Drittbeteiligung am Schuldverhältnis
Jan Dirk Harke Herausgeber
Drittbeteiligung am Schuldverhältnis Studien zur Geschichte und Dogmatik des Privatrechts
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Herausgeber Professor Dr. Jan Dirk Harke Ordinarius für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Historische Rechtsvergleichung an der Universität Würzburg Richter am Oberlandesgericht Nürnberg Alte Universität Domerschulstraße 16 97070 Würzburg Deutschland
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ISBN 978-3-642-04449-6 e-ISBN 978-3-642-04450-2 DOI 10.1007/978-3-642-04450-2 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Vorwort
Für eine Drittbeteiligung am Schuldverhältnis sorgen verschiedene Institute, die in den Augen eines modernen Juristen keine oder kaum Verbindung haben. Ihre Verteilung auf unterschiedliche Bereiche der Rechtsgeschäftslehre und Schuldrechtsdogmatik verdeckt ihren funktionellen und konstruktiven Zusammenhang: Die Stellvertretung, die heute als Teil der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre gilt, ist genetisch und strukturell eng verwandt mit dem schuldrechtlichen Vertrag zugunsten Dritter, bei dem es ebenfalls darum geht, Rechtswirkungen in der Person eines nicht am Vertragsschluss Beteiligten hervorzubringen. Als Mittel zur Schaffung einer Drittempfangszuständigkeit steht sie außerdem in Beziehung zur Gesamtgläubigerschaft. Diese bewirkt wiederum ebenso wie die Gesamtschuldnerschaft, dass Vorgänge in einer schuldrechtlichen Zweierbeziehung auf eine andere ausstrahlen, bei der entweder die Gläubiger- oder die Schuldnerrolle personengleich besetzt ist. Ein ähnlicher Zusammenhang besteht auch zu Abtretung und Schuldübernahme, bei denen die Zuweisung schon begründeter Rechte oder Pflichten an einen Dritten das Ergebnis einer nachträglichen Einwirkung auf das Schuldverhältnis ist. Eine Drittbeteiligung am Schuldverhältnis liegt schließlich auch vor, wenn eine Verpflichtung durch eine andere oder das Recht zur Verwertung einer Sache besichert wird, weil der dem Gläubiger dinglich und schuldrechtlich verbundene Sicherungsgeber durch Vorgänge im gesicherten Schuldverhältnis betroffen ist. Der Zusammenhang dieser Institute rechtfertigt es, Studien zu ihnen und ihrer Verbindung zusammenzuführen, und gab den Anlass für eine kleine Tagung, die vom 9. bis 11. Oktober 2007 im Kloster Bronnbach bei Wertheim, einem traditionellen Tagungsort der Universität Würzburg, stattfand. Die hierzu geleisteten Beiträge umspannten das gesamte zeitliche Spektrum der Zivilrechtsgeschichte und deckten nahezu alle Formen der Drittbeteiligung am Schuldverhältnis ab: Während Guido Pfeifer (Frankfurt am Main) über „faktische Drittbeteiligung am Schuldverhältnis durch Vertragsgestaltung und im Prozess in altbabylonischer Zeit“ referierte, machte es sich Oliver Remien (Würzburg) zur Aufgabe, der „Drittbeteiligung im Schuldverhältnis im Europäischen Privatrecht“ nachzugehen. Der Stellvertretung im römischen und mittelalterlichen Recht widmeten sich Fabian Klinck (weiland Passau, nun Bochum), der sich die Frage nach der „iusta causa beim Erwerb durch Stellvertreter“ in Rom vornahm, sowie Thomas Rüfner (Trier), der sich mit
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Vorwort
„Vollmacht und Stellvertretung in mittelalterlichen Notariatsinstrumenten“ befasste. Der Drittbegünstigung und -belastung durch Vertragsschluss galt das Referat von Thomas Finkenauer (Tübingen), der über die Möglichkeit einer „vertraglichen Teilungsanordnung durch Erbenklausel“ in Rom sprach. Mit der Gesamtobligation beschäftigten sich außer meinem Beitrag zu ihrer „Wurzel im römischen Recht“ auch Martin Pennitz (Graz), der die Frage stellte, ob die bei einem in Rom verübten Sklavendelikt eingreifende „obligatio servi als Durchbrechung der vinculum-iurisLehre“ anzusehen ist, sowie Sonja Meier (weiland Hamburg, nun Marburg), die dem Verhältnis von „Gesamtschulden, Erlaß und Regreßgefährung“ in dogmatischer, historischer und vergleichender Perspektive nachging. Die Drittwirkung bei der Besicherung einer Schuld untersuchte Dietmar Schanbacher (Dresden), der unter dem Titel „Forderung und Pfand“ die „Anfänge der Akzessorietät beim römischen Pfandrecht“ ergründete. Die überaus fruchtbare Diskussion der Beiträge in der kleinen Runde der Tagungsteilnehmer lässt sich angesichts der Bandbreite der Themen nicht zu einem Gesamtergebnis zusammenfassen, hat aber Eingang in die schriftliche Fassung der Vorträge gefunden, die mit diesem Band vorgelegt wird. In ihm sind alle Beiträge mit Ausnahme der von Guido Pfeifer und Thomas Finkenauer vereint, für die ich den interessierten Leser aber auf beider Habilitationsschriften verweisen kann. Allen Teilnehmern der Tagung schulde ich herzlichen Dank für die Mühe, die ihnen Reise, Vortrag und Schriftfassung des Beitrags gemacht haben. Ihre beeindruckende Leistung ermutigt mich, weitere Tagungen zu Geschichte und Dogmatik des Privatrechts zu organisieren. Dasselbe gilt für die großzügige Förderung, die die Tagung durch die Wilhelm H. Ruchti-Stiftung zur Förderung der Wissenschaften an der Universität Würzburg erfahren hat. Auch ihr bin ich zu großem Dank verpflichtet. Würzburg, im April 2010
Jan Dirk Harke
Inhalt
Die Wurzel der Gesamtobligation im römischen Recht������������������������������� 1 Jan Dirk Harke ie iusta causa beim Eigentumserwerb durch Stellvertreter���������������������� 17 D Fabian Klinck rlass und Regressgefährdung bei Bürgschaft E und Gesamtschuld�������������������������������������������������������������������������������������������� 35 Sonja Meier O bligatio domini und obligatio servi�������������������������������������������������������������� 71 Martin Pennitz rittbeteiligung am Schuldverhältnis im D Europäischen Privatrecht�������������������������������������������������������������������������������� 97 Oliver Remien H andeln für andere in den Urkunden des Genueser Notars Giovanni Scriba������������������������������������������������������������������������������������������������ 109 Thomas Rüfner Forderung und Pfand – Die Anfänge der Akzessorietät beim römischen Pfandrecht�������������������������������������������������������������������������������������� 141 Dietmar Schanbacher
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Autorenverzeichnis
Prof. Dr. Jan Dirk Harke Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Historische Rechtsvergleichung, Universität Würzburg, Alte Universität, Domerschulstraße 16, 97070 Würzburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. Fabian Klinck Juristische Fakultät, Ruhr-Universität Bochum, Universitätsstraße 150, GC 5/135, 44780 Bochum, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. Sonja Meier Institut für Rechtsgeschichte und Papyrusforschung, Universität Marburg, Universitätsstraße 7, 35032 Marburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. Martin Pennitz Institut für Römisches Recht, Karl-FranzensUniversität, Universitätsstraße 15/B1, 8010 Graz, Österreich E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. Oliver Remien Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches Wirtschaftsrecht, Internationales Privat- und Prozessrecht sowie Rechtsvergleichung, Universität Würzburg, Alte Universität, Domerschulstraße 16, 97070 Würzburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. Thomas Rüfner Professur für Bürgerliches Recht, Römisches Recht, Neuere Privatrechtsgeschichte sowie Deutsches und Internationales Zivilverfahrensrecht, Universität Trier, 54286 Trier, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. Dietmar Schanbacher Juristische Fakultät, Technische Universität Dresden, 01062 Dresden, Deutschland E-Mail:
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Die Wurzel der Gesamtobligation im römischen Recht Jan Dirk Harke
I. Das Problem Aus der Sicht des modernen Juristen ist die römische Gesamtobligation ein wunderliches Gebilde. Sie überrascht noch kaum als Gesamtschuld. Denn zu der Verpflichtung der einzelnen Schuldner auf die ganze Leistung gibt es außer der Teilschuld nur die unpraktikable Alternative, den Gläubiger dazu zu zwingen, alle Schuldner gemeinsam in Anspruch zu nehmen. Dann hätte jeder Schuldner, indem er sich der Klage des Gläubigers entzieht, die Möglichkeit, auch dessen Forderungsrecht gegenüber seinen Mitschuldnern zu frustrieren. So selbstverständlich daher die Einrichtung der Gesamtschuld ist, so wenig leuchtet ein, dass ihr Gegenstück die Gesamtgläubigerschaft sein soll. Anders als die Gesamtschuld ist sie überaus gläubigerfeindlich, indem sie dem Schuldner die Wahl lässt, an welchen seiner Gläubiger er leisten will, und es diesen anheimstellt, untereinander für Ausgleich zu sorgen. Nur auf den ersten Blick erscheint die Gesamtgläubigerschaft dabei als Spiegelbild der Gesamtschuld; in Wahrheit trifft sie die Gläubiger härter als ihr Gegenstück die Gesamtschuldner. Der Unterschied beider Formen der Subjektsmehrheit macht sich nicht im Prozess bemerkbar, wo zumindest bei strengrechtlichen Verbindlichkei
Dass sie sich als Rechtsinstitut überhaupt nur bei der Stipulation, bei anderen Vertragsverhältnissen allenfalls in Ansätzen feststellen lässt, stellt Schmieder, Duo rei. Gesamtobligationen im römischen Recht, Berlin 2007, S. 164 ff., 296 ff. heraus, verwundert aber auch gar nicht, nimmt die Stipulation im römischen Vertragsgefüge doch in vielerlei Hinsicht den Platz ein, der heute dem allgemeinen Schuldrecht zukommt. Dies gilt selbst dann, wenn man die Gesamtobligation mit Gonzalez, Una visión unitária (contracutal y procesal) des las obligaciones solidarias en derecho Romano classico, Madrid 1983, S. 61 f., 177 ff. auf die Einheit der Verpflichtung und diese wiederum auf die Einheitlichkeit des Verpflichtungsaktes zurückführen will. Denn so ist noch geklärt, warum sich die Römer nicht eines anderen Abschlussmechanismus bedienen.
J. D. Harke () Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Historische Rechtsvergleichung, Universität Würzburg, Alte Universität, Domerschulstraße 16, 97070 Würzburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] J. D. Harke (Hrsg.), Drittbeteiligung am Schuldverhältnis, DOI 10.1007/978-3-642-04450-2_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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ten jeweils gilt, dass die Klage eines Gläubigers oder gegen einen Schuldner auch das Forderungsrecht der übrigen Gläubiger und gegen die übrigen Schuldner verbraucht. Im Unterschied zu den Gesamtgläubigern ist den Gesamtschuldnern der Regress aber dadurch erleichtert, dass sie, wenn sie an den Gläubiger leisten, dessen Forderungsrecht samt der hierfür bestellten Sicherheiten erwerben können, um damit gegen die ihre Mitschuldner vorzugehen. Zwar kennt das römische Recht noch keinen gesetzlichen Übergang der Forderung. Die klassische Jurisprudenz kommt jedoch zu dem gleichen Ergebnis, indem sie einem Gesamtschuldner gestattet, seine Leistung von der Abtretung des Gläubigerrechts abhängig zu machen, und ihm zuweilen sogar auch nach vorbehaltloser Zahlung eine actio utilis gewährt, um ihn so zu stellen, als habe er sich den Anspruch abtreten lassen. Eine vergleichbare Lösung ist bei Gesamtgläubigern von vornherein ausgeschlossen, der Ausgleich unter ihnen völlig der Rechtsbeziehung in ihrem Innenverhältnis überlassen.
II. Eine unhistorische Frage? Wie ist diese Benachteiligung der Gläubiger zu erklären? Warum kennt das römische Recht als Pendant zur gläubigerfreundlichen Gesamtschuld nicht auch die Gläubigergemeinschaft modernen Musters, bei der die Leistung nur an alle Gläubiger gemeinsam erfolgen kann? Haben die römischen Juristen die bloße Symmetrie von Gesamtschuld und -gläubigerschaft über praktische Erwägungen gestellt? Diese Fragen wären ahistorisch und unzulässig, wenn die Gläubigergemeinschaft ein Institut wäre, das von vornherein jenseits des Horizonts der römischen Jurisprudenz lag. Dies ließe sich etwa deshalb annehmen, weil die römischen Juristen die Forderung nur als persönliches Band zwischen Gläubiger und Schuldner und nicht als ein dem Eigentum vergleichbares Recht kennen,
Vgl. für die Gesamtgläubigerschaft D 45.2.2 Iav 3 Plaut, D 45.2.16 Gai 3 verb obl, D 46.2.31.1 Venul 3 stip. D 46.6.12 Pap 12 quaest. D 27.3.1.13 Ulp 36 ed. Sie kommt besonders deutlich in IJ 3.16pr., 1 zum Ausdruck: Et stipulandi et promittendi duo pluresve rei fieri possunt. stipulandi ita si post omnium interrogationem promissor respondeat SPONDEO. ut puta cum duobus separatim stipulantibus ita promissor respondeat UTRIQUE VESTRUM DARE SPONDEO: nam si prius Titio spoponderit, deinde alio interrogante spondeat, alia atque alia erit obligatio nec creduntur duo rei stipulandi esse. duo pluresve rei promittendi ita fiunt, MAEVI, QUINQUE AUREOS DARE SPONDES? SEI, EOSDEM QUINQUE AUREOS DARE SPONDES? respondeant singuli separatim SPONDEO. (1) Ex huiusmodi obligationibus et stipulantibus solidum singulis debetur et promittentes singuli in solidum tenentur. in utraque tamen obligatione una res vertitur: et vel alter debitum accipiendo vel alter solvendo omnium perimit obligationem et omnes liberat. Dass sie ein Grund für die Existenz der Gesamtgläubigerschaft ist, glaubt S. Meier, Die Gesamtgläubigerschaft- ein unbekanntes, weil überflüssiges Wesen?, AcP 205 (2005) 858, 862. Hierauf führt die Gesamtgläubigerschaft S. Meier, AcP 205 (2005) 858, 861 zurück; vgl. auch HKK-Meier §§ 420 ff. II Rn. 38.
Die Wurzel der Gesamtobligation im römischen Recht
das Mitinhaberschaft und gemeinschaftlicher Zuständigkeit zugänglich wäre. So könnten sie eine gemeinsame Berechtigung nicht durch Aufspaltung des Rechts, sondern nur dadurch erreichen, dass sie umgekehrt die Gläubiger zu einer Gruppe zusammenfassen und diese zum Inhaber der Forderung erklären. Diesen Weg beschreiten sie denn auch, indem sie natürliche Personen zu Körperschaften zusammenfassen und die so gebildete universitas als Forderungssubjekt von ihren Mitgliedern unterscheiden. Dieses Vorgehen erscheint ihnen jedoch als so kühn oder gefährlich, dass sie die Anerkennung als Körperschaft der Entscheidung des Gesetzgebers überlassen und nicht jenseits von Berufsverbänden und Gesellschaften von Steuerpächtern wagen.10 Eine einfache Gläubigergemeinschaft, die ohne ihre Personifikation als Körperschaft auskäme, setzte demgegenüber eine „Außenansicht“ der Obligation als eines verkehrsfähigen Rechts voraus, an dem sich mehrere ebenso wie am Sacheigentum beteiligen können. Dass es eine solche Vorstellung der Forderung nicht gibt, beweist das Fehlen einer regelrechten Abtretung:11 Statt einen Übergang des Anspruchs vom Alt- auf den Neugläubiger anzunehmen, behelfen sich die römischen Juristen mit einer Ermächtigung zur Prozessstandschaft, die dem Zedenten erlaubt, den Schuldner anstelle des Zessionars in Anspruch zu nehmen; und in Problemfällen greifen sie auf actiones utiles zurück, die dem Neugläubiger ein eigenes Klagerecht neben dem des alten Gläubigers verschaffen. Gerade der Fall der Abtretung zeigt jedoch, dass die römischen Juristen, obwohl sie die Forderung nicht als ein dem Eigentum ähnliches Recht begreifen, dennoch zu den dadurch erreichten Lösungen kommen, wenn sie diese nur für wünschenswert erachten. Entgegen einem verbreiteten Vorurteil in der modernen Forschung ist der Mechanismus, mit dem die römische Jurisprudenz die Veräußerung eines Forderungsrechts bewältigt, voll funktionell und steht der regelrechten Anspruchsabtretung praktisch in keiner Hinsicht nach:12 Die Ermächtigung zur Prozessführung, die den Zessionar zum procurator in rem suam macht, ist im Unterschied zum gewöhnlichen Prozessmandat nicht widerruflich.13 In der Unbeständigkeit der einfachen Prozessvollmacht schlägt sich nämlich nur das normalerweise im Innenverhältnis von Forderungsinhaber und Prozessvertreter geltende Auftragsrecht nieder,14 das dem Auftraggeber im Unterschied zu einem Forderungsverkäufer stets die Möglichkeit zur Kündigung des Vertrags eröffnet. Da er beim Forderungskauf zudem nicht dadurch aufgelöst wird, dass eine der beiden Parteien stirbt, überdauert das dem Zessionar erteilte Prozessmandat auch
D 3.4.7.1 Ulp 10 ed: Si quid universitati debetur, singulis non debetur: nec quod debet universitas singuli debent. 10 D 3.4.1pr. Gai 3 ed prov. 11 Auf sie stützt sich vor allem S. Meier, AcP 205 (2005) 858, 861 und HKK §§ 420 ff. II Rn. 38. 12 Ausführlich Harke, Zum römischen Recht der Forderungsübertragung, TR 2008, 1, 8 ff. 13 Dies ergibt sich aus D 3.3.55 Ulp 65 ed, wo der bei einer Widerruflichkeit des Prozessmandats undenkbare Fall behandelt wird, dass Forderungsinhaber und Prozessvertreter gleichzeitig Klage erheben. 14 Vgl. D 3.3.42.2 Paul 8 ed.
J. D. Harke
seinen Tod sowie den des Zedenten, es sei denn, dass dieser ohne Erben stirbt. Nur in diesem Fall, in dem es am eigentlichen Forderungsinhaber fehlt, muss die Prozessvollmacht durch eine actio utilis ersetzt werden.15 Da sie im Übrigen beständig ist, hängt die Klage des Zessionars auch nicht von einer Sicherheitsleistung ab, die der procurator nur dann erbringen muss, wenn die Wirkung der Prozessführung gegenüber dem eigentlichen Forderungsinhaber zweifelhaft ist.16 Dass dieser dem Zessionar nicht durch Einziehung der Forderung zuvorkommen kann, erreichen die römischen Juristen mit Hilfe von Einreden: Der Zessionar, der zusammen mit der Prozessvollmacht eine Einziehungsermächtigung erhält,17 geht durch Anzeige des Forderungskaufs an den Schuldner ein pactum mit diesem ein, dass er die Leistung bis auf weiteres nicht einfordern werde. Ein solches pactum wirkt gegenüber dem Zedenten,18 so dass der Schuldner die Leistung an ihn unter Berufung auf die exceptio pacti conventi verweigern darf.19 Macht er hiervon keinen Gebrauch und leistet freiwillig an den Zedenten, steht dem so begründeten Einwand der Erfüllung die exceptio oder replicatio doli des Zessionars entgegen,20 der den Schuldner erneut in Anspruch nehmen darf. Im Ergebnis steht der Zessionar damit nicht anders, als wenn die Forderung des Zedenten mit der Anzeige ihrer Übertragung an den Schuldner regelrecht auf ihn übergegangen wäre; und die römischen Juristen bedienen sich, wenn es um die Abtretung geht, durchaus nicht zu Unrecht des Begriffs cessio und des dazugehörenden Verbs cedere. Eine vergleichbare Konstruktion wie bei der Abtretung wäre nun auch bei einer Gläubigermehrheit denkbar: Selbst wenn man in ihr keine miteigentümerähnliche Forderungsgemeinschaft erkennt, könnte man doch dem Schuldner, der von einem einzelnen Gläubiger in Anspruch genommen wird, erlauben, sich mit der exceptio doli zu verteidigen, bis die anderen Gläubiger zur Erfüllung hinzukommen oder die Leistung an den einzelnen Gläubiger genehmigen; und dem Schuldner, der dieses Einrederecht ungenutzt lässt, könnte man die Berufung auf den Einwand der Erfüllung wiederum mit der exceptio oder replicatio doli abschneiden, so dass die Gläubiger, die nicht in den Genuss der Leistung gekommen sind, ihn hierzu abermals zwingen könnten. Sehen die römischen Juristen von einer solchen Lösung ab und gestatten dem Schuldner stets, sich durch Erfüllung an einen einzigen Gläubiger endgültig zu befreien, muss dies einen besonderen Grund haben, der jenseits der Vorstellung des Schuldverhältnisses als vinculum iuris liegt; und die Frage nach diesem Grund ist keineswegs unhistorisch.
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CJ 4.10.1 – a. 242. Gai 4.84, 98, CJ 2.12.1 – a. 150. 17 D 46.3.86 Paul 8 ed. 18 D 2.14.13.1 Paul 3 ed. 19 Dies folgt aus CJ 8.41.3pr. – a. 239. 20 Dies ergibt sich aus Papinians Entscheidung zur transactio in D 2.12.17 Pap 2 quaest. 16
Die Wurzel der Gesamtobligation im römischen Recht
III. D as Prinzip der Geldkondemnation und die Forderungsteilung im Erbrecht Der Wurzel des Konzepts der Gesamtforderung nähert man sich, wenn man in Betracht zieht, wie Ansprüche im klassischen Formularprozess durchgesetzt werden. Zwar erfassen die römischen Juristen das Schuldverhältnis keineswegs als bloßes Klagerecht, vielmehr auch und sogar in erster Linie als materielle Verpflichtung und sehen es ungeachtet des Prinzips der Geldverurteilung als auf Realleistung gerichtet. Dies schließt jedoch nicht aus, dass sie bei der Lösung einzelner Rechtsfragen Rücksicht darauf nehmen, dass eine Leistung, die nicht in einer Geldzahlung besteht, nicht erzwungen werden kann, der Schuldner, der sie nicht erbringen will, vielmehr nur auf Geldersatz haftet und sich äußerstenfalls ein Insolvenzverfahren über sein Vermögen gefallen lassen muss. Diese Art der Vollstreckung kann nicht ohne Auswirkung auf Schuldverhältnisse mit Subjektsmehrheit bleiben. Ist eine Leistung unerzwingbar, gilt dies nämlich außer für ihren Gegenstand auch für die an der Erfüllung beteiligten Personen. Kann der einzelne Gläubiger vom Schuldner schon nicht verlangen, dass er die erforderlichen Leistungshandlungen vornimmt, kann er erst recht nicht beanspruchen, dass dies vor einem bestimmten Gläubigerkreis geschieht. Denkbar wäre ein solcher Zwang zur Leistung an mehrere Gläubiger allenfalls bei Geldschulden, deren Inhalt sich ja mit dem der Verurteilung deckt. Hier besteht aber gar kein Bedarf für eine Beteiligung aller Gläubiger, da sich der Gegenstand der Forderung ohne weiteres aufteilen und so auch zuverlässig die Gefahr beseitigen lässt, dass ein Gläubiger mehr erhält, als ihm im Verhältnis zu den anderen zusteht. Eine gemeinschaftliche Berechtigung der Gläubiger an der geschuldeten Leistung wäre daher durchweg nutzlos und ebenso sinnwidrig wie die Verpflichtung mehrerer Schuldner zu einer gemeinschaftlichen Leistung, die nicht nur unpraktisch, sondern gleichfalls und sogar bei Geldschulden undurchsetzbar wäre. Vor diesem Hintergrund erscheint die vom Zwölftafelgesetz angeordnete Teilung von Forderungen im Erbgang nicht mehr als altertümliche Ausnahme vom Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge. Obwohl in einer Phase der Personalvollstreckung und wahrscheinlich zum Schutz des Schuldners vor dem Zugriff auf seine Person entstanden, ist der Satz: nomina ipso iure divisa, auch im klassischen Formularprozess sinnvoll. Da dieser sein Ende mit Geldkondemnation und Insolvenzfahren findet, ist die Teilschuld hier sogar die naturgegebene Art der Verbindlichkeit mit Gläubigermehrheit. Eine gemeinsame Zuständigkeit der Erben für die zum Nachlass gehörenden Forderungen wäre zwar theoretisch denkbar, im Prozess aber undurchsetzbar, so dass nur die Möglichkeit einer Gesamtgläubigerschaft bleibt. Sie widerstreitet jedoch geradewegs dem Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge, so dass sie nur als Notbehelf in den Konstellationen zum Zuge kommt, in denen die Alternative im Wegfall der Forderung bestünde. Dies gilt vor allem für Ansprüche auf unteilbare Leistungen, wie sie zum Beispiel aus dem Versprechen einer Grunddienstbarkeit entstehen. Da sie den Erben als Miteigentümern des herrschenden Grundstücks nur gemeinsam eingeräumt werden könnte, wäre ein Versprechen, das sich der einzelne
J. D. Harke
Erbe nach dem Erbgang geben ließe, unwirksam.21 Hieraus schließen nun einige Juristen, dass auch ein dem Erblasser gegebenes Versprechen seine Gültigkeit verliert, wenn er von mehreren Personen beerbt wird. Denn der nachträgliche Eintritt eines Umstands, der zur Nichtigkeit eines Versprechens führt, zeitigt gewöhnlich den Wegfall der hieraus folgenden Verpflichtung.22 Paulus kann sich hierüber nur unter Berufung auf Pomponius23 und mit dem Scheinargument hinwegsetzen, eine bloße Erschwerung der Leistung bewirke noch nicht den Untergang der Verpflichtung: D 45.1.2 Paul 12 Sab … et ideo si divisionem res promissa non recipit, veluti via, heredes promissoris singuli in solidum tenentur: sed quo casu unus ex heredibus solidum praestiterit, repetitionem habebit a coherede familiae erciscundae iudicio. ex quo quidem accidere Pomponius ait, ut et stipulatoris viae vel itineris heredes singuli in solidum habeant actionem: sed quidam hoc casu extingui stipulationem putant, quia per singulos adquiri servitus non potest: sed non facit inutilem stipulationem difficultas praestationis. … Und daher haften die Erben des Schuldners, wenn die versprochene Leistung wie zum Beispiel ein Wegerecht keiner Teilung zugänglich ist, einzeln auf die ganze Leistung; aber in dem Fall, dass einer der Erben das Ganze leistet, hat er ein Regressrecht gegenüber seinem Miterben mit der Erbteilungsklage. Hieraus kann man nach Pomponius’ Ansicht folgern, dass auch die einzelnen Erben des Gläubigers, der sich ein Wege- oder Zugangsrecht hat versprechen lassen, eine Klage auf die ganze Leistung haben; aber andere glauben, dass in diesem Fall das Versprechen unwirksam werde, weil eine Dienstbarkeit durch einzelne Miteigentümer nicht erworben werden könne; eine Schwierigkeit bei der Erfüllung macht das Versprechen aber noch nicht unwirksam.
An anderer Stelle räumt er freilich ein, dass beim Versprechen eines Wegerechts gegenüber einem einzelnen Miteigentümer des herrschenden Grundstücks keine bloße Leistungserschwerung, sondern ein regelrechtes Erfüllungshindernis vorliegt, das die Stipulation unwirksam macht. Dass sie ihre Gültigkeit behalten soll, wenn der Gläubiger von mehreren Personen beerbt wird, kann Paulus jetzt nur noch durch einen zweifelhaften Vergleich zum Fortbestand einer einmal bestellten Dienstbarkeit rechtfertigen: D 45.1.140.2 Paul 3 Ner Etsi placeat extingui obligationem, si in eum casum inciderit, a quo incipere non potest, non tamen hoc in omnibus verum est. ecce stipulari viam iter actum ad fundum communem socius non potest, et tamen si is, qui stipulatus fuerat, duos heredes reliquerit, non extinguitur stipulatio. et per partem dominorum servitus adquiri non potest, adquisita tamen conservatur et per partem domini: hoc evenit, si pars praedii servientis vel cui servitur alterius domini esse coeperit. Gilt im Allgemeinen auch, daß die Verpflichtung untergeht, wenn sie in die Lage gerät, in der sie nicht begründet werden kann, ist dies doch nicht stets richtig. So kann sich der Miteigentümer eines Grundstücks kein Wege-, Zugangs- oder Viehtriftrecht zu diesen versprechen lassen; und gleichwohl wird ein solches Versprechen nicht unwirksam, wenn derjenige, der es sich hat geben lassen, mehrere Erben hinterlässt. Und kann eine Dienstbarkeit auch nicht für einen Miteigentumsanteil erworben werden, so bleibt sie, wenn 21
Vgl. auch D 8.4.5 Iav 11 Cass, D 8.3.19 Paul 6 Sab. Dieser Ansicht ist auch Paulus; vgl. D 45.1.83.5 Paul 72 ed und dazu ausführlich Harke, Vorübergehende Unmöglichkeit, SZ 123 (2006) 102, 112 ff. 23 Dessen Auffassung ist auch in D 8.1.17 Pomp 1 reg überliefert. 22
Die Wurzel der Gesamtobligation im römischen Recht
sie einmal erworben ist, doch auch für die Miteigentumsanteile erhalten. Dies geschieht, wenn ein Teil des dienenden oder des herrschenden Grundstücks einem neuen Eigentümer gehört.
Dieser Vergleich würde auch den Fortbestand eines Versprechens nach Spaltung des Eigentums und Veräußerung eines Miteigentumsanteils tragen, der jedoch nach gängiger und höchstwahrscheinlich auch Paulus’ eigener Ansicht den Untergang der Verpflichtung zeitigt: D 8.1.11 Mod 6 diff Pro parte dominii servitutem adquiri non posse volgo traditur: et ideo si quis fundum habens viam stipuletur et partem fundi sui postea alienet, corrumpit stipulationem in eum casum deducendo, a quo stipulatio incipere non possit. … Allgemein gilt, daß man eine Dienstbarkeit nicht zu einer Miteigentumsquote erwerben kann. Hat ein Grundstückseigentümer sich ein Wegerecht versprechen lassen und einen Teil des Grundstücks später veräußert, macht er die Stipulation unwirksam, weil er eine Lage herstellt, in der die Stipulation nicht wirksam eingegangen werden könnte. … D 45.1.136.1 Paul 5 sent Si, qui viam ad fundum suum dari stipulatus fuerit, postea fundum partemve eius ante constitutam servitutem alienaverit, evanescit stipulatio. Hat derjenige, der sich ein Wegerecht für sein Grundstück hat versprechen lassen, dieses oder einen Teil davon später vor Begründung der Dienstbarkeit veräußert, wird das Versprechen unwirksam.
Eigentlicher Grund für die Erhaltung des Anspruchs auf die Dienstbarkeit im Erbfall kann daher nur das Schutzbedürfnis der Erben sein: Sie sind in ihre Rechtsstellung, die der Leistung ein Erfüllungshindernis bereitet, ebenso zufällig geraten wie der Schuldner; und dieser verdient nicht, von seiner Verpflichtung bloß deshalb frei zu werden, weil ihm nach dem Erbfall statt seines ursprünglichen Gläubigers nun eine Personenmehrheit gegenübersteht. Einen Ausweg bietet unter diesen Umständen nur die Gesamtgläubigerschaft, die jedem der Miterben ein ungeteiltes Forderungsrecht verschafft. Damit sie aber nicht zur Gefahr für die Miterben untereinander wird, treten die römischen Juristen jedoch auch unter diesen Umständen für eine Teilung der Verbindlichkeit ein, die sich allerdings nicht auf der Ebene des Forderungsrechts, sondern bei der Verurteilung vollzieht: Der einzelne Miterbe kann den Schuldner zwar auf die ganze Dienstbarkeit in Anspruch nehmen, eine Verurteilung aber nur in den Teil des Interesses erwirken, der seiner Erb- und Miteigentumsquote entspricht: D 8.5.4.3 Ulp 17 ed Si fundus, cui iter debetur, plurium sit, unicuique in solidum competit actio, et ita et Pomponius libro quadragensimo primo scribit: sed in aestimationem id quod interest veniet, scilicet quod eius interest, qui experietur. itaque de iure quidem ipso singuli experientur et victoria et aliis proderit, aestimatio autem ad quod eius interest revocabitur, quamvis per unum adquiri servitus non possit. Gehört ein Grundstück, für das ein Zugangsrecht besteht, mehreren, steht jedem von ihnen die Klage auf die ganze Leistung zu; und so schreibt Pomponius im 41. Buch. Aber geschätzt wird nur das Interesse, nämlich das Interesse dessen, der die Klage erhebt. Daher kann wegen des Rechts selbst jeder klagen und mit seinem Sieg auch den anderen nützen; der Schätzwert wird jedoch nur nach seinem Interesse bestimmt, obwohl eine Dienstbarkeit von einem nicht erworben werden kann.
J. D. Harke
D 10.2.25.9 Paul 23 ed An ea stipulatio, qua singuli heredes in solidum habent actionem, veniat in hoc iudicium, dubitatur: veluti si is qui viam iter actus stipulatus erat decesserit, quia talis stipulatio per legem duodecim tabularum non dividitur, quia nec potest. sed verius est non venire eam in iudicium, sed omnibus in solidum competere actionem et, si non praestetur via, pro parte hereditaria condemnationem fieri oportet. Zweifelhaft ist, ob ein Versprechen, aus dem die einzelnen Miterben ein Klagerecht auf die ganze Leistung erwerben, in die Erbteilung einbezogen wird, wie zum Beispiel, wenn jemand gestorben ist, der sich ein Wege-, Zugangs- oder Viehtriftrecht hat versprechen lassen; denn ein solches Versprechen wird durch das Zwölftafelgesetz nicht geteilt, weil es nicht geteilt werden kann. Aber es ist richtiger, dass es nicht in die Erbteilung einbezogen wird, sondern allen die Klage auf die ganze Leistung zusteht und, wenn das Wegerecht nicht eingeräumt wird, eine Verurteilung nach dem Verhältnis der Erbquoten erfolgen muss.
Dass hinter dieser Lösung die Vorstellung steckt, auch Obligationen mit einem einheitlichen Leistungsgegenstand seien letztlich doch teilbar, zeigt ein Zitat des Celsus in Ulpians Ediktskommentar. Unter Berufung auf den republikanischen Juristen Tubero erklärt der Hochklassiker darin auch solche Stipulationen für spaltbar, die wie das Versprechen einer Handlung auf eine eigentliche unteilbare Leistung gerichtet sind. Bleibe sie aus, trete an ihre Stelle nämlich die Verpflichtung zum Geldersatz, die einer Aufspaltung zugänglich sei: D 45.1.72pr. Ulp 20 ed Stipulationes non dividuntur earum rerum, quae divisionem non recipiunt, veluti viae itineris actus aquae ductus ceterarumque servitutium. idem puto et si quis faciendum aliquid stipulatus sit, ut puta fundum tradi vel fossam fodiri vel insulam fabricari, vel operas vel quid his simile: horum enim divisio corrumpit stipulationem. Celsus tamen libro trigensimo octavo digestorum refert Tuberonem existimasse, ubi quid fieri stipulemur, si non fuerit factum, pecuniam dari oportere ideoque etiam in hoc genere dividi stipulationem: secundum quem Celsus ait posse dici iusta aestimatione facti dandam esse petitionem. Die Verpflichtungen aus Versprechen von Leistungen, die keiner Aufteilung zugänglich sind, wie zum Beispiel von Wege-, Zugangs-, Viehtrift-, Wasserleitungsrechten oder von sonstigen Dienstbarkeiten, werden nicht aufgeteilt. Dasselbe gilt nach meiner Ansicht, wenn sich jemand eine Handlung hat versprechen lassen wie die Übergabe eines Grundstücks, die Aushebung eines Grabens, die Errichtung eines Wohnblocks oder Dienste oder etwas Ähnliches; deren Teilung macht die Stipulation nämlich unwirksam. Celsus berichtet aber im 38. Buch seiner Digesten, Tubero habe geglaubt, wenn wir uns Handlungen versprechen lassen, müsse uns, wenn sie nicht geleistet werden, Geld gegeben und es müssten daher die Verpflichtungen aus Versprechen in dieser Hinsicht geteilt werden; weshalb Celsus annimmt, man könne eine Klage unter billiger Schätzung der Handlungen anstellen.
So setzt sich das Prinzip: nomina ipso iure divisa, im Ergebnis auch bei den Forderungen des Erblassers durch, die sich formal nicht aufteilen lassen und, damit sie nicht untergehen, als Gesamtobligationen mit individuellem Forderungsrecht der Erben erhalten bleiben müssen. Eine vergleichbare Lösung für Ansprüche, die sich gegen den Nachlass richten, ist ohne weiteres denkbar, im Gegensatz zur Aufspaltung bei der Gesamtgläubigerschaft von Miterben aber außerhalb des Zitats von Celsus und Tubero nicht belegt. Gewöhnlich findet sich in den Quellen nur die Regel, Nachlassschulden mit unteilbarem Inhalt träfen alle Miterben als Gesamtschuldner.24 Steht dies einer Teilverurteilung der Miterben noch ebenso wenig im 24
D 8.1.17 Pomp 1 reg, D 50.17.192pr. Marcell 29 dig, D 45.1.85.2 Paul 75 ed.
Die Wurzel der Gesamtobligation im römischen Recht
Wege wie die Gesamtberechtigung der Erben bei Nachlassforderungen, lässt sich eine Teilverurteilung bei der Gesamtschuld zumindest für Paulus ausschließen. Er will erst bei der Erbteilung dafür Sorge tragen, dass sich der als Gesamtschuldner einer unteilbaren Leistung verklagte Miterbe bei den anderen Mitgliedern der Erbengemeinschaft erholen kann: D 10.2.25.10 Paul 23 ed Contra si promissor viae decesserit pluribus heredibus institutis, nec dividitur obligatio nec dubium est quin duret, quoniam viam promittere et is potest, qui fundum non habet. igitur quia singuli in solidum tenentur, officio iudicis cautiones interponi debere, ut, si quis ex his conventus litis aestimationem praestiterit, id pro parte a ceteris consequatur. Ist dagegen der Schuldner eines Wegerechts gestorben und hat mehrere Erben eingesetzt, wird weder die Verpflichtung geteilt noch bezweifelt, dass sie fortdauert, weil ein Wegerecht auch derjenige versprechen kann, dem kein Grundstück gehört. Weil daher die einzelnen auf die gesamte Leistung haften, ist kraft richterlicher Befugnis Sicherheit dafür zu leisten, dass, wenn einer verklagt wird und den Schätzwert leistet, er diesen von den anderen entsprechend ihrer Erbquote erstattet bekommt.
Grund für die Ungleichbehandlung von Erbschaftsschulden und Nachlassforderungen kann nur sein, dass die Miterben die Zusammensetzung der Erbengemeinschaft besser überblicken können als ein Außenstehender. Haftet er als Schuldner der Erben nur quotenmäßig beschränkt, weil diese den Forderungseinzug untereinander abstimmen können, ist ihm als Nachlassgläubiger eine entsprechende Reduktion seiner Forderung kaum zuzumuten, weil er andernfalls stets Gefahr liefe, nicht alle Schuldner zu erreichen. Bei Nachlassschulden mit teilbarem Inhalt wird ihm dieses Risiko jedoch auferlegt, weil es ohne die Besonderheit des untrennbaren Leistungsgegenstands keinen Anlass für eine Ausnahme vom Prinzip der Teilschuld gibt.
IV. Konsequenzen für das Vertragsrecht Ist die Aufspaltung des Schuldverhältnisses ein Resultat der Geldkondemnation und durch die erbrechtliche Regel: nomina ipso iure divisa, gewissermaßen zum gesetzlichen Muster der Schuldner- oder Gläubigermehrheit gemacht, kann dies nicht ohne Folgen für das Vertragsrecht bleiben: Auch hier ist die Teilschuld die Regel und tritt bei teilbaren Leistungen automatisch ein, wenn die Parteien nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart haben: D 45.2.11.1 f. Pap 11 resp Cum tabulis esset comprehensum ‚illum et illum centum aureos stipulatos‘ neque adiectum ‚ita ut duo rei stipulandi essent‘, virilem partem singuli stipulanti videbantur. (2) Et e contrario cum ita cautum inveniretur: ‚tot aureos recte dari stipulatus est Iulius Carpus, spopondimus ego Antoninus Achilleus et Cornelius Dius‘, partes viriles deberi, quia non fuerat adiectum singulos in solidum spopondisse, ita ut duo rei promittendi fierent.25
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Dass dieser Text Beleg für eine Kontroverse um die Vermutung einer Teilschuld ist, kann Levy, Die Konkurrenz der Aktionen und Personen im klassischen römischen Recht, Bd. 1, Berlin 1918, S. 179 f. nur unter Berufung auf das Präteritum: videbantur, annehmen.
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J. D. Harke Steht in der Urkunde nur, dass „diesem und jenem hundert aurei versprochen“ sind, und ist nicht hinzugefügt: „so dass sie Gesamtgläubiger sind“, gelten beide als Gläubiger zu gleichen Teilen. (2) Und ist umgekehrt so versprochen: „so viel aurei sind Iulius Carpus von uns, Antonius Achilleus und Cornelius Dius, versprochen“, so schulden sie zu gleichen Teilen, weil nicht hinzugefügt wurde, dass sie jeweils die ganze Leistung versprochen haben, so dass sie Gesamtschuldner geworden wären.
Dies gilt nicht nur für die Verträge, an deren Abschluss die Gläubiger- oder Schuldnermehrheit selbst beteiligt ist. Auch aus Verträgen, die ein servus communis eingegangen ist, erwerben die Miteigentümer des Sklaven, soweit der Gegenstand der ihm zugesagten Leistung dies zulässt, Teilforderungen nach dem Verhältnis ihrer Anteile an dem Sklaven.26 Dass demgegenüber bei den vom servus communis eingegangenen Verpflichtungen eine Gesamtschuld der Miteigentümer eintritt, dient allein dem Schutz des Vertragspartners, der nicht schlechter stehen soll als in dem Fall, dass der Sklave einem einzigen Herrn gehört: D 15.1.27.8 Gai 9 ed prov Si quis cum servo duorum pluriumve contraxerit, permittendum est ei cum quo velit dominorum in solidum experiri: est enim iniquum in plures adversarios distringi eum, qui cum uno contraxerit: …27 Hat jemand mit einem Sklaven, der zwei oder mehr Herren gehört, einen Vertrag geschlossen, ist ihm zu gestatten, nach seiner Wahl einen der Herren auf die ganze Leistung zu verklagen. Es ist nämlich ungerecht, dass wer einen Vertrag mit einer Person geschlossen hat, sich mit mehreren Gegnern auseinandersetzen muss. …
Das spezifische Risiko, das dem Vertragspartner so abgenommen werden soll, ist dasselbe, das auch bei der Ausgestaltung der gesamtschuldnerischen Haftung für Nachlassverpflichtungen die entscheidende Rolle spielt: Der Außenstehende kann die Struktur der Mitberechtigung nicht übersehen und befände sich bei einer anteiligen Verpflichtung der Eigentümer des servus communis darüber im Unklaren, wen er in welcher Höhe in Anspruch nehmen muss. Daher erwägt Julian zunächst, ihm trotz ungleicher Anteile an dem gemeinsamen Sklaven Teilforderungen pro aequalibus partibus einzuräumen, entscheidet sich aber schließlich für die Gesamtschuld, weil sie den Vertragspartner am effektivsten schützt: D 14.3.13.2 Ulp 28 ed Si duo pluresve tabernam exerceant et servum, quem ex disparibus partibus habebant, institorem praeposuerint, utrum pro dominicis partibus teneantur an pro aequalibus an pro portione mercis an vero in solidum, Iulianus quaerit. et verius esse ait exemplo exercitorum et de peculio actionis in solidum unumquemque conveniri posse, et quidquid is praestiterit qui conventus est, societatis iudicio vel communi dividundo consequetur, quam sententiam et supra probavimus. Für den Fall, dass zwei oder mehrere ein Ladengeschäft betreiben und als Geschäftsleiter einen Sklaven eingesetzt haben, den sie zu ungleichen Teilen innehaben, fragt Julian, ob sie nach dem Verhältnis ihrer Miteigentumsquote oder zu gleichen Teilen oder nach ihrem Anteil an den Waren oder auf die ganze Leistung haften. Und er sagt, es sei richtiger, dass jeder von ihnen nach dem Muster der Reeder- oder der Klage wegen des Sonderguts auf die ganze Leistung verklagt werden könne, und was er geleistet habe, mit Hilfe 26 27
D 46.3.29 Ulp 38 ed, D 12.1.13.2 Ulp 26 ed; vgl. ferner Gai 3.167. Die ratio dieser Entscheidung ist auch in D 14.1.2 Gai 9 ed prov überliefert.
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der Gesellschafts- oder der Teilungsklage erstattet bekomme; diese Ansicht habe ich schon oben gebilligt.
Ist die Teilforderung die Regel, die Gesamtobligation die Ausnahme zum Schutz des Vertragspartners, ist zugleich die ratio für das Konzept der Gesamtgläubigerschaft im Vertragsrecht gefunden: Da sich eine gemeinsame Zuständigkeit mehrerer Gläubiger für dieselbe Forderung wegen des Prinzips der Geldverurteilung prozessual nicht umsetzen lässt und daher gewöhnlich eine Teilung des Anspruchs stattfindet, setzen die Gläubiger, die von ihr absehen, ihr eigenes Schutzbedürfnis herab und müssen sich gefallen lassen, dass der Schuldner an jeden von ihnen mit befreiender Wirkung leisten kann.28 Denn die Gläubiger hatten es in der Hand, sich bei Vertragsschluss für die übliche Teilforderung zu entscheiden und den Anspruch aufzuspalten: Bei teilbaren Leistungen hätten sie nur auf den Zusatz: ita ut duo rei stipulandi essent, verzichten müssen; bei unteilbaren Leistungen hätten sie einen pauschalierten Interesseersatz festlegen können, der einer Teilung zugänglich ist. Da sie im Streitfall ohnehin keine Realleistung erwarten können, ist ihnen das eine wie das andere durchaus zuzumuten. Haben sie es unterlassen, haben sie zugleich auch das Risiko übernommen, dass der Schuldner die Leistung anders erbringt, als es dem Innenverhältnis unter den Gläubigern entspricht. Denn wer dieses Innenverhältnis zum Bestandteil der Rechtsbeziehung zum Schuldner machen konnte, hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn es dort keine Rolle spielt. Fraglich ist nur, wie weit die selbst verursachte Benachteiligung der Gläubiger reicht. Außer zum Empfang der Leistung muss der einzelne Gesamtgläubiger selbstverständlich auch zur Vornahme einer acceptilatio berechtigt sein,29 die ja ursprünglich nur Quittung der Leistung und der Erfüllung daher gleichwertig ist.30 Wie aber verhält es sich mit der Novation und dem formlosen Erlass durch pactum? Bleibt man der Erwägung treu, die Gesamtgläubigerschaft sei ein selbstgesuchtes Übel, muss man aus der Erfüllungszuständigkeit des einzelnen Gläubigers auch auf dessen Befugnis schließen, die Schuld durch Novation zum Erlöschen zu bringen oder durch ein pactum undurchsetzbar werden zu lassen. Zumindest für die Novation ist eine solche Argumentation auch bei Venuleius belegt, der sich auf die Berechtigung der einzelnen Gläubiger zum direkten Empfang der Leistung und zudem darauf stützt, dass der einzelne Gläubiger für den Eintritt der Erfüllungswirkung auch durch Anweisung an einen Dritten sorgen könnte: D 46.2.31 Venul 3 stip Si duo rei stipulandi sint, an alter ius novandi habeat, quaeritur et quid iuris unusquisque sibi adquisierit. fere autem convenit et uni recte solvi et unum iudicium petentem totam rem in litem deducere, item unius acceptilatione peremi utrisque obligationem: ex quibus colligitur unumquemque perinde sibi adquisisse, ac si solus stipulatus esset, excepto eo quod etiam facto eius, cum quo commune ius stipulantis est, amittere debitorem potest. 28
Zu den übrigen Entstehungsvoraussetzungen der Gesamtobligation und ihrer Abgrenzung zu anderen Instituten, insbesondere zur Bürgschaft ausführlich Sacconi, Studi sulle obbligazioni solidali da contratto in diritto Romano, Mailand 1973. 29 D 45.2.2 Iav 3 Plaut, D 46.4.13.12 Ulp 50 Sab. 30 Gai 3.169.
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J. D. Harke secundum quae si unus ab aliquo stipuletur, novatione quoque liberare eum ab altero poterit, cum id specialiter agit, eo magis cum eam stipulationem similem esse solutioni existimemus. alioquin quid dicemus, si unus delegaverit creditori suo communem debitorem isque ab eo stipulatus fuerit? aut mulier fundum iusserit doti promittere viro, vel nuptura ipsi doti eum promiserit? nam debitor ab utroque liberabitur. Gibt es zwei Gesamtgläubiger, stellt sich die Frage, ob jeder von beiden die Befugnis zur Novation hat und welche Rechtsstellung er erlangt hat. Es ist aber beinahe ausgemacht, dass sowohl jedem der beiden zu Recht geleistet wird als auch er mit seiner Klage das ganze Schuldverhältnis rechtshängig macht sowie dass durch die von einem vorgenommene acceptilatio beider Forderung untergeht. Hieraus kann man schließen, dass ein jeder so für sich erworben hat, als habe er sich die Leistung allein versprechen lassen, mit der Maßgabe, dass er durch die Handlung desjenigen, mit dem er ein gemeinsames Gläubigerrecht hat, seinen Schuldner verlieren kann. Dementsprechend kann einer der Gläubiger, wenn er sich vom Schuldner ein Versprechen geben lässt, mit einer solchen Novation, wenn dies besonders ausgemacht ist, den Schuldner auch von dem anderen befreien, zumal wir annehmen, dass ein solches Versprechen der Leistung gleichsteht. Was würden wir sonst in dem Fall sagen, dass einer den gemeinsamen Schuldner zur Leistung an seinen Gläubiger angewiesen hat und dieser sich von jenem ein Versprechen hat geben lassen? Oder wenn eine Frau den Schuldner angewiesen hat, ein Grundstück ihrem Mann als Mitgift zu versprechen, oder sie dem Schuldner selbst in der Absicht, ihn zu heiraten, das Grundstück als Mitgift versprochen hat? Denn der Schuldner wird hier von beiden Gläubigern befreit.
Die gegenteilige Auffassung findet sich bei Paulus, der sich außer auf Proculus und Neraz vor allem auf Labeo und den von ihm angestellten Vergleich zum Fall des Gewaltunterworfenen beruft: Auch dieser sei zwar für die Erfüllung einer Forderung seines Gewalthabers zuständig, nicht jedoch berechtigt, sie durch Novation zum Erlöschen zu bringen: D 2.14.27pr. Paul 3 ed Si unus ex argentariis sociis cum debitore pactus sit, an etiam alteri noceat exceptio? Neratius Atilicinus Proculus, nec si in rem pactus sit, alteri nocere: tantum enim constitutum, ut solidum alter petere possit. idem Labeo: nam nec novare alium posse, quamvis ei recte solvatur: sic enim et his, qui in nostra potestate sunt, recte solvi quod crediderint, licet novare non possint. quod est verum. idemque in duobus reis stipulandi dicendum est. Hat ein Bankgesellschafter mit einem Schuldner einen Erlass vereinbart, ist fraglich, ob auch dem anderen Gesellschafter eine Einrede entgegensteht. Neraz, Atilicinus und Proculus meinen, dass sie dem anderen noch nicht einmal dann entgegenstehe, wenn die Erlassvereinbarung unpersönlich getroffen wurde. Es werde damit nur bewirkt, dass allein der andere die Forderung erheben könne. Dasselbe glaubt Labeo. Denn der einzelne könnte auch keine Novation vornehmen, obwohl ihm wirksam geleistet werde – wie auch denen, die unserer Gewalt unterworfen sind, wirksam gezahlt wird, was sie als Darlehen ausgegeben haben, obwohl sie die Forderung nicht novieren können. Dies ist richtig und auch bei Gesamtgläubigern zu sagen.
Zwar spricht Paulus am Ende des Textes allgemein davon, dass dies für duo rei stipulandi gelte.31 Die Frage richtet sich jedoch auf den Fall der argentarii. Deren Besonderheit ist, dass sie auch ohne gemeinsamen Auftritt beim Vertragsschluss durch die Geschäfte, die einer von ihnen eingeht, automatisch mitberechtigt und 31
Dass es hier um eine Stipulationsverpflichtung und nicht um eine solche aus Litteralvertrag geht, zeigt Gröschler, Die tabellae-Urkunden aus dem pompejanischen und herkulanensischen Urkundenfungen, Berlin 1997, S. 115 gegen Bürge, Fiktion und Wirklichkeit. Soziale und rechtliche Strukturen des römischen Bankwesens, SZ 104 (1987) 521 ff.
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mitverpflichtet werden.32 Paulus’ und Labeos Auffassung könnte sich auf diese konkrete Konstellation der Gesamtgläubigerschaft beziehen33 und gewänne dann erheblich an Überzeugungskraft. Denn ein Gewaltunterworfener ist einem Gesamtgläubiger, der selbst beim Vertragsschluss mitgewirkt hat, völlig unvergleichbar. Eine gewisse Ähnlichkeit beider Konstellationen entsteht erst dadurch, dass man von einer Mitberechtigung unter argentarii ausgeht, die nicht auf gemeinsamem Vertragsschluss beruht und daher ebenso wenig selbstbestimmt ist wie die Befugnis des Gewaltunterworfenen zum Empfang von Leistungen an seinen Gewalthaber. Mag der hieraus gezogene Schluss bei der Gesamtgläubigerschaft von Bankleuten durchaus gerechtfertigt sein, wäre er im Übrigen ein reichlich hilfloser Versuch, die ohne weiteres einleuchtende Gegenargumentation des Venuleius zu entkräften. Denn sie hat mit der Ableitung der Novations- aus der Erfüllungszuständigkeit nicht nur den Fallvergleich, sondern auch den Sinn der Gesamtobligation für sich, nämlich dass die Gläubiger mit ihrer Entscheidung gegen die Teilschuld ihr Interesse am Schutz vor innenverhältniswidrigen Verfügungen verwirkt haben.34 Dieser Gedanke lässt sich auch auf die Gesamtschuld übertragen, obwohl diese im Gegensatz zur Gesamtgläubigerschaft ja kaum der Erklärung bedarf: Auch eine Mehrheit von Schuldnern hat es bei Vertragsschluss in der Hand, für Teilverpflichtung zu sorgen, indem sie bei teilbaren Leistungen auf die Vereinbarung ihrer Haftung in solidum verzichtet und bei einheitlichen Leistungen aufgeteilt pauschalierten Interesseersatz verspricht. Sehen die Schuldner davon ab, übernehmen sie zugleich das Risiko, entgegen der im Innenverhältnis ausgemachten Verteilung der Belastung vom Gläubiger voll in Anspruch genommen zu werden. Die Konsequenz dieser Verwirkung des eigenen Schutzbedürfnisses liegt darin, dass in der Frage, ob Umstände Einzel- oder Gesamtwirkung haben, im Zweifel zum Nachteil der Gesamtschuldner entschieden wird. Bei der acceptilatio ist dies wiederum nur deshalb nicht möglich, weil sie in jeder Hinsicht der Erfüllung gleichkommt, so dass sie wie diese zugunsten aller Gesamtschuldner wirken muss:35 D 46.4.16pr. Ulp 7 disp Si ex pluribus obligatis uni accepto feratur, non ipse solus liberatur, sed et hi, qui secum obligantur: nam cum ex duobus pluribusque eiusdem obligationis participibus uni accepto fertur, ceteri quoque liberantur, non quoniam ipsis accepto latum est, sed quoniam velut solvisse videtur is, qui acceptilatione solutus est. Ist einem von mehreren Schuldnern die Verpflichtung durch acceptilatio erlassen worden, wird nicht nur er selbst befreit, sondern es werden auch diejenigen befreit, die mit ihm gemeinsam verpflichtet worden sind. Denn wenn von einem oder mehreren Schuldnern derselben Verpflichtung einem die Schuld durch acceptilatio erlassen wird, werden die
32
Die gemeinschaftliche Verpflichtung ist durch Rhet ad Her 2.13.19 belegt und macht eine Mitberechtigung überaus wahrscheinlich, für die auch die Einleitung des Paulusfragments spricht; vgl. Gröschler (Fn. 31), S. 112, anders Meissel, Societas. Struktur und Typenvielfalt des römischen Gesellschaftsvertrags, Frankfurt a.M. u.a. 2004, S. 163 und Schmieder (Fn. 1), S. 215. 33 Schmieder (Fn. 1), S. 105 ff. erwägt dies offenbar nicht. 34 Zur Gesamtwirkung der litis contestatio im klassischen und justinianischen Recht Schmieder (Fn. 1), S. 83 ff. mwN, der sich jedoch selbst einer Deutung enthält. 35 Richtig HKK-Meier §§ 420 ff. II Rn. 35.
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J. D. Harke anderen auch befreit, und zwar nicht, weil ihnen selbst die Schuld erlassen worden ist, sondern weil derjenige, der durch acceptilatio befreit worden ist, so angesehen wird, als habe er geleistet.
Beim formlosen Erlass durch pactum ist die Einzelwirkung dagegen der Regelfall,36 die Wirkung für alle Gesamtschuldner davon abhängig, dass die Vereinbarung in rem, also in der erkennbaren Absicht abgeschlossen wurde, alle Gesamtschuldner zu befreien.37 Einzelwirkung hat aus dem gleichen Grund die capitis deminuitio eines Gesamtschuldners, weil zum Vorteil der anderen nur die Erfüllung und nicht auch eine auf andere Weise erlangte Befreiung wirkt: D 45.2.19 Pomp 37 QM Cum duo eandem pecuniam debent, si unus capitis deminutione exemptus est obligatione, alter non liberatur. multum enim interest, utrum res ipsa solvatur an persona liberetur. cum persona liberatur manente obligatione, alter durat obligatus: … Schulden zwei dieselbe Leistung und ist einer durch Verlust seiner Rechtsfähigkeit von der Verpflichtung ausgenommen, wird der andere nicht befreit. Es macht nämlich einen großen Unterschied, ob die Leistung selbst erbracht wird oder nur eine Person befreit wird. Während sie bei Fortbestand der Verbindlichkeit befreit wird, bleibt der andere verpflichtet.
Zum Nachteil der Gesamtschuldner fällt schließlich auch die gegenseitige Zurechnung des Verschuldens aus. Als allgemeine Regel über die Wirkung eines factum alterius ist sie in einem Auszug aus Pomponius’ Kommentar ad Plautium überliefert: D 45.2.18 Pomp 5 Plaut Ex duobus reis eiusdem Stichi promittendi factis alterius factum alteri quoque nocet. Unter zwei Gesamtschuldnern, die denselben Sklaven Stichus versprochen haben, gilt, dass die Handlung des einen auch dem anderen schadet.
Weder die Echtheit noch die Allgemeingültigkeit dieser Aussage für die römische Jurisprudenz wird dadurch in Frage gestellt,38 dass in zwei weiteren Fragmenten von ebenfalls regelhafter Kürze die Einzelwirkung des Verzugs behauptet wird: D 22.1.32.4 Marcian 4 reg Sed si duo rei promittendi sint, alterius mora alteri non nocet. Sind es aber zwei Gesamtschuldner, schadet der Verzug des einen nicht dem anderen. D 50.17.173.2 Paul 6 Plaut Unicuique sua mora nocet. quod et in duobus reis promittendi observatur. Jedem schadet sein eigener Verzug, was auch bei Gesamtschuldnern gilt.
Anders als die an eine verschuldete Unmöglichkeit geknüpfte Haftung werden die Verzugsfolgen von den römischen Juristen nämlich als Strafe für den säumigen Schuldner begriffen.39 Dies gilt nicht nur für die Verzinsung einer Geldschuld, die 36
D 46.3.34.11 Iul 54 dig. D 2.14.21.5 Paul 3 ed. Noch stärker einschränkend Schmieder (Fn. 1), S. 141, der eine Gesamtwirkung nur bei einer Störung des Regresses unter den Gesamtschuldnern annimmt. 38 So aber Schmieder (Fn. 1), S. 157. 39 D 46.3.95.1 Pap 28 quaest: … quoniam id pro petitore in poenam promissoris constitutum est; PS 5.7.4. 37
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rein präventiv wirkt, den Schuldner also lediglich zur Leistung anhalten und nicht den Gläubiger für den Zeitnachteil entschädigen soll.40 Es trifft auch auf die perpetuatio obligationis zu, die eine unbedingte Zufallshaftung auslöst und den Schuldner selbst dann verpflichtet, wenn der Leistungsgegenstand auch bei rechtzeitiger Leistung zum Nachteil des Gläubigers untergegangen wäre.41 Dass diese Rechtsfolgen die Schuldner nicht in ihrer Gesamtheit treffen dürfen, sondern nur dem auferlegt werden, in dessen Person das Strafbedürfnis besteht, ist selbstverständlich und ändert nichts am schuldnerfeindlichen Konzept der Gesamtschuld. Das im Vertragsrecht geltende Regime der Gesamtobligation lässt sich ohne weiteres auch für das Vermächtnisrecht fruchtbar machen. Zwar haben die Vermächtnisnehmer und die beschwerten Erben keinen Einfluss auf die Ausgestaltung ihrer Gläubiger- oder Schuldnerposition. Da sie in diese Rolle jedoch freiwillig und zum eigenen Vorteil geraten, können sie wie vertragliche Gesamtschuldner oder -gläubiger behandelt werden: D 31.16 Cels 6 dig Si Titio aut Seio, utri heres vellet, legatum relictum est, heres alteri dando ab utroque liberatur: si neutri dat, uterque perinde petere potest atque si ipsi soli legatum foret: nam ut stipulando duo rei constitui possunt, ita et testamento potest id fieri. Ist ein Vermächtnis dem Titius oder Seius nach der Wahl des Erben ausgesetzt, wird der Erbe durch die Leistung an einen von beiden befreit. Leistet er keinem von beiden, können beide es so fordern, als sei es ihnen allein ausgesetzt. Denn wie man durch Stipulation zwei zu Gesamtgläubigern machen kann, so kann dies auch durch Testament geschehen.
Mit dem Wegfall des Prinzips der Geldverurteilung wird das römische Konzept der Gesamtobligation jedoch insgesamt hinfällig: Ist die Gesamtschuld wegen ihrer Praktikabilität überlebensfähig und alternativlos, lässt sich dasselbe für die Gesamtgläubigerschaft nicht behaupten. In einem System der Naturalexekution muss sie weitgehend der miteigentumsähnlich strukturierten Forderungsgemeinschaft Platz machen, die allen Gläubigern Gewähr für ihre Beteiligung an der nun durchsetzbaren Realleistung des Schuldners bietet.
40
D 19.1.49.1 Herm 2 iur epit; hierzu Harke, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, Berlin 2005, S. 43 ff. 41 D 30.47.6 Ulp 22 Sab; hierzu Harke (Fn. 40), S. 14 ff.
Die iusta causa beim Eigentumserwerb durch Stellvertreter Fabian Klinck
1. Einleitung Nach dem bekannten Ausspruch des Gaius kann man durch die Handlungen eines freien Menschen grundsätzlich nichts erwerben; nur beim Besitz, so Gaius, sei es fraglich, ob er durch einen freien Dritten erworben werden könne. Ob Gaius diesen freien Dritten, durch dessen Handlung man womöglich den Besitz erwerben kann, näher bezeichnet hat, ist zweifelhaft, denn gerade hier ist die Veroneser Handschrift unlesbar. Der Streit darum, ob hier der procurator genannt war, hat freilich keine Bedeutung, wenn man der These folgt, dass dieses Wort in der Hochklassik über seine ursprünglich spezifischere Bedeutung hinaus jeden bezeichnen konnte, der sich fremder Angelegenheiten annimmt.
Gai. 2, 95: Ex his apparet per liberos homines, quos neque iuri nostro subiectos habemus neque bona fide possidemus, item per alienos servos, in quibus neque usumfructum habemus neque iustam possessionem, nulla ex causa nobis adquiri posse. et hoc est quod vulgo dicitur per extraneam personam nobis adquiri non posse. tantum de possessione quaeritur, an [per extraneam personam; per liberam personam; per procuratorem. – zur Ausfüllung dieser in der Veroneser Handschrift unlesbaren Passage sogleich im Text] nobis adquiratur. Zum Streit um die richtige Lesart des Textes vgl. aus jüngerer Zeit Klinck, Erwerb durch Übergabe an Dritte nach klassischem römischen Recht, 2004, S. 206 Fn. 67. Gerade im Hinblick auf die von David und Nelson erkannten Zeichen spricht alles dafür, dass im Text per procuratorem gestanden hat, vgl. deren Gai institutionum commentarii IV, 2. Lieferung (1960), S. 310 f., und nun auch die Ausgabe von Manthe (2004), S. 142. Zur Bedeutung des Wortes procurator in den Quellen Klinck, SZ 124 (2007), 25 ff.: In älterer Zeit, jedenfalls bei Cicero und bis in die erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. hinein, bezeichnete man als procurator wohl ausschließlich denjenigen, der sich als Freund oder Freigelassener der Angelegenheiten eines Ortsabwesenden annahm; rechtlich erfasste man dieses Geschäftsbesorgungsverhältnis als negotiorum gestio. Erst zu Zeiten Julians begann man, die Einsetzung
F. Klinck () Juristische Fakultät, Ruhr-Universität Bochum, Universitätsstraße 150, GC 5/135, 44780 Bochum, Deutschland E-Mail:
[email protected] J. D. Harke (Hrsg.), Drittbeteiligung am Schuldverhältnis, DOI 10.1007/978-3-642-04450-2_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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F. Klinck
Was nach Gaius nur fraglich ist, wird schnell zur herrschenden Ansicht. Severus und Caracalla können im Jahr 196 n. Chr. in C. 7, 32, 1 feststellen, es sei bereits anerkannt, dass man durch jede freie Person Besitz erwerben könne, und zwar auch für die Zwecke einer Ersitzung. Freilich soll die Ersitzungsfrist erst beginnen, nachdem der Geschäftsherr von seinem Erwerb Kenntnis erlangt hat. Die korrespondierende Stelle aus den Institutionen des Gaius wird für die Institutionen des Corpus Iuris entsprechend abgewandelt: Durch eine freie Person wie einen procurator kann nicht nur der Besitz erworben werden, sondern auch das Eigentum, wenn der Veräußerer zuvor Eigentümer gewesen war, andernfalls der Ersitzungsbesitz. Dass dies schon der klassischen, und zwar nicht erst der spätklassischen Rechtslage entspricht, bestätigen insbesondere die folgenden Fragmente aus den Digesten: (1) D. 41, 1, 13 pr. Ner. 6 reg. Si procurator rem mihi emerit ex mandato meo eique sit tradita meo nomine, dominium mihi, id est proprietas adquiritur etiam ignoranti. (2) D. 6, 2, 7, 10 Ulp. 16 ad ed. Si ego non emero, sed servus meus, habebo Publicianam. idem est et si procurator meus vel tutor vel curator vel quis alius negotium meum gerens emerit. (3) D. 41, 2, 49, 2 Pap. 2 def. Etsi possessio per procuratorem ignoranti quaeritur, usucapio vero scienti competit, tamen evictionis actio contra venditorem invito procuratore non datur, sed per actionem mandati ea cedere cogitur.
Dieser Eigentumserwerb durch die Handlung eines freien Dritten wurde nicht etwa durch die Kompilatoren oder andere nachklassische Bearbeiter in die Quellen getragen. Er ist weder damit zu erklären, dass der Eigentumserwerb des procurator
eines procurator als rechtlichen Akt zu verstehen, nämlich als Mandat; in dieser Zeit verlor das Wort procurator seine enge Bedeutung und bezeichnete jeden, der sich fremder Angelegenheiten annahm, sei es mit oder ohne Mandat, sei es in guter oder böser Absicht ( falsus procurator). Zur Rechtsentwicklung ausführlich Klinck, Erwerb (Fn. 2), S. 194 ff. C. 7, 32, 1; Paul. D. 41, 3, 47; Pap. D. 41, 2, 49, 2. Vgl. etwa noch die in Fn. 22 genannten Quellen. Anders aber noch D. 41, 1, 59 Call. 2 quaest. Res ex mandatu meo empta non prius mea fiet, quam mihi tradiderit qui emit. Hier tritt uns offenbar noch die alte, vermutlich sabinianische Ansicht entgegen, vgl. Klinck, Erwerb (Fn. 2), S. 213 f. – Sachlich, wenn auch nicht zeitlich hierher gehört noch C. 4, 50, 6, 3 Diocl./Maxim. AA. et CC. Aurelio Dionysio. Sin vero ab initio negotium uxoris gerens comparasti nomine ipsius, empti actionem nec illi nec tibi adquisisti, dum tibi non vis nec illi potes: quare dominii quaestione ille potior habetur, cui possessio tradita est.
Auch wenn der Kauf keine actio empti hervorbringt, taugt er doch als iusta causa, aufgrund deren auch die Frau Eigentümerin werden kann, obwohl sie am Vertragsschluss nicht beteiligt war. Für Echtheit des Textes und Klassizität seines Inhalts Claus, Gewillkürte Stellvertretung im Römischen Privatrecht, 1973, S. 322 f. So noch Beseler, Beiträge zur Kritik der römischen Rechtsquellen, IV. Heft, 1920, S. 51 ff.; Albertario, Corso di diritto romano: Il possesso, 1939, S. 311 ff.; Bonfante, Corso di diritto romano, Bd. III, Neudruck 1972, S. 364 ff.; Serrao, Il procurator, 1947, S. 95 f., 100. Meylan, Festschrift für Lewald, 1978, S. 111 f., hält D. 41, 1, 13 pr. insoweit für interpoliert, als dort von Eigentum und nicht von Besitz die Rede ist. Für Echtheit der einschlägigen Quellen aber schon Perozzi, Scritti Giruidici, Bd. I, 1948, S. 90 ff.
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seinem Geschäftsherrn schlicht „zugerechnet“ wurde, noch damit, dass sich das Eigentum des Geschäftsherrn am Geld im Wege der Surrogation an der vom procurator mit diesem erworbenen Sache fortsetzte. Man muss davon ausgehen, dass sich der Erwerb auch hier nach den allgemeinen Regeln vollzog. Der Eigentumserwerb der traditio setzte den Besitzübergang vom Veräußerer auf den Erwerber und – nach heute ganz herrschender Ansicht10 – eine iusta causa voraus. Für den
Das behauptet auch W. Krüger, Erwerbszurechnung kraft Status, 1979, zusammenfassend S. 65 ff., 121 f., nur für Gewaltabhängige. Auch diejenigen, die in anderen Rechtskreisen oder Epochen des römischen Rechts derartige Surrogationsgedanken erkennen, nehmen sie für das klassische Recht nicht an, vgl. Claus, Stellvertretung (Fn. 6), S. 143, und dazu Kaser, SZ 91 (1974), insbes. 173 ff.; hinsichtlich des damit zusammenhängenden (angeblichen) Prinzips der notwendigen Entgeltlichkeit Pringsheim, Kauf mit fremdem Geld, 1916, S. 50 ff. – In manchen Fällen allerdings, in denen die Zuordnung des Erwerbs durch einen Sklaven nicht eindeutig war, konnte entscheidend sein, aus wessen Vermögen der Kaufpreis stammte, so beim Nießbrauchsklaven, vgl. jüngst Sturm, Symp. Wieling, 2006, S. 223 ff., und Klinck, Erwerb (Fn. 2), S. 98 ff., nicht aber beim im Eigentum mehrerer stehenden Sklaven, dazu Klinck a.a.O., S. 111 ff. 10 Der Streit um die Kausalabhängigkeit der traditio ist so alt wie die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem römischen Recht selbst, vgl. dazu den knappen Überblick bei Pflüger, Zur Lehre vom Erwerbe des Eigentums nach römischem Recht, 1937, S. 22-31; zur Haltung der Byzantiner Mayer-Maly, in: Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 4. Aufl., 1987, § 62 III 1 (S. 160), wo allerdings Kyrillos und Nikaios verwechselt werden. Besonders prominenter und auch für das geltende deutsche Recht wirkmächtigster Vertreter der Ansicht von der traditio als vom Grundgeschäft unabhängigem Übereignungsvertrag war v. Savigny, vgl. hierzu Felgentraeger, Friedrich Carl v. Savignys Einfluss auf die Übereignungslehre, 1927, Fuchs, Iusta causa traditionis in der Romanistischen Wissenschaft, 1952, 82 ff., und Hammen, Die Bedeutung F. C. v. Savignys für die allgemeinen dogmatischen Grundlagen des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1983, S. 146 ff. Die Opposition gegen diese Ansicht verstummte freilich nie, und heute geht die romanistische Literatur wieder ganz überwiegend von der Kausalabhängigkeit der traditio aus, vgl. Fn. 19. Für Abstraktheit der traditio aber etwa noch eingehend Voci, Modi di acquisto della proprietà, 1952, S. 138 ff. (inhaltsgleich zuvor ders., SDHI 15 [1949], 141 ff.). Nunmehr (Istituzioni di diritto romano, 6. Aufl., 2004, § 61.5) meint Voci allerdings, dass zwar zu Zeiten Julians die Abstraktheit der traditio unstreitig gewesen sei, sich dies aber bis zur Zeit der Severer gewandelt habe und Ulpian und Paulus von der Kausalabhängigkeit ausgegangen seien. Für Abstraktheit in dem Sinne, dass das der traditio zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft nicht wirksam sein müsse, noch heute etwa Burdese, Manuale di diritto privato romano, 1987, S. 307 f.; Marrone, Manuale di diritto romano, 2004, S. 196. Für den Kauf gelangt Jakobs, SZ 119 (2002), 313 ff., zu ähnlichen Ergebnissen, indem er von der Zulassung der Ersitzung in den Fällen, dass ein Kauf zwar tatsächlich vorgenommen wurde, aber unwirksam ist (dazu entsprechend ders., Festschrift für Flume, Bd. 1 1978, 43 ff.), auf diejenige eines Eigentumserwerbs durch traditio in diesen Fällen schließt. Tatsächlich liegt ein solcher Schluss von den Verhältnissen bei der usucapio auf diejenigen der traditio entgegen Kaser, BIDR 64 (1961), 91 ff., nicht schon deshalb fern, weil bei jener auch Interessen eines (früheren) Eigentümers in Rede stehen. Im Gegenteil legt dies einen Schluss a maiore ad minus sogar nahe: Wenn man eine Ersitzung zu Lasten des Eigentümers auch ohne wirksamen Titel zuließ, dann doch erst recht den sofortigen Erwerb vom Eigentümer, der keinen Dritten belastete. Tatsächlich nimmt auch Kaser an, man sei im Hinblick auf die Anforderungen an eine causa usucapionis eher strenger gewesen als bei denen an eine causa traditionis. Gegen einen Schluss von der usucapio auf die traditio mit dem Argument, bei dieser sei die bona fides irrelevant gewesen (habe also Mängel des Titels nicht ausgleichen können), Mayer-Maly, a.a.O., § 62 III 1.
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unmittelbaren Eigentumserwerb des Geschäftsherrn durch traditio an den procurator ist das Erfordernis des Besitzübergangs weniger problematisch; dass der Besitz durch einen procurator erworben werden kann, ist reichlich belegt.11 Näherer Betrachtung bedarf allerdings die iusta causa. Da die Quellen sich hierüber weitestgehend ausschweigen, ist auch in der jüngeren romanistischen Literatur die Diskussion über Bedeutung und Funktion der causa nicht abgerissen.12 Viele gehen noch immer davon aus, iusta causa meine das Verpflichtungsgeschäft, in dessen Vollzug die Übereignung geschehen soll.13 Dieses Verständnis der causa traditionis rückt sie in die Nähe des Rechtsgrundes im Sinne des Bereicherungsrechts – was den Vereinheitlichungs- und Systematisierungsdrang des modernen Juristen befriedigt und schon deshalb den Verdacht weckt, man trage moderne Rechtsanschauungen in die Quellen zurück, auf deren Grundlage sie sich in jahrhundertelanger Analyse entwickelten. Entsprechend wird in jüngerer Zeit stärker betont, dass der causa-Begriff von traditio und condictio nicht derselbe sei, was vor allem die condictio indebiti belege.14 Denn die condictio setze einen Eigentumserwerb des Bereicherten und zugleich voraus, dass eine entsprechende Verpflichtung nicht bestanden habe. Während Voci dies zum Argument für die Abstraktheit der traditio nahm,15 folgerte Kaser daraus, auch die solutio – und zwar auch die beabsichtigte Erfüllung einer in Wahrheit nicht bestehenden Schuld – stelle eine iusta causa für den Eigentumsübergang dar.16 Nach Kasers Lehre ist der Kreis der möglichen iustae causae nicht von vornherein beschränkt; die wichtigsten, gebräuchlichsten freilich sind neben
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Vgl. die zahlreichen Quellen bei Klinck, Erwerb (Fn. 2), S. 194 ff. Nach der bei Kaser, Das Römische Privatrecht, Bd. 1, 2. Aufl., 1971, (= RP I), § 100 IV 1 Fn. 27, nachgewiesenen Literatur erschienen etwa Evans-Jones/Maccormack, Iusta causa traditionis, und Gordon, The Importance of the iusta causa of traditio, beide in Birks (Hg.), New Perspectives in the Roman Law of Property – Essays for Barry Nicholas, 1989, S. 99 ff. bzw. S. 123 ff.; Jakobs, FS Flume, Bd. I, 1978, S. 43 ff., und ders., SZ 119 (2002), 301 ff.; Vacca, Sodalitas, Bd. IV, 1984, S. 1955 ff., insbes. S. 1988 ff.; Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis, 1990, S. 53 ff.; Behrends, SCDR 9/10 (1997/98), 133 ff.; Lambertini, Fides Humanitas Ius – Studi in onore di Luigi Labruna, Bd. IV, 2007, S. 2745 ff. 13 So etwa Behrends, SCDR 9/10 (1997/98), 140 („La iusta causa si racollega al diritto presupponendo un accordo delle parti su un rapporto giuridico che può giustificare il trasferimento della proprietà come la compravendita o la donazione“); Voci, Istituzioni (Fn. 10), § 61.5 („Causa è il negozio per la cui attuazione la traditio è compiuta“); etwas anders, nämlich auf den Rechtsakt (Kauf, Schenkung, solutio etc.) statt auf ein daraus entspringendes Rechtsverhältnis abhebend, Flume, Rechtsakt (Fn. 12), S. 53 ff. 14 Vgl. schon Schwarz, Die Grundlage der condictio, 1952, S. 228 f., und besonders Jahr, SZ 80 (1963), 145 ff., 151 ff.; weiter etwa Schanbacher, TR 60 (1992), 3. Gegen eine allzu scharfe Trennung Mayer-Maly, in: Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 4. Aufl. (1987), § 62 III 1 mit Fn. 16. 15 Vgl. o. Fn. 10. 16 Kaser, BIDR 64 (1961), 69 ff. Vgl. aber (zur usucapio) auch bereits Bonfante, Scritti giuridici varii, Bd. 2: Proprietà e servitù, 1918, S. 555 ff.; anders hingegen etwa noch Lange, Das kausale Element im Tatbestand der klassischen Eigentumstradition, 1930, S. 78, und Erhardt, Justa causa traditionis, 1930, S. 48 ff. Weiterführend zu Kasers Argumentation Jakobs, Festschrift für Flume, Bd. 1, 1978, S. 50 ff. 12
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der causa solutionis die causae venditionis17, donationis, dotis, credendi, aber etwa auch ob rem und ob causam datum18. Die jüngere romanistische Literatur folgt dem weitgehend.19 In diesen Grundzügen ist die iusta causa traditionis mit der iusta causa usucapionis identisch,20 mag man es für diese anders als für jene auch haben genügen lassen, wenn der von Veräußerer und Erwerber angenommene Rechtsgrund für den Erwerb nicht wirksam gesetzt worden war.21
2. Grundsätze und Erwerb emptionis/venditionis causa Wenn man diese Ansicht als zutreffend akzeptiert, sind für den Eigentumserwerb durch einen procurator jedenfalls diejenigen Fälle unproblematisch, in denen der Geschäftsherr selbst die Sache gekauft hatte und der procurator nur für die Übergabe eingeschaltet wurde.22 Die der traditio zugrundeliegende causa emptionis/venditionis23 bezieht sich hier auf den Geschäftsherrn. Die soeben wiedergegebenen Quellen aber belegen, dass der Eigentumserwerb durch den procurator in klassischer Zeit auch dann zugelassen wurde, wenn der procurator das Erwerbsgeschäft im Auftrage des Geschäftsherrn selbst abschließt.
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Der causa solutionis nämlich soll auch beim Terminkauf die Leistung des Verkäufers nicht unterfallen; hier wirke noch der Gedanke des Barkaufs nach, Kaser, BIDR 64 (1961), 77 f., 83; insoweit zustimmend Jakobs, SZ 119 (2002), 312. Voci, Modi (Fn. 10), 138 ff. will die causa emptionis deshalb ausscheiden, weil der Verkäufer nach klassischem Recht nicht zur Übereignung verpflichtet ist; gegen diese Argumentation treffend Kaser, IURA 4 (1953), 336. 18 Kaser, BIDR 64 (1961), 83 ff. 19 So etwa Talamanca, Istituzioni (Fn. 10), S. 436 f.; Pugliese, Istituzioni di diritto romano, 2. Aufl., 1998, § 131.3 I; Cannata, Istituzioni di diritto romano, Bd. 1, 2001, S. 308 ff.; Evans-Jones/ Maccormack (Fn. 12), S. 99 ff.; Böhr, Das Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung im römischen Privatrecht, 2002, S. 96 ff.; Kupisch, in: Vacca (Hg.), Vendita e trasferimento della proprietà nella prospettiva storico-comparatistica, 1997, S. 184 ff. Im Wesentlichen auch Mayer-Maly, in: Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht (Fn. 14), § 62 III 1. Vgl. aber auch oben Fn. 10 a. E. 20 Dies sei im Hinblick auf den oben (Fn. 10 a. E.) dargestellten Streit mit aller Vorsicht festgestellt. 21 Aus der Literaturflut zum Putativtitelproblem vgl. monographisch Mayer-Maly, Das Putativtitelproblem bei der usucapio, 1962; weiter etwa Jakobs, Festschrift für Flume, Bd. 1, 1978, S. 43 ff. Ferner aus jüngerer Zeit, wenn auch sehr knapp, Böhr, Besitzumwandlung (Fn. 19), S. 108 ff. Zur Frage, ob man den Putativtitel auch für einen Erwerb durch traditio genügen ließ, offen, in der Tendenz aber verneinend Kaser, BIDR 64 (1961), 91 ff. Einen Beleg dafür, dass man jedenfalls in frühnachklassischer Zeit auch dann einen Eigentumserwerb anerkannte, wenn das Grundgeschäft im Übrigen unwirksam war, dürfte die in Fn. 6 wiedergegebene Konstitution Diokletians darstellen. Immerhin lag hier aber ein wirklicher, wenn auch (teilweise, nämlich im Hinblick auf die actio empti) unwirksamer Kauf vor, vgl. zur Relevanz dieser Unterscheidung im Hinblick auf die Ersitzung Jakobs a. a. o., S. 43 ff. 22 Diesen Fall behandelt Ulp. D. 41, 1, 20, 2. Bei Paul. D. 41, 3, 47 ist unklar, ob der procurator oder der dominus selbst die Sache gekauft hat. 23 Vgl. Fn. 17.
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Eindeutig folgt dies aus Quelle (1): Der procurator hat im Auftrage des Geschäftsherrn eine Sache gekauft, und dieser erwirbt sofort und ohne weiteres, insbesondere ohne Wissen vom Erwerb, Eigentum, sobald die Sache dem procurator übergeben wird. Ebenso eindeutig ist Quelle (2). Nach ihr wird der Geschäftsherr mit der actio Publiciana geschützt – was in der Regel den Ersitzungsbesitz voraussetzt24 – obwohl nicht er, sondern der procurator die fragliche Sache gekauft hat; eine bemerkenswert weite Interpretation der die Klageformel, die voraussetzt, dass der Kläger selbst die fragliche Sache gekauft hatte.25 Quelle (3) bringt zunächst eine auch andernorts26 überkommene Regel auf den Punkt, dass nämlich die Ersitzungsfrist erst mit Kenntnis des Geschäftsherrn vom Erwerb zu laufen beginnt, obwohl ihm der procurator schon zuvor den Besitz erworben hatte, ohne dass hierzu die Kenntnis des Geschäftsherrn notwendig gewesen wäre: Der procurator kann den Geschäftsherrn in der Fassung des Besitzwillens vertreten.27 Beachtlicher ist das Fragment in seinem zweiten Teil. Hier findet sich die deutliche und in ihrem unmittelbaren Gehalt wenig überraschende Aussage, dass der vom procurator abgeschlossene Kaufvertrag den Geschäftsherrn nicht ohne weiteres in den Genuss der Eviktionshaftung des Verkäufers kommen lässt, sondern dass er sich die entsprechende Klagemöglichkeit erst vom procurator übertragen lassen muss, der ja allein als Käufer auftrat. Womöglich kann man diesem zweiten Teil jedoch – und das wäre überraschender – dahingehend auslegen, dass der vom procurator abgeschlossene Kaufvertrag unter einem anderen Aspekt durchaus Wirkungen für den Geschäftsherrn zeitigt, dass er nämlich die iusta causa für einen Ersitzungserwerb darstellt. Dafür könnte man die adversative Verknüpfung der beiden Aussagen Papinians zum Anhalt nehmen und den Gedankengang wie folgt rekonstruieren: Obwohl der vom procurator abgeschlossene Kauf insofern Wirkungen für den Geschäftsherrn entfaltet, als er eine iusta causa für dessen Ersitzungserwerb darstellt, wirkt er doch insofern nicht für den Geschäftsherrn, als dieser sich die Klage wegen Eviktion erst vom procurator verschaffen muss. Aber das tertium comparationis könnte für Papinian statt der Wirkungen des Kaufvertrags auch allgemeiner die Wirkungen des Prokuratorhandelns gewesen sein: Obwohl der procurator seinem Geschäftsherrn ohne weiteres den Besitz erwirbt, kann er ihm doch keine unmittelbare Klage aus dem Kaufvertrag verschaffen. Immerhin aber wird es sich bei der possessio, die der procurator dem Geschäftsherrn unmittelbar erwirbt, um die pos24
Ausdrücklich anders aber – für einen Sonderfall – Pomp. D. 6, 2, 15, dazu mit weiterer Literatur Klinck, Erwerb (Fn. 2), S. 123 ff. 25 Vgl. nur Lenel, Das edictum perpetuum, 3. Aufl., 1927, S. 171, auf Grundlage von Gai. 4, 36: Si quem hominem As As bona fide emit et is ei traditus est, anno possedisset, tum si eum hominem q. d. a. eius ex iure Quiritum esse oporteret, q. d. r. a., si ea res … Ao Ao non restituetur, q. e. r. e., t. p. – Möglich ist auch, daß der procurator gegebenenfalls ausdrücklich in die Klageformel aufgenommen wurde, wofür allerdings nichts hinweist. 26 Vgl. o. Fn. 5. 27 Vgl. dazu und zur abweichenden Ansicht der Pandektistik Klinck, Erwerb (Fn. 2), S. 246 mit Fn. 19.
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sessio civilis handeln. Dass eine Ersitzung im Raume steht, liegt deshalb nahe, weil Papinian feststellt, sie erfolge erst, wenn der Geschäftsherr vom Erwerb Kenntnis erlangt habe. Die Bemerkung ist zwar allgemein formuliert; warum aber sollte Papinian hier die Ersitzung erwähnt haben, wenn sie im konkreten Fall nicht in Frage kam? Als fehlendes Element nennt Papinian nur die Kenntnis des Geschäftsherrn; an einer iusta causa fehlt es offenbar nicht. Welche iusta causa aber deckt hier – wenn man der genannten Auslegung folgen will –, jedenfalls in den anderen beiden Quellen einen Erwerb des Geschäftsherrn unmittelbar vom Verkäufer, wenn zwischen beiden keine rechtliche Verbindung besteht? Diese Frage ist nicht fernliegend und folglich auch nicht neu; sie hat dennoch bislang wenig Aufmerksamkeit erfahren.28 Das lässt sich wohl damit erklären, dass sie sich nur stellt, wenn man sowohl die Möglichkeit einer Stellvertretung im Besitzerwerb als auch die grundsätzliche Kausalabhängigkeit der traditio als klassisch akzeptiert. Die wenigen Äußerungen zu diesem Problem sind uneinheitlich. Manche meinen, der „Erwerb“ einer iusta causa durch einen freien Dritten sei nicht möglich gewesen, und gehen bei den Quellen, nach denen der Geschäftsherr auch im Falle eines vom procurator abgeschlossenen Kaufs Eigentum erwirbt, davon aus, der procurator sei beim Vertragsschluss als bloßer Bote des Geschäftsherrn aufgetreten.29 Andere halten das vom procurator nomine domini vorgenommene Geschäft für die den Erwerb des Geschäftsherrn tragende iusta causa.30 während wieder andere diese erst in einer Kombination aus dem Erwerbsgeschäft des procurator mit dem Veräußerer und dem Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen procurator und Geschäftsherrn sehen.31 28
Vgl. aber immerhin Lenel, JherJahrB 36 (1887), 55 ff.; Voci, Modi di acquisto (Fn. 10), S. 68 ff.; ferner knapp Flume, Rechtsakt (Fn. 12), S. 88 f.; bezüglich Ner. D. 41, 1, 13 pr. Claus, Stellvertretung (Fn. 6), S. 138 f. Dagegen geben die Ausführungen von Watson, SDHI 33 (1967), 189 ff., ein Beispiel dafür, wie die Frage einer „Drittwirkung“ des vom procurator abgeschlossenen Erwerbsgeschäfts als iusta causa für einen Erwerb des Geschäftsherrn im übrigen oftmals regelrecht ausgeblendet wird. Kaser, SZ 91 (1974), 194 Fn. 176, begnügt sich hinsichtlich D. 6, 2, 7, 10 mit der Feststellung, der procurator habe „dem Geschäftsherrn den Usukapionenbesitz mit allen seinen Erfordernissen, also auch mit der iusta causa (hier Kauf) verschaffen“ können. Gänzlich unergiebig Plescia, Labeo 30 (1984), 181 f. 29 Claus, Stellvertretung (Fn. 6), S. 138 f., („Werkzeug“), der darin Watson, SDHI 33 (1967), 193, folgt („a mere instrument following the precise instructions of his principal“). Claus, a. a. O., S. 187 f., meint im Hinblick auf die insoweit angeblich interpolierte Stelle Ulp. D. 6, 2, 7, 10, erst das justinianische Recht habe die Regel enthalten, dass jeder beliebige freie Geschäftsführer einem anderen den iustus titulus verschaffen könne; für den procurator aber, den er von anderen Geschäftsführern unterscheiden will, habe man schon im klassischen Recht angenommen, er könne die für den Ersitzungserwerb notwendige iusta causa einem Dritten verschaffen, weil dieses Ergebnis praktisch gewesen sei und man von den Ersitzungsvoraussetzungen ohnehin größeren Wert auf den Besitz als auf den Erwerbstitel gelegt habe. 30 Flume, Rechtsakt (Fn. 12), S. 88 f., der allerdings dahinstehen lässt, ob es sich hier um klassisches oder nachklassisches Gedankengut handelt. 31 Wohl schon Lenel, JherJahrB 36 (1887), 80 ff., zusammenfassend 96 (nur für procurator und tutor); deutlich Kreller, JurBl. 1948, 223.
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Die erstgenannte These findet in den Quellen keine Stütze. Von Botenschaft ist nirgends die Rede, im Gegenteil dürfte auch unter Aufbietung aller Phantasie für Quelle (1) kaum ein Sachverhalt denkbar sein, in dem der procurator zugleich genau instruierter Bote ist und ego vom konkreten Kauf nichts weiß. Noch eindeutiger verhält es sich in Quelle (3): Hier ist der procurator zweifellos selbst als Käufer aufgetreten, denn ihm steht ja die actio empti zu. Die These, der procurator habe im Namen des Geschäftsherrn auftreten müssen, damit der Kaufvertrag iusta causa für dessen Erwerb sei, steht der pandektistischen Strömung nahe, die unter anderem auf diese Quellen das modernrechtliche Offenkundigkeitsprinzip stützte.32 Doch bezieht sich das meo nomine in Quelle (1) seiner Stellung nach auf die Übergabe, eher nicht auf den Kauf. Und in Quelle (2) wird für die Drittwirkung des Kaufs nur auf das Mandat oder darauf abgehoben, dass der Kauf des procurator in den Geschäftskreis des dominus fällt. Für die drittgenannte These, iusta causa sei in den vorliegenden Fällen eine Verbindung von procurator-Geschäft und Auftrag, geben die Quellen ebenfalls keinen unmittelbaren Beleg. Immerhin könnte man diese Annahme aber – spekulativ – an einem Vergleich zu den in Quellen und Sekundärliteratur reichlich behandelten Delegationsfällen prüfen, in denen der Schuldner auf Anweisung des Gläubigers an einen Dritten leistet. Auch in diesen Fällen nämlich vollzieht sich der Eigentumsübergang unmittelbar zwischen Personen, zwischen denen kein den Eigentumsübergang tragendes Rechtsverhältnis besteht. Das war auch den klassischen Juristen bewusst, denn spätestens Celsus hat die analytische Zerlegung in Valuta- und Deckungsverhältnis entwickelt, die dieses Rechtsgebiet noch heute beherrscht.33 Nach ganz herrschender Ansicht stellen beide Grundverhältnisse gemeinsam die iusta causa für den Erwerb des Empfängers dar.34 Sicher und mit Quellen zu belegen ist allerdings nur, dass für einen Erwerb des Empfängers das Valutaverhältnis, also das Rechtsverhältnis zwischen Anweisendem und Empfänger, entsprechend wirksam sein musste: War es unwirksam, erwirbt der Anweisende, was freilich unter den klassischen Juristen schon umstritten ist und 32
Grundlegend v. Jhering, JherJahrB 1 (1857), 273 ff., und JherJahrB 2 (1858), 67 ff.; weiter etwa Dernburg, Pandekten, Bd. 1, 7. Aufl., 1902, § 117 II 1 mit Fn. 8. Gegen v. Jhering vor allem noch Bremer, Zeitschrift für Civilrecht und Prozess n. F. 20 (1863), 46 ff., dem zunächst die nach Zahl und Gewicht ihrer Vertreter herrschende Ansicht folgte, vgl. die Nachweise bei Lenel, JherJahrB 36 (1887), 43 Fn. 1, der für die Stellvertretung im Besitzerwerb (als einer bloßen Willensbetätigung) die Ansicht v. Jherings ebenfalls ablehnt, a.a.O., 12. Anders auch noch Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. I, 9. Aufl., 1906, § 155 (ausschlaggebend sei der Wille des Empfängers, der bei der traditio freilich entscheidend aus der dabei geäußerten Absicht des Tradenten zu folgern sei). Vgl. hierzu Weiteres bei Klinck, Erwerb (Fn. 2), S. 243 f. 33 Vgl. dazu aus jüngerer Zeit etwa Klinck, Erwerb (Fn. 2), S. 297 ff. Dort auch dazu, dass der „Durchgangserwerb in der juristischen Sekunde“ in dem Sinne, dass auch bei störungsfreiem Vollzug das Eigentum stets den Umweg über den Anweisenden nimmt, nicht klassischer Anschauung entsprechen dürfte. 34 Sacconi, Ricerche sulla delegazione in diritto romano, 1971, S. 25; Haeberlin, SZ 74 (1957), 110; Betti, BIDR 41 (1933), 170 ff., 247, wonach die Vereinbarung über die Ausführung des iussum nur die Funktion hat, eine Beziehung zur doppelten iusta causa der Grundgeschäfte herzustellen. Zur abweichenden Ansicht Kasers sogleich.
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jedenfalls ein insoweit wirksames Deckungsverhältnis voraussetzt.35 Was die sachenrechtlichen Folgen einer Leistung bei Unwirksamkeit (allein) des Deckungsverhältnisses angeht, so meinen manche, dass ein Mangel in diesem Verhältnis die Wirksamkeit des Erwerbs des Empfängers nicht berühre, der angewiesene (vermeintliche) Schuldner vielmehr auf eine condictio verwiesen sei, die er allein gegen den Anweisenden richten könne.36 Das ist allerdings zweifelhaft, denn die solutio stellt auch dann eine iusta causa dar, wenn keine Verpflichtung besteht,37 so dass in diesen Fällen von einem Mangel im Deckungsverhältnis nur im schuldrechtlichen, nicht aber im sachenrechtlichen Sinne gesprochen werden kann. Ein Beleg dafür, dass der Empfänger kein Eigentum erwirbt, wenn zwar das Valutaverhältnis wirksam, das Deckungsverhältnis aber sachenrechtlich unwirksam ist, könnte allein38 Paul.-Pomp. D. 18, 1, 15, 2 darstellen:39 Jemandem wird eine Sache geschenkt oder verkauft, die ihm bereits gehört, was er aber nicht weiß; weist er den Veräußerer an, die Sache einem Dritten zu übergeben, so bleibt das Eigentum trotz Übergabe beim Anweisenden. Pomponius folgert dies freilich nicht aus der Unwirksamkeit des Deckungsverhältnisses,40 sondern daraus, der Anweisende habe nicht die Übereignung seiner eigenen, sondern einer Sache des Veräußerers veranlassen wollen; das deutet eher darauf hin, dass für Pomponius das Fehlen einer fehlerfreien Anweisung entscheidend war. Was schließlich deren Bedeutung für den Erwerb des Empfängers angeht, so ist zwar eine weitere Stellungnahme des Pomponius erhalten, wonach der pupillus auch dann frei wird, wenn er ohne auctoritas tutoris seinen Schuldner anweist, an den Gläubiger zu zahlen, und dieser der Anweisung nachkommt.41 Doch weder kann man hieraus mit letzter Sicherheit auf einen Eigentumserwerb des creditor schließen, noch 35
Vgl. etwa Ulp.-Cels. D. 24, 1, 3, 12; Pomp. D. 47, 2, 44 pr.; zur abweichenden Haltung Julians Klinck, Erwerb (Fn. 2), S. 327 ff. 36 Kaser, SZ 77 (1960), 466, im Anschluss an Endemann, Der Begriff der Delegatio im Klassischen Römischen Recht, 1959, S. 36. Vgl. etwa Ulp. D. 46, 2, 13. 37 Vgl. o. bei Fn. 16. – Wie hier schon Sacconi, Delegazione (Fn. 34), S. 25 Fn. 65. 38 Die bei Endemann, Delegatio (Fn. 36) als Belege angegebenen Quellen behandeln oftmals nicht einmal eine auf unmittelbare Leistung gerichtete Delegation, sondern eine solche, in dem der Angewiesene dem Empfänger die Leistung (zunächst) verspricht ( promissio, stipulatio; delegatio promittendi oder ad promittendum). Solche Quellen helfen für die vorliegende Frage naturgemäß nicht weiter. Auch bei Iul. D. 41, 1, 37, 6 und Ulp. 12, 1, 18 geht es nicht um fehlerhafte Valutaverhältnisse. Eine Suche nach Quellen, die Flexionen von delegare oder sowohl von mandare (mand~) oder iubere (iu~) als auch von tradere (trad~) enthalten, in der Datenbank von Menner führte nicht zu einschlägigen Ergebnissen. Dass die Quellen nur Folgen eines unwirksamen Valutaverhältnisses behandeln, meint auch Sacconi, Delegazione (Fn. 34), S. 18. 39 Si rem meam mihi ignoranti vendideris et iussu meo alii tradideris, non putat Pomponius dominium meum transire, quoniam non hoc mihi propositum fuit, sed quasi tuum dominium ad eum transire: et ideo etiam si donaturus mihi rem meam iussu meo alii tradas, idem dicendum erit. Vgl. auch, aber ohne sachenrechtliche Erörterungen, Marcell. D. 17, 1, 49. 40 Der Kauf der eigenen Sache „gilt nichts“, Pomp. D. 18, 1, 16 pr. 41 Pomp. D. 46, 3, 66. Vgl. aber auch Ulp.-Iul. D. 44, 4, 4, 26, wonach zum Schutze des angewiesenen Schuldners bei der pubertas nahen pupilli und bei furiosi in lichten Momenten die Geschäftsfähigkeit zu fingieren sein soll. Dann wäre die Anweisung ohnehin wirksam.
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darauf, dass nach Pomponius die Wirksamkeit der Anweisung für den Erwerb des Empfängers generell irrelevant war: Hier mag das Bestreben, den pupillus zu schützen und wenigstens die für ihn positiven Folgen seines Handelns für wirksam zu halten, eine Ausnahmeentscheidung motiviert haben.42 Schon aufgrund dieser Unsicherheiten taugt das Anweisungsrecht nicht für Rückschlüsse auf die Frage, was man als iusta causa beim Erwerb durch Dritte ansah. Ein Vergleich hinkte ohnehin: Während es in den Anweisungsverhältnissen drei Rechtsverhältnisse sind, die womöglich in gewisser Weise wirksam sein mussten, damit der Empfänger Eigentümer der geleisteten Sache wird (Deckungs- und Valutaverhältnis, Anweisung), kommen in den hier interessierenden Fällen überhaupt nur zwei in Frage (Erwerbsgeschäft und Auftrag/Anweisung). Es erscheint daher allemal vorzugswürdig, Erklärungsansätze in den unmittelbar das vorliegende Problem behandelnden Quellen zu suchen. Der Frage, wie die klassischen Juristen sich die Wirkung des Kaufs eines procurator als iusta causa für den Erwerb des Geschäftsherrn gedacht haben können, ist logisch die Frage vorgeschaltet, welche Anforderungen sie an eine derartige Drittwirkung stellten. In Quellen (1) und (3) wird zunächst das Erfordernis eines Mandats hervorgehoben. Zwar scheint Quelle (2) insoweit weniger streng zu sein und es genügen zu lassen, wenn der procurator nur im Geschäftskreis des dominus tätig wird; dass das Mandat hier nicht erwähnt wird, ist aber wohl der Zusammenstellung des procurator mit dem curator und dem tutor geschuldet, für die das Erfordernis des Mandats nicht passt. Es ging Ulpian, der hier die Formel der actio Publiciana erläutert,43 offenbar nur um eine knappe Aufzählung derjenigen Personen, deren Kauf für einen Dritten eine emptio im Sinne der Klagformel darstellen kann – ohne dass alle weiteren Voraussetzungen hierfür aufzuzählen gewesen wären. Quelle (2) steht der Annahme also nicht entgegen, dass der Kauf des procurator seine Drittwirkung als iusta causa für einen Erwerb des Geschäftsherrn nur bei wirksamem Auftrag entfalten konnte. Fraglich ist nun, ob der Auftrag für das possessorische oder das kausale Element der traditio oder für beide eine Rolle spielte. Sicher ist, dass der dominus schon die possessio durch Übergabe an den procurator nach ab der Hochklassik herrschender Ansicht nicht erwarb, wenn kein Auftrag vorlag und solange nicht genehmigt war.44 Das bedeutet freilich nicht, dass dem Auftrag nicht auch für die Drittbeziehung der causa Bedeutung zukam – in der Tat dürften die klassischen Juristen hier, wo es vor allem um die zu sofortigem Eigentumserwerb oder Ersitzung dienende possessio civilis ging, nicht streng zwischen beiden Elementen getrennt haben. 42
Zahlt jemand ohne Anweisung des Schuldners an dessen Gläubiger, wird der Schuldner dadurch zwar frei, vgl. etwa Iav.-Lab. D. 3, 5, 42 und auch C. 2, 18, 12. Das liegt freilich daran, dass in diesem besonderen Falle berechtigte Interessen der Beteiligten nicht entgegenstehen, vgl. Gai. D. 3, 5, 38. Umgekehrt wird der ohne wirksame Anweisung an einen Dritten zahlende Schuldner nicht frei, vgl. Pomp. D. 46, 3, 19, Iul. D. 46, 3, 34, 4 und noch unten 4. 43 Vgl. Lenel, Palingenesia Iuris Civilis, Bd. II, 1889, Sp. 512. 44 Vgl. etwa Ulp. D. 41, 2, 42, 1; anders womöglich Pomp. D. 41, 1, 53, dazu Klinck, Erwerb (Fn. 2), S. 214 ff.
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Über das Mandat und ein vom procurator abgeschlossenes Erwerbsgeschäft hinaus scheint man keine weiteren Voraussetzungen für den Erwerb des Geschäftsherrn aufgestellt zu haben. Nicht anderes ergibt sich – entgegen dem ersten Anschein – auch aus der folgenden Quelle: (4) D. 41, 3, 13, 2 Paul. 5 ad Plaut. Si mandavero tibi, ut fundum emas, ex ea causa traditum tibi diutina possessione capis, quamvis possis videri non pro tuo possidere, cum nihil intersit, quod mandati iudicio tenearis.
Durch den beauftragten tu erwirbt dessen Auftraggeber ego nicht den Ersitzungsbesitz am gekauften Grundstück. Das liegt freilich nicht daran, dass das Erwerbsgeschäfts des tu für ego keine iusta causa darstellt. Vielmehr erwirbt ego durch tu, der ja selbst Besitzer sein soll, schon keinen Besitz am Grundstück, so dass es auf die Frage der iusta causa gar nicht mehr ankommt. Und der Grund dafür wiederum liegt wohl darin, dass tu das Grundstück behalten, für sich selbst ersitzen will. Für die Frage, was man als iusta causa für den Erwerb des Geschäftsherrn ansah, wenn nicht dieser, sondern nur der procurator am Erwerbsgeschäft beteiligt war, ist die folgende Quelle aufschlussreich: (5) D. 41, 4, 11 Afr. 7 quaest. Quod vulgo traditum est eum, qui existimat se quid emisse nec emerit, non posse pro emptore usucapere, hactenus verum esse ait, si nullam iustam causam eius erroris emptor habeat: nam si forte servus vel procurator, cui emendam rem mandasset, persuaserit ei se emisse atque ita tradiderit, magis esse, ut usucapio sequatur.
Jemand beauftragt einen procurator mit dem Erwerb einer Sache, die dieser auch besorgt, wobei er den dominus – offenbar der Wahrheit zuwider – davon überzeugt, er habe sie gekauft.45 Afrikan müsste nun freilich nicht von der recht vorsichtig formulierten Ansicht Julians ( ait) in einer Streitfrage berichten, hätte man in den vorliegenden Fällen ohnehin den Auftrag als iusta causa genügen lassen, denn ein solcher wirksamer Auftrag lag ja vor.46 Fragliche iusta causa ist hier vielmehr die causa emptionis, der Auftraggeber soll pro emptore ersitzen. Bemerkenswerterweise war es für Julian insoweit einerlei, ob ein Sklave oder ein procurator die Sache
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Gestohlen haben kann der procurator die Sache freilich auch nicht, denn dann wäre eine Ersitzung nach der lex Atinia ausgeschlossen, vgl. Gai. 2, 45; Paul. D. 41, 3, 4, 6; I. 2, 6, 2; auch Gellius noct. att. 17, 7. Zur Frage, wie Sklave oder procurator hier an die angeblich gekaufte, angesichts der fraglichen Ersitzung wohl einem Dritten gehörenden Sache gekommen sein könnte, ohne dass die Übergabe an den dominus ein dessen Ersitzung ausschließendes furtum bedeutet, Jakobs, Festschrift für Flume, Bd. 1, 1978, S. 69, gegen Wubbe, TR 32 (1964), 567 Fn. 25. – Für interpoliert halten die Stelle, soweit sie sich auf den procurator bezieht, Alibrandi, Opere I, 1896, S. 313, und diesem folgend Beseler, SZ 45 (1925), 228. Hausmaninger, Die bona fides des Ersitzungsbesitzers, 1964, S. 57, hält vel procurator, cui emendam rem mandasset für eine später in den Text geratene Glosse. Für noch weitergehende Unechtheit dieser Stelle, die seinen Thesen (vgl. Fn. 10 a. E.) entgegensteht, Jakobs, Festschrift für Flume, Bd. 1, 1978, S. 66 ff. Für Echtheit dagegen schon Mayer-Maly, Putativtitelproblem (Fn. 21), S. 42 f. (kühne Einzelmeinung Julians). 46 Und der Auftrageber konnte mit der Mandatsklage auf Herausgabe der in seinem Auftrag gekauften Sache klagen, wie neben Quelle (4) auch Ulp. D. 17, 1, 8, 10 belegt.
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(angeblich) gekauft hatte.47 Nicht anders als im Falle des Sklaven also ist der Kauf des beauftragten procurator für ihn die iusta causa für den Erwerb des Geschäftsherrn.48
3. Erwerb donationis causa Erheblich unsicherer ist die Quellenlage im Hinblick auf die Frage, ob der Geschäftsherr auch durch Schenkung Eigentum erwerben kann, wenn diese über einen procurator erfolgt, also ohne, dass sich Schenker und Geschäftsherr selbst über die causa donationis verständigt hätten: (6) D. 39, 5, 2, 6 Iul. 60 dig. Sed si quis donaturus mihi pecuniam dederit alicui, ut ad me perferret, et ante mortuus erit quam ad me perferat, non fieri pecuniam dominii mei constat. (7) D. 41, 1, 37, 6 Iul. 44 dig. Si, cum mihi donare velles, iusserim te servo communi meo et Titii rem tradere isque hac mente acciperet, ut rem Titii faceret, nihil agetur: nam et si procuratori meo rem tradideris, ut meam faceres, is hac mente acceperit, ut suam faceret, nihil agetur. quod si servus communis hac mente acceperit, ut duorum dominorum faceret, in parte alterius domini nihil agetur. (8) D. 39, 5, 13 Ulp. 7 disp. Qui mihi donatum volebat, servo communi meo et Titii rem tradidit: servus vel sic accepit quasi socio adquisiturus vel sic quasi mihi et socio: quaerebatur quid ageret. et placet, quamvis servus hac mente acceperit, ut socio meo vel mihi et socio adquirat, mihi tamen adquiri: nam et si procuratori meo hoc animo rem tradiderit, ut mihi adquirat, ille quasi sibi adquisiturus acceperit, nihil agit in sua persona, sed mihi adquirit.
In Quelle (6) findet kein Eigentumserwerb des Beschenkten statt; auch in Quelle (7) wird ein Eigentumserwerb durch den procurator abgelehnt, anders als in Quelle (8). Einigermaßen sicher ist freilich, dass Julian in Quelle (7) einen Erwerb durch den procurator bejaht hätte, wenn dieser entsprechenden Willens gewesen wäre. Denn wäre der Erwerb durch den procurator a priori ausgeschlossen gewesen, wäre auf dessen Willen, für sich selbst oder den Beschenkten zu erwerben, nichts angekommen. Allerdings ist eingangs der Quelle (7) die Rede davon, dass der zu Beschenkende dem Schenker Anweisungen für die Übergabe gibt; an der Setzung der causa war der Beschenkte also selbst beteiligt. Es ist zwar nicht sicher, aber doch immerhin möglich, dass man dieses Sachverhaltselement des Ausgangsfalles auch für die procurator-Abwandlung zu unterstellen hat; daher ist die Quelle jedenfalls kein eindeutiger Beleg dafür, man habe auch die nur zwischen Schenker und procurator 47
Ein Interpolationsindiz ist dies freilich nicht, denn auch für die Kompilatoren unterschieden sich die Rechtsfolgen eines durch procurator abgeschlossenen Kaufs von denjenigen eines Sklaven im übrigen grundlegend; so auch Flume, Rechtsakt (Fn. 12), S. 86. 48 Eine entsprechende Drittwirkung des Erwerbsgeschäfts für den Geschäftsherrn ist im Hinblick auf den Interdiktenschutz festzustellen: D. 43, 26, 6, 1 Ulp. 71 ad ed. Si procurator meus me mandante vel ratum habente precario rogaverit, ego precario habere proprio dicor. Die Echtheit dieser Stelle gegen Bonfante verteidigend Meylan, Festschrift für Lewald, 1978, 109 f.
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verabredete Schenkung als iusta causa für einen Erwerb des zu Beschenkenden genügen lassen. Diese Zweifel schlagen auch auf das Ulpian-Fragment durch, denn angesichts der Parallelität der Ausführungen wird man annehmen müssen, Ulpian habe der Text Julians bei Formulierung seiner abweichenden Ansicht vorgelegen.49 Es ist daher wahrscheinlich, jedenfalls aber möglich, dass Ulpian denselben Fall entscheiden wollte wie Julian. Auf die Frage, ob man die mit dem procurator50 vereinbarte Schenkung als iusta causa für den Erwerb des Geschäftsherrn genügen ließ, gibt auch Quelle (6) keine eindeutige Antwort; denn dafür, dass hier ein Erwerb abgelehnt wird, kommen verschiedene Gründe in Betracht. Mit Sicherheit war der Dritte nicht beauftragt worden, die Schenkung entgegenzunehmen, und vielleicht verlangte man dies wie beim Kauf, damit die Schenkung eine iusta causa für den an ihr selbst unbeteiligten Erwerber darstellen konnte. Das wäre freilich eine ganz unpraktische Anforderung, denn kaum jemand dürfte daran denken, vorsichtshalber den Auftrag zu erteilen, etwaige, noch nicht vereinbarte Schenkungen entgegenzunehmen. Zudem müsste der zu Beschenkende dann – wie beim Kauf – den Erwerb durch Genehmigung (rückwirkend? 51) wirksam werden lassen können; und dann wäre es erstaunlich, dass Julian eine solche Genehmigung hier gar nicht diskutiert. Wahrscheinlicher ist also, dass der zu Beschenkende durch Übergabe an den Dritten aus einem anderen Grund nicht erwerben konnte. Es liegt nahe, dass der Dritte hier nicht auf Seiten des Erwerbers, sondern als Bote des Schenkenden auftrat. Darauf deutet das Wort perferre hin, und auch die Entscheidung und ihre Bestimmtheit werden so verständlich: Der Erbe soll (anders als dies heute § 130 II BGB bestimmt) an den testamentarisch nicht festgehaltenen und zu Lebzeiten nicht mehr zur Ausführung gekommenen Willen des Erblassers nicht gebunden sein. Nach alledem muss offenbleiben, ob auch die donationis causa für den Erwerber wirksam mit dem procurator vereinbart werden konnte.
4. Erwerb solutionis causa Vergleichsweise häufig werden in den Quellen die Folgen der Zahlung solutionis causa an den (wirklichen oder vermeintlichen) procurator des (wirklichen oder vermeintlichen) Gläubigers behandelt.52 Hätte es – wie Flume annimmt – „bei der Geldzahlung …, was die iusta causa zum Eigentumserwerb anbetrifft, der Einigung 49
Vgl. dazu und zur schier unübersehbaren Literatur über diese Stellen Klinck, Erwerb (Fn. 2), S. 114 ff. 50 Es ist unschädlich, dass der Dritte hier nicht procurator genannt wird, vgl. Fn. 3. 51 Zur (offenen) Frage der Rückwirkung der ratihabitio des Besitzerwerbs eines negotiorum gestor vgl. Klinck, Erwerb (Fn. 2), S. 289 ff. 52 Vgl. hierzu aus jüngerer Zeit, allerdings von einem anderen Verständnis des Wortes procurator und ferner von nicht näher erörterten Grundannahmen über dessen Rechtsstellung ausgehend, Fargnioli, Alius solvit alius repetit, 2001, S. 101 ff.
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mit dem Gläubiger“ bedurft,53 dürfte ein solcher Eigentumserwerb und mit ihm die Schuldtilgung bei spontaner Zahlung des Schuldners an einen procurator nicht eingetreten sein. Und so meint Flume: Der procurator erwirbt dem Geschäftsherrn nur den Besitz, der Eigentumserwerb bedürfe dessen Genehmigung. Das legt tatsächlich die folgende Quelle nahe: (9) D. 3, 5, 23 Paul. 24 ad ed. Si ego hac mente pecuniam procuratori dem, ut ea ipsa creditoris fieret, proprietas quidem per procuratorem non adquiritur, potest tamen creditor etiam invito me ratum habendo pecuniam suam facere, quia procurator in accipiendo creditoris dumtaxat negotium gessit: et ideo creditoris ratihabitione liberor.
Flume erklärt den fehlenden Eigentumserwerb durch den procurator damit, dass bei der solutio eine Anknüpfung der iusta causa nicht möglich gewesen sei, wie man sie hinsichtlich des durch einen procurator abgeschlossenen Kaufvertrags zugelassen habe. Das ist freilich nicht zwingend. Es wäre doch immerhin denkbar gewesen, es genügen zu lassen, dass Schuldner und procurator sich über die causa solutionis einig waren, und diese Einigung mit Wirkung für den Gläubiger/Geschäftsherrn auszustatten. Und man wird doch annehmen müssen, dass Schuldner mit sofortiger befreiender Wirkung an einen procurator zahlen konnten, der vom Gläubiger mit der Betreuung des Geschäftskreises beauftragt worden war, in den die Zahlung fiel – alles andere wäre an den Bedürfnissen des römischen Wirtschaftsverkehrs vorbeigegangen. In Wahrheit dürften sofortiger Eigentumsübergang und Schuldtilgung hier also nicht daran gescheitert sein, dass man in der vom procurator einverständlich entgegengenommenen solutio keine iusta causa für den Erwerb des Gläubigers sah. Schuldtilgung und Eigentumserwerb wurden im vorliegenden Fall vielmehr abgelehnt, weil ein Element fehlte, dass auch in den Fällen des Kaufs durch einen procurator Voraussetzung für eine Drittwirkung der von diesem gesetzten causa war: das Mandat. Dass es tatsächlich fehlte, folgt zwingend daraus, dass der dominus die Zahlung noch genehmigen konnte. Und dass man die Schuldner in ihrem Vertrauen auf die Wirkung ihrer Zahlung an einen procurator durchaus schützen wollte, belegt: (10) D. 46, 3, 34, 3 Iul. 54 dig. Si Titium omnibus negotiis meis praeposuero, deinde vetuero eum ignorantibus debitoribus administrare negotia mea ei solvendo liberabuntur: nam is, qui omnibus negotiis suis aliquem proponit, intellegitur etiam debitoribus mandare, ut procuratori solvant.
Hieraus wird man auch zu schließen haben, dass die Zahlung an einen solchen procurator omnibus negotiis propositus54 ohne Weiteres, insbesondere ohne 53
Flume, Rechtsakt (Fn. 12), S. 90. Hier wird es sich übrigens um einen Freigelassenen oder einen Freund gehandelt haben, den man vor Antritt einer Reise damit betraute, die während der Abwesenheit anfallenden Geschäfte zu erledigen. Bis zur Zeit Julians/Afrikans wurde grundsätzlich nur dieser allzuständige „Pfleger“ der Angelegenheiten eines Abwesenden procurator genannt, vgl. Fn. 3. So ist auch die Ansicht des Celsus verständlich, dass der Schuldner bei Zahlung an einen procurator – eben in diesem Sinne, 54
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Rücksicht auf eine Genehmigung des Gläubigers, schuldtilgende Wirkung hatte.55 Den weiteren Schluss darauf, dass der Gläubiger in diesem Fall auch unmittelbar das Eigentum an den gezahlten Münzen erlangte, mag man für unsicher halten.56 Sicher ist aber folgendes: Nach Quelle (9) kann der Geschäftsherr mittels Genehmigung das Eigentum an den gezahlten Münzen erlangen, obwohl er an der Zwecksetzung der Zahlung und damit an der Bildung der iusta causa, wie die herrschende Meinung sie versteht, nicht beteiligt war. Und weil dies auch dann möglich ist, wenn der Schuldner es im Nachhinein, zur Zeit der Genehmigung, gar nicht mehr will, kann keine Rede davon sein, die Einigung über die solutionis causa werde mit der Genehmigung nachgeholt. Die zwischen Zahlendem und procurator vereinbarte solutio also ist jedenfalls in diesem Fall der nachträglichen Genehmigung für den Erwerb des Gläubigers eine iusta causa. Dies gilt sogar dann, wenn die Schuld in Wahrheit nicht bestand. Das zeigt sich deutlich an der schon für Pedius und auch für die spätere Zeit vielfach belegten Feststellung, dass nach Genehmigung nicht mehr der procurator, sondern der Geschäftsherr mit der condictio haftet57 – was voraussetzt, dass er Eigentümer der Münzen wurde.58 Und da in den fraglichen Quellen von einer weiteren traditio der Münzen vom procurator an den Geschäftsherrn keine Rede ist, muss der Erwerb auch hier aufgrund der Zahlung solvendi causa an den procurator eingetreten sein. Wenn also die nachträgliche Genehmigung der Zahlung dem Gläubiger ohne weiteres Eigentum an den Münzen verschaffte, liegt es doch recht nahe, dass der Eigentumserwerb sofort eintrat, wenn der Schuldner aufgrund vorheriger Anweisung an den procurator zahlte.59 Die nachträgliche Genehmigung dürfte schwerlich weitergehende sachenrechtliche Folgen gezeitigt haben als eine vorhergehende Weisung. Auch hier also bildet mit der solutio ein Geschäft die iusta causa für den Erwerb des Geschäftsherrn, an dem dieser nicht unmittelbar beteiligt ist.
dessen Einsetzung nach Julian also immer die Weisung beinhaltete, Schulden an ihn zu zahlen – immer frei wird, ohne dass es auf eine Genehmigung ankäme (Ulp.-Cels. D. 12, 6, 6, 2; dort auch die Ergänzung: Für Nichtschulden gilt dies nicht, denn als Weisung zur Zahlung einer Nichtschuld kann die Einsetzung eines procurator nicht verstanden werden). 55 Entsprechendes Ergebnis bei Fargnoli, Alius solvit (Fn. 52), S. 144. 56 So Flume, Rechtsakt (Fn. 12), S. 90, gegen Claus, Stellvertretung (Fn. 6), S. 202. 57 Ulp.-Ped. D. 3, 5, 5, 11. Vgl. etwa noch gleichsinnig Pomp. D. 46, 8, 16 pr.; Iul. D. 46, 8, 22 pr.1; Ulp.-Iul. D. 46, 3, 58 pr.; Pap. D. 47, 2, 81, 5; Paul. D. 12, 4, 14. 58 Kaser, RP I, § 139.3 II 1; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 18. Aufl., 2005, § 48 Rn. 6. 59 Ablehnend aber – wie schon Serrao, Il procurator (Fn. 7), S. 106 – Fargnoli, Alius solvit (Fn. 52), S. 145 f.: Auch durch Genehmigung werde der dominus niemals Eigentümer des an den procurator Geleisteten. D. 3, 5, 23, wo das Gegenteil belegt ist, erörtert sie nicht. Gegen einen unmittelbaren Eigentumserwerb des Gläubigers an den dem mit entsprechendem Mandat ausgestatteten procurator gezahlten Münzen scheint immerhin Afr.-Iul. D. 17, 1, 34 pr. zu sprechen; zu dieser schwierigen Stelle Klinck, Erwerb (Fn. 2), S. 238 ff.
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5. Funktion von mandatum und ratihabitio Nach alledem lässt sich festhalten: Sowohl beim Kauf als auch bei der Leistung solvendi causa, vielleicht auch bei der Schenkung konnte der procurator eine iusta causa für den Erwerb des Geschäftsherrn setzen, wenn das entsprechende Geschäft von dessen Auftrag gedeckt war oder später genehmigt wurde. Nicht nur für die Stellvertretung im Besitzerwerb, sondern auch für die Zurechnung der vom procurator begründeten iusta causa ist also das Mandat des Geschäftsherrn oder eine diesem gleichgestellte Genehmigung die zentrale Voraussetzung. Hervorzuheben ist hier noch der in Quelle (10) belegte Unterschied zwischen den Kauf- und den Zahlungsfällen: Bei jenen musste sich das Mandat an den procurator richten; bei diesen genügte die Weisung an die Schuldner.60 Selbst ein an den procurator gerichtetes ausdrückliches Annahmeverbot hindert die befreiende Wirkung einer dennoch erfolgten Zahlung nicht, sofern den angewiesenen Schuldnern das Annahmeverbot nicht bekannt war.61 Warum dies so ist, wird klarer, wenn man nach der Funktion des Mandats in den vorliegenden Fällen fragt.62 Auch diese nämlich wird in den Erwerbs- und Zahlungsfällen ganz unterschiedlich gewesen sein, da sich auch die Interessenlage grundlegend unterscheidet. Im Fall des Kaufs durch einen procurator liegt es in dessen Interesse, dass die Wirksamkeit der Stellvertretung vom Grundverhältnis abhängt. Denn auf diese Weise ist sichergestellt, dass er das Eigentum an der gekauften Sache nur verliert (bei ratihabitio) bzw. es erst gar nicht erwirbt (bei vorherigem Mandat), wenn auch sein Regress gegen den dominus wegen des in aller Regel doch wohl von ihm bar zu zahlenden, also zu60
Das hebt auch Flume, Rechtsakt (Fn. 12), S. 90 f., hervor, und tritt damit der Deutung als „offene Vollmacht“ entgegen, die Claus, Stellvertretung (Fn. 6), S. 202, von Rabel, Festschrift für Zitelmann, 1913, S. 9, übernommen hatte. Ob man mit Kaser, RP I, § 149 II 2, davon ausgehen kann, auch die Ermächtigung an den Empfänger, namentlich an einen procurator, führe zur Befreiung des Schuldners, erscheint zweifelhaft. Zum Beleg gibt Kaser an: Ulp. D. 13, 7, 11, 5; D. 46, 3, 12 pr. 2; Marci. D. 46, 3, 49. Hier ist zwar überall von einer Weisung des Gläubigers die Rede, an den procurator zu zahlen, jedoch allenfalls in Ulp. D. 46, 3, 12 pr. davon, dass diese an den procurator ergangen war, im übrigen mehr oder minder eindeutig davon, dass der Schuldner entsprechend angewiesen worden war. Eine Suche in der von Menner erstellten Datenbank nach Fragmenten, die Flexionen der Worte solvere (sol~) und iubere (iu~) oder mandare (mand~) enthalten, ergab noch eine Vielzahl weiterer einschlägiger Stellen, in denen die Zahlungsanweisung an den Schuldner erging (eindeutig etwa noch Paul. D. 46, 3, 108; 46, 3, 64; D. 12, 6, 6 pr.; Ulp. D. 24, 1, 3, 12; Pap. D. 12, 6, 57, 1; Afr.-Iul. D. 46, 3, 39 pr.; D. 46, 3, 38, 1; Iul. D. 46, 3, 32; Pomp. D. 46, 2, 21). Weniger einschlägige Stellen ergab die Suche nach Flexionen von exigere. So bezieht sich Paul D. 3, 3, 58 nicht unbedingt auf Geldschulden. In Ulp. 13, 7, 11, 5 ist von einer Zahlung an procuratori eius (scil.: creditoris), vel servo pecuniis exigendis praeposito die Rede; sollte sich das pecuniis exigendi praepositus auch auf den procurator beziehen, so könnte es der Zusammenstellung mit dem servus geschuldet sein. Hier wie beim mandatum ad exigendum in Paul. D. 17, 1, 17 ist nicht klar, ob dieses (oder doch eine spiegelbildliche Weisung an die Schuldner?) zur Befreiung des zahlenden Schuldners führt. Ein an den Dritten gerichtetes mandatum ad exigendum, aufgrund dessen der zahlende Schuldner frei wird, nennt aber immerhin Ulp. D. 17, 1, 12, 16; für den Tutor Paul. D. 26, 7, 46, 7. 61 Entsprechend auch Ulp. D. 46, 3, 18; D. 46, 3, 12, 2. 62 Vgl. dazu schon Klinck, Erwerb (Fn. 2), S. 218 f., 244.
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nächst verauslagten Kaufpreises rechtlich sichergestellt ist.63 Im Fall der Zahlung von Schulden an einen procurator dagegen kann es diesem einerlei sein, ob der Schuldner frei wird oder nicht. Hier liegt es allein im Interesse des Gläubigers, dass die Zahlung nur bei vorheriger Weisung oder nachträglicher Genehmigung befreiend wirkt; auf diese Weise kann er sicherstellen, dass der Schuldner nur durch Zahlung an eine Person frei wird, die das Geld auch an den Gläubiger weiterleitet. Da hier die Frage der Wirksamkeit der Zahlung nur Interessen von Gläubiger und Schuldner und nicht solche des procurator betrifft, ist leicht zu erklären, warum Weisung oder Genehmigung grundsätzlich nicht dem procurator, sondern dem Schuldner gegenüber zu erteilen sind.
6. Schluss Diese Ausführungen mögen ein weiterer Beleg dafür sein, dass dem Dogma von der angeblichen Stellvertretungsfeindlichkeit des römischen Rechts mit einiger Skepsis zu begegnen ist. Denn von einer Stellvertretung in dem Sinne, dass der Wille einer Person für die Rechtsposition einer anderen maßgeblich ist, kann hier unabhängig davon die Rede sein, auf wessen Seite man sich in der berühmten Antinomie zwischen Julian (D. 41, 1, 36) und Ulpian (D. 12, 1, 18) schlagen will, weil beide für die Übereignung eine Einigung der Parteien verlangen: Julian nur über das corpus, Ulpian auch darüber, welche iusta causa der Übereignung zugrunde liegen soll.64 Diese Einigung konnte offenbar, das belegen die hier wiedergegebenen Quellen, auch mit Wirkung für einen an ihr nicht beteiligten Dritten getroffen werden. So weit wie der heutige § 166 I BGB ging das römische Recht dabei freilich nicht: Für die Frage der zur Ersitzung notwendigen bona fides etwa wird es nicht auf die Person des Vertreters, sondern allein diejenige des Erwerbers angekommen sein. Das ist zwar nicht unmittelbar mit Quellen belegbar, folgt aber daraus, dass die Ersitzungsfrist erst zu laufen begann, wenn der dominus selbst vom Besitzerwerb Kenntnis erlangt hatte.65 Die römischen Juristen hielten zwar dem Worte nach bis auf die Zeiten Justinians und darüber hinaus mit Bestimmtheit an überkommenen Rechtsregeln wie dem per liberam personam nihil nobis adquiri potest66 fest; sie umgingen, bogen oder brachen solche Regeln aber dort, wo dies den praktischen Bedürfnissen des 63
Vgl. Ulp. D. 17, 1, 12, 9. Die Literatur zu dieser – wirklichen oder vermeintlichen – Antinomie ist unübersehbar; vgl. aus jüngster Zeit Harke, Si error aliquis intervenit – Irrtum im klassischen römischen Vertragsrecht, 2005, S. 104 ff., und Meissel, in: Falk/Luminati/Schmoeckel (Hg.), Fälle aus der Rechtsgeschichte, 2008, Fall 5. Zur Frage, ob für die Wirksamkeit einer Übereignung durch traditio eine „Leistungszweckbestimmung“ notwendig war, vgl. Schanbacher, TR 60 (1992), 1 ff., allerdings ohne Bezug auf diese Stellen. 65 Vgl. o. bei Fn. 5. 66 I. 2, 9, 5. 64
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Wirtschaftslebens ihrer Zeit entsprach. Dabei gingen sie ganz undogmatisch vor und entwickelten Tatbestand und Rechtsfolgen neuer Institute aufgrund einer noch heute gut nachvollziehbaren und oftmals noch treffenden Bewertung der beteiligten Interessen. In den Wandlungen, die die Funktion des Mandats vom römischen Recht bis zur Entwicklung der modernen, höchst begrifflich-dogmatischen Stellvertretungslehre im 19. Jahrhundert durchmachte,67 spiegelt sich wider, wie sich auch Ziele und Mittel juristischer Argumentation im Laufe der Jahrhunderte gewandelt haben.
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Vgl. dazu Klinck, AcP 205 (2005), 501 ff.
Erlass und Regressgefährdung bei Bürgschaft und Gesamtschuld Sonja Meier
1. Einführung Nach § 423 BGB wirkt ein zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner vereinbarter Erlass auch für die übrigen Schuldner, wenn die Vertragschließenden das ganze Schuldverhältnis aufheben wollten. Dies bedeutet zweierlei. Zum einen ist ein mit nur einem Schuldner vereinbarter Erlass, der zugleich alle anderen Schuldner befreit, trotz der von Rechtsprechung und herrschender Lehre angenommenen Unzulässigkeit von Verfügungen zugunsten Dritter möglich. Zum anderen wird ein solcher Gesamterlass aber nicht vermutet. Im Zweifel wird nur der am Erlass beteiligte Gesamtschuldner von seiner Verbindlichkeit befreit. Dies wirft die Frage auf, ob hierdurch der Regress der übrigen, nicht befreiten, Gesamtschuldner gegen den Entlassenen gestört wird und wie das Recht darauf reagieren soll. Für den Musterfall, dass die Gesamtschuldner S1 und S2 intern gleichrangig dem Gläubiger G 100 schulden und G dann S1 aus seiner Haftung entlässt, nennt die heutige Literatur drei Möglichkeiten: (1) S2 schuldet weiterhin 100, hat aber keinen Regress mehr gegen S1. Diese Rechtsfolge soll wegen des Verbots von Verträgen zulasten Dritter ausgeschlossen sein. (2) S2 schuldet weiterhin 100 und kann weiterhin Regress gegen S1 in Höhe von 50 nehmen. Der Erlass hat Einzelwirkung und befreit S1 nur von seiner Außenhaftung, nicht von seiner Ausgleichspflicht. (3) Der Erlass hat beschränkte Gesamtwirkung, befreit also den anderen Gesamtschuldner in Höhe des Innenanteils des Entlassenen: S2 schuldet gegenüber G nur noch 50; ein Regressproblem stellt sich nicht. Nach Rechtsprechung und herrschender
Näheres bei Sonja Meier, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB (HKK), Bd. II (2007), §§ 420-432/I, Rz. 55 ff. Zur beschränkten Gesamtwirkung etwa BGH, NJW 1986, 1097; OLG Hamm, NJW-RR 1988, 1174; OLG Oldenburg, VersR 1992, 956; OLG Köln, NJW-RR 1994, 1307; OLG Karlsruhe, NJWS. Meier () Institut für Rechtsgeschichte und Papyrusforschung, Universität Marburg, Universitätsstraße 7, 35032 Marburg, Deutschland E-Mail: [email protected] J. D. Harke (Hrsg.), Drittbeteiligung am Schuldverhältnis, DOI 10.1007/978-3-642-04450-2_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Lehre liegt je nach Auslegung der Erlassvereinbarung Möglichkeit (2) oder (3) vor; der Erlass hat also entweder Einzelwirkung oder beschränkte Gesamtwirkung. Doch der Erlass mit Einzelwirkung im Sinne der Kategorie (2) hat Probleme aufgeworfen. Rechtsprechung und herrschende Lehre gehen auf dem Boden des Mehrheitsmodells, wonach jeder Gesamtschuldner Subjekt einer eigenen Verbindlichkeit ist, von einem schuldaufhebenden Erlass i. S. d. § 397 BGB aus, der die Verbindlichkeit des entlassenen Gesamtschuldners gegenüber dem Gläubiger vernichtet. Zwar soll die Ausgleichspflicht des Entlassenen nach § 426 I BGB als gesetzliches Schuldverhältnis schon mit dem Gesamtschuldverhältnis selbst entstehen und von der Aufhebung der Außenverbindlichkeit nicht berührt werden. Betroffen ist aber der Zessionsregress des anderen Gesamtschuldners nach § 426 II BGB: Wenn der Erlass die Forderung gegen den Entlassenen vernichtet, kann sie später nicht mehr nach §§ 412, 401 BGB auf den leistenden Gesamtschuldner übergehen. War die Forderung gegen den entlassenen Gesamtschuldner gesichert, hat es der Gläubiger damit in der Hand, den Regress des verbleibenden Gesamtschuldners durch den Einzelerlass zu gefährden und im Extremfall, bei Insolvenz des Entlassenen, sogar praktisch zu vereiteln. Ungeachtet dessen soll die Haftung des verbleibenden Gesamtschuldners in voller Höhe bestehen bleiben. Aus demselben Grund ist der Gläubiger nach Rechtsprechung und herrschender Lehre auch frei, Sicherheiten,
RR 1998, 601; BGH, NJW 2000, 1942, 1943; BGH NJW-RR 2005, 34. Zur Einzelwirkung Nachweise in Fn. 4. Walter Selb, Mehrheiten von Gläubigern und Schuldnern, 1984, S. 70 ff.; Dietrich Reinicke, Klaus Tiedtke, Gesamtschuld, 2. Aufl., 1988, S. 43, 66, 83; Manfred Wolf in: Soergel, BGB, 12. Aufl., 1990, § 423 Rz. 1; Ulrich Noack in: Staudinger, BGB (2005), § 423 Rz. 18 ff.; Peter Bydlinski in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl., 2007, § 423 Rz. 3 f.; Grüneberg in: Palandt, BGB, 68. Aufl., 2009, § 423 Rz. 3 f.; Karl Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., 1987, § 37 Fn. 22; Peter Schlechtriem, Martin Schmidt-Kessel, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl., 2005, Rz. 849; Florian Bentele, Gesamtschuld und Erlass, 2005, S. 37 ff., 60 ff. Etwa Reinicke/Tiedtke, Larenz, Wolf, Noack, Bydlinski, Schechtriem/Schmidt-Kessel, a.a.O. (Fn. 3); Jochen Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 1997, S. 97 f., 221 f. Aus der Rechtsprechung etwa BGHZ 11, 170, 174 (1953); BGH WM 1962, 1293, 1294; BGH VersR 1964, 1048; BGHZ 43, 227 (1965); BGHZ 59, 97, 103 (1972); BGH WM 1978, 348, 349; BGH NJW 1986, 1097, 1098; BGH NJW-RR 1989, 918, 920; BGH WM 1991, 399, 400; BGH NJW 1992, 2286, 2287; BGH NJW 2000, 1942, 1943. Kritik bei Keuk, AcP 168 (1968), 175, 193 ff.; Wulf Goette, Gesamtschuldbegriff, 1974, S. 138 ff.; Jürgen Stamm, Regressfiguren, 2000, S. 69-71; ders., NJW 2004, 811. RG JW 1938, 516, 519; BGHZ 11, 170, 174 (1953); BGH WM 1962, 1293, 1294; BGH NJWRR 1989, 918, 920; im Ergebnis ebenso BGHZ 59, 97, 103 (1972). RG JW 1938, 516; BGH WM 1962, 1293, 1294; BGH WM 1967, 397; BGH NJW 1983, 1423, 1424; OLG Hamm ZIP 1983, 922; OLG Hamm NJW-RR 1993, 1071. In BGH MDR 1958, 88, hatte der BGH die analoge Anwendung des (wie § 776 wirkenden) § 1165 BGB zugunsten eines Gesamtschuldners noch offen gelassen. Reichel, JhJb 85 (1935) 1, 45 f.; Selb, Mehrheiten (Fn. 3), S. 73; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld (Fn. 3), S. 83, 122; dies., Bürgschaftsrecht, 2. Aufl., 2000, Rz. 240; dies., Kreditsicherung, 5. Aufl., 2006, Rz. 73, 281; Staudinger/Noack § 421 Rz. 115, § 423 Rz. 13, § 426 Rz. 134; Soergel/ Wolf § 423 Rz. 7; MüKo/Bydlinski § 426 Rz. 45; Staudinger/Horn (1997) § 776 Rz. 23.
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die ein Gesamtschuldner gestellt hat, aufzugeben, ohne in seinen Ansprüchen gegen die übrigen Gesamtschuldner beschränkt zu werden. Diese Vorstellung hat Kritik hervorgerufen. Teilweise wird aus konstruktiver Sicht moniert, dass eine Entlassung, welche die Verbindlichkeiten der übrigen Gesamtschuldner und die Ausgleichspflicht des Entlassenen unberührt lasse, kein echter Erlass i. S. d. § 397, sondern lediglich ein pactum de non petendo sein könne, also ein schuldrechtlicher Klageverzicht. Ein echter Einzelerlass müsse notwendig auch die übrigen Gesamtschuldner in Höhe des Innenanteils des Entlassenen befreien. Vor allem aber soll es der Gläubiger nach einem Teil der Literatur nicht in der Hand haben, den Gesamtschuldregress einseitig zu gefährden, sei es durch einen Einzelerlass, der die Legalzession verhindert, sei es durch die bloße Aufgabe einer von einem Gesamtschuldner gestellten Sicherheit. Sie verweist auf die Vorschrift des § 776 BGB, wonach die Entlassung eines Mitbürgen den Bürgen in Höhe des Innenanteils des Entlassenen befreit. Der Vorschrift liege ein allgemeines Regressbehinderungsverbot zugrunde, das auch im Gesamtschuldverhältnis dazu führe, dass ein Einzelerlass oder die Aufgabe einer Sicherheit die übrigen Schuldner anteilig befreie. Die Rechtsprechung ist dem nicht gefolgt, sondern hat umgekehrt die Vorschrift des § 776 einschränkend ausgelegt. Sie sei nur anwendbar, so der BGH in einem 1992 ergangenen Urteil10, wenn die Entlassung eines Mitbürgen dazu führe, dass der verbleibende Bürge seinen Regress nicht durchsetzen könne. Weil Mitbürgen nach § 769 Gesamtschuldner seien, bestehe unter ihnen das gesetzliche Schuldverhältnis nach § 426 I. Die Entlassung eines Mitbürgen berühre den Gesamtschuld rückgriff des verbleibenden Mitbürgen nicht, so dass dieser sich nicht auf § 776 berufen könne, sondern nach wie vor auf das Ganze hafte11. In dieser Auslegung ist § 776 nur ausnahmsweise anwendbar, etwa wenn der entlassene Mitbürge insolvent
Wacke, AcP 170 (1970) 42, 45 ff.; Horst Ehmann, Gesamtschuld, 1972, S. 242 ff., 364; ders., in: Erman, BGB (12. Aufl. 2008), § 423 Rz. 4, 8; Keuk, AcP 168 (1968) 193 ff. (für Nebentäter); Goette, Gesamtschuldbegriff (Fn. 4), S. 138 ff.; Bentele, Gesamtschuld (Fn. 3), S. 153 ff. Wacke, AcP 170 (1970), 60 ff.; Martens, AcP 177 (1977) 113, 125 f.; Joachim Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, § 16 I 13 c; Erman/Ehmann § 426 Rz. 33; RGRK/Weber, 12. Aufl., 1978, § 423 Rz. 12 f. 10 BGH NJW 1992, 2286. Ebenso BGH NJW 2000, 1034, 1035; der Sache nach auch schon BGH LM § 774 BGB Nr. 6 = WM 1963, 1249; BGH NJW 1989, 2386, 2387; OLG Stuttgart, ZIP 1990, 445. 11 Zustimmend die herrschende Lehre, etwa Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht (Fn. 7), Rz. 243 f., 398; Hans-Georg Graf Lambsdorff, Bernd Skora, Bürgschaftsrecht, 1994, Rz. 308; Hans-Jürgen Lwowski, Kreditsicherung, 8. Aufl., 2000, Rz. 403; Peter Bülow, Kreditsicherheiten, 7. Aufl., 2007, Rz. 1010; MüKo/Habersack, 5. Aufl., 2009, § 769 Rz. 8, § 774 Rz. 25; Staudinger/Noack § 423 Rz. 35, § 426 Rz. 240; Erman/Ehmann § 421 Rz. 74, § 423 Rz. 5, § 426 Rz. 13; MüKo/Bydlinski § 426 Rz. 9; Grunewald, LM § 774 Nr. 24; Jan Schürnbrand, Schuldbeitritt, 2003, S. 148. Nach Bayer, EWiR § 774 BGB 1/92, 869, und Lwowski, Kreditsicherung, Rz. 403, soll es sich im BGH-Fall um ein bloßes pactum de non petendo gehandelt haben. Kritik an der Entscheidung bei Schanbacher, WM 1998, 1806 f.; Soergel/Pecher, 12. Aufl., 2007, § 769 Rz. 3 ff., 8, 16, § 774 Rz. 29, § 776 Rz. 20; Rimmelspacher, WuB I F 1 a-11.00; skeptisch auch Staudinger/Horn § 774 Rz. 50, § 776 Rz. 6, 15.
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ist, aber für seine Bürgenverpflichtung eine Sicherheit gestellt hatte, auf die der verbleibende Mitbürge nun nicht mehr zugreifen kann. Diese Diskussion wirft die Frage auf, warum es mit § 776 und § 423 unterschiedliche Regelungen des Einzelerlasses für Mitbürgen einerseits und sonstige Gesamtschuldner andererseits gibt und welchen Zweck die Vorschrift des § 776 bei Mitbürgen verfolgt. Im Folgenden soll das Problem der Regressstörungen durch den Gläubiger in historischer Perspektive beleuchtet werden. Einbezogen wird der Schutz des Bürgenregresses gegenüber dem Hauptschuldner, aus dem sich der Schutz des Gesamtschuld- und Mitbürgenregresses historisch erst entwickelt hat. Zudem sind Gesamtschuld und Bürgschaft strukturell ähnliche Haftungsverbände. Historisch wurde die Bürgschaft häufig als Sonderfall der Gesamtschuld angesehen12. Die heutige deutsche Lehre, wonach das Verhältnis zwischen Bürge und Hauptschuldner wegen der Akzessorietät der Bürgenhaftung kein Gesamtschuldverhältnis sein könne, hat sich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts durchgesetzt13.
2. Bürge und Hauptschuldner Nach römischem Recht wurde ein Bürge bei der Entlassung des Hauptschuldners in den meisten Fällen ebenfalls befreit, doch dies beruhte, anders als heute, weder auf dem Akzessorietätsgrundsatz noch auf dem Gedanken der Regressvereitelung. Der Gläubiger konnte den Hauptschuldner auf mehrere Arten von seiner Haftung befreien. Vereinbarte er mit ihm eine schuldaufhebende acceptilatio, wurde auch der Bürge frei14. Dies lag daran, dass die acceptilatio, ursprünglich die Quittierung eines (fiktiven) Empfangs des Geschuldeten, als Erfüllungssurrogat behandelt wurde15 und daher sämtliche Mithaftende befreite. Eine mit dem Bürgen vereinbarte acceptilatio befreite daher auch den Hauptschuldner16. Der Gläubiger konnte mit dem Schuldner auch ein pactum de non petendo, also eine Vereinbarung über einen Klageverzicht, schließen. Ein solches pactum hob die Schuld nicht auf, verschaffte dem Schuldner aber eine Einrede gegenüber dem Leistungsverlangen des Gläubigers17 und konnte sogar einen Bereicherungsanspruch des Schuldners begründen, wenn er versehentlich trotz pactum geleistet hatte18. Die Wirkungen auf Dritte hingen von der Art des pactum ab19. Mittels eines pactum 12
Sonja Meier, Gesamtschulden, 2010, S. 1069 ff. A.a.O., S. 1232 ff. 14 Gaius D. 4,2,10,1, D. 4,4,27,2; Ulpian D. 34,3,5 pr. 15 Vgl. Gai III, 169; Inst. 3,29,1; Ulpian D. 34,3,7,1, D. 46,4,5, D. 46,4,16 pr.; Max Kaser, Römisches Privatrecht I, 2. Aufl., 1971, § 45 III, § 150 II 2; HKK/Kleinschmidt § 397 Rz. 8. 16 Gaius D. 46,1,72; Ulpian D. 34,3,5,1, D. 46,4,13,7, eod., 16,1. 17 Kaser, Römisches Privatrecht I (Fn. 15), § 150 II 3. 18 Julian D. 12,6,32,1, D. 46,3,34,11; Marcian D. 12,6,40,2. 19 Vgl. Philipp Schmieder, Duo rei, Gesamtobligationen im römischen Recht, 2007, S. 240 ff., m. w. N. 13
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de non petendo in rem verzichtete der Gläubiger auf eine Klage nicht nur gegen den Schuldner selbst, sondern auch gegen solche Mithaftende, die einen Regress gegenüber dem Schuldner geltend machen konnten20. Ein pactum zwischen Gläubiger und Hauptschuldner verschaffte daher auch dem Bürgen eine Einrede21, falls er nicht ausnahmsweise, etwa wegen einer Verbürgung in Schenkungsabsicht, kein Rückgriffsrecht hatte22. Umgekehrt konnte sich auf ein mit dem Bürgen vereinbartes pactum der Hauptschuldner nicht berufen23, falls nicht ausnahmsweise der Bürge im Innenverhältnis verpflichtet war24. Etwas anderes galt demgegenüber für das sog. pactum de non petendo in personam. Nach einer Quelle von Ulpian konnten Hauptschuldner und Gläubiger den Klageverzicht auf die Person des Hauptschuldners beschränken und den Bürgen davon ausschließen: In diesem Fall konnte sich der Bürge auf das pactum nicht berufen25. Anders als nach heutigem Recht kam eine mit dem Hauptschuldner geschlossene Vereinbarung also nicht ohne Weiteres dem Bürgen zugute, wie die Fälle des nicht regressberechtigten Bürgen und des pactum in personam zeigen. Die Haftung des römischen fideiussor hing zwar in bestimmtem Maße vom Bestand und Umfang der gesicherten Hauptschuld ab26, war aber nicht vollständig akzessorisch. Soweit der Bürge sich auf das pactum mit dem Schuldner berufen konnte, geschah dies allein zum Schutz des Schuldners: Der Zweck des pactum in rem, den Schuldner auch vor einer mittelbaren Inanspruchnahme in Form des Regressanspruchs eines Dritten zu bewahren, erlaubte ausnahmsweise – an sich waren Verträge zugunsten Dritter nicht anerkannt – eine Einrede des Dritten aus der für ihn fremden Abrede. Der Fall der Entlassung des Schuldners mittels pactum in personam wirft die Frage auf, ob hierdurch der Regress des (nicht befreiten) Bürgen in irgendeiner Weise gestört wurde. Der Rückgriff des fideiussor gegenüber dem Schuldner stützte sich auf das Innenverhältnis27 und nahm die Gestalt eines Auslagenersatzanspruchs aus Auftrag oder aus einer G. o. A. an28. Da die unbeauftragte Bürgschaft regelmäßig als 20
Vgl. Ulpian D. 2,14,7,8. Paulus D. 2,14,21,5, D. 44,1,7,1; Inst. 4,14,4; zur transactio Ulpian D. 2,15,7,1; Paulus D. 46,1,68,2. 22 Paulus D. 2,14,32; Ulpian D. 34,3,5 pr. 23 Julian D. 12,6,32,1; Paulus D. 2,14,23; Ulpian D. 34,3,5,1. Dies gilt allerdings nur für die exceptio pacti. Je nach dem Inhalt der Abrede zwischen Gläubiger und Bürgen konnte offenbar ganz unabhängig von der Regresslage der Hauptschuldner dem Gläubiger die Arglisteinrede entgegensetzen; Paulus D. 2,14,25,2; Ulpian D. 2,14,26. 24 Paulus D. 2,14,24. 25 Ulpian D. 2,14,22 (4 ed.): Nisi hoc actum est, ut dumtaxat a reo non petatur, a fideiussore petatur: tunc enim fideiussor exceptione non utetur. 26 Hierzu stellvertretend Schmieder, Duo rei (Fn. 19), S. 229 ff.; Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 1064 ff. 27 Nur für die ältere Bürgschaftsform der sponsio überliefern die Quellen einen besonderen Rückgriffsanspruch in Gestalt einer actio depensi, die dem sponsor den doppelten Betrag gewährte, falls ihn der Hauptschuldner nicht binnen sechs Monaten entschädigte, Gai III 127, IV, 22. 28 Etwa Gai III, 127; Inst. 3,20,6 und 4,14,4; Julian D. 17,1,33; Papinian D. 17,1,53; Paulus D. 2,14,32, D. 17,1,20,1 und l. 40; Ulpian D. 17,1,6,2 und l. 21, D. 46,1,4 pr. Vgl. Kaser, Römisches 21
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berechtigte Fremdgeschäftsführung angesehen wurde, schied ein Auslagenersatzanspruch nur in den seltenen Fällen aus, in denen der Bürge sich aufgrund einer Gegenleistung des Gläubigers oder gegen den Willen des Schuldners verpflichtet hatte. Ein Rückgriffsrecht, das auf dem besonderen Innenverhältnis zwischen Bürge und Hauptschuldner beruhte, konnte aber durch ein Rechtsgeschäft zwischen Gläubiger und Hauptschuldner nicht zunichtegemacht werden29. Nahm der Gläubiger also nach der Vereinbarung eines persönlich wirkenden Klageverzichts gegenüber dem Schuldner den Bürgen in Anspruch, konnte dieser, sofern er vor dem pactum regressberechtigt gewesen war, nach wie vor beim Schuldner Regress nehmen. Die Verfügbarkeit des eigenen Rückgriffsanspruchs ist wohl der Grund dafür, dass die Quellen einen Zessionsregress des Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner nur selten erwähnen. Er konnte dann Vorteile bringen, wenn der Schuldner Pfänder gestellt hatte. Kaiserliche Reskripte30 und schließlich Justinians Novelle 4,1 gewährten dem zahlungsbereiten Bürgen das Recht, vom Gläubiger die Abtretung seiner Klage zu verlangen, wodurch der Bürge auch auf die Pfänder zugreifen konnte. Wie verhielt es sich aber, wenn der Gläubiger zuvor mit dem Hauptschuldner einen Klageverzicht vereinbart hatte? Grundsätzlich erloschen die Pfandrechte, wenn hinsichtlich der gesicherten Schuld ein dauerhaftes pactum de non petendo geschlossen wurde31. Dies galt aber nicht, wenn es sich lediglich um ein pactum in personam handelte: Hierdurch verzichtete der Gläubiger lediglich auf eine Klage gegen den Schuldner selbst, nicht auf die Pfänder32. Damit stand auch dem leistenden Bürgen der Zugriff auf die Pfänder zu. Die Ulpian-Stelle, wonach der Gläubiger, der einen persönlich wirkenden Klageverzicht mit dem Schuldner geschlossen hat, dennoch auf den Bürgen zugreifen kann, wirft also im Regelfall kein Problem der Regressstörung auf. Das pactum bewirkt lediglich, dass der Bürge verhindert ist, die Gläubigerklage gegen den Schuldner zu erheben, weil er als procurator nicht mehr Rechte geltend machen kann als der Gläubiger selbst. Dem Bürgen bleibt aber sein Rückgriff aus dem Innenverhältnis und, wenn er sich vom Gläubiger dessen Klagerecht abtreten lässt, der Zugriff auf die Pfänder. Eine Regressstörung wäre nur für den Fall denkbar, dass der Bürge ausnahmsweise kein eigenes Rückgriffsrecht hat und die Hauptschuld nicht gesichert ist, und auch nur dann, wenn man von der (nicht sicheren) Annahme ausgeht, dass auch ein Bürge ohne eigenes Regressrecht vom Gläubiger die Klageabtretung verlangen konnte. Ein zwischen Gläubiger und Hauptschuldner vereinbarter persönlich wirkender Klageverzicht könnte dann den Bürgenregress vollständig vereiteln. Privatrecht I (Fn. 15), § 155 II 5; Wesener, Labeo 11 (1965) 341, 343 ff.; Hans Hermann Seiler, Tatbestand der negotiorum gestio, 1968, S. 120 ff. 29 Vgl. Paulus D. 46,1,71,1 (4 quaest.) zum Auftragsregress des vom Schuldner beauftragten Kreditmandators: Si ponamus unum ex reis promittendi pactum esse, ne a se peteretur, deinde mandatorem solvisse: mandati iudicio convenire potuit etiam eum, cum quo pactum est: non enim pactum creditoris tollit alienam actionem. 30 Severus C.8,40,2; Alexander C.8,40,11,1; Gordian C.8,40,14; Diocletian C.8,40,21. 31 Paulus D. 2,14,17,2; Ulpian D. 13,7,11,2. 32 Marcian D. 20,6,5 pr.
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Doch einen solchen Ausnahmefall hat die Ulpian-Stelle offenbar nicht vor Augen, so dass sie insgesamt zum Problem der Regressstörung nichts aussagt. Der Gläubiger konnte den Bürgenregress aber auf andere Weise gefährden, etwa wenn er den Hauptschuldner nicht rechtzeitig in Anspruch nahm und dieser inzwischen zahlungsunfähig geworden war33. Ein Fragment von Modestin lässt unter diesen Umständen die Klage des Gläubigers gegen einen Ausfallbürgen entfallen34. Nach einer Stelle von Papinian kann ein Gläubiger, der die Klage gegen den Hauptschuldner durch eigenes Verschulden verliert, auch vom Kreditauftraggeber nichts mehr verlangen35. Bei der Ausfallbürgschaft und dem Kreditauftrag handelt es sich allerdings um besondere Formen der persönlichen Kreditsicherung: Der Ausfallbürge schuldet von vornherein nur das, was der Gläubiger vom Hauptschuldner nicht erlangen kann, so dass bei Säumnis des Gläubigers ein haftungsbegründender Ausfall nicht vorliegt. Der Kreditauftraggeber ist mit dem Gläubiger durch ein Auftragsverhältnis, also einem Vertrag bonae fidei, verbunden, nach dem er dem beauftragten Gläubiger dessen Auslagen ersetzen muss, umgekehrt aber vom entschädigten Gläubiger die Abtretung der Klage gegen den Hauptschuldner verlangen kann36, so dass er nicht leisten muss, wenn der Gläubiger seiner eigenen Verpflichtung schuldhaft nicht nachkommen kann. Dem gewöhnlichen Bürgen verwehrt Scaevola demgegenüber die Arglisteinrede, wenn der Gläubiger versäumt hat, rechtzeitig den Schuldner zu belangen oder das Pfand zu verwerten37. Eine entgegengesetzte Entscheidung findet sich in einem Reskript von Philippus, wonach der Gläubiger, der das Pfand für einen zu geringen Preis verkauft, die Differenz vom Bürgen nicht einklagen kann38. Möglicherweise handelte es sich im entschiedenen Fall um einen Ausfallbürgen39. Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Frage umstritten war und dass im nachklassischen Recht auch dem gewöhnlichen Bürgen ein Schutz vor nachlässiger Rechtsverfolgung seitens des Gläubigers gewährt wurde. Die Frage wurde bei den gemeinrechtlichen Schriftstellern kontrovers diskutiert. Ausgangspunkt war wie im römischen Recht, dass ein eigener Rückgriffsanspruch 33
Zum Folgenden Knütel, Diligenzpflichten, Festschrift für Flume I, 1978, S. 559, 566 ff. Modestin D. 46,1,41 pr. (13 resp.): Respondit, si fideiussores in id accepti sunt, quod a curatore servari non possit, et post impletam legitimam aetatem tam ab ipso curatore quam ab heredibus eius solidum servari potuit et cessante eo, qui pupillus fuit, solvendo esse desierit: non temere utilem in fideiussores actionem competere. 35 Papinian D. 46,3,95,11 (28 quaest.): Si creditor a debitore culpa sua causa ceciderit, prope est, ut actione mandati nihil a mandatore consequi debeat, cum ipsius vitio acciderit, ne mandatori possit actionibus cedere. 36 Julian D. 46,1,13; Gaius D. 17,1,27,5; Papinian D. 46,3,95,10; Ulpian D. 17,1,28. 37 Scaevola D. 46,1,62 (5 resp.): Si fideiussor creditori denuntiaverit, ut debitorem ad solvendam pecuniam compelleret vel pignus distraheret, isque cessaverit, an possit eum fideiussor doli mali exceptione summovere? Respondit non posse. 38 Philippus C.8,40,18: Si, ut proponis, fundum ob debitum obligatum non iusto pretio vendidisti, residuam quantitatem, quam ex pretio eiusdem servare potuisses, refundi tibi a fideiussore non iure poscis. (244) 39 So die Vermutung bei Knütel, Festschrift für Flume I (Fn. 33), S. 571 f. 34
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des Bürgen gegen den Hauptschuldner sich nur aus einem Vertrag oder einer Geschäftsführung ohne Auftrag ergeben konnte40. Wegen der Novelle 4,1 nahm man nun allgemein an, dass der Bürge außerdem das Recht hatte, vom Gläubiger die Abtretung der Hauptschuld einschließlich der Sicherheiten zu verlangen41. Nach wohl herrschender Lehre diente der Zessionsregress nicht nur der Absicherung des ohnehin gegebenen Rückgriffs, sondern konnte bei Fehlen eines eigenen Rückgriffsanspruchs den Regress auch erst ermöglichen42. Dies hatte Folgen für den Fall eines mit dem Hauptschuldner vereinbarten persönlich wirkenden Klageverzichts. Auch nach Gemeinem Recht galt, dass eine solche Abrede sich nicht von selbst auf den Bürgen erstreckte, was nun damit erklärt wurde, dass die grundsätzliche Akzessorietät der Bürgenhaftung sich nicht auf rein persönliche Einreden des Hauptschuldners bezog43. Nun aber nahm man die Entlassung des Hauptschuldners als einen Akt der Regressgefährdung oder -vereitelung durch den Gläubiger wahr, vor dem der Bürge geschützt werden musste. Hierzu wurden zwei verschiedene, sich teilweise überschneidende, Wege eingeschlagen44. 40 Etwa Hugo Donellus, Commentarii in codicem Justiniani, 1602, Ausgabe Rom/Macerata 1828 ff., zu C.8,40(41),14, § 3; Arnold Vinnius, Institutionenkommentar Schuldrecht, 1642, Ausgabe Heidelberg 2005, zu Inst.3,20(21),6; Johannes Voet, Commentarius ad Pandectas, 1698, Ausgabe Paris 1826, zu D. 46,1, §§ 31, 33; Jean Domat, Loix Civiles, 1689-94, § 187; Robert-Joseph Pothier, Traité des Obligations, 1761, Ausgabe Paris 1824, § 429; Karl August Unterholzner, Lehre von den Schuldverhältnissen, 1840, Rz. 745; Anton Friedrich Thibaut, Pandekten I, 1834, § 943; Christian Friedrich Mühlenbruch, Pandekten (3. Aufl. 1840), § 487; Johann Adam Seuffert, Pandektenrecht II, 4. Aufl., 1867, § 386; Bernhard Windscheid, Pandekten, 9. Aufl., 1906, § 481 Nr. 1; Wilhelm Girtanner, Bürgschaft, Bd. I/2, S. 1850, 216, Bd. II, 1851, S. 529 ff.; Carl Friedrich Sintenis, Civilrecht II, 3. Aufl., 1868, § 129 bei Fn. 16 und nach Fn. 62; Heinrich Hasenbalg, Bürgschaft, 1870, S. 692 ff.; für die Rechtsprechung stellvertretend RGZ 1, 344, 345 (1880). 41 Donellus (Fn. 40), zu C.8,40(41),2, § 2; Voet (Fn. 40), zu D.46,1,§ 28; Pothier, Obligations (Fn. 40), §§ 427, 429, 556; Ludwig Julius Höpfner, Commentar Institutionen, 1783, § 845; Unterholzner, Schuldverhältnisse (Fn. 40), Rz. 180, Anm. 1 C, Rz. 745, Rz. 750 Anm. 12; Thibaut, Pandekten (Fn. 40), § 943; Georg Friedrich Puchta, Pandekten, 11. Aufl., 1872, § 405; Christian Friedrich Mühlenbruch, Cession der Forderungsrechte, 3. Aufl., 1836, S. 412; Girtanner, Bürgschaft II (Fn. 40), S. 533 ff.; Goldschmidt, ZHR 14 (1870) 397, 415 ff.; Alois Brinz, Pandekten II/1, 2. Aufl., 1879, § 256 Nr. 3; Sintenis, Civilrecht II (Fn. 40), § 129 bei Fn. 55; Hasenbalg, Bürgschaft (Fn. 40), S. 401 ff.; Heinrich Dernburg, Pandekten II, 7. Aufl., 1903, § 78 Nr. 3, § 80 II 2. Aus der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts OAG Celle, SeuffA 12 Nr. 12 (1856), SeuffA 20 Nr. 36 (1865); ObTr Stuttgart, SeuffA 12 Nr. 117 (1857), SeuffA 31 Nr. 140 (1874), SeuffA 32 Nr. 235 (1876); OAG Oldenburg, SeuffA 28 Nr. 225 (1873); ROHGE 4, 325, 328 (1871); ROHGE 19, 383, 386 (1876); RGZ 18, 235, 237 (1886). Anders nur Friedrich Carl von Savigny, Obligationenrecht I, 1851, S. 274 ff. Dem folgte das OAG Dresden, SeuffA 17 Nr. 39 (1862); offen gelassen in RG SeuffA 54 Nr. 150 (1899). 42 Voet (Fn. 40), zu D. 46,1, § 28; Unterholzner, Schuldverhältnisse (Fn. 40), Rz. 745; Sintenis, Civilrecht II (Fn. 40), § 129 bei Fn. 67; Brinz, Pandekten (Fn. 41), § 253 a.E. Anders Windscheid, Pandekten (Fn. 40), § 481 Nr. 2 mit Fn. 7; Otto Geib, Bürgschaftsrecht, 1894, S. 158; wonach dem Bürgen das Zessionsrecht nur im Falle eines eigenen Rückgriffs zustehen sollte. 43 Etwa Voet (Fn. 40), zu D. 2,14, § 14; Mühlenbruch, Cession (Fn. 41), S. 437; Seuffert, Pandekten (Fn. 40), § 385 Fn. 2; Hasenbalg, Bürgschaft (Fn. 40), S. 334; Windscheid, Pandekten (Fn. 40), § 477 Nr. 1 b; Julius Baron, Pandekten, 8. Aufl., 1893, § 259 II 4 a; ObTr Stuttgart, SeuffA 4 Nr. 43 (1850). 44 Zum Folgenden ausführlich Girtanner, Bürgschaft I/2 (Fn. 40), S. 200 ff., 221 ff.; ferner Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 1098 ff.
Erlass und Regressgefährdung bei Bürgschaft und Gesamtschuld
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Der eine führte über die Einrede der Vorausklage, die Justinian 535 mit der Novelle 4,1 eingeführt hatte45. Wäre der Gläubiger frei, den Hauptschuldner zu entlassen und dann auf den Bürgen zuzugreifen, würde die Einrede in das Belieben des Gläubigers gestellt. Es entwickelte sich daher die Ansicht, dass dem Bürgen bei einer Entlassung des Hauptschuldners das beneficium excussionis in Gestalt einer dauerhaften Einrede zukomme46. Häufig gewährte man dem Bürgen die Einrede auch dann, wenn der Gläubiger die Klage aus anderen Gründen verloren oder die Rechtsverfolgung nachlässig betrieben hatte, etwa bei Versäumung der Anmeldefrist im Konkurs des Schuldners47. Dem sollte nicht entgegenstehen, dass die römischen Quellen eine solche Einrede nur dem Ausfallbürgen und Kreditauftraggeber gewährten: Der Bürgenschutz, so konnte argumentiert werden, beruhe schließlich auf der Einrede der Vorausklage, die erst Justinian eingeführt habe, womit die Haftung des Bürgen der des Ausfallbürgen und des Kreditmandators gleichgestellt worden sei. Im 19. Jahrhundert war der auf dem beneficium excussionis beruhende Schutz des Bürgen bei einer Entlassung des Hauptschuldners oder einer nachlässigen Rechtsverfolgung nicht nur herrschende Lehre, sondern auch in der Rechtsprechung anerkannt48. Der andere Weg führte über das ebenfalls auf der Novelle 4,1 beruhende beneficium cedendarum actionum: Wenn der Bürge nur gegen Abtretung der Klage gegen den Hauptschuldner leisten musste, dann, so ein Teil der gemeinrechtlichen Litera45
Nach klassischem römischem Recht war die Bürgenhaftung nicht subsidiär. Allein die Sitte, nicht das Recht, gebot dem Gläubiger, zuerst auf den Hauptschuldner zuzugreifen. An seine Entscheidung, entweder den Hauptschuldner oder den Bürgen zu verklagen, war der Gläubiger dann allerdings gebunden: Weil die Klage gegen den Hauptschuldner die gegen den Bürgen konsumierte und umgekehrt, konnte er im Ergebnis nur einmal klagen. Diese Klagenkonkurrenz zwischen Hauptschuldner und Bürgen wurde erst durch Justinian 531 abgeschafft, C.8,40,28. Näheres bei Kaser, Römisches Privatrecht I (Fn. 15), § 155 II 4 c; Detlef Liebs, Klagenkonkurrenz, 1972, S. 40 f., 60 ff., 184, 250; Schmieder, Duo rei (Fn. 19), S. 230 ff. m.w.N. 46 Zu dieser auf Baldus zurückgehenden Ansicht Girtanner, Bürgschaft I/2 (Fn. 40), S. 213 f., 248 f.; ferner Voet (Fn. 40), zu D. 2,14, § 14; Pothier, Obligations (Fn. 40), § 380; Mühlenbruch, Cession (Fn. 41), S. 437 Fn. 438; Seuffert, Pandekten (Fn. 40), § 385 Fn. 2; Hasenbalg, Bürgschaft (Fn. 40), S. 554 ff.; Windscheid, Pandekten (Fn. 40), § 478 Fn. 6; Ludwig Ritter von Arndts, Pandekten, 11. Aufl., 1883, § 357; Carl Georg von Wächter, Pandekten II, 1881, Beilage zu § 195, II 2; Baron, Pandekten (Fn. 43), § 259 II 4 a; Dernburg, Pandekten (Fn. 41), § 82 Nr. 3. 47 Voet (Fn. 40), zu D. 46,1, § 38; Rudolph Freiherr von Holzschuher, Theorie und Casuistik II/2, 1847, S. 868 f., 881 m. w. N.; Karl Adolph von Vangerow, Pandekten, 6. Aufl., 1863, § 578 Anm. 4; Puchta, Pandekten (Fn. 41), § 405; Seuffert, Pandekten (Fn. 40), § 385 Fn. 9; Sintenis, Civilrecht II (Fn. 40), § 129 bei Fn. 60; Windscheid, Pandekten (Fn. 40), § 478 bei Fn. 10; Wächter, Pandekten (Fn. 46), § 270; Dernburg, Pandekten (Fn. 41), § 82 Nr. 3; Girtanner, Bürgschaft II (Fn. 40), S. 439, 483 ff.; Hasenbalg, Bürgschaft (Fn. 40), S. 544 ff., 557 ff.; Geib, Bürgschaftsrecht (Fn. 42), S. 31 ff.; dagegen aber Pothier, Obligations (Fn. 40), § 414; Jäger, ZCRPr 5 (1832), 231 ff. 48 Zur Entlassung des Hauptschuldners OAG Lübeck, SeuffA 6 Nr. 40 (1850); zur nachlässigen Rechtsverfolgung ObTr Stuttgart, SeuffA 7 Nr. 312 (1853); ObTr Berlin, SeuffA 12 Nr. 240 (1858); ObG Wolfenbüttel, SeuffA 19 Nr. 22, S. 43 (1864); OAG Kiel, SeuffA 39 Nr. 43 (1883); RG, Seuff A 36 Nr. 40 (1880), SeuffA 39 Nr. 12 (1883), JW 1891, 74 Nr. 21 (1890). Ein Schutz des Bürgen gegen nachlässige Rechtsverfolgung wurde wegen des Verzichts auf die Einrede der Vorausklage verneint in OAG Cassel, SeuffA 20 Nr. 21 (1865); OLG Darmstadt, SeuffA 40 Nr. 107 (1884); RGZ 4, 185, 192 (1881); RG SeuffA 51 Nr. 178 (1895). Gegen eine Diligenzpflicht OAG Celle, SeuffA 11 Nr. 243 (1829 und 1843); unentschieden OAG Jena, SeuffA 16 Nr. 112 (1841).
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tur, werde er frei, wenn der Gläubiger aus eigenem Verschulden zur Zession nicht in der Lage sei, etwa weil er den Hauptschuldner entlassen habe49. Auch dieser Weg zum Bürgenschutz mittels einer peremptorischen Einrede der Klagenabtretung wurde teilweise in der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts eingeschlagen50. Das Verhältnis zur Einrede der Vorausklage war nie ganz geklärt51. Die Rechtsprechung schützte den Bürgen häufig bei einem vom Gläubiger verschuldeten Verlust der Klage gegen den Hauptschuldner, ohne deutlich zu machen, auf welcher Einrede der Schutz beruhte52. Einige Schriftsteller des 19. Jahrhunderts ließen die Frage dahingestellt und begründeten den Schutz des Bürgen bei einer vom Gläubiger verschuldeten Regressvereitelung schlicht damit, dass die Bürgschaft ein Vertrag bonae fidei sei53. Die Mehrheit der Kodifikationen und Entwürfe des 18. und 19. Jahrhunderts nahm beide Instrumente auf und gewährte dem Bürgen eine Einrede nicht nur dann, wenn der Gläubiger die Hauptschuld oder ihre Sicherheiten nicht abtreten konnte, sondern auch bei nachlässiger Rechtsverfolgung54. Ein Schutz gegenüber der Aufgabe von Sicherheiten wurde aber häufig auf diejenigen Sicherheiten beschränkt, die schon im Zeitpunkt der Bürgenverpflichtung bestanden55. Der BGB-Gesetzge49
Zur älteren Literatur vgl. die Darstellungen bei Girtanner, Bürgschaft I/2 (Fn. 40), S. 211 ff., 248; Hasenbalg, Bürgschaft (Fn. 40), S. 404 ff.; ferner Pothier, Obligations (Fn. 40), § 557; aus dem 19. Jahrhundert von Holzschuher, Theorie II/2 (Fn. 47), S. 879; Seuffert, Pandekten (Fn. 40), § 385 Fn. 26; und die in Fn. 73 Genannten; ähnlich Knorr, AcP 28 (1846), 167, 175 ff. (der den Bürgen nur in Höhe seines tatsächlichen Ausfalls schützen will). 50 ObTr Stuttgart, SeuffA 7 Nr. 311 (1854) und 312 (1853); ObG Wolfenbüttel, SeuffA 19 Nr. 22 a.E. (1864); OLG Celle, SeuffA 20 Nr. 36 (1865); ObTr Berlin, SeuffA 31 Nr. 33 (1875); RGZ 4, 185, 190 f. (1881); für den Fall der bewussten Aufgabe einer Sicherheit OLG Hamburg und RG, SeuffA 52 Nr. 154 (1896); vgl. auch RGZ 28, 187, 192 f. (1892). 51 Vgl. Girtanner, Bürgschaft, Bd. I/2 (Fn. 40), S. 248, Bd. II, S. 471; Hasenbalg, Bürgschaft (Fn. 40), S. 404 ff. 52 OAG Dresden, SeuffA 4 Nr. 42 (1850); OAG Lübeck, SeuffA 6 Nr. 41 (1848); ObTr Stuttgart, SeuffA 7 Nr. 34 (1845) und 311 (1854); OHG Mannheim, SeuffA 7 Nr. 315; vgl. auch RGZ 18, 235, 237 ff. (1886). 53 Arndts, Pandekten (Fn. 46), § 357, Anm. 2; Dernburg, Pandekten (Fn. 41), § 82 Nr. 3 mit Fn. 7. 54 Vgl. ALR I 14 §§ 304-305, 328, 331-333; CC von 1804, Art. 2037 (heute Art. 2314); ABGB §§ 1360, 1364 S. 2; Entwurf eines BGB für das Königreich Sachsen (SächsE, 1852) §§ 873, 882 II; Entwurf eines BGB für das Großherzogthum Hessen (HessE), Teil IV 2 (1853), Art. 611, 612; Privatrechtliches GB für den Kanton Zürich (ZürGB), Teil III (1855), §§ 1802, 1808; Entwurf eines BGB für das Königreich Bayern (BayE, 1861), Teil II, Art. 889, 892, 893; Sächsisches BGB (SächsGB, 1863), § 1466; Dresdener Entwurf eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse (DresdE, 1866), Art. 948, 949; Schweizer Obligationenrecht (OR) von 1882, Art. 493 I, 503, 508, 510. 55 So ABGB § 1360; ALR-Revisionsentwurf 1831 (abgedruckt in: Werner Schubert, Jürgen Regge [Hg.], Quellen zur preußischen Gesetzgebung II 3, 1983), I 14 §§ 304-306; SächsE § 873; BayE II, Art. 892; ZürGB § 1802; DresdE Art. 948; ähnlich OR von 1882, Art. 508 (vgl. heutiges OR, Art. 503). Zur preußischen Praxis Gruchot, Gruch 16 (1872), 588, 727 f.; zur französischen Praxis Cass civ (10.12.1866), DP 1866,1,425; Charles Aubry, Charles Rau, Droit Civil III (3. Aufl. 1856), S. 507; Victor Marcadé, Paul Pont, Explication theorique et pratique, IX (1867), § 377; Marcel Planiol, Georges Ripert, René Savatier, Traité pratique XI (2. Aufl. 1954), § 1559; Laurent Aynès, Pierre Crocq, Sûretés (2. Aufl. 2006), § 284; kritisch A.M.Demante, E.Colmet de Santerre, Cours
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ber entschied sich anders. Zunächst verabschiedete er sich von der gemeinrechtlichen Lehre, dass der Bürge sich nicht auf persönliche Einreden des Hauptschuldners berufen kann: Jede Art der Hauptschuldnerentlassung, auch der persönlich gefasste Klageverzicht, kommt nun wegen des Akzessorietätsprinzips auch dem Bürgen zugute56. § 776 schützt den Bürgen vor einem Verlust nicht nur von früheren, sondern auch von später bestellten Sicherheiten, doch nur im Fall der vorsätzlichen Aufgabe durch den Gläubiger. Einen weiterreichenden Schutz, der auch die nachlässige Rechtsverfolgung durch den Gläubiger umfasst, lehnte der Gesetzgeber ab, zum einen mit dem begrifflichen Argument, der Bürgschaftsvertrag sei nur einseitig verpflichtend, zum anderen aus der Besorgnis, die Bürgschaft könne sonst ihre Funktion als effektives Kreditsicherungsmittel verlieren57. Diese Entscheidung, an der die Rechtsprechung grundsätzlich festhält, ist nach 1900 in der Literatur immer wieder kritisiert worden58.
3. Mitbürgen Bei den zwei älteren römischen Bürgschaftsarten, der sponsio und der fidepromissio, wurden Mitbürgen durch besondere Gesetze geschützt: Eine lex Appuleia gewährte dem Mitbürgen, der die Schuld gezahlt hatte, ein anteiliges Regressrecht gegen die übrigen; später beschränkte eine lex Furia die Haftung schon im Außenverhältnis, so dass Mitbürgen gegenüber dem Gläubiger zu Teilschuldnern wurden59. Diese Gesetze galten aber nicht für die jüngere fideiussio, die Vorbild der gemeinrechtlichen Bürgschaft wurde. Hier haftete jeder Mitbürge auf das Ganze60. Hatten sich die Mitbürgen aufgrund einer internen Abrede gemeinschaftlich verpflichtet, kam ein Rückgriff auf vertraglicher Grundlage in Betracht. Ein (in heutiger Terminologie) gesetzlicher Ausgleichsanspruch war dagegen unbekannt, so dass insbesondere Bürgen, die sich unabhängig voneinander verpflichtet hatten (im Folgenden: Nebenbürgen), untereinander keine eigenen Regressrechte hatten61. Stattdessen standen ihnen zwei andere Rechte zu. analytique VIII (1884), § 270 bis III; Jacques Mestre, Subrogation (1979), § 619; Philippe Simler, Cautionnement, 3. Aufl., 2000, § 836; Michel Cabrillac, Christian Mouly, Sûretés, 8. Aufl., 2007, § 309. 56 Horst Heinrich Jakobs, Werner Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Schuldverhältnisse III, 1983, S. 471 f. 57 Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse III (Fn. 56), S. 511 ff. 58 Hierzu Knütel, Festschrift für Flume I (Fn. 33), S. 587 ff.; Nicolas Fontaine, Diligenzpflichten, 1985; Matthias Pfeiffer, Nebenpflichten des Bürgschaftsgläubigers, 1991; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht (Rn. 7), Rz. 245 ff.; MüKo/Habersack § 765 Rz. 84 ff., § 776 Rz. 1, 8. 59 Gai III, 121-123, s.a. IV, 22. 60 Gai III, 121; Inst. 3,20,4; Modestin D. 46,1,39; Severus C.8,40,3; Gordian C.8,40,16; Diocletian C.8,40,21. Etwas anderes galt, wenn sich die Bürgen als Teilschuldner verpflichtet hatten, Papinian D. 46,1,51 pr. 61 Gai III, 122; Inst. 3,20,4; Modestin D. 46,1,39; Alexander C.8,40,11.
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Auch wenn jeder Bürge grundsätzlich auf das Ganze haftete, konnte doch der in Anspruch genommene Mitbürge mittels einer Teilungseinrede vom Gläubiger verlangen, den noch geschuldeten Betrag auf die zur Zeit der Inanspruchnahme solventen Bürgen aufzuteilen62. Dieses beneficium divisionis machte die Mitbürgen nicht zu originären Teilschuldnern. Erst durch Erhebung der Einrede kam es zu einer ex nunc wirkenden Teilung des zu dieser Zeit noch geschuldeten Betrags, wobei die Anteile der inzwischen insolventen Mitbürgen auf die solventen verteilt wurden, während eine Zahlungsunfähigkeit einzelner Bürgen nach der Teilung zulasten des Gläubigers wirkte. Daneben konnte derjenige Mitbürge, der das Ganze zahlte, weil er die Teilungseinrede (etwa wegen Verzichts) nicht erheben konnte oder wollte, schon nach klassischem Recht vom Gläubiger die Abtretung der Klagen gegen die Mitbürgen verlangen, um hierdurch anteiligen Regress zu nehmen63. Diesem Zessionsregress kam eine wesentlich bedeutendere Rolle zu als der Zessionsregress gegen den Hauptschuldner, weil er unter Nebenbürgen den Rückgriff überhaupt erst ermöglichte. Die Entlassung eines Mitbürgen durch den Gläubiger musste vor diesem Hintergrund besondere Probleme aufwerfen: Es drohte die Gefahr, dass der verbleibende Mitbürge sowohl seine Teilungseinrede als auch den Zessionsregress, bei fehlendem Innenverhältnis also seine einzige Rückgriffsmöglichkeit, verlor, so dass sich die Frage stellt, ob er wegen der Entlassung gegenüber dem Gläubiger eine Einrede geltend machen konnte. Doch ein Schutz des Mitbürgen vor einer Regressvereitelung war dem römischen Recht den überlieferten Quellen nach zu urteilen offenbar unbekannt. Zwar befreite eine mit einem Bürgen vereinbarte acceptilatio auch sämtliche Mitbürgen64, doch dies galt wegen der erfüllungsähnlichen Wirkung der acceptilatio unabhängig von der Regresslage. Bei einer Entlassung mittels pactum de non petendo kam es darauf 62
Gai III, 121; Inst. 3,20,4; Gaius D. 46,1,26; Papinian D. 27,7,7, D. 46,1,49,1, D. 46,1,51, D. 46,1,52,1; Ulpian D. 46,1,10 pr.-1, eod., 27; Paulus D. 46,1,28; Severus C.8,40,3; Alexander C.8,40,10,1; Justinian C.4,18,3. Eine Ausnahme galt für Bürgen, welche die Forderungen des Mündels gegen den Vormund sicherten, Papinian D. 46,6,12. Vgl. Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 234 ff., 1027 ff. 63 Julian D. 46,1,17 (89 dig.): Fideiussoribus succurri solet, ut stipulator compellatur ei, qui solidum solvere paratus est, vendere ceterorum nomina. Die Worte paratus est deuten offenbar nicht darauf hin, dass der belangte Mitbürge freiwillig zahlte, etwa weil er als sponsor nur Teilschuldner war oder weil ihm die Teilungseinrede zugestanden hätte, vgl. Medicus, Klagenkauf, in: Festschrift für Max Kaser, 1976, S. 391, 395 f.; Schmieder, Duo rei (Fn. 19), S. 259 ff. Ferner Severus C.8,40,2; Alexander C.8,40,11; Diocletian C.8,40,21; zugunsten der Vormundbürgen (denen die Teilungseinrede nicht zustand) Papinian D. 46,6,12. Damit konnte der leistende Bürge auch auf Pfänder zugreifen, die ein Mitbürge gestellt hatte, Paulus D. 46,1,59. Weil die Leistung eines Bürgen an den Gläubiger den Hauptschuldner und damit auch sämtliche Mitbürgen befreite und abzutretende Klagen damit nicht mehr bestanden, wurde das Geschäft zum Klagenkauf und die Leistung zur Zahlung des Kaufpreises umgedeutet, vgl. Julian D. 46,1,17; Paulus D. 36,1,36. Nach Modestin, D. 46,1,39, musste daher die Abtretung schon vor der Leistung vereinbart worden sein; anders Paulus D. 46,1,36. Hierzu etwa Medicus, FS Kaser, 391 ff.; Christian Emunds, Solvendo quisque pro alio liberat eum, 2007, 69 ff.; Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 413 ff. 64 Das folgt sowohl aus der Gesamtwirkung der acceptilatio im Verhältnis zwischen Bürge und Hauptschuldner als auch aus Ulpian D. 46,4,16 pr.
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an, ob dem entlassenen Mitbürgen Rückgriffsansprüche Dritter drohten. Das war bei Mitbürgen, zumindest im Fall von Nebenbürgen, gerade nicht der Fall. Nach einem Fragment von Paulus sollte daher ein mit einem Bürgen geschlossener Klageverzicht nicht den Mitbürgen zugutekommen65. Eine Stelle von Julian behandelt den Fall zweier Mitbürgen, die sich jeweils in Höhe von 20 verbürgt haben. Einer der Mitbürgen gibt oder verspricht dem Gläubiger 5, um ihn von einer Klage abzuhalten. Der andere Mitbürge wird dadurch nicht befreit, der Klage des Gläubigers auf 15 kann er keine Einrede entgegensetzen66. Dies bedeutet offenbar, dass dem anderen Mitbürgen die Teilungseinrede nicht (mehr) zusteht. Nimmt man an, dass es sich um Nebenbürgen handelt und der Gläubiger mit dem ersten Mitbürgen einen Klageverzicht vereinbarte, dann führt auch die hierdurch bewirkte Regressvereitelung nicht zu einer Einrede des verbleibenden Mitbürgen. Die Frage beschäftigte die gemeinrechtlichen Schriftsteller. Die Rechtsverhältnisse der Mitbürgen waren im Wesentlichen dieselben geblieben wie im römischen Recht. Grundsätzlich haftete jeder in solidum, also für das Ganze67. Dem in Anspruch genommenen Mitbürgen stand eine Teilungseinrede zu68, auf die in der 65
Paulus D. 2,14,23 pr. (3 ed.): Fideiussoris autem conventio nihil proderit reo, quia nihil eius interest a debitore pecuniam non peti. Immo nec confideiussoribus proderit. Wahrscheinlich hat die Stelle den Fall unabhängiger Nebenbürgen vor Augen. Ob dasselbe auch im Falle eines Regress begründenden Innenverhältnisses unter den Mitbürgen gelten sollte, ist nicht sicher. Zum ausnahmsweisen Schutz durch die Arglisteinrede Paulus D. 2,14,25,2; Ulpian D. 2,14,26. 66 Julian D. 46,1,15,1 (51 dig.): Si ex duobus, qui apud te fideiusserant in viginti, alter, ne ab eo peteres, quinque tibi dederit vel promiserit, nec alter liberabitur et, si ab altero quindecim petere institueris, nulla exceptione summoveris: reliqua autem quinque si a priore fideiussore petere institueris, doli mali exceptione submoveris. 67 Siehe etwa Domat, Loix civiles (Fn. 40), § 1871; Höpfner, Commentar (Fn. 41), §§ 814, 841; Friedrich Christian Glück, Erläuterungen IV, 1796, S. 518; Thibaut, Pandekten (Fn. 40), § 952; Mühlenbruch, Pandekten (Fn. 40), § 491 Fn. 1; Windscheid, Pandekten (Fn. 40), § 479; Dernburg, Pandekten (Fn. 41), § 81 I; Hasenbalg, Bürgschaft (Fn. 40), S. 468. Strittig war dies nur für den Fall der gemeinschaftlich eingegangenen Mitbürgschaft, bei dem ein Teil der Lehre im 19. Jahrhundert die gemeinrechtliche Teilschuldvermutung anwenden wollte, etwa Unterholzner, Schuldverhältnisse (Fn. 40), Rz. 750, Nr. 10; Christian Friedrich Koch, Recht der Forderungen III, 2. Aufl., 1859, S. 1044; von Holzschuher, Theorie II/2 (Fn. 47), S. 854, 878 f. Dagegen die herrschende Lehre, etwa Donellus (Fn. 40), zu C.8,40(41),3, § 1; Vinnius (Fn. 40), zu Inst. 3,20(21),4, §§ 1, 5; Voet (Fn. 40), zu D. 46,1, § 24; Pothier, Obligations (Fn. 40), § 415; Seuffert, Pandekten (Fn. 40), § 384; Julius Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 1864, S. 269 f.; Arndts, Pandekten (Fn. 46), § 354; OAG Kiel, SeuffA 11 Nr. 40 (1855). 68 Dies galt nach ganz herrschender Lehre auch für Nebenbürgen. Siehe etwa Donellus (Fn. 40), zu C.8,40(41),3, §§ 2 ff.; Hugo Grotius, Inleiding, 1631, Ausgabe Oxford 1926, 3,3,28-29; Vinnius (Fn. 40), zu Inst. 3,20(21),4, § 2; Voet (Fn. 40), zu D. 46,1, §§ 21 ff.; Domat, Loix civiles (Fn. 40), § 1871; Höpfner, Commentar (Fn. 41), § 843; Wiguläus Xaver von Kreittmayr, Anmerkungen über den Codicem Maximilianeum Bavaricum Civilem IV, 1759, S. 569 ff.; Pothier, Obligations (Fn. 40), §§ 415 ff.; Unterholzner, Schuldverhältnisse (Fn. 40), Rz. 176, 750; Appelius, AcP 16 (1833), 280, 292 ff.; Girtanner, Bürgschaft II (Fn. 40), S. 457 ff.; ders., AcP 43 (1860), 275 ff.; Sintenis, Civilrecht II (Fn. 40), § 89 Fn. 47, § 129 bei Fn. 59; Hasenbalg, Bürgschaft (Fn. 40), S. 466 ff.; Windscheid, Pandekten (Fn. 40), § 293 bei Fn. 9, § 479; Brinz, Pandekten (Fn. 41), § 236 Nr. 5, § 256 Nr. 1; Arndts, Pandekten (Fn. 46), § 355 Anm. 6; Dernburg, Pandekten (Fn. 41), § 78 Nr. 3, § 81 II 1. – Die Rechtsprechung im 19. Jahrhundert gewährte die Einrede teilweise nur
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Praxis aber wohl häufig verzichtet wurde. Ein eigenes gesetzliches Rückgriffsrecht gab es nicht69; der leistende Bürge konnte lediglich vom Gläubiger die Abtretung der Klagen gegen die Mitbürgen verlangen70. Hatte aber der Gläubiger den Mitbürgen zuvor aus der Haftung entlassen, konnte ein leistender Nebenbürge keinen Regress mehr nehmen. Zumindest ein Teil der Schriftsteller wollte dem in Anspruch genommenen Mitbürgen unter diesen Umständen eine Einrede gegen den Gläubiger gewähren71. Vereinzelt findet sich die Lösung, dass der verbleibende Bürge trotz der Entlassung des Mitbürgen nach wie vor die Teilungseinrede erheben kann und damit im Ergebnis nur seinen Kopfteil schuldet72. Das offenbar entgegenstehende Juden gemeinschaftlichen Mitbürgen, etwa ObHG Mannheim, SeuffA 3 Nr. 263; OAG Darmstadt, SeuffA 14 Nr. 234 (1841); OAG Wiesbaden, SeuffA 13 Nr. 27 (1854); teilweise auch den Nebenbürgen, etwa ObTr Stuttgart, SeuffA 6 Nr. 43 (1852); OAG Lübeck, SeuffA 25 Nr. 25 (1870); OAG Kiel, SeuffA 40 Nr. 19 (1884); ROHGE 4, 325, 329 (1871). 69 Donellus (Fn. 40), zu C.8,40(41),11, §§ 1 ff.; Vinnius (Fn. 40), zu Inst. 3,20(21),4, § 8; Voet (Fn. 40), zu D. 46,1, § 28; Domat, Loix Civiles (Fn. 40), § 1887; Sell, ZCRPr 4 (1831) 17 ff.; Savigny, Obligationenrecht I (Fn. 41), S. 273 ff.; Unterholzner, Schuldverhältnisse (Fn. 40), Rz. 534 II, Rz. 747; Seuffert, Pandekten (Fn. 40), § 386; Vangerow, Pandekten (Fn. 47), § 573 Anm. 3 (S. 85); Brinz, Pandekten (Fn. 41), § 256 Nr. 2; Sintenis, Civilrecht II (Fn. 40), § 89 Fn. 52, S. 149; Windscheid, Pandekten (Fn. 40), § 294 a.E., § 481 Nr. 3; Jhering, JhJb 10 (1871) 245, 344 f.; Unger, JhJb 22 (1884), 207, 272 f. Aus der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts OAG Dresden, SeuffA 17 Nr. 39 (1862); OAG München, SeuffA 22 Nr. 237 (1868); OAG Oldenburg, SeuffA 28 Nr. 225 (1873); RGZ 18, 235, 236 f. („unzweifelhaft“, 1886). – Zur gemeinrechtlichen Praxis, auf den Nachweis einer besonderen Abtretung durch den Gläubiger zu verzichten, womit man sich im Ergebnis einem gesetzlichen Forderungsübergang annäherte, Voet (Fn. 40), zu D. 46,1, § 30 a.E.; Pothier, Obligations (Fn. 40), § 445; im Ergebnis ähnlich Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864) 11, 139 f.; Dernburg, Pandekten (Fn. 41), § 81 II 2. Für eine Vermutung der Abtretung Hasenbalg, Bürgschaft (Fn. 40), S. 417 ff., 428 ff.; OAG Kiel, SeuffA 7 Nr. 313 (1853); OAG Rostock, SeuffA 17 Nr. 40 (1863); OAG München, SeuffA 22 Nr. 142 (1867); RGZ 18, 235, 240 f. (1886). Vgl. Mestre, Subrogation (Fn. 55), § 17; HKK/Haferkamp, Bd. III (noch nicht erschienen), §§ 765-778, Rz. 82; Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 1089 ff. Selbstverständlich konnte sich ein Rückgriffsrecht aus einem vertraglichen Innenverhältnis ergeben, vgl. OAG Dresden, SeuffA 17 Nr. 39 (1862); AG Flensburg, SeuffA 20 Nr. 132 (1867). 70 Donellus (Fn. 40), zu C.8,40(41),11, § 5; Grotius, Inleiding (Fn. 68), 3,3,31; Vinnius (Fn. 40), zu Inst. 3,20(21),4, § 9; Voet (Fn. 40), zu D. 46,1, § 27; Domat, Loix Civiles (Fn. 40), § 1887; Pothier, Obligations (Fn. 40), §§ 427, 445, 556; Höpfner, Commentar (Fn. 41), § 845; Mühlenbruch, Cession (Fn. 41), S. 412; Puchta, Pandekten (Fn. 41), § 405; Vangerow, Pandekten (Fn. 47), § 573 Anm. 3 (S. 85); Seuffert, Pandekten (Fn. 40), § 385; Goldschmidt, ZHR 14 (1870), 415 ff.; Brinz, Pandekten (Fn. 41), § 256 Nr. 3; Sintenis, Civilrecht II (Fn. 40), § 129 bei Fn. 55; Windscheid, Pandekten (Fn. 40), § 294 a.E., § 481 Nr. 3; Hasenbalg, Bürgschaft (Fn. 40), S. 428 ff. Aus der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts OAG Celle, SeuffA 12 Nr. 12 (1856), SeuffA 20 Nr. 36 (1865); ObTr Stuttgart, SeuffA 12 Nr. 117 (1857), SeuffA 31 Nr. 140 (1874), SeuffA 32 Nr. 235 (1876); OAG Oldenburg, SeuffA 28 Nr. 225 (1873); ROHGE 4, 325, 328 (1871); ROHGE 19, 383, 386 (1876); RGZ 18, 235, 237 (1886). – Anders nur Savigny, Obligationenrecht I (Fn. 41), S. 274 ff. Dem folgte das OAG Dresden, SeuffA 17 Nr. 39 (1862); offen gelassen in RG SeuffA 54 Nr. 150 (1899). 71 Zum Folgenden Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 1098 ff. 72 Windscheid, Pandekten (Fn. 40), § 479; Dernburg, Pandekten (Fn. 41), § 81 II 1, § 82 Nr. 3; Goldschmidt, JhJb 26 (1888) 345, 367 ff. Dagegen Girtanner, Bürgschaft II (Fn. 40), S. 461; Hasenbalg, Bürgschaft (Fn. 40), S. 470, 487 ff.
Erlass und Regressgefährdung bei Bürgschaft und Gesamtschuld
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lian-Fragment sollte entweder nur von der exceptio pacti, nicht vom beneficium divisionis, handeln oder einen Fall voraussetzen, in dem auf die Teilungseinrede verzichtet worden war. Häufiger nahm man aber einen Schutz über das peremptorische beneficium cedendarum actionum an: Wenn der Gläubiger zur Abtretung der Klage gegen den Mitbürgen nicht mehr in der Lage sei, könne er für den Anteil dieses Mitbürgen den verbleibenden Bürgen nicht in Anspruch nehmen73. Beide Ansichten erschienen mit den römischen Quellen nur schwer vereinbar. Bei Mitbürgen konnte man sich auch nicht auf eine erst durch Justinian eingeführte Reform berufen, weil das Abtretungsrecht für sie schon im klassischen Recht anerkannt war. Es gab daher auch die Ansicht, dass das beneficium cedendarum actionum sich von vornherein nur auf die Klagen beziehen könne, die der Gläubiger im Zeitpunkt der Inanspruchnahme noch habe74. Die Einrede beruhe lediglich darauf, dass der Gläubiger arglistig handle, wenn er die Abtretung einer Klage verweigere, die ihm selbst nichts mehr nutze, und könne keine Pflicht des Gläubigers zum Erhalt von Klagen begründen. Nach dieser Ansicht war der Regress des Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner nur durch die Einrede der Vorausklage und der Mitbürgenregress gar nicht geschützt. Die Frage, ob und wie der Mitbürgenregress gegenüber Störungen seitens des Gläubigers zu schützen sei, war im 19. Jahrhundert sowohl in der Literatur als auch innerhalb der Rechtsprechung umstritten75. In den Kodifikationen und Entwürfen des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts findet sich ein ganzer Strauß unterschiedlicher Gestaltungen des Mitbürgenregresses, wobei häufig noch zwischen sich gemeinschaftlich verpflichtenden Mitbürgen und Nebenbürgen unterschieden wurde76. Eine Teilungseinrede kannten nur noch der CMBC, der Code Civil und, in modifizierter Form, das Züricher Gesetzbuch77. Nach dem Schweizer Obligationenrecht haftete bei gemeinschaftlicher Mitbürgschaft der einzelne nur als Nachbürge für den Anteil seines Mitbürgen78, so dass sich das Problem der Regressvereitelung durch das Akzessorietätsprinzip erle73
Voet (Fn. 40), zu D. 2,14, § 14, zu D. 46,1,§ 29; Chop, AcP 15 (1832), 50, 68 ff.; Unterholzner, Schuldverhältnisse (Fn. 40), § 180 III 2; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855) 1, 36 f.; Puchta, Pandekten (Fn. 41), § 405; Arndts, Pandekten (Fn. 46), § 357 mit Anm. 2; Dernburg, Pandekten (Fn. 41), § 82 Nr. 3 mit Fn. 7; OAG Celle, SeuffA 20 Nr. 36 (1865); ähnlich ObTr Stuttgart, SeuffA 31 Nr. 140 (1874). Teilweise beschränkte man die Einrede auf Klagen gegen Mitbürgen, auf die sich der in Anspruch genommene Bürge bei Eingehung seiner Verpflichtung verlassen hatte, so Pothier, Obligations (Fn. 40), §§ 557, 617; von Holzschuher, Theorie II/2 (Fn. 47), S. 881; Knorr, AcP 28 (1846), 175; ObTr Stuttgart, SeuffA 7 Nr. 311 (1854). 74 Insbesondere Girtanner, Bürgschaft II (Fn. 40), S. 468 ff.; ferner Kreittmayr, Anmerkungen IV (Fn. 68), S. 578 m.w.N.; Mühlenbruch, Cession (Fn. 41), S. 436 ff.; Hasenbalg, Bürgschaft (Fn. 40), S. 402 ff., 489, 575 ff.; Sintenis, Civilrecht II (Fn. 40), § 129 Fn. 59. 75 Eine Einrede wegen der Entlassung eines Mitbürgen gewährten das OAG Celle, SeuffA 20 Nr. 36 (1865); und das Reichsgericht, RGZ 18, 235, 237 ff. (1886). 76 Ausführlich Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 1105 ff. 77 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (CMBC, 1756), IV 10 §§ 12-13; CC Art. 2026 (heute Art. 2303); ZürGB § 1797 i.V.m. §§ 935, 948. 78 OR 1882, Art. 496 I i.V.m. Art. 497; heute OR Art. 497 I i.V.m. Art. 498.
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digte. In der Praxis wurden und werden aber auch in Frankreich und in der Schweiz Solidarbürgschaften im Sinne einer Ganzhaftung jedes Bürgen vereinbart79. Interessanterweise schloss ein großer Teil der Regelwerke, darunter auch das preußische ALR, einen Regress unter Nebenbürgen vollständig aus80, so dass sich auch hier das Problem einer Regressstörung nicht stellte. Soweit aber ein Rückgriffsrecht (mit oder ohne Forderungsübergang) unter Mitbürgen bestand, verwendeten die Regelwerke unterschiedliche Instrumente zum Schutz des Bürgen bei der Entlassung eines Mitbürgen: a) Nach dem Schuldgemeinschaftsmodell haftet der verbleibende Mitbürge in voller Höhe, kann aber gegenüber dem entlassenen Regress nehmen. Diese Gestaltung wurde manchmal für sich gemeinschaftlich verpflichtende Mitbürgen gewählt81, offenbar aufgrund der Erwägung, dass hier ein vertragliches Innenverhältnis besteht, in das der Gläubiger nicht eingreifen kann. Das einzige Gesetzbuch, welches das Schuldgemeinschaftsmodell auch für Nebenbürgen vorsah, war das österreichische ABGB. Der verbleibende Bürge wurde dadurch geschützt, dass der Erlass gegenüber einem Mitbürgen dessen Ausgleichspflicht unberührt ließ82. Einen besonderen Schutz des Zessionsregresses, der grundsätzlich allen Mitbürgen zustand, durch einen Erlass aber vereitelt wurde, sah das Gesetz nicht vor. b) In anderen Regelwerken hatte der Erlass gegenüber einem Mitbürgen beschränkte Gesamtwirkung, befreite also die verbleibenden Mitbürgen in Höhe des Innenanteils des entlassenen83.
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Zu Frankreich etwa Marcadé/Pont, Explication IX (Fn. 55), § 204; Simler, Cautionnement (Fn. 55), §§ 85, 527, 533. Bei handelsrechtlichen Bürgschaften wird hier von vornherein eine Solidarbürgschaft vermutet, hierzu Eva Schmid, Mehrheit von Sicherungsgebern, 2000, 74 ff. 80 ALR I 14 §§ 378-379 (hierzu Gruchot, Gruch 16 [1872], 766 ff.; RGZ 7, 184 [1882]); Entwurf eines BGB für das Königreich Bayern (CMBC-RevE, 1811), IV 10 § 15 Nr. 2; SächsE § 875; ferner der Hessische Entwurf, das Sächsische Gesetzbuch und das Schweizer Obligationenrecht von 1882, die nur den Fall der gemeinschaftlichen Mitbürgschaft regelten, vgl. HessE IV 2 Art. 584, 608; SächsGB § 1458 und Eduard Siebenhaar, Sächsisches Privatrecht, 1872, 706 Fn. 1; OR von 1882, Art. 496; zur österreichischen Praxis Ende des 19. Jahrhunderts OGH GlU Nr. 8353 (1881); Moritz von Stubenrauch, Commentar ABGB II, 8. Aufl., 1903, § 1359 Anm. 2. 81 ALR I 14 § 390; SächsE § 881; i.E. auch das Sächsische Gesetzbuch und der Dresdener Entwurf, nach denen der Regress unter gemeinschaftlichen Mitbürgen aufgrund des vertraglichen Innenverhältnisses stattfindet, SächsGB §§ 1036, 1458; DresdE Artt. 16, 933. 82 ABGB § 1363 Satz 2; zur Entstehungsgeschichte Julius Ofner (Hg.), Ur-Entwurf II (1889), S. 444. 83 BayE II Art. 873 i.V.m. Art. 232; HessE IV 1 Art. 350. Ebenso, trotz des Wortlauts von Art. 1287 III CC, die französische Rechtsprechung und Lehre, etwa Marcadé/Pont, Explication IV, 1873, §§ 807 f. m.w.N.; Demante/Colmet, Cours analytique V, 2. Aufl., 1883, § 237 bis II; C.Demolombe, Cours de Code Napoléon, Bd. 28, 1884, §§ 467 f.; Simler, Cautionnement (Fn. 55), §§ 748 f.; Cabrillac/Mouly, Sûretés (Fn. 55), § 297; Cass 1 civ (18.5.1978) Bull civ I Nr. 195; (11.7.1984) Bull civ I Nr. 229; (26.5.1994) Bull civ I Nr. 187.
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c) Schließlich kam auch ein Schutz über das Aufgabeverbot in Betracht, nach dem ein Bürge frei wird, soweit der Gläubiger Sicherheiten aufgibt, die der Bürge für seinen Regress nutzen kann84. Hier findet sich vereinzelt das Modell eines Stufenregresses, wonach der später eintretende Bürge ein volles Rückgriffsrecht gegenüber einem früheren Bürgen hat und bei dessen Entlassung wegen des Aufgabeverbots frei wird, während der frühere Bürge keinen Regress gegen den späteren hat und daher bei dessen Entlassung keine Einrede erheben kann85. Eigentümlich war die Regelung des Dresdener Entwurfs, wonach dem leistenden Nebenbürgen zwar kein eigenes Rückgriffsrecht, wohl aber ein Zessionsregress mittels Forderungsübergang zukam, und zwar mangels Innenverhältnis in voller Höhe, so dass der zuerst Leistende vollständigen Regress nehmen konnte86. Bei der Entlassung eines Bürgen wurde der verbleibende Nebenbürge durch das Aufgabeverbot vollständig frei87. Dem BGB-Gesetzgeber, der im Bürgschaftsrecht wie sonst auch auf rechtsvergleichender Grundlage arbeitete, standen daher für den Mitbürgenregress verschiedene Regelungsmodelle zur Verfügung. Er entschied sich sowohl gegen den Stufenregress, der auf den Zeitpunkt der Bürgenverpflichtung abstellte, als auch gegen die Regelung des Dresdener Entwurfs, die auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme abstellte, als auch gegen eine völlige Regresslosigkeit. Vielmehr sollte unter sämtlichen Mitbürgen ein anteiliger Regress in Form des Gesamtschuldrückgriffs stattfinden, der durch einen anteiligen Forderungsübergang abgesichert wurde88. Über die verschiedenen Möglichkeiten, den Mitbürgenregress im Fall eines Erlasses zu schützen, wurde in den Beratungen offenbar nicht diskutiert. Die Entlassung eines Mitbürgen war von Anfang an vom Aufgabeverbot des heutigen § 776 umfasst, das zur anteiligen Befreiung des verbleibenden Bürgen führt89. 84 Vgl. zum französischen Recht CC Art. 2037 (n.F. Art 2314); Marcadé/Pont, Explication IV (Fn. 83), § 807; Planiol/Ripert/Savatier, Traitè pratique XI (Fn. 55), § 1555; Cass civ (13.6.1939) Gaz Pal 1939 II 290; zum Schweizer Recht ZürGB § 1802; OR 1882, Art. 508; BGE 20, 612 (1894); BGE 26 II 248 (1900). 85 Zum preußischen Recht Christian Friedrich Koch, Allgemeines Landrecht I/2, 2. Aufl., 1856, zu ALR I 14 § 338, Anm. 54-55, zu I 14 § 390, Anm. 82; ALR-RevE 1831, §§ 304, 313, 353, 363, Motive S. 794 ff.; zum österreichischen Recht Franz Xaver Nippel, Erläuterung ABGB VIII/1, 1835, § 1358 Anm. 9-10, § 1360 Anm. 4; Joseph Winiwarter, Oesterreichisches bürgerliches Recht V, 1838, § 16. Gemeinrechtlich findet sich dieses Modell nur bei Knorr, AcP 28 (1846) 170 f., 173. 86 DresdE Art. 16, 933, 940; Dresdener Protokolle (abgedruckt in: Werner Schubert (Hg.), Protocolle der Commission, 1984), S. 3454 ff. 87 DresdE Art. 948. 88 Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse III (Fn. 56), S. 479, 496 f., 503 (Erste Kommission); Prot. 2531, in: Benno Mugdan (Hg.), Materialien zum BGB, Bd. II (1899), S. 1027 (Zweite Kommission); vgl. Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 1136 ff. 89 Vgl. Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse III (Fn. 56), S. 511 ff.
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4. Gesamtschuldner Das römische Recht kannte verschiedene Fallgruppen, in denen ein Gläubiger eine bestimmte Leistung von mehreren Schuldnern jeweils in voller Höhe verlangen konnte und die Leistung eines Schuldners die übrigen befreite. Ein allgemeiner Gesamtschuldbegriff war aber unbekannt90. Gesamtschuldner, die sich im Rahmen einer gemeinschaftlichen Stipulation verpflichtet hatten, wurden rei promittendi oder kurz duo rei genannt. Für sie finden sich in den Quellen eine Reihe von Regeln, die teilweise wohl auch für andere Gruppen von Vertragsgesamtschuldnern und manchmal vielleicht sogar auch für sonstige Gesamtschuldfälle anwendbar waren. Ein Regress war mit dem Gesamtschuldverhältnis als solchem nicht verbunden91. Bei vertraglichen Gesamtschulden fand der Rückgriff auf Grundlage des Innenverhältnisses unter den Gesamtschuldnern statt, das gewöhnlich eine societas war92, im Einzelfall aber auch ein mandatum sein mochte. Solidarisch haftende Miterben und Miteigentümer konnten die actio familiae erciscundae93 bzw. communi dividundo94 zu Hilfe nehmen. Bei den selten vorkommenden gesetzlichen Gesamtschulden gewähren die Quellen in Einzelfällen, etwa bei Mitvormündern95 oder der Haftung von Hausbewohnern im Rahmen der actio de effusis vel deiectis96, ein besonderes Rückgriffsrecht. Vereinbarte der Gläubiger mit einem Gesamtschuldner eine acceptilatio, wurden wegen ihrer erfüllungsgleichen Wirkung auch die anderen Gesamtschuldner frei97. Komplizierter ist die Lage bei einem mit nur einem Schuldner vereinbarten pactum de non petendo. Mehrere Quellen verneinen eine Wirkung des pactum zugunsten eines anderen Stipulations-Gesamtschuldners98. Nach einer Stelle aber soll ein pactum, durch das 90
Hierzu Schmieder, Duo rei (Fn. 19), passim; Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 508 ff. Wesener, Labeo 11 (1965), 350 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht I (Fn. 15), § 154 IV 5; Schmieder, Duo rei (Fn. 19), S. 161 ff.; Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 263 ff., 561 ff. 92 Gaius D. 15,1,27,8; Paulus D. 14,1,3, D. 14,1,14; Ulpian D. 14,3,13,2. 93 Paulus D. 10,2,25,10-11, D. 10,2,44,8, D. 45,1,2,2. 94 Scaevola D. 15,1,51; Julian D. 10,3,25; African D. 10,3,9; Gaius D. 15,1,27,8; Paulus, D. 10,3,8,4, D. 10,3,15, D. 14,3,14; Ulpian D. 14,3,13,2. 95 Julian D. 3,5,29; Papinian D. 26,7,38,2, D. 27,3,21; Ulpian D. 27,3,1,13-14 und § 18; Diocletian C.5,51,6; Carinus C.5,52,2 pr. und § 3; Antoninus C.5,58,2. 96 Paulus D. 9,3,4. 97 Überliefert ist dies in erster Linie für Stipulations-Gesamtschuldner, Javolen D. 45,2,2; Julian D. 30,82,5; Ulpian D. 4,4,27,2, D. 34,3,3,3; Paulus D. 34,3,29, D. 39,6,35,6; Modestin D. 5,2,12,3; hierzu Schmieder, Duo rei (Fn. 19), S. 99 ff. Allgemeiner gefasst ist aber Ulpian D. 46,4,16. 98 Julian (54 dig.) D. 46,3,34,11: Qui perpetua exceptione se tueri potest, solutum repetit et ideo non liberatur. Quare si ex duobus reis promittendi alter pepigerit, ne ab eo peteretur, quamvis solverit, nihilo minus alter obligatus manebit. – Ulpian (23 Sab.) D. 34,3,3,3: Nunc de effectu legati videamus. Et si quidem mihi liberatio sit relicta, cum solus sim debitor, sive a me petatur, exceptione uti possum, sive non petatur, possum agere, ut liberer per acceptilationem. Sed et si cum alio sim debitor, puta duo rei fuimus promittendi, et mihi soli testator consultum voluit, agendo consequar, non ut accepto liberer, ne etiam conreus meus liberetur contra testatoris voluntatem, 91
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eine vertraglich vereinbarte Verschuldenshaftung eines Verwahrers zugunsten der gesetzlichen Arglisthaftung abgemildert wird, dann dem solidarisch haftenden Mitverwahrer zugutekommen, wenn zwischen den Schuldnern eine societas besteht99. Daneben ist eine Katene von Paulus überliefert100. In D. 2,14,23,1 findet sich die schon genannte Grundregel, dass sich ein Dritter auf das pactum berufen kann, wenn dies dem paktierenden Schuldner unmittelbar zugutekommt, etwa wenn der Dritte ein Interzedent ist101. Danach heißt es in D. 2,14,25 pr.: Idem in duobus reis promittendi et duobus argentariis sociis. Die Stelle ist mehrdeutig. Sociis kann sich entweder nur auf argentariis oder aber auch auf duobus reis promittendi beziehen, so dass unklar ist, ob idem nur für Gesellschafter-Gesamtschuldner oder für alle Fälle von Stipulations-Gesamtschuldnern gilt. Idem selbst könnte sich entweder auf die Grundregel beziehen, dass es auf den Nutzen für den Paktierenden ankommt, oder auf die Drittwirkung des pactum im Falle der Interzession. Danach könnte man der Stelle entnehmen, dass ein pactum stets dann Wirkung zugunsten eines anderen Stipulations-Gesamtschuldners entfaltet, wenn die Schuldner durch eine societas verbunden sind. Statt dessen könnte man ihr auch die Bedeutung zuschreiben, dass die Grundregel, wonach die Drittwirkung des pactum vom Nutzen für den Paktierenden abhängt, für alle Fälle der Stipulations-Gesamtschuld gilt, so dass ein Mitschuldner sich dann auf das pactum berufen kann, wenn er gegenüber dem Paktierenden regressberechtigt wäre. In D. 2,14,25,1 heißt es dann, dass ein pactum in personam sich weder auf einen anderen noch auf einen Erben erstreckt102. Für Stipulations- und vielleicht auch für andere vertragliche Gesamtschuldner galt demnach offenbar Folgendes: Ein pactum de non petendo in rem kam dem Mitschuldner dann zugute, wenn es ein besonderes Innenverhältnis gab, entweder nur im Fall der societas103 oder immer dann, wenn der Mitschuldner vertraglich regressberechtigt war. Ob das pactum den Mitschuldner dann in voller Höhe oder nur in Höhe seines Regressrechts befreite, ist nicht ganz klar; der Wortlaut der Stellen sed pacto liberabor. Sed quid si socii fuimus? Videamus, ne per acceptilationem debeam liberari: alioquin, dum a conreo meo petitur, ego inquietor. Et ita Iulianus libro trigesimo secundo digestorum scripsit, si quidem socii non simus, pacto me debere liberari, si socii, per acceptilationem. S.a. Paulus D. 46,1,71,1 ( etiam). Vgl. zum Folgenden Schmieder, Duo rei (Fn. 19), S. 129 ff., m.w.N. 99 Papinian (27 quaest.) D. 45,2,9,1: Sed si quis in deponendo penes duos paciscatur, ut ab altero culpa quoque praestaretur, verius est non esse duos reos, a quibus inpar suscepta est obligatio. Non idem probandum est, cum duo quoque culpam promisissent, si alteri postea pacto culpa remissa sit, quia posterior conventio, quae in alterius persona intercessit, statum et naturam obligationis, quae duos initio reos fecit, mutare non potest. Quare si socii sint et communis culpa intercessit, etiam alteri pactum cum altero factum proderit. 100 Paulus 3 ed., D. 2,14,21,5, D. 2,14,23, D. 2,14,25, D. 2,14,27. 101 Neque enim quoquo modo cuiusque interest, cum alii conventio facta prodest, sed tunc demum, cum per eum, cui exceptio datur, principaliter ei qui pactus est proficiat: sicut in reo promittendi et his qui pro reo obligati sunt. 102 Personale pactum ad alium non pertinere, quemadmodum nec ad heredem, Labeo ait. 103 Dagegen spricht nicht Ulpian D. 34,3,3,3 (oben), wonach bei einer gewünschten Gesamtwirkung unter Gesellschafter-Gesamtschulden zum Mittel der acceptilatio gegriffen werden soll, denn dies war die gewöhnliche Form beim Befreiungslegat.
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spricht eher für eine vollständige Gesamtwirkung. Ein pactum de non petendo in personam hatte entweder stets Einzelwirkung104 oder wurde ebenso wie ein pactum in rem behandelt105. Um ein Problem der Regressvereitelung geht es in den genannten Quellen nicht. Da der Rückgriff vertraglicher Natur war, konnte er durch ein pactum zwischen dem Gläubiger und dem Regresspflichtigen nicht zunichtegemacht werden. Soweit dem pactum eine Drittwirkung zukam, geschah dies allein zum Schutz des paktierenden Schuldners vor Regressansprüchen Dritter. Eine Regressstörung seitens des Gläubigers käme aus heutiger Sicht überhaupt nur dann in Frage, wenn der vertragliche Rückgriff des Mitschuldners durch eine Überleitung der Gläubigerforderung abgesichert worden wäre. Die wenigen Quellen, die von einer Pflicht des Gläubigers sprechen, Klagen an den leistenden Vertragsgesamtschuldner abzutreten106, sind aber offenbar nachklassisch, vielleicht erst justinianisch, und sagen zur Regressstörung nichts. Anders könnte es sich bei gesetzlichen Gesamtschulden ohne vertragliche Innenbeziehung verhalten haben. Sofern ein Rückgriff nur mit Hilfe der übergeleiteten Gläubigerklage möglich war, bestünde die Möglichkeit, dass der Gläubiger diesen Rückgriff durch eine vorherige Entlassung des regresspflichtigen Gesamtschuldners vereitelt. Quellen zur Einzelbefreiung eines Schuldners finden sich nur bei der Haftung mehrerer Vormünder, die ungeteilt das Mündelvermögen verwalten107. Nach Ulpian D. 27,3,15 kommt ein durch das Mündel mit nur einem Vormund geschlossener Vergleich den anderen Vormündern nicht zugute108. Weil ein dolus communis erwähnt ist, wird häufig angenommen, dass die Stelle nicht von der actio tutelae, sondern von der älteren actio rationibus distrahendis handle109. Darauf kommt es im Ergebnis aber nicht an: Auch bei der actio rationibus distrahendis hafteten mehrere verantwortliche Vormünder nicht kumuliert, sondern solidarisch110. Ein Regress zwischen vorsätzlich handelnden Gesamtschuldnern schloss das römische
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Hierfür spricht D. 2,14,25,1. So Schmieder, Duo rei (Fn. 19), S. 137 f., 141, wegen D. 45,2,9,1. 106 Marcellus D. 19,2,47; Valerian C.4,65,13; vgl. Ernst Levy, Konkurrenz I, 1918, S. 217 f., 238; Wesener, Labeo 11 (1965) 353, 355; Kaser, Römisches Privatrecht I (Fn. 15), § 154 IV 5; ders., Römisches Privatrecht II, 2. Aufl., 1975, § 277 II 2; Schmieder, Duo rei (Fn. 19), S. 193 ff., 200 f. 107 Hierzu etwa Levy, SZ RA 37 (1916), 14; Schmieder, Duo rei (Fn. 19), S. 268 ff.; Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 506 ff. 108 Ulpian D. 27,3,15 (1 disp.): Si ex duobus tutoribus cum altero quis transegisset, quamvis ob dolum communem, transactio nihil proderit alteri, nec immerito, cum unusquisque doli sui poenam sufferat. Quod si conventus alter praestitisset, proficiet id quod praestitit ei qui conventus non est: licet enim doli ambo rei sint, tamen sufficit unum satisfacere, ut in duobus, quibus res commodata est vel deposita quibusque mandatum est. 109 Fridolin Eisele, AcP 77 (1891) 374, 456; Julius Binder, Korrealobligationen, 1899, S. 195, 347 ff.; Levy, Konkurrenz II/1, 1922, S. 252 ff.; Schmieder, Duo rei (Fn. 19), S. 279 f. 110 Liebs, Klagenkonkurrenz (Fn. 45), S. 181 ff., 185 f., 249; Kaser, Römisches Privatrecht II (Fn. 106), § 271 II 4; Schmieder, a.a.O. Anders Eisele, Binder und Levy, a.a.O., die den zweiten Satz von D. 27,3,15 für interpoliert halten. 105
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Recht aber aus111. Konnte beiden Vormündern ein dolus zur Last gelegt werden, war die Einzelwirkung des Vergleichs selbstverständlich, weil es keinen Rückgriff gab, den der Vergleich beeinträchtigen konnte. Außerhalb des Sonderfalls des dolus gibt es mit C.2,4,1 ein Reskript von Antoninus, das die Wirkung eines mit einem Pfleger oder Vormund vereinbarten pactum oder Vergleichs zugunsten anderer Pfleger oder Vormünder kategorisch verneint112. Anders liest sich demgegenüber die Stelle Paulus D. 26,7,45 (14 quaest.): Si pupillus alterum ex tutoribus post pubertatem liberasset, improbe alterum illius nomine conabitur interpellare. Umstritten ist, ob sich liberasset auf eine acceptilatio oder auf ein pactum de non petendo bezieht113. Die solutionsgleiche Wirkung der acceptilatio und die allgemeine Fassung von Ulpian D. 46,4,16 legen nahe, dass eine acceptilatio auch bei solidarisch haftenden Vormündern stets Gesamtwirkung hatte. In dieser Allgemeinheit drückt sich die Stelle aber nicht aus: Das Mündel handelt unredlich, wenn es zuerst den Vormund V1 befreit und dann den anderen Vormund V2 illius nomine belangt; V2 steht daher eine Einrede, offenbar eine exceptio doli, zu. Wahrscheinlich geht es daher um ein pactum de non petendo, auf das sich aus besonderen Gründen auch der Vormund V2 berufen kann. Was waren aber diese Gründe? Denkbar ist, dass der paktierende Vormund V1 vor einem Regress seitens V2 geschützt werden sollte114. Dies setzt aber voraus, dass V2 ein Rückgriff zur Verfügung stand, der die Entlassung von V1 überdauerte. Hierfür gibt es kein Anzeichen in den Quellen. Gewöhnlich fand der Regress unter Mitvormündern mit Hilfe der abgetretenen Klage des Gläubigers statt. Als procurator konnte V2 aber nicht mehr Rechte geltend machen als der Gläubiger selbst, der durch das pactum gebunden war. Bei der daneben in den Quellen erwähnten actio utilis115 handelt es sich wahrscheinlich ebenfalls um die Gläubigerklage gegen den regresspflichtigen Vormund, die nach der Leistung des Mitvormunds fiktiv (weil eigentlich durch die Leistung erloschen) auf diesen übergeleitet wurde116. Doch selbst wenn es sich um eine analoge Geschäftsführerklage gehandelt hätte, fiele sie nach der Entlassung von V1 offenbar weg, weil der danach leistende V2 nun kein Geschäft von V1 mehr besorgte. Wahrscheinlich geht es daher nicht um den Schutz von V1, sondern von V2. Hier könnte man an die Mitvormündern gewährte Einrede der Teilung denken. Entweder verliert V2 durch die Entlassung von V1 die Einrede und muss daher geschützt wer111
Ulpian D. 27,3,1,14; vgl. Paulus D. 9,4,9, eod., 17 pr.; Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 563 f., 568. 112 Antoninus C.2,4,1: Neque pactio neque transactio cum quibusdam ex curatoribus sive tutoribus facta auxilio ceteris est in his, quae separatim communiterve gesserunt vel gerere debuerunt. Cum igitur tres curatores habueris et cum duobus ex his transegeris, tertium convenire non prohiberis. (211). 113 Vgl. Binder, Korrealobligationen (Fn. 109), S. 181 f., 192; Levy, SZ RA 37 (1916), 46; Schmieder, Duo rei (Fn. 19), S. 282 m.w.N. 114 So Binder, Korrealobligationen (Fn. 109), 180 f.; Levy, SZ RA 37 (1916), 46. 115 Ulpian D. 27,3,1,13-14.; Antoninus C.5,58,2. 116 So Seiler, Negotiorum gestio (Fn. 28), S. 189 ff., m.w.N.
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den, oder die Einrede bleibt bestehen und hat zur Folge, dass V2 nur noch für seinen internen Anteil belangt werden kann, nicht mehr illius nomine, d. h. nicht mehr in Höhe des internen Anteils von V1117. Dies würde aber voraussetzen, dass die Teilungseinrede für Mitvormünder schon im klassischen Recht und insbesondere von Paulus anerkannt war, was nicht sicher ist118. Zudem gewährte die Teilungseinrede im Parallelfall der Entlassung eines Mitbürgen offenbar keinen Schutz119. Illius nomine könnte stattdessen auch so verstanden werden, dass der Gläubiger V2 von vornherein wegen einer Handlung von V1 in Anspruch nimmt. Dies war bei der Haftung von Mitvormündern im römischen Recht nicht selten. V2 könnte ein sog. Zessant gewesen sein120, der die ihm übertragende Mitverwaltung des Mündelvermögens gar nicht aufgenommen hat und bei einer Pflichtverletzung des verwaltenden Vormunds V1 ebenfalls auf das Ganze haftet, nach Kaiserrecht aber nur subsidiär121. V1 und V2 könnten aber auch gemeinsam berufene Mitvormünder gewesen sein122. In diesem Fall haftete bei einer Pflichtverletzung durch V1 auch V2, selbst wenn er sich mit der konkreten Verwaltung nicht befasst hatte123. Es war wohl gerade dieser Fall, der dem Regress unter Mitvormündern (in Form eines Totalregresses von V2 gegen V1) ursprünglich zugrunde lag124. Die Gesamtwirkung des pactum würde dann darauf beruhen, dass V2 kein eigenes Verschulden traf, sondern dass er allein wegen einer Handlung von V1 in Anspruch genommen wurde, was unredlich erschien, wenn V1 zuvor entlassen und damit der Regress von
117 So Schmieder, Duo rei (Fn. 19), S. 281; aus dem 19. Jahrhundert Arndts, Pandekten (Fn. 46), § 215. 118 Eine Teilungseinrede für Mitvormünder wird erwähnt in Papinian D. 27,7,6; Ulpian D. 27,3,1,10-12; Modestin D. 26,7,31; nicht aber in Tryphonin D. 26,7,55 pr.; Carinus C.5,52,2; Diocletian C.5,51,6. Klassisch ist die Teilungseinrede nach Schmieder, Duo rei (Fn. 19), S. 268 ff., justinianisch nach Seiler, Negotiorum gestio (Fn. 28), S. 177, 189, 196; nach Liebs, Klagenkonkurrenz (Fn. 45), 64, 187 f., spiegeln die Quellen einen Meinungsstreit im klassischen Recht wieder. 119 Oben, 3, bei Fn. 66. 120 So im 19. Jahrhundert Georg Julius Ribbentrop, Correal-Obligationen, 1831, S. 78 ff.; Windscheid, Pandekten (Fn. 40), § 298 Fn. 6; Ludwig Mitteis, Individualisierung, 1886, 74; Binder, Korrealobligationen (Fn. 109), S. 296. 121 Scaevola D. 27,1,37,1; Papinian D. 26,7,39,11; Ulpian D. 46,6,4,3; Papinian/Ulpian D. 50,8,4; Paulus D. 23,2,60,3, D. 27,1,35; Antoninus C.5,54,2; Alexander C.5,55,1, eod., 2; Gordian C.5,64,1; Diocletian C.5,51,6,1, C.5,38,5, C.5,52,3. 122 So Levy, SZ RA 37 (1916), 45. 123 Tryphonin D. 26,7,55 pr. und §§ 2-3; Julian D. 27,8,5; Ulpian D. 27,3,1,13; Antoninus C.5,58,2; Gordian C.5,75,4; Carinus C.5,52,2,3. In manchen Quellen wird die Haftung von V2 mit einer Verletzung seiner Überwachungspflicht begründet, etwa Papinian D. 26,7,39,16, eod., 41, D. 46,6,12; Marcian D. 27,1,29,1; Julian D.27,8,5; Paulus D. 26,7,14, eod., 46,6, eod., 53; Alexander C.5,56,2. Hier könnte es sich um justinianisches Recht handeln, das die Mitvormundshaftung auf ein Verschulden gründete, so Levy, SZ RA 37 (1916) 14. Es könnte sich aber auch um Fälle handeln, in denen die Verwaltung unter den Vormündern von vornherein aufgeteilt war, so dass an sich jeder nur für seinen Bereich einstehen musste und nur bei besonderem Verschulden für den Mitvormund haftete. Hiervon handeln offenbar Ulpian D. 26,7,9,8, D. 27,3,1,15; Carinus C.5,52,2,1-2. 124 Vgl. Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 561 ff.
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V2 zunichtegemacht worden war. Dann würde es sich um eine Ausnahme von der in C.2,4,1 genannten Regel der Einzelwirkung von pacta handeln. Die gemeinrechtliche Gesamtschulddiskussion konzentrierte sich auf das sog. Korrealschuldverhältnis, das man zunächst mit den duo rei des römischen Rechts gleichsetzte, später bei allen rechtsgeschäftlichen und deliktischen Solidarhaftungen bejahte und im 19. Jahrhundert schließlich auf vertragliche und testamentarische Gesamtschulden beschränkte125. Die Rechtsfolgen der Befreiung nur eines Gesamtschuldners entnahm man den Regeln zur römischen Stipulations-Gesamtschuld, wobei die Aufteilung in pacta in rem und in personam zunehmend einer Auslegung des konkreten Parteiwillens wich. Erklärte der Gläubiger gegenüber dem Gesamtschuldner S1, die Schuld als solche nicht einklagen zu wollen, wurden auch die übrigen Gesamtschuldner befreit, wenn sie socii von S1 waren126 oder, weitergehend, wenn sie gegenüber S1 ein Rückgriffsrecht hatten127. Nach ganz herrschender Lehre waren die Mitschuldner dann vollständig befreit, nicht nur in Höhe ihres Regressrechts128. Die Frage, ob schon aus der Korrealschuld als solcher ein Regressverhältnis folge, war stets umstritten. Im 19. Jahrhundert wurde sie überwiegend verneint; der Rückgriff des Mitschuldners musste daher auf dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis oder auf einer besonderen gesetzlichen Grundlage beruhen129. Der Gläubiger konnte aber auch, in der Tradition des pactum de non petendo in personam, mit einem Gesamtschuldner eine nur einzelwirkende Befreiung vereinbaren, auf die sich die Mitschuldner dann nicht berufen konnten130. Umstritten war lediglich, ob ein solches Geschäft nur in Form eines Klageverzichts oder auch im Wege eines schuldaufhebenden Erlasses möglich war. Hierbei ging es aber nicht um ein Problem der Regressstörung, sondern um die Konstruktion des Korrealschuld125
Näheres bei Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 53 ff., 515 ff., 1069 ff. So Donellus, Commentarii de iure civili, 1590, Ausgabe Rom/Macerata 1828 ff., lib 16, cap. 25, §§ 8, 11; ders., Commentarii in codicem (Fn. 40), zu C.8,39(40), Kap. 7, §§ 2-4; Voet (Fn. 40), zu D. 2,14, § 8 a.E.; Vangerow, Pandekten (Fn. 47), § 573 Anm. 5, II 2 (S. 104, 107 f.); Hermann Fitting, Correalobligationen, 1859, S. 93 ff.; Johann Adam Fritz, ZCRPr 19 (1862) 55, 89; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse (Fn. 67), S. 293, 298. 127 So Vinnius (Fn. 40), zu Inst. 3,16(17),1, § 3; Glück, Erläuterungen IV (Fn. 67), S. 529; Unterholzner, Schuldverhältnisse (Fn. 40), Rz. 227 Nr. V 3; Ribbentrop, Correal-Obligationen (Fn. 120), 16; Thibaut, Pandekten (Fn. 40), § 138; Savigny, Obligationenrecht I (Fn. 41), S. 176 ff.; Brinz, Pandekten (Fn. 41), § 253 bei Fn. 62; Sintenis, Civilrecht II (Fn. 40), § 89 Fn. 19; E.Zimmermann, KritZ 5 (1859) 146, 162; Windscheid, Pandekten (Fn. 40), § 295 Fn. 4; Unger, JhJb 22 (1884), 267 f.; Mitteis, Individualisierung (Fn. 120), S. 79; Dernburg, Pandekten (Fn. 41), § 73 Nr. 4 c; Binder, Korrealobligationen (Fn. 109), 185 ff.; Obertribunal Berlin, SeuffA 24 Nr. 109 (1868). Nachweise zur älteren Literatur bei Vangerow, Pandekten (Fn. 47), § 573 Anm. 5, II 2 (S. 105). 128 Stellvertretend J.R.Braun, Erörterungen I, 1831, S. 239 f.; Vangerow, Pandekten (Fn. 47), § 573 Anm. 5, II 2 a (S. 104 f.) m.w.N. 129 Näheres bei Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 270 ff. 130 Etwa Voet (Fn. 40), zu D. 45,2, § 5; Braun, Erörterungen I (Fn. 128), S. 239; Thibaut, Pandekten (Fn. 40), § 138; Koch, Recht der Forderungen II, 2. Aufl., 1859, S. 31; Vangerow, Pandekten (Fn. 47), § 573 Anm. 5, II 2 (S. 104); Savigny, Obligationenrecht I (Fn. 41), S. 173; Fitting, Correalobligationen (Fn. 126), S. 93 ff.; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse (Fn. 67), S. 293; Dernburg, Pandekten (Fn. 41), § 73 Nr. 4 c; zweifelnd Brinz, Pandekten (Fn. 41), § 253 bei Fn. 62. 126
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verhältnisses131: Bestand, wie zumeist angenommen wurde, eine Obligationseinheit im Verhältnis zwischen dem Gläubiger und allen Schuldnern, hätte ein verfügender Erlass die Aufhebung der gesamten Korrealschuld zur Folge, so dass die Herausnahme eines einzelnen Schuldners aus dem Korrealschuldverhältnis nur mittels schuldrechtlichen Klageverzichts möglich war132. Nahm man dagegen mit der Mehrheit der Schriftsteller des späteren 19. Jahrhunderts eine echte Obligationsmehrheit an, so war auch ein Einzelerlass denkbar, der die Schuld des Befreiten aufhob133. Den gemeinrechtlichen Schriftstellern war klar, dass eine auf die Person des vertragsschließenden Gesamtschuldners beschränkte Befreiung für diesen nur von begrenztem Nutzen war, wenn er nach wie vor den Regressansprüchen seiner Mitschuldner ausgesetzt war, wie es in erster Linie für vertraglich vereinbarte Regressrechte galt. Dies wurde aber hingenommen: Zum einen haftete der Befreite zumindest nur noch für seinen internen Anteil und trug nicht mehr das Insolvenzrisiko der Mitschuldner, zum anderen konnte er, wollte er auch vor Regressansprüchen sicher sein, mit dem Gläubiger eine auch die Mitschuldner einbeziehende Befreiung (ein pactum in rem im traditionellen Sinne) vereinbaren134. Vereinzelt wurde auch auf die Möglichkeit einer beschränkten Gesamtwirkung aufmerksam gemacht, wonach die Mitschuldner nur in Höhe des Innenanteils des vertragsschließenden Schuldners befreit werden sollten135. Vor diesem Hintergrund fragten sich die Verfasser der deutschsprachigen Kodifikationen und Entwürfe des 19. Jahrhunderts, ob dem Einzelerlass im Gesamtschuldverhältnis Einzelwirkung oder beschränkte Gesamtwirkung zukommen sollte, welche Rechtsfolge also die typischerweise interessengerechtere und damit dem mutmaßlichen Parteiwillen entsprechende sei. Im Ergebnis entschied sich die Mehrheit der Regelwerke für die Einzelwirkung136, während andere eine beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses vorsahen137. Auch bei den Beratungen zum BGB war die Frage kontrovers: Der Schuldrechtsredaktor von Kübel sah in seinem ersten
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Hierzu Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 53 ff. So etwa Friedrich Ludwig Keller, Litis Contestation, 1827, S. 447 f.; Brinz, Kritische Blätter 4 (1853) 1, 31 f.; E.Zimmermann, KritZ 5 (1859), 162; Fitting, Correalobligationen (Fn. 126), S. 95. 133 So Johannes Emil Kuntze, Obligation und Singularsuccession, 1856, S. 228; Sintenis, Civilrecht II (Fn. 40), § 89 Fn. 19; Unger, JhJb 22 (1884), 269; Dernburg, Pandekten (Fn. 41), § 73 Nr. 4 c. 134 Sintenis, Civilrecht II (Fn. 40), § 89 Fn. 19 a.E.; Binder, Korrealobligationen (Fn. 109), S. 190 f.; in diesem Sinne auch Obertribunal Stuttgart, SeuffA 23 Nr. 115 (1863); ROHGE 14, 179 (1874). 135 Koch, Forderungen II (Fn. 130), S. 31 f.; E.U. Seuffert, in Seuffert, Pandekten (Fn. 40), § 291 Fn. 2 a; Alois Mages, Gesammtschuldverhältnisse, 1872, S. 131 ff.; ferner die bei Vangerow, Pandekten (Fn. 47), § 573 Anm. 5, II 2 (S. 105) zitierten Schriftsteller. 136 ALR I 5, § 437; ABGB §§ 894, 896 S. 3; SächsE § 606 S. 2; SächsGB § 1030 S. 2; DresdE Art. 383 S. 2; OR von 1881, Art. 166 II (heute Art. 147 II). 137 CC Art. 1285; HessE IV 1, Art. 346 I; BayE II, Art. 232. 132
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Vorentwurf die Einzelwirkung vor138. Bei ihren Vorberatungen beschloss die Erste Kommission dagegen, im Falle einer Regresspflicht unter den Gesamtschuldnern dem Einzelerlass beschränkte Gesamtwirkung zukommen zu lassen, um den Entlassenen auch vor Regresspflichten zu bewahren139. Wahrscheinlich auch wegen des Widerstands seitens von Kübel entschied sich die Erste Kommission in ihren Hauptberatungen wiederum anders und sah nun wieder die Einzelwirkung vor. Werde der Entlassene im Regresswege in Anspruch genommen, so wurde argumentiert, könne er sich an den Gläubiger halten140. Bei dieser Einzelwirkung ist es dann, trotz entgegenstehender Anträge in der Reichsjustizamtskommission und der Zweiten Kommission141, geblieben. Nach Ansicht des Gesetzgebers sollte § 423 BGB zum Ausdruck bringen, dass der mit nur einem Gesamtschuldner vereinbarte Erlass im Zweifel (nämlich wenn keine vollständige Gesamtwirkung vereinbart war) nur Einzelwirkung hatte. Hierüber haben sich, wie berichtet, Rechtsprechung und Lehre im 20. Jahrhundert durch Anerkennung eines Erlasses mit beschränkter Gesamtwirkung hinweggesetzt. Die Frage wird auch in modernen Regelwerken unterschiedlich gelöst142, und die Argumente für und gegen eine bestimmte Lösung werden auch heute noch vorgebracht. Gegen die beschränkte Gesamtwirkung spricht in erster Linie, dass der Zugriff des Gläubigers auf den Mitschuldner seiner Höhe nach gleich von zwei fremden Rechtsverhältnissen abhängig wäre, nämlich vom Verhältnis zwischen dem Gläubiger und dem befreiten Gesamtschuldner (Bestehen und Umfang des Erlasses) und vom Verhältnis unter den Gesamtschuldnern (Umfang des Regressrechts). Verspricht der Gläubiger dem vertragsschließenden Gesamtschuldner eine endgültige Befreiung und wird dieser dann von seinen Mitschuldnern in Anspruch genommen, ist er trotz Einzelwirkung nicht schutzlos, weil er den Gläubiger aufgrund der vertraglichen Abrede in Anspruch nehmen kann143. Gegen die Einzelwirkung spricht, dass der Erlass bei Aufrechterhaltung der Regresspflicht für den entlassenen Schuldner praktisch kaum von Wert ist. Soll der Entlassene aber im 138
Vorentwurf 1878, § 14. Hierzu Motive, 43 f. (in: Werner Schubert [Hg.], Vorlagen der Redaktoren, Schuldverhältnisse III, 1980, 1255 f.). 139 Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse I, 1978, S. 901. Ergebnis: Vorentwurf 1882, § 13 Satz 2; hierzu Motive, S. 38 und 41 (Schubert, Vorlagen, Schuldverhältnisse I, 1980, S. 90, 93). 140 Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse I (Fn. 139), S. 937 f. Ergebnis: E I, § 332; hierzu Mot II, S. 165 (Mugdan, Materialien II, S. 91). 141 RJA-Kommission: Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse I, S. 949 f.; Zweite Kommission: Prot., S. 888 f. (Mugdan, Materialien II, S. 609). 142 Für die Einzelwirkung etwa das moderne niederländische BW, Art. 6:14; für die beschränkte Gesamtwirkung etwa der ital. Codice Civile, Art. 1301, und die PECL, Art. 10:108 I. Im DCFR, Art. III-4:109, ist grundsätzlich die beschränkte Gesamtwirkung, bei Schadensersatz-Gesamtschulden hingegen die Einzelwirkung vorgesehen. Moderne Rechtsvergleichung bei Daniel Friedmann, Nili Cohen, Adjustment among Multiple Debtors (1991), International Encyclopedia of Comparative Law X (2007), ch. 11, §§ 37 ff.; Tony Weir, Complex Liabilities (1976), IECL XI (1986), ch. 12, §§ 100, 125 f. 143 Vgl. Dresd. Prot. 1460 ff., 4259 ff.; Franz von Kübel, Motive zum Vorentwurf Gesamtschuld von 1878, S. 43 f. (Schubert, Schuldverhältnisse III [Fn. 138], S. 1255 f.); aus der heutigen Literatur Reinhard Bork, Vergleich, 1988, S. 341 ff.
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Fall seiner Inanspruchnahme durch die Mitschuldner einen Rückgriff gegenüber dem Gläubiger haben, wird ein überflüssiger Regresskreisel begründet, den die beschränkte Gesamtwirkung vermeidet144. Sowohl die gemeinrechtlichen Schriftsteller als auch die Verfasser der Regelwerke des 19. Jahrhunderts behandelten die Frage nach der Wirkung des Einzelerlasses im Gesamtschuldverhältnis also unter dem Blickwinkel, ob und wie der entlassene Gesamtschuldner vor weiterhin bestehenden Regressansprüchen seiner Mitschuldner geschützt werden sollte. Wesentlich weniger Aufmerksamkeit wurde der ganz anderen Frage gewidmet, ob die Entlassung eines Gesamtschuldners den Regress des Mitschuldners beeinträchtigte. Bei den trotz Entlassung weiterhin bestehenden Rückgriffsansprüchen dachte man offenbar an vertragliche Ausgleichsansprüche. Diese können durch eine Vereinbarung eines Gesamtschuldners mit dem Gläubiger nicht berührt werden. Ein Problem der Regressstörung konnte sich aber dann stellen, wenn der Gesamtschuldregress mit Hilfe der abgetretenen Gläubigerforderung stattfand. Auch wenn die ganz herrschende Lehre im 19. Jahrhundert eine schon aus der Gesamtschuld folgende Regresspflicht ablehnte, nahm ein größerer Teil der Schriftsteller ohne Weiteres eine Pflicht des Gläubigers an, dem zahlenden Gesamtschuldner seine Ansprüche gegen die Mitschuldner abzutreten. Dieser Regressweg war aber versperrt, wenn der Mitschuldner zuvor entlassen worden war. Ein Schutz des verbleibenden Gesamtschuldners vor der Vereitelung seines Zessionsregresses nach dem Vorbild der Mitbürgen wurde aber nur vereinzelt befürwortet145. Die große Mehrheit der gemeinrechtlichen Schriftsteller ging trotz Annahme eines Abtretungsrechts des leistenden Gesamtschuldners von einer Einzelwirkung des persönlichen pactum de non petendo aus146. Eine Einrede wegen Regressvereitelung stand danach nur dem Bürgen bei Entlassung des Hauptschuldners oder eines Mitbürgen zu, nicht dem gewöhnlichen Gesamtschuldner147. Sein 144
Vgl. Motive zum Bayerischen Entwurf, Teil II, 118; Motive zum Hessischen Entwurf, Teil IV 1, 173; Dresd. Prot. 4259 ff.; von Kübel, Motive zum Vorentwurf Gesamtschuld von 1882, S. 41 (Schubert, Schuldverhältnisse I [Fn. 139], S. 93); aus der französischen Literatur Demolombe, Cours, Bd. 26, 1880, § 394; Demante/Colmet, Cours analytique V (Fn. 83), § 235 bis, § 144 bis I; Planiol/Ripert, Traité pratique VII, 2. Aufl., 1954, § 1078; Jacques Mestre, Marie-Eve Tian, Solidarité passive, Juris-Classeur Civil, Art. 1197-1216 CC, Fasc. 20 (1995) § 79; Philippe Le Tourneau, Jérôme Julien, Solidarité, in: Encyclopédie Dalloz, Répertoire de droit civil (2004), § 113; aus der heutigen deutschen Literatur Frotz, NJW 1965, 1257, 1258 f.; Thiele, JuS 1968, 149, 156 f.; Wacke, AcP 170 (1970) 57 ff.; Josef Esser, Eike Schmidt, Schuldrecht I/2, 8. Aufl., 2000, § 39 II 2 b; Staudinger/Noack, § 423 Rz. 15; Erman/Ehmann § 423 Rz. 4, 10. 145 Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 36 f.; Unterholzner, Schuldverhältnisse (Fn. 40), § 180 III 2 i.V.m. III 1 D. 146 Vgl. Voet (Fn. 40), zu D. 45,2, § 5 und 7; Savigny, Obligationenrecht I (Fn. 41), S. 173, 240 ff.; Georg Christian Burchardi, Römisches Recht II/3, 2. Aufl., 1854, § 247; Puchta, Pandekten (Fn. 41), § 235; Sintenis, Civilrecht II (Fn. 40), § 89, Fn. 19 und Text nach Fn. 51; Brinz, Pandekten (Fn. 41), § 253; Arndts, Pandekten (Fn. 46), § 213; vgl. Baron, Pandekten (Fn. 43), § 245 III. 147 Vgl. Vangerow, Pandekten (Fn. 47), § 573 Anm. 3 und Anm. 5 II 2 (S. 83, 104, 107 f.), § 574 Anm. 3 Nr. 5 (S. 124), § 578 Anm. 4; Windscheid, Pandekten (Fn. 40), §§ 294, 295 bei Fn. 5, 477 Fn. 15, 478 Fn. 6; Wächter, Pandekten (Fn. 46), § 177 III 10, Beilage zu § 195, II 2; Otto Wendt, Pandekten, 1888, §§ 207 a.E., 208 Nr. 2, 270.
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auf der Arglisteinrede beruhendes Zessionsrecht bezog sich offenbar nur auf diejenigen Klagen, die dem Gläubiger zum Leistungszeitpunkt noch zustanden. Eine peremptorische Einrede konnte es hingegen, anders als im Bürgschaftsrecht, nicht begründen148. Anders verhielt es sich bei den Regelwerken. Die Mehrheit sah überhaupt keinen Zessionsregress für Gesamtschuldner vor. Eine Ausnahme bildeten aber der Code Civil, das Züricher Gesetzbuch und das Schweizer Obligationenrecht. Der Zessionsregress fand hier mit Hilfe einer, der Legalzession nach § 426 II BGB vergleichbaren, Subrogation statt. Alle drei Kodifikationen kennen einen Schutz des Gesamtschuldners gegenüber einer Regressstörung durch den Gläubiger. Der Code Civil sieht die beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses vor149. Pothier, auf den die Vorschrift wohl zurückgeht, begründete sie nicht – wie die spätere Literatur – mit dem Schutz des Entlassenen vor Regressansprüchen, sondern mit dem Schutz des verbleibenden Gesamtschuldners gegenüber der Vereitelung seines Zessionsregresses. Die Schuldner, so Pothier, hätten sich unter der Voraussetzung solidarisch verpflichtet, im Fall der Inanspruchnahme Regress nehmen zu können. Der Regress finde aber mit Hilfe der abgetretenen Gläubigerforderung statt. Setze sich der Gläubiger zur Abtretung außerstande, könne er insoweit den verbleibenden Gesamtschuldner nicht mehr belangen150. Das Züricher Gesetzbuch und das Schweizer Obligationenrecht sahen eine Vorschrift vor, wonach der Gläubiger die rechtliche Lage eines Solidarschuldners nicht zulasten eines anderen verbessern darf151. Erfasst werden sollte damit der Einzelerlass gegenüber einem Gesamtschuldner zulasten der übrigen. Die Vereitelung des Zessionsregresses mittels Einzelerlass bedeutete aus Sicht des 19. Jahrhunderts offenbar die Vereitelung des Gesamtschuldregresses als solchen. Das heutige Schuldgemeinschaftsmodell, wonach unter den Gesamtschuldnern von Anfang an gesetzliche Ausgleichsansprüche bestehen, die durch einen Erlass nicht berührt werden, ist in erster Linie Gedankengut des 20. Jahrhunderts. Der Verfasser des Züricher Gesetzbuchs ging davon aus, dass ein gesetzlicher Gesamtschuldregress gegenüber einem entlassenen Gesamtschuldner nicht mehr möglich war152. Diese Ansicht entsprach offenbar dem zeitgenössischen Denken153. Soweit 148
So ausdrücklich Koch, Allgemeines Landrecht I/2 (Fn. 85), zu I 14 § 304, Anm. 28; Girtanner, Bürgschaft II (Fn. 40), S. 472 f.; OAG Kassel, SeuffA 20 Nr. 21 (25.8.1865). 149 CC Art. 1285 II. 150 Pothier, Obligations (Fn. 40), § 275, unter Hinweis auf das beneficium cedendarum actio num. 151 ZürGB § 944: Der Gläubiger ist mit Rücksicht auf seine Cessionspflicht dafür verantwortlich, daß er nicht nach der Entstehung der Solidarverbindlichkeit die rechtliche Lage des einen Solidarschuldners zum Schaden der übrigen besser stelle; OR von 1882, Art. 168 IV (heute Art. 149 II OR): Der Gläubiger ist dafür verantwortlich, dass er die rechtliche Lage des einen Solidarschuldners nicht zum Schaden der übrigen besser stelle. 152 Johann Caspar Bluntschli, Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich III, 1855, Anm. zu § 944. 153 Ausdrücklich Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 113, 133 f. zum OR. Die heutige Schweizer Literatur geht demgegenüber wie die deutsche davon aus, dass ein Gesamtschuldregress auch gegen
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ein gesetzlicher Rückgriff befürwortet wurde, geschah dies unter Berufung auf die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag und des Bereicherungsrechts154. Die Leistung des verbleibenden Gesamtschuldners konnte aber den bereits Entlassenen nicht mehr befreien und daher weder ein für ihn geführtes Geschäft darstellen noch ihn bereichern. Der verbleibende Gesamtschuldner, dessen Zessionsregress wegen des Einzelerlasses nicht mehr möglich war, sollte also nicht nur vor einer Gefährdung seines Regresses geschützt werden, sondern, wie der Mitbürge, vor einer Vereitelung des Rückgriffs selbst155. Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, ob und inwieweit der verbleibende Schuldner auch in denjenigen Fällen geschützt werden sollte, in denen er einen vertraglichen, und damit entlassungsfesten, Rückgriffsanspruch hatte. Doch in dieser Allgemeinheit wurde die Frage weder bei Gesamtschuldnern noch bei Mitbürgen gestellt. Aufschlussreich ist ein Urteil des Reichsgerichts von 1892156. Der Schuldner S hatte seinem Gläubiger G an seinem Grundstück eine Hypothek bestellt. S veräußerte das Grundstück an E, der vertraglich gegenüber S auch die zugrundeliegende Schuld übernahm. Nach damaligem preußischen Recht wurde E hierdurch zusätzlicher Schuldner des G, so dass S und E Gesamtschuldner waren157. G, der vom Gesamtschuldverhältnis wusste, entwertete die Hypothek durch Rangrücktritt und verlangte dann Zahlung von S. Das Reichsgericht ging davon aus, dass S im Falle seiner Leistung einen vertraglichen Regressanspruch gegen E hätte und daher nach Gemeinem Recht von G die Abtretung der hypothekarischen Forderung verlangen konnte. G hatte sich aber außerstande gesetzt, die Sicherheit in ihrer ursprünglichen Form zu übertragen. Damit habe er, so das Gericht, in Kenntnis
einen entlassenen Schuldner möglich ist, Andreas von Tuhr, Arnold Escher, AT des Schweizerischen Obligationenrechts II, 3. Aufl., 1974, S. 313; Eugen Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht AT, 2. Aufl., 1988, § 27 II 4 b; Peter Gauch, Walter Schluep, Jörg Schmid, Heinz Rey, Schweizer Obligationenrecht AT II, 8. Aufl., 2003, Rz. 3956; Ingeborg Schwenzer, Schweizerisches Obligationenrecht AT, 4. Aufl., 2006, Rz. 88.37; Anton Schnyder, in: Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I, 4. Aufl., 2007, Art. 148 Rz. 2. 154 Vgl. Savigny, Obligationenrecht I (Fn. 41), S. 229; Jhering, JhJb 10 (1871) 331 ff.; Unger, JhJb 22 (1884) 275 f.; Kohler, JhJb 25 (1887) 1, 118 ff.; Crome, JhJb 35 (1896) 100, 126 ff.; Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 268 f., 276 ff. 155 Hierfür spricht auch, dass der Code Civil den Gesamtschuldner zwar bei der Entlassung eines Mitschuldners schützt, nicht aber (anders als den Bürgen) vor der Freigabe einer vom Mitschuldner gestellten Sicherheit (bloße Regressgefährdung). Im 19. Jahrhundert war es daher streitig, ob dem Gesamtschuldner in diesem Fall eine Einrede zustehen sollte, vgl. Aubry/Rau, Droit Civil IV, 4. Aufl., 1871, S. 35 ff.; Demolombe, Cours (Fn. 144), Bd. 26, §§ 495 ff., jew.m.w.N. Durchgesetzt hat sich die verneinende Haltung der Rechtsprechung, vgl. Planiol/Ripert/Savatier, Traitè pratique XI (Fn. 55), § 1558; Henri Mazaud, François Chabas, Leçons de Droit Civil II 1, 9. Aufl., 1998, § 1068; Le Tourneau, Solidarité (Fn. 144), § 84; Simler, Cautionnement (Fn. 55), § 27, jew. m.w.N. 156 RGZ 28, 187 (1892). 157 Preußisches Gesetz über Grundeigenthum und Hypothekenrecht (Eigentumserwerbsgesetz) vom 5.5.1872, § 41. Der Sache nach wurde ein Vertrag zwischen S und E zugunsten G in Form eines Schuldbeitritts fingiert.
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des Gesamtschuldverhältnisses die rechtliche und wirtschaftliche Lage des S verschlechtert, dem deswegen gegenüber G die Arglisteinrede zustehe. Hier handelt es sich um einen Fall, in dem ein Gesamtschuldner nicht vor dem Verlust des Regressrechts als solchen, sondern vor einer Gefährdung seines Regresses geschützt wurde. Zum einen verblieb S sein vertraglicher Anspruch gegen E. Zum anderen hatte G E nicht entlassen, so dass S sich auch der zedierten Gläubigerklage bedienen konnte. G hatte lediglich die Hypothek entwertet. Dies hätte aber zur Folge, dass S seinen Rückgriffsanspruch im Fall der Zahlungsunfähigkeit des E nicht durchsetzen könnte. Deswegen gewährte das Gericht ihm eine Einrede gegenüber G. Ein allgemeiner Satz, dass ein Gläubiger, der die Einzelschuld eines Gesamtschuldners durch Erlass aufhebt, den verbleibenden Gesamtschuldner nicht mehr in voller Höhe belangen kann, lässt sich daraus nicht herleiten. Entscheidend war zum einen, dass die Schuld im konkreten Fall dinglich gesichert war und dass die Sicherheit für den Regress des früheren Eigentümers S eine entscheidende Rolle spielte, zum anderen, dass, wie im Urteil hervorgehoben wurde, G diese Umstände kannte und trotzdem die Sicherheit entwertete. Es handelte sich um eine auf den konkreten Umständen des Falls beruhende Arglisteinrede. Nach dem Recht des BGB wird der Erwerber eines hypothekenbelasteten Grundstücks, der gegenüber dem Veräußerer auch die zugrundeliegende Schuld übernimmt, nur dann Schuldner des Gläubigers, wenn dieser die Schuldübernahme genehmigt; in diesem Fall ist dann der Veräußerer frei, § 416. Verweigert der Gläubiger die Genehmigung, schuldet weiterhin der Veräußerer, während der Erwerber lediglich dinglich haftet. Damit besteht eine ähnliche Lage wie im geschilderten Fall, nur gibt es mangels persönlicher Haftung des Erwerbers kein Gesamtschuldverhältnis. Das Urteil des Reichsgerichts wurde im Ergebnis durch die §§ 1164, 1165 in die Kodifikation aufgenommen158: Leistet der Veräußerer an den Gläubiger, geht die Hypothek auf ihn über, die nun im Wege der Schuldauswechslung den Rückgriffsanspruch sichert. Gibt der Gläubiger die Hypothek auf, wird der Schuldner insoweit frei, wie er aus ihr hätte Ersatz verlangen können. Auch hier geht es nur um eine Gefährdung des Regresses, weil dem Schuldner sein vertraglicher Rückgriff bleibt. Im Gesamtschuldrecht nahm der BGB-Gesetzgeber eine Einrede wegen Regressstörung oder Regressvereitelung, anders als im Hypotheken- und Bürgschaftsrecht, nicht auf, obwohl es Vorbilder, insbesondere in den Schweizer Kodifikationen, gegeben hätte. Die Frage wurde bei den Beratungen offenbar nicht angesprochen. Wahrscheinlich beruht diese Zurückhaltung darauf, dass das Gemeine Recht, wenn auch ein Schutz des Gesamtschuldners bei Regressstörungen und -vereitelungen nicht unbekannt war, keine allgemeine Regel kannte, wonach der leistende Gesamtschuldner ein unbedingtes Recht auf Überleitung der Forderungen gegen die Mitschuldner hatte. 158 Die Vorschrift des heutigen § 1164 wurde in der Ersten Kommission noch als „Anomalie“ abgelehnt (Jakobs/Schubert, Sachenrecht II, 1991, S. 691, 692 f.) und erst zusammen mit § 1165 in der Zweiten Kommission beschlossen, wobei man sich ausdrücklich auf RGZ 28, 187 bezog (Prot. 4501 f., in: Mugdan, Materialien III, S. 848 f.).
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5. Folgerungen Entscheidet sich das Recht, einem Erlass gegenüber dem Schuldner S1 Wirkung auch zugunsten eines anderen Schuldners S2 beizulegen, der für dasselbe Leistungsinteresse haftet, kann dies verschiedene Gründe haben. Möglich ist, dass S1 vor Regressansprüchen des Mitschuldners S2 geschützt werden soll. Auf diesem Gedanken beruht die Gesamtwirkung der pacta in rem nach römischem und Gemeinem Recht. Er kann aber auch die in einigen Regelwerken zu findende beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses im Gesamtschuldverhältnis rechtfertigen. Ein Schutz des entlassenen S1 ist allerdings nur erforderlich, wenn S2 trotz des Erlasses Rückgriffsansprüche haben kann. Historisch war das in erster Linie dann der Fall, wenn S1 und S2 durch ein besonderes Innenverhältnis (Vertrag, Gemeinschaft) verbunden waren, das Rückgriffsansprüche unabhängig von der Haftung im Außenverhältnis begründete. Die (ggf. beschränkte) Gesamtwirkung des Erlasses kann aber auch dem Schutz des Regressinteresses des verbleibenden Schuldners S2 dienen. Hier sind zwei Fälle zu unterscheiden. Der Erlass gegenüber S1 kann den Rückgriff durch S2 vollständig zunichtemachen, insbesondere dann, wenn der Regress allein über die zedierte Gläubigerforderung stattfindet. Ein Schutz gegenüber einer solchen Regressvereitelung wurde gemeinrechtlich häufig den Mitbürgen gewährt, bei denen man wohl in erster Linie an Nebenbürgen ohne vertragliche Innenbeziehung dachte. Doch auch der im Code Civil und in den Schweizer Kodifikationen zu findende Schutz des Gesamtschuldners beim Erlass gegenüber einem Mitschuldner beruht historisch offenbar auf dem Gedanken, dass der Erlass nicht nur den Zessionsregress, sondern den Gesamtschuldregress als solchen vereitele. Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Gläubiger den Regress des Schuldners S2 nicht vereitelt, aber gefährdet. Die Entlassung des Hauptschuldners S1 oder die Freigabe von Sicherheiten seitens des Gläubigers ließ gemeinrechtlich den vertraglichen Rückgriffsanspruch des Auftragsbürgen S2 unberührt, entzog ihm aber die für die Hauptschuld gestellten Sicherheiten, so dass er Gefahr lief, bei Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners mit seinem Regress auszufallen. Hiervor wurde er gemeinrechtlich durch besondere Einreden und wird heute durch § 776 BGB geschützt. Derselbe Gedanke liegt dem genannten Reichgerichtsurteil von 1892 und der Vorschrift des § 1165 BGB zugrunde: Die Aufgabe der Hypothek entzieht dem persönlichen Schuldner nicht seinen vertraglichen Rückgriff gegen den Erwerber, wohl aber die den Regress sichernde Hypothek. In beiden Fallkonstellationen wird der Schuldner also schon bei einer bloßen Gefährdung seines Regresses geschützt. Dies kann damit gerechtfertigt werden, dass die Sicherheiten hier eine besonders wichtige Rolle spielen. Dem leistenden Bürgen nützt ein ungesicherter Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner nichts, wenn dieser, wie häufig, insolvent ist. Dem schuldenden Grundstücksveräußerer, der mit dem Grundstück sein dingliches Recht gegen das bloße Versprechen der Schuldübernahme weggibt, gewährt das Recht eine Hypothek an seinem früheren Grundstück, um seinen Regress gegen den neuen Eigentümer abzusichern.
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Die unterschiedlichen Regelungen der §§ 423 und 776 für Gesamtschuldner und Mitbürgen werden heute aus der Perspektive der Regressgefährdung betrachtet. Nach dem herrschenden Schuldgemeinschaftsmodell entsteht schon mit Begründung der Gesamtschuld ein gesetzliches Schuldverhältnis unter den Gesamtschuldnern, das Ausgleichsansprüche hervorbringt, die vom Fortbestand der Außenhaftung unabhängig sind. Der Einzelerlass nach § 423 kann danach niemals den Rückgriffsanspruch als solchen beseitigen, wohl aber, geht man von einem schuldaufhebenden Erlass aus, den Zessionsregress verhindern und damit den Regress gefährden. Weil Mitbürgen Gesamtschuldner sind, stehen ihnen ebenfalls Rückgriffsansprüche zu, die durch einen Erlass nicht beseitigt werden können. Wenn die Vorschrift des § 776 sie trotzdem schützt, kann dies nur ein Schutz vor einer Vereitelung des Zessionsregresses sein. Mitbürgen sind danach – anders als sonstige Gesamtschuldner – schon vor einer Regressgefährdung seitens des Gläubigers geschützt. Diesen Schutz hat ihnen der BGH in seiner 1992 ergangenen Mitbürgenentscheidung genommen159. Aus historischer Sicht ist es aber zweifelhaft, ob § 776 dem Schutz der Mitbürgen vor einer bloßen Regressgefährdung dienen sollte160. Nach Gemeinem Recht mussten Mitbürgen nicht vor einer Gefährdung, sondern vor einer Vereitelung des Regresses geschützt werden, weil ein Rückgriff gegenüber einem entlassenen Mitbürgen zumindest dann, wenn kein vertragliches Innenverhältnis bestand, nicht mehr möglich war. Ein Schutz vor der Gefährdung eines nach wie vor bestehenden Rückgriffsanspruchs kannte das Recht nur in bestimmten Fallgruppen, in denen Sicherheiten eine bedeutende Rolle spielten. Das war beim Regress unter Mitbürgen nicht der Fall, weil ein Bürge im 19. Jahrhundert gewöhnlich keine Sicherheit für seine Bürgschaftsverpflichtung stellte. Wäre der Gesetzgeber tatsächlich davon ausgegangen, dass dem verbleibenden Mitbürgen gegen den Entlassenen in jedem Fall ein Rückgriffsanspruch zusteht, dann würde die in § 776 vorgesehene beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses erheblich über ihr Ziel hinausschießen: Nur um einen Schutz im seltenen Fall zu erzielen, dass der entlassene Mitbürge insolvent ist und zugleich eine Sicherheit gestellt hatte, werden die verbleibenden Mitbürgen bei jedem Bürgenerlass anteilig frei, obwohl sich ihre Lage im Regelfall, dass der Entlassene keine Sicherheit stellte oder solvent ist, durch den Erlass überhaupt nicht geändert hat, weil sie nach wie vor Regress nehmen können. Diese geradezu unverhältnismäßige Wirkung der Vorschrift bestände allerdings nicht, falls § 776 den verbleibenden Mitbürgen nur dann anteilig befreit, wenn sein Regress gegenüber dem Entlassenen im konkreten Fall tatsächlich unmöglich gemacht wurde. Dies entspricht der Auslegung des BGH im Mitbürgenurteil von 1992161. Unabhängig von ihrer Sachgerechtigkeit erscheint eine solche Auslegung aber mit dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes sowie mit dem Willen des historischen Gesetzgebers nur schwer vereinbar. Ein Schaden des Regressberech159 So ausdrücklich Schanbacher, WM 1998, 1806 f.; s.a. Weber, WM 2001, 1229, 1233 f.; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht (Fn. 7), Rz. 240, 243; dies., Kreditsicherung (Fn. 7), Rz. 284. 160 Zum Folgenden ausführlich Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 1143 ff. 161 BGH NJW 1992, 2286; oben unter 1.
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tigten ist in § 776, anders als in vergleichbaren Vorschriften früherer Regelwerke162, gerade nicht erforderlich. Vielmehr stellt § 776 ebenso wie die Parallelvorschrift des § 1165 auf die Aufgabehandlung selbst ab. Schon zu diesem Zeitpunkt soll feststehen, ob der Bürge bzw. persönliche Schuldner befreit ist. Er soll gerade nicht zuerst einmal an den Gläubiger leisten müssen, um dann später, wenn sein Regress wegen der Aufgabehandlung des Gläubigers nicht durchsetzbar ist, das Geleistete zurückzuverlangen163. Zumindest der Gesetzgeber teilte also nicht die Vorstellung, dass die verbleibenden Mitbürgen wegen ihres nach wie vor bestehenden Rückgriffsanspruchs in voller Höhe haften und sich nur dann auf § 776 berufen können, wenn ihr Regress wegen des fehlenden Forderungsübergangs nicht durchsetzbar ist. Wenn aber Mitbürgen nach dem Willen des Gesetzgebers schon bei einem Einzel erlass gegenüber einem von ihnen anteilig frei werden sollten, worauf beruhte dann diese Befreiung? Vor dem historischen Hintergrund bleibt nur die Annahme übrig, dass der Gesetzgeber sie vor einer Vereitelung des Regresses als solchen schützen wollte164. Auf diesem Gedanken beruhte der Mitbürgenschutz nach Gemeinem Recht. Die Tatsache, dass über § 776 in seiner Wirkung auf Mitbürgen in den Gesetzesberatungen nicht eigens diskutiert wurde, legt nahe, dass der Gesetzgeber sich nicht bewusst von der gemeinrechtlichen Konzeption entfernen wollte. Dies würde aber bedeuten, dass ein Rückgriff gegen einen entlassenen Mitbürgen nach Ansicht des Gesetzgebers ausgeschlossen war. Dies widerspricht der herrschenden Gesamtschulddogmatik, wonach schon mit dem Gesamtschuldverhältnis Ausgleichsansprüche nach § 426 I entstehen, die durch einen Einzelerlass nicht berührt werden. Hatte der Gesetzgeber bei der Schaffung des heutigen § 776 vielleicht übersehen, dass Mitbürgen nach dem heutigen § 769 Gesamtschuldner sind und damit nach dem heutigen § 426 I einen entlassungsfesten Rückgriff haben? Tatsächlich war der Ersten Kommission, auf welche die Vorschrift des § 776 zurückgeht, völlig klar, dass die Gesamtschuldanordnung des heutigen § 769 die Anwendbarkeit des Gesamtschuldregresses zur Folge hatte165. Es handelt sich auch um dieselbe Kommission, die 18 Monate zuvor die Vorschrift des heutigen § 426 beschlossen hatte166. Die für das BGB ohnehin selten zutreffende Annahme, der Gesetzgeber
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ALR I 14 §§ 331-33; ABGB § 1360 (hierzu Nippel, ABGB VIII/1 (Fn. 85), § 1360 Anm. 3; Stubenrauch, ABGB II (Fn. 80), § 1360 Anm. 1); SächsE § 873; HessE IV 2, Art. 611; ZürGB § 1802; OR von 1882, Art. 508, OR von 1911, Art. 509 (hierzu Vischer, ZSchwR 29 [1888] 1, 62 ff., 65; Stooss, ZBJV 47 [1911] 473, 482 ff.). 163 Vgl. Schanbacher, WM 1998, 1806; Staudinger/Horn § 776 Rz. 17; Soergel/Pecher § 776 Rz. 13, 20, 24; zu § 1165 Staudinger/Wolfsteiner (2002) § 1165 Rz. 1, 8 f.; Soergel/Konzen, 13. Aufl., 2001, § 1165 Rz. 3; MüKo/Eickmann, 4. Aufl., 2004, § 1165 Rz. 1, 11-13; A.Dieckmann, WM 1990, 1481, 1483. 164 Im Ergebnis ebenso Wacke, AcP 170 (1970) 62; Staudinger/Horn § 776 Rz. 9. 165 Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse III (Fn. 56), S. 479; ähnlich dann Mot. II, S. 667 (Mugdan, Materialien II, S. 373). 166 Der heutige § 426 wurde von der Ersten Kommission im März 1882 beraten, das Bürgschaftsrecht im September 1883.
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habe eine andere Vorschrift oder frühere Entscheidung übersehen, liegt hier besonders fern. Eine Lösung des Rätsels um § 776 ist möglich, wenn man sich von der Prämisse der herrschenden Lehre löst, dass der Erlass gegenüber einem Gesamtschuldner dessen Ausgleichspflicht aus § 426 I unberührt lässt. Ein solches Schuldgemeinschaftsmodell, wonach schon die Gesamtschuld selbst ein gesetzliches Schuldverhältnis unter den Gesamtschuldnern hervorbringt, das unabhängig von der Forthaftung im Außenverhältnis ist, ergibt sich nicht aus dem Wortlaut des § 426. Es war auch dem 19. Jahrhundert fremd. Soweit man sich überhaupt für einen schon mit der Gesamtschuld selbst verbundenen Rückgriff aussprach, stützte man diesen auf den Gedanken, dass der leistende Gesamtschuldner zugleich seinen Mitschuldner von der Haftung befreit und damit ein Geschäft für ihn geführt oder ihn ungerechtfertigt bereichert hatte. Das setzt aber grundsätzlich voraus, dass der Mitschuldner zum Leistungszeitpunkt gegenüber dem Gläubiger verpflichtet war. Die Annahme, dass der Gesetzgeber demgegenüber ein ganz neues Modell mit entlassungsfesten Rückgriffsansprüchen einführen wollte, kann sich nicht auf die Entstehungsgeschichte des § 423 stützen. Zwar ging es bei der heftig umkämpften Frage, ob dem Einzelerlass Einzelwirkung oder beschränkte Gesamtwirkung zukommen sollte, darum, ob der entlassene Gesamtschuldner vor Rückgriffsansprüchen der verbleibenden Mitschuldner geschützt werden sollte. Im Ergebnis entschied man sich gegen die beschränkte Gesamtwirkung und verwies den Gesamtschuldner, der trotz Entlassung regresspflichtig war, an den Gläubiger167. Doch bei den Regressansprüchen der Mitschuldner, die trotz des Erlasses fortbestehen, dachte man offenbar gar nicht an den gesetzlichen Gesamtschuldregress aus § 426 I, sondern an vertragliche Rückgriffsansprüche, die schon nach allgemeinen Regeln einen Erlass überdauern und wegen derer sich auch schon im 19. Jahrhundert die Frage nach der beschränkten Gesamtwirkung des Einzelerlasses gestellt hatte. Von einem entlassungsfesten gesetzlichen Gesamtschuldrückgriff war im 19. Jahrhundert nie die Rede. Für diese Auslegung spricht auch, dass die Erste Kommission, die schon 1879 einen auf dem Gesamtschuldverhältnis beruhenden Regress beschlossen hatte, die (zwischenzeitlich vorgesehene) beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses auf die Fälle beschränkte, in denen unter den Gesamtschuldnern eine Ausgleichspflicht bestand168. Diese Einschränkung wäre aber, wenn schon der allgemeine Gesamtschuldregress entlassungsfest gewesen wäre, überflüssig. Die herrschende Lehre stützt sich demgegenüber auf eine Passage in den Motiven zum Ersten Entwurf, in denen von einer schon mit der Gesamtschuld selbst entstehenden Schuldgemeinschaft die Rede ist, die Mitwirkungs- und Regresspflichten hervorbringen soll169. Doch dieser Gedanke findet sich nur in den „Motiven“, nicht 167
Vgl. Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse I (Fn. 139), S. 901, 937 f.; Motive zum Vorentwurf 1879, S. 44 (Schubert, Schuldverhältnisse III [Fn. 56], S. 1256); Motive zum Vorentwurf 1882, S. 40 f. (Schubert, Schuldverhältnisse I (Fn. 139), S. 92 f.). 168 Vorentwurf von 1882, § 13 Satz 2; Motive zum Vorentwurf 1882, S. 41 (Schubert, Schuldverhältnisse I [Fn. 139], S. 93). 169 Mot. II, S. 169 f. (Mugdan, Materialien II, S. 93).
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in den Vorentwürfen und nicht in den Beratungsprotokollen der Ersten Kommission. Tatsächlich war die Frage, inwieweit schon die Begründung der Gesamtschuld Pflichten unter den Gesamtschuldnern hervorruft, in der Ersten Kommission umstritten. Die erst 1887 entstandenen Motive beruhen auf der Arbeit eines Referenten (der offenbar ein Anhänger des Schuldgemeinschaftsmodells war) und sind nicht von der Ersten Kommission autorisiert worden170. Es ist daher zwar nicht historisch gesichert, aber wahrscheinlich, dass die Erste Kommission, auf welche die Regeln der §§ 423, 776 zurückgehen, davon ausging, dass ein Rückgriff gegen einen entlassenen Gesamtschuldner nicht ohne Weiteres möglich ist. Ob es insoweit Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Gesamtschuldgruppen geben sollte, ist aus heutiger Sicht nicht zu klären. Bei Mitbürgen aber hielt der Gesetzgeber, wie § 776 zeigt, einen Gesamtschuldrückgriff gegen einen Entlassenen offenbar für ausgeschlossen. Der Sache nach erscheint dies auch richtig171. Ein Bürge verpflichtet sich allein gegenüber dem Gläubiger, nicht etwa, im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter, gegenüber einem ihm fremden Mitbürgen. Daher muss es ihm auch freistehen, sich durch Vereinbarung mit dem Gläubiger von seiner Verpflichtung zu befreien, ohne weiterbestehenden Rückgriffsansprüchen ausgesetzt zu sein. Es ist auch nicht verständlich, warum ein Schuldner, der von seinem Gläubiger befreit wurde, nur deshalb einem Dritten noch etwas schulden soll, weil dieser ebenfalls einen Vertrag mit dem Gläubiger geschlossen hatte. Die herrschende Schuldgemeinschaftslehre setzt sich unzulässig über die Regeln der Privatautonomie und der Relativität der vertraglichen Schuldverhältnisse hinweg. Die ihr zugrunde liegende Vorstellung, dass ein Gesamtschuldner „eigentlich“ nur einen Anteil schuldet und in Höhe des Rests eine Haftung für fremde Schuld übernimmt, mag bei der deliktischen Schadensverursachung durch mehrere einen wahren Kern haben, trifft aber nicht zu, wenn sich Schuldner unabhängig voneinander vertraglich gegenüber demselben Gläubiger verpflichten. Ein Bürge schuldet nicht „an sich“ nur einen Teil, bloß weil sich ohne sein Wissen auch ein anderer verbürgt hat. § 776 sollte also nach Ansicht des Gesetzgebers nicht dem Schutz der dinglichen Absicherung eines entlassungsfesten Mitbürgenregresses dienen, sondern den verbleibenden Mitbürgen davor bewahren, regresslos auf das Ganze haften zu müssen. Welche Folgerungen ergeben sich daraus für das Problem der Regressstörung im Gesamtschuldverhältnis? Zunächst muss man sich vom herrschenden Dogma lösen, dass der Erlass gegenüber einem Gesamtschuldner die gesetzlichen Rückgriffsansprüche der Mitschuldner aus § 426 I stets unberührt lässt. Zumindest bei Mitbürgen entspricht dies nicht dem Willen des Gesetzgebers. Die Entscheidung des BGH von 1992, die von einem entlassungsfesten gesetzlichen Gesamtschuldregress unter Mitbürgen ausgeht und daher den Anwendungsbereich des § 776 erheblich beschränkt, widerspricht nicht 170
Hierzu Henry Winter, Teilschuld, Gesamtschuld und unechte Gesamtschuld, 1985, 74 ff.; Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 283 ff. 171 Ausführlich Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 1183 ff.; im Ergebnis ebenso Soergel/Pecher § 769 Rz. 3 ff.
Erlass und Regressgefährdung bei Bürgschaft und Gesamtschuld
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nur dem Gesetzgeberwillen, sondern erscheint auch, bei Nebenbürgen, als sachlich verfehlt172. Wer sich gegenüber dem Gläubiger als Bürge verpflichtet hat und dann einen Erlass vereinbart, muss auch vor Rückgriffsansprüchen ihm fremder Nebenbürgen befreit sein. Dasselbe gilt aber auch für andere Gesamtschuldner, die sich unabhängig voneinander vertraglich gegenüber dem Gläubiger verpflichtet haben, etwa wenn Bauunternehmer und Architekt vertraglich auf Ersatz desselben Schadens des Bauherrn haften. Auch hier ist die Annahme des BGH, dass ein Schuldner, der sich vertraglich gegenüber dem Gläubiger verpflichtet hatte, von diesem aber inzwischen wieder befreit wurde, nach wie vor einem anderen gegenüber regresspflichtig ist, nur weil dieser ebenfalls einen Vertrag mit dem Gläubiger schloss173, zumindest dann zweifelhaft, wenn der entlassene Schuldner von der Existenz des Mitschuldners gar nichts gewusst hatte174. Sofern ein Regress gegen einen entlassenen Gesamtschuldner nicht mehr möglich ist, stellt sich die Frage, ob der verbleibende Gesamtschuldner dann regresslos auf das Ganze haftet oder gegenüber dem Gläubiger eine Einrede hat. § 776 entscheidet die Frage nur für Mitbürgen; diese Lösung muss nicht notwendig auf andere Gesamtschuldfälle übertragen werden. Da es bei unabhängigen Vertragsschuldnern kein Recht des einzelnen Gesamtschuldners gibt, nur für einen bestimmten Anteil endgültig in Anspruch genommen zu werden, muss die Entlassung eines Gesamtschuldners nicht automatisch zu Lasten des Gläubigers gehen. Denkbar wäre auch, die Reduzierung des Anspruchs gegen den verbleibenden Gesamtschuldner vom vorwerfbaren Verhalten des Gläubigers im konkreten Einzelfall abhängig zu machen und dann auf eine Vertragsverletzung oder auf den Gedanken des § 254 zu stützen. In denjenigen Fällen aber, in denen der verbleibende Gesamtschuldner ein Rückgriffsrecht auch gegen den entlassenen hat, sei es auf rechtsgeschäftlicher Grundlage, sei es, weil man ihm einen entlassungsfesten gesetzlichen Gesamtschuldrückgriff zubilligt, fragt es sich schließlich, ob er davor geschützt werden sollte, dass der Gläubiger durch den Erlass den Zessionsregress vereitelt und damit den Rückgriff gefährdet. Einen absoluten Schutz eines zukünftigen Legalzessionars hat es historisch nie gegeben und erscheint auch der Sache nach als nicht erforderlich. Hatte der Entlassene keine Sicherheiten gestellt, verändert sich die Lage des verbleibenden Schuldners durch den Erlass praktisch nicht. Die Vorschrift des § 776, die unabhängig von einer tatsächlichen Verhinderung des Regresses schon auf die Entlassung als solche abstellt, ist für Fälle der reinen Regressgefährdung unpassend. Haben sich Mitbürgen aufgrund eines internen Vertrags gemeinschaftlich verpflichtet, der eine Lastenverteilung ganz unabhängig von der Haftung im Außenverhältnis vorsieht, und haben sie keine Sicherheiten gestellt, dann ändert die Entlassung eines Mitbürgen die Lage der verbleibenden im Ergebnis nicht, auch wenn der Zessionsregress vereitelt wird. Nur für diesen Fall, also bei gemeinschaftlicher Mitbürgschaft mit vertraglichem Innenverhältnis, erscheint die Mitbürgenentscheidung des BGH im 172
Ebenso Soergel/Pecher § 776 Rz. 20. BGHZ 43, 227 (1965). 174 Näheres bei Meier, Gesamtschulden (Fn. 12), S. 967 ff. 173
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Ergebnis als richtig. § 776 sollte teleologisch reduziert und nicht angewendet werden, wenn der entlassene Mitbürge keine Sicherheiten gestellt hatte und der verbleibende Mitbürge nach wie vor einen Rückgriffsanspruch hat. Hatte der entlassene Gesamtschuldner eine Sicherheit gestellt, könnte der Regress des verbleibenden abstrakt vor einer Gefährdung geschützt werden, indem schon die Vereitelung des Sicherheitenübergangs zur anteiligen Befreiung führt. Dies ist das Modell des § 776 bei Aufgabe einer Sicherheit durch den Gläubiger. Allerdings hat das Gesetz den Schutz gegenüber einer solchen abstrakten Gefährdung auf Bürgen und die Fälle des § 1165 beschränkt und gerade nicht die Gesamtschuldner einbezogen. Insbesondere bei deliktischen Gesamtschuldnern ist es zweifelhaft, ob der Gläubiger über eine Sicherheit, etwa im Wege des Vergleichs mit einem Schuldner, nur zu dem Preis disponieren kann, dass die Haftung der übrigen Schuldner gemindert wird. Der Schutz des Gesamtschuldners könnte auch auf die Fälle beschränkt werden, in denen sein Regress wegen einer Gläubigerhandlung tatsächlich nicht mehr durchsetzbar ist175. Dieses Modell favorisiert die Mitbürgenentscheidung des BGH176. Zur Struktur des § 776 passt es aber nicht. Geeigneter erschiene ein Schutz über einen (aufrechenbaren) Schadensersatzanspruch nach §§ 280 I, 241 II, der nicht nur den Nachweis eines Schadens verlangt, sondern auch ein vorwerfbares Verhalten des Gläubigers177.
175 So wird Art. 149 II OR (oben Fn. 151) offenbar in der heutigen Schweizer Literatur verstanden, vgl. von Tuhr/Escher, Obligationenrecht AT II (Fn. 153), S. 318; Bucher, Obligationenrecht AT (Fn. 153), § 27 II 4 c; Basler Kommentar/Schnyder, Art. 149 Rz. 2; Schwenzer, Obligationenrecht AT (Fn. 153), Rz. 88.40. 176 BGH NJW 1992, 2286; ähnlich Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht (Fn. 7), Rz. 244; dies., Kreditsicherung (Fn. 7), Rz. 285; MüKo/Habersack § 776 Rz. 5. 177 Im Ergebnis ebenso für die Gesamthypothek Schanbacher, WM 1998, 1808 f.; für den Ausgleich unter mehreren Sicherern Weber, WM 2001, 1235 f.
Obligatio domini und obligatio servi Drittbeteiligung am Schuldverhältnis bei Sklavendelikten Martin Pennitz
I. Noxalhaftung und iuris vinculum 1. Wenn nach etabliertem Noxalrecht derjenige für das Delikt eines Sklaven einzustehen hat, unter dessen Gewalt ( potestas) der Täter steht, dann kann das zugleich zur Frage führen, ob dadurch auch die Lehre von der obligatio als iuris vinculum tangiert wird. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, die beiden Rechtsgrundsätze in einem ersten Schritt zeitlich zueinander in Beziehung zu setzen. Denn bekanntlich wird uns das eingängige Bild, wonach sich die obligatio als rechtliche „Fessel“ bezeichnen lässt, die Gläubiger und Schuldner necessitate – gleichsam „ohne Fluchtmöglichkeit“ – aneinander bindet, bis sie auf rechtlich korrekte Weise, also in aller Regel durch solutio durchtrennt wird, erst in den justinianischen Institutionen überliefert. Dieser Quellenbefund veranlasste etwa M. Kaser in seinem Handbuch dazu, die überlieferte Definition der obligatio als „wenig glückliches Schulprodukt, vielleicht erst aus nachklassischer Zeit“ zu bezeichnen. Allerdings setzt sich seit der Mitte Vgl. zur Bedeutung von „necessitate“ auch Diocl./Maxim. C. 4, 38, 13 (s.a.): In vendentis vel ementis voluntatem collata condicione comparandi, quia non adstringit necessitate contrahentes, obligatio nulla est. idcirco dominus invitus ex huiusmodi con ventione rem propriam vel quilibet alius distrahere non compellitur; dazu auch Th. Mayer-Maly, Obligamur necessitate, SZ 83 (1966) 47 ff., 50 f. S. I. 3, 13 pr.: Nunc transeamus ad obligationes. obligatio est iuris vinculum, quo necessitate adstringimur alicuius solvendae rei secundum nostrae civitatis iura; vgl. im Sinn eines argumentum e contrario auch I. 2, 23, 1: … et ideo fideicommissa appellata sunt, quia nullo vinculo iuris, sed tantum pudore eorum qui rogabantur continebantur. M. Kaser, Röm. Privatrecht I 2, München 1971, S. 479 u. Anm. 5 unter Hinweis auf die damals herrschende Lehre.
M. Pennitz () Institut für Römisches Recht, Karl-Franzens-Universität, Universitätsstraße 15/B1, 8010 Graz, Österreich E-Mail: [email protected] J. D. Harke (Hrsg.), Drittbeteiligung am Schuldverhältnis, DOI 10.1007/978-3-642-04450-2_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts die Auffassung durch, dass sich die Kompilatoren hier auf eine anerkannte, klassische Redewendung stützen konnten, wie das etwa bereits Th. Mayer-Maly unter Hinweis auf die diokletianische Konstitution C. 4, 38, 13 glaubhaft macht. In weiterer Folge verweist B. Albanese, etwa unter Bezugnahme auf D. 3, 3, 67, auf Papinian als den Urheber eines solchen Rechtsgedankens, wozu wohl auch der Paulus-Text D. 44, 7, 3 pr. passen könnte, während zuletzt G. Falcone die Formulierung bereits in den Res cottidianae des Gaius und damit in der klassischen Schuldoktrin verankert sieht. Demgegenüber reicht das Noxalrecht bis in das altrömische Recht zurück, wie der XII-Tafel-Satz 12, 2a verdeutlicht. Versucht man nun diese beiden Linien am Beispiel einer der gängigen Lehrmeinungen in ihrer Entwicklung zusammenzuführen, lässt sich folgende grobe Skizze eines denkbaren historischen Ablaufs entwerfen: Den Ausgangspunkt bildet dabei die offenkundige Kollision zweier Rechtspositionen, nämlich einerseits der Vergeltungsanspruch des Tatopfers gegenüber dem Sklaven und zum anderen die Hausgewalt des dominus, unter der sich der Täter des Delikts befindet: In altrömischer Zeit dürfte der Haftungszugriff des Verletzten wegen des geschehenen Unrechts primär gegen den Täter und damit gegen den Sklaven gerichtet sein, doch ist dann im später etablierten Prozessablauf bereits der Gewalthaber der ständige Gegner des Tatopfers10; das wird meist mit einem
Mayer-Maly, SZ 83 (1966) 51 u. Anm. 21. B. Albanese, Papiniano e la definizione di ‚obligatio’ in J. 3, 13 pr., SDHI 50 (1984) 167 ff., 177 f. Dazu Pap. (2 resp.) D. 3, 3, 67: Procurator, qui pro evictione praediorum quae vendidit fidem suam adstrinxit, etsi negotia gerere desierit, obligationis tamen onere praetoris auxilio non levabitur: nam procurator, qui pro domino vinculum obligationis suscepit, onus eius frustra recusat; vgl. Pap. (2/15 resp.) vat. 328/332: Procurator absentis, qui pro evictione praediorum quae vendidit fidem suam adstrinxit, etsi negotia desierit, obligationis tamen onere praetoris auxilio non relevabitur. / Procurator absentis, qui pro domino vinculum obligationis suscepit, onus eius frustra recusat; et ideo nec iudicati actio post condemnatum procuratorem in dominum datur aut procuratori qui vicit denegatur; dazu auch F. Wieacker, Textstufen klassischer Juristen, Göttingen 1960, 343 f. S. Paul. (2 inst.) D. 44, 7, 3 pr.: Obligationum substantia non in eo consistit, ut aliquod corpus nostrum aut servitutem nostram faciat, sed ut alium nobis obstringat ad dandum aliquid vel faciendum vel praestandum. G. Falcone, „Obligatio est iuris vinculum“, Torino 2003, S. 49 ff., 66 f., 70 f., wobei das iuris vinculum der Obligation von anderen vincula des Worthaltens, die auf fides, officium, aequitas, humanitas u.a. basieren, abzugrenzen sei (ebd., 115 f.). S. lex XII tab. 12, 2a: SI SERVUS FURTUM FAXIT NOXIAMVE NO[X]IT …; zu dessen Zitat bei Ulp. (18 ad ed.) D. 9, 4, 2, 1 vgl. weiter unten bei Fn. 19 ff. Grundgelegt bei M. Kaser, Das altrömische Ius. Studien zur Rechtsvorstellung und Rechtsgeschichte der Römer, Göttingen 1949, S. 179 ff.; 188 ff.; 225 ff.; vgl. auch dens., RP I 2, S. 146 f.; 150; im Sinn von Kaser dann etwa B. Schmidlin, Die römischen Rechtsregeln, Köln-Wien 1970, S. 94 f. oder H.-P. Benöhr, Zur Haftung für Sklavendelikte, SZ 97 (1980) 273 f.; s. ferner auch den ähnlichen Erklärungsansatz bei D. Daube, The defence of superior orders in Roman Law, Oxford 1956, S. 19 ff. 10 G. Pugliese, Nuove osservazioni sul regime della nossalità in Roma, RISG 4. sér. 16 (1972) 80 f.; 84 f. vermutet unter Hinweis auf Fest. 180, 25 ff. L., der XII-Tafel-Satz 12, 2a (Fn. 8) habe bei furtum (nec manifestum) und damnum einzig und allein die Auslieferung des unfreien Täters
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Vorrang der Hausgewalt gegenüber dem Racherecht eines Dritten erklärt, auf die sich der dominus im Vorfeld berufen kann, doch setzt er sich damit – als Verhinderer einer Vergeltung der Unrechtstat – nun selbst dem Haftungszugriff des Tatopfers aus; eine Schwäche dieses Modell lässt sich allerdings darin erblicken, dass es die im Verfahren eingeräumte Möglichkeit der noxae deditio, also der Auslieferung des Täters nicht hinreichend erklären kann. Denkt man hingegen an den Zweck des nunmehr etablierten Verfahrens, das einer rationelleren Konfliktaustragung dienen soll, so gewinnt vor allem die Klärung des Vorwurfs und damit die Verteidigung unter Beiziehung des unmittelbaren Täters an Gewicht. Da der Sklave allerdings nicht selbst prozessfähig ist, kommt hier dem jeweiligen dominus zweifellos die zentrale Rolle zu, da ja er das größte Interesse an einer allfälligen Schuldlosigkeit „seines“ Sklaven hat. Scheitert freilich letztendlich die Verteidigung, so bleibt es dabei, dass der dominus bloß den erforderlichen Beitrag zum Verfahren geleistet hat und nun die Möglichkeit haben soll, den Täter auszuliefern11, es sei denn, er wäre zur Zahlung jener Buße bereit, die bei der Begehung des Delikts von Seiten eines gewaltfreien und daher auch vermögensfähigen Täters anfällt. In dieser Phase der (vorklassischen) Entwicklung ist also bei freien Tätern die Sühneleistung an die Stelle einer direkten Vergeltung getreten, während im Noxalrecht durch die mögliche Auslieferung des Sklaven das Recht auf ein körperliches Strafen sozusagen konserviert wird. Noch in dieser Periode dürfte auch die im rechtsgeschäftlichen Bereich entwickelte Vorstellung der obligatio auf die deliktische Haftung übertragen und mit der Pflicht zur Leistung der poena identifiziert worden sein, da ja das Tatopfer – wieder bezogen auf den freien Täter – schon längst nur mehr diese und gerade keine unmittelbare Vergeltung durchsetzen konnte; eine solche Vorstellung von obligatio wird in weiterer Folge analog auf die Pflicht des dominus übertragen, die Buße zu leisten, doch kann er sich weiterhin durch Auslieferung befreien; so führt diese historische Prägung gleichsam zu einem Rechtsverhältnis „sui generis“, wobei die klassischen Juristen dann bei der hier eingeräumten noxae deditio von einer sog. facultas in solutione sprechen12. Der uns interessierende Entwicklungsgang wird schließlich damit abgeschlossen, dass aufgrund der Gleichsetzung von Pflicht zur poena und obligatio nun der deliktischen Handlung selbst obligierende Wirkung zugeordnet wird, was sich letztlich
vorgesehen. S. im Übrigen gegen die extremen Positionen, dass hier ursprünglich nur der Sklave bzw. nur der dominus dem verfahrensrechtlichen Zugriff des Tatopfers ausgesetzt war, die Argumentation bei Kaser, Ius (Fn. 9), S. 226 f.; 227 f. 11 Dazu passt auch der Hinweis auf eine sonstige iniquitas dem dominus gegenüber, wie er bei Gai. 4, 75 überliefert wird: Ex maleficio filiorum familias servorumque, veluti si furtum fecerint aut iniuriam commiserint, noxales actiones proditae sunt, uti liceret patri dominove aut litis aestimationem sufferre aut noxae dedere. erat enim iniquum nequitiam eorum ultra ipsorum corpora parentibus dominisve damnosam esse. 12 Vgl. Ulp. (66 ad ed.) D. 42, 1, 6, 1: Decem aut noxae dedere condemnatus iudicati in decem tenetur: facultatem enim noxae dedendae ex lege accipit. …; und in diesem Sinn etwa schon W. W. Buckland, The Roman Law of Slavery, Cambridge 1908, 113 f.
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auch im gaianischen Systementwurf zum Obligationenrecht zeigt13, doch haftet den obligationes ex delicto dort in ihrer dogmatischen Ausarbeitung immer noch bloßer Annexcharakter zu den ausführlich abgehandelten obligationes ex contractu an. Von diesem Zusammenhang zwischen obligatio und deliktischer Handlung wird darüber hinaus auch der Sklave als Täter erfasst, wie das Ulpian in D. 44, 7, 14 belegt14: Für das Noxalrecht zieht das nach sich, dass auch der delinquierende Sklave zivilrechtlich verpflichtet wird, während das entwickelte klassische Recht beim rechtsgeschäftlichen Handeln von Sklaven nur von obligationes naturales ausgeht. Somit lässt sich festhalten, dass das Delikt eines Sklaven etwa ab der Zeit der Hochklassik in der Tat zu konkurrierenden Obligationen führt, nämlich zu derjenigen des Täters (auf Bestrafung) sowie zur „noxalen“ Verbindlichkeit des nunmehrigen dominus, weshalb sich wohl von einer entwicklungsgeschichtlich bedingten Abweichung vom vinculum iuris-Gedanken sprechen lässt. 2. Zu diesem regelmäßigen Zusammenspiel zweier Obligationen auf Grund einer einzigen deliktischen Tat treten nun in den überlieferten Quellen zwei Sonderfälle, anhand derer man in einem zweiten Schritt die soeben skizzierte These über das im Noxalrecht bestehenden Verhältnis dieser beiden Obligationen zueinander überprüfen kann: Auf der einen Seite ist das der Bereich uneingeschränkter deliktischer Haftung des dominus selbst, dem sofort im Anschluss nachgegangen wird (Abschn. 4.2). Andererseits soll danach die Problematik der Gläubiger- und vor allem der Schuldnermehrheit, die sich infolge von Unrechtstaten eines servus communis stellt, in zentralen Aspekten beleuchtet werden (Abschn. 4.3).
II. D ie „direkte“ Verantwortlichkeit des Gewalthabers aufgrund von Unrechtstaten seiner Sklaven 1. Der erste Sonderfall, nämlich die direkte oder indirekte Mitwirkung des dominus an der Tat des Sklaven, führt uns erneut in die republikanische Epoche, nun allerdings aus der Sicht der klassischen Jurisprudenz: Einleitend gibt Ulpian im Fragment (18 ad ed.) D. 9, 4, 2 zum damnum iniuria datum15 einen Überblick über
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Dazu etwa auch Kaser, Ius (Fn. 9), S. 188; vgl. Gai. 3, 88: Nunc transeamus ad obligationes, quarum summa divisio in duas species diducitur: omnis enim obligatio vel ex contractu nascitur vel ex delicto; die Delikte werden dann bei Gai. 3, 182-225 auf vergleichsweise engem Raum abgehandelt. 14 Diese Entwicklung setzt wohl bei den freien personae alieni iuris und insbes. bei den Haussöhnen an; s. zudem Pomp./Iul. D. 9, 4, 33 f. Für die Sklaven dann grundsätzlich Ulp. (7 disp.) D. 44, 7, 14: Servi ex delictis quidem obligantur et, si manumittantur, obligati remanent: ex contractibus autem civiliter quidem non obligantur, sed naturaliter et obligantur et obligant. denique si servo, qui mihi mutuam pecuniam dederat, manumisso solvam, liberor; zur naturalis obligatio genauer Paul. (10 ad Sab.) D. 12, 6, 13 pr. 15 S. O. Lenel, Palingenesia Iuris Civilis II, Leipzig 1889, Sp. 522 ff., 526 f. (Nr. 619).
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diesen Fragenkomplex und nennt im principium das Wissen des Eigentümers um die Schadenstat als entscheidendes Kriterium16: Si servus sciente domino occidit, in solidum dominum obligat, ipse enim videtur dominus occidisse: si autem insciente, noxalis est, nec enim debuit ex maleficio servi in plus teneri, quam ut noxae eum dedat.
Wissen bedeutet in diesem Zusammenhang, wie zahlreiche Definitionen in den Quellen zeigen, dass sich der dominus dabei einer Unterlassung schuldig macht, weil er die Tat hätte verhindern können17. Lässt sich ein derartiges Wissen nachweisen, so kann das Tatopfer die Bußklage gegen den dominus erheben, ohne dass diesem das Recht auf Auslieferung des unmittelbaren Täters zukommt; denn es besteht ja eine direkte Verbindung zwischen Eigentümer und Schadenstat (arg. ipse enim videtur dominus occidisse)18; weiß er hingegen nichts davon, steht – wie Ulpian in § 2 pr. bekräftigt – nur die noxale Klage zur Verfügung. Aber bereits der vieldiskutierte § 1 deutet an, dass diese Sichtweise weder unumstritten war noch – in der historischen Entwicklung des Noxalrechts – einheitlich für alle Deliktstatbestände gegolten haben dürfte19: Is qui non prohibuit, sive dominus manet sive desiit esse dominus, hac actione tenetur: sufficit enim, si eo tempore dominus, quo non prohibe‹b›at, fuit, in tantum, ut Celsus putet, si fuerit alienatus servus in totum vel in partem vel manumissus, noxam caput non sequi: nam servum nihil deliquisse, qui domino iubenti obtemperavit. et sane si iussit, potest hoc dici: si autem non prohibuit, quemadmodum factum servi excusabimus? Celsus tamen differentiam facit inter legem Aquiliam et legem duodecim tabularum: nam in lege antiqua, si servus sciente domino furtum fecit vel aliam noxam commisit, servi nomine actio est noxalis nec dominus suo nomine tenetur, at in lege Aquilia, inquit, dominus suo nomine tenetur, non servi. utriusque legis reddit rationem, duodecim tabularum, quasi voluerit servos dominis in hac re non obtemperare, Aquiliae, quasi ignoverit servo, qui domino paruit, periturus si non fecisset. sed si placeat, quod Iulianus libro octagensimo sexto scribit ‚si servus furtum faxit noxiamve nocuit‘ etiam ad posteriores leges pertinere, poterit dici etiam servi nomine cum domino agi posse noxali iudicio, ut quod detur Aquilia adversus dominum, non servum 16
Vgl. im selben Sinn auch auch Ulp. (42 ad Sab.) D. 9, 2, 44, 1 (arg. dubium non est). S. grundsätzlich Ulp. (3 ad ed.) D. 9, 4, 3: In omnibus noxalibus actionibus, ubicumque scientia exigitur domini, sic accipienda est, si, cum prohibere posset, non prohibuit: aliud est enim auctorem esse servo delinquenti, aliud pati delinquere; das häufig verdächtigte, generelle „in omnibus noxalibus actionibus“ - vgl. etwa auch T. Giménez-Candela, Sobre la ‚scientia domini’ y la accion de la ley Aquilia, Iura 31 (1980) 119 ff., 122 f. - erklärt sich daraus, dass Ulpian hier wohl die actio de albo corrupto kommentiert; da es sich dabei um die erste für dieses Problem in Betracht kommenden Klage im edictum perpetuum handelt, dürften die spätklassischen Juristen - s. im selben Sinn auch Paul. (3 ad ed.) D. 9, 4, 4 pr. - an dieser Stelle ihrer libri ad edictum zu grundsätzlichen Fragen des Noxalverfahrens Stellung genommen haben; so bereits E. Levy, Die Konkurrenz der Aktionen und Personen I, Berlin 1918, S. 159 Fn. 2-4; s. ferner Paul. (10 ad Sab.) D. 9, 2, 45 pr. sowie (39 ad ed.) D. 50, 17, 50. 18 B. Albanese, Sulla responsabilità del dominus sciens per i delitti del servo, BIDR 70 (1967) 119-186, 130 f. folgert allerdings aus dieser Formulierung, dass nach Ulpians Auffassung nur die (direkte) actio legis Aquiliae, nicht jedoch die actio noxalis gegen den dominus zusteht. 19 S. etwa auch U. v. Lübtow, Untersuchungen zur lex Aquilia de damno iniuria dato, Berlin 1971, S. 41-46 oder T. Gimenez-Candela, El régimen pretorio subsidisario de la acción noxal, Pamplona 1981, 252-255. 17
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M. Pennitz excuset, sed dominum oneret. nos autem secundum Iulianum probavimus, quae sententia habet rationem et a Marcello apud Iulianum probatur.
Ulpian wiederholt zu Beginn, dass ein Herr, der die Schadenstat nicht verhindert hat, der actio legis Aquiliae ausgesetzt ist – und zwar unabhängig davon, ob er zum Zeitpunkt der Klage überhaupt noch dominus ist. Mit anderen Worten kann er sich nicht auf die Regel noxa caput sequitur berufen und ist der Klage zudem – anders als im Fall einer Noxalklage – selbst nach dem Tod des Täters ausgesetzt, wie Ulpian in (3 ad ed.) D. 9, 4, 5, 1 ergänzt20. Celsus weicht hiervon offenbar ab: Nach seiner Ansicht kann sich nicht einmal das Tatopfer auf den Grundsatz noxa caput sequitur stützen, um allenfalls die Auslieferung (bzw. Bestrafung) des unmittelbaren Täters zu erreichen: Denn in einem solchen Fall kommt es zu keiner obligatio des Sklaven. Zum einen argumentiert Celsus, dass man einem Sklaven nichts vorwerfen könne, wenn er seinem Herrn gehorcht; damit wird allerdings ein weiteres Kriterium in die Diskussion bei Ulpian eingeführt, da nun zum Unterlassungstatbestand des Wissens zugleich der positive Befehl des dominus tritt21. Andererseits begründet Celsus seinen Ansatz historisch: Nach den XII-Tafeln gilt einzig und allein der Sklave als Täter, weil er einem rechtswidrigen Befehl des Herrn nicht gehorchen dürfe, doch wird der Grund dieser Rechtsauffassung auch darin zu sehen sein, dass man in altrömischer Zeit in erster Linie auf die Tat und nicht auf die subjektive Seite abstellt. Demgegenüber ist der gehorchende Sklave nach der lex Aquilia – bzw. nach deren juristischer Interpretation – entschuldigt22: Es haftet nur der dominus, nicht jedoch der Sklave. Ulpian räumt ein, dass eine solche Sichtweise bei einem iussum des dominus durchaus vertretbar ist (arg. et sane si iussit, potest hoc dici). Doch gestützt auf Julian bevorzugt er jedenfalls dann eine andere Lösung, wenn dem dominus ein bloßes Wissen um die Schadenstat zur Last fällt: Grundsätzlich müsse nämlich die XII-Tafel-Norm bei der Interpretation der lex Aquilia weiterhin berücksichtigt werden, weshalb der Sklave als unmittelbarer Täter – und trotz der (gesetzlichen) Bejahung einer reinen Bußklage gegen den wissenden dominus – nicht aus der Verantwortung entlassen ist. Die Noxalklage tritt also zur Bußklage hinzu, und der Geschädigte darf zwischen beiden wählen; aller20
Ulp. D. 9, 4, 5, 1: Differentia autem harum actionum non solum illa est, quod qui scit in solidum tenetur, verum illa quoque, quod, sive alienaverit servum qui scit sive manumiserit sive decesserit servus, dominus tenetur: sed si ipse dominus decesserit, heres eius non tenetur. 21 Die Frage des iussum domini wurde bereits im vorklassischen Recht diskutiert (s. zu Alf. D. 40, 7, 20 sofort unten); gemäß Daube, Defence (Fn. 9), S. 20 werden die hierzu ergangenen Entscheidungen in dieser Periode auch auf die scientia domini erstreckt. Immerhin legt es D. 9, 4, 2, 1 nahe, dass Celsus - anders als Ulpian - ebenfalls keine unterschiedlichen Rechtsfolgen an die Tatbestände von Befehl und Wissen des Gewalthabers geknüpft hat. 22 G. L. Falchi, Ricerche sulla legittimazione passiva alle azioni nossali. Il possessore di bona fede del servo, Milano 1976, S. 74 spricht in diesem Zusammenhang von einer „valutazione dell’elemento psicologico“ aufgrund der lex Aquilia. Das muss freilich nicht bedeuten, dass die lex Aquilia eine ausdrückliche Bestimmung zur scientia domini enthalten hat, wie es ein Teil der Lehre vermutet; s. zuletzt M.Marrone, Sul concorso tra azione ‚in solido’ e azione nossale, Scritti giuridici II, Palermo 2003, S. 833 ff. Fn. 3. Wahrscheinlicher ist m.E., dass die Juristen hier zu einer gesetzlichen Regelung Stellung nehmen, die den Eigentümer als Auftraggeber der Tat der Deliktsklage aussetzt; vgl. etwa Iav. (14 ex Cass.) D. 9, 2, 37 pr.
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dings kann das Tatopfer im Sinn elektiver Konkurrenz nur eine einzige Verurteilung erreichen, was in der Folge von Marcellus sowie in weiteren Belegen – etwa bei Pomponius und Paulus – bejaht wird23. Dass die von Celsus überlieferte Auffassung, der dominus hafte wegen seines diesbezüglichen Befehls allein für die verübte Sachbeschädigung, freilich nicht von allen Juristen geteilt wird, zeigt der Alfenustext (2 dig.) D. 44, 7, 2024; mit anderen Worten kann der Erwerber eines Unfreien nicht in jedem Noxalverfahren versuchen, der Verantwortung für das in der Vergangenheit verübtes Sklavendelikt unter Berufung auf ein iussum des früheren Gewalthabers zu entgehen: Servus non in omnibus rebus sine poena domino dicto audiens esse solet, sicuti si dominus hominem occidere aut furtum alicui facere servum iussisset. quare quamvis domini iussu servus piraticam fecisset, iudicium in eum post libertatem reddi oportet. et quodcumque vi fecisset, quae vis a maleficio non abesset, ita oportet poenas eum pendere. sed si aliqua rixa ex litibus et contentione nata esset aut aliqua vis iuris retinendi causa facta esset et ab his rebus facinus abesset, tum non convenit praetorem, quod servus iussu domini fecisset, de ea re in liberum iudicium dare.
Alfen führt nämlich aus, dass einer solchen Verteidigungsstrategie des nunmehrigen Gewalthabers, die ihn selbst und den unmittelbaren (unfreien) Täter entlasten sowie den früheren dominus allein der Deliktsklage aussetzen soll, nicht immer Relevanz zuzubilligen ist. Sollten die Sachbeschädigungen25 nämlich in Zusammenhang mit schweren und vorsätzlichen Gewaltdelikten gegen Personen stehen, wie etwa bei Tötungen (von Sklaven) oder bei Seeräuberei, so lässt sich der unfreie Täter keineswegs unter Berufung darauf entlasten, er habe dem Befehl des einstigen Herrn gehorcht; deshalb ist der Täter auch noch als Freigelassener zur Buße verpflichtet. Alfens Hinweis auf ein verübtes furtum darf man dabei wohl so verstehen, dass er hier im Sinn des Gesamtkontextes die gewaltsame Wegnahme, also die spätere rapina, anspricht26; allerdings ist es dann – etwa aus der Sicht des Spätklassikers Paulus – wegen des dabei geübten Vorsatzes ebenso wenig angebracht, einen auf Befehl des Gewalthabers verübten Diebstahl des Sklaven zu entschuldigen27. Wenn Alfenus also eingangs betont, der Sklave sei nicht bei allen Befehlen entschuldigt, so macht das zudem – im Umkehrschluss – Ulpians vorsichtige Stellungnahme in 23 S. Ulp. (3 ad ed.) D. 9, 4, 7, 1 (unter Hinweis auf Pomponius) sowie Paul. (3 ad ed.) D. 9, 4, 4, 2; zum letzten Satz von § 1 des Paulusfragments s. sofort weiter unten. 24 Zu Alf. D. 44, 7, 20 vgl. insbes. auch A. Watson, The Law of Persons in the later Roman Republic, Oxford 1967, S. 174-177 (mit guten Argumenten gegen die Interpolationenannahmen der älteren Lehre). 25 Denn gemäß Lenel, Palingenesia I, Sp. 39 f. (Nr. 9) ergeht auch diese Entscheidung zur lex Aquilia. 26 Vgl. auch Gai. 3, 209. 27 S. in diesem Sinn die Argumentation bei Paul. (37 ad ed.) D. 25, 2, 21, 1, wo jedoch angesichts der Person der Befehlenden die actio rerum amotarum als Noxalklage zu gewähren ist: Si servus mulieris iussu dominae divortii causa res amoverit, Pedius putat nec furtum eum facere, quoniam nihil lucri sui causa contrectet nec videri furtum facienti opem ferre, cum mulier furtum non faciat, quamvis servus in facinoribus domino dicto audiens esse non debeat: sed rerum amotarum actio erit.
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D. 9, 4, 2, 1 zur Aussage von Celsus verständlich28: Denn offenbar hat sich Alfens Entscheidung insoweit durchgesetzt, als bei Vorliegen eines iussum domini immer auch die Einzelheiten des konkreten Sachverhalts zu berücksichtigen sind. Weitere Vorbehalte gegenüber einer schematischen Entscheidungsfindung klingen bei Paulus in (3 ad ed.) D. 9, 4, 4, 2 an29: Cum dominus ob scientiam teneatur, an servi quoque nomine danda sit actio, videndum est: nisi forte praetor unam poenam a domino exigi voluit. ergo dolus servi impunitus erit? quod est iniquum: immo utroque modo dominus tenebitur, una autem poena exacta, quam actor elegerit, altera tollitur.
Zwar geht der Spätklassiker im Sinne seines Zeitgenossen Ulpian grundsätzlich davon aus, dass der Eigentümer wegen seines Wissens der actio legis Aquilia ausgesetzt ist. Doch bleibe auch hier zu überlegen, ob neben der Pönalklage die Noxalklage zu gewähren ist: Abweichend von der generellen Bejahung bei Ulpian weist Paulus darauf hin, der Prätor könne angesichts der Besonderheiten des Falles die actio noxalis versagen. Zwar stellt er – wohl im Anschluss an die herrschende Juristenauffassung – die rhetorische Frage, ob denn der dolus eines Sklaven unbestraft bleiben dürfe, doch eröffnet sich damit bei fahrlässig verübten Delikten ein Spielraum für Abweichungen und Ausnahmen. Zusammenfassend ergibt sich – für das entwickelte klassische Recht – ein differenziertes Bild: Der Gewalthaber, der seinem Sklaven die Begehung eines Delikts befohlen hat, haftet stets – als Täter – mittels Pönalklage, ohne dass ihm die Befugnis der noxae deditio zukommt30; hingegen kann der die Tat verübende Sklave angesichts des iussum domini bei leichteren Delikten entschuldigt sein, wobei die klassischen Juristen in diesem Zusammenhang wohl unterschiedliche Kriterien (z. B. bei Fehlen von vis, von dolus etc.) vertreten haben dürften. Bei entsprechend schwereren Delikten steht dem Tatopfer hingegen auch die Noxalklage zur Verfügung, so dass der Sklave als unmittelbarer Täter – nach einer Auslieferung durch den gegenwärtigen dominus – selbst der Bestrafung ausgesetzt sein könnte. Bei bloßem Wissen des dominus scheint sich die Auffassung durchgesetzt zu haben, dass dieser in aller Regel entweder der „direkten“ Bußklage (ohne Auslieferungsbefugnis) oder der actio noxalis ausgesetzt ist31; davor könnte es unter klassischen 28
Arg. et sane si iussit, potest hoc dici in D. 9, 4, 2, 1. Selbst Albanese, BIDR 70 (1967) 164-169, der den zweiten Teil des Paulustextes D. 9, 4, 4, 2 für nachhaltig verändert ansieht, geht letztlich von bloßen Kürzungen der Kompilatoren aus, die den grundsätzlichen Inhalt der Entscheidung unangetastet lassen; im selben Sinn dann Marrone, Concorso (Fn. 22), 840. 30 Vgl. oben bei Fn. 21 u. 24. Anders verhielt es sich gemäß Celsus in D. 9, 4, 2, 1 im XII-TafelRecht, doch ist in unserem Zusammenhang bemerkenswert, dass der Hochklassiker überhaupt nur von jeweils einer Deliktsklage ausgeht, entweder gegen den Sklaven als Täter, oder - gemäß der lex Aquilia - gegen den befehlenden Herrn; die Gegenmeinung lässt zwar eine zweite Klage zu, bleibt aber über das Wahlrecht des Verletzten und die elektive Konkurrenz ebenfalls dem Prinzip der einen und nur einen Bestrafung verhaftet; vgl. auch Levy, Konkurrenz I (Fn. 17), S. 171-173. 31 Während Ulpian das unter Hinweis auf Julian in D. 9, 4, 2, 1 für die lex Aquilia ausspricht, wird es bei Paulus D. 9, 4, 4, 2 für sämtliche Noxalverfahren bejaht, da seine Entscheidung zur actio de albo corrupto ergangen sein dürfte; vgl. Lenel, Palingenesia I, Sp. 969 (Nr. 110) sowie 29
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Juristen freilich kontrovers gewesen sein, ob die scientia domini – im Anschluss an das XII-Tafel-Recht – bei einzelnen zivilen Delikten wie etwa dem furtum unbeachtlich bleibt32. Allerdings hat das Bestreben der Kompilatoren, im Zuge des Digestentitels D. 9, 4 das Noxalrecht gemäß der spätklassischen Lehre zu „verallgemeinern“ und an das nachklassische Verfahren anzupassen33, die Spuren eines solchen Diskurses unkenntlich gemacht. Bei Paulus findet sich darüber hinaus der Hinweis, dass in Ausnahmefällen nur der (wissende) dominus zur Verantwortung zu ziehen ist34. Sollte der Gewalthaber schließlich gar nichts vom Delikt seines Sklaven gewusst haben, so steht dem Tatopfer einzig und allein die Noxalklage gegen ihn zur Verfügung. In unserem Zusammenhang ist hierbei relevant, dass trotz der Bejahung zweier selbständiger obligationes im entwickelten klassischen Recht immer nur eine davon zum Gegenstand des Prozesses gemacht werden kann, was – angesichts der einen verübten Tat – selbst im Fall eines unfreien Täters und seines befehlenden oder wissenden dominus gilt: Die ursprüngliche Auffassung, dass der Sklave seinem dominus zugeordnet ist, bleibt also insoweit erhalten, als dann die „direkte“ Pönalklage oben bei Fn. 17. Anders freilich Albanese, BIDR 70 (1967) 130; 135 f.;139 f. der unter Annahme entsprechender Texveränderungen davon ausgeht, Ulpian habe - ebenso wie Celsus - nur die (direkte) Bußklage gegen den (wissenden) dominus, nicht jedoch die actio noxalis bejaht; dagegen z.B. G. Tilli, „Dominus sciens“ e „servus agens“, Labeo 23 (1977) 16 ff., 19 f. u. Fn. 11 (unter Hinweis auf M. Pamploni, B. Biondi und F. De Visscher). Gegen Albanese’s These spricht m. E. im Übrigen schon das (selbst von Albanese unbeanstandete) „ut Celsus putet“ am Beginn von § 2, 1, mit dem Ulpian seine (hierauf folgende) Gegenansicht einleitet. 32 So lässt sich vielleicht die Meinung des Sabinus bei Ulp. (38 ad ed.) D. 47, 7, 7, 5 verstehen, die dann beim Spätklassiker wohl die Bedeutung erhält, dass die Noxalklage zur direkter Bußklage hinzutritt: Quod si servo suo non praeceperit dominus, sed ipse sua voluntate id amiserit, Sabinus ait competere noxale‹m›, ut in ceteris maleficiis: quae sententia vera est. Ausführungen zur Klassikerkontroverse über Begriff und mögliche Reichweite der scientia domini finden sich etwa bei Albanese, BIDR 70 (1967) 144; 152 f.; 161 f.; 171 ff. Demgegenüber stützt sich Falchi, Ricerche sulla legittimazione passiva (Fn. 22), S. 76 f.; 100 ff. bezüglich einer generellen Irrelevanz der scientia domini bei furtum und vergleichbaren, dolus voraussetzenden Delikte auf das Argument, dass dem wissenden, aber nicht verhindernden dominus nur Fahrlässigkeit zur Last zu legen sei; gemäß Giménez-Candela, Iura 31 (1980) 121; 129 f., die in ähnlicher Weise argumentiert, müsse das Tatopfer ‚arglistiges’ Wissen des Gewalthabers beweisen, um unmittelbar gegen ihn vorgehen zu können; angesichts der Quellenlage skeptisch bezüglich dieses Ansatzes Benöhr, SZ 97 (1980) 279. 33 Vgl. als ein Beispiel in diesem Zusammenhang Paul. (3 ad ed.) D. 9, 4, 4, 3 sowie M. Kaser/ K. Hackl, Röm. Zivilprozessrecht 2, München 1996, 580 u. Anm. 31 sowie Marrone, Concorso (Fn. 22), S. 836-839; 643 f.: Si detracta noxae deditione quasi cum conscio domino actum sit, qui non erat conscius: absolutione facta et finito iudicio amplius agendo cum noxae deditione exceptione rei iudicatae summovebitur, quia res in superius iudicium deducta et finita est. donec autem prius iudicium agitatur, licentia agenti est, si eum de scientia domini arguenda paeniteat, tunc ad noxalem causam transire. contra quoque si cum eo qui scit cum noxae deditione actum sit, amplius in dominum detracta noxae deditione danda actio non est: in ipso autem iudicio si voluerit et scientiam domini arguere, non est prohibendus. 34 Dagegen offenbar Giménez-Candela, Iura 31 (1980) 133, die freilich an dieser Stelle nicht auf Paul. D. 9, 4, 4, 2 eingeht. Dasselbe gilt im Übrigen auch für Quasidelikte, wie Ulp. (23 ad ed.) D. 9, 3, 5, 6/10 belegt.
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und die actio noxalis in elektiver Konkurrenz stehen35: Das Tatopfer wird dabei jene Klage wählen, die seinen Intentionen – sei es nun finanzielle Genugtuung oder allenfalls der Wunsch nach Vergeltung – am besten entspricht; freilich werden auch Fragen der Beweislast eine nicht unwesentliche Rolle spielen36, da bei einem Befehl oder Wissen des dominus – einmal abgesehen vom schwerwiegenderen Vorwurf gegen den Prozessgegner – ja genaue Kenntnisse über dessen Hausstand von Nöten sind. 2. Neben der uneingeschränkten obligatio ex delicto jenes Gewalthabers, der (direkt oder indirekt) am Delikt seines Sklaven mitwirkt, ist noch kurz auf den Fall einzugehen, dass sich ein dominus dem drohenden Noxalverfahren zu entziehen versucht und aus diesem Grund einer Pönalklage (ohne Auslieferungsbefugnis) unterliegt: Gemäß dem Grundsatz noxa caput sequitur kann es sich dabei – anders als im zuvor besprochenen Fall – auch um jemanden handeln, der erst nach der Deliktsbegehung zum Gewalthaber des (unfreien) Täters wird. Ulpian skizziert in (3 ad ed.) D. 9, 4, 21 pr. einleitend und mit wenigen, groben Strichen die diesbezügliche prozessuale Situation in iure37: Quotiens dominus ex noxali causa convenitur, si nolit suscipere iudicium, in ea causa res est, ut debeat noxae dedere eum, cuius nomine iudicium non suscipitur: aut si id non faciat, iudicium suscipiet omnimodo, sed non alias condemnabitur, quam si in potestate habeat dolove malo fecerit, quo minus haberet
Der Spätklassiker geht an dieser Stelle davon aus, dass der unfreie Täter zu Prozessbeginn im Eigentum des Beklagten (d. h. des vor den Prätor Geladenen) steht. Da diese Frage offenbar unstreitig ist, bedarf es hier m. E. auch keiner „förmlichen“ interrogatio in iure zu ihrer Klärung, doch ist es natürlich denkbar, dass der gerichtlich Belangte seine Eigentümerposition bereits zuvor dem Prätor gegenüber bejaht
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S. auch Levy, Konkurrenz I (Fn. 17), S. 165 ff., bes. 167 f.; 170 ff., der diesbezüglich von „Eintäterschaft von dominus und servus“ spricht. Wertend hingegen Tilli, Labeo 23 (1977), 28 ff., 29; 40 f., wonach dadurch ein “ingiusto danno a carico dell’unico convenuto, lo sciens, chiamato a pagare due volte“ vermieden wurde, der - aus der Sicht des Prätors - der aequitas widersprochen hätte. Demgegenüber besteht für Albanese, BIDR 70 (1967) 148 f.; 167 f.; 171 diesbezüglich eine Juristenkontroverse: So hätte Julian eine Kumulierung beider Klagen gegen den dominus sciens befürwortet, während die elektive Konkurrenz der Klagen erst bei Paulus - im Sinn einer vermittelnden Lehre zwischen Julians Meinung und der Gegenposition von Celsus/Ulpian - vertreten worden sei; dazu vorsichtig zustimmend F. Serrao, Responsabilità per fatto altrui e nossalità, BIDR 73 (1970), 160 Anm. 99. Freilich geht die überwiegende Lehre von elektiver Konkurrenz aus; vgl. Pugliese, RISG 4. sér. 16 (1972) 79 ff., 101; Giménez-Candela, Iura 31 (1980) 130 f. Anm. 24 sowie zuletzt Marrone, Concorso (Fn. 22), 836 f. Fn. 15 (zu Giménez-Candela); 840 f. 36 Vor diesem Hintergrund erklärt sich für Benöhr, SZ 97 (1980), 275; 277, warum ein iussum bzw. die scientia domini gemäß den XII-Tafeln unbeachtet geblieben sind; denn ansonsten hätte man „in die Interna des Hauses eindringen müssen“. Allerdings würde das zugleich eine dogmatisch durchgebildete Trennung von subjektiver und objektiver Verantwortlichkeit zu jener Zeit voraussetzen. 37 Vgl. dazu insbes. H.-D. Spengler, Studien zur interrogatio in iure, München 1994, 85 f., der deshalb „kompilatorische Verkürzungen des Gedankenganges“ für möglich hält, aber zu Recht die „nachvollziehbare Argumentation“ betont (ebd., 87).
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hat38. Will der dominus nun das Noxalverfahren vermeiden, so eröffnen sich zwei Wege: Er könnte bewusst – etwa wegen der erdrückenden Beweislage und wegen des geringen Wertes des Sklaven – auf dessen Verteidigung verzichten und ihn – im Wege der noxae deditio – an das Tatopfer übereignen39; sollte der Sklave bereits in iure anwesend sein, kann das sofort erfolgen, ansonsten müsste der unfreie Täter in weiterer Folge vor vom Gewalthaber in iure vorgeführt werden40. Allerdings wird im Fall einer Abwesenheit wohl stets mittels interrogatio in iure zu erforschen sein, ob sich der Sklave in der potestas des dominus befindet41: Bejaht dies der Beklagte, und erfolgt dennoch weder die Verteidigung des Täters noch dessen Vorführung (bzw. Auslieferung), dann treten die Folgen der Indefension ein42. Um den Noxalprozess zu vermeiden, könnte der dominus allerdings versucht sein, die potestas und insofern die eigene Passivlegitimation zu verneinen. Unter dieser Voraussetzung hat das Tatopfer, das der Redlichkeit eines solchen Vorbringens keinen Glauben schenkt, gemäß Paul. (18 ad ed.) D. 9, 4, 22, 4 zwei prozessuale Möglichkeiten43: Si negavit dominus in sua potestate esse servum, permittit praetor actori arbitrium, utrum iureiurando id decidere an iudicium dictare sine noxae deditione velit, per quod vincet,
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Auch gemäß Pomp. D. 11, 1, 15 pr.-1 sowie Paul. D. 11, 1, 8; 20 pr. wird die Frage in erster Linie an jemanden gerichtet, dessen Eigentümerstellung zweifelhaft erscheinen musste. Die Details bezüglich der interrogatio in iure sind in der Lehre jedenfalls kontrovers: Giménez-Candela, Régimen pretorio (Fn. 19), 167 ff. geht von einer einheitlichen Doppelfrage aus, die sich auf Eigentum und potestas des Beklagten bezieht, während die h.L. wohl weiterhin von zwei voneinander abgegrenzten interrogationes ausgeht; vgl. dazu Kaser/Hackl, RZP 2, 254 f. Demgegenüber bezweifelt Spengler, Studien (Fn. 37), S. 84 f.; 161 generell das Bestehen einer ediktal geregelten, förmlichen interrogatio in iure im Rahmen des Noxalverfahrens; dem könnte freilich Gai. D. 11, 1, 5 (s. Fn. 41) widersprechen, während sich fehlende Hinweise im Titel D. 9, 4 auf die darin zum Ausdruck kommende Verallgemeinerung des Noxalrechts (und die entsprechende Adaptierung des Verfahrens) von Seiten der Kompilatoren zurückführen lassen dürften. 39 Gemäß Giménez-Candela, Régimen pretorio (Fn. 19), 172 geschieht das in aller Regel mittels in iure cessio, die dann vom Prätor durch addictio bestätigt wird. 40 S. zu den Einzelheiten Paul. (6 ad ed.) D. 2, 9, 2, 1: Si absens sit servus, pro quo noxalis actio alicui competit: si quidem dominus non negat in sua potestate esse, compellendum putat Vindius vel iudicio eum sisti promittere vel iudicium accipere, aut, si nolit defendere, cauturum, cum primum potuerit, se exhibiturum: …; zum Fortgang der Stelle s. Fn. 44. 41 Denn auch die Zusage, den Sklaven in iure zu exhibieren, macht nur Sinn, wenn sich der Sklave nachweislich in der tatsächlichen Gewalt ( potestas) des dominus befindet; vgl. dazu Ulp. (23 ad ed.) D. 9, 4, 21, 3: ‚In potestate’ sic accipere debemus, ut facultatem et potestatem exhibendi eius habeat: ceterum si in fuga sit vel peregre, non videbitur esse in potestate; dementsprechend kann Gai. (3 ad ed. prov.) D. 11, 1, 5 festhalten: Qui interrogatur, an heres vel quota ex parte sit vel an in potestate habeat eum, cuius nomine noxali iudicio agitur, ad deliberandum tempus impetrare debet, quia, si perperam confessus fuerit, incommodo adficitur. 42 Vgl. etwa Pugliese, RISG 4. sér. 16 (1972), 93 ff u. Fn. 33 bzw. Kaser/Hackl, RZP 2, 255 u. Fn. 23. 43 Vgl. auch Ulp. (3 ad ed.) D. 9, 4, 21, 2, der den Wortlaut des Edikts überliefert: Praetor ait: ‚Si is in cuius potestate esse dicetur negabit se in sua potestate servum habere: utrum actor volet, vel deierare iubebo in potestate sua non esse neque se dolo malo fecisse, quo minus esset, vel iudicium dabo sine noxae deditione’.
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Man kann den dominus also entweder zur Eidesleistung über dessen Aussage auffordern oder mittels prätorischer Klage auf bloße Bußzahlung dringen, da der Beklagte seine Fähigkeit zur noxae deditio des Täters ja selbst in Abrede gestellt hat: Somit droht dem Eigentümer auch hier eine Verurteilung ohne Auslieferungsbefugnis, sofern der Beweis erbracht werden kann, dass er seine potestas zu Unrecht bestritten oder sogar arglistig aufgegeben hat44. Einige Paulusstellen, wie etwa Paul. (18 ad ed.) D. 9, 4, 2445, geben dann nähere Aufschlüsse über diese actio sine noxae deditione sowie die dabei zu beachtenden Unterschiede zum Tatbestand der scientia bzw. des iussum domini: De illo videndum, utrum adversus eum tantum, qui dolo fecit, quo minus in potestate haberet, actio locum habeat [noxalis], si ex dolo eius acciderit, ut cesset noxalis actio (forte si servo suo fugam mandavit) an et si possit nihilo minus cum alio agi (quod accidit, cum alienatus manumissusve est). quod est verius: in quo casu electio est actoris, cum quo velit agere. Iulianus autem ait de eo qui manumissit, si paratus sit defendere se manumissus, exceptionem dandam ei qui manumisit. hoc et Labeo.
Der Spätklassiker spricht sich – unter Hinweis auf eine kontroverse Ansicht – dafür aus, dass die prätorische actio ohne noxa deditio-Klausel auch zu gewähren ist, wenn gegen einen anderen im Wege der regelmäßigen (noxalen) Pönalklage vorgegangen werden könnte, etwa wenn der Beschuldigte den Täter arglistig an einen anderen verkauft oder unmittelbar vor der Verfahrenseröffnung freigelassen hat. Auch in diesem Fall soll das Tatopfer also eine der beiden Klagen wählen dürfen, obwohl ihm der Noxalprozess (freilich gegen einen anderen) gar nicht abgeschnitten ist. Dieser Umstand, der wohl andere Juristen am Nebeneinander beider Klagen zweifeln ließ, wird m. E. im Schlussteil der Stelle besonders deutlich: Sowohl Labeo als auch Julian, die Paulus im Sinn seiner Auffassung zitiert, berücksichtigen die Gegenposition nämlich insofern, als sie dem arglistig Freilassenden eine Einrede46 gegen die actio sine noxae deditione einräumen, sofern sich der libertus selbst verteidigen will. Denn dieser47 ist eben besser dazu imstande, sich angesichts der gegen ihn erhobenen Beschuldigung adäquat zu verteidigen; will er sich hingegen nicht dem Prozess stellen, nachdem sein Freilasser belangt wurde, dann kommt dem 44
Diese Erweiterung scheint auf Julian zurückzugehen; vgl. Paul. (6 ad ed.) D. 2, 9, 2, 1: … sin vero falso neget in sua potestate esse, suscepturum iudicium sine noxae deditione. idque Iulianus scribit et si dolo fecerit, quominus in eius esset potestate. 45 Vgl. Giménez-Candela, Régimen pretorio (Fn. 19), S. 280-282, die “[alienatus] manumissus[ve]” den Kompilatoren zuschreibt, doch dürfte Paulus zweifellos die Entscheidung Gai. D. 9, 4, 25 (s. Fn. 47) gekannt und insofern berücksichtigt haben. 46 Levy, Konkurrenz I (Fn. 17), S. 325 f. u. Fn. 4 geht diesbezüglich - unter Hinweis auf Iul. D. 9, 4, 39, 2 - wohl zu Recht von einer exceptio doli aus. 47 Entsprechendes gilt, wie Gaius in (6 ad ed. prov.) D. 9, 4, 25 ergänzt, für den Fall der Veräußerung des unfreien Täters, wenn ihn sein gegenwärtiger dominus verteidigen und sich deshalb auf die Noxalklage einlassen will: Idem est, et si novus dominus servi iudicium patiatur. Für den Fall der Freilassung fehlt hingegen ein diesbezüglicher Hinweis in den Quellen; vgl. Paul. (9 ad Sab.) D. 47, 2, 42, 1.
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Wahlrecht des Tatopfers Vorrang zu, obwohl nun doch einiges für die Schuld des Ex-Sklaven spricht. Im Anschluss stellt Paulus in (18 ad ed.) D. 9, 4, 26 pr. noch einmal klar, dass es sich hier grundsätzlich um einen Fall elektiver Konkurrenz handelt48: Electio vero alterum liberabit: id enim praetor introduxit, ne eluderetur actor, non ut etiam lucrum faceret: ideoque exceptione a sequenti summovebitur. Hat sich das Tatopfer nämlich für den einen als Beklagten entschieden und ist die litis contestatio erfolgt, so bedeutet das die Entlastung des anderen ope exceptionis, um eine ungerechtfertigte Bereicherung des Klägers zu vermeiden. Diese Klarstellung erscheint wohl deshalb erforderlich, weil sich die prätorische Klage nicht unmittelbar auf das Delikt des unfreien Täters stützt, sondern auf ein davon abgrenzbares, arglistiges Verhalten des Eigentümers, der den Prozess vermeiden wollte: Mit anderen Worten war das Vorliegen der eadem res – anders als im Fall des befehlenden bzw. wissenden dominus, der gleichsam als Täter des verübten Delikts anzusehen ist49 – nicht ohne weiteres vorauszusetzen, was eine gesonderte Begründung von Wahlrecht und (elektiver) Konkurrenz rechtfertigt (arg. id enim praetor introduxit, ne eluderetur actor, non ut etiam lucrum faceret). Bezüglich eines weiteren Aspektes, der bei Paulus im anschließenden § 1 erwähnt wird, soll bereits auf etwas vorgegriffen werden, was erst später genauer auszuführen ist: His consequens est, ut, si plures dolo fecerint, quo minus in potestate haberent, eligere debeat actor, quem velit convenire. Haben nämlich mehrere domini ihre potestas arglistig aufgegeben, so bleibt das Prinzip der elektiven Konkurrenz unverändert: Meist wird dieser Text in der Literatur auf Miteigentümer hinsichtlich eines servus communis bezogen50, doch ist das erst der Gegenstand von § 251. Hier handelt es sich m. E. um den Fall, dass mehrere Eigentümer „nacheinander“ ihre potestas am Täter aufgegeben haben, der Sklave wird sozusagen wie eine „heiße Kartoffel“ weitergereicht oder – genauer gesagt – weiterveräußert. Obwohl es sich dabei also um Einzeltäter handelt und jeder für sich das drohende Noxalverfahren vermieden hat, bleibt es dennoch beim Wahlrecht des Tatopfers und bei elektiver Konkurrenz, da es einzig und allein darum geht, das (einmal) verübte Delikt zu ahnden. Sollte hingegen – und darin liegt nun der Vorgriff – die Begehung der Unrechtstat von mehreren domini befohlen worden sein, wie das etwa bei mehreren Miteigentümern gegenüber ihrem servus communis denkbar ist, dann können sie als Mittäter kumulativ zur Verantwortung gezogen werden52.
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Vgl. D. Liebs, Die Klagenkonkurrenz im römischen Recht, Göttingen 1972, 80 Fn. 230; Giménez-Candela, Régimen pretorio (Fn. 19), 359 f. sowie Kaser/Hackl, RZP 2, 303 u. Fn. 14. 49 S. dazu schon oben bei Fn. 35. 50 Vgl. Giménez-Candela, Régimen pretorio (Fn. 19), S. 283 u. Anm. 138. 51 Paul. (18 ad ed.) D. 9, 4, 26, 2: Item si ex pluribus dominis quidam dolo malo partes suas desierint possidere, electio erit actoris, utrum directo agere velit cum eo qui possidet, an praetoria cum eo qui desiit possidere; vgl. zu diesem Beleg unten bei Fn. 94. 52 S. dazu unten bei Fn. 64 f.
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Schließlich bleibt noch ein dritter Unterschied zu erwähnen, auf den Paulus in § 4 desselben Fragments eingeht53: Si is, quem desieris dolo possidere, decesserit, priusquam hac actione convenireris, liberaris, quia haec actio in locum directae actionis succedit: diversum dicemus, si moram feceris in iudicio accipiendo. Sollte nämlich der Täter verstorben sein, bevor das Tatopfer die Klage anhängig gemacht hat, so entgeht – nach dem Prinzip noxa caput sequitur – nicht nur der gegenwärtige dominus der Noxalklage; vielmehr kann auch derjenige, der seine potestas zuvor arglistig aufgegeben hat, nicht länger mit der prätorischen actio sine noxae deditione belangt werden. Auch hier ist die Begründung des Spätklassikers m. E. einleuchtend (arg. quia haec actio in locum directae actionis succedit): Die prätorische Klage soll ja nur ergänzend zu der – allenfalls de facto nicht möglichen – Noxalklage zur Verfügung stehen, doch fehlt mit dem Wegfall der actio noxalis auch der prätorischen Klage die Grundlage. Denn der vorangegangene Versuch, dem drohenden Prozess zu entgehen, erscheint jetzt ohne jede Relevanz54. Auch in diesen Fällen lässt sich also das Resümee ziehen, dass nur eine von mehreren bestehenden Obligationen geltend gemacht werden kann: Denn die Obligationen resultieren ja letztlich alle aus ein und demselben Delikt des Sklaven und nur dieses eine Unrecht soll hier – angesichts der Zuordnung des Sklaven an seinen dominus – geahndet werden.
III. O bligationen bei Gläubiger- und Schuldnermehrheit: Der servus communis als Täter 1. Vor diesem Hintergrund lassen sich nun in einem weiteren Schritt die einschlägigen Obligationen im Fall der sog. Schuldnermehrheit untersuchen, wenn also mehrere freie Personen aufgrund des einen Sklavendelikts haften: In den Quellen wird dieses Problem anhand des Miteigentumssklaven ( servus communis) diskutiert, der 53
Zweifelhaft erscheint bei Paul. (18 ad ed.) D. 9, 4, 26, 4 vor allem der Hinweis auf die actio directa, womit offenbar die Noxalklage angesprochen ist, während Gai inst. 4, 77 mit dieser Wortwahl auf die Bußklage (ohne Auslieferungsmöglichkeit) Bezug nimmt. Kaser, RP I 2, 631 Anm. 12 geht aus diesem Grund bei Gaius von einem „untechnischen“ Begriff aus; anders F. Serrao, Responsabilità per fatto altrui e nossalità, BIDR 73 (1970), 138, der den Satz von Paulus im Sinn von „quia haec (= noxalis) actio in locum directae actionis succedit“ auslegt; genau umgekehrt argumentiert hingegen Giménez-Candela, Régimen pretorio (Fn. 19), S. 268 mit ihrem Änderungsvorschlag „in locum [directae] ‹noxalis› actionis“. M.E. lässt sich das Problem jedoch dadurch entschärfen, dass man den Terminus actio directa, der ja - s. etwa J. Aicher, D. 44, 7, 37 pr., SDHI 35 (1969), 360 ff., 362 f. sowie Kaser/Hackl, RZP 2, 329 f. u. Fn. 20 - auch als Gegenbegriff zu actio utilis, actio contraria etc. gebräuchlich ist, im Sinn von „regelmäßiger Klage“ übersetzt, so dass die Bedeutung in unterschiedlichen Kontexten (wie etwa bei Gaius und Paulus) divergieren kann, ohne dass man deren Echtheit in Frage stellen muss. 54 Diese Auslegung wird auch durch den Schlusssatz von Paul. D. 9, 4, 26, 4 bestätigt: Hat freilich derjenige, der arglistig seine potestas aufgegeben hat, die bereits beabsichtigte Einleitung des Verfahrens „moros“ verzögert, so muss dem Tatopfer weiterhin die Klagemöglichkeit eingeräumt werden.
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die Untat einem Außenstehenden gegenüber verübt hat. Eingangs erscheint es zum besseren Verständnis allerdings zweckmäßig, auch das Thema der Gläubigermehrheit – und insofern die Folgen von Delikten am servus communis – kurz vergleichend zu behandeln. Freilich besteht auch in diesem Kontext ein deutlicher Unterschied zwischen der Gläubigermehrheit, die zu einer „geteilten Obligation“ führt55, und der Schuldnermehrheit, bei der man im Außenverhältnis von einer „Gesamtobligation“ sprechen kann: M. Kaser führt das bei den Unrechtstaten von Miteigentumssklaven auf ein „Nachwirken des alten consortium“ zurück56, doch lässt sich vielleicht eine Begründung finden, die auch aus späterem Blickwinkel sachgerecht erscheint. Der hier interessierende Fall einer Gläubigermehrheit wird uns von den Spätklassikern Paulus und Ulpian anhand des Sachverhaltes verdeutlicht, dass ein servus communis durch den Sklaven des Titius verletzt oder getötet wird57: Vorwegnehmend lässt sich sagen, dass dann – wie schon bei der Konkurrenzproblematik – der Gedanke der „Einheit“ des Verpflichtungsgrundes die Entscheidungen der Juristen bestimmt; diese „Einheit“ manifestiert sich dabei in der Befugnis des beklagten dominus, die noxae deditio zu vollziehen: Mit ihr deckt sich auf der anderen Seite das Recht der Miteigentümer auf Bestrafung des Täters, dem – als einheitlicher und unteilbarer Akt – letztlich Priorität vor einer Bußzahlung zukommt. Paul. (22 ad ed.) D. 9, 4, 19 pr.: Si in re communi mea et tua damnum nobis dederit Titii servus, si cum eo agemus, erit noxali Aquiliae actioni locus, ne damnatus in solidum singulis noxae dedere cogatur. sed potest dici, quasi unius damnum sit et una obligatio, aut utrisque pecuniam [sufferendam] ‹offerendam› aut officio iudicis simul utrisque noxae dedendum: sed et si alterutri nostrum in solidum noxae deditus fuerit et ob id ab utroque dominus sit absolutus, recte dicitur eum, cui noxae deditus sit, alteri teneri communi dividundo iudicio, ut communicet servum noxae sibi deditum, cum ob rem communem aliquid ad socium pervenerit. Ulp. (18 ad ed.) D. 9, 2, 27, 2: Item si servus communis meus et tuus sit occisus a servo Titii, Celsus scribit alterum ex dominis agentem aut litis aestimationem consecuturum pro parte aut noxae dedi ei in solidum oportere, quia haec res divisionem non recipit.
Besonders deutlich tritt diese Konsequenz der noxae deditio zu Tage, wenn die beide Miteigentümer zugleich mittels Noxalklage vorgehen: Trotz zweier anhängiger Verfahren braucht der Täter – wie Paulus betont – von Titius nur einmal ausgeliefert werden, weil hier gleichsam ( quasi) nur der Schaden eines Einzigen und somit bloß „una obligatio“ vorliege. Der iudex hat also – wohl indem er das zweite Verfahren mitberücksichtigt – dafür zu sorgen, dass beide zusammen den Täter oder eben die 55 Vgl. Kaser, RP I 2, 655 f. u. Anm. 1 („Pönalforderungen“ bezüglich des Mitteigentumssklaven). 56 Kaser, RP I 2, 657 u. Anm. 14, wobei er diesen Tatbestand von „allen sonstigen Fällen einer Gläubiger- oder Schuldnermehrheit, wenn die Leistung unteilbar ist“, abgrenzt (ebd., Anm. 16). 57 Darüber hinaus verweist Kaser, RP I 2, 655 f. u. Anm. 1 auf Ulp. (D. 9, 2, 19 i.V.m.) D. 9, 2, 20 und (Ulp. D. 47, 10, 15, 49 i.V.m.) Paul. D. 47, 10, 16, doch wird in diesen beiden Entscheidungen - ohne weitere Begründung - festgehalten, dass der Täter bloß „pro ea parte, pro qua dominus est“ verurteilt werden soll; vgl. auch M. Bretone, Servus communis, Napoli 1958, 161 f. Fn. 11.
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poena ausgehändigt bekommen. Hat jedoch nur einer der socii geklagt und wird der Täter ihm allein ausgeliefert, steht dem anderen die Teilungsklage auf den Eigentumsanteil am Sklaven zu, womit der wirtschaftliche Aspekt der noxae deditio in den Vordergrund rückt: An die Stelle der Vergeltung tritt der Eigentumserwerb. Ulpian ergänzt diesen Gedankengang58, wenn er mit Celsus anfügt, dass die Auslieferung im Rahmen des Noxalverfahrens eine derartige Teilung jedenfalls nicht zulasse; denn in diesem Kontext dürfte die Bestrafung des Täters der tradierte Ausgangspunkt geblieben sein. Der Einwand wird freilich gegenstandslos, wenn sich der Beklagte für die Zahlung der poena entscheiden sollte; zudem baut die anteilsmäßige Leistung an den alleinigen Kläger der Gefahr einer Veruntreuung des Geldanteils vor, der ja dessen (möglicherweise abwesenden) socius zusteht59. 2. Anhand dieses letzten Punktes zeigt sich auch der grundlegende Unterschied zum Fall der Schuldnermehrheit, bei dem die Tat von einem servus communis begangen wird. Geht man nämlich mit Ulp. (3 ad ed.) D. 9, 4, 5 pr. von der regelmäßigen Situation aus, wonach die Miteigentümer im Vorfeld keine Kenntnis vom Delikt hatten, so ist jeder der socii einer Noxalklage in solidum ausgesetzt60: Si plurium servus deliquerit omnibus ignorantibus, noxale iudicium in quemvis dabitur. … Mit anderen Worten kann jeder einzelne belangt werden und hat entweder die gesamte poena in Geld zu leisten oder den Sklaven an das Tatopfer auszuliefern. Nach herrschender Lehre werden in der Klassik durch die litis contestatio mit einem der Miteigentümer regelmäßig alle anderen befreit61, doch zeigen die Quellen in diesem Zusammenhang gewisse Unschärfen. Die Kompilatoren scheinen einerseits klassische Ansätze einer „Solutionskonkurrenz“ verallgemeinert, zum anderen aber die elektive „Konsumptionskonkurrenz“ nicht in allen Texten getilgt zu haben62. Bezüglich der Haftung der Miteigentümer für den servus communis lässt sich jedenfalls festhalten, dass hier die „Einheit“ der Obligation gemäß Paul. D. 9, 4, 19 pr. (arg. una obligatio), die mit der noxae deditio einhergeht, direkt auf die Geldzahlungspflicht übertragbar ist, da das Vergeltungsrecht und ebenso die damit einhergehende poena ja einem einzigen Geschädigten zustehen. Überblicksmäßig weist Ulpian in D. 9, 4, 5 pr. nun im Anschluss an den Ausgangsfall dieser Gesamtobligation darauf hin63, dass schulmäßig zwei weitere Varianten abzugrenzen sind: 58
Diesen Aspekt betont die Handbuchliteratur anhand dieses Belegs; vgl. etwa auch H. Honsell/ Th. Mayer-Maly/W. Selb, Römisches Recht4, Berlin u.a. 1987, 281 u. Fn. 9. 59 Denn hinsichtlich des Titius, der sich die potestas am Sklaven erhalten hat, bildet letzterer ja weiterhin eine (finanzielle) Rückversicherung. 60 Für die Echtheit von Ulp. D. 9, 4, 5 pr. bereits Albanese, BIDR 70 (1967) 131 u. Anm. 26. 61 Das ergibt sich für den Fall des Nichtwissens der domini aus einem argumentum e contrario bezüglich des Fortgangs von Ulp. D. 9, 4, 5 pr. (arg. altero convento); so auch Ph. Schmieder, Duo rei. Gesamtobligationen im römischen Recht, Berlin 2007, S. 292 u. Fn. 1335, während A. Steiner, Die römischen Solidarobligationen, München 2009, S. 204 f. eine solche Textauslegung als „wenig ergiebig“ bezeichnet. 62 S. bereits oben Fn. 33 und in diesem Sinn ferner die Hinweise bei Honsell/Mayer-Maly/Selb, RR 4, 283 f. u. Anm. 30-34; von einer grundsätzlichen (klassischen) Differenzierung anhand der verschiedenen Arten von formulae (in ius bzw. in factum conceptae) geht hingegen zuletzt Steiner, Solidarobligationen (Fn. 61), passim, S. 202 ff. aus. 63 Vgl. Schmieder, Duo rei (Fn. 61), 29 f.; 232 f. sowie 290 ff.
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Sed si omnibus scientibus, quivis eorum tenebitur detracta noxae deditione, quemadmodum si plures deliquissent, nec altero convento alter liberabitur: sed si alter scit, alter ignoravit, qui scit detracta noxae deditione convenitur, qui nescit, cum noxae deditione. Zum einen könnten nämlich alle Miteigentümer vom Delikt des servus communis Kenntnis haben: Wie Ulpian ausführt, lässt sich dann gegen jeden einzelnen die regelmäßige Deliktsklage erheben, wobei es zur kumulativen Konkurrenz kommt64; denn jeder Mitwissender ist ja so anzusehen, als hätte er das Delikt selbst begangen (arg. quemadmodum si plures deliquissent), weshalb die socii hier als Mittäter einzustufen sind65. Allerdings wird m. E. dem Tatopfer hier – im Sinn von Ulp. D. 9, 4, 2, 166 – das Recht einzuräumen sein, gegen einen von ihnen stattdessen im Wege der Noxalklage vorzugehen, um allenfalls die Auslieferung des unmittelbaren Täters zu erreichen. Wusste andererseits nur ein Miteigentümer vom Delikt des Sklaven, der andere jedoch nicht, so steht – wie der Spätklassiker knapp bemerkt – gegen letzteren die Noxalklage zu, während der Mitwissende (im Sinn der ersten Variante) der „direkten“ Pönalklage ausgesetzt ist. 3. In einem ersten Schritt soll der Ausgangsfall noch etwas näher betrachtet werden, um dann im Anschluss auf die zweite davon abgegrenzte Variante Ulpians einzugehen, die aus dogmatischer Sicht wohl das größte Interesse hervorruft: Sollten also die zwei Miteigentümer keinerlei Kenntnis vom Delikt ihres Sklaven gehabt haben, so steht dem Tatopfer zwar gegen jeden von ihnen, jedoch nach seiner Wahl das Noxalverfahren offen; diese Interpretation von Ulp. D. 9, 4, 5 pr.67 wird explizit durch die Paulustexte D. 11, 1, 20 pr. und D. 11, 3, 14, 2 bestätigt68, wonach die beiden actiones noxales in elektiver Konkurrenz zu einander stehen. Wiederum findet sich als Erklärung angeführt, dass hier zwei (freie) Personen für einen Sklaven – und insofern für eine einzige Untat – einzustehen habe (arg. nam … ex persona servi duo tenentur)69; im Übrigen zeigt sich anhand dieser beiden Texte ein weiteres Mal die bereits beobachtete Diskrepanz zwischen Konsumptions- und Solutionskonkurrenz70. 64 Arg. nec altero convento alter liberabitur; vgl. auch M. Bretone, Servus communis (Fn. 57), S. 159 f. u. Fn. 7. 65 S. auch oben bei Fn. 18 zu Ulp. D. 9, 4, 2 pr.; ferner Levy, Konkurrenz I (Fn. 17), S. 493-498. 66 Vgl. oben bei Fn. 23. 67 S. oben bei Fn. 61. 68 Paul. (2 quaest.) D. 11, 1, 20 pr.: Qui servum alienum responderit suum esse, si noxali iudicio conventus sit, dominum liberat: ... nam superiore casu ex persona servi duo tenentur, sicut in servo communi dicimus, ubi altero convento alter quoque liberatur: ...; Paul. (19 ad ed.) D. 11, 3, 14, 2: … item si servus communis extraneum corruperit, videndum est, utrum cum duobus agi debeat an et cum singulis exemplo ceterarum noxarum: et magis est, ut unusquisque in solidum teneatur, altero autem solvente alterum liberari. 69 Vgl. auch Bretone, Servus communis (Fn. 57), S. 161 f. u. Fn. 10 f. 70 S. schon oben bei Fn. 62; dazu z.B. Levy, Konkurrenz I (Fn. 17), S. 309-312; W. Litewski, „Litis contestatio“ et obligations solidaires passives dans les „bonae fidei iudicia“ en droit romain classique, RH 4. sér. 54 (1976), 149-175, bes. 173 f.; Liebs, Klagenkonkurrenz (Fn. 48), 69-71 sowie zuletzt Steiner, Solidar: Obligationen (Fn. 61), S. 202 f. In harmonisierender Quellenauslegung hingegen Schmieder, Duo rei (Fn. 61), S. 80 f.; 292 f.
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Das grundlegende Problem dieser Fallkonstellation tritt allerdings – wie Ulpian im ersten Teil von (37 ad ed.) D. 9, 4, 8 ausführt71 – erst zu Tage, wenn der belangte Miteigentümer den Täter ausliefern möchte, um der Höhe der drohenden poena zu entgehen: Si servus communis furtum fecerit, quivis ex dominis in solidum noxali iudicio tenetur: eoque iure utimur. sed non alias poterit is qui conventus est evadere litis aestimationem, nisi in solidum noxae dederit servum, nec ferendus est, si partem dedere fuerit paratus. plane si propter hoc, quod socii dedere parati non fuerint, in solidum fuerit condemnatus, communi dividundo vel familiae erciscundae iudicio adversus eos experietur. … Zur Vornahme der noxae deditio ist nämlich – wie der Spätklassiker festhält – die vorherige Zustimmung aller socii erforderlich. Demgegenüber wird der Ausweg einer „teilweisen Auslieferung“ des Sklaven, mit anderen Worten also die bloße Übereignung des entsprechenden Eigentumsanteils, als unzulässig angesehen: Denn die noxae deditio soll ja in erster Linie der Bestrafung des Täters dienen und erzwingt somit – als unteilbarer Akt – zugleich die „Einheit“ bei jeder der Obligati onen. Sollte der Beklagte daher mangels Zustimmung des anderen Miteigentümers gezwungen sein, die poena zu leisten, so bleibt ihm nur die Teilungsklage, um im Innenverhältnis Regress zu nehmen. Hat er hingegen von vornherein die Bußzahlung gewählt, so könnte er im Rahmen des Regressverfahrens mit einer äußerst unangenehmen Erkenntnis konfrontiert sein, wie Paulus in (23 ad ed.) D. 10, 3, 8, 3 ausführt72: Si communis servi gratia noxae nomine plus praestiterit, aestimabitur servus et eius partem consequetur. War der Täter nämlich weniger wert als die tatsächlich geleistete poena, so erhält er von seinem socius nur den anteiligen Wert des Sklaven in Geld ersetzt, da er eine unwirtschaftliche Entscheidung getroffen hat und deren Konsequenzen selbst zu verantworten hat. Den klassischen Juristen geht es deshalb in erster Linie darum, die missliche Lage des belangten Miteigentümers – also die dadurch allenfalls heraufbeschwo rene Last der Bußgeldleistung – zu entschärfen: Ulpian sieht im oben zitierten Beleg D. 9, 4, 8 den Ausweg darin, dass sich der Belangte gar nicht auf das Noxalverfahren einlässt, sondern seinen Eigentumsanteil bereits in iure auf das Tatopfer übertragt73: … ante noxale sane iudicium acceptum poterit sua parte cedendo se71 Vgl. auch Bretone, Servus communis (Fn. 57), 158 f.; anders hingegen Falchi, Ricerche sulla legittimazione passiva (Fn. 22), S. 100 f., der hier dem Unterschied „tra scientia ed ignorantia domini“ keine Relevanz zubilligen will. Zum Fortgang der Stelle s. sofort im Anschluss. 72 Diese Interpretation des Textes wird im Übrigen auch durch Paul (23 ad ed.) D. 10, 2, 25, 15 (arg. cum hoc expediret) bestätigt: Si unus ex coheredibus noxali iudicio servum hereditarium defenderit et litis aestimationem optulerit, cum hoc expediret, id pro parte hoc iudicio consequatur. … Anders wird Paul. D. 10, 3, 8, 3 allerdings bei O. Behrends/R. Knütel/B. Kupisch/H.H. Seiler, Corpus Iuris Civilis II, Heidelberg 1995, 841 gedeutet: Dort geht die Übersetzung davon aus, dass der belangte Miteigentümer „mehr [als seinen Anteil] geleistet“ hat und daher auch einen „entsprechenden Anteil“ an diesem erhalten soll, doch leistet der belangte Miteigentümer angesichts der in solidum-Haftung ja stets mehr, als es seinem Anteil entspricht. 73 S. zum ersten Teil von Ulp. (37 ad ed.) D. 9, 4, 8 bereits oben bei Fn. 71; zu Recht geht Giménez-Candela, Régimen pretorio (Fn. 19, S. 291 - im Gegensatz zur älteren Literatur - davon aus, dass auch dieser Teil des Textes dem klassischen Recht entspricht.
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curitatem consequi, ne necesse habeat suscipere iudicium: quamquam quis possit dicere evenire, ut, dum pars [eive data] ‹ei cedatur› amittat actionem: dominus enim pro parte factus non potest cum socio noxali experiri. fortassis nec communi dividundo agere possit eius maleficii nomine, quod ante communionem admissum est: quod si non potest, evidenti iniuria adficietur. sed melius est dicere, competere ei communi dividundo iudicium. Zwar wird das Tatopfer dadurch selbst zum socius und verliert infolgedessen die Noxalklage gegen den oder die anderen Miteigentümer, doch wird ihm vom Spätklassiker stattdessen die Teilungsklage zugebilligt: Mittels adiudicatio kann er dann wohl entweder die volle Buße gegen Verzicht auf die soeben erworbene pars erlangen oder er erhält gegen Entfall der Bußforderung den fehlenden Eigentumsanteil – im Sinn einer noxae deditio – zugesprochen. Paulus schlägt in (5 ad Plaut.) D. 10, 3, 15 hingegen eine andere Lösung vor74: Si socius servi communis nomine conventus et condemnatus sit, aget communi di vidundo et antequam praestet: nam et si noxali iudicio cum uno actum sit, statim aget cum socio, ut ei pars traderetur, cautionibus interpositis, ut, si non dederit, reddat. Der Spätklassiker räumt dem beklagten Miteigentümer nämlich bereits nach der Einlassung in das Noxalverfahren die Teilungsklage gegen den oder die anderen Teilhaber ein, so dass er nicht gezwungen ist, nach seiner Verurteilung zuerst die poena zu leisten, um dann seinerseits Regress nehmen zu können. Auf diese Weise lässt sich schon während des laufenden Noxalverfahrens die Übertragung der Eigentumsanteile erreichen, was dem beklagten Miteigentümer die noxae deditio ermöglicht; im Gegenzug muss er allerdings seinem socius Sicherheit dafür leisten, dass er ihm – im Fall eines Freispruches oder der Bußgeldleistung – die pars wieder rücküberträgt, um eine Übervorteilung des Teilhabers auszuschließen. Endet das vorgezogene Teilungsverfahren hingegen mit einer Geldverurteilung, dann weiß der im Noxalverfahren Belangte wenigstens über den aktuellen (Geld-)Wert der partes Bescheid und entgeht so dem von Paulus in D. 10, 3, 8, 3 angeführten Risiko. 4. Besonderes Interesse ruft ferner jene bei Ulp. D. 9, 4, 5 pr. erwähnte Fallvariante hervor, wonach der eine Miteigentümer vom Delikt des servus communis Kenntnis hatte, während der andere ahnungslos war75. Denn auf den ersten Blick scheint sich hier eine gewisse Abweichung von unseren bisherigen Ergebnissen zu ergeben. Um die Argumentation der klassischen Jurisprudenz allerdings richtig zu verstehen, ist es – im Sinn von O. Lenel76 – erforderlich, den Inhalt der beiden zentralen Paulusfragmente zu dieser Materie77 umzugruppieren; denn der Gedan74
Unzutreffend erscheint allerdings die analoge Übertragung „al campo delle obbligazioni contratuali“ bei A. Di Porto, Impresa collettiva e schiavo “manager” in Roma antica, Milano 1984, S. 128 f., der zudem den Zusammenhang mit D. 9, 4, 8 außer Acht lässt; kritisch dazu bereits A. Bürge, Rezension Di Porto, SZ 105 (1988) 856 ff., 864. 75 S. oben bei Punkt III.2 a.E. 76 Vgl. Lenel, Palingenesia I, Sp. 1011 (Nr. 368). 77 Nicht in diesem unmittelbaren Zusammenhang steht - nach klassischem Recht - wohl Paul. (39 ad ed.) D. 9, 4, 9, da die Entscheidung zum Diebstahl einer familia servorum erging und sich daher auf das dazu ergangene prätorische Edikt (vgl. D. 47, 6, 1 pr. ff.) bezieht; bei der Formulierung „si communis familia [vel communis servus]“ handelt es sich daher ebenfalls um eine kompilatorische Verallgemeinerung, die diese Entscheidung mit D. 9, 4, 10 verknüpfen soll; vgl. auch unten bei
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kengang des Spätklassikers wurde – zum Zweck der Verallgemeinerung einzelner Aspekte – bei der kompilatorischen Konzeption des Digestentitels D. 9, 4 durchbrochen: Aus diesem Grund hat man den ersten Teil von Paul. (27 ad ed.) D. 9, 4, 17 pr. vorzuziehen, danach Paul. (27 ad ed.) D. 9, 4, 10 zu behandeln und erst im Anschluss den zweiten Teil von § 17 pr. heranzuziehen. Ausgangspunkt ist für Paulus in § 17 pr. der Sachverhalt, dass ein relativ geringwertiger servus communis einen enormen Schaden angerichtet hat: Si ex duobus dominis uno sciente, altero ignorante servus deliquit, si ante cum altero qui nesciebat actum sit et noxae dediderit servum, iniquum est vilissimi hominis deditione alterum quoque liberari: igitur agetur et cum altero, et si quid amplius est in damni persecutione, consequetur computato pretio hominis noxae dediti. … Erhebt das Tatopfer die Noxalklage gemäß der lex Aquilia gegen den unwissenden Miteigentümer, so ist es – aus ökonomischer Sicht – vollkommen einleuchtend, dass der wissende socius im Voraus seine Zustimmung zur noxae deditio erteilen wird und der Beklagte den Täter dann nach seiner Verurteilung auch ausliefert. Jeder Miteigentümer hat auf diese Weise den eigenen Sklavenanteil verloren. Paulus wendet nun ein, dass dieses Ergebnis für das Tatopfer ungerecht sei, da es deutlich weniger erlangt als die poena, die es vom wissenden socius ja mittels unmittelbarer Deliktsklage hätte erlangen können. In den bislang besprochenen Texten wird auf dieses Problem – z. T. auch von Paulus selbst – nicht näher Bezug genommen, da dem Tatopfer das Wahlrecht zusteht78; insofern hat es der Kläger selbst in der Hand, von Vornherein den für ihn (ökonomisch) günstigeren Weg zu beschreiten. Angesichts der deutlichen Wertdifferenz geht jedoch Paulus hier – wie bei einigen weiteren „ungleich ergiebigen, konkurrierenden Klagen“79 – einen anderen Weg80: Er lässt auch nach einer Verurteilung im Noxalprozess die „Nachforderung“ gegen den anderen Miteigentümer im Wege der „direkten“ Deliktsklage zu. Sollte dem Tatopfer der Beweis gelingen, dass jener von Delikt des servus communis Kenntnis hatte, so erfolgt die Verurteilung auf den Höchstwert des beschädigten Objektes, allerdings abzüglich des Wertes des im ersten Verfahren bereits ausgelieferten Täters; denn die Bußsumme stellt folgerichtig die Obergrenze dessen dar, was das Tatopfer aufgrund der erlittenen Schadenstat erlangen kann. Für Paulus wird damit im Außenverhältnis, also im Rahmen des Noxalrechts, ein sachgerechtes Ergebnis erzielt. Aus diesem Grund orientieren sich – in § 17 pr. – auch seine anschließenden systematischen Überlegungen zum Innenverhältnis geFn. 81. Für einen kompilatorischen Zusatz auch Giménez-Candela, Régimen pretorio (Fn. 19), S. 366 f. u. Fn. 39 (mit weiteren Hinweisen); anders zuletzt Schmieder, Duo rei (Fn. 61), S. 293 u. Fn. 1339. 78 Vgl. oben bei Fn. 23; bei Fn. 48 sowie bei Fn. 67 f. 79 S. dazu schon Liebs, Klagenkonkurrenz (Fn. 48), S. 241 ff. i.V.m. 249 f. 80 Im konkreten Zusammenhang könnte die Argumentationslinie vielleicht auch von Marcell. (8 dig.) D. 47, 6, 5 zum furtum einer im Miteigentum befindlichen familia servorum angeregt worden sein, da sich bei diesem Sachverhalt das hier skizzierte ökonomische Problem mit besonderer Deutlichkeit stellt.
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nau an diesem Lösungsansatz: … ipsi tamen inter se sic debent pensare communi dividundo iudicium, ut, si ille quo sciente fecit praestiterit, non totius partem ferat, sed partem eius, quanti servus est: sic et si alter aliquid praestiterit, eius partem fieri. … Dabei stellt sich der Spätklassiker grundsätzlich die Frage, wie ein „gerechter“ Ausgleich zwischen den beiden socii im Wege des Teilungsverfahrens zu bewerkstelligen ist. Zwei weitere Konstellationen sind denkbar: Wurde der Mitwissende zuerst geklagt und deshalb auf den Höchstbetrag gemäß der lex Aquilia verurteilt, so muss ihm der Teilhaber jedenfalls den Wert seines eigenen Sklavenanteils leisten. Mit anderen Worten hat sich also auch der nichtwissende socius an der Bußzahlung zu beteiligen81; seine Haftung beschränkt sich jedoch auf den Wert des (Eigentums-)Anteils am Täter, durch dessen Auslieferung er ja der weitaus höheren poena hätte entgehen können. Wurde hingegen der nichtwissende Teilhaber geklagt und leistet er daraufhin den Höchstbetrag, so kann er mit Hilfe der Teilungsklage die gesamte Bußzahlung abzüglich des Wertes seines Sklavenanteils zurückfordern, sofern er die scientia des socius zu beweisen vermag82. Allerdings ergänzt Paulus seine bisherige Argumentation in Fragment D. 9, 4, 1083 um einen wichtigen Punkt: Sed et eo nomine agere cum socio poterit, quod servum communem deteriorem fecit, quemadmodum cum quolibet alio, qui rem communem deteriorem fecisset. ceterum si nihil praeterea post noxae deditionem commune habebit, pro socio vel, si socii non fuerunt, in factum agi poterit. Will man nämlich – im Rahmen des Teilungsverfahrens – die pars servi des nichtwissenden socius zum Zweck des internen Ausgleichs in Geld bestimmen, so hat man zugleich in Rechnung zu stellen, dass der gemeinsame Sklaven durch die Begehung des Delikts charakterlich verschlechtert wurde. Da dies aber aus Verschulden des mitwissenden Teilhabers geschehen ist, hat man den Eigentumsanteil des schuldlosen socius entsprechend niedriger anzusetzen, was dessen Beitrag an der bezahlten Geldbuße noch zusätzlich verringert84. Danach fügt Paulus im letzten Satz von § 17 pr. an, dass die Geldbuße jedoch dann zur Gänze vom mitwissenden socius zu tragen ist, wenn er dem Sklaven das Delikt befohlen hat: … illud iniquum est eum, qui iussit servum facere, consequi
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Davon würde allerdings Paul. D. 9, 4, 9 abweichen (arg. … nec a socio quicquam debebit consequi: sui enim facti nomine poenam meruit), wenn man die Formulierung „si communis familia [vel communis servus]“ schon dem Spätklassiker zuschreibt; s. dazu schon oben bei Fn. 77. 82 Hier kann der (wissende) socius auch nicht im Sinn von Paul. D. 10, 3, 8, 3 (s. oben bei Fn. 72) einwenden, diese Bußzahlung wäre ökonomisch unvorteilhaft und zu seinem Nachteil gewesen, da er ja selbst als Beklagter nur diese Option hätte und - im Fall einer erfolgten noxae deditio - sowieso der entsprechenden „Nachforderung“ von Seiten des Tatopfers ausgesetzt wäre. 83 Für die Klassizität des Textes bereits Liebs, Klagenkonkurrenz (Fn. 48), S. 249. 84 Sollte es sich beim Sklaven allerdings um das einzige gemeinsame Gut der beiden socii handeln und ist die communio - wegen der erfolgten noxae deditio - nunmehr beendet, so gewährt Paulus (D. 9, 4, 10 i.f.) dem unwissenden Ex-Teilhaber zu diesem Zweck an Stelle der Teilungsklage eine actio in factum.
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aliquid a socio, cum ex suo delicto damnum patiatur85. Auch bei Paulus tritt also die Unterscheidung zwischen scientia und iussum domini zu Tage, die sich bereits bei der Diskussion des Belegs D. 9, 4, 2, 1 anhand der von Ulpian überlieferten Meinungskontroverse zwischen Celsus und Julian vermuten lässt86. Angesichts dieser komplexen Entscheidung bleibt freilich zu überlegen, warum Paulus gerade in diesem Fall – wenn also ein Miteigentümer vom Delikt des servus communis weiß, während der andere ahnungslos ist – eine Nachforderungsmöglichkeit im Wege der „direkten“ Deliktsklage vorsieht, wenn das Tatopfer wegen der Auslieferung des geringwertige Sklaven im Noxalverfahren (deutlich weniger) als die poena erlangt hat. Zugleich stellt sich also mit H.-P. Benöhr die damit zusammenhängende Frage87, ob sich dieses Ergebnis vielleicht analog auf alle anderen, bisher besprochenen Fälle der scientia domini übertragen lässt, obwohl sich dort keine entsprechenden Hinweise finden. M. E. handelt es sich jedoch bei Paul. D. 9, 4, 10; 17 pr. um einen Spezialfall, wobei sich das zuletzt angedeutete Problem wohl gemäß unserer bisherigen Argumentation lösen lässt: Denn die klassischen Juristen gehen davon aus, dass ein dominus sciens grundsätzlich mit der „direkten“ Deliktsklage belangt werden kann, weil er sozusagen als Täter anzusehen ist88; sie ergänzen jedoch, dass der Sklave aufgrund seiner Untat nicht straflos bleiben darf und gewähren deshalb gegen diesen dominus sciens auch die Noxalklage, doch können beide Klagen dem Tatopfer – wegen der Zuordnung des Sklaven an seinen dominus und der daraus resultierenden „Einheit“ der Obligationen – nur in elektiver Konkurrenz zustehen. Anders verhält es sich hingegen bei einem wissenden und einem unwissenden Teilhaber am servus communis, da hier die „Zuordnung“ des Sklaven an den einen socius die „direkte (und damit ergänzende) Bußklage gegen den anderen, also gegen denjenigen Miteigentümer, der vom Delikt Kenntnis hatte, keineswegs ausschließt. Zudem macht der Gedanke einer ergänzenden Klage – und darin dürfte wohl eine wesentliche ratio decidendi zu finden sein – auch aus prozessualen Gründen guten Sinn: Da die beiden Klagen in diesem Fall eben gegen zwei verschiedene (freie) Personen zustehen, wird mit Pauls Entscheidung zugleich verhindert, dass der wissende socius – etwa durch längere Abwesenheit – das Recht des Tatopfers auf die Bußzahlung zu hintertreiben versucht, indem sich der Geschädigte nun „gezwungenermaßen“ an den unwissenden Teilhaber hält und somit das Klagerecht gegen den anderen einbüßen würde. 5. Zur Abrundung der Darstellung bleibt schließlich noch auf die zweite Möglichkeit einer unbeschränkten Haftung von Miteigentümern einzugehen, also auf den Fall, dass man die potestas am servus communis arglistig aufgibt, um dadurch dem drohenden Noxalprozess zu entgehen89. Auch hier lassen sich als Varianten in Betracht ziehen, dass entweder alle Teilhaber sich dolos – und im Zusammenwir85
Liebs, Klagenkonkurrenz, S. 249 geht von einem Glossem aus, doch dürften die hiefür herangezogenen Belege D. 9, 4, 5 pr. und D. 9, 4, 9 nicht den Kern des Problems treffen. 86 Vgl. schon oben bei Fn. 21 und Fn. 28. 87 So Benöhr, SZ 97 (1980) 286. 88 Vgl. schon oben bei Fn. 18 und Fn. 65. 89 S. zu Julians Beitrag in diesem Zusammenhang bereits oben bei Fn. 44.
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ken – ihrer potestas am Täter entledigt haben, oder dass nur einer oder ein Teil von ihnen das Verfahren auf diese Weise zu vermeiden versucht. Die erste Variante wird bei Julian in (9 dig.) D. 9, 4, 39 pr. behandelt und führt zu einem – auf den ersten Blick – überraschenden Ergebnis90: Si plurium servus furtum fecerit et omnes dolo fecerint, quo minus eum in potestate haberent, subsequi debet praetor iuris civilis actionem et iudicium honorarium, quod ex hac causa pollicetur, in eum dare, quem actor elegerit: neque enim amplius praestare actori debet, quam ut detracta noxae deditione agere possit cum eo, cum quo noxali iudicio experiri potuisset, si servus exhiberetur. Der Hochklassiker betont nämlich, dass zwar gegen jeden Miteigentümer die aus dessen dolosen Verhalten resultierende prätorische actio (sine noxae deditione) erhoben werden kann91, doch stehen die Klagen insgesamt in elektiver Konkurrenz: Denn die socii gelten – anders als im Fall ihrer scientia92 – nicht als Mittäter, da zwar ein jeder den Noxalprozess vermeiden wollte, aber keiner von ihnen etwas mit dem Sklavendelikt „an sich“ zu tun hat. Das Ziel liegt einzig und allein darin, das Tatopfer angesichts des Entfalls des zivilen Klagerechts zu schützen und ihm ersatzweise eine – und nur eine – prätorische actio einzuräumen, da eine Kumulierung der Klagen zur ungerechtfertigten Bereicherung führen würde. Das prätorische Recht orientiert sich hier also am regelmäßigen Noxalverfahren, für das der Grundsatz der elektiven Konkurrenz bestimmend ist93. In der zweiten Variante hat dagegen nur einer bzw. ein Teil der Miteigentümer arglistig bewirkt, dass es bezüglich des entsprechenden Sklavenanteils an der potestas oder – wie Paulus in (18 ad ed.) D. 9, 4, 26, 2 sagt94 – am Besitz fehlt (arg. quidam dolo malo partes suas desierint possidere) und somit die Passivlegitimation zum Noxalverfahren nicht besteht95: Item si ex pluribus dominis quidam dolo malo partes suas desierint possidere, electio erit actoris, utrum directo agere velit cum eo qui possidet, an praetoria cum eo qui desiit possidere. Auch hier wird dem Tatopfer also ein Wahlrecht eingeräumt, diesmal allerdings in einem doppelten Sinn: Man kann entweder gegen einen der socii, bei denen sich der Täter noch befindet, mit der (regelmäßigen) Noxalklage vorgehen (arg. directo agere)96 oder einen der anderen mittels prätorischer actio sine noxae deditione belangen.
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Vgl. auch Giménez-Candela, Régimen pretorio (Fn. 19), S. 293 f. sowie Spengler, Studien (Fn. 37), 124 f. 91 Allg. zum Verfahren sowie zur prätorischen actio oben bei Punkt II.2. 92 Vgl. oben bei Fn. 64 f. 93 Dazu auch Levy, Konkurrenz I (Fn. 17), S. 321 f. 94 In § 1 wird hingegen auf die Aufgabe der potestas Bezug genommen; siehe zum Text von D. 9, 4, 26, 1 schon oben bei Fn. 50. 95 Gemäß Spengler, Studien (Fn. 37), S. 125 sei ein solcher Fall „praktisch nicht recht vorstellbar“. Man braucht m. E. jedoch bloß anzunehmen, dass einige der socii ihre partes am servus communis den anderen Teilhabern verkaufen, da sie - und nur sie - nachträglich vom verübten Delikt Kenntnis erlangen. 96 Vgl. oben Fn. 53.
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Auf beide Fallvarianten gemeinsam bezieht sich dann Ulpian in (38 ad ed.) D. 11, 1, 17: Si servus non sit unius, sed plurium et omnes mentiti sunt eum in sua potestate non esse vel quidam ex illis, aut dolo fecerunt quo minus sit in potestate, unusquisque illorum tenebitur in solidum, quemadmodum tenerentur, si haberent in potestate: is vero, qui nihil dolo fecerit quo minus in potestate haberet, vel non negavit, non tenebitur. Auszugehen ist hier nämlich davon, dass alle oder zumindest einige der Miteigentümer97 ihre potestas am Sklaven dem Tatopfer gegenüber leugnen bzw. die potestas bereits im Vorfeld dolos aufgegeben haben. Der Spätklassiker stellt dazu fest, dass jeder der erwähnten Teilhaber in solidum haftet, wie es ja auch der Fall wäre, wenn ihre potestas außer Zweifel stünde: Damit soll – ähnlich wie schon zuvor bei Iul. D. 9, 4, 39 pr. – zum Ausdruck gebracht werden, dass sich die prätorische actio sine noxae deditione am Noxalverfahren orientiert und daher ein beliebiger aus dem Kreis dieser socii – nach Wahl des Tatopfers – unbeschränkt zu Bußzahlung verpflichtet ist (arg. tenebitur); denn die Möglichkeit zur noxae deditio steht für sie ja nicht mehr zur Diskussion, nachdem die potestas (aufgrund förmlicher Befragung) verneint wurde98. Nur auf die prätorische Klage ist dann wohl auch der letzte Satz des Fragments zu beziehen99, der bloß für die zweite Sachverhaltsvariante Sinn ergibt: Ulpian sagt nämlich abschließend, dass jener Teil der Miteigentümer, der weder fälschlich geleugnet noch dolos die eigene potestas aufgegeben hat, nicht verpflichtet wird (arg. non tenebitur). Das würde allerdings bedeuten, dass der letzte Satz von D. 11, 1, 17 missverständlich formuliert ist: Denn jene untadeligen socii könnten angesichts der bestehenden und von ihnen nicht weiter geleugneten potestas durchaus belangt werden, sofern das Tatopfer nämlich – im Sinn von Paul. D. 9, 4, 26, 2 – mittels Noxalklage gegen einen von ihnen vorgehen will. Für die vorgeschlagene Interpretation spricht, dass sich der Text unter der Rubrik D. 11, 1: De interrogationibus in iure findet: Für die Adressaten der Entscheidung dürfte der durchaus nachvollziehbare Zusammenhang also darin liegen100, dass eine Verneinung der potestas die Befugnis zur actio sine noxae deditione einräumt (arg. tenebitur), während deren Bejahung eine solche Klage zwangsläufig ausschließt (arg. non tenebitur). Zudem lässt sich inhaltlich argumentieren, dass Ulpian ansonsten die Möglichkeit einer noxae deditio abschneiden würde, was einer besonderen Erklärung bedarf: Denn das hätte zur Folge, dass eine Verfolgung und allfällige Bestrafung des Sklaven durch das Tatopfer nur deshalb ausgeschlossen ist, weil einige der Miteigentümer den ihnen drohenden Prozess vermeiden wollten. Doch hat man immerhin einzuräumen, dass der Wortlaut des letzten Satzes von 97
Angesichts des letzten Satzes von D. 11, 1, 17 nicht nachvollziehbar ist m. E. die Annahme von Spengler, Studien (Fn. 37), S. 124 Anm. 2, es handle sich bei „vel quidam ex illis“ um ein Glossem, das „zwar das kunstvolle Satzgefüge stört, sachlich aber nichts ändert“; s. zu diesem Zusammenhang sofort im Anschluss. 98 Denn dadurch wurde in iure explizit in Abrede gestellt, zur Auslieferung des Täters imstande zu sein. 99 In diesem Sinn Spengler, Studien (Fn. 37), S. 124 f., jedoch ohne nähere Begründung. 100 In diese Richtung argumentiert auch Giménez-Candela, Régimen pretorio (Fn. 19), 289.
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D. 11, 1, 17 für eine Auslegung im Sinn der Verneinung jeglicher Klage sprechen könnte. Dann wäre freilich von einer Meinungskontroverse zwischen Ulpian und Paulus (D. 9, 4, 26, 2) auszugehen. Ulpian hätte also in der Tat den Wegfall der Noxalklage in Kauf genommen, um das arglistige Verhalten der Miteigentümer in iure, nämlich im Rahmen der förmlichen Befragung (arg. D. 11, 1), entsprechend zu ahnden; das Leugnen vor der Obrigkeit des Gerichtsmagistrats gäbe dann den Ausschlag dafür, eines der Prinzipien des Noxalrechts aufzugeben, wonach der unmittelbare Täter im Wege der noxae deditio zur Verantwortung gezogen werden soll. Am anderen Prinzip, dass aufgrund eines einzigen Delikts jedenfalls nur eine der daraus entstehenden Obligationen gerichtlich geahndet wird, rüttelt allerdings auch Ulpian nicht. In aller gebotenen Kürze lässt sich somit resümieren: Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildete die vinculum iuris-Lehre, die im Regelfall dazu führt, dass die schuldrechtlichen Parteien mit nur einem einzigen Band aneinander „gefesselt“ sind. Dagegen konfrontiert uns das Noxalrecht gleichsam mit einem „Beziehungsgeflecht“: Lässt man den in diesem Kontext nicht weiter relevanten Fall einer kumulativen Konkurrenz mit mehreren (freien) Schuldnern beiseite, so entstehen im etablierten klassischen Recht regelmäßig zwei Obligationen: diejenige des nunmehrigen Gewalthabers und jene des (unfreien) Täters. Allerdings lässt sich anhand der Tatbestände der scientia des (ehemaligen) dominus oder der dolosen Aufgabe der potestas am (unfreien) Täter sowie anhand der Delikte eines servus communis zeigen, dass auch weitere Obligationen – von ehemaligen Gewalthabern oder von Miteigentümern – hinzutreten können. Wie sich das vinculum iuris im Sinn der necessitas dann letztendlich auswirkt, hängt von Wahlmöglichten ab: einmal von der generellen Befugnis des belangten dominus, den Sklaven in Form der noxae deditio auszuliefern, und zum anderen vom Recht des Tatopfers, sich den – aus prozessökonomischer, wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Sicht – geeignetsten Beklagten auszusuchen. Allen diesen Wahlmöglichten liegt nämlich – wie die Darstellung zu zeigen versuchte – das Prinzip der „Einheit“ des Verpflichtungsgrundes zugrunde, weshalb die klassischen Juristen auch „quasi“ von una obligatio ausgehen: Wegen der notwendigen Zuordnung des Sklaven an seinen dominus ist eben nur eine einzige Obligation prozessrelevant.
Drittbeteiligung am Schuldverhältnis im Europäischen Privatrecht Oliver Remien
I. Einleitung 1. Europäisches Privatrecht Europäisches Privatrecht wird heute breit diskutiert, ja ist bald in aller Munde. Man kann bei ihm meines Erachtens allerdings drei verschiedene Begriffe unterscheiden: einen rechtsvergleichenden, der wissenschaftlich gemeinsame Grundregeln herausdestilliert, einen rechtshistorischen, der das alte ius commune zur Grundlage einer modernen Rechtseinheit machen will, und einen gemeinschaftsrechtlichen, der das von der Gemeinschaft gesetzte Privatrecht sowie die Privatrechtsfolgen des EG-Vertrages umfasst. Für den ersten Begriff stehen insbesondere die Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Principles of European Contract Law) der Lando Kommission, für den zweiten wissenschaftliche Arbeiten des „Neopandektismus“, für den dritten inzwischen diverse Richtlinien und Verordnungen der EG. Diese gemeinschaftsprivatrechtlichen Richtlinien und Verordnungen sind bei den Lando-Principles im Wesentlichen noch nicht berücksichtigt worden. Es gab sie zum größten Teil noch gar nicht, als die Lando-Kommission Anfang der 80er Jahre ihre Arbeiten begann. Angesichts der Anerkennung, welche die Lando-Principles gefunden haben, und der Breite, die das positive Gemeinschaftsprivatrecht inzwischen erreicht hat, liegt es wissenschaftlich heute aber nahe, beides zusammenzuführen. Dies soll auch hier für den Bereich der Drittbeteiligung am Schuldverhältnis unternommen werden. Es entspricht ferner grundsätzlich dem Ansatz, den die Bemühungen um einen so genannten Gemeinsamen Referenzrahmen des Europäischen
Siehe schon Remien, Europäisches Privatrecht als Verfassungsfrage, EuR 2005, 699-720 (700 f.).
O. Remien () Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches Wirtschaftsrecht, Internationales Privatund Prozessrecht sowie Rechtsvergleichung, Universität Würzburg, Alte Universität, Domerschulstraße 16, 97070 Würzburg, Deutschland E-Mail: [email protected] J. D. Harke (Hrsg.), Drittbeteiligung am Schuldverhältnis, DOI 10.1007/978-3-642-04450-2_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Vertragsrechts zu verfolgen haben. Der akademische Referenzrahmenentwurf (Draft Common Frame of Reference) berücksichtigt das Gemeinschaftsprivatrecht allerdings nur zum Teil. Dieses ist ergiebiger als gelegentlich vom DCFR erkannt. Das ist angesichts des Anspruchs des DCFR verwunderlich, hier aber nicht näher zu ergründen.
2. Schuldverhältnis und Drittbeteiligung In der Frage nach der Drittbeteiligung am Schuldverhältnis wird der Begriff des Schuldverhältnisses vorausgesetzt und wohl auch dessen zunächst nur relative Wirkung. Der Begriff des Schuldverhältnisses indes ist eine Abstraktion und rechtsvergleichend gesehen daher keineswegs selbstverständlich. Die Lando-Principles sprechen nur vom Vertrag. Lando-Principles und DCFR weichen insoweit grundsätzlich voneinander ab und die neue Aufteilung im DCFR – Buch II über „Contracts and other juridical acts“ und Buch III über „Obligations and corresponding rights“ – wird von manchen kritisiert. Dass das Gemeinschaftsrecht in anderen Bereichen wie dem Zollrecht allgemein schuldrechtliche Regeln enthält, wird dabei ausgeblendet. Ob man vertragsrechtliche und andere anspruchsbegründende Verhältnisse unter dem Begriff des Schuldverhältnisses zusammenfasst oder nicht, kann hier jedoch beiseite gelassen werden – stets lässt sich die Frage nach der Drittbeteiligung stellen. Die Drittbeteiligung wird durch die Relativität des Schuldverhältnisses zum Thema. Diese Relativität scheint, obwohl in zum Teil unterschiedlicher Ausprägung, allgemein als Ausgangspunkt akzeptiert – ob als privity of contract, effet relatif des conventions gemäß Art. 1165 Code civil oder anders bezeichnet. Plastischsten Ausdruck fand diese Relativität schon im römischen Recht jedenfalls auf der Passivseite darin, dass der Schuldner und eben nur er mit seiner Person haftete; der Übergang zur Vermögenshaftung hat daran nichts grundsätzlich geändert. Die modernen Regelwerke heben den Grundsatz allerdings kaum hervor und bringen
Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Draft Common Frame of Reference (DCFR), Outline Edition, 2009. Sehr kritisch etwa Stefan Grundmann, The Structure of the DCFR – Which Approach for today’s Contract Law? ERCL 2008, 225-247; abwägend Antoni Vaquer, Farewell to Windscheid? Legal Concepts Present and Absent from the Draft Common Frame of Reference (DCFR), ERPL 2009, 487-512, 492 m. Nachw. Zur „Zollschuld“ Art. 4 Nr. 13 Modernisierter Zollkodex – Verordnung 450/2008/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2008, ABl. 2008 L 145/1 – und Art. 4 Nr. 9 Zollkodex – Verordnung 2913/92/EWG des Rates vom 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ABl. 1992 L 302 – und jeweils weitere einzelne Vorschriften. Zur Frage Vertragsrecht oder Schuldrecht allgemein etwa Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages, 2003, S. 2 ff. Max Kaser/Rolf Knütel, Römisches Privatrecht, 19. Aufl. 2008, § 4 Rz. 5; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, Roman Foundations of the Civilian Tradition, 1990, 5.
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ihn allenfalls durch die Bestimmung zum Ausdruck, dass ein Vertrag bindend für die Parteien ist (Artt. 1.3 UPICC, II.-1:103 (1) DCFR – für die PECL implizit Artt. 2:101 und 2:107) – und eben nicht für andere. Die Gemeinsamkeit ist offenbar so groß und selbstverständlich, dass man sie nicht einmal ausdrücklich feststellt. Auch die Nennung des Grundsatzes als Einleitung zur Ausnahme des Vertrages zugunsten Dritter wurde für die UPICC zwar vorgeschlagen, aber verworfen. Die Relativität des Schuldverhältnisses ist der Ausgangspunkt. Sie folgt im Vertragsrecht auch aus der Definition des Vertrages als „freiwillig eingegangene Verbindlichkeit“ – denn wer wird sich gegenüber jedermann binden wollen? Angesichts des gemeinsamen Ausgangspunktes hat nun gerade die Bestimmung der Grenzen10 im Hinblick auf die Drittbeteiligung ihren besonderen Reiz. Drittbeteiligung soll dazu hier weit verstanden werden. Damit sind also ein Anspruch gegen einen Dritten oder die Haftung eines Dritten11, aber auch die Stellvertretung – die nur kurz angesprochen werden soll – sowie die Personenauswechselung beim Schuldverhältnis berührt. Welche Grundsätze oder Regeln finden sich dazu im Europäischen Privatrecht?
II. Anspruch oder Haftung Dritter 1. Action directe Ein Anspruch gegen einen Dritten, eine action directe, findet sich in Art. 18 Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie 2009/10312. In der rechtspolitischen Diskussion war sie auch für das Kaufrecht13. Jedoch wurde ein solcher Direktanspruch nicht in die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44 aufgenommen. Auch der Vorschlag für
Dies bemängelt nun aber Simon Whittaker, The „Draft Common Frame of Reference“. An Assessment commissioned by the Ministry of Justice, United Kingdom, November 2008, 60 ff. Siehe Vogenauer in: Stefan Vogenauer/Jan Kleinheisterkamp (Hg.), Commentary on the Unidroit Principles of International Commercial Contracts (PICC), 2009, Art. 5.2.1 Rz. 3. EuGH 17.9.2002 - Rs. C-334/00 (Tacconi), Slg. 2002, I-?? Erw. 23 ff; 27.10.1998 - Rs. C-51/97 (Réunion européenne), Slg. 1998, I-6511; 17.6.1992 – Rs. C-26/91 (Handte ./. TMCS), Slg. 1992, I-3967; siehe auch Remien (Fn. 5), S. 46. 10 Für das Gemeinschaftsprivatrecht will Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006, Rn. 594 und 601 gerade aus den Ausnahmen auf den Grundsatz der Relativität schließen. 11 Auch an den Einwendungsdurchgriff könnte man denken, vgl. etwa Riesenhuber (Fn. 10), Rn. 579 ff.; es handelt sich hier allerdings weniger um eine Einbeziehung eines Dritten in ein Schuldverhältnis, sondern eher um die Auswirkung des Schicksals des einen Schuldverhältnisses auf ein anderes. 12 Richtlinie 2009/103/EG vom 16.9.2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, ABl. 2009 L 263/11, vorher Art. 3 Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie, ABl. 2000 L 181/65. 13 Näher Bridge in: Grundmann/Bianca (Hg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Kommentar, 2002, Art. 4 Rn. 5f. S. 201f.; ablehnend Riesenhuber (Fn. 9), Rn. 596ff.; nach Art. 12 Satz 2 der Richtlinie sollte der bis zum 7.7.2006 zu erstattende Bericht über die Anwendung der Richtlinie auch
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eine Richtlinie über die Rechte der Verbraucher vom 8.10.2008, der diese und drei weitere Verbraucherrechtsrichtlinien zusammenfassen will14, ändert daran nichts. Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44 enthält bisher allerdings eine Norm zum Rückgriff des an den Verbraucher verkaufenden Unternehmers gegen seinen Vorverkäufer, Art. 4. Diese ist jedoch einigermaßen unbestimmt15. Zudem findet sie sich nicht in dem genannten Richtlinienvorschlag vom 8.10.2008 wieder. Dies ist auf den ersten Blick überraschend und harrt der – in der Begründung des Richtlinienvorschlags nicht zu findenden – Begründung. Möglicherweise kann man es damit erklären, dass der Richtlinienvorschlag anders als die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie von 1999 eine Vollharmonisierung anstrebt, zu der eine rudimentäre Regelung wie der bisherige Art. 4 nicht passt. Wenn allerdings bisher eine Norm wie Art. 4 für den Binnenmarkt erforderlich gewesen sein soll, so dürfte diese auch nunmehr nicht wegfallen, es sei denn, dass neue Erkenntnisse vorliegen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber zeigt hier kein sehr überzeugendes Vorgehen. Nicht besser ist es beim DCFR, der bisher nichts bietet. Die Acquis-Gruppe hat eine Vorlage zu dem Thema angekündigt – unverständlicherweise aber erst nach Veröffentlichung des DCFR.
2. Vertrag zugunsten Dritter Wird der Vertrag zugunsten Dritter anerkannt, so handelt es sich klar um eine Drittbeteiligung am Schuldverhältnis. Was in den §§ 328 ff. BGB beinahe als selbstverständlich daherkommt, war weder im alten römischen Recht16 noch bis zum Contracts (Rights for Third Parties) Act 1999 in England allgemein anerkannt17. Das Gemeinschaftsprivatrecht scheint bisher zu schweigen18, es finden sich allen-
die Frage eines Direktanspruchs überprüfen, siehe dann KOM (2006)744endg und KOM(2007) 210endg. 14 Vorschlag für eine Richtlinie über Reche der Verbraucher vom 8.10.2008, KOM(2008) 614endg. 15 Art. 4 Rückgriffsrechte (VerbrauchsgüterkaufRiL 1999/44): „Haftet der Letztverkäufer dem Verbraucher aufgrund einer Vertragswidrigkeit infolge eines Handelns oder Unterlassens des Herstellers, eines früheren Verkäufers innerhalb derselben Vertragskette oder einer anderen Zwischenperson, so kann der Letztverkäufer den oder die Haftenden innerhalb der Vertragskette in Regress nehmen. Das innerstaatliche Recht bestimmt den oder die Haftenden, den oder die der Letztverkäufer in Regress nehmen kann, sowie das entsprechende Vorgehen und die Modalitäten.“ 16 Kaser/Knütel (Fn. 6), § 34 Rz. 6; Zimmermann (Fn. 6), S. 34 ff. 17 Hans-Friedrich Müller, Die Einführung des Vertrages zugunsten Dritter in das englische recht, Eine vergleichende Betrachtung aus deutscher und gemeineuropäischer Sicht, RabelsZ 67 (2003) 140-165; siehe auch Remien (Fn. 5), 540 ff. 18 So auch Vogenauer in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, hrsgg. von Jürgen Basedow, Klaus J. Hopt, Reinhard Zimmermann, 2009, verbo Vertrag zugunsten Dritter 1683.
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falls sehr mittelbare Hinweise19. Hingegen sprechen sich die Regelwerke klar für den Vertrag zugunsten Dritter aus. Bereits die Lando-Prinzipien erkennen ihn in Artt. 6:110 PECL an. Sie waren damit früh wegweisend. Die Unidroit-Prinzipien geben dann in den Artt. 5.2.1 – 5.2.6 UPICC eine detailliertere Regelung20, die insbesondere hinsichtlich Ausschluss- und Begrenzungsklauseln sowie Einwendungen und Einreden über die Lando-Prinzipien hinausgeht21. Der DCFR greift nun über die PECL hinausgehend die detailliertere Regelung der UPICC auf ohne sie in der Form zu übernehmen (Artt. II.-9:301 – II.-9:303 DCFR). Damit liegen verschiedene Regelungsentwürfe vor, von denen keiner Verbindlichkeit beanspruchen kann. Die Tendenz der europäischen Rechtsentwicklung scheint immerhin eindeutig.
3. Sicherung Während der Vertrag zugunsten Dritter in der Regel – wenn es nämlich nicht nur um eine Haftungsbeschränkung zugunsten Dritter geht – einen Erfüllungsanspruch gegen einen Dritten gibt, kann doch auch eine bloße Sicherung dieses Anspruches durch einen Dritten angeordnet sein22. Das Gemeinschaftsprivatrecht kennt hier seit langem im Reiserecht die Sicherung nach Art. 7 Pauschalreise-RiL 90/31423. Der Gerichtshof hatte sich mit ihr schon verschiedentlich auseinanderzusetzen24. Für den Sektor des Timesharing war vergleichbares diskutiert worden, konnte sich aber nicht durchsetzen. Die neue Timesharing-Richtlinie ändert insoweit nichts. Anders organisiert, aber funktionell vergleichbar, ist die bank- und wertpapierrechtliche Einlagensicherung. Die Richtlinie 94/19/EWG über Einlagensicherungssysteme und die Richtlinie 97/9/EG über Systeme für die Entschädigung von Anlegern schreiben Entschädigungssysteme vor25. Gegen diese hat der Einleger im Fall des Falles einen gesonderten Anspruch. 19
Riesenhuber (Fn. 9), Rn. 578 mit Hinweis auf Art. 2 Ziffer. 4 Pauschalreiserichtlinie sowie Art. 2 Spiegelstrich 4 Timesharing-Richtlinie sowie die Überweisungsrichtlinie. 20 Kommentiert jetzt von Vogenauer in: Vogenauer/Kleinheisterkamp (Fn. 8). 21 Siehe schon Remien, Die UNIDROIT-Prinzipien und die Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, - Ein vergleichender Blick -, in: Eleanor Cashin-Ritaine und Eva Lein (Hg.), The UNIDROIT-Principels 2004, Their Impact on Contractual Practice, Jurisprudence and Codification, Reports of the ISDC Colloquium (8/9 June 2006) (2007) 65-76 (68). 22 Siehe schon Remien in: Schulze/Schulte-Nölke/Bernardeau (Hg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, 2002, 148. 23 Art. 7 Pauschalreise-RiL 90/314: „Der Veranstalter und/oder Vermittler, der Vertragspartei ist, weist nach, dass im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses die Erstattung gezahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers sichergestellt sind.“ 24 Insbesondere EuGH 8.10.1996 – Rs. C-178/94 (Dillenkofer), Slg. 1996, I-4845; 14.5.1998 – Rs. C-364/96 (Verein Konsumenteninformation ./. Österreichische KreditversicherungsAG), Slg. 1998, I-2949; 15.6.1999 – Rs. C-140/97 (Rechberger), Slg. 1999, I-3499. 25 Überblick bei Peter Jung in: Schulze/Zuleeg, Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 1. Aufl. 2006, § 20 Rn. 128ff.
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Der DCFR sagt zu alldem nichts. Er enthält zwar ein ausführliches Buch über die besonderen Verträge, regelt die Pauschalreise aber seltsamerweise nicht – dabei gehört sie doch gerade zum acquis des Europäischen Vertragsrechts und regelt einen Vertrag großer praktischer Bedeutung und Streitanfälligkeit. Zudem kann man sie auch zum allgemeinen oder sonstigen besonderen Schuldvertragsrecht in Bezug setzen26. Eingeschränkt gilt dies auch für das Timesharing, das der DCFR – acquis hin oder her – nicht speziell würdigt. Bei der bank- und wertpapierrechtlichen Einlagensicherung ist zuzugeben, dass sie aus dem speziellen Wirtschaftsrecht stammt. Die Insolvenzsicherung, obwohl praktisch relevant, scheint ein Stiefkind der wissenschaftlichen europaprivatrechtlichen Entwicklung.
III. Stellvertretung Die Frage nach der Drittbeteiligung kann auch bei Konstellationen der Stellvertretung gestellt werden. Das Gemeinschaftsprivatrecht sagt, was manchen überraschen wird, auch etwas zur Stellvertretung. Zwar regelt es die Stellvertretung nicht detailliert27. Das Institut wird vom Gemeinschaftsprivatrecht jedoch vorausgesetzt, und zwar in Nr. 1 lit. n) des Anhangs zur Klausel-RiL 93/13. Aus den exemplarischen Klauselverboten des Anhangs kann man nämlich, wie schon vereinzelt gezeigt28 und nunmehr systematisch untersucht29, Rückschlüsse auf vom Gemeinschaftsprivatrecht vorausgesetzte Privatrechtsinstitute herleiten. Lit. n) der Nr. 1 des Anhangs setzt die Bindung des Gewerbetreibenden an „von seinen Vertretern eingegangene Verpflichtungen“ voraus30 und damit das Institut der direkten Stellvertretung. Detaillierte Stellvertretungsregeln folgen daraus indes natürlich nicht. Konkreter ist schon das Zollrecht, das direkte und indirekte Vertretung definiert31 und sogar die Vertretung ohne Vertretungsmacht anspricht32. Solche detaillierten Regeln bieten die PECL, UPICC und der DCFR. Auffällig sind dabei die PECL. Sie enthalten in Kap. 3 Regeln über die Stellvertretung 26
Dazu Christine Rössler, Reisegewährleistungsrecht und allgemeines europäisches Leistungsstörungsrecht, Eine rechtsvergleichende Untersuchung zu den PECL, dem deutschen modernisierten Schuldrecht, der RL 90/314/EWG und den §§ 651 a ff BGB unter Berücksichtigung der Bedeutung für den Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008. 27 Insoweit zutreffend Kleinschmidt in: HwbEuPrivR (Fn. 18) verbo Stellvertretung 1441: „Im Gemeinschaftsprivatrecht existiert keine explizite Regelung der Stellvertretung und ihrer Folgen im Verhältnis zu Dritten.“ 28 Zu Nr. 1 lit. o) und der exceptio non adimpleti contractus Remien (Fn. 22), S. 143. 29 Matthias Henke, Enthält der Anhang der Klausel-Richtlinie Grundregeln des europäischen Vertragsrechts?, Diss. iur. Würzburg 2009 (im Druck). 30 Lit. n) Klausel-RiL 93/13: „ … die Verpflichtung des Gewerbetreiben zur Einhaltung der von seinen Vertretern eingegangenen Verpflichtungen eingeschränkt wird oder diese Verpflichtung von der Einhaltung einer besonderen Formvorschrift abhängig gemacht wird; …“ 31 Art. 11 modernisierter Zollkodex, Art. 5 Zollkodex (vgl. oben Fn. 4). 32 Art. 12 Abs. 1 UA 2 bzw. Art. 5 Abs. 4 UA 2.
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und sehen bei der mittelbaren Stellvertretung unter gewissen Umständen für Zahlungsunfähigkeit oder wesentliche Nichterfüllung vor, dass dann auch Rechte vom bzw. gegen den indirekt Vertretenen ausgeübt werden können – also eine Form der Drittbeteiligung. Es handelt sich hier um die Artt. 3:302 und 3:30333. Sie folgen zum Teil der common law-Doktrin der undisclosed agency, dem Genfer Stellvertretungs-Übereinkommen und den niederländischen Artt. 7:420 und 7:421 BW sowie weiteren Ansätzen34, sind aber von zweifelhaftem gemeineuropäischem Gehalt. Die UPICC greifen dies in ihren Stellvertretungsregeln der Artt. 2.2.1 – 2.2.10 nicht auf. Dort regelt Art. 2.2.4 zwar die „Agency undisclosed“, doch ist dies wohl gerade eine Absage an die common law-Doktrin und die genannten Regeln der PECL35. Die UPICC verzichten fast gänzlich auf Direktansprüche und werden gerade darum manchmal gelobt36. Der DCFR enthält seine eigenen Regeln (Artt. II.6:101 bis II.-6:112) und unterscheidet sich gleichfalls von den PECL. Art. II.-6:106 behandelt den „Representative acting in own name“. Der Vertreter selbst wird dann gebunden, so ergibt es sich aus Satz 1. Und nach Satz 2 gilt für dessen Handeln im eigenen Namen, dass es „does not as such affect the legal position of the principal in relation to the third party unless this is specifically provided for by any rule of law.“ Es schien also, dass der DCFR sich von den PECL abwende. In der endgültigen Ausgabe des DCFR finden sich aber versteckt in dem Kapitel über Parteiänderung – „Change of parties“ – und somit ganz außerhalb des Vertretungsrechts Regeln, welche die mittelbare Stellvertretung im Falle der Insolvenz des mittelbaren
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PECL Art 3:302 (Zahlungsunfähigkeit der Mittelsperson oder wesentliche Nichterfüllung gegenüber dem Vertretenen): „Wenn die Mittelsperson zahlungsunfähig wird oder sie eine wesentliche Nichterfüllung gegenüber dem Vertretenen begeht oder wenn vor der Leistungszeit deutlich ist, dass eine wesentliche Nichterfüllung eintreten wird: (a) hat die Mittelsperson auf Verlangen des Vertretenen den Namen und die Adresse der dritten Partei dem Vertretenen mitzuteilen; und (b) kann der Vertretene gegenüber der Dritten Partei die Rechte ausüben, die von der Mittelsperson auf Rechnung des Vertretenen erworben wurden, vorbehaltlich von Einreden, welche die dritte Partei gegenüber der Mittelsperson erheben kann. PECL Art. 3:303 (Zahlungsunfähigkeit der Mittelsperson oder wesentliche Nichterfüllung gegenüber der dritten Partei): „Wenn die Mittelsperson zahlungsunfähig wird oder ihr eine wesentliche Nichterfüllung gegenüber der dritten Partei zur Last fällt oder wenn vor der Leistungszeit deutlich ist, dass eine wesentliche Nichterfüllung eintreten wird: (a) hat die Mittelsperson auf Verlangen der dritten Partei den Namen und die Adresse des Geschäftsherrn der dritten Partei mitzuteilen; und (b) kann die dritte Partei gegenüber dem Vertretenen die Rechte ausüben, die der dritten Partei gegenüber der Mittelsperson zustehen, vorbehaltlich von Einreden, welche die Mittelsperson gegenüber der dritten Partei erheben kann, und derjenigen, die der Vertretene gegenüber der Mittelsperson erheben kann.“ 34 Vgl. die Notes zu den beiden Artikeln in: Lando/Beale (Hg.), The Principles of European Contract Law. 35 Siehe auch Krebs in: Vogenauer/Kleinheisterkamp (Fn. 8) Art.2.2.4 Rn. 1, weniger klar ebd. Art. 2.2.1 Rn. 9. 36 Vgl. Kleinschmidt in: HwbEuPrivR (Fn. 18) verbo Stellvertretung 1441.
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Vertreters betreffen, die Artt. III.-5:401 und III.-5:40237. Nach Art. III.-5:401 hat der verdeckte Geschäftsherr die Möglichkeit, durch Erklärung die vertraglichen Rechte des mittelbaren Vertreters zu übernehmen. Gemäß Art. III.-5:402 hat dann der so genannte Dritte – „third party“ – ebenfalls die Möglichkeit, seine Rechte gegen den mittelbaren Vertreter gegen den verdeckten Geschäftsherrn auszuüben. Dies wird als „counter-option“ bezeichnet und setzt die Ausübung der Option des verdeckten Geschäftsherrn voraus. Hier wird anders als in den symmetrisch angelegten PECL der Geschäftsherr gegenüber dem Dritten bevorzugt38. Das befremdet. Auch scheint es, dass der Insolvenzverwalter zugunsten des Geschäftsherrn entmachtet und möglicherweise die Insolvenzmasse zu dessen Gunsten entleert wird Die Verbannung der Regelung in das Kapitel über den Parteiwechsel ist zudem wenig transparenzfördernd und der Reglungsinhalt ist ohnedies von zweifelhaftem Wert: Wenn es darum geht, wem das Risiko der Insolvenz der Zwischenperson zugewiesen wird39, so fragt sich, warum im Dreigestirn von Vertragspartner, Geschäftsherrn und Massegläubigern dem Vertragspartner Sonderrechte zustehen sollen. Die Stellvertretung, obwohl im Gemeinschaftsprivatrecht vorausgesetzt, scheint in Europa noch einige Schwierigkeiten zu bereiten.
IV. Personenauswechslung Von einer Drittbeteiligung kann man auch sprechen, wenn nachträglich eine dritte Person hinzutritt oder ein am Schuldverhältnis Beteiligter durch einen Dritten ausgewechselt wird. In den Blick kommen damit die Rechtsinstitute Abtretung, Schuldübernahme und Vertragsübernahme.
1. Abtretung „Forderungsabtretung“ ist die Überschrift von Art. 17 der neuen Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48. Es geht in der Vorschrift in Abs. 1 um den Erhalt der Einreden und in Abs. 2 um die Unterrichtung des Verbrauchers, wenn nicht der ursprüngliche Kreditgeber mit Einverständnis des Zessionars weiterhin als Kreditgeber auftritt40. Der Einredeerhalt ist eine wichtige Regelung zur Folge der Abtretung. Hinsichtlich der Abtretung ist auch wiederum der Anhang zur Klausel-Richtlinie 93/13 zu betrachten. In dessen Nr. 1 lit. p) ist expressis verbis von der Abtretung die Rede, al-
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Kurz dazu Matthias E. Storme, The Structure of the Law on Multiparty-Situations in the 2009 Draft Common Frame of Reference, ERPL 2009, 531-557, 544ff. 38 Vgl. Kleinschmidt in: HwbEuPrivR (Fn. 18) verbo Stellvertretung 1441. 39 So Kleinschmidt ebd. 1440. 40 Kurz zur Vorgängerregelung Riesenhuber (Fn. 9), Rn. 585.
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lerdings von der Abtretung des Vertrags ohne die Zustimmung des Verbrauchers41. Mir scheint allerdings zweifelhaft, ob hier die Abtretung des Vertrags oder der Forderung gemeint ist. In der Literatur wird vertreten, dass nicht die Forderungsabtretung, sondern die Vertragsübertragung gemeint sei42. Auch wenn das richtig sein mag, ist aber wohl zu fragen, ob dasselbe nicht für die Abtretung der Forderung gelten muss. Detailliert geregelt ist die Abtretung jedenfalls in den Regelwerken. Dies gilt für PECL, UPICC und DCFR: Artt. 11:101 – 11:308 PECL, Artt. 9.1.1 – 9.1.15 UPICC und Artt. III.-5:101 – III.-5:122 DCFR. Diese Regelungen stehen in einem vertrags- und schuldrechtlichen Kontext, nicht wie in den Niederlanden in einem Buch zum Allgemeinen Vermögens- oder Sachenrecht43. Rechtspolitisch besonders interessant scheint die Frage der Abtretungsverbote, die mitnichten einhellig beantwortet wird44.
2. Schuldübernahme Zur Schuldübernahme enthalten wiederum die Regelwerke ausführliche Bestimmungen. Es handelt sich um PECL Artt. 12:101 – 12:102, UPICC Artt. 9.2.1 – 9.2.8 sowie DCFR Artt. III.-5:201 bis III.-5:209. Natürlich sind dies aber nur akademische Regelungsvorschläge.
3. Vertragsübernahme Zur Vertragsübernahme bietet das europäische Vertragsrecht mehr Substanz – wenngleich manchmal verkannt. Dies gilt selbst dann, wenn man die gesetzliche Vertragsübernahme wie beim Betriebsübergang ausklammert45. Die Vertragsübernahme wird als rechtliche Konstruktionsmöglichkeit wohl schon in der KlauselRiL 93/13 in Nr. 1 lit. p) des Anhangs vorausgesetzt46. Vor allem aber ist hierzu die derzeitige Gruppenfreistellungsverordnung für Kraftfahrzeughändlerverträge 41
lit. p) Klausel-RiL 93/13: „ … die Möglichkeit vorgesehen wird, dass der Vertrag ohne Zustimmung des Verbrauchers vom Gewerbetreibenden abgetreten wird, wenn dies möglicherweise eine Verringerung der Sicherheiten für den Verbraucher bewirkt; …“ 42 So Wolf in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, Kommentar, 5. Aufl. 2009, RL Anh Nr. 1 p Rn. 202 (auf S. 2357); Henke (Fn. 29), S. 238 des Manuskripts. 43 Krit. Storme (Fn. 37) ERPL 2009, 531, 540. 44 Siehe nur Remien (Fn. 5), S. 544 ff.; Eidenmüller, Die Dogmatik der Zession vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung, AcP 204 (2004) 457-501 (464 ff.); von Wilmowsky, Europäisches Kreditsicherungsrecht, Sachenrecht und Insolvenzrecht unter dem EG-Vertrag, 1996, S. 380ff. 45 Dazu Remien (Fn. 5), S. 549 ff., 557 ff.; Riesenhuber (Fn. 9), Rn. 587. 46 Siehe schon oben Text bei und mit Fn. 41.
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1400/2002 ergiebig. Sie gilt allerdings nur bis zum 31.5.2010 und bei der Vorbereitung einer neuen GVO wird durchaus darüber diskutiert, ob in der kartellrechtlichen Verordnung weiterhin vertragsrechtliche Schutzvorschriften enthalten sein sollen47. Art. 3 Abs. 348 der GVO 1400/2002 verlangt für die Händler- und Werkstattverträge im Anwendungsbereich der Verordnung, dass der Lieferant – also vor allem der Kraftfahrzeughersteller – im Händler- oder Werkstattvertrag der Übertragung des Händler- oder Werkstattvertrages durch den Händler oder die Werkstatt auf einen anderen Händler oder eine andere Werkstatt des Vertriebssystems zustimmt49. Damit geht die Verordnung klar davon aus, dass nach dem anwendbaren (mitglied-) staatlichen Vertragsrecht eine Vertragsübernahme mit Zustimmung des Vertragspartners möglich ist. Dies entspricht wohl der gemeineuropäischen Rechtslage50. Nach der Verordnung ist diese Zustimmung schon im Händler- oder Werkstattvertrag zu erteilen und muss damit also im Voraus erteilt werden können – aus der Sicht des deutschen Rechts und vielleicht auch sonst kein Problem. Die Pauschalreiserichtlinie kennt eine Vertragsübernahme bei Verhinderung des Reisenden in Gestalt der Benennung eines Ersatzreisenden in Art. 4 Abs. 351. Verlangt wird in Satz 1, dass der Veranstalter oder Vermittler „binnen einer vertretbaren Frist vor dem Abreisetermin … unterrichtet“ wird; Übertragender und Erwerber werden nach Satz 2 dann Gesamtschuldner. Eine Zustimmung wird hier nicht verlangt und dies scheint bemerkenswert. Dem Veranstalter oder Vermittler wird die Person des Reisenden aber typischerweise gleichgültig sein52 und seine wirtschaftlichen Interessen werden durch die Gesamtschuld geschützt. Die Vertragsübernahme kennen auch die PECL in Art. 12:201, die UPICC in Artt. 9.3.1 bis 9.3.7 sowie der DCFR in Artt. III.-5:301 bis III.-5:302. Zu den PECL sagt der Kommentar, dass die Zustimmung auch im Voraus gegeben werden kann53. Aus Art. 12.201 (2) i. V. m. Art. 12:101 (2) ergibt sich aber wohl, dass die Ver tragsübernahme dann nur wirksam wird, wenn sie dem Vertragspartner angezeigt wird54. In den UPICC ordnet Art. 9.3.4 dergleichen in (1) und (2) sogar ausdrück47
Ablehnend Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission: der künftige wettbewerbsrechtliche Rahmen für den Kfz-Sektor, KOM(2009) 388endg. vom 22.7.2009, Rn. 41ff. 48 Art. 3 Abs. 3 GVO Kfz-VertriebsVO 1400/2002: „Die Freistellung gilt unter der Voraussetzung, dass in der vertikalen Vereinbarung mit einem Händler oder einer Werkstatt vorgesehen ist, dass der Lieferant der Übertragung der aus der vertikalen Vereinbarung erwachsenden Rechte und Pflichten auf einen anderen Händler bzw. eine andere Werkstatt des Vertriebssystems, die vom vormaligen Händler bzw. Werkstatt ausgewählt wurde, zustimmt.“ 49 Näher Andreas Karl, Kraftfahrzeugvertrieb und Europäisches Privatrecht, Die Neuordnung des Kraftfahrzeugvertriebs durch die Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 1400/2002 unter besonderer Berücksichtigung einzelner Aspekte des Vertragshändlervertrages, 2005, 169 ff. 50 Nach Marcus Baum in: HwbEuPrivR (oben 18) verbo Vertragsübernahme 1706 ist die Vertragsübernahme „allgemein anerkannt“. 51 Dazu auch Riesenhuber (Fn. 9), Rn. 586 und 591. 52 Differenzierend Riesenhuber (Fn. 9), Rn. 591. 53 Comment C, S. 135. 54 Näher Andreas Karl (Fn. 49), S. 172.
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lich an55. Sachlich dasselbe findet sich im DCFR in Art. III.-5:302 (2) Satz 1 und 2. Von einer solchen Anzeige spricht Art. 3 Abs. 3 der GVO nicht56. Theoretisch können sich hier Schwierigkeiten ergeben, da vielleicht nicht sicher ist, dass die Anzeige den Übergang rückwirkend wirksam macht. Aber praktisch ist dies wohl bedeutungslos. Es scheint jedoch bemerkenswert, dass die GVO das Institut der Vertragsübernahme voraussetzt.
V. Summe und Ausblick In der Summe ergibt sich ein nunanciertes Bild. Im Europäischen Vertragsrecht findet sich so einiges zur Drittbeteiligung am Schuldverhältnis, allerdings weniger im Gemeinschaftsprivatrecht und mehr in rechtsvergleichend angelegten Regelwerken. Letztere bieten – wenngleich zuweilen mit erstaunlichen Lücken – grundsätzlich umfassende Regelvorschläge, sind untereinander aber zuweilen uneinig. Kurz zusammengefasst kann man sagen: Die action directe findet sich bei der Kraftfahrzeughaftpflicht, wird sonst aber nur diskutiert. Der Vertrag zugunsten Dritter hat wissenschaftlich wohl allgemeine Anerkennung erfahren. Die Insolvenzsicherung ist ein bereichsspezifischer Bestandteil des Gemeinschaftsprivatrechts, den die Regelwerke leider ganz vernachlässigen. Für die Stellvertretung finden sich Anhaltspunkte im Gemeinschaftsprivatrecht und divergierende wissenschaftliche Regelungsvorstellungen. Die Abtretung wird in den Regelwerken eingehend behandelt, auch die Schuldübernahme wird geregelt. Die Vertragsübernahme schließlich findet sich im Gemeinschaftsprivatrecht wie in den wissenschaftlichen Regelwerken. Das Europäische Vertragsrecht ist noch vielfach nebelhaft, aber selbst bei den Fragen der Drittbeteiligung am Schuldverhältnis hat es schon mehr an Gestalt gewonnen, als mancher gedacht haben mag.
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Mazza in: Vogenauer/Kleinheisterkamp (Fn. 8) Art. 9.3.4 Rn 1 und 2 erklärt dies als Klarstellungen. 56 Andreas Karl (Fn. 49), S. 172.
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I. T heorie und Praxis des Gemeinen Rechts der Stellvertretung Das Recht der (direkten) Stellvertretung – insbesondere bei Verpflichtungsgeschäften – gehörte zu den Bereichen des Zivilrechts, in denen das ius commune die Grundsätze des antiken römischen Rechts nicht beibehielt. Während das Recht der Antike die direkte Stellvertretung im Grundsatz nur als Vertretung eines Gewalthabers durch Sklaven oder Hauskinder anerkannte, wurde die Stellvertretung durch Freie im Gemeinen Recht des Mittelalters und der frühen Neuzeit allmählich zugelassen. In der Rechtswissenschaft wurde noch bis ins 19. Jahrhundert hinein darüber gestritten, ob und wie sich das Institut der direkten Stellvertretung mit den römischen
Dazu nur Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, 2. Auflage, 1971, S. 260-267; Axel Claus, Gewillkürte Stellvertretung im Römischen Privatrecht, 1973, passim, zusammenfassend S. 367; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 45-54; im Grundsatz zustimmend auch Thomas Finkenauer, Direkte Stellvertretung bei Stipulationen?, SZ 125 (2008) 440-497, 442-445. In der Spätantike wurde das Prinzip gelockert, es blieb aber im justinianischen Recht erhalten, vgl. Kaser, Bd. 2, 1975, S. 99-107; Zimmermann, S. 54. Allerdings ist Hans Wieling, Drittwirkung des Mandats und ähnlicher Rechtsverhältnisse, in: Dieter Nörr, Shigeo Nishimura (Hg.), Mandatum und Verwandtes, 1993, 235-267, 263 f. zuzustimmen, dass das klassische römische Recht bereits alle Ansätze für eine volle Ausbildung des Vertretungsrechts enthielt. Vgl. zu diesem Prozess die Überblicke bei Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 1, 1985, S. 423-430; Zimmermann, Obligations (Fn. 1), S. 54-58; Mathias Schmoeckel, §§ 164-181, RdNr. 3, in: ders., Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. 1, 2003, S. 916-956.
T. Rüfner () Professur für Bürgerliches Recht, Römisches Recht, Neuere Privatrechtsgeschichte sowie Deutsches und Internationales Zivilverfahrensrecht, Universität Trier, 54286 Trier, Deutschland E-Mail: [email protected] J. D. Harke (Hrsg.), Drittbeteiligung am Schuldverhältnis, DOI 10.1007/978-3-642-04450-2_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Quellen vereinbaren ließ. Jedoch wurde die direkte Stellvertretung schon in den Statuten zahlreicher italienischer Städte seit dem 13. Jahrhundert ermöglicht. Auch das kanonische Recht tat sich mit der Anerkennung der Stellvertretung leichter als die legistische Rechtswissenschaft: Der Liber Sextus von 1298 enthält zwei regulae iuris, die auf eine grundsätzliche Anerkennung der direkten Stellvertretung hindeuten. Die legistische Rechtswissenschaft des Mittelalters blieb bei der prinzipiellen Unzulässigkeit der direkten Stellvertretung, schmälerte aber die praktische Bedeutung dieser Lehre durch zahlreiche Ausnahmen. Es liegt nahe, dass die allmähliche Anerkennung des Instituts der direkten Stellvertretung einem Bedürfnis der Praxis entsprach. Tatsächlich hat Levin Goldschmidt die Auffassung vertreten, dass sich das Institut der Stellvertretung im Handelsverkehr des Mittelalters schon früh durchgesetzt hatte. Unsere Untersuchung verfolgt nicht das Ziel, Goldschmidts These allgemein zu bestätigen oder zu falsifizieren. Sie will nur am Beispiel der Urkunden des Genueser Notars Giovanni Scriba überprüfen, ob sich in diesen Schriftstücken, in denen sich die Handelspraxis um die Mitte des 12. Jahrhunderts spiegelt, bereits Hinweise darauf finden lassen, dass die Kaufleute von Genua über das nach der Auffassung der Rechtswissenschaft ihrer Zeit Zulässige hinausgehen. Es geht also darum, für eine Untersuchung der Praxis des Stellvertretungsrechts im Mittelalter einen Mosaikstein zu liefern. Die Urkunden des Giovanni Scriba, dem eine ausgezeichnete Kenntnis des römischen Rechts bescheinigt wird, eignen sich aus verschiedenen Gründen besonders gut für eine solche Analyse. Dies gilt zunächst deshalb, weil das Imbreviaturbuch10 des Giovanni Scriba schon seit langer Zeit in der kritischen Edition von Chiaudano und Moresco vorliegt11 (nach der auch im Folgenden zitiert wird) und durch eine reiche Sekundärliteratur erschlossen ist.
Zur Diskussion des 19. Jahrhunderts Ulrich Müller, Die Entwicklung der direkten Stellvertretung und des Vertrages zugunsten Dritter, 1969, S. 152-157 und jetzt ausführlich Franz Josef Hölzl, Friedrich Carl von Savignys Lehre von der Stellvertretung, 2002. Vgl. dazu die Belege bei Levin Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, Teil A, 3. Auflage, 1891, Neudruck 1973, S. 276 Fn. 139; Richard Fraenkel, Die Grundsätze der Stellvertretung bei den Scholastikern, ZVglR 27 (1912) 289-391, 296 f.; Müller, Entwicklung (Fn. 3), S. 55-60. VI. 5, 13, 68 und 72. Einschränkend zur Bedeutung der beiden regulae aber Müller, Entwicklung (Fn. 3), S. 61-72. Auch nach Müller leistete das kanonische Recht jedoch einen wichtigen Beitrag zur Anerkennung der direkten Stellvertretung im ius commune. Hermann Lange, „Alteri stipulari nemo potest“ bei Legisten und Kanonisten, SZ 73 (1956) 279-306, 305. Goldschmidt, Handbuch A (Fn. 4), S. 276; S. 310. Mario Chiaudano, Introduzione, in: ders., Mattia Moresco (Hg.), Il cartolare di Giovanni Scriba, Bd. 1, 1935, S. XLII; Die Annales Ianuenses des Caffaro für das Jahr 1162 bezeichnen Giovanni Scriba als magne legalitatis virum, vgl. Luigi Tommaso Belgrano (Hg.), Annali Genovesi di Caffaro e de’ suoi continuatori, Bd. 1, 1890, S. 66. 10 Zur Bedeutung der Imbreviaturen grundlegend Hans von Voltellini, Einleitung, in ders. (Hg.), Die Südtiroler Notariats-Imbreviaturen des 13. Jahrhunderts, Bd. 1, 1899, Neudruck 1973, S. XXVI-XXIX. 11 Vgl. Fn. 9. Schon vor Erscheinen der Edition von Chiaudano und Moresco waren die Urkunden in den Historiae Patriae Monumenta, Chartarum Vol. II, 1853, Sp. 285-989 zugänglich. Zur
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Auch Goldschmidt hat die Urkunden des Giovanni Scriba verwendet. Allerdings zitiert Goldschmidt den Notar nicht im Zusammenhang mit der Zulassung der direkten Stellvertretung, sondern nur als Beleg für die Verwendung von Klauseln, mit denen die Leistung an einen Dritten versprochen wird12. Diese Order- oder Exaktionsklauseln13 sind für diese Untersuchung nicht unmittelbar von Interesse: Sie spielen für die Dogmengeschichte des Orderpapiers, der Forderungsabtretung14 und des Vertrages zugunsten Dritter eine Rolle. Allerdings ist die Problematik des Vertrages zugunsten Dritter historisch eng mit der Figur der direkten Stellvertretung verbunden: Sowohl der Vertrag zugunsten Dritter als auch die direkte Stellvertretung (auf Seiten des Gläubigers bei Verpflichtungsgeschäften) sind nach klassischen römischen Recht unzulässig aufgrund der Regel alteri stipulati nemo potest – „Niemand kann sich zugunsten eines anderen etwas versprechen lassen“15. Auch deshalb liegt es nahe, in den Urkunden des Giovanni Scriba nach Hinweisen auf die Anerkennung der direkten Stellvertretung zu suchen. Schließlich handelt es sich um das älteste erhaltene Imbreviaturbuch eines Notars überhaupt16. Die Urkunden des Giovanni Scriba geben daher Aufschluss über die Praxis in einer relativ frühen Phase der Rechtsentwicklung. Aus ihnen lässt sich also möglicherweise ablesen, ob die Praxis die direkte Stellvertretung schon uneingeschränkt akzeptiert hatte, bevor die Statuargesetzgebung, das kanonische Recht und schließlich auch die Legistik sich zur Anerkennung dieser Rechtsfigur durchrangen. Das Imbreviaturbuch des Giovanni Scriba enthält Akte aus der Zeit von 1154 bis 1164. Giovanni Scriba, über dessen Leben kaum etwas bekannt ist17, außer, dass er in seiner Heimatstadt als Notar und Schreiber der Konsuln18 wirkte, war damit Unzulänglichkeit dieser Edition vgl. Chiaudano, in ders./Moresco, Il cartolare (Fn. 9), S. XLIXLIII. 12 Goldschmidt, Handbuch A (Fn. 4), S. 391, Fn. 30a; S. 392, Fn. 31; S. 392, Fn. 35 und S. 400, Fn. 44. 13 Vgl. dazu auch Lutz Sedatis, s.v. Orderpapiere, HRG III (1984) Sp. 1283-1287, Sp. 1283 f. 14 Vgl. zur Behandlung der Forderungsabtretung im mittelalterlichen Recht Klaus Luig, Zur Geschichte der Zessionslehre, 1966, S. 11-16; zur Zession in mittelalterlichen Notariatsinstrumenten Voltellini, Notariats-Imbreviaturen (Fn. 10), S. LXI-LXIII; zum Zusammenhang der Klauseln über die Leistung an Dritte mit der Problematik der Stellvertretung S. CIX f. 15 D. 45, 1, 38, 17; Inst. 3, 19, 19; für Verträge, die nicht in Stipulationsform geschlossen werden D. 44, 7, 11; vgl. zur Unzulässigkeit der direkten Stellvertretung auch Inst. 3, 19, 3 und D. 45, 1, 83 pr. und dazu Finkenauer, SZ 125 (2008) 442-445. Zur Behandlung des Vertrages zugunsten Dritter im ius commune und zum engen Zusammenhang mit der Stellvertretung Gerhard Wesenberg, Verträge zugunsten Dritter. Rechtsgeschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1949, insbes. S. 101-114 zur mittelalterlichen Rechtswissenschaft; ders., Zur Behandlung des Satzes Alteri stipulari nemo potest durch die Glossatoren, in: Hans Niedermayer, Werner Flume (Hg.), Festschrift Schulz, Bd. 2, 1951, S. 259-267; Lange, SZ 73 (1956) 279-306; Müller, Entwicklung (Fn. 3), passim, zur mittelalterlichen Rechtswissenschaft S. 29-54. 16 Hans Voltellini, Die Imbreviatur des Johannes Scriba im Staatsarchiv zu Genua, Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 41 (1926) 70-79, 70. 17 Chiaudano, in: ders./Moresco, Il cartolare (Fn. 9), S. XLI ff. 18 Darauf deutet die Selbstbezeichnung als scriba hin, vgl. Chiaudano, in: ders./Moresco, Il car tolare (Fn. 9), S. XLIII; die Chronik des Caffaro für 1162 nennt ihn scribam communis, vgl. Annali Genovesi di Caffaro I (Fn. 9), S. 66.
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Zeitgenosse der Quattuor Doctores in Bologna. Unter den vier großen Rechtslehrern befürwortete Martinus Gosia die Anerkennung direkter Wirkungen des Vertreterhandelns für den Vertretenen, konnte sich mit dieser Auffassung aber nicht durchsetzen19. Zur Zeit des Giovanni Scriba ist – zumindest für Genua – keine statuarrechtliche Anerkennung der direkten Stellvertretung ersichtlich. Soweit sich in den Urkunden des Giovanni Scriba Hinweise auf die Zulässigkeit der direkten Stellvertretung finden, muss also angenommen werden, dass diese auf Handelsbrauch und Gewohnheitsrecht zurückzuführen sind. Im Folgenden werden daher die Urkunden des Giovanni Scriba daraufhin untersucht, ob sie mit den Regeln des römischen Rechts zum Handeln für andere, das heißt zur direkten und indirekten Stellvertretung im Einklang stehen. Insbesondere soll geprüft werden, ob sich Hinweise darauf finden lassen, dass Giovanni Scriba die unmittelbare Berechtigung und Verpflichtung des Vertretenen aus Verpflichtungsgeschäften eines Vertreters für möglich hält. Die Auswahl der Urkunden beruht auf einer Durchsicht der Edition des Imbreviaturbuches. Schon aus Raumgründen ist es nicht möglich, in diesem Beitrag eine erschöpfende Behandlung des Materials anzustreben. Außerdem lassen sich Urkunden, die für das Thema „Handeln für andere“ relevant sind, nicht immer auf den ersten Blick identifizieren. Die Einschaltung eines Stellvertreters ergibt sich zuweilen nur aus einem Nebensatz. Die Untersuchung erhebt also keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dennoch dürfte die Zahl der berücksichtigten Urkunden es zulassen, mit einiger Gewissheit Aussagen darüber zu machen, ob und in welchem Umfang Giovanni Scriba in seiner Praxis über die Regeln des römischen Rechts zum Stellvertretungsrecht hinausgeht.
II. Bestellungsurkunden An erster Stelle sollen mehrere Urkunden behandelt werden, in denen jeweils eine Person eine andere beauftragt, in ihrem Interesse tätig zu werden. Soweit dabei ein Handeln als direkter Stellvertreter vorgesehen ist, könnte man von Vollmachturkunden sprechen.
1. Der Inkassoauftrag für Ogerio de Ripa In mehreren Urkunden beauftragt ein Gläubiger eine Person mit der Einziehung von Forderungen gegen einen bestimmten Schuldner, erteilt also ein Inkassomandat. Beispielhaft sei zunächst die Urkunde Nr. 112 betrachtet20. 19
Zur Lehre des Martinus eingehend Müller, Entwicklung (Fn. 3), S. 44-54. Alle Texte stammen aus der in Fn. 9 zitierten Ausgabe und dem zugehörigen zweiten Band. Da die Urkunden durchlaufend nummeriert sind, wird der Band nicht genannt. Auf den Abdruck der Zeugenlisten zu Beginn der Urkunden wird jeweils verzichtet.
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Giovanni Scriba Nr. 112 Ego Solimanus facio te Ogerium de ripa nuncium meum ad recuperandum tarenos .MCCLV. minus terçam quos mihi debet Iordanus de molino. Pro labore quem inde habebis, quod si recuperaveris eos omnes ibi ubi celebrabitur curia regis et legatorum, habeas inde tarenos centum, si eos recuperaveris minus .CC. [uncias] , inde tamen minus habeas, si vero recuperaveris a medietate usque in ipsis ducentis, minus de omnibus habeas inde per racionem supradictam, si vero recuperaveris minus de medietate, habeas inde uncias duas auri, si vero pro eis recuperandis iveris apud [Saragosam] <Syracusam> vel extra curiam habeas viandam de meo et si eos recuperas uti prelegituir habeas inde tarenos.CL. si minus eadem racione habeas uti prelegitur. Si vero pro eis recuperandis vel implicandis steteris quod venire non possis in galea legatorum, habeas inde viandam et expensa communiter sicut de aliis rebus quas portaveris vel ibi habueris et de toto proficuo quod in eis implicatis erit si eos miseris cum testibus honeratos in ligno quod veniat Ianuam, sive si eos adduxit quintam habebis. Actum in capitulo, .MCLVI., .XIIII. kalendas septembris, indicione tercia. Ich, Solimano, mache dich, Ogerio de Ripa zu meinem Boten zur Eintreibung von 1255 Taris abzüglich des dritten Teils [eines Tari] die mir Giordano de Molino schuldet. Für die Mühe, die du damit haben wirst, sollst du, wenn du alles dort eintreiben kannst, wo der König und die Gesandten Hof halten, hundert Taris erhalten; wenn du [mindestens] 200 Taris weniger eintreibst, sollst du jedoch weniger davon erhalten: Und zwar, wenn du von der Hälfte [des Gesamtbetrages] bis zu den genannten zweihundert [zu wenig] eintreibst, sollst du vom Gesamtbetrag weniger entsprechend dem oben genannten Verhältnis erhalten; wenn du aber weniger als die Hälfte eintreibst, sollst du dafür zwei Unzen Gold erhalten. Wenn du aber, um dieses Geld einzutreiben, nach Syrakus oder außerhalb des Hofes gehst, sollst du von mir Wegzehrung erhalten und wenn du alles eintreibst, wie weiter oben zu lesen ist, sollst du dafür 150 Taris erhalten; wenn du weniger eintreibst, sollst du deinen Lohn nach demselben Verhältnis erhalten, wie es oben zu lesen ist. Wenn du aber, um das Geld einzutreiben, oder um es zu investieren, bleibst, so dass du nicht mit dem Schiff der Gesandten zurückkehren kannst, sollst du dafür wie gewöhnlich Wegzehrung und Aufwendungsersatz erhalten wie für andere Sachen, die du dorthin transportierst oder dort hast. Und vom gesamten Gewinn der sich aus der Investition des Geldes ergibt, wenn du es mit Zeugen auf ein Schiff lädst, das nach Genua kommt oder wenn ein Schiff es bringt, sollst du den fünften Teil haben. Geschehen im Kapitelsaal, am 19. August 1156, in der dritten Indiktion.
a) Hintergrund Die Urkunde nennt – abgesehen von der oben nicht mit abgedruckten Zeugenliste – drei Beteiligte. Solimano, ein reicher und kommerziell sehr aktiver Einwohner von Genua21, beauftragt Ogerio de Ripa mit der Einziehung eines Betrages, den ihm Giordano de Molino schuldet22. Nach der Urkunde schuldet Giordano tarenos .MCCLV. minus terçam23. Tarenus oder tari bezeichnet eine sizilianische Goldmün21
Zur Person des Solimano vgl. nur Svevolod Slessarev, Die sogenannten Orientalen im mittelalterlichen Genua. Einwanderer aus Südfrankreich in der ligurischen Metropole, Vierteljahrschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 51 (1964) 22-65); Abulafia, The Two Italies, 1977, S. 237254; Geo Pistarino, La capitale del mediterraneo: Genova nel medioevo, 1993, S. 335-340 m.w.N. S. 336 f., Fn. 105. 22 Entsprechend der in der historischen Literatur zu den genuesischen Urkunden herrschenden Übung werden die Namen der beteiligten Personen in italienischer Form verwendet. 23 Abulafia, Two Italies (Fn. 21), S. 102 spricht von 1254 Taris, auf S. 240 nennt er den Betrag von 1254 ¾ Taris. Ebenso die italienische Übersetzung ders., Le due Italie, 1991, S. 157
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ze, die von den Sarazenen während ihrer Herrschaft über Sizilien eingeführt und später von Normannen und Staufern übernommen wurde24. Da eine Münze namens terça nicht bekannt ist, dürfte der Ausdruck minus terçam bedeuten, das von den zuvor genannten 1255 Taris die tertia pars eines Tari abzuziehen ist. Demnach schuldet Giordano 1254 2/3 Taris. Für seine Dienstleistung soll Ogerio ein Entgelt erhalten, das nach dem Erfolg seiner Bemühungen und nach dem erforderlichen Aufwand gestaffelt ist. Die Bestimmungen sind vermutlich durch zwei Schreibversehen entstellt und dadurch schwer verständlich. Nach dem Text soll das Entgelt des Ogerio bei Beitreibung des vollen Betrages 100 Taris betragen. Eine Reduzierung soll eintreten, wenn er minus .CC. uncias eintreibt. Da eine Goldunze gleich 30 Taris ist25, entsprechen 200 Unzen dem Betrag von 6000 Taris. Dieser Betrag kann nicht gemeint sein, wenn die ganze Schuld nur 1254 2/3 Taris beträgt. Daher ist vermutlich statt uncias einzusetzen tarenos26. Der Satz ist dann so zu verstehen, dass das Entgelt unverändert bleibt, wenn der Fehlbetrag weniger als 200 Taris beträgt. Fehlen 200 Taris oder mehr, so reduziert sich das Entgelt entsprechend den im Text folgenden Bestimmungen. Danach muss Ogerio, um die vollen 100 Taris zu erhalten, mehr als 1054 2/3 Taris oder 35,15 Unzen27 Gold zurückbringen. Wird diese Grenze unterschritten, so wird das Entgelt in zwei Stufen reduziert. Wenn Ogerio wenigstens die Hälfte des Gesamtbetrages einziehen kann, so soll er ein gemindertes Entgelt per racionem supradictam erhalten. Diese Bestimmung dürfte bedeuten, dass das Verhältnis zwischen eingezogenem Betrag und Entgelt dem Verhältnis des Grenzbetrages für die Zahlung des vollen Entgelts28 (1054 2/3 Taris) zu dem vollen Entgelt von 100 Taris entsprechen soll. Demnach erhielte Ogerio jeweils knapp 9,5 % des eingezogenen Betrages. – Bei einem Betrag, der
und S. 320. Wie Abulafia zu diesen Zahlen gelangt, ist nicht nachvollziehbar. Pistarino, Capitale (Fn. 21), S. 336 spricht einfach von „una somma di tarì 1255 meno una terza“. 24 Philip Grierson, Mark Blackburn, Medieval European Coinage, Bd. 1, 1986, S. 73 und S. 326; P. Berghaus, s.v. Tari, LdMA VIII (1997), Sp. 476. 25 Harald Witthöft, Münzfuß, Kleingewichte, Pondus Caroli und die Grundlegung des nordeuropäischen Maß- und Gewichtswesens in fränkischer Zeit, 1984, S. 46. 26 Abulafia, Two Italies (Fn. 21), S. 102, Fn. 37. 27 Abulafia, Two Italies (Fn. 21), S. 102 gibt den Grenzbetrag mit 35 1/3 Unzen an. Die italienische Übersetzung, Due Italie (Fn. 23), S. 157 nennt 33 1/3 Unzen. Durch diese ungenauen Angaben vergrößert Abulafia leider das „arthmetical chaos“, das er auf die irrtümliche Nennung von Unzen statt Taris zurückführt und mit der Emendation von uncias zu tarenos beseitigen will. 28 Setzt man statt des Grenzbetrages von 1054 2/3 Taris den Gesamtbetrag der Schuld von 1254 2/3 Taris ein, so ergibt sich eine Inkonsistenz: Ogerio erhielte dann, wenn er genau die Hälfte des geschuldeten Betrages einzöge, die Hälfte des vollen Entgelts, also 50 Taris. Für die Einziehung eines Betrages von weniger als der Hälfte der Schuld werden ihm aber 2 Unzen oder 60 Taris versprochen. Ogerio erhielte also für die Einziehung des geringeren Betrages eine deutlich höhere Vergütung. Rechnet man mit dem Grenzbetrag von 1054 2/3 Taris, so ergibt sich bei Einziehung von exakt der Hälfte (627 1/3 Taris) immer noch ein Lohn, der etwas unter 60 Taris liegt (rund 59,48 Taris), die Differenz ist aber so geringfügig, dass sie von den Parteien möglicherweise vernachlässigt oder bei überschlägiger Rechnung übersehen wurde.
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weniger als die Hälfte des Gesamtbetrages ausmacht, erhält Ogerio nur noch eine Pauschalvergütung von zwei Unzen Gold oder 60 Taris. Die bisher referierten Vereinbarungen stehen unter der Voraussetzung, dass Ogerio das ihm aufgetragene Geschäft an dem Ort erledigen kann, ubi celebrabitur curia regis et legatorum. Um welchen Königshof und welche Gesandten es sich handelt, geht aus dem Text der Urkunde nicht hervor. Die Erwähnung der Stadt Saragossa lässt zunächst an den aragonesischen Königshof denken. Jedoch wird aus der Erwähnung der Gesandten, die sich beim König aufhalten sollen und dem Hinweis darauf, dass Ogerio nach Möglichkeit mit dem Schiff der Gesandten nach Genua zurückkehren soll, deutlich, dass in Wahrheit der Hof Wilhelms I., des Bösen, von Sizilien gemeint ist. Denn im Sommer entsandten die Genuesen 1156 Ansaldo Doria und Guiglielmo Vento an den sizilianischen Königshof. Im November des Jahres wurden für Genua überaus vorteilhafte29 Handels- und Rechtsschutzverträge30 abgeschlossen31, die Anfang 1157 von dreihundert führenden Bürgern von Genua beschworen wurden. Die Eidesleistung wurde von Giovanni Scriba beurkundet32. Handelt es sich um den Hof des Königs von Sizilien, so muss die Erwähnung von Saragossa auf einem Schreibversehen beruhen. Vermutlich sollte statt Saragossa die sizilianische Stadt Syrakus genannt werden33. Demnach ist der Sinn der Reglung der folgende: Die Parteien setzen voraus, dass sich der Königshof an einem anderen, für Ogerio besser erreichbaren Ort als Syrakus befindet. Vermutlich denken sie an Palermo. Dort wurde tatsächlich der Vertrag zwischen Genua und König Wilhelm I. unterzeichnet34. Sollte der Hof sich statt dessen in Syrakus aufhalten oder sollte sich für Ogerio die Notwendigkeit ergeben, den Schuldner Giordano an einem anderen Ort als dem Aufenthaltsort des Königshofs aufzusuchen, so wird die erhöhte Vergütung von 150 Taris fällig. Außerdem erhält Ogerio in diesem Fall Ersatz für seine zusätzlichen Reisekosten. Gelingt es Ogerio nicht, den vollen Betrag beizutreiben, so soll sich seine Entlohnung in dem zuvor geregelten Umfang reduzieren. Demnach steht Ogerio, wenn er zur Erfüllung seiner Aufgabe zusätzliche Wege machen muss, jeweils das Anderthalbfache der Vergütung zu, die für den Fall vorgesehen ist, dass die Schuld am Königshof in Palermo eingezogen werden kann. Eine weitere Spesenregelung für Aufwendungsersatz ist für den Fall vorgesehen, dass Ogerio sich länger in Sizilien aufhalten muss und deshalb nicht mit dem 29
So das Urteil in der Chronik des Caffaro für das Jahr 1156, Annali Genovesi di Caffaro I (Fn. 9), S. 47: multa maiora et pulchriora Ianuenses accepisse quam fecisse … per orbem dicitur. 30 Zugänglich in den Editionen von Cesare Imperiale di Sant’Angelo (Hg.), Codice Diplomatico della Repubblica di Genova, Bd. 1, 1936, Nr. 279 und Nr. 280; Dino Puncuh (Hg.), I Libri Iurium della Repubblica di Genova, Bd. I/2, 1996, Nr. 289 und Nr. 290; Horst Enzensberger (Hg.), Codex Diplomaticus Regni Siciliae, Bd. 1/3, Guilelmi Primi Regis Diplomata, 1996, Nr. 18 und 17. 31 Zu diesem Vertrag eingehend Abulafia, Two Italies (Fn. 21), S. 90-99. 32 Codice Diplomatico della Repubblica di Genova I (Fn. 30), Nr. 282. 33 So Abulafia, Two Italies (Fn. 21), S. 103; Pistarino, Capitale (Fn. 21), S. 336. 34 Vgl. die in Fn. 30 genannten Quellen.; im Codex Diplomaticus Regni Siciliae Nr. 17 Z. 20 ( data in felici urbe Panormi) und Nr. 18, Z. 2/3 ( residentibus nobis in felici palacio urbis nostre Panormi). S. a. Abulafia, Two Italies (Fn. 21), S. 90.
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Schiff der Gesandten zurückkehren kann. In diesem Fall soll er Wegzehrung und Aufwendungsersatz erhalten communiter sicut de aliis rebus quas portaveris vel ibi habueris. Abulafia35 versteht diese Regelung so, dass Ogerio Waren, die er mit sich führt, verkaufen darf, um daraus seine Aufwendungen zu ersetzen. Diese Deutung liegt jedoch aus sprachlichen Gründen fern. Das Wort sicut dürfte besagen, dass für Verzögerungen, die sich im Zusammenhang mit dem von Giordano einzuziehenden Geld ergeben, die gleichen Regelungen gelten sollen, wie hinsichtlich anderer Sachen, die Ogerio entweder nach Sizilien gebracht oder – wie das Geld von Giordano – dort erhalten hat. Demnach ist anzunehmen, dass Ogerio in Sizilien noch andere Aufträge zu erledigen hat. Er hat also vermutlich Geld oder Waren für andere Auftraggeber nach Sizilien gebracht oder soll dort Gegenstände für andere Auftraggeber entgegennehmen. Die für die Erledigung dieser Aufgaben vereinbarte Spesenregelung soll auch für das von Solimano aufgetragene Geschäft gelten. Im Zusammenhang mit der Regelung für den Fall einer Verzögerung der Rückreise wird deutlich, dass die Aufgabe des Ogerio nicht nur in der Einziehung des Geldes besteht. Vielmehr soll er das Geld gleich erneut investieren. Von dem Gewinn aus diesem Geschäft steht ihm ein Fünftel zu. Das in diesem Zusammenhang verwendete Wort implicare und der Hinweis darauf, dass das Geld als Ladung eines Schiffs nach Genua zurückkehren soll, deuten die Art des vorgesehenen Geschäfts an. Implicare wird in den Notariatsurkunden insbesondere im Zusammenhang mit der commenda36 für die Verwendung von Exporterlösen zur Finanzierung von Importen nach Genua verwendet37. Im Fall des Ogerio geht es nicht um die Verwendung von Exporterlösen, sondern um den Erlös aus der Einziehung der Forderung gegen Giordano. Es ist daher anzunehmen, dass dieser Erlös – wie in anderen Fällen die Erlöse aus einem Exportgeschäft – für den Erwerb von Waren verwendet werden sollen, die von einem commendatarius nach Genua importiert werden. Die Formulierung si eos miseris cum testibus honeratos in ligno quod veniat Ianuam, sive si eos adduxit am Schluss des Textes bedeutet also nicht einfach, dass Ogerio den Erlös aus in Sizilien getätigten Investitionen schließlich nach Genua zurückbringen soll38; vielmehr besteht die Investition gerade darin, dass in Sizilien Waren erworben werden, die dann nach Genua zurückkehren und dort gewinnbringend veräußert werden können. Das Geld reist also nicht als solches, sondern verkörpert durch die Waren, in die es investiert wurde.
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The Two Italies (Fn. 21), S. 103. Zu Begriff und Funktion der commenda vgl. Guido Astuti, Origini e svolgimento storico della commenda fino al secolo XIII, 1933, passim; Corrado Pecorella, s.v. Società (diritto intermedio), Enciclopedia del Diritto XLII (1990), S. 860-865, S. 861 f.; Johannes Heers, s.v. Kommision, LdMA V (1991) Sp. 1284 f., Sp. 1284. 37 Zur Bedeutung von implicare in den Urkunden des Giovanni Scriba vgl. Max Weber, Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (hg. von Marianne Weber), 2. Auflage, 1988, S. 212-443, S. 327, Fn. 24. 38 So aber wohl Abulafia, Two Italies (Fn. 21) S. 103: „And in the meantime he is free to use whatever money he has recovered for investment in Sicilian business, so long as he brings it back in the end“. 36
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b) Bedeutung für das Stellvertretungsrecht Die zwischen Solimano und Ogerio getroffenen Regelungen sind aus der Sicht des justinianischen Rechts im Wesentlichen unproblematisch. Sie setzen die Anerkennung der direkten Stellvertretung nicht voraus. aa) Einziehung der Schuld des Giordano Unproblematisch ist zunächst die Beauftragung des Ogerio mit der Einziehung einer Forderung von Giordano de Molino. Aus den justinianischen Quellen geht hervor, dass die Leistung des Schuldners an einen Repräsentanten des Gläubigers mit befreiender Wirkung möglich ist39 und unmittelbar zum Eigentumserwerb des Gläubigers an dem geleisteten Gegenstand führt40. Allerdings sprechen die römischen Texte stets von der Leistung an einen procurator des Gläubigers, während Ogerio zum nuncius (Boten) des Gläubigers Solimano bestellt wird. Indes dürfte dieser Abweichung keine große Bedeutung beizumessen sein. Sowohl die Quellen zur Erfüllungswirkung als auch die Texte zum unmittelbaren Eigentumserwerb des Gläubigers werden auch von den heutigen Interpreten so verstanden, dass die jeweilige Regel nicht gerade nur für den procurator gelten soll, sondern für jeden vom Gläubiger zum Empfang des Geschuldeten ermächtigten Dritten41. Die mittelalterliche Rechtswissenschaft hatte Schwierigkeiten mit der Abgrenzung von nuncii und procuratores42 und erkannte an, dass auch derjenige, der ausdrücklich als Bote beauftragt wurde, gleichwohl als procurator angesehen werden konnte. Bei der Kommentierung der für den unmittelbaren Eigentumserwerb relevanten Digestenstelle D. 47, 2, 14, 17 spricht die accursische Glosse von einem nuncius, obwohl der Digestentext einen procurator erwähnt43. Demnach kann angenommen werden, dass die zeitgenössische Rechtswissenschaft einer Zahlung an Ogerio als nuncius des Solimano ohne Weiteres die im justinianischen Recht für die Leistung an einen procurator vorgesehenen Rechtswirkungen beigemessen hätte.
39 D. 13, 7, 11, 5; D. 46, 3, 12 pr.; D. 46, 3, 49. Vgl. zum antiken Recht Kaser, Privatrecht I (Fn. 1), S. 637; Claus, Stellvertretung (Fn. 1), S. 304 f.. 40 Inst. 2, 9, 5; D. 41, 1, 13 pr.; D. 41, 1, 20, 2; D. 47, 2, 14, 17; D. 47, 2, 43, 1; C. 4, 27, 1 pr.; C. 7, 32, 1. Vgl. Kaser, Privatrecht I (Fn. 1), S. 393 und Privatrecht II (Fn. 1), S. 105 mit Fn. 40. 41 Vgl. zur Erfüllungswirkung Kaser, Privatrecht I (Fn. 1), S. 637, der – unter Berufung primär auf D. 13, 7, 11, 5 – erklärt, zum „Empfang der Erfüllungsleistung“ sei auch „der vom Gläubiger zum Empfang Ermächtigte, namentlich der procurator“ befugt; zum Eigentumserwerb Kaser, Privatrecht II (Fn. 1), S. 105, der aus Inst. 2, 9, 5 schließt, dass im justinianischen Recht der „Eigentumserwerb durch einen gewaltfreien Mittelsmann … allgemein, also ohne Beschränkung auf den procurator und den tutor, zugelassen“ wird. 42 Vgl. Fraenkel, ZVglR 27 (1912) 302-319, dort auch Einzelheiten zur mittelalterlichen Lehre vom nuntius rei; Müller, Entwicklung (Fn. 3), S. 63 m.w.N. in Fn. 24. 43 Gl. intercepta ad D. 47, 2, 14, 17, benutzte Ausgabe: Accursii Glossa in Digestum Novum, Venetiis 1487, ND Augustae Taurinorum 1968, f. 198vb=S. 394.
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Die Wirkungen der Zahlung an den ermächtigten Dritten sind nach justinianischem Recht nicht davon abhängig, dass schon im Schuldversprechen die Zahlung an einen Dritten vorgesehen wurde. Derartige Klauseln44 kommen zwar in den Urkunden des Giovanni Scriba häufig vor. Der Text des Inkassomandats nimmt aber in keiner Weise Bezug auf eine frühere Urkunde oder überhaupt auf die Begründung der Schuld des Giordano de Molino. Daher ist es eine bloße Vermutung ohne Anhalt in der Quelle, wenn Brunner45 und in seinem Gefolge Goldschmidt46 die Beauftragung des Ogerio als Ergänzung einer Schuldurkunde mit Orderklausel interpretieren, in der die schon bei der Begründung der Schuld vorgesehene Verpflichtung zur Leistung an einen Dritten nur konkretisiert wird. Ogerio konnte also aufgrund des von Giovanni Scriba beurkundeten Inkassoauftrages die Schuld bei Giordano de Molino einziehen. Giordano seinerseits kann an Ogerio zahlen, ohne befürchten zu müssen, dass er von Solimano nochmals in Anspruch genommen wird47. Nach der Gestaltung des Geschäfts ist nicht wahrscheinlich, dass an ein gerichtliches Vorgehen des Ogerio gegen den Schuldner Giordano gedacht ist. Daher muss nicht erörtert werden, unter welchen Voraussetzungen Ogerio im eigenen Namen oder im Namen des Solimano gegen Giordano hätte klagen können48. bb) Reinvestition des eingezogenen Geldes Es bleibt zu prüfen, ob auch die weiteren Bestimmungen, nach denen Ogerio das von Giordano eingezogene Geld reinvestieren soll, im Einklang mit den anerkannten Grundsätzen des römischen Rechts stehen. Dies wäre problematisch, wenn Ogerio eine commenda oder einen anderen Vertrag im Namen des Solimano schließen sollte. Davon ist jedoch im Text nicht die Rede. Daraus, dass Ogerio lediglich zu einem Fünftel am Ertrag beteiligt wird, geht zwar hervor, dass die Reinvestition für Rechnung des Solimano abgeschlossen werden soll. Das impliziert jedoch nicht, dass Ogerio auch im Namen des Solimano auftreten soll. Vielmehr ist anzunehmen, dass Ogerio selbst als Kapitalgeber ( commendans) auftritt und den Vertrag mit dem commendatarius im eigenen Namen 44
Vgl. dazu schon oben bei Fn. 12. Heinrich Brunner, Beiträge zur Geschichte und Dogmatik der Wertpapiere. II. Die fränkischrömische Urkunde, ZHR 22 (1877) 59-134 und 505-554, 95. 46 Goldschmidt, Handbuch A (Fn. 4), 393 mit Fn. 35; dort wird zwar die Urkunde Nr. 336 in der Ausgabe Historiae Patriae Monumenta, Chartarum Vol. II genannt, doch dürfte es sich um einen Druckfehler handeln; Urkunde Nr. 338 in dieser Ausgabe ist das Inkassomandat des Solimano für Ogerio. 47 Es ist also nicht erforderlich, dass Ogerio bei der Quittierung zusätzlich verspricht, den Schuldner vor künftiger Inanspruchnahme durch den Gläubiger zu schützen, wie dies zuweilen geschieht, vgl. Giovanni Scriba Nr. 123; bei dieser Urkunde ist freilich nicht klar, ob der Dritte, an den der Schuldner zahlt, vom Gläubiger ausdrücklich zum Empfang der Zahlung ermächtigt ist. 48 Zur Prozessvertretung und zur Beurkundung von Prozessvollmachten vgl. Voltellini, NotariatsImbreviaturen (Fn. 10), S. CXXXV-CXLII. 45
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abschließt. Für diese Annahme spricht auch, dass die Bestellung des Ogerio zum nuncius nur auf die Einziehung der Schuld des Giordano bezogen ist. Im Zusammenhang mit dem Auftrag, das erlange Geld zu reinvestieren, wird Ogerio nicht als Bote oder procurator des Solimano bezeichnet. Die gewählte Konstruktion ist auch nicht im Hinblick darauf problematisch, dass Solimano nach den justinianischen Quellen unmittelbar Eigentümer des eingezogenen Geldes wird. Daraus folgt zwar, dass Ogerio den nach den bisherigen Annahmen im eigenen Namen abzuschließenden Vertrag über die Reinvestition des erlangten Betrages mit fremdem Geld erfüllen muss. Die Möglichkeit, mit Ermächtigung des Eigentümers im eigenen Namen über fremde Sachen zu verfügen, ist aber im justinianischen Recht anerkannt49. Daher bereitet der Auftrag des Solimano an Ogerio auch in diesem Punkt keine juristischen Schwierigkeiten. c) Weitere Inkassomandate Im Imbreviaturbuch des Giovanni Scriba finden sich noch mindestens zwei weitere Inkassomandate50: In der Urkunde Nr. 131 aus dem Jahr 1156 beauftragt Guglielmo Scarsaria seinen Neffen Girardo mit der Einziehung von Schulden bei Guglielmo Alfachino. Der kurze Text der Urkunde bietet weit weniger Verständnisprobleme als Nr. 112. In einem Punkt geht die dem Girardo erteilte Ermächtigung jedoch über diejenige für Ogerio de Ripa in Nr. 112 hinaus: Girardo ist nicht nur ermächtigt, den geschuldeten Betrag einzuziehen, vielmehr erteilt ihm sein Onkel auch die Befugnis, die Schuld zu erlassen ( et quod ipsum inde possis absolvere sicut egomet). Auch mit dieser Erlassbefugnis dürfte freilich der Rahmen des römischen Rechts in seiner zeitgenössischen Auslegung nicht verlassen sein. Der Erlass bildet nur einen Sonderfall der Verfügung über einen Vermögensgegenstand. Wie bereits erläutert, war eine Verfügungsermächtigung nach den römischen Rechtsquellen möglich51. Für die Erstreckung dieser Regel auf den Erlass ist zwar kein direkter Beleg in den justinianischen Rechtsquellen ersichtlich. Dass auch der Erlass (durch Abschluss eines formlosen pactum de non petendo) aufgrund einer Ermächtigung durch einen Dritten ausgesprochen werden konnte, ist aber zu vermuten52. Jedenfalls enthalten die römischen Rechtsquellen keine Aussage, die der Zulassung des Erlasses durch einen Beauftragten des Gläubigers entgegenstünde. Die Urkunde Nr. 892 aus dem Jahr 1161 enthält ähnliche Regelungen wie das Inkassomandat des Solimano für Ogerio de Ripa. Allerdings ist der zugrunde liegende Sachverhalt komplizierter: Es geht es um die Eintreibung eines Geldbetrages, den 49
Inst. 2, 1, 42 = D. 41, 1, 9, 4; D. 6, 1, 41, 1; vgl. dazu Kaser, Privatrecht I (Fn. 1), S. 267; ders., Privatrecht II (Fn. 1), S. 102; Claus, Stellvertretung (Fn. 1), 362 f. 50 Vgl. außer den im Folgenden genannten Urkunden noch die von nuncii des Gläubigers ausgestellte Quittung in Nr. 972 (1162). 51 Vgl. oben bei Fn. 49. 52 Kaser, Privatrecht I (Fn. 1), S. 267.
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der Genuese Corrado di Chiavari vom König von Jerusalem (zu dieser Zeit Balduin III.) erhalten soll. Zwei procuratores des Corrado de Chiavari (Otone Giudice und Ogerio Vento) beauftragen ihrerseits zwei nuncii (Idone Mallone und Manente di Amore) mit der Einziehung des Geldes. Eine weitere Komplikation des Sachverhalts besteht darin, dass die Zahlung des Königs an Corrado oder dessen Abgesandte auf einem Darlehen beruhen soll, dass ein gewisser Maimon dem König gewährt hat. Die rechtlichen und wirtschaftlichen Hintergründe der Geschäftsbeziehung zwischen Maimon, Corrado und dem König können im Rahmen dieses Beitrages nicht untersucht werden53. Was das Stellvertretungsrecht angeht, so unterscheiden sich die getroffenen Regelungen nicht grundlegend von denen im Inkassomandat des Ogerio de Ripa. Allerdings wird in der Urkunde Nr. 892 die Einziehungsermächtigung von den procuratores an die nuncii weitergegeben. Für diese Konstruktion gilt Ähnliches wie für die Ermächtigung zum Erlass der Schuld in Nr. 131: In den römischen Quellen ist kein Vorbild ersichtlich. Es dürfte aber auch keinen Text geben, der gegen die Zulässigkeit einer solchen Verfahrensweise ins Feld geführt werden könnte. d) Zwischenergebnis Für die erste analysierte Urkunde kann damit festgestellt werden, dass der Notar und die Parteien sich im Rahmen dessen bewegen, was nach justinianischem Recht zulässig war. Obgleich es sich um eine relativ komplizierte Regelung handelt, sind die Beteiligten nicht gezwungen, den von den justinianischen Rechtsquellen gesteckten Rahmen zu verlassen.
2. Die Verheiratung der Sibilia Eine weitere Urkunde des Giovanni Scriba, in der Personen beauftragt werden, für einen anderen zu handeln, betrifft eine Hochzeit in den führenden Kreisen des mittelalterlichen Genua54: Ingone della Volta55 beauftragt seine beiden Söhne56 damit,
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Vgl. zu den Geschäftsbeziehungen zwischen Maimon und Corrado auch noch die Urkunden Nr. 844 und 845. 54 Vgl. zu dieser Eheverbindung auch Steven Epstein, Genoa and the Genoese, 928-1528, 2002, S. 59 f. 55 Ingone della Volta wird in der Chronik des Caffaro immer wieder als führender Politiker genannt; er war unter anderem Konsul in den Jahren 1158, und 1162 und nahm im Jahr 1162 in seiner Eigenschaft als Konsul an einer Gesandtschaft der Genuesen zu Kaiser Friedrich Barbarossa teil; vgl. Annali Genovesi di Caffaro I (Fn. 9), S. 49; S. 64; S. 66. 56 Von den beiden Söhnen war Marchione della Volta Konsul im Jahr 1161; Annali Genovesi di Caffaro I (Fn. 9), S. 60
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ihre Schwester dem Oberto Spinola57 zur Frau zu geben. Zusätzlich sollen sie dem Bräutigam eine dos versprechen. Giovanni Scriba Nr. 124 Ego Ingo de Volta facio vos Marchionem de Volta et Wuilielmum filios meos nuncios meos ut detis ex parte mea Sibiliam sororem vestram in uxorem Oberto Spinule et promittite ei ex parte mea usque in libris ducentis de dote eius, hoc videlicet quod ei pervenerit ex parte matris sue et, si in eo defuerit, ego complebo de bonis meis. Actum in stacione Wuilielmi Buronis, .MCLVI., nono kalendas septembris, indictione tercia. Ich, Ingone della Volta, mache euch, Marchione della Volta und Guglielmo, meine Söhne, zu meinen Boten, damit ihr von meiner Seite eure Schwester Sibilia dem Oberto Spinola zur Frau gebt; und versprecht ihm von meiner Seite wegen seiner Mitgift bis zu zweihundert Pfund, nämlich das, was ihr von Seiten ihrer Mutter zugefließen wird und, wenn das zu wenig ist, werde ich es aus meinem Vermögen ergänzen. Geschehen im Geschäftslokal des Guglielmo Burone, am 24. August 1156, in der dritten Indiktion.
a) Übermittlung der Heiratserlaubnis Erste Aufgabe der beiden Söhne des Ingone ist es, ihre Schwester zu verheiraten. Dass die Eheschließung der Tochter eine Willenserklärung ihres Vaters voraussetzt, kann nicht überraschen. Das antike römische Recht verlangt eine Zustimmung des pater familias zur Eheschließung der Kinder, die seiner väterlichen Gewalt unterstehen58. Das langobardische Recht des Edictus Rothari sah sogar ein Recht des Vaters vor, die Tochter ohne ihre Zustimmung zu verheiraten59. Ähnliche Bestimmungen enthielten auch andere germanische Rechte. Sie wurden jedoch im Lauf des frühen Mittelalters unter dem Einfluss des kanonischen Rechts, das eine Eheschließung ohne Einwilligung der Partner nicht billigte, zurückgedrängt und durch ein Einwilligungserfordernis wie im römischen Recht ersetzt60. In späterer Zeit lehnte das kanonische Recht auch das Erfordernis einer elterlichen Einwilligung als Voraussetzung für die Gültigkeit der Ehe ab. Diese Position setzte sich jedoch erst im Lauf des 12. Jahrhunderts durch61. Außerdem wurde der elterliche Konsens weiterhin als ex honestate, wenn auch nicht ex necessitate wünschenswert angesehen62. Ingone della Volta konnte sich bei der Verheiratung seiner 57
Auch Oberto Spinola gehört zu den politisch führenden Männern der Stadt. Er war unter anderem Konsul in den Jahren 1154, 1157, 1161 und 1163 und nahm 1162 – wie Ingone della Volta – an der Gesandtschaft zu Barbarossa teil; vgl. Annali Genovesi di Caffaro I (Fn. 9), S. 37; S. 47S. 60; S. 65; S. 73. 58 D. 23, 2, 2; C. 5, 4, 12; vgl. Kaser, Privatrecht I (Fn. 1), S. 314. 59 Vgl. Edictus Rothari, Art. 195, MGH Leges, Bd. 4, hg. von Georg Heinrich Pertz, 1868, S. 47. 60 Zur Entwicklung vgl. Dieter Schwab, s.v. Heiratserlaubnis, HRG II (1978) Sp. 60-66, Sp. 6062. 61 Schwab, HRG II, Sp. 61. 62 So die gl. sufficiat ad C. 27, qu. 2, c. 2, in der Ausgabe Decretum Gratiani, Lugduni 1613, digitalisierte Ausgabe hg. von A.J.B. Sirks, 2005, Sp. 1509.
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Tochter im Jahr 1156 also veranlasst sehen, seine Einwilligung in aller Form zu erklären. Dass der Konsens des Ingone della Volta durch dessen Söhne übermittelt werden soll, ist gleichfalls unproblematisch. Da die beiden – was die Einwilligung in die Verehelichung ihrer Schwester angeht – eine in allen relevanten Einzelheiten festliegende Erklärung ihres Vaters zu überbringen haben, können sie – im Einklang mit der im Urkundentext verwendeten Bezeichnung – nach römischem Recht als Boten qualifiziert werden. Die Einschaltung von Boten bei der Eheschließung kann schon deshalb als zulässig angesehen werden, weil nach justinianischem Recht sogar für den Ehemann ein Bote auftreten kann63. b) Mitgiftversprechen Zusätzlich sollen die beiden Söhne dem Bräutigam ihrer Schwester ein Mitgiftversprechen leisten. Der Betrag wird mit usque in libris ducentis angegeben. Demnach sind zweihundert Pfund Silber die Obergrenze. Ingone scheint es ins Ermessen seiner Söhne zu stellen, ob sie diesen Betrag oder nur eine geringere Summe versprechen. aa) Leistung der Mitgift aus den bona materna Die Urkunde enthält außerdem Bestimmungen dazu, wie der Betrag der Mitgift aufgebracht werden soll: In erster Linie soll das Geld bezahlt werden aus dem Vermögen, quod ei pervenerit ex parte matris sue – was also der Sibilia von Seiten ihrer Mutter zufließt. Nur soweit diese Mittel nicht ausreichen, will Ingone den Rest aus seinem Vermögen bestreiten. Der Hinweis auf die Verwendung von Geldern, die Sibilia von Seiten ihrer Mutter zufließen sollen, legt die Annahme nahe, dass die Mutter der Sibilia nicht mehr lebt und dass die Mitgift der Sibilia aus ihrem mütterlichen Erbe bestritten werden soll. Geht man davon aus, dass im Genua des 12. Jahrhunderts auch im Erbrecht das römische Recht der justinianischen Quellen maßgeblich war, so lässt sich die Bestimmung mit Blick auf die römischen Regelungen zu den bona materna von gewaltunterworfenen Kindern und insbesondere auf die justinianische Konstitution C. 5, 11, 7 erklären. Die römischen Regeln zur väterlichen Gewalt wurden im mittelalterlichen Italien angewendet, auch wenn die römische patria potestas teilweise mit der munt des langobardischen Rechts verschmolz64. Es blieb daher bei dem römischen Grundsatz, dass Kinder der Gewalt des Vaters unterworfen waren, solange dieser lebte65. 63
D. 23, 2, 5; vgl. Kaser, Privatrecht I (Fn. 1), S. 262. Manlio Bellomo, s.v. Emancipazione (diritto intermedio), Enciclopedia del diritto XIV (1965) S. 809-818, S. 810. 65 So ausdrücklich Bellomo, Enciclopedia del diritto XIV, S. 811. 64
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Jedoch galt schon im nachklassischen römischen Recht das Prinzip, dass Kinder, solange sie in der Gewalt ihres Vaters stehen, kein eigenes Vermögen haben können, nicht mehr uneingeschränkt. Insbesondere hinsichtlich der bona materna, also des Vermögens der (verstorbenen) Mutter gilt, dass es unmittelbar an die Kinder vererbt wird, selbst wenn der Vater noch lebt und die patria potestas innehat. Aufgrund seiner väterlichen Gewalt erhält der Vater nur einen Nießbrauch an den bona materna, das Eigentum liegt bei den Kindern66. Weder der Vater auf der Grundlage seines Nießbrauchsrechts, noch die Kinder als Eigentümer können allein über Gegenstände verfügen, die zu den bona materna gehören67. Verfügungen sind also nur mit Zustimmung aller Beteiligten möglich. In C. 5, 11, 7 ist die Möglichkeit erwähnt, dass die bona materna eingesetzt werden, um eine Tochter mit einer Mitgift ( dos) auszustatten. Allerdings ist in C. 5, 11, 7, 5 bestimmt, dass bei einem Vater, der über ein hinreichendes Eigenvermögen verfügt und nicht ausdrücklich festlegt, aus welchen Mitteln eine dos, die er verspricht, geleistet werden soll, angenommen wird, er wolle sein Eigenvermögen einsetzen68. In diesem Fall schmälert die Dotierung der Tochter also nicht den Betrag der bona materna, die bei Beendigung der patria potestas – spätestens also beim Tod des Vaters – an die Tochter herauszugeben sind69. Aus dem Text von C. 5, 11, 7, 5 ergibt sich, dass abweichende Bestimmungen möglich bleiben70. Eine solche Bestimmung trifft Ingone della Volta, indem er festlegt, dass er sein Eigenvermögen nur einsetzen will, soweit die bona materna nicht ausreichen, um die versprochene dos aufzubringen. Das Versprechen, das die Söhne für ihn abgeben sollen, soll also so gestaltet werden, dass nur für den Teil, der nicht von den bona materna der Sibilia gedeckt ist, eine Haftung des Ingone mit seinem Eigenvermögen erfolgt. Allerdings ergibt sich aus C. 5, 11, 7, 5, dass der Rückgriff auf die bona materna nur möglich ist, wenn die Tochter mitwirkt: Nach C. 5, 11,7, 5 kann der Vater – wenn er sein Eigenvermögen schonen will – seine Zustimmung dazu geben, dass ein Kind eigenes Vermögen für die dos einsetzt. Er kann aber nicht aus eigener Machtvollkommenheit bestimmen, dass die dos aus den bona materna der Tochter aufzubringen ist. Dies steht im Einklang mit dem Verbot für den Vater, ohne Zustimmung der Kinder über bona materna zu verfügen. Von einer Mitwirkung der Sibilia – sei es in der Form, dass sie der Verwendung ihres mütterlichen Erbes für die von ihrem Vater versprochene dos zustimmt, sei es dass sie selbst verspricht einen Teil der dos aus dem mütterlichen Erbe zu leisten, was nach dem Wortlaut von C. 5, 11, 7, 5 näherläge – ist in der Urkunde nicht die Rede.
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C. 6, 60, 1 pr. und dazu Kaser, Privatrecht II (Fn. 1), S. 216-219. Vgl. zum Verfügungsverbot für den Vater C. 6, 60, 1, 1-2 und C. 6, 61, 4, 3; zu dem für die Kinder C. 6, 61, 8, 5a; zum Ganzen Kaser, Privatrecht II (Fn. 1), S. 217 f. 68 Dazu Kaser, Privatrecht II (Fn. 1), S. 186. 69 Vgl. Kaser, Privatrecht II (Fn. 1), S. 218. 70 Zum Ganzen auch Karl-Heinz Schindler, Justinians Haltung zur Klassik, 1966, S. 87 ff., insbes. S. 88, Fn. 32. 67
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Daraus muss nicht geschlossen werden, dass die Grundsätze des römischen Rechts insoweit keine Anwendung fanden. Denn soweit Sibilia beteiligt werden musste, konnte dies bei der Beurkundung des eigentlichen Dotalversprechens geschehen. Bei der Beauftragung der beiden Söhne zur Abgabe dieses Versprechens genügte es für Ingone, den Auftrag so zu beschränken, dass eine ungewollte Eigenhaftung vermieden wurde. bb) Vertretung des Ingone della Volta durch seine Söhne Im Hinblick auf das Recht der Stellvertretung sind die Regelungen zum Mitgiftversprechen weniger problematisch. Anders als im Hinblick auf die Zustimmung des Ingone zur Verehelichung seiner Tochter kommt es allerdings kaum in Betracht, die Söhne des Ingone als bloße Boten ihres Vaters anzusehen. Dagegen spricht zunächst der Umstand, dass Ingone nur einen Höchstbetrag für die Mitgift festsetzt, so dass den Söhnen Spielraum für eine eigene Willensentscheidung über den Umfang der zu begründenden Verpflichtung bleibt. Sofern man annimmt, dass sich aus der Verwendung des Wortes promittere ergibt, dass die Söhne des Ingone die Leistung der dos in Stipulationsform versprechen sollen71, sprechen gegen die Annahme von Botenschaft außerdem die justinianischen Quellen, nach denen die stipulatio nicht durch Boten zustande kommen kann72. Es ist also davon auszugehen, dass die Söhne des Ingone della Volta die Verpflichtung zur Leistung der dos ihrer Schwester nicht als Boten, sondern als direkte Stellvertreter ihres Vaters begründen sollen. Dies ist jedoch jedenfalls dann unproblematisch, wenn man unterstellt, dass die beiden Söhne – wie ihre Schwester Sibilia – noch der patria potestas73 des Ingone unterstanden. Denn die Vertretung durch gewaltunterworfene Hauskinder oder Sklaven ist – anders als die direkte Stellvertretung durch außenstehende Dritte – im römischen Recht anerkannt. Der Gewalthaber haftet für die von seinen Kindern oder Sklaven abgeschlossenen Geschäfte mit der actio quod iussu, sofern der Gewaltunterworfene sich im Rahmen der ihm erteilten Ermächtigung ( iussum) hält74. Dies gilt auch für formgebundene Geschäfte wie die stipulatio75. Die Qualifikation der Urkunde als – die Söhne zur Vertretung ihres Vaters ermächtigendes – iussum im Sinn des römischen Rechts wird auch nicht dadurch in 71 Vgl. zur stipulatio im mittelalterlichen Recht und zur Bedeutung, die der Verwendung des Wortes promittere für die Stipulationsform beigemessen wurde Zimmermann, Obligations (Fn. 2), S. 547. 72 Nach D. 44, 7, 2, 2 = Inst. 3, 22, 2 können Boten eingesetzt werden, wenn ein Geschäft auch unter Abwesenden ( inter absentes) abgeschlossen werden kann. Nach Inst. 3, 19, 12 und D. 45, 1 pr. kommt die stipulatio nur bei Anwesenheit beider Vertragsparteien zustande; vgl. Finkenauer, SZ 125 (2008) 494, Fn. 238. 73 Vgl. zur patria potestas im mittelalterlichen Recht oben bei und in Fn. 64 und 65. 74 Dazu nur Kaser, Privatrecht I (Fn. 1), S. 262 f.; S. 608. 75 Vgl. nur Inst. 3, 17 pr.-2.
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Frage gestellt, dass sich Ingone an seine Söhne wendet, während das iussum nach den justinianischen Digesten dem Dritten gegenüber erklärt werden muss, mit dem der Gewaltunterworfene kontrahieren soll76. Denn die Digesten vermerken ausdrücklich, dass das iussum dem Dritten in jeder Form – etwa auch brieflich oder durch Boten – erklärt werden kann. Dem Erfordernis der Übermittlung des iussum an Oberto Spinola als Bräutigam und Empfänger des Mitgiftversprechens kann also dadurch genüge getan werden, dass die Söhne die Vollmachtsurkunde vorlegen oder auch nur mündlich von ihrer Bevollmächtigung durch Ingone della Volta berichten.
3. Das Solutionsmandat für Ansaldo Mallone Gleichsam das logische Gegenstück zu den vorhin betrachteten Inkassoaufträgen bildet die Urkunde Nr. 944, in der ein Auftrag zur Bezahlung von Schulden erteilt wird. Ansaldo Mallone soll für die Bezahlung von Schulden seines Schwiegersohnes Guglielmo di Bonifacio bei der Kommune von Genua sorgen: Giovanni Scriba, Nr. 944 Ego Wuilielmus Bonifacii constituo vos Ansaldum Mallonem socerum meum procuratorem meum ad solvendum si quod erit pro comunibus expensis civitatis ex parte mea ultra lb. .xx. de quibus Iterius Paucalana et Wuillelmus Papa tenentur ei propterea do vobis licentiam et facultatem, ut hoc de pensionibus domuum mearum, deducta tamen procuracione uxoris et domus mee, facere possitis et si in hoc defecerit de mobilia mea que adducta fuerit que in vestram potestatem quantum hoc erit veniat et, si necessarium erit, terram de Nervi meam propterea vendere possitis aut piginori obligare et quicquid inde feceritis ratum et firmum et habebo et si propterea pecuniam mutuam sunpseritis quemadmodum inde conveneritis solvetur. Hoc tibi stipulanti sub pena dupli, bona pignori, intrare sine decreto et facere estimari et cetera. Actum in capitulo, .MCLXII., .III. die madii, indictione nona. Ich, Guglielmo di Bonifacio, bestelle Euch, Ansaldo Mallone, meinen Schwiegervater, zu meinem Vertreter zur Bezahlung, falls es meinerseits etwas zu bezahlen gibt für die gemeinsamen Aufwendungen der Bürgerschaft über die 20 Pfund hinaus, für die ihr Iterio Paucalana und Guglielmo Papa haften; und deshalb gebe ich Euch die Erlaubnis und Befugnis, dass ihr dies aus den Mieteinnahmen meiner Häuser, jedoch nach Abzug des Unterhalts meiner Frau und meines Haushalts bezahlen könnt und, wenn dies nicht ausreicht, aus meiner Fahrhabe, die übergeben wurde oder die, wieviel es auch sein wird, in Eure Gewalt gelangt und, falls es nötig ist, könnt Ihr deswegen das Land von Nervi verkaufen oder verpfänden; und was Ihr deshalb tut, werde ich genehmigen und aufrecht erhalten und wenn ihr deswegen ein Darlehen aufnehmt, wird bezahlt werden, wenn Ihr deswegen belangt werdet. Dies [verspreche ich] dir, der du das Versprechen entgegennimmst bei doppelter Vertragsstrafe, mein Vermögen [gebe ich dafür] zum Pfand, [gestatte dir, mein Vermögen] ohne richterliche Anordnung in Besitz zu nehmen und schätzen zu lassen und so weiter. Geschehen im Kapitelsaal, am 3. Mai 1162, in der neunten Indiktion.
Der Auftraggeber, Guglielmo di Bonifacio, ist offenbar beträchtlichen Forderungen der Kommune von Genua ausgesetzt. Ansaldo di Mallone77 soll für die Begleichung 76
D. 15, 1, 1. Ansaldo di Mallone war u.a. Konsul in den Jahren 1134, 1136, 1138, 1142, 1146, 1148, 1150 sowie 1159, vgl. Annali Genovesi di Caffaro I (Fn. 9) I, S. 27, 28, 29, 31, 33, 35, 36 und 53.
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von Forderungen sorgen, die über einen Betrag von 20 Pfund Silber hinausgehen, für den zwei andere Personen (mit-)einstehen müssen und dessen Begleichung deshalb gesichert erscheint. Ansaldo di Mallone soll die geschuldeten Beträge bezahlen, erhält aber dafür ein Zugriffsrecht auf verschiedene Vermögenswerte des Guglielmo. Hinter dieser Gestaltung dürfte sich eine Kreditgewährung verbergen. Guglielmo verfügt augenscheinlich nicht über liquide Mittel, um seine Schuld bei der Kommune zu begleichen. Ansaldo zahlt an seiner Statt und erhält das Zugriffsrecht auf das Vermögen des Bonifacio zur Sicherung seiner Regressansprüche. Leider lässt sich der soziale und politische Hintergrund des Geschäfts, an dem mit Ansaldo di Mallone mindestens ein Mitglied der städtischen Führungsschicht beteiligt ist78, nicht aufhellen. Es muss daher offen bleiben, aus welchem Grund Bonifacio Schulden bei der Kommune hat und warum er sie nicht selbst begleichen kann. Ebenso wenig lässt sich klären, warum Iterio Paucalana und Guglielmo Papa für einen Teil der Forderung haften. Hingegen ist die juristische Erklärung der Urkunde im Hinblick auf das Handeln des Ansaldo als procurator des Guglielmo relativ unproblematisch. Dass ein Dritter an Stelle des Schuldners die geschuldete Leistung erbringt, ist nach römischem Recht ohne Weiteres zulässig. Die Quellen heben sogar hervor, dass es dazu keiner Ermächtigung durch den Schuldner bedarf79. Soweit Ansaldo das Recht gewährt wird, über Vermögensgegenstände des Guglielmo zu verfügen, steht dies wiederum im Einklang mit dem Grundsatz des römischen Rechts, dass Verfügungen eines Nichtberechtigten mit Einwilligung des Berechtigten zulässig sind80. Im Kontext dieser Untersuchung ist die Bestimmung von besonderem Interesse, die es Ansaldo gestattet, das Grundstück zu verpfänden, statt es selbst durch Verkauf zu verwerten. Die Ermächtigung zur Verpfändung hat nur Sinn, wenn Ansaldo selbst zur Bezahlung der Schulden des Guglielmo ein Darlehen aufnimmt. In der Tat wird mit dieser Möglichkeit gerechnet. Denn ausdrücklich versichert Guglielmo: et si propterea pecuniam mutuam sunpseritis quemadmodum inde conveneritis solvetur. Wenn Ansaldo also ein Darlehen aufnimmt und auf Rückzahlung verklagt wird, will Ansaldo für die Erfüllung der Schuld sorgen. Aus dieser Formulierung ergibt sich, dass ein eventuelles Darlehen von Ansaldo im eigenen Namen, nicht etwa im Namen des Guglielmo aufgenommen werden soll. Denn es wird unterstellt, dass nur Ansaldo für das Darlehen haftet. Die Möglichkeit, dass Guglielmo unmittelbar in Anspruch genommen wird, ist nicht vorgesehen. Am Schluss der Urkunde folgen Standardklauseln, die in der Imbreviatur nur verkürzt aufgezeichnet sind81 und die Verpflichtungen des Guglielmo durch eine 78
Zu Ansaldo Mallone vgl. nur Abulafia, Two Italies (Fn. 21), S. 246 u.ö. Unter den Zeugen des Geschäfts befindet sich neben den von der Angelegenheit selbst betroffenen Iterio Paucalana und Guglielmo Papa mit dem früheren Konsul Ogerio de Guidone ein weiterer prominenter Politiker. 79 D. 3, 5, 38; D. 46, 3, 53 und dazu Kaser, Privatrecht I (Fn. 1), S. 636. 80 Dazu schon oben bei Fn. 49. 81 Vgl. zu dieser Verkürzung wiederkehrender Formeln Voltellini, Notariats-Imbreviaturen (Fn. 10), S. XXVIII.
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Vertragsstrafe, ein Generalpfandrecht und die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung sichern. Diese Klauseln erscheinen im Hinblick darauf, dass Ansaldo ohnehin schon ein unmittelbares Zugriffsrecht auf das Vermögen des Guglielmo erhält, zumindest teilweise überflüssig, sind aber – jedenfalls für die Zwecke dieser Untersuchung – nicht von besonderem Interesse. Keine der Klauseln der Urkunde setzt also das Institut der direkten Stellvertretung voraus. Wie das weiter oben analysierte Inkassomandat für Ogerio de Ripa lässt auch das Solutionsmandat für Ansaldo Mallone keine Missachtung oder Umdeutung der Regeln des justinianischen Rechts erkennen.
4. Zwischenergebnis Nach Durchsicht der vier Bestellungsurkunden lässt sich als Zwischenergebnis festhalten, dass die von Giovanni Scriba beurkunden Gestaltungen in keinem Fall den vom Recht der justinianischen Kodifikation gesteckten Rahmen verlassen. In keinem Fall ist die unmittelbare Begründung von schuldrechtlichen Ansprüchen durch einen gewaltfreien Stellvertreter vorgesehen. Um dieses Zwischenergebnis weiter abzusichern, sei nun noch ein Blick auf diejenigen Urkunden des Giovanni Scriba geworfen, in denen eine Person zum Handeln für andere nicht beauftragt wird, sondern tatsächlich in fremdem Interesse tätig ist.
III. Urkunden mit Vertreterhandeln 1. Das Schuldversprechen für Guaina Pexo Gleich der – bei Beachtung der chronologischen Reihenfolge – als erster zu behandelnde Text erweist sich als recht problematisch: Giovanni Scriba Nr. 232 Nos Ariprandus Tonsus, et Guercius Dianus pro nobis et Guaina Pexo et nos Hora Bona de Cisinuschko, Robertus de Osenago et Tancleus de Vimercato et Canavetus Damianus et Ianebellus de Laude profitemur nos accepisse a vobis Alberico et Archinbaldo de Laude tantum de vestris rebus unde solvemus vobis vel vestro misso per nos vel nostrum missum usque octavam diem post proximum pasca resurectionis lb.vigintisex mediolanensium veterum, quo malueritis Laudi vel Ianue. Quod nisi fecerimus penam dupli vobis stipulantibus promittimus, ita quod quemque pro sorte et pena in solidum convenire possitis, propter quod bona que habemus et habituri sumus vobis pignori subicimus tali pacto quod, nisi ut superius continetur observaverimus, exinde liceat vobis intrare in bonis nostris quibus volueritis sive in aliciuus nostrum et ea vobis existimari facere pro sorte et pena et extimata nomine vendicionis possidere sine nostra nostrorumque heredum contradictione et omnium pro nobis. Hoc autem vestra auctoritate et sine iussu alicuius potestatis faciatis. Abrenunciamus preterea iuri quo cavetur debiti comuniter suscepti quemque debitorum de sua parte solutionis teneri et nostri fori privilegio ac illi iuri quo primus primo secundus debet postea
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debitor conveniri. Iuramus insuper prefati debiti solucionem, ut superius continetur, praestare nisi quantum vestra licentia vel vestri certi missi remanserit, quod si nobis terminum produxeritis usque ad integram solutionem vobis hoc sacramento tenebimur ad terminum qui nobis indultus fuerit, nec occasionem scienter dabimus nec reclamationem faciemus vel fieri faciemus quod occasione usure debitum istud minus solvatur. Actum prope campanile Sancti Laurentii, millesimo centesimo quinquagesimo septimo, .iii. idus Augusti, indicione quarta. Wir, Ariprando Tonso und Guercio Diano, für uns selbst und für Guaina Pexo und wir, Hora Bona de Cisinuschko, Roberto de Osenago, Tancleo da Vimercate, Canaveto Damiano und Ianebello da Lodi bekennen, dass wir von euch, Alberico und Archinbaldo da Lodi einen bestimmten Betrag aus eurem Warenvorrat erhalten haben; daher werden wir euch oder eurem Boten selbst oder durch unseren Boten bis zum achten Tag nach dem nächsten Osterfest sechsundzwanzig Pfund in alter Mailänder Währung zahlen, nach eurer Wahl in Lodi oder in Genua. Für den Fall, dass wir das nicht tun, versprechen wir euch, die ihr das Versprechen entgegennehmt, eine Strafe in doppelter Höhe in der Weise, dass ihr jeden von uns auf das Kapital und die Strafzahlung im Ganzen in Anspruch nehmen könnt, wofür wir das Vermögen, das wir haben und künftig haben werden, euch zum Pfand geben mit der Abrede, dass es euch, wenn wir nicht alles, was oben enthalten ist, beachten, sogleich gestattet ist, von Vermögensgegenständen von uns nach eurer Wahl oder von einem von uns Besitz zu ergreifen und die Gegenstände im Hinblick auf das Kapital und die Strafzahlung schätzen zu lassen und sie, wenn sie geschätzt wurden, als verkauft zu besitzen ohne Widerspruch von uns oder unseren Erben oder von jedermann zu unseren Gunsten. Dies sollt ihr aus eigener Machtvollkommenheit und ohne Gestattung durch irgendeine Behörde tun. Wir verzichten außerdem auf den Rechtssatz, durch den bestimmt wird, dass im Fall einer von mehreren gemeinschaftlich übernommenen Schuld jeder Schuldner nur für seinen Anteil an der Erfüllung haftet und auf unserer Gerichtsstandsprivileg und auf den Rechtssatz nach dem der erste Schuldner zuerst und der zweite später in Anspruch genommen werden muss. Darüber hinaus schwören wir, die Bezahlung der oben genannten Schuld, so wie es oben enthalten ist, zu bewirken, wenn nicht mit eurer Genehmigung oder der Genehmigung eures Boten etwas übrig bleibt; wenn ihr uns eine Frist setzt, haften wir aufgrund dieses Eides bis zur vollständigen Bezahlung zu dem der Termin, der uns gewährt wurde; und wir werden nicht wissentlich dazu Anlass geben oder Klage führen oder darauf hinwirken, dass diese Schuld wegen Wuchers nicht bezahlt wird. Geschehen beim Glockenturm von San Lorenzo im Jahr 1157, am 11. August, in der vierten Indiktion.
a) Hintergrund Insgesamt neun Schuldner quittieren den Empfang eines Darlehens und versprechen die pünktliche Rückzahlung. Die beiden Gläubiger werden durch ein Strafversprechen und die Verpfändung des gesamten Vermögens der Schuldner gesichert. Wie Guglielmo di Bonifacio in der Urkunde Nr. 944 unterwerfen sich die Schuldner der sofortigen Zwangsvollstreckung. Außerdem verzichten sie auf das beneficium divisionis82 und das beneficium ordinis, welches der heutigen Einrede der Vorausklage entspricht. Dieser Verzicht ist zumindest dann überflüssig, wenn die neun Schuldner das Darlehen tatsächlich gemeinsam (als Hauptschuldner) empfangen hatten, denn das beneficium ordinis stand nach justinianischem Recht nur Bürgen
82
Vgl. Nov. Iust. 99, 1 und dazu Kaser, Privatrecht II (Fn. 1), 454.
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zu, nicht aber Gesamtschuldnern83. – Ferner verzichten die Schuldner, die offenbar nicht in Genua beheimatet sind – zumindest einige stammen aus Lodi – auf das Vorrecht, sich an ihrem Heimatgerichtsstand verklagen zu lassen84. Schließlich bekräftigen die Schuldner ihre Verpflichtung durch einen Eid. Bemerkenswert ist die Klausel am Schluss, mit der die Schuldner versichern, dass sie nicht versuchen werden, das Geschäft wegen Wuchers zu Fall zu bringen. Diese Klausel legt die Vermutung nahe, dass für das Darlehen ein unerlaubter Zins gezahlt werden soll. Dafür spricht auch der Umstand, dass die ausgezahlte Summe am Anfang der Urkunde nicht genannt wird, sondern lediglich der Umfang der Rückzahlungspflicht. Warum ein möglicher Verstoß gegen die kirchlichen Zinsverbote in dieser Urkunde explizit angesprochen wird, während sich sonst Zinsvereinbarungen finden, die auf das Zinsverbot keine Rücksicht zu nehmen scheinen, kann im Rahmen dieses Beitrages nicht verfolgt werden85. Insgesamt ist die Urkunde gut verständlich. Die einzige Schwierigkeit besteht darin, dass eine Person, Guaina Pexo, nicht mitwirkt. Für Guaina Pexo geben Ariprando Tonso und Guerco Diano die Erklärung über den Empfang des Darlehens und das Rückzahlungsversprechen ab. b) Bedeutung für das Stellvertretungsrecht Der Text der Urkunde enthält keinen Hinweis auf Besonderheiten, aus denen sich die Zulässigkeit der Vertretung von Guaina Pexo durch Ariprando und Guercio ergeben könnte. Es muss daher angenommen werden, dass die Abgabe der Erklärung durch die beiden Vertreter sich mit den Quellen des justinianischen Rechts nicht in Einklang bringen lässt und nach römischem Recht keine Verpflichtung entstehen lässt. Daraus muss allerdings noch nicht geschlossen werden, dass Giovanni Scriba – entgegen den bisherigen Ergebnissen der Untersuchung – die überkommenen römischen Regeln für obsolet hielt und die unmittelbare Stellvertretung bei Verpflichtungsgeschäften als unproblematisch ansah. Vielmehr ist angesichts der Besonderheiten des Falles denkbar, dass er die Frage, ob eine Haftung für Guaina Pexo wirksam begründet werden konnte, für unbedeutend hielt und deshalb die Urkunde trotz bestehender Bedenken in diesem Punkt aufnahm. Immerhin standen den beiden Gläubigern insgesamt neun Darlehensnehmer gegenüber. Große Sorgfalt wird darauf verwendet sicherzustellen, dass jeder der Darlehensnehmer mit seinem ganzen Vermögen für den Gesamtbetrag der Schuld haftet. Solange – nach dem Grundsatz utile per iniutile non vitiatur86 – sicher gestellt war, dass eine eventuelle Unwirksamkeit der Verpflichtung von Guaina 83
Vgl. Nov. Iust. 4 und dazu Kaser, Privatrecht II (Fn. 1) Vgl. C. 3, 13, 2. 85 Vgl. zu der relativ geringe Bedeutung des Zinsverbotes in den Notariatsurkunden aus Genua auch Steven Epstein, Wills and Wealth in Medieval Genoa, 1984, 218 f. 86 Vgl. D. 45, 1, 1, 5. 84
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Pexo keine Auswirkung auf die Verpflichtung der übrigen Schuldner hatte, war die Frage, ob auch Guaina Pexo aus der von Giovanni Scriba aufgenommenen Urkunde in Anspruch genommen werden konnte, von geringer wirtschaftlicher Bedeutung. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Haftung für das empfangene Darlehenskapital auch unabhängig von der notariellen Urkunde bestand. Demnach erscheint es nicht ausgeschlossen, dass Giovanni Scriba und die Parteien der Frage, ob die Verpflichtung auch für Guaina Pexo wirksam war, keine besondere Beachtung schenkten oder eine Mitverpflichtung von Guaina Pexo gar nicht wirklich intendierten. Jedenfalls ist die Urkunde Nr. 232 für sich allein kein Beleg dafür, dass Giovanni Scriba die direkte Stellvertretung allgemein für zulässig hielt.
2. Die Quittung des Gandolfo de Gotizone Während sich das Schuldversprechen für Guaina Pexo nicht bruchlos in die Systematik des römischen Rechts einordnen lässt, ist die folgende Quittung eines Gandolfo di Gotizone für Solimano Carato weniger problematisch: Giovanni Scriba Nr. 874 Ego Gandulfus de Gotiçone voco me quietum et solutum de omni societate quam tecum, Solimane Carate, ego habui, vel frater meus Bonus Iohannes de Gotiçone et inde me voco solutum et quietum et eciam stipulanti tibi sub pena librarum centum promitto quod amplius te inde non conveniam vel molestabo et si meus nepos molestaverit vel per eum aliquis te inde eximam, sin autem tua auctoritate et sine decreto consulum intrare possis in bonis meis quibus volueris pro ipsa pena et quantum ea fuerit tibi estimari facias et nomine vendicionis possideas. Et ego Solimanus Caratus stipulanti tibi Gandulfo sub pena Ib. .c. promitto quod de quanto habuisti ex ipsa societate tu vel nepos tuus te vel eum amplius non inquietabo et cetera. Actum in capitulo. .MCLXI., .xii. die augusti, indictione .viii. hoc postea consuluerunt Oger de Guidone et Capellanus propinqui filii prenominati Boni Iohannis. Ich, Gandolfo de Gotizone, erkläre, dass ich zufriedengestellt bin und ausgezahlt bin im Hinblick auf jede Gesellschaft, die ich mit dir, Solimano Carato, hatte oder die mein Bruder, Bongiovanni de Gotizone, hatte; und daher erkläre ich mich für ausgezahlt und zufrieden gestellt; und ich verspreche auch dir, der du das Stipulationsversprechen entgegennimmst, bei einer Strafe von hundert Pfund, dass ich dich deswegen nicht weiter belangen oder behelligen werde; und wenn dich mein Neffe behelligt oder jemand anders auf seine Veranlassung, dann werde ich dich davor bewahren; und wenn nicht, dann kannst du aus eigener Machtvollkommenheit und ohne Beschluss der Konsuln für die Strafe von meinem Vermögen in Besitz nehmen, was auch immer du willst, und du magst für dich schätzen lassen, wie viel die Strafe [in Gegenständen des Vermögens] ausmachte und dies als verkauft besitzen. Und ich Solimano Carato verspreche dir Gandolfo, der du das Versprechen entgegennimmst, bei einer Strafe von 100 Pfund dass ich wegen dessen, was du oder dein Neffe aus der Gesellschaft hatten, dich oder ihn nicht mehr behelligen werde und so weiter. Geschehen im Kapitelsaal am 12. August 1161, in der achten Indiktion. Dies nachdem Oger de Guidone und Capellanus, die dem Sohn des vorgenannten Bongiovanni nahestehen, ihren Rat erteilt haben.
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a) Die Vereinbarung Aus dem Urkundentext geht hervor, dass Gandolfo zusammen mit seinem Bruder Bongiovanni eine Gesellschaft betrieben hat. Diese Gesellschaft ist offenbar durch den Tod des Bruders aufgelöst worden. Denn als Mitgläubiger des Gandolfo erscheint nicht mehr der Bruder, sondern der Neffe des Gandolfo, vermutlich also der Sohn des Bongiovanni. Nach dem Tenor der Urkunde erklärt Gandolfo dem Solimano Carato, dass seitens der Gesellschaft keine Ansprüche mehr gegen ihn bestehen. Diese Erklärung könnten an sich nur Gandolfo und dessen Neffe als Erbe des Vaters gemeinsam abgegeben. Die Erwartung, dass Gandolfo auch im Namen seines Neffen handelt, wird aber enttäuscht: Gandolfo spricht ausdrücklich nur von sich ( me voco solutum et quietum). Dem Adressaten der Erklärung, Solimano, muss natürlich daran gelegen sein, dass auch der Neffe ihn nicht mehr in Anspruch nehmen kann. Diesem Interesse trägt die Urkunde dadurch Rechnung, dass Gandolfo ein strafbewehrtes Versprechen mit dem Inhalt erteilt, dass weder er, noch sein Neffe den Solimano je wegen angeblicher Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis in Anspruch nehmen werden. Auch das Strafversprechen nennt eindeutig nur Gandolfo als Verpflichteten. Eine Verpflichtung des Neffen ist nicht intendiert. Ebenso leistet Solimano sein Gegenversprechen, mit dem er gelobt, seinerseits keine Ansprüche mehr zu stellen und das er gleichfalls mit einem Strafversprechen sichert, nur dem Gandolfo. Der Versuch, dem Neffen des Gandolfo unmittelbar einen Anspruch gegen Solimano zuzuwenden, wird nicht unternommen. Mit den Strafversprechen für den Fall, dass der Neffe sich nicht an die von Gandolfo und Solimano getroffene Vereinbarung hält oder dass umgekehrt Solimano den Neffen entgegen der Vereinbarung mit Solimano in Anspruch nimmt, wird das Interesse an einer Einbeziehung des Neffen gewahrt, ohne dass eine direkte Berechtigung oder Verpflichtung des Neffen angestrebt wird. b) Vorbilder in den justinianischen Quellen Den in der Vereinbarung zwischen Gandolfo und Solimano beschrittenen Weg zur Vermeidung der praktischen Unzulänglichkeiten, die sich aus dem Ausschluss der direkten Stellvertretung ergeben, weisen die römischen Quellen selbst. In D. 45, 1, 38, 2, erklärt Ulpian, dass es zwar unmöglich ist, das Handeln eines andern ( factum alienum) in Stipulationsform zu versprechen. Wohl aber ist es möglich, für den Fall, dass ein solches factum unterbleibt, den Ersatz des Interesses oder eine Strafe zu versprechen87. Andererseits schließt es die Regel, dass die Leistung an einen anderen nicht wirksam stipuliert werden kann, nicht aus, dass für den
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Vgl. auch D. 45, 1, 83 pr.
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Fall, dass die Leistung an einen Dritten unterbleibt, eine Vertragsstrafe bedungen wird88. c) Ähnliche Gestaltungen Die in der Quittung des Gandolfo eingesetzten Techniken werden in zahlreichen weiteren Urkunden verwendet. Sowohl die Übernahme eigener Verpflichtungen durch Stellvertreter als auch die Begründung eigener Ansprüche für Stellvertreter lassen sich mit vielen Beispielen belegen. aa) Übernahme eigener Verpflichtungen durch Vertreter Mehrere Urkunden betreffen den Verkauf von Grundstücken durch einen nicht oder nicht allein berechtigten Verkäufer. Häufig ist das Auftreten eines Dritten anstelle des Eigentümers auf Verkäuferseite dadurch zu erklären, dass der Eigentümer des Grundstücks noch nicht volljährig ist. Die Urkunden enthalten jedoch keine Erklärung im Namen des Eigentümers. Vielmehr verkauft die anstelle des Eigentümers handelnde Person im eigenen Namen. Sie verspricht jedoch, dass der Eigentümer des Grundstücks den Kaufvertrag respektieren und später – gegebenenfalls nach Erreichung der Volljährigkeit – eine eigene Kaufurkunde ausstellen wird. Für den Fall, dass dies nicht geschieht, verspricht der Verkäufer eine Vertragsstrafe89. Der Käufer seinerseits erklärt zuweilen ausdrücklich, dass er den auf Verkäuferseite handelnden Nichteigentümer nach Abschluss eines Kaufvertrages mit dem Eigentümer aus seiner Haftung entlassen wird90. Auch außerhalb von Grundstückskaufverträgen werden vielfach durch Personen eigene Verpflichtungen übernommen, von denen sich aus dem Kontext ergibt, dass sie als (indirekte) Vertreter eines Dritten agieren. So nehmen im Jahr 1162 die Kaufleute Simon, Bombarchet, und Iussuph ein Darlehen von demselben Solimano auf, der uns bereits in der ersten behandelten Urkunde, Nr. 112, begegnet ist, und bezeichnen sich dabei als nuncii des vornehmen sizilianischen Muslims Caito Bulcassem91. Die nuncii versprechen jedoch selbst die Rückzahlung des Darlehens und bekräftigen diese Verpflichtung durch ihren Eid. 88
D. 45, 1, 38, 17 und Inst. 3, 19, 19. Diese Gestaltung findet sich in Nr. 226 (1157); Nr. 342 in Verbindung mit Nr. 343 (1158); Nr. 363 (1158); Nr. 553 (1159); Nr. 800 (1161); ähnlich auch Nr. 396 (1158); Nr. 796 (1161); Nr. 1017 (soweit Ermellina den Anteil ihrer Tochter Domnesella am Grundstück als res aliena verkauft und dafür die Haftung übernimmt); 1086 (1163) (soweit Sibilia für ihren Sohn Oberto auftritt); allerdings ist in diesen Fällen nicht die spätere Bestätigung des Verkaufs durch die Eigentümerin selbst vorgesehen. Vgl. ferner Nr. 667 (1160): Vergleichsschluss durch einen Lanfranco Bacemo auch für seinen minderjährigen Bruder, der später noch eine eigene Urkunde ausstellen soll. 90 So in Nr. 226 und Nr. 343. 91 Zur Person des Bulcassem und zu der Urkunde näher Abulafia, Two Italies (Fn. 21), S. 247 ff. 89
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Von der unmittelbaren Begründung einer Rückzahlungspflicht des Geschäftsherrn Bulcassem ist nicht die Rede. Große Ähnlichkeit mit der Vereinbarung zwischen Gandolfo de Gotizone und Solimano Carato bezüglich des Neffen des Gandolfo weisen die Urkunden Nr. 978 und 982 (1162) auf, in denen es um Ansprüche einer Frau namens Druda im Fall der Auflösung ihrer Ehe mit dem Sohn eines gewissen Pietro Capellano geht. Es wird vereinbart, dass Druda sich in diesem Fall mit der erhaltenen Eheschenkung zufrieden geben muss und keine weiteren Ansprüche stellen darf. Wie der Neffe des Gandolfo ist Druda an den geschlossenen Verträgen nicht beteiligt. Ein Gewährsmann namens Ansaldo Cigala verspricht dem Pietro Capellano eine Strafzahlung, falls Druda doch noch Ansprüche geltend macht92. bb) Begründung eigener Ansprüche für Vertreter Auch für die Begründung eigner Ansprüche zugunsten einer Person, die nicht im eigenen Interesse, sondern zugunsten eines Geschäftsherrn tätig wird, lassen sich neben Urkunde Nr. 874 weitere Beispiele finden: In Urkunde Nr. 303 übernimmt Ogerio de Guidone die Verpflichtung, an Simone 1/3 Doria bis zum Johannistag des Jahres 1158 den Gegenwert von 133 1/3 Pfund Silber in verschiedenen exotischen Handelswaren zu leisten. Nur im Schlusssatz wird erwähnt, dass die Leistung für die Schwiegertochter des Schuldners, Burdella, erfolgen soll, deren nuncius der Versprechensempfänger Simone Doria ist. Ungeachtet seiner Eigenschaft als nuncius soll an Simone Doria selbst geleistet werden. Etwas komplizierter stellt sich die Lage bei Urkunde Nr. 335 aus dem Jahr 1158 dar: Eine Richelda verspricht dem Oberto Spinola93, dass sie einen Grundbesitz, der ihr aufgrund einer Entscheidung der Konsuln – wohl im Zuge eines Rechtsstreits – zugefallen ist, gegen die Zahlung eines bestimmten Betrages der Alda, einer Verwandten des Versprechensempfängers, überlassen wird. Für sich genommen ist dieses Versprechen das Versprechen einer Leistung an einen Dritten, das nach römischem Recht bedenklich wäre94. Die Einhaltung der Vereinbarung wird jedoch durch Strafversprechen des Guglielmo Besagno und des Ugone Elie zusätzlich gesichert, die sich verpflichten, im Fall der Nichteinhaltung der übernommenen Verpflichtung durch Richelda eine poena dupli zu zahlen. Dieses Versprechen wird ausdrücklich an Oberto Spinola geleistet. In Urkunde Nr. 563 (1159) gibt Barleta als Verkäuferin eines Anwesens ihr Versprechen zur Gewährleistung gegenüber einem Vertreter der Käufer ab. Der Ver92
Nr. 978. In Nr. 982 wird der Rückgriff des Ansaldo gegen Giglielmo Guercio, den Vater der Druda, geregelt. 93 Zu Oberto Spinola vgl. oben Fn. 57. 94 Eine solche Stipulation mit der Wirkung eines unechten Vertrages zugunsten Dritter wäre nach justinianischem Recht nur wirksam, soweit Oberto ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Leistung an Alda hat, vgl. D. 45, 1, 38, 20 f. und dazu Kaser, Privatrecht I (Fn. 1), S. 491.; Lange, SZ 73 (1956), 282 f.
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treter nimmt das Versprechen zwar pro eis, also für die Käufer entgegen, doch wird das Versprechen ihm selbst gegeben95. In Urkunde Nr. 573 (1159) quittiert der Priester Otone den Empfang eines Darle hens von Guglielmo Stancone, der jedoch als nuncius der Adalasia Donumdei handelt. Die Rückzahlung des Darlehens wird an Guglielmo oder Adalasia versprochen. Da Adalasia nicht allein, sondern gemeinsam mit dem Versprechensempfänger als Zahlungsempfängerin genannt ist, wäre die Vereinbarung nach den justinianischen Quellen zulässig96. Zusätzlich ist jedoch die Rückzahlungspflicht durch ein Strafversprechen gesichert, für das nur Guglielmo Stancone als Gläubiger genannt wird. In Urkunde Nr. 947 (1162) verpflichtet sich ein Bankier ( bancherius) namens Ingone gegenüber Guglielmo Avundante zur Erstattung von Sachen, die – wie vermerkt wird – den Söhnen des Guglielmo gehören. Ingone verspricht jedoch, die Sachen dem Vater selbst zurückzugeben und sichert diese Verpflichtung durch das übliche Strafversprechen. Etwas unklar ist der Sprachgebrauch in der unmittelbar folgenden Urkunde Nr. 948, in der ebenfalls der Bankier Ingone die Verpflichtung zur Erstattung von Sachen übernimmt. Nach dem Text der Urkunde ist die Rückgabe der Ehefrau des Raimundus Capellanus geschuldet. Ingone verspricht: tibi vel tuo misso reddam ei. Der Satz ist verunglückt und lässt offen, ob die Rückgabe nun an den Ehemann ( tibi) oder an die Frau ( ei) versprochen wird. Trotz dieser sprachlichen Unklarheit wird man die Urkunde kaum als Beleg für die Außerachtlassung des Satzes alteri stipulari nemo potest werten können. Ähnliches gilt für Urkunde Nr. 1016 (1162). Marchione della Volta97 verspricht dem Caffaro, bestimmte Gelder an dessen Enkel zu zahlen98. Das Strafversprechen ist in der Imbreviatur nur verkürzt wiedergegeben, doch ist zumindest klar, dass Marchione dem Caffaro selbst ein Pfandrecht einräumt. Daher ist trotz der undeutlichen Fassung des erhaltenen Textes anzunehmen, dass wiederum eine poena zugunsten des Versprechensempfängers Caffaro vereinbart wird und eine unmittelbare Berechtigung der Enkel nicht intendiert ist. Überdies ist wahrscheinlich, dass die Enkel der patria potestas des Caffaro unterstehen99.
3. Das Umschuldungsabkommen der Mabilia Größere Schwierigkeiten als die Vereinbarungen zwischen Gandolfo de Gotizone und Solimano Carato und die zahlreichen Urkunden, in denen sich ähnliche Gestal95
Ähnlich auch Nr. 553 (1159) und Nr. 800 (1161). Denn Adalasia könnte dann als solutionis causa adiecta angesehen werden, vgl. D. 46, 3, 10 und D. 46, 10, 12, 3 und dazu Kaser, Privatrecht I (Fn. 1), S. 637. 97 Vgl. zu dieser Person o. Fn. 56. 98 Dass nepos in Urkunde Nr. 1016 mit „Enkel“ und nicht, wie vermutlich in Nr. 874 mit „Neffe“ zu übersetze ist, ergibt sich aus Urkunde Nr. 1014, wo einer der in Nr. 1016 angesprochenen nepotes den Caffaro als seinen Großvater bezeichnet. 99 Zur Bedeutung der römischen patria potestas im mittelalterlichen Recht vgl. oben bei Fn. 61, 62 und 73. 96
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tungen finden lassen, bereitet die folgende Vereinbarung, durch welche die Verbindlichkeiten eines gewissen Oberto Gariofolo gegenüber seinem Gläubiger Otobono auf eine neue Grundlage gestellt wurden: Giovanni Scriba, Nr. 875 Ego Nuvelonus nuncius Otonis Boni fratris mei absolvo Obertum Gariofolum virum tuum, Mabilia, de sacramento quo ipsi meo fratri tenetur de lb. .xi. quas ei adhuc debet de ib. .xxxx., quas ei debuit, sed ius quod ipse meus frater adversus eum habet de pena et sorte ipsi meo fratri reservo, si ipse tuus vir non habuerit ratam et observare noluerit promissionem quam ut inferius mihi fecisti. Et ego Mabilla uxor predicti Oberti tibi Nuveloni stipulanti pro fratre tuo Otone Bono, cuius es nuncius, promitto quod ipsa lb. xi. cum proficuo de quatuor quinque solvam ipsi fratri tuo vel eius nuncio, navi Ismaelis sana eunte Sciciliam et redeunte in futura estate, infra mensem post, si non redierit. aut iter mutaverit, infra mensem, sana veniente prima navi que ipsa estate ventura Ianuam a Panormo moverit. Et supra sancta Dei evangelia ita iuravit adimplere, nisi quantum remanserit licentia ipsius Otonis Boni vel eius nuncii et si terminum vel terminos inde eis produxerit usque ad integram consumacionem ipsius debiti ad indultum vel indultos terminos pariter tenebitur. Actum in capitulo, xii. die augusti, indictione .VIII. Ich, Nuvelone, Bote des Otobono, meines Bruders, löse, Mabilia, deinen Mann, Oberto Gariofolo, von dem Eid, aufgrund dessen er meinem Bruder auf elf Pfund haftet, welche er noch schuldet von den vierzig Pfund, die er ursprünglich schuldete; jedoch behalte ich meinem Bruder das Recht, das er gegen ihn auf die Vertragsstrafe und das Kapital hat, für den Fall vor, wenn dein Mann seinerseits das Versprechen nicht genehmigt und nicht einhalten will, dass du mir – wie unten festgehalten ist – geleistet hast. Und ich, Mabilia, verspreche dir, Nuvelone, der du das Versprechen für deinen Bruder entgegennimmst, dessen Bote du bist, dass ich selbst elf Pfund mit einem Gewinn von fünf für vier deinem Bruder oder seinem Boten zahlen werde, wenn das Schiff des Ismael heil nach Sizilien fährt und im nächsten Sommer zurückkehrt, binnen eines Monats [nach der Rückkehr]; wenn es nicht zurückkehrt oder seinen Weg ändert, binnen eines Monats nachdem das erste Schiff heil ankommt, das in diesem Sommer von Palermo abgereist ist um nach Genua zu kommen. Und auf die heiligen Evangelien hat sie geschworen, es so zu erfüllen, abgesehen von einem Betrag, der nach einer von Otobono selbst oder seinem Boten erteilten Erlaubnis verbleibt, und, wenn er ihnen eine Frist oder Fristen setzt, wird sie bis zur Begleichung der gesamten Schuld zu der gesetzten Frist oder den gesetzten Fristen gleichfalls haften. Geschehen im Kapitelsaal, am 12. August, in der achten Indiktion [1161].
a) Hintergrund Auf beiden Seiten des Vertrages werden nicht die unmittelbar betroffenen Personen tätig: Für den Schuldner Oberto Gariofolo handelt dessen Ehefrau, für den Gläubiger Otobono dessen Bruder Nuvelone. Im Mittelpunkt der Vereinbarung steht eine Schuld von elf Pfund Silber, die den Restbetrag einer Schuldsumme von vierzig Pfund darstellt. Die Rückzahlung dieser Schuld an Nuvelone hat Oberto Gariofolo eidlich zugesichert. Prinzipiell bleibt diese Schuld bestehen, sie wird aber in ein Seedarlehen überführt. Die Rückzahlung wird nur fällig, sofern Oberto Gariofolo von einer Seereise nach Sizilien glücklich zurückkehrt. In diesem Fall soll das Kapital mit Zinsen zurückgezahlt werden. Für jeweils vier Einheiten des ausgeliehenen Kapitals sind fünf Einheiten zurückzuzahlen. Der Zinssatz beträgt also 25 %, was für Seedarlehen gebräuchlich war100. 100
Goldschmidt, Handbuch A (Fn. 4), S. 345, Fn. 51.
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Nicht ohne weiteres verständlich ist die Klausel über die Bedingungen, unter denen die Rückzahlung mit Zinsen geschuldet sein soll. Zum Wesen des Seedarlehens gehört es, dass die Rückzahlung nur fällig wird, wenn der Darlehensempfänger die Seereise (die er mit dem empfangenen Kapital finanziert) glücklich zu Ende bringt. Primär wird die Rückzahlungspflicht an die Wiederkehr des Schiffs eines gewissen Ismael ( navis Ismaelis) von einer Reise nach Sizilien geknüpft. Für den Fall jedoch, dass dieses Schiff seinen Kurs ändert oder nicht zurückkehrt, wird die Rückzahlung dann geschuldet, wenn in der sommerlichen Seereisezeit das erste Schiff aus Palermo in Genua eintrifft. Diese Regelung, die auf den ersten Blick den Eindruck erweckt als werde die Verknüpfung der Rückzahlungspflicht mit dem glücklichen Ausgang einer bestimmten Reise aufgehoben und die Rückzahlungspflicht stattdessen nur noch vom Fortbestehen des Schiffsverkehrs im Allgemeinen abhängig gemacht, lässt sich in Wirklichkeit ohne Schwierigkeiten mit dem Wesen des Seedarlehens und dessen Versicherungscharakter in Einklang bringen: Es ist davon auszugehen, dass nach den Vorstellungen der Parteien Mabilias Mann Oberto Gariofolo die Seereise nach Sizilien unternehmen und dabei versuchen soll, das ihm weiterhin zur Verfügung stehende Kapital so gewinnbringend einzusetzen, dass er bei seiner Rückkehr die vereinbarten Zinsen in Höhe von 25 % aufbringen kann. Da die Urkunde primär die Rückkehr der navis Ismaelis zum Anknüpfungspunkt nimmt, ist dieses Schiff das Fahrzeug, mit dem Oberto fahren soll. Nur für den Fall, dass dieses Schiff für die Rückfahrt einen anderen Kurs wählt oder vorerst überhaupt nicht zurück nach Genua fährt, hat Oberto die Möglichkeit, mit einem anderen Schiff zurückzukehren. Er muss in diesem Fall das erste Schiff wählen, das vom sizilianischen Hafen Palermo nach Genua kommt. Auch wenn die von den Parteien oder ihrem Notar gewählte Ausdrucksweise aus heutiger Sicht unklar ist, dürfte die Urkunde letztlich nichts anderes besagen, als dass die Pflicht zur Rückzahlung des Darlehens von der glücklichen Heimkehr des Oberto abhängt, unabhängig davon, mit welchem Schiff Oberto nach Genua heimkehrt101. b) Stellvertretung auf beiden Seiten Die Urkunde zerlegt das Geschäft, das sich nach den Maßstäben des modernen und auch des klassischen römischen Rechts102 als Novation erfassen ließe, in zwei Teilakte: den Erlass der bisherigen und die Begründung der neuen Verbindlichkeit. Die Frage nach der Zulässigkeit des Handelns von Mabilia und Nuvelone für die hinter ihnen stehenden Parteien Oberto und Otobono muss für die beiden Teilakte getrennt betrachtet werden. Zunächst erklärt Nuvelone als nuncius seines Bruders den Erlass der bisher bestehenden Schuld. Der Erlass ist bedingt durch die Bereitschaft des Oberto, die von 101
Vgl. für diese Deutung der Regelung, die in einer Reihe von Seedarlehensverträgen im Imbreviaturbuch des Giovanni Scriba zu finden ist, Goldschmidt, Handbuch A (Fn. 4), S. 349, Fn. 57; Walther Ashburner, Introduction, in: ders. (Hg.), The Rhodian Sea-Law, 1909, S. CCXXVII f. 102 Zur Novation nach römischem Recht vgl. nur Kaser, Privatrecht I (Fn. 1), S. 647-649.
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Mabilia übernommene neue Verbindlichkeit aus dem Seedarlehen zu erfüllen. Da der förmliche Erlassvertrag ( acceptilatio) nach den antiken Quellen bedingungsfeindlich103 ist, kann das Geschäft nur als pactum de non petendo aufgefasst werden104. Ein solches ist formlos möglich und kann daher auch durch Boten, brieflich oder durch schlüssiges Verhalten abgeschlossen werden105. Insofern kann die Erklärung des Nuvelone im Einklang mit seiner Bezeichnung als nuncius als Botenerklärung für Otobono aufgefasst werden. Die Zustimmung des Oberto kann entweder durch Mabilia als Botin oder auch im Nachhinein durch schlüssiges Verhalten erklärt werden. Jedenfalls bestehen gegen die Möglichkeit eines wirksamen Erlasses nach dem justinianischen Recht keine durchgreifenden Bedenken. Schwieriger ist die Wirksamkeit der neu vereinbarten Seedarlehensverbindlichkeit zu begründen. Nach dem Wortlaut der Urkunde soll eine Stipulationsverbindlichkeit begründet werden, so dass die Beteiligung von Boten ausgeschlossen ist106. Auf Seiten des Schuldners ist eine unmittelbare Haftung des Oberto allerdings wohl gar nicht intendiert. Einerseits verspricht Mabilia in der ersten Person, dass sie selbst den geschuldeten Betrag zahlen werde. Andererseits impliziert die Bedingung, der zufolge der Schulderlass nur gelten soll, wenn Oberto bereit ist, die getroffene Vereinbarung zu genehmigen und einzuhalten, dass Oberto nicht rechtlich verpflichtet ist, sich an das von seiner Frau gegebene Versprechen zu halten. Es spricht also viel dafür, dass Mabilia nicht als unmittelbare Vertreterin des Oberto auftritt. Sie gibt ein eigenes Zahlungsversprechen ab, dass allerdings an den Erfolg einer Seereise geknüpft ist, die vermutlich ihr Ehemann unternehmen soll. Anders liegen die Dinge für die Gläubigerseite. Die Leistung wird allein zugunsten des Otobono versprochen, für den Nuvelone nach dem Urkundentext wiederum als nuncius auftritt. Es liegt auf der Hand, dass die Wendung tibi Nuveloni stipulanti pro fratre tuo Otone Bono … promitto mit der Regel alteri stipulari nemo potest nicht im Einklang steht. Ein Ausnahmetatbestand, aus dem sich die Wirksamkeit der gewählten Konstruktion ergeben könnte, ist in den antiken Rechtsquellen nicht ersichtlich. Insbesondere fehlt das sonst gebräuchliche Strafversprechen zugunsten des Vertreters Nuvelone selbst. Jedoch beschränkt sich Mabilia nicht darauf, eine Stipulation von – nach den Maßstäben der justinianischen Rechtsquellen – zweifelhafter Wirksamkeit zu leisten. Vielmehr bekräftigt sie die Verbindlichkeit durch einen Eid auf die heiligen Evangelien. Diese Eidesleistung könnte zwar schon dadurch motiviert sein, dass auch die ursprüngliche Verbindlichkeit des Oberto auf einem Eid beruhte. Der Eid hat jedoch im mittelalterlichen Recht auch die Funktion, an sich unwirksame Rechtsakte verbindlich zu machen. Da der Eidesbruch eine schwere Sünde bedeutete, war derjenige, der einen Eid geleistet hatte, nach verbreiteter Meinung verpflichtet, eine ansonsten unwirksame Verbindlichkeit zu erfüllen. Wie Lange gezeigt hat, wurde 103
D. 50, 17, 77. Dazu bereits oben bei Fn. 52. 105 D. 2, 14, 2. 106 Vgl. oben Fn. 72. 104
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der Eid auch dazu verwendet, Verbindlichkeiten zu bestärken, deren Wirksamkeit die Regel alteri stipulari nemo potest entgegenstand107. Für diese Lehre hat Lange zwar nur Belege aus dem 13.–15. Jahrhundert vorgelegt. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sich die Rechtspraxis schon im 12. Jahrhundert die religiöse Pflicht zur Einhaltung des eidlich Versprochenen zunutze machte108. Die Missachtung des Grundsatzes alteri stipulari nemo potest in der Urkunde ist also vermutlich durch die eidliche Bekräftigung der von Mabilia eingegangenen Verbindlichkeit zu erklären. Wenn diese Deutung zutrifft, ist die von Giovanni Scriba beurkundete Gestaltung zwar insofern modern, als sie einen Weg zur Umgehung des Verbots der direkten Stellvertretung beschreitet, der in der Wissenschaft erst später anerkannt wurde. Giovanni Scriba ist aber weit davon entfernt, die Möglichkeit der direkten Stellvertretung allgemein vorauszusetzen. Vielmehr muss die eidliche Bekräftigung des Geschäfts gerade als Beleg dafür angesehen werden, dass der Handelsverkehr von der prinzipiellen Geltung der römischen Prinzipien ausging und keinesfalls die direkte Stellvertretung als unproblematisch zulässig ansah.
IV. Ergebnisse Mit diesen Beobachtungen ist der Überblick über die für die Vertretungsproblematik einschlägigen Urkunden des Giovanni Scriba beendet. Die Urkunden haben zwar viele Formen des Handelns in fremdem Interesse gezeigt. Belege dafür, dass in der Genueser Praxis des 12. Jahrhunderts die direkte Stellvertretung bei Verpflichtungsgeschäften bereits anerkannt war, haben sich jedoch nicht gefunden. Allenfalls die Urkunde Nr. 232 mit der Verpflichtungserklärung für Guaina Pexo lässt sich als Indiz für eine Anerkennung der direkten Stellvertretung werten. Die Urkunde lässt sich aber auch anders deuten und steht jedenfalls vereinzelt da. Die übrigen untersuchten Texte belegen, dass die Ars notariae über verschiedene Methoden verfügte, um in der Praxis das Auftreten von Vertretern auch ohne Anerkennung der direkten Stellvertretung zu ermöglichen. Daher dürfte das Bedürfnis nach der allgemeinen Anerkennung der direkten Stellvertretung auch relativ gering gewesen sein. Wie bereits eingangs erwähnt, kann diese Untersuchung nicht den Anspruch erheben, das vorhandene Material lückenlos ausgewertet zu haben. Eine akribische Durchsicht der über 1300 überlieferten Urkunden des Giovanni Scriba würde weitere relevante Texte zu Tage fördern. Indes ist auf der Grundlage des in diesem Beitrag analysierten Bestandes jedenfalls der Schluss zulässig, dass die direkte Stellvertretung in den Urkunden des Giovanni Scriba keine prominente Rolle spielt. 107
Lange, SZ 73 (1956) 297-305. Dafür spricht auch, dass im Imbreviaturbuch des Giovanni Scriba mehrfach Eide vorkommen, deren Zweck es offenbar ist, Verpflichtungen von Minderjährigen wirksam zu machen, vgl. Nr. 983 (1162, ein Minderjähriger erfüllt eine eidlich begründete Verpflichtung); 1017 und 1086 (1162 bzw. 1163, jeweils Eid des minderjährigen Verkäufers). Vgl. auch Nr. 363 (1158, Eid des Verkäufers in anima seiner minderjährigen Ehefrau). 108
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Falls er die Stellvertretung in einem weiteren Umfang für zulässig gehalten haben sollte, hat sich diese Auffassung in seiner praktischen Arbeit allenfalls in seltenen Fällen niedergeschlagen. Beispiele für die Zulassung der direkten Stellvertretung bei Verpflichtungsgeschäften springen – anders als in Notariatsakten aus dem späten Mittelalter109 – jedenfalls nicht ins Auge. Die Auffassung Goldschmidts, wonach sich die Stellvertretung in der italienischen Handelspraxis schon früh durchgesetzt hatte, findet in den untersuchten Texten keine Stützen. Vielmehr erweisen die analysierten Urkunden den Notar Giovanni Scriba nicht nur als guten Kenner110, sondern auch als treuen Anwender des in den justinianischen Quellen überlieferten römischen Rechts.
109
Zur Stellvertretung in der späteren Notariatspraxis vgl. Voltellini, Notariats-Imbreviaturen (Fn. 10), S. XXIV und S. CIX-CX; Fraenkel, ZVglR 27 (1912) 330 f.; Lange, SZ 73 (1956) 284297; zu einem Beispiel aus der Praxis des Lamberto di Sambuceto vgl. nur Thomas Rüfner, Eine Freilassungsurkunde des Notars Lamberto di Sambuceto, in: Hans Georg Hermann u.a. (Hg.), Von den Leges Barbarorum bis zum ius barbarum des Nationalsozialismus. Festschrift für Hermann Nehlsen zum 70. Geburtstag, 2008, 173-197, 189-192. 110 Vgl. oben bei Fn. 9.
Forderung und Pfand – Die Anfänge der Akzessorietät beim römischen Pfandrecht Dietmar Schanbacher
I. Einleitung Eine Betrachtung des römischen Pfandrechts unter dem Blickwinkel der ‚Drittbeteiligung am Schuldverhältnis‘ führt auf das Phänomen der Akzessorietät. Das römische Pfandrecht ( pignus) ist bekanntlich akzessorisch. Es hängt von der zu sichernden Forderung ab, einmal (a) was seine Entstehung angeht, zum an1 Pignus begegnet in den Rechtsquellen häufig als ‚Pfand’, gelegentlich auch als ‚Pfandrecht’; s. Heumann/E. Seckel, Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts (9. Aufl. Jena 1907) s.v.Pignus 1) . S.430. S. etwa Ulp.40 ad Sab. D 13.7.1pr. ( pignus als ‚Pfandrecht’); 1 ( pignus einmal als ‚Pfandrecht’; zweimal als ‚Pfand’); 2 ( pignus viermal als ‚Pfand’). Ähnlich begegnet hypotheca häufig als ‚Pfand’ und gelegentlich als ‚Pfandrecht’; s. etwa Gai.lb sg. de form.hyp. D 20.1.4 ( hypotheca einmal als ‚Pfandrecht’, zweimal als ‚Pfand’). Vgl. desweiteren etwa Diokl./Max. C 8.40.21 (a.293) [hypotheca, pignus als ‚Pfand’] und Alex. C 8.40.11 (a.229) oder Just. C 8.25.11.1 (a.532) [ius pignoris, ‚Pfandrecht’ ]. Pignus hängt wortgeschichtlich mit lat. pango und griech. πήγνυμι (‚befestigen’) zusammen; s. H. Dernburg, Das Pfandrecht nach den Grundsätzen des heutigen römischen Rechts I (Leipzig 1860 Neudruck Goldbach 2001) S.49; A. Manigk, Pfandrechtliche Untersuchungen I (Breslau 1904) S.5 mit Fn.3. Wie diese Verben ( R. Kühner/F. Holzweissig, Ausführliche Grammatik der lat.Sprache I [ 2. Aufl. Hannover 1912 Neudruck Darmstadt 1994 ] S.160) leitet es sich ab von der Wurzel pac/pag/παγ; A. Manigk S.5 Fn.3. Dies ist jedoch bis heute bestr.; s. schon A. Manigk, Pignus, RE 20,1 (1941 Neudruck 1985) Sp. 1239.52-65 (Etymologie von pignus bis heute nicht geklärt). A.A. Oxford Latin Dictionary (1994) s.v. pignus S. 1379 (für wortgeschichtlichen Zusammenhang mit pingo; Wurzel pig [“perhaps”]). Bemerkenswerterweise begegnen sowohl griech. πήγνυμι als auch lat. pango in pfandrechtlichen Zusammenhängen. Solon gebraucht in seinen berühmten Zeilen Γη̃ μέλαινα, τη̃ς ε̉γώ ποτε ὅρους α̉νει̃λον πολλαχη̃ι πεπηγότας, πρόσθεν δὲ δουλεύσουσα, νυ̃ν ε̉λευθέρα (fr.24.5-7 Diehl; zit. von Aristot. Ath. Pol.12.4) eine Form des Wortes πήγνυμι (πεπηγότας) für das Festsetzen der Zeichen der Belastung (ὅροι; äußerst umstritten, s. Christoph Mülke, Solons politische Elegien und Iamben (Fr.1-13; 32-37 West) Einleitung, Text, Übersetzung, Kommentar [München Leipzig 2002] S.374ff.). Gaius verwendet eine Form des Wortes pango ( pepigisset) für das ‚Befestigen’ der Sache selbst in der Pfandhaftung: de rebus coloni, quas is pro mercedibus fundi pignori futuras pepigisset (4.147). Im Etymologicum Magnum (1.Hälfte 12.Jh.) begegnet eine Form des Kompositums ε̉γκαταπήγνυμι in der Definition von
D. Schanbacher () Juristische Fakultät, Technische Universität Dresden, 01062 Dresden, Deutschland E-Mail: [email protected] J. D. Harke (Hrsg.), Drittbeteiligung am Schuldverhältnis, DOI 10.1007/978-3-642-04450-2_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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deren (b) was seinen Fortbestand angeht. Auch die Frage seiner Abhängigkeit von der Forderung, was seine Zuständigkeit angeht (c) lässt sich stellen, wenngleich es eine Forderungsabtretung im heutigen Sinn nicht gegeben hat. Das Schicksal der zu sichernden Forderung bestimmt das Schicksal des Pfandrechts. Ereignisse, die die Forderung berühren, berühren auch das Pfandrecht – sie haben insofern ‚Drittwirkung‘. Dies springt ins Auge, wenn der Verpfänder nicht mit dem Schuldner der Forderung identisch ist. Doch auch bei Identität von Schuldner und Verpfänder kann man von einer ‚Drittwirkung‘ sprechen: Ereignisse um die Forderung treffen den Schuldner in der Rolle eines ‚Dritten‘, nämlich des Verpfänders. Der Gedanke der Akzessorietät hat sich im 19. Jahrhundert zum ‚Akzessorietätsprinzip‘ entwickelt und Modellcharakter gewonnen. Er liegt zahlreichen Bestimmungen des geltenden Rechts zugrunde, nicht nur des BGB, auch ausländischer Rechte. Seine Zukunftschancen im europäischen Privatrecht sind allerdings unsicher. Das römische Pfandrecht steht als akzessorisches Recht vor uns. Man wird sich angesichts dessen fragen: 1) Seit wann ist das römische Pfandrecht ein akzessorisches Recht? Hier, bei der Frage nach den Anfängen der Akzessorietät des römischen Pfandrechts stößt man auf die Theorie der ‚reinen Sachhaftung‘ (II. ὅρος, um die Befestigung der ὅροι an den verpfändeten Häusern und Grundstücken auszudrücken: ὅρος σημαίνει δύο·… καὶ σανίδιον τὸ ε̉πιτιθέμενον ται̃ς οι̉κίαις καὶ τοι̃ς χωρίοις ε̉γκαταπηγνύμενον τοι̃ς ε̉νεχυριαζομένοις πρὸς ἃ ο̉φείλουσιν οἱ δεσπόται; s. M. I. Finley, Studies in land and credit in ancient Athens 500-200 B.C., The Horos-Inscriptions (New Brunswick, New Jersey 1952) S.196 Fn.12 a.E. 2 Ulp.2 reg. D 46.3.43 führt unter den ‚Akzessionen’ ( accessiones), die durch die Forderungstilgung frei werden, Pfänder auf ( hypothecae; pignora); s.dazu H. Dernburg (Anm.1) S.514f. und Das Pfandrecht nach den Grundsätzen des heutigen römischen Rechts II (Leipzig 1864 Neudruck Goldbach 2001) S.575; B. Windscheid/Th. Kipp, Lb.des Pandektenrechts I (9.Aufl.1906 2.Neudruck Aalen 1984) S.1129 mit Fn.1 (begriffliche Abhängigkeit des Pfandrechts von der Forderung). Um die Details der entwickelten Pfandrechtsakzessorietät soll es im folgenden nicht gehen; vgl. insofern H. Dernburg (Anm.1) S.516ff.; (Anm.2) S.574ff.; U. Ratti, Sull’ accessorietà del pegno (Macerata 1927 Neudruck Neapel 1985); Ed. Carelli, Sulla accessorietà del pegno nel diritto romano (Rom 1934 Neudruck Neapel 1980); M. Kaser, RP I (2.Aufl.München 1971) S.465; 468. 3 Marci.lb.sg.ad form.hyp. D 20.1.5pr.,2. 4 Ulp.73 ad ed. D 20.6.6pr.-2. 5 S. H. Dernburg (Anm.1), S.560ff. 6 S. M. Habersack, JZ 1997, S. 857, 860f. (mit Hinweisen auf das französische, italienische, spanische, niederländische und englische Recht). 7 Es bestehen Tendenzen zur Einführung eines nichtakzessorischen Grundpfandrechts auf europarechtlicher Ebene; s. M. Habersack (Anm.6) S.861f.; J. Wilhelm, Sachenrecht (2.Aufl. Berlin New York 2002) Rz.1311; W. Epp in H. Schimansky/H.-J. Bunte/H.-J. Lwowski, Bankrechts-Handbuch II (3.Aufl.München 2007) § 94 Rz.2; H. Gaberdiel/M. Gladenbeck, Kreditsicherung durch Grundschulden (8.Aufl.2008) Rz.8f. In der Literatur wird die Frage kontrovers diskutiert. Für die Einführung eines nichtakzessorischen europäischen Grundpfandrechts O. M. Stöcker, Die Eurohypothek (Berlin 1992) S.191ff., 216ff., 296f. (wegen größerer Flexibilität und geringerer Kosten) und (mit Zurückhaltung) R. Stürner, Fs.f.R. Serick (Heidelberg, 1992) S.377, 386ff. Für die Einführung eines akzessorischen europäischen Grundpfandrechts hingegen M. Habersack (Anm.6) S.861 ff. (angesichts europäischer Verbreitung des Akzessorietätsgrundsatzes und wegen der rechtstechnischen Vereinfachung und des Sicherungsgeberschutzes). Die Diskussion setzt sich fort. S. etwa Th. Wachter, WM 1999, S.49, 56ff. (für Akzessorietät), P. Meyer, EuZW 2004, S.389, 390f. (dagegen).
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Frührömische Akzessorietät). Man wird dann weiter fragen: 2) Was ist die Grundlage der frührömischen Akzessorietät? (III. Grundlagen der frührömischen Akzessorietät). Hier, bei der Frage nach der Grundlage der frührömischen Akzessorietät begegnet man der Annahme, die – erst für eine spätere Entwicklungsstufe angenommene – Akzessorietät des römischen Pfandrechts beruhe auf dem Pfandverfall als einer datio in solutum, welche eine Forderung voraussetze (1. Pfandverfall als datio in solutum?). Geht man jedoch davon aus, dass das römische Pfandrecht vom griechischen Recht herkommt, liegt dagegen ein vergleichender Blick auf das griechische Pfandrecht nahe. Man wird fragen: Worauf gründet sich die Akzessorietät des griechischen Pfandrechts? (2. ‚Bildliche Akzessorietät‘ des griechischen Pfandrechts). Sodann wird man den Blick wieder auf das frührömische Pfandrecht richten und sich fragen: Worauf gründet sich die Akzessorietät des frührömischen Pfandrechts? (3. Catonische Akzessorietät). Der Vergleich wird weitere Einblicke in den Rezeptionsvorgang erbringen (IV. Griechische und römische Akzessorietät. Vom Bild zum Begriff).
II. Frührömische Akzessorietät Seit wann also ist das römische Pfandrecht ein akzessorisches Recht? Vielfach wird angenommen, das römische Pfandrecht sei zu Beginn ein Verhältnis ‚reiner Sachhaftung‘ gewesen. Unter ‚reiner Sachhaftung‘ versteht man die Lage eines Pfandschuldners, der kein Schuldner ist; es fehlt an einer Forderung, und wenn er zahlt, so nur, um das Pfand auszulösen. Erst später, so wird angenommen, habe sich die Abhängigkeit des Pfandrechts von der zu sichernden Forderung herausgebildet, was sich wiederum aus dem Pfandverfall als einer datio in solutum erkläre10. ‚Reine Sachhaf
D. Schanbacher, SZ 123(2006) S. 49ff. W. Erbe, Die Fiduzia im römischen Recht (Weimar 1940) S. 37f.; E. Rabel, Grundzüge des römischen Privatrechts (2.Aufl.Darmstadt 1955) S.154; U. v. Lübtow, Symbolae Raphaeli Taubenschlag dedicatae III (Breslau Warschau 1957) S.227, 314; M. Kaser (Anm.2)S.144; ders., Studien zum römischen Pfandrecht (Neapel 1982) S.72 Fn.79; 110 Fn.279; M. Kaser/R. Knütel, Römisches Privatrecht (18.Aufl. München 2005) § 31 Rz.4f., 15. Für A. Manigk, Pfandrechtliche Untersuchungen I (Breslau 1904) S.19f. ist es dagegen offensichtlich keine Frage, dass das römische Pfandrecht seit jeher akzessorisch ist (der Pfandrechtsbegriff enthalte die Sicherung einer Forderung). Sehr skeptisch W. Kunkel/Th. Mayer-Maly, Römisches Recht (4.Aufl. Berlin u.a. 1987) S.198 („… ist … Vorsicht bei jeder Annahme von (reiner) Sachhaftung geboten“). Die Frage lässt offen J. de Churruca, in Derecho romano de obligaciones. Homenaje al profesor José Luis Murga Gener (hg. J.Paricio Madrid 1994) S.333, 341. 10 M. Kaser (Anm.2) S.465; ders. Studien zum römischen Pfandrecht (Neapel 1982) S.72 Fn.79; 110 Fn.279; M. Kaser/R. Knütel (Anm.9) § 31 Rz.5. W.Erbe (Anm.9) S.38 und E. Rabel (Anm.9) S.154, 159 verbinden den Pfandverfall als datio in solutum, U. v. Lübtow (Anm.9) S.314 verbindet den Ersatzgedanken mit der angenommenen ‚reinen Sachhaftung’. Dies erscheint als unstimmig. Denn datio in solutum wie Ersatzgedanke setzen die Forderung voraus, von der die ‚reine Sachhaftung’ gerade absehen will.
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tung‘ will man, im Rahmen antiker Rechtsvergleichung, in vielen Rechten gefunden haben, unter anderem soll es sie auch im griechischen Recht gegeben haben11. Das römische Pfandrecht tritt zuerst zu Beginn des 2. Jahrhundert v. Chr. in der römischen Komödie und in den catonischen Geschäftsformularen in das Licht der Geschichte12.
1. Komödie Im Pseudolus des Plautus bittet Calidorus, ein junger Mann, seinen Sklaven Pseudolus, ihm eine Drachme zu leihen. Pseudolus erwidert: Es geht nicht, ‚auch wenn ich mich selbst zu Pfand setzte‘13. Wäre dieses ‚Selbstpfandrecht‘ akzessorisch gewesen? Es ist schwer zu sagen. Im Rudens äußert der Sklave Sceparnio gegenüber dem durchnässten Schurken Charmides, der trockene Sachen von ihm verlangt: ‚Dir werde ich niemals etwas leihen, außer gegen ein Pfand‘14. Das Pfandrecht, auf dessen Einräumung Sceparnio besteht, hätte die Rückgabeforderung abgesichert, die aus der Hingabe der Kleider erwachsen wäre (ein creditum15). Hier liegt der Gedanke an Akzessorietät nahe. Im Truculentus sind die Grundstücke und Häuser des Diniarchus verpfändet ‚für ein Frühstück mit Amor‘16. Ist dieses Pfandrecht akzessorisch? Es ist schwer zu sagen. In der Karine des Caecilius Statius ist die Rede davon, dass verpfändetes Gold und ein verpfändetes Kleid auszulösen seien17. Wird vielleicht mit dem hier gebrauchten Verbum opponere die Abhängigkeit des Pfandrechts von der zu sichernden Forderung ausgedrückt, wie später bei Catull? Catull spricht in einem seiner Gedichte davon, das Landhäuschen des Furius, eines Bekannten, sei nicht etwa den vier Winden ausgesetzt, vielmehr einer Forderung von 15.200 HS. Das sei doch ein schrecklicher und verderblicher Wind!18 Mit der Forderung von 15.200 HS ist ein Pfandrecht wegen dieser Forderung gemeint, wel11
W. Erbe (Anm.9) S.37 Fn.2. Im Folgenden werden einige Quellen betrachtet, die erst unlängst Gegenstand der Betrachtung gewesen sind ( D. Schanbacher [Anm.8] S.56ff.). Allerdings ging es damals um die Frage: War das frührömische Pfandrecht auf eine Übergabe angewiesen? während es jetzt um die Frage seiner Forderungsabhängigkeit geht. 13 Plautus, Pseudolus 87 Vix hercle, opinor, si me opponam pignori. Pseudolus ist in der Theaterwirklichkeit Sklave (s. A. Manigk [Anm.9] S.10). Doch lässt sein Auftreten dies vergessen. 14 Plautus, Rudens 581 Tibi ego numquam quicquam credam, nisi si accepto pignore. 15 Paul.28 ad ed. D 12.1.2.3. 16 Plautus, Truculentus 214 Nam fundi et aedis obligatae sunt ob Amoris prandium. M. Braukmann, Pignus. Das Pfandrecht unter dem Einfluss der vorklassischen und klassischen Tradition der römischen Rechtswissenschaft (Göttingen 2008) S.110 m. Fn. 227 ist der Ansicht, die Lesart (A) ob Amoris praedium sei vorzuziehen. Sie ergibt aber keinen Sinn (‚Denn die Landgüter und Häuser sind Pfand wegen eines Grundstücks Amors’). 17 Caecilius Statius bei Fest.L.352.1-3 s.v. Reluere ut aurum et vestem, quod matris fuit, reluat, quod viva ipsi opposuit pignori. 18 Catull, carm.26 Furi, villula vostra non ad Austri flatus opposita est neque ad Favoni nec saevi Boreae aut Apheliotae, verum ad milia quindecim et ducentos. O ventum horribilem atque pestilentem! 12
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ches das Anwesen belastet. Die Forderung, metonymisch für das Pfandrecht stehend, ‚bestürmt‘ metaphorisch das Anwesen. Damit wird aber zugleich die ‚schwache Seite‘ des Pfandrechts hervorgehoben, seine Akzessorietät: ohne die Forderung kein ‚Sturm‘. Wenn nun Caecilius Statius davon spricht, sie (die Mutter) habe ‚zu Pfand gesetzt‘ ( opposuit pignori), so ist dies nicht dasselbe. Ob das Pfand als solches von der Forderung abhängt, weiß man nicht. Auch wenn im Pseudolus des Plautus gesagt wird ‚auch wenn ich mich zu Pfand setzte‘ ( si me opponam pignori), weiß man nicht, ob der selbstverpfändete Pseudolus als Pfand von einer Forderung abhängig wäre. Dem Ausdruck ‚zu Pfand setzen‘ ( opponere pignori)19 ist als solchem nicht anzusehen, ob das Pfandrecht akzessorisch ist. Was ist das Besondere an dem Catulltext? Es heißt dort oppositum esse ad, und es wird der Forderungsbetrag hinzugefügt: milia quindecim et ducentos. Im Heautontimorumenos des Terenz erfindet der Sklave Syros eine Geschichte, in der eine Frau namens Bacchis einer Alten aus Korinth 1.000 Silberdrachmen als Darlehen gegeben haben soll. Die Alte soll wegen jenes Geldes der Bacchis ihre Tochter Antiphila verpfändet haben. Die Darlehensnehmerin sei inzwischen gestorben und habe ihre Tochter zurückgelassen. Diese sei der Bacchis zu Pfand hinterlassen oder hinterlassen worden (?) wegen oder an Stelle (?) jenes Geldes20. Antiphila ist der Bacchis hinterlassen oder hinterlassen worden ( relicta est), zu Pfand ( arraboni), wegen oder an Stelle jenes Geldes ( pro illo argento). Relicta est drückt den Verfall aus. Dazu passt, dass sich Antiphila bei der Bacchis aufhält ( hanc secum huc adduxit). Drückt relicta est nun den Verfall als vergangenen Vorgang aus (historisches Perfekt) oder als gegenwärtiges Ergebnis dieses Vorgangs (präsentisches Perfekt)?21 Ersteres. Nur für den Verfallsvorgang passt noch der finale Zusatz ‚zu (Verfalls)Pfand‘ ( arraboni). Das Ergebnis des Verfallenseins wäre dagegen nicht mehr durch den (Verfalls)Pfandzweck geprägt. Drückt nun relicta est den Verfall als vergangenen Vorgang aus, so wird pro nicht nur kausalen Sinn haben (‚wegen‘), sondern auch eine ‚Stellvertretung‘ ausdrücken (‚an Stelle‘)22. pro ist hier wohl doppeldeutig: Antiphila verfiel der Bacchis als Pfand ‚wegen‘ der als Darlehen gegebenen 1.000 Silberdrachmen und an deren Stelle23. So gesehen gibt der Satz Ea 19
Der noch einmal, bei Terenz vorkommt (s.u.). Terenz, Heautontimorumenos 600 - 604 Fuit quaedam anus Corinthia hic; huic drachmarum haec argenti mille dederat mutuom…Ea mortuast; reliquit filiam adulescentulam; ea relicta huic arraboni est pro illo argento…Hanc secum huc adduxit. 21 Historisches Perfekt drückt einen in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Vorgang aus, präsentisches Perfekt dagegen eine gegenwärtige Lage, die das Ergebnis eines vergangenen Vorgangs ist; s. J. B. Hofmann/A. Szantyr, Lat.Syntax und Stilistik (München 1965) S.318; vgl.(krit.) H. Pinkster, Lat.Syntax und Semantik (Tübingen 1988) S.349ff. 22 pro kann das eine wie das andere bedeuten; s. J. B. Hofmann/A. Szantyr (Anm.21) S.270 (schon bei Plautus). 23 Doppeldeutig ist womöglich auch pro in der pompejanischen Darlehensurkunde des C.Nov. Eunus vom 28.Juni 37 n.Chr. TP Sulp 51 (TP 15), tab.III, pag.5, lin.9 ss. Proque iis sestertiis decem mi[ll]ibus nummum dedi ei pignoris arrabo[n]isve nomine. Diese Verpfändung fällt in die pfandrechtsgeschichtliche Zwischenphase, in der ein Pfand ohne eigene Abrede weder mehr verfiel noch schon verkäuflich war; s. D. Schanbacher, Iurisprudentia universalis, Fs f.Th.Mayer-Maly (Köln Weimar Wien) S.639, 648. 20
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relicta huic arraboni est pro illo argento die wesentlichen Züge des Pfandrechts wieder: es ist Verfallspfandrecht ( relicta est), es ist akzessorisch ( pro), und es ist Ersatzpfandrecht ( pro). Doch um welches Pfandrecht geht es denn? Angesichts der in der Komödie herrschenden schillernden Szenerie (sie spielt in Athen; sie spielt in Rom) wird man sagen: Es geht sowohl um griechisches als auch um römisches Pfandrecht. Sowohl griechisches als auch römisches Pfandrecht sind damit als Verfallspfandrechte, als akzessorisch und als Ersatzpfandrechte erwiesen. Auffällig ist die Verwendung des Wortes arrabo24. Antiphila ist der Bacchis als arrabo, als Verfallspfand hinterlassen worden. Das Wort kommt selten vor, in der juristischen Literatur, soweit ersichtlich, überhaupt nicht. Man begegnet ihm in den Metamorphosen des Apuleius. Der reiche und geizige Wucherer Milo betreibt seine Wuchergeschäfte ‚unter Pfand‘ ( sub arrabone) von Gold und Silber25, d. h. naheliegend ‚unter Verfallspfand‘. Der Roman spielt im verwunschenen Thessalien. Das Wort arrabo gebraucht eine alte Wirtin, die, nach Milo gefragt, kein Blatt vor den Mund nimmt. Die wenig später auftretende Dienerin des Milo gebraucht dagegen das Wort pignus. Als der Held der Geschichte laut rufend an die Tür klopft, öffnet sie und sagt: ‚He du, der du so stark an die Tür pochst! In welcher Form willst du leihen? Oder weißt nur du nicht, dass wir außer Gold und Silber kein Pfand (jetzt: pignus) zulassen?‘26 Das Wort arrabo wird gelegentlich in der römischen Geschäftspraxis verwendet. Der Darlehensnehmer C. Novius Eunus hat nach einer am 28. Juni 37 n. Chr. in Puteoli errichteten Urkunde Waren ‚als Pfand oder27 als Verfallspfand gegeben‘ ( pignoris arrabonisve nomine)28. Selten in griechischen 24
Das Wort ist uralt; es ist semitischer Herkunft und lässt sich bis an die Wende des 3.Jahrtausends zum 2.Jahrtausend v.Chr. zurückverfolgen, s. M. San Nicolò, Parerga Babylonica, ArchOR 4(1932) S.34ff. 25 Apuleius, Met.1.21 foenus denique copiosum sub arrabone auri et argenti crebriter exercens. 26 Apuleius, Met.1.22 Heus tu, inquit, qui tam fortiter fores verberasti, sub qua specie mutuari cupis? an tu solus ignoras praeter aurum argentumque nullum nos pignus admittere? 27 Und zwar. G. Krämer, Das besitzlose Pfandrecht. Entwicklungen in der römischen Republik und im frühen Prinzipat (Köln Weimar Wien 2007) S.26, 310 Fn. 40 meint hingegen, arrabo werde hier gleichbedeutend mit pignus gebraucht. In der pfandrechtsentwicklungsgeschichtlichen Zwischenphase, in welche die Urkunde fällt (o.Anm.23), ist arrabo jedoch die gegenüber pignus (Pfand – Verfallspfand oder Verkaufspfand?) präzisere Bezeichnung (Verfallspfand). 28 TP Sulp. 51 (TP 15), tab.III, pag.5, lin.9 ss. (o.Anm.23). Desweiteren ‚bekennt’ C.Novius Eunus, die Pfänder sollten ‚getrennt’ oder ‚entfernt von aller Gewalt auf seine Gefahr sein’, lin.15-16 quae ab omni vi periculo meo esse fat[e]or. Das Risiko eines Untergangs der Pfänder durch Gewalt, auch durch höhere Gewalt ( vis maior), wird von C.Novius Eunus nicht übernommen. A.A. G. Camodeca, Tabulae Pompeianae Sulpiciorum (TP Sulp.). Edizione critica dell’ archivio puteolano dei Sulpicii I (Rom 1999) S.141; dann J. G. Wolf/J. A. Crook, Rechtsurkunden in Vulgärlatein aus den Jahren 37 – 39 n.Chr., Abh.d.Heidelb.Ak.d.Wiss.Phil.-hist.Klasse Jg.1989.3 (Heidelberg 1990) S.39; G. Krämer (Anm.27) S.311, 317 ( ab omni vi „für alle Gewalt“). Die Präposition ab drückt jedoch eine Trennung oder Entfernung aus; s. J. B. Hofmann/A. Szantyr (Anm.21) S.255; Oxford Latin Dictionary (1994) s.v. ab, abs, a A.3, S.1. Bspw. in Cic.de off.3.18.75 Qui hoc non perviderit, ab hoc nulla fraus aberit, nullum facinus; oder Ter.Clemens 4 ad leg. Iul. et Pap. D 35.1.62.2 Cum vir uxori ‘si a liberis ne nubserit’…legavit. (s. Oxford Latin Dictionary a.O.). C.Novius Eunus trägt die Gefahr der Verschlechterung der – verderblichen – Ware (vgl. insofern G. Camodeca a.O.[dazu sei nichts vorgesehen]). Damit weicht die Urkunde ab von der seit
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Quellen29 führt das Wort arrabo jedoch auch dort den Verfallsgedanken mit sich. Nach dem Bericht des Theophrast verfiel unter anderem in Thurioi das Angeld des Käufers (α̉ρραβών), wenn dieser nicht zahlte, dem Verkäufer30. Im Phormio des Terenz31 begegnet wieder der Ausdruck ‚zu Pfand setzen‘ ( opponere pignori). Der Acker des Phormio ist (angeblich) ‚zu Pfand gesetzt‘ oder ‚zu Pfand gesetzt worden‘ ( ager oppositust pignori), sein Häuschen (angeblich) auch ( Aediculae item sunt). Dies allein würde noch nicht viel besagen. Doch wird noch etwas hinzugefügt: Der Acker des Phormio ist ‚zu Pfand gesetzt/gesetzt worden‘ wegen (?) zehn Minen ( ager oppositust pignori decem ob minas)32. Das Häuschen ist ‚zu Pfand gesetzt/gesetzt worden‘ wegen (?) zehn weiteren Minen ( Aediculae item sunt ob decem alias)33. Es drängt sich der Eindruck auf: diese Pfandrechte sind akzessorisch. Dabei lassen beide Sätze an sich mehrere Deutungen zu. Und nicht mit jeder Deutung verbindet sich der Gedanke der Akzessorietät des Pfandrechts. Der Acker ist ‚zu Pfand gesetzt‘ oder ‚zu Pfand gesetzt worden‘ (1) ‚gegen‘ oder (2) ‚wegen‘ zehn Minen oder (3) ‚damit‘ – zehn Minen gezahlt würden. Drückt oppositum est pignori die Verpfändung als einen vergangenen Vorgang aus (historisches Perfekt) oder das Verpfändetsein als die sich daraus ergebende gegenwärtige Lage (präsentisches Perfekt)? Letzteres. Dies zeigt der Zusammenhang. Phormio braucht Geld, unter anderem um den Acker auszulösen. Es geht daher nicht so sehr darum, dass der Acker ehedem verpfändet worden ist, als darum, dass er jetzt Pfand ist. Ist der Acker nun Pfand ‚gegen‘ die zehn Minen, die an Phormio ausgezahlt wurden oder ‚wegen‘ der zehn Minen, die Phormio zurückzahlen muss, oder ist er Pfand, ‚damit‘ Phormio die zehn Minen zurückzahlt? ob kann dies alles bedeuten, also (1) Servius/Alfenus (Paul.5 epit.Alf.Var.dig. D 13.7.30) geltenden Regel, dass bei willentlicher Überlassung des Pfandes an den Gläubiger der Schuldner das Risiko eines Untergangs infolge höherer Gewalt trage; s. D. Schanbacher, in Usus Antiquus Juris Romani. Antikes Recht in lebenspraktischer Anwendung (hg. W. Ernst, E. Jakab; Berlin Heidelberg 2005) S.191, 199ff. und in TR 74 (2006) S.319, 322ff. Geht man von dem für Pompeji im 1.Jh. belegten, für römische Verhältnisse allerdings niedrigen Weizenpreis von 12 As (3 HS) pro Scheffel aus ( F. de Martino, Wirtschaftsgeschichte des alten Rom [2.Aufl. München 1999] S.384), so kommt man für den Weizen (7.000 Scheffel) auf einen Wert von 21.000 HS. Setzt man den Wert der übrigen Früchte (Kichererbsen, Dinkel, ‚monocopi’, Linsen) entsprechend an, kommt man insofern (4.000 Scheffel) auf einen Wert von 12.000 HS. Waren im Gesamtwert von 33.000 HS würden dann als Verfalls- und Ersatzpfand eine Forderung von 10.000 HS sichern. Der Wert der Verfalls- und Ersatzsicherheit beträgt das 3,3fache des Kredits. Wenig später, am 2.Juli 37 n.Chr. wird das Pfandrecht auf ein weiteres Darlehen von 3.000 HS erstreckt. Waren im Wert von 33.000 HS würden nun als Verfalls- und Ersatzpfand Forderungen von insgesamt 13.000 HS sichern. Der Wert der Verfalls- und Ersatzsicherheit betrüge damit nunmehr das ungefähr 2,5fache des Kredits. Man wird dies kaum gegen den Verfallssinn von arrabo einwenden können, zumal niemand die Hintergründe der Kreditaufnahme des C.Nov.Eunus kennt. Auch handelt es sich um verderbliche Waren, die zudem im allgemeinen erheblichen Preisschwankungen unterliegen konnten. 29 S. M. I. Finley (Anm.1) S.81f. 30 Theophrast, Περὶ συμβολαίων 4; 6 (abgedruckt in Th. Thalheim, Lb.d.griech. Rechtsaltertümer [Freiburg i.Br. Leipzig 1895] S.146ff.); s. M.I.Finley (Anm.1) S.269 Fn.42. 31 Terenz, Phormio 661 - 663. 32 Terenz, Phormio 661/2. 33 Terenz, Phormio 663.
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gewissermaßen ‚geschäftlichen Sinn‘ haben und ein Entgelt ausdrücken (‚gegen‘); es kann (2) kausalen Sinn haben (‚wegen‘) oder (3) es hat finalen Sinn (‚damit …‘)34. Ob sich mit dem Pfandrecht im Phormio der Gedanke der Akzessorietät verbindet, hängt ab von der Bedeutung der Präposition ob. ob in ‚geschäftlichem Sinn‘ (1) und ob in finalem Sinn (3) würden zu einem non liquet führen. Ein Verpfändetsein des Ackers (1) gegen zehn Minen, die an Phormio ausgezahlt wurden, ließe den Zusammenhang zwischen Rückerstattungsforderung und Pfandrecht offen; ein Verpfändetsein des Ackers (3), damit zehn Minen von Phormio zurückgezahlt werden, ebenso. Mit ob in kausalem Sinn (2) hingegen würde sich das Pfandrecht im Phormio als akzessorisch darstellen. Der Acker ist Pfand (2) wegen zehn Minen, die Phormio zurückzahlen muss. Auch hier ist der Zusammenhang zu bedenken. Phormio braucht Geld um den Acker auszulösen. Es geht daher nicht so sehr darum, dass zehn Minen ehedem an Phormio ausgezahlt worden sind, als darum, dass zehn Minen von Phormio zurückzuzahlen sind. Damit scheidet ein ‚geschäftlicher Sinn‘ des ob (1) aus. Mit ob in kausalem Sinn (2) dagegen rücken die zehn Minen, die Phormio zurückzuzahlen hat, in den Vordergrund. Das entspricht der Interessenlage. Auch finales ob (3) entspräche der Interessenlage. Doch ist finales ob erst kaiserzeitlich35. Mit kausalem ob (2) aber erweist sich das Pfandrecht des Phormio als akzessorisch. Und um welches Pfandrecht geht es? Auch hier ist die Szenerie schillernd. So wird man auch hier sagen: Es geht sowohl um griechisches wie um römisches Pfandrecht. Sowohl griechisches als auch römisches Pfandrecht sind damit im Phormio als akzessorische Pfandrechte erwiesen.
2. Cato Das Formular, welches Cato für den Verkauf der Olivenernte gibt, sieht vor: 1) das Entgelt und den Zahlungstermin; 2) eine Sicherheitsleistung; 3) die Verpfändung der Illaten36. Der Olivenverkäufer hat gegen den Olivenkäufer eine Forderung auf Zahlung des Entgelts, die am 1. September des Folgejahres fällig wird ( Dies argento: ex K.Nov.mensum X)37. Spätestens an diesem Tag muss der Käufer zahlen. Mit 34
J. B. Hofmann/A. Szantyr (Anm.21) S.237 (selbst hier für ‚geschäftliches’ ob). J. B. Hofmann/A. Szantyr (Anm.21) S.238 (wohl erst seit Frontin). 36 Cato de agr. 146.2 Dies argento: ex K.Nov. mensum X; oleae legendae faciendae, quae locata est, et si emptor locarit, Idibus solvito. Recte haec dari fierique satisque dari domino, aut cui iusserit, promittito satisque dato arbitratu domini. Donicum solutum erit aut ita satis datum erit, quae in fundo inlata erunt, pigneri sunto. Ne quid eorum de fundo deportato: si quid deportaverit, domini esto. 37 Der 1.November wird in die 10Monatsfrist nicht eingerechnet. Wäre vorgesehen gewesen, dass der Olivenkäufer schon am 1.November zu zahlen habe, würde er auch erst mit dem Ablauf dieses Tages säumig; s. I 3.15.2. Ad diem nicht gezahlt zu haben (Paul. 5 epit. Alf.dig. D 13.7.30 – nachcatonischer Verfall) bedeutet: zum Ende des Tages, an dem zu zahlen war, nicht gezahlt zu haben. S. Heumann/E. Seckel (Anm.1) s.v. ad 8) S.11 und vgl. Jul.2 ad Urs.Fer. D 40.4.18.2 ( Heumann/E. Seckel a.O.); s. H. Merguet, Handlexikon zu Cicero (Leipzig 1905/6 Neudruck Hildesheim u.a. 35
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Ablauf des Tages, d. h. um Mitternacht38, tritt, in Ermanglung einer Sicherheitsleistung, der Verfall ein. Der Olivenverkäufer erwirbt das Eigentum. Eben dies ist Inhalt der Pfandabrede ‚Es soll zu Pfand sein‘ ( pigneri sunto). Sie enthält die Anordnung des Verfalls bei Fälligkeit der Forderung und setzt damit diese selbst voraus. Dass das Pfandrecht mit rechtzeitiger Zahlung erlischt, ergibt sich daraus an sich von selbst, wird aber noch eigens hinzugefügt: ‚Bis gezahlt sein wird …‘ (soll zu Pfand sein) [Donicum solutum erit …]. Das catonische Pfandrecht ist danach akzessorisch. Nachdem deutlich geworden ist, dass die römische Komödie39 und Cato40 von der Akzessorietät des römischen Pfandrechts ausgehen, könnte man auf den Gedanken kommen, ‚reine Sachhaftung‘ doch immerhin für die Zeit davor, also etwa für das 4./3. Jahrhundert v. Chr., zu vermuten. Dies geht jedoch nicht an. Vor der Wende des 3. Jahrhundert zum 2. Jahrhundert v. Chr. gab es das römische Pfandrecht noch gar nicht. Die soeben betrachteten Quellen (römische Komödie, Cato) sind nicht nur erste Zeugnisse des römischen Pfandrechts; sie sind zugleich Zeugnisse einer Rezeption des griechischen Pfandrechts in Rom. Sie besagen also nicht nur, dass es seit der Wende vom 3. Jahrhundert zum 2. Jahrhundert v. Chr. ein römisches Pfandrecht gegeben hat, sondern auch, dass es zuvor ein solches nicht gegeben hat. Man kann also nicht, mit Vermutungen, über diese Quellen hinausgehen. Für die Frage: Seit wann ist das römische Pfandrecht ein akzessorisches Recht? ergibt sich also: von Anfang an.
III. Grundlagen der frührömischen Akzessorietät 1. Pfandverfall als datio in solutum? Vielfach ist man der Auffassung, die – erst für eine spätere Entwicklungsstufe angenommene – Akzessorietät des Pfandrechts beruhe auf dem Pfandverfall als einer
1997) s.v. ad IV.2, S.14 und vgl. Cic. ad Att.12.34.2 itaque velim videas primum, conductores qui sint et quanti, deinde ut sint, qui ad diem solvant (Astura, 28.März 45); Cic.ad Att.12.50 nescio, quid intersit, utrum illuc nunc veniam an ad decem annos. ( H. Merguet a.O.). Auch nach griechischer Vorstellung ist säumig, wer nach Ablauf des Tages, an dem zu zahlen war, d.h. bei Sonnenuntergang (Varro bei Gell. n.a. 3.2.4; s. J. Carcopino, Rom. Leben und Kultur in der Kaiserzeit [4.Aufl. Stuttgart 1992] S.208) nicht gezahlt hat. Er ist ὑπερήμερος oder befindet sich in ὑπερημερία, wie Apaturios in Dem. 33 Apat.6, den die Gläubiger mit ihrer Forderung bedrängen und auf dessen Schiff sie zugreifen, nachdem sie ihn ‚in Säumigkeit gefunden haben’ (ει̉ληφότες τη̃ι ὑπερημερίαι); S. A.R.W. Harrison, The Law of Athens Vol.I The Family and Property (2.Aufl. London 1998) S.282. 38 Gell.n.a. 3.2.1-3, 7ff.; s. J. Carcopino (Anm.37) S.208. 39 Plautus, Rudens 581; Terenz, Heautontimorumenos 600 - 604; Phormio 661 - 663. 40 Cato, de agr. 146.2.
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datio in solutum, die ihrerseits eine Forderung voraussetzte41. Doch ist die datio in solutum (‚Leistung an Erfüllungs Statt‘) eine vergleichsweise moderne Rechtsfigur, und man zögert, diese mit den Anfängen des römischen Pfandrechts in Verbindung zu bringen. Den Pfandverfall als datio in solutum anzusprechen wirkt anachronistisch. Die Rechtsfigur der Leistung an Erfüllungs Statt ( aliud pro alio solvi) ist vergleichsweise modern. Noch unter den Rechtsschulen der Prinzipatszeit ist ihre Wirkungsweise umstritten. Die Sabinianer sprechen sich für ein Erlöschen der Forderung aus, die Prokulianer dagegen für eine Einrede42. In pfandrechtlichem Zusammenhang begegnet die Leistung an Erfüllungs Statt erst in der kaiserlichen Reskriptenpraxis des 3. Jahrhundert43. Überhaupt wird man die Überlassung des Pfandes an den Gläubiger an Erfüllungs Statt vom Pfandverfall eher fernhalten. Der Zusammenhang mit dem Pfandrecht ist eher zufällig. Eine Sache wird dem Gläubiger an Erfüllungs Statt überlassen. Naheliegend, im Grunde jedoch zufällig, ist es gerade das Pfand. Wohl ist es so, dass der Pfandverfall selbst in der Geschichte des römischen Pfandrechts in unterschiedlicher Gestalt auftritt. Dinglicher Verfall prägt den ursprünglichen Pfandrechtsbegriff. In späterer Zeit wird der Pfandverfall Gegenstand pfandrechtlicher Zusatzabreden. Verabredet wird nicht nur der dingliche Verfall, sondern auch schuldrechtlicher Verfall in verschiedenen Formen44. Diese Zusatzabreden stehen jedoch, anders als die Abrede über eine Leistung an Erfüllungs Statt, in direktem Zusammenhang mit der Verpfändung selbst. So kann nach Marcian eine Verpfändung so geschehen, dass der Gläubiger die Sache zu gegebener Zeit ‚nach Kaufrecht‘ besitzt und ‚zu einem anzusetzenden gerechten Preis‘45.
2. ‚Bildliche Akzessorietät‘ des griechischen Pfandrechts Aus den Pfandrechtsstellen der römischen Komödie (o. II.1.) hat sich bereits ergeben, dass nicht nur das römische Pfandrecht, sondern schon das griechische, von dem es abstammt, akzessorisch ist. Zum Ende des 19. Jahrhundert war man insofern noch zuversichtlich. „Der römischrechtliche Satz: res hypothecae dari potest pro quacumque obligatione (1.5pr. D. de pign. et hypoth.XX 1) gilt auch für das griechische Recht; es kann sich nur darum handeln, die Hauptfälle zusammenzustellen“, schrieb H. F. Hitzig 189546. Inzwischen ist man eher skeptisch; A. R. W. Harrison schreibt: „… Unfortunately we shall find that it is just here that our evidence breaks 41
M. Kaser, Studien zum römischen Pfandrecht (Neapel 1982) S.72 Fn 79; 110 Fn 279; M. Kaser/R. Knütel (Anm.9) §31 Rz.5. 42 Gai.3.168; D. Liebs, ANRW II,15 (1976) S.197, 265f. 43 Alex. C 8.19.1.1 (a.230); Diokl./Max. C 8.13.13 (a.293). 44 D. Schanbacher (Anm.23) S.639ff. 45 Marci.lb.sg.ad form.hyp. D 20.1.16.9. 46 H. F. Hitzig, Das griechische Pfandrecht. Ein Beitrag zur Geschichte des griechischen Rechts (München 1895) S.35.
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down …“47. Harrison betont, aus dem Gebrauch des Wortes ὑποτίθημι lasse sich für den Charakter des Rechts nichts entnehmen48. Doch vielleicht muss man unterscheiden. Und vielleicht lassen sich doch gewisse Anzeichen für eine Akzessorietät des griechischen Pfandrechts finden, auch einmal abgesehen von den Pfandrechtsstellen der römischen Komödie. In der Seedarlehensurkunde, welche Demosthenes in seiner um 340 v. Chr. gehaltenen Rede gegen Lakritos im Original wiedergibt, heißt es: Die (namentlich genannten) Darlehensgeber hätten das Darlehen ‚auf 3.000 Krüge mendäischen Weines gegeben‘ ( ̉Εδάνεισαν … ε̉πὶ οἴνου κεραμίοις Μενδαίοις τρισχιλίοις)49. Die Darlehensnehmer verpfänden diese und sichern zugleich zu, dass sie ‚auf diese‘ niemandem sonst schulden noch (‚auf diese‘50) weiteren Kredit aufnehmen werden (ὑποτιθέασι δὲ ταυ̃τα, ου̉κ ο̉φείλοντες ε̉πὶ τούτοις ά̉λλωι ου̉δενὶ ου̉δὲν α̉ργύριον, ου̉δ᾽ ε̉πιδανείσονται)51. Diese Worte des beurkundeten Seedarlehens enthalten zunächst den Pfandvertrag52 zwischen Darlehensgebern und Darlehensnehmern. Der Anteil der Darlehensgeber am Pfandvertrag besteht im ‚Darleihen auf‘ die Weinkrüge (δανείζειν ε̉πὶ etc.); der Anteil der Darlehensnehmer besteht im ‚Unterlegen‘ der Pfänder (ὑποτιθέναι). Nur der Anteil der Darlehensnehmer am Pfandvertrag erscheint als selbständig (sie ‚unterlegen etc.‘). Der Anteil der Darlehensgeber erscheint dagegen als ein Anhängsel der Darlehensgewährung (‚sie haben dargeliehen auf etc.‘). Das ist merkwürdig53. Hernach wird der Vertrag erläutert54. Dadurch dass die Darlehensgeber ‚auf die Weinkrüge‘ darleihen und diese von den Darlehensnehmern ‚unterlegt‘ werden, durch den Pfandvertrag, treten diese dann in die Pfandhaftung ein. Diese dauert fort, bis die Schuld getilgt ist. Die Lakritosurkunde sieht vor: Die Darlehensnehmer werden nach ihrer Rückkunft die Pfänder55 für den Darlehensgeberzugriff bereithalten, bis sie das geschuldete Geld gemäß der Urkunde gezahlt haben’ (καὶ παρέξουσι τοι̃ς δανείσασι τὴν ὑποθήκην α̉νέπαφον κρατει̃ν, ἕως α̉̀ν α̉ποδω̃σι τò γιγνόμενον α̉ργύριον κατὰ τὴν συγγραφήν)56. Im Fall der Zahlung erlischt das Pfandrecht, und zwar allein durch diese. Dies ist Akzessorietät des Pfandrechts, was seinen Fortbestand an47
A. R. W. Harrison (Anm.37) S.262. A. R. W. Harrison (Anm.37) S.254f.; 271 Fn.1. 49 Dem. 35 Lakritos 10. 50 S. Dem. 35 Lakritos 21. 51 Dem. 35 Lakritos 11. 52 Der Pfandvertrag ist grundlegend für das Pfandrecht: H. F. Hitzig (Anm.46) S.49ff. 53 Fällt jedoch nicht auf, wenn man δανείζειν ε̉πὶ und ὑποτιθέναι einfach mit ‚verpfändet werden’ und ‚verpfänden’ übersetzt (vgl. St. Schuster, Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes [Berlin 2005] S.132). 54 Dem. 35 Lakritos 18 - 21. 55 Die Rückfracht tritt an die Stelle der auswärts veräußerten Hinfracht; sie wird hier zwar nicht – wie im Fall des Aratosdarlehens, Dem. 35 Lakritos 23 – ausdrücklich, jedoch stillschweigend nachverpfändet. A.A. St. Schuster (Anm.53) S.97ff., 116 (‚Surrogationsgedanke’; zu Dem. 35 Lakritos 23: „eher“ „eine bloße Beschreibung der Rechtslage“ [S.98]). 56 Dem. 35 Lakritos 11. 48
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geht (s. o. I.). In diesem Zusammenhang werden gewisse Passagen aus Isaios und Lysias wichtig. Bei Isaios entlässt der Darlehensgeber Euktemon das Stadthaus des Hierophanten durch die Entgegennahme des geschuldeten Geldes aus der Pfandhaft (οι̉κίαν ε̉ν ά̉στει τεττάρων καὶ τετταράκοντα μνω̃ν ὑποκειμένην α̉πέλυσε τω̃ι ἱεροφάντηι)57. Im Fall des Lysias hätte der Darlehensnehmer Demos dem Darlehensgeber Aristophanes, auf Zypern angekommen, die geschuldeten 20 Minen gezahlt und damit die zum Pfand gegebene goldene Schale wieder ausgelöst: ‚In Zypern angekommen werde er sie auslösen, 20 Minen gebend‘ (ε̉πειδὴ δὲ ει̉ς Κύπρον α̉φίκοιτο λύσεσθαι α̉ποδοὺς εί̉κοσι μνα̃ς)58. Die Auslösung des Pfandes wird unmittelbar mit der Zahlung verknüpft. Indem Demos zahlt, löst er das Pfand aus. Für den Fall der Nichtzahlung sieht die Lakritosurkunde vor: ‚Wenn sie in der vorgesehenen Zeit nicht zahlen, sollen die Darlehensgeber die Pfänder ihrerseits verpfänden können oder zum gegenwärtigen Wert verkaufen‘ (ε̉ὰν δὲ μὴ α̉ποδω̃σιν ε̉ν τω̃ι συγκειμένωι χρόνωι, τὰ ὑποκείμενα τοι̃ς δανείσασιν ε̉ξέστω ὑποθείναι καὶ α̉ποδόσθαι τη̃ς ὑπαρχούσης τιμη̃ς)59. Damit wird vom ansonsten geltenden Verfallsund Ersatzprinzip abgewichen60. Es sind in der Lakritosurkunde verschiedene Wendungen, die sich um das Pfandrecht ranken. Ins Abstrakte gewendet wird (a) ‚auf eine Sache dargeliehen‘61, (d) ‚auf eine Sache geschuldet‘62, (b) ‚auf eine Sache geliehen‘63. Mit der erstgenannten 57
Isaios 6 Philoktemon 33. Lysias 19 Aristophanes 25. 59 Dem. 35 Lakritos 12. 60 H. F. Hitzig (Anm.46) S.86ff. 61 Dem. 35 Lakritos 10 ̉Εδάνεισαν … ε̉πὶ οί̉νου κεραμίοις Μενδαίοις τρισχιλίοις. Entsprechend drücken sich aus Dem. 35 Lakritos 18 ὅτι ε̉π΄ οί̉νου κεραμίοις τρισχιλίοις ε̉δανείζετο; 23 δανει̃σαι ̉Απολλοδώρωι ἕνδεκα μνα̃ς α̉ργυρίου ε̉πὶ τη̃ι ε̉μπορίαι, ἣν; Dem. 32 Zenothemis 14 οἱ ε̉πὶ τη̃ι νηὶ δεδανεικότες; Dem. 34 Phormio 6 ̉Εγὼ γὰρ … ε̉δάνεισα … ε̉πὶ ἑτέραι ὑποθήκηι; Dem. 36 Phormio 6 ὅσα Πασίων ε̉πὶ γηι̃ καὶ συνοικίαις δεδανεικὼς η̉̃ν; Dem.49 Timotheos 2 ούτ̉ ε γὰρ ε̉π΄ ε̉νεχύρωι ού̉τε μετὰ μαρτύρων έ̉δωκεν; 53 τὸ α̉ργύριον δεδανεισμένον καὶ ε̉π΄ ε̉νεχύρωι. Zu Dem. 49 Timotheos 2 und 53 relativierend A. R. W. Harrison (Anm.37) S.254 Fn.1 „ε̉π΄ ε̉νεχύρωι is used in the general sense of lend or borrow ,on security’”. 62 Dem. 35 Lakritos 11 ου̉κ ο̉φείλοντες ε̉πὶ τούτοις ά̉λλωι ου̉δενὶ ου̉δὲν α̉ργύριον. Entsprechend drücken sich aus Dem. 35 Lakritos 21 ὅτι ὑποτιθέασι ταυ̃τ΄ ε̉λεύθερα καὶ ου̉δενι ου̉δὲν ο̉φείλοντες; Dem. 33 Apatourios 6 ̉Έτυχεν δὲ οὑτοσὶ ο̉φείλων ε̉πὶ τηι̃ νηὶ τηι̃ ἑαυτου̃ τετταράκοντα μνα̃ς; Dem. 42 Phainippos 5 ὅπως μὴ ὕστερον ε̉νταυ̃θα χρέως γενόμενον ε̉πὶ τω̃ι χωρίωι α̉ναφανήσεται (die Worte ε̉πὶ τω̃ι χωρίωι werden jedoch gemeinhin getilgt, s. M. I. Finley [Anm.1]S.195 Fn.2; A. R. W. Harrison [Anm.37]S.268); 28 εί̉ τι ο̉φείλεις ε̉πὶ τηι̃ ε̉σχατιαι̃. Zu Dem. 33 Apatourios 6 und 42 Phainippos 5, 28 skeptisch A. R. W. Harrison (Anm.37)S.272 Fn.2 „There is no means of determining the nature of this original loan. It could have been hypothec, bottomry or πρα̃σις ε̉πὶ λύσει …”; S. 269 ,,there is absolutely nothing in the references to real security in this speech to tie them down to one type rather than another”.- Als unschlüssig erscheint Dem. 53 Nikostratos 10 ου̉δένα ε̉ώιη ού̉τε ω̉νει̃σθαι ού̉τε τιθέσθαι, ὡς ε̉νοφειλομένον αυ̉τωι̃ α̉ργυρίου. 63 Dem. 35 Lakritos 11 ου̉δ΄ ε̉πιδανείσονται. Entsprechend drücken sich aus Dem. 35 Lakritos 21 καὶ ὅτι ου̉δ΄ ε̉πιδανείσονται ε̉πὶ τούτοις παρ΄ ου̉δενός; Dem. 56 Dionysodoros 3 δανεισάμενος παρ΄ ἡμω̃ν ε̉πὶ τη̃ι νηὶ τρισχιλίας δραχμὰς; Lysias 19 Aristophanes 25 φιάλην χρυση̃ν, δώσει δ΄ ̉ Αριστοφάνει ὡς λαβει̃ν ε̉κκαίδεκα μνα̃ς ε̉π΄ αυ̉τη̃ι. 58
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Wendung (a) wird die Pfandrechtsbegründung aus der Sicht des Darlehensgebers ausgedrückt; mit der zweitgenannten (d) die Pfandhaftung aus der Sicht des Darlehensnehmers; mit der drittgenannten (b) wiederum die Pfandrechtsbegründung, doch nun aus der Sicht des Darlehensnehmers. Die Pfandhaftung aus der Sicht des Darlehensgebers (c) wird so ausgedrückt: ‚Auf eine Sache eine Forderung haben‘64. Wenn man sich in einer dieser vier Weisen ausdrückt, betrachtet man das Pfandrecht aus der Sicht der Beteiligten. Wenn man es von der Sache her betrachtet, drückt man sich so aus (e) ‚Sie (sc. die Sache) unterliegt … (einem Forderungsbetrag)‘. Die Zeugnisse dafür reichen weit zurück. In einer 1941 veröffentlichten athenischen Inschrift aus der 1. Hälfte des 4. Jahrhundert v. Chr. wird ein konfisziertes Haus bezeichnet als ‚dem Smikythos von Teithras und 150 Drachmen unterliegend‘ (οι̉κίαν … δημοσίαν εἶναι ὅσωι πλείονος α̉ξία η̉̀ ὑποκει̃ται Σμικύθωι Τειθρασίωι ΗΡ δραχμω̃ν)65. Im Fall des Isaios (s. o.) entlässt der Darlehensgeber ‚das 44 Minen unterliegende Stadthaus des Hierophanten aus der Pfandhaft‘ (οι̉κίαν ε̉ν ά̉στει τεττάρων καὶ τετταράκοντα μνω̃ν ὑποκειμένην α̉πέλυσε τωι̃ ἱεροφάντηι)66. Im Fall der (1.) Rede des Demosthenes gegen Aphobos hatte der Vater des Demosthenes dem Moiriades 40 Minen als Darlehen gegeben und sich von Moiriades 20 Arbeiter verpfänden lassen. Diese werden als ‚40 Minen unterliegend‘ bezeichnet (τετταράκοντα μνω̃ν ὑποκείμενοι)67. Der Genitiv δραχμω̃ν oder μνω̃ν ist bestimmt durch die Präposition ὑπό, die sich mit τίθημι zum Kompositum ὑποτίθημι verbunden hat. Jenes konfiszierte Haus ‚unterliegt‘ 150 Drachmen. Das vom Darlehensgeber aus der Pfandhaft entlassene Stadthaus des Hierophanten ‚unterlag‘ 44 Minen. Die 20 Arbeiter des Moiriades ‚unterliegen‘ 40 Minen. Häuser und Arbeiter ‚unterliegen‘ Forderungsbeträgen, insofern als sie einem forderungsabhängigen Pfandrecht unterliegen. Ähnlich hat sich später Catull ausgedrückt, in dem erwähnten Gedicht, wo er sagt, das Haus des Furius sei ‚15.200 HS ausgesetzt‘ ( opposita est … ad milia quindecim et ducentos)68. Das Anwesen ist der Forderung insofern ausgesetzt, als es einem forderungsabhängigen Pfandrecht ausgesetzt ist. ὑποτίθημι verbunden mit der Angabe eines Forderungsbetrages im Genetiv drückt die Belastung einer Sache mit einem forderungsabhängigen Pfandrecht aus.
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Dem. 49 Timotheos 53 τò α̉ργύριον δεδανεισμένον καὶ ε̉π΄ ε̉νεχύρωι. Es handelt sich um das öffentliche Register der athenischen Poleten für das Jahr 367/6 v.Chr. Text mit engl.Übersetzung bei M. I. Finley, Studi in onore di Vincenzo ArangioRuiz III (Neapel 1953) S.473ff.; gekürzt in Studies in land and credit (Anm. 1) S.295 Fn.13 (295f.); 111f. Frühestes Zeugnis einer attischen ‚Hypothek’? So J. V. A. Fine, Horoi. Studies in mortgage, real security, and land tenure in ancient Athens (Athen 1951) S.94 Fn. 116. Dann wäre dem Plautus, Truculentus 214 (186 v.Chr.) als womöglich frühestes Zeugnis einer römischen ‚Hypothek’ gegenüberzustellen (s. D. Schanbacher [Anm.8] S.65). Für ‚Hypothek’ auch M. I. Finley (Anm.1) S.112; (Anm.65) S.481 mit Fn. 18. Skeptisch A. R. W. Harrison (Anm.37) S.271 („though it is true that ὑποκειτ̃αι is used of Smikythos’ claim, this cannot be pressed to imply that his was hypothec”). 66 Isaios 6 Philoktemon 33. 67 Dem. 27 Aphobos 9; 24. 68 Catull, carm.26. 65
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Fehlt eine solche Angabe, steht also ὑποτίθημι allein da69 oder allenfalls verbunden mit der Angabe des Gläubigers im Dativ70, kann man dagegen nicht sicher sein, ob man ein forderungsabhängiges Pfandrecht vor sich hat71. In dieser Weise werden auch die vor allem attischen ὅροι zu deuten sein, welche Land und Häuser als Forderungsbeträgen ‚unterliegend‘ kennzeichnen, etwa der attische ὅρος mit folgender Inschrift. ‚Stein des Landes und des Hauses, welche 800 Drachmen unterliegen, auf dass der Gläubiger halten und besitzen kann gemäß den Vereinbarungen, die bei Deinias von Euonymeis liegen‘ (ὅρος χωρίου καὶ οι̉κίας ὑποκειμένων ΡΗΗΗ δραχ(μω̃ν): ώσ ̉ τε έ̉χειν καὶ κράτειν [τ]òν θέμενον κατὰ συνθήκας τὰς κειμένας παρὰ Δεινίαι Ευ̉ωνυμει̃)72. ὅροι über eine nicht forderungsabhängige πρα̃σις ε̉πὶ λύσει tragen anderslautende Inschriften; diese folgen im allgemeinen dem Schema ‚Stein des Landes und des Hauses, die auf Lösung verkauft sind für 4.000 Drachmen‘ (ὅρος χωρί[ο] καὶ οι̉κίας πεπραμένων ε̉πὶ λύσει ΧΧΧΧ)73. Aus welcher Blickrichtung auch immer man es betrachtet: Ob man ‚auf das Pfand darleiht‘ (a) oder ‚leiht‘ (b); ob man ‚auf das Pfand zu fordern hat‘ (c) oder ‚schuldet‘ (d) oder ob etwas als Pfand einem Forderungsbetrag ‚unterliegt‘ (e) – die Vorstellung ist immer: das Darlehen ist ‚oben‘, das Pfand ‚unten‘. Mit dieser Vorstellung verbindet sich zwangslos der Gedanke der Akzessorietät. Die Forderung ‚schwebt‘ über dem Pfand. Fällt sie weg, ist das Pfand frei. Dies lässt sich als ‚bildliche Akzessorietät‘ bezeichnen74. 69
Isokrates 21 Euthymon 2 την̀ μεν̀ οικίαν ὑπέθηκε; Dem. 28 Aphobos 17 ̉ ὑποθεὶς την̀ οι̉κίαν καὶ τα̉μαυτου̃ πάντα. 70 Dem. 28 Aphobos 18 ει̉ς τὰ ὑποκείμενα τοι̃ς δανείσασιν; α̉λλὰ τω̃ν ὑποθεμένων ε̉στίν. In der oben wiedergegebenen Passage der Poleteninschrift kommt die Gläubigerangabe hinzu. 71 S.A. R. W. Harrison (Anm.37) S.263f. zu Isokrates 21 Euthymon 2 (o.Anm.69) „This is possibly hypothec, but the sense of the word ὑπέθηκε does not rule out πρα̃σις επὶ λύσει”; S.269 zu Dem. 28 Aphobos 17,18 (o.Anm.69;70) ,,Again there is nothing in the words used to exclude πρα̃σις ε̉πὶ λύσει”. Vgl. ferner dens. S.271 zu der oben genannten Poleteninschrift „For, though it is true that ὑποκει̃ται is used of Smikythos’ claim, this cannot be pressed to imply that his was hypothec” und S.266 zu Isaios 6 Philoktemon 33 (o.Anm.57) ,,But there is nothing to indicate the exacte nature of the contract, and we should neither conclude from the use of the word ὑποκειμένην that it must have been hypothec…”. Doch verwenden jenes Register und Isaios das Wort ὑποκει̃σθαι verbunden mit der Angabe eines Forderungsbetrages im Genetiv. Dies bewirkt eine semantische Verengung, hin zur Forderungsabhängigkeit (s.o). 72 IG II² 2758 = M. I. Finley (Anm.1) Horos Nr.1. 73 IG II² 2694 = M. I. Finley (Anm.1) Horos Nr.16. 74 Die Vorstellung eines ‚oben’ und ‚unten’ von Forderung und Pfand begegnet auch in römischen Texten (Rechtstexten; literarischen Texten). Hier erscheint zuweilen die Forderung ‚oben’, das Pfand ‚unten’, zuweilen, umgekehrt, das Pfand ‚oben’, die Forderung ‚unten’. Scaev. 6 dig. D 20.5.14 erwähnt ein ‚unter’ einer Forderung verpfändetes Pfand ( pignus sub eo nomine obligatum). Gai. 9 ad ed.prov. D 13.7.12 spricht demgegenüber von jemandem, der ‚unter’ Pfändern Gelddarlehen aufzunehmen pflegte ( sub pignoribus solebat mutuum pecuniam accipere). Paul. 4 quaest. D 36.1.61pr. berichtet von einem Schuldner ‚unter Pfand’ ( debitor sub pignore). In Ulp.17
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3. Catonische Akzessorietät Das catonische Pfandrecht folgt der griechischen Vorstellung eines ‚oben‘ (Forderung) und ‚unten‘ (Pfand) nicht. Das Entgelt für den Olivenverkäufer wird nicht ‚auf‘ die Pfänder (die Illaten) gestellt; die Pfänder werden nicht der Entgeltsforderung ‚unterlegt‘. Der Pfandvertrag ist nicht zu einem Teil (dem Verkäuferanteil) Teil des Olivenkaufvertrages; er ist vielmehr selbständig. Es besteht keine ‚bildliche Akzessorietät‘. Man bemerkt vielmehr begriffliche Akzessorietät. Die catonische Pfandformel ‚Es soll zu Pfand sein‘ ( pigneri sunto) enthält die Anordnung des Verfalls (Eigentumsanfalls an den Gläubiger) bei Fälligkeit der Forderung. Der Verfall (Eigentumsanfall an den Gläubiger) wird zwar eigens nur für den Sonderfall der eigenmächtigen Überschreitung der Grundstücksgrenze mit den Pfändern ausgesprochen: ‚Dass er (sc. der Olivenkäufer) nicht etwas davon aus dem Landgut entferne! Wenn er aber etwas entfernt, soll es dem Eigentümer (sc. des Landgutes) gehören!‘ ( Ne quid eorum de fundo deportato: si quid deportaverit, domini esto)75. Für den Normalfall der Überschreitung der Fälligkeitsgrenze mit der Forderung gilt er jedoch erst recht: für diesen Fall wird er in der Pfandformel ‚Es soll zu Pfand sein‘ ( pigneri sunto) mitgedacht. Dass der Verfall für den Normalfall nicht eigens ausgesprochen wird, wird daran liegen, dass die catonische Pfandklausel das griechische Pfandrecht übernimmt, für welches der Verfall bei Fälligkeit der Forderung selbstverständlich ist76. Allerdings verschärft sich bei Cato der Verfallsbegriff gegenüber dem griechischen Recht. Anders als nach griechischem Recht, nach dem der Eigentumserwerb des Gläubigers nach Fälligkeit der Forderung noch von der Vornahme eines eigenen Zugriffsakts (ε̉μβάτευσις) abhängt, fällt bei Cato das Eigentum mit dem Eintritt der Fälligkeit ohne weiteres an den Gläubiger77.
ad ed. D 13.4.2.8 begegnet ein Seedarlehensgeber, der selbst Geld ‘unter Pfändern’ schuldet ( ubi sub poena debebat pecuniam vel sub pignoribus). Bei Apuleius, Met. 1.21 begegnet der reiche und geizige Wucherer Milo, der umfängliche Wuchergeschäfte ‚unter (Verfalls)Pfand’ von Gold und Silber betreibt ( foenus denique copiosum sub arrabone auri et argenti crebriter exercens). 75 Cato, de agr. 146.2. 76 Anders sucht F. La Rosa, Scritti in onore di Giuseppe Auletta III (Mailand 1988) S.59, 83 die schlichte Bezugnahme auf das ‚pignus’ zu erklären: Das Pfandrecht sei schon lange vor Cato allgemein bekannt gewesen. Dies trifft jedoch nicht zu. 77 Dies ändert sich später, gegen Ende der Republik. Im 1.Jh.v.Chr. erscheint der Eigentumserwerb des Gläubigers beim Verfalls- und Ersatzpfandrecht als an einen eigenen Zugriffsakt des Gläubigers gebunden, der noch dazu unter behördlicher Mitwirkung zu geschehen hat; s. Paul. 5 epit. Alf.Var. dig. D 13.7.30. Die Schwächung des römischen Verfallsrechts hat ihrerseits das griechische Verfallsrecht beeinflusst, s. Cic.ad fam. 13.56.2 (Stadtrecht von Alabanda) und D. Schanbacher, in Differenzierte Integration im Gemeinschaftsprivatrecht (hg. P. Jung, Chr. Baldus; 2007) S.27, 45f.
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IV. G riechische und römische Akzessorietät. Vom Bild zum Begriff Vergleicht man griechisches und römisches Pfandrecht, was die Akzessorietät angeht, so fällt auf: Die Akzessorietät des griechischen Pfandrechts ergibt sich aus dem Pfandvertrag und aus der durch den Pfandvertrag geschaffenen Lage. Sie ergibt sich einerseits aus der Erklärung des Darlehensgebers zum Pfandvertrag: das Darlehen ‚auf‘ das Pfand zu geben (δανείζειν ε̉πὶ etc.)[a], andererseits aus der Pfanderklärung des Darlehensnehmers, der das Pfand dem Darlehen ‚unterlegt‘ (ὑποτιθέναι)[e], der maW. ‚auf‘ das Pfand leiht (b), und daraus, als Darlehensgeber eine Forderung ‚auf‘ das Pfand zu haben (c), als Darlehensnehmer eine Schuld (d). Die Akzessorietät des griechischen Pfandrechts ergibt sich aus einem Bild. Aus einem griechischen Pfandrechtsbegriff konnte sie sich nicht ergeben. Denn einen solchen gab es nicht. Dies wird deutlich am Fehlen einer entwickelten griechischen Pfandrechtsterminologie78, ja eines griechischen Terminus technicus für das Pfandrecht überhaupt. Das Wort ε̉νέχυρον bedeutet in einem weiten Sinn ‚Pfand‘79; das Wort ὑποθήκη in vielen Fällen auch80; nur vereinzelt begegnet es in der Bedeutung ‚Pfandrecht‘81. Begriffliche und terminologische Zurückhaltung ist überhaupt eine Eigenheit des griechischen Rechts82. Erstaunlicherweise fehlt dem griechischen Recht bereits der Rechtsbegriff. Auch das wird an der unzureichenden Terminologie deutlich. Man behilft sich mit einer Verlegenheitslösung und spricht vom ‚Rechten‘ (δίκαιον)83. Die Akzessorietät des frührömischen Pfandrechts folgt hingegen bereits aus dem Pfandrechtsbegriff. Der bei Cato hinter dem Wort pignus, dem lateinischen Terminus technicus für das Pfand84 stehende Pfandrechtsbegriff hat scharfe Konturen. 78 M. I. Finley (Anm.1) S.8 „… that the Greeks here, as throughout their legal activity, lacked the juristic formalism and dogmatism …“; A. R. W. Harrison (Anm.37) S.254 ,,Once more we are hampered by the absence of a developed technical terminology”. 79 M. I. Finley (Anm.1) S.29 „… used regularly for the pawn, the pledged object that passed into the creditor’s possession for the duration of the obligation”; A. R. W. Harrison (Anm.37) S.254 ,,The word for a pledge is ε̉νέχυρον. Its predominant use … is to denote a thing offered and accepted as security for a loan.”; s.etwa Dem. 49 Timotheos 52 oder Dem. 56 Dionysodoros 3; Dem. 33 Apatourios 10 ( A. R. W. Harrison S.254 Fn.1). 80 M. I. Finley (Anm.1) S.29 „in contrast to hypothecated property that remained with the debtor. For the latter, hypotheke, “the object put down” … was the standard expression.” ; A. R. W. Harrison (Anm.37) S.255 ,,The word ὑποθήκη appears to be restricted in the classical period to the thing offered and accepted as security”; s.etwa Dem. 35 Lakritos 11; 18; 52; Dem. 34 Phorm. 7; 27; 50 ( A. R. W. Harrison S.255 Fn.4). 81 So in einem Scholion zu Dem. 25 Aristogeiton 70, zit. bei E. Rabel, Die Verfügungsbeschränkungen des Verpfänders, besonders in den Papyri (Leipzig 1909) S.20 ὑπὲρ του̃ μὴ α̉γνοου̃ντά τινα πάλιν ει̉ς ὑποθήκην ἑτέραν λαμβάνειν. Cic. ad fam. 13.56.2 gebraucht das Wort ὑποθήκη im Sinne von ,Pfandrecht’ (die latinisierte Form hypotheca hingegen für ,Pfand’); s. D. Schanbacher (Anm.77) S.44f. 82 A. R. W. Harrison (Anm.37) S.200ff.; 204f.; 228ff. (zum griechischen Sachenrecht). 83 J. Triantaphyllopoulos, Das Rechtsdenken der Griechen (München 1985) S.3; 33f.; U. Manthe, Gnomon 62 (1990) S.289f. 84 S.Anm.1.
Forderung und Pfand – Die Anfänge der Akzessorietät beim römischen Pfandrecht
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Wenn es im catonischen Formular heißt ‚Es soll zu Pfand sein‘ ( pigneri sunto), so sind mit dem Wort pignus die wesentlichen Begriffsmerkmale des Pfandrechts angesprochen: Verfall, Akzessorietät, Ersatz85. Die begriffliche Zurückhaltung des griechischen Rechts hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass es eine griechische Rechtswissenschaft nicht gegeben hat; als der einzige griechische Jurist gilt Theophrast86. Das griechische Recht ist nie Gegenstand einer zeitgenössischen wissenschaftlichen Reflexion gewesen. Was es gab, war eine allerdings hochentwickelte Geschäftspraxis. Das römische Recht hingegen war schon seit den Zwölftafeln Gegenstand gelehrter Auseinandersetzung ( disputatio) unter Priestern und Juristen, wodurch es zur Rechtsfortbildung kam ( interpretatio)87. Seit der Wende des 3. Jahrhundert zum 2. Jahrhundert v. Chr. geriet die römische Jurisprudenz unter den Einfluss der stoischen Philosophie, auch unter den der stoischen Dialektik. Das römische Recht, auf diese Weise ohnehin seit langem Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion, bildete seitdem Rechtsfiguren aus, die begrifflich scharf konturiert waren. Gerade zu dieser Zeit wurde das griechische Pfandrecht in Rom rezipiert, und dabei geschah etwas Merkwürdiges. Das bisher im ‚Bild‘ lebende griechische Pfandrecht gewann unter den Augen der römischen Jurisprudenz unversehens scharfe begriffliche Konturen. Was in der griechischen Geschäftspraxis als ein ‚auf die Sache Darleihen‘ usw. erschien und in diesem Bild verankert blieb, wurde in Rom zum Begriff. In diesem merkwürdigen Rezeptionsvorgang, in dem das griechische Pfandrecht nach Rom gelangt und sich vom Pfandrechtsbild zum Pfandrechtsbegriff wandelt, lässt sich geradezu der Weg der stoischen Erkenntnislehre nachgezeichnet finden, begangen nicht nur von einem Einzelnen, sondern von einer Gemeinschaft, dem römischen Gemeinwesen. Es ist ein Weg, der vom Bild (φαντασία, visum) über die Zustimmung (συγκατάθεσις, assensio) und Erfassung (κατάληψις, comprehensio) zum Wissen (ε̉πιστήμη, scientia) und zum Begriff (έ̉ννοια, notio) führt88.
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All dies bringt schon Terenz zum Ausdruck, Ter. Heautontimorumenos 603 ea relicta huic arraboni est pro illo argento (s.o.). 86 J. Triantaphyllopoulos (Anm.83) S.1, 31ff.; U. Manthe (Anm.83) S.297f. 87 Pomp.lb.sg.ench. D 1.2.2.5. 88 Cic. Acad.post. I 40 – 42 = Zenon frr. 55, 60 – 62 SVF I p. 18f.; S. M. Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung (3.Aufl. Göttingen 1964) S.54ff.; P. Steinmetz, Die Stoa, in H. Flashar (Hg.), Die Philosophie der Antike (in Ueberwegs Grundriß) 4,2 Basel 1994, S.528ff.; 593ff.