnungen bei den korrigierenden Maßnahmen, die den Unternehmern, die eine Fusion planen, nahegelegt oder aufgegeben werden. Damit nicht genug: die verschiedenen Rechtssysteme stimmen nicht darin überein, wie diese Maßnahmen rechtlich eingeordnet und ihre Auswirkung auf die Beziehungen unter Privaten beurteilt werden sollen. Maßnahmen und Wirkungen, die auf Vertragsbeziehungen beruhen, sind in vielen Fällen mit den Behörden abgestimmt und haben daher wiederum Auswirkungen auf Vereinbarungen gegenüber Dritten, die die Parteien eingehen müssen, um die Vorschläge oder Auflagen der Behörden auszuführen. Die Zusammensetzung der Maßnahmen zur Wiederherstellung des Wettbewerbs auf den Märkten folgt daher zwei gegensätzlichen Politiken, die in der Fusionskontrolle miteinander kombiniert werden können: die dirigistische Politik, die in der Arbeit der Behörde ein System von Ermächtigung und Verpflichtung sieht, und die liberalistische Politik, die sich eher der moral suasion bedient und Lösungen in einer Vereinbarung zwischen Unternehmen und Behörde sucht, in denen die Handlungsweisen durch Verhandlungen festgelegt und in den Geschäftsbeziehungen der Parteien mit Dritten befolgt werden, durch welche die Vorgaben der Behörde erfüllt werden. Diese Methode des Dialogs, die sich für das Privatrecht eignet, wirkt sich auch auf die in den verschiedenen Bereichen verwandte Terminologie aus, wenn diese auch sehr weit voneinander entfernt ist, jeweils durch ihre historische Herkunft und ihre Ordnungsprinzipien. Diese Terminologie bildet die Bestätigung – wie ein “Spion” der Vorgehensweise – für das Ziel, was damit verfolgt wird: die verwandten Techniken nennen sich auf italienisch “misure correttive” [korrigierende Maßnahmen] im Gegensatz 96
Verordnungsvorschlag der Kommission vom 11.12.2002 (KOM (2002) 711 endg., ABl. 28.1.2003 C 20/4; Draft Best Practices on the Conduct of EC merger control proceedings, Brüssel, 19.12.2002, internet: http://ec.europa.eu/comm/competition/mergers/legislation/proceedings.pdf 97 Siehe auch die daran anschließenden Diskussionen auf dem FIDE XXIII Congress 2008 in Linz, oben Anm. 90.
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zu “misure di ripristino” [wiederherstellende Maßnahmen], oder auch allgemeiner “rimedi”, [etwa: Abhilfe] übersetzt vom Englischen remedies und vom Französischen remèdes; divestiture und cession d’actifs sind die “dismissioni” (Verkäufe) oder “cessioni” (Abtretungen); die Beziehungen mit der Behörde und der Gesprächskontakt, um annehmbare Ergebnisse zu erzielen, heißt “negoziazioni”, negotiations, agreements, die privaten Vertragspartner sind die “parti”, parties – Ausdrücke, die nicht nur auf die Rolle der am Verfahren Beteiligten anspielen, sondern auch auf die Rolle der Partner beim Abschluß einer Vereinbarung. Es ist ein sehr komplexes Gebiet, auf dem das US-amerikanische Modell mit dem aktiven und nicht nur sanktionierenden Eingreifen der Federal Trade Commission, FTC, und des Department of Justice, DOJ, einen Meilenstein sowohl für die Erfahrungen der Mitgliedstaaten als auch für die Institutionen der Gemeinschaft bilden, trotz der zahlreichen Unterschiede zwischen dem USamerikanischen Ansatz der Wettbewerbskontrolle und dem europäischen Modell,98 ganz zu schweigen von denen der Mitgliedstaaten, deren Systeme wir auf den folgenden Seiten kurz darstellen werden. Das vorgeschlagene Eingreifen der Gemeinschaft ist auch bedeutend für die Methode, die man auf die Kontrolle von Konzentrationen anwenden will, weil dies die Einschätzung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Vorhaben hervorhebt, aber auch für die Entscheidung, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um diese mit einem vom Wettbewerb geprägten Markt vereinbar zu machen. Der Entwurf, der auf Forschungsarbeit basierte und auf Vorschlägen im Weißbuch vom 28.4.1999 über die Modernisierung der Ausführungsvorschriften zu Artt. 85 und 86 des EG Vertrages,99 sowie auf den Initiativen, die aufgrund des Grünbuches über die Ratsverordnung Nr. 4064/89100 im Bereich der Marktkonzentrationen aufgegriffen wurden, brachte größere Klarheit in diese Materie, eine zeitliche Verkürzung, ein effizienteres Konzept des Verfahrens. Die Leitlinien der vorgeschlagenen Reform waren: die Überarbeitung der Regelung von Konzentrationen; ein Vorschlag für die Beurteilung von horizontalen Konzentrationen, also die Konzentration unter konkurrierenden Unternehmen; die Bestimmung von Maßnahmen, die keinen Normcharakter haben und den Entscheidungsprozeß optimieren sollen, durch die jeweilig gebräuchlichen best practices. All diese Initiativen zielen auf effizientere Kontrollen und elastischere Verfahren, indem das freie Spiel des Wettbewerbs garantiert wird, ohne die Anliegen derjenigen Unternehmen, die Konzentrationen beabsichtigen, mit langen Entscheidungszeiten und zu strikten Verfahrensanforderungen zu benachteiligen.101
98
Gerber D J (1998) Law and Competition in Twentieth Century Europe. Protecting Prometheus; Motta, Polo, et al. (2002) Merger Remedies in the European Union: An Overview. Guidelines for Merger Remedies-Prospects and Principles. 99 Arbeitssprogramm der Kommission Nr 99/027; COM/99/0101 endg. 100 COM (2001) 745 endg. 101 Die aufgrund dieser Vorschläge in den Mitgliedstaaten schon in den Jahren vor Erlaß der neuen VO 1/2003 reformierte Gesetzgebung hat noch keine nennenswrte Rechtsprechung oder wissenschaftlich aufbereitete Erfahrungen ergeben, bis zum FIDE Kongreß 2008 in Linz, vgl. Koeck H F und Karollus M M, Hrsg. (2008) The Modernisation of
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Einer der interessantesten Aspekte dieser Problematik betrifft die bisherige Anwendung und die Reform des Art. 8 der Fusionsverordnung,102 die der Kommission die folgenden Aufgaben übertrug: (i) im Zuge der Prüfungsphase einer angemeldeten Konzentration: die Modifikation einer von den beteiligten Unternehmen (die “interessierten Unternehmen”) direkt unterbreiteten Transaktion; (ii) wenn das Vorhaben mit dem gemeinsamen Markt kompatibel ist: Bedingungen und Auflagen, die die Kommission in ihrer die zweite Prüfungsphase abschließenden Entscheidung auferlegt; (iii) bei bereits vollzogenen Konzentrationen: Maßnahmen, die die Kommission aufgrund von Vermutungen auferlegt, um effektiven Wettbewerb wiederherzustellen. Im allgemeinen Sprachgebrauch findet man oft den Ausdruck “rimedi” [wörtlich Abhilfe], die mit der Aufsichtsbehörde ausgehandelt und vereinbart werden und von “impegni” [Verpflichtungen / Versprechen, englisch commitments], die die Unternehmen eingehen. Diese Terminologie ist vage und schwer faßbar, und man muß sie an die allgemeinen und besonderen Eigenheiten eines jeden Systems anpassen.103 In den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten wird dieses Problem – eigentlich selbstverständlich – im jeweiligen nationalen Fusionsrecht gelöst. Aber, wie schon gesagt, weichen die verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Normen über die “rimedi” [Auflagen, Abhilfemaßnahmen], voneinander ab. 4.7.1 Der Fragebogen des XX. FIDE Kongresses In dem Fragebogen, der für die 3. Sitzung des XX. FIDE Kongresses (London 30.10.-2.11.2002), welche sich mit “cross border mergers in company law and competition law: removing the final barriers”104 befaßte, vorbereitet worden war, betraf einen der Punkte, um deren Beantwortung die Berichterstatter aus verschiedenen Mitgliedstaaten gebeten worden waren: die Abhilfe für die Probleme, mit denen die Fusionsbehörden zu tun hatten, um dem Wettbewerbsrecht Wirkung zu verleihen (sog. competition issues). Jeder der befragten Berichterstatter brachte Antworten mit – bei deren Vergleich konnte man jedoch feststellen, daß die Fragen nicht in allen Rechtsordnungen gleich verstanden wurden, und sich nicht aus allen Rechtsordnungen angemessene oder zufriedenstellende Antworten ergeben hatten. European Competition Law. Initial Experiences with Regulation 1/2003. FIDE XXIII Congress Linz 2008. Congress Publication Vol.2. 102 VO 139/2004. 103 [Da das Europäische Kartell- und Fusionskontrollrecht in weiten Teilen vom USamerikanischen Recht abgeleitet ist, sind auch viele Ausdrücke ursprünglich englisch und nicht absolut treffend übersetzbar. Der deutsche Sprachgebrauch für remedies ist daher etwas umständlich „Abhilfemaßnahmen“.] 104 Andenas M und Lord Slynn of Hadley (2002/2003) FIDE XX. Congress London 30 October-2 November 2002 Volume 1: National Reports, (2002) Vol. 2: Conclusions (2003), 625 ff.
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Daraus zog man den Schluß, daß das Thema abschließend und gründlich diskutiert und der Kommission und den nationalen Behörden unterbreitet werden mußte, um auch in diesen Aspekten herauszufinden, ob es möglich sei, diese zu harmonisieren und somit gemeinsame Verhaltensnormen für die Kontrollorgane (m.a.W. gemeinsame Verfahrensregeln und gemeinsame Vorschriften für das Behördenhandeln und dessen Wirkung) und gemeinsame Regeln für das Handeln der Unternehmen (gemeinsame Regeln zur Beachtung der Anmeldung, für Empfehlungen und Anordnungen der Behörden, sowie Rechtsbehelfe gegen das Behördenhandeln) zu erzielen. 4.7.2 Die Antworten auf den Fragebogen Die Befragung bezog sich darauf, ob und wie die Unternehmen, die eine Konzentration beabsichtigen, Verhandlungsmöglichkeiten mit der Kontrollbehörde behalten, also nicht-streitige Initiativen ergreifen, so daß ein Rückgriff auf juristische Mittel vermieden wird, um die Kompatibilität des Vorhabens, welches angemeldet und der Prüfung durch die Behörden unterworfen ist, mit dem Wettbewerb zu erreichen, wobei die Vertragsfreiheit durch die Bewilligung von Empfehlungen (in der Phase der Präsentation des Vorhabens) und der Auferlegung von Verpflichtungen (in der Entscheidungsphase) eingeschränkt wird. Diese Verhandlungstechnik kann in zwei verschiedenen Momenten eingreifen: - In der Anfangsphase des Verfahrens, in der die Behörde Informationen und Unterlagen sammelt, mit den Unternehmen die Umstände des Vorhabens erörtert, und signalisiert, wenn Unklarheiten oder Hindernisse dem Vorhaben entgegenstehen und somit eine negative Entscheidung als Abschluß des Verfahrens festlegt. - In der abschließenden Phase des Verfahrens können die Unternehmen, wenn sie einen ablehnenden Bescheid erhalten haben, mit der Behörde verhandeln, um eine juristische Auseinandersetzung zu vermeiden, und Modalitäten ausarbeiten, mit denen das Vorhaben unter Beachtung der erhaltenen Hinweise kompatibel gemacht werden kann. Aus den Antworten auf den Fragebogen wird ersichtlich, daß die zwei Phasen nicht in allen Rechtsordnungen vorhanden sind, sondern in einigen ist die erste Phase lediglich fakultativ oder wird nur de facto praktiziert, aber ohne ein festgelegtes und vorgeschriebenes Verfahren; daß die Eingriffsmechanismen der Behörden meist rigide und unflexibel sind, daß häufig die Modifizierungsvorschläge wie neue Anmeldungen zur Prüfung durch die Behörden behandelt werden. Im österreichischen System sind beide Vermutungen vorgesehen.105 Parteien, die eine Konzentration vorhaben, können die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) anrufen, bevor der Fusionsvertrag dem Kartellgericht vorgelegt wird. Wenn die BWB Bedenken bezüglich einzelner Regelungen des Vorhabens erhebt, haben die 105
Stockenhuber P (2002) Cross border mergers in company law and competition law: removing the final barriers: the Austrian perspective, in Andenas M und Lord Slynn of Hadley (2002/2003) FIDE XX. Congress London 30 October-2 November 2002, Volume 1, National Reports, 631-55, 641.
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Parteien die Möglichkeit, diesen durch Änderungen ihrer Pläne abzuhelfen. In solch einem Falle können sie die Anmeldepflicht umgehen. Wenn ein Prüfungsverfahren bei der BWB schon begonnen hat, können die Parteien Vertragsänderungen auch dem Kartellgericht vorlegen, welches Auflagen oder Selbstverpflichtungen verfügen kann. Wenn sich der zugrundeliegende Sachverhalt zwischenzeitlich ändert, können die Parteien beim Kartellgericht Änderungen solcher Auflagen oder Verpflichtungen beantragen. Im belgischen System106 ist vorgesehen,107 daß die Parteien nach der Anmeldung einer Konzentration die Bedingungen dieser Konzentration in der ersten Phase jederzeit ändern können. Die vorgeschlagene neue VO 139/2004 war hilfreich, da die Behörde bis dahin nur die Möglichkeit hatte, die Konzentration zu genehmigen, oder bei ernsten Bedenken die zweite Phase zu eröffnen. Nach Abschluß der ersten Phase lehnte das Wettbewerbsgremium (Competition Council) es stets ab, Bedingungen vorzusehen. Im Falle De Post vom 15.9.1997,108 in dem der Competiton Service vorgeschlagen hatte, die Konzentration mit bestimmten Auflagen zu genehmigen, weigerte sich das Competition Council, diese Bedingungen anzunehmen, und genehmigte die Konzentration ohne Auflagen auf Kosten der Parteien. Das derzeitige Recht sieht keine Frist vor, innerhalb derer die Parteien Änderungen ihres Vorhabens im Laufe des Verfahrens vornehmen müssen. Die Parteien können beim Competition Council um Verlängerung der Prüfungsphase im Sinne von Art. 33 §3 bitten. Im dänischen System sind Änderungsvorschläge gegenüber dem ursprünglich angemeldeten Vorhaben zulässig.109 Gleiches gilt für das finnische Rechtssystem.110 In Frankreich ist die Situation stärker untergliedert und befand sich zur Zeit des FIDE Kongresses 2002 in einem Reformprozeß, wie wir unten kurz erläutern wollen,111 im Zusammenhang mit den Vorschlägen für eine Neufassung der guidelines über die remedies. Änderungen der ursprünglichen Vorhaben konnten sowohl in der ersten wie auch in der zweiten Phase vorgeschlagen werden. Die Parteien konnten eine Fristverlängerung zur Einreichung von Änderungen beantragen, die vom DGCCRF112 ausgewertet werden.
106
Zonnekeyn G und Janssens E (2002) Cross border mergers in company law and competition law: removing the final barriers (Belgium), in ibid., 657-718. 107 In Art.33 §2, 1 (a) des Wettbewerbsgesetzes in der Fassung der Änderung von 1999. 108 97-C / C-20 109 Broberg und Hansen (2002)in op.cit., Anm. 103, 725; Broberg M (1997) Commitments in Phase One Merger Proceedings: The Commission’s Power to Accept and Enforce Phace One Commitments Common Market Law Review 34, 845. 110 Keinaene, Mentula, Hinders (2002) in op.cit., Anm. 104, 748. 111 Unten 4.7.7. 112 La Direction Générale de la Concurrence, de la Consommation et de la Répression des Fraudes (DGCCRF), vgl. Charbit und Debroux in op.cit. Anm. 104, 788 und DGCCRF, (2002) Projet de Lignes directrices relatives a l’analyse des concentrations et aux procedures de controle.
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Im deutschen Recht sieht der §40 Abs. 3 GWB die vor, daß eine Fusionsgenehmigung mit Auflagen verbunden werden kann, aber dies bringt keine dauernde Kontrolle der Unternehmen durch die Behörde mit sich.113 Im niederländischen Recht114 sieht der Competition Act nicht die Möglichkeit der Abänderung eines Vorhabens in der ersten Phase vor. Tatsächlich passen die Parteien die Bedingungen im Verlaufe des Verfahrens unter Beachtung der Reaktion aus der Kontrollbehörde an, dies gilt jedoch als Neuanmeldung. In der zweiten Phase kann die “NMa”115 hingegen Bedingungen vorschreiben, auch Abwandlungen des ursprünglichen Vorhabens. Es ist Aufgabe der Parteien, dies zu veranlassen, aber die Initiative der Behörde, angemessene Änderungen aufzuerlegen, wobei es keine ausdrücklichen Vorschriften hierüber gibt. Die Behörde erläßt die remedies nach Maßgabe der guidelines. Im norwegischen Rechtssystem sind Verhandlungen – man spricht von regelrechten „negotiations“– in der ersten Phase zwischen der NCA116 und den Parteien verbindlich, um eine einvernehmliche Lösung, die mit den Kategorien des Wettbewerbsrechts vereinbar ist, zu erarbeiten.117 In dieser Phase können die Parteien Verpflichtungen (undertakings) übernehmen, so daß Wettbewerbshindernisse in einer für die Behörde akzeptablen Weise vermindert oder beseitigt werden. Es sind sowohl strukturelle wie auch verhaltensabhängige Selbstverpflichtungen zulässig. Es gibt keine bestimmte Form für das Vorbringen solcher remedies. Sie können allerdings von der Behörde mit Bedingungen versehen und geändert werden. Im englischen Recht können remedies sowohl die erste wie auch die zweite Phase betreffen.118 Der zuständige Staatsminister119 kann schriftlich eingereichte formelle Verpflichtungen genehmigen. Die vorgeschlagenen Verpflichtungen werden in einem vorläufigen Formular veröffentlicht, zusammen mit der Stellungnahme des DGFT,120 und auch Dritte können Stellungnahmen einreichen. Die remedies können struktureller oder verhaltensabhängiger Natur sein, jedoch werden die ersteren bevorzugt, da die letzteren Kontrolle erfordern, wenn sie sich über längere Zeit erstrecken. Die Stellungnahme des CC121 kann ebenfalls Maßnahmen vorschlagen, um das Vorhaben wettbewerbsverträglich zu machen. Das DGFT selbst kann auch Beobachtungen formulieren und Maßnahmen vorschlagen, die auch von denen des 113
Berg in op.cit., Anm. 104, 810; §40 Abs.3 GWB: [Verfahren der Zusammenschlusskontrolle] „Die Freigabe kann mit Bedingungen und Auflagen verbunden werden. Diese dürfen sich nicht darauf richten, die beteiligten Unternehmen einer laufenden Verhaltenskontrolle zu unterstellen“. 114 Snelders und Dolmans in op.cit., Anm. 104, 810. 115 Nederlandse Mededingingsautoriteit, Nma,, www.nmanet.nl. 116 [National Competition Authority, nationale Wettbewerbsbehörde] 117 Aarbake und Stemashaug in op.cit. Anm. 104, 899. 118 Lomas in op.cit., Anm. 104, 933. 119 Der Secretary of State des britischen Handelsministeriums, Department of Trade and Industry, DTI. 120 Director General of Fair Trading (DGFT), heute Office of Fair Trading (OFT). 121 Competition Council.
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CC abweichen können. Der Minister ist bei der Formulierung von angemessenen Maßnahmen nicht an diese Stellungnahmen gebunden. Im Fall Interbrew/Bass122 vor dem High Court vom 23.5.2001123 – in dem der CC und der Minister124 den Abverkauf der Beteiligung des interessierten belgischen Unternehmens Interbrew an der britischen Brauerei Bass Brewers angeordnet hatten – entschied das Gericht, daß der CC es zu Unrecht unterlassen hatte, Interbrew die Chance zur Einreichung geänderter Pläne zu geben, um die Bedenken wegen Wettbewerbsbeschränkungen auszuräumen, und die Frage wurde an das Ministerium zur Neuentscheidung zurückverweisen. Das Ergebnis war, daß Interbrew lediglich angewiesen wurde, die von Bass Brewers an Carling gehaltene Beteiligung zu veräußern. 125 Momentan können die remedies vom CC ohne die Beteiligung des Ministeriums angeordnet werden. Auch wenn diese Aspekte aus dem Recht einzelner Mitgliedstaaten im Hinblick auf Interpretation und Rechtsprechung noch vertieft werden müßten, kann man in dieser einfachen Gesamtbetrachtung beobachten, wie die nationalen Modelle bei der Zusammensetzung, Kompetenz und Aktivität der Kontrollbehörden voneinander abweichen, auch in Bezug auf die Verteilung der Kontrollbefugnis zwischen mehreren öffentlichen Organen, sowie offensichtlich auch in der Beschaffenheit der Verfahren der ersten und zweiten Phase, der vorgesehenen Maßnahmen und deren praktische Handhabung, ihrer Rechtsnatur, Verhandelbarkeit, Wirkung und Justiziabilität. 4.7.3 Privatautonomie und Fusionskontrolle Die Problematik der Prüfung wird in zwei Zeitabschnitten, die oben besprochen wurden, behandelt, im Zusammenhang mit der Ratsverordnung vom 21.12.1989, Nr. 4064, Art. 6, in der konsolidierten Fassung der Verordnung vom 30.6. 1997, Nr. 1310, Art. 8 der neuen Version, die durch dieselbe Verordnung Nr. 1310 geändert wurde. a) Prüfung der Anmeldung und Einleitung des Verfahrens Insbesondere mit Bezug auf den ersten Vorschlag sieht der Absatz 2 bis des Art. 6 in der ersten Phase der Prüfung einer Anmeldung und der Verfahrenseinleitung vor, daß die Kommission ein angemeldetes Konzentrationsvorhaben, das keine schwerwiegenden Bedenken aufwies (die die Kommission veranlassen wür122
Sache COMP/M.2044, Interbrew/Bass 2000/C 196/06. Ein Fall, der die internationale Bierwelt sehr bewegte: Interbrew A. and Interbrew UK Holdings Ltd v. The Competition Commission and The Secretary of State for Trade and Industry [2001] EWHC Admin 367. Vgl auch eine kurze Übersicht unter http://www.realbeer.com/news/articles/news-001541.php und die Artikel im Independent (http://www.independent.co.uk/news/business/news/high-court-says-interbrew-treatedunfairly-over-forced-bass-selloff-685821.html) und in der New York Times unter http://query.nytimes.com/gst/fullpage.html?res=9F00E7DC163CF935A15756C0A9679C 8B63 124 Der damalige Handelsminister Stephen Byer. 125 Vgl. eine kurze Übersicht über die erwogenen Möglichkeiten und die Fallgeschichte in der BBC-Meldung unter http://news.bbc.co.uk/2/hi/business/1422543.stm 123
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den, ein Verfahren zur Aufklärung eines Verstoßes aufzunehmen), dieses Vorhaben aufgrund von Änderungen, die von den interessierten Unternehmen eingereicht wurden, für kompatibel erklären konnte, gem. Art. 6 Abs. c Buchstabe b der VO 4064/89. Es handelte sich hierbei um von den Unternehmen gemachte Vorschläge, aber der Text war nicht klar in der Frage, ob diese spontan gemacht werden konnten, oder aufgrund von Erörterungen des Vorhabens mit der Behörde, oder ob sie von der Behörde selbst in einer informellen und unverbindlichen Weise vorgeschlagen oder angezeigt werden konnten. Ein anderer Vorschlag war deshalb, daß, wenn die Kommission nach Art. 6 (b) und (c) Bedingungen und Auflagen angeordnet hat, die Unternehmen berechtigt sein sollen, das Vorhaben als kompatibel zu betrachten, aber nur, wenn sie die übernommenen Verpflichtungen erfüllen, also das Vorhaben anpassen, um es mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu machen. Es handelt sich um „Bedingungen“ und „Auflagen“, deren Inhalt und Rechtsnatur nicht durch die Verordnung präzisiert werden, und daher der Auslegung durch den Anwender bedürfen.126 In Fällen, in denen die Auflagen nicht oder nur teilweise befolgt werden, hat die Kommission die Möglichkeit, die Entscheidung zurückzunehmen. In solchen Fällen kann – nach dem Ermessen der Kommission – nach den Vorschriften des Art. 10 Abs. 1 (früher Art. 6 Abs. 1 quater) eine abweichende Entscheidung erlassen werden. b) Die das Verfahren abschließende Entscheidung Nach dem zweiten Vorschlag, die die Phase des Verfahrensabschlusses betrifft, sieht Art. 8 vor, daß die Kommission die Vereinbarkeit eines angemeldeten Konzentrationsvorhabens erklären kann. - wenn die Unternehmen die geforderten Änderungen durchgeführt haben; - wenn die Unternehmen Verpflichtungen übernommen haben, die zusammen mit der Kommission erarbeitet wurden, um Bedingungen und Obliegenheiten umzusetzen, die die Konzentration mit dem gemeinsamen Markt vereinbar machen. In diesem Falle kann die Kommission gemäß Art. 10 Abs. 3 eine bereits getroffene Entscheidung widerrufen, wenn die beteiligten Unternehmen eine der Auflagen, von denen die Entscheidung abhing, nicht beachten. In allen Fällen spricht der Text der Verordnung von Bedingungen und Auflagen im Zusammenhang mit der Entscheidung der Kommission und von Verpflichtungen und Versprechen im Zusammenhang mit den interessierten Unternehmen. Die Anwendung dieser Vorschriften wird in der Mitteilung Nr. 2001/C68/03 der Kommission über angemessene korrigierende Maßnahmen erklärt, veröffentlicht im Amtsblatt am 2. März 2001. In dieser Mitteilung werden Formen von Maßnahmen beschrieben, die die Kommission für angemessen hält, also Verkäufe und Entflechtungen, andere Maßnahmen, die sich auf Alleinvertretungsvereinbarungen beziehen, auf Zugang zu Technologien, Infrastruktur, sowie auf die Darstellung und Durchführung der Verpflichtungen. 126
Die im folgenden geschilderten Charakteristika des Verfahrensablaufs gelten auch unter dem neuen System des VO 1/2003 und der Fusionsverordnung 139/2004.
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Eine genaue Betrachtung der Mitteilung aus der hier eingenommenen Perspektive, also im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Behördentätigkeit und Privatautonomie, sowie auf die korrigierenden Maßnahmen, ergibt, daß es sich nicht um eine abschließende Auflistung der Tätigkeiten handelt. Anders gesagt, die dort behandelten Vorgehensweisen sind sicherlich am häufigsten anzutreffen, aber dies schließt die Möglichkeit, ein größeres Handlungsspektrum zu erforschen, nicht aus, wie sich aus der Anmerkung 16 der Mitteilung ergibt. Es handelt sich daher um eine mögliche aber nicht verbindliche Typologie. Die korrigierenden Maßnahmen werden von den interessierten Parteien vorgeschlagen: es ist deshalb Aufgabe der Parteien, Änderungen des Konzentrationsvorhabens oder die Durchführung zusätzlicher Handlungen anzubieten, und, sofern die Kommission sie als geeignet ansieht, das Vorhaben den Erfordernissen eines wettbewerbsorientierten Marktes anzupassen. Die Verpflichtungen haben ein Hauptziel: die Genehmigung durch die Kommission zu erlangen; daher werden sie lediglich unter der Bedingung vorgeschlagen – und manchmal ausgeführt – daß die Kommission sie für angemessen hält, und ihre Wirkungen die erhofften Lösungen erzielen. Wenn sich also aus der Untersuchung der Kommission ergibt, daß die Verpflichtungen nicht nötig sind, können die Parteien beschließen, diese zu widerrufen.127 Die Verpflichtungen werden zum Gegenstand einer formellen und bindenden Vereinbarung zwischen den Parteien und der Kommission: dem Vorschlag folgt die Annahme durch die Kommission, die sich an das Verfahren der Berichterstattung durch die Beamten anschließt, die die Praxis für die Kommission untersuchen, im abschließenden Genehmigungsbeschluß und der darauf folgenden Genehmigung. Es können auch regelrechte Verhandlungen zwischen Parteien und Amtsträgern aufgenommen werden. Die Verpflichtungen werden in „Bedingungen“ und „Auflagen“ unterteilt. Die Bedingungen128 betreffen die Durchführung von Handlungen, die eine strukturelle Veränderung des Marktes bewirken; die Auflagen betreffen dagegen die Handlungen, durch die Bedingungen ausgeführt werden. Die Beschränkungen der Privatautonomie betreffen nicht nur das Verfahren, sondern auch den Inhalt derjenigen Handlungen, die von den Parteien ausgeführt werden müssen, um die vorgeschlagenen und akzeptierten Bedingungen zu erfüllen. Im Falle von Verkäufen oder Entflechtungen beurteilt die Kommission, ob die abgetrennten Einheiten effiziente Betriebe bilden. Das heißt, es ist nicht ausreichend, einfach Vermögensgegenstände abzustoßen, sondern diese Einheiten müssen selbst so organisiert sein, daß sie, wenn sie von einem geeigneten Interessenten erworben werden, in der Lage sind, den Parteien nachhaltig und effizient Konkurrenz zu machen. Hier kann man somit eine weitere Beschränkung der Privatautonomie feststellen, in Form der Beschaffenheitserfordernisse der abgestoßenen Betriebsteile oder Beteiligungen.
127 128
Anmerkung Nr. 13 der Kommission. Nach Nr.12 der Mitteilung.
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Auch die Auswahl des Erwerbers ist daher begrenzt, weil dessen Identität und damit die möglichen Vermögensgegenstände, die diesem abgetreten werden können, von der Auswertung der Geeignetheit der Maßnahmen abhängt. Auch ergibt sich daraus die Möglichkeit, noch weitere Betriebsteile oder Beteiligungen hiermit zu verbinden, um die Attraktivität der Abtretung zu erhöhen. Die Kommission untersucht auch die Durchführung des Verhandlungsvorgangs: die Form der Vereinbarung mit dem Erwerber, die Absichtserklärung [letter of intent] (der nach §48 der Mitteilung beiderseits verbindlich sein muß), der endgültige Vertragsschluß, die Übertragung der Vermögensgegenstände. Um die Absicht, sich nach den Verpflichtungen zu richten und diese umsetzen zu können, zu dokumentieren, sind die Parteien auch gehalten, Garantien abzugeben. Die Kommission wählt, wenn nötig, unter einer Reihe von Namen aus, die als “Treuhänder des abgetrennten Betriebes” vorgeschlagen werden, der das Vermögen des abgetretenen Betriebes verwaltet; dieser kann identisch sein mit dem “Abtretungstreuhänder”, der die Ausführung der Verpflichtungszusagen überwacht.129 Dem Treuhänder für die Veräußerung wird ein unwiderrufliches Mandat für die Veräußerung des Betriebsteils oder Vermögenswertes übertragen, falls die Parteien nicht innerhalb einer angemessenen Frist den Erwerber bestimmen. Diese Übertragung eines Mandates ist zwingend, und sein Ziel ist die Veräußerung “zu jedwedem Preis”, die Genehmigung durch die Kommission vorausgesetzt.130 Eine komplexe Auswertung der Erfahrungen aus der beachtlichen Anzahl der von der Kommission geprüften Fälle, hat einige Autoren zu der Einschätzung veranlaßt, daß die tatsächlich ergriffenen Abhilfemaßnahmen, trotz des “Drucks”, der in vergangenen Jahren ausgeübt wurde, noch nicht zufriedenstellend sind, insbesondere was die Kontrolle der Kollusionseffekte (sog. pro-collusive effects) aus dem Verhalten derjenigen Unternehmen, die aus den Veräußerungen erwachsen sind, gegenüber den fusionierenden Parteien betreffen. 4.7.4 Die Diskussion über merger remedies im US-amerikanischen Recht Auch die Auswertungen der US-amerikanischen Erfahrung – von vielen als unübertroffenes Modell angesehen, sowohl deshalb, weil es aus einem Jahrhundert an Erfahrungen erbaut wurde, als auch wegen der Entschlossenheit, mit der die Kontrollbehörden arbeiten – ist in Bezug auf die Abhilfemaßnahmen [remedies] kritisiert worden. Der Präsident des American Antitrust Institute selbst hat bemerkt, daß das europäische Modell, in dem die Abhilfemaßnahmen schon in der ersten Phase einsetzen, elastischer ist und eher geeignet, die Verfahrenszeit zu verkürzen, was zu einer Kostenersparnis führt.131 129
Nrn 50ff und 53ff der Mitteilung. Nr 54 der Mitteilung. 131 Foer A A (2001) Toward Guidelines For Merger Remedies, Case Western Reserve Law Review (52), 211. 130
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Man hat des weiteren beobachtet, daß das amerikanische System zu streng ist, weil es auf verbindliche Regeln vertraut, anstatt auf vereinbarte Formeln, die durch eine schrittweise und gemeinsame, auf Kooperation zwischen den Parteien und den Behörden basierende Beurteilung, verwirklicht werden. Es ist auch die Abwesenheit der rechtlichen Kontrolle beklagt worden; das case law steht nicht zur Verfügung, Verhaltensstandards zu setzen und die Gültigkeit der akzeptierten Abhilfemaßnahmen festzustellen, und die Abwesenheit von Fällen in diesem Bereich ist als wichtiger Faktor für eine negative Einschätzung der gegenwärtigen Situation betrachtet worden, weil daraus Unsicherheit resultiert, da die Risikoverteilung von Entscheidungen nicht absehbar ist. Die Lücke, die das case law läßt, kann auch nicht durch Richtlinien (guide lines) der Kontrollbehörden geschlossen werden, weil hierbei Recht durch bürokratische Regeln ersetzt würde. Das amerikanische Vorbild liefert trotzdem einen wertvollen Beitrag zur Analyse der Problematik der Abhilfemaßnahmen. Besonders bei der Auswahl der Maßnahmen, wo der Vorzug in der Veräußerung [divestment] liegt. Im Jahre 1999 hat die FTC [Federal Trade Commission] diesbezüglich einen Bericht von außerordentlichem Interesse vorgelegt, in dem eine weitgehende Bevorzugung des flexiblen Ansatzes in diesen Fragen zum Ausdruck gebracht wurde.132 Die Flexibilität wird nicht nur deswegen empfohlen, weil man durch Verhandlungen sinnvolle Ziele im Geiste der Zusammenarbeit erreichen kann, sondern auch, weil die Vorschläge, die von den Unternehmen gemacht werden, extrem komplex sind und daher eine konfliktfreie Haltung der Behörde erfordern. Diese muß bewerten, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen aller Voraussicht nach zu dem angestrebten Zweck geeignet sind und somit den consumer welfare fördern. Darüber hinaus stehen die akzeptierten Maßnahmen auf einem Markt in fortlaufender Evolution, weswegen es angemessen sein kann, ein gemischtes System zu verwenden (mix-and-match approach), in dem man mit Veräußerungen zusätzlich noch Maßnahmen vom Typ der Verhaltensregeln verbindet. Zu der internen Problematik kommt dann noch die internationale Dimension hinzu, weil die jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden veranlaßt werden können, Maßnahmen vorzuschlagen oder anzuordnen, die untereinander nicht kompatibel sind, oder die sich zwar innerhalb der nationalen Grenzen zur Problemlösung eignen, aber in einem internationalen Kontext als völlig unzureichend und ungeeignet erscheinen können. Das Erfordernis, Abhilfemaßnahmen, die für ein “global merger enforcement” wesentlich sind, und die Formen der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Wettbewerbsbehörden zu untersuchen, wurde jüngst von einem der aktiven Protagonisten der Entwicklung der Fusionskontrolle in den USA unterstrichen, sowie auch die Bedeutung der Vertiefung der wirtschaftlichen Grundlagen der Wettbewerbspolitik und des Vorrangs des Konsumentenschutzes in diesem Rechtsbereich und in der Arbeit der Wettbewerbsbehörden.133 132
Baer W J (1999) A Study of the Commission’s Divestiture Process Prepared by the Staff of the Bureau of Competition of the Federal Trade Commission. 133 Parker R G (1999) Global Merger Enforcement, Before the International Bar Association, Barcelona, Spain. September 28, 1999; Pitofsky R (2000) The Nature and Limits
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4.7.5 Das Veräußerungsverfahren: rechtliche, wirtschaftliche und vertragliche Probleme In der Studie der Wettbewerbsabteilung der amerikanischen Wettbewerbsbehörde134 aus dem Jahre 1999 wurden die Verfahren im Zeitraum 1990 bis 1994 untersucht, die zu einer Veräußerung führten, in denen der Gegenstand der Veräußerung ein komplexes Unternehmen war, und in dem die FTC sowohl die Modalitäten wie auch den Erwerber bestätigt hatte. Die Studie unterstreicht, wie sehr die Veräußerungen – und insbesondere die Vorschriften, die dabei gemacht werden (sog. divestiture orders) – Spezialmaßnahmen bilden, die sich von anderen Maßnahmen der Behörde unterscheiden, und die eine genaue Überwachung der Rolle des Erwerbers erfordern: der Erwerber muß tatsächlich die Wiederherstellung der Wettbewerbsbedingungen im Markt sicherstellen, und deshalb einen echten wirksamen Konkurrenten bilden, und nicht einfach nur das Eigentum an den abgestoßenen Vermögensgegenständen übernehmen, und genausowenig darf er in ein kollusives Verhalten mit dem Veräußerer eintreten, denn dies würde die Zwecke der Veräußerung vereiteln. Die Studie empfiehlt deshalb das Ergreifen flankierender Maßnahmen, sofern die Abtretung allein nicht ausreicht, um den jeweils angestrebten Zweck zu erreichen. Zugleich wurde jedoch die Nützlichkeit der Maßnahme der Veräußerungsverpflichtung und deren Erfolg bei der Wiederherstellung des Wettbewerbs (bezogen auf drei Viertel der untersuchten Fälle) bestätigt. Die Studie begreift die Veräußerung als einen dynamischen Prozeß, der nicht nur aus dem einfachen Akt der Veräußerung besteht, und hat das Augenmerk auf die Hindernisse gerichtet, die der endgültigen Wiederherstellung des Wettbewerbs entgegenstehen. Hierunter befinden sich die folgenden: - was das Verhalten der Parteien betrifft: der Versuch, den Gegenstand der Veräußerung zu begrenzen, “schwache” Erwerber vorzuschlagen, Initiativen, die dem Erwerber zum Nachteil gereichen sollen, das Einleiten von begleitenden umkehrenden Maßnahmen, die die eigene Position stärken; - was die Erwerber betrifft: ihr Mangel an Informationen, das Bewußtsein der eigenen verminderten Verhandlungsstärke; die Lücken in der Verständigung mit der Behörde über wichtige Probleme; der Gegensatz zwischen ihren Interessen und denen der Behörde. Angesichts dieser Schwierigkeiten empfahl die Studie, einige Maßnahmen zu ergreifen, um die Effizienz der Veräußerungen zu erhöhen, wie der Vorschlag an die Erwerber sich eines auditor trustees zu bedienen, sowie besonders hervorragende of Restructuring in Merger Review, Cutting Edge Antitrust Conference Law Seminars International, February 17, 2000, New York; Muris T J (2001) Merger Enforcement in a World of Multiple Arbiters, Rede bei der Brooklings Institution Roundtable on Trade and Investment Policy, Washington DC, December 2; ders. (2002) Understanding Mergers: Strategy and Planning, Implementation, and Outcomes, Eröffnungsansprache, December 9; und ders. (2003) Improving the Economic Foundations of Competition Policy, before George Mason University Law Review’s Winter Antitrust Symposium, January 15, 2003, Washington D.C. 134 Bureau of Competition of the Federal Trade Commission.
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Vermögensgegenstände zu veräußern (sog. crown jewels); die Erforschung des möglichen wirtschaftlichen Schadens durch die fehlende Mitveräußerung von Zuliefererverträgen (supply contracts); die Erleichterung des Informationsaustauschs über den relevanten Markt; die Bestimmung von stabilen und soliden Erwerbern mit der nötigen Expertise und einer Orientierung (Firmenpolitk) auf eine Ausdehnung des Marktes hin (commitment to the market). Die Studiengruppe der Kommission, die ihre Aufmerksamkeit auf den Erwerber und die Gesamtheit der veräußerten Gegenstände richtet, macht es sich weiter zum Anliegen, der FTC die Möglichkeit zu signalisieren, Vorgaben zu machen, nach denen es nur begrenzt möglich sein soll, Niederlassungen abzustoßen, die erfahrensten Mitarbeiter zu entlassen, und das Stammkapital des veräußerten Betriebes aufzulösen. Diese Zusammenhänge sind ausführlich diskutiert worden von Seiten der Unternehmer, der Wissenschaftler und besonders von der Antitrust Law Section der American Bar Association (ABA), da unter den vielen Zuständigkeiten in diesem Verfahrensbereich, die der Juristen essentiell ist.135 Die Erwägungen der ABA – ausreichend detailliert und dokumentiert – wurden am 6. August 2002 publiziert. Kurz zusammengefaßt setzt der Bericht den Schwerpunkt auf eine strikte Zusammenarbeit zwischen den Parteien und den Behörden, mit dem Ziel, nicht diejenigen Rechte zu beeinträchtigen, die im Verfahren gewahrt werden müssen, und damit auf das berechtigte Anliegen der Parteien, das Verfahren nicht als Mittel anzusehen, all die Informationen herauszugeben, die sie im Verlauf der Entscheidungsfindung erhalten könnten;136 er weist darauf hin, daß es wünschenswert sei, der Behörde die nötige Kompetenz zu übertragen, ein Fusionsvorhaben so zu beschneiden, daß es sich dem Wettbewerb anpaßt; ebenso eine Verkürzung der Verfahrensdauer und die Anforderung von Auskünften und Dokumenten auf den jeweils untersuchten Fall auszurichten, sowie eine flexible Methode zu bestimmen, nach der Maßnahmen ergriffen werden, die die Option enthält, nicht-strukturelle Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, sowie eine Kombination von Veräußerungen und anderer Maßnahmen. 4.7.6 “Abhilfemaßnahmen” und Privatautonomie im italienischen Recht Der Art. 16 des Gesetzes vom 10.10.1990, Nr. 287, sieht vor, daß die Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde sich vorbehalten kann, eine Konzentration zu verbieten, nach Art. 6 des genannten Gesetzes, und ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wenn eine Konzentration angemeldet wurde, oder wenn die Behörde anderweitig davon Kenntnis erhalten hat. Am Ende des Ermittlungsverfahrens kann die Behörde die Konzentration genehmigen:
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A.B.A., Merger Review Process, letter to J.Simmons Esq., FTC, August 6, 2002, http://www.abanet.org/antitrust; vgl. ABA (2005) The Merger Review Process. 136 [Also eine Abwägung zwischen Vertraulichkeitsschutz und Ermittlungsinteresse.]
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wenn die interessierten Unternehmen bestätigt haben, daß diejenigen Elemente des ursprünglichen Vorhabens, die zu einer Wettbewerbsverzerrung führen könnten, eliminiert wurden (Art. 18 Abs. 2 des o.g. Gesetzes). - oder, wenn die Konzentration schon durchgeführt wurde, unter der Bedingung, daß die Vorgaben der Behörde erfüllt wurden, die diejenigen Maßnahmen vorsehen, welche nötig sind, um wettbewerbsverzerrende Folgen zu verhindern (Art. 6 Abs. 1), und die die interessierten Unternehmen akzeptieren müssen (Art. 18 Abs. 3). Der Gesetzestext sieht somit grundsätzlich keine Verhandlungsmöglichkeit in der Phase vor dem Ermittlungsverfahren vor; auch sagen die Vorschriften zur Regelung des Ermittlungsverfahrens nichts darüber. Theorie und Praxis haben dazu gedient, die Bedeutung dieser Vorschriften zu klären und einzuordnen. Die Rechtstheorie hat schon in den ersten Jahren der Anwendung des Gesetzes Nr. 287 von 1990 klargestellt, daß es sich bei den Vorgaben durch die Wettbewerbsbehörde um Verwaltungsakte handelt. Im Hinblick auf die Vorgaben des Art. 18 Abs. 2 benutzte man die “konventionelle Formel”: da die Unternehmen bei der Behörde die Genehmigung beantragen, nachdem bewiesen wurde, daß wettbewerbsverzerrende Elemente entfernt wurden, hat man es hier mit einem Vorgang von informellem Charakter zu tun, wie eine Verhandlung. Die privaten Parteien verwirklichen die Maßnahmen zur Wiederherstellung eines funktionierenden Wettbewerbs im Vertrauen darauf, daß die Behörde ihrerseits die Genehmigung erteilt. Es ist eine Form von moral suasion, von Überzeugungsarbeit, die von der Behörde im Widerstreit mit den interessierten Parteien ausgeführt wird.137 Anders ausgedrückt, um das Agieren auf den Märkten zu erleichtern, wird eine “weiche” Haltung der Behörde bevorzugt, die seltener auf autoritative Maßnahmen zurückgreift. Man hat gefordert, daß die Abfolge von Handlungen sich in Form von Verhandlungen abspielen, die Merkmale einer regelrechten Vereinbarung haben. Im Hinblick auf die Rechtsnatur dieser “Vereinbarung” und ihrer Verbindlichkeit ergeben sich Schwierigkeiten, da die Behörde nicht verpflichtet sein kann, bestimmte Vorgaben zu erlassen, da sie hier einen Ermessensspielraum hat. Um dieses Dilemma zu überwinden, hat man zu weiteren Vorschriften gegriffen. Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren (Nr. 241, vom 7.8.1990 und seine späteren Abänderungen) sieht in Art. 11 vor, daß die Verwaltung (und auch die Wettbewerbsbehörde) mit den interessierten Parteien ohne Beeinträchtigung der Rechte Dritter Vereinbarungen eingehen kann, mit dem Ziel, die Inhalte der abschließenden Vorgaben oder deren Ersetzung zu bestimmen. Der Verfahrensbe-
137
Ramajoli M (1998) Attività amministrativa e disciplina antitrust, 479ff; Donativi V (1993) Poteri dell’Autorità in materia di divieto delle operazioni di concentrazione, sub art. 16 del Commento alla legge 10 ottobre 1990, n. 287. Diritto antitrust. Frignani A et al. 2, 1007 ff; Talenti A (1994) Commento sub art. 18. Concorrenza e Mercato. Commento alla legge 10 ottobre 1990 n. 287 e al Decreto legislativo 25 gennaio 1992 n. 74. Afferni V, 405 ff.
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auftragte lädt den Addressaten der (späteren) Vorgaben sowie Dritte mit möglichen entgegenstehenden Interessen zu einer Reihe von Treffen ein, um eine Vereinbarung zu erreichen; diese Vereinbarungen bedürfen zur Gültigkeit der Schriftform, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt, und sie unterliegen auch den Normen des codice civile über Obligationen und Verträge. Diese den Verwaltungsakt ersetzende Vereinbarung ist der Kontrolle unterworfen, die in den Verwaltungsvorschriften vorgesehen sind, und diese gehen der Vereinbarung vor. Die Verwaltung kann von der Vereinbarung gegen Leistung von Schadensersatz zurücktreten, wenn es die private Partei nicht beeinträchtigt. Streitigkeiten, die hieraus erwachsen, unterliegen der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Um noch einmal das Verfahren auf der Grundlage der zur Zeit gültigen Vorschriften nachzuvollziehen: Unternehmen, die ein Fusionsvorhaben planen, müssen - zunächst Hindernisse ausräumen, die den freien Wettbewerb beeinträchtigen, also Maßnahmen ausführen, die sie für sinnvoll halten, damit die Verwaltung sich für eine Genehmigung entscheiden kann; - sodann bei der Verwaltung eine günstige Entscheidung beantragen. Die Maßnahmen müssen direkt ergriffen werden, es reicht nicht aus, sich einfach nur zu verpflichten, wettbewerbsfördernde Maßnahmen ergreifen zu wollen, also im Sinne einer Absichtserklärung. Im Unterschied zum Gemeinschaftsrecht, nach dem es zulässig ist, daß die Parteien eine einfache “Verpflichtung” eingehen,138 erscheint das italienische Recht restriktiver. In der Lehre139 wird jedoch vertreten, daß nach den Prinzipien des Gemeinschaftsrechts nach Art. 1 des Gesetzes Nr. 287 von 1990 die Ausdehnung des Wortlauts auf solche Vorschläge erlaubt ist. Nach anderer Ansicht handelt es sich de facto um bereits verwirklichte Vorschläge, indem die Aufsichtsbehörde eine einfache Verpflichtungszusage akzeptiert und eine Vorgabe in Form einer bedingten Genehmigung macht, daß die Verpflichtungen endgültig erfüllt werden.140 Es ist der Behörde nicht möglich, verbindliche Verpflichtungen aufzuerlegen oder deren Effekte nachzuverfolgen.141 Wenn die Parteien nur eine einfache Anfrage gestellt haben, und keine formelle Vereinbarung vorliegt, kann die Behörde eine bedingte Vorgabe erlassen, damit die Parteien die bereits akzeptierten Maßnahmen unangetastet lassen (d.h. sie werden sie bspw. nicht widerrufen, kaum daß sie die begünstigende Vorgabe erhalten haben.)142 Weil das Wettbewerbsgesetz klarstellt, daß die Unternehmen – in diesem Falle – die wettbewerbsfördernden Maßnahmen ergreifen müssen, und sich nicht nur verpflichten, diese zu ergreifen, beginnt das Ermittlungsverfahren mit dem Ziel herauszufinden, ob die Maßnahmen einen sofortigen und endgültigen Effekt 138
Art.8 der VO EC 89/ 4064. Donativi V (1993) Op.cit., Anm. 137, 1004. 140 Bertoni (1997/2007) Commentario breve al diritto della concorrenza. Marchetti P et al, 449, hier zitiert nach der Auflage von 1997. 141 Talenti, op.cit., Anm. 137, 408. 142 Donativi, op.cit., Anm. 137, 1006. 139
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haben, und ob sie geeignet sind, als Bedingungen mit dem Erlaß einer günstigen Entscheidung verbunden zu werden. Veräußerungen von Gesellschaftsanteilen, von Zweigniederlassungen und alle andern Beschlüsse, die dazu bestimmt sind, den Wettbewerb gemäß der Prognose für die genehmigte Konzentration wiederherzustellen, stellen trotz allem einen Kostenfaktor für die beteiligten Unternehmen dar. Falls die Konzentration nicht erlaubt wird, sind diese überflüssig. Die Unternehmen stehen vor einer schwierigen Wahl: wenn nach einer Veräußerung der erhoffte Vorteil nicht eintritt, hat man ein “asset” abgegeben, daß man nicht veräußert hätte, hätte man die Ablehnung der Behörde vorausgesehen; wenn man die Veräußerung jedoch nicht vornimmt, kann man das Einverständnis der Behörde und damit den Vorteil nicht erlangen. Der Wortlaut des Gesetzes scheint bedingte Veräußerungen nicht zuzulassen. Trotzdem, da grundsätzlich davon ausgegangen wird, daß die Behörde ihre Genehmigung widerrufen kann, wenn die ergriffenen Maßnahmen den Wettbewerb nicht wiederherstellen, erscheint es richtiger (im Hinblick auf die Grundsätze der Privatautonomie und der Zusammenarbeit mit der Behörde) anzunehmen, daß die Maßnahmen, die in Erwartung einer günstigen Entscheidung der Behörde ergriffen wurden, unter der Bedingung stehen, daß eine solche erlassen wird. Diese sind immer verbindlich, insoweit die Maßnahmen bei Bedingungseintritt automatisch wirksam werden. Ein Beispiel hierfür ist der Fall Alitalia – Malev,143 in dem die Durchführung von Flügen von Mailand und Rom nach Budapest im Zuge des Ermittlungsverfahrens geändert werden mußte.144 In einem andern Fall hingegen sahen die Parteien von der geplanten Konzentration ab.145 Also ist nicht immer eine “Vereinbarung” vorgesehen. Aber es kann eine solche geben. Es gibt also zwei Möglichkeiten: einerseits kann die Behörde, wenn sie von Maßnahmen Kenntnis erlangt hat, eine günstige Entscheidung fällen, andererseits können die Parteien und die Behörde eine Vereinbarung treffen, in der sie den Inhalt der Vorgaben aufnehmen. Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, der in Art. 18 Abs. 3 vorgesehen ist, in dem das Vorhaben schon ausgeführt wurde, und die Behörde dann die zur Wiederherstellung des funktionierenden Wettbewerbs erforderlichen Maßnahmen vorschreibt. Nach der Regelung des Art. 18 Abs. 3 in Fällen, in denen das Fusionsvorhaben bereits verwirklicht wurde, bieten sich, im Hinblick auf die Wiederherstellung des ordentlichen Wettbewerbs, den Rechtsanwendern zwei Alternativen: entweder 143
“Am 15. Dezember 1992 war Vertragsunterzeichnung und die italienische Holding A.V.R.T. erwarb für 77 Mio. US-Dollar 35 % vom ungarischen Staat.”, http://www.berlin-spotter.de/airlines/alitalia.htm. Kurze Geschichte der Alitalia unter http://www.nur-flug-tours.de/airlineportrait/airline-Alitalia.htm.; 144 Nr. 1064, Boll. 7/93. [Bollettino Settimanale della Autorita Garante della Concorrenza e del Mercato, wöchentliches Bulletin der italienischen Wettbewerbsbehörde.] 145 Nr. 1462, Boll. 27-28, /93.
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können die Vorgaben der Behörde direkt Beziehungen zwischen den Parteien begründen, oder es könnte sich um eine Anordnung handeln, die die zivilrechtlich handelnden Parteien so befolgen müssen, daß sie geeignete Maßnahmen nach den Regeln der Privatautonomie ins Werk setzen. Im ersten Falle ist dies eine “unmittelbar konstituierende abgeleitete Ermächtigung” der Behörde, im zweiten lediglich eine “persönliche Ermächtigung” nach der der Privatperson die Ausführung überlassen wird, indem dieser die Auswahl der geeigneten Maßnahme, die den von der Behörde angeordneten Zweck erfüllt, zusteht. Anders gesagt, liegt hier ein Kontrahierungszwang vor, der vom Gesetz vorgesehen ist, der durch eine behördliche Anordnung gegenüber der privaten Partei verwirklicht wird, ohne daß das privatrechtliche Verhältnis selbst jedoch direkt durch diese Anordnung begründet wird. In der Literatur wird die zweite Möglichkeit bevorzugt, denn dadurch bleibt die direkte Ermächtigung zur Begründung eines Rechtsverhältnisses dem Gesetz vorbehalten.146 Außerdem wird der Umfang der genannten Anordnung diskutiert (oder, wie es im Gesetzestext heißt, der Maßnahme): ob für die Wiederherstellung der wettbewerblichen Verhältnisse eine Veräußerung, also von Anteilen, Niederlassungen usw., ausreicht, oder ob es auch möglich ist, Verkaufspreise festzulegen, gleichermaßen für Benutzer und Konsumenten.147 Man muß ebenso das Verhalten der Behörden in den untersuchten Fällen bewerten, wie das Vorgehen der Verwaltungsgerichtsbarkeit bei der Überprüfung der Vorgaben der Behörden. Diese Untersuchung ist von diesen Anmerkungen ausgeschlossen. Es soll hier ausreichen, darauf hinzuweisen, daß die bedingt erlassenen Genehmigungen unter Auflagen sehr zahlreich sind (ein Beispiel betraf den Verkauf der Cecchi Gori Gruppe an Seat Pagine Gialle durch den Telekom Konzern: Beschluß C 4158 vom 23. Januar 2001), bisher ist jedoch aus der Forschung noch kein wertvoller Beitrag auf diesem Gebiet geleistet worden. 4.7.7 Reformvorhaben der nationalen Modelle Unter den Reformvorschlägen ragt das französische Modell heraus, nach dem aufgrund des Gesetzes vom 15. Mai 2001 und der Durchführungsverordnung Nr. 2002-689 vom 30. April 2002, ein neues Fusionsregime entstanden ist. Um die Transparenz und Berechenbarkeit der Kontrolle zu erhöhen, hat die zuständige Generaldirektion (DGCCRF)148 “Richtlinien” erarbeitet, und diese der Öffentlichkeit zur Diskussion zur Verfügung gestellt, um eine Art dogmatischen Diskurs zu erreichen, um effizientere Regeln zwischen Behörde und Privaten auszuar-
146
Donativi, op.cit., Anm. 137, 1001. Bernini G (1991) Un secolo di filosofia antitrust. Il modello statunitense, la disciplina comunitaria e la normativa italiana, 377. 148 La Direction Générale de la Concurrence de la Consommation et de la Répression des Fraudes (DGCCRF), Abteilung des frz. Ministeriums für Wirtschaft, Finanzen und Industrie. 147
334
4. Der Wettbewerb
beiten.149 In den Abschnitten 408 ff dieses Textes werden die “Abhilfemaßnahmen” (remèdes) behandelt. Nach dem Muster der Kommissionsmitteilung von der bereits gesprochen wurde,150 kündigte die DGCCRF einige allgemeine Grundsätze an, über Neutralität und Verhältnismäßigkeit des Handelns der Kontrollbehörden, die Wahrung der legitimen Interessen der Unternehmen, über Effizienz und Kontrollmöglichkeiten der Behördentätigkeit, auf die dann die Aufzählung der Arten von zulässigen Abhilfemaßnahmen folgt (Abschnitt 428 ff.) Es wird ausdrücklich von “Verhandlungen” der zur Erreichung der Wettbewerbsziele notwendigen Verpflichtungszusagen gesprochen. Die Maßnahmen sind in strukturelle und verhaltensabhängige aufgeteilt, und es wird auch betont, daß diese beiden Arten von Maßnahmen sich normalerweise ergänzen. Aufgrund reichhaltiger Erfahrung beschreibt die DGCCRF genau, was sie von den Unternehmen verlangen kann. Die Liste ist ansehnlich, auch in Bezug auf die nichtstrukturellen Maßnahmen: Informationspflichten, Änderungen der Preisstrukturen, Aufteilung von Leistungen, Bestimmung von Vetriebsbedingungen, der Abbau von Kundenbeziehungen, die Lage von Niederlassungen, Begrenzung von Beteiligungen, Änderung der Gesellschaftsverträge. Der endgültige Wortlaut der Richtlinien ergab sich aus den Reaktionen der Unternehmen und den Auswertungen der DGCCRF. 4.7.8 Die Zukunft des Gemeinschaftsrechts und der nationalen Rechtsordnungen Im Gemeinschaftsrecht zeichnete sich ein Eingreifen der DG Wettbewerb durch die Ausarbeitung von “best practices” über das Verfahren in der Fusionskontrolle ab. Ein erster Text wurde am 19.12.2002 veröffentlicht. Darin wurde unter anderem eine gründliche Diskussion der Abhilfemaßnahmen vorgesehen, ohne zu viele Einzelheiten anzubieten. Der dann erfolgte Vorschlag des Rates zur Fusionskontrolle brachte außer einigen Klarstellungen und der zeitlichen Begrenzung des Verfahrens nicht viel Neues im Bereich der Maßnahmen.151 Dies zeigt, daß das System der Maßnahmen funktioniert hat und deshalb kein allzu rigides Eingreifen erforderte. Um daraus eine Schlußfolgerung zu ziehen, konnte man dabei schon beobachten, daß zu den Unterschieden zwischen den Wettbewerbsrechten der Mitgliedstaaten das Verfahren und der Inhalt der Abhilfemaßnahmen zählen. Aber vor allem ist die schwache dogmatische Konstruktion der Maßnahmen, ihrer rechtlichen Einordnung und ihres Gegenstandes offensichtlich, und ebenso die seltene Sensibilität der Juristen für die Begrenzung der Verhandlungsfreiheit der Parteien, die diese mit sich bringen. Dies zeigt, daß die Verhandlungsfreiheit kein Wert an sich ist, sondern einen funktionalen Zweck hat: um das Fusionsvorhaben (selbst auch Ausfluß von Verhandlungsfreiheit) zu verwirklichen, fügen sich die Parteien in 149
DGCCRF (2002) Projet de Lignes directrices relatives a l’analyse des concentrations et aux procedures de controle. 150 Kommissionsmitteilung Nr. 2001/C68/03, siehe oben 4.7.3 (b) ff. 151 COM (2002) 711 endg., 2002/0296 vom 11.12.2002.
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die Durchführung weiterer Vorhaben, deren grobe Umrisse ihnen von der Aufsichtsbehörde vorgegeben werden. Daher ist also das weitere Erfordernis die Harmonisierung (oder wenn möglich Vereinheitlichung) der nationalen Regeln, und zwar, über die Wettbewerbsregeln hinaus, von Vorschriften, die auf alle privaten Parteien angewandt werden, welcher Nationalität sie auch angehören mögen, so daß überall dieselben Regeln für diese Begrenzung der Abschlußfreiheit gelten.
5. Die Organisation des Konsumentenschutzes und das Subsidiaritätsprinzip Die Artt. 100, später 100a des Unionsvertrages, weisen dem Rat die Zuständigkeit für “Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken,” zu.152 Auf diese Bestimmung kann man sich beziehen, um diese Initiative zu legitimieren und zu rechtfertigen und sie mit dem Susidiaritätsprinzip vereinbar zu machen. Aber warum sollen die Hürden der nationalen Rechtsordnungen überwunden werden? Die Überwindung dieser Hürden – oder besser gesagt deren Auflösung – dient der Verwirklichung des Binnenmarktes. Die unterschiedliche Behandlung der privaten Rechtsbeziehungen in den verschieden Ländern wird als Kostenfaktor gesehen, als Hindernis, als Komplikation, die sich der Verwirklichung des Binnenmarktes, also dem freien Austausch von Waren und Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskraft innerhalb der Union, entgegenstellen und sie erschweren. Man sieht deshalb eine enge Verbindung zwischen wirtschaftlicher Betätigung und Rechtsformen, und die Harmonisierung des Vermögensrechts wird sozusagen hilfsweise mit Blick auf wirtschaftliche Erfordernisse durchgeführt. In dieser Hinsicht erscheint die Initiative der Gemeinschaft wie eine Umkehr, um den Markt zu begünstigen, ohne zu dem Schluß zu gelangen, daß Rechtsregeln jene der Ökonomie “nachahmen” müssen, wie es die Anhänger der ökonomischen Rechtstheorie vorschlagen, und besonders einer ihrer in Europa wohlbekannten Vertreter, Richard Posner.153 In seiner ausgezeichneten Analyse des Europäischen Vertragsrechts hat Jürgen Basedow ausgeführt, wie die sich widersprechenden Rechtsnormen in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu einem regelrechten “Markthindernis” werden, während einheitliche Regeln des Privatrechts eine Voraussetzung für die Verwirklichung des gemeinsamen Marktes darstellen. Ein einheitliches Vertragsrecht bildet in der Tat ein “konstituierendes Element” des einheitlichen Marktes.
152
Text des Vertrags von Amsterdam, Amtsblatt Nr. C 340 vom 10. November 1997, zitiert nach http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/11997E/htm/11997E.html#0173010078. 153 Siehe hierzu die interessante Einführung und Übersicht zum US- amerikanischen, deutschen und österreichischen Recht bei Grechenig K und Gelter M (2008) "Divergente Evolution des Rechtsdenkens - Von amerikanischer Rechtsökonomie und deutscher Dogmatik" Rabels Zeitschrift 72 (3), 513-61.
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5. Die Organisation des Konsumentenschutzes und das Subsidiaritätsprinzip
5.1 Das Subsidiaritätsprinzip im vertikalen Sinn und der Konsumentenschutz An dieser Stelle soll die bereits vorher angedeutete Fragestellung erfolgen: wie stellt sich diese Situation unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips (im vertikalen Sinne) dar? Das Subsidiaritätsprinzip – tout court – muß mit Vorsicht betrachtet werden. Nicht nur, weil es unter den Gemeinschaftsgrundsätzen kürzlich mit neuer Eigenständigkeit hervorgetreten ist und in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch nützlicher wird, sondern auch, weil es sich für diverse Manipulationen eignet, vor denen sich der Rechtsanwender hüten muß. Die erste Manipulation besteht in der Bemühung dieses Grundsatzes, um ein Eingreifen durch Gemeinschaftsrecht abzuwenden: man trägt vor, daß die Unternehmen, die Verbraucher oder die freien Berufe, einzeln oder in Verbänden, ihre Interessen selbst regeln können und damit ihre eigene Regulierung schaffen, ohne daß die “paternalistische” Intervention der Union notwendig sei. Anders ausgedrückt, man führt hier eine Debatte auf Gemeinschaftsebene, die Vertreter des Liberalismus sonst auf nationaler Ebene geführt haben, wo entweder über ein “Recht ohne Staat”, oder ein Recht, welches durch Verhandlungen und weniger durch hoheitliche Vorschriften entsteht, theoretisiert wird. Es wird aber kaum eingewandt, daß das Gemeinschaftsrecht auf die Sicherung des Wettbewerbs und die vier Freiheiten ausgerichtet ist, zu dem kürzlich mit der Charta von Nizza und dem Verfassungsprojekt auch die Grundrechte (!) hinzugekommen sind. Die zweite Manipulation besteht in der Anrufung dieses Prinzips, um zu behaupten, daß der Markt (national oder auf Gemeinschaftsebene) per se eine angemessene Rechtsordnung darstellt, als ob die Intervention der Gemeinschaft überflüssig sei: die Zivilgesellschaft, sagt man, braucht den übergeordneten rechtlichen Einfluß des Staates oder der Union nicht, sondern nur solchen von technischer oder ökonomischer Natur. Es wird hierbei aber kaum gesehen, daß der Markt nicht ohne Regeln existiert, daß diese ein entscheidendes Element bilden.154 Wieweit diese Regeln spontan, durch Verhandlungen oder durch Vorschrift entstehen, ist eine andere Frage. Dies hängt selbstverständich von der Materie, und von den beteiligten Interessen ab, und natürlich auch von der Macht ihrer Vertreter. Die dritte Manipulation besteht darin, dieses Prinzip zu verwenden, um - im Bereich der Gemeinschaft – den status quo in den Ländern zu erhalten, in denen die Gesetzgebung protektionistisch ist (in unserm Falle bezogen auf die Verbraucherinteressen). Man befürchtet, das Eingreifen der Gemeinschaft um das Recht zu harmonisieren, könne das Schutzniveau “nach unten drücken”, statt das Gegenteil davon anzunehmen. Diese hermeneutische Übung behandeln wir im italienischen Rechtssystem nicht, so erwünscht das Verbraucherrecht auch ist, denn dies ist ausschließlich aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleitet, und man kann es deshalb nicht als besonders fortentwickeltes Modell einstufen. Es ist bekannt, daß die Richtlinien in den nationalen Umsetzungsvorschriften zumeist nur “fotokopiert” werden. Wenn man die Rechtsprechung des EuGH berücksichtig, scheint uns die dritte Manipulation einen kleinen Vorzug zu genießen: aus den Verbraucherschutzrichtlinien ist die Ladenschlußregelung verschwunden, in denen sich das Schutzniveau in den nationalen Rechtsordnungen als überlegen erhalten hatte, verglichen mit denen des harmonisierten Rechts; und in einem solchen Falle sind die Abweichungen des nationalen Rechts in melius, ebenso als Verletzung der Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft durch den Mitgliedstaat anzusehen. 154
Siehe oben 1.
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5.2 Das Subsidiaritätsprinzip im horizontalen Sinn und der Konsumentenschutz Das Subsidiaritätsprinzip im horizontalen Sinne ist den oben erwähnten Manipulationen auch ein wenig ausgesetzt. Offensichtlich alle Juristen, denen die Werte, die der “Zivilgesellschaft” innewohnen und von ihr ausgedrückt werden, am Herzen liegen – eine Idee (und manchmal eine Ideologie), die sowohl im religiösen wie auch laizistischen Bereich Anklang findet, und die man heute mit einem journalistischen Begriff “transversal” oder übergreifend nennen könnte – können gut und gerne vorgeben, und, wie wir glauben, zu Recht, daß die Interessen der Verbraucher, verstanden als die Interessen nicht des Konsumismus, sondern die eines bestimmten Maßes an bestmöglichem Bürgertum, auf Gemeinschaftsebene am besten berücksichtigt und vertreten werden, und nicht auf regionaler und staatlicher Ebene, aber auch in den Bereichen – verstanden in einem horizontalen Sinne – die sich der Privatautonomie eröffnen (oder von dieser wieder besetzt wurden). Es ist sogar offensichtlich, daß eine gut geregelte und regierte Gesellschaft diese Initiativen nur begünstigen kann und jeden Ausdruck der Privatautonomie unterstützen muß. Einer Zeit wie der unsrigen, die an die soziale Verantwortlichkeit von Unternehmen appelliert, an die Ethik des Marktes, daran, daß Entscheidungen von Unternehmen sich an der Förderung der Würde der Person und der Umwelt orientieren sollen, erscheint eine Gesetzgebungstechnik, die den Privaten die Aufgabe überträgt, die Förderung der schwächeren Interessen aufrechtzuerhalten, überlegen. Aber das Subsidiaritätsprinzip, immer aus diesem Blickwinkel, kann nicht zum Alibi werden: wenn die der Privatautonomie zugewiesenen Räume nicht besetzt werden, und wenn im Verlauf dessen nicht die besten Ergebnisse erzielt werden, dann wird dieses Prinzip zum “Bumerang”. Mehr noch: zu einem Mittel zur Diskriminierung zwischen dem, der das Glück hat, in einem Gebiet mit einer starken Zivilgesellschaft zu leben und dem der dagegen in einer schwachen Gesellschaft gefangen ist. Anstelle der Subsidiarität erscheint das Prinzip der Ergänzung wünschenswert.
6. Verbraucherverträge und kleinere bis mittlere Unternehmen Die Dichotomie “Verbraucherträge” und “Verträge zwischen Geschäftsleuten” beginnt, Risse zu zeigen. Die Rolle der kleinen und mittleren Unternehmen auf dem Markt, sich zwischen den Gegensätzen “auf dem Berg” (Verträge mit Unternehmen, die mit Gütern oder Dienstleistungen versorgt werden) und “im Tal” (Verträge mit Verbrauchern, den Empfängern der Waren oder Dienstleistungen) abspielt, ist bereits Gegenstand von Untersuchungen aus diversen Blickwinkeln. Auf der ökonomischen Ebene bilden die KMU155 ein Gefüge, das Arbeit, Investitionen und Gewinne schafft, und daher werden sie am Sitz der Gemeinschaft erhalten und gefördert. Auf juristischer Ebene sind in allen Rechtsordnungen Schutzmechanismen eingeführt worden, um den Mißbrauch der wirtschaftlichen Abhängigkeit in den Bereichen einzuschränken, in denen die KMU Vertragsbedingungen eingehen müssen, die von den großen Unternehmen vorgegeben werden, sowie Verhalten und 155
[„Kleine bis mittlere Unternehmen“: im Deutschen ist eine Abkürzung ungebräuchlich, aber auf english sowie auf italienisch ist es üblich von “small and medium businesses, SMEs” bzw von “piccole e medie imprese, PMI” zu sprechen. Wir wollen sie deshalb der Einfachheit halber hier “KMU” nennen.]
338
6. Verbraucherverträge und kleinere bis mittlere Unternehmen
Forderungen der großen Unternehmen, die ihnen einen unverdienten Nachteil zufügen. Das Paradebeispiel sind die Zulieferbetriebe. In diesem Falle haben Gerichte den Verbraucherschutz auf KMU ausgedehnt. Somit fragt man sich, ob die Dichotomie B2B und B2C156 dem [dogmatischen] Druck standhalten kann, der sich auf eine “solidarische” Wirtschaft und einen “gerechten Vertrag” hinbewegt, und daher auch auf normativer Ebene wirkungslos bleibt. Es besteht auch eine Meinung, nach der die KMU eine Sonderstellung unter den Unternehmen allgemein einnehmen, weil sie sowohl die Nachteile der Gesetzgebung zum Schutze des Konsumenten auf sich nehmen, wenn sie mit diesen Verträge schließen, als auch die Nachteile der größeren Verhandlungsmacht der großen Unternehmen bei solchen Vertragsschlüssen erleiden müssen.157 Auf der anderen Seite kann man wie in einigen Rechtsordnungen sehen, – z.B. im Vereinigten Königreich mit dem Unfair Contract Terms Act 1977 und in Deutschland mit dem AGB Gesetz von 1978158 – daß die aufgezwungenen Vertragsbedingungen unter dem Gesichtspunkt der Redlichkeit und des Guten Glaubens in Verträgen unter Geschäftsleuten anfechtbar sind. In den Vereinigten Staaten hat man eine interessante Debatte begonnen, in der juristische und wirtschaftliche Begriffe miteinander verbunden werden. Auf wirtschaftlicher Ebene befinden sich die KMU in derselben Position wie die Verbraucher. Tatsächlich haben sie eine geringere Verhandlungsstärke und geringere Möglichkeiten, Risiken und Kosten zu verteilen.159 Der Rückgriff auf Versicherungen kann erschwert sein, die Verbände dieses Sektors sind schlechter organisiert (schlechter jedenfalls als die Verbraucherverbände), um die Interessen der KMU gegen die der großen Unternehmen zu verteidigen. Auch die Behandlung in Bankverträgen, um sich finanziell auszustatten, kann Benachteiligungen für KMU mit sich bringen. Auch im Hinblick auf asymmetrische Informationen haben die KMU nicht die Kapazitäten, um den großen Unternehmen etwas entgegenzusetzen, um Studien durchzuführen und Versuche und Experimente für neue Produkte und Verfahren zu planen. Zugleich können Rechtsberatungskosten einen gravierenden Kostenfaktor bilden. Ein B2BVertrag kann viel komplizierter sein, als ein B2C-Vertragstext, der aufgrund gesetzlicher Vorgaben verständlich und klar sein muß.160 Auch das Personal, welches KMU zur Verfügung haben, ist normalerweise weniger qualifiziert und vorbereitet, als jenes der großen Unternehmen, die sich mehr leisten können. Viele Studien über wirtschaftliches Verhalten von KMU zeigen, daß diese sich auf der “kognitiven” Ebene wie Verbraucher verhalten: sie sind nicht in der Lage, Risiken abzuwenden und neigen dazu, sich dem stärkeren Gegenüber anzuvertrauen, sie sind nicht in der Lage, umsichtigere Entscheidungen zu treffen, sie kennen ihre Urheberrechte nicht genau, können keine sicheren Investitionsentscheidungen treffen, sie können sich nicht der Haftung für Risikokapital entziehen, sich der Expertise von Treuhändern bedienen, ein solides Netzwerk von Filialen und Handelsvertretern aufbauen, Marktstrategien entwickeln, interne Ressourcen optimieren, Synergieeffekte nutzen, 156
[Im Englischen sehr gebräuchlich ist die Abkürzung “B2B” für „Business to Business”, sowie komplementär dazu „Business to Consumer“, abgekürzt “B2C”. Beide werden hier ebenfalls verwendet.] 157 Morant B (2003) The Quest for Bargains in an Age of Contractual Formalism: Strategic Initiatives for Small Businesses, Journal of Small and Emerging Business Law 7, 233. 158 Bzw. den entsprechenden Vorschriften im BGB (2001). 159 Garvin L T (2004) "Small Business and the False Dichotomies of Contract Law" Ohio State University Moritz College of Law Working Paper Series (Paper 1), 10. 160 Hill C (2001) Why Contracts Are Written in “Legalese”, Chicago-Kent Law Review 77.
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von umfangreicher Erfahrung in Vertragsverhandlungen profitieren, die verschiedenen Vertragsmodelle nach dem jeweiligen Partner ausrichten, Vorteile aus verschiedenen Teilen der Unternehmensgruppe ziehen, oder darin einen Informations- oder Erfahrungsaustausch nutzen. Was sind nun also die Vorschläge um die Lage der KMU zu verbessern? Die Diskussion ist offen. (i) Die einfachste Lösung – wobei man diese auch simplizistisch nennen könnte – ist, das Verbraucherrecht auf die KMU auszudehnen; hierbei handelt es sich jedoch nach der Meinung einiger nicht um eine ökonomisch sinnvolle Lösung, 161 weil dies höhere Kosten durch das Umschreiben von Vertragstexten bedeuten würde, und man würde auch eine große Unsicherheit in die Rechtsanwendung bringen, während man striktere aber vorhersehbare Regeln den flexibleren aber unklareren vorzieht; in diesem Sinne erscheint vielen der Rückgriff auf vertragliche Rechtsbehelfe in einer verfahrenen Situation als unproduktiv.162 (ii) In gleicher Weise schließt man für gewöhnlich die Möglichkeit aus, daß ein Problem sich durch Rückgriff auf Verhaltensregeln lösen könnte, die eine einschneidende Veränderung der derzeitigen Situation erfordern würden.163 (ii) Genauso wird gemeinhin ausgeschlossen, daß ein Problem sich durch die Schaffung spontaner vertraglicher Vereinbarungen lösen ließe, die ein gefestigtes und erprobtes System verändern würden. (iii) Ein weiterer Vorschlag will die KMU wie Verbraucher behandeln und die Verbraucherschutznormen auf die ersteren ausdehnen; diese Lösung könnte anerkennenswert sein, weil sie von Fall zu Fall entscheiden will, ob die KMU wie Verbraucher zu behandeln sind, und dies ebenso für alle Geschäftsleute; gegen diese Lösung werden gewichtige Argumente ins Feld geführt: zunächst einmal ist die Definition von KMU schwierig, was Konflikte schüren könnte; man könnte diese Aufgabe zwar den Gerichten anvertrauen, aber dies würde zu Unklarheiten in der Auslegung und zu uneinheitlichen Richtungen in der Rechtsprechung führen; auch dort, wo man die Definition des “kleinen Unternehmers” wiederfindet, ist dieses Paradigma vom wirtschaftlichen Standpunkt aus nicht sinnvoll, vor allem in den Fällen von beherrschten Gesellschaften, wie bei joint ventures und franchising. (v) Wieder ein anderer Vorschlag führt zur Umwandlung der Dichotomie in eine Trichotomie: Verträge mit Verbrauchern, solche mit KMU und solche mit Parteien in paritätischer Position;164 in den Vereinigten Staaten hat man vorgeschlagen, auf eine Anpassung der Rechtsbehelfe auf vertraglicher Ebene zurückzugreifen, die die Lage der “small businesses” berücksichtigt.165 Diese Lösung bringt jedch dieselben Nachteile mit sich, die wir oben besprochen haben.166
161
Garvin L T (2004) "Small Business and the False Dichotomies of Contract Law" Ohio State University Moritz College of Law Working Paper Series (Paper 1), 77. 162 Charny D (1992) "Nonlegal Sanctions in Commercial Relationships", Harvard Law Review 104, 375-467. 163 Mitchell G (2002) "Taking Behaviouralism Too Seriously? The Unwarranted Pessimism of the New Behavioural Analysis of Law" William & Mary Law Review (1907). 164 Schwartz A und Scott R E (2003) "Contract Theory and the Limits of Contract Law" Yale Law Journal 113. 165 Cohen G M (1994) "The Fault Lines in Contract Damages" Virginia Law Review 80 (6), 1225-349. 166 Garvin, op.cit., Anm. 159, 83 ff.
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7. Literaturhinweise
(vi) Ein weiterer Vorschlag betrifft die Auferlegung von Verhaltensregeln.167 Insgesamt kann man auf die verschiedensten Lösungen für dieses Problem zurückgreifen, ohne notwendigerweise eine allgemeine Vertragstheorie zu bilden, die eine dritte Kategorie zusätzlich zu Verbrauchern und Geschäftsleuten schafft.168 Das Gemeinschaftsmodell, welches viele nationale Vorgaben wiederaufnimmt, ist in der Hinsicht interessant, daß es, statt allgemeine Regeln aufzustellen, sich in Eingriffen in bestimmte Sektoren artikuliert: man denke an den Zuliefervertrag, das Franchising, die Handelsvertreter, Versicherungsvertreter und so weiter. Sektorale Intervention erlaubt keine Verallgemeinerung. Ebensowenig die Vermischung von Kategorien. Sie führt auch nicht zu der Annahme, daß eine Behebung der Schwäche der KMU sich ausschließlich im Vertragsrecht finden läßt, sondern vielmehr auch in anderen Bereichen angesiedelt sein kann, wie z.B. Anreize, finanzielle Erleichterungen und dergleichen.
7. Literaturhinweise Die zeitgenössische zivilrechtliche Literatur zum Thema “Markt” trifft auf die rechtsökonomische Bewegung, insbesondere in der Gestalt Posner’s, Economic Analysis of Law, Boston-Toronto, 1977. Die wichtigsten Stimmen der ökonomischen Analyse des Rechts sind zusammengefaßt in Analisi economica del diritto privato, hrsg. v. Alpa, Chiassoni, Pulitini, Rodotà, Romani, Milano, 1998; besonders wichtig ist die Neubearbeitung von Schumpeter, History of Economic Analysis of Law, 1954, auf italienisch in gekürzter Fassung, Milano, 1972; allgemein vgl. Guesnerie, L'Economie de marché, 1996, ital. Übers., Mailand, 1998. Die Debatte wurde in der Abhandlung von Irti, L'ordine giuridico del mercato, Roma-Bari, 1998 eröffnet; das Buch hat großes Interesse geweckt, zustimmendes wie ablehnendes: s. die Besprechung von Petroni, in Il Sole 24 Ore, 22.3.1998, und die Erwiderung von Irti, ibid, 29.3.1998; über beide Ansichten vgl. Zanone, ibid, 29.11.1998, Kommentar zum Buch von Irti und zum Buch von Pera, Concorrenza e antiturst, Bologna, 1998; Ferrarese, Recensione, in Soc.dir., 1998; aber siehe auch Ferrarese, Diritto e mercato, Torino, 1992; und Friedman, Storia del diritto americano, Milano, 1995. In diesem Zusammenhang wurde die Diskussion um das Wettbewerbsrecht des Binnenmarktes geklärt: vgl. Amato, Il mercato nella Costituzione, in Quad.cost.,1992, 7 ff; Oppo, Diritto privato e interessi pubblici, in Riv.dir.civ., 1994, I, 25; Tarello, Sulle istituzioni (giuridiche) dell'economia capitalistica, in Pol. dir., 1975, 261 und Williamson, Le istituzioni economiche del capitalismo, Milano, 1992.
167
Sullivan K M (1992) "The Justices of Rules and Standards" Harvard Law Review 106, 22-123; Korobkin R B (2000) Behavioural Analysis and Legal Form: Rules vs. Standards Revisited Oregon Law Review 79. 168 Vgl. auch Grunsky W (1995) Vertragsfreiheit und Kräftegleichgewicht. Vortrag, gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 25. Januar.
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Zum Gemeinschaftsrecht siehe Amato, Il potere e l'Antitrust, Bologna, 1998; Micklitz und Weatherill, European Economic Law, Dartmouth, 1997. Auch in diesen Zusammenhang gehört die Diskussion um die staatliche Intervention in die Wirtschaft und Formen der sog. Privatisierung. Eine Aufzählung der dogmatischen Positionen und deren Entwicklung findet sich bei Alpa, Istituzioni di diritto privato, Seconda Appendice, Torino, 1997; die Debatte wird wiederaufgenommen von Stiglitz, Il ruolo economico dello Stato, Bologna, 1997; Rossi, Diritto e mercato, in Riv. soc., 1998; Alpa sub art.21, in Alpa und Capriglione, Commento al t.u. sui mercati finanziari, Padova, 1998. Giuliano Amato, hat in einem vielzitierten Aufsatz, Il mercato nella Costituzione, in Quad. cost., 1992, dargelegt, daß unsere Verfassungsgeber weder ein wirtschaftliches System noch eine Vision von einem wettbewerbsorientierten Markt hatten. Dieser Fragenbereich wird ausgebreitet in der Diskussion um die Wirkungen der Globalisierung der Märkte: statt vieler vgl. Guesnerie, L'economia di mercato, Milano, 1998); über die wirtschaftliche Effizienz und Freiheit siehe Friedman (M.), Efficienza economica e libertà, ital. Übers., Firenze, 1967; von Hayek, Legge, legislazione e libertà, ital. Übers. Milano, 1986. Über staatliche Intervention und die “Rückeroberung” des Markets siehe Bosanquet, La rivincita del mercato, ital. Übers. Bologna, 1985; eine Kritik an Bosanquet ist lebhaft formuliert von Kuttner, Everything For Sale. The Virtues and Limits of Markets, N.Y. Allgemein vgl. Globalizzazione dei mercati e capitalismo, hrsg. v. Arcelli, Bari-Roma, 1997; Lafay, Capire la globalizzazione, ital. Übers. Bologna, 1996; Hirst und Thompson, La globalizzazione dell'economia, ital. Übers. Roma, 1997; Fantozzi und Narduzzi, Il mercato globale, Milano, 1997; Thurow, Il futuro del capitalismo, ital. Übers. Milano, 1997; vgl. auch Greider, One World, Ready or Not, London, 1998. Über die neue Wirtschaftsverfassung siehe Cassese (S.), La nuova costituzione economica, Roma-Bari, 1995; Per una nuova costituzione economica, hrsg. v. della Cananea und Napolitano (Giulio), Bologna, 1998. Über den Aufbau des europäischen Marktes, siehe Santaniello (R.), Il mercato unico europeo, Bologna,1998; Maré und Sarcinelli, Europa: cosa ci attende?, Roma-Bari, 1998; Papadia und Santini, La Banca centrale europea, Bologna, 1998; Secchi, Verso l'euro, Venezia, 1998; Bini Smaghi, L'euro, Bologna, 1998. Über den Finanzmarkt und die Mitteilung vom 22.5.1996, Financial Services: Meeting Consumers' Expectations; das "follow-up" der Kommission zu Financial Services: Enhancing Consumer Confidence vom 26.6.1997; zu den Programmen der Kommission, die Vorschläge der Generaldirektion XXIV zur Verbraucherschutzpolitik siehe Bonino, Quale politica per i consumatori della Unione europea, in Consumatori, Diritti e Mercato, 1998,1, 8 ff.; Concorrenza e regolazione nell’Unione Europea, in Regolazione e concorrenza, hrsg. v. Tesauro und D’Alberti, Bologna, 2000, 74. Der Wettbewerb ist einer der Pfeiler des gemeinsamen Marktes: statt vieler siehe Irti, La concorrenza come statuto normativo, in Istituzioni, mercato e
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7. Literaturhinweise
democrazia, Liber Amicorum per gli ottant’anni di Alberto Predieri, hrsg. v. Amorosino, Morbidelli, Morisi, Torino, 2002. Zu Abhilfemaßnahmen bei Verletzungen von Wettbewerbsvorschriften vgl. insbesondere Nivarra, La tutela civile: profili sostanziali, in Diritto antitrust italiano, Bologna 1993, 1455; Concorrenza e mercato, hrsg. v. V. Afferni, Padova 1994 und die Beiträge von zahlreichen Autoren in Econ. e dir. del terziario, 1994, n. 1. Über den Konsumentenschutz in der Arbeit des antitrust (Kartellrecht) siehe Amato, Il potere e l’Antitrust, Bologna 1998; F. Gobbo, Il mercato e la tutela della concorrenza, Bologna 1997; Final report Study on Consumer law and the Information Society, PricewaterhouseCoopers, Universiteit Utrecht, Tilburg University, Amsterdam, August, 2000. Zum Recht der Konzentrationen und dessen Einfluß auf den Wettbewerb siehe die Berichte für den F.I.D.E., XX Congress London 30. October-2. November 2002, Vorsitz: Lord Slynn of Hadley, Generalsekretär: Mads Andenas., vol. 1 National Reports, London, 2002, und III. Cross Border Mergers In Company Law and Competition Law: Removing the Final Barriers, p. 625 ff., vol. II, Conclusions, London 2003. Siehe auch Gerber, Law and Competition in Twentieth Century Europe. Protecting Prometheus, Oxford, 1998; Motta, Polo, Vasconcelos, Merger Remedies in the European Union: An Overview, Vortrag für “Guidelines for Merger RemediesProspects and Principles, Ecoles des Mines, Paris, January 17-18, 2002; Stockenhuber, in F.I.D.E., op. cit., 641; Zonnekeyn und Janssens, ibid., 672; Broberg und Hansen, ibid., 725; siehe auch Broberg, Commitments in Phase One Merger Proceedings: The Commission’s Power to Accept and Enforce Phase One Commitments, Common Market L.Rev. 34 (1997), 845 ff. Mentula, Hinders, ibid., 748; Charbit et Debroux, ibid., 788 ff.; Berg, ibid., 810; Snelders und Dolmans, ibid., 848; Aarbakke und Stemshaug, ibid., 899; Lomas, ibid., 933; Foer, Toward Guidelines For Merger Remedies, Case Western L.Rev., 52, 211 ff.; und ferner A Study of the Commission’s Divestiture Process Prepared by the Staff of the Bureau of Competition of the Federal Trade Commission, by W J Baer, Director, 1999; Parker, Global Merger Enforcement, before the Int.’l Bar Association, Barcelona, September 28, 1999; Pitofsky, The Nature and Limits of Restructuring in Merger Review, Cutting Edge Antitrust Conference Law Seminars International, February 17, 2000, New York; Muris, Merger Enforcement in a World of Multiple Arbiters, before Brooklings Institution Roundtable on Trade and Investment Policy, Washington DC, December 21, 2001; ders., Understanding Mergers: Strategy and Planning, Implementation, and Outcomes, Eröffnungsvortrag, December 9, 2002; ders. Improving the Economic Foundations of Competition Policy, before George Mason University Law Review’s Winter Antitrust Symposium, January 15, 2003, Washington D.C. A.B.A., Merger Review Process, letter to J. Simmons Esq., FTC, August 6, 2002, http://www.abanet.org/antitrust; Ramajoli, Attività amministrativa e disciplina antitrust, Milano, 1998, 479 ff.; Donativi, Poteri dell’Autorità in materia di divieto delle operazioni di concentrazione, sub art. 16 del Commento alla legge 10 ottobre 1990, n. 287, in Diritto antitrust, hrsg. v. Frignani, Pardolesi, Patroni Griffi, Ubertazzi, vol. II, Bologna, 1993, 1007 ff.; Talenti, Commento sub art. 18,
Teil 3 Kapitel 1 Die Marktordnung
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in Concorrenza e mercato, hrsg. v. Afferni, Padova, 1994, 405 ff.; Bertoni, in Commentario breve al diritto della concorrenza, hrsg. v. Marchetti und Ubertazzi, Padova, 1997, 449; Bernini, Un secolo di filosofia antitrust.Il modello statunitense, la disciplina comunitaria e la normativa italiana, Bologna, 1991, 377 DGCCRF, Projet de Lignes directrices relatives a l’analyse des concentrations et aux procedures de controle, Ministère de l’Economie des Finances et de l’Industrie, Paris, 13 dec. 2002.; Morant, The Quest for Bargains in an Age of Contractual Formalism: Strategic Initiatives for Small Businesses, in 7 J.Small & Emergine Bus.L. 233, 2003; Garvin, Small Business and the False Dichotomies of Contract Law, in Ohio State U. Moritz College of L., 2004, Paper 1, 10; Hill, Why Contracts Are Written in “Legalese”, in 77 Chi.-Kent L.Rev., 59, 2001; Charny, Nonlegal Sanctions in Commercial Relationships, in 104 Harv.L.Rev., 375 (1992); Mitchell, Taking Behaviouralism Too Seriuously? The Unwarranted Pessimism of the New Behaviuoural Analysis of Law, in Wm. &Mary L.Rev., 1907 (2002); Schwartz und Scott, Contract Theory and the Limits of Contract Law, in 113 Yale L.J., 541 2003; Cohen, The Fault Lines in Contract Damages, in 80 Va.L.Rev., 1225 (1994); Sullivan, The Justices of Rules and Standards, in 106 Harv.L.Rev. 58 (1992); Korobkin, Behavioural Analysis and Legal Form: Rules vs. Standards Revisited, in 79 Or.L.Rev., 34 (2000).
Kapitel 2 Dienstleistungen
Inhalt: 1. Dienstleistungen auf dem Binnenmarkt – 2. Die Dienstleistungsrichtlinie für den Binnenmarkt – 3. Der Austausch von Dienstleistungen und Wettbewerbsrecht – 4. Unternehmensverträge, Regulierung und Gebräuche – 5. Die freien Berufe – 6. Wettbewerbsrecht und freie Berufe – 7. Elektronischer Handel und Verbraucherschutz – 8. Literaturhinweise
1. Dienstleistungen auf dem Binnenmarkt 1.1 Dienstleistungen im Gemeinschaftsrecht Der Dienstleistungsmarkt ist von enormen Dimensionen geprägt: man schätzt, daß Dienstleistungen zwei Drittel der Weltwirtschaft ausmachen, daß sie die Hauptquelle wirtschaftlicher Entwicklung sind. Man findet dennoch beachtliche Barrieren im Europäischen Binnenmarkt, die sowohl die Leistungserbringung wie die Niederlassungsfreiheit behindern. Nach neueren Erhebungen der Gemeinschaft tragen Dienstleistungen zu 70% zum BIP bei. Deshalb bilden diese den wichtigsten Sektor der Generaldirektion “Binnenmarkt” der Europäischen Kommission, obschon auch andere Direktionen mit Dienstleistungen befaßt sind, z.B. die Wettbewerbsdirektion. Es ist deshalb erforderlich, die Gemeinschaftspolitiken aufeinander abzustimmen, damit diese untereinander kompatibel sind. Zu den Dienstleistungen zählen auch die freien Berufe, einschließlich der juristischen Tätigkeiten,1 mit denen sich aufgrund einer Ermächtigung der Direktion Binnenmarkt auch die Direktionen Wettbewerb und Gesundheit und Verbraucherschutz, letztere durch ihre Abteilung für Europäisches Vertragsrecht, beschäftigen. Die GD Binnenmarkt hat ihre Interventionen in einige Bereiche unterteilt, die u.a. Finanzdienstleistungen, e-commerce, Kommunikation, Postdienstleistungen und Berufsausbildung betreffen. Vor allem ist sie mit der Anwendung von zwei der Grundfreiheiten des EG- Vertrags, Art. 49-55, befaßt, Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Die Organisation der Vorschriften, die der Beseitigung der Barrieren und damit der Phänomene der Diskriminierung unter den Anbietern von Dienstleistungen dienen sollten – Barrieren, die die Kommission auf dem Dienstleistungssektor für relevanter hält als auf den Sektoren Produktion und Warenaustausch – folgte dem ordentlichen Gang der Normproduktion der Gemeinschaftsorgane. 1
Siehe unten 5.
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1. Dienstleistungen auf dem Binnenmarkt
Um die Barrieren zu beseitigen, bedienen sich die Gemeinschaftsorgane schon seit Jahren aller Rechtsquellen (Verordnungen, Richtlinien, Empfehlungen, Beschlüsse), und eine reichhaltige Rechtsprechung des EuGH hat diejenigen Mitgliedstaaten verurteilt, die normative Beschränkungen und Diskriminierungen aufrecht erhielten.2 Die Neubildung des gesamten Rechtssystems der Dienstleistungen ist schon so gut wie abgeschlossen und dargestellt in praktischen Anleitungen zum Europarecht und akademischen Abhandlungen über das Europäische Privatrecht. Seit dem Jahre 2003 kann man außerdem einige innovative Initiativen von großer Bedeutung beobachten. Die Dienstleistungen, die ja eine der Säulen der europäischen Wirtschaft und damit auch der “konstitutionellen” Architektur der Gemeinschaft bilden, werden in der Charta von Nizza erwähnt (im Art. 15 über die freien Berufe und das Arbeitsrecht, im Art. 16 über die unternehmerische Freiheit) und im Entwurf des Verfassungsvertrages3 (in den Artikeln II75 und II-76). Dieser letztgenannte Text enthält in seinem Unterabsatz 3 einige Vorschriften, die wir uns genauer ansehen wollen. Der Artikel III-144 verbietet die Einschränkung der freien Erbringung von Dienstleistungen innerhalb der Union; der Artikel III-145 definiert als Dienstleistungen “…im Sinne der Verfassung … Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über die Freizügigkeit der Personen und über den freien Waren- und Kapitalverkehr unterliegen,” und schließt insbesondere die folgenden Kategorien von Tätigkeiten mit ein: industrielle Produktion, kommerzielle und künstlerische Tätigkeiten, sowie die freien Berufe.4 Im Hinblick auf weitere Vorschriften, die sich speziell auf das Transportwesen (Art. III146 Abs. 1) sowie auf Banken und Versicherungen beziehen, verweist der Vertrag auf spezielle, noch zu erlassende Rahmengesetzgebung,5 in der Maßnahmen festgelegt werden sollen, die auf die Verwirklichung der Liberalisierung bestimmter Dienstleistungen gerichtet sind. Dabei sollen besonders solche Leistungen berücksichtigt werden, die sich direkt auf die Produktionskosten auswirken, oder deren Liberalisierung den Warenaustausch fördert (Art. III-147). Der Vertragsentwurf verpflichtet die Mitgliedstaaten auch, die Liberalisierung der Dienstleistungen über die Vorgaben des beabsichtigten Rahmengesetzes hinaus voranzutreiben, jedoch im Einklang mit ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklung.6 Unter den wichtigsten Dokumenten hierzu wollen wir besonders auf den Bericht der Kommission vom 30.7.2002 hinweisen,7 der die Strategie für den Binnenmarkt in den Jahren 2003-2006 beschreibt. Unter den Einzelprioritäten wurde der Vorschlag einer Richtlinie über die Dienstleistungen vorgesehen, und es wurden Interventionen bei der Verkaufswerbung und der Anerkennung von Berufsqualifikationen geplant. Die Kommission bekräftigte ihre Absicht, die Interessen der Verbraucher an größerer Sicherheit zu schützen, sowie Finanzmarkt, Verbraucherkredit und die Situation der Unternehmen zu verbessern. Die Betonung liegt 2
Hierzu Weatherill S und Beaumont P (1999) EU Law. The Essential Guide to the Legal Workings of the European Union, 672-714; Weatherill S R (2003) Cases and Materials on EU Law, 445ff. 3 Deutscher Text unter http://ue.eu.int/igcpdf/de/04/cg00/cg00087.de04.pdf 4 Vgl. Art. III-145 a-c EVV. 5 Ein sog. Europäisches Rahmengesetz Art. III -147 Abs.1 EVV. 6 Vgl. Art III-148 EVV. 7 “Report from The Commission to the Council and the European Parliament on the State of the Internal Market for Services; presented under the first stage of the Internal Market Strategy for Services” COM (2002) 441 endg.
Teil 3 Kapitel 2 Dienstleistungen
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auf der Vereinfachung von Normen und der Abschaffung von rechtlichen Barrieren. Dies alles in einem Kontext, der auf den durch die neuen Mitgliedstaaten erweiterten Binnenmarkt und die internationalen Märkte eingeht. Neben einer Empfehlung zur Umsetzung von Richtlinien in den nationalen Rechtsordnungen vom 12.7.20048 hat die Kommission am 25.2.2004 einen Entwurf einer Richtlinie über die Dienstleistungen im Binnenmarkt vorgeschlagen.9 All diese Aktivitäten bezogen sich auf einen Markt, für den die Gemeinschaftsorgane noch keine einheitliche Definition von Dienstleistung vorgegeben hatten. Die Aufgabe war also der Dogmatik und Rechtsprechung des EuGH überlassen. Die Definition wurde aus den Bestimmungen des EG-Vertrages abgeleitet. Beispielsweise definiert Giuseppe Tesauro in seinem Lehrbuch10 Dienstleistungen als “eine nicht abhängige Tätigkeit, die, für gewöhnlich gegen Entgelt, von einem Anbieter, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in welchem die Leistung ausgeführt wird, angesiedelt ist”; es handelt sich um einen Hilfsbegriff, weil die Leistung nicht in einem Warenaustausch besteht. In gleicher Weise beobachten auch Massimo Condinanzi und Bruno Nascimbene,11 daß der Begriff “Dienstleistungen” hier nicht mit der Bedeutung in der Umgangssprache übereinstimmt, soweit sie sich vom EG-Vertrag ableitet und sich damit auf eine vergütete Tätigkeit bezieht.12 Wie oben gesagt, ist dies eine analoge Definition, die in ihrer allgemeinen Form auch im EG-Vertrag verwendet wird.
1.2 Dienstleistungen im nationalen Recht und die Projekte zum “Europäischen Zivilgesetzbuch” Die juristische Literatur, die sich mit dem nationalen Recht der Dienstleistungen beschäftigt, ist vergleichsweise arm an Beiträgen, so daß der Aufsatz von Gerardo Santini aus dem Jahre 1988 in der italienischen Literatur heute immer noch den bedeutendsten Bezugspunkt bildet.13 Santini strukturierte seine Untersuchung beginnend mit der Typologisierung der Anbieter von Dienstleistungen, gefolgt von deren Ergänzung, sowie abschließend von einer Untersuchung der verschiedenen Vertragstypen in all ihren möglichen Varianten, bezogen auf den Anbieter, den Gegenstand, die Gegenleistung, die Qualität und Quantität sowie Ort und Zeit und
8
Empfehlung der Kommission zur Umsetzung binnenmarktrelevanter Richtlinien in innerstaatliches Recht, SEK 2004 (918) endg. 9 COM (2004) 2 endg.; nunmehr Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, OJ L 376/36, 27.12.2006. 10 Tesauro, G. (2003) Diritto comunitario, 526. 11 Condinanzi, M. and B. Nascimbene (2000) La libera prestazione dei servizi e delle professioni in generale. Il diritto privato dell’Unione europea, A. Tizzano (Hrsg.) (26), 287. Vgl. neue Auflage 2006, 330-374. 12 Zu dieser Thematik der autonomen Bedeutung eines rechtlichen Begriffes in internationalen Rechtstexten vgl. auch Heidemann M und Knebel A (2008) "Zur autonomen Auslegungsmethode im internationalen Steuerrecht - am Beispiel der atypisch stillen Unterbeteiligung and Personengesellschaften im DBA Großbritannien" EuZW 19 (22), 681-5. 13 Santini, G. (1988) Commercio e servizi. Due saggi di economia del diritto.
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1. Dienstleistungen auf dem Binnenmarkt
all diese Elemente in ihren Kombinationen. Hieraus entstand ein Rahmen, der auch die heutige Situation widerspiegelt. Jede nationale Rechtsordnung sieht Regeln über die verschiedenen Arten von Dienstleistungen vor, sowohl bezüglich ihres Verwaltungsrechts als auch des allgemeinen Rechts. In Bezug auf Verträge wendet man zwar das allgemeine Recht an, welches, wie man gesehen hat, je nach Rechtsordnung unterschiedlich ist, aber es gibt Ausnahmen in Spezialgesetzen ausschließlich für Dienstleistungen. Der Bereich der Dienstleistungen ist im allgemeinen, wie der Kauf, gewisse Finanzdienstleistungen und Langzeitverträge, zum Gegenstand von Vereinheitlichungsversuchen geworden, die derzeit privaten Forschungszentren anvertraut sind. Unter den Forschungsarbeiten zur Vereinheitlichung des Rechts im Binnenmarkt und zur Ausarbeitung von “Modellgesetzen” des Europäischen Privatrechts, die an einigen Universitäten und Instituten betrieben werden, verdanken wir die interessantesten Initiativen Jürgen Basedow am Max-Planck-Institut
für ausländisches und internationales
Privatrecht in Hamburg, auf dem Gebiet des Versicherungswesens,14 und der Gruppe unter der Leitung von Maurits Baredrecht an der Universität Tilburg, für den Entwurf von gemeinsamen Grundsätzen für alle Arten von Dienstleistungen; diese Initiativen sind zusammengefaßt im allgemeinen Programm zur Erarbeitung eines “Europäischen Zivilgesetzbuchs”, welches von Christian von Bar koordiniert wird. Die erstgenannte Initiative bezieht sich auf den acquis communautaire und besonders auf die verschiedenen Richtlinien, die bereits zum Versicherungsrecht verabschiedet wurden, während die zweite sich zum Ziel gesetzt hat, allgemeine Regeln für alle Dienstleistungen - oder besser für die am meisten verbreitetsten Vertragstypen - zu entwerfen, als Teil eines etwaigen “Europäischen Zivilgesetzbuchs”. Der Rahmen, der durch die bisher erschienenen Texte geschaffen wurde, die vor allem ein Netzwerk von Regeln vorsehen, die allen Dienstleistungsverträgen gemeinsam sind, ist eher lückenhaft. Jedenfalls umfassen diese Regeln sowohl die Rechtsbeziehungen unter Verbrauchern als auch unter professionellen Anbietern. Man hat in der Tat auch die vorvertragliche Phase geregelt und Informationspflichten gegenüber dem Kunden – Regeln über Kooperation, gewerbliche Prüfungspflichten, solche, die Kundennachfragen regeln, sowie Werbung, Nichterfüllung und Kündigung. Daran anschließende Kapitel beinhalten spezielle Regeln für einzelne Vertragstypen: Bauverträge, Produktionsverträge, Lagerverträge, Verträge über Planung und Entwicklung, Information und Beratung, Datenverarbeitung. Der Bereich der Beratung schließt die Rechtsberatung mit ein. Abgesehen von den Zweifeln angesichts der Möglichkeit, allgemeine Regeln für diese Grundtypen der Verträge herauszuarbeiten, muß man betonen, daß die Forscher, die sich auf diesem Gebiete betätigen, zu einer Begrenzung der Privatautonomie neigen, nicht nur im Hinblick auf die Typisierung der Verträge, sondern auch, was die zwingenden Regeln betrifft, die den Parteien auferlegt werden. Anders gesagt, sie bevorzugen, einen “Käfig” aus Regeln zu errichten, in dem man die Verträge einsperrt, anstatt sich Grundsätzen, Klauseln, oder allgemeiner Standards zu bedienen. Dieser trend steht im Gegensatz zu den Erfahrungen in den nationalen Rechtsordnungen, in denen der Vorzug den Verhandlungen unter den Parteien gilt, was die Typologie der 14
Projektgruppe Europäisches Versicherungsvertragsrecht; siehe den abschließenden Bericht: Europäisches Versicherungsvertragsrecht, herausgegeben von Jürgen Basedow und Till Fock unter Mitwirkung von Dorothée Janzen; erschienen bei Mohr Siebeck, Band I und II September 2002, Band III 2003.
Teil 3 Kapitel 2 Dienstleistungen
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Verträge betrifft, sowie auch deren Inhalt im Dienstleistungsbereich. Dennoch befindet sich auch diese Denkrichtung in einer Phase der Veränderung. Man kann eine geradezu dammbruchartige Umkehrung beobachten, da die nationalen Gesetzgeber, einschließlich des italienischen, begonnen haben, die einzelnen Vertragstypen gesondert zu regeln, so daß sie sich von “sozialen” Erscheinungsformen zu “rechtlichen” umformen. Den jüngsten Fall dieser Art gab es in der Erschaffung der Rechtsform des franchising im Gesetz Nr. 129 von 2004. 15
1.3 Die Richtlinie über die Haftung der Dienstleister Der Dienstleistungssektor ist sowohl auf Gemeinschaftsebene als auch im nationalen Recht immer noch ziemlich fragmentiert, zeigt oft eine ungewöhnliche Komplexität und besteht oft aus Regeln, die schwer anzuwenden und auszulegen sind. Der Eingriff des Europarechts in das nationale Recht und die gemeinsame europäische Rechtskultur zeigt sich an der Aufmerksamkeit, welche die geplante zur Zeit noch unvollendete - Richtlinie zur Haftung von Dienstleistern in der italienischen Literatur erfahren hat. Die Idee, eine Richtlinie in diesem Bereich zu verabschieden, entstand aus der Entsprechung zwischen der Produktion und dem Vertrieb von Waren analog zu “Produktion” und “Vertrieb” von Dienstleistungen. Nachdem die Kommission die Produkthaftungsrichtlinie 85/375 verabschiedet hatte, verfolgte die damalige Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Direktion Verbraucherpolitik) Aktivitäten auf dem Gebiete der Verbrauchersicherheit, indem eine Richtlinie zur Haftung von Dienstleistern für potentiell schädigende Dienstleistungen zum Schutz der menschlichen Gesundheit entworfen wurde. Der Text wurde nicht verworfen und ist daher zur Zeit immer noch aktuell. Der Entwurf (Entschließung des Rates vom 27.12.1989)16 besteht – derzeit – aus 11 Artikeln und folgt dem Vorbild der Richtlinie vom 25.7.1985 über die Produkthaftung. Anders als diese beinhaltet der Entwurf jedoch genauere definitorische Normen, indem er zusätzlich zum Begriff der Dienstleistung (entsprechend dem des “Produktes” des Art. 2 der ProdHaftRiLi) und dem des Dienstleistenden (entsprechend dem des “Produzenten” des Art. 3 der o.g. RiLi, zu dem sich noch der des “Lieferanten”, fornitore, hinzugesellt, gem. Art. 4 des präsidentiellen Dekrets Nr. 224 vom 28. 5. 198817) auch den des Verbrauchers angibt. Die Definition 15
Sogennante affiliazione commerciale nach dem genannten Gesetz. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Haftung bei Dienstleistungen, KOM(90) 482 endg.-SYN 30, vorgelegt am 9. 11. 1990, deutsche Fassung mit vielen Fehlern unter https://back.cpc.gov.tw/KMOuterPath/4399. Eine Zeittafel der Verlaufs und des Gesetzgebungsverfahrens findet sich unter http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_real.cfm?CL=en&DosId=105466 17 Durchführungsverordnung zur Produkthaftungsrichtlinie 85/374, Decreto del Presidente della Repubblica 24 Maggio 1988, N. 224 zur Umsetzung der Richtlinie 85/ 374/EWG, Relativa al Ravvicinamento delle Disposizioni Legislative, Regolamentari e Amministrative degli Stati Membri in Materia di Responsabilità per Danno da Prodotti Difettosi, Gazzetta Ufficiale N. 146 Del 23 Giugno 1988, italienischer Text unter www.cimacpv.it/download%5CDPR224.pdf. 16
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1. Dienstleistungen auf dem Binnenmarkt
von Schaden und Fehlerhaftigkeit entspricht den Artikeln 6 und 9 der o.g. Richtlinie. Die Technik der Definition dient damit der Beschreibung des Wirkungsbereichs dieses Regelungsprojekts, und weist auch auf die Grenzen und Ausnahmen der Haftung hin. Kommen wir aber nun zum Inhalt der Definitionen. Die Definition von “Verbraucher” in Art. 4 bietet keine Überraschungen, insofern die “natürliche Person des Empfängers der Dienstleistungen” oder der Nutznießer einer Dienstleistung im privaten Bereich beschrieben wird. Es handelt sich um eine partielle und zielgerichtete Definition, die nur in dem Bereich funktional ist, den sie zu regeln beabsichtigt; außerdem paßt sie zur allgemeinen Linie der Gemeinschaftsregelungen, die ihre Definition immer den jeweiligen Regelungszielen und - erfordernissen entsprechend anpassen und formen; man bezeichnet also hier den Adressaten der Richtlinie als eine natürliche Person, weil der Regelungszweck des Entwurfs der Schutz der physischen Person des Verbrauchers ist; deshalb kann es sich nur um private Dienstleistungen handeln und nicht um solche zu gewerblichen Zwecken. Der Ausdruck hat einen weiteren Sinn als lediglich der Nutzer oder der “Adressat”; auch ein Dritter kann deshalb in die Regelung mit einbezogen sein, wie zum Beispiel der sog. bystander; gleichermaßen treffen wir auch auf die Kategorie der verschiedensten geschützten Leistungen, wie zum Beispiel auf dem nationalen Immobiliensektor, auf welchem eine Dienstleistung erbracht wird. Hier zeigt sich trotzdem eine bemerkenswerte Neuerung. Die Beziehung Produzent - Verbraucher entsteht normalerweise durch einen “sozialen Kontakt”, wobei es gewöhnlich keine direkte Vertragsbeziehung zwischen den Parteien gibt: der Verbraucher (der dabei nicht nur ein bystander ist) knüpft diese Beziehungen durch einen Vermittler. Im Falle der Dienstleistungen nun hat der Nutzer eine direkte Vertragsbeziehung mit dem Anbieter der Dienstleistung – trotzdem bedient man sich hier einer Fiktion und betrachtet dies als nicht-vertragliche Beziehung. Diese Lösung war durch den Umstand bedingt, daß die Mitgliedstaaten nicht nur Spezialgesetzgebung, sondern darunter auch recht unterschiedliche Rechtsfiguren aufweisen, wie die obligations de sécurité, die vertraglich vereinbarten Sorgfaltspflichten, und schließlich die vertragliche und außervertragliche Haftung: heterogene Rechtsfiguren, die nicht durch ein einziges Konzept vereinheitlicht werden können. Die Definition von Dienstleistung ist recht weit gefaßt, Art. 2. Sie umfaßt jede Erbringung in einer gewerblichen Eigenschaft oder im Bereich der öffentlichen Versorgung, ehrenamtlich oder unentgeltlich erbrachte Leistungen, wenn sie nicht einzig der Warenproduktion dienen, oder der Übertragung oder Abtretung von Rechten an Immobilien oder Urheberrechten, und die gegenüber einem Verbraucher erbracht werden. Die Dienstleitungen können “materiell” oder “immateriell” sein. Dienstleistungen, die nicht geeignet sind, einem Verbraucher oder seinem Eigentum einen Schaden zuzufügen, internationale Transporte und Gesundheitsleistungen sind ausgenommen.
Teil 3 Kapitel 2 Dienstleistungen
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Man kann hier anmerken, wie die Definition den französischen Begriffen der materiellen und immateriellen [i.S.v. körperlichen und unkörperlichen] Güter entlehnt ist und wie eigenartig (wenn auch notwendig) deren Ausdehnung auf “immaterielle” Leistungen ist. Der Ausschluß des semantisch-normativen Bereichs vom Dienstleistungsbegriff ist verschiedenen Gründen geschuldet: bei der Produktion von beweglichen Gütern dem Umstand, daß bereits eine Richtlinie in diesem Bereich besteht; in den Bereichen der Übertragung und Abtretung von Sachenrechten und Autorenrechten haben die Mitgliedstaaten Spezialvorschriften; die Gesundheitsleistungen müßten Fälle einschließen, wo bereits eine Krankheit vorliegt, oder eine Anomalie, oder wo der Empfänger bereits in seiner Gesundheit beeinträchtigt ist,18 und obwohl die geplante Richtlinie auch Schäden umfaßt, die durch Unfälle verursacht sein können, ist es auch klar, daß sich hier traditionelle Rechtsprivilegien der medizinischen Profession und der Krankenhäuser einschleichen; diese Tendenz scheint einen Wandel durchzumachen, wenn auch weniger im Hinblick auf Krankenhäuser, wie es in Italien in letzter Zeit zu geschehen scheint. Andererseits sind alle Dienstleistungen, die das Umfeld einer Auftragsvergabe bilden, umfaßt, sowie die Durchführung eines Werkvertrags, oder freiberuflicher Leistungen (da auch solche geeignet sind, die körperliche Gesundheit des Nutznießers zu beschädigen), nicht jedoch internationale Transporte (sowohl zu Lande als auch in der Luft); es bleiben aber umfaßt die Reisevermittlungsaktivitäten, gewerbliche Mandate, Handelsvertretung und dergleichen. Der Erbringer der Dienstleistung (Art. 3) ist der Lieferant, der seinen Sitz innerhalb der EG hat. Wenn dieser außerhalb liegt, wird er als “Importeur” der Leistung betrachtet. Öffentliche und private Dienstleistungen werden nicht unterschieden, auch nicht zwischen natürlichen oder juristischen Personen, oder direkten und vermittelten Leistungen; alle diese Parteien werden als dieser Kategorie zugehörig angesehen (mit besonderer Nennung von Organisatoren, wie Reiseanbieter oder franchisor und franchisee, also Franchisegeber und -nehmer.) Denjenigen Parteien, die zur Kategorie der Dienstleister gehören, wird eine objektive Haftung für Mängel bei der Sicherheit ihrer Leistungen auferlegt, Art. 1. Diese Haftung basiert auf dem Risiko, welches daraus entsteht, und auf dem Gewinn, der daraus gezogen wird, Art. 1. Man hat hier das traditionelle Kriterium für die Haftpflicht (vertraglich und gesetzlich), das Verschulden für die Ausübung der freien Berufe, also bspw. Ingenieure, Architekten, Geologen, und auch für das Handwerk (Friseure, Klempner, Taxifahrer, Automechaniker, Elektriker und Hoteliers) auf den Kopf gestellt. Die objektive Haftung ist nicht beseitigt worden. Es handelt sich wie im Falle der Produzenten um eine abgeschwächte objektive Haftung. Der Dienstleister kann auf den Mangel der Sicherheit seiner Leistung nach Art. 6 die legitimen Erwartungen des Nutznießers im Hinblick auf seine körperliche Unversehrtheit und seines Eigentums einwenden. Jedenfalls gilt: (a) die Vorschrift berücksichtigt die Risikosphäre, die der Kontrolle des Lieferanten unterliegt, was die Person des Empfängers betrifft, sowie die 18
[So daß es also zu Kausalitätsproblemen kommen würde.]
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1. Dienstleistungen auf dem Binnenmarkt
erwartete Leistung, die zur Leistungserbringung genutzten Gegenstände und das Eigentum des Nutznießers oder Leistungsempfängers; (b) es wird ein Sicherheitsmangel angenommen, wenn ein Schaden im Zuge der Ausführung der Dienstleistung verursacht wird, oder in einem Zeitraum von einem Jahr nach Leistungserbringung bzw. zehn Jahren bei Errichtung von Bauwerken; (c) auch wird ein Mangel angenommen, wenn eine nationale Sicherheitsvorschrift oder eine solche des Gemeinschaftsrechts verletzt wurde. Dagegen kann sich der Dienstleister damit exkulpieren, daß er gem. Art. 8 darlegt, daß das Ereignis ohne seinen Willen eingetreten ist (force majeure, oder ein “unvorhersehbares, unabwendbares und außergewöhnliches” Ereignis), oder daß die Leistung unter Beachtung von zwingendem Gemeinschafts- oder staatlichem Recht oder in Ausführung einer von Verwaltungsbehörden auferlegten Rechtspflicht ausgeführt wurde. Man muß anmerken, daß diese Präzisierung der Sicherheitsnormen, wenn diese zur Anwendung kommen sollten, Verwirrung und Unklarheiten erwarten lassen, die die weniger detaillierte Ausdrucksweise bereitet, verglichen mit der Formulierung in der Produkthaftungsrichtlinie (Art. 7, wo von “zwingenden öffentlichen Normen” die Rede ist). 19 Was die Beweislast betrifft, so muß der Geschädigte den Schaden und den Mangel der Dienstleistung beweisen, es wird jedoch nicht von ihm verlangt, den Kausalzusammenhang zu beweisen, sondern lediglich das Vorhandensein von “Elementen, die die Annahmen für eine Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs erhärten.” (gem. Art. 5). Man kann dies also vielleicht als eine Umschreibung in den Ausdrücken “Indiz” oder “prinzipieller Beweis” zusammenfassen. Während es verständlich ist, daß der Nutznießer nicht verpflichtet ist, den Beweis des Verschuldens des Dienstleisters zu erbringen, in Anbetracht von dessen “Professionalität”, seines Wissens um die von ihm geschaffenen Risiken (und mit diesem die Bürde der Informationen hierüber) und der Schwierigkeit für das Opfer, die Art und Weise der Dienstleistung zu beurteilen, erscheint die hier vorgenommene Beweislastverteilung, die im Falle des Produzenten nicht vorgesehen ist, schwer verständlich; die Richtlinie sieht in diesem Falle in Art. 4 tatsächlich vor, daß der Geschädigte “den Kausalzusammenhang zwischen dem Mangel und dem Schaden” beweisen muß. Dieses Modell wurde später geändert, und man geht heute von einer Verschuldensvermutung aus. Die Haftung kann nicht durch das Dazwischentreten Dritter gemildert werden (Art. 8 Abs. 2), wohl aber bei Mitverschulden des Opfers (Art. 8 Abs. 3). Es ist nicht vorgesehen, auf die üblichen Haftungsbeschränkungen oder -ausschlüsse zu19
Artikel 7 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte ••Amtsblatt Nr. L 210 vom 07/08/1985 S. 0029 - 0033 lautet in der deutschen Fassung: “Der Hersteller haftet aufgrund dieser Richtlinie nicht, wenn er beweist… d) daß der Fehler darauf zurückzuführen ist, daß das Produkt verbindlichen hoheitlich erlassenen Normen entspricht.”
Teil 3 Kapitel 2 Dienstleistungen
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rückzugreifen (Art. 8 Abs. 4). Diese Vorschriften knüpfen an die Gemeinschaftsvorschriften über die Produzentenhaftung an, Art. 12. Die Umsetzung war nach 18 Monaten vorgesehen, Art. 10, Abs. 1. Gewisse Neuerungen kann man in der Definition des Schadens feststellen, denn, abgesehen vom körperlichen Personenschaden war der Ersatz des Schadens an Sachen vorgesehen, ohne die Begrenzungen, die die Produkthaftungsrichtlinie aufgenommen hatte (Art. 9); darüber hinaus hält man auch den ideellen Schaden für relevant, der ebenfalls von der Produkthaftungsrichtlinie außer Acht gelassen wird; schließlich auch den sogenannten finanziellen Schaden d.h. den durch Personen- und Sachschaden entgangenen Gewinn. Nicht ersetzbar ist dagegen der lediglich “wirtschaftliche Schaden”.20 Einige abschließende Bemerkungen sollen über die Übersetzungstechniken gemacht werden und die daraus entstandenen lexikalischen Unterschiede (die sich in konzeptionelle Unterschiede verwandeln) zwischen den englischen und französischen Texten, in denen der Entwurf veröffentlicht wurde.21 Im Art. 1, der den allgemeinen Grundsatz aufstellt, bedient man sich im französischen Text des verkürzten Ausdrucks “durch einen Sicherheitsmangel der Dienstleistung”, und im englischen Text wird die Bedeutung umschrieben (nicht zuletzt weil diese zu einer Norm wird, deren Verletzung durch Art. 6 präzisiert wird), indem es heißt, daß die Dienstleistung in einer für die körperliche Unversehrtheit gefährlichen Weise ausgeführt worden sein muß. Nun ist es einfach, aus einer Dienstleistung eine Tätigkeit zu machen, und somit nur die gefährliche Tätigkeit schlechthin dem Haftungsrecht zu unterwerfen, und nicht nur eine möglicherweise schädigende Erbringung von Dienstleistungen. Bei der Definition der Dienstleistungen in Art. 2 kann man folgendes feststellen: im Abs. 3 schließt der französische Text diejenigen Handlungen aus, die von vornherein keinen körperlichen Schaden (dommage) beim Konsumenten verursachen können, während im englischen Text eine körperliche Gefahr (physical danger) erwähnt wird, und zwar an der Stelle (in diesem Falle) einer Normerweiterung und Ausnahmebeschränkung, weil man neben dem Erscheinungsbild einzig auf die Gefahr der Schädigung eingehen wollte. Weiters wird in Art. 6 einerseits von einem Mangel an Sicherheit gesprochen, andererseits von einer “Gefahr für die Sicherheit” (hazard to safety). Eine große Lücke ist sodann in Art. 7 Abs. 3 zu erkennen, wo nicht präzisiert wird, daß die geplante Sicherheitsvorschrift “zwingend” sein muß, statt dessen die Bezeichnung obligatoires im französischen Text fällt. Bei der Definition des Dienstleistenden sehen wir uns den Reisevermittler an; der französische Text spricht von dem agent de voyage, während der englische Text die treffendere Kategorie des tour operator benutzt, Artt. 3 und 4. Gleichermaßen ist Art. 5 beschaffen, in welchem bei der Beschreibung des “immateriellen22 finanziellen Verlustes” der dem entgangenen Gewinn entspricht, nach dem englischen Text der intangible financial loss beschrieben wird, der dem 20
Sog. pure economic loss. Siehe dazu die Anmerkung unten, Anm. 102. 22 Im Deutschen auch “ideell”. 21
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2. Die Dienstleistungsrichtlinie für den Binnenmarkt
economic loss entsprechen soll, welches ein verabscheuungswürdiger Irrtum ist, wie wir von den englischen Richtern wissen.23
2. Die Dienstleistungsrichtlinie für den Binnenmarkt Das Eingreifen der Gemeinschaft im Bereich der Dienstleistungen mit einer allgemeinen Richtlinie24 ist daher nicht nur für das Gemeinschaftsrecht relevant, sondern auch für das nationale Recht, weil diese wie eine eigene Rechtsordnung für diesen Bereich wirkt, auf die sich alle Dienstleistungen beziehen. Der Wert dieses Tätigwerdens ist somit zweifach: diese neuen Vorschriften betreffen sowohl grenzüberschreitende wie auch interne Dienstleistungen. Vor allem liegt hier eine “Rahmen”- Richtlinie vor, die nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht beabsichtigt, detaillierte Vorschriften zu machen, und auch nicht die vollständige Harmonisierung aller auf Dienstleistungen anwendbarer Normen in den Mitgliedstaaten. Der Gesetzgeber erkennt ausdrücklich “die Besonderheiten einzelner Tätigkeiten und Berufe” an.25 Insbesondere anerkannte der Entwurf die Selbstverwaltungsregeln der reglementierten Berufe.26 Der Entwurf sah die Überarbeitung der von den Vertretungen der freien Berufe akzeptierten Standesregeln vor.27 Der Modernisierungsprozeß, in den sich dieser Entwurf einfügte, erfordert eine Vereinfachung der Verwaltungsvorschriften für diese Tätigkeiten, und damit eine Abschaffung von internen Barrieren, die Garantie der freien Zirkulation von Dienstleistungen und die Harmonisierung des Rechts auf diesem Sektor. Dieser Entwurf vervollständigte den damaligen Entwurf einer Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung von beruflichen Ausbildungen vom 7.3.2002.28 Gleichermaßen kann man hinzufügen, daß sich der Entwurf mit der Sicherheit der 23
Alpa G (2001) Il diritto dei consumatori. Der hier besprochene Entwurf hat inzwischen zu einer Richtlinie geführt, die derzeit in den Mitgliedstaaaten umgesetzt wird. Vgl. Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt. Zum Umsetzungsprozeß siehe Koeck H F und Karollus M M, Hrsg. (2008) The new Services Directive of the European Union - Hopes and Expectations from the Angle of a (further) Completion of the Internal Market. FIDE XXIII Congress Linz 2008, Congress Publications Vol.3. 25 Vgl. Abs 7 der Präambel der o.g Richtlinie bzw. “la proposition reconnaît les spécificités de chaque profession ou domaine d'activité”, Nr. 3a) des Entwurfs, Seite 9 der französischen Textes, z.B. unter http://etuce.homestead.com/Campaign_Directive_Services/FR/CommissionProposalServ iceDirective_com2004_0002fr01_FRA.pdf. Seite 10 des deutschen Textes unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2004:0002:FIN:DE:PDF. 26 Vgl. Text des Entwurfs, ibid. 27 In den Artikeln 29 und 39. 28 KOM (2002) 119 endg.; Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, ABl. Nr. L 255 vom 30.9.2005 S. 22. 24
Teil 3 Kapitel 2 Dienstleistungen
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Dienstleistungen beschäftigt, mit unlauteren Geschäftspraktiken (wofür eigens eine Richtlinie ausgearbeitet wurde) und einige grundsätzliche Fragen aufwirft, auf die Regierungen der Mitgliedstaaten, sowie Interessenverbände der Dienstleister wie auch der Empfänger antworten sollten,29 vor allem, um einen Katalog von Rechten der Dienstleistungserbringer und -empfänger zu erstellen. Insbesondere nahm der Entwurf, wie später die Richtlinie, eine Definition des Begriffs Dienstleistung vor. Eine solche war “jede von Artikel 50 EG-Vertrag erfaßte selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit, bei der einer Leistung eine wirtschaftliche Gegenleistung gegenübersteht.”30 Der Entwurf sah unter anderem eine Vereinfachung des Zulassungsverfahrens von Dienstleistungen vor, Art. 5, erleichterte Informationen für Anbieter und Empfänger, Art. 7, und allgemeine Regeln für die Genehmigung von Dienstleistungen, Art. 9 ff. Dies sollte der Förderung des freien Austauschs von Dienstleistungen dienen, unter Anwendung des Prinzips der Ursprungslandes, Art. 16 ff., sowie Anforderungen an die Qualität von Dienstleistungen. Der Entwurf sah zu letzterem Aspekt vor, daß die Informationen über den Dienstleister, sofern es sich um regulierte Berufe handelt, von den berufsständischen Vereinigungen zur Verfügung gestellt werden, wo der Dienstleister registriert ist, und über den Mitgliedstaat, in dem die Leistung erhalten wird. Der Entwurf sah auch eine Liste mit verbindlichen Informationen über die Niederlassungen der Dienstleister, deren Allgemeine Geschäftsbedingungen, örtliche Handelsbräuche und Vertragsklauseln zum anwendbaren Recht und Gerichtsstand vor. Im Falle der Ausübung gewerblicher Tätigkeiten sah der Entwurf eine verbindliche Haftpflichtversicherung für den Dienstleistenden vor, für den Fall, daß die Erbringung “ein besonderes Gesundheits- oder Sicherheitsrisiko oder ein besonderes finanzielles Risiko für den Dienstleistungsempfänger darstellen;“31 diese Versicherungspflicht könne auch durch gleichwertige Garantien ersetzt werden. Es wurde vorgeschlagen, das Werbeverbot für die reglementierten Berufe aufzuheben, Art. 29, und die Kontrolle solcher Werbung [„kommerzielle Kommunikation“] solle der Unabhängigkeit, Würde und Integrität dieser Berufe entsprechen; deshalb müsse das Berufsgeheimnis jeweils gewahrt bleiben. Der Entwurf wollte auch die freie Ausübung multidisziplinärer Tätigkeiten unterstützen, nahm aber in Kauf, dass, in Abweichung von diesem allgemeinen Grundsatz, den reglementierten Berufen Begrenzungen auferlegt werden müßten,
29
Vgl. zu den in Deutschland z. B. im Bereich der Gesetzgebungskompetenz im föderalen Staat aufgeworfenen Fragen eingehend Calliess C (2008) Länderbericht "Germany", in: The new Services Directive of the European Union - Hopes and Expectations from the Abgle of a (further) Completion if the Internal Market. FIDE XXIII Congress Linz 2008, Congress Publications Vol.3, Koeck H F und Karollus M M, Hrsg., 117-43. 30 Art. 4 Abs 1. Vgl. Text der späteren Richtlinie 2006/123/ EG, Amtsblatt L 376 vom 27.12.2006: “jede von Artikel 50 des Vertrags erfasste selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird”. 31 Vgl. z.B. Abs. 63 der Präambel des Entwurfs.
356
2. Die Dienstleistungsrichtlinie für den Binnenmarkt
„wenn es erforderlich ist, um die Einhaltung der verschiedenen Standesregeln im Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen Berufe sicherzustellen“.32 So ist auch eine Zertifizierung der Qualität von Dienstleistungen durch unabhängige „Einrichtungen“ vorgesehen, Art. 31. Die Berufsverbände sind aufgefordert, auf Gemeinschaftsebene zusammenzuarbeiten, im Interesse der Qualitätssicherung, insbesondere um der Anerkennung dieser Qualität willen. Es wurden weiterhin Möglichkeiten zur Erleichterung von Beschwerden und Streitbeilegung erwogen. Schließlich schlug der Entwurf auch einen EU-weiten Verhaltenskodex vor, der unter Wahrung der jeweiligen Besonderheiten die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und das Berufsgeheimnis der freien Berufe garantieren sollte. Im Hinblick auf den Markt der freien Berufe war der Entwurf sicherlich weniger invasiv als derjenige der Direktion Wettbewerb,33 der seinerzeit geprüft und heftig kritisiert wurde. Die Europäische Juristenvereinigung, CCBE,34 nahm den Entwurf wohlwollend auf, ohne die kritischen Aspekte betreffend die Rechtsberufe in den einzelnen Rechtsordnungen zunächst geprüft zu haben. In Anbetracht der Richtlinien über freie Berufe, die schon in Kraft waren, nämlich die Richtlinien über die Ausübungsfreiheit35 und Niederlassungsfreiheit36 wies die CCBE auf die von ihr bereits ausgearbeitete Charta über die Berufsethik hin und stellte die Einführung von Regeln über Berufshaftpflichtversicherung zur Diskussion.37 Es ist darüber hinaus von Seiten der CCBE wünschenswert, daß die hier untersuchte Richtlinie nicht zu Beeinträchtigungen bei der Erteilung von Zeugnissen und anderen Dokumenten führt, die in den Rechtsberufen ausschlaggebend sind. Diese Besorgnis wurde mit dem Vorschlag des „einheitlichen Ansprechpartners“ gelöst, Art. 6, bei dem der Dienstleister alle Verfahren, Formalitäten und anderen Erfordernisse zur Aufnahme seiner Tätigkeit abwickeln kann, welche notwendigerweise diejenigen der jeweiligen Verwaltungsbehörden der zugehörigen Rechtsordnung sind. Ähnlich ist die Ratlosigkeit bezüglich der Haftpflichtversicherung, die in allen Ländern gelten soll, in denen die Rechtsberufe ausgeübt werden. Andere Probleme betreffen die Rechtsform, in der diese Leistungen erbracht werden – sie ist je nach Land unterschiedlich – und die Anwendung des Prinzips der NichtDiskriminierung im Hinblick auf verbindliche Gebührenordnung, also feste Tarife, Art. 15, und die Vertraulichkeit, das Berufsgeheimnis. Hierzu gesellen sich als problematisch ebenso die Vorschriften über die Qualität der Dienstleistungen, vor allem die Berechung der Kosten, welche für den Anwalt nicht vorhersehbar sind, wie auch die Verwendung öffentlicher Werbung, die in einigen Ländern gar nicht erlaubt ist. Wenn zudem eine multidisziplinäre Tä32
Art. 30 Abs 1 a) des Entwurfs und näher unten 5. Vom 9.2.2004, KOM (2004) 83 endg. 34 Council of the Bars and Law Societies of the European Community. Vgl. die Carta der CCBE (1988) über die Berufsregeln der Rechtsberufe unter http://www.ccbe.org. 35 77/249 vom 22.3.1977. 36 98/5 vom 16.2.1988. 37 Siehe oben Anm. 34. 33
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tigkeit ausgeübt wird (wenn auch in den vom EuGH in Wouters gesetzten Grenzen),38 erfolgt die Qualitätssicherung für die Leistungen des Anwalts (welche bei der Erlangung des Titels, der Zulassung zum Beruf und der anschließenden Fortbildung erforderlich ist) schlicht durch Informationen über die Vertrauenswürdigkeit des Juristen, die wiederum oft durch das Berufsgeheimnis geschützt sein können. Die interessierten Institutionen – darunter der CNF39 – haben deshalb viel Arbeit auf die Kommentierung und Beschreibung der Probleme und, wenn möglich, auch deren Lösung vor dem Inkrafttreten der Richtlinie verwandt. Seitdem wurden folgende Grundwerte überprüft: die traditionellen Grundwerte der Rechtsberufe, die Vereinbarkeit von Wettbewerbs- und Marktprinzipien mit der Ausübung der freien Berufe, insbesondere der Rechtsberufe, und schließlich mit den jeweiligen nationalen Regelungen, die der Richtlinienentwurf ausdrücklich anerkennt, und deren Beachtung ein Abweichen von den dort vorgeschlagenen allgemeinen Grundsätzen rechtfertigen kann.40
3. Der Austausch von Dienstleistungen und das Wettbewerbsrecht Die Artikel 3(c) und 14 des EG Vertrages sehen als Ziel der Gemeinschaft die Schaffung des einheitlichen Marktes vor: ein Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Austausch von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gesichert ist, auch durch die Beseitigung von Hindernissen innerhalb der Mitgliedstaaten. Das eigentliche Ziel ist die Erlangung der Vorteile, die aus dieser Integration entstehen, durch die freie Zirkulation von Produkten oder Produktionsmöglichkeiten, wodurch ein steigendes Wettbewerbsniveau gesichert wird, sowie die Schaffung von Synergieeffekten. Der EG Vertrag sieht ein differenziertes System für den Austausch von Waren und Dienstleistungen im Binnenmarkt vor. Die Artikel 28 und 29 verbieten den Mitgliedstaaten quantitative Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen mit entsprechender Wirkung. Die Artikel 49-55 EV schaffen den rechtlichen Rahmen für den Bürger, um seine Tätigkeiten auf einer nicht-permanenten Basis in einem jeweils andern Mitgliedstaat auszuüben.
38
Rechtssache C-309/99. [Consiglio Nazionale Forense, die italienische Anwaltsvereinigung und -vertretung, dessen Präsident Prof. Alpa ist.] 40 Der CNF hat gemeinsam mit den französischen und spanischen Berufsverbänden auf einer Konferenz am 2.-4. Oktober 2008 die Absicht bekräftigt, einen Katalog von Berufsregeln für die Anwaltschaften romanischer Tradition zu erarbeiten, vgl. Bulletin vom 3.10.2008 “Avvocati: Italia, Francia e Spagna verso un codice di condotta comune”, unter http://www.consiglionazionaleforense.it/visualizzazioni/vedi_dettagli.php?areanumber=2 3&idmessaggio=5328. 39
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3. Der Austausch von Dienstleistungen und das Wettbewerbsrecht
Die Gründe, die diese differenzierte Lösung nahelegten, sind historisch bedingt, sowohl praktisch als auch politisch: praktisch, da die Erschaffung eines einheitlichen Systems große Schwierigkeiten aufgeworfen hätte und politisch, aufgrund des Widerwillens der Mitgliedstaaten, ihre Regelungshoheit auf dem Gebiet der Kapitalmärkte zu delegieren.41 Die korrekte Rahmengesetzgebung für die hier untersuchten Probleme setzt eine Klärung der beabsichtigten Auswirkungen auf eine (vertikale) Aufteilung der Normsetzungsbefugnis unter der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten im Bereich des freien Leistungsaustauschs voraus. Insbesondere gibt es eine direkte Beziehung zwischen dem Anwendungsbereich der Regeln über den freien Austausch und dem Grad der Zentralisierung des Normengefüges der Gemeinschaft: eine weitgefaßte Auslegung bevorzugt ein einheitliches und zentralisiertes System, während die restriktivere Auffassung zu der Bildung eines dezentralisierten Systems föderalistischer Prägung führt. Die Vorzüge und Grenzen, die mit der Wahl des einen oder anderen Modells verbunden sind, sind bekannt. Die Konzentration der Normsetzungsbefugnis begünstigt politische und wirtschaftliche Stabilität, Reduktion von Transaktionskosten der privaten Akteure und ist besser geeignet, den Verzerrungen abzuhelfen, die mit den Imperfektionen des Marktes einhergehen. Sie kann allerdings auch zu einer übermäßigen Vereinheitlichung in einer Gemeinschaft führen, die durch einen lokalen Partikularismus des Marktes gekennzeichnet ist, was wiederum im Widerspruch zu den Erfordernissen einer internationalen Ausrichtung steht. Die Schaffung von Harmonisierungsregeln schafft andererseits ein Modell, welches sich nur schwer den wechselhaften Anforderungen der Märkte anpaßt, und von den Ansprüchen der Marktteilnehmer weit entfernt ist.42 Die Erfahrungen mit föderalen Systemen haben die Vorzüge der Dezentralisierung bewiesen, die vom Grundsatz der Subsidiarität geleitet wird. Die Abwesenheit eines einheitlichen Normgefüges fördert den Wettbewerb unter den nationalen und sogar regionalen europäischen Rechtsordnungen, was eine gegenseitige Kenntnisnahme der jeweiligen Erfahrungen ermöglicht, und die Wahlmöglichkeiten für Konsumenten, Arbeitnehmer und private Unternehmen erhöht.43 Es erscheint daher wünschenswerter, die Aufteilung der Kompetenzen zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten nicht von vornherein im Sinne eines vorgefertigten Modells zu bestimmen, sondern die Merkmale des jeweiligen Regelungsbereichs zu bestimmen und dabei einer Konzentration zu bevorzugen unter Beachtung der erhöhten Transaktionskosten oder sog. “negativen Externalitäten”. 41
Behrens P (1992) Die Konvergenz der wirtschaftlichen Freiheiten im europäischen Gemeinschaftsrecht, Europarecht 27 (2), 145 - 62. 42 [Consociati, welche heute gern als stakeholders bezeichnet werden.] 43 Easterbrook, F. H. (1994) "Federalism and European Business Law." International Review of Law and Economics (14) 125-132, 127; Koop, M. J. (1993) "Institutional Competition versus Centralisation: Quo Vadis Europe?" Oxford Review of Economic Policy (9) 15-30, 17; Ogus, A. (1999) "Competition between National Legal Systems: A Contribution of Economic Analysis to Comparative Law." ICLQ (48)(2), 405, 408.
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3.1 Quantitative Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung. Dassonville und Cassis de Dijon Im normativen Konzept des EG Vertrages ist die konkrete Definition des freien Austausches von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen der Kommission und dem Gerichtshof zugewiesen. Wenn man die bisher von der Kommission ergriffenen normativen Maßnahmen besonders ab der Mitte der sechziger Jahre betrachtet, muß man das Augenmerk auf die verschiedenen Vorabentscheidungen des Gerichtshofes in Bezug auf die Definition der den Freiheiten auf dem Binnenmarkt zugrundeliegenden Kriterien richten. Die Rolle des Gerichtshofs bei der Definition des Anwendungsbereichs der Rechte aus dem freien Waren- und Dienstleistungsaustausch ist darauf beschränkt, sicherzustellen, daß Güter, die aus einem anderen Mitgliedstaat stammen, mit nationalen Gütern gleichgestellt konkurrieren.44 Dies hat der Gerichtshof zwar nicht ausdrücklich festgelegt, verfolgt diesen Ansatz jedoch bei der praktischen Anwendung der Regeln des EG Vertrages, so daß diesen wechselnde Bedeutungen gegeben wurden. Die ursprüngliche Auslegung des EuGH in Dassonville45 hatte den Anwendungsbereich der Art. 28 und 29 des EG Vertrages46 auf Maßnahmen gleicher Wirkung wie quantitative Ein- und Ausfuhrbeschränkungen festgelegt, bezogen auf “jede wirtschaftliche Vorschrift eine Staates, die direkt oder indirekt, tatsächlich oder potentiell, den innergemeinschaftlichen Handel behindert.” Eine generelle Ausnahme von der Regel aus Dassonville wurde vom EuGH in dem bekannten Fall Cassis de Dijon47 angenommen, wo entschieden wurde, daß Hindernisse des freien Warenaustauschs auf dem Binnenmarkt, die auf Unterschiede in den nationalen Produkthandelsvorschriften beruhen, insoweit hingenommen werden müssen, als diese durch zwingende Erfordernisse wie eine effiziente steuerliche Kontrolle, das öffentliche Wohl, die Lauterkeit des Handelsverkehrs sowie den Verbraucherschutz bedingt sind.48 Die praktische Anwendung der in Dassonville und Cassis entwickelten Grundsätze hat in der Folge zu einer fortwährenden Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Artikels 28 EGV geführt, wobei auch nationale Vorschriften, die nicht direkt diskriminierender Natur sind, den Vertrag verletzen können.49 Diese gewandelte Auslegung hat unter anderem viele Zweifel an der Legitimität der Rolle des Gerichtshofs geschürt. Vor allem unter Einschluß einer politischen Wertung verbirgt eine Überprüfung der Legitimität einer nationalen Gesetzgebung nach Art. 28 EGV und der Verhält44
Snell J (2000) "True Proportionality and the Movements of Goods and Services" EBLR (11) 50, 52. 45 Rechtssache 8/74. 46 Damals Art. 30 und 36 EGV. 47 Rechtssache 120/78. 48 Vgl. deutsche Übersetzung des Urteils unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:61978J0120:DE:HTML. 49 Vgl. Rechtssachen 60 und 61/84.
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3. Der Austausch von Dienstleistungen und das Wettbewerbsrecht
nismäßigkeit von Maßnahmen des nationalen Gesetzgebers nur schlecht die nichtrepräsentative Natur des Gerichtshofs und des ihm eingeräumten Ermessens. Über die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips durch den Gerichtshof ist an anderer Stelle hervorgehoben worden, wie unzureichend die Ermittlungsbefugnis des EuGH ausgestattet ist, nach geeigneten alternativen Mitteln für die Erreichung des vom nationalen Gesetzgeber vorgesehenen Zwecks zu suchen,50 vor allem dann, wenn diese Mittel vielfältigen Zwecken gleichzeitig dienen und daher nicht einfach zu bestimmen sind.51 Unklarheit hat sich auch bei der praktischen Anwendung der in Cassis festgelegten Kriterien ergeben, bei der konkreten Subsumierung eines Tatbestandes unter die oben beschriebenen Ausnahmekriterien zum Verbot der quantitativen Beschränkungen.52 Außerdem wurde angemerkt, daß eine weite Auslegung des Art. 28 (früher Art. 30) zu negativen Reaktionen von Seiten der Unternehmen, der nationalen Richter und selbst des EuGH führt, die sich gern durch kontroverse Debatten, auch vorgeschützte Argumente, dagegen auflehnen, und zwar in Bezug auf die Anwendung dieser Grundsätze auf nationale Gesetze, die den innergemeinschaftlichen Warenaustausch nur geringfügig behindern. Die sich daraus ergebende Erhöhung der bei nationalen Gerichten und beim EuGH anhängigen Rechtssachen trägt unter anderem auch zu höheren Kosten für die Marktteilnehmer bei. 53 Die erhöhte Zahl an Gerichtsentscheidungen auf Gemeinschaftsebene vermindert zudem den Rechtsschutz der Bürger durch die verlängerte Zeit, innerhalb derer eine Entscheidung zu erwarten ist, und schließlich dadurch, daß es schwieriger geworden ist, die von der Rechtsprechung festgestellten Grundsätze anzuwenden.54
50
Bùrca G d (1993) "The Principle of Proportionality and its Application in EC Law" Yearbook of European Law 13 105-50, 108 und 127. 51 Dieses Problem wurde von den Richtern selbst erkannt, Lenaerts K (1992) "Some Thoughts About the Interaction Between Judges and Politicians in the European Community" YEL 12 1, 12; Due O (1996) Dassonville Revisited or No Cause for Alarm. Legal Reasoning and Judicial Interpretation of European Law. Essays in Honour of Lord Mackenzie-Stuart. Campbell A et al, 27. 52 Steiner, J. (1992) "Drawing the Line: Uses and Abuses of Article 30 EEC." Common Market Law Review (29) 749, 759. 53 White, E. (1989) "In Search of the Limits to Article 30 of the EEC Treaty." CML Rev (26) 235, 238; Jarvis, M. A. (1998) The Application of EC Law by National Courts: The Free Movement of Goods, 129-132. 54 Jacque, J. P. and J. H. H. Weiler (1990) "On the Road to European Union – A New Judicial Architecture: An Agenda for the Intergovernamental Conference." CML REv (29) 185, 188; Kapteyn P J G (1994) The Court of Justice of the European Communities after the Year 2000, in: Institutional Dynamics of European Integration: Essays in Honour of Henry G. Schermer, Curtin D and Heukels T, Hrsg., 2, 137; Koopmans, T. (1991) "The Future of the Court of Justice of the European Communities." YEL (11) 15, 16; see also Snell, J. and M. Andenas (2003) Exploring the outer Limits: Restrictions on the Free Movement of Goods and Services. Services and Free Movement in EU Law, M. Andenas and W. H. Roth (Hrsg.), 69-140.
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Schließlich scheint die weite Auslegung der Abweichung des Art. 28 EGV auch im Widerspruch zum Subsidiaritätsprinzip zu stehen, welches das Eingreifen der Gemeinschaftsorgane auf Fälle beschränkt, in denen einzelne Mitgliedstaaten keine angemessene Umsetzung durchführen können,55 und mit den derzeitigen Leitlinien der Entwicklung der Gemeinschaft. Mit Blick auf die Arbeit des soeben zitierten Autors muß man festhalten, daß im Laufe der letzten Jahre die Ausweitung des Wirkungsbereichs des Gemeinschaftsrechts eine lebhafte Debatte um die Grenzen der Kompetenzen der Gemeinschaft entfacht hat, welche indirekt die Neigung zur Einflußnahme des Gerichtshofs reduziert hat.56 3.2 Die Änderung der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Fall Keck Die Zeit war reif für eine Überprüfung und Präzisierung der Leitlinien des Gerichtshofs für die Auslegung von Art. 28 EGV. Mit der Entscheidung im Fall Keck57, deren Nachwirkungen von Eric L. White58 beschrieben worden sind, hat der Gerichtshof in Anwendung der von Generalanwalt Tesauro aufgestellten Grundsätze in Hünermund59 seine vorherige Beurteilung aufgegeben, indem Maßnahmen, die die Beschränkung oder das Verbot der Verkaufsmodalitäten von aus anderen Mitgliedstaaten stammenden Produkten betrafen, vom Anwendungsbereich des Art. 28 EGV ausgenommen wurden. Nach Ansicht des EuGH sind solche Maßnahmen nicht geeignet, den Marktzugang für Produkte zu behindern und ein wesentliches Hindernis in Gestalt der nationalen Produkte zu schaffen, gestützt auf eine dreistufige Argumentation.60 Die nationalen Vorschriften müssen im Gegenteil auf alle Unternehmer angewandt werden, die im jeweiligen nationalen Gebiet die in Frage stehende Tätigkeit ausüben wollen (Keck, Absatz 16). Um dem Verbot des Art. 28 EGV zu entgehen, darf eine nationale Vorschrift auf keinen Fall einem Anbieter aus einem anderen Mitgliedstaat den Marktzugang in dem Staat verwehren, in dem eine Norm gilt, welche nicht auch in der gleichen Weise ein Hindernis für inländische Anbieter darstellt.61
55
Bernard, N. (1996) "The Future of European Economic Law in the Light of the Principle of Subsidiarity." CML Rev (33) 633-66, 653, 654. 56 Dashwood, A. (1996) "The Limits of European Community Powers." EL Rev (21) 113; Maduro, P. M. (1998) We the Court; Weiler, J. H. H. (1997) "The Reformation of European Constitutionalism." JCMS (35) 123 – 127. 57 Rechtssachen C-267/91 und C-268/91. 58 White, E. L. (1989) "In Search of the Limits to Article 30 of the EEC Treaty." CML Rev (26) 235, 246-47. 59 Rechtssache C-292/92, Hünermund gegen Landesapothekerkammer. 60 Absätze 13,16 und 17 des Urteils Keck, vgl. Oliver, P. (1996) The Free Movement of Goods in the European Community, 103; [vgl. ders. 4. Aufl. 2003.]. 61 Stellungnahme des Generalanwalts van Gerven in der Rechtssache C-4021/92 und C402/92 Tankstation Heuksehof v. Boermans [1994] ECR I-2199, Abs. 21.
362
3. Der Austausch von Dienstleistungen und das Wettbewerbsrecht
Die Vorschriften müssen darüber hinaus unterschiedslos anwendbar sein, und zwar sowohl rein normtechnisch wie auch materiell auf den Absatz inländischer, sowie aus anderen Mitgliedstaaten importierter Produkte.62 Schließlich dürfen die Vorschriften nicht darauf gerichtet sein, den Güteraustausch zwischen den Mitgliedstaaten zu beschränken, andernfalls fallen sie wieder in den Anwendungsbereich des Art. 28 EGV.63 Das Konzept der Maßnahmen gleicher Wirkung (wie eine mengenmäßige Importbeschränkung) leitet sich aus dem Diskriminierungsgedanken ab, indem es diejenigen Normen, die Produkteigenschaften regeln, von solchen unterscheidet, die Verkaufsbedingungen regeln, – wie in den Rechtssachen C-470/93 und C368/95 – und dabei sowohl eine Doppelbelastung der Unternehmen wie auch die vom nationalen Gesetzgeber angestrebten Effekte in Betracht zieht. Vorschriften des erstgenannten Typs unterfallen aufgrund einer generellen Vermutung dem Art. 28 EGV, sofern Produkte, die alle Vorschriften des Ursprungslandes erfüllen, auch noch jene des Importlandes erfüllen müssen. Diese Vermutung gilt nicht für Vorschriften, die Verkaufsmodalitäten regeln, deren Rechtmäßigkeit daran gemessen werden muß, ob ihre Anwendung “unter normtechnischen und materiellen Gesichtspunkten” nicht zwischen Produkten nationaler Herkunft und importierten Gütern diskriminieren, im Sinne des in der Entscheidung angenommenen Konzeptes.64 Der Fall Keck bestätigt die allgemeine Haltung des EuGH, der ein dezentralisiertes System bevorzugt, in dem die Überprüfung der Vereinbarkeit von nationalen Normen mit Art. 28 EGV auf diejenigen Vorschriften beschränkt ist, die auf die Aufteilung von Märkten gerichtet sind.65 3.3 Der freie Austausch von Dienstleistungen: der Fall Alpine Investments In jüngerer Zeit ist auch oft gefragt worden, wie sich die Grundsätze aus dem Fall Keck mit der Auffassung des Gerichts in den Fällen Alpine Investments66 und Bosman67 im Hinblick auf den freien Warenaustausch und die Freizügigkeit von Arbeitnehmern vereinbaren lassen. 62
Abs.16, und vgl. Oliver P (1996) The Free Movement of Goods in the European Community, 105-06. 63 Abs. 12 des Keck -Urteils, vgl. auch Roth W H (1994) "Joined Cases C-267 and C268/91, Bernard Keck and Daniel Mithouard; Case C-292/92, Ruth Hünermund et al v Landesapothekerkammer Baden-Württemberg." CML Rev. (31) 845. 64 Joliet R (1994) "Der freie Warenverkehr: Das Urteil Keck and Mithouard und die Neuorientierung der Rechtspechung" Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht International, GRUR Int., (12) 979-987; Bernard N (1996) "Discrimination and Free Movement in EC law." ICLQ (45)(1) 82-108, 91-93. 65 Joliet, op.cit, Anm. 64. 66 Rechtssache C-284/93 Alpine Investments BV v Minister von Finacien. 67 Rechtssache C-415/93 Union Royale Belge des Sociétés de Football ASBL v Jean Marc Bosman.
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Diese Entscheidungen sind Ausdruck einer neuen Auslegung der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, und sie bevorzugt eine Auswertung der Auswirkungen von nationalen Vorschriften auf den Marktzugang von Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten. Die Unrechtmäßigkeit der nationalen Vorschriften ergibt sich aus der Fähigkeit dieser Vorschriften, Hindernisse für den direkten Marktzugang darzustellen, es sei denn, sie wären nach den in Cassis aufgestellten Grundsätzen gerechtfertigt. Im Falle Alpine ergeben sich außerdem zwei weitere mögliche Auslegungen des Erfordernisses des Marktzugangshindernisses, indem das Vorliegen entweder auf die Ermittlung der konkreten Auswirkung der fraglichen Norm oder auf die innergemeinschaftliche Natur der auferlegten Beschränkung bezogen ist. Im Sinne der ersten Auslegungsmethode kann man beobachten, wie der Gerichtshof feststellt, daß eine nationale Vorschrift eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EGV darstellt, sie “nimmt den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern jedoch ein schnelles und direktes Mittel der Werbung und der Kontaktaufnahme mit potentiellen Kunden in anderen Mitgliedstaaten”,68 womit eine Untersuchung der Auswirkungen einer Maßnahme auf den Marktzugang eingeleitet wird. Diese Lesart erscheint durch die Stellungnahme des GA Jacobs im Fall Leclerc-Spilec69 bestätigt, wo unter Bezug auf die Fälle Dassonville, Cassis und Keck ein Leitprinzip gefunden wurde, nach dem allen Unternehmen, die in einem Mitgliedstaat einer wirtschaftlichen Tätigkeit rechtmäßig nachgehen, der Binnenmarkt frei zugänglich sein sollte, solange kein triftiger Grund besteht, ihnen den vollen Zugang zu einem Markt zu verweigern. Hierauf aufbauend wird auch bestätigt, daß Art. 28 einheitlich auf solche tatsächlichen Beschränkungen angewandt werden muß, wenn man die Einführung einer de minimis Regel auf den vom EG Vertrag anerkannten freien Austausch unterstützt und einen übermäßigen Eingriff in die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten verhindern will. Dieses letztere Kriterium sollte auch einheitlich auf nationale Vorschriften, die Verkaufsmodalitäten festlegen, angewandt werden, und nicht auf Maßnahmen, die offen Produkte aus anderen Mitgliedstaaten diskriminieren, und die gerade deswegen verboten sein müssen. Trotzdem scheint der Fall Alpine die zweite Auslegungsmethode zu favorisieren, in der der Gerichtshof die Rechtswidrigkeit einer nationalen Vorschrift bestätigt hat, sofern sie “unmittelbar den Zugang zum Dienstleistungsmarkt in den anderen Mitgliedstaaten [beeinflußt]”,70 und hat dies mit den Erwägungen im Fall Bosman bestätigt.71
68
C-284/93, Abs 28. Rechtssache C-412/93. 70 Rechtssache C-384/93, Abs. 38. 71 Rechtssache C-415/93, Abs.104. 69
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3. Der Austausch von Dienstleistungen und das Wettbewerbsrecht
3.4 Das Recht des freien Austauschs von Waren und Dienstleistungen Die Entscheidungen in Alpine und Bosman sind vor allem deshalb kritisiert worden, weil der Gerichtshof darin nicht die Beziehung zu den in Keck aufgestellten Grundsätzen erklärt hat. Obschon das Gericht sich mit der Unterscheidung der Fakten der zitierten Entscheidungen beschäftigte, hat es nicht die Gelegenheit ergriffen, zu klären, ob der freie Austausch jeweils unterschiedlich nach seinem Objekt (also Waren, Dienstleistungen oder Arbeitnehmer) beurteilt werden muß, oder ob die Fälle Alpine und Bosman als Weiterentwicklung der in Keck aufgestellten Doktrin zu verstehen sind. Die letztere Schlußfolgerung scheint GA Tesauro in Fall Familiapress72 gezogen zu haben. Der Generalanwalt folgt der Anerkennung von Maßnahmen, die der Gerichtshof als “Verkaufsmodalitäten” vom Anwendungsbereich des Art. 28 EGV ausgenommen hat, und führt eine restriktive Auslegung des Kriteriums aus Keck durch, indem er bekräftigt, daß diese Ausnahme sich nur auf Maßnahmen beziehen kann, die gänzlich allgemeinen Charakter haben und unterschiedslos anwendbar sind, die Importe nicht behindern und zu einer – hypothetischen – Reduzierung der Einfuhren führen können, anders als durch eine Abnahme globaler Verkäufe bedingt.73 Deshalb hielt er die in Keck ausgedrückte Auffassung des EuGH fest, nach der der Umstand allein, daß eine Maßnahme zu einem Rückgang des Importvolumens führen kann, diese noch nicht zu einer Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Importbeschränkung macht.74 Man muß daher wohl im Sinne dieser Kriterien zu dem Schluß gelangen, daß die Anwendung des Art. 28 (früher 30) EGV Maßnahmen betrifft, die direkte oder indirekte Hindernisse für die Einfuhr sind.75 Das Kriterium, das auf dem direkten Marktzugangshindernis fußt, wurde ursprünglich auch kritisiert, weil es im Gegensatz zu der traditionell vom Gerichtshof vertretenen Auffassung von der Bedeutung des Art. 29 (vormals 34) EGV zum Verbot mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen steht, nach der beständig das Kriterium auf der Grundlage der Art der diskriminierenden Eigenschaft einer nationalen Vorschrift angewandt wurde.76 Der Unterschied zwischen den vom EuGH geäußerten Auffassungen in Bezug auf den freien Austausch von Waren und Dienstleistungen ist erkennbar im Urteil
72
Rechtssache C-368/95 Vereinigte Familiapress Zeitungsverlags- und vertriebs GmbH gegen Heinrich Bauer Verlag, [1997] 3 C.M.L.R. 1329. 73 C-368/95, Abs. 10 der Stellungnahme des GA Tesauro. 74 Ibid. Abs 10 und 11. 75 Eeckout, P. (1994) The European Internal Market and International Trade: A Legal Analysis, 270-71. 76 Diese Auffassung wurde zuerst im Fall C-15/79 P.B. Groenveld BV gegen Produktschap Voor Vee en Vlees, [1979] Slg I-3409 ausgesprochen, und in jüngerer Zeit durch die Beschlüsse im Fall C-203/96 Chemische Abvalstoffen Dusseldorp BV u. a. gegen Minister van Volkshuisvesting, Ruintelijke Ordening en Mileubeheer sowie in C-412/97 ED Srl gegen Italo Fenocchio bestätigt.
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Pro Sieben Media,77 in dem der Gerichtshof feststellte, daß eine deutsche Vorschrift, die eine Beschränkung von Sendeinhalten vorsah, nicht gegen Art. 28 EGV verstieß, insofern sie als Regelung der Verkaufsmodalitäten im Sinne der Keck – Entscheidung anzusehen war, jedoch unter Art. 49 fallen und damit zu einer Beschränkung des freien Austauschs von Dienstleistungen führen könne. 3.5 Die neuere Ausrichtung der Rechtssprechung des Gerichtshofs Die Entscheidungen des EuGH in den älteren Fällen De Agostini, 78 Franzén79 und Evora80 haben nicht dazu beigetragen, das Recht des freien Austauschs von Waren und Dienstleistungen erschöpfend zu beschreiben.81 In der De Agostini entschied der Gerichtshof, daß eine schwedische Norm, die an Minderjährige bis zu 12 Jahren gerichtete Werbebotschaften verbot, nicht Art. 28 unterfiel, da sie der Kategorie der Verkaufsbedingungen zuzurechnen sei, im Sinne der in Keck etablierten Auffassung. Der Entschluß, diese Entscheidung nun auf Keck zu stützen, in dem der Tatbestand in Anwendung des Grundsatzes aus Alpine Investments das gleiche Ergebnis erlaubte, verdeutlichte die Neigung des Gerichtshofs, das Kriterium des direkten Marktzugangs nicht auf dem Sektor des Warenaustauschs anzuwenden. Außerdem scheint es schwierig, die Entscheidung in Franzén in einen Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich der im EG Vertrag enthalten Normen über den freien Warenaustausch zu bringen. Der dem Gerichtshof vorgelegte Tatbestand betraf die Rechtmäßigkeit eines schwedischen Gesetzes, welches den Import bestimmter alkoholischer Getränke von einer Produktions- oder Großhandelslizenz abhängig machte, welche von einer nationalen Stelle aufgrund allgemeiner und nicht-diskriminierender Untersuchungen ausgegeben wurde. Das Gericht berief sich erstaunlicherweise auf den ursprünglichen in Dassonville und Cassis aufgestellten Grundsatz, und bekräftigte, daß die Maßnahme verboten sei, da sie sowohl eine mengenmäßiger Begrenzung gleichgestellte Wirkung, sowie auch ein direktes oder indirektes, tatsächliches oder hypothetisches Hindernis für den innergemeinschaftlichen Handel darstellte. Es wurde außerdem entschieden, daß, obwohl die Vorschrift wegen der Absicht des Gesundheitsschutzes nach Art. 39 EGV gerechtfertigt sein könnte, hier nicht bewiesen sei, daß die nationalen Normen in Bezug auf das beabsichtigte Regelungsziel verhältnismäßig waren, und auch nicht gezeigt wurde, daß mit einer Maßnahme von geringerem Gewicht dasselbe hätte erreicht werden können.
77
Rechtssache C-6/98 Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rundfunkanstalten (ARD) v. PRO Sieben Media and others [1999] ECR 1-7599, vorgelegt durch das OLG Stuttgart. 78 Rechtssache C-34/95, C-35/95 und C-36/95 Konsumentombudsmannen (KO) gegen De Agostini (Svenska) Förlag AB und TV Shop i Sverige AB. 79 C- 189/95 Strafsache Harry Franzén. 80 C-337/95 Parfums Christian Dior SA und Parfums Christian Dior BV gegen Evora BV. 81 Eeckout, P. (1998) "Recent Case-law on Free Movement of Goods: Refining Keck and Mithouard." EBLR (9) 267, 270.
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4. Unternehmerveträge, Regulierung und Gebräuche
Eine gründliche Lektüre des Urteils zeigt, wie die Prüfung des Gerichts erfolgt, um zu ermitteln, in welcher Weise eine nationale Vorschrift die Wirkung eines Markthindernisses für Produkte aus anderen Mitgliedstaaten haben kann. Diese Entscheidung könnte auf der Basis der in Keck aufgestellten Kriterien motiviert gewesen sein, dennoch könnte man davon ausgehen, daß der Gerichtshof die Einführung einer de minimis Regel befürwortete, im Sinne der von AG Jacobs angestellten Erwägungen in Leclerc-Siplec. Eine ähnliche Meinung findet sich im Fall Evora82 zur Rechtmäßigkeit des Verbots durch ein holländisches Gesetz, das dem Wiederverkäufer die Werbung für Kosmetik aus Parallelimporten verbot, nach Artt. 28 und 30 EGV. Wir beschränken uns hier auf die Betrachtung der Argumentation des Gerichts, nach der eine solche nationale Maßnahme zu einer Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung durch ein Werbeverbot werden könnte, die “das Inverkehrbringen dieser Waren und somit deren Zugang zum Markt erheblich erschweren würde”.83 3.6 Abschließende Überlegungen Die Entscheidungen in Franzén und Evora können als Ausdruck einer gewandelten Absicht des EuGH gewertet werden, zugunsten eines de minimis Konzepts, um die Auswirkungen der Regeln über den freien Warenaustausch zu begrenzen. Die Festigung dieser Auffassung macht die Analyse der Auswirkung einer nationalen Vorschrift auf den Marktzugang im Bereich des freien Austauschs von Waren und Dienstleistungen zu einem allgemeinen Kriterium. Die Auffassung des Gerichtshofs hat dennoch die verschiedenen Bedeutungen dieses Elements in beiden überprüften Bereichen gezeigt: im Bereich des freien Austauschs von Dienstleistungen konzentriert sich die Prüfung des Gerichts auf die möglichen Hindernisse für den Marktzugang für Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten; im Bereich des freien Warenaustauschs wird hingegen dem Grad der Behinderung für den Marktzugang die größte Wichtigkeit zugemessen, und nicht dessen direkter oder indirekter Natur. Die inkohärente Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH erlaubt nichtsdestotrotz vorsichtige Prognosen über dessen weitere Orientierung.
4. Unternehmerveträge, Regulierung und Gebräuche 4.1 Vorbemerkung und Fragestellung Um vom Grundbegriff zu einer Argumentation zu kommen, müssen wir zunächst den Begriff, die Wortkombination, “Unternehmerverträge” bestimmen. Diese 82 83
C-337/95. Evora, s.o. Anm. 80, Abs. 51.
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werden in “einseitig gewerbliche”, in denen nur ein Vertragspartner als Unternehmer gilt (oder in der Sprache der Gemeinschaft, professionell, oder in Ausübung eines Berufs) und in “zweiseitig gewerbliche”, in denen beide Parteien als Unternehmer oder beruflich handeln. In der Rechtstheorie wird diese Definition von einem wichtigen Hinweis begleitet: es ist nicht sinnvoll und unrichtig, die erste ohne die zweite zu untersuchen; auch wegen ihrer engen Verflechtung (wirtschaftlich, betrieblich, finanziell) sollten die beiden Kategorien gemeinsam analysiert werden, um herauszufinden, ob es Regeln, Grundsätze oder Gebräuche gibt, die sie einander angleichen oder vereinheitlichen, oder sogar miteinander vermischen, so daß man sie konzeptionell und juristisch nicht mehr unterscheiden kann. Die Definition sowie die Theorie sind daher geteilt. Das Wortpaar ist bereits gebräuchlich, gemeinsam mit all den andern Begriffen, mit denen man Vertragstypen einteilt, nach ihrem Gegenstand, dem Rechtsgrund, den Vertragsparteien, nach dem Bereich, auf den sie sich beziehen, nach ihrer Abschlußweise usw. Die Freiheit der Anwender bei der Auslegung hat Vorzüge. Natürlich kann der Jurist seine Kategorien selbst schaffen – deren Erfolg hängt jedoch von der Akzeptanz durch die Gemeinschaft der Anwender ab, von der Verwendbarkeit in der Praxis, und er ist auch darin frei, diese Kategorien wieder fallenzulassen, wenn er meint, daß sie nicht mehr zeitgemäß sind. Es gehört nicht viel dazu, zu beobachten, daß die sprachlichen Absichten, die mitunter aus rein didaktischen Gründen verfolgt werden, sich oftmals in Gesetzgebungstechniken verwandeln und dabei Bedeutungsinhalte (oder -ausschlüsse) voraussetzen, und zu Regeln, Vorschriften, Interessenausgleich oder Lösungen führen. Auch wenn die hier zu untersuchende Wortkombination eine doktrinäre Natur hat, und einen tatsächlichen Wert, in dem Sinne, daß sie lediglich Verträge bezeichnet, die von “Unternehmern” geschlossen wurden, hat sie doch auch einen normativen Wert, in dem Maße, wie eine der “unternehmerischen” Parteien, oder beide, oder beide gemeinsam, die [rechtlichen] Folgen dieser Art von Vertrag tragen. Es ist deshalb nicht damit gesagt, daß diese Klassifizierung Regeln beinhaltet, die Verträge dieser Kategorie gemeinsam sind. Eine genauere Analyse der Spezialgesetzgebung zeigt, daß die Gemeinschaftsregulierung eher Teilgebiete betrifft, in die diese Kategorie unterteilt werden können, wie Regeln über Bankverträge, Finanzmaklerverträge, Versicherungsverträge usw. Dies heißt deshalb auch nicht, daß die Unterscheidung zwischen Verträgen unter Unternehmern (um in der Terminologie der Gemeinschaft zu bleiben) und solchen zwischen Unternehmern und Konsumenten in jedem Falle eine Ausdehnung der Normen des nationalen Rechts bedeutet: es genügt, an das Recht der Investmentdienstleistungen zu denken, oder an die neue verwaltungsrechtliche Disziplin der „Transparenz“ von Bankverträgen, um sich darüber klar zu werden, daß das gemeinsame Gegenüber im Finanz- oder Bankbereich als „Kunde“ bezeichnet wird, ohne daß spezielle Regeln jeweils für Verbraucher oder Gewerbetreibende vorgesehen sind. Auch in geschäftlichen Beziehungen ist die Unterscheidung nicht immer von Bedeutung: um bei demselben Beispiel zu bleiben – die Banken, und zwar nahezu alle, und besonders in dieser Zeit, haben keine gesonderten Fassungen ihrer Verträge für Verbraucher
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4. Unternehmerveträge, Regulierung und Gebräuche
und Gewerbetreibende, sondern sie gelten gleichermaßen für beide, und die Bestandteile sind einheitlich entworfen. Die Formulierung „Unternehmerverträge“ hat daher ihren Anwendungsbereich, beinhaltet aber auch Mehrdeutigkeiten. Diese Mehrdeutigkeit kann weder aus der Systematik des Gesetzes noch aufgrund der Absichten des Gesetzgebers gelöst werden. Wie schon bemerkt, wurde dieser Bereich im einheitlichen italienischen Zivilgesetzbuch von 1942 nach drei Leitlinien organisiert: (i) die Abfassung von „allgemeinen“ Regeln, die zumeist als eine Systematisierung der allgemeinen Vorschriften über den Vertrag betrachtet werden, trotzdem der zweite Titel des Buches über die Obligationen beharrlich von Verträgen im allgemeinen und in der Mehrzahl spricht, (ii) die Schaffung von speziellen Vorschriften nur für „Einzelverträge“; (iii) die Einbindung von besonderen Vertragstypen in andere Bücher, insbesondere Arbeitsverträge, landwirtschaftliche Vereinbarungen, Gesellschafterverträge, Konsortialverträge, die mit verschiedenen Arten von Unternehmen verbunden sind. Hierbei handelt es sich jedoch nur um grundsätzliche Hinweise, denn im Bereich der Einzelverträge bezieht man sich auf den allgemeinen Vertragsbegriff, wie im Kapitel 12 des dritten Titels, der sich auf Bankverträge (die notwendigerweise ein Bankgeschäft voraussetzen) bezieht, oder auf die Versicherungen im allgemeinen, die ein Versicherungsunternehmen voraussetzen. Zudem hat die Verschmelzung des Zivil- und des Handelsgesetzbuchs eine Verdoppelung des Rechts, welches auf dem Status der Parteien basiert, gezeigt (die sog. Zivilverträge im Unterschied zu den Handelsverträgen, auch solche ex uno latere). Es ist jedoch kein nennenswerter Bezug auf der systematischen Ebene hergestellt worden, entgegen der im Bericht angekündigten Absichten. Im Gegenteil: nach dem Bericht zu urteilen, ist die eigentliche Absicht der Kommission, um den Veränderungen in diesem Rechtsgebiet Rechnung zu tragen, “ein perfektes System zu schaffen, das bessere Antworten auf die Anforderungen an ein rationales und wissenschaftliches System liefern würde”,84 vereitelt worden. Der Bericht ist geradezu irreführend, wenn er, nachdem er die Neuheit des Textes herunterspielt, sogar soweit geht, zu bekräftigen, daß “die Einzelverträge, die der codice regelt (…) altertümliche Konstruktionen sind, welche in den vom Römischen Recht geprägten Jahrhunderte entstanden sind, die nichts von ihrer Beständigkeit verloren haben.”85 Glücklicherweise sind die Abweichungen von der romanistischen Tradition unendlich, nicht nur dort, wo neue Rechtsgebiete geregelt wurden, sondern auch dort, wo Grundsätze und Kategorien neuer Prägung anstelle der überkommenen, aber veralteten, eingeführt wurden. Mit der Zeit hat die Praxis viele atypische Verträge hervorgebracht, daher „sozial typisiert“. Hieraus ergeben sich zwei hermeneutische Fragen: ob die allgemeinen Regeln den speziellen vorgehen, und, ob es möglich sein wird, allgemeine Regeln für Unternehmerverträge zu entwickeln. Beide Fragen sind von der Rechtslehre ablehnend beantwortet worden: nach Ansicht von Giorgio De Nova, die weitgehend geteilt wird, muß der Anwender zunächst einmal den Tatbestand aufstellen, unter Beachtung der für den jeweiligen Vertrag geltenden Spezialregeln, und dann erst, wenn sich Lücken ergeben, die Regeln des allgemeinen Vertragsrechts. Was die Ausbildung der Kategorie des Unternehmervertrages betrifft, so hat man es in der Praxis vorgezogen, spezielle Regeln in Bezug auf den jeweiligen Vertrag zu entwickeln, ohne sich mit der Suche nach allen von Unternehmern abgeschlossenen Verträgen gemeinsamen Regeln zu beschäftigen. 84
Commissione reale per la riforma dei codici: Sottocommissione per il codice civile (1936) Codice civile: Quarto libro: Obbligazioni e contratti: progetto e relazione (Bericht der königlichen Kommission zur Reform des Zivilgesetzbuuches 1933-41), 5. 85 Ibid., 45.
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Die Mehrdeutigkeit des Ausdrucks ist auch nicht durch die Untersuchung in ausländischen Rechtskreisen gelöst worden. Das heißt, im Bereich des “Unternehmervertrags” scheint mir die einzige umfassende Klassifikation stets die vom Gemeinschaftsrecht abgeleitete zu sein, die um die Figur des “Professionellen” und des “Verbrauchers” kreist, und manchmal den Anwender zwingt, grobe und sprachlich bedenkliche Vereinfachungen zu akzeptieren – so, wenn die Figur des Gewerbetreibenden gemeinsam mit dem Unternehmer einem Ausübenden eines intellektuellen Berufs gleichgestellt werden, oder bei der Gleichsetzung des Unternehmers mit Freiberuflern. Deshalb fließen andere Fragen in diese Diskussion mit ein: ob sich die Terminologie, Kategorien und Ordnungskriterien an diejenigen, die aus dem Gemeinschaftsrecht stammen, angleichen dürfen, und ob sie ihren Geltungsgrund aufrechterhalten müssen, wie um einer “Identität” des normativen Modells vorzustehen, dessen Ausdruck sie sind; ob sich der Wettbewerb zwischen den Rechtsordnungen auch auf dieser Ebene vollziehen muß; auch, ob man in der Erwartung vorgehen soll, daß sich die “natürliche Konvergenz” der Systeme vollendet, – auf der Basil Markesinis eindringlich besteht – welche ohne die Notwendigkeit externen Eingreifens (erst recht nicht durch Kodifikation auf europäischer Ebene) eine Zirkulation der Modelle, Lösungen und Rechtsbehelfe mit sich bringt, und damit eine schrittweise Harmonisierung der Regeln. Hieraus ergibt sich die abschließende Frage, ob es angebracht ist, diesem Modell der Konvergenz zu folgen, oder ob es besser ist, die Bildung von Rechtsgrundsätzen innerhalb des europäischen Rechtsraums zu beschleunigen, und ob es aussichtsreich ist, echte “Modellgesetze” vorzusehen. Dies sind die Fragen, die Kommission und Parlament, in den letzten zwanzig Jahren auch an Regierungen, sowie Institutionen, Wissenschaftlern und Gewerbetreibenden in verschiedenen Empfehlungen, Entschließungen und Mitteilungen gerichtet haben.86
4.2 Praktische Erfahrungen im Vergleich In Wirklichkeit geht der Konvergenzprozeß, der der “natürlichen” Evolution der europäischen Rechtssysteme anheim gestellt ist, sehr langsam voran, und die Resultate sind nur empirisch feststellbar. Die Kategorisierung scheint voller Schwierigkeiten zu stecken, aufgrund der Verschiedenartigkeit der nationalen Kulturen. Nun lehrt uns die Rechtsvergleichung Vieles, vor allem, daß Terminologie und Kategorien einem hohen Grad von Relativität unterliegen. Relativität der Bedeutung, der zeitlichen Geltung und der Funktion. Anders gesagt, wenn wir nur einmal der Einfachheit halber das französische und das englische Recht betrachten, und diese beiden Modelle als ausreichend bedeutsam annehmen, stellen wir fest, daß es auch in diesen Rechtssystemen ähnliche Kategorien gibt, die analog oder in der Funktion den unseren ähneln. Die Juristen gehen trotzdem so vor, als mache es keinen Unterschied, und denken daher an deren “Anpassung” an neue Erfordernisse, oder sie hinterfragen diese auch bezüglich ihrer Eigenschaften, oder sie behandeln das Problem nicht systematisch, als ob es sich um eine Momentaufnahme bewegter Realität handelte, welches zu einem Aufschub der dogmatischen Ein86
Vgl. COM (2003) 68 endg.; Entsch. 2003-C246/01; Aktionsplan vom 12.2. 2003; aus der Literatur vgl. die Beiträge in Alpa G und Danovi R, Hrsg. (2004) Diritto privato europeo. Fonti ed effetti.
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4. Unternehmerveträge, Regulierung und Gebräuche
ordnung dieser Fragen führt, die im Fluß der wirtschaftlichen Beziehungen absorbiert werden. In einem Abriß der Charakteristika des Droit privé européen anläßlich einer Konferenz beim Centre de recherche en droit des affaires der Université de Reims-ChampagneArdenne87 betrachtete Christophe Jamin das “europäische” Vertragsrecht ausschließlich als Phänomen, das allgemeine Vertragsregeln betrifft, auch wenn seine Untersuchung sich um die Bestätigung der Existenz eines europäischen Rechts der Verträge dreht. Seine Antwort ist jedenfalls negativ, in dem Sinne, daß selbst wenn man “Transplantationen”88 zuläßt, eine Zirkulation von Modellen, eine gemeinschaftliche Lösung bestimmter Probleme, ist der nationale Charakter der Rechtssysteme so stark, daß ein Europäisches Vertragsrecht eher zu einer “Wahl”89 zu führen scheint, als zu Vertrauen in ein realisierbares Projekt.90 Zudem ist er der Ansicht, daß das abgeleitete Gemeinschaftsrecht, also der Komplex der zwingenden Normen im Gegensatz zu den Richtlinien, nicht nur große Lücken und Spielräume aufweisen, sondern darauf hinauslaufen, ganz von klarer geschriebenen, weniger mehrdeutigen Regeln abzurücken, die einfach daraus bestehen, die rechtlichen Konzepte und Absichten zu verbreiten und die nationalen Rechtsordnungen einander anzugleichen. Auch das Vorhaben eines “restatement” von Europäischen Vertragsrechtsprinzipien erscheint wie Arbeit an der Fassade, denn durch die Flexibilität der benutzten und gebräuchlichen Begriffe und Konzepte kann die von den Rechtsanwendern benötigte Rechtssicherheit nicht erreicht werden. In diesem Zusammenhang konzentriert sich Richard Crone auf den Bereich des internationalen Privatrechts, als dem einzigen Regelkorpus, von dem ausgehend man zu einer konsistenteren und erreichbaren Harmonisierung gelangen kann.91 Die Diskussion, mit der die Beschreibung von zivilen und kommerziellen Verträgen beschrieben wird, ist komplexer (entsprechend der Bipolarität der Kodifikationen). Hier wird vollzogen, wie die verschiedenen Phasen, die die französische Vertragsrechtsgeschichte kennzeichnet, den Rechtsanwender zwingen, die ursprünglichen Einordnungen und Typisierungen abzulegen und neue anzunehmen. Wir können mit Francois Collart Dutilleul und Philippe Delebecque feststellen, daß die Gemeinschaftsregeln, die die vom Code Napoléon vorgesehenen Konventionen einhalten, auf der Basis des Einflusses der kanonischen Doktrin, nicht mehr dem Rechtsempfinden zeitgenössischer Juristen entsprechen, weil man in Frankreich vom Vertragsrecht zum Recht der “sehr speziellen, tres spéciaux” Veträge übergegangen ist; auch haben sich zwei Phänomene manifestiert, die in 87
Osman F, Hrsg. (1998) Vers un code européen de la consommation. Codification, unification et harmonisation du droit des Etats-membres de l’Union européenne (Towards a European Consumer Code). 88 [I.S. einer sog. Verpflanzung von Rechtskonzepten von einem nationalen Recht in ein anderes. Das Wortspiel “legal transplant” wird in der englischsprachigen Literatur gern verwendet, zunächst angestoßen von Alan Watson, “Legal Transplants”, Edinburgh 1974; vgl. weiterführende Diskussion über dieses Konzept Legrand P (1997) The Impossibility of “Legal Transplants", Maastricht Journal of European and Comparative Law 4: 111 und Watson A (2006) Legal Tansplants and European Private Law. Alan Watson Foundation Series, http://www.alanwatson.org/legal_transplants.pdf] 89 [Im Sinne von Auswahl unter den vorgegeben Lösungen verschiedener Rechtsordnungen.] 90 Jamin C (1998) Un droit européen des contrats?, in: Droit privé européen- Actes Du Colloque Organisé À Reims Les 30 Janvier Et 1er Février 1997, Vareilles-Sommières P D, Hrsg. 47. 91 Crone R (1998) Problèmes pratiques des contrats européens, in: op.cit Anm. 90, 54.
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eine andere Richtung weisen: das Gemeinschaftsrecht hat sich spezialisiert, während sich das spezielle Recht verallgemeinert hat. Somit “la categorie des contrats commerciaux n’existe pas en tant que telle”, aufgrund des Wirkung der neuen Rechtsquellen, der Rechtsschöpfung durch die Rechtsprechung und des Eingreifens unabhängiger Verwaltungsbehörden.92 Diejenigen französischen Juristen, die sich direkt mit dem Thema einer Kodifikation Europäischer Verträge beschäftigen, sind optimistischer. Aber auch hier tendiert man dazu, die Analyse des Vertrags im allgemeinen den einzelnen Vertragstypen gegenüber zu bevorzugen. Auch wird derzeit nicht nur die Typisierung der Verträge diskutiert, sondern auch das Fundament einer allgemeinen Vertragsrechtstheorie an sich.93 Konkreter sind die Analysen englischer Juristen in Bezug auf den Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf das Wirtschaftsrecht.94 Hier werden im Bereich der “kommerziellen” Verträge alle Probleme von Geldforderungen beschrieben, Probleme des Wettbewerbs, die Regelungen über Einzeltransaktionen, und speziell im Hinblick auf die Vertragsverhältnisse im Lieferverkehr. Es muß andererseits festgestellt werden, daß sich die Kriterien in Bezug auf die Unterscheidung zwischen Verträgen im allgemeinen und besonderen Vertragstypen, sowie zwischen Zivil- und Handelsrecht im Rechtsbereich des common law erheblich von den unseren unterscheiden, denn sie sind empirisch und konkret, und verweigern sich einer Typisierung und vor allem jedweder Systematisierung. So kann man einige Meinungen aufzählen, die in unsern Augen traditionell erscheinen mögen, nach denen es möglich sein soll, ein allgemeines Vertragsrecht auszuarbeiten,95 und denen eine kritische Würdigung gegenübersteht, nach der der Status der Parteien96 für eine einheitliche Regelung ganz unbeachtlich ist.97 Wir finden jedoch auch Neuheiten in Bezug auf Verbraucherverträge. Der soziale Charakter, welcher den ursprünglichen Antrieb für die ersten Richtlinien zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher bildete, ist eine auch am Sitz der Gemeinschaft überwundene Sichtweise, das Verbraucherrecht hat sich dem Schutz des Bürgers an sich zugewandt, und viele auf einzelne Vertragstypen bezogene Regeln sind auf alle Vertragsbeziehungen anzuwenden, was viele Juristen dazu anregt, an die Ausarbeitung eines einheitlichen Europäischen Zivilgesetzbuchs zu denken, welches für alle Vertragsbeziehungen ungeachtet des Status der Parteien gilt.98 Andererseits fassen einige die Harmonisierung der nationalen Regeln des Verbraucherrechts als ein negatives Zeichen auf, weil Harmonisierung auf einem höheren Niveau die nationale Identität bedrängt, weil der Einfluß von Generalklauseln und Grundsätzen die Rechtssicherheit vermindert, und die Rückkehr zur Selbstregulierung die Unterschiede zwischen gewerblichem und privatem Status vermindert oder gar zum Verschwinden bringt.99 92
Dutilleul F C und Delebecque P (2002) Contrats civils et commerciaux, Zitat aus 3. Aufl., 1996, 20. 93 Savaux É (1997) La théorie générale du contrat, mythe ou réalité? 94 Collins H, Hrsg. (2004) The Forthcoming EC Directive on Unfair Commercial Practices. Contract, Consumer and Competition Law Implications. 95 Z.B. nach McKendrick E (1990-2003, fortl. Aufl.) Contract Law. 96 [Status: Privat oder gewerblich handelnd, siehe unten Anm. 102.] 97 Brownsword R (2000) Contract Law. Themes for the Twenty-First Century. 98 Micklitz H W (2004) De la nécessité d’une nouvelle conception pour le développement du droit de la consommation dans la Communauté eorupéenne, in: Mèlanges en l’honneur de Jean Calais-Auloy, 725; siehe hierzu auch oben Teil 2 Kapitel 2, 5. 99 Howells G und Wilhelmsson T (2003) EC Consumer Law: Has it Come of Age? European Law Review 28 (4), 370-88.
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4. Unternehmerveträge, Regulierung und Gebräuche
Alles in allem scheint es, als sei die Unterscheidung nach Verträgen unter Gewerbetreibenden und solchen zwischen Verbrauchern und “Professionellen” nicht abschließend, immer die Theorie vorausgesetzt, nach der die juristischen Kategorien der Vertragstypen relativ sind. Diese Theorie behält nur solange Gültigkeit, wie das Regelungsziel der Vertragsregeln sich im Anwendungsbereich nach den verschiedenen Kategorien unterscheiden, muß aber überwunden werden, wenn diese Regeln auf eine Vereinheitlichung ausgerichtet sind. Dieser Gegenüberstellung hängt deshalb eine andere Unterscheidung an, die die Rechtsquellen betrifft: eine Unterscheidung zwischen Verträgen, die von Vorschriften reguliert sind, die die Privatautonomie (Abschlußfreiheit) beschränken, und solche, die den privaten Parteien großen Freiraum lassen. Bei den letzteren sind die Parteien frei, Inhalt, Vorgehensweise, Zeit und Abschluß frei zu regeln, bei den ersteren müssen sie hingegen von Dritten vorgegebenen Modellen folgen, sei es in Form von vom (nationalen oder Europäischen) Gesetzgeber, Verwaltungsbehörden oder der Berufsvereinigung erlassenen Standesregeln oder paritätisch vereinbarten Musterverträgen.
4.3 Von Typisierungen und Kategorien zu Regelungstechniken Wir kommen nun zu der zentralen Frage, die zwei Pole repräsentiert: das Verhältnis zwischen Privatautonomie und Marktregulierung. Zu diesem Diskurs hat vor einigen Jahren Hugh Collins in brillianter Weise beigetragen. Der von ihm eingenomme Blickwinkel berücksichtigt neue Techniken, Verträge zu regulieren. Die Schlußfolgerung seiner Untersuchung kann man in wenigen Sätzen darstellen. Collins beobachtet den fortschreitenden Rückzug des “Privat”-rechts – eingebettet in seine Tradition der Herrschaft des von außen unantastbaren Willens – zugunsten des “öffentlichen” Rechts; die normative Beschaffenheit des Marktes; die stetig wachsende Rolle der an den Vorgängen beteiligten Behörden.100 Die Diskussion geht also davon aus, daß kein Markt, ob frei oder liberalisierbar, ohne Regulierung auskommt – ein Thema, das Natalino Irti wiederholt zu diskutieren aufgefordert hat – und auch nicht ohne die Bedeutung der Person. Ein Thema, daß italienischen Juristen sehr geläufig ist, so sehr, daß nicht mehr nach den tieferen Gründen und Voraussetzungen gefragt wird, obschon zumindest die Werke von Giorgio Oppo und Pietro Rescigno, Massimo Bianca, Adolfo di Majo, Giovanni B. Ferri, Nicolò Lipari, Pietro Perlingieri, Stefano Rodotà, genannt werden müssen, sowie all jene Beiträge aller Kollegen, die, sei es als Anwälte des Zivilrechts oder Autoren neuerer Vertragsrechtsabhandlungen, die Werte von Gleichheit und Solidarität betont oder über die sogenannte Vertragsgerechtigkeit theoretisiert haben, und darin die Probleme beschrieben, aber keine Lösungen aufgezeigt haben. Auch hat sich in dieser Hinsicht vieles geändert. Vor vierzehn Jahren stellte Franco Galgano in seinem mehrbändigen Werk I contratti del commercio, dell’ industria ed el mercato finacario, 1995 fest, daß „das Hauptinstrument der Innovation heutzutage der Vertrag ist. Die klassische Konzeption stellt den Vertrag nicht in den Kreis der Rechtsquellen; wenn wir jedoch weiterhin den Vertrag als schlichte Rechtsanwendung betrachten, und nicht als neue Rechtsquelle, verstellen wir uns damit die Möglichkeit, die Wandlung des Rechts in unserer Zeit zu verstehen.“101 Das Erscheinen von “atypischen” Verträgen, internationaler Gebräuche, die neue lex mercatoria hat – nach Galgano – die business community befähigt, 100 101
Collins H (1999) Regulating Contracts. Galgano F (1995) I contratti del commercio, dell’ industria ed el mercato finacario, 27.
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sich ein “souveränes Rechtssystem” zu schaffen, zu dem die Nationalstaaten “den weltlichen Arm bilden”. Die Vertragsregeln – und vor allem die der Unternehmensverträge – werden also durch das vertragliche Modell vermittelt und angewandt. Heute scheint sich eher eine umgekehrte Tendenz herauszubilden: nicht nur die Interessen der Verbraucher und der Anleger haben eine externe Intervention erfordert, sondern auch die Verträge, die typischerweise unter den Unternehmern ausgehandelt werden, unterliegen Modellen, Inhalten und Regeln, die von außen auferlegt wurden, und die die Vertragsfreiheit beschränken, weil sie Ausdruck einer anderen Konzeption von Vertragsbeziehung sind. Vertragsbeziehungen, auch wenn sie innovativ sind, kreisen nicht mehr um die Entscheidungsfreiheit der Parteien, sondern sind durch Regeln verschiedener Herkunft beschränkt, gesetzliche, behördliche, ethische Vorschriften in einem Kontext, in dem sich einfache “Regeln” immer mehr zu einer wahrhaften “Regulierung” entwickeln. Die Interessen, die im Vertag geregelt werden, wie auch immer der Status der Parteien sei,102 sind nicht mehr nur “privat”, sondern müssen den Erfordernissen der Gemeinschaft entsprechen, auch wenn diese aus businessmen besteht. Diese Entwicklung bringt Komplexität und Rechtsunsicherheit hervor, zumindest solange diese beiden Tendenzen, die von Galgano beschrieben wurden, und die andere, die wir hier weiter beschreiben wollen, gleichmäßig fortschreiten. Die Vielschichtigkeit kann durch die Abfassung eines oder mehrerer allgemeiner Rahmenprinzipien beherrscht werden.103 Die Rechtsunsicherheit, die von dem Verhältnis zwischen zwingenden und dispositiven Normen, der gerichtlichen Interpretation und Integration der Unvollständigkeit abhängt,104 kann durch gemeinsame Hermeneutik beherrscht werden, also durch die Befestigung der Interpretationsmodelle, die den Beurteilungsspielraum für Richter und Schiedsrichter reduzieren sollen. Jenseits der Kodifikations- und nationalen Reformprozesse, die in ganz Europa stattfinden,105 und der expansiven Kraft des Europarechts, jenseits der verschiedenen Bedeutungsinhalte, die man dem Begriff “Europäisches Privatrecht” geben kann,106 beziehen die Erfordernisse der Koordinierung, Klärung und Vereinfachung ihrer Bedeutung aus einem sehr weiten Umfeld und haben bereits in großem Maße zu neuen Techniken der Vereinheitli102
[Das Wort Status bezeichnet hier die Eigenschaft einer Vertragspartei als entweder Unternehmer oder Verbraucher, also jemand, der ein Geschäft zu privaten, nichtberuflichen Zwecken abschließt. Status kann also auch die klassische Unterscheidung Kaufmann – Nichtkaufmann des deutschen Handelsrechts bezeichnen, legt aber im Europarecht eher die Bedeutung wie in Artt. 1 und 2 des Wiener Kaufrechts zugrunde. Siehe hierzu ausführlich oben Teil 2 Kapitel 2, 5. Die deutsche Übersetzung des englischen Ausdrucks “professional” zeigt schon die Schwierigkeit, das rechtlich Gewünschte sprachlich und konzeptionell darzustellen: das Adjektiv kann sowohl Unternehmer wie auch Unternehmen oder Gewerbetreibende bezeichnen, nur das deutsche Wort “professionell” oder auch “beruflich” trifft das Gemeinte mit Sicherheit nicht oder nicht vollständig. Somit ist anschaulich erklärt, wie es zu den oben, 1.3, erwähnten lexikalischen Fehlern kommt, die dann auch konzeptionelle Auswirkungen haben.] 103 Oppo G (2001) "Impresa e mercato" Rivista di diritto civile (1), 430. 104 Gambaro A (2004) "Contratto e regole dispositive" Rivista di diritto civile, 1-28. 105 Patti S (2007) Diritto privato e codificazioni europee. 106 Roppo V (2004) Sul diritto europeo dei contratti. Per un approccio costruttivamente critico. Europa e Diritto Privato. Rivista trimestrale, 439-71; siehe auch Pfeiffer T (2008) "Methodik der Privatrechtsangleichung zum europäischen Vertragsrecht - Der gemeinsame Referenzrahmen zum europäischen Vertragsrecht" Archiv für die civilistische Praxis 208 (2/3), 227-47.
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4. Unternehmerveträge, Regulierung und Gebräuche
chung und neuen Projekten in einzelnen Sektoren der Rechtsordnungen, einzelnen Wirtschaftsbeziehungen und Teilen des Marktes beigetragen. Diesen Phänomenen, die im Moment nur fragmentarisch und vage, aber nicht isoliert sind, können sich die Vertragsbeziehungen nicht entziehen, auch nicht jene, denen bis vor zehn Jahren noch die größte Vertragsfreiheit zugemessen wurde, wie die “Unternehmensverträge”. Angesichts der Unmöglichkeit, einen kompletten und organischen Rahmen vorzuzeichnen,107 kann es nützlich sein, sich an ein emblematisches Beispiel zu erinnern, daß, wie wir erwarten, alle Aspekte einer wirklichen Umkehr dieser Tendenz aufweist. Diese wagt nicht nur die Überwindung des Binoms state law – case law und das von den autoritären und persuasiven Vorschriften, hard law – soft law, sondern findet es auch schwierig, deren Bedeutung zu erschließen. Unter diesen Beispielen erscheinen uns die folgenden als besonders einleuchtend: (i) die Intervention von Regulierungsgebern, sogenannten “Dritten” im Verhältnis zu Gesetzgeber und Richter; (ii) die Intervention von Regeln, die das Verhalten betreffen, und nicht die materielle Vertragsbeziehung zwischen den Parteien; (iii) die Intervention von Regeln zur Konfliktlösung zwischen den Parteien. Dies sind keine Tricks oder Techniken, die alles ausgleichen, aber man darf nicht so tun, als ob die komplexe Realität in der wir uns befinden, mit den alten Kategorien erschlossen werden könne.
4.4 Die Rechtsquellen: Kontrolle von Handlung und Verhalten durch Gesetzgebung Beginnen wir damit, die Anzeichen des Wandels bei den “Quellen” wahrzunehmen. Neben der formalen, geometrischen Struktur von kelsenianischer Prägung, muß man auch andere Quellen administrativer und praktischer Natur berücksichtigen. Die “ungeschrieben Quellen” werden von Rodolfo Sacco und anderen Autoren bestens illustriert im zweiten Band des Trattato di diritto civile (1999).108 In dieser Aufzählung der informellen Rechtsquellen (Bräuche, Verhaltenskodizes, Auslegung und Generalklauseln, Grundsätze, Fiktionen, Doktrin usw.) läßt sich eine andere Lesart dieses normativen Kosmos anwenden: der Umstand, daß die Quelle nicht nur nach ihrer “Dauer” und ihrer “Bedeutung” beurteilt werden muß, sondern auch nach ihrer empirischen Wirkung. Es gibt Regeln, Entscheidungen, Rundschreiben von unabhängigen Stellen, die heute so viel “wiegen” wie vom Parlament verabschiedete Gesetze; es gibt Musterverträge, die dem Vertragsrecht vorgehen; es gibt “persuasive” Initiativen (im Sinne der sogenannten moral suasion), die größeres Gewicht haben als traditionelle hoheitliche Akte. Der Wirkungsbereich der Gesetzgebung hat sich sowohl in unserer Rechtsordnung wie im common law stetig ausgeweitet. Wenn man über “Unternehmensverträge” spricht, denkt man gleich an die Ausdehnung des Gemeinschaftsrechts, und zwar nicht nur als externer, heterogener und vom nationalen 107 108
Vgl. Pfeiffer, T. oben Anm. 106. Reihe, erscheint bei Utet, Turin.
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Recht abgegrenzter Sektor verstanden, sondern, dank der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof, als interne Rechtsquelle, deren Verletzung Staatshaftung nach sich zieht, bis dahin, daß Gemeinschaftsrecht vom nationalen Richter ausgelegt wird.109 Wir beziehen uns nicht nur auf das Wettbewerbsrecht, sondern auch auf das Recht des e-commerce, der elektronischen Firma, der Autorenrechte, Urheberrechte, Auftraggeberrechte, Gesellschafts- Versicherungs- und Finanzdienstleistungsrecht, und somit auf den acquis communautaire auf dem Gebiet des Verbraucher- und des Umweltrechts. Themen, die hier nicht weiter vertieft werden können. Im Hinblick auf nationales Recht und die Wirkung des von der Gemeinschaft geschaffenen Rechts, denken wir an die kontinuierliche Verringerung des Raums für die Privatautonomie, die einst nur auf Parteien atypischer Verträge beschränkt war; die Versicherungsmakler, gewerbliche Forderungsabtretung, Zahlungsverzug, Subunternehmer, Konsortialverträge, denen man heute auch das Franchising zurechnet, sind typische Beispiele von Vertragsverhältnissen, die zumindest teilweise der Privatautonomie unterliegen. Musterverträge, die vormals noch aus reicher Erfahrung hervorgegangen waren, reichen heute nicht mehr aus, um vertragliche Abreden ausreichend zu regeln, insoweit die Grundregeln durch das Gesetz vorgegeben sind. Einige stellen fest, daß es sich um eine “Konnotation” handelt, einen Teilbereich, um ein Modell, welches durch Regulierung vervollständigt wird: die zwingenden Regeln gehen den dispositven vor und sind auch zahlreicher. In all diesen Fällen beschränkt sich der Gesetzgeber nicht darauf, den Mindeststandard der Verträge festzulegen, sondern geht dazu über, auch die Abschlußmodalitäten zu präzisieren, sowie die Abfassung des Vertrages und das Verhalten der Parteien. Dieser Aspekt trifft den Rechtsanwender am härtesten: der Gesetzgeber, der sich vormals vager Generalklauseln bediente, wie Treu und Glauben, Redlichkeit, öffentliche Ordnung, Standards oder Sorgfalt, führt nun neue Kategorien ein (Mißbrauch einer beherrschenden Stellung oder wirtschaftlichen Abhängigkeit, Ausnutzen des Überraschungseffekts oder eines Interessenkonflikts) und detaillierte Regeln zur Kontrolle des Verhaltens der Parteien. Darüber hinaus ergeben sich aus der Nichtbeachtung der Rechtsvorschriften keine behördlichen Sanktionen, sondern zivilrechtliche Folgen, die auf diejenige private Handlung einwirken, die sich aus der Verletzung der Vorschrift ergab. Das vorvertragliche Handeln ist ausschlaggebend, sofern es nicht einfach den vertragsrechtlichen Treu- und Glaubensvorschriften entsprach. Es sind Verpflichtungen zur Information, zur Aushändigung des Vertragsdokuments, das Verständnis des Vertragsinhalts zu bestätigen und einen Interessenkonflikt anzuzeigen. Auf das Verhalten selbst – auch in Vertragsverhandlungen – bezieht sich die neueste Initiative zum Konsumentenschutz, nämlich die Richtlinie zu fair practice, 2003 von der Kommission vorgeschlagen,110 die das Verhalten von Unternehmen in Bezug auf Kommunikationstechniken mit dem potentiellen Kunden betrifft, besonders “aggressive” oder irreführende Praktiken. Diese Richtlinie wird eine Angleichung von Verhaltenskodizes erforderlich machen.111 109
Entscheidung vom 30.9.2003, C-224-01, Gerhard Köbler v Republik Österreich. COM 2003(356) endg., 18.6.2003, nunmehr Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken 2005/29/EG, ABl. EG Nr. L 149 v. 11.6.2005, S. 22. 111 Micklitz H W und Kessler J, Hrsg. (2002) Marketing Practices Regulation and Consumer Protection in the EC Member States and US; Collins H, Hrsg. (2004) The Forthcoming EC Directive on Unfair Commercial Practices. Contract, Consumer and Competition Law Implications. Siehe aus der deutschsprachigen Literatur z.B. Schmedes H-J (2008) Die Politikentwicklung der „Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken“; Schulte-Nölke H und Busch C W (2004) "Der Vorschlag der Kommission für eine 110
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4. Unternehmerveträge, Regulierung und Gebräuche
Ebenfalls auf das Verhalten – diesmal Dritter, Nichtvertragsparteien – beziehen sich die Richtlinien gegen die Verwertung unrechtmäßig erworbenen Geldes.112 Im öffentlichen Interesse richtet sich dieser Rechtsbereich auf diese Verwertung und erlegt Dritten, die am Vertragsschluß beteiligt sind – z.B. Anwälte, Notare, Buchhalter – die Pflicht auf, verdächtige Geschäfte den Behörden zu melden, nachdem sie die Identität des Klienten festgestellt haben, sowie die Herkunft der ökonomischen Ressourcen des Klienten, und davon abzusehen, Leistungen oder Beratung durchzuführen, wenn das Geschäft Merkmale einer Straftat aufweist. Für die Beziehungen auf dem Finanzsektor sind die Verhaltensregeln noch einschneidender: hier sind die Vermittler gehalten, sich an Sorgfalt, Korrektheit, Transparenz zu halten im Interesse des Klienten (unabhängig von dessen Status) und der Integrität der Märkte, und sicherzustellen, daß Klienten gleichbehandelt werden, sowie mit Vernunft und Umsicht.113 Dieser sich ausdehnende Gesetzgebungsprozeß ist auch – wie wir andeuten möchten – im internen Bereich der wirtschaftlichen Beziehungen zu bemerken. In diesen Fällen handelt es sich nicht mehr nur um die Zusammenfügung von Gesetzen in einheitliche Texte, sondern um die systematische Schaffung von Normen, die den von der Angleichung nationalen Rechts an das Gemeinschaftsrecht geforderten Veränderungen Rechnung tragen, durch delegierte Gesetze, die Spielräume enthalten und Geschäfte mit größerer Freiheit und Komplexität zulassen, als dies bisher der Fall war.114 Andere Beispiele sind die neuen italienischen “codici” zum Urheber-, Verbraucher- und privaten Versicherungsrecht. Vertraut man nun auf die Privatautonomie oder den Erfordernissen des Schutzes “der schwachen Interessen” oder der Effizienz des Normenkomplexes zur Marktregulierung? Wenn man den Ausführungen Roy Goodes (2003) folgen darf, ist dies ein vom Markt stets geforderter Prozeß, auch auf internationaler Ebene, um die größtmögliche Sicherheit, Effizienz und Gleichheit in den Vertragsbeziehungen unter Unternehmen herzustellen. In einem Rechtssystem, wie dem englischen, wo man stets die sanctity der Verträge sowie die Entscheidungsfreiheit der wirtschaftlichen Akteure in ihren privaten Angelegenheiten aufrechterhalten hat, ist dieser Trend in besonders bedeutsamer Weise aufgenommen worden, wenn auch nicht ohne einige Verwirrung und leichtes Bedauern. Schlimmer noch: weil die sanctity im englischen Recht wie ein “Panzer” für den Willen der Parteien ausgestattet ist, ist sie vor jedem manipulativen Eingriff des Richters geschützt. Ebenso hat man nicht an Eingriffe durch den Gesetzgeber gedacht, da diese nicht häufig waren und meist aus zufälligen Erfordernissen erfolgten.
Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken KOM (2003) 356 endg" ZEuP, 99; Schulte-Nölke H und Busch C W (2004) "Der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken KOM (2003) 356 endg" ZEuP, 99; Köhler H und Lettl: T (2003) "Das geltende europäische Lauterkeitsrecht, der Vorschlag für eine EGRichtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und die UWG-Reform" Wettbewerb in Recht und Praxis (WRP), 1019. 112 Zweite Geldwäscherichtlinie 2001/97/EC vom 4.12.2001, in Italien ausgeführt durch Dekret (decreto legislativo) vom 20.2.2004, Nr. 56, und Richtlinie 2005/60/EG, 25.11.2005, Abl. L 309/15, RiLi zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung. 113 Vgl. Art.21 des Einheitsgesetzes Nr. 58 von 1998, und die Richtlinien 2004/39/EG vom 21.4.2004 und 2004/72/EG vom 29.4.2004. 114 Vgl [italienisches] Gesetz vom 23.8.1988, Nr. 400; und vom 29.7.2003, Nr. 229.
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Nun jedoch wird eine Expansion des Vertragsrechts in Form von statute law unterstützt, was man der jährlichen Sammlung der Acts und den Internetseiten des House of Parliament entnehmen kann. Diese Ausdehnung dient der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht, aber auch der Annäherung des Rechtssystems an das kontinentale Recht, und hier vor allem an die Verträge zugunsten Dritter, die Versicherungsverträge erleichtern. Somit scheint es, als würde auch dieses Rechtssystem, welche das Reich der Vertragsfreiheit zu sein schien, wesentlich strikter. Es ist interessant festzustellen, daß diese Entwicklung der Gesetzgebung mit den Projekten für Europäische Zivilgesetzbücher im Einklang steht.
4.5 Regulierung und moral suasion Immer noch auf dem Gebiet der Rechtsquellen kann man zwei Modelle erkennen, nach denen unabhängige Behörden vorgehen: die Vorbereitung und Anwendung von Regeln auf der Basis von formellen Gesetzen in Form von abgeleitetem hoheitlichem Handeln, und die “Vereinbarung” von Initiativen, Handlungen, Verhaltensweisen mit den Adressaten dieser Regeln, also den wirtschaftlichen Akteuren. Für gewöhnlich wird bei der Beschreibung der Quellen des Vertragsrechts die erstgenannte Vorgehensweise berücksichtigt und die zweite vernachlässigt, obwohl sie unseres Erachtens aber genauso wichtig ist. 4.5.1 Regulierung Die Bandbreite der Regulierung ist beachtlich, vom Kleinen zum Umfassenden kann sie vielschichtige Vorschriften machen, lediglich verwaltungsrechtliche Sanktionen oder auch Strafen auferlegen. Die Regulierungsbehörden haben sich in Italien auch vervielfacht, von der Wettbewerbsbehörde, die Consob115 über die Isvap116 und die Covip117 bis zur Kartellbehörde und zu den Telekommunikations-, Ausschreibungs- und Datenschutzbehörden, um nur diejenigen zu nennen, die am Häufigsten an der Ausarbeitung von Regulierungsnormen, die die Privatautonomie betreffen, beteiligt sind. Wir haben an anderer Stelle versucht, ein Inventar der Vorschriften dieser Behörden bezüglich vertraglicher Beziehungen aufzustellen.118 Hier jedoch werden wir nur einige bedeutsame Beispiele aufführen. 115
Commissione Nazionale per le Società e la Borsa, die itlaienische Börsenaufsicht. Istituto per la vigilanza sulle assicurazioni private e di interesse collettivo comunicato, die Versicherungsaufsichtsbehörde. 117 Commissione vigilanza fondi pensione, Aufsichtsbehörde für das Pensionswesen. 118 Siehe weiter zur Finanzaufsicht Andenas M und Hadjiemmanuil C (1997) EMU Banking Supervision and Home Country Control, in: European Economic and Monetary Union: The Institutional Framework, Andenas M, Gormley L W, Hadjiemmanuil C et al., Hrsg., 375-417; Andenas M und Kenyon-Slade S, Hrsg. (1993) EC Company Law and Financial Market Regulation; Andenas M und Avgerinos Y, Hrsg. (2003) Financial Markets in Europe: Towards a Single Regulator; Andenas M (1998) The Interplay Between the Commission and the ECJ in Giving Effect to the Right to Provide Financial Services, in: Lawmaking in the European Union Craig P and Harlow C, Hrsg., 332-42; 116
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4. Unternehmerveträge, Regulierung und Gebräuche
(i) Die Banca d’Italia Da der Status der Banca d’Italia als unabhängige Behörde umstritten ist, betrachten wir das einheitliche Bankgesetz,119 wenn dies auch nicht dazu vorgesehen war, die zahlreichen Vorschriften in dieser Materie erschöpfend abzudecken. So verleiht Art. 38 des Bankgesetzes, der Immobilienkredite regelt, der Banca d’Italia in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des CICR120 die Befugnis „den Höchstbetrag der Finanzierungen“ zu bestimmen, „der sich aus dem Wert der Hypotheken ergibt, oder aus deren Vollstreckungskosten, so daß bestehende Hypotheken nicht den Abschluß neuer Finanzierungen behindern.“ Was die voraussichtlichen Tilgungen betrifft, vollständig oder partiell, steht dem CICR gem. Art. 40 die Bestimmung der Kriterien zu, nach denen die Vergütung der Bank bestimmt wird, um die Transparenz der Bedingungen sicherzustellen. Art. 58 überträgt der Banca d’Italia die Befugnis, Weisungen zu erteilen für die Abtretung von Vermögensgegenständen und gebündelten Individualverträgen durch Banken an Unternehmen oder deren Niederlassungen. Auf dem Gebiet der Einlagensicherung “regelt” die Banca d’Italia – “mit Rücksicht auf den Investorenschutz und die Stabilität des Bankensystems” (Art. 96) – unter anderem “die Modalitäten der Kompensation, auch unter Bezugnahme auf den einzelnen Beschwerdefall.” Zahlreiche weitere Vorschriften regeln die Transparenz der Vertragsbeziehungen. Insbesondere im Mai 2003 wurden Weisungen zur Aufsicht über die vertragliche Transparenz erlassen.121 Die Banca d’Italia kontrolliert auch die “Norme” uniforme bancarie, die vom ABI122 erlassen wurden, in ihrer Eigenschaft als Vereinigung aller italienischen Banken, die ihre Regelungsbefugnis aus der gesetzlich verliehenen Satzungshoheit ableitet. Eine Entscheidung der Banca d’Italia, nach einer Untersuchung im Auftrag der Wettbewerbsbehörde, hat, wie schon bemerkt, viele solcher “norme” hervorgebracht, die geeignet sind, den Wettbewerb unter den Banken zu beeinträchtigen.123 Das eigentliche Ziel der Gesetzgebung, ist, wie sich ausdrücklich oder aus der Gesamtschau der Vorschriften ergibt, Stabilität, Transparenz, Gleichbehandlung der Kunden, und somit die Korrektheit der Banken beim Vertragsabschluß mit ihren Kunden. Es ist bedeutsam, daß die Nichtigkeit, die der Testo Unico Bancario vorsieht, um Vertragsbedingungen transparent zu machen, relativ ist, d.h. die Bedingungen können einseitig vom Kunden in Geltung gebracht werden.
Roth W H und Andenas M, Hrsg. (2002) The Right to Provide Services in EC Law; Andenas M und Gebhardt I (2001) Financial Market Regulation in Europe – Some Institutional Aspects’ in: Handbuch Europäischer Kapitalmarkt, Hummel D and Breuer R E, Hrsg., 151-73; eine sehr gute rechtsvergleichende Übersicht der neuen einheitlichen deutschen und englischen Finanzdienstleistungsaufsicht findet sich bei Filipova T (2007) The Concept of Integrated Financial Supervision and Regulation of Financial Conglomerates in Germany and the United Kingdom. 119 Geändert durch Decreto legislativo vom 1.9.1993, Nr. 385 ff. Text des Bankgesetzes siehe http://www.teocollector.com/tub.htm. 120 Comitato interministeriale per il credito ed il risparmio, interninisterielleles Komitee für das Kredit- und Sparwesen. 121 Vgl. Alpa G (2004) La trasparenza dei contratti bancari. 122 Associazione bancaria italiana. 123 Siehe Gesetz vom 3.12.1994, Nr.12.
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(ii) Die Börsenaufsichtsbehörde “Consob” 124 Noch einschneidendere Befugnisse sind durch den Testo unico dell’intermediazione finanziaria125 der Consob zugewiesen: autonome Kompetenz oder, in einigen Fällen, “Wächter der Banca d’Italia” zu sein. Wie schon gesagt, ist die Banca d’Italia zuständig für den Inhalt der Risiken und die Stabilität des Vermögens der Finanzdienstleister, während die Consob für die Korrektheit und die Transparenz des Geschäftsgebarens zuständig ist, Art. 5.126 Der Consob ist die Überwachung der Regulierung aufgegeben, die Aufsicht über die Banca d’Italia: durch Regulierung zu bestimmen, zum Beispiel das tatsächliche Verhalten bei den Beziehungen mit Investoren, auch unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit, das Risiko von Interessenkonflikten zu vermeiden und dafür zu sorgen, daß die Führung der individuellen Anlagegeschäfte mit den Bedürfnissen der einzelnen Investoren vereinbar ist, sowie dabei auch die Erfüllung der Informationspflichten zu stabilisieren, Art. 6 TUIF. Wiederholt wurden Vorschriften erlassen betreffend allgemeine Kriterien der Durchführung von Dienstleistungen (nach Art. 21) und der Führung von Investmentportfolios (Art. 24), womit die Befugnis zusammenhängt, die Schaffung von Finanzierungsinstrumenten zu regulieren (Art. 25). Die Consob reguliert auch stets die Modalitäten von Angeboten und Ausführung von Finanzgeschäften außerhalb der Geschäftsräume (Artt. 30 und 32). Die letztgenannte Vorschrift ist eine echte Verweisungsnorm, und dennoch könnte man sie als “weiße Norm”127 bezeichnen, so wortkarg ist die Grundvorschrift. Die Consob hat u.a die bereits bezeichneten Vorschriften erlassen, wobei diese in einer Art “Gesetzbuch” organisiert sind, wo sie dann wieder in Bücher unterteilt sind und in recht detaillierter Weise aufeinanderfolgen. Die Transparenz – das übergeordnete Prinzip der Überwachungstätigkeit dieser Behörde – erstreckt sich auch auf das Verhalten der Finanzdienstleister und deren Verträge mit Kunden. Es ist gewissermaßen ein indirekter Schutz für die Investoren, deren Interessen vom Gesetz in erster Linie berücksichtigt werden.128 Außer in Ausnahmefällen unterscheidet die Consob nicht zwischen institutionellen und privaten Anlegern, so daß man fragen könnte, wie die “Neutralität” sich auf die Regulierungsvorschriften auswirkt. Einfacher ausgedrückt, könnte man fragen, ob das Parlament oder die Regierung gar so “neutrale” Vorschriften erlassen haben. (iii) Isvap129 Erheblich geringere Befugnisse sind hingegen der Isvap nach den gegenwärtigen Vorschriften zugewiesen. Der verbreitete Glaube, der der Isvap genauso weitreichende Befugnisse zumißt wie der Banca d’Italia und der Consob, stammt von der irrtümlichen Annahme, daß alle Aufsichtsbehörden deren große Macht genießen; wie oben beschrieben, sind aber die organisatorischen Rahmenbedingungen und die gesetzliche Ermächtigung sehr unterschiedlich. Tatsächlich sieht nach der Umsetzung der Richtlinie 92/96 EG, betreffend die 124
Commissione Nazionale per le Società e la Borsa, website auch auf englisch unter http://www.consob.it/mainen/index.html. 125 Hier abgekürzt als TUIF, Decreto legislativo vom 24.2.1998, Nr 58., Text im internet z.B. unter http://www.finanzarapisarda.com/legislazione/tuif/index.php. 126 TUIF, Art 5 bestimmt die Aufgabenverteilung der beiden Institutionen in Absätzen 2-5. 127 Eine Norm, bei der mindestens ein Merkmal weiterer Definition in anderen Normen bedarf. 128 Dieses Prinzip liegt auch der Richtlinie 2004/39/EG, MiFID, zugrunde, siehe dazu unten 7. und Anm.165. 129 Istituto per la vigilanza sulle assicurazioni private e di interesse collettivo comunicato
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4. Unternehmerveträge, Regulierung und Gebräuche
Lebensversicherungen, das Decreto Legislativo vom 17.3.1995, Nr. 174,130 eine einfache Mitteilungspflicht der Versicherungsunternehmen gegenüber der Isvap bezüglich der Versicherungsbedingungen und anderer Dokumente im Zuge der Durchführung der Geschäfte vor; diese Obliegenheit muß nur nach Aufforderung durch die Aufsichtsbehörde erfüllt werden und nicht in systematischer Weise. Hingegen ist die gesetzliche Befugnis umfassend in Bezug auf die Kundeninformation. Art. 109 schreibt vor, daß die Isvap “den Unternehmen vorschreiben” kann, “zusätzliche Informationen zu den in Anlage II aufgeführten zur Verfügung zu stellen, die für ein umfassendes Verständnis des Kunden aller wesentlicher Vertragsbestandteile notwendig sind”. Entsprechende Regelungen sieht das Decreto Legislativo vom 17.3.1995, Nr. 175 vor, und zwar zur Umsetzung der Richtlinie 92/49 EG, betreffend verschiedene Direktversicherungen und verwandte Versicherungszweige (Artt. 41, 47 und 58). (iv) Die Aufsichtsbehörde für die öffentliche Energieversorgung (Strom und Gas) Das Gesetz vom 14.11.1995131 hat Vorschriften über Wettbewerb und Regulierung der öffentlichen Versorgung eingeführt und die Energieversorgungsbehörde eingerichtet. Unter den Funktionen, die dieser Behörde zugewiesen sind, sieht Art. 2 Abs. 12 die Ausübung einschneidender Befugnisse auf dem Gebiet der Privatautonomie vor. Die Behörde kann unter anderem (gem. Buchstabe d) „die Änderung von Lizenz- und Vertragsklauseln“ vorschlagen, „was auch Monopolverträge und Genehmigungen betrifft, sowie bestehende Verträge und Lieferbedingungen, sowohl aufgrund der Marktnachfrage wie auch des Kundenbedarfs, wobei auch die technisch - ökonomischen Bedingungen des Zugangs zu den Netzen oder deren Verbindung untereinander im Rahmen des geltenden Rechts bestimmt werden können“; außerdem (Buchst. e) „den Basistarif, sowie die Parameter und andere Bezugsfaktoren für die Tarife festzulegen und zu aktualisieren im Verhältnis zu den Marktbewegungen“ – d.h. „die größte Einheit der Leistungen vermindert um die Abgaben,“ Art. 12 Abs. 17; ferner „die Erbringung der Leistungen zu kontrollieren, vermittels Inspektionen, Einsicht in Dokumentation und angemessener Unterrichtung, um gegebenenfalls eine automatische Entschädigung von Seiten des Leistungserbringers gegenüber dem Benutzer festzulegen, wenn dieser die Vertragsbedingungen nicht einhält oder die Leistung nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Qualität (gem. Art. 12 Abs. 17 Lit. h) erbracht hat“; darüber hinaus muß die Behörde „sicherstellen, daß die Vertragsbedingung in breitester Form bekannt gemacht werden, den Sektor und die einzelnen Dienstleistungen beobachten, um technische, rechtliche oder wirtschaftliche Bedingungen zu ändern, die sich auf die Durchführung oder Verbesserung beziehen“, Art. 12 Abs. 17 lit. i); die Veröffentlichung und Verbreitung der Lieferbedingungen, um größtmögliche Transparenz und Wahlmöglichkeiten für den Verbraucher zu garantieren (lit. l); und ähnliche Befugnisse gem. lit. m und l. Die Behörde ist auch zu Sanktionen bei Nichtbeachtung ihrer Anordnungen befugt (Art. 2 Abs. 20 lit. c) und kann im Zuge von Güte- und Schiedsverhandlungen einstweilige Anordnungen treffen, um die Versorgung aufrechtzuerhalten, bspw. um Mißbrauch oder inkorrektes Verhalten des Versorgers zu unterbinden, Art. 2 Abs. 20 lit, e. Unter den hiermit verfolgten Zielen ragt der Konsumenten- und Benutzerschutz heraus, im Hinblick auf Preisgestaltung, Transparenz und Korrektheit.
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Gazzetta Ufficiale vom 18.5.1995 Nr. 114. Legge 14 Novenbre 1995, n. 481. Norme per la concorrenza e la regolazione dei servizi di pubblica utilità. Istituzione delle Autorità di regolazione dei servizi di pubblica utilità. Text erhältlich im internet z.B. unter http://www.federlavoro.confcooperative.it.
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Jedoch, wie schon gesagt, ist es wichtig, nicht nur die Regulierungstechniken zu betrachten, die durch verschiedene Methoden und formelle Instrumente eingeführt wurden, sondern ebenso die Tätigkeit der Behörden durch moral suasion. Hier ist die Technik der Aufsicht über Unternehmenskonzentrationen am Interessantesten.132 4.5.2 Moral suasion: das Beispiel der Unternehmenskonzentrationen Die Rechtsbehelfe, um den Wettbewerb auf einem Markt wiederherzustellen, unterliegen zwei entgegengesetzten Grundeinstellungen, die in der Fusionskontrolle kombiniert werden können: die dirigistische Richtung, die die Tätigkeit der Aufsichtsbehörde als ein System von Genehmigung und Verboten sieht, und die liberale Richtung, die sich hingegen der moral suasion bedient und nach Lösungen sucht, die zwischen der Behörde und den Wirtschaftsakteuren abgestimmt werden. Auf diesem Gebiet, auf dem es am Häufigsten Auseinandersetzungen zwischen Privaten und der öffentlichen Hand gibt, erweist sich Kooperation am Nützlichsten. Der Rückgriff auf Handlungen und Vorgehensweisen, die auf den Bereich der von einem gemeinsamen Willen getragenen Vereinbarungen zurückzuführen ist, und damit im weitesten Sinne auf das Vertragsrecht und die üblichen Beschränkungen der Privatautonomie – wobei Beschränkungen der Vertragsfreiheit von der Behörde vorgeschlagen (oder wo nötig angeordnet) werden – ist ein Zeichen der Notwendigkeit, bestimmte Bereiche in einer Weise zu regulieren, die auf Beteiligung der privaten Parteien an der Behördentätigkeit basiert und nicht auf einer Gegenüberstellung der Interessen der einen und der Macht der anderen. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um das Aushandeln eines Verwaltungsaktes, was nicht vorstellbar wäre, und auch nicht um indirekte Kontrolle (durch Subventionen, Anreize und Prämien), nach einem Belohnungsprinzip. Es handelt sich vielmehr um das Suchen einer gemeinsamen Lösung im Zeichen von Transparenz, gemäß einem Ablauf in den folgenden Phasen: die privaten Parteien zeigen der Behörde ihre Absichten an, unter Dokumentation des beabsichtigten Vorhabens; die Behörde gibt gegenüber den Parteien eine voraussichtliche Beurteilung des Vorhabens ab, welches die Privaten daraufhin „verbessern“ können mit Rücksicht auf alle von der Behörde vorgeschlagenen Änderungen, die das Vorhaben mit dem Wettbewerbsrecht vereinbar machen. Dieses „Spiel“ dient dem Ausgleich der beteiligten Interessen: das Interesse der Privaten an der beabsichtigten Konzentration, das öffentliche Interesse am Erhalt des Wettbewerbs und das Interesse der Verbraucher, nicht durch wettbewerbsverzerrende Konzentrationen benachteiligt zu werden.133
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Vgl. oben Teil 3 Kapitel 1. Diese Politik wurde von der jüngsten Reform des EG Rechts umgesetzt, mit der Verordnung 1/2003 sowie der Fusionskontrollverordnung von 139/2004. Siehe hierzu ausführlich in rechtsvergleichender Hinsicht oben Teil 3 Kapitel 1, 4.7 ff.
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5. Die freien Berufe
5. Die freien Berufe Im Gemeinschaftsrecht gründet sich das Berufsrecht der freien Berufe auf drei Grundprinzipien: (i) die freien Berufe – mit diesem Ausdruck soll eine intellektuelle und nicht vorbereitende Tätigkeit bezeichnet werden – werden nicht als selbständiger Arbeitsvertrag, sondern als Ausübung von intellektuellen Dienstleistungen angesehen; „Dienstleistung“ wird hier verstanden als alles, was nicht „Ware“ ist; (ii) die freien Berufe sind Teil des Binnenmarktes (in Waren und Dienstleistungen), auf dem die „Produktion“ und der Vertrieb von Dienstleistungen geschützt ist; (iii) die freien Berufe sind als Teil des Binnenhandels auch dem Wettbewerbsrecht unterworfen, um einen barrierefreien Markt und grenzübergreifenden Handel zu gewährleisten. Die intellektuellen Berufe werden als Untergruppe von Dienstleistern angesehen, und die Rechtsberufe als solche der intellektuellen Berufe. Hieraus folgt, daß die freien Berufe (und damit die Anwälte) den Unternehmern gleichstehen, und somit in der Sprachregelung der Gemeinschaftsorgane Unternehmen sind,134 und die Berufsverbände oder ihre Repräsentativorgane (privatoder öffentlichrechtlicher Natur) sind den Branchenverbänden gleichgestellt. Deren Tätigkeit ist eine Dienstleistung, deren Empfänger nun nicht mehr Klienten, sondern Benutzer (oder Verbraucher) sind. Es versteht sich von selbst, daß man innerhalb dieser Kategorie verschiedene Unterkategorien des Verbrauchers unterscheidet: Gelegenheitsnutzer, professionelle Konsumenten, umsichtige, vorgebildete Konsumenten usw. Diese Sichtweise der freien Berufe, in die man auch die forensischen Berufe mit einbezieht, dient nur dem einen Ziel – so wird zumindest behauptet – das Wettbewerbsrecht anwenden zu können. Außerhalb dieses Sektors dürfen die freien Berufe ihre herkömmliche Natur behalten, gegenüber der die Gemeinschaftsorgane (mit Ausnahme des Europäischen Parlaments) nur schwer eine klare Position beziehen können. Alle nationalen Rechtsordnungen sehen hier Spezialgesetze vor, die sich zur Zeit nicht unter ein “common core” subsumieren lassen, um einen gemeinsamen Nenner zu bilden. Ein solcher Versuch wird derzeit von einer Forschungsgruppe bezüglich eines Europäischen Zivilgesetzbuches unternommen.135 134 135
Siehe oben, Anm. 102. Der Ausdruck wird vom sogeannten “Common Core Project”, The common core of European private law an der Universität Trento, verwendet, eine Forschungsgruppe, die seit 1995 unter Mauro Bussani und Ugo Mattei besteht, Einzelheiten unter http://www.jus.unitn.it/dsg/common-core. Aktuell existiert nunmehr neben den früheren Entwürfen der sogenannte “Common Frame of Reference”, hrsg. 2008 bei Sellier als “Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Draft Common Frame of Reference (DCFR). Interim Outline Edition”, Study Group on a European Civil Code/Research Group on EC Private Law (Acquis Group), Hrsg. Zu den Vereinheitlichungsbemühungen im Berufsrecht hatte der Consiglio Nazionale Forense in den Jahren
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Wir möchten betonen, daß diese Einordnung als Unternehmen “angeblich” nur wettbewerbsrechtlichen Zwecken dient, weil die Kommission bei der Behandlung dieses Themas grundlegend ausführt, daß diese Einordnung der Gewährleistung eines effizienten Wettbewerbs dient. Tatsächlich aber stellt die Kommission die ökonomischen Aspekte über die juristischen dieser Frage und betrachtet das Recht nur als eine äußere Form für den Handel im Binnenmarkt. Diese Voraussetzung hat dazu geführt, die Problematik der freien Berufe an die Belange des Marktes zu binden und den unternehmerischen Aspekt gegenüber allen anderen in allen Rechtsbereichen, die die freien Berufe betreffen, überwiegen zu lassen. Anders gesagt, das Wettbewerbsrecht durchdringt hier – wie in vielen andern Bereichen – alle Bereiche des Gemeinschaftsrechts, und führt zu einer Umwälzung der Wertehierarchie sowie auch der Kompetenzverteilung, so daß die Grundwerte des europäischen Rechtssystems zum herrschenden Einfluß werden. Dieses “wettbewerbliche” Konzept der freien Berufe scheint dem traditionell in vielen nationalen Rechtsordnungen verwurzelten und immer noch lebendigen Modell entgegengesetzt zu sein: in den meisten Rechtsordnungen, so auch in Italien, sind diese intellektuellen Berufe als selbständige Arbeit organisiert, die in unabhängiger Weise ausgeübt wird, um nicht nur ökonomische, sondern auch öffentliche Interessen zu verfolgen. Eine dürftige Definition des Blendwerkes, das das gewerbliche Konzept gebracht hat, ist zugleich aber reich an Eigentümlichkeiten, die verhindern, daß es mit abhängiger Arbeit, künstlerischer Aktivität, oder einer auf reine Gewinnerzielung gerichteten gewerblichen Tätigkeit vergleichbar ist. Hier eine weitere Beobachtung im Rahmen dieser Diskussion. Wenn man das unternehmerische Konzept der freien Berufe als aus dem Europäischen Wettbewerbsrecht abgeleitet betrachtet, übersieht man, daß diese Definition sich auf die Tätigkeit der Angehörigen dieser solchermaßen definierten Kategorie auswirkt, insbesondere auf deren Vertragsabschlüsse. Wenn man die freien Berufe mit merkantilistischen Kriterien ausstattet, zielt man darauf ab, diesen Rechtsbereich dem allgemeinen Privatrecht gleichzustellen. Die Änderung des Status der Freiberufler wirkt sich auf deren Vertragsbeziehungen mit ihren Klienten aus. Dieses Phänomen taucht nicht nur aus der Sicht der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts auf, sondern auch im Zusammenhang mit dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf das nationale Privatrecht, denn dessen Grundsätze wirken sich auf privatrechtliche Beziehungen aus, trotzdem es derzeit nicht darauf gerichtet ist, die direkten Vertragsbeziehungen zwischen Freiberuflern und Klienten zu regeln. Doch der Rahmen ist vielschichtiger, als es auf den ersten Blick erscheint: Im Gemeinschaftsrecht wirken die Grundrechte parallel zum Wettbewerbsrecht. Deshalb muß gefragt werden, ob man derzeit schon ein eigenes rechtliches Konzept für die freien Berufe herausarbeiten kann, oder ob diese eine eigene separate Er2001 und 2003 Stellung genommen, siehe auch oben in diesem Kapitel und oben Teil 2 Kapitel 1; und vgl. Pfeiffer T (2008) "Methodik der Privatrechtsangleichung zum europäischen Vertragsrecht - Der gemeinsame Referenzrahmen zum europäischen Vertragsrecht" Archiv für die civilistische Praxis 208 (2/3), 227-47, 229.
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5. Die freien Berufe
wähnung im Verfassungs- (Reform-) vertrag bekommen, oder ob sie als Teil der allgemeinen Werte der Ausübung der Bürgerschaftsrechte der Union vorangestellt werden. Zudem werden die Eigenheiten eines Berufsstandes wie der Anwaltsberuf – um einen der freien Berufe herauszuheben – von einer rechtlichen Regelung, die nicht unter den verschiedenen Berufen unterscheidet, sondern nur auf Wettbewerbsschutz ausgerichtet ist, verwässert, um nicht zu sagen beseitigt. Vor allem muß im Rahmen von Grundwerten dem Anwaltsberuf eine hervorgehobene Stellung zugemessen werden, die seiner Rolle beim Schutz der Individualrechte angemessen ist. In dem sich abzeichnenden Konzept der Gemeinschaftspolitik sind also zwei Reduktionen am Werk: die Reduktion der Berater / Klienten - Beziehung auf eine rein ökonomische sowie die Reduktion des Anwaltsberufs auf ein Gewerbe tout court. In dieser Kombination gibt dies Anlaß zu viel Kritik. Vor allem verleiht die Einordnung der ausgeübten Tätigkeit dem Ausübenden den Status; zudem berührt jede Regelung in diesem Gebiet (sei sie geschriebenes oder Richterrecht) nicht nur die Marktordnung, sondern den juristischen Status der Person, und somit deren Grundrechte. In diesem Sinne bilden die Grundrechte also die Grenze der Marktordnung, wenn sie jedem andern Recht vorgehen sollen. Grob gesagt, führt das merkantile Konzept der Annäherung der freien Berufe an die Unternehmer zu einer Schwächung der Grundrechte der Person. Wenn man diese Aussicht umkehren will, muß der Markt die Grundrechte fördern, nicht zurückdrängen. Wenn man zudem den Status und damit die Tätigkeit regelt, regelt man damit auch die Verträge, mit denen diese Tätigkeit ausgeübt wird, und führt damit auch Vertragsrechtsregeln ein, ohne sich um die Harmonisierung von deren Inhalten zu kümmern. Des weiteren wird der Wettbewerb unter Freiberuflern nicht durch Regeln garantiert, sondern dadurch, daß alle freien Berufe strengen und effizienten deontologischen Regeln unterworfen sind, so daß sie ihren Klienten umsichtige, kompetente, korrekte und unabhängige Beratung anbieten. Nichtsdestotrotz wurde das merkantile Konzept durch eine Stellungnahme des EuGH bekräftigt.136 Man muß deshalb einige grundlegende Fragen stellen. Vor allem, ob dieser Vorgang unabwendbar ist, und somit, ob es wünschenswert ist, das Wettbewerbsrecht auf den gesamten Regelkorpus des Gemeinschaftsrechts auszudehnen. Also, ob man Gegenvorschläge machen soll, oder ihn korrigieren oder abschwächen, und mit welchen Mitteln. Auch, ob die Grundrechtecharta von Nizza und der geplante Reformvertrag mit diesem Prozeß in Einklang stehen oder eher eine Bremse bilden; ob es möglich ist, innerhalb des Gemeinschaftsrechts ein anderes Konzept neben dem merkantilen Modell zu entwickeln, welches mit diesem 136
Vgl. Carbone S M (2003) Il notaio tra regole nazionali ed europee: diritto societario e professioni regolamentate alla prova delle libertà comunitarie, in: Relazioni al XL Congresso Nazionale del Notariato. Bari, 26-29 ottobre 2003, Consilio Nazionale del Notariato, Hrsg., 1-32.
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koexistieren kann, und in Bezug auf die Eigenheiten der freien Berufe und der Rechte der Freiberufler angemessener ist, oder ob es eines präziseren Schutzes bedarf; ob die Grundsätze, die in den beiden Regelungsinstrumenten enthalten sind, den Unterschied zwischen den Professionen genügend bewahrt. In den Grenzen dieses Werkes wollen wir einige der oben aufgeworfenen Fragen kurz vertiefen.
6. Wettbewerbsrecht und freie Berufe 6.1 Eine Konferenz und eine Wiener Studie Auf einer Konferenz der Bundesrechtsanwaltskammer in Berlin am 21.3.2003 behandelte der damalige Wettbewerbskommissar Mario Monti den komplexen rechtlichen Rahmen, in dem sich die freien Berufe befinden.137 Im Hinblick auf eine Definition beschrieb er diese als Arbeit, die, im Bereich der freien Künste und Wissenschaften, spezielle Vorbereitung und Erfahrung erfordert; diese Tätigkeiten sind “Dienstleistungen, die die Bürger häufig in Anspruch nehmen,… und die in allen Geschäftsbereichen gleichermaßen wichtig sind.” Der Kommissar stellte fest, daß das Berufsrecht schon immer einen hohen Regelungsgrad aufgewiesen hat. Neuere Berufszweige sind hingegen nicht geregelt. Die überlieferten freien Berufe sind traditionell durch nationale Institutionen geregelt und nicht im Wege der Selbstverwaltung. Diese Regulierung betrifft sowohl den Zugang als auch “Preise”, besondere Pflichten der Ausübung, rechtliche Privilegien und Werbefreiheit. Monti stellte fest, daß das logische Fundament in den Rechtsordnungen variiert. Ein solches Fundament ist durch die “Informationsasymmetrie” gegeben, die aus dem unterschiedlichen Wissens- (”Kompetenz-“) niveau zwischen Berater und Klient resultiert. Hieraus ergibt sich, daß der Verbraucher geschützt werden muß, so daß er eine Dienstleistung von angemessener Qualität erhält. Diese Qualität muß nicht unbedingt die höchstmögliche sein. Es ist ausreichend, daß sie den Erwartungen des Konsumenten entspricht. Monti präzisierte, daß das erforderliche Resultat auf einer größtmöglichen Auswahl beruhen muß, sei es auf Seiten des Verbrauchers oder des Anbieters, da nicht alle Verbraucher nach der höchstmöglichen Qualität suchen, und nicht alle Anbieter dies oder den höchsten Preis anbieten wollen. Ein zweites logisches Fundament ist die Rolle der Außenwirkung, also des Schadens, den die Beziehungen zwischen Anbieter und Verbraucher Dritten zufügen können. Mit anderen Worten: der Preis der Dienstleistung spiegelt nicht alle Vor- und Nachteile wider. Dieses Problem des Marktes kann durch Regulierung gelöst werden; es ist aber nicht gesagt, daß die Fehler des Marktes durch Regulie137
Monti M. (2003) "Competition in Professional Services: New Light and New Challenges, (Rede vor der Bundesrechtsanwaltskammer in Berlin 21.3.2003)" Zugänglich unter http://ec.europa.eu/competition/speeches/text/sp2003_070_en.pdf.
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6. Wettbewerbsrecht und freie Berufe
rung der Dienstleistungen behoben werden können. Die Drittwirkungen müssen durch Einwirkung auf die Schwachstellen des Marktes geregelt werden. Von diesem Blickwinkel aus hat man in einigen Mitgliedstaaten die Berufsrechte der ökonomischen und technischen Entwicklung angepaßt und die Beschränkungen der Berufsausübung gelockert. Dies ist nur in einigen wenigen Fällen, wie in Spanien, der Fall, wo man eine integrierte Reform des Berufsrechts durchgeführt hat, oder im Vereinigten Königreich oder Dänemark, wo dieser Bereich durch Selbstverwaltung geregelt ist. Da die freien Berufe den Dienstleistungen zugerechnet werden, müssen sie dem in Lissabon ausgearbeiteten Binnenmarktprogramm entsprechen. Auf dem Binnenmarkt erreichen die Dienstleistungen 70% des Handelsvolumens, aber nur 20% des grenzüberschreitenden Handels. Deshalb müssen Handelsschranken vermehrt beseitigt werden, wie sich auch aus dem Bericht der Kommission über den Binnenmarkt in Dienstleistungen von 2002 ergibt:138 dies sind Hindernisse, die bestimmte Dienstleistungen andern entgegenstellen und damit deren Integration in eine industrialisierte Gesellschaft. Hierauf folgten die Richtlinien zur Anerkennung der Berufsabschlüsse.139 Der Kommissar bekräftigte, daß die Politik der Kommission bezüglich der Dienstleistungen auf dem Binnenmarkt sich auch auf die freien Berufe erstreckt, und daß diese Politik in der vollständigen Anwendung des Wettbewerbsrechts hierauf besteht, unter Beachtung der besonderen Rolle, die die freien Berufe für das öffentliche Interesse spielen, um die Position der Benutzer zu verbessern: die beste Auswahl und der beste Schutz vor Schaden. Dies bedeutet, daß nationale Gesetzgeber, die für den Schutz des öffentlichen Interesses auf ihrem Territorium zuständig sind, von wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen absehen müssen, die auch ungerechtfertigte Beschränkungen der Niederlassungs- und Ausübungsfreiheit einschließen. Diese Politik hat sich bereits aus verschiedenen EuGH Entscheidungen ergeben.140 Mit der ersten Entscheidung wurde bestätigt, daß die Mitgliedstaaten das Recht zur Regelung der selbständigen Berufe im Allgemeinen haben, mit der zweiten, daß einzelne Berufszweige geregelt werden dürfen. Alle anderen Regeln, die sich aus der speziellen Natur eines Berufes ergeben (und nicht nur durch Eigenheiten bedingt sind), dürfen den Wettbewerb nicht beschränken. Die Prüfung der Erfüllung dieses Kriteriums ist jedoch der Kommission und dem Gerichtshof in jedem Einzelfall vorbehalten. Um die Materie zu vertiefen, beauftragte die Kommission ein Wiener Forschungsinstitut mit einer Studie über die Anwälte, Notare, Steuerberater, Architekten, Ingenieure und Apotheker.141 Das Ergebnis zeigt, daß der Grad der Regulierung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich ist, je nach den 138
KOM(2002) 441 endg. 1999/42/EG, in Italien umgesetzt durch decreto legislativo vom 20.9.2002, Nr 229. 140 Vgl. Rechtssachen C-35/96 und C-309/99. 141 Paterson I, Fink M, et al., Hrsg. (2003) Economic Impact of Regulation in the Field of Liberal Professions in Different Member States. Regulation of Professional Services. 139
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unterschiedlichen Konzepten des öffentlichen Interesses, welches mit der Ausübung dieser Berufe verbunden ist. Auf der Basis der angewandten Faktoren reicht dieser Grad von 0 bis 12; für die Rechtsberufe reicht er von 0,3 in Finnland bis 9,5 in Griechenland, mit einem Mittelwert von 6; die Länder mit einem hohen Regulierungsgrad sind Österreich, Italien, Luxemburg, Deutschland und Griechenland. Die Ergebnisse zeigen auch, daß in den Ländern mit geringerer Regulierung die Profite der freien Berufe geringer sind, aber die Zahl der Ausübenden größer. Je höher das Regelungsvniveau, desto geringer ist die Effizienz, und desto geringer ist die Gewinnverteilung. Außerdem sind in Italien und Spanien die Zahlen der Rechtsstudenten sehr hoch, während die Anzahl der Komponenten des Studiums sehr klein ist. Der Kommissar schloß in dem Sinne, daß man die gegebene Situation besser erfassen müsse, daß der Wettbewerb in diesem Sektor zu erhöhen sei, daß Hindernisse beseitigt, sowie das Rechtsgebiet und die Informiertheit der Benutzer zu verbessern seien. Insgesamt müsse man verstehen, daß die traditionellen Regeln zum Schutz der Freiberufler und der Verbraucher sowie des öffentlichen Interesses immer noch notwendig seien. Man müsse die verschiedenen Umstände in den Mitgliedstaaten in Betracht ziehen, und verstehen, wie die gegebenen Systeme funktionieren, und es sei nötig, die Entgelte weiterhin zu regeln, aber so, daß sie nicht Kreativität, Effizienz und Engagement der Freiberufler beschränken. Der Kommissar betonte aber auch, daß ein geringeres Niveau an Regulierung einen größeren Markt und damit, durch mehr Wettbewerb, neue Dienstleistungen ermöglicht. 6.2 Das Arbeitspapier der Kommission zu Dienstleistungen Auf der Basis der oben erwähnten Studie aus Wien und einer Analyse der OECD142 hatte die Kommission ein Arbeitspapier aufgelegt143 und Stellungnahmen dazu eingeladen. In diesem Papier werden die von der OECD herausgearbeiteten Grundsätze und die rechtlichen Voraussetzungen für eine Intervention der EG zusammengefaßt. Diese wurden von der Rechtsprechung des EuGH abgeleitet und in zwei Grundprinzipien präsentiert: • der Charakter der intellektuellen Berufe und die spezielle Verantwortung, die mit ihrer Ausübung verbunden sind, rechtfertigen keine Abweichung von der Grundregel, daß der Begriff „Unternehmer“ auf jeden zutrifft, der eine ökonomische Tätigkeit ausübt, und daher sind auch am Markt angebotene Dienstleistungen wirtschaftliche Betätigungen. • Im Bereich der freien Berufe beinhaltet die Feststellung wettbewerbsverzerrender Praktiken die Verantwortung des Staates und der Berufsverbände.
142 143
OECD (1999) Competition in Professional Services. Policy Roundtables. “Stand der Regulierung der freien Berufe - Übersicht über die Rechtslage in den EUMitgliedstaaten", Nov. 2004, in Ergäzung zum Bericht KOM(2004) 83 vom 9. Februar 2004 und gefolgt von der Mitteilung KOM(2005) 405 endg.
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Die Politik der Kommission ist daher seitdem, den Wettbewerb auch auf diesem Sektor zu schützen, „unter Berücksichtigung der Besonderheit des Status der freien Berufe in den Ökonomien der Mitgliedstaaten und der Gesellschaft allgemein.“ Eine dieser Besonderheiten ist, daß sie von deontologischen Prinzipien getragen werden und dem Wettbewerbsrecht unterfallen, was sie vorzugswürdig macht. Hierzu war den interessierten Kreisen ein Fragebogen144 zugeleitet worden, um Daten zur Vorbereitung einer Intervention zu sammeln. 6.3 Die Haltung des CCBE Der CCBE hatte eine Antwort auf die vorgelegten Fragen am 28.5.2003 abgegeben.145 Die Analyse der Antworten und abschließenden Beobachtungen sind bezeichnend für die Position des Repräsentativorgans der europäischen Anwaltschaft: aus der Kombination von Frage und Antwort – nicht aus den Schlußbetrachtungen – ergibt sich das Bild des europäischen Advokaten und damit die Art der Formung der anwaltlichen Berufsregeln, als sei dies das beste Konzept, was anzuwenden sei. Die Frage Nr. 15 betrifft die nach Ansicht des Berufsverbandes wünschenswerten bzw. erforderlichen Berufsregeln, unter Beachtung der Richtlinie über den ecommerce,146 die sich auf die Unabhängigkeit, das Berufsgeheimnis und die Korrektheit (fairness) zwischen Klient und Freiberufler, sowie unter dessen Kollegen beziehen.147 Der CCBE hat Zweifel erhoben an dieser Frage nach Vorschlägen, ohne sich dabei auch auf Gründe und Reichweite der Normen zu beziehen. Der CCBE bat darum, die Kommission möge ihre Aufmerksamkeit vor allem dem Anwaltsberuf zuwenden, wegen dessen Rolle für das öffentliche Interesse in einer demokratischen Gesellschaft. Die Anwälte verteidigten das Berufsrecht gegenüber den Regierungen, die es im Zeichen des Wettbewerbs beseitigen könnten, und damit, angesichts der Kompetenzen der Anwälte im Kampf gegen die Geldwäsche, die Klienten treffen. Das Berufsrecht sollte jedoch nicht im Namen des Wettbewerbs eingeschränkt werden, da es neben den Interessen der Berufsgruppe auch grundlegende Interessen des zivilen Zusammenlebens schützt. Dies ist der wichtigste Kritikpunkt des CCBE in seiner Antwort, denn es ist die rule of law, die den Rechtsstaat bildet, nicht der Wettbewerb. Die EG-
144
Questionnaire on regulation in liberal professions and its effects (27.3.2003). Conseil des Barreaux de l’Union européenne, CCBE, (2003) CCBE response to the European Commission competition questionnaire on regulation in liberal professions and its effects, zugänglich auf der CCBE website www.ccbe.org. 146 200/31/EG vom 8.6.2000. 147 Q15: “Would you like to indicate which, in your view, are the essential rules that a professional must comply with? You may wish to take into account that the e- commerce Directive lists the examples of independence, professional secrecy and fairness towards clients and other members of the profession, as professional rules to be complied with.” 145
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Kommission schien hingegen die Wiener Studie zur Grundlage ihrer Politik machen zu wollen. Der CCBE bezog sich außerdem auf die Empfehlung des Europarates zur Rolle der Rechtsberufe,148 die Grundsätze der Vereinten Nationen von 1990149 sowie auf die Grundsätze der Wouters Entscheidung,150 um zu unterstreichen, daß das Berufsrecht sowohl dem öffentlichen Interesse dient, wie auch dem Wettbewerbsrecht unterliegt. Auch wurde auf den eigenen Code of Conduct, die Standesregeln hingewiesen, die die Unabhängigkeit des Anwalts, der ja nicht nur seine eigenen Interessen vertritt, gewährleisten. Diese Unabhängigkeit im Interesse des Klienten wurde ja auch von der Wouters- Entscheidung zugrundegelegt, und deshalb kann das Wettbewerbsrecht nicht in das Standesrecht eingreifen. Ebenfalls dem Klientenschutz dient die Erhaltung der Vetraulichkeitsregeln, so daß der Anwalt sich aus nichtöffentlichen Quellen informieren kann, sowie das Verbot der Honorarteilung mit Angehörigen anderer Berufszweige. In diesem Sinne sei es ein gravierender Fehler, diese Regeln der Berufsausübung als Hindernis für grenzüberschreitende Dienstleistungen anzusehen. Insgesamt verstand der CCBE deshalb nicht, wie die Kommission zu dem Schluß gelangen konnte, der Markt habe auf dem Dienstleistungssektor der freien Berufe “versagt”, denn es seien nicht ausreichend konkrete Forschungsdaten in Bezug auf die wirtschaftlichen Umstände und die Beziehungen zwischen Berater und Klient erhoben worden, die eine solche Aussage stützen könnten. Die Rolle der Eigenheiten der freien Berufe müsse weiter vertieft werden. 6.4 Die Perspektive der Charta von Nizza und des Vertrags von Lissabon Die Charta und der Reformvertrag nehmen eine ganz andere Position ein. Schon die Sozialcharta, die in Turin 1961 unterzeichnet und durch das Straßburger Protokoll von 1988 ergänzt wurde – auf welches sich wiederum die Charta von Nizza bezieht – formulierte ein Recht auf Arbeit als Recht der Person; das Protokoll unterschied dann zwischen abhängiger und selbständiger Arbeit, jedoch setzte es letztere nicht mit unternehmerischer Tätigkeit gleich. Die Charta von Nizza unterscheidet die Berufsfreiheit in Art. 15 von der Unternehmerfreiheit in Art. 16 und siedelt die freie Wahl der Berufsaufnahme im “Recht auf Arbeit” an. Diese Freiheiten und Rechte sind unter den höchsten Grundrechten zu finden, sie folgen den Vorschriften zur menschlichen Würde und stehen vor den Gleichheitsrechten. Diese Freiheitsrechte gelten für alle Personen, nicht nur Unionsbürger.
148
Rec(2000)21E 25 October 2000 on the freedom of exercise of the profession of lawyer. UN Basic Principles on the Role of Lawyers, Dezember 1990. 150 J. C. J. Wouters, J. W. Savelbergh and Price Waterhouse Belastingadviseurs BV v Algemene Raad van de Nederlandse Orde van Advocaten, Rechtssache C-309/99. 149
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7. Elektronischer Handel und Verbraucherschutz
Der Anwaltsberuf ist dort nicht besonders erwähnt, jedoch indirekt in Art. 47 ff., wo das Recht auf Verteidigung formuliert wird. Unter dem Gesichtspunkt der Würde des Arbeitenden nahm der Verfassungsvertrag diese Grundsätze in Art. II-31 wieder auf, und auch im Rahmen der Garantie einer Karriere in Art. II-33. Die freien Berufe sind dort in Teil III im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit geschützt, und der Anwaltsberuf wieder im Zusammenhang mit dem Recht auf Verteidigung, Art. II- 47ff. Das Wettbewerbsrecht ist den “Unternehmen” vorbehalten, Teil V. Es gibt zahlreiche Vorschriften über den Vertragsschluß, die kulturelle Rolle und andere Aspekte der freien Berufe. So kann man die freien Berufe unter drei Gesichtspunkten betrachten: als Ausdruck der Persönlichkeitsentfaltung, als Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und als Teilhabe am wirtschaftlichen Leben. In all diesen Fällen kann man sie nicht den Unternehmern gleichstellen, denn dies bedingt eine Risikoübernahme, was aber nicht im Einklang steht mit Beraterverträgen, Qualitätskontrolle und dem Schutz der Würde. Auch wenn diese Bestimmungen der Charta und des Verfassungsvertrages bzw. des Reformvertrages keine formelle Geltung haben, bilden sie doch einen Werterahmen, der eine klare und unübersehbare Richtung vorgibt, und innerhalb dessen sich die Politik der Gemeinschaft bewegen muß. Schließlich würden sie dem Wettbewerbsrecht vorgehen, wenn sie in Geltung gesetzt werden. Hieraus ergibt sich also ein weniger merkantil orientiertes Konzept der freien Berufe und eine besondere Stellung des Anwaltsberufs. Im formellen Konzept des Gemeinschaftsrechts sind also die Rechte der Person – hier das Recht der Berufsausübung – den Markterfordernissen vorangestellt. Der Markt, der ohne Regeln nicht überleben kann, muß von aber Grundsätzen beherrscht werden, die die berufliche Würde nicht verwässern, sondern schützen.
7. Elektronischer Handel und Verbraucherschutz 7.1 Der rechtliche Rahmen Beim online trading von Finanzdienstleistungen scheinen, stärker als in anderen Bereichen, zwei Modelle der Analyse miteinander im Konflikt zu stehen, die zwei Politikmodellen der Gemeinschaft entsprechen. Die eine richtet ihre Aufmerksamkeit auf korrektes Verhalten der Teilnehmer und privilegiert die Handlungsfreiheit und Privatautonomie der Anbieter, wodurch der Grad an Wettbewerb und Klientenzufriedenheit steigt. Die andere hat den Schutz der wirtschaftlich und vertraglich schwächeren Partei zum Ziel, des Klienten oder Verbrauchers, dem er eine Anzahl von nicht übertragbaren Rechten garantiert, zusammen mit nichtabdingbaren Vorschriften – Kontrollinstrumente, die von den Verbraucherorganisationen anstelle der öffentlichen Hand gerichtlich durchgesetzt werden können.
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Hieraus wird ersichtlich, daß consumer satisfaction und consumer protection nicht immer die gleichen Bereiche abdecken, sondern sie sich nur in Teilen überlagern. Der erstgenannte Begriff ist weiter als der zweite, denn er bezieht sich auf alle Arten von Vertragsparteien, ungeachtet ihres status, und auch eingeschränkter, denn er bezieht sich auf spontane Entscheidungen des Unternehmers oder auf Verpflichtungen, die er in Zusatzvereinbarungen oder in Verhaltenskodizes oder Protokollen mit Vertreterorganisationen (Verbraucher- oder Berufsverbände) übernommen hat. Der zweite Begriff bezieht sich auf verbindliche Standards, die der Unternehmer erfüllen muß. Im Bereich der Finanzdienstleistungen werden diese von einer großen Anzahl von Behörden gesetzt, die zueinander in einem vielfältigen hierarchischen Verhältnis stehen, und zwar auf nationaler und europäischer Ebene. Die Begriffe unterscheiden sich also auch darin, daß der erstere Instrumenten der Selbstverwaltung, in den Grenzen der allgemeinen Grundsätze zu Vermittlern und Kunden, und nur geringen Eingriffen durch den Staat unterliegt, während der letztgenannte den Eingriff des Staates voraussetzt, entweder durch Regelung oder Kontrolle. Die europäischen Richtlinien bedienen sich einer Mischung von Selbstverwaltung und self restraint und zugleich für die Vertragsparteien verbindlicher Vorschriften.151 Diese Lösung ergibt sich daraus, daß die Asymmetrie im Informiertheitsgrad zwischen kontrahierenden Parteien nur teilweise behoben werden kann, und daß der Markt nicht imstande ist, nur durch Selbstregulierung eine ausgeglichene Balance unter den beteiligten Interessen herzustellen. Zudem haben sich die Verbraucherinteressen auf dem Finanzmarkt erst seit kurzem entwickelt, indem der Vorrang dem Schutz der Gesundheit und Sicherheit galt und hernach dem Schutz wirtschaftlicher Interessen. Letztere wurden bereits in der Gemeinschaftsentschließung zu den Verbraucherrechten von 1975152 berücksichtigt. Die Gemeinschaftspolitik hat sich vor allem mit dem Verbraucherkreditwesen und der Überschuldung von Verbrauchern beschäftigt, und erst seit kurzem wird der Begriff des Verbrauchers auch mit dem des Anlegers gleichgesetzt.153 151
Siehe auch de Bùrca G (1995). Sog. 1. Aktionsprogramm des Rates. 153 Vgl. zum Grünbuch der europäischen Kommission zu den Finanzdienstleistungen (KOM 96/209) und die anschließende Mitteilung zu den Verbrauchererwartungen (KOM 97/309): Alpa G, Hrsg. (1999) Codice del consumo e del risparmio, 605; Gaggero P (1999) I servizi di investimento, in: Codice del consumo e del risparmio, Alpa G, Hrsg., 657; National Consumer Council [nunmehr Consumer Focus für England, Schottland und Wales] (1999) Consumer Concerns 1999. Consumers’ Views of Advice and Information on Financial Services; Alpa G (1998) Commento sub art.21 d.lgs.24.2.1998, n.58, in: Commentario al testo unico delle disposizioni in materia di intermediazione finanziaria, Alpa G and Capriglione F, Hrsg. 1, 212; Banakas S (1999) "Liability for Incorrect Financial Information: Theory and Practice in a General Clause System and in a Protected Interests System" European Review of Private Law 7(3), 261 – 86; James R (1999) "The Application of the EC Recommendations on the Principles 152
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Heute deuten die Vorschriften der Artt. 2,3 c lit. t, 153 des EG-Vertrages darauf hin, daß der Konsumentenschutz zu einem Hauptziel der Union und zu einer wesentlichen Aufgabe der Gemeinschaftspolitik bei der Schaffung des Binnenmarktes geworden ist. Die harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft vollzieht sich auch durch die Stärkung des Konsumentenschutzes, – auf einem hohen Niveau gesichert – was unter anderem deren wirtschaftliche Interessen betrifft. Diese Ziele werden durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten gemäß Art. 94 EG und durch Harmonisierung von Schutzvorschriften zur Vermeidung von Diskriminierung gem. 95 EG verfolgt.154 Zu den Problemen des Konsumentenschutzes auf dem Finanzmarkt gehören auch diejenigen mit den elektronischen Instrumenten, durch die Güter und Dienstleistungen erworben werden. Die Ziele, die in dieser neuen Dimension verfolgt werden, sind in einem Bericht beschrieben, der dem “Netzwerk für Bürger und ihre Gesellschaft” gewidmet ist,155 wo betont wird, wie wichtig der Netzzugang für den Einzelnen ist, die Transparenz der Geschäftsvorgänge, die angemessene Information des Kunden und das korrekte Verhalten der Anbieter. In diesem Zusammenhang, wo sich die Bewegung zum Schutz der Konsumenten in Verträgen mit Gewerbetreibenden und der Benutzer von Datenverarbeitung in der Dienstleistung, auch unter gewerblichen Parteien, verbinden, stehen die Herausforderungen bei online vertriebenen Finanzdienstleistungen. Der elektronische Handel, die digitale Firma, Zahlungssysteme, der telematische Vertragsschluß, mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, der Datenschutz und die außergerichtliche Einigung sind sicherlich nur einige, aber wohl die wichtigsten dieser Probleme. Die Schaffung des normativen Rahmens auf nationaler und Gemeinschaftsebene ist daher notwendigerweise komplex. Zu diesen Regeln zählen dann auch die allgemeinen Vorschriften über den Datenschutz, sowohl der natürlichen wie juristischen Personen, und zwar sowohl personenbezogene, wie auch wirtschaftliche Daten.156 Applicable to Out-of Court Procedures to the New Arrangements for the Settlement of Consumer Complaints in the UK Financial Services Sector" Consumer Law Journal 7, 443-63; Domont-Naert F (2000) "The Right to Basic Financial Services: Opening the Discussion" Consumer Law Journal 8, 63. 154 Vormals Art. 100 und 100a. 155 Forum Information Society, Annual Report, Juni 1996; Andersen M B (1998) Electronic Commerce: A Challenge to Private Law?; Bericht der European Consumer Law Group (2000) Consumer Transactions on the Internet, ECLG/194/2000; siehe auch Calliess GP (2003) Das Zivilrecht der Zivilgesellschaft. Die abendländische Rechtstradition, das Internationale Privatrecht und der Verbraucherschutz in: Rechtsverfassungsrecht: RechtFertigung zwischen Privatrechtsdogmatik und Gesellschaftstheorie, Joerges C and Teubner G, Hrsg., siehe elektronische Version, 22, Anm. 113 (zugänglich unter http://www.handelsrecht.uni-bremen.de/Schriften/Calliess). 156 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr Abl Nr. L 281 vom 23. November 1995 S. 31.
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Ein gemeinsamer Rahmen in der hier untersuchten Materie wurde durch zwei allgemeine Richtlinien geschaffen: der RiLi 93/22/EG vom 10.5.1993157 und die ecommerce Richtlinie 2000/31/EG vom 8.6.2000.158 Über die erstgenannte Richtlinie – die nicht in erster Linie dem Verbraucherschutz dient – muß man nicht viele Worte verlieren. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß diese Richtlinie Verhaltensweisen für Vermittler in Vertragsbeziehungen bezüglich fairness und der Vermeidung von Interessenkonflikten aufstellt. Die zweite Richtlinie zum e-commerce ist wesentlich detaillierter. 7.2 Die e-commerce Richtlinie Die Richtlinie 2000/31 EG führt, in den Grenzen der Subsidiarität, Regeln zur Stärkung der Rechtssicherheit und des Vertrauens der Verbraucher ein, Erwägungsgrund (Eg) 7, ferner nach Eg 10, solche zur Förderung der freien Dienstleistungsverkehrs, eines hohen Schutzniveaus allgemeiner Interessen – wie jener der Verbraucher. Diese Richtlinie ist außerdem mit andern Richtlinien zu mißbräuchlichen Klauseln, irreführender und vergleichender Werbung, sowie Distanzverkäufen von Waren und (Finanz) dienstleistungen koordiniert. Der Erwägungsgrund 27 besteht auf dem Schutz des Konsumenten bei online Finanzdienstleistungen u.a. durch Verhaltensregeln für den Anbieter. Nach Eg 32 sollten “zur Festlegung der für kommerzielle Kommunikation geltenden Berufsregeln” Verhaltenskodizes erstellt werden. Die Richtlinie will “elektronisch geschlossene Verträge“ legitimieren (Eg 38) und die Verpflichtung zur Korrektheit und Qualität der erbrachten Dienstleistungen, sowie den Rückgriff im Haftungsfalle bekräftigen (Eg 40, 48), aber auch Maßnahmen gegen illegale Handlungsweisen (Eg 45), sowie außergerichtliche Streitbeilegung (Eg 52). Besonders die Regeln dieser Richtlinie zu allgemeinen Informationen, die dem Verbraucher zur Verfügung stehen müssen (Art. 5), kommerzieller Kommunikation (Art. 6) und elektronisch geschlossenen Verträgen (Art. 10 ff) sind so detailliert, daß sie ohne weiteres direkt in den nationalen Rechtsordnungen angewandt werden können.
7.3 Distanzverkäufe von Finanzprodukten Dieser Handlungsrahmen, immer im Bemühen ein “Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Interessen”159 zu schaffen, würde durch die Annahme zweier noch fehlender Richtlinien vervollständigt: die Richtlinie über den online Verkauf von Finanzprodukten und über die Verpflichtungen von Dienstleistern. Bezüglich der ersteren wurde am 6. Oktober 2000 ein Arbeitspapier angenommen
157
Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen, Amtsblatt Nr. L 141 vom 11/06/1993 S. 0027 – 0046. 158 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt ("Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr") Amtsblatt Nr. L 178 vom 17/07/2000 S. 0001 - 0016 159 Erwägungsgrund 41 der e-commerce RiLi, siehe oben 7.2.
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(CONSOM/00/14),160 welches im Vergleich zu der Version des Vorjahres eine sicherlich in systematischer Hinsicht bedeutsamere und weitgehend konsolidierte Fassung darstellte. Die Harmonisierung der Vorschriften in den Mitgliedstaaten ist somit noch nicht vollständig – und kann es auch derzeit noch nicht sein. Die Textentwürfe der Gemeinschaft deuten schon an, daß ein und dieselbe Finanzdienstleistung in den Rechtsordnungen unterschiedlich eingeordnet werden kann, und daß die ecommerce Richtlinie nur den Vertragsabschluß, nicht aber dessen Durchführung betrifft. Man schaut also auf andere Richtlinien, vielleicht ein Europäisches Zivilgesetzbuch, bei der Aufgabe der Vereinheitlichung des Dienstleistungsrechts und damit der Finanzdienstleistungen, die mit solchen Mitteln vertrieben werden.161 7.4 Einige Kritische Anmerkungen zur Gesetzgebungstechnik Die Harmonisierung der Rechtsvorschriften ist für die Schaffung des Binnenmarktes unabdingbar. Hier trifft man nun auf ein Dilemma. Um die Konsumenten mit Informationen und Vergleichskriterien zu versorgen, müßte ein sehr hohes Harmonisierungsniveau erreicht werden. Dies könnte jedoch leicht zu starken Beschränkungen der Dienstleister führen und damit eine Schwelle überschreiten. Um den Unternehmern Raum zu lassen, die besten und differenziertesten Standards zu erreichen, ist es am besten, mit einer minimalen Harmonisierung den Mitgliedstaaten Wahlmöglichkeiten zu lassen. Die übermäßige Diversifizierung wiederum setzt einen gebildeten Verbraucher voraus, der in sprachlicher und technischer Hinsicht die Unterschiede zu schätzen weiß, und so von Vorteilen profitieren kann. Eine ausgeglichene Lösung könnte in zwei Zielen bestehen: (i) Die größtmögliche Harmonisierung wird in der rechtlichen Dimension erreicht, im Hinblick auf Terminologie, Konzepte und rechtliche Instrumente (dieses Ziel wird von den Projekten zum Europäischen Zivilgesetzbuch verfolgt, die auch die Dienstleistungen und insbesondere die Finanzdienstleistungen mit einbeziehen). (ii) Eine differenzierte Behandlung durch verbesserte Formen des Schutzes im Hinblick auf die Mindeststandards bei Rechtsbehelfen und Ga-
160
Vgl. nunmehr Entschließung des Europäischen Parlaments vom 27. September 2007 zu den Verpflichtungen von grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringern, basierend auf dem Bericht von Lasse Lehtinen an das Committee on the Internal Market and Consumer Protection des Europaparlaments vom 18.4.2007, (2006/2049(INI)); siehe auch Dalhuisen J (2003) Towards a single European capital market and a workable system of regulation in: Financial Markets in Europe: Towards a Single Regulator?, Andenas M and Avgerinos Y, Hrsg., 35-74, 46. 161 Näher hierzu z.B. Andenas M (1998) The Right to Provide Financial Services and the Commission as Legislator, in: The Changing World of International Law in the TwentyFirst Century – In Memoriam Ken Simmonds, Norton J J, Andenas M and Footer M, Hrsg., 239-58.
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rantien, sowie im Hinblick auf die wirtschaftlichen Inhalte wie Preis, Risiko, Vorteile etc. je nach den Markterfordernissen. In diesem Zusammenhang ergibt es keinen Sinn, auf die Regeln des Internationalen Privatrechts zurückzugreifen, auf die Brüsseler und Römischen Konventionen,162 denn die unterschiedlichen materiellen und prozessualen nationalen Regeln bilden mehr Hindernisse als sie Vorteile bieten. Auch ist es nicht sinnvoll, sich auf die nationalen Rechte oder das Gewohnheitsrecht der Parteien zu verlassen, auf das Recht des Vertragsschlusses und der entsprechenden vertraglichen Abhilfe- und Lösungsmechanismen. Das Vorliegen von ungünstigen Klauseln im Vertrag führt dazu, daß der einzelne Konsument sowie die Verbraucherverbände sich an die Justiz wenden und damit Kosten auf sich nehmen, und diese Energie und Zeit schadet dem Markt, und erst Recht dem einzelnen Anleger. Finanzdienstleistungen sind hier noch anders zu beurteilen, weil sie kein Produkt betreffen, daß man reparieren oder ersetzen kann, so daß die wirtschaftlichen Auswirkungen hier noch größer sind. Die Erfahrungen mit der außergerichtlichen Streitschlichtung, ADR,163 sind in den Mitgliedstaaten unterschiedlich: im Vereinigten Königreich und in Spanien ist dies gut entwickelt und verbreitet, weniger dagegen in Italien oder Deutschland.164 Trotzdem ADR ein nützliches und sicheres Mittel der Streitbeilegung ist, kann man damit nicht die Frage der Rechtssicherheit und zügigen Abwicklung erschöpfend beantworten. Auch die Verhaltenskodizes und die neueren Richtlinien verpflichten die Rechtsordnungen nicht, beide Streitbeilegungsarten nebeneinander vorzusehen. Jede Rechtsordnung hat ihre geschichtlichen Erfahrungen, und das englische Modell ist auch nicht frei von Kritik, auch wenn es erfolgreich “exportiert” wurde. Verhaltenskodizes werden normalerweise von den Vertretern der Branche erstellt, und die Kontrollorgane haben für gewöhnlich keinen Vertreter der Dienstleistungsempfänger. Die Absichtserklärungen der Berufs- und Verbraucherverbände verfolgen wichtige Ziele, verwandeln sich aber dann in einen Bumerang, wenn der Richter Verhaltensweisen oder Klauseln, die mit Billigung der Verbraucherverbände verhandelt wurden, beurteilen soll – unter Berücksichtigung der Wertung, die ja bereits von den Parteien vorgenommen wurde. 7.5 Der Online Verkauf von Finanzprodukten Viele Anbieter verlangen vom Kunden, bevor sie ihnen genaue Informationen über das Produkt geben, daß sie sich über ihre Risikobereitschaft erklären, um das richtige Produkt auswählen zu können. Zudem wird der Konsument auch oft aufgefordert, seine Identität zu belegen, oft vor Bekanntgabe der Geschäftsbedingun162
Bzw. sog. Rom I und Brüssel I VO. Alternative Dispute Resolution, in Deutschland Mediation. 164 Trotz der neuen Gesetzgebung in der ZPO entwickelt sich in Deutschland hier nur langsam eine Praxis. 163
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gen, und auch dazu, die Zahlungsweise anzugeben. Hier wird dem Konsumenten ein Risiko auferlegt, denn die Daten werden hier nicht zu statistischen sondern zu andern Zwecken erlangt. Da den nationalen Gesetzgebern die Wahl zwischen sogenannten opt-in und opt-out Systemen in Bezug auf unerbetene Kommunikation (unverlangt zugesandtes Werbematerial oder sog. Kaltacquise) gelassen wird, sind die Konsumenten damit auf einem einheitlichen Markt aggressiven Praktiken augesetzt. Der Charakter der verbindlich vom Anbieter zu leistenden Information – Klarheit und Verständlichkeit – die häufig in Europarichtlinien auftauchen, sind vage und ungenau: die Klarheit kann durch Technizismen ersetzt werden, die dem Konsumenten wenig bietet; die Verständlichkeit ist nicht durch die Verwendung von Terminologien und Formulierungen sicherzustellen, die in allen Rechtsordnungen unterschiedlich sind. Die Beweislast der Einhaltung der Informationsregeln kann nicht nur wahlweise den nationalen Gesetzgebern überlassen bleiben. Denn der Gebrauch eines so veränderlichen und technisch schwierigen Mediums, wie die elektronischen Systeme, beinhaltet ungleich größere Schwierigkeiten für den Verbraucher, als für den Gewerbetreibenden. Diese Bemerkungen sollen die Materie lediglich streifen und müßten vertieft werden, sollte es doch noch zu einer Richtlinie in diesem Bereich kommen.165
165
Vgl. nunmehr Entschließung des Europäischen Parlaments vom 27. September 2007 zu den Verpflichtungen von grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringern, basierend auf dem Bericht von Lasse Lehtinen an das Committee on the Internal Market and Consumer Protection des Europaparlaments vom 18.4.2007, (2006/2049(INI)); siehe auch Dalhuisen J (2003) Towards a single European capital market and a workable system of regulation in: Financial Markets in Europe: Towards a Single Regulator?, Andenas M and Avgerinos Y, Hrsg., 35-74, 46. Die Richtlinie 2004/39/EG, Markets in Financial Instruments, MiFiD, nahm den gesamten Bereich der online Verkäufe lediglich indirekt unter dem Gesichtspunkt der “execution only” Geschäfte auf, nicht als separaten Fall, und erfüllte damit nicht die hier beschriebenen Erwartungen. Dies ist wohl auch der generellen Ausrichtung dieser Richtlinie auf die Schaffung einer einheitlichen Finanzaufsicht geschuldet, also eines anderen Gesichtspunktes als der des Verbraucherschutzes. Vgl auch oben, 4.5.1 (ii). Siehe hierzu Alexander P K, Eatwell P J, et al. (2007) "Financial Supervision and Crisis Management in the EU - study requested by the European Parliament's Committee on Economic and Monetary Affairs" IP/A/ECON/ST/2007-26; zur Entwicklung des derzeitigen acquis des Finanzmarktes siehe auch Dalhuisen J (2003) Towards a single European capital market and a workable system of regulation in: Financial Markets in Europe: Towards a Single Regulator?, Andenas M and Avgerinos Y, Hrsg., 35-74. Vgl. auch Präsentationen zur sog. 'MiFID one year on' conference in Brüssel am 13.11.2008, erhältlich unter http://ec.europa.eu/internal_market/securities/isd/conference_en.htm.
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8. Literaturhinweise Der Bereich der Dienstleistungen im Gemeinschaftsrecht wird gegenwärtig häufig behandelt; vgl. Weatherill und Beaumont, EU Law, London, 1999, 672-714; Weatherill, Cases and Materials on EU Law, Oxford, 2003, 445ff.; Tesauro, Diritto comunitario, III. Aufl., Padua, 2003, 526; Trattato di Diritto privato, Mario Bessone, (Hrsg.) Bd. XXVI, Il diritto privato dell’Unione europea, hrsg. v. Antonio Tizzano, I, Torino, 287. Im italienischen Recht ist der Aufsatz von Gerardo Santini, erschienen 1988, grundlegend (Commercio e servizi. Due saggi di economia del diritto, Bologna, 1988, 413-562). Zum Versicherungsrecht siehe Jürgen Basedow, The Case for a European Insurance Contract Code, in J.Bus.Law, 2001, 569 ff.; und allgemein Alpa, Il diritto dei consumatori, Roma-Bari, 2001 und die gesammelten Beiträge von Alpa und Danovi in Diritto privato europeo. Fonti ed effetti, Milano, 2004. Zum Recht des freien Austauschs von Waren und Dienstleistungen siehe P. Behrens, Die Konvergenz der wirtschaftlichen Freiheiten im europäischen Gemeinschaftsrecht, 1992, EUR 45, 146 – 147; F H Easterbrook, Federalism and European Business Law, 1994, 14 Int. Rev. of Law and Economics 125, 127; M J Koop, Institutional Competition versus Centralisation: Quo Vadis Europe? 1993, 9 Oxford Review of Economic Policy 15, 17; A Ogus, Competition between National Legal Systems: A Contribution of Economic Analysis to Comparative Law, 1999, 48 ICLQ 405, 408; J Snell, True Proportionality and the Movements of Goods and Services, 2000, 11 EBLR 50, 52. Zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch den EuGH siehe besonders G DE Bùrca, The Principle of Proportionality and its Application in EC Law, 1993, 13 YEL 105, 108 e 127; K Lenaerts K, Some Thoughts About the Interaction Between Judges and Politicians in the European Community, 1992, 12 YEL 1, 12; O Due Dassonville Revisited or No Cause for Alarm, in Campbell und Voyatzi (Hrsg.), Legal Reasoning and Judicial Interpretation of European Law, 1996, Gosport, 27; zum Fall Cassis siehe J Steiner, Drawing the Line: Uses and Abuses of Article 30 EEC, (1992) 29 CML Rev. 749, 759. E White, In Search of the Limits to Article 30 of the EEC Treaty, 1989, 26 CML Rev. 235, 238. M A Jarvis, The Application of EC Law by National Courts: The Free Movement of Goods, 1998, Oxford, 129 – 132. J P Jacqué und J H H Weiler, On the Road to European Union – A New Judicial Architecture: An Agenda for the Intergovernmental Conference, 1990, 29 CML Rev. 185, 188. P J G Kapteyn, The Court of Justice of the European Communities after the Year 2000, in Curtin und Heukels (Hrsg.), Institutional Dynamics of European Integration, 1994, Bd. II, Dordrecht, 137; T Koopmans, The Future of the Court of Justice of the European Communities, 1991, 15, 16; N Bernard, The Future of European Economic Law in the Light of the Principle of Subsidiarity, 1996, 33 CML Rev. 633, 653 – 654; Dashwood, The Limits of European Community Powers, 1996, 21 EL Rev. 113; Poiares M Maduro M, We the Court, 1998, Oxford, 34; ID., The Reformation of European Constitutionalism, 1997, 35 JCMS 97, 123 – 127. Zum Fall Keck vgl. P Oliver, The Free Movement of Goods in the European Community, 3. Aufl., 1996, London, 103; R Joliet, Der freie Warenverkehr: Das Urteil Keck and Mithouard und die Neuorientierung der Rechtsprechung, 1994, GRUR Int. 979, 987; P Eeckout, The European Internal Market and International Trade: A Legal Analysis, Oxford, 1994, 270 – 271; ders. Recent Case-law on Free Movement of Goods: Refining Keck and Mithouard”, 1998, 9 EBLR 267, 270. Über die besonderen Verträge im Europäischen Privatrecht vgl. Christophe Jamin Un droit européen des contrats?, op. cit., 47; Richard Crone Problèmes pratiques des contrats européens, ibid., 54. François Collart Dutilleul und Philippe Delebecque (Contrats civils et commerciaux, Paris, 1996, 20); Savaux, La théorie générale du contrat, mythe ou réalité?,
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